Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Wir alle haben, glaube ich, das Gefühl, dass, während
wir hier zusammensitzen, entscheidende Dinge passieren, die uns wie auch die Bevölkerung sehr stark beschäftigen. Auch wir kennen das Gefühl von Ohnmacht.
Aber wenn einer diesem Gefühl nicht nachgeben darf,
dann sind das die Parlamentarier. Deswegen ist es richtig, dass wir unsere Arbeit tun. Wir werden aber das, was
im Moment alle beschäftigt und was die Welt in diesen
Tagen möglicherweise verändern wird, in der Generaldebatte sicherlich ausführlich besprechen.
So wollen wir nun mit unserer Arbeit beginnen und
ich rufe Tagesordnungspunkt I auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2003 ({0})
- Drucksachen 15/150, 15/402 ({1})
Wir kommen zur Beratung der Einzelpläne. Zunächst
stimmen wir über die drei Einzelpläne ab, zu denen
keine Aussprache vorgesehen ist.
Ich rufe auf:
Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt
- Drucksachen 15/551, 15/572 Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Franziska Eichstädt-Bohlig
Jürgen Koppelin
Wer stimmt für den Einzelplan 01 in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Einzelplan 01 ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion sowie der beiden fraktionslosen Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra
Pau bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 02
Deutscher Bundestag
- Drucksachen 15/552, 15/572 Berichterstattung:
Abgeordnete Johannes Kahrs
Paul Breuer
Jürgen Koppelin
Wer stimmt für den Einzelplan 02 in der Ausschussfassung? - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Einzelplan 02 ist mit den Stimmen des gesamten
Hauses angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 03
Bundesrat
- Drucksachen 15/553, 15/572 Berichterstattung:
Abgeordnete Petra-Evelyne Merkel
Albrecht Feibel
Otto Fricke
Wer stimmt für den Einzelplan 03 in der Ausschussfassung? - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? Auch der Einzelplan 03 ist mit den Stimmen des ganzen
Hauses angenommen.
Ich rufe nun auf:
Einzelplan 08
Bundesministerium der Finanzen
- Drucksachen 15/558, 15/572 Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Bernhard Brinkmann ({2})
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Antje Hermenau
Einzelplan 32
Bundesschuld
- Drucksache 15/570 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Antje Hermenau
Einzelplan 60
Allgemeine Finanzverwaltung
- Drucksache 15/571 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Hans-Joachim Fuchtel
Antje Hermenau
Einzelplan 20
Bundesrechnungshof
- Drucksachen 15/567, 15/572 Berichterstattung:
Abgeordnete Anja Hajduk
Iris Hoffmann ({3})
Bernhard Kaster
Zu Einzelplan 32 liegen zwei Änderungsanträge der
Fraktion der CDU/CSU vor. Zu Einzelplan 60 liegen je
ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion der CDU/
CSU sowie zwei Entschließungsanträge der Fraktion der
CDU/CSU vor. Über die Entschließungsanträge werden
wir am Donnerstag nach der Schlussabstimmung abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Widerspruch
höre ich keinen. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache.
({4})
- Es liegt eine Meldung für eine Rede zur Geschäftsordnung vor. Bitte, Herr Thiele.
Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin, Sie haben die Aussprache gerade eröffnet. Wir beantragen, die Aussprache
zu unterbrechen, bis der Finanzminister anwesend ist.
Ich halte es für einen ungewöhnlichen Vorgang, dass der
Bundeshaushalt erörtert wird und der Finanzminister,
der sogar sprechen soll, nicht anwesend ist. Ich bitte, die
Sitzung bis zu seinem Erscheinen zu unterbrechen.
({0})
Es wurde beantragt, die Sitzung zu unterbrechen. Mir wird Einverständnis im ganzen Hause signalisiert.
Ist das richtig oder gibt es weitere Meldungen zur Geschäftsordnung? - Das ist nicht der Fall. Hiermit stelle
ich Einvernehmen in der Frage einer Sitzungsunterbrechung fest. Es wird Ihnen bekannt gegeben, wann die
Sitzung wieder eröffnet wird.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Der
Finanzminister ist inzwischen eingetroffen. Er bittet um
das Wort für eine persönliche Erklärung.
Meine Damen und Herren, meine Verspätung tut mir
Leid. Aufgrund eines Staatsbesuches - ich weiß im Moment nicht, welcher - waren die Kreuzungen an der Behrenstraße und Unter den Linden für eine längere Zeit
vollständig gesperrt. Eine solche Verspätung ist ansonsten nicht meine Art.
({0})
Ich kann die Aussprache nun eröffnen. Das Wort hat
zunächst der Abgeordnete Dietrich Austermann für die
CDU/CSU.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den
letzten Monaten hat auch in Deutschland die Außenpolitik
in der politischen Debatte eine überragende Rolle gespielt.
Die Lage spitzt sich heute zu. Die Verantwortung für diese
Krise und ihre Zuspitzung tragen Saddam Hussein und
diejenigen in seinem Lande, die den Terror unterstützen.
Um der Menschen willen hoffen wir auf eine letzte
Chance für den Frieden.
Unabhängig von der außenpolitischen Lage bleibt
die Verpflichtung, im Inland die Dinge in Ordnung zu
bringen. Angesichts der wirtschaftlichen Folgen der letzten zweieinhalb Jahre Rot-Grün, nach 1 400 Tagen
Finanzpolitik unter Hans Eichel, nach fünf Haushaltsplänen aus seiner Feder und erst recht in dieser politischen Lage muss man immer mehr den Eindruck gewinnen: Was hier von Rot-Grün veranstaltet wird, ist sinnlos.
({0})
Man kann das mit den Worten überschreiben, dass der
im Dezember vorgelegte Bundeshaushalt an Realitätsferne nicht zu überbieten ist, dass der Haushalt wegen
dieser Realitätsferne das Vertrauen der Bürger und Investoren in Deutschland weiter zerstört und dass wir daraufhin eine Entwicklung in unserem Land haben, die
jeder Bürger in seinem Portemonnaie spürt und die immer mehr Arbeitslose persönlich erleiden und ertragen
müssen. Es gibt kein Vertrauen mehr in die Haushaltspolitik des Bundes. Bundesbank, Bundespräsident und
Bundesrechnungshof fordern Kurskorrekturen, die aber
nicht getroffen werden.
({1})
Das Frappierende an dieser Situation ist, dass der
Bundesfinanzminister, der die Menschen vor der Bundestagswahl belogen und betrogen hat - ({2})
- Herr Müntefering, für eine Schätzabweichung von
11 Milliarden Euro im Haushalt gibt es keine andere Erklärung als die, dass hier die Wahrheit vorsätzlich verdreht worden ist.
({3})
Dies wurde mit dem Nachtragshaushalt fortgesetzt, der
im November vorgelegt wurde und bei dem die Schätzungen wieder um einen fast zweistelligen Milliardenbetrag von der Realität abgewichen sind.
Ich glaube, es ist deutlich geworden, dass jede Zahl,
die in der letzten Zeit vom Finanzministerium genannt
worden ist, mit der Realität nichts mehr zu tun hat. Das
ist deshalb dramatisch, weil viele Investoren darauf vertrauen wollen, dass es mit der wirtschaftlichen Entwicklung in unserem Lande vorangeht, und in diesem Vertrauen fast täglich neu enttäuscht werden.
({4})
Sie haben Ende letzten Jahres eine scheinbar positive
Veränderung in Ihrem Haushalt nur deshalb erreicht,
weil Sie vor allen Dingen im Osten den zweiten Arbeitsmarkt konzeptionslos und brutal zusammengeknüppelt
und Mittel eingespart haben, um nicht einen zu hohen
Zuschuss an die Bundesanstalt für Arbeit ausweisen zu
müssen.
Auch haben Sie, Herr Eichel, die Einnahmen aus der
Mineralölsteuer in Höhe von 1 Milliarde Euro noch
schnell in das Jahr 2002 vorgezogen.
({5})
- Doch, das hat Ihr Staatssekretär im Haushaltsausschuss zugegeben.
({6})
Sie haben Ende Dezember 2002 1 Milliarde Euro eingezogen, um die Bilanz etwas zu schönen. Dies hatte im
Januar dieses Jahres entsprechende Konsequenzen in
Form von Steuermindereinnahmen.
Ein weiterer Punkt, an dem man feststellen muss, dass
all die vorhandenen Vorgaben, mit der Realität nicht
mehr in Einklang zu bringen sind, ist das Finanzierungskonzept für die Fluthilfe, das grandios gescheitert ist.
({7})
Steuermehreinnahmen, die das Ganze decken sollten,
sind nicht eingetreten. Jetzt finanzieren Sie die Hilfe für
den Wiederaufbau in den neuen Bundesländern über höhere Schulden. Der Bundesbankgewinn wäre in der Tat
das bessere Finanzierungsmodell gewesen.
({8})
Meine Damen und Herren, die Haushaltspolitik wird
zunehmend irrational. Sie ist kaum noch nachvollziehbar.
({9})
Mit einer immer stärkeren Belastung von Bürgern und
Betrieben sollen Konjunktur und Investitionen angekurbelt werden.
({10})
Das begann am Jahresanfang mit einer Fülle von Steuerund Energiepreiserhöhungen, die jeder Bürger in seinem
Portemonnaie spürt. Dann setzte es sich - Herr Müntefering, Sie können gleich wieder aufschreien; ich möchte
das Ganze fast „Steuerterror“ nennen - mit dem Plan
fort, 48 neue Steuern zu erheben bzw. Steuerveränderungen vorzunehmen.
({11})
Dabei ging es zum Teil um Kinderkram - von der Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Blumen bis zu allen möglichen anderen Regelungen.
({12})
Damit wollten Sie eine Verbesserung der Haushaltssituation erreichen.
Sie haben diesem Haushalt ein Steuervergünstigungsabbaugesetz mit Mehreinnahmen unterstellt, obwohl Sie genau wissen, dass dieses so genannte Steuervergünstigungsabbaugesetz im Bundesrat überhaupt
keine Chance hat. Sie rechnen damit, durch die Abgeltungsteuer mehr Geld einzunehmen.
({13})
- Wenn das, was Sie hier in Deutschland seit zweieinhalb Jahren machen,
({14})
Steuergerechtigkeit ist, dann fragen Sie doch bitte die
Wähler in Hessen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein
und - am letzten Sonntag - in Kiel, ob sie das, was Sie
machen, für gerecht halten.
({15})
Die Bundesregierung rechnet laut Jahreswirtschaftsbericht mit einem geringeren Wachstum. Im Haushaltsentwurf findet dies aber keine Widerspiegelung.
({16})
Sie ziehen im Haushalt keine Konsequenzen. Immer
mehr kurzfristige Kredite werden aufgenommen, damit
jetzt schnell Geld vorhanden ist. Dabei verschiebt man
die Belastung, die sich aus diesen kurzfristigen Krediten
ergibt, in die Zukunft. Unverändert nehmen die konsumtiven Ausgaben zu. Die Verschuldung steigt. Der Rückgang der Investitionen zeigt eine Lastenverschiebung in
die Zukunft.
Eine Fülle von Haushaltsposten, von der Kohle bis
zur Raumfahrt, werden in diesem Jahr zu niedrig angesetzt. Dies tut man in der Hoffnung, dass die Antragsteller - man muss sich in der Tat einmal mit Vertretern der
Ruhrkohle AG unterhalten - in diesem Jahr das Geld,
auf das sie ein Recht haben, nicht einfordern werden.
Nein, man könnte sich auf den ehemaligen Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Herrn Gabriel, beziehen - die
älteren Niedersachsen unter Ihnen werden sich noch an
ihn erinnern -,
({17})
der von „Voodoo-Ökonomie“ gesprochen hat, als er die
Finanzpolitik von Herrn Eichel beschrieben hat.
Ich frage: Welche Konsequenzen wurden in den
Haushaltsberatungen aus diesem unglaublichen Haushaltsentwurf gezogen? Insgesamt gab es eine Veränderung um 300 Millionen Euro. Auf dem Papier wurden
Mehrausgaben durch Steuermehreinnahmen gegenfinanziert, die - ich habe davon gesprochen - überhaupt nicht
realistisch sind. Neue globale Minderausgaben wurden
eingeplant, andere ausgeplant. Die restliche globale
Minderausgabe in Höhe von 1 Milliarde Euro wird noch
eingespart werden müssen. Im Bereich von Forschungsund Verkehrsinvestitionen wurden Kürzungen vorgesehen.
Ich möchte den Metrorapid, weil er die Kollegen aus
Nordrhein-Westfalen interessiert, als Beispiel nennen.
Man hat dem Land Nordrhein-Westfalen für dieses Jahr
80 Millionen Euro zugesagt. Wie sind diese Mittel aufgebracht worden? Im Verkehrsetat hat man für diese
Mehrausgabe eine Minderausgabe in der gleichen Höhe
vorgesehen. Das bedeutet, dass alle anderen Verkehrsträger - von der Schiene über die Straße bis zur Wasserstraße - jetzt das Geld für ein nicht haushaltsreifes und
unsinniges Projekt aufbringen müssen.
({18})
Der Verkehrsetat wurde zurechtgestutzt bzw. zusammengestutzt, obwohl im Verkehrsetat eine Mehreinnahme in Höhe von 1 Milliarde Euro aus der Maut veranschlagt ist. Vielleicht können Sie sich noch daran
erinnern, dass vor zwei oder drei Jahren davon gesprochen wurde, in Deutschland solle ein Anti-Stau-Programm aufgelegt, werden, sodass künftig auf allen Autobahnen durchgängig und ständig auf drei oder vier
Spuren gefahren werden könne. Was findet man von diesem Anti-Stau-Programm im diesjährigem Haushalt
erstmals wieder? Es ist ein Betrag in Höhe von 20 Millionen Euro.
Von diesen 20 Millionen Euro - das sind, glaube ich,
zwei oder drei kleinere Straßenbauprojekte irgendwo in
Deutschland - muss man ausgehen, wenn man berücksichtigt, dass der Verkehrsetat insgesamt reduziert worden ist. Das heißt: Es wird weniger für Infrastruktur in
Deutschland ausgegeben, obwohl durch die Mautgebühren 1 Milliarde Euro mehr zur Verfügung stehen soll.
Eichel hat trotz der im Jahreswirtschaftsbericht von
1,5 auf 1 Prozent reduzierten Wachstumserwartungen
praktisch keine Anpassung der Haushaltseckwerte vorgenommen. Die wesentlichen Schätzansätze wurden aus
anderen Gründen nur geringfügig verändert. Mittlerweile haben alle kompetenten Institute deutlich gemacht,
dass sie davon ausgehen, dass es in diesem Jahr weder
ein Wachstum von 1,5 Prozent noch von 1 Prozent geben
wird. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft schätzt
0,4 Prozent, das RWI 0,6 Prozent, die OECD hat ebenfalls eine Reduzierung angekündigt. Das alles soll ohne
jede Wirkung auf den Haushalt der Bundesrepublik
Deutschland sein? Wie kann man da den Finanzminister
noch ernst nehmen?
Wir wissen, dass er am Freitag mit dem Bundeskanzler und dem Bundesaußenminister nach Brüssel marschieren muss. Ich bezeichne das als Canossagang, weil
es bedeutet, dass Deutschland darum bitten muss,
({19})
dass man trotz der absehbaren Überschreitung der
Maastricht-Kriterien kein Strafverfahren zu gewärtigen hat. Vielleicht sagen Sie etwas dazu, Herr Eichel,
was eigentlich der Anlass dieses Termins ist und wie es
mit dem Maastrichter Vertrag in Einklang zu bringen ist,
({20})
dass Ihnen die EU-Kommission diesen Nachlass für
schlechte Arbeit gewähren will. Wir werden in diesem
Jahr aufgrund der veränderten wirtschaftlichen Daten
Steuerausfälle von mindestens 4 Milliarden Euro haben.
Wir werden Mehrausgaben bei der Bundesanstalt für Arbeit in der Größenordnung von etwa 5 Milliarden Euro
haben. Wenn Sie sich die Bilanz nach zwei Monaten ansehen, Herr Kollege, dann werden Sie sehen, dass der
Bundesanstalt für Arbeit, die nach Regierungsverdikt
mit einem Nullzuschuss in diesem Jahr auskommen soll,
bisher schon 1,6 Milliarden Euro fehlen.
Wenn ich nur diese beiden Daten zusammennehme,
dann heißt das, dass die Nettokreditaufnahme des Bundes um 10 Milliarden Euro über dem veranschlagten
Soll, also bei rund 30 Milliarden Euro, liegt. Alfred Boss
vom Institut für Weltwirtschaft geht davon aus, dass wir
bei einem Wachstum von 1 Prozent deutlich über
30 Milliarden Euro liegen würden. Das heißt - die Dramatik der Situation ist gar nicht hoch genug einzuschätzen -: Der Bundesfinanzminister wird zum zweiten Mal
nacheinander einen Haushalt vorlegen, der der Verfassung nicht entspricht,
({21})
er wird zum zweiten Mal einen Haushalt vorlegen, der
nicht im Einklang mit europäischem Recht steht. Ich
glaube, es wird deutlich, dass das Königsrecht des Parlaments, über den Haushalt zu beschließen und die Entscheidungen zu treffen, die Vertrauen in die Zukunft
schaffen sollen, die zwischen Investitionen und Konsum
abwägen und deutlich machen, in welche Richtung unser
Land in diesem Jahr marschieren soll, zur Farce verkommt, wenn Daten auf dem Tisch liegen, die mit der
Realität nichts zu tun haben.
({22})
10 Kilo Papier, 3 500 Seiten, aber nicht eine einzige
Andeutung dazu, wie es mehr Chancen für die Menschen
in diesem Land geben soll. Dass mit Steuermindereinnahmen und bei der Bundesanstalt für Arbeit mit Mehrausgaben zu rechnen ist, kann gar nicht bestritten werden.
Ein weiteres Risiko für diesen Haushalt liegt in der
Sozialversicherung. Auch da sind nach 1 400 Tagen
Hans Eichel Defizite in allen Bereichen zu beklagen, und
zwar bei der Pflegeversicherung, bei der gesetzlichen
Krankenversicherung und - was haushaltswirksam ist bei der Rentenversicherung sowie bei der Sozial- und Jugendhilfe. Überall haben wir eine Defizitwirtschaft,
nachdem wir 1998 eine andere Situation hatten.
({23})
- Es ist unbestreitbar, dass die Pflegeversicherung heute
noch davon lebt, dass wir einen Überschuss erwirtschaftet haben, der aus den Rücklagen von 1998 resultiert.
({24})
Es ist unbestreitbar, dass die gesetzliche Krankenversicherung - ich sehe den Kollegen Seehofer an - im Jahr
1998 Überschüsse hatte, und es ist unbestreitbar, dass
auch die Rentenfinanzen 1998 in Ordnung waren,
({25})
und zwar aufgrund einer Rentenreform, nach der Sie
sich heute, da die Zeitungen jeden Tag fragen, wie hoch
denn der Beitrag in diesem Jahr sein wird, die Finger
lecken.
({26})
Angesichts der Tatsache, dass wir schon jetzt damit
rechnen müssen, dass der Bund wegen der wegbrechenden Schwankungsreserve bei der Rente in Anspruch genommen wird, ist mir völlig unverständlich, wie man
aufseiten der Koalition dicke Backen machen kann.
({27})
Die Folgen einer fehlerhaften Finanz-, Haushalts- und
Wirtschaftspolitik für die Nettokreditaufnahme sind
unübersehbar. Ich will das noch einmal deutlich machen,
weil der Finanzminister gerne den Eindruck erweckt, er
habe nun einen anderen Kurs eingeschlagen, der in die
richtige Richtung führe und etwas mit Konsolidierung zu
tun habe. Viele Wirtschaftsfachleute empfehlen in der
Tat, er möge seinen Konsolidierungskurs fortsetzen. Ich
kann das nur so deuten, dass sich diese Fachleute nicht
mit den Haushaltsdaten beschäftigt haben.
({28})
Lassen Sie mich eines konkret feststellen, Herr Minister Eichel: Die Gesamtausgaben liegen in diesem Jahr
um 16 Milliarden Euro höher als 1998. Das ist ein Plus
von 6,7 Prozent.
({29})
- Ich will nicht darauf eingehen, wofür es spricht, wenn
man in dieser Situation bei klaren Fakten vor sich hin
grinst. - Die Investitionsquote hat ein historisches Tief
erreicht. Die Ausgaben für den Arbeitsmarkt liegen auf
einem Rekordniveau. Die Nettokreditaufnahme - ich
habe das bereits ausgeführt - liegt zum zweiten Mal
oberhalb der Grenze, die die Verfassung zulässt. Wir haben im vergangenen Jahr eine Rekordverschuldung gehabt und es ist davon auszugehen, dass auch in diesem
Jahr die Maastricht-Kriterien verletzt werden.
({30})
Spricht das alles für einen Konsolidierungskurs oder
für einen geordneten Haushaltskurs?
({31})
Nein, vielmehr wird der Schuldenstand in diesem Jahr mit
voraussichtlich 825 Milliarden Euro um 80 Milliarden Euro
höher liegen als 1998. Das ist deshalb interessant, weil Sie
im gleichen Zeitraum den Menschen 70 Milliarden Euro
mehr an Steuern aus der Tasche gezogen und außerdem
noch 50 Milliarden Euro durch den Erlös aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen eingenommen haben.
({32})
Trotz dieser zusätzlichen Rekordeinnahmen durch die
Privatisierung ist eine so kümmerliche Bilanz dieser
Finanz- und Haushaltspolitik zu ziehen.
({33})
Die rot-grüne Perspektive ist - soweit man sie aus
dem Haushalt ableiten will - nicht zukunftsorientiert.
Die Ausgaben für den Konsum steigen, die Investitionsausgaben sinken. Die Investitionsquote liegt ohne die
Fluthilfe deutlich unter 10 Prozent. Die Bundesregierung
erhöht den Staatsverbrauch bzw. die Staatsquote, um
sich vor notwendigen Reformen zu drücken.
Die Regierungserklärung des Bundeskanzlers, die in
Teilbereichen durchaus eine Kursbegradigung, wenn
auch leider keine Kurskorrektur ist und die in Teilbereichen die Rechtslage von 1998 wieder herstellt und
dies als großartigen Erfolg feiert, ist in der Summe ihrer
Ankündigungen leider nicht angetan, in Deutschland
wieder die Dynamik herbeizuführen, die es 1998 in der
wirtschaftlichen Entwicklung gegeben hat. Das entscheidende Kriterium für eine erfolgreiche Finanz- und
Haushaltspolitik muss darin bestehen, ob die Regierung
- soweit sie als staatliche Instanz dazu imstande ist einen Beitrag dazu leistet, dass die wirtschaftliche Entwicklung aufwärts verläuft, oder ob sie weiter auf der
Stelle tritt.
Wir sind - um das gleich festzuhalten - eindeutig gegen
das schuldenfinanzierte Investitionsprogramm, das gestern im Haushaltsausschuss im Einzelnen konkret vorgestellt wurde. Die Zinsen sind ohnehin auf einem historischen Tiefstand. Das Programm kann deshalb nur eine
nutzlose Subvention bedeuten. Die Investoren werden
zwar die Zinsverbilligungen mitnehmen, aber keinen Cent
mehr investieren. Es wird nicht einmal zu einem Strohfeuer kommen. Denn das Stroh ist nass; Kredite sind bereits jetzt extrem billig. Ein Kreditprogramm für hoch verschuldete Gemeinden bringt nichts. Diese Gemeinden
brauchen vielmehr frisches Geld und eigene Einnahmen.
Die von Ihnen betriebene Politik in Bezug auf Gewerbesteuer, Gewerbesteuerumlage, Finanzausgleich, Ökosteuer und Grundsicherung bedeutet, dass Sie den Bürgermeistern der Gemeinden die Beine wegschlagen und
ihnen anschließend eine Gehhilfe zur Miete anbieten.
Das tragen wir nicht mit.
({34})
Als wir im Haushaltsausschuss des Bundestages die
Freistellung der Kommunen von der Fluthilfe gefordert haben, haben Sie abgelehnt. Immerhin: Jetzt soll dieses Vorhaben doch umgesetzt werden. Wir haben die Aufstockung
der Mittel für die Forschungsgesellschaften - die MaxPlanck-Gesellschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft, die
Deutsche Forschungsgemeinschaft und andere - nach
dem mit den Ländern vereinbarten Schlüssel gefordert.
Sie haben das im Haushaltsausschuss abgelehnt. Der Bundeskanzler hat zwar am letzten Freitag an dieser Stelle gesagt, das wolle man machen. Er hat bloß das Jahr 2003
ausgespart. Die Mittel sollen also in diesem Jahr noch
nicht zur Verfügung gestellt werden. Ich halte das für eine
unglaubliche Täuschung der Bürger.
Wir wollten beim Haushalt eine Reihe von Veränderungen durchsetzen: Stärkung der öffentlichen Investitionen, insbesondere der Verkehrsinvestitionen, Erhöhung der Städtebauförderung und Stärkung der
Ausgaben im Bereich Bildung und Forschung. Es geht um
Investitionen in die Zukunft, die zurzeit dramatisch vernachlässigt werden. Wir wollten des Weiteren ein nationales Raumfahrtprogramm, mehr Mittel für Meeresforschung und Meerestechnik sowie für die Werften. Wir
wollten vor allen Dingen den neuen Bundesländern eine
größere Chance geben, über höhere Ausgaben zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur beizutragen.
({35})
Wir wollten außerdem eine Erhöhung der Mittel für die
Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz“. Wir wollten auch den Verteidigungsetat anheben. Es kann doch nicht richtig sein, dass der Bundesaußenminister von einer Stärkung des Militärischen
spricht, dass aber der Verteidigungsetat durch klammheimliche Zusagen, die gegeben werden mussten, immer
weiter sinkt.
({36})
An all diesen Stellen wollten wir Akzente in Richtung
Zukunft setzen. Sie haben das alles abgelehnt. Sie haben
die Verantwortung für den vorliegenden Haushaltsentwurf zu tragen, der mit der Realität nichts zu tun hat.
Die Denkzettel bei den letzten drei Wahlen, bei den
Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen sowie bei
der Kommunalwahl in Schleswig-Holstein, sind offensichtlich noch lange nicht genug. Die Bürger haben erkannt: Die jetzige Regierung hat es aufgegeben, einen
Beitrag zu einer Finanzpolitik zu leisten, die der Zukunft
zugewandt ist. Eichel hat es schon immer verstanden, die
Zahlen zu verdrehen. Ich glaube, Herr Minister, wenn
Sie heute Bilanz ziehen und versuchen, das, was vorliegt, mit der Realität in Einklang zu bringen, dann werden Sie feststellen müssen, dass Sie von ihr meilenweit
entfernt sind. Wer so weit von der Realität entfernt ist
wie Sie, der hat zumindest als Minister in einem Ministerium nichts zu suchen.
Herzlichen Dank.
({37})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Walter Schöler.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Kollege Austermann hat soeben in der ihm eigenen
Art - wir sind es ja nicht anders gewohnt - den Pinsel
tief in schwarze Farbe getaucht und Schwarzmalerei betrieben, wie sie falscher nicht sein kann. Wie gesagt,
Herr Kollege Austermann, ich bin von Ihnen überhaupt
nichts anderes gewohnt. Wir alle wissen, dass Sie einer
der unbegabtesten Propheten in unserem Land sind;
denn mit einer Fülle falscher Einschätzungen und kaum
noch zu zählender unsinniger Forderungen nach Nachtragshaushalten in den letzten Jahren haben Sie sich selber doch völlig disqualifiziert.
({0})
Herr Austermann hat noch am 19. Dezember des letzten Jahres in diesem Hause vorhergesagt, die Bundesanstalt für Arbeit benötige 2002 einen Bundeszuschuss
in Höhe von 10 Milliarden Euro. Benötigt hat die
Bundesanstalt tatsächlich gut 5 Milliarden Euro. Herr
Austermann, Sie lagen also um gut 50 Prozent daneben.
Das ist eine satte Quote für eine Fehleinschätzung. Die
Nettokreditaufnahme haben Sie knapp zwei Wochen vor
dem Jahresultimo auf 40 Milliarden Euro geschätzt. Hier
lagen Sie um 8 Milliarden Euro neben der tatsächlich benötigten Summe. So sehen Ihre Fähigkeiten der Einschätzung aus. Sie selbst tragen mit Ihren Fähigkeiten
zur Disqualifizierung Ihrer Grundaussagen bei, die Sie
hier gemacht haben.
({1})
- Herr Rexrodt, das ist die Realität.
Ich möchte bei der Realität bleiben. Wir verkennen
keineswegs die schwierige Lage, in der wir alle sind.
Das hat auch der Bundeskanzler in seiner Rede am letzten Freitag deutlich gemacht. Wenn man sieht, welch ein
zerrissenes Bild die Unionsspitze in der Debatte über die
Regierungserklärung abgegeben hat, dann lässt das erwarten, dass es angesichts der unterschiedlichen Meinungen und Mehrheiten, die es in diesem Hause und im
Bundesrat gibt, nicht leichter werden wird, in den wichtigen Zukunftsfragen zu den vom Bundeskanzler aufgezeigten Lösungen zu kommen. Aber die Menschen erwarten in den wesentlichen Fragen mehr Einvernehmen
zwischen Regierung und Opposition, zumindest mehr als
das, was Sie heute Morgen hier gezeigt haben.
({2})
Wer die Lösung nur aus seiner Interessenlage betrachtet - Sie haben das eben getan; auch die Stellungnahmen
der Opposition zur Freitagsrede, die wir alle kennen, die
schon vorab verkündeten Stellungnahmen zum Haushalt
2003 sowie die Stellungnahmen von Interessenverbänden, ich nehme da keinen Verband aus, sind dementsprechend -, der liegt absolut falsch. Wir brauchen einen
strikten Konsolidierungskurs und wir brauchen die
Stärkung der Zukunftsaufgaben.
({3})
Das ist die richtige Antwort auf die augenblicklich
sicherlich schwierige wirtschafts- und finanzpolitische
Situation. Wir werden der Wirtschaft mit dem vom Bundeskanzler am Freitag vorgestellten Programm zusätzliche kräftige Impulse geben.
({4})
Es ärgert Sie natürlich, dass wir sofort handeln. Es ärgert Sie, dass wir auch im Haushalt 2003 sofort reagiert
haben. Das gilt für die Bauwirtschaft, die wir mit einem
15-Milliarden-Euro-Programm unterstützen. Damit helfen wir vor allem kleineren Unternehmen, mittelständischen Betrieben.
({5})
Außerdem werden wir die Finanzausstattung der Gemeinden in diesem Jahr um annähernd 2 Milliarden Euro
verbessern. Damit werden kommunale Handlungsspielräume und die Investitionsmöglichkeiten wieder besser.
({6})
Von unseren Konsolidierungsmaßnahmen weichen
wir deshalb keinen Jota ab.
({7})
Diese Maßnahmen sind solide finanziert. Die Nettokreditaufnahme des Bundes wird deshalb um keinen einzigen Euro steigen.
Die Beratungen des Bundeshaushalts 2003 haben sich
angesichts veränderter Konjunkturentwicklungen und
auch angesichts der reduzierten Wachstumserwartungen
schwierig gestaltet. Das geben wir zu. Dabei hatten sich
die Koalitionsfraktionen das ehrgeizige Ziel gesetzt, die
im Regierungsentwurf enthaltene globale Minderausgabe von 1,3 Milliarden Euro durch gezielte Einsparungen zu einem großen Teil aufzulösen.
({8})
Dieses Ziel haben wir erreicht - Sie haben das nicht für
möglich gehalten - und das ärgert Sie. Das hat auch der
Redebeitrag von Herrn Austermann heute gezeigt.
({9})
Was wir getan haben, war ein schmerzhaftes Unterfangen und sicherlich auch mit einem Lernprozess verbunden, sogar in den Ministerien. Wir werden uns mit einer globalen Minderausgabe dieser Größenordnung im
Haushaltsausschuss künftig wahrscheinlich nicht mehr
befassen müssen; denn diejenigen, die im Kabinett für
eine solche Ausgabe stimmen, werden nicht davon ausgehen können, dass sie verschont bleiben. Das zu erkennen war nun einmal ein schmerzhafter Prozess.
({10})
Es ist uns gelungen, die globale Minderausgabe auf
knapp 400 Millionen Euro zu reduzieren. Das ist ein Betrag, der unserer Meinung nach im Haushaltsvollzug eingesammelt werden muss.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie
blieben bei den Beratungen im Haushaltsausschuss
doch jeden Beitrag zur Aufarbeitung der Probleme
schuldig. An unserer Kernarbeit haben Sie sich doch
überhaupt nicht beteiligt!
({11})
Von Ihnen kamen keine konstruktiven Vorschläge. Herr
Fuchtel, nennen Sie mir einen einzigen! Stattdessen setzen
Sie auf Miesmacherei und auf populistische Forderungen
nach ungedeckten Ausgaben. Herr Austermann hat seinen
Wunschkatalog gerade noch einmal vorgetragen. Sie haben
im Haushaltsausschuss Ausgabeanträge mit einem Volumen von annähernd 3 Milliarden Euro gestellt, und das
ohne dafür eine seriöse Deckung anbieten zu können.
({12})
Umso wichtiger ist das Ergebnis unserer Beratungen:
Erstens. Es bleibt - das haben Sie gar nicht für möglich gehalten - bei der Nettokreditaufnahme von
18,9 Milliarden Euro. Das ist die geringste Neuverschuldung seit der Wiedervereinigung.
({13})
Es ist eine Reduzierung gegenüber dem Vorjahr um immerhin 13 Milliarden Euro. Das macht eines klar: Wir
bleiben auf Konsolidierungskurs.
({14})
Zweitens. Wir halten am Ziel eines ausgeglichenen
Haushalts ohne Neuverschuldung bis 2006 fest.
({15})
- Das Jahr 2006, lieber Steffen! Wir werden das bei anderer Gelegenheit sicherlich noch einmal diskutieren
können.
Allerdings wissen wir - das muss ich auch sagen -,
dass der Weg dorthin äußerst steil und auch schwieriger
geworden ist. Deshalb ist er nur bei strikter Ausgabendisziplin und bei einer wirtschaftlichen Erholung zu
meistern. Die Ausgaben konnten mit 248,2 Milliarden
Euro nahezu unverändert auf dem Niveau des Regierungsentwurfs gehalten werden. Sie liegen damit im Übrigen um 0,4 Prozent niedriger als 2002. Wenn man zur
besseren Vergleichbarkeit die Sonderbelastung aus dem
Hochwasserhilfefonds herausrechnet, dann zeigt sich,
dass die Ausgaben gegenüber dem Vorjahr sogar um
1,9 Prozent gesunken sind. Das ist ein deutlicher Indikator für Haushaltskonsolidierung.
({16})
Diese Zahlen werden nicht trügen.
Das gilt im Übrigen - nächster Punkt - auch für die
mittelfristige Betrachtung. Der Anteil der Bundesausgaben am Bruttoinlandsprodukt - er betrug 1999 noch
12,5 Prozent - ist inzwischen auf 11,3 Prozent gesunken.
Der Bund hat in diesem Zeitraum den Anteil seiner Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt also um 1,2 Prozentpunkte zurückgeführt. Das sind fast 30 Milliarden Euro.
Das widerlegt eindeutig Ihr ständig wiederholtes Gerede
davon, der Bund konsolidiere nur auf der Einnahmeseite,
aber er spare nicht. Das ist nicht der Fall.
({17})
Auf der Einnahmeseite hatten wir Mindereinnahmen
zu verkraften. Nach der Korrektur der Wachstumsannahmen Anfang des Jahres war eine Neuschätzung der Steuereinnahmen notwendig. Im Vergleich zur Novemberschätzung 2002 ergeben sich daraus Steuerausfälle von
rund 1 Milliarde Euro. Außerdem haben wir den Ansatz
für die Privatisierungserlöse um 700 Millionen Euro gesenkt.
({18})
Wir halten das für eine reale Haushaltspolitik.
Diesen Mindereinnahmen stehen aber auch Mehreinnahmen in Höhe von 2,1 Milliarden Euro aus der
geplanten Kapitalrückholaktion gegenüber. Im Zusammenhang mit der geplanten Neuregelung der Zinsbesteuerung bieten wir denen, die in der Vergangenheit ihre
steuerlichen Pflichten nicht erfüllt haben - Sie sollten
einmal kritisieren, in welchem Maß das geschehen ist,
und zwar in der Zeit, als Sie an der Regierung waren -,
({19})
die Möglichkeit zur Rückkehr in die Steuerehrlichkeit
an, allerdings befristet. Bis zum 31. Dezember sind
25 Prozent und in dem Halbjahr danach 35 Prozent zu
zahlen.
Angesichts der riesigen Auslandsguthaben haben
wir äußerst vorsichtig geschätzt. Davon, dass im Rahmen dieser Aktion mindestens 20 Milliarden Euro in
Deutschland nacherklärt werden, können wir aber zu
Recht ausgehen. Bei einer pauschalen Abgabe von
25 Prozent bedeutet das bei diesem Volumen Einnahmen
von 5 Milliarden Euro. Davon erhält der Bund rund
2,1 Milliarden Euro, erhalten die Länder 2,1 Milliarden
Euro und die Gemeinden immerhin 750 Millionen Euro,
die einen Teil des 2-Milliarden-Paketes ausmachen.
Während Ihrer Regierungszeit - ich muss es noch einmal sagen, Herr Fromme - sind diese Milliardenbeträge
an den Steuerkassen vorbei ins Ausland gewandert.
({20})
Diejenigen, die sich daran beteiligt haben, egal ob als Inhaber des Kapitals oder als Berater - die muss man hier
auch einmal erwähnen -, sollten - ich kann dazu nur raten - die sich ihnen nun bietende Chance der Rückkehr
in die Steuerehrlichkeit wirklich nutzen.
Herr Austermann hat die Verfassungsmäßigkeit des
Haushalts bezweifelt. Dazu kann ich nur feststellen: Der
Haushalt ist auch verfassungsfest. Die Nettokreditaufnahme liegt mit 18,9 Milliarden Euro
({21})
wesentlich unter dem Investitionsvolumen von
26,7 Milliarden Euro und damit deutlich unter der Verschuldungsgrenze, die das Grundgesetz in Art. 115 zieht.
Mit dem Haushalt leistet der Bund - das haben Sie
ebenfalls falsch gesagt, Herr Austermann - auch seinen
Beitrag zur Einhaltung der EU-Stabilitätskriterien. Dabei sind die Arbeitsmarktreform, das Steuervergünstigungsabbaugesetz und Reformen in der Sozialversicherung die wesentlichen Bausteine zur Reduzierung des
deutschen strukturellen Defizits, so wie es die EU fordert.
({22})
Auch bei einer Wachstumsannahme von nur noch
1 Prozent liegen wir noch unterhalb der magischen Dreiprozentgrenze, wenn nicht nur der Bund, sondern auch
die Bundesländer und die Gemeinden einen strikten
Konsolidierungskurs fahren. Das setzt voraus, dass die
unionsgeführten Länder bei den Beratungen im Vermittlungsausschuss die mit dem Steuervergünstigungsabbaugesetz erzielbaren Einsparungen in der Höhe mittragen.
({23})
- Steffen Kampeter, wenn das eure einzige Schuld wäre,
dann ginge es ja noch, aber es gibt noch ganz andere
Dinge in der Vergangenheit, für die ihr die Verantwortung zu tragen habt.
Die CDU/CSU steht in den Ländern auch in erheblichem Maß in der Mitverantwortung.
({24})
Was für ein Verhalten wird da an den Tag gelegt? Unser
Gesetz zur Steuervereinfachung und zum Abbau von ungerechtfertigten Vergünstigungen und Subventionen zu
kritisieren, die daraus erzielbaren Einnahmen durch die
Landesfinanzminister in den Länderhaushalten veranschlagen zu lassen
({25})
und anschließend im Bundesrat das Gesetz zu blockieren, das ist Doppelzüngigkeit, die Sie und die von ihnen
geführten Bundesländer betreiben.
({26})
Damit - das sage ich Ihnen - werden Sie von der Opposition nicht weiterkommen. Ich bin davon überzeugt: Sie
werden letztlich im Vermittlungsausschuss einer Einigung - dazu müssen wir kommen - zustimmen.
Im Übrigen: Unsere Konsolidierung geht nicht, wie
Sie gesagt haben, zulasten von Wachstum und Beschäftigung; denn die Investitionen übersteigen in einem erheblichen Maß - um 1,7 Milliarden Euro - den Ansatz des
Vorjahres. Wichtige Vorhaben in den Bereichen Familie,
Infrastruktur, Bildung und Forschung haben wir auf hohem Niveau verstetigt oder sogar verstärkt. Am Beispiel
der Forschungstitel, die Sie angesprochen haben - wir
haben uns eine Zusammenstellung sämtlicher Forschungstitel des Bundeshaushalts fertigen lassen -, können wir nachweisen, dass wir diese über alle Einzelpläne
hinweg seit 1998 von rund 6 auf 7 Milliarden Euro
erhöht haben. Der Bereich Forschung und Bildung hat
sogar eine Steigerung von rund 7 auf insgesamt
10 Milliarden Euro erfahren. Das können Sie im Haushalt nachlesen.
({27})
Rot-Grün setzt damit seine wachstumsstärkende Reformpolitik fort. Die Bundesregierung will grundlegende
Reformen, die zur Regierungszeit von CDU/CSU und
Kanzler Kohl noch Tabus waren. Wir werden diese Reformen durchsetzen. Ich nenne nur die Zusammenlegung von
Arbeitslosen- und Sozialhilfe und die Reform im Gesundheitswesen. Das sind dringend erforderliche Reformen,
({28})
die wir jetzt anpacken und in den nächsten Wochen und
Monaten beraten werden.
Zentralen Stellenwert hat auch die Gemeindefinanzreform. Sie haben hier gerade das Hohelied des Jammerns der Kommunen vorgetragen. Diese Gemeindefinanzreform gibt den Kommunen wieder eine tragfähige
Grundlage. Der Bundeskanzler hat mit seiner Rede Klarheit geschaffen, wofür ich sehr dankbar bin. Als ersten
Schritt erhalten die Gemeinden 2 Milliarden Euro,
({29})
die sich aus der Stornierung des Beitrages für die Flutopferhilfe, dem Steuervergünstigungsabbaugesetz und
der Auslandskapitalrückholaktion ergeben.
({30})
- Herr Fuchtel, fuchteln Sie hier nicht so herum! Die Gesetzentwürfe werden eingebracht.
({31})
Der 1. Januar 2004 ist ein unverrückbares Datum für
diese Gemeindefinanzreform. Es wird eine erneuerte
Gewerbesteuer geben, die die Einnahmen verstetigt und
den Gemeinden mehr Eigenverantwortung gibt. Die vorgesehene Ausweitung des Kreises der Steuerpflichtigen
ist nicht nur geeignet, die Kommunen aus ihrer Abhängigkeit von nur noch ganz wenigen Steuerzahlern zu befreien. Herr Professor Peffekoven hat hierzu vor einigen
Tagen ausdrücklich erklärt, dass kommunale Abgaben
für die Bürger und die örtliche Wirtschaft auch spürbar
sein müssen, damit diese ihrer Verantwortung für das
Gemeinwesen gerecht werden.
({32})
- Das hat Professor Peffekoven gesagt. Ich weiß nicht,
warum Sie ihm widersprechen wollen.
({33})
Im Übrigen werden wir - auch das ist angekündigt die Kommunen ab dem 1. Januar 2004 von der Zahlung
für die arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger entlasten.
Sie haben es jahrelang versäumt, eine Gemeindefinanzreform anzupacken. Wir führen diese Reform jetzt durch.
({34})
Ihre letzte Reform auf diesem Gebiet erfolgte 1970, um
das einmal in Erinnerung zu rufen. Sie haben es in den
16 Jahren Ihrer Regierungszeit vollkommen verpasst,
eine entsprechende Reform anzugehen. Deshalb sage ich
Ihnen: Konjunkturpessimismus ist nicht angebracht, er
ist sogar schädlich. Was Sie machen, ist nicht in Ordnung. Sie machen mies, statt mitzumachen. Aber Mitmachen ist jetzt die Devise.
({35})
Meine Damen und Herren, es ist nicht daran herumzudeuteln: Der im Jahreswirtschaftsbericht 2003 angenommene Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts im
Jahresschnitt auf rund 1 Prozent liegt um 1,5 Prozent unter
den Erwartungen, die wir noch vor einem Dreivierteljahr
hatten. Das ist ein Wert, der uns prognostiziert worden
war, den wir uns also nicht selber ausgedacht haben. Deshalb hat der Bundesfinanzminister, deshalb hat die Bundesregierung nach ihrem ersten Entwurf im September gehandelt und den Dezemberentwurf korrigieren müssen.
({36})
Dieser Entwurf beinhaltet auch ein umfassendes Paket
von ausgabenmindernden und einnahmenverbessernden
Maßnahmen zum Ausgleich der konjunkturbedingten
Belastungen.
Ich erinnere an das Hartz-Konzept. Durch dessen
Umsetzung werden die in der Arbeitsmarktpolitik eingesetzten Mittel effizienter verwendet. Mit weniger Mitteln
wird mehr erreicht, um Voraussetzungen für Mehrbeschäftigung in der Zukunft zu schaffen. Auf dieser Grundlage wollen wir trotz der Verschlechterung am Arbeitsmarkt ohne Zuschuss an die Bundesanstalt für Arbeit
auskommen und den Ansatz für die Arbeitslosenhilfe einhalten. Auch Sie wissen, dass man im Kessel einen gewissen Druck halten muss, damit Maschinen funktionieren.
Diesen Druck erzeugen wir mit unseren Maßnahmen.
({37})
Den zweiten Teil des Konsolidierungspakets im Haushalt bilden Maßnahmen zur Stabilisierung der Steuereinnahmen. Durch das Steuervergünstigungsabbaugesetz
werden Schlupflöcher und ökonomisch wie ökologisch
ungerechtfertigte Ausnahmeregelungen beseitigt. Das
mag Sie zwar stören, weshalb Sie es Steuererhöhungsgesetz nennen; wir aber nennen das eine gerechtere und
transparentere Systematik im Steuerrecht.
({38})
Außerdem wird damit sichergestellt, dass die Steuereinnahmen sich wieder etwa parallel zum Wachstum entwickeln und sich nicht weiter davon abkoppeln. Sie zeigen
hier nur populistische Verweigerungshaltung; das hat Ihr
Beitrag klar gemacht.
Im Übrigen: Hätte die Kohl-Regierung rechtzeitig mit
der Konsolidierung begonnen, statt dies sträflich zu versäumen,
({39})
hätten Sie eine ehrliche, gerechte Lastenverteilung auch
im Rahmen der Finanzierung der vereinigungsbedingten
Kosten vorgenommen, so stünden wir heute wesentlich
besser da.
({40})
- Herr Kampeter, es ist schon sehr erstaunlich, dass Sie
sich angesichts der hemmungslosen Verschuldungspolitik während Ihrer Regierungszeit heute als Mahner für
eine solide Haushaltspolitik profilieren wollen und
gleichzeitig den Bürgern völlig unsolide, weil nicht finanzierbare Versprechen machen. Mit uns und mit Hans
Eichel ist der Marsch in den Schuldenstaat gestoppt worden, nicht mit Ihnen, meine Damen und Herren.
({41})
Im Gegensatz zu Ihren Behauptungen sind unsere Ansätze für Investitionsmaßnahmen so hoch wie lange
nicht mehr. Aus Zeitgründen will ich mir die Einzelheiten ersparen. Im Übrigen werden die Kolleginnen und
Kollegen der Fachbereiche zu den verschiedenen Investitionen noch das Wort ergreifen.
Ich will nur einen Punkt aus dem Verkehrsbereich
aufgreifen, Herr Kollege Austermann: Jetzt kritisieren
Sie, dass der Metrorapid in Nordrhein-Westfalen von
der Bundesregierung finanziert werden soll.
({42})
Wir haben dafür eine VE in Höhe von 2,3 Milliarden
Euro eingestellt. Sie hätten es noch vor einigen Wochen
doch gar nicht für möglich gehalten, dass wir in diesem
Jahr vorzeitig und erstmalig Barmittel in Höhe von
80 Millionen Euro einsetzen.
Seien Sie im Übrigen bitte vorsichtig: Wir haben auch
eine Zusage an Bayern gemacht; diese Zusage gilt. Ich
weiß ganz genau, auch von Mitgliedern der Bayerischen
Staatsregierung, dass sie es sich nicht mehr erlauben
werden, in der Weise, wie Sie es hier kritisieren
({43})
- das ist keine Drohung -, auf Nordrhein-Westfalen zu
zeigen. Alle werden froh und dankbar sein,
({44})
sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch in Bayern,
wenn wir diese Maßnahmen mitfinanzieren.
({45})
- Sagen Sie Ihrem Ministerpräsidenten Stoiber, dass es
eine bessere S-Bahn sei, die zum Münchener Flughafen
gebaut werden soll!
Meine Damen und Herren, Sie sehen also: Mit Investitionen in vielen Bereichen wird Deutschland für die
Herausforderungen der Zukunft fit gemacht. Bei den anstehenden weitreichenden Strukturreformen scheuen
wir keine Konflikte mit Interessengruppen. Es geht
darum, überkommene Strukturen aufzubrechen, die zu
hohen Effizienzverlusten geführt haben.
Rot-Grün wird sich bei den anstehenden Reformvorhaben auf die Veränderungsbereitschaft der Bürgerinnen
und Bürger stützen. Wir wissen, dass wir uns auf die Ihre
nicht stützen können; die Bürgerinnen und Bürger sind
jedoch zu viel mehr Maßnahmen bereit, als Sie hier suggerieren wollen.
({46})
Konsolidierung und sinnvolle Reformen der sozialen Sicherungssysteme schaffen Vertrauen in die Zukunft und
stärken das Wachstumspotenzial unseres Landes. Deshalb gibt es zu unserer Politik der Erneuerung auf lange
Sicht keine Alternative.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch Gelegenheit nehmen, mich abschließend beim Finanzminister
und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seines Hauses für die Zusammenarbeit zu bedanken, ebenso beim
Sekretariat des Haushaltsausschusses.
({47})
Ich schließe in diesen Dank alle Mitglieder des Haushaltsausschusses ein, auch wenn das Abstimmungsverhalten unterschiedlich war. Mein besonderer Dank gilt
unserem Vorsitzenden, der sicherlich zu einem positiv
veränderten Klima bei den Beratungen beigetragen
hat.
({48})
Wir wissen auch zu schätzen, dass Sie bereit waren, den
Antrag mitzutragen, die Beratungen des Haushalts, die
inhaltlich nicht reduziert werden, um einen Tag zu verkürzen.
({49})
Herzlichen Dank.
({50})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Günter Rexrodt
für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Schöler, Sie haben in der Sache den Mund wirklich sehr voll genommen. Sie haben von Doppelzüngigkeit gesprochen. Wer ist denn hier doppelzüngig? Auf
der einen Seite sprechen Sie vom Festhalten am Konsolidierungskurs und von Stabilität. Auf der anderen Seite
knüpft der Herr Bundesfinanzminister das Einhalten der
Defizitkriterien an Voraussetzungen und Bedingungen,
von denen wir alle wissen, dass sie nicht einzuhalten
sind.
({0})
Wir brauchen uns in diesem Land nur umzuschauen:
Wer erwartet in diesem Jahr 1 Prozent Wirtschaftswachstum und keinen signifikanten Anstieg der Arbeitslosigkeit? Sie wollen 2,1 Milliarden Euro durch die so
genannte Steueramnestie einnehmen. Außerdem gehen
Sie in Ihrem Rechenwerk davon aus, dass rund
1,6 Milliarden Euro durch das so genannte Steuervergünstigungsabbaugesetz eingespart werden.
({1})
Das ist schon an einer Hürde gescheitert und wird bald
endgültig scheitern.
({2})
Das Rechenwerk ist mit dem Vorlegen des Haushalts
heute schon Makulatur, Herr Bundesfinanzminister.
({3})
Deutschland wird die Defizitkriterien von Maastricht
wieder nicht einhalten. Wir haben unsere Schularbeiten
nicht gemacht. Die Finanzpolitik, einstmals das Vorzeigeprojekt rot-grüner Politik, ist kläglich gescheitert.
({4})
Der Bundeskanzler hat am letzten Freitag in seiner
spät- und halbeinsichtigen Grundsatzrede wie folgt formuliert:
Deshalb halten wir am Ziel der Haushaltskonsolidierung ... fest. Nur: Dieser Pakt darf nicht statisch
interpretiert werden.
({5})
Er lässt Raum ... für Reaktionen auf unvorhergesehene Ereignisse.
({6})
Das ist eine falsche und höchst gefährliche Aussage,
({7})
abgesehen davon, dass an der wirtschaftlichen Entwicklung hier in Deutschland nichts unvorhergesehen war.
Wir haben es vielmehr seit langem gewusst und davon
gesprochen.
({8})
Das Entscheidende, Herr Kollege Mark, ist: Der
Stabilitäts- und Wachstumspakt lässt keinen anderen
Spielraum als den des Einsatzes der so genannten automatischen Stabilisatoren.
({9})
Das sind bestimmte zinspolitische, fiskalpolitische und
ausgabenpolitische Maßnahmen
({10})
mit dem Ziel, die vorgegebenen Defizitkriterien einzuhalten, aber nicht zu verletzen, wie Sie das wollen.
({11})
Es widerspricht dem Geist und den Buchstaben dieses
Vertrages, hier Raum für Interpretation zu sehen. Das ist
Mauschelei und ein Zerstören von wichtigen Basiselementen der Wirtschafts- und Finanzpolitik.
({12})
Weil ich hier riesige Gefahren sehe, will ich mit großem Nachdruck sagen, was von Rot-Grün an dieser
Stelle hineingemogelt wird. Die Bundesbank, eine, wie
wir wissen, in der Spitze sozialdemokratisch besetzte Institution, schreibt in einem Papier vom Februar dieses
Jahres - also ganz aktuell -:
Nur eine klare finanzpolitische Linie, die eine auf
Ausgabenbegrenzung ausgerichtete ... Konsolidierungsperspektive aufweist, kann bei Konsumenten
und Investoren bestehende Befürchtungen weiterer
Belastungen seitens der Finanzpolitik ausräumen
und ... Vertrauen schaffen.
({13})
Das klingt ein bisschen wissenschaftlich, aber es trifft
den Nagel auf den Kopf. Die deutsche Wirtschaft leidet
unter einer Vertrauenskrise. Die Verbraucher sind verunsichert. Deutschland ist gegenüber seinen Partnerländern
zurückgefallen.
Die Realität des Jahres 2003, Herr Eichel, wird darin
bestehen, dass wir einen Nachtragshaushalt haben werden, verbunden mit einer signifikanten Erhöhung der
Nettoneuverschuldung. Das ist so sicher wie das Amen
in der Kirche.
Wenn es nach Herrn Fischer ginge, dann würden die
Kosten für die Aufrüstung in Europa - er begründet das
europapolitisch - auch noch eingebaut werden. Das kostet Geld.
({14})
So sicher wie das Amen in der Kirche werden wir eine
höhere Nettoneuverschuldung und einen Nachtragshaushalt haben.
({15})
Sie müssen da gar nicht so erstaunt schauen. Das haben wir schon in der letzten Haushaltsdebatte gesagt. Sie
haben das zurückgewiesen; aber es ist eingetreten und es
wird wieder eintreten. Wir bedauern das. Einen solchen
Haushalt unter diesen Bedingungen vorzulegen und
dann noch davon zu sprechen, die Kriterien einhalten zu
können, ist einfach eine Täuschung des Parlaments und
der Öffentlichkeit.
({16})
Denken Sie an meine Worte: Es wird kein Jahr dauern,
Herr Eichel.
Die Bundesregierung ist im Übrigen nicht nur in der
Finanzpolitik, ihrem Vorzeigeprojekt, sondern vor allem
auch - die Finanzpolitik liefert hierfür den rechentechnischen Nachweis - in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik gescheitert.
({17})
Arbeitsplätze entstehen dann, wenn ausreichend investiert wird.
({18})
Die Investitionsneigung in unserem Lande ist seit Jahren
zu niedrig und in letzter Zeit sogar rückläufig. Investitionen leiden unter Unsicherheit. Sie werden wegen einer
unsteten, unkalkulierbaren und widersprüchlichen Politik
verzögert oder unterlassen. Investitionen versprechen zu
wenig Ertrag. Die Politik der Unstetigkeit geht auf die
Bundesregierung und die rot-grüne Koalition zurück.
({19})
Ich bin so fair, zu sagen: Sie haben es mit Ihren unseligen Arbeitsmarktgesetzen - das war 1999 und 2000 -,
mit Ihrer am Ende als ungerecht und verkorkst wahrgenommenen Steuerreform, mit Ihrer bürokratischen Rentenreform und mit Ihrem Unvermögen, die Lohnnebenkosten, so wie Sie es lauthals angekündigt hatten, zu
senken - die Aufzählung dieser Versäumnisse ließe sich
beliebig fortsetzen -, nicht auf diese Unsicherheit angelegt. Aber zu verantworten haben Sie sie.
Vorhalten lassen müssen Sie sich in diesem Zusammenhang, Herr Kollege Schöler, dass jeder Reformansatz der alten Koalition in der Steuerpolitik, in der Sozialpolitik und in der Ostförderung - ich gebe zu, da war
nicht alles Gold, was glänzte - von den Sozialdemokraten und den Grünen mit demagogischen Argumenten bekämpft und blockiert worden ist. All das, was verändert
werden sollte, wurde blockiert und mit demagogischen
Argumenten in die Ecke gestellt. So kann man keine Politik betreiben.
({20})
Nun muss und will der Bundeskanzler - wir haben
seine Rede vom Freitag letzter Woche noch im Ohr dieses Land in eine andere Richtung bewegen. Halbherzig muss er das tun. Wir Liberalen haben seit vielen Jahren davon gesprochen, was zu tun und was zu lassen ist.
({21})
Sie bewegen sich nun in diese Richtung; das ist der
Punkt. Sie wollen doch nicht etwa sagen, dass Sie sich in
lafontainesche Kategorien begeben? Sie begeben sich in
Kategorien, die von der anderen Seite des Hauses seit
Jahren vertreten werden. Nur, Sie tun sich schwer dabei;
das merken wir.
({22})
Wie schreibt die Bundesbank: Die hartnäckige Wirtschaftsflaute habe tief greifende gesellschaftspolitische
Ursachen. Kennzeichnend dafür seien eine niedrige Geburtenrate
({23})
und überzogenes Anspruchsdenken. Die „verbandsstaatlichen und exekutiv-konsensualen Formen der Politik
verhindern vielfach notwendige Reformen; die Folgen
sind Beharrung und Besitzstandsdenken“.
({24})
Meine Damen und Herren, die Bündnisse für alles
und jedes waren erklärtermaßen Kernpunkt der Politik in
der vorigen Legislaturperiode. Diese Bündnisse für alles
und jedes und damit auch Ihre Politik sind gescheitert.
({25})
Nun soll alles besser werden, hat der Bundeskanzler
gesagt;
({26})
zunächst einmal mit einem Konjunkturprogramm.
Dies wird - bei der KfW - kreditfinanziert; die dafür
notwendigen Zinsverbilligungen kommen aus dem
Haushalt. In Bezug auf den Wohnungsbau wird nichts
passieren; da wird es Mitnahmeeffekte geben. Bei den
Kommunen wird deshalb nichts geschehen, weil die
Kommunen hoch verschuldet sind und diese Kredite gar
nicht bedienen können.
Sie sagen - zunächst noch folgerichtig -: Wir wollen
die Finanzlage der Kommunen verbessern. - Das ist
schön. Wir waren aber immer der Meinung, dass man die
Finanzlage der Kommunen dadurch verbessern sollte,
dass die Gewerbesteuer abgeschafft und den Kommunen
ein Hebesatzrecht bei der Einkommensteuer und der
Körperschaftsteuer eingeräumt wird. Das tun Sie nicht.
({27})
Sie wollen bei der Gewerbesteuer Veränderungen vornehmen; das wird wieder nach hinten losgehen. Herr Eichel, ich sage Ihnen: Das ist keine gute Politik.
Nun zur Bundesanstalt für Arbeit. Die Bundesregierung geht von 4,1 Millionen Arbeitslosen aus. Leider
werden wir mehr haben. Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt sind für die Bundesanstalt nicht vorgesehen.
Wenn wir uns die Januar- und Februarzahlen dieser Institution angucken, dann sehen wir, dass sie aber bereits
darauf hindeuten: Leider wird es gewaltige Zuschüsse
geben müssen, Herr Eichel, die Sie nicht in den Haushalt
eingestellt haben.
({28})
Dabei würdige ich positiv die Anstrengungen des
neuen Präsidenten Gerster und seiner Mannschaft,
({29})
diesen traditionsbelasteten Moloch Bundesanstalt für
Arbeit mit Organisations- und Führungsmethoden, die
sich in der Wirtschaft bewährt haben, in einen modernen
Dienstleistungsbetrieb zu verwandeln. Das Konzept der
Personal-Service-Agenturen ist prinzipiell richtig. Ich
glaube auch, dass es bessere Vermittlungserfolge geben
wird, weil ein neuer Wind weht. Das muss gesagt werden. Aber eine bessere Bundesanstalt ist das eine, richtige Weichenstellungen in der Arbeitsmarktpolitik sind
das andere.
({30})
Hier gebietet es wiederum die Fairness, zu sagen, dass
die Rede des Bundeskanzlers wichtige Vorschläge enthält, zum Beispiel die Zusammenfassung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Es ist richtig, verbesserte Anreize
für die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen vorzusehen. Auch bei den Vorschlägen zum Kündigungsschutz
sind erste wichtige Schritte getan worden, aber wiederum nur halbherzige. Das Ganze scheitert daran, dass
Sie keine Veränderungen im Tarifrecht wollen, die für
uns Liberale der Kernpunkt für eine Reform des Arbeitsmarkts sind.
({31})
Der Flächentarifvertrag schafft eben nicht, wie der Bundeskanzler sagt, gleiche Konkurrenzbedingungen in einer Branche. Er bewirkt das Gegenteil und deshalb bedarf es gesetzlicher Maßnahmen, um auf betrieblicher
Ebene zu besseren Vereinbarungen zu kommen. Diese
gesetzlichen Veränderungen müssen schnell stattfinden.
Wir haben das immer gefordert. Sie sind der Schlüssel
zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
({32})
Wenn es einen gibt, der mit Herz und Seele dagegen
arbeitet, dann sind es die Gewerkschaften, eine Institution, der Sie seit Jahrzehnten verbunden sind. Sie sind
mittlerweile eine strukturkonservative Einrichtung.
({33})
Jede Bewegung und jede Veränderung wird von den Gewerkschaften blockiert und das ist die Ursache für die
Arbeitslosigkeit in diesem Land.
({34})
Noch einige wenige Bemerkungen in Stichworten,
weil ich nicht mehr Zeit habe: Nichts ist so überfällig
wie die Reform des Rentensystems. Da sind Sie auf halber Strecke stehen geblieben. Im Gesundheitssystem
sind Sie noch gar nicht voran gekommen. Jetzt verwendet der Bundeskanzler Begriffe,
({35})
die wir seit Jahren predigen: Wettbewerb der Kassen,
Durchforstung der Leistungen, Selbstbehalt und die
Frage, ob es so viele Kassen geben muss. Das alles sagen
wir seit Jahrzehnten. Bei Ihnen ist das alles nur halbherzig.
({36})
Ich bin Liberaler. Wir haben immer dafür gekämpft.
({37})
Wir haben auch in der Union nicht immer den notwendigen Rückhalt gehabt, aber wir haben es immer gewollt
und immer dafür gekämpft.
({38})
Nur ihr habt auf einen Schelm immer anderthalbe gesetzt. Und jetzt geht ihr kleinlaut und halbherzig diesem
Kurs hinterher. Das ist die Tatsache.
({39})
Meine Damen und Herren, dieser Bundesregierung
sieht man an: Sie sind die Getriebenen, nicht die Treibenden. Das gilt auch für Sie, Herr Eichel, der Sie uns
ein Rechenwerk vorlegen, an das Sie selbst nicht glauben können. Das Parlament müsste Ihnen bei diesem
Haushalt antworten: Thema verfehlt, Wiedervorlage in
drei Monaten auf realistischer Grundlage.
({40})
Wir Freien Demokraten sagen Ihnen das heute, wir
sagen es Ihnen sehr deutlich
({41})
und Sie werden sehen, dass wir leider Recht haben werden, Herr Eichel, weil Sie mit Ihrer Politik, auch mit Ihrer Finanzpolitik, vor allem aber mit Ihrer Wirtschaftsund Arbeitsmarktpolitik, total gescheitert sind. Jetzt sind
Sie die Getriebenen. Die Menschen im Lande sehen das
und halten Sie nicht mehr für glaubwürdig.
({42})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Antje Hermenau vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
Es sind ziemlich ernste Zeiten, in denen wir über den
Bundeshaushalt debattieren. Um das Gedächtnis der
FDP aufzufrischen:
({0})
Zwischen 1982 und 1998 sind die Lohnnebenkosten von
34 Prozent auf 42 Prozent angestiegen, Herr Rexrodt.
Wahrscheinlich haben Sie das vergessen.
({1})
Es liegt ja auch schon fünf Jahre zurück.
({2})
Nachdem ich mir Ihre Rede angehört habe, muss ich
sagen: Sie haben ein solides Feindbild; daran haben Sie
jahrelang gemeißelt, spätestens seit fünf Jahren sind Sie
an der Arbeit. Aber das hilft uns hier nicht weiter.
({3})
Der Haushalt ist in einer schwierigen Lage. Es gab
schon früher schwierige Haushaltsjahre: Die deutsche
Einheit musste verkraftet werden;
({4})
1997 ging es um Maastricht. Auch dieses Jahr war
schwierig. Ich bin lange genug im Ausschuss, um das
einschätzen zu können.
({5})
Herr Rexrodt, wir sind nicht mit dem Prinzip der
Nachhaltigkeit gescheitert, jetzt muss es sich bewähren.
Die Debatte darüber - das gebe ich gern frank und frei
zu - hat in beiden Koalitionsfraktionen fast ein halbes
Jahr gedauert. Wir haben aber die Kraft und den Mut
aufgebracht, um am Prinzip der Nachhaltigkeit der
Staatsfinanzen festzuhalten, damit das öffentliche Leben
solide und tragfähig finanziert werden kann.
({6})
Das manifestiert sich auch im Haushalt 2003. Das erkennen Sie daran, dass wir an der Nettoneuverschuldung
von 18,9 Milliarden Euro festgehalten haben, obwohl es
viele gab, auch in den eigenen Reihen, die gern mehr
Schulden aufgenommen hätten. Wir werden versuchen,
das Niveau zu halten.
({7})
Wir haben versucht, das Sparpaket umzusetzen. Sie
haben Störfaktoren eingebracht, indem Sie im Bundesrat
versuchten, den Steuervergünstigungsabbau zu hintertreiben. Wir mussten das im Haushalt schultern und noch
mehr Einsparungen vornehmen, um Ihre Drohgebärden
zu verarbeiten. Aber auch das haben wir gemacht.
({8})
Wir haben sogar Zukunftsinvestitionen stabilisieren
können. Das betrifft die Bereiche Integration - sie
müsste Ihnen eigentlich politisch am Herzen liegen -, erneuerbare Energien, Mittelstandsförderung und Ganztagsschulen.
({9})
Damit ist ein wesentlicher Punkt für das strukturelle Defizit benannt. Wenn man die Ganztagsbetreuung nicht
gewährleisten kann, steht man automatisch vor dem Problem, dass Frauen keiner Beschäftigung nachgehen und
damit am Bruttosozialprodukt nicht teilhaben können.
({10})
Vergleichen wir uns doch mit Frankreich: Dort ist die
Frauenerwerbsquote eine ganz andere als in Deutschland. Das hat etwas mit Ganztagsbetreuung zu tun, ob
Ihnen das politisch passt oder nicht.
({11})
Da gerade auf der Investitionsquote herumgehackt
wurde, möchte ich einen Vergleich zwischen den konsumtiven Ausgaben und den Investitionen vornehmen
- das wird ein historischer Exkurs -: 1995 lagen die Investitionen bei 38 Milliarden Euro, das ist eine Menge
Geld. 1998 wurden sie bereits von der alten Regierung
auf 29,2 Milliarden Euro herunterkorrigiert,
({12})
und zwar aus verschiedenen Gründen. Wir fahren seit
drei Jahren einen Konsolidierungskurs in den Haushalten. Trotzdem haben wir in diesem Jahr die Investitionen
auf 26,7 Milliarden Euro,
({13})
also nur ein wenig unter dem Niveau von 1998, festgelegt. Dazu gehören noch die 3,4 Milliarden Euro - das
wissen Sie auch, Herr Austermann -, die aufgrund des
Investitionsförderungsgesetzes an die Länder verteilt
worden sind.
({14})
Wenn Sie die noch drauflegen, kommen wir auf über
30 Milliarden Euro. Wenn man ganz fair und sauber
rechnet, kann man noch 2,5 Milliarden Euro abziehen,
die im Flutopferfonds enthalten sind. Das will ich auch
gern machen; denn wir sind dann immer noch bei einer
sehr guten, erklecklichen Investitionsquote von ungefähr
28 Milliarden Euro.
({15})
- Sie können so viel dazwischenbrüllen, wie Sie wollen,
Herr Austermann, die Zahlen sprechen eine eigene Sprache.
({16})
Es wurde immer gefragt: Was sind eigentlich Ziel und
Zweck der nachhaltigen Finanzpolitik? Diese Frage hat
die Kanzlerrede beantwortet.
({17})
Es geht um unsere Zukunft.
Frau Merkel stand hier am Rednerpult und meinte
voller Verve, es gehe der CDU/CSU und ihr um
Deutschland. Wenn man der Rede zugehört und sie mit
der von Herrn Stoiber verglichen hat, dann musste man
sich fragen: Meinte Frau Merkel das vergangene
Deutschland - Herr Stoiber war am vergangenen Freitag
deutlich mehr allgemeinwohlorientiert und zukunftsweisender als Frau Merkel.
Offensichtlich haben Sie politisch überhaupt noch
nicht entschieden, ob Sie versuchen wollen, diese Regierung durch Fundamentalopposition - hier muss ich als
Grüne natürlich feixen; Sie werden das verstehen - zu
stürzen - Herr Glos hat es, glaube ich, so formuliert: Die
müssen weg, mit allen demokratischen Mitteln -;
({18})
oder ob Sie begriffen haben, dass die Situation so ernst
ist - das hat Herr Henkel Ihnen bereits nahe gelegt -,
dass Sie jetzt kooperieren müssen, auch wenn Ihnen das
politisch vielleicht nicht gefällt.
Sie wollen gern zurück an die Macht; das kann ich
verstehen, aber im Moment steht das nicht zur Debatte.
Sie können sich aber in produktiver Weise über Ihre Einflussnahme im Bundesrat an der Macht beteiligen, das
steht Ihnen offen und diese Möglichkeit sollten Sie meines Erachtens auch ergreifen.
({19})
Wenn wir die Reformen, die der Kanzler zum Teil
in seiner Rede am Freitag angekündigt hat, nicht
durchführen, ergibt sich für die Haushaltsplanung der
nächsten Jahre eine schwierige und düstere Perspektive. Man muss davon ausgehen, dass dann bereits im
Jahre 2006 ungefähr 60 Prozent aller Ausgaben des
Bundes trotz niedrigen Zinsniveaus nur noch für Zinszahlungen und für den Rentenzuschuss ausgegeben
werden müssen.
({20})
Dann bleiben nur noch 40 Prozent für Investitionen in
die Gegenwart und in die Zukunft. Das ist zu wenig.
Deswegen müssen wir diese Reformen machen.
({21})
Der wesentliche Punkt dabei ist: Man muss diese Reformen parallel durchführen. Man darf sie nicht in der
Hoffnung auf den nächsten Konjunkturaufschwung
verschieben.
({22})
Ich glaube, das ist die Denkschleife, in der Sie immer
verharren. Das ist genau der Fehler.
Die Menschen - egal in welchem Land - haben längst
begriffen, dass die fetten, friedensreichen Zeiten für die
Industriestaaten offensichtlich erst einmal vorbei sind.
({23})
Das erkennen Sie an dem Anwachsen der Sparquoten; übrigens auch in Amerika. Die Sparquote ist im letzten Jahr
auch in den USA gestiegen und das ist ein ganz untypisches Verhalten für den amerikanischen Konsumenten.
Wenn man das weiß, kann man nicht mit Rezepten
aus den 70er-Jahren versuchen, irgendwelche Strohfeuer
zu entfachen, sondern man muss nachhaltig sowie solide
und tragfähig durchfinanzieren und die Reformen machen, um die Staatsausgaben auf Dauer senken zu können. Das ist kein schöner Prozess, er ist aber überlebensnotwendig. Deswegen packen wir ihn an.
({24})
Bei den letzten zwei Jahrzehnten der deutschen Finanzpolitik handelt es sich um eine Geschichte des Anhäufens
von Schulden und des Hoffens auf bessere Zeiten. Es gab
eine Art Verschuldungsoptimismus, der immer darin gipfelte, dass man seine Finanzpolitik nach den Konjunkturzyklen ausrichtete. Das muss man durchbrechen. Denn
unabhängig von den Konjunkturzyklen ist die Verschuldung immer stetig angewachsen. Damit hat man das Problem für jeden deutlich erkennbar beschrieben: Die klassischen Instrumente versagen inzwischen. Das haben Sie an
Japan und auch an den USA gesehen.
Inzwischen steuert auch Frankreich um. In den letzen
Tagen hat der französische Finanzminister Mer deutlich gemacht, dass jetzt auch darüber diskutiert wird, ob man das
Steuersenkungspaket, das Präsident Chirac versprochen
hat, wirklich durchführen kann. Es werden Ausgabenkürzungen vorgenommen. Das wurde bereits angekündigt. Ich
wette mit Ihnen: Spätestens zum Jahresende werden wir
auch aus Paris Ankündigungen einer Strukturreform hören.
Die Konservativen in Frankreich haben sich längst
der Diskussion über eine nachhaltige Finanzpolitik angeschlossen. Die einzige konservative Partei in Europa, die
ich kenne und die das noch nicht macht, ist die CDU/
CSU in Deutschland.
({25})
Es ist ganz wesentlich, sich die zwei Prozesse vor Augen zu führen, die mit unterschiedlichem Tempo und unter unterschiedlicher Verantwortung laufen. 1997, dem
Maastricht-Jahr, haben wir einen Teil unserer Haushaltskompetenz nach Brüssel abgegeben. Das weiß auch jeder. Das hatte auch seine Vorteile. So ist zum Beispiel
die Gemeinschaftsverpflichtung auf bestimmte Ziele
sehr segensreich, sodass die Nationalregierungen versuchen müssen, Kurs zu halten, weil man in der Gruppe
sonst immer wieder rechtfertigen muss, warum man das
nicht tut. Das halte ich für sehr vernünftig. Demgegenüber muss zum Beispiel bei externen Schocks wie jetzt
vielleicht einem anhaltend hohen Ölpreis und anderen
Dingen durch die Irakkrise in Brüssel eine gemeinsame
Lösung für einen Konjunktureinbruch im Euroraum gefunden werden.
Heute treffen wir hier die Berliner Entscheidung über
den nationalen Haushalt, der nach bestem Wissen und Gewissen sowie Einschätzungsvermögen das widerspiegelt,
was im Moment Realität ist. Sie werden verstehen, dass
Konjunkturfragen, die sich aus der Irakkrise ergeben, in
Brüssel und frühestens im Sommer, wenn man einschätzen
kann, welche Auswirkungen diese Krise auf den EU-Raum
wirklich gehabt hat, beantwortet werden. Insofern halte ich
es für unredlich, diese beiden Debatten miteinander zu vermischen und uns zu unterstellen, dass wir den Konsolidierungskurs verlassen würden. Das trifft einfach nicht zu.
({26})
Einen Teil der finanz- und strukturpolitischen Souveränität haben wir an die EU abgegeben. Den anderen Teil
müssen wir selber wahrnehmen. Ich habe mir einmal angesehen, wie Mitte der 80er-Jahre der Dollarkurs drastisch eingebrochen ist, weil es in den Vereinigten Staaten
von Amerika ein Zwillingsdefizit gegeben hat, also ein
Haushaltsdefizit und ein Leistungsbilanzdefizit. Das
heutige Haushaltsdefizit der USA ist ein bisschen niedriger als damals; jedoch ist das heutige Leistungsbilanzdefizit sogar noch höher. Das kann heißen, dass die USA
damit für Europa als langfristiger Konjunkturmotor ausfallen. Das müsste Ihnen eigentlich klar sein.
({27})
Ich habe vorhin von einem Ansteigen der Sparquote
der amerikanischen Bevölkerung gesprochen. Asien hat
sich noch nicht erholt. Asien hat vor zehn Jahren, als ein
Krieg ausbrach, den Rückgang der US-Konjunktur auffangen müssen und kann das nicht noch einmal.
({28})
Das alte Europa hat sich - wie ich finde - diesem
Krieg im Irak nicht nur aus politischer Weitsicht, sondern auch aus ökonomischer Klugheit verweigert. Ich
finde, das ist völlig korrekt. Dieses Argument ist angemessen.
({29})
Schon im Maastricht-Vertrag ist festgelegt, wie man
damit umgehen muss, wenn im europäischen Konjunkturraum ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um
mindestens 0,75 Prozentpunkte zu verzeichnen ist. Diese
Situation könnte - das habe ich schon erwähnt - in diesem Jahr durchaus eintreten. Man könnte, wenn man
wollte - das ist schon jetzt geregelt; man muss nichts ändern -, die strikte Ausgabendisziplin aussetzen. Ich halte
aber nichts davon, im Kaffeesatz zu lesen, um herauszufinden, ob und inwieweit Effekte auf den europäischen
Konjunkturraum durchschlagen werden. Wenn nur einzelne Länder betroffen sind, dann müssen nur diese damit umgehen. Wenn dagegen wirklich der gesamte EURaum betroffen sein sollte, dann muss es eine EU-weite
Regelung dazu geben. Das ist aber vielleicht erst im
Frühling oder im Sommer zu erwarten.
Das darf man, wie ich glaube, aber nicht als Freibrief
benutzen. Das gilt auch für unsere Bundesländer. Wenn
ich mir ansehe, was im Rahmen des nationalen Stabilitätspakts versucht wurde festzulegen, dann muss ich
feststellen, dass das vollkommen unbefriedigend ist. Es
gibt keine Sanktionsbewehrung. Der Ministerpräsident
von Sachsen, Herr Milbradt, hat den Vorschlag gemacht,
eine Sanktionsbewehrung einzuführen. Die Bundesländer, die mehr Schulden machen, als sie eigentlich dürften, müssten dann Strafe zahlen, so wie das Deutschland,
Frankreich oder Portugal eventuell in Brüssel machen
müssen.
Eine Sanktionsbewehrung gibt es allerdings nicht.
Man hat sich nur darauf geeinigt, dass der Bund
45 Prozent zum Defizit beitragen dürfe und die Länder
55 Prozent. Diese 55 Prozent wurden unter den Ländern
aber nicht aufgeteilt. Kein Land weiß also genau, wie
viele Schulden es machen darf.
({30})
Jedes Land wurstelt nur so vor sich hin. MecklenburgVorpommern hat bereits erklärt, dass es in diesem Jahr die
angestrebte Höhe der Neuverschuldung deutlich überschreiten werde. Niedersachsen hat einen Doppelhaushalt
gemacht und befindet sich auch in 2003 empfindlich nah
an der Maastricht-Grenze. Auch in Hessen ist das der Fall.
So kann es aber natürlich nicht funktionieren.
Frau Kollegin Hermenau, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schauerte?
Ich glaube, dass der Kollege Schauerte nach meiner
Rede sicherlich eine Kurzintervention machen wird. Ich
will nun keine Frage von ihm beantworten. Wir diskutieren schon oft genug miteinander.
Für mich ist es wesentlich, darauf zu achten, dass die
Bundesländer ihrer Verantwortung nachkommen. Ich
habe Ihnen schon gesagt: Das haben auch Sie in der
Hand. Sie können mitmachen. Sie werden in Ihrer Fraktion - es war doch kein Zufall, dass Frau Merkel und
Herr Stoiber am Freitag so unterschiedlich akzentuierte
Reden gehalten haben ({0})
noch Diskussionen darüber führen müssen, wie produktiv Sie mitarbeiten oder wie lange Sie sich noch verweigern wollen.
({1})
Das müssen Sie entscheiden. Ihre Haltung wird sich aber
im nationalen Stabilitätspakt niederschlagen. In diesem
Rahmen werden wir sie erkennen.
Ich komme noch einmal auf die Nebelkerzen zu sprechen, die hier gerne geworfen werden. Ich gehe nicht näher auf die „Bild“-Zeitung ein, die versucht hat, zu suggerieren, dass es nur darum gehen müsse, die Steuern zu
senken. Die Steuerquote in Deutschland liegt im Moment bei 21,5 Prozent. Diese Höhe ist nicht problematisch. Das wirkliche Problem ist die Abgabenlast. Das
hat die FDP messerscharf erkannt; Herr Thiele hat das in
der ersten Lesung deutlich gesagt. Das ist völlig korrekt:
Wir haben nicht unbedingt ein Problem mit den Steuern,
sondern ein Problem mit den Lohnnebenkosten. Insofern
ist die Opposition hinsichtlich des Abbaus der Steuervergünstigungen nicht ganz stringent. Die Lohnnebenkosten
sind zwischen 1982 und 1998 - das habe ich eben schon
beschrieben - von 34 auf 42 Prozent angestiegen. Dagegen hat die FDP zumindest nicht lautstark protestiert.
Das müssen Sie konzedieren, Herr Thiele. Das muss
man festhalten.
({2})
Wenn Sie sich die Reformagenda ansehen, dann müssen Sie feststellen, dass die Haushälter ihr Ziel eingehalten haben und einen sehr knapp bemessenen Haushalt
vorgelegt haben. Wir hatten in beiden Koalitionsfraktionen viele Anfeindungen auszuhalten; denn jeder wollte
gerne ein wenig mehr an Bewegungsspielräumen haben.
Wir haben strenge Vorgaben gemacht. Es ist ein Sparhaushalt und deswegen knapp bemessen. Das war die
Voraussetzung dafür, dass die Reformagenda klar und
deutlich formuliert werden konnte. Natürlich werden wir
keinen Zuschuss für die BA einstellen, damit der Reformdruck erhalten bleibt. Wir wollen doch nicht so tun,
als ob wir unseren eigenen Reformen nicht trauen würden. Das hätten Sie vielleicht gerne, aber wir sehen das
anders. Wir wollen erreichen, dass die Reformen umgesetzt werden.
({3})
- Herr Austermann, abgerechnet wird am Schluss. Das
wissen Sie. Am 31. Dezember 2003 reden wir weiter.
Die Reformagenda ist der richtige Weg. Herr Rürup
wird heute mit der Schlagzeile in der „Financial Times“
zitiert, er wolle gerne die jungen Arbeitnehmer spürbar
entlasten. Das ist genau der Punkt, auf den es ankommt.
Darum geht es bei der Absenkung der Lohnnebenkosten.
Darum geht es, wenn wir darüber sprechen, dass Strukturreformen vorgenommen werden müssen. Die Abgabenlast muss abgesenkt werden. Arbeit muss billiger
werden. Sie können zu Recht behaupten, das hätten Sie
schon immer gesagt. Dagegen habe ich nichts einzuwenden. Aber man muss es auch tun.
({4})
Die FDP hat letzte Woche einen Entschließungsantrag
zur Rede des Bundeskanzlers eingebracht.
({5})
In diesem Antrag steht:
Subventionen und Zuwendungen müssen umgehend linear um 20 Prozent gekürzt werden.
Das klingt superschick und richtig sparpolitisch.
Die größte Zuwendung in Deutschland ist der Rentenzuschuss, den wir aus dem Bundeshaushalt finanzieren.
({6})
Ich habe einmal ausgerechnet, was die Umsetzung Ihres
Antrages bedeuten würde. Bei den Zuwendungen zum
Rentenzuschuss würde es zu Kürzungen in Höhe von
16 Milliarden Euro kommen.
({7})
Das würde bedeuten, dass die Renten innerhalb weniger
Monate um 7,5 Prozent gekürzt würden. Bei einer unterstellten Rente von 500 Euro ergäbe sich eine Kürzung
um 37,5 Euro und bei einer Rente von 1 000 Euro ergäbe
sich eine Kürzung um 75 Euro. Wir reden nicht von einem langsamen Anstieg oder von Nullrunden. Ich sage
es ganz konkret: Sie wollen die Renten um 7,5 Prozent
kürzen.
({8})
Das war Ihr Vorschlag in Ihrem Entschließungsantrag.
({9})
Eine weitere interessante Sache ist Ihr Vorschlag, die
Subventionen zu kürzen. Die Chance hatten Sie. Die
größte Subvention ist mit 8 Milliarden Euro die Eigenheimzulage.
({10})
Sie vergleichen sie immer mit der Steinkohlensubvention. Diese ist deutlich niedriger als die Eigenheimzulage.
Die Union kam im Haushaltsausschuss mit sehr vielen Erhöhungsanträgen
({11})
und hat in der Endrunde bei der allgemeinen Finanzplanung und Bundesschulden versucht, dem mit unsoliden
Finanzierungsvorschlägen entgegenzutreten. Bei den Gewährleistungen haben Sie eine Einnahmeverbesserung
von 1 Milliarde Euro vorgeschlagen. Das ist massiv konjunkturabhängig. Herr Austermann, hier widersprechen
Sie sich selber; das ist unsolide. Wenn Sie zweifeln, dass
sich die Konjunktur erholt, können Sie nicht mit Hinweis
auf die Konjunktur eine Einnahmeverbesserung bezogen
auf die Gewährleistung vorschlagen; das geht nicht.
Des Weiteren haben Sie eine Absenkung des Disagios
vorgeschlagen und eine globale Minderausgabe eingebracht. Das war eine klare Unterveranschlagung der
Zinsausgaben. Auch das ist unsolide. Wir haben schon
niedrige Zinsen. Viel niedriger werden sie nicht mehr.
({12})
Bei der IT-Ausrüstung haben Sie eine globale Minderausgabe vorgeschlagen. Das ist die Rasenmähermethode.
Meine Meinung ist: Wenn man die Bürokratie effizienter
machen und den Bürokratieabbau vorantreiben will,
dann sollte man den Mitarbeitern nicht die Computer
wegnehmen. Das kann aber jeder für sich entscheiden.
Heute stand in der Zeitung, das Kardinal Georg
Sterzinsky zur Finanzkrise des Berliner Erzbistums gesagt hat:
Ich gestehe, dass ich notwendige Entscheidungen
nicht getroffen oder nicht durchgesetzt habe.
({13})
Diese Entschuldigung ist nobel. Alle Parteien in diesem
Haus sollten jetzt genug Mut und Kraft aufbringen, um
sich auch so verhalten zu können.
Danke schön.
({14})
Das Wort hat jetzt der Kollege Friedrich Merz von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielleicht geht es dem einen oder anderen so wie
mir. Ich habe in diesen Minuten das Gefühl, dass im
Deutschen Bundestag zum jetzigen Zeitpunkt eigentlich
andere Themen diskutiert werden müssten als der
Bundeshaushalt 2003 in zweiter und dritter Lesung.
({0})
Wenn ich Sie alle hier so sehe - vor allem die Regierungsbank -, dann kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es Ihnen vielleicht ganz recht ist, dass diese
Karikatur eines Bundeshaushaltes in dieser Woche im
Schatten einer internationalen Krise durchgebracht werden kann, ohne dass es die verdiente öffentliche Aufmerksamkeit findet.
({1})
Meine Damen und Herren, die Trostlosigkeit des
Haushaltes wird nur noch durch die Trostlosigkeit derer,
die auf der Regierungsbank Platz genommen haben, unterboten.
({2})
Ein Bundesminister und eine Hand voll Staatssekretäre
zeigen, wie ernst die Regierung der Bundesrepublik
Deutschland diese Debatte nimmt.
({3})
- Entschuldigung, Herr Minister, hier sitzen zwei Bundesminister. Immerhin sind wir jetzt bei 10 Prozent des
Bundeskabinetts angekommen. Ich gratuliere Ihnen
herzlich.
({4})
Wenn der Bundesfinanzminister gleich das Wort ergreift, werden wir hier vermutlich wieder einige der in
mehreren Reden lang erprobten und vorgestanzten Formulierungen über die Solidität der Staatsfinanzen und
den guten Weg, auf dem wir uns alle befinden, seit RotGrün dieses Land regiert, hören. Vielleicht erlauben Sie
mir, zu dem, was gleich von ihm zu erwarten ist - Herr
Eichel hat in der Regel immer dieselbe Rede in der Tasche, wenn er hier ans Rednerpult geht -, einige Bemerkungen zu machen. Sie werden behaupten, dass wir seit
dem Regierungswechsel 1998 auf dem Weg heraus aus
der Schuldenfalle sind. Herr Bundesfinanzminister, seit
Sie Ihr Amt von Ihrem Vorgänger Oskar Lafontaine
übernommen haben, haben Sie den Gesamtschuldenstand des Bundes nicht gesenkt, sondern drastisch erhöht. Sie haben einen Schuldenstand von 743 Milliarden
Euro übernommen. Ausweislich Ihrer Finanzplanung für
das Jahr 2003 liegt der zu erwartende Schuldenstand bei
814 Milliar-den Euro. Sie müssen damit rechnen - darauf komme ich gleich zu sprechen -, dass sich dieser
Schuldenstand um noch einmal 10 Milliarden Euro erhöht.
({5})
Das heißt im Klartext: Vier Jahre Rot-Grün haben dafür
gesorgt, dass die Gesamtverschuldung des Bundes um
rund 80 Milliarden Euro angestiegen ist. So sieht der rotgrüne Weg aus der Schuldenfalle aus.
({6})
Nun haben wir alle am letzten Freitag eine große
Rede des Herrn Bundeskanzlers gehört.
({7})
- Richtig, nach seinem eigenen Urteil. Wenn ihn schon
keiner lobt, dann muss er sich eben selbst loben. Das hat
er am Wochenende dann auch getan; er hat sich ja selbst
Noten gegeben.
Wir haben eine große Rede erwartet; er selbst meint,
eine große Rede gehalten zu haben. Wir haben uns am
Wochenende die Frage gestellt: Was haben die Ausführungen des Bundeskanzlers nun für Auswirkungen auf
den Bundeshaushalt? Das, was er am letzten Freitag angekündigt hat, wird zum Teil tief greifende Veränderungen haben, die auf den Bundeshaushalt 2003 Auswirkungen hätten haben müssen. Aufschluss darüber, wie
ernst die Koalitionsfraktionen diese Rede nehmen, gibt
ein heute vorliegender Änderungsantrag, der sich auf
das Haushaltsgesetz 2003 bezieht. Dort heißt es:
Der Bundestag wolle beschließen:
In § 1
- gemeint ist das Haushaltsgesetz wird die Angabe „248 200 000 000“ durch die Angabe „248 199 000 000“ ersetzt.
Ende des Änderungsantrages.
({8})
Die rot-grüne Koalition nimmt die Rede des Bundeskanzlers vom Freitag der letzten Woche so ernst, dass sie
das Haushaltsgesetz des Jahres 2003 um sage und
schreibe 1 Million Euro korrigiert. Wir haben eine wirklich bedeutungsvolle Rede gehört.
({9})
Das volkswirtschaftliche Wunder, das wir durch diese
Änderung zu erwarten haben, schlägt sich in den Ankündigungen nieder, die mit dieser 1 Million Euro verbunden sein sollen: Damit sollen 800 Millionen Euro Fluthilfe an die Gemeinden zurückgezahlt werden. Damit
soll ein Programm aufgelegt werden, mit dem Investitionen in die Infrastruktur der Gemeinden im Umfang von
7 Milliarden Euro zinsverbilligt werden. Damit soll ein
Programm für die Bauindustrie aufgelegt werden, mit
dem Investitionen in Wohnraum, in Infrastruktur usw. in
Höhe von 8 Milliarden Euro zinsverbilligt werden. Alles
in allem hat das eine volkswirtschaftliche Wirkung von
über 15 Milliarden Euro. Demgegenüber steht ein Änderungsantrag mit einem Volumen von 1 Million Euro. In
dieser Bundesregierung sitzen wahre Finanzpolitiker.
({10})
Wir werden vermutlich vom Bundesfinanzminister
gleich hören, dass ein großer Teil der Probleme, die im
Bundeshaushalt nach wie vor zu bewältigen sind, mit der
falschen Finanzierung der deutschen Einheit zusammenhängt. Die falsche Finanzierung der deutschen Einheit
ist eine Entschuldigung, die nicht nur die rot-grüne Koalition seit viereinhalb Jahren vor sich herträgt, sondern die
in diesen Tagen auch in öffentlichen Meinungsäußerungen von verschiedensten Seiten immer wieder vorgetragen wird. Ich nehme diese Vorwürfe auf, weil diese Behauptung nicht unwidersprochen stehen bleiben kann.
({11})
Zur Erinnerung: Das, was 1989/1990 und in den Folgejahren gemacht werden musste, konnte zum damaligen Zeitpunkt in seiner Dimension niemand wirklich voraussagen.
({12})
- Als Reaktion auf den Kollegen Tauss will ich daran erinnern, dass es die beiden Ministerpräsidenten Schröder
und Lafontaine gewesen sind - insbesondere der Letztgenannte -, die im Zuge der Verhandlungen über den
Einheitsvertrag im Jahre 1990 im Bundesrat versucht haben, eine Protokollerklärung durchzusetzen, derzufolge
der Erlös aus der Tätigkeit der Treuhandanstalt - ich
habe mich nicht versprochen: der Erlös! - zwischen
Bund und Ländern hälftig aufgeteilt werden sollte.
({13})
Als die Treuhandanstalt am 31. Dezember 1993 ihre
Tätigkeit eingestellt hat, stand nicht ein Erlös, sondern
ein dreistelliges Milliardendefizit in den Büchern. Von
dem Tag an war allerdings von einer Teilung zwischen
Bund und Ländern bei den Damen und Herren der Sozialdemokraten nicht mehr die Rede. Auch das gehört
zur historischen Wahrheit.
({14})
Heute, zwölf Jahre später, möge hier also bitte niemand
sagen, dass der eine oder andere besser vorausgesehen
hätte, welche Lasten zu schultern seien.
({15})
Ich lege schon Wert darauf, dass dies gesagt wird, damit nicht ständig diese Behauptungen wiederholt werden:
Das, was seinerzeit entschieden worden ist, bedeutete eine
anteilige Finanzierung - nicht der Lasten der deutschen
Einheit, sondern der Überwindung der deutschen Teilung in etwa folgendem Verhältnis: ein Drittel durch höhere
Steuern, ein Drittel durch höhere Verschuldung und ein
Drittel über die sozialen Sicherungssysteme.
Dies war in etwa die Größenordung, wie sie in den
Jahren 1990 und 1991 politisch entschieden wurde. Danach wurde sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, zwar immer wieder von Ihnen kritisiert. Aber wenn Sie diese Planungen heute immer noch
für falsch halten, dann spricht nichts dagegen, dass sie
die Methode der Finanzierung der deutschen Einheit, die
uns ja nach wie vor beschäftigt, heute ändern. Stellen Sie
also entweder Ihre Kritik, die Sie hier mehrfach vorgetragen haben, ein oder ändern Sie die Methode! Aber hören Sie auf, hier ständig Märchen zu erzählen, um von
Ihren eigenen Problemen abzulenken.
({16})
Gleich werden wir vom Bundesfinanzminister vermutlich hören, dass wenigstens die Zinslasten im Bundeshaushalt zurückgegangen sind;
({17})
wahrscheinlich wird er versuchen, dies durch die Entwicklung der Zinssteuerquote zu belegen.
({18})
Auch dies, meine Damen und Herren, ist leider falsch.
Wahr ist, dass die Zinssteuerquote gesunken ist. Richtig
ist allerdings: Die Ursache dafür ist nicht eine niedrigere
Verschuldung des Bundes. Vielmehr handelt es sich im
Wesentlichen um drei Ursachen:
Erstens: Vereinnahmung der UMTS-Lizenzerlöse. Ich
kritisiere das nicht. Auch damals haben wir das nicht kritisiert, weil wir die Situation nicht richtig eingeschätzt
haben. Aber heute wissen wir, dass das damalige Vorgehen eine schwere Belastung für die Branche darstellte
und dass es so, wie es damals gemacht worden ist, falsch
war. Sie haben 50 Milliarden Euro einkassiert. Über die
Abschreibungen ging das übrigens zulasten der Länder
und Kommunen.
({19})
Sie haben sich geweigert, den Ländern und Kommunen
auch nur einen einzigen Euro davon zurückzugeben, obwohl die Abschreibungen den Bund, die Länder und die
Gemeinden betrafen. Sie haben diese 50 Milliarden Euro
für sich vereinnahmt.
({20})
Zweitens profitieren Sie von einem sehr viel niedrigeren Zinsniveau als in den Jahren 1998 und 1999.
Drittens - Herr Eichel, für die ersten beiden Punkte
können Sie nichts, aber dies werfen wir Ihnen vor - haben Sie die Schuldenfinanzierung des Bundes weitgehend von Langläufern auf Kurzläufer umgestellt. Dies
hat natürlich erhebliche Konsequenzen.
({21})
Im Augenblick profitieren Sie von dem sehr niedrigen
Zinsniveau. Aber in dem Augenblick, wo die Zinsen im
Zyklus der Zinsschwankungen wieder steigen, enden
Ihre kurzfristigen Finanzierungen. So werden Sie Ihrem
Nachfolger ein beträchtliches Zinsrisiko überlassen.
({22})
Meine Damen und Herren, dies sind die Gründe dafür,
dass wir heute eine niedrigere Zinssteuerquote haben.
({23})
Vermutlich wird der Bundesfinanzminister in seiner
Rede gleich voller Stolz darauf verweisen, dass wenigstens die Investitionsquote des Haushaltes gestiegen ist.
Aber auch hier sieht die Realität leider anders aus, als sie
von der rot-grünen Koalition immer wieder beschrieben
und beschworen wird. Sie haben im Jahre 1998 eine Investitionsquote des Bundeshaushalts von 12,5 Prozent
übernommen. Diese Investitionen - in die öffentliche Infrastruktur, in Wissenschaft und Forschung, also in all
die Bereiche, die ein Land zukunftsfähig machen - sind
seit Ihrem Regierungsantritt kontinuierlich zurückgeführt worden.
({24})
Zuerst lagen sie bei 11,6 Prozent, dann waren es
11,5 Prozent, daraufhin 11,2 Prozent und schließlich
9,9 Prozent. Jetzt berühmen Sie sich der 10,8 Prozent
und verschweigen der Öffentlichkeit, dass darin etwa in
der Höhe von einem Prozentpunkt reine Mittel für die
Fluthilfe enthalten sind. Tatsächlich kommen wir im laufenden Haushalt ohne die Fluthilfe auf eine Investitionsquote von nur noch 9,8 Prozent. Das ist ein historischer
Tiefstand - zu einem Zeitpunkt, wo wir eigentlich nicht
weniger, sondern mehr in Forschung, Bildung und Infrastruktur investieren müssten.
({25})
Da ich aus den Reihen der Sozialdemokraten Zurufe
wie „Das machen wir auch!“ höre, möchte ich Ihnen einmal kurz die traurige Realität vorstellen, so wie sie bei den
Betroffenen ankommt. Wir argumentieren hier zwar mit
hohen Milliardenbeträgen, aber wie ist denn die Realität
derer, die in den Forschungseinrichtungen unmittelbar
von den Kürzungen betroffen sind, die Sie in diesen Tagen
beschließen? Ausbau und Neubau von Hochschulen: minus 40 Millionen Euro; Europäische Weltraumorganisation: minus 20 Millionen Euro; naturwissenschaftliche
Grundlagenforschung: minus 2,2 Millionen Euro; nationales Weltraumprogramm: minus 2,5 Millionen Euro;
Forschung mit adulten Stammzellen - ein außergewöhnlich wichtiges Thema vor dem Hintergrund des bis heute
nicht wirklich zu Ende diskutierten Streits um die Forschung an embryonalen Stammzellen; die Alternativforschung wurde vom Bundeskanzler immer wieder als
besonders wichtig betont -: minus 5 Millionen Euro;
Meeres- und Polarforschung: minus 2,5 Millionen Euro.
Dann die großen Forschungsgesellschaften - was machen
Sie mit diesen Gesellschaften? -: Max-Planck-Gesellschaft:
minus 14 Millionen Euro; Zentren der Helmholtz-Gesellschaft: minus 36 Millionen Euro; Fraunhofer-Gesellschaft:
minus 10 Millionen Euro; Forschungseinrichtungen der
Leibniz-Gesellschaft: minus 6 Millionen Euro; Akademieprogramm: minus 1 Million Euro; schließlich die Deutsche Forschungsgemeinschaft: minus 7,5 Millionen Euro.
({26})
Sie können sagen, dass das alles kleine Beträge sind,
die in der Gesamtschau des Haushalts nur wenig ausmachen, aber entscheidend ist doch, dass Sie den Forschungseinrichtungen in unserem Land zu einem Zeitpunkt, zu dem sie mehr bräuchten, jetzt die Mittel
entziehen, die notwendig wären.
({27})
Herr Kollege Merz, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Tauss?
({0})
Ja, bitte.
Bitte schön, Herr Tauss.
Vielen Dank, Herr Präsident und lieber Herr Merz.
Das gibt mir die Gelegenheit, einige Missverständnisse
aufzuklären und Sie zu bitten, heute Mittag an der Debatte zum Forschungshaushalt teilzunehmen.
Würden Sie bitte freundlicherweise zur Kenntnis nehmen, dass Ihre Aussage bezüglich der DFG schlicht
falsch ist. Wir haben bei der DFG ausweislich des Haushaltsentwurfs 2003 einen Aufwuchs von 2,5 Prozent.
({0})
Dies entspricht - in exakten Zahlen - 17,684 Millionen
Euro. Von einer Kürzung, wie Sie gerade gesagt haben,
kann nicht die Rede sein. Würden Sie bitte die Zahlen
zur Kenntnis nehmen?
Herr Tauss, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar,
dass Sie ausnahmsweise nicht nur Zwischenrufe machen, sondern auch eine Zwischenfrage stellen.
Nachdem der Bundeskanzler angekündigt hat, dass er
die Ganztagsbetreuung in Deutschlands Schulen auch
über den Bundeshaushalt finanzieren will, hat es Korrekturen im Einzelplan 30 - Bildung und Forschung - gegeben. Ich habe Ihnen hier aus der amtlichen Statistik der
Bundesregierung vorgetragen und die genauen Kürzungen - in einem Gesamtvolumen von 72 Millionen Euro
bei den einzelnen Positionen und mit einem Kürzungsbetrag von insgesamt 75 Millionen Euro - benannt, von
denen die Einrichtungen betroffen sind.
({0})
Sie haben gegenüber dem Haushaltsentwurf zur Finanzierung des Ganztagsbetreuungsprogramms die Kürzungen vorgenommen, die ich Ihnen gerade vorgetragen
habe. Wir sagen: Das ist eine falsche Entscheidung, die
Sie getroffen haben, weil sie schlecht ist für den Wissenschafts- und Forschungsstandort Deutschland.
({1})
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, dass ich
auf ein zweites Thema zu sprechen komme, das der Bundeskanzler ebenfalls am Freitag hier angesprochen hat,
nämlich den Maastrichter Vertrag. Herr Bundesfinanzminister, wir erwarten, dass Sie vor dem Deutschen Bundestag gleich eine klare Aussage dazu machen, wie Sie
beabsichtigen, die Risiken des Haushalts so unter Kontrolle zu halten,
({2})
dass Sie am Donnerstag der EU-Kommission gegenüber
wirklich mit gutem Gewissen die Zahl vertreten können,
die Sie dem Jahreswirtschaftsbericht zugrunde gelegt haben und nach der das Defizitkriterium nicht überschritten wird, sondern es bei einem Defizit von 2,8 Prozent
verbleibt.
Zur Erinnerung: Dass unsere kritischen Fragen nicht
ohne Grund vorgetragen werden, zeigt das letzte Jahr.
Wir haben im letzten Jahr sehr frühzeitig darauf hingewiesen, dass Sie ein immer größeres Risiko tragen, den
Maastrichter Vertrag nicht erfüllen zu können. Sie haben
diese Kritik auch von dieser Stelle aus abgebürstet und
uns der Schwarzmalerei bezichtigt. Sie haben uns Pessimismus und eine Falschinformation der Öffentlichkeit
vorgeworfen.
In Wahrheit haben Sie die Öffentlichkeit falsch informiert, wie nicht zuletzt auch durch den Untersuchungsausschuss festgestellt worden ist. Sie sind vom Anfang
des Jahres 2002 an von viel zu optimistischen Annahmen
ausgegangen und haben deshalb am Ende des Jahres ein
ziemliches Desaster erlebt. Ich sage Ihnen voraus: Wenn
Sie so weitermachen, dann werden Sie auch im Jahr 2003
ein ziemliches Desaster erleben; denn was Sie jetzt mit
2,8 Prozent hier zugrunde legen, das hält einer Überprüfung schon heute, am 18. März 2003, nicht mehr stand.
({3})
Ich will Ihnen dazu nur einiges kurz vortragen: Sie gehen
im Bundeshaushalt davon aus, dass die Bundesanstalt für
Arbeit am Ende des Jahres keinen Zuschussbedarf haben
wird. Schon zum Ende des Monats Februar liegt das Defizit
der Bundesanstalt für Arbeit bei 1,5 Milliarden Euro. Wenn
das Wachstum nur um 0,5 Prozentpunkte niedriger ausfallen wird als in der Größenordnung von 1 Prozent, die Sie
zugrunde legen - Sie sind einer der wenigen, der noch von
einem Wachstum in Höhe von 1 Prozent ausgeht; die Forschungsinstitute gehen durch die Bank von einem viel geringeren Wachstum aus -, dann werden Ihnen in jenem
Haushalt 2,5 Milliarden Euro fehlen.
In Ihrem Gesetzentwurf gehen Sie immer noch davon
aus, dass das Steuervergünstigungsabbaugesetz zustande
kommt. Sie erwarten durch dieses Gesetz Mehreinnahmen in Höhe von 3,4 Milliarden Euro insgesamt bzw.
1,6 Milliarden Euro für den Bund. Herr Bundesfinanzminister, schminken Sie sich doch endlich dieses Gesetz
ab! Es wird nicht zustande kommen.
({4})
Des Weiteren - das ist der besonderen Erwähnung
wert - stellen Sie 5 Milliarden Euro aus der Nacherklärung finanzieller Mittel, die ins Ausland geflossen sind,
im Rahmen Ihres Amnestiegesetzes in den Bundeshaushalt ein. Ich frage mich, ob Sie immer noch daran glauben, dass Sie dieses Gesetz so durchsetzen können, wie
Sie es konzipiert haben, und dass Sie, falls Ihnen das gelingen sollte, tatsächlich Steuermehreinnahmen in einem
solchen Umfang erzielen werden. Der Bundeskanzler hat
einmal von 100 Milliarden Euro schwadroniert, die nach
Deutschland zurückfließen würden. Sie, Herr Eichel, gehen jetzt von 20 Milliarden Euro aus. Wörtlich:
Die Bundesregierung erwartet, dass im Rahmen der
angesprochenen gesetzlichen Maßnahmen rund
20 Milliarden Euro in 2003
- das ist im laufenden Jahr in Deutschland nacherklärt werden. Die Nacherklärung eines solchen Volumens führt zu Steuermehreinnahmen von 5 Milliarden Euro.
Herr Bundesfinanzminister, es wird erst dann zum
Rückfluss von finanziellen Mitteln nach Deutschland
kommen, wenn die Steuern gesenkt werden und wenn
eine Brücke in die Legalität gebaut wird.
({5})
Im Grunde stimmen wir hierin mit Ihnen ausdrücklich
überein; wir haben bereits im vergangenen Jahr den Vorschlag gemacht, eine solche Regelung zu treffen. Der
Bundeskanzler hat das übrigens auch vorgeschlagen.
Seinerzeit hat es zwischen Ihnen beiden einen großen
Streit gegeben. Jetzt gehen Sie offenbar dazu über, den
Weg über eine Abgeltungsteuer in Verbindung mit einer
entsprechenden Regelung ebenfalls zu befürworten.
Aber die Mittel fließen nur dann zurück, wenn diejenigen, die das Geld nach Deutschland zurückbringen sollen, auch Vertrauen haben, ihr Geld in Deutschland einsetzen und investieren zu können.
({6})
Glauben Sie im Ernst, dass dieses Vertrauen entsteht,
wenn Sie an Ihrem Plan festhalten, in Deutschland flächendeckend Kontrollmitteilungen einzuführen? Glauben Sie
im Ernst, dass dieses Vertrauen entsteht, wenn Sie mit Ihrer rot-grünen Mehrheit in diesem Hause bis heute nicht
zu der Erkenntnis gefunden und den Mut aufgebracht haben, endgültig auch das Vermögensteuergesetz formell
aufzuheben?
({7})
Ich sage Ihnen voraus: Wenn Sie bei diesen Vorhaben
bleiben - ich wiederhole: wenn er vernünftig gestaltet
wird, werden wir den Weg mitgehen, über eine solche
Abgeltungsteuer mit einer entsprechenden Übergangsregelung für Fluchtkapital die Mittel nach Deutschland
zurückzuholen -, werden Sie nur dann das notwendige
Vertrauen schaffen, wenn Sie gleichzeitig unseren Anträgen folgen, erstens das Vermögensteuergesetz auch
förmlich aufzuheben und zweitens auf Kontrollmitteilungen zu verzichten. Anders werden Sie keinen einzigen Euro zurückbekommen.
({8})
Damit sind die Risiken des Bundeshaushaltes fast hinreichend beschrieben. Allein in den Positionen, die ich
eben erläutert habe - das Defizit bei der Bundesanstalt für
Arbeit, das geringere Wirtschaftswachstum, das Scheitern des Steuervergünstigungsabbaugesetzes und der Versuch, über die Abgeltungsteuer Kapital nach Deutschland
zurückzuholen -, ist ein Risiko von 12 Milliarden Euro
enthalten. Sie befinden sich mit 2,8 Prozent - das sind gerade 4 Milliarden Euro - nur knapp von der Überschreitung des Defizits entfernt. Herr Bundesfinanzminister,
wenn Sie so weitermachen, dann werden Sie zum Jahresende - wenn Sie dann noch im Amt sind; wir haben alle
damit gerechnet, dass Ihnen Herr Gabriel nachfolgen
wird, aber das war wohl doch etwas zu arg ({9})
wieder feststellen müssen, dass Sie keine Chance gehabt
haben, den Maastricht-Vertrag einzuhalten. Wenn Sie
das zugeben müssen, Herr Eichel, dann lassen wir Ihnen
eines nicht durchgehen: dass das Wirklichkeit wird, was
der Bundeskanzler am vergangenen Freitag angekündigt
hat. Dieser nämlich hat ganz offen den Maastricht-Vertrag infrage gestellt und deutlich gemacht, dass die Bundesregierung nicht mehr die Absicht hat, sich an diesen
Vertrag zu halten.
An dieser Stelle hört aber der Spaß auf. Wir können
uns auf innenpolitischer Ebene über viele Fragen streiten
und Meinungsverschiedenheiten austragen. Aber wer
wie diese rot-grüne Bundesregierung den MaastrichtVertrag infrage stellt und nicht bereit ist, sich an das
Korsett dieses Vertrags zu halten, das auch für konjunkturell schwierige Zeiten ausreichende Flexibilität bietet,
gefährdet mehr als nur die Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland. Sie gefährden nicht nur in der Außenpolitik, sondern jetzt auch in der Finanzpolitik den
Zusammenhalt innerhalb der Europäischen Union. Das
aber lassen wir Ihnen nicht durchgehen, Herr Eichel.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat der Bundesminister Hans Eichel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zuerst möchte ich mich bei Ihnen allen im Deutschen Bundestag dafür bedanken, dass Sie bereit waren,
die Tagesordnung für die Haushaltsberatungen so umzustellen, dass die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung, das heißt der Kanzler, der Außenminister und
der Finanzminister, am kommenden Freitag an der Sitzung des Europäischen Rates in Brüssel teilnehmen
können. Das nämlich ist der alleinige Grund - und kein
anderer, Herr Austermann -, weswegen ich am kommenden Freitag nicht im Hause sein kann. Herzlichen Dank,
dass Sie bereit waren, das umzustellen.
({0})
Es ist keine Frage, selten sind Haushaltsberatungen
unter so völlig unsicheren Rahmenbedingungen geführt worden, wie wir sie heute haben. Ich habe überlegt
und erinnerte mich, dass es das letzte Mal vor zwölf Jahren eine vergleichbare Situation gab: Auch seinerzeit
wurde der Bundeshaushalt - wie es nach einer Bundestagswahl traditionell der Fall ist - später, also nicht am
Ende des Vorjahres, sondern in der ersten Hälfte des jeweiligen Folgejahres, verabschiedet. Damals brach der
Golfkrieg aus und auch diesmal sind wir alle, glaube ich,
nicht sehr optimistisch, dass es noch gelingen wird, den
Krieg im Nahen Osten zu verhindern.
({1})
- Natürlich war die Situation schon vorher schlecht. Ich
werde noch auf Sie zurückkommen, Herr Kollege Austermann.
Trotzdem sage ich: Es ist vernünftig, jetzt den Haushalt zu verabschieden, und zwar mit all den Risiken,
Herr Kollege Rexrodt und Herr Kollege Merz, die er im
Hinblick auf das laufende Jahr in sich birgt. Wir müssen
bei diesen Risiken gegensteuern.
Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung „Mut zum Frieden und Mut zur Veränderung“ am
Freitag die notwendigen Veränderungen genannt. Die
ersten Reaktionen belegen: Man hat in Deutschland
kaum noch eine Chance, ungestört Politik zu machen sei es, dass es gilt, eine Regierungserklärung vorzubereiten; sei es, dass ein Gesamtkonzept entwickelt werden
soll. Im Wege von Indiskretion, Spekulationen oder
schlicht Erfindungen - ich weiß, wovon ich rede; ich
habe kürzlich gelesen, dass ich dem „Focus“ die meisten
Dementis zugesandt habe; das ist richtig; denn da das,
was ich dort lese, meistens Falschmeldungen sind, muss
ich auch die meisten Dementis abgeben ({2})
werden schon vorher alle Einzelheiten hin und her gewendet und wird alles zerpflückt. Kaum ein Konzept,
das man präsentiert, wird deshalb in seiner Gesamtheit
wahrgenommen. Wenn ich mir zum Beispiel die Reaktion des Vorsitzenden des Sachverständigenrates auf die
Regierungserklärung und die Empfehlungen dieses Rates - diese waren außerordentlich positiv - ansehe, dann
rate ich jedem, über diesen Punkt nachzudenken und
dies - ich tue das - auch ernst zu nehmen; denn hier geht
es um unsere Fähigkeit, Politik im Land zu artikulieren.
({3})
- Nein, Herr Kollege.
Wenn Sie sich die Reaktionen des Auslandes ansehen,
dann stellen Sie fest, dass die Regierungserklärung dort
ganz anders aufgenommen worden ist. Das war auch notwendig; denn der Blick des Auslandes auf Deutschland, ob
zu Recht oder zu Unrecht - Herr Kollege Merz, ich komme
gleich auf das Thema Wiedervereinigung kurz zurück, obwohl ich es eigentlich gar nicht vorhatte; da Sie aber auf
eine Rede geantwortet haben, die ich nach Ihrer Einschätzung vermutlich halten werde, muss ich nachher noch ein
paar Richtigstellungen vornehmen -, war bisher nicht positiv. Wir brauchen deshalb ein anderes Bild von Deutschland im Ausland. Die Frage, ob Deutschland reformfähig
ist oder nicht, muss auch aus Sicht des Auslandes positiv
beantwortet werden können. Der Bundeskanzler hat diese
Frage positiv beantwortet, wissend, welche Zumutungen
das, was er vorgeschlagen hat, für dieses Haus, insbesondere für meine Partei, und für dieses Land beinhaltet. Darum herumzureden macht überhaupt keinen Sinn.
({4})
Das Kernproblem, vor dessen Lösung sich dieses
Land selbst und viele der hier Anwesenden noch immer
drücken, heißt alternde Gesellschaft. Dies ist das Problem unserer Generation. Die nächste Generation wird
sich fragen: Was war da eigentlich los? Man hat wenig
Kinder in die Welt gesetzt und hohe Schulden hinterlassen. Als wir die mit der alternden Gesellschaft und der
Notwendigkeit der Vorsorge verbundenen Fragen kürzlich diskutiert haben, hat mein finnischer Kollege - übrigens, er ist ein Konservativer - berichtet, in seinen
Wahlkampfveranstaltungen hätten ihm junge Leute gesagt: Wir zahlen entweder für die Rente oder für die
Schulden; aber wir sind nicht bereit, für beides zu zahlen. Vor genau diesem Problem stehen wir.
({5})
- Ich komme darauf zu sprechen. Ihr Zwischenruf ist
nicht so toll.
({6})
Sie werden das gleich merken.
Wenn wir aus der Krise herauswollen - auch das ist
klar -, dann brauchen wir eine Stärkung der Wachstumskräfte.
({7})
- Ja, natürlich.
({8})
Unsere Gesellschaft wird es in der Zukunft nur dann
nicht mit ganz schwierigen Verteilungskämpfen zu tun
haben, wenn wir die Wachstumskräfte stärken. Das hat
viele Konsequenzen. Zum Beispiel muss der Sozialstaat
erneuert, nicht abgebaut werden. Die mit Krankheiten
und Alter verbundenen großen Risiken müssen solidarisch getragen werden; denn die meisten Leute können
es sich nicht leisten, diese Risiken privat abzusichern.
Wenn das geschehen ist, muss man sich der Frage stellen: Was kann mit Eigenvorsorge, mit mehr Eigenverantwortung geleistet werden?
Herr Rexrodt, ich habe mich in die Materie Gesundheitswesen mittlerweile ein Stück eingearbeitet. Alle mit
den Sozialsystemen, mit den Länderhaushalten und mit
den Kommunalhaushalten verbundenen Probleme - ich
komme darauf später im Zusammenhang mit Maastricht
noch zu sprechen - werden beim Bundesfinanzminister
abgeladen. Das nicht zu tun macht erforderlich, dass
man sich mit diesen Fragen etwas genauer beschäftigt. In
keinem anderen System erlebe ich ein solches Maß an
Staatswirtschaft wie im Gesundheitswesen. Das hat
Schwarz-Gelb zu verantworten.
({9})
In welcher Marktwirtschaft gibt es denn Mehrbesitzverbote? In welcher Marktwirtschaft gibt es denn Preisspannenverordnungen? Dass der Hersteller einen Preis
festsetzt, ist in Ordnung. Dass aber der Staat dem Großhandel und anschließend dem Einzelhandel - in diesem
Fall denke ich an die Apotheker - den Preis vorschreibt,
das haben doch Sie erfunden. Das ist wirklich eine erstaunliche Leistung.
({10})
Die Kartellbildung und die Vermachtung in diesem
Bereich sind das allergrößte Problem. Schauen Sie sich
einmal an, welche Lobbyarbeit Sie in diesem Zusammenhang gemacht haben! Wenn Sie das getan haben,
dann unterhalten wir uns noch einmal. Ihre Lobbyarbeit
- dies für diejenigen, die es ganz genau wissen wollen lässt sich sogar an Namen festmachen.
({11})
Da ist also eine ganze Menge zu tun. Ich komme auf
dieses Thema gleich an einer anderen Stelle, wenn ich
über Subventionsabbau sprechen werde, zurück. Was
man sagt, ist immer richtig, wenn es im Allgemeinen
bleibt. Wenn die eigene Klientel von etwas betroffen ist,
dann gilt plötzlich genau das Gegenteil von dem, was
man vorher gefordert hat.
({12})
Wir haben also eine Menge zu tun.
Ein Stück soziale Verantwortung haben wir schon.
Wir meinen: Wer mehr verdient, der kann auch ein bisschen mehr beitragen als derjenige, der weniger verdient.
({13})
- Auch darauf komme ich zu sprechen.
Wir müssen bei den sozialen Sicherungssystemen
eine ganze Menge ändern, damit die Lohnnebenkosten
sinken. Nur dann werden die sozialen Sicherungssysteme altersfest, armutsfest und zukunftsfest sein.
({14})
Natürlich ist ebenso am Arbeitsmarkt eine Menge zu tun.
Der Kern des Kündigungsschutzes darf allerdings nicht
verändert werden. Kündigungsschutz besteht in erster
Linie, damit die Betriebe und die Arbeitnehmer berechenbare Rahmenbedingungen haben; das ist richtig.
Wer eine Familie gründen, also Kinder in die Welt setzen
will, wer die Entscheidung trifft, ein Häuschen zu kaufen, der trifft eine Entscheidung für Jahrzehnte und muss
eine gewisse Sicherheit für seine Lebensplanung haben.
Das sollten Sie nicht ganz vergessen.
({15})
Herr Kollege Rexrodt, übrigens wollen auch die Arbeitgeberverbände den Flächentarif, und zwar aus guten
Gründen.
({16})
- Ich weiß nicht, ob man solche Vorschriften immer
bekämpfen soll. Unser Grundgesetz kennt übrigens die
Koalitionsfreiheit, wie Sie wissen.
Wenn Sie den Flächentarifvertrag und die Gewerkschaften für die Arbeitslosigkeit verantwortlich machen, dann sage ich Ihnen: Was zurzeit an Arbeitsplatzabbau in den Banken passiert - das ist ein ganz
willkürlich herausgegriffenes Beispiel -, hat weder etwas mit dem Flächentarifvertrag noch mit den Gewerkschaften zu tun.
({17})
Also: Bitte nicht so einseitig!
({18})
Wir haben zu entbürokratisieren.
({19})
Das wird im Kabinett noch spannend werden, weil der
Kollege Clement, der Kollege Schily, Frau Kollegin
Zypries und ich das im jeweiligen Zuständigkeitsbereich
sehr intensiv betreiben. Wo endet das? Das endet damit,
dass der Einzelne bereit sein muss, für kleine Risiken
auch wieder selbst ein bisschen mehr Verantwortung zu
übernehmen.
({20})
Wenn eine Gesellschaft auch die allerprivatesten Bereiche mit Paragraphen regeln und absichern will - Sie tun
das ja auch, indem Sie entsprechende Anträge stellen -,
wenn gesagt wird - das war wirklich toll, Herr Kollege
Brüderle -, dann, wenn es an den Aktienmärkten runtergehe, solle der Staat das ersetzen, dann produziert die
Gesellschaft den ganzen Wust an Bürokratie selbst, den
sie nachher beklagt und in dem sie erstickt.
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brüderle?
Ja, gern.
Bitte schön, Herr Brüderle.
Herr Minister Eichel, sind Sie bereit, einzuräumen,
dass das, was Sie eben gesagt haben, schlichtweg falsch
ist?
({0})
Ich habe nie gesagt, dass man Telekom-Aktionäre entschädigen soll. Ich habe vorgeschlagen, bei weiteren Privatisierungen Kleinaktionäre, die durchgehalten haben,
etwa durch Frühzeichnerrabatte oder Mitarbeiterrabatte
günstiger zu stellen. Eine solche Äußerung, wie von Ihnen behauptet, hat es von mir nie gegeben. Das ist
schlichtweg Unsinn. Das wird auch nicht dadurch richtiger, dass Sie es wiederholen. Gegebenenfalls müssten
Sie es belegen.
({1})
Herr Kollege Brüderle, ich bin gern bereit, ein Dementi Ihrerseits entgegenzunehmen. Ich habe das in der
Zeitung gelesen. Wir werden das auch wiederfinden,
denke ich, und dann zeige ich Ihnen das. Wenn Sie sagen, Sie hätten die Äußerung nicht gemacht, ist das in
Ordnung. Wenn Sie das hier dementieren, dann nehme
ich das natürlich so hin und werde das auch nicht wiederholen. Das ist selbstverständlich.
Kommen wir nun zu unserer Finanzpolitik ganz unmittelbar und zum Haushalt.
({0})
Zunächst eine Vorbemerkung, Herr Kollege Merz, zum
Thema deutsche Einheit. Es ist nicht wahr, dass niemand gewusst hat, dass das etwas kostet.
({1})
- Doch!
({2})
Damit kommen wir zu sehr unterschiedlichen Konzepten. Sie wissen, dass wir - ich auch - in meiner Partei
großen Ärger mit meinem unmittelbaren Amtsvorgänger, Herrn Lafontaine, haben. In einem Punkt aber hatte
er Recht. Er hat damals darauf hingewiesen,
({3})
dass mindestens 100 Milliarden DM jährlich an Transfer
notwendig seien, um den Aufbau Ost zu leisten.
Wir haben vor der Wiedervereinigung, als die letzte
Stufe der stoltenbergschen Steuerreform - wenn ich mich
recht erinnere, ging es um 25 Milliarden DM - in Kraft
treten sollte, gesagt: Lassen Sie das jetzt! Wir brauchen
das Geld für den Aufbau Ost. - Sie, insbesondere unser
früherer Bundeskanzler, haben damals - Sie wissen das Illusionen geweckt, und zwar darüber, wie schnell es gehen könnte und mit wie wenig Aufwand das Ganze zu machen sein würde. Das war eine Illusion. Es ist eine Generationenaufgabe, mit der wir es zu tun haben. Das haben
viele gewusst, zum Beispiel auch Karl Otto Pöhl. Das war
ein Grund dafür, dass Karl Otto Pöhl den Präsidentenstuhl
in der Deutschen Bundesbank ganz leise verlassen hat.
({4})
Es hat großen Streit gegeben. Sie haben fundamentale
Fehler gemacht. Ich will nur auf einen Fehler hinweisen.
Wir wollten den Aufbau Ost im privaten Bereich über
Zulagen finanzieren. Sie haben ihn über übermäßige
Sonderabschreibungen finanziert - eine unsinnige
Maßnahme, die eine Fülle von negativen Folgen hatte.
({5})
Wir haben Ihnen vorher gesagt, dass wir es über Zulagen
machen sollten.
({6})
Natürlich wollten wir in dieser Zeit nicht die Spielverderber sein.
({7})
Was war die Folge dessen, was Sie gemacht haben? In
allerkürzester Zeit entstanden Überkapazitäten in der
Bauwirtschaft, die niemand gebraucht hat und an denen
wir heute noch tragen. Die Sonderabschreibungen konnten nur von Beziehern höherer Einkommen - solche gab
es im Osten gar nicht - in Anspruch genommen werden,
sodass das Aufbauprogramm Ost ein Steuersparprogramm West war. Über Zulagen hätten wir dahin kommen können, dass die Menschen im Osten den Aufbau
Ost selbst betreiben. Wenn das geschehen wäre, wären
wir sozial ein ganzes Stück näher zusammen, als wir es
nach Ihrer Politik sind. Sie haben die sozialen Folgen Ihrer Politik nicht abgeschätzt.
({8})
Das ist doch das eigentliche Problem, meine sehr geehrten Damen und Herren.
({9})
Herr Kollege Eichel, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Thiele?
Nein, jetzt nicht mehr.
Nun komme ich zur Treuhand. Da haben Sie Recht
mit dem, was Sie gesagt haben. Aber mindestens ebenso
sehr, wie damals Herr Ministerpräsident Schröder und
andere geglaubt haben, die Treuhand umfasse etwas
Werthaltiges, hat das leider auch Herr Kollege Waigel
getan. Ich sage heute „leider“, weil das genau die Folge
hatte, die Sie beschrieben haben: In den 90er-Jahren ist
die Staatsverschuldung, eines der beiden Kernprobleme,
an denen wir lange arbeiten werden, um 20 Prozent des
Bruttoinlandsproduktes gestiegen.
({0})
Damit komme ich zum heutigen Haushalt und zu all
Ihren Behauptungen. Von 1994 bis 1998
({1})
- ich komme darauf zurück - sind die Staatsschulden mit
dem Sondervermögen um 230 Milliarden Euro gestiegen. In den letzten vier Jahren waren es noch etwas über
40 Milliarden Euro. Das ist ein Riesenunterschied, meine Damen und Herren.
({2})
Sie hatten von 1994 bis 1998 eine Nettokreditaufnahme, eine durchschnittliche Kreditfinanzierung Ihrer
Haushalte von 13,1 Prozent. Wir haben trotz des Ausreißers im vergangenen Jahr eine durchschnittliche Kreditfinanzierung von 10,6 Prozent. Auf diese Zahlen waren
Sie offenkundig nicht vorbereitet, Herr Kollege Merz.
Das ist die Wahrheit, mit der wir es zu tun haben.
({3})
Tatsächlich sind die Staatsausgaben bei uns gesunken. Sie führen immer das Jahr 1998 an. Aber Sie wissen
so gut wie ich, Herr Kollege Austermann, dass Ihre damalige Haushaltsplanung keine Wahrheit und Klarheit
enthielt. Die Postunterstützungskassen waren nicht enthalten, die Mittel für das Saarland und Bremen waren
nicht enthalten. Der Haushalt hatte eine Fülle von Fehlstellen. In Wirklichkeit war er viel höher, aber Sie haben
ihn vor der Bundestagswahl anders vorgelegt.
({4})
Wir haben konsolidiert und wir konsolidieren weiter.
Ich sage einen ausdrücklichen Dank an die Haushälter
der Koalitionsfraktionen. Ich gebe ihn sehr gerne zurück,
Herr Kollege Schöler und Frau Kollegin Hermenau,
({5})
weil es natürlich außerordentlich anstrengend ist, den
Konsolidierungskurs durchzuhalten; denn das Problem
ist nicht in wenigen Jahren zu lösen,
({6})
wenn in Jahrzehnten Schulden aufgebaut worden sind.
Wenn die Gewohnheit bestand, jedes Jahr mehr Geld
auszugeben, als man einnimmt, braucht man lange Zeit,
um da wieder herauszukommen. Das ist leider wahr.
({7})
Wir bleiben auf dem Weg. Dass das nicht einfach ist
und im dritten Jahr konjunktureller Schwäche möglicherweise noch schwieriger wird, wird keinen Moment bestritten. Deswegen sage ich ganz ausdrücklich: Wir halten die Nettokreditaufnahme bei 18,9 Milliarden Euro,
aber die Bedingungen müssen klar sein, die übrigens immer klar waren.
({8})
- Herr Kollege Rexrodt, es macht keinen Sinn, alle paar
Wochen neue Zahlen in die Welt zu setzen.
({9})
- Hören Sie einmal: Im Jahr 2000 war es andersherum.
Als ich im Herbst die 11/2 Prozent als Wachstumsprognose
genannt habe, waren wir am unteren Rand aller Prognosen. Dann sind wir auf 1 Prozent gegangen; damit befanden wir uns in der Mitte. Jetzt - da haben Sie Recht - gibt
es schon Prognosen, die deutlich darunter liegen. Das ist
nicht zu bestreiten. Es macht aber keinen Sinn, alle paar
Wochen einen neuen Haushalt aufstellen zu wollen.
({10})
- So richtig, Herr Austermann, wie Ihre Aussage am
19. Dezember, zwölf Tage vor Jahresende, als Sie gesagt
haben, dass wir 40 Milliarden Euro neue Schulden machen. Da waren es nicht einmal 32 Milliarden Euro. Eine
solche Fehleinschätzung wie Ihre hat es noch nie gegeben. Auf so etwas kann man sich also nicht verlassen.
({11})
Verehrter Herr Kollege Austermann, auch der Kollege
Faltlhauser im Bayerischen Landtag, mit dem ich manchmal streite, der aber in seinen Annahmen sauber und seriös
ist, sagt: Es gibt nur eine solide Grundlage, auf der ich
meine Haushalte aufbaue, und zwar die Steuerschätzung
im Mai, mit der ich den Haushaltsplanentwurf mache, der
ins Kabinett geht, und die Steuerschätzung im November,
auf der ich die Verabschiedung im Landtag aufbaue. - So
macht er es und so ist es auch hier immer gemacht worden,
auch vor meiner Zeit. Das war richtig und so wird es weiterhin geschehen. Es macht keinen Sinn, auf Zahlen aufzubauen, die aus der Luft gegriffen werden.
({12})
Es ist wahr, dass die 1 Prozent für das Wirtschaftswachstum 2003 risikobehaftet sind. Übrigens weiß keiner, was geschieht. Ich will jetzt bewusst nicht irgendwelche Spekulationen anstellen. Der Internationale
Währungsfonds und die Europäische Kommission haben
in unserem Auftrag solche Studien angestellt. Das hilft
uns aber nicht weiter, weil wir jetzt in eine unter Umständen etwas makabre Diskussion geraten könnten; also
lassen wir das und beschäftigen uns erst dann erneut damit, wenn und sofern die Situation dies erfordert. Auf jeden Fall ist klar: Mit der Maisteuerschätzung werden wir
eine neue, günstigere oder ungünstigere Wachstumsannahme oder aber die Bestätigung der alten Schätzung haben; darauf aufbauend - je nachdem, was sich daraus ergibt - werden wir Korrekturnotwendigkeiten erkennen
können und dann auch realisieren müssen.
({13})
Natürlich ist das, was Herr Kollege Clement und ich
verabredet haben, nämlich keinen Zuschuss zur Bundesanstalt für Arbeit zu zahlen, ein wahnsinnig anstrengendes Programm für dieses Jahr; das kann nicht bestritten werden. Darin steckt ein Risiko.
({14})
Es hat doch überhaupt keinen Zweck, darum herumzureden.
Das ist einer der Gründe dafür, dass wir mit dem Zinsverbilligungsprogramm bei der KfW auch im ersten Arbeitsmarkt gegensteuern. Das gehört doch zusammen, meine
Damen und Herren. So macht das dann auch einen Sinn.
({15})
In Bezug auf die deutsche Entwicklung halte ich Folgendes fest: Es ist eher erstaunlich, dass wir im Januar
und Februar bei der Produktion und den Auftragseingängen eine durchaus respektable Entwicklung haben, die
für sich genommen, wenn sie ungebrochen weiterginge,
die 1 Prozent ohne weiteres rechtfertigte.
({16})
- Ich weiß es doch nicht. Wissen Sie es denn? Sie haben
es nur 14 Tage vor Jahresende massiv verhauen. Deswegen wollen wir doch nicht auf Ihre Spekulationen setzen,
Herr Kollege Austermann.
({17})
Mit anderen Worten: Genauso wie für jeden Finanzminister und auch für Herrn Faltlhauser ist dies die vernünftige Grundlage, die von allen Schätzern erarbeitet
worden ist. Übrigens war falsch, was Sie gesagt haben:
Die Korrektur der Wachstumsannahme von 11/2 auf
1 Prozent aufgrund einer nachgeholten Steuerschätzung
haben wir danach im Umlaufverfahren in den Haushalt
eingearbeitet.
Nun sage ich ausdrücklich: Es ist vernünftig, den
Haushalt auf dieser Basis abzuschließen. Darin stecken
natürlich viel Anstrengung und Arbeit sowie Annahmen,
von denen wir heute wirklich nicht wissen können, ob
sie im Jahresverlauf so eintreten werden. Wir können nur
sagen, in welchem Feld wir uns bewegen. Allerdings setzen wir auch darauf, dass mit der Umsetzung des HartzKonzeptes - dabei musste übrigens auch der Finanzpolitiker manchmal sein Herz über die Hürde werfen ({18})
etwas ins Rollen kommt, was dann auch zu Bewegung
am Arbeitsmarkt führt. Auch diese Hoffnung steckt
selbstverständlich darin.
({19})
Zum zweiten Aspekt, meine Damen und Herren: Die
Konsolidierung geht also voran.
({20})
- Herr Austermann, wenn Ihrer Ansicht nach zwischen
den 230 Milliarden Euro von 1994 bis 1998 bei Ihnen
und den 40 Milliarden Euro von 1999 bis 2002 bei uns
kein riesiger Unterschied besteht, dann können Sie mit
Zahlen wirklich nicht umgehen.
({21})
- Gut, nehmen wir die Einnahmen aus UMTS hinzu, die
Sie auch gern noch ausgegeben hätten. Ich bin froh, dass
ich sie für den Schuldenabbau eingesetzt habe; das
musste ich auch erst durchkämpfen. Dann bleibt immer
noch ein Verhältnis von 230 zu 90 Milliarden Euro, angesichts dessen Sie immer noch sehr schlecht aussehen.
Deswegen haben Sie es auch nicht gern, wenn man ein
wenig über die Aktivitäten redet, die unternommen wurden, solange Sie die Verantwortung trugen.
Der zweite große Aspekt für die Finanzpolitik lautet:
Die Qualität des Budgets muss besser werden. Wir brauchen also mehr Geld für die Zukunftsbereiche, aber nicht
nur mehr Geld. Dazu gehören auch strukturelle Reformen.
({22})
Meine Damen und Herren, ich könnte mich totlachen,
wenn ich mir allein ansehe, wie windig Ihr Investitionsbegriff ist. Wenn es Ihnen nämlich passt, dann rechnen
Sie - so ist das im Bundeshaushalt; deswegen können
Sie diese Elemente eigentlich gar nicht gebrauchen - die
Gewährleistungen mit hinein. Was heißt denn das? Wenn
unsere Schuldner ihre Schulden nicht bezahlen, dann
müssen wir bezahlen; dies erhöht unsere Investitionen.
Welch unsinnigen Investitionsbegriff legen Sie da zugrunde, meine Damen und Herren?
({23})
Auch unter diesem Aspekt sind wir sogar oben, obwohl bei uns die Gewährleistungen heruntergingen, weil
wir zum Beispiel mit Russland Gott sei Dank einen
Schuldner haben, der solide bezahlt. Das wäre sonst ein
riesiges Haushaltsrisiko.
Die Verkehrsinvestitionen haben einen historischen
Höchststand erreicht. Es kommt doch nicht auf die
Hochbauinvestitionen an
({24})
- sie wären in einem übersättigten Wohnungsmarkt völlig falsch -, sondern auf die Verkehrsinvestitionen.
Was haben Sie, meine verehrten Damen und Herren,
im Bereich Bildung und Forschung gemacht? Das habe
ich mir nun gerade einmal herausgesucht, weil Sie das
genannt haben, Herr Merz; das hätten Sie besser nicht
getan. Das war die Sparbüchse meines Vorvorgängers
Theo Waigel.
({25})
Seit 1993 haben Sie den Etat kontinuierlich von damals
umgerechnet 7,6 Milliarden Euro auf 7,2 Milliarden
Euro im Jahr 1998 heruntergefahren. Seit jenem Jahr
geht der Etat für Bildung und Forschung kontinuierlich
nach oben. Ich muss gleichzeitig dazu sagen, dass wir
die Ausgaben für das BAföG aus diesem Etat ausgegliedert haben und dass wir die Kosten für die Ganztagsschulen zusätzlich eingestellt haben.
Ich wiederhole: Während Sie 1998 7,2 Milliarden Euro
für Bildung und Forschung im Haushalt hatten, haben
wir an dieser Stelle jetzt knapp über 9 Milliarden Euro.
Das ist der Unterschied zwischen Ihrem Reden und unserem Handeln.
({26})
Sie haben selbstverständlich Recht: Die Förderung von
Investitionen in diesem Bereich gehört zur Sicherstellung
der Zukunftsfähigkeit. Ich stimme dem Kanzler zu, dass wir
noch nicht da sind, wo wir hin wollen. Wir sind zwar besser
als die anderen großen Länder Europas, aber die kleinen
Länder wie die skandinavischen Länder sind besser.
({27})
Natürlich müssen wir in diesem Bereich weiter vorankommen. Aber jeder von Ihnen weiß doch: Wer solche
Schulden auf dem Buckel hat und so viel Zinsen zahlen
muss, der ist bei der Investitionsfähigkeit eingeschränkt.
Man muss erst die Schulden mühselig zurückfahren
({28})
und darf keine neuen Ausgabenwünsche äußern, wie Sie
das gemacht haben.
({29})
Wir haben die Ausgaben für Bildung und Forschung
nach oben gefahren. Aber in Bezug auf Ausbildungsplätze muss ich der Wirtschaft mit allem Nachdruck sagen: Die Verantwortung für die Ausbildungsplätze hat
die Wirtschaft in Deutschland.
({30})
Angesichts der Zumutungen, die der Kanzler den Arbeitnehmern und Arbeitslosen am vergangenen Freitag angekündigt hat, kann es nicht so sein, dass auf der anderen
Seite die eindeutige Verpflichtung der Wirtschaft, allen
ausbildungswilligen und ausbildungsfähigen jungen
Menschen einen Ausbildungsplatz zu garantieren - dazu
hat sich die Wirtschaft im Bündnis für Arbeit früher bekannt -, nicht erfüllt wird. Ich erwarte von allen Präsidenten der großen Wirtschaftsverbände, von allen Präsidenten der Industrie- und Handelskammern, von allen
Präsidenten der Handwerkskammern und von den Obermeistern aller Innungen - viele haben das früher getan;
ich hoffe, dieses Jahr wieder -, dass sie sich alle persönlich darum bemühen, dass alle jungen Leute einen Ausbildungsplatz bekommen.
({31})
Dritter Aspekt. Neben Schuldenreduzierung und Verbesserung der Qualität im Bereich Bildung und Forschung durch mehr Investitionen ist der Subventionsabbau ein wesentliches Element.
({32})
- Ja, sicher. Das ist für Sie ein blamables Kapitel, mein
sehr verehrter Herr Kollege.
({33})
Die Finanzhilfen, die bei Ihnen ein Volumen von
11,4 Milliarden Euro hatten, sind in diesem Haushalt auf
7,7 Milliarden Euro gesunken. Das sind 30 Prozent weniger.
({34})
- Richtig. Sie haben Recht: Dazu gehört auch die Kohle;
die Kohlesubvention wird ständig heruntergefahren, obwohl Sie ständig etwas anderes sagen. Wenn Sie bei den
Agrarsubventionen nur einen Bruchteil dessen gekürzt
hätten, was wir bei der Kohle ständig machen, dann sähe
die Welt schon ganz anders aus.
({35})
Herr Bundesminister, Sie haben die vereinbarte Redezeit schon um über sechs Minuten überzogen.
({0})
Sie dürfen als Bundesminister natürlich weiterreden,
aber es geht zulasten der Redezeit Ihrer Fraktionskollegen.
Ich werde sehr schnell diese Rede beenden. - Subventionsabbau ist ein Punkt auf der Ausgabenseite. Ich
weise Sie aber darauf hin, dass es genauso auf der Steuerseite - das ist völlig widersprüchlich - Subventionen
gibt. Sie haben zum Beispiel die Eigenheimzulage und
den halben Mehrwertsteuersatz für Zahntechniker selber
so definiert. Daran sieht man die Scheinheiligkeit Ihrer
Argumentation: Wenn es ernst wird, stellen Sie sich vor
jede Lobbygruppe. Vorher verkünden Sie Allgemeinplätze, denen aber hinterher keine Taten folgen.
({0})
Der Bundesrat und der Bundestag - vielleicht weniger
die Oppositionsfraktionen und Regierungsfraktionen in
diesem Hause - haben eine gemeinsame Verantwortung.
Deswegen sage ich Ihnen zum Schluss ganz klar: Wir
werden unsere Verpflichtungen aus dem Stabilitätspakt
erfüllen.
({1})
Diejenigen, Herr Kollege Rexrodt, die wie Sie oder wie
die CDU/CSU im vergangenen Herbst unter Inkaufnahme aller Brüche der europäischen Verantwortung
noch Programme in zweistelliger Milliardenhöhe verkündet haben, können sich heute nicht als Wächter des
Stabilitätspaktes aufspielen.
({2})
Wir haben die Steuersenkung verschoben, um die
Flutaufbauhilfe ohne Schulden zu finanzieren.
({3})
Genau das ist passiert. Anderenfalls hätten wir
7 Milliarden Euro weniger in der Kasse. Sie haben aber
ganz andere Versprechungen gemacht.
({4})
Wir bleiben dabei - die europäischen Finanzminister
sind sich samt und sonders darin einig -: Der Pakt wird
angewandt. Er ist ein ökonomisches Instrument. Die Anwendung liegt in europäischer Verantwortung, wobei
einstimmig entschieden werden muss.
({5})
- Genau: 3 Prozent sind 3 Prozent. - Das heißt dann
auch, Deutschland wird in diesem Jahr - das haben Sie
vom Generaldirektor für Finanzen und Wirtschaft hören
können ({6})
in einer Schwächephase, wenn also das Wachstum unter
1 Prozent liegt, nicht angehalten werden, zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen. Dann wird hingenommen, dass wir
das 3-Prozent-Kriterium überschreiten. Das ist nichts weiter als die Anwendung der automatischen Stabilisatoren.
({7})
Dieser Generaldirektor ist übrigens derjenige, der unter Herrn Waigel federführend den Stabilitäts- und
Wachstumspakt erarbeitet hat. Das müssten Sie eigentlich besser wissen als ich.
({8})
Mit anderen Worten: Die entscheidende Frage ist, ob
wir uns im Ecofin oder im Rat der Staats- und Regierungschefs, im Europäischen Rat, bei der Anwendung
des Vertrages dem Geist und dem Buchstaben dieses
Vertrages einstimmig verpflichtet fühlen oder nicht. Die
Bundesregierung tut das.
({9})
Genauso haben wir uns die ganze Zeit über verhalten,
selbst in Wahlkampfzeiten, als Sie Versprechungen gemacht haben, die mit nichts zu begründen waren.
({10})
Fazit: In diesem Haushalt wird die Konsolidierung
konsequent weitergeführt.
({11})
Dieser Haushalt tut mehr für Investitionen in Bildung und
Forschung und mehr für den Subventionsabbau als jeder
Haushalt zuvor und verdient deswegen nicht nur Zustimmung, sondern lässt auch die entsprechende Beteiligung
der Länder, die haushaltsautonom sind, im Bundesrat erwarten. Was in Länderverantwortung nicht geschieht,
müssen die Länder selber verantworten. Deren Verantwortung kann die Bundesregierung nicht übernehmen.
({12})
Das Wort hat jetzt der Kollege Professor Andreas
Pinkwart von der FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesfinanzminister, wir haben soeben eine
kurze Geschichtsstunde - man könnte auch sagen: Märchenstunde - zur deutschen Einheit erlebt.
({0})
Es waren doch die SPD-Ministerpräsidenten, die sich
anlässlich der Entscheidung über das Föderale Konsolidierungsprogramm vom Bund die Stimmen haben abkaufen lassen. Allen voran Oskar Lafontaine war es gewesen, der sich für das Saarland eine milliardenschwere
Bundesergänzungszuweisung hat durchreichen lassen,
um für die deutsche Einheit stimmen zu können, der er
vorher gewaltig entgegengetreten war. Das ist doch die
Wahrheit in der Betrachtung der deutschen Einheit.
({1})
Ich möchte Ihnen einmal in Zahlen dokumentieren,
was der Bundesfinanzminister hier vorgetragen hat.
({2})
- Wenn Sie zuhören würden, könnten Sie etwas lernen.
({3})
Sie könnten dann zur Kenntnis nehmen, welche Defizitzahlen der Euroländer der Bundesfinanzminister, den Sie
stellen, in einer öffentlichen Verlautbarung hat feststellen lassen. Hier muss Klartext gesprochen werden. Sie
haben 1998, als Sie in die Regierung gekommen sind,
ein öffentliches Defizit von minus 2,2 Prozent übernommen. Das entsprach exakt dem Defizit des Euroraums.
Jetzt zitiere ich die Erklärung des Herrn Bundesfinanzministers vom Januar 2003; dies ist eine öffentliche Bekanntgabe der Defizitzahlen für den OECD-Raum. Da
lesen wir: Italien minus 2,4 Prozent, Niederlande minus
0,8 Prozent, Spanien 0 Prozent, Schweden plus 1,4 Prozent und Finnland plus 3,6 Prozent. Die Bundesrepublik
Deutschland ist in dieser Auflistung mit minus 3,8 Prozent das absolute Schlusslicht. - Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.
({4})
Wenn der Bundesfinanzminister sagt, dass Rot-Grün
auf Bundesebene einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung geleistet hat, tatsächlich sich aber das gesamtstaatliche Defizit seit 1998 dramatisch verschlechtert hat, dann
ist das nur auf eines zurückzuführen: Sie haben die Belastung systematisch auf Länder und Kommunen abgewälzt und insgesamt mit Ihrer Politik das gesamtstaatliche Defizit erhöht.
Sie, Herr Eichel, sind hier als Sparminister angetreten, aber immer dann, wenn eine kleine, eine mittlere
oder auch eine größere Krise am Horizont aufzieht, setzen Sie auf Steuererhöhungen. Statt das Vertrauen in die
Finanzmärkte zu stärken, haben Sie nach dem 11. September als erste Maßnahme die Tabak- und Versicherungssteuer erhöht. Statt die Flutwelle zum Anlass zu
nehmen, Subventionen abzubauen, haben Sie die fest zugesagten Steuersenkungen verschoben. Statt in der
schweren Konjunkturkrise, in der wir uns jetzt befinden,
die Steuern zu senken, haben Sie gegen jeden wirtschaftlichen Sachverstand über 40 Steuererhöhungsmaßnahmen durch den Deutschen Bundestag gepeitscht. Sie,
Herr Eichel, kämpfen mit dieser Politik gegen Ihre eigenen Windmühlen. Don Quijote lässt grüßen.
Der Abbau von Steuervergünstigungen macht nur
Sinn, wenn Sie gleichzeitig die Steuersätze senken. Das
tun Sie aber nicht; Sie verschieben die Steuersenkung,
die Sie fest zugesagt haben, und wollen jetzt die Bemessungsgrundlage verbreitern. Damit zerstören Sie bei den
Verbrauchern und Investoren das Vertrauen in Ihre Politik. Damit gefährden Sie nicht nur Ihre eigenen Wiederwahlchancen, sondern Sie zerstören auch den konjunkturellen Pfad.
Sie haben nicht nur die Stabilitätskriterien verfehlt,
Sie haben vor allen Dingen auch den zweiten Teil - das
ist auch Ursache für die schlechte wirtschaftliche Situation - des Stabilitäts- und Wachstumspakts verfehlt.
Sie setzen nämlich keine hinreichenden Ansätze für die
Förderung des Wachstums.
({5})
Das haben Sie, Herr Eichel, am vergangen Mittwoch im
Finanzausschuss offenbart. Sie haben dort nach einer gewissen Buchhaltermethode gesagt, ein Euro Minderausgabe durch Einsparung entspräche in der Wirkung genau
einem Euro Mehreinnahme durch Steuererhöhung. Dieses Denken haben Sie auf Nachfragen mit Verteilungsgerechtigkeit begründet. Sehr geehrter Herr Eichel, wer
Verteilungspolitik der Wachstumspolitik vorzieht - das
scheint offensichtlich Ihr Kurs zu sein -, der wird am
Ende nichts mehr zu verteilen haben. Das sehen wir an
dem jetzt von Ihnen vorgelegten Haushalt 2003.
({6})
Wir fordern Sie daher auf: Ziehen Sie Ihr Nettoeinkommenssenkungsgesetz endlich zurück, verzichten Sie
auf Ihr Placeboprogramm zur Konjunkturstützung und
stellen Sie endlich unmissverständlich klar, dass Sie die
Steuern wirklich senken wollen! Ziehen Sie die letzte
Steuerreformstufe vor, stellen Sie die Signale endlich auf
Steuervereinfachung! Wenn Sie es mit der Steuervereinfachung, die auch von Herrn Bundeswirtschaftsminister
Clement angekündigt worden ist, wirklich ernst meinen,
Herr Bundesfinanzminister, dann vermag ich nicht zu
verstehen, dass Sie uns im Finanzausschuss am Mittwoch noch erklärt haben, bei der Gemeindefinanzreformkommission zielten Sie darauf ab, entweder am alten Zopf festzuhalten oder aber, auch das könnten Sie
sich sehr gut vorstellen, die Gewerbesteuer ganz abzuschaffen. Diese beiden Alternativen haben Sie uns am
vergangenen Mittwoch vorgetragen.
Herr Kollege Pinkwart, kommen Sie bitte zum
Schluss.
- Ich komme zum Schluss. - Noch am Mittwoch hat
Ihre Finanzstaatssekretärin ausweislich von Presseberichten erklärt, die Bundesregierung ziele in der Gemeindefinanzreformkommission darauf ab, an der Gewerbesteuer festzuhalten. Am vergangenen Freitag hat der
Bundeskanzler Sie mit seiner Erklärung auf die Beibehaltung und Reanimierung der Gewerbesteuer festgelegt.
Sehr geehrter Herr Finanzminister, damit ist Ihre großartige Aufgabe als Vorsitzender der Gemeindefinanzreformkommission der Bundesregierung endgültig gescheitert. Sie setzen auf einen alten Gaul, statt endlich
die deutsche Wirtschaft von der unnötigen, konjunkturanfälligen und überbürokratischen Gewerbesteuer zu
entlasten.
Herzlichen Dank.
({0})
Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig von Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mich hat die bisherige Diskussion irritiert. Wir gehen in
diesen Stunden auf den Irakkrieg zu und gleichzeitig stehen wir alle vor der schwierigen Aufgabe, Haushaltskonsolidierung und Beförderung des Wirtschaftswachstums zu leisten. Das ist keine Aufgabe, die nur
eine Seite dieses Hauses erledigen muss und die andere
nicht. Vor dieser Aufgabe stehen wir gemeinsam und daher muss ich sagen: Es irritiert mich ungemein, dass Sie
Ihre alten Reden recyceln, statt mit Nachdenklichkeit
und Einsicht Ihre eigene Mitverantwortung zur Lösung
der Probleme - sie sind weiß Gott groß genug - ernst zu
nehmen und sich aktiv und konstruktiv einzubringen.
Das fehlt seit Jahr und Tag, das fehlt bis heute.
({0})
Sie begreifen einfach nicht, dass wir uns längst nicht
mehr in den Zeiten dümmlicher Besserwisserei befinden,
sondern dass wir in der Gesamtverantwortung stehen,
um dieses Land durch das wirklich schwierige Fahrwasser, in dem wir uns innen- wie außenpolitisch befinden,
zu steuern. Ich würde mir wirklich wünschen, dass wir
endlich in diese Diskussion gemeinsam einsteigen. Ich
sage es ganz konkret: Der Kanzler hat am letzten Freitag
damit begonnen.
({1})
Er hat Strukturreformen vorgeschlagen,
({2})
die auch einen Teil der Forderungen erfüllen, die Sie seit
Jahr und Tag erheben. Insofern wäre es Ihre Aufgabe,
sich auf diese Punkte konstruktiv zu beziehen.
Kollege Rexrodt, Sie sagten: „Das war aber ein bisschen spät.“ Als Sie Ihre Forderungen aufgelistet haben,
habe ich nur gedacht: Meine Güte, war die FDP nun
32 Jahre lang an der Regierung beteiligt, was hat sie von
ihren eigenen Forderungen erfüllt?
({3})
Davon ist nie viel zu hören und zu sehen gewesen.
({4})
Ich möchte deutlich sagen, um welche Zielkonflikte
es geht; denn aus meiner Sicht ist die Situation zu ernst,
um hier dauernd Pingpong zu spielen:
Erstens. Der traditionelle Sozialstaat, der durch Umverteilung finanziert wird, ist an seine Grenzen gekommen.
Zweitens. Wir können Wirtschaftswachstum nicht auf
Pump finanzieren, sondern brauchen eine ausgewogene
Mischung aus Haushaltskonsolidierung und Stärkung
der Wirtschaft.
({5})
Das ist eine ganz schwierige Gratwanderung. Wir
stellen uns diesen Aufgaben und müssen mühselig lernen, was das für harte Herausforderungen sind, gerade
für Rot-Grün. Ich möchte Sie jedoch auffordern, das Ihrerseits zu verstehen; denn alle, Staat, Wirtschaft und
Gesellschaft, müssen ein Stück einbringen, damit die
Bewältigung dieser Aufgaben in Zukunft gelingen kann.
({6})
Das heißt ganz deutlich: Wir verteidigen den Konsolidierungskurs, wir verteidigen ihn auch gegen Ihre Verführung, wir sollten mehr Schulden machen.
({7})
- Schauen Sie sich doch Ihre Anträge an, Kollege Austermann. Allein im Verkehrsbereich haben Sie Anträge
mit einem Umfang von über 1 Milliarde Euro Mehrkosten gestellt.
({8})
Es ist wirklich unverschämt, mit welcher Scheinheiligkeit - ({9})
- Jetzt bin ich es wirklich leid. Ich wollte eine konstruktive Rede halten,
({10})
aber ich lasse mir Ihr Verhalten nicht gefallen. Sie machen den großen Schwarzmaler und reden davon, die
Regierung halte die Maastricht-Kriterien nicht ein, weil
sie das Defizitkriterium nicht einhält, und gleichzeitig
stellen Sie Forderungen, wir brauchten hier und da und
dort mehr Geld. Allein im Verkehrsbereich handelt es
sich um über 1 Milliarde Euro.
({11})
Als Drittes dröseln Sie das Steuervergünstigungsabbaugesetz auf und tun so, als hätten Sie auf Länderebene nichts
mit den Maastricht-Kriterien zu tun. Als Viertes beschweren Sie sich, die Bundesregierung würde in den Ländern
und Kommunen nicht genügend Geld lassen. Diese Musik
kennen wir in- und auswendig. Entweder haben Sie den
PISA-Schulungskurs nicht kapiert oder Sie lügen die Bevölkerung systematisch an und streuen den Menschen Sand
in die Augen, statt ehrlich zu sagen, was geht und was nicht.
({12})
Das ist Ihre Verantwortung, Kollege Austermann. Das
bezieht sich auch auf den Kollegen Merz und auf das,
was er vorhin an Quatsch gesagt hat. Er kann offenbar
nicht einmal die Haushaltsanträge, die eingebracht wurden, lesen.
({13})
Es ist eine Unverschämtheit, zu sagen, dieser Haushalt
sei eine Karikatur.
Dieser Haushalt ist die mühselige Gratwanderung, der
wir uns stellen mussten. Ihre Verantwortung lag unter
anderem darin, dass Sie uns einen Riesenschuldenberg
hinterlassen haben. Wir wissen alle, dass er zum Teil der
Vereinigung geschuldet ist.
({14})
Deswegen bringt es überhaupt nichts, hier ständig hinterherzutreten. Die Aufgabe muss gelöst und die Situation
darf nicht durch Besserwisserei schlecht geredet werden.
({15})
Sie behaupten ständig - das hat eben auch Herr Pinkwart gemacht -, wir würden die Steuern erhöhen. Sie haben noch gar nicht gemerkt, welch anspruchsvolles Steuerreformkonzept
({16})
wir längst beschlossen haben. Die ersten Schritte sind
bereits eingeleitet. Fragen Sie sich lieber selbst, warum
Sie die Steuern immer hoch getrieben haben.
Wir haben bereits den Eingangssteuersatz von 25,9 auf
19,9 Prozent und den Spitzensteuersatz von 53 Prozent
auf 48,5 Prozent gesenkt.
({17})
Wie der Kanzler gesagt hat, werden wir diese Steuerreform in den Jahren 2004 und 2005 wie beschlossen weiterführen. Dann werden wir den Eingangssteuersatz auf
15 Prozent und den Spitzensteuersatz auf 42 Prozent
senken. Seien Sie ehrlich: Sie sind unheimlich neidisch,
dass Ihnen das in Ihrer Regierungszeit nicht gelungen
ist, obwohl Sie das immer groß propagiert haben.
({18})
- Ja, Kollege Rexrodt, Sie sind gemessen an den Worten
der Größte und gemessen an den Taten der Kleinste. Das
muss man einfach einmal sagen.
({19})
Ich bin in großer Sorge um den Streit in der Kommission
zur Erarbeitung einer Gemeindefinanzreform. Momentan mündet das Engagement, die Gemeindefinanzen wirklich auf eine solide Basis zu stellen, in einem Hickhack, das
der Problematik nicht angemessen ist. Kollege Rexrodt,
ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, Ihrer Variante zu folgen, den Kommunen ein eigenes Einkommen- und Körperschaftsteuerhebesatzrecht zu geben. Das erhöht die
Bürgermeisterkonkurrenz und den Streit zwischen den
großen Kommunen, den Städten, die die großen sozialen
und die mit entsprechend hoher Arbeitslosenquote verbundenen Probleme zu schultern haben, und den Umlandkommunen, für die sehr viel günstigere Bedingungen gelten.
({20})
Die können sich dann einen niedrigen Hebesatz leisten,
während die großen Städte auf jeden Euro angewiesen
sind.
({21})
Richtig ist das, was wir propagieren, nämlich dass die
Gewerbesteuer so weit stabilisiert wird,
({22})
dass dadurch die Grundfinanzierung der Kommunen bestritten werden kann. Werben Sie also nicht ständig für
die Abschaffung und streuen Sie den Unternehmen diesbezüglich nicht Sand in die Augen. Die Kommunen
brauchen diese Steuern dringend.
({23})
Nur wenn es uns gelingt, diese Gemeindefinanzreform zum 1. Januar 2004 in konstruktiver Weise auf den
Weg zu bringen, können wir den Kommunen das geben,
was sie brauchen, um ihre Investitionen zu tätigen, was
wir wiederum für die Wirtschaft brauchen.
In diesem Sinne wünsche ich mir, dass Sie mit Ihrer
Besserwisserei allmählich zum Schluss kommen und
konstruktiv an den Aufgaben dieses Landes arbeiten.
({24})
Wenn Sie es nicht machen, werden wir weiter vorangehen und wir werden es schaffen. Die Einsicht wird es
alle Beteiligten lehren.
({25})
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans Michelbach von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig: Die Menschen machen sich heute
ernsthafte Sorgen: wegen eines kriegerischen Konfliktes,
aber auch wegen der ökonomischen Abwärtsspirale und
der zunehmenden Hilflosigkeit der Bundesregierung. Immer mehr Menschen in Deutschland erkennen: Deutschland wurde in den letzten 50 Jahren noch nie so schlecht
regiert wie heute.
({0})
Das gilt insbesondere für die Finanz-, Haushalts- und
Wirtschaftspolitik.
Herr Eichel, Sie haben heute nur noch eine für mich
unredliche Verteidigungsrede gehalten. Bei der Einbringung des Bundeshaushaltes haben Sie keine neuen Perspektiven und keine neuen Ziele aufgezeigt. Sie haben
sich nur noch verteidigt. Das ist zu wenig, Herr Bundesminister. Das führt zu keinem Aufbruch, sondern verstärkt nur die Abwärtsspirale. Sie sind der Abwärtsspiralenminister.
({1})
Unsere Wirtschaft steckt in der schwersten Krise seit
Jahrzehnten und das können Sie, Herr Bundesfinanzminister, nicht auf den bedauerlichen Konflikt im Irak
schieben. Die Risiken, die dieser Haushalt enthält, sind
hausgemacht. Jeden Tag gehen über 100 Firmen in die
Pleite. Jeden Tag werden 6 000 Arbeitnehmer arbeitslos.
Viele von diesen Menschen hätten heute Arbeit und würden Steuern zahlen, wenn Sie, Herr Eichel, nicht regieren würden. Das sind Tatsachen, die heute anzusprechen
sind.
({2})
Wir haben es in Deutschland mit einer Abwärtsspirale
zu tun, an deren Folgen wir leider noch sehr lange zu tragen haben werden: Die Staatsverschuldung ist auf einen
Rekordwert von 1 300 Milliarden Euro gestiegen. Mit
knapp 50 Prozent haben wir die vierthöchste Staatsquote
der Welt. Der Staatsanteil frisst inzwischen 56 Prozent
des Volkseinkommens auf. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt sowie unsere gemeinsame europäische Währung werden zunehmend beschädigt. Der Wachstumsverlust gegenüber anderen Ländern in der EU wird
immer größer. Mit einer durchschnittlichen Steuerbelastung von 36 Prozent sind wir europaweit Schlusslicht.
({3})
Mit einer Grenzsteuerbelastung von 29,8 Prozent liegen
wir in der Europäischen Union auf dem vorletzten Platz.
Von 100 Euro Arbeitslohn beansprucht unser Staat, Herr
Eichel, leistungsfeindliche 66 Euro an Steuern und Abgaben. Beim Vergleich des durchschnittlichen Pro-KopfEinkommens sind unsere Bürger seit 1998 auf der Weltrangliste von Platz 7 auf Platz 13 abgestürzt. - Unsere
Bürger sind durch Rot-Grün also immer ärmer geworden. Auch das ist eine Tatsache, die ich hier ansprechen
muss.
({4})
Auf diese Misere kennt Rot-Grün nur eine Antwort,
die geradezu absurd ist: neue Steuererhöhungen, noch
mehr Schulden und Flickschusterei durch viele Einzelgesetze. Was für ein Irrweg! Eine solche Politik treibt
uns nur noch mehr in die Krise.
Welches System hinter dieser Politik steckt, hat uns
Herr Müntefering entwaffnend erklärt. Er hat gefordert,
wir sollten weniger Geld für den privaten Konsum haben
und dem Staat Geld geben, damit er seine Aufgaben erfüllen könne. Das ist nichts anderes als Staatswirtschaft à
la DDR-Ökonomie. Das sind die Grundlagen Ihrer ökonomischen Arbeit!
({5})
Zu Beginn dieses Jahres haben die Menschen bemerkt: Rot-Grün führt zu immer mehr Steuern, mehr
Abgaben und mehr Belastungen. Eine Durchschnittsfamilie hat Monat für Monat bis zu 270 Euro weniger in
der Tasche.
({6})
17 Milliarden Euro an Ökosteuer kassieren Sie bei den
Bürgern und den Betrieben in diesem Jahr ab. Das muss
deutlich werden.
({7})
Meine Damen und Herren, Deutschland braucht mehr
Freiraum, mehr Markt, mehr Wettbewerb und nicht mehr
Regulierung und mehr Belastung. Deutschland braucht
einfach eine wachstumsorientierte Politik, die Unternehmern und Arbeitnehmern Entfaltungsmöglichkeiten
lässt, die Leistungsbereitschaft fördert und nicht immer
nur behindert.
({8})
Herr Bundesfinanzminister Eichel, wenn Sie von
Wachstumspolitik reden, dann ist das für mich so, als
wenn eine bayerische Kuh vom Sonntag spricht. Die Widersprüchlichkeiten Ihrer Finanzpolitik gehen auf keine
Kuhhaut, zumindest auf keine bayerische Kuhhaut: Sie erhöhen erst die Steuern, weil angeblich kein Geld vorhanden ist, und würgen so die Konjunktur ab, gleichzeitig machen Sie aber neue Schulden, um die Konjunktur wieder
anzukurbeln. Der Bundeskanzler beharrte am Freitag auf
den Steuererhöhungen durch das Steuervergünstigungsabbaugesetz und der Kürzung der Eigenheimzulage und
kündigte am gleichen Tag ein Kreditprogramm für die
Bauwirtschaft an. Mit der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage entziehen Sie, Herr Bundesfinanzminister, den
Kommunen in vier Jahren rund 10 Milliarden Euro und
bieten ihnen gleichzeitig billige Kredite an. Was denn nun,
Herr Eichel? Sie sind vielleicht kein Spielverderber, wie
Sie es vorhin gesagt haben, aber ein Mann voller Widersprüchlichkeiten in der Finanzpolitik. Das muss heute
deutlich werden. Mit diesem Haushalt haben Sie die Realitäten der Finanzpolitik aus den Augen verloren.
({9})
Deutschland braucht jetzt wirklich einen Weg aus der
Wachstums- und Haushaltsfalle und keine finanzpolitische rot-grüne Gesundbeterei.
({10})
Deutschland braucht einen Kurswechsel in der Finanzpolitik. Der Staat darf auf Dauer nicht mehr ausgeben,
als er einnimmt; denn die Schulden von heute sind die
Steuern von morgen.
({11})
Hierzu wird eine zielführende Gesamtkonzeption in der
Finanz- und Steuerpolitik benötigt, die bei den Bürgern
wieder Vertrauen und bei den Betrieben wieder Planungssicherheit schafft. Nur wer Vertrauen hat, nimmt
Herausforderungen an und meistert sie. Ihr Problem in
der Finanz- und Steuerpolitik ist, dass Sie jede Glaubwürdigkeit und jegliches Vertrauen verloren haben, weshalb die Bürger nicht mehr konsumieren und die Investoren nicht mehr investieren. Deshalb brauchen wir in
der Steuer- und Finanzpolitik einen klaren Kurswechsel
und eine klare ordnungspolitische Linie.
({12})
Meine Damen und Herren, in der Steuerpolitik gibt es
natürlich eine klare Lösung: Insbesondere muss auf neue
Steuererhöhungen verzichtet werden. Natürlich müssen
Sie auch die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit
stärker vorantreiben, um die Zahl der Beitragszahler zu
erhöhen. Mehr Arbeitslose bedeuten weniger Beitragszahler, weniger Steuerzahler, weniger Kreativität und
weniger aktive Menschen in unserem Land. Wenn Sie
das Grundübel der Arbeitslosigkeit nicht besser anpacken, kann Deutschland nicht aus der Wachstums- und
Haushaltsfalle herauskommen. Durch eine Senkung der
Arbeitslosigkeit um nur 100 000 Personen kann ein
Konsolidierungsbeitrag von 2,5 Milliarden Euro pro Jahr
erwirtschaftet werden. Deshalb muss es wachstums- und
beschäftigungsfördernde Maßnahmen geben. Das sind
die Grundlagen für eine neue Finanz- und Steuerpolitik.
({13})
Auf neue Steuererhöhungen muss verzichtet werden
und es muss ein zielführendes Steuerabbauprogramm
mit einem klaren Plan für mehr Steuervereinfachungen
und Steuergerechtigkeit geschaffen werden.
({14})
Dieses Gesamtsteuerkonzept muss natürlich inklusive
aller Herausforderungen der Steuerpolitik erstellt werden.
({15})
Natürlich muss mit diesem Konzept der Forderung des
Bundesverfassungsgerichtes zur gleichen Besteuerung
der Alterseinkünfte nachgekommen werden. Die Abgeltungsteuer auf Kapitaleinkommen ohne Kontrollmitteilungen sollte in den Bereich der Einkommensbesteuerung eingebettet sein.
({16})
Es ist ganz klar: Wir haben schon sehr lange eine Gesamtkonzeption in der Steuerpolitik gefordert. Hierzu
gehört natürlich auch eine Gemeindefinanzreform. Als
Substanzsteuer ist die Gewerbesteuer natürlich auch Teil
der gesamtsteuerlichen Belastung. Mit Ihrer rot-grünen
Steuerreform haben Sie die Mittelständler gegenüber
den großen Kapitalgesellschaften massiv benachteiligt.
Im Jahre 2000 haben die Kapitalgesellschaften noch
23 Milliarden Euro Körperschaftsteuer abgeführt. Im
Jahre 2001 haben die Finanzminister 400 Millionen Euro
ausgezahlt. Bei Ihnen ist aus einer Einnahmequelle ein
Ausgabenposten geworden.
Rot-Grün hat die Steuerbelastung insbesondere zulasten der mittelständischen Unternehmen umverteilt.
Für die großen Kapitalgesellschaften gilt seit 2001 der
definitive Steuersatz von 25 Prozent. Zuzüglich der Gewerbesteuerlast werden sie mit insgesamt 38 Prozent belastet.
({17})
Dagegen sollen 80 Prozent der Unternehmen in Deutschland, die Personengesellschaften, erst 2005 auf 42 Prozent entlastet werden. Das haben sich diese Personengesellschaften auch noch teuer erkauft; denn gleichzeitig
müssen sie aufgrund der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage die Mehrbelastung schon heute tragen. Ich
nenne als Beispiel die Verschärfung der Abschreibungsfristen. Damit haben die Personengesellschaften die heutige Entlastung der Kapitalgesellschaften finanziert. Das
ist ungerecht. Deswegen brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn sich die Mehrheit der Personengesellschaften
innerlich verweigert und nicht mehr investiert.
({18})
Aus diesem Grunde rufe ich Sie zu einem vertrauensbildenden Steuermoratorium auf. Die Steuerpolitik in
Deutschland bedarf eines Kurswechsels. Wir brauchen
eine umfassende Reform unseres Steuersystems mit Abbau der Nachteile für den Mittelstand und einer wirklichen Nettoentlastung für Bürger und Betriebe, keine
Steuererhöhungen. Das Ziel muss ein einfaches, transparentes, gerechtes und nachvollziehbares Einkommensteuerrecht mit niedrigen Steuersätzen und weitgehendem Verzicht auf Besteuerungsausnahmen sein.
Hierzu gehört eine rechtsgültige Abschaffung der
Vermögensteuer und eine Neuregelung der Erbschaftsteuer im Falle einer Unternehmensfortführung genauso
wie eine Soforthilfe für die Kommunen, die zum 1. Januar 2004 eine wirtschafts- und ertragsbezogene Gemeindefinanzreform benötigen. Dies würde dann das
erste Steuergesetz ohne neue Belastungen für die Wirtschaft sein. Wir brauchen keine neuen Steuererhöhungen
unter dem Stichwort der Revitalisierung der Gewerbesteuer mit Substanzbesteuerung von Mieten, Pachten,
Zinsen und Leasingraten! Das, was der Bundeskanzler
zur Gemeindefinanzreform am Freitag vorgetragen hat,
ist eine reine Steuererhöhung.
({19})
Wir haben für die mittelständischen Firmen eine Steuererhöhung zwischen 30 und 40 Prozent ausgerechnet,
wenn man die Besteuerung von Mieten, Pachten, Zinsen
und Leasingraten hinzurechnet, wie das von den kommunalen Spitzenverbänden und vom Bundeskanzler vorgeschlagen wurde. Das ist der neue Irrweg. Wir brauchen
eine Gemeindefinanzreform, mit der wirtschaftsbezogen
eine gerechte Lösung nach den Erträgen geschaffen wird.
Alles andere wäre eine neue Substanzbesteuerung, die
die Betriebe letzten Endes in die Illiquidität führt. Vielmehr müssen Sie dafür sorgen, dass die Betriebe zahlungsfähig bleiben. Darum geht es.
({20})
Deutschland braucht ein neues Verhältnis zwischen
Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, das heißt ein gewandeltes Verständnis von Freiheit, Selbstverantwortung,
Rechten und Pflichten. Insbesondere bei den Kommunalfinanzen muss es gerecht zugehen. Sie haben willkürlich eine Erhöhung der Gewerbesteuerumlage vorgenommen. Damit haben Sie die Kommunalfinanzen
erheblich beschädigt. Daher dürfen Sie sich nicht wundern, wenn die Kommunen nicht mehr investieren.
Als Soforthilfe müssen die willkürliche Erhöhung der
Gewerbesteuerumlage und die Belastung der Kommunen
durch das Flutopfersolidaritätsgesetz in allen Bundesländern zurückgenommen werden. Das heißt, wir müssen einen Kurswechsel hin zu weniger Staat mit Senkung der
Staatsquote bis zum Jahr 2010 auf 40 Prozent und eine
Haushaltskonsolidierung mit materiellem Budgetausgleich beim Gesamtstaat bis zum Jahr 2006 vornehmen.
({21})
Insbesondere brauchen wir eine Steuernettoentlastung
für Arbeitnehmer und für den Mittelstand.
Wir müssen Bürgern, Unternehmen und Kommunen
wieder mehr Vertrauen und Handlungsfreiheit geben,
statt ihre Leistungskraft immer mehr zu ersticken.
({22})
Sie müssen den Bürgern, den Kommunen und den Unternehmen mehr Freiraum geben, damit sie konsumieren
und investieren können. Das ist der richtige Ansatz. Die
Bundesregierung und dieser Finanzminister hingegen
betreiben tagtäglich eine wachstums- und mittelstandsfeindliche Politik.
Vielen Dank.
({23})
Das Wort hat jetzt der Kollege Bernhard Brinkmann
von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Bis vor gut zwei Stunden hatte ich wirklich noch
die leise Hoffnung, dass man auf der rechten Seite dieses
Hauses nicht nur kritisiert und polemisiert, sondern dass
man dort bereit ist, sich an der Lösung der Probleme, die
ohne Zweifel vorhanden sind, zu beteiligen. Das ist leider nicht der Fall. Im Gegenteil, weiterhin wird schlechtund mies geredet und mit Zahlen jongliert, die einfach
nicht der Wahrheit entsprechen.
({0})
Das möchte ich an zwei Beispielen deutlich machen.
Der Kollege Michelbach stellt sich hier hin
({1})
und behauptet allen Ernstes,
({2})
dass eine Durchschnittsfamilie in Deutschland - ich füge
hinzu: er meint bestimmt ein Ehepaar mit zwei Kindern durch die Steuerpolitik der Bundesregierung eine monatliche Mehrbelastung in Höhe von 270 Euro hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Kollege
Michelbach, das ist jenseits jeglicher Wahrhaftigkeit und
jenseits jeglicher Realität. Nehmen Sie das doch bitte
einmal zur Kenntnis.
({3})
Bevor Sie den Familien den Familienleistungsausgleich gezahlt haben, musste doch erst in Karlsruhe ein
Urteil gesprochen werden.
({4})
Für Sie wurde das Urteil gesprochen. Wir haben für die
deutsche Durchschnittsfamilie 1 000 Euro bzw. 2 000 DM
mehr Kindergeld gezahlt. Das haben Sie in den 16 Jahren
Ihrer Regierungszeit nicht geschafft.
({5})
- Lieber Kollege Jochen Fromme, aus alter Verbundenheit sage ich: Heute bist du hier der beste und lauteste
Zurufer. Lass das doch bitte.
({6})
Du kannst dich demnächst von diesem Pult hier vorne
äußern.
({7})
Man sieht förmlich, dass dein Gesicht rosa anläuft. Das
tut der Gesundheit nicht gut. Du solltest das lassen. Dann
können wir darüber in alter Verbundenheit - wir kennen
uns ja schon viele Jahre - an anderer Stelle diskutieren.
Die zweite Behauptung, die Kollege Michelbach - ich
glaube, als Mittelständler - aufgestellt hat, schlägt dem
Fass nun wirklich den Boden aus. Sie ist jenseits jeglicher Realität. Er behauptet allen Ernstes, dass 80 Prozent
der Mittelständler in Deutschland den Spitzensteuersatz
zahlen.
({8})
Bernhard Brinkmann ({9})
Er muss lange Zeit nicht in seinem Wahlkreis gewesen
sein. Herr Kollege Michelbach, die Mittelständler haben
einen Gewinn vor Steuern, der in der Breite bei
50 000 Euro liegt. Sie zahlen einen Steuersatz in Höhe
von 20 Prozent, nicht aber den Spitzensteuersatz. Nehmen Sie das doch bitte einmal zur Kenntnis und verbreiten Sie hier nicht ständig die Unwahrheit.
({10})
Auch durch ständiges Wiederholen wird das, was Sie sagen, nicht richtiger.
({11})
Nun sage ich etwas zum Kollegen Austermann. Von
ihm bin ich ja seit November 2001 aus dem Haushaltsausschuss gewohnt, dass er es oft mit der Wahrheit nicht
sehr genau nimmt oder Dinge erzählt, die nicht der Realität entsprechen.
({12})
- Wenn das eine Drohung gewesen sein soll, können wir
unser Gespräch gleich gerne fortführen. Hören Sie aber
lieber aufmerksam zu, Herr Kollege Austermann. Sie behaupten hier, dass die Bundesregierung seit 1998, also
seitdem sie im Amt ist, nichts anderes getan hat, als
Steuererhöhungen zu beschließen.
({13})
- Jochen, du wolltest doch nicht mehr dazwischenrufen.
Lass das doch bitte.
Dazu nenne ich Ihnen einige Punkte. Die Regierung
aus CDU/CSU und FDP hat die Mineralölsteuer um
50 Pfennig erhöht und damit die deutsche Einheit und
den Irakkrieg finanziert.
({14})
Trotz der fünf Stufen der Ökosteuer sind wir von derartigen Entwicklungen noch weit entfernt.
({15})
Sie haben die Mineralölsteuer erhöht, ohne dass damals
auch nur ein Pfennig zurückgeflossen ist. Im Gegenteil,
mit dieser Steuererhöhung mussten Sie seinerzeit letztendlich Ihr Wahlversprechen, das Sie nicht halten konnten
({16})
- Sie wollten ja die deutsche Einheit aus der Portokasse
finanzieren -, einlösen, um die entstandenen Belastungen tragen zu können.
Es kommt aber noch viel schlimmer.
({17})
Sie haben eine Versicherungsteuer in Höhe von
5 Prozent geerbt. In den Jahren 1982 bis 1998 haben Sie,
meine sehr verehrten Damen und Herren, die Versicherungsteuer auf 15 Prozent verdreifacht. Aber Sie sprechen der Regierung allen Ernstes zu, eine Steuererhöhungsregierung zu sein.
({18})
- Herr Kollege Austermann, Sie haben die Versicherungsteuer von 5 auf 15 Prozent verdreifacht, um auch
damit die Kosten der deutschen Einheit zu finanzieren.
({19})
Ich möchte in Erinnerung rufen, welchen Terz und
Tanz Sie hier veranstaltet haben, als wir die Versicherungsteuer wegen der Ereignisse des 11. September
2001 um 1 Prozentpunkt erhöht haben, um damit die
gestiegenen Kosten für die innere Sicherheit zu finanzieren.
Wer den Eingangssteuersatz und den Spitzensteuersatz auf Rekordhöhe getrieben hat,
({20})
wie Sie es getan haben, der sollte doch bitte zur Kenntnis nehmen, dass der Eingangssteuersatz durch die im
Gesetzblatt stehende Steuerreform nach der fünften
Stufe bei 15 Prozent und der Spitzensteuersatz bei
42 Prozent liegen wird. Auch hierzu sollten Sie sich einmal die Aussagen von Herrn Wiegard durchlesen, die er
gestern in der „Berliner Zeitung“ zu diesem Thema getroffen hat.
Herr Kollege Austermann, wer als Mitglied im Schattenkabinett von Herrn Steffel bei der Wahl zum Berliner
Abgeordnetenhaus solch eine Wahlniederlage einstecken
musste, der sollte dieser Bundesregierung und den sie
tragenden Fraktionen nicht vorwerfen, sie hätten nur
Steuererhöhungen vorgenommen. Genau das Gegenteil
ist der Fall.
Ich will Ihnen noch anhand von vier Punkten, die Sie
am 9. und 10. Februar auf Ihrer Klausurtagung beschlossen haben, sagen, wie unehrlich Sie mit der Bevölkerung
umgehen: Absenkung des Spitzensteuersatzes auf unter
30 Prozent und des Eingangssteuersatzes auf unter
10 Prozent. Meine Damen und Herren, das sind Ausgaben von rund 30 Milliarden Euro gegenüber dem geltenden Recht. Aber es nimmt noch kein Ende: Aussetzen
der nächsten Stufe der Ökosteuer; Mindereinnahmen
von 3,5 Milliarden Euro. Einführung des Familiengeldes
- das war der Wahlkampfschlager im Bundestagswahlkampf im Sommer letzten Jahres; man hört immer weniger davon; damit wollten Sie den Familien wirklich
gewaltig Sand in die Augen streuen -; Mehrausgaben
von 16 Milliarden Euro im ersten Jahr, weiter steigend
dann, wenn die Endstufe erreicht wird, Mehrausgaben
von 30 Milliarden Euro. Dann sollten für die Bundeswehr noch 1,5 Milliarden Euro obendrauf. Wenn man
das alles addiert - das ist wichtig zu wissen -, dann
kommt man auf Mehrausgaben von 50 Milliarden Euro,
ohne dass Sie einen konkreten Vorschlag gemacht hätten,
Bernhard Brinkmann ({21})
wie diese 50 Milliarden Euro Mehrausgaben gegenfinanziert werden sollen. Widersprüchlicher kann eine Finanzpolitik nicht sein.
({22})
Lassen Sie mich noch eine letzte Bemerkung zu den
Lohnnebenkosten machen. Es ist völlig unstrittig unter
uns - das setze ich voraus -, dass die Lohnnebenkosten
gesenkt werden müssen. Wer aber von 1992 bis 1998 die
Lohnnebenkosten in dieser Größenordnung hat ansteigen lassen,
({23})
der sollte die Anpassung des Rentenversicherungsbeitragssatzes - Herr Kollege Fromme, da Sie viele Jahre
Beamter waren, haben Sie das wohl nicht mitbekommen von 19,1 Prozent auf 19,5 Prozent nicht in dieser Art und
Weise kritisieren. Wer starke Schultern hat, muss mehr
tragen; das ist keine Frage. Das kann man nicht ernsthaft
bestreiten. Aber für breite Bevölkerungsschichten war
das eine moderate Anpassung. Wer so eine Vergangenheit hat wie die rechte Seite dieses Hauses, was die Steigerung der Lohnnebenkosten angeht, sollte nicht in dieser Härte Kritik üben.
({24})
Ich komme zum Schluss.
({25})
Der Bundeshaushalt 2003, über den wir in dieser Woche
in zweiter und dritter Lesung diskutieren, setzt die solide
Finanzpolitik der Bundesregierung fort.
({26})
Wir laden Sie ein: Machen Sie mit! Wir brauchen mehr
denn je Mitmacher statt Miesmacher.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({27})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Michael Meister
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Bundesfinanzminister Eichel, Sie haben
vorhin zu Recht den irritierenden Verlauf der Reformdebatte in Deutschland beklagt. Es war auch berechtigt,
dass Sie Ihren Blick auf die Koalitionsfraktionen gerichtet haben; denn Irritationen in der Reformdebatte kommen nicht aus der Opposition, sondern aus den Regierungsfraktionen.
({0})
Von dort werden jeden Tag neue Vorschläge, Dementis,
Korrekturen vorgetragen und es wird dafür gesorgt, dass
durch diese Art der Reformdebatte jegliches Vertrauen in
der Bevölkerung und der Öffentlichkeit zerstört wird.
({1})
Das heißt, Sie müssen in Ihrer Koalition dafür sorgen,
dass ein vernünftiges Klima geschaffen wird, und sollten
an dieser Stelle nicht auf die Opposition verweisen.
Zum Zweiten möchte ich Ihnen sagen: Sie haben seit
Oktober letzten Jahres nur davon gelebt, jeden Tag neue
Vorschläge zu Steuererhöhungen und Abgabenerhöhungen zu bringen. An einem Tag wird im Hause von Frau
Schmidt dementiert, dass der Krankenkassenbeitrag
steigt, am nächsten Tag wird es bestätigt. Dann wird im
Arbeitsministerium debattiert, ob der Beitrag zur Rentenversicherung erhöht wird oder nicht. Herr Eichel
kommt jeden Tag mit Listen von neuen Formen der
Steuererhöhung. In dieser Form, Herr Bundesfinanzminister, gewinnen Sie kein Vertrauen und schaffen damit
auch kein Klima für eine vernünftige Reformdebatte.
({2})
Ich will Ihnen einen weiteren Punkt nennen: Wir beklagen, dass zwischen 2001 und 2003 über 110 000 Unternehmen in Deutschland Insolvenz angemeldet haben.
({3})
Wir führen eine mühsame Debatte, wie wir für Existenzgründer mehr tun können. Gleichzeitig findet in der Realität das genaue Gegenteil statt: Es werden ständig Existenzen vernichtet.
({4})
Ich stimme mit Ihnen darin überein, Herr Eichel, dass
wir dringend etwas tun müssen, damit mehr Lehrstellen
geschaffen werden. Das haben Sie völlig zu Recht angesprochen. Aber lassen Sie uns ein kleines Rechenbeispiel
durchgehen: Wenn nur jedes vierte der 110 000 in
Deutschland vernichteten Unternehmen in diesem Jahr
einen einzigen Lehrplatz hätte schaffen können, dann
wären das 25 000 zusätzliche Lehrstellen, deren Fehlen
Sie zu verantworten haben, weil Sie gerade den Mittelstand ständig mit mehr Bürokratie und höheren Abgaben
belastet und damit zur Insolvenz der Unternehmen und
zu einem massiven Mangel an Ausbildungsplätzen in
Deutschland beigetragen haben. Dafür tragen Sie die
Verantwortung. An dieser Stelle können Sie nicht auf die
Wirtschaft verweisen.
({5})
Sie haben zu Recht angemahnt, dass wir eine konstruktive Debatte über die Frage führen sollten, wie die
Wirtschaftsentwicklung verstärkt und die Finanzpolitik
gestaltet werden können. Aber für eine konstruktive Debatte wäre es dringend notwendig, sich auf Zielvorgaben der Kennziffern der Finanzpolitik zu verständigen.
Ich habe sowohl in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers am vergangenen Freitag wie auch in Ihrer
Rede, Herr Bundesfinanzminister, eine klare Vorgabe
vermisst, welche Ziele Sie mit Ihrer Finanzpolitik verfolgen.
({6})
Welche Ziele wollen Sie erreichen?
({7})
Wollen Sie die Staatsquote senken und, wenn ja, auf
welchen Stand? Wir haben in dieser Frage die klare Aussage getroffen, dass wir sie unter 40 Prozent senken wollen.
({8})
Wollen Sie die Sozialabgabenquote senken? Was ist
Ihre Vorgabe an dieser Stelle? Unsere Vorgabe ist, sie
unter 40 Prozent zu senken.
({9})
- Das ist zunächst einmal Ihre Aufgabe, Herr Mark. Definieren Sie erst einmal ein Ziel, das Sie erreichen wollen! Dann können wir einen Weg definieren, auf dem wir
dieses Ziel erreichen wollen. Sie aber haben kein Ziel,
sodass man auch keinen Weg finden kann, dieses Ziel zu
erreichen. Das ist Ihr Manko.
({10})
Wenn Sie kein Ziel haben, dann haben Sie auch keine
Möglichkeit, Ihren Erfolg oder Misserfolg zu messen.
Denn wenn man nicht weiß, wo man hin will, kann man
auch nicht erkennen, wie weit entfernt man noch vom
Ziel ist. Das ist Ihr zentrales Manko.
({11})
Was der Herr Bundeskanzler am Freitag vorgetragen
hat, war kein geschlossenes Gesamtkonzept für Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik, sondern ein
Sammelsurium von Einzelmaßnahmen.
({12})
Mit einem solchen Sammelsurium, das auch noch ständig variiert wird, gewinnt man aber kein Vertrauen. Sie
befinden sich in einem Prozess der Selbstfindung, den
Sie endlich abschließen sollten, und Sie sollten den
Menschen klar und deutlich sagen, wohin Sie sie im
nächsten Jahr führen wollen.
({13})
Das Steuervergünstigungsabbaugesetz ist bereits angesprochen worden. Mit einem solchen Gesetz, dem Sie
ständig etwas hinzufügen, während Sie anderes wieder
herausnehmen, und der ständigen Debatte darüber, um
wie viele Milliarden Sie die Steuern erhöhen wollen,
schaffen Sie kein Vertrauen, sondern Sie verunsichern
die Menschen.
Ich will am Beispiel Dienstwagen deutlich machen,
wie Sie vorgehen. Im Zusammenhang mit diesem Thema
erwarten Sie im dritten Monat dieses Jahres von den
Menschen, dass sie ein doppeltes Steuerrecht beachten,
nämlich das Gesetz, das Sie beschließen wollen, und das
zurzeit geltende Recht. Mit solcher Art von Politik und
Gesetzgebung kann man in diesem Lande kein Vertrauen
gewinnen.
Ich will Ihnen ein zweites Beispiel nennen, nämlich
die Bauindustrie. Wenn Sie feststellen, Herr Bundesfinanzminister, dass der Abbau von 600 000 Arbeitsplätzen, der seit Mitte der 90er-Jahre in der Bauindustrie erfolgt ist, eine Normalisierung darstelle, dann ist das ein
zynischer Umgang mit 600 000 Familien in diesem
Land, den wir nicht akzeptieren.
({14})
Wir machen uns Sorgen um diese Menschen, ihren Arbeitsplatz und ihre Familien und bezeichnen das nicht als
einen Normalisierungsprozess, wie Sie es getan haben.
Deshalb lehnen wir auch die Mindestbesteuerung, die
Sie im Blick haben, ab. Die Mindestbesteuerung wird
gerade im Baubereich zu weiteren Unternehmensinsolvenzen führen.
Auch der Abbau der Eigenheimzulage wird zu einem
massiven Abbau von Arbeitsplätzen in diesem Bereich
führen. Die Beschränkung der AfA wird zu einem weiteren Abbau von Arbeitsplätzen führen. Ich möchte den
Menschen nicht erklären, dass ich das für normal halte.
Ich halte das für schlimm und möchte etwas dagegen
tun. Deshalb lehnen wir diese Politik ab, meine Damen
und Herren.
({15})
Der Herr Bundesfinanzminister hat leider zum Ausdruck gebracht, dass in seinem Haus bzw. an der Spitze
des Hauses nicht volkswirtschaftlich gedacht wird. Vielmehr wird rein fiskalpolitisch gedacht und Buchhaltung
betrieben. Zwar ist es in einem großen Unternehmen wie
auch in einem Land wichtig, eine gute Buchhaltung zu
haben. Aber eine ordentliche Buchhaltung ersetzt nicht
die Strategie zur Lösung von Problemen. Es geht in Ihrem Haus nicht darum, die Lösung der Probleme mit einer guten Buchhaltung anzugehen, sondern Sie brauchen
dringend eine Strategie, Herr Eichel. Das ist Ihr Problem. Wir verlangen, dass Sie endlich eine vernünftige
Strategie vorlegen.
({16})
Lassen Sie uns einen Blick auf den Kapitalmarkt
werfen. In diesem Bereich haben wir etwas Tolles erlebt.
Der Herr Bundesfinanzminister hat von Vertrauensbildung und der Notwendigkeit gesprochen, Sicherheit zu
schaffen und die Unsicherheit zu beenden. Ein weiterer
Bundesminister, für Wirtschaft und Arbeit verantwortlich, hat an dieser Stelle ausgeführt, Kontrollmitteilungen
seien überflüssig. Zwei Tage später erklärt der Bundesfinanzminister im Finanzausschuss, Kontrollmitteilungen seien dringend erforderlich. Wieder zwei Tage später
signalisiert der Bundeskanzler von diesem Rednerpult
aus Gesprächsbereitschaft und sagt: Wir können darüber
reden, was wir machen. Wie soll denn angesichts einer
solchen Debatte, in der sich innerhalb von vier Tagen drei
maßgebliche Mitglieder der Bundesregierung unterschiedlich äußern, Vertrauen in den deutschen Kapitalund Finanzmarkt entstehen? Das ist doch eine Katastrophe, die nicht die Opposition und die Öffentlichkeit, sondern Sie persönlich und Ihre Kollegen zu verantworten
haben.
({17})
Sie sind es, die die Unsicherheit vergrößern, die
Angst schüren und dafür sorgen, dass das Vertrauen abnimmt. Die Kollegen Michelbach und Merz haben zu
Recht gesagt, genau daran liege es, dass sich die Menschen beim privaten Konsum zurückhielten und dass die
Unternehmen nicht investierten.
({18})
- Herr Mark, Sie haben uns vor der Bundestagswahl vorgehalten, die Unternehmen investierten nicht, weil sie
uns zum Wahlsieg verhelfen wollten. Wenn das stimmen
würde, dann müssten die Unternehmen doch längst begonnen haben, riesige Investitionen zu tätigen; denn die
Bundestagswahl ist seit mehr als sechs Monaten vorbei.
Aber jetzt behaupten Sie wieder, die Opposition sei
schuld. Nein, Sie mit Ihrer Politik tragen die Verantwortung, dass kein Unternehmer glaubt, investieren zu können. Sie sind verantwortlich, nicht die Opposition!
({19})
Sie haben im Bundeshaushalt - das ist schon zu Recht
angesprochen worden - die Folgen der Entwicklung auf
dem Arbeitsmarkt - das gilt sowohl im Hinblick auf die
fehlenden Beiträge als auch auf die Leistungen der Sozialkassen -, die Auswirkungen auf das Wachstum und
die Entwicklung der Steuereinnahmen vollkommen unzureichend berücksichtigt. Von einem treu sorgenden
Bundesfinanzminister und Haushälter erwarte ich, dass
er sich realistischer Zahlen bedient, zumal die Risiken
zum heutigen Zeitpunkt bekannt sind, also nicht in der
fernen Zukunft liegen. Sie können von uns doch nicht
verlangen, dass wir einem Bundeshaushalt zustimmen,
dessen Grundlage mit den bekannten Risiken nicht in
Einklang zu bringen ist. Das, was Sie hier tun, ist unsolide!
({20})
Herr Eichel, Sie haben des Weiteren behauptet, dass
Sie die Kollegen des Arbeitskreises „Steuerschätzung“
im Umlaufverfahren an der nachgeholten Steuerschätzung beteiligt hätten. Diese Aussage halte ich für eine
Provokation der Mitglieder dieses Arbeitskreises. Denn
man kann den Kollegen im Rahmen eines Umlaufverfahrens nicht mit einer 48-Stunden-Frist Zahlen vorlegen
und sagen: Wenn Sie keine anderen vorlegen können,
dann haben Sie zugestimmt. So kann man nicht miteinander umgehen. Deshalb weise ich die Behauptung zurück, dass hier ein vernünftiges Verfahren zur Ermittlung
der Höhe der Steuereinnahmen stattgefunden habe. Das
ist Ihre Lesart, aber nicht unsere.
({21})
Ich hätte mir gewünscht, dass Sie, Herr Bundesfinanzminister, am letzten Freitag und auch heute eine klare
Aussage zum Steuervergünstigungsabbaugesetz getroffen hätten. Es wäre schön gewesen, wenn die Bundesregierung angekündigt hätte, dass sie dieses Steuergesetz
zurückziehen werde. Auch heute hätten Sie Gelegenheit
dazu gehabt. Damit hätten Sie Klarheit geschaffen, dass
es in diesem Land keine weiteren Steuer- und Abgabenerhöhungen gibt. Ein solches Signal braucht man, wenn
man für einen Aufbruch sorgen will, und keines, das dafür sorgt, dass niemand weiß, wie es weitergehen soll.
Nicht durch Unsicherheit und Unklarheit, sondern nur
mit klaren Aussagen gibt es einen Aufbruch. Die Gelegenheit, dafür zu sorgen, haben Sie leider versäumt.
({22})
Frau Eichstädt-Bohlig, zum Thema Wachstum
möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Es ist traurig, wenn
Sie hier beklagen, dass es kein Wachstum gebe; denn Sie
sind in den letzten zwei Jahrzehnten von einem Ort zum
anderen gelaufen und haben gegen Wachstum polemisiert.
({23})
Sie haben dafür gesorgt, dass die Infrastruktur nicht ausgebaut worden ist. Aber eine funktionierende Infrastruktur ist für Wachstum notwendig.
({24})
Es ist unredlich, wenn Sie zuerst gegen Wachstum polemisieren und die Schaffung entsprechender Voraussetzungen verweigern, um in der Regierungsverantwortung
die Folgen Ihrer eigenen Politik zu beklagen. Sie haben
mit Ihrer Ideologie und Ihrem Verhalten dafür gesorgt,
dass wir heute in dieser Lage sind. Versuchen Sie bitte
nicht, sich aus der Verantwortung zu stehlen!
({25})
Die Kommunen hatten in den letzten drei Jahren einen massiven Anstieg der Gesamtverschuldung zu verzeichnen. Die Gewerbesteuereinnahmen gehen seit 2000
netto kontinuierlich zurück. Das ist natürlich auch durch
die von Rot-Grün zu verantwortende Erhöhung der Gewerbesteuerumlage bedingt. Auch die kommunalen Investitionen, ein Teil der gesamten öffentlichen Investitionen, sind in den letzten drei Jahren massiv eingebrochen.
Gleichzeitig sind die sozialen Belastungen der Kommunen, die Pflichtaufgaben, die zu erfüllen sind, massiv gewachsen.
({26})
Hinzu kommt, dass Sie mit Ihrer Mehrheit im Bereich
der Grundsicherung, der Integration und der Betreuung
weitere Aufgaben auf die kommunale Ebene verlagert
haben, ohne für eine hinreichende finanzielle Ausstattung zu sorgen. Das ist schlimm, wenn man sich den
Staatsaufbau unseres Landes anschaut; denn Sie haben
für mehr Staat und mehr Regulierung gesorgt, um die
Länder und die Kommunen an die Kandare zu nehmen,
anstatt den Kommunen, der Basis, die Chance zu geben,
mehr Eigeninitiative und mehr Eigenverantwortung zu
ergreifen. Es ist ein grundsätzlich falsches Denken, den
Kommunen nicht mehr Freiheit einzuräumen.
Zu dieser Freiheit gehört natürlich auch eine angemessene Finanzausstattung. Es kann doch nicht richtig gewesen sein, dass Sie im Finanzausschuss gesagt haben: Im
Herbst dieses Jahres werden wir Berechnungsmodelle
hinsichtlich der Gemeindefinanzreform vorlegen. Bis dahin wird der Gesetzgebungsprozess schon längst im
Gange und nahezu abgeschlossen sein. Das heißt, Sie
muten den Mitgliedern des Deutschen Bundestages, den
Mitgliedern des Bundesrates und den kommunalen Kämmerern zu, Richtungsentscheidungen für die Zukunft der
Kommunen zu treffen, ohne dass man die Auswirkungen
dieser Entscheidungen überhaupt abschätzen kann. Es ist
ein unmögliches Verfahren, im Blindflug eine Gemeindefinanzreform zu beschließen. Weichen Sie davon ab!
Legen Sie die Berechnungen auf den Tisch! Wenn das
geschehen ist, dann beraten wir fundiert.
({27})
Sie haben 1998 beschlossen, eine Gemeindefinanzreform durchzuführen. Das stand damals in Ihrem Koalitionsvertrag. Dann haben Sie fast vier Jahre lang nichts
getan.
({28})
Mittlerweile arbeitet die Kommission und Sie sprechen
jetzt davon, dass das die Gemeindefinanzreform regelnde Gesetz bis zum 1. Januar 2004 im Gesetzblatt
verkündet sein müsse. Damit kann man leben. Besser
wäre es aber gewesen, wenn Sie die Zeit vorher genutzt
hätten und der Kommission jetzt nicht solche Vorwürfe
machten. Eigentlich müsste man Ihnen Vorwürfe machen. Sie sind für die vierjährige Verzögerung verantwortlich.
({29})
Wegen dieser Verzögerung stehen wir jetzt unter Zeitdruck.
Seit Monaten sagen Sie - Sie haben es am Mittwoch
im Finanzausschuss noch einmal gesagt -, dass wir natürlich respektieren müssten, was die Mitglieder dieser
Kommission erarbeiteten, damit auf Grundlage dieser
Vorschläge ein vernünftiger Gesetzentwurf erarbeitet
werden könne. Zwei Tage später sagte der Bundeskanzler: Was diese Kommission beschließt, interessiert mich
nicht; ich werde eine Revitalisierung der Gewerbesteuer
in Deutschland mit einer Substanzbesteuerung durchführen. Sie sagen, Sie könnten sich nicht äußern. Der Kanzler aber wischt die Arbeit der Kommission mit einem
Satz beiseite, indem er sagt: Das interessiert mich alles
nicht. Wofür haben Sie die Kommission überhaupt eingesetzt, wenn Sie deren Ergebnis sowieso nicht beachten
wollen?
Ich sage Ihnen eines: Mit der Union wird es eine Substanzbesteuerung in Deutschland nicht geben; wir werden das nicht mitmachen.
({30})
Die Rolle rückwärts, die der Kanzler hier am Freitag angekündigt hat, ist keine moderne, sondern eine vergangenheitsorientierte Wirtschaftspolitik. Das, was wir in
den letzten drei Jahrzehnten überwinden wollten, wollen
Sie rückgängig machen. Die Richtung, die Sie einschlagen, ist falsch. Das, was Sie vorhaben, werden wir nicht
mitmachen.
({31})
Wir fordern - das haben wir mehrmals beantragt und
das werden wir auch weiterhin tun - als Soforthilfe für
die Kommunen, dass die Gewerbesteuerumlage auf das
Niveau abgesenkt wird, das es vor der Gewerbesteuerreform hatte.
({32})
In dieser Haushaltswoche liegt ein Antrag vor, den
Kommunen den Anteil an der Flutopferhilfe, den sie erbracht haben, als Soforthilfe zurückzugeben, weil dieser
Anteil nicht ausgeschöpft worden ist. Auch das wäre ein
Stück Soforthilfe, die der Kanzler am Freitag angekündigt hat. Ich wiederhole: Dieser Antrag liegt in dieser
Woche zur Abstimmung vor. Wir werden prüfen, ob der
Bundeskanzler die SPD dazu bringt, diesen Antrag zu
unterstützen, ob der Antrag eins zu eins umgesetzt wird
oder ob der Bundeskanzler an dieser Stelle nur leeres
Gerede produziert hat.
({33})
Wir sind der Auffassung, dass das kommunale Kreditprogramm falsch angelegt ist. Entweder wird durch
dieses Programm die Neuverschuldung der öffentlichen
Hand um 7 Milliarden Euro erhöht - das wäre nämlich
dann der Fall, wenn es von den Kommunen tatsächlich in
Anspruch genommen wird; das würde für Sie ein zusätzliches Problem im Hinblick auf die Einhaltung der
Maastricht-Kriterien bedeuten; das müssen Sie natürlich
berücksichtigen - oder Sie gehen davon aus - das haben
Sie, Herr Eichel, gesagt -, dass dieses Programm lediglich zu Umfinanzierungen führt. Wenn es nur zu Umfinanzierungen kommt, dann werden Sie kein Problem mit
der Einhaltung der Maastricht-Kriterien haben. Allerdings wird dieses Programm dann auch keine positiven
Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung haben.
Das muss man den Menschen klar sagen. Man sollte nicht
sagen, wir nehmen keine Neuverschuldung vor, weil das
sowieso keine positiven Auswirkungen auf Wachstum
und Beschäftigung in Deutschland habe, wenn man
gleichzeitig so tut, als wäre dies der Fall. So geht es nicht.
({34})
Wir wollen, dass das enge Band zwischen Wirtschaft
und Kommunen erhalten bleibt. Wir wollen ein Hebesatzrecht. In dem von mir eben beschriebenen Sinne
sind wir bereit, an einer Gemeindefinanzreform konstruktiv mitzuwirken. Das darf aber nicht dadurch geschehen, dass vernünftige Politik der letzten 30 Jahre
rückgängig gemacht wird. Wir müssen darauf achten,
dass es sich in Deutschland wieder lohnt, Unternehmen
zu gründen. Wir dürfen keine Politik machen, die Unternehmen, Existenzgründer und Menschen, die etwas tun
wollen, aus diesem Land vertreibt.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({35})
Das Wort hat nun Kollege Jörg-Otto Spiller, SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Sie von der Union und der FDP haben Ihr Herz
für die Steuerbürger und auch für die Konsolidierung des
Haushalts entdeckt.
({0})
Schade nur, dass Sie es erst entdeckt haben, seit Sie
keine Verantwortung mehr für die Bundespolitik tragen.
({1})
In der Regierungsverantwortung haben Sie ganz anders
gehandelt.
Ich habe ein Stück Nachsicht mit Ihnen - die muss
man vielleicht auch bei den Kollegen der Koalitionsfraktionen erbitten -,
({2})
weil Sie so frisch zu diesen Erkenntnissen gekommen
sind. Konvertiten neigen eben doch zu schrillen Tönen.
Das ist so.
({3})
Ich freue mich trotzdem darüber, dass Sie sich neuerdings für die Steuerlast der Bürger und auch für die
Höhe der Staatsverschuldung interessieren.
Nur der guten Ordnung halber möchte ich daran erinnern, wie es eigentlich war, als im Bund noch die
schwarz-gelbe Koalition regierte:
({4})
Überforderung der steuerehrlichen Bürger,
({5})
investitionsfeindliche Belastung der Unternehmen, Verwüstung des Steuerrechts durch Schlupflöcher,
({6})
die Leistung bestrafte und Verluste belohnte,
({7})
ein Schuldenberg von 740 Milliarden Euro oder umgerechnet 1,45 Billionen DM.
({8})
Dann möchte ich auch etwas zu der Legende sagen,
dass die Verschuldung insbesondere mit der Finanzierung der deutschen Einheit zusammenhängt.
({9})
Das ist eine unfromme Legende. 1982 betrugen die
Schulden des Bundes 350 Milliarden DM.
({10})
Bis 1990 hatten Sie die Schulden auf 700 Milliarden DM
verdoppelt.
({11})
In der zweiten Halbzeit der Regierungszeit Kohls haben
Sie die Schulden noch einmal verdoppelt, und zwar auf
1 450 Milliarden DM.
Ich darf noch auf Folgendes hinweisen:
({12})
Der Eingangssteuersatz
({13})
betrug 1998 25,9 Prozent. Heute beträgt er 19,9 Prozent.
Der Spitzensteuersatz betrug 1998 53 Prozent. Heute
beträgt er 48,5 Prozent und im nächsten Jahr wird er
47 Prozent betragen.
Wer sich von der Union oder von der FDP hier hinstellt und der Koalition von SPD und Grünen etwas über
eine angemessene, volkswirtschaftlich solide und faire
Steuer- und Finanzpolitik erzählen will,
({14})
der sollte ganz leise Töne anschlagen.
({15})
Der Kollege Brinkmann hat schon auf Folgendes hingewiesen: Dass der normale Steuerzahler heute schlechter dasteht als zu Ihrer Regierungszeit,
({16})
ist eine Legende und eine Verdrehung der Tatsachen.
({17})
Ein Normalverdiener, ein Arbeitnehmer mit zwei Kindern, der 1998 5 000 DM brutto verdiente,
({18})
hatte damals netto 77 Prozent. Wenn er die Tarifsteigerungen mitgemacht hat, die im Arbeitnehmerbereich üblich waren, hat er von seinem Einkommen heute netto
80 Prozent.
({19})
Das ist eindeutig mehr. Heute ist das Kindergeld in einer
solchen Familie höher als die Lohnsteuer und darauf
sind wir stolz.
({20})
Lieber Herr Michelbach, das Stichwort Mittelstand
ist ja eines, das Sie besonders lieben. Es ist ein Gebot der
Ehrlichkeit, darauf hinzuweisen, dass mittelständische
Unternehmer heute weniger Steuern zahlen als zu Ihrer
Regierungszeit,
({21})
weil sie als Personenunternehmen die Gewerbesteuer
pauschaliert auf die Einkommensteuerschuld anrechnen
können und weil der Einkommensteuertarif heute niedriger ist als zu Ihrer Zeit.
Herr Michelbach, Sie regen sich immer auf, weil die
Kapitalgesellschaften angeblich so viel besser gestellt
seien als die Personengesellschaften, was mittelstandsfeindlich sei.
({22})
Die Masse der Kapitalgesellschaften sind mittelständische Firmen in der Rechtsform einer GmbH. Sie müssen
sich einmal bei Mittelstandskongressen umhören, wo
vielleicht ehrlicher diskutiert wird. Auf der Teilnehmerliste finden Sie ganz überwiegend Gesellschafter oder
Geschäftsführer der GmbHs. Sie folgen Ihrem lauten
Gerede überhaupt nicht.
({23})
Wir werden unsere konsistente Politik fortsetzen.
({24})
2004 - das steht schon im Gesetzblatt - wird der Einkommensteuertarif noch einmal gesenkt, ebenso wie
2005; auch das steht im Gesetzblatt.
({25})
Es gibt allerdings eine Gruppe, der es heute schlechter
geht, das sind die Steuersparkünstler, die Abschreibungskünstler. Für die haben Sie schon Ihr Herz entdeckt, als Sie noch Regierungsverantwortung getragen
haben, und viel für sie getan. Leider hat das aber der Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft überhaupt nicht
genutzt.
({26})
Unser Problem im Deutschen Bundestag ist, dass die
Unionsfraktion und die FDP-Fraktion aus der Opposition heraus noch nicht zu einer verantwortungsvollen
Mitarbeit gefunden haben. Wir haben eine Situation, die
uns leider zwingt, Kompromisse erst auf der Ebene der
Verhandlungen mit den Vertretern des Bundesrates im
Vermittlungsausschuss zu schließen.
({27})
Mich wundert ein bisschen, dass Sie heute genau das
Gleiche erzählt haben wie bei der Debatte über das Gesetz zum Abbau von Steuersubventionen und Steuervergünstigungen.
({28})
Sie tun so, als gebe es überhaupt keine Chance, dass dieses Gesetz in seinem Kern in das Bundesgesetzblatt
kommt.
({29})
Es wird aber dort landen, lieber Herr Austermann; denn
die B-Länder, von der Union regiert, haben inzwischen
einen großen Abstand zu Ihrer Fraktion, weil auch sie erkannt haben, dass sie mit Ihrer Fraktion keine gedeihliche Politik machen können.
Als der bayerische Ministerpräsident vor ein paar Tagen in einem anderen Zusammenhang darauf hingewiesen wurde, dass auch aus den Reihen Ihrer Fraktion Kritik an seinen Äußerungen in der letzten Woche geübt
worden sei, hat er gesagt, dass er das „Gesäusele“ nicht
so wichtig finde.
({30})
Dafür muss er ja einen Grund haben.
Heute schreibt das „Handelsblatt“ einen Kommentar
mit der Überschrift: „CDU/CSU-Zänkische Schwestern“:
Für die Union neigt sich die bequeme Zeit des bloßen Neinsagens dem Ende zu …
({31})
Kaum aber wird es bei den Konservativen konkret,
kracht es auch schon mächtig im Gebälk.
({32})
Sie müssen ja doch irgendwelche Erkenntnisse haben.
Man darf natürlich auch gespannt sein, wie wir in
der nächsten Zeit das Vermittlungsverfahren konkret
betreiben. Da haben sich schon mehrere geäußert: Herr
Milbradt,
({33})
der bayerische Finanzminister
({34})
und der thüringische Ministerpräsident, Herr Vogel. Alle
haben sich in demselben Sinne geäußert. Natürlich wollen
sie, dass ein Gesetz zustande kommt, das Bund, Ländern
und Gemeinden zusätzliche Einnahmen bringt, weil sie das
brauchen. Auch sie haben erkannt, dass es einen Bedarf zur
Verstetigung des Körperschaftsteueraufkommens gibt.
({35})
Es gibt Grund, über große Subventionen wie beispielsweise die Eigenheimzulage nicht nur nachzudenken, sondern in diesem Bereich auch Veränderungen
durchzuführen.
Letzte Bemerkung: In Bezug auf die Gemeindefinanzen
gilt das Gleiche; Sie haben dazu einen ähnlich hohen Abstimmungsbedarf, dem Sie einmal nachkommen müssen.
({36})
Das ist eine ganz billige Masche. Sie haben hier schon
mehrmals vorgetragen, die Gewerbesteuerumlage möge
gesenkt werden. Als die bayerische SPD-Landtagsfraktion einen entsprechenden Antrag in den Bayerischen
Landtag eingebracht hatte, das Land solle den Gemeinden entgegenkommen - die Länder bekommen von der
Umlage nämlich viel mehr als der Bund -, wurde er glatt
abgelehnt.
({37})
Ich bin auch gespannt, wie Sie sich gegenüber den
kommunalen Spitzenverbänden verhalten werden, beispielsweise gegenüber dem Deutschen Städtetag, dessen
Präsidentin die Frankfurter Oberbürgermeisterin ist, die
im Kern unsere Position in Bezug auf die Zukunft der
Gemeindefinanzen, nämlich die Gewerbesteuer zu revitalisieren, voll unterstützen. Es nutzt überhaupt nichts,
hier billige Polemik zu machen. Wir müssen konkrete
Entscheidungen für solide Finanzen und gerechte Steuern in diesem Lande treffen.
({38})
Wenn Sie dabei noch nicht mitmachen wollen, dann werden wir noch etwas auf Sie warten. Zum Glück ist es nicht
unbedingt notwendig, dass Ihre beiden Fraktionen zustimmen; mit dem Bundesrat werden wir uns verständigen.
({39})
Ich erteile der Kollegin Gesine Lötzsch das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Der Bundeskanzler hat in seiner
Regierungserklärung darauf hingewiesen, dass nur das
ausgegeben werden kann, was man auch einnimmt.
({0})
- Ich soll sagen, für wen ich spreche? Das tue ich sehr
gern. Ich bin Abgeordnete der PDS, meine Damen und
Herren von der CDU. Ich kann das für Sie gern wiederholen.
({1})
Der Bundeskanzler hat mit seinem Hinweis darauf,
dass man nur das ausgeben könne, was man einnimmt,
Recht. Aber kaum jemand stellt in diesem Haus die
Frage, warum wir eigentlich so wenig einnehmen. Ich
halte es für eine der wichtigsten Aufgaben des Finanzministers, seine Einnahmen wenigstens zu sichern,
wenn nicht gar zu erhöhen. In diesem Zusammenhang
erleben wir ja erstaunliche Dinge.
Anhand von Zahlen des Statistischen Bundesamtes
habe ich mir angeschaut, wie sich die Einnahmen von
Herrn Eichel entwickelt haben. Sie sehen hier - das ist
kein Plakat, sondern eine Grafik; ich habe mich am Vorgehen von Herrn Eichel bei der Haushaltsdebatte im
letzten Jahr orientiert - einen beispiellosen Absturz der
Einnahmen aus der Körperschaftsteuer.
({2})
1999 nahm der Bund noch 22,3 Milliarden Euro Körperschaftsteuer ein; 2000 waren es sogar 23,5 Milliarden
Euro. Dann trat der Eichel-Effekt ein, der Absturz von
23,5 Milliarden Euro auf minus 426 Millionen Euro. Das
heißt, die Unternehmen haben sogar Geld von den
Finanzämtern zurückerhalten.
({3})
Meine Damen und Herren, der Absturz, den ich Ihnen
hier gezeigt habe, ist ein Desaster. Meiner Meinung nach
reichte das aus, um den Finanzminister zu entlassen.
Herr Scharping musste schon gehen, nur weil ihn ein gewisser Herr Hunzinger beim Hosenkauf und bei Waffengeschäften beraten hat. Jeder Vorstandschef eines Unternehmens, dem eine solche Grafik unter die Nase
gehalten werden könnte, müsste beschämt seinen Hut
nehmen.
({4})
Dafür muss man Erklärungen abgeben. Wie kann ein
derartiger Einbruch bei den Einnahmen passieren, Herr
Eichel? Ich könnte dafür zwei Erklärungen anbieten.
Die erste Erklärung lautet: handwerkliches Versagen.
Wenn dies zutrifft, Sie also nicht in der Lage sind, solche
gewaltigen Einnahmeverluste zu verhindern, dann sind
Sie mit dem Job des Finanzministers einfach überfordert.
Hier wäre eine betriebsbedingte Kündigung gerechtfertigt. Dazu müssten Sie von der Koalition nicht einmal
den Kündigungsschutz ändern.
Die zweite Erklärung könnte lauten, dass Sie wissentlich und vorsätzlich so gehandelt haben, Herr Eichel.
Damit hätten Sie den Absturz der Einnahmen billigend
in Kauf genommen. Dann allerdings hätten Sie der Bundesrepublik einen schweren Schaden zugefügt und
müssten nicht nur entlassen werden - dazu bräuchte man
das Kündigungsschutzgesetz, wie gesagt, überhaupt
nicht zu ändern -; vielmehr müssten Sie auch juristisch
zur Verantwortung gezogen werden, denn wer gibt Ihnen
das Recht, einfach einmal 23 Milliarden Euro zu verschenken?
Ich kann mir keine Versicherung in der Bundesrepublik vorstellen, die bereit wäre, eine Haftpflichtversicherung für Ihren Job abzuschließen; das Risiko wäre einfach nicht kalkulierbar.
({5})
Der Eichel-Effekt, den ich Ihnen hier aufgezeigt habe,
hat folgende Wirkungen: Erstens. Er führt zu einer gewaltigen Umverteilung von unten nach oben. Der normale Steuerbürger muss die Einnahmeverluste ausgleichen; er wird wieder zur Kasse gebeten. Zweitens. Mit
den geringeren Einnahmen begründen Sie gleichzeitig
die angeblich notwendigen sozialen Grausamkeiten, wie
zum Beispiel die angedrohte Kürzung bei der Sozialhilfe.
({6})
Nun könnte man glauben, dass dieses gigantische
Steuergeschenk von Herrn Eichel bei den begünstigten
Unternehmen ein Feuerwerk an Investitionen hervorrufen müsste. Doch das ist nicht geschehen. Sie haben
zwar die Steuern gesenkt, aber es sind keine neuen Arbeitsplätze entstanden. Wie viele Arbeitsplätze - das
müssten Sie einmal ausführen - sind durch den Wegfall
der Körperschaftsteuer entstanden? - Keine! Wenn Sie
sich die dramatische Entwicklung der Arbeitslosigkeit
im Lande anschauen, dann sehen Sie doch selbst, dass
Sie nichts für Ihre Steuergeschenke bekommen haben.
Im Gegenteil: Die Arbeitslosigkeit ist weiter gestiegen.
Nach den Wahlen in Hessen und Niedersachsen werden wir quasi von einer großen Koalition von CDU,
CSU, SPD und den Grünen regiert. CDU und CSU beherrschen den Bundesrat, SPD und Grüne haben noch
die Mehrheit im Bundestag. Die Wähler, die Stoiber verhindern wollten und deshalb Schröder die Stimme gegeben haben, sehen sich getäuscht. Herr Stoiber sitzt mit
im Regierungsboot und will zum Beispiel mal schnell
den Kündigungsschutz für 8 Millionen Beschäftigte abschaffen.
Ich finde diese informelle große Koalition besonders
perfide, weil sie durch eine geschickte Arbeitsteilung
den Menschen vorgaukelt, dass die rot-grüne Regierung
doch nicht so unsozial ist, dass sie zwar hart, aber sozial
gerecht vorgehen würde. Im Bundesrat werden dann
durch die Mehrheit von CDU und CSU alle Maßnahmen
für die Besserverdienenden herausgefiltert, sodass nur
noch die sozialen Grausamkeiten übrig bleiben.
Und die Grünen? Sie stehen hierbei nicht am Rande.
Sie sehen den Niedergang der SPD, machen dieses Spiel
mit und bereiten sich auf eine mögliche schwarz-grüne
Koalition vor.
({7})
Gerade die Grünen fallen durch eine knallharte Klientelpolitik auf. Beispielsweise haben sie die Besteuerung
von Aktienbesitz verhindert; denn sie wissen, wer ihre
Wählerinnen und Wähler sind und was sie von ihnen erwarten: eine bessere Welt, aber bitte keine Abstriche am
eigenen, etwas gehobenen Lebensstandard.
Ich kann Ihnen das einmal an einem Beispiel zeigen,
das Ihnen vielleicht pietätlos vorkommt, das aber alle irgendwann betrifft: das Sterbegeld. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Frau Göring-Eckardt, ist der Meinung, dass man das Sterbegeld ganz abschaffen könnte,
nachdem die rot-grüne Regierung es im letzten Jahr von
525 Euro auf 262,50 Euro halbiert hat. Natürlich wird
Frau Göring-Eckardt nicht in Armut sterben. Sie bekommt als Abgeordnete des Deutschen Bundestages ein
ordentliches Sterbegeld wie auch die Ministerkollegen.
Beim Tode eines Beamten wird ein Sterbegeld in Höhe
des Zweifachen der monatlichen Bezüge gezahlt. Beim
Tod eines Ministers muss das Anderthalbfache reichen.
Aber da sind wir schnell bei 25 000 Euro Sterbegeld, im
Gegensatz zu dem Sterbegeld von 262,50 Euro. Das
nennt man Wein trinken und Wasser predigen.
Die Grünen haben ihre Wähler fest im Auge; nur die
SPD hat anscheinend die eigenen Wählerinnen und
Wähler vergessen:
({8})
kein Wort mehr zu der Vermögensteuer, die Sie 1998
versprochen haben. Das wären immerhin 10 Milliarden
Euro im Jahr. Der ehemalige Ministerpräsident von Niedersachsen, Herr Gabriel, wollte die Vermögensteuer
noch einführen. Offensichtlich war er vom Kanzler ermutigt worden. Es war ein Testballon, dem der Kanzler
kurz vor der Landtagswahl die Luft rausgelassen hat.
Gabriel wurde vom Kanzler benutzt und fallen gelassen.
Welcher sozialdemokratische Ministerpräsident wird
sich nach diesem Lehrstück noch trauen, eine entsprechende Initiative zur Einführung der Vermögensteuer zu
starten?
Die PDS wird im Rahmen unserer Beratungen die
Bundesregierung mit einem eigenen Antrag auffordern,
in der Frage der Einführung der Vermögensteuer aktiv zu
werden, um die Einnahmesituation der Länder zu verbessern. Wir brauchen für die Kommunen kein Kreditprogramm, wie es der Kanzler ausgeführt hat; denn das
nutzt nur den reichen Kommunen. Wir brauchen vielmehr ein kommunales Investitionsprogramm, um den
Kommunen frisches Geld in die Hand zu geben, um die
soziale Infrastruktur zu verbessern und um Arbeitsplätze
zu schaffen.
Nicht zuletzt brauchen wir - das ist heute in der Debatte schon angesprochen worden - einen Zuschuss für
die Bundesanstalt für Arbeit, um zu verhindern, dass der
zweite Arbeitsmarkt weiter zusammenbricht. In Anbetracht des desolaten Zustandes des ersten Arbeitsmarktes
ist dieser zweite Arbeitsmarkt für die strukturschwachen
Regionen im Osten und im Westen unverzichtbar.
Entscheidend ist: Herr Eichel, erhöhen Sie die Einnahmen! Nutzen Sie die vorhandenen Reserven! Dabei
werden Sie auch unsere Unterstützung haben.
Herzlichen Dank.
({9})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaas Hübner,
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich vorab zwei Bemerkungen machen.
Angesichts des bedauerlicherweise wohl doch heraufziehenden Irakkrieges scheint es mir wichtig zu sein, auf
zwei Besonderheiten im Bundeshaushalt einzugehen.
Wir haben auf der einen Seite den Plafond im Verteidigungshaushalt gehalten und auf der anderen Seite im
Haushalt des Bundesinnenministers die für die Durchführung von Antiterrormaßnahmen notwendigen Mittel
zur Verfügung gestellt. Mir ist es wichtig, dass wir bei allen Konsolidierungszwängen, denen wir unterliegen und
die dazu führen, dass wir überall sparen, bei der inneren
und der äußeren Sicherheit und damit bei der Sicherheit
unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht sparen.
({0})
Herr Kollege Austermann, Sie haben heute eine Rede
nach dem Motto „Wünsch dir was“ gehalten. Anhand eines Beispiels aus dem Verteidigungshaushalt möchte ich
zusammenfassend darstellen, wie Ihre Politik funktioniert. Es ist so, dass die Fachpolitiker der Union, die geschätzten Kollegen Schmidt und Raidel, im Rahmen des
Verteidigungshaushaltes den im Regierungsentwurf vorgesehenen Kapiteln für Universitäten der Bundeswehr,
Sanitätswesen, Fernmeldewesen, Quartiersmeisterwesen und Flugtechnisches Gerät zugestimmt haben.
Nun weiß ich, dass wir Haushälter oftmals Forderungen von Fachpolitikern abwehren müssen, weil die
Finanzlage es so verlangt. Es ist mir aber relativ unbekannt, dass wir als Haushälter etwas drauflegen. Sie haben in einer Haushaltsausschusssitzung entgegen dem
Rat Ihrer Fraktionskollegen gerade für diese Bereiche
48 Millionen Euro mehr gefordert. Das kommt mir so
vor: Ein Kreditkunde geht zur Bank und sagt: Ich
möchte ein Haus finanziert bekommen. Die Bank fragt
dann: Kann es nicht noch ein bisschen mehr sein? Kann
es nicht noch ein bisschen teurer sein? Eine Bank kann
dazu sagen: Das sind Peanuts. - Ich denke aber, mit dieser Art der Haushaltspolitik haben Sie uns ein faules Ei
in das haushaltspolitische Nest gelegt.
({1})
Ich möchte insbesondere auf die Situation in den
neuen Bundesländern eingehen, darauf, wo in diesem
Haushalt die neuen Bundesländer besondere Berücksichtigung finden.
({2})
In den neuen Bundesländern gibt es ein Problem: Dort,
wo sich Industrien entwickelt haben, sind sie in der Regel als verlängerte Werkbänke ausgeprägt. Hier müssen
wir gegensteuern. Wir müssen versuchen, die Firmen
wieder in die Lage zu versetzen, eigene Produkte zu generieren, damit sie in der Wertschöpfungskette eine höhere Position einnehmen. Darum haben wir in diesem
Jahr die Mittel für das Inno-Regio-Programm, mit dem
gerade dieser Aspekt gefördert werden soll, das Netzwerk also zwischen innovativen Forschungsfirmen vor
Ort und Produktionsfirmen, noch einmal um 4,5 Prozent
auf insgesamt 68 Millionen Euro aufgestockt.
Wir haben des Weiteren die Zuwendungen für die
Forschungseinrichtungen der Blauen Liste um weitere
2 Millionen Euro angehoben, damit in den neuen Bundesländern Innovationen entstehen können.
Wir haben - auch das gehört aus meiner Sicht in diesen Zusammenhang - die in Verbindung mit dem Investitionsförderungsgesetz bereitgestellten Mittel in Höhe
von rund 3,4 Milliarden Euro in Sonderhilfen des Bundes umgewandelt. Das heißt, vorher hatte der Bund bei
Investitionen in den neuen Bundesländern immer ein
Mitspracherecht. Jetzt können die Länder im Rahmen ihrer Haushalte eigenverantwortlich über Investitionen
entscheiden. Diese Mittel können sie nutzen, um innovative Firmen zu fördern. Da sind sie jetzt aber gefordert.
({3})
Ein weiterer Brennpunkt in den neuen Bundesländern
ist selbstverständlich das gesamte Thema Jugend. Wir
haben das Sonderprogramm zur Schaffung zusätzlicher
Ausbildungsplätze in den neuen Ländern mit 91 Millionen Euro auf hohem Niveau verstetigt. Ich muss ganz
ehrlich sagen - dies sage ich als Unternehmer -: Dies ist
mir fast peinlich; denn früher gehörte es normalerweise
zum Ethos eines jeden Kaufmanns bzw. Unternehmers,
seiner gesellschaftlichen Verantwortung auch dadurch
gerecht zu werden, dass er für fachlichen Nachwuchs
sorgt und Ausbildungsplätze schafft.
({4})
Ich hoffe daher sehr, dass es das letzte Mal so ist, dass
wir ein Sonderprogramm dieser Art auflegen müssen.
Wir haben darüber hinaus das BAföG für Schülerinnen und Schüler sowie für Studierende erhöht - auch das
betrifft insbesondere die Jugendlichen in den neuen Bundesländern -, damit Chancengleichheit besteht. Wir haben - auch das ist ein Teil der Jugendarbeit - die Mittel
im Goldenen Plan Ost um noch einmal 2,5 Millionen
Euro auf 10 Millionen Euro aufgestockt. Ich sage das,
weil der Goldene Plan Ost den Ausbau von Sportstätten
umfasst und gerade in den neuen Bundesländern der
Sport im Rahmen der Jugendarbeit eine enorme Rolle
spielt. Deswegen ist meines Erachtens der Weg, den wir
hier gehen, gerade für die Jugend richtig.
({5})
Auch beim Punkt „Direktinvestitionen“ haben wir etwas
zu bieten. Ich weise auf den Stadtumbau Ost hin. Wir haben durch Umschichtungen im Verkehrshaushalt - der
Minister wird es in dieser Woche ankündigen - Straßeninfrastrukturmaßnahmen in Höhe von 1,4 Milliarden Euro
gerade in Regionen, die strukturschwach sind - Schwerpunkt Ostdeutschland -, vorgezogen. Damit wollen wir
versuchen, speziell im Osten weitere Investitionen zu generieren.
({6})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir wissen,
dass wir in Deutschland vor sehr einschneidenden Reformen stehen. Wir wissen auch, dass ein besserer Zeitpunkt Mitte der 90er-Jahre gewesen wäre und dass die
Kohl-Regierung diesen Zeitpunkt seinerzeit verschlafen
und diese Probleme auf die nächsten Generationen verschoben hat.
({7})
Im Gegensatz dazu ist es eine ganz alte sozialdemokratische Tugend, dass wir uns darum bemühen, dass es
unseren Kindern mindestens genauso gut, möglichst aber
besser geht als uns heute. Darum verschieben wir die
Probleme nicht auf die nächsten Generationen, sondern
halten am Konsolidierungskurs fest.
({8})
Wir dokumentieren damit: Wir haben Vertrauen in die
Gesellschaft, wir haben Vertrauen in die Menschen dieser Gesellschaft, und darum vertreten wir die Auffassung, dass wir die Probleme, die heute anstehen, auch
heute zu lösen haben.
Ich danke Ihnen.
({9})
Kollege Hübner, das war Ihre erste Rede in diesem
Hause. Ich gratuliere Ihnen ganz herzlich dazu.
({0})
Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Wir kommen zu den Abstimmungen.
Zunächst Abstimmung über den Einzelplan 08, Bundesministerium der Finanzen, in der Ausschussfassung.
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist mit den Stimmen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/
CSU und FDP angenommen.
Abstimmung über den Einzelplan 32, Bundesschuld,
in der Ausschussfassung. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 15/636? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit
den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 15/637? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit der
gleichen Mehrheit wie soeben abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 32, Bundesschuld, in der Ausschussfassung. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Einzelplan 32 ist mit den Stimmen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/
CSU und FDP angenommen.
Abstimmung über den Einzelplan 60, Allgemeine
Finanzverwaltung, in der Ausschussfassung. Hierzu liegen Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktionen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
15/617? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/
CSU und FDP angenommen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 15/638? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den
Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt.
Präsident Wolfgang Thierse
Wir kommen zur Abstimmung über Einzelplan 60 in
der Ausschussfassung mit der soeben beschlossenen Änderung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Einzelplan 60 ist mit den Stimmen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.
Abstimmung über den Einzelplan 20, Bundesrechnungshof, in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan
20 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Ich rufe auf:
8. Einzelplan 30
Bundesministerium für Bildung und Forschung
- Drucksachen 15/569, 15/572
Berichterstattung
Abgeordnete Carsten Schneider
Ilse Aigner
Dr. Günter Rexrodt
Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der
CDU/CSU und acht Änderungsanträge der Fraktion der
FDP vor. Über einen Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU werden wir später namentlich abstimmen.
Weiterhin liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP vor, über den wir am Donnerstag nach der
Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Klaus-Peter Willsch, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Bundesministerin! Wie der gesamte Haushaltsplanentwurf 2003 ist auch der Einzelplan Bildung
und Forschung ein nicht durchdachtes und in sich nicht
schlüssiges Werk, welches in bemerkenswerter Weise
die Unfähigkeit und die falschen Weichenstellungen von
Rot-Grün widerspiegelt. Zugleich ist er ein erneuter Beleg für die oberste Maxime Ihres Handelns: versprochen,
gebrochen. Sie haben wieder einmal nichts von dem eingehalten, was Sie vor der Wahl versprochen haben.
({0})
Zuerst möchte ich den Bereich Bildung ansprechen. Ich
möchte gar nicht näher auf Ihre Forderung nach einheitlichen Bildungsstandards eingehen; denn Sie haben bewiesen, dass Sie aus PISA nicht allzu viel gelernt haben.
({1})
Sie sollten sich an bayerischen, baden-württembergischen oder sächsischen Standards orientieren, statt in
Finnland oder sonst wo in der Welt herumzufliegen.
({2})
Sie aber pflegen gerade in der Bildungspolitik Ihre ideologischen Glaubenssätze und verteidigen diese mit
Klauen und Zähnen. Der neue Glaubenssatz in diesem
Zusammenhang ist: Die Ganztagsschule ist das Richtige.
({3})
Hätten Sie ein wenig genauer auf die Ergebnisse von
PISA-E, also auf die vergleichende Bewertung auf Länderebene, geschaut, so hätten Sie Schlüsse daraus ziehen
können. Für mich waren die Ergebnisse nicht überraschend. Ich bin Jahrgang 1961 und komme aus Hessen,
einem Bildungsnotstandsland, das lange Jahre sozialdemokratisch regiert wurde. Als sich mein Jahrgang zum
Studium anmeldete, haben wir von der ZVS einen Malus
erhalten, das heißt, unser Abiturdurchschnitt ist um 0,2
Punkte verschlechtert worden. Es war damals schon Allgemeingut, dass es um die Bildung im sozialistisch geprägten Bereich nicht besonders gut bestellt war.
({4})
Sie werden bei einem Vergleich der Ergebnisse auf
Länderebene ganz eindeutig feststellen, dass diejenigen
Länder, die langjährig von Christdemokraten in der Bildungspolitik geprägt worden sind,
({5})
im bundesdeutschen Vergleich gute Ergebnisse erzielen,
({6})
und die Länder, in denen sich alle möglichen Reformsozialisten mit Bildungsexperimenten an ihren Schülern
ausgetobt haben, ganz am unteren Ende stehen.
({7})
Ich will Ihnen schildern - Herr Tauss, hören Sie endlich zu; an der Qualität Ihrer Zwischenrufe kann man ablesen, dass Ihnen das Zuhören gelegentlich gut tun
würde -, wie man nicht nur quatscht, sondern Bildung
konkret verbessert.
({8})
Wir haben in Hessen 1999, als wir dort in die Regierungsverantwortung kamen, folgende Situation vorgefunden: Es sind Woche für Woche 100 000 Unterrichtsstunden ausgefallen. Das war das Vermächtnis des
großen Finanzministers Hans Eichel, den die Hessen damals als Ministerpräsident abgewählt haben.
({9})
Wir haben in der ersten Legislaturperiode unter unserer Verantwortung das Thema konkret angepackt. Wir
haben gesagt, wenn Stunden ausfallen, können wir ihre
Qualität nicht verbessern, also müssen die Stunden erst
einmal gehalten werden. Deshalb haben wir 2 900 Lehrer und 1 600 Referendare eingestellt. Jetzt wird der Unterricht nach Stundentafel gehalten. Das ist der Anfang.
Nun sind wir vom Wähler mit der absoluten Mehrheit
ausgestattet worden; dafür sind wir dankbar. Wir werden
diesen Weg fortsetzen.
({10})
Frau Bundesbildungsministerin, ich möchte auf das
Land zu sprechen kommen, das am gleichen Tag wie
Hessen gewählt hat und in dem Sie, wenn auch nur
vorübergehend, die SPD-Landesvorsitzende sind. Ich
muss sagen: Der Kollege Wulff hat dort ähnliche Probleme vorgefunden. Er muss jetzt erst einmal einen
deutlichen Schwerpunkt auf den Bildungsbereich setzen, weil dieser Bereich hoffnungslos heruntergewirtschaftet war.
({11})
Wir wären doch mit dem Klammersack gepudert, wenn
wir ausgerechnet Ihnen die Verantwortung für die Bildungsstandards in ganz Deutschland übertragen würden.
({12})
Ihr Lösungsansatz ist immer zentralistisch: alles nach
oben holen und einheitlich machen. Sie wollen den Föderalismus nicht wirklich. Ich kann das aus Ihrer Sicht
auch verstehen, denn überall dort, wo im Bildungsbereich Föderalismus herrscht, ziehen Sie als Rote den
Kürzeren und wir bringen die besseren Ergebnisse. Deshalb wollen Sie keinen Vergleich zwischen den Ländern
und wollen daher überall gleiche Bildungsstandards.
({13})
Auch bei der Förderung der Ganztagsschulen und der
Ganztagsbetreuung schlagen Sie einen Irrweg ein. Ich
gebe gerne zu, dass es heute - die gesellschaftlichen Verhältnisse ändern sich - einen erhöhten Bedarf an Ganztagsbetreuung gibt. Es gibt heute mehr Frauen, die in ihrer konkreten Situation Beruf und Familie vereinbaren
wollen oder auch müssen.
({14})
Hier kann es aber nur um ein Angebot gehen, dessen
Nutzung freiwillig ist. Wer eine Ganztagsbetreuung nutzen möchte, soll sie in der Nähe vorfinden, aber bitte
dem örtlichen Bedarf entsprechend und so, wie es die
örtlichen Entscheidungsträger für richtig halten und
nicht irgendeine zentrale Instanz, die meint, alles richten
zu können.
({15})
Dass Sie hierfür Geld zur Verfügung stellen wollen,
wird sicher alle vor Ort freuen, aber damit wird - wie
schon gesagt - der falsche Weg eingeschlagen. Es stehen
ohnehin nur 300 Millionen Euro im diesjährigen Haushalt und diese auch nicht im Einzelplan 30 - Bildung
und Forschung, sondern im Einzelplan 60 - Allgemeine
Finanzverwaltung.
({16})
Die Länder und Kommunen sind aufgrund der desolaten
rot-grünen Politik ausgeblutet. Sie werden jetzt zu einem
Programm gezwungen, das erhebliche Nachfolgewirkungen unter anderem bezüglich der Personal- und Betriebskosten haben wird.
({17})
Mit diesen Folgekosten werden sie allein gelassen.
Tun Sie lieber Ihre Pflicht und sorgen Sie dafür, dass
Kommunen und Länder finanziell so ausgestattet werden, wie es ihrer Aufgabenzumessung entspricht. Angebote lagen auf dem Tisch: Umsatzsteuerpunkte, Senkung
der Gewerbesteuerumlage. Sie sind darauf nicht eingegangen und versuchen mit Programmen, die Gemeinden
am goldenen Zügel zu führen.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Kolleginnen und
Kollegen, liebe Frau Ministerin, ich komme zum Bereich der Forschung. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen
soll, weil auch dort so ziemlich alles falsch gemacht
worden ist. Zunächst zwei Vorbemerkungen: Erstens.
Entgegen Ihren vollmundigen Erklärungen im Vorfeld
haben Sie den Forschungsstandort Deutschland nicht
gestärkt, sondern Sie schaden ihm - und dies, wo wir
bald 5 Millionen Arbeitslose haben werden. Sie produzieren damit die nächsten Arbeitslosen in diesem Land.
({18})
Zweitens. Sie täuschen und tricksen, Sie versprechen etwas und brechen es gleich wieder. Sie geben der deutschen
Forschung keinerlei verlässliche Zukunftsperspektive.
({19})
Lassen Sie mich bei Letzterem anfangen: Sie geben
vor, das Haushaltsvolumen erhöht zu haben, unterschlagen aber, dass im Oktober letzten Jahres eine Haushaltssperre verhängt wurde, und nehmen die so entstandenen,
also reduzierten Istwerte als Basis für Ihre Steigerungsberechnungen.
({20})
Das ist unredlich. Das ist ungefähr so, als wenn man jemanden sagt: Hier hast du 1 000 Euro im Monat zum Leben. Am 25. des Monats sagt man ihm: Jetzt ist Schluss.
Zu dem Zeitpunkt hat er 900 Euro ausgegeben, muss
aber noch weitere 100 Euro auf Pump ausgeben, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Im nächsten Monat
sagt man ihm: Eigentlich hast du nur 900 Euro gebraucht. Ich gebe dir jetzt 905 Euro und das ist eine Erhöhung. Das ist eine Milchmädchenrechnung. So kann
es nicht funktionieren
({21})
Sie müssen die eingegangenen Vorbindungen, die
aufgrund der Langfristigkeit der Projektbindungen
noch bestehen und von denen Sie auch wissen, bei der
Berechnung des Etats des nächsten Jahres berücksichtigen, sonst kann es nicht funktionieren. Ihrer Berechnung
liegt ein durchschaubarer Trick zugrunde, mit dem Sie
versuchen, das, was nicht gut ist, gutzuzeichnen.
({22})
- Herr Tauss, wenn ich mich nicht irre, kommen Sie aus
Karlsruhe. Ich glaube, Sie sind auch Senator der HelmholtzGesellschaft.
({23})
Mir liegt hier eine Erklärung von Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern des Forschungszentrums Karlsruhe vor, die
auf dem Jahresempfang am 23. Februar dieses Jahres
verteilt worden ist. In ihr ist zu lesen, für die HelmholtzForschungszentren, von denen das Forschungszentrum Karlsruhe eine der größten Einrichtungen ist, würden etwa 45 Millionen Euro nicht zur Verfügung stehen.
Das entspreche einer realen Kürzung von mehr als
3 Prozent. Darüber hinaus werde dem Forschungszentrum Karlsruhe ein Sonderopfer in Höhe von 11 Millionen Euro auferlegt. Dieses zusätzliche Sonderopfer entspreche etwa 30 Prozent der für Forschung und
Entwicklung direkt verfügbaren Mittel. - Herr Tauss,
vertreten Sie Ihren Wahlkreis auch weiterhin auf diese
Weise. Ich kann verstehen - darüber freue ich mich
sehr -, dass Axel Fischer diesen mit großem Abstand direkt gewonnen hat und nicht Sie.
({24})
Kollege Willsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Tauss?
Selbstverständlich, Herr Tauss.
Das Wahlergebnis wundert mich noch heute. Es wird
auch denjenigen wundern, der den Kollegen Fischer
kennt.
({0})
Herr Kollege Willsch, nehmen Sie bitte zur Kenntnis,
dass die Projektfördermittel für die Helmholtz-Forschungszentren in Ihrer Regierungszeit, also zwischen
1994 und 1998, um knapp 30 Prozent reduziert worden
sind und dass wir diese in unserer Regierungszeit zwischen 1998 und 2002 um 48,8 Prozent erhöht haben.
Vergießen Sie hier keine Krokodilstränen angesichts der
Tatsache, dass der Betriebsrat damals merkwürdigerweise solche Flugblätter nicht verteilt hat.
({1})
Lieber Herr Tauss,
({0})
hören Sie mir bitte zu! Man muss sich an dem, was man
sagt, immer messen lassen. Das ist entscheidend.
({1})
Sie haben bei allen Gelegenheiten erklärt und erklären
auch weiterhin, Bildung und Forschung sei der Schwerpunkt Ihrer Regierung. Die Frau Ministerin hat bei der
ersten Lesung von goldenen Köpfen gesprochen, die es
zu heben gelte. Dem stimme ich ausdrücklich zu. Aber
Sie müssen das auch tun. Wenn jedoch das, was Sie tun,
mit dem, was Sie im Vorfeld vollmundig angekündigt
haben, nicht übereinstimmt, dann müssen Sie sich das
vorhalten lassen. - Damit ist die Antwort auf Ihre Frage
beendet. Sie können sich wieder setzen. Danke schön.
({2})
Es gibt keine verlässlichen Planungsgrundlagen.
Man kann nicht zusammen mit den Ländern den Forschungseinrichtungen im Juni versprechen, sie bekämen
eine Mittelerhöhung von 3,5 Prozent, und ihnen im November, wenn die Mittel verplant und die Drittmittel eingeworben sind und wenn das Programm steht, verkünden,
sie bekämen diese Mittelerhöhung doch nicht. So kann
man im Bereich der Forschung nicht arbeiten. So schadet
man nachhaltig dem Forschungsstandort Deutschland.
({3})
Dieser Umgang trägt vor allen Dingen nicht zu guten
Arbeitsbedingungen in den Forschungseinrichtungen
bei. Unterhalten Sie sich einmal mit den Direktoren oder
dem wissenschaftlichen Personal in den Forschungszentren. Sie werden hören, dass unser Land mehr und mehr
ausblutet. Wir verlieren die fähigsten Köpfe. Jahr für
Jahr wandern Tausende aus unserem Land aus, weil sie
hier nicht die richtigen Bedingungen für Forschung und
Entwicklung vorfinden und in anderen Ländern sehr viel
besser wissenschaftlich arbeiten können. Dort wird ihre
Forschung, anders als hier, gefördert.
({4})
In Ihren Sonntagsreden versuchen Sie zum Besten zu
geben und den Eindruck zu erwecken, Sie seien die modernste Regierung, die es je gegeben habe. Das Gegenteil ist der Fall. Sie müssen das, was Sie versprechen,
auch einhalten. Denn anders gibt es kein Vertrauen in
Politik und anders wird dem Forschungsstandort
Deutschland nachhaltig geschadet.
({5})
Ich will kurz einige Forschungsbereiche nennen, in denen Sie Einschneidungen bei den Mitteln vornehmen und
in denen Sie, da Sie die Förderausgaben senken, nicht
weiterhin intensiv Forschung betreiben wollen - der
Kollege Mayer wird auf das Problem Raumfahrt näher
eingehen -: Forschung an adulten Stammzellen - der
stellvertretende Fraktionsvorsitzende Merz hat das heute
Morgen angesprochen -, Bio- und Gentechnologie, Meeres- und Polarforschung, Grundlagenforschung. Das sind
alles Bereiche, in denen Sie kürzen, in denen Sie die Förderung entgegen den Ansätzen des letzten Jahres senken.
({6})
Das halten wir von der CDU/CSU nicht für verantwortbar. Das ist vor allen Dingen vor dem Hintergrund nicht
verantwortbar, dass die anderen Länder in der OECD erkannt haben, was die Uhr geschlagen hat. Die USA steigern
trotz schwieriger wirtschaftlicher Bedingungen, die es auch
dort gibt, ihre Forschungsausgaben um 15,7 Prozent. In
Großbritannien beträgt die Steigerung in den Jahren 2003
und 2004 10 Prozent. In Japan sind die Forschungsausgaben in den letzten zehn Jahren um 60 Prozent gestiegen.
Auch die CDU/CSU setzt im Gegensatz zu Rot-Grün
auf die Stärkung der deutschen Forschungslandschaft.
({7})
Wissenschaft und Forschung zählen zu den Wachstumsmotoren in unserer Gesellschaft und Wirtschaft.
({8})
Die Forschungsförderung ist deshalb essenzieller Bestandteil der Wachstums- und Beschäftigungsstrategie
der Union.
Lassen Sie mich zum Schluss meiner Rede
({9})
noch kurz auf die im Vorfeld mit linksseitigen Heilserwartungen geradezu überfrachtete Ruckelrede des Kanzlers vom vergangenen Freitag zu sprechen kommen.
Dieser Kanzler stellte sich hier hin und kommentierte die
Kürzungen im Bereich Bildung und Forschung wörtlich
wie folgt:
({10})
Wir werden unser Wohlstandsniveau nur dann halten können, wenn wir in dieser schwierigen wirtschaftlichen Situation verstärkt in Bildung und Forschung investieren.
Weiterhin sagte er, dass in diesem Jahr aus Kostengründen kürzer getreten werden musste. Das dürfe nicht
so bleiben. Deshalb werde die Bundesregierung in der
gegenwärtigen schwierigen wirtschaftlichen Situation
ein Zeichen setzen und die Etats der MPG und anderer Forschungseinrichtungen im nächsten Jahr wieder
um 3 Prozent erhöhen. ({11})
Das ist ein Wort. Es kommt aber leider zu spät.
({12})
Da man die schwache Wirkung der Schröder-Rede im
Ministerium offenbar realistisch eingeschätzt hat, greift
man zum Mittel der Autosuggestion. Im hausinternen
Pressespiegel vom 14. März
({13})
wird die dpa-Meldung „Schröder will mit Reformen neu
durchstarten“ auf zweieinhalb Seiten insgesamt 13-mal
wiederholt. Das ist Autosuggestion. Wenn man es auf
zweieinhalb Seiten 13-mal liest, muss man es glauben.
({14})
Sie reden beständig über Bildung und Forschung und
wie wichtig sie Ihnen sind. Sie machen den Leuten vor,
Sie würden hier Schwerpunkte setzen. In Wirklichkeit
betreiben Sie eine unberechenbare und sprunghafte Politik. Sie treiben die besten Köpfe aus unserem Land. Sie
können es nicht. Unser Land braucht einen Neuanfang.
Wir von der CDU/CSU sind dazu bereit.
Vielen Dank.
({15})
Ich erteile dem Kollegen Carsten Schneider, SPDFraktion, das Wort.
Lieber Kollege Willsch, wenn man Ihre Einlassung
zur Bildungspolitik verfolgt hat und sie tatsächlich ernst
nimmt, kann man nur sagen: Das war eine Rede aus den
70er-Jahren. Die Grabenkämpfe der 70er-Jahren, die Sie
hier geführt haben, waren nicht hilfreich für die Zukunft
der Bundesrepublik Deutschland.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Etat des Bundes ist auch im Jahr 2003 ein Spar- und Reformetat. Wir
halten - das ist für mich die wichtigste Aussage - den
Konsolidierungskurs, auch wenn uns der Wind der Konjunktur mit voller Kraft entgegenweht. Da ist zum Beispiel die Angst vor dem Krieg im Irak, die die Investitionsbereitschaft dämpft. Sie lässt Aktienkurse in die
Tiefe fallen und Rohölpreise in die Höhe schnellen. Dies
alles sind widrige Bedingungen und kaum beeinflussbare Faktoren, auf die wir als Haushaltspolitiker in dieser nicht ganz einfachen Beratung reagieren mussten.
Für uns ist Haushaltspolitik aber mehr als lediglich
die Reaktion auf äußere Umstände. Haushaltspolitik, so
wie wir sie betreiben, ist vor allen Dingen auch Gestaltungspolitik. Ich glaube, dass der Haushalt für Bildung
und Forschung das beste Beispiel für diese Gestaltung
ist; denn Bildung und Forschung spielen bei der Weiterentwicklung der Bundesrepublik eine Schlüsselrolle.
Die Innovations- und Wirtschaftskraft eines Landes
ist eng verbunden mit seiner technologischen Leistungsfähigkeit.
({1})
Das Wissen, das Können und die Kreativität der Menschen entscheiden über die Zukunft unseres Landes.
Deshalb wollen wir als Sozialdemokraten - ich schließe
die Grünen hier mit ein - die bestmögliche Bildung für
alle.
({2})
Deshalb wollen wir ein sozial gerechtes Bildungssystem.
Deshalb werden wir weiterhin kräftig in Bildung und
Forschung investieren.
Der Etat des BMBF hat im Verlauf des heutigen Tages
schon in mehreren Debatten eine Rolle gespielt. Auch
Herr Merz hat sich darauf eingelassen und mit seinen
Darstellungen zu den Zahlen Schiffbruch erlitten. Er
hätte sich die Zahlen wirklich genauer anschauen müssen.
({3})
Denn in diesem Jahr beträgt der Etat stolze 8,4 Milliarden Euro. Hinzuzurechnen sind der Darlehensanteil
am BAföG in Höhe von 435 Millionen Euro, den wir
über die Deutsche Ausgleichsbank ausreichen, und
300 Millionen Euro als erste investive Maßnahme für
das Ganztagsschulprogramm. Das macht insgesamt
mehr als 9,1 Milliarden Euro aus. Schauen Sie sich den
Haushaltsplan 1998 an, den Ihre Regierung zu CDU/
CSU- und FDP-Zeiten noch zu verantworten hatte. Dort
sehen Sie die Zahl von 7,3 Milliarden Euro. Sie können
ganz einfach nachrechnen, dass dies eine Steigerung von
25 Prozent bedeutet. Eine solche Steigerung wurde in
keinem anderen Haushalt der letzten Jahre erreicht.
({4})
Um Ihre Kritik gleich vorwegzunehmen: Der Etat des
Bundes für 2003 sieht gegenüber dem Haushalt des Jahres 2002 eine Steigerung der Ausgaben für Bildung und
Forschung um 3 Prozent vor. Ich werde beim Forschungsbereich auf einzelne Bereiche eingehen, bei denen wir
Konsolidierungsmaßnahmen durchführen mussten. Die
Gesamtausgaben für Bildung und Forschung aber steigen
um 3 Prozent.
Das war eine in der Geschichte der Bundesrepublik
beispiellose Aufholjagd. Mit der Steigerung der letzten
Jahre haben wir meines Erachtens die Weichen richtig
gestellt.
({5})
Gleichwohl gilt aber: Wir haben noch nicht alles erreicht. Ziel der Koalition ist es, den FuE-Anteil von
Wirtschaft und öffentlicher Hand auf 3 Prozent am Bruttosozialprodukt zu steigern.
({6})
- Wir sind derzeit erst bei 2,5 Prozent, weil wir von Ihnen eine schlechte Ausgangsbasis geerbt haben, die wir
jetzt langsam verbessern.
({7})
Sie sehen, wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Die
Koalition hat Bildung und Forschung wieder den politischen Raum gegeben, der notwendig ist.
({8})
Zum Haushaltsverfahren 2003: Wie ich schon gesagt
habe, stand es unter schwierigen Vorgaben. Bedingt
durch die überraschend schlechten Ergebnisse der Steuerschätzung im November,
({9})
ergab sich eine globale Minderausgabe in Höhe von
1,3 Milliarden Euro. Herr Koppelin, weil wir Haushälter
für Wahrheit und Klarheit stehen, haben wir diese globale Minderausgabe aufgelöst. Ich denke, Haushaltswahrheit und -klarheit sollten fraktionsübergreifend
auch für Sie kein Fremdwort sein.
({10})
Um diese globale Minderausgabe aufzulösen, war es
notwendig, dass jedes Ressort seinen Beitrag leistet. Davon konnte dieses Jahr auch der Etat für Bildung und
Forschung nicht verschont bleiben. Ein weiterer Aufwuchs wäre erfreulich gewesen. Aber ich bin der Meinung, dass man nach den spektakulären Aufwüchsen der
vergangenen Jahre in diesem Jahr die Chance nutzen
muss, innezuhalten und kritisch zu prüfen, welche Ausgaben tatsächlich gerechtfertigt sind.
({11})
- Die Ministerin ist immer sehr kooperativ, Herr Koppelin. Das wissen Sie doch. Sie kennen sie ja aus den Beratungen im Haushaltsausschuss.
({12})
Ich möchte zwei Bereiche nennen, wo wir hauptsächlich eingespart haben, um in anderen Bereichen aufzuschichten. Der eine Bereich ist der Hochschulbau. Die
Mittel für den Hochschulbau haben wir gegenüber dem
Regierungsentwurf um 40 Millionen Euro reduziert.
Diese Reduzierung um 40 Millionen Euro entspricht
dem zur Tilgung der Schulden vorgesehen Beitrag.
Schulden aus der Zeit von Zukunftsminister Rüttgers,
die wir jetzt gegenüber den Ländern langsam abbauen.
70 Millionen Euro haben wir bereits zurückgeführt. In
diesem sehr schwierigen Haushaltsjahr haben wir diese
Tilgung für ein Jahr ausgesetzt.
({13})
Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich als Haushaltspolitiker bin es leid - ich möchte im Bereich von Forschung und Technologie gerne etwas gestalten -, immer
Ihre Schulden der vergangenen Jahre zurückzuzahlen
und deswegen auf eigene Projekte zu verzichten. Aus
diesem Grunde ist es durchaus nachvollziehbar - das
werden auch die Länder verstehen -, dass wir in diesem
Punkt eine Reduzierung vorgenommen haben.
({14})
Der zweite Bereich der Einsparungen betrifft die Beiträge zur Europäischen Weltraumorganisation. Diesen Ansatz haben wir gegenüber dem Regierungsentwurf um 20 Millionen Euro gekürzt. Auch wenn die
Klagen der Lobbyisten und der Opposition, die sich sehr
ähneln, gerade in diesem Bereich sehr laut waren, bin ich
der Meinung, dass bei der ESA, aber auch beim nationalen Weltraumprogramm eine Evaluierung der Ziele notwendig, wenn nicht sogar überfällig ist. Ich erinnere an
das verunglückte Spaceshuttle Columbia und die
Ariane 5, die explodiert ist. Diese Zäsuren sollten uns
zum Nachdenken zwingen.
Ich als Haushälter und als Vertreter der SPD möchte
aber zugleich anmerken: Ich bin zutiefst unzufrieden
darüber, dass wir als größter Beitragszahler der ESA von
den zu vergebenden Aufträgen nicht nach dem Finanzierungsschlüssel berücksichtigt werden.
({15})
Ich bin der Ansicht, dass der „over return“ Frankreichs,
der in diesem Bereich 80 Millionen Euro ausmacht, zurückgefahren werden muss. Die deutsche nationale
Raumfahrtindustrie sollte, wie im Vertrag vorgesehen,
berücksichtigt werden und dementsprechend Aufträge
erhalten. Aus diesem Grund haben wir den Titel in Höhe
von 50 Millionen Euro qualifiziert gesperrt. Ich hoffe,
dass wir auf die Unterstützung des ganzen Hauses setzen
können, um der Regierung bei den Verhandlungen für
eine bessere Ausgangsbasis der deutschen Raumfahrtindustrie den Rücken zu stärken.
({16})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Aigner?
Gern.
Herr Kollege Schneider, erstens glaube ich, dass wir
uns einig sind, dass wir uns über den Rückfluss unterhalten und ihn steigern müssen. Nur müssen Sie mir wohl
Recht geben, dass der Rückfluss rechtlich korrekt ist.
Wir haben nicht 100 Prozent erreicht. Aber in Bezug auf
das ganze Budget liegt der Schlüssel bei 0,9. Deshalb ist
Ihre Aussage nicht ganz richtig. Wie gesagt, teile ich
aber Ihre Meinung, dass wir versuchen sollten, dies zu
erreichen.
({0})
Zweitens würde mich interessieren, was das Spaceshuttle konkret mit uns zu tun hat.
({1})
-Ich frage ja gerade. - Meines Erachtens sind wir hier
finanziell überhaupt nicht beteiligt.
Drittens möchte ich Sie bitten, mir folgendes zu erklären: Beim ESA-Budget haben Sie 20 Millionen Euro abgezogen, die Sie ursprünglich wieder in das nationale
Programm transferieren wollten. Angekommen sind nur
17,5 Millionen Euro. Ich würde gerne den Grund von Ihnen erfahren.
({2})
Frau Aigner, die Antworten sind sehr einfach. Zum
einen stellt sich beim Spaceshuttle nicht die Frage, ob
wir uns an der Finanzierung beteiligen. Vielmehr lautet
die Frage: Was ist mit der Zukunft der bemannten Raumfahrt?
({0})
Aus diesem Grund habe ich am Anfang gesagt, dass man
sehr wohl über eine Evaluierung der Ziele nachdenken
muss.
({1})
Damit möchte ich Ihre erste Frage beantwortet wissen.
Nun komme ich zur Beantwortung Ihrer zweiten
Frage bezüglich der Umschichtung. Jeder Forschungsbereich - vorhin sind ja einige Zahlen genannt worden musste einen Beitrag zur Konsolidierung leisten. Wir haben den ESA-Titel um 20 Millionen Euro gekürzt. Das
ist vollkommen richtig. Auch haben wir den Titel „Nationales Weltraumprogramm“ gekürzt. Dies beruht auf
Aussagen von Verbandsvertretern - Sie wissen ja, dass
im Haushaltsverfahren zunächst höhere Kürzungen vorgesehen waren -, die selbst gesagt haben, dass in diesem
Bereich immer noch ein Spielraum in Höhe von 3, 4 oder
5 Prozent besteht.
({2})
Mir als Haushälter müssen Sie zugestehen, dass ich auf
diese 3, 4 oder 5 Prozent nicht verzichte, wenn mir ein
solches Angebot gemacht wird.
({3})
Es gibt aber auch eine ganze Reihe von erfreulichen
Themen. Zumindest sehe ich mich als Haushälter und
sieht sich auch meine Fraktion in einer solchen Rolle,
dass wir nicht nur das abnicken, was uns von der Regierung vorgelegt wird, sondern dass wir auch selbst gestaltend eingreifen. So haben wir in Abstimmung mit der
Regierung zum Beispiel den Etat der Deutschen Forschungsgemeinschaft um 2,5 Prozent erhöht. Ich glaube, dass dies in wirtschaftlich und auch haushaltspolitisch sehr schwierigen Zeiten eine Operation ist, die sich
lohnt und durch die man auch die Prioritäten richtig
setzt, indem man den Nachwuchsforschern in Deutschland eine bessere Chance gibt, sich zu entfalten.
({4})
- Ja, diese Aussage ist ein ganz klarer Widerspruch zu
den Zitaten, die Herr Merz vorgetragen hat. Vielleicht
sollte er sich hier noch einmal informieren.
({5})
Mit der Reform des Dienstrechts haben wir die
strukturellen Voraussetzungen für einen erfolgreichen
Generationswechsel an den Hochschulen geschaffen. Ich
nenne nur das Programm der Juniorprofessuren, für das
wir die Mittel in diesem Jahr verdreifacht haben. Auch
sichern wir mit der Erhöhung gerade des DFG-Ansatzes
die materiellen Voraussetzungen für den Nachwuchs an
den Hochschulen. Die Klagen darüber, dass nicht auch
die Mittel für die MPG, die HGF und die FhG erhöht
werden konnten, gehen meines Erachtens fehl.
Auch muss man deutlich sagen: Diese Mittel wurden
nicht gekürzt, sondern sie sind überrollt worden. Ich
kann nur sagen: Mir wäre es immer lieber, für diese Bereiche mehr Geld einzustellen. Nur, wir sind mit dem
Ziel angetreten, den Bundeshaushalt zu sanieren. Ich
glaube, dass ein Jahr an Überrollung nach den spektakulären Steigerungen der vergangenen Jahre durchaus vertretbar ist. Nach der Ankündigung des Bundeskanzlers
vom Freitag der letzten Woche haben die Forschungseinrichtungen für das nächste Jahr wieder Planungssicherheit. Damit ist ganz klar gesagt, wohin die Fahrt mit der
Bundesregierung gehen wird: vor allen Dingen zu einer
Steigerung und Verstetigung der Ausgaben für Bildung
und Forschung, damit Wissenschaftler in diesem Land
eine Heimstatt haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle das Ganztagsschulprogramm. Herr Willsch hat sehr intensiv darüber berichtet. Ich kenne die entsprechenden Debatten ja nur aus
den Geschichtsbüchern der 70-er Jahre. Es sind frappierende Ähnlichkeiten festzustellen. Ich dachte eigentlich,
dass wir jetzt im 21. Jahrhundert einen Schritt weiter
sind. Wir könnten unser Blickfeld durchaus einmal erweitern und nicht nur über die Grenzen von Bundesländern, sondern auch über unsere nationalen Grenzen hinausschauen und prüfen - das zeigen uns die PISAErgebnisse -, in welchen Ländern tatsächlich Erfolge erzielt wurden.
({6})
Es ist unbestreitbar, dass dies nun einmal in Finnland
der Fall war. Man kann sich daran anlehnen und versuchen, Anregungen aufzunehmen. Dieser Politikbereich
unterliegt zwar nicht der Bundeskompetenz, aber ich
sage Ihnen: Die Frage, ob dieses Thema der Bundesoder Länderkompetenz zugeordnet ist, ist mir egal, weil
dieses Thema viel zu wichtig ist. Es handelt sich um eine
nationale Aufgabe und ein nationaler Kraftakt ist nötig.
Wenn wir uns nicht zumindest auf vergleichbare nationale Standards einigen können - die Kulturhoheit jedes
Bundeslandes bleibt erhalten -, dann kann ich nur sagen:
Gute Nacht, Deutschland! Gute Nacht, CDU, im Bildungsbereich!
({7})
Wir haben unser Wahlversprechen mit dem Ganztagsschulprogramm mit einem Volumen von 300 Millionen
Euro in diesem Jahr eingelöst.
({8})
In den nächsten Jahren kommen noch 3,7 Milliarden
Euro hinzu. Die Verwaltungsvereinbarung liegt den
Ländern vor. Ich glaube auch, dass man einen gemeinsamen Weg finden kann. Ich hoffe es zumindest
sehr. Ich bekomme das Feedback aus meinem Wahlkreis,
dass es gerade unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit von Frauen wichtig ist, dass es dieses Angebot
gibt. Es gibt ja keinen Zwang und es ist wichtig, dass wir
dies umsetzen.
Ein weiterer Punkt, der meines Erachtens sehr deutlich die Erfolge der Politik der vergangenen Jahre markiert, ist die Entwicklung der Studienanfängerquote. Von
1998 bis 2002 hat sich die Studienanfängerquote pro
Jahrgang von 28 auf 36 Prozent erhöht. Wenn man sich
das unter gesamtwirtschaftlichen Bedingungen anschaut,
dann wird man feststellen, dass diese Entscheidung eine
der besten Voraussetzungen ist, um die technologische
Führerschaft der Bundesrepublik zu erhalten und, ich
hoffe, auszubauen. Es muss unterstützt werden, dass
mehr Jugendliche ein Studium aufnehmen und auch abschließen. Wir haben das in den vergangenen Jahren getan, indem wir eine BAföG-Reform durchgeführt haben. Diese BAföG-Reform hat dazu geführt, dass wir
allein im vergangenen Jahr zweimal überplanmäßige
Ausgaben im Haushaltsausschuss genehmigen mussten.
Ich glaube, das zeigt sehr deutlich den Erfolg dieser Reform.
({9})
Damit sind wir dem Ziel näher gekommen, dem ich
mich vor allem als Sozialdemokrat verbunden fühle,
nämlich jedem Jugendlichen, egal aus welchem Haus er
kommt und wie viel „Kohle“ seine Eltern haben, die
Möglichkeit zu geben, ein Studium aufzunehmen, ohne
in existenzielle Schwierigkeiten zu kommen. Ich glaube,
dass das ein Grundansatz ist, den wir insgesamt hier teilen müssten.
({10})
Aus diesem Grund mussten wir den BAföG-Titel noch
einmal um 20 Millionen Euro erhöhen. Ich tue das gern,
weil ich glaube, dass das ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit und der Zukunftssicherung der Wirtschaft in der
Bundesrepublik ist.
({11})
Ein weiterer sehr wichtiger Punkt ist für mich die Entwicklung in den neuen Bundesländern. Herr Hübner hat
vorhin schon angesprochen, dass der Titel Inno-Regio
um 4,5 Prozent erhöht wird. Ich korrigiere ihn nur sehr
ungern: Wir Haushälter haben ihn um 4,5 Prozent erhöht; aber die Regierung hat ihn vorher schon um
80 Prozent erhöht. Ich glaube, das zeigt sehr deutlich,
dass ein wichtiger Forschungsschwerpunkt - und das ist
eine Zukunftsinvestition in den neuen Bundesländern mit dem Programm Inno-Regio gelegt wurde. Die Bundesregierung steht zu ihrer Zusage und beschränkt sich
nicht nur auf passive Transferleistungen in den Osten,
sondern tätigt Zukunftsinvestitionen und treibt die Verknüpfung und Vernetzung mit den dortigen Akteuren in
der Wirtschaft voran und macht damit deutlich, dass der
Osten Deutschlands durch diese Bundesregierung eine
Zukunft hat.
Ein weiterer wichtiger Punkt, den ich noch ansprechen möchte, betrifft ebenfalls die neuen Bundesländer.
Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung
auch zu der Situation auf dem Ausbildungsmarkt Stellung genommen. Auch ich bin der Meinung, dass es zuallererst die Aufgabe der Wirtschaft ist, für ein ausreichendes Ausbildungsplatzangebot zu sorgen. Das muss
sie vor allen Dingen im eigenen Interesse tun. Man darf
nicht darüber klagen, dass man nicht genügend qualifizierte Arbeitskräfte oder Bewerber findet, sich aber
gleichzeitig vor der Ausbildung im dualen System drücken und dem Staat die Kosten für die Ausbildung auflasten.
({12})
Wenn aber aufgrund der fehlenden wirtschaftlichen
Basis, wie es in den neuen Bundesländern der Fall ist, und
aufgrund des großen Bewerberandrangs nicht die Möglichkeit besteht, alle Jugendlichen mit Ausbildungsplätzen zu versorgen, dann muss meines Erachtens der Staat
eingreifen. Wir haben das getan, indem wir das Sonderprogramm zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze
in Ostdeutschland von 12 000 auf 14 000 Ausbildungsplätze erhöht haben. Damit haben wir noch einmal
2 000 Jugendlichen in den neuen Bundesländern eine
Ausbildung gewährleistet. Das ist eine Investition in die
Zukunft von 2 000 Menschen, die es verdient haben. Ich
glaube, dass das auch mit Ihrer Unterstützung erfolgreich
durchgeführt werden kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich als
Hauptberichterstatter zum Abschluss noch einmal bei
den Mitberichterstattern bedanken. Auch den verantwortlichen Mitarbeitern der Bundesregierung, Herrn
Kleine Arndt vom BMBF, Herrn Hardt vom BMF und
Herrn Klostermann vom Bundesrechnungshof danke ich
recht herzlich für die gute Zusammenarbeit.
Ich kann schlussendlich nur feststellen: Nicht RotGrün, sondern Schwarz-Gelb hat den Forschungsetat als
Steinbruch für die Lösung von Haushaltsproblemen
missbraucht.
Von 1993 bis 1998 sanken die Ausgaben für Bildung
und Forschung um 360 Millionen Euro. Dabei ist die Inflation noch nicht einmal berücksichtigt. Wir haben die
Ausgaben für Bildung und Forschung seit 1998 um
25 Prozent gesteigert. Ich glaube, dass das eine gute Voraussetzung ist, um Deutschland in den nächsten Jahren
voranzubringen.
Ich bedanke mich bei Ihnen.
({13})
Ich erteile der Kollegin Cornelia Pieper, FDP-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kurz vor dem Frühlingsanfang beraten wir abschließend
den Haushalt 2003. Das ist sehr spät. Jeder wird sich daran erinnern, dass diese Bundesregierung bereits vor den
Bundestagswahlen einen Haushaltsplanentwurf vorgelegt hat.
Seinerzeit haben Sie, sehr verehrte Frau Ministerin
Bulmahn, mit Ihrem Mantra „Bildung und Forschung
behalten Priorität“ versucht, die Forschung an dem
Motto „Mit uns geht es jetzt nur noch bergauf!“ zu orientieren. Das hätten wir zwar durchaus begrüßt; aber angesichts der Regierungserklärung von Rot-Grün kommen
einem bei Ihrem Kurs große Zweifel daran. Denn alle
Versprechungen und Zusagen, die Sie im vergangenen
Jahr, vor der Bundestagswahl oder noch danach, gegeben haben, sind wie wahltaktische Seifenblasen zerplatzt.
({0})
Herr Schneider, es besteht große Einigkeit darüber,
dass gerade die Bereiche Bildung und Forschung keine
Themen sind, die man mit ideologischen Scheuklappen
betreiben soll. Darin sind wir uns durchaus einig.
({1})
Das heißt aber nicht, Herr Fell, dass wir als Opposition
nun alles durch eine rosarote Brille sehen.
({2})
Sie setzen bei Bildung und Forschung den Hobel an. Das
ist gefährlich. Denn auf Höchst- und Hochtechnologien
sowie auf die Leistungen des deutschen Wissenschaftssystems begründen sich die Hoffnungen auf einen wirtschaftlichen Aufschwung, den Sie nicht herbeiführen
werden, auch nicht mit diesem Haushalt.
({3})
Ich erinnere Sie daran: Diese Bundesregierung hat der
Entscheidung des Europäischen Rates vom März 2000
zugestimmt, der sich in seiner Lissaboner Erklärung
dazu geäußert hat, dass Europa bis zum Jahr 2010 zum
wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Erde werden soll. Das bedeutet
allein für Deutschland eine Wachstumsrate von 3 Prozent und Strukturreformen. Es bedeutet auch, dass höhere Investitionen in Wissenschaft und Forschung notwendig sind.
({4})
- Auch in Sachsen-Anhalt, Herr Kollege Tauss, wo nicht
nur gekürzt wird, wo aber in einigen Bereichen Kürzungen vorgenommen werden müssen,
({5})
weil wir nach acht Jahren Höppner-Regierung ein Defizit von 1 Milliarde Euro übernommen haben.
({6})
Deutschland liegt mit seinen Ausgaben für Forschung
und Entwicklung bei 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Will Deutschland das Ziel von Lissabon umsetzen, muss es unser Ziel sein, bis 2010 mindestens
3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung
und Entwicklung zu investieren. Das bedeutet in der Tat
eine Kraftanstrengung.
Was aber macht die Bundesregierung 2003? Sie kürzt
den Bildungs- und Forschungshaushalt.
({7})
Was Sie gesagt haben, ist nicht richtig, Herr Schneider.
Von dem Versprechen, die Forschungs- und Bildungsausgaben sowie die Wissenschafts- und Technologieausgaben zu verdoppeln, ist nicht mehr viel übrig geblieben.
({8})
Ich erinnere Sie daran, dass die gesamte Technologieförderung jetzt dem Einzelplan 09 zugeordnet ist. Wenn
man den Einzelplan 09 - Wirtschaft und Arbeit - und
den Einzelplan 30 - Forschung und Bildung - zusammenfasst, dann ergibt sich ein anderes Bild: Im Jahr 2003
liegen die Ausgaben in diesem Bereich um 3,1 Milliarden
Euro niedriger als 1998. Nehmen Sie das doch bitte zur
Kenntnis!
({9})
Betrachtet man die Ausgaben des Bundes allein im
Bereich Bildung und Forschung, so sind auch hier Ihre
Versprechungen einer Verdoppelung der Ausgaben nicht
eingehalten worden. Die Ausgaben lagen 1998 bei
7,3 Milliarden Euro. Heute liegen sie bei 9,1 Milliarden
Euro.
Schmerzlich für uns, aber auch für die Wissenschaftler in Deutschland sind die Einschnitte, die Sie bei den
Forschungseinrichtungen vorgenommen haben,
({10})
und das, obwohl es eine andere Vereinbarung der BundLänder-Kommission gegeben hat. Betroffen sind vor allem
die Max-Planck-Gesellschaft und die Fraunhofer-Gesellschaft, aber auch die Helmholtz- und die Leibniz-Gemeinschaft. So fehlen der Max-Planck-Gesellschaft 14 Millionen Euro und der Fraunhofer-Gesellschaft 17 Millionen
Euro. Ich möchte auch erwähnen, dass 40 der 80 Institute
der Leibniz-Gemeinschaft in den neuen Bundesländern
sind. Ausgerechnet in diesem Bereich kürzen Sie. Das bedeutet riesige Einschnitte in die Forschung und auch, dass
Nachwuchswissenschaftler in geringerem Maße als bisher
oder gar nicht mehr gefördert werden können. Das ist Ihre
Politik, meine Damen und Herren von der Regierung. Das
können wir nicht mittragen. Deswegen haben wir entsprechende Änderungsanträge gestellt.
({11})
Bitte werfen Sie einen Blick in den Bericht der
Bundesbank, um einen wichtigen Indikator für die
Bewertung der Entwicklung der Innovationskraft in
Deutschland zu entdecken: die technologische Dienstleistungsbilanz. Sie hat heute einen bisher nicht gekannten negativen Rekordsaldo erreicht. Lag der Saldo im
Jahr 1990 noch bei knapp 0,5 Milliarden Euro, so stieg
er im Jahr 2000 ruckartig auf knapp 5 Milliarden Euro,
also auf das Zehnfache, und schnellte im Jahr 2001 auf
7,5 Milliarden Euro hoch. Dieser überproportional starke
Anstieg begann 1999 und setzte sich unverändert fort.
Das sind die Ergebnisse Ihrer Technologiepolitik, meine
Damen und Herren von der Regierungskoalition.
({12})
Das ist das falsche Signal. So wird Deutschland im internationalen Wettbewerb nicht bestehen können.
({13})
- Frau Flach wäre gerne hier gewesen. Sie hätte die gleiche Rede gehalten, Herr Tauss.
({14})
Ihr Bekenntnis im Koalitionsvertrag, die neuen Bundesländer in besonders starkem Maße zu fördern, ist
halbherzig. Das Inno-Regio-Programm ist zwar hervorragend und findet unsere volle Unterstützung.
({15})
Aber als die Ministerin ihren Bericht über die Großforschungsgeräte und die Grundlagenforschung erstattet
hat, haben wir festgestellt, dass von den 975 Millionen
Euro gerade einmal 25 Millionen Euro in die neuen Bundesländer fließen. Ich frage Sie, Frau Ministerin: Warum
haben Sie den Antrag für eine europäische Neutronenspallationsquelle bei der EU zurückgezogen? Warum
unterstützen Sie nicht die Initiative von Sachsen und
Sachsen-Anhalt, die in ihre Länderhaushalte, die auch
konsolidiert werden müssen, entsprechende Mittel eingestellt haben? Sie setzen falsche Signale.
Frau Kollegin, Sie haben schon die Hälfte der Redezeit Ihres Fraktionskollegen aufgebraucht.
Ich bedanke mich, sehr verehrter Herr Präsident.
Wir brauchen mehr Bewegung in Deutschland. Das
wird es aber mit der rot-grünen Bundesregierung auch in
Bildung und Forschung nicht geben.
Danke.
({0})
Ich erteile das Wort Kollegen Alexander Bonde,
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben heute
wieder einmal die Fortsetzung der alten Oppositionsstrategie „Wir nörgeln den Optimismus herbei“. Auch in der
Bildungs- und Forschungspolitik wird die Schwarzseherei der letzten Wochen und Monate fortgesetzt. Der Kollege Willsch hat, als es um die Zahlenbasis ging, wenigstens sein Hessenabitur als Alibi vorgeschoben. Ich
möchte Hessen hier explizit in Schutz nehmen.
Die Fragen, um die es hier geht, sind, wie Bildung
und Forschung solide finanziert werden, aber auch, wie
Effizienzkriterien in diesem Bereich geltend gemacht
werden und wie wir gemeinsam Anstrengungen für zukünftige Investitionen unternehmen können.
({0})
Ich glaube, dass die Opposition einen konstruktiven Beitrag dazu leisten kann. Aber man muss von der gleichen
Zahlenbasis ausgehen und zur Kenntnis nehmen, wie
die Situation tatsächlich ist. Wir haben im Einzelplan 30
eine Größe von 8,364 Milliarden Euro für 2003 eingestellt. Hinzu kommen 435 Millionen Euro für BAföGDarlehen und 300 Millionen Euro für die Betreuung an
Ganztagsschulen. In der Summe werden also im Bereich
des Ministeriums rund 9,1 Milliarden Euro für Bildung
und Forschung ausgegeben. Wenn man den Vergleich zu
2002 zieht, dann zeigt sich, dass es sich angesichts der
dafür eingestellten Mittel in Höhe von 8,834 Milliarden
Euro - aller Nörgelei zum Trotz - um einen Aufwuchs
handelt.
({1})
Außerdem müssen wir darüber reden, dass auch andere Einzelpläne Ausgaben für Bildung und Forschung
beinhalten. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition, an dieser Stelle kann ich Ihnen den Hinweis
auf folgende Zahlen nicht ersparen: In den Jahren von
1993 bis 1998, also in Jahren, in denen die CDU, die
CSU und die FDP regierten, haben Sie die Ausgaben
von 7,6 Milliarden Euro auf 7,2 Milliarden Euro „heruntergespart“.
({2})
Wäre Adam Riese Mitglied einer der Oppositionsfraktionen, dann könnte er den Schluss ziehen, dass
9,1 Milliarden Euro im Vergleich zu 7,6 Milliarden Euro
ein deutlicher Aufwuchs sind. Ich finde, an dieser Stelle
muss man deutlich sagen: Rot-Grün hat den Plafond für
Bildung und Forschung seit 1998 um 25 Prozent gesteigert.
({3})
Seit fünf Jahren wachsen die in diesem Einzelplan veranschlagten Mittel kontinuierlich an, während sie in
Ihrer Regierungszeit kontinuierlich gesunken sind. Diese
9,1 Milliarden Euro stellen die bisher höchsten Ausgaben für Bildung und Forschung dar.
({4})
- Dieser Kollege Austermann!
Natürlich müssen wir auch im internationalen Vergleich stärker in Bildung und Forschung investieren. Wir
müssen die Rahmenbedingungen für Forscher verbessern; aber wir dürfen dabei auch die wirtschaftliche Lage
nicht unberücksichtigt lassen. Mich besorgt in diesen Tagen sehr viel mehr als die Frage der staatlichen Ausgaben das große Problem des massiven Rückgangs der privaten Forschungs- und Entwicklungsausgaben.
({5})
Meine Damen und Herren, Kollege Willsch, wir von
Rot-Grün sind gewillt, die Mittel für Bildung und Forschung, so wie wir es für dieses Haushaltsjahr getan haben, auch im nächsten Jahr zu erhöhen. Das heißt aber
auch, dass diese Regierung ihren Konsolidierungskurs
fortführen muss. Die Mittel für Bildung und Forschung
wurden erhöht und gleichzeitig wurde der Schuldenstand
gesenkt. Das ist ein weiterer Unterschied zur Bilanz der
CDU/CSU-FDP-Regierung. Diese Regierung hat die
Bildungsausgaben nämlich gesenkt und die Verschuldung gleichzeitig erhöht.
({6})
Wäre die Erhöhung der Verschuldung zugunsten von Zukunftsinvestitionen wie Bildung und Forschung geschehen, dann hätten wir dafür vielleicht Verständnis aufgebracht. Aber wir wissen so gut wie Sie: Das war nicht
der Fall.
Für die von den damaligen Regierungsparteien zu
verantwortenden Schulden zahlen wir bis heute die Zinsen. Auch wegen der damit verbundenen großen Zinslast
können wir heute nicht in dem Maße in Bildung und Forschung investieren, wie wir es gerne wollen. Wir müssen
den Konsolidierungskurs der rot-grünen Koalition, der
unter anderem darin besteht, strukturelle Reformen, gerade in den Sozialversicherungssystemen, vorzunehmen,
vorantreiben, weil nur so der Spielraum für Zukunftsinvestitionen entsteht.
Angesichts dieser Haushaltslage verwundert mich
auch das eine oder andere Agieren der Opposition. Zu
dieser Debatte liegen einige Änderungsanträge vor, die
Mehrausgaben in Höhe mehrerer Hundert Millionen
Euro vorsehen. Wir stellen dazu fest: In diesen Änderungsanträgen gibt es keine Vorschläge für eine Gegenfinanzierung.
({7})
- Jetzt werden Subventionskürzungen vorgeschlagen.
Das hätten Sie einmal vorschlagen sollen, als es um die
Abschaffung der Eigenheimzulage ging.
({8})
Frau Pieper, die Hälfte der Mitglieder Ihrer Fraktion hat
gegen diese Subventionskürzung demonstriert. Angesichts der heutigen wirtschaftlichen Lage wäre die Opposition gut beraten, nicht immer nur unerfüllbare Hoffnungen zu wecken und Schaufensteranträge zu stellen,
die Sie nicht einmal dann vorlegen würden, wenn Sie
Regierungsfraktionen wären. Ich finde, für diese Oppositionsspielchen ist die Lage viel zu ernst.
({9})
Im Einzelplan 30 sind verschiedene inhaltliche
Schwerpunkte gesetzt. Der Kollege Schneider hat einige erläutert. Außerdem wird der Kollege Fell ein paar
grüne Highlights herausstellen.
({10})
Ich will betonen: Wir werden weiterhin in die Zukunft investieren. Wir werden dazu beitragen, dass im
Einzelplan des Ministeriums weiterhin eine Schwerpunktsetzung erfolgt. Wir werden aber nicht dem
Motto „Mehr Geld bedeutet bessere Ergebnisse“ folgen, das die von Ihnen heute eingebrachten Änderungsanträge beinhalten. Auch Forschung muss sich
der Evaluation stellen. Auch im Forschungsbereich
muss man über Fragen der Effizienz und der Schwerpunktsetzung reden. Das ist mit diesem Haushalt in
verantwortlicher Weise geschehen. Trotz einer äußerst schwierigen finanziellen Situation wurde für das
Jahr 2003 in diesem Bereich „draufgesattelt“. Das
wird auch in der Zukunft so sein.
Mit dem, was Rot-Grün als Regierungskurs vorgelegt
hat, und mit dem, was der Kanzler bei seiner Rede am
Freitag vorgegeben hat, sind wir auf einem guten Weg.
Hören Sie mit der Schwarzmalerei auf! Unterstützen Sie
uns auf dem Weg! Die Opposition ist gefordert, endlich
konstruktiv mitzuarbeiten.
Vielen Dank.
({11})
Ich erteile der Kollegin Katherina Reiche, CDU/CSUFraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Frau Bulmahn, was hatten Sie für günstige Bedingungen, als Sie 1998 das Amt übernommen haben?
({0})
Ihr Bildungs- und Forschungsetat wurde im Wesentlichen von allgemeinen Haushaltskürzungen verschont.
Zusätzlich erhielten Sie Gelder aus der Versteigerung der
Lizenzen. Sie konnten nahezu aus dem Vollen schöpfen.
Was haben Sie daraus gemacht? Sie haben eine Flut
von Programmen aufgelegt und viel Geld in die Ressortforschung gesteckt. Ihrer eigentlichen Aufgabe jedoch
sind Sie nicht gerecht geworden, nämlich in guten Zeiten
den Forschungsstandort Deutschland für schlechte Zeiten wetterfest zu machen - das Volumen Ihres Haushalts
liegt im Jahr 2003 unter dem von 2002; es wurde um
41 Millionen Euro gekürzt -,
({1})
für eine echte Aufbruchstimmung zu sorgen, mit einer gezielten Förderung der Industrieforschung in den neuen Ländern, zum Beispiel mit einer Stärkung der Grundlagenforschung, mit der Förderung des wissenschaftlichen
Nachwuchses, mit Leistungsanreizen für die Hochschulen
und die Wissenschaft, mit einer Stärkung des ersten Arbeitsmarktes und mit dem Abbau von Bürokratie. Wertschöpfung hätte im Mittelpunkt Ihrer Politik stehen müssen.
({2})
Wir vermissen eine Vision. Wir vermissen die Bereitschaft, neue Themen aufzugreifen und Chancen zu nutzen. Der große Ruck vom letzten Freitag ist ein Geruckel
und das ist auch Ihre Politik.
({3})
Die Mitglieder der Europäischen Union wollen bis
zum Jahr 2010 für Forschung und Entwicklung einen
Anteil von 3 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt erreichen. Diese Vorgabe sollte auch für Deutschland gelten.
Andere Staaten leisten das, auch unter schwierigen Bedingungen. In Japan zum Beispiel steigen trotz Sparhaushalts die staatlichen Investitionen für Wissenschaft
und Forschung
({4})
um 3,9 Prozent auf 10,3 Milliarden Dollar. Großbritannien hat einen Rekordhaushalt für Wissenschaft und Forschung vorgelegt. Auch die USA investieren in die Zukunft.
({5})
Sie wollten die Investitionen in Bildung und Forschung
jährlich um eine halbe Milliarde Euro erhöhen. Sie haben sich weit aus dem Fenster gelehnt und sind jetzt hart
auf dem Boden der Tatsachen gelandet.
({6})
Nach falschen Weichenstellungen steckt Ihr Haus nun
in der Sackgasse. Keine Spur von Konzept oder Stringenz! Sie spielen Forschungs- und Bildungspolitik gegeneinander aus.
({7})
Sie opfern die Priorität „Forschungspolitik“ zweifelhaften Ausgaben für angebliche Ganztagsschulen. Sie messen Ihren Erfolg an der Anzahl von BAföG-Empfängern.
650 000 BAföG-Empfänger im Jahr 2003 sind aber kein
Durchbruch in der Hochschulpolitik, sondern Ausdruck
des Versagens in der Wirtschaftspolitik.
({8})
Die Menschen in Deutschland werden immer ärmer.
({9})
Frau Bulmahn, Sie haben das Kerngeschäft, die Forschung, vernachlässigt und sich in die Bildungspolitik
geflüchtet, dorthin, wo Sie keine Kompetenz haben.
PISA hat die Schwächen von rot-grüner Bildungspolitik
offen gelegt.
({10})
Auch Niedersachsen zählt zu den bildungspolitischen
Sitzenbleibern. Und da kommen Sie aus Niedersachsen
daher und wollen Baden-Württemberg und Sachsen erklären, wie man Bildungspolitik macht! In Niedersachsen Hausaufgaben nicht machen und dann festlegen wollen, wie es in Deutschland nach PISA weitergeht, das
geht schief und das machen wir nicht mit.
({11})
Die Antwort auf PISA
({12})
sind nicht mehr Ganztagsschulen. Die Antwort sind verbindliche Bildungsstandards, verbesserte Lehrerausbildung, Transparenz, Leistungsvergleich, Leistungsprinzip
in einem gegliederten Schulsystem, Wettbewerb und
Qualität, all das, wogegen Sie sich jahrelang gewehrt haben. Aber das ist nicht Ihre, sondern das ist originär Ländersache, Frau Bulmahn.
Um es ganz klar zu sagen: Natürlich brauchen wir
mehr Betreuungsangebote für Sechs- bis Zwölfjährige
am Nachmittag.
({13})
Aber das hat mit PISA nichts zu tun.
({14})
Ihr Ansatz, Frau Bulmahn, löst keine Probleme, schafft
dafür aber 1,5 Milliarden Euro zusätzlicher Belastungen
für Länder und Kommunen. Deshalb sagen wir: Beteiligen Sie die Länder an der Umsatzsteuer, entlasten Sie
die Kommunen, führen Sie das Konnexitätsprinzip wieder ein und dann gibt es auch mehr Ganztagsangebote!
({15})
Auch beim Thema Lehrstellen und berufliche Bildung ist die Situation dramatisch. Von 711 000 Bewerbern um einen Ausbildungsplatz schafften am Ende des
Berufsberatungsjahres 2001/02 nur 342 700 den Sprung
in eine reguläre Ausbildung - nicht einmal die Hälfte.
Für 2003 fehlen 110 000 Lehrstellen, davon 80 000 im
Osten. 80 000 in den neuen Ländern!
({16})
580 000 arbeitslose Jugendliche unter 25 Jahren im Februar 2003, das ist absoluter Rekord der Nachkriegszeit
in Deutschland. Das ist ein Skandal.
({17})
Meine Damen und Herren, der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit unseres Landes bescheinigt
Rot-Grün, dass die Basis unseres Wohlstandes in eine
Schieflage geraten ist. Im weltweiten Vergleich liegt die
deutsche Wirtschaft mit ihren Aufwendungen für Zukunftsinvestitionen mit 2,5 Prozent abgeschlagen auf
Platz sieben unter anderem hinter Schweden, Finnland,
Japan und den USA.
({18})
Ein Grund für das Abrutschen sind die jahrelangen falschen Allokationen im Forschungsetat.
({19})
Auch der aktuelle Haushalt 2003 verspricht keine
Umkehr. Es gibt keine Verlässlichkeit mehr; fragen Sie
die Forschungsorganisationen. Es gibt keine Konstanz,
kein Vorausschauen und keine Langfristigkeit. Sie betreiben tagespolitischen Aktionismus. Noch vor der Bundestagswahl hat der Bund mit den Ländern für die deutschen Wissenschaftsorganisationen Aufwüchse von
3,5 bzw. 3 Prozent vereinbart. Über Nacht und einseitig
wurde das gekündigt. Den Forschungsorganisationen
fehlen mittlerweile 75 Millionen Euro in ihren Etats. Das
Kanzlerversprechen für 2004 lautete, nun den Aufwuchs
zu schaffen. Ich frage mich: Wem soll man da noch glauben? Das sind leere Worte. Hier und jetzt hätte der Beweis angetreten werden müssen.
Die MPG wird 20 Institute schließen müssen und die
Leibniz-Gemeinschaft meldet, dass rund 200 Wissenschaftlerstellen gefährdet sind, 80 Einrichtungen, von
denen ein Drittel in den neuen Ländern ist. Es gibt erstmals Entlassungen bei der Leibniz-Gemeinschaft in den
neuen Ländern.
({20})
Die Entscheidung des BMBF gegen eine deutsche Bewerbung für das Großforschungsprojekt ESS bedeutet
eine weitere Schwächung für den Forschungsstandort
Deutschland.
({21})
Am Beispiel der Biotechnologie werden die Schwächen besonders deutlich. Seit dem Gipfel von Barcelona
waren Sie aufgefordert, eine nationale Biotechnologiestrategie vorzulegen - bislang Fehlanzeige. Weite Bereiche in der Biotechnologie befinden sich in einer Phase
der Stagnation, zum Teil bis hin zur Existenzgefährdung.
Wirtschaftliches, aber auch wertvolles wissenschaftliches Potenzial droht jetzt verloren zu gehen. Die grüne
Gentechnik wird gegen die rote ausgespielt und aus
ideologischen Gründen ausgebremst.
Meine Damen und Herren, wir stehen im internationalen Wettbewerb um die besten wissenschaftlichen
Talente. Dazu müsste Deutschland den besten Köpfen
die besten Arbeitsbedingungen und größtmöglichen
Freiheiten zubilligen. Wir bräuchten mehr Flexibilität,
mehr Wettbewerb, eine bessere Verknüpfung von Wissenschaft und Wirtschaft, weniger Vorschriften und weniger direkte Eingriffe. Aber Frau Bulmahn hat in den
vergangenen Jahren den Forschungsstandort durch mehr
Fesseln gelähmt und die Zügel angezogen.
({22})
Das Professorenbesoldungsreformgesetz - das können Sie sich ruhig anhören, Herr Tauss - schreckt junge
Wissenschaftler ab. Mit dem 5. Hochschulrahmengesetz haben Sie faktisch die Habilitation abgeschafft.
Exzellenzforscher aus den Wissenschaftsorganisationen
schauen jetzt in die Röhre. Wir setzen uns deshalb für
eine rasche Novellierung ein.
Die Klage der Länder Hamburg, Baden-Württemberg,
Bayern und Sachsen vor dem Bundesverfassungsgericht
gegen die 6. Novelle des Hochschulrahmengesetzes unterstützen wir.
Ich sage Ihnen: Novellieren Sie das Hochschulrahmengesetz! Machen Sie aus dem Korsett des HRG endlich einen echten Rahmen und lassen Sie den Ländern
und Hochschulen mehr Freiheit!
({23})
Die Antwort auf Ihre Politik bekamen Sie vor wenigen Tagen: Alle 16 Länder wollen aus der gemeinsamen
Bildungsplanung der BLK aussteigen. Frau Bulmahn,
Sie wurden in der Bildungspolitik vor die Tür gesetzt,
und das zu Recht.
({24})
Auch Ihre politischen Freunde auf Länderebene werden rar. Der ehemalige niedersächsische Wissenschaftsminister Oppermann, SPD, nun von seiner Amtslast
befreit, hat Ihre Politik in seinem Abschiedsbrief sehr
deutlich kritisiert. Er fordert von Ihnen zu Recht einen
„stärker interessenorientierten Blick“, damit Forschungs- und Wissenschaftsstrukturen profiliert werden
können. Recht hat der Mann!
({25})
Der Bundeskanzler hat Ihnen, Frau Bulmahn, im
Haushalt 2003 die Unterstützung versagt. Er zieht auch
noch den für Juni geplanten Bildungsgipfel an sich eine weitere Deklassierung für Sie.
Frau Bulmahn, ich sehe, dass Ihnen der Wind derzeit
scharf ins Gesicht weht. Wie Sie die nächsten drei Regierungsjahre ohne Konzept und roten Faden überstehen
wollen, bleibt uns ein Rätsel.
({26})
Ich erteile das Wort Bundesministerin Edelgard Bulmahn.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Herren und Damen! Im
Jahre 1998 habe ich alles andere als eine gute Situation
vorgefunden: einen Haushalt, der voll gegen die Wand
gefahren war,
({0})
der über Jahre hinweg gekürzt worden war mit dem Ergebnis, dass die notwendigen und dringendsten Aufgaben nicht mehr erledigt werden konnten.
({1})
Ich habe über Jahre hinweg verschobene Reformen vorgefunden, die nicht angepackt worden sind, weil Ihnen
die Courage und der Mut fehlten.
({2})
In diesem Zusammenhang muss ich Ihnen etwas sagen, Frau Reiche: Wenn Sie als forschungspolitische
Sprecherin einer großen Fraktion äußern, für die Wissenschaft sei ein Besoldungssystem für Professoren gut, das
das Älterwerden honoriert, aber nicht die Leistung in
Lehre und Forschung, dann haben Sie Ihren Job verfehlt.
({3})
Mit dieser Position stehen Sie in Ihrer eigenen Fraktion
ziemlich allein da; denn alle Bundesländer, auch die von
der CDU regierten, haben unserem Vorschlag zugestimmt.
({4})
Das war nicht einfach. Sie haben sich für eine Deckelung eingesetzt; die CDU-regierten Länder haben dies
dann auch durchgesetzt. Aber wenn Sie die Tatsache
ignorieren, dass wir in Wissenschaft und Forschung ein
Besoldungssystem brauchen, das Leistung in Lehre und
Forschung, nicht aber das Älterwerden honoriert, dann
haben Sie den Charakter von Bildung und Forschung
nicht erkannt.
({5})
Diese Bundesregierung, meine sehr geehrten Herren
und Damen, hat seit 1998 neuen Schwung für Bildung
und Forschung gebracht.
({6})
Dieses Land ist stark geworden, weil es über Jahrzehnte
hinweg auf das Können, auf die Kreativität und die Leistungsfähigkeit seiner Menschen gesetzt hat. Dieses Land
wird nur dann stark bleiben, wenn seine Menschen, die
unser eigentliches Kapital sind, auch künftig in der Lage
sind, Leistungen für sich selbst, für ihre Familien und
auch für unsere Gesellschaft zu erbringen. Dies ist die
politische Aufgabe, die es zu bewältigen gilt.
({7})
Die Voraussetzung dafür ist, dass Bildung und Forschung nicht ausgebremst werden, so wie das in den
16 Jahren der CDU/CSU-FDP-Regierungsverantwortung Jahr für Jahr geschehen ist. Deutschland lebt von
dem Können und Wissen der Menschen. Deshalb gehören Bildung und Forschung in das Zentrum der Politik.
Genau diesen Kurs haben wir seit 1998 konsequent eingeschlagen.
Meine Vorredner haben darauf hingewiesen: Unter
dieser Bundesregierung sind die Mittel für Bildung und
Forschung seit 1998 um mehr als 25 Prozent gestiegen.
Das war nicht einfach, denn wir haben parallel dazu den
Haushalt konsolidiert. Gleichzeitig haben wir die notwendigen strukturellen Änderungen in der Forschung
durchgeführt,
({8})
zum Beispiel die von Ihnen seit über 10 Jahren aufgeschobene Reform der HGF, die wir im Ausschuss für
Forschung und Technologie - ich denke, ein bisschen
Kenntnis über diesen Bereich sollte man haben - seit
Anfang der 90er-Jahre immer wieder gefordert hatten.
Sie haben sie nicht angepackt; wir haben sie in sehr
mühsamen Verhandlungen durchgesetzt und damit das
Ziel erreicht, dass die größte deutsche Forschungsorganisation endlich ihre durchaus vorhandene Leistungsfähigkeit entfalten kann.
({9})
Meine sehr geehrten Herren und Damen, der Sachverständigenbericht zur technologischen Leistungsfähigkeit hat uns gerade erst bescheinigt, dass wir die
Forschung in den letzten vier Jahren deutlich gestärkt
haben und auch bei den Strukturveränderungen auf dem
richtigen Weg sind. Deutschland ist heute zweitgrößter
Exporteur forschungsintensiver Waren und Güter. Unter
den großen europäischen Ländern weist Deutschland die
höchste Dichte an innovativen Unternehmen auf. Wir
sind weltweit führend auf dem Gebiet der Automobiltechnik,
({10})
der optischen Technologien und in der Mobilfunktechnik. In Europa sind wir in der Biotechnologie und im
Maschinenbau an der Spitze; in der Biotechnologie sind
wir endlich wieder an die Spitze gerückt.
({11})
Das neue BAföG hat vielen jungen Menschen die
Entscheidung für ein Studium ermöglicht und einen Run
auf unsere Hochschulen ausgelöst. Das ist auch notwendig, denn alle vergleichbaren Industrieländer haben eine
Studierendenquote von durchschnittlich 40 Prozent. In
Deutschland lag die Quote 1998 bei 27,7 Prozent.
({12})
Jetzt liegt sie bei 35,6 Prozent.
({13})
Wenn Sie das als einen Misserfolg der Politik betrachten,
dann kann ich nur sagen: Gute Nacht, Deutschland.
Wenn man nicht begreift, dass Deutschland keine einsame Insel ist und dass man nur im internationalen
Wettbewerb mit bestausgebildeten Menschen unser
wirtschaftliches Wachstum und auch unsere wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit sicherstellen kann,
({14})
dann liegt man wirklich falsch. Herr Austermann, wir
haben eine deutliche Zunahme der Studienanfängerzahlen gerade in den Naturwissenschaften zu verzeichnen,
und zwar zwischen 18 und 25 Prozent.
({15})
Das sind die Bereiche, in denen wir dringend Nachwuchs brauchen. Unter Ihrer Regierung ist der Anteil bis
auf 13 Prozent heruntergegangen.
({16})
Sie müssen einmal die Fakten zur Kenntnis nehmen und
nicht lauter Vorurteile streuen, die jeglicher sachlichen
Basis entbehren. Beschäftigen Sie sich mit den Fakten!
Dann können Sie etwas zu diesem Thema sagen.
({17})
Wir haben das Meister-BAföG reformiert.
({18})
Auch das ist eine ähnliche Erfolgsstory. Wir wollen, dass
die Jugendlichen sowohl an den Hochschulen als auch in
der beruflichen Ausbildung ihre Chancen bekommen.
Schon im Jahre der Reform waren es 16 000 Fachkräfte
mehr, die dieses neue Angebot zum beruflichen Aufstieg
genutzt haben. Das zeigt: Die Reform war ein Erfolg.
({19})
Wir erneuern unser Land und setzen diesen Modernisierungskurs auch unter schwierigen wirtschaftlichen
Bedingungen konsequent fort. Das gilt auch dann, wenn
uns die notwendigen Schritte zur Haushaltskonsolidierung in diesem Jahr zu einigen - das sage ich ausdrücklich - schmerzhaften Entscheidungen gezwungen haben.
({20})
Die hohen Zuwächse, die wir in den vergangenen Jahren in Bildung und Forschung realisiert haben, werden
wir auch in diesem Jahr fortschreiben. Die Vorredner haben bereits darauf hingewiesen: Wir haben einen Haushalt für Bildung und Forschung von insgesamt über
9,1 Milliarden Euro. Wir haben deutlich akzentuierte
Schwerpunkte gesetzt: in der Forschungsförderung in
den neuen Bundesländern, aber auch in den für uns so
wichtigen Technologiefeldern, wie zum Beispiel in der
Biotechnologie und in der IuK-Technologie.
Die Zukunft unseres Landes entscheidet sich auch in
den Schulen und Hochschulen. Es ist völlig richtig,
wenn hier gesagt wird, dass die Länder für die Schulen
zuständig sind. Aber wir haben eine gemeinsame Verantwortung für Bildung. Deshalb kommt es darauf an, dass
wir uns nicht zurückziehen und sagen: Das geht uns alle
nichts an!, wenn wir feststellen müssen, dass die PISAStudie auf gravierende Mängel hinweist. Wir müssen
gemeinsam dafür Sorge tragen, dass sich unser Bildungssystem schnell und zügig verbessert. Darum geht
es. Deshalb haben wir den Ländern das Angebot gemacht, sie bei der Verbesserung des Bildungssystems zu
unterstützen.
Ich will ausdrücklich sagen, dass es ein bildungspolitischer Skandal ist,
({21})
wenn wir feststellen müssen, dass in unserem Land
25 Prozent der Jugendlichen die Schule mit 15 Jahren
verlassen, ohne dass sie einfache Texte lesen können.
Mich lässt das jedenfalls nicht kalt. Ich hoffe, dass es
vielen in diesem Hause so geht.
({22})
Herr Austermann, mich lässt es auch nicht kalt - auch
das ist ein gesellschaftspolitischer Skandal -, dass in
Bayern, so der Leiter der PISA-Studie, der führende
Wissenschaftler Herr Professor Baumert, ein Kind aus
einer Arbeitnehmerfamilie bei gleichen fachlichen Leistungen eine viermal schlechtere Chance hat, das Abitur
zu machen.
({23})
Deshalb müssen wir dafür Sorge tragen, dass wir unser
Bildungssystem insgesamt verbessern. Wer anfängt, das
eine Bundesland gegen das andere auszuspielen, wird
der Aufgabe nicht gerecht.
({24})
Wir haben Mängel und Defizite in SPD-regierten und
in CDU-regierten Bundesländern. Wir müssen die Mängel und Defizite insgesamt beheben. Darum geht es.
({25})
Deshalb haben wir gesagt, dass wir mit anpacken. Wir
wollen bundesweite Bildungsstandards. Wer da von
Zentralismus redet, der hat bei aller Liebe - das muss ich
ganz offen sagen - den Text nicht verstanden und erfüllt
die Anforderungen der PISA-Studie nicht.
({26})
„Nationale Bildungsstandards“ heißt nämlich, dass von
Wissenschaftlern und Praktikern im Bereich des Unterrichts entwickelt wird, welche Kompetenz ein Kind mindestens haben muss und was die mittleren und die höchsten Standards sind.
({27})
Ich sage ausdrücklich - das habe ich von Anfang an
gesagt -: Wir brauchen regelmäßig bundesweite Leistungsvergleiche und auch Ganztagsschulen, damit unsere Kinder endlich eine gute individuelle Förderung erhalten.
({28})
Denn wenn wir in den Schulen nicht zu besseren Ergebnissen kommen, werden wir nicht die Zahl an Naturwissenschaftlern und Fachkräften haben, die wir brauchen.
Das ist doch der Zusammenhang und deshalb geht uns
dies etwas an.
Zweiter Punkt. Wir wollen, dass jeder junge Mensch
eine Ausbildung erhält. Wir haben mit der Wirtschaft einen Ausbildungskonsens festgeschrieben. Jeder Jugendliche, der ausbildungswillig und ausbildungsfähig ist,
soll eine Lehrstelle bekommen. Die Bundesregierung hat
hier ihren Part erfüllt und wird ihn auch in diesem Jahr
erfüllen. Wir haben zusammen mit den Sozialpartnern
Berufsbilder modernisiert und neue Berufe geschaffen.
Wir stellen auch im Haushalt 2003 erhebliche Mittel bereit, um allen jungen Menschen eine Chance auf Ausbildung und Arbeit zu eröffnen. Die Modernisierung der
beruflichen Bildung werden wir auch in den kommenden
Jahren gezielt vorantreiben.
Herr Präsident, ich sehe, dass jemand eine Zwischenfrage stellen möchte.
Frau Ministerin, Sie gestatten also ganz offenkundig
eine Zwischenfrage. Ich bedanke mich für das Entgegenkommen.
Bitte schön, Herr Kollege.
Frau Ministerin, Sie sprachen gerade von Skandalen.
Ich finde, ein Skandal ist die Ausbildungsplatzsituation; Sie sind soeben darauf eingegangen. Ich möchte
Sie fragen: Wie passt es in die Zeit, wenn pro Jahr
40 000 Unternehmen Insolvenz anmelden und der Bundeskanzler von einer Ausbildungsplatzabgabe spricht?
Glauben nicht auch Sie, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dazu geführt haben, dass es bei uns einen Lehrstellenmangel gibt?
Frau Ministerin, Sie haben die Mittel für das Sonderprogramm zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze
gekürzt. Wir wollten das ändern; damit sind wir nicht
durchgekommen. Sie haben sich in der „Leipziger
Volkszeitung“ vom 31. Januar 2003 folgendermaßen zitieren lassen: Man werde Ausbildungsplätze schaffen,
und zwar 14 000 statt 12 000, wie bisher geplant. Betrachtet man den Haushalt, sieht man, dass es einen
Haushaltsvorgriff geben soll, was nichts anderes heißt,
als dass ab August diese 2 000 Jugendlichen zwar in die
Berufsschule gehen können, sie aber erst ab Dezember
2003 bzw. Januar 2004 eine praktische Ausbildung erhalten werden. Ist das Ihr Ernst? Glauben Sie, das Versprechen, das Sie gegeben haben, damit zu halten?
({0})
Ihre Interpretation dieses Haushaltsvermerkes ist unzutreffend. Wir finanzieren nämlich Ausbildungsplätze
im Rahmen eines Bund-Länder-Programmes in Zusammenarbeit mit den neuen Bundesländern. Wir achten
sehr stark darauf, dass die Ausbildungsmaßnahmen, die
wir im Rahmen dieses Programmes durchführen, zu einem Erfolg werden. Wir haben mit den Bundesländern
klar vereinbart, dass wir damit den Anteil der Ausbildung in den Betrieben stärken. Deshalb ist Ihre Interpretation falsch und unzureichend. Wir haben ausdrücklich
gesagt, dass wir, wenn sich die Ausbildungssituation
schlecht entwickeln sollte, im Rahmen dieses Bund-Länder-Programmes 14 000 Ausbildungsplätze finanzieren
werden. Das besagt dieser Vermerk.
({0})
Die Umsetzung dieses Ausbildungsprogrammes erfolgt durch die Bundesländer. Das ist von diesen ausdrücklich so gewünscht worden und das ist Bestandteil
der Vereinbarung mit den neuen Bundesländern.
({1})
Das heißt, sie entscheiden, wo die Ausbildung stattfindet, und wir drängen darauf, dass sie in Betrieben stattfindet. Das zum einen.
({2})
Zum anderen möchte ich ausdrücklich festhalten: Der
Bundeskanzler hat in seiner Rede am vergangenen Freitag eine ganze Reihe von entscheidenden Veränderungen
dargestellt,
({3})
die das wirtschaftliche Wachstum unterstützen sollen
und werden. Zudem haben wir bereits eine ganze Reihe
von Maßnahmen getroffen. Ich nenne die Mittelstandsinitiative, die Gründerinitiative und die steuerlichen Erleichterungen für Unternehmen,
({4})
die die Rahmenbedingungen für das wirtschaftliche
Handeln gerade kleiner und mittlerer Unternehmen verbessern.
Deshalb erwarten wir von den Unternehmen, dass sie
in ihrem ureigensten Verantwortungsbereich, nämlich
bei der Ausbildung und der Qualifizierung ihres Nachwuchses, Verantwortung übernehmen und dafür Sorge
tragen, dass mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen.
({5})
Ich sage Ihnen ganz klar: Auf Dauer kann es nicht
dabei bleiben, dass nur ein Drittel der Unternehmen ausbildet. Ich habe heute Morgen an einer Diskussion mit
Vertretern sowohl der Wirtschaft als auch der Gewerkschaften teilgenommen, in der ich ausdrücklich und klar
gesagt habe: Es kann nicht sein, dass sich Unternehmen
ihrer ureigensten Verantwortung entziehen, Ausbildungsplätze abbauen bzw. überhaupt nicht ausbilden.
({6})
Da sägen sie an einem Ast, auf dem sie selber sitzen.
Deshalb ist es ihre ureigenste Verantwortung, die Zahl
der Ausbildungsplätze zu erhöhen und für eine qualitativ
gute Ausbildung Sorge zu tragen. Wir tun das Unsrige.
Ich habe darauf hingewiesen, dass wir die Ausbildungsordnungen modernisieren und verändern.
Meine Uhr ist die ganze Zeit weiter gelaufen. Ich
bitte, das zu korrigieren.
Das überrascht mich ein bisschen, weil meine Uhr
nicht weiter gelaufen ist. Wir werden das aber so oder so
ordentlich hinbekommen.
Ich habe auch angekündigt, dass wir zum Beispiel
Qualifikationsbausteine entwickeln, dass wir die Verordnungen wegfallen lassen, bei denen wir davon ausgehen,
dass sie entfallen können. Wir machen es also für Unternehmen einfach und attraktiv, auszubilden, aber sie müssen diese Verantwortung auch übernehmen.
({0})
Ich habe im Übrigen mit dem Wirtschaftsminister eine
Ausbildungsoffensive 2003 verabredet. Dazu gehören
die Schaffung von neuen Ausbildungsverbünden auch in
den alten Bundesländern, regionale Branchenkampagnen
zur Mobilisierung von Betrieben, die betriebsnähere
Ausgestaltung der öffentlichen Ausbildungsförderung
und, wie bereits gesagt, der Wegfall von Vorschriften, die
wir für entbehrlich halten.
Drittens. Wir wollen leistungsfähige Hochschulen,
die auch international als Ort exzellenter Ausbildung und
als Motoren des Fortschritts wahrgenommen werden. In
der letzten Legislaturperiode habe ich auf dem Weg dahin zwei wichtige Ziele erreicht. Durch die Änderung des
Dienstrechts ist es uns gelungen, dem wissenschaftlichen
Nachwuchs deutlich mehr Selbstständigkeit und internationale Ausrichtung zu geben und parallel dazu auch Anreize für die Leistungssteigerung in Lehre und Forschung
zu schaffen. Mit Erfolg übrigens, denn 15 Prozent der
neu berufenen Juniorprofessoren kommen aus dem Ausland; bisher hatten wir einen Anteil von 5 Prozent. Das
zeigt, dass wir hier den richtigen Weg gegangen sind.
({1})
Wir haben gleichzeitig durch die Novellierung des
BAföG sichergestellt, dass die Antwort auf die Frage, ob
jemand studieren kann, eben nicht mehr vom Geldbeutel
der Eltern abhängt, sondern allein von der eigenen Leistungsfähigkeit.
({2})
In den kommenden vier Jahren kommt es mir darauf
an, zu erreichen, dass noch mehr Studierende ihr Studium erfolgreich abschließen. Deshalb habe ich den Ländern einen Pakt für Hochschulen angeboten, mit dem
eine Verbesserung der Studienbedingungen, eine klare
Strukturierung des Studiums und eine bessere Studienberatung erreicht werden sollen. Es kommt darauf an,
dass wir mehr Transparenz durch ein umfassendes Hochschulranking, eine strukturierte Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und eine stärkere internationale Ausrichtung unserer Hochschulen erreichen. Das
sind die Schwerpunkte dieses Pakts für Hochschulen.
({3})
Viertens. Schließlich wollen wir durch Forschung
und Innovation unser wirtschaftliches Wachstum vorantreiben und stärken und Wachstum und Beschäftigung
sichern. Forschung ist der Grundstein jedes neuen Produktes und jedes neuen Verfahrens. Deshalb haben wir
die Forschung seit 1998 systematisch gestärkt, auch die
institutionelle Forschungsförderung.
Mein Ministerium betreibt im Übrigen keine Ressortforschung, Frau Reiche. Wir haben ein einziges Institut,
das zur Ressortforschung gehört; sonst gibt es in meinem
Zuständigkeitsbereich keine Ressortforschung. Das zu
Ihrer Information.
({4})
Die Förderung der DFG zum Beispiel ist seit 1998 um
mehr als 25 Prozent gestiegen. Das war richtig und notwendig. Umso schmerzlicher ist es, dass wir in diesem
Jahr die Mittel für die Forschungsorganisationen bis auf
die Mittel für die DFG nicht erhöhen konnten. Wir werden das bereits ab dem kommenden Jahr verändern und
die Etats aller großen Forschungsorganisationen wieder
um 3 Prozent erhöhen. Das hat der Bundeskanzler am
Freitag angekündigt und das werden wir auch machen.
({5})
Frau Ministerin, es wäre schön, wenn Sie bei der Einhaltung der verlängerten Redezeit etwas behilflich sein
könnten, sonst müssten wir das anderswo berücksichtigen.
Ich glaube, bis jetzt ist meine Redezeit noch nicht verlängert. Ich hatte noch drei Minuten, als ich wieder angefangen habe.
Einvernehmlich sind wir der Meinung, dass es so ist,
wie ich es gerade vorgetragen habe.
Mit der Steigerung der Projektförderung um
44 Prozent haben wir neue Plattformen für eine verbesserte Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft
geschaffen und damit dem Wissens- und Technologietransfer in Deutschland neuen Schwung gegeben. Das
will ich auch noch einmal an einigen konkreten Beispielen deutlich machen. Mir ist das deshalb so wichtig, weil
eine enge Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und
Wissenschaft - die wird gerade über die Projektförderung geleistet - eine der wichtigsten Voraussetzungen
für wirtschaftliches Wachstum ist. Ich bitte auch darum,
einmal in den Haushalt zu gucken, statt hier einfach zu
schwabulieren.
({0})
Bei einem Blick in den Haushalt stellt man fest, dass
zum Beispiel im Bereich Gesundheit und Medizin die
Forschungsförderung von 1998 bis 2003 von 84 Millionen Euro auf 101 Millionen Euro gestiegen ist. Im
Bereich der molekularen Medizin ist sie von 33 Millionen Euro auf 42,7 Millionen Euro gestiegen. Im Bereich
Biotechnologie ist sie von 86 Millionen Euro auf
109 Millionen Euro gestiegen. Im Bereich Informationstechnik ist sie von 248 Millionen Euro auf 270 Millionen
Euro gestiegen.
Ich sage Ihnen ganz klar: Natürlich hätte ich als Forschungsministerin gerne noch höhere Steigerungsraten.
Aber hier den Eindruck zu vermitteln, dass nichts geschehen sei, ist nun wirklich falsch und Ihrer nicht würdig.
({1})
Wir haben es gerade in den wichtigen Bereichen geschafft, die Forschungsförderung deutlich zu verstärken.
Im Übrigen ist diese Förderung gerade den kleinen und
mittleren Unternehmen zugute gekommen. Denn unter
dieser sozialdemokratischen Forschungsministerin ist
der Anteil der kleinen und mittleren Unternehmen an der
Forschungsförderung meines Hauses um fast 60 Prozent
gestiegen.
({2})
Das hätten Sie nicht gedacht. Das hat eine Sozialdemokratin durchgesetzt und erreicht.
Wenn Sie, Frau Reiche, sagen, dass das die falschen
Schwerpunktsetzungen seien - neue Bundesländer: um
90 Prozent erhöht, Biotechnologie: drastisch erhöht,
IuK-Technologien: drastisch erhöht, Nanotechnologien:
deutlich erhöht -, dann müssen Sie bitte die Schwerpunkte vorstellen, die Sie für richtig halten. Das gehört
zu Solidität und Ehrlichkeit dazu.
({3})
Wenn Sie das nicht können, dann muss ich Ihnen vorwerfen, dass Sie keinerlei Perspektive dessen haben, worum es in Deutschland eigentlich geht und worin unsere
Aufgabe liegt.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Christoph Hartmann,
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Etatansatz von Rot-Grün und die dahinter
stehende Politik sind genauso wenig stimmig wie die
Regierungserklärung, die der Kanzler hier am vergangenen Freitag abgegeben hat.
({0})
Ich will nur ein paar Punkte herausgreifen.
Es beginnt beim Hochschulbau. Sie kürzen um
40 Millionen Euro. Das Paradoxe daran ist, dass die Studierendenzahlen steigen und die Abbrecherquoten steigen, die Sie selbst als schlimm empfinden. Überfüllte
Hörsäle und schlechte Studienbedingungen sind an der
Tagesordnung. Sie kürzen die Investitionen in den Ausbau und den Neubau der Hochschulen. Das passt nicht
zusammen.
({1})
Der zweite Punkt ist das BAföG. Sie haben beim
BAföG auf Drängen der FDP nachgebessert.
({2})
Aber auch diese nachgebesserten Zahlen werden nicht
ausreichen. Denn das Soll für dieses Jahr ist niedriger als
das Ist des letzten Jahres. Da es mehr Arbeitslose in diesem Land gibt, gibt es auch mehr Schüler und Studierende, die Anrecht auf BAföG haben, als Sie in Ihrem
Haushalt zugrunde legen. Sie stellen sehenden Auges einen Haushalt auf, der dem Kriterium der Haushaltsehrlichkeit nicht entspricht.
({3})
Betrachten wir die Schwerpunkte, die Sie am Anfang
der Legislaturperiode hier verkündet haben.
Da waren zunächst die nationalen Bildungsstandards. Offen gestanden gibt es im Haushalt nicht einmal
einen eigenen Titel für die nationalen Bildungsstandards.
Es mag ja sein, dass Sie das in dem Titel „strukturelle Innovationen in Bildung und Forschung“ verstecken. Aber
der wurde von Ihren Haushältern zuerst gekürzt und ist
anschließend noch mit einer Haushaltssperre in Höhe
von 10 Millionen Euro belegt worden. Bei dieser Finanzierung ist wirklich nicht zu erkennen, dass Sie es mit
den nationalen Bildungsstandards ernst meinen.
({4})
Zuletzt nenne ich die groß angekündigte Stiftung
„Bildung und Erziehung“. Der erging es noch viel
schlechter. Denn dieser Schwerpunkt war Ihrer Bundesregierung weder einen eigenen Haushaltstitel noch eine
Christoph Hartmann ({5})
andere Art der Finanzierung wert. Auch dieser Schwerpunkt, den Sie selbst gebracht haben, wurde also wieder
einkassiert.
Diese Haushaltsdebatte zeigt uns:
({6})
Sie machen Versprechungen, die Sie nicht halten. Sie haben Konzepte, die Sie nicht umsetzen können, und Sie
können sich gegen Ihre eigenen Haushälter nicht durchsetzen. So führt uns diese Regierung nicht aus der Bildungskrise dieses Landes heraus.
Vielen Dank.
({7})
Ich erteile dem Kollegen Hans-Josef Fell, Bündnis 90/
Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bildung und Forschung sind die Grundlagen unserer
Zukunft. Ich betone dabei: beide. Daher steigern wir das
Volumen des Etats für Bildung und Forschung auch in
diesem Jahr wieder um circa 3 Prozent. Zugegeben, wir
haben in diesem Haushalt eine leichte Kürzung der Forschungsmittel vornehmen müssen.
({0})
Das ist aber kein schlechtes Omen. Das mussten wir
auch 1999 tun. Dennoch konnten wir in der
14. Wahlperiode insgesamt einen deutlichen Aufwuchs
erreichen. Das wird auch in der 15. Wahlperiode wieder
so sein.
({1})
Dies ist eine Steigerung, die Sie, meine Damen und Herren von Union und FDP, in Ihren Regierungszeiten nie
geschafft haben.
Für den nächsten Haushalt werden wir uns wiederum
eine Steigerung vornehmen, so hat es sogar der Kanzler
hier in seiner Regierungserklärung verkündet. In der
letzten Zeit und sogar noch am letzten Freitag hier in
diesem Hause wurde der Regierungskoalition vorgeworfen, die Bildung auf Kosten der Forschung zu fördern.
Das ist sachlich falsch. Mehr als das: Der dahinter steckende Versuch, Bildung und Forschung gegeneinander auszuspielen, wie Sie, Frau Reiche, das auch heute
wieder versucht haben, ist schädlich.
({2})
Es geht nicht um Ganztagsschule oder Max-PlanckGesellschaft. Worum es in der Bildung geht, hat uns
PISA deutlich gezeigt: Ein anders strukturierter und
praktizierter Unterricht zum Beispiel in den naturwissenschaftlichen Fächern und der Mathematik vermittelt
breite und tiefe Kenntnisse und weckt Interesse und
Freude.
Wir als Bund haben nur eng begrenzte direkte Reaktionsmöglichkeiten auf PISA. Mit unserem Ganztagsschulen-Investitionsprogramm wollen wir die Länder
unterstützen, mit dem Aufbau oder Ausbau von Ganztagsangeboten zu beginnen. Das dort mögliche verlängerte Lernangebot sollte, so machen uns PISA, aber auch
andere Untersuchungen klar, vor allem für sprachliche
Förderung genutzt werden.
Auch der Verweis auf den direkten Zusammenhang
zwischen Lernerfolg und Migrationshintergrund unterschlägt oder verdeckt zumindest etwas: Es gibt in
Deutschland noch immer den direkten Zusammenhang
zwischen sozialer Herkunft und Schulerfolg, und zwar
gerade in Bayern. Das sollte uns anspornen, unsere
Schulen zu verbessern.
Länder und Bund sollten deswegen an dem Beschluss
festhalten, gemeinsame Bildungsstandards zu entwickeln
und sie von einer nationalen Agentur stetig überprüfen
und weiterentwickeln zu lassen. Gerade weil schulische
und berufliche Bildung, Kindergärten und Graduiertenkollegs, Lehrerinnen- und Lehrerausbildung sowie Berufsbildungsgesetz zusammenhängen, sollten Länder und
Bund hier konstruktiv zusammenarbeiten: Wettbewerb
der Länder und Bildungseinrichtungen ja, Eifersucht aber
bitte nein. In Ihren Reden wird deutlich, dass Sie vielfach
die Länder gegeneinander ausspielen wollen.
Es geht - das hat PISA uns allen gezeigt - um nicht
weniger als unsere Zukunftsfähigkeit. Wir freuen uns
sehr, dass wir mit unserer BAföG-Reform schon einen
wichtigen Schritt in Richtung Zukunftsfähigkeit getan
haben. Die Zahl der Empfängerinnen und Empfänger ist
seit der Reform um 16 Prozent auf 650 000 im Jahr 2001
gestiegen. Dieser Erfolg schlägt sich auch in der Erhöhung der Haushaltsmittel nieder. Aber es bleibt weiterhin
viel zu tun. So sind zum Beispiel die Aussichten, was am
Ende eines Studiums stehen kann, noch verbesserungswürdig. Die Reform der Studiengänge wird es vielen
Studierenden erleichtern, sich für eine wissenschaftliche
Karriere zu entscheiden.
Bündnis 90/Die Grünen haben für die Bedingungen
der Spitzenforschung in Deutschland zusammen mit
dem Koalitionspartner SPD in den letzen Jahren einiges
bewirkt. Das werden wir fortsetzten.
({3})
Viele Forschungsbereiche, gerade die naturwissenschaftlich-technischen, haben jedoch auch Unterstützung
aus der Wirtschaft verdient. Uns ist bewusst, dass hinsichtlich der Bedingungen zur Realisierung und ökonomischen Nutzung von Entdeckungen und innovativen Ideen
einiges verbessert werden muss. Daran arbeiten wir.
Wir haben in den vergangenen Jahren verschiedene
Forschungsbereiche besonders unterstützt. Den Leitbildern unserer Politik entsprechend sind dies vor allem die
Nachhaltigkeitsforschung, die Friedens- und Konfliktforschung - diese stehen in der aktuellen Situation eines
möglichen Krieges im Blickpunkt -, aber auch die Energie- und die Biotechnologieforschung.
Ich möchte kurz herausgreifen, dass wir vom
Bündnis 90/Die Grünen die Enquete-Kommission zur
Bioethik begrüßen. Wir sehen darin eine Stärkung der
notwendigen ethischen Begleitung. Der gesamte Forschungsbereich der Biotechnologie umfasst aber viel
mehr als nur Gentechnik. In Zukunft wollen wir auch
gentechnikferne Biotechnologien wie etwa die Bionik
verstärkt unterstützen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Haus hat
eine Entscheidung zur Embryonenforschung getroffen.
Bündnis 90/Die Grünen wird sich dafür einsetzen, dass
diese auch eingehalten wird. Den Vorstellungen von Forschungskommissar Busquin, der die Stammzellenforschung mittels verbrauchender Embryonenforschung anstrebt, stellen wir uns entgegen.
({5})
In Übereinstimmung mit dem Wissenschaftsrat halten
wir von Bündnis 90/Die Grünen die Entscheidung zur
ESS - Frau Pieper, hören Sie zu - für überprüfenswert.
Nach unserer Vorstellung von Grundlagenforschung sind
Forschungen zur Spallationsquelle klar zukunftsfähiger
als die Never-Ending-Story der Kernfusion. Forschungen zur Kernfusion, zählen zur Grundlagenforschung, da
sie in den kommenden 50 Jahren nicht zur Energiegewinnung beitragen wird. Wir werden uns, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, im Energieforschungsbereich
stattdessen verstärkt für die erneuerbaren Energien und
die Energiespartechnologie einsetzen.
({6})
Meine Damen und Herren von der FDP und der Union,
Sie haben mit den heute vorgelegten Änderungsanträgen
wieder eine unrealistische und unsolide Finanzpolitik unter Beweis gestellt. Sie von der FDP fordern zum Beispiel
eine Erhöhung der Mittel um mehr als 150 Millionen
Euro, ohne Vorschläge für eine Gegenfinanzierung vorzulegen. Diese Änderungsanträge können wir nicht akzeptieren und müssen sie deswegen ablehnen.
({7})
Die hohe Wertigkeit von Bildung und Forschung findet sich im Haushalt 2003 wieder. Wir werden auch in
den nächsten Jahren ihrer hohen gesellschaftlichen Priorität gerecht werden.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Martin Mayer,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Rot-Grün
ist vor fünf Jahren mit dem sehr hohen Anspruch angetreten, die Ausgaben für Bildung und Forschung zu verdoppeln. Davon ist schon lange keine Rede mehr. Im Gegenteil: Wir haben sogar eine Stagnation zu verzeichnen.
Frau Ministerin, ein Blick in den Haushalt zeigt, dass Sie
nicht 9 Milliarden Euro, sondern nur 8,3 Milliarden Euro
zur Verfügung haben. Das ist weniger als im vorigen
Jahr.
({0})
Der Forschungshaushalt dient als Steinbruch für das
Prestigeprojekt des Bundeskanzlers, nämlich die Förderung der Ganztagsschulen. Wir wollen nicht die Bildung gegen die Forschung ausspielen,
({1})
aber Sie müssen erkennen, dass das Projekt der Ganztagsschulen bildungspolitisch fragwürdig ist. Zum Ersten gibt es nirgendwo einen Beweis, dass die Ganztagsschulen in Bezug auf den Lernerfolg besser sind als die
Halbtagsschulen.
({2})
Zum Zweiten ist dieses Projekt sozialpolitisch unausgewogen, weil es auch die Eltern, die ihre Kinder selbst betreuen, über die Steuern an der Finanzierung beteiligt,
ohne dass diese davon einen Nutzen haben. Dieses Projekt ist zum Dritten finanzpolitisch zu kurz gesprungen,
weil es die Kommunen zu Investitionen anreizt. Die
dann erforderliche Finanzierung des Unterhalts ist aber
nicht gesichert.
({3})
Eine Ganztagsbetreuung muss auf andere Weise gesichert werden.
({4})
Ich will darauf hinweisen, weil hier etwas anderes
behauptet wurde: Die unionsgeführten Bundesländer
- Bayern hat beispielsweise keine Ganztagsschulen,
bietet aber eine gezielte Ganztagsbetreuung ({5})
schneiden bei PISA besser ab als viele SPD-geführte
Bundesländer.
({6})
Für dieses fragwürdige Prestigeprojekt wird die Forschung finanziell gerupft.
({7})
Beispielsweise werden die Mittel für die nationale Weltraumforschung gegenüber dem Vorjahr zurückgefahren.
Die Kürzungen werden zum Teil verschleiert. Dazu hat der
Kollege Willsch schon einiges gesagt. Infolge der Kürzungen bei den nationalen Raumfahrtmitteln wird Deutschland auf einem wichtigen Gebiet der physikalischen
Grundlagenforschung und bei der Hochtechnologie in
Dr. Martin Mayer ({8})
Zukunft nicht mehr mithalten können. In der Raumfahrt
und Weltraumforschung werden zwar viele, ja, die meisten Projekte europäisch - und auch international - organisiert, aber bei diesen europäischen Projekten kann nur
mithalten, wer sich national die Kompetenz erarbeitet.
Nur dann wird er interessante Anteile und Führungskompetenzen in europäischen Projekten erhalten.
({9})
Statt die Mittel zu erhöhen - das ist dringend notwendig -,
werden der Weltraumforschung mit diesem Haushalt rund
40 Millionen Euro entzogen.
({10})
Gleiches gilt für einen anderen wichtigen Forschungsbereich, die Kernfusion. Herr Fell, seit etwas mehr als
vier Jahrzehnten arbeiten auf der ganzen Welt Wissenschaftler an dem Ziel, die Kernverschmelzung, die in der
Sonne natürlich abläuft, auf der Erde nachzuvollziehen
und daraus elektrische Energie zu erzeugen. Deutschland
spielt bei diesem Vorhaben eine führende Rolle.
({11})
Nun geht es darum, den Fusionsreaktor ITER in internationaler Zusammenarbeit zu bauen und damit die physikalische Machbarkeit eines Energie produzierenden
Plasmas zu beweisen.
({12})
Die Möglichkeit, durch Kernfusion elektrischen
Strom zu erzeugen, wird immer greifbarer. Das zeigt
sich im Übrigen auch daran, dass sich die USA erneut
und China neu daran beteiligen wollen. Es ist unerklärlich, warum die Grünen die Fusionsforschung in
Deutschland jetzt, da sich der Erfolg abzeichnet und sie
zu einer umweltfreundlichen und sicheren Energieerzeugung führen wird, zurückfahren wollen.
({13})
Man fragt sich, was hinter dieser irrationalen Haltung
steckt.
({14})
Meine Antwort lautet: Die Grünen und Teile der SPD haben ein gestörtes Verhältnis zu bestimmten Lebensrisiken.
({15})
Unabhängig von den Gefahren und Risiken, die tatsächlich von jeder Technik ausgehen, verteufeln sie alles,
was mit Radioaktivität zu tun hat.
({16})
Die ideologische Festlegung der Grünen gegen alles,
was mit Kerntechnik zu tun hat, führt auch zu ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der Neutronenquelle für Forschungszwecke, dem Forschungsreaktor München. Herr
Fell, das haben Sie wohl mit der Fusion verwechselt.
({17})
Diese Gegnerschaft, die durch keinerlei Fakten zu unterlegen ist, kann man nur noch als absurd bezeichnen.
({18})
Die Verzögerung bei der Betriebserlaubnis, die diese
Bundesregierung zu verantworten hat, führt zu großen
Schäden für Deutschland. Es fallen Kosten für Unterhalt
und Verzinsung an. Noch viel schlimmer ist aber, dass
immer mehr Wissenschaftler nicht mehr auf die Genehmigung warten wollen, sondern ins Ausland abwandern.
Sie verkünden in Frankreich, Großbritannien und den
USA die Botschaft von einem Wissenschaftsstandort
Deutschland, an dem man nicht mehr mit Sicherheit mit
der Genehmigung und damit rechnen kann, dass man ungestört seiner Forschung nachgehen kann.
({19})
Sie können noch so viele Programme für die Rückkehr von Forschern nach Deutschland auflegen: Wenn
Sie diese Dinge nicht beseitigen, werden die Forscher
nicht zurückkommen. Denn wer will schon in einem
Land arbeiten, in dem viele Forschungsbereiche nicht rational, sondern nach Stimmungslage beurteilt werden?
Dies belegt auch eine Studie des Stifterverbandes der
Deutschen Wissenschaft.
({20})
Ein weiteres Beispiel für das irrationale Verhalten von
Rot-Grün ist die Behinderung der Forschung zur gentechnischen Veränderung von Pflanzen, der grünen Gentechnik. Wohlgemerkt geht es hierbei nicht um die Anwendung, sondern um die Forschung, die auch die
Sicherheitsforschung einschließt.
Gefahr droht dem deutschen Wissenschafts- und Forschungsstandort auch aufgrund der Änderungen des
Hochschulrahmengesetzes. Das ist bereits mehrfach
angesprochen worden. Ich finde: Das Schlimmste an der
Novellierung dieses Hochschulrahmengesetzes ist die
Deckelung der Gehälter von Hochschullehrern, an der
im Übrigen leider auch einige unionsgeführte Länder beteiligt waren. Aber die Hauptverantwortung tragen Sie.
Diese Deckelung wirkt sich katastrophal aus, weil damit
Durchschnittsgehälter festgeschrieben werden. Das
heißt, wenn ich einen Spitzenforscher besser bezahlen
will, muss ich anderen das Gehalt kürzen. Das ist der
Weg ins Mittelmaß. Diesen sollten wir in Deutschland
nicht gehen.
({21})
Man kann im Übrigen nur hoffen, dass die Klagen der
Länder Erfolg haben werden und diese Vorschriften
nicht in Kraft treten.
Rot-Grün hat in der Bildungs- und Forschungspolitik
hohe Erwartungen geweckt. Die Hoffnungen haben sich
allerdings nicht erfüllt. Im Gegenteil: Durch einseitige
ideologische Festlegungen wurde der deutschen Forschung schwerer Schaden zugefügt. Wir möchten, dass
Deutschland als Wissenschafts- und Forschungsstandort
weiterhin eine Spitzenstellung einnimmt. Das gilt auch
für die Weltraumforschung, die Kernfusionsforschung,
die Neutronenforschung und die grüne Gentechnik. Es
Dr. Martin Mayer ({22})
geht um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes, die wir
im Interesse künftiger Generationen erhalten und ausbauen müssen.
({23})
Das Wort hat der Abgeordnete Jörg Tauss, SPD-Fraktion.
({0})
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es herrscht eine
gewisse Unruhe im Saal; ich kann das verstehen: Lieber
Herr Kollege Mayer, Ihr Antrag im Bundesrat war es,
der dazu geführt hat, dass gedeckelt worden ist. Kein
Wunder, dass bei Ihnen immer Verzweiflung herrscht,
nachdem Herr Stoiber geredet hat. Mit den daraus folgenden Widersprüchen müssen Sie fertig werden.
({0})
Lieber Kollege Dr. Mayer, beim Thema Ganztagsschulen war es Herr Zehetmair, der beim Forum Bildung
ein Bekenntnis zur Ganztagsschule abgegeben
({1})
und darauf verwiesen hat, dass das gute Abschneiden bei
PISA in anderen europäischen Ländern etwas mit Betreuung und Ganztagsschule zu tun hat. Einigen Sie sich
doch wenigstens in der CSU, wenn Sie sich schon nicht
in der Fraktion einigen können!
({2})
Angesichts der im Raume stehenden Kriegsgefahr
fällt es schon schwer, in gewohnter Form auf Ihre kleinkarierten Nörgeleien einzugehen. Aber das ist einfach
notwendig.
({3})
Richtig ist - und das tut weh -: Wir haben in diesem Jahr
auch im Einzelplan 30 einen Konsolidierungsbeitrag
zum Haushalt zu erbringen. Wir haben es mit einer
schwierigen Gemengelage zu tun. Aber was Sie hier beschreiben, hat mit der Realität relativ wenig zu tun. Vielmehr ist es so, dass Sie im Bundesrat den Subventionsabbau verhindert haben, den Staat mit Ihrer Steuerpolitik
handlungsunfähig machen wollen und gleichzeitig neue
Einnahmeforderungen stellen. Eine andere Antwort haben Sie nicht.
({4})
Herr Kollege Hartmann, Ihre beim Hochschulbau
hinterlassenen Schulden führen wir ein bisschen langsamer zurück. Entsprechende Kürzungen haben wir in diesem Haushalt vorgenommen. Aber es ist nicht so, dass
an den Universitäten deswegen ein einziges Projekt zurückgestellt werden müsste. Ich habe die herzliche Bitte:
Korrigieren Sie sich in diesem Punkt!
Es ist keine Frage, dass die Überrollung der
Wissenschaftsorganisationen eine schwierige Situation
darstellt. Vor allem bei der Nachwuchsförderung wäre
dies problematisch gewesen, wenn wir hier nicht gehandelt hätten: Im Gegensatz zu dem, was Herr Merz erzählt
hat, ist es so, dass wir die Mittel für die DFG um 2,5 Prozent bzw. um mehr als 17 Millionen Euro erhöht haben.
Damit wird der Nachwuchs gefördert. Trotz der Überrollung tun wir das, was Sie in der Vergangenheit nicht zustande gebracht haben.
({5})
Bei dem, was Sie zur Projektförderung erzählen,
vergießen Sie auch noch Krokodilstränen, sodass man
meinen könnte, es sei wahr. Deswegen müssen wir hier
schon ein bisschen über Zahlen reden, insbesondere zur
Entwicklung zwischen 1994 und 1998: beim MaxPlanck-Institut minus 27 Prozent, bei der FhG minus
42 Prozent, bei der HGF minus 29,9 Prozent. Diese Kürzungen haben Sie zu verantworten. Jetzt die Vergleichszahlen für den Zeitraum von 1998 bis 2002: beim MaxPlanck-Institut plus 52,7 Prozent, bei der FhG plus
129,2 Prozent, bei der HGF plus 48,8 Prozent. Woher
nehmen Sie eigentlich die Chuzpe, unsere „Kürzungen“
zu beklagen? Das ist eine Unverschämtheit! Sie versuchen, die Menschen zu belügen. Etwas anderes können
Sie nicht, aber das können Sie in der Tat relativ gut.
({6})
-Ja, die Wahrheit tut weh.
Liebe Frau Reiche, jetzt komme ich auf Sie zu sprechen. Im Jahr 1998 lagen die Ausgaben im Bereich
Biotechnologie bei 86 Millionen Euro, heute bei
109,8 Millionen Euro. Wie kommen Sie eigentlich auf
die Idee, uns auch nur ansatzweise vorwerfen zu können,
dass wir nicht genug für die Biotechnologie täten? Das
ist ja schon eine Form von - - Ich möchte es nicht aussprechen, der Herr Präsident würde mich rügen.
({7})
Hören Sie einfach auf, die Menschen zu täuschen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Überrollungen sind selbstverständlich nicht schön. Ich bedauere etwas, dass Frau Flach heute nicht anwesend sein
kann. Sie nämlich hat eingeräumt, dass es ein Fehler
war, in Ihrer Regierungszeit die Kürzungen, die ich beschrieben habe, vorzunehmen. Diese Ehrlichkeit und
Aufrichtigkeit, die Frau Flach wenigstens in diesem
Punkt an den Tag legt, täte auch Ihnen gut. Wenn doch
auch Sie diese nur ein einziges Mal aufbringen würden!
Doch Sie wollen die Menschen beschwindeln. Das ist
das Problem.
({8})
Sie haben doch einen CDU-Wirtschaftsrat. Wann
sprechen Sie denn mit den Herren der Wirtschaft einmal
über die Fragen von Ausbildungsplätzen und Forschung? Da erlaubt sich Herr Rogowski, einen Brief an
den Kanzler zu schreiben, in dem er kritisiert, dass die
Aufwüchse im Forschungsbereich nicht ausreichend
seien.
({9})
Ich kann dazu nur sagen: Eines unserer Probleme ist der
Rückzug der Großindustrie - wenn auch nicht der gesamten - aus der Forschung.
({10})
Das Ziel eines dreiprozentigen Anteils der FuE-Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt haben wir deshalb noch
lange nicht erreicht, weil die Industrie ihren Aufgaben
nicht nachkommt. Befassen Sie sich mit Ihrer Klientel,
anstatt nur zu erzählen, dass dies eine staatliche Aufgabe
sei.
({11})
Der Bereich Forschung und Technologie ist auch eine
Aufgabe der Wirtschaft; genauso wie es ihre Aufgabe
ist, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen.
({12})
Diese Aufgaben können Sie nicht auf uns verlagern. Das
sollten Sie auch Ihrer Klientel, die Sie mit hohen Spenden unterstützt, deutlich machen.
Nun sage ich noch etwas zur gemeinsamen Bildungsplanung. Dies ist ein interessanter Punkt. Demnächst
werden wir Herrn Zehetmair dazu hören.
Herr Kollege Tauss, ich möchte Sie bitten, die Großzügigkeit in der Bemessung der effektiven Redezeit
freundlicherweise durch eine gewisse Großzügigkeit in
der Einhaltung derselben zu begleiten. Das würde die
Geschäftsführung sehr erleichtern.
({0})
Herr Präsident, ich bedanke mich für Ihren Hinweis
und auch für Ihre Großzügigkeit.
Deswegen komme ich zum Schluss und stelle nur
noch folgende Fragen - vielleicht können Sie uns ja
einmal sagen, was die CDU-geführten Länder wollen -:
Wollen Sie die Kürzung der Projekte bei Innovationen
im Bildungssystem? Wollen Sie die Kürzung der Projekte im Bereich der Qualitätssicherung? Wie wollen
Sie es künftig mit den Hochschulsonderprogrammen
halten?
({0})
Wir als Bund wollen - die Ministerin hat es angesprochen - zusammen mit den Ländern, selbstverständlich
unter Wahrung ihrer verfassungsgemäßen Rechte, Mitverantwortung übernehmen und solidarisch sein. Es geht
hier nicht um kleinkariertes Geschwätz, es geht um die
Kinder und Jugendlichen dieses Landes, für die wir etwas tun wollen.
({1})
Hören Sie auf, destruktiv Vereinbarungen aufzukündigen, arbeiten Sie mit uns zusammen! Das wollen die
Leute - nicht aber Ihre Obstruktion.
Herr Präsident, ich bedanke mich.
({2})
Letzter Redner in der Aussprache zum Einzelplan 30
ist der Kollege Thomas Rachel für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen! Meine Herren!
Die Sonntagsreden der Bundesregierung sind schon
schlimm, aber die Dienstagsrede von Herrn Tauss war
noch schlimmer.
({0})
Deutschland fällt in seiner Wettbewerbsfähigkeit zurück. Dies hat der jüngste Bericht zur technologischen
Leistungsfähigkeit dokumentiert. Der Anteil der Gesamtausgaben für den Bereich FuE am Bruttoinlandsprodukt beträgt nur 2,5 Prozent, obwohl die Bundesregierung in der EU 3 Prozent versprochen hat.
({1})
Im Vergleich der zwölf wichtigsten Industrieländer sind
wir in den letzten zehn Jahren im Bereich Bildung und
Forschung um einen Rangplatz zurückgefallen und wir
drohen weiter ins Hintertreffen zu geraten. Dies ist eine
alarmierende Bilanz.
({2})
Die Bildungspolitik der rot-grünen Bundesregierung
hat teilweise chaotische Zustände hinterlassen. Die Habilitanden an den Universitäten sehen sich um ihre Zukunftschancen gebracht. An den Hochschulen stößt nicht
die Juniorprofessur generell auf Kritik, aber ihr Monopol
als Qualifizierungsweg auf Unverständnis und Widerstand.
({3})
Frau Bulmahn, deshalb fordere ich Sie auf: Lassen Sie
die Juniorprofessur und das Habilitationsverfahren
durch eine HRG-Änderung als gleichberechtigten Qualifizierungsweg in einem gesunden Wettbewerb koexistieren.
Vollkommen verfehlt ist auch die Befristungsregelung
in der HRG-Novelle. Die Begrenzung auf zwölf Jahre
Beschäftigung in der Qualifizierungsphase führt dazu,
dass hoch qualifizierte 40-Jährige arbeitslos werden dank Ihrer Politik!
({4})
Verheerend wirkt sich Ihre Politik für Wissenschaftler
in drittmittelfinanzierten Projekten aus. Aufgrund der
von Ihnen geschaffenen neuen Rechtslage stellen die
Universitäten keine Mitarbeiter mehr für Drittmittelprojekte ein. Die Folgen sind absurd: Geld aus Drittmitteln ist vorhanden, aber die Wissenschaftler werden
nicht mehr eingestellt; sie stehen vor dem plötzlichen
Ende ihrer Karriere. Das ist Forschungsverhinderung
und nicht Forschungsförderung.
({5})
Sie haben die Zusage des Bundes und der
16 Bundesländer, den Haushalt der Wissenschaftsorganisationen um bis zu 3,5 Prozent zu erhöhen, nach der
Wahl einseitig gebrochen.
({6})
Herr Kollege Rachel, Sie gestatten offenkundig eine
Zwischenfrage des Kollegen Fischer? - Bitte schön.
({0})
Sehr geehrter Herr Kollege Rachel, der Kollege
Willsch hat vorhin darauf hingewiesen, was beim Jahresempfang des Forschungszentrums Karlsruhe los war. Er
hat auch die Zettel, die dort von den Mitarbeitern verteilt
wurden, angesprochen. Darin steht unter anderem: „Darüber hinaus wird dem Forschungszentrum Karlsruhe ein
Sonderopfer von 11 Millionen Euro auferlegt.“
({0})
Dieses zusätzliche Sonderopfer entspricht etwa 30 Prozent der für die Forschung und Entwicklung direkt verfügbaren Mittel.
({1})
Meine Frage an Sie, Herr Rachel: Haben Sie weitere
Beispiele, die zeigen, dass von der Bundesregierung katastrophal gekürzt wurde?
({2})
Herr Kollege Fischer, interessant ist, dass die Sorgen,
die uns die Betriebsräte diese Woche im Forschungsausschuss des Bundestages am Beispiel von Karlsruhe vorgetragen haben, die SPD-Kollegen offensichtlich überhaupt nicht interessiert.
Ich will Ihnen andere Beispiele nennen. Die Kürzungen, die Sie vorgenommen haben, bzw. die Nichteinhaltung der zugesagten Erhöhungen, führen dazu, dass bei
der Max-Planck-Gesellschaft 20 Abteilungen geschlossen und dass in anderen Forschungsorganisationen massive Kürzungen vorgenommen werden.
Am Forschungszentrum Jülich gibt es große Kürzungen - 7,6 Millionen Euro beim Investitionshaushalt -;
({0})
dies ist ein ungerechtes Sonderopfer wie in Karlsruhe.
Millionen Euro für das dortige Höchstleistungsrechenzentrum entfallen. Eine Vielzahl von Maßnahmen können nicht durchgeführt werden, mit folgenden Konsequenzen - dies haben uns die Betriebsräte vorgetragen -:
Verschiebung der Investitionsvorhaben, Stellensperren,
weniger Stellen für Nachwuchswissenschaftler, Kooperationen mit Hochschulen werden eingestellt oder infrage gestellt, Doktorandenverträge werden nicht verlängert.
Die Anzahl der Ausbildungsplätze wird nicht nur bei
Ihnen in Karlsruhe, sondern auch an allen anderen Einrichtungen der Helmholtz-Gemeinschaft reduziert. Das
ist die Auswirkung rot-grüner Forschungspolitik im
Jahr 2003.
({1})
Sie, Frau Ministerin Bulmahn - es wäre schön, wenn
Sie dem Parlament Ihr Ohr schenken würden -, haben
bei der Einführung der programmorientierten Förderung der Helmholtz-Gemeinschaft mehr Geld versprochen. Stattdessen verordnen Sie den großen Forschungszentren nun Sonderopfer und Nettokürzungen.
Diese Woche haben die Arbeitnehmervertreter dazu gesagt, dies sei „Systembruch und Wortbruch“. Recht haben sie.
({2})
Ihre Politik des gebrochenen Wortes bei der Finanzierung der Wissenschaftsorganisationen schadet
dem Forschungsstandort Deutschland. Aber auch Ihre
Behinderung der Forschung schadet dem Innovationsklima. So hat die Internationale Atomenergieorganisation der UNO das Forschungszentrum
Karlsruhe gebeten, einen Fachmann in den Arbeitskreis „Sicherheit künftiger Generationen von Reaktorsystemen“ zu entsenden. Die Bundesregierung ist
es gewesen, die untersagt hat, dass ein deutscher
Wissenschaftler an diesem UNO-Gremium teilnehmen darf. Damit wird Deutschland bei den neuen
Kernkraftkonzepten der anliegenden europäischen
Länder und bei der Formulierung von Sicherheitsstandards in Ländern außerhalb Europas nicht mehr mitreden können. Die deutsche Bevölkerung wird so einem
von uns nicht mehr zu beeinflussenden Risiko ausgesetzt.
Frau Ministerin Bulmahn, unter solchen Voraussetzungen laufen unserem Land die Wissenschaftler davon,
ganz zu schweigen von den verheerenden Folgen für
Deutschlands Ansehen in der Welt. Ihre Politik schadet
dem Forschungsstandort Deutschland.
Herzlichen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 30 in der Ausschussfassung. Hierzu liegen Ände-
rungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen.
Zunächst stimmen wir über den Änderungsantrag der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/625 ab.
Hierzu hat die CDU/CSU-Fraktion namentliche Abstim-
mung verlangt.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze an
den Abstimmungsurnen besetzt? - Das scheint der Fall
zu sein. Dann eröffne ich hiermit die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgeben konnte? - Ich habe den Eindruck,
dass alle anwesenden Kolleginnen und Kollegen Gele-
genheit hatten, ihre Stimmkarten abzugeben. Dann
schließe ich hiermit die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstim-
mung geben wir später bekannt1). Zunächst setzen wir
die Abstimmungen fort.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 15/628. Wer stimmt für diesen Antrag? Wer stimmt gegen diesen Antrag? - Wer enthält sich? Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Änderungsantrag der FDP auf Drucksache 15/626:
Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich der Stimme? - Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Änderungsantrag der FDP auf Drucksache 15/627:
Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Abgelehnt.
Änderungsantrag der FDP auf Drucksache 15/629:
Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Änderungsantrag der FDP auf Drucksache 15/630:
Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? Wer möchte sich der Stimme enthalten? - Auch dieser
Änderungsantrag hat keine Mehrheit.
Änderungsantrag der FDP auf Drucksache 15/631:
Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich der Stimme? - Der Antrag ist abgelehnt.
Änderungsantrag der FDP auf Drucksache 16/632:
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt gegen diesen Antrag? Wer möchte sich der Stimme enthalten? - Der Antrag
hat keine Mehrheit.
Änderungsantrag der FDP auf Drucksache 15/633:
Wer ist für den Antrag? - Wer ist dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Antrag ist abgelehnt.
Änderungsantrag der FDP auf Drucksache 15/634:
Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Auch dieser Antrag hat keine Mehrheit und ist damit abgelehnt.
Meine Damen und Herren, da wir vor der Abstimmung über den Einzelplan 30 das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Änderungsantrag der CDU/
CSU-Fraktion kennen müssen, unterbreche ich für einen Augenblick die Sitzung, bis uns dieses Ergebnis
vorliegt.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/
CSU auf Drucksache 15/625 bekannt. Abgegebene
Stimmen 559. Mit Ja haben gestimmt 263, mit Nein haben gestimmt 294, Enthaltungen 2. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
({0})1) Seite 2624
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 557;
davon
ja: 262
nein: 293
enthalten: 2
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Dietrich Austermann
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({1})
Dr. Christoph Georg Bergner
Otto Bernhardt
Dr. Rolf Bietmann
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Wolfgang Börnsen
({2})
Dr. Wolfgang Bötsch
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Helge Braun
Paul Breuer
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner
({3})
Verena Butalikakis
Cajus Caesar
Manfred Carstens ({4})
Peter H. Carstensen
({5})
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Albert Deß
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Vera Dominke
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({6})
Georg Fahrenschon
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({7})
Dirk Fischer ({8})
Axel E. Fischer ({9})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({10})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Roland Gewalt
Eberhard Gienger
Georg Girisch
Michael Glos
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Tanja Gönner
Josef Göppel
Ute Granold
Kurt-Dieter Grill
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Karl-Theodor Frhr. von und
zu Guttenberg
Olav Gutting
Holger-Heinrich Haibach
Gerda Hasselfeldt
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Siegfried Helias
Uda Carmen Freia Heller
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Joachim Hörster
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Hubert Hüppe
Dr. Dieter Peter Jahr
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Irmgard Karwatzki
Bernhard Nikolaus Kaster
Siegfried Kauder ({11})
Volker Kauder
Gerlinde Kaupa
Eckart von Klaeden
Julia Klöckner
Kristina Köhler
Norbert Königshofen
Manfred Kolbe
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Günther Krichbaum
Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn ({12})
Dr. Karl A. Lamers
({13})
Barbara Lanzinger
Karl-Josef Laumann
Werner Lensing
Ursula Lietz
Walter Link ({14})
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
({15})
Dr. Michael Luther
Erwin Marschewski
({16})
Stephan Mayer ({17})
Conny Mayer ({18})
({19})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Angela Merkel
Laurenz Meyer ({20})
Doris Meyer ({21})
Maria Michalk
Klaus Minkel
Marlene Mortler
Stefan Müller ({22})
Bernward Müller ({23})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({24})
Michaela Noll
Claudia Nolte
Günter Nooke
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Melanie Oßwald
Eduard Oswald
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Christa Reichard ({25})
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Roedel
Franz-Xaver Romer
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Albert Rupprecht ({26})
Anita Schäfer ({27})
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({28})
Andreas Schmidt ({29})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Horst Seehofer
Kurt Segner
Matthias Sehling
Marion Seib
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({30})
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Angelika Volquartz
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marko Wanderwitz
Peter Weiß ({31})
Gerald Weiß ({32})
Annette Widmann-Mauz
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
FDP
Daniel Bahr ({33})
Helga Daub
Horst Friedrich ({34})
Joachim Günther ({35})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Christel Happach-Kasan
Christoph Georg Hartmann
({36})
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Harald Leibrecht
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Markus Löning
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Detlef Parr
Gisela Piltz
Dr. Günter Rexrodt
Marita Sehn
Dr. Rainer Stinner
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Nein
SPD
Dr. Lale Akgün
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Sabine Bätzing
Ernst Bahr ({37})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({38})
Klaus Barthel ({39})
Sören Bartol
Uwe Karl Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({40})
Kurt Bodewig
Gerd Friedrich Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
({41})
Hans-Günter Bruckmann
Marco Bülow
Dr. Michael Bürsch
Hans Büttner ({42})
Ulla Burchardt
Marion Caspers-Merk
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Dr. Peter Wilhelm Danckert
Karl Diller
Martin Dörmann
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Marga Elser
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({43})
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({44})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
({45})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Monika Heubaum
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Jelena Hoffmann ({46})
Walter Hoffmann
({47})
Iris Hoffmann ({48})
Frank Hofmann ({49})
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Jann-Peter Janssen
Klaus-Werner Jonas
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Astrid Klug
Fritz Rudolf Körper
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Dr. Uwe Küster
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({50})
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Gabriele Lösekrug-Möller
Götz-Peter Lohmann
Erika Lotz
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Caren Marks
Christoph Matschie
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Petra-Eveline Merkel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Michael Müller ({51})
Christian Müller ({52})
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Gesine Multhaupt
Volker Neumann ({53})
Dietmar Nietan
Dr. Erika Ober
Holger Ortel
Heinrich Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Karin Rehbock-Zureich
Gerold Reichenbach
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({54})
Michael Roth ({55})
Gerhard Rübenkönig
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({56})
Thomas Sauer
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({57})
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Horst Schmidbauer
({58})
Ulla Schmidt ({59})
Dagmar Schmidt ({60})
Wilhelm Schmidt ({61})
Heinz Schmitt ({62})
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Olaf Scholz
Wilfried Schreck
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Brigitte Schulte ({63})
Reinhard Schultz
({64})
Swen Schulz ({65})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Jörg Vogelsänger
Ute Vogt ({66})
Dr. Eva Marlies Volkmer
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Reinhard Weis ({67})
Petra Weis
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({68})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Jürgen Wieczorek ({69})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Brigitte Wimmer ({70})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Waltraud Wolff
({71})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Helmut Zöllmer
Dr. Christoph Zöpel
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({72})
Volker Beck ({73})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Katrin-Dagmar GöringEckardt
Anja Margarete Helena
Hajduk
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Ulrike Höfken
Thilo Hoppe
Michaele Hustedt
Renate Künast
Fritz Kuhn
Undine Kurth ({74})
Markus Kurth
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Kerstin Müller ({75})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Friedrich Ostendorff
Simone Probst
Claudia Roth ({76})
Krista Sager
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({77})
Werner Schulz ({78})
Petra Selg
Ursula Sowa
Rainder Steenblock
Silke von Stokar von
Neuforn
Jürgen Trittin
Marianne Tritz
Hubert Wendel Ulrich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Dr. Ludger Volmer
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({79})
Enthalten
Fraktionslose Abgeordnete
Petra Pau
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlung des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Höfer, Gerd Jäger, Renate Dr. Lucyga, Christine Rauber, Helmut
SPD SPD SPD CDU/CSU
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 30 in der Ausschussfassung. Wer für den Einzelplan
in dieser Fassung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der
Stimme? - Der Einzelplan ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe auf:
9. Einzelplan 17
Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
- Drucksachen 15/565, 15/572 Berichterstattung:
Abgeordnete Bettina Hagedorn
Antje Hermenau
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Dazu
höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Bevor ich die Aussprache eröffne: Ich wäre dankbar,
wenn diejenigen, die diesem Tagesordnungspunkt nicht
folgen können oder wollen, den Plenarsaal verlassen
würden, damit wir hier eine konzentrierte Beratung ermöglichen können.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Rednerin erteile ich der Kollegin Antje Tillmann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({80})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die letzten Wochen waren für uns
alle besonders anstrengend. Bei allem Sitzungsstress erleichterte mir der freundliche Umgang untereinander,
insbesondere mit der Kollegin Hagedorn als Hauptberichterstatterin, aber auch mit den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen, die Arbeit sehr. Auch Sie,
Frau Ministerin Schmidt, haben zusammen mit Ihren
Staatssekretären zu einer angenehmen Atmosphäre beigetragen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihres
Hauses sowie der übrigen beteiligten Behörden und des
Finanzministeriums haben jede aufkommende Frage in
bewundernswerter Weise schnell und zufriedenstellend
beantwortet. Für diese Zusammenarbeit möchte ich mich
bedanken.
({0})
Schade, dass sich diese gute Zusammenarbeit nicht in
fachlicher Sicht fortgesetzt hat. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass wir über inhaltliche Dinge ebenso offen
diskutiert hätten, wie wir dies im Umgang untereinander
getan haben. Tatsächlich haben Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen der Koalitionsfraktionen, dies aber nur
dort getan, wo Sie aufgrund der Bundesratsmehrheit
dazu gezwungen werden. Im Übrigen haben Sie unsere
Vorstellungen getreu dem Motto des Bundeskanzlers
„Mehrheit ist Mehrheit“ oft sogar ohne Diskussion vom
Tisch gewischt.
({1})
Ich will hier einige Schwerpunkte nennen.
Einer der obersten Grundsätze unserer Familienpolitik ist die Förderung der Wahlfreiheit der Familien, also
die Förderung der freien Entscheidung zwischen Beruf
und Erziehung bzw. die Förderung der Vereinbarkeit
von Beruf und Erziehung. Alle bisher vorgetragenen
Vorstellungen Ihrerseits beschränken sich auf die Bereitstellung von öffentlichen Mitteln für Fremdbetreuung.
Die Möglichkeit der Kindererziehung durch die Eltern
selbst verschlechtert sich durch jede Steuererhöhung und
jede Steigerung der Lohnnebenkosten.
({2})
Für die Eltern wird es immer schwieriger, zugunsten der
Kindererziehung auf ein Gehalt zu verzichten.
({3})
Auch die von Ihnen angekündigte Betreuung der unter Dreijährigen hat nach der ersten Bestandsaufnahme
in den Ländern einen kräftigen Dämpfer erhalten. Mit
den prognostizierten 1,5 Milliarden Euro kommen die
Kommunen bei weitem nicht aus. Darüber hinaus wehren sich gerade ländlich geprägte Gemeinden gegen eine
Pauschalverpflichtung, 20 Prozent der Krippenplätze zu
schaffen.
({4})
Hier sind individuelle Lösungen gefragt, zum Beispiel
ein Tagesmütterkonzept.
({5})
Wir als CDU/CSU-Fraktion halten es nach wie vor
für richtig, zeitgleich die Situation der Familien zu verbessern, die sich für eine persönliche Betreuung ihrer
Kinder entscheiden, und wir werden auch weiter hierfür
kämpfen.
({6})
Diejenigen, die sich dafür entscheiden, ihre Kinder
selbst zu betreuen, zahlen nach Ihrem Konzept die
Fremdbetreuung für andere mit. Das ist nicht unser Konzept.
({7})
Auf die erheblich gestiegene Jugendarbeitslosigkeit
reagieren Sie erneut mit Sonderprogrammen. Mit dem
Programm „Jugend bleibt“ wollen Sie mit 2,5 Millionen
Euro junge Menschen motivieren, nicht aus den neuen
Bundesländern abzuwandern. Sie wollen durch Projektnetzwerke und Kommunikation eine „positive Aufbruchstimmung“ schaffen, die bei den jungen Leuten zu
einer „Identifikation mit ihrer Heimatregion“ führt.
Glauben Sie mir, liebe Kolleginnen und Kollegen: Den
jungen Leuten fehlt es keineswegs an Heimatbindung;
ihnen fehlt es schlichtweg an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen.
({8})
Sie haben mit Ihrer mittelstandsfeindlichen Politik in
der Vergangenheit diese Situation mit verursacht. Durch
ständige Steuererhöhungen, steigende Lohnnebenkosten,
bürokratische Hürden und Schwächung der Finanzkraft
der Kommunen zulasten von Investitionen haben Sie mit
dazu beigetragen, dass es gerade bei den mittelständischen Betrieben, die in der Vergangenheit 80 Prozent der
Ausbildungsplätze gestellt haben, einen Insolvenzrekord
gibt.
Auch die Steuererhöhungen nach dem so genannten
Steuervergünstigungsabbaugesetz - Verschlechterungen
bei den Abschreibungen und der Eigenheimzulage würden erneut zu Ausbildungs- und Arbeitsplatzverlusten führen. Mit Ihrem Sonderkreditprogramm wollen Sie
die negativen Folgen auffangen. Viel besser wäre es gewesen, das Gesetz gar nicht erst zu verabschieden.
({9})
Die einzige Antwort, die Sie auf diese Situation der
Jugendarbeitslosigkeit haben, ist die Androhung einer
Ausbildungsplatzzwangsabgabe durch den Bundeskanzler. Nach dem Hartz-II-Konzept, das Sie verabschiedet
haben, ist es für die Jugendlichen gar nicht mehr möglich, ohne Ausbildungs- oder Arbeitsplatz an ihrem Heimatort zu bleiben, ohne dramatische Leistungseinschränkungen hinzunehmen.
Unser Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit heißt:
Geben Sie dem Mittelstand Luft zum Atmen! Dann wird
er auch wieder in der Lage sein, Ausbildungsplätze zur
Verfügung zu stellen.
({10})
Das Programm scheint aber auch nach Ihrer Auffassung mittlerweile überflüssig zu sein; denn ich habe
heute morgen in der „Süddeutschen Zeitung“ über ein
Papier aus dem Ministerium Clement gelesen, dass man
den Jugendlichen nach Hartz II zwar grobe Einschnitte
zumutet, aber dass man eine hohe Arbeitsmotivation
schaffen würde und „sogar eine Beschäftigungsgarantie“
für Jugendliche unter 25 Jahren aussprechen würde. Angesichts dessen frage ich mich: Wofür dann noch dieses
Sonderprogramm mit 2,5 Millionen Euro?
({11})
Dass Sie eine ernsthafte Diskussion über Ihre politischen Entscheidungen nicht zulassen, wird auch beim
Thema „Förderprogramme gegen Rechtsextremismus“ ganz deutlich. Neben Jugendpolitikern aller Fraktionen auf kommunaler Ebene kommt auch die Friedrich-Ebert-Stiftung zu dem Ergebnis, dass das von uns
allen angestrebte Ziel, Extremismus zu verhindern,
durch diese teuren Programme wohl nicht erreicht wird.
Berlins Innensenator Körting, SPD, gibt in diesem Zusammenhang sogar an, dass sich trotz zusätzlicher eigener Landesprogramme die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten im letzten Jahr sogar verdoppelt habe.
Nicht zuletzt wegen der Entscheidung des Verfassungsgerichts zum NPD-Verbot vom heutigen Tag müssen wir
alle im Umgang mit dem Extremismus umdenken.
({12})
Leider sind Sie unserem Antrag, diese Mittel den
Kommunen für Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen,
nicht gefolgt.
({13})
Vor Ort könnten diese Gelder langfristig und effektiv in
die Jugendförderplanung eingebracht werden. Insbesondere könnte die Wirksamkeit zeitnah geprüft werden.
({14})
Wenn Sie den Antrag aus inhaltlichen Gründen abgelehnt hätten, hätte ich mich mit diesen Argumenten auseinander setzen können. Aber die einzigen Gründe, die
Sie angeführt haben, waren formaler Natur. Das ist dem
Thema nicht angemessen.
({15})
Zum Thema Jugendmedienschutz. Ab 1. April dieses
Jahres wird die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende
Schriften mit dem neuen Namen „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“ aufwarten. Neben dieser Namensänderung wird sie erweiterte Kompetenzen erhalten.
Diese neuen Aufgaben stehen vor allem im Zusammenhang mit dem In-Kraft-Treten des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages und des Jugendschutzgesetzes
zum 1. April 2003.
Auswirkung dieses Gesetzes, das wir alle wollten, ist:
Der Kreis der Antragsteller für die Prüfung von jugendgefährdenden Medien wird drastisch erweitert; die Bundesprüfstelle kann jetzt auch ohne Antrag tätig werden;
die Prüfstelle soll ihre Zuständigkeit auf elektronische
Medien ausweiten; die Prüfstelle wird durch die öffentliche Diskussion weit mehr als vorher von Eltern abgefragt.
Genau das wollen wir alle: stärkere Erziehungskompetenz der Eltern. Gerade Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, haben diese Forderung als
Argument gegen die Abschaffung des Elternprivilegs
noch vor einer Woche hier in diesem Haus angeführt.
Aber umsonst ist das alles nicht zu haben. Selbst der
Gesetzentwurf zum Jugendschutzgesetz vom 13. Mai
2002 weist darauf hin, dass es durch die Ausweitung der
Kompetenz der Prüfstelle zu zusätzlichen Kosten im
Bundeshaushalt kommen wird. Alle Redner, auch die Ihrer Fraktion, haben die neuen Aufgaben als wesentliche
Verbesserungen des Jugendschutzes dargestellt. Aber
jetzt, da es zum Schwur kommt, haben sie diese öffentlichkeitswirksamen Reden vergessen und unseren Antrag zur Verbesserung der Personalstruktur diskussionslos abgelehnt.
({16})
- Wir haben die Deckung im eigenen Haushalt gebracht.
Es ist uns auch bestätigt worden, dass eine solche Finanzierung möglich ist. Es ist schade, dass Sie an dieser
Stelle wieder Worten keine Taten folgen lassen.
({17})
Beim Thema Zivildienst beschränke ich mich auf den
Vorgang und darauf, wie sich die erhebliche Verschlechterung der Bundesbezuschussung auf die freien Träger
im Laufe des Verfahrens ausgewirkt hat. Unabhängig
von dem, was wir zum Zivildienständerungsgesetz in
diesem Haus schon hinreichend diskutiert haben: Es ist
ein Unding, dass Sie, Frau Ministerin, mit den Trägern
und den freien Verbänden Vereinbarungen treffen und
genau an dem Tag, an dem diese Vereinbarungen in
Kraft treten sollen, die SPD-Kollegen zu den Einsparungen von 90 Millionen Euro einen zusätzlichen Kürzungsantrag für weitere 10 Millionen Euro in den Haushalt einbringen.
({18})
Die freien Träger sind dadurch in die Situation gebracht
worden, nicht erst zum 1. April, sondern schon zum
1. März die erhöhten Zuschüsse zahlen zu müssen. Ganz
viele, gerade kleinere Träger können dies nicht. Das geht
zulasten der Zukunft der Zivildienstleistenden und zulasten der Sozialarbeit. Sie alle haben die Briefe bekommen.
({19})
Ich appelliere an Sie, wenigstens in diesem Jahr, rechtzeitig vor dem 31. Dezember 2003, die Diskussion mit
uns und den Trägern der Zivildienste zu führen, damit ein
solches Chaos im nächsten Jahr nicht wieder passiert.
({20})
Wenn ich die öffentlichen Streitigkeiten zwischen Ihnen, Frau Schmidt, und Ihrem Verteidigungskollegen
Struck verfolge, dann finde ich es zwar anerkennenswert, dass Sie entgegen Ihrer persönlichen Auffassung
für den Zivildienst kämpfen; Sie sind aber leider nicht
sehr erfolgreich. Gerade jetzt, da die Unsicherheit hinsichtlich der inneren Sicherheit besonders groß ist, den
Zivildienst und damit auch den Ersatzdienst, den Katastrophenschutz und die freiwilligen Feuerwehren ohne
Alternativkonzept infrage zu stellen,
({21})
ist wirklich zynisch. Wie wollen Sie künftig diese
Dienste sicherstellen, wenn Sie ständig den Etat des
Bundesamtes für den Zivildienst zum Löcherstopfen im
Gesamthaushalt verwenden?
({22})
Liebe Frau Ministerin, liebe Kollegen, dass Sie seit gestern wegen Buchungsfehlern im Bundesamt für den Zivildienst 30 Millionen Euro Mehrbedarf für Rentenbeiträge für
Zivildienstleistende anmelden, will ich gar nicht weiter kommentieren. Dass Sie es aber für möglich halten, diese 30 Millionen Euro zusätzlich zur Absenkung von 158 Millionen
Euro gegenüber 2002 aus dem etatisierten Erziehungsgeld zu
nehmen - Begründung im Haushaltsausschuss: weil vom
1. Januar bis zum 17. März die durch die Familien abgeforderten Mittel dramatisch zurückgegangen seien -, ist doch
eine Bankrotterklärung Ihrer Familienpolitik.
({23})
Bei all den großen Ankündigungen zur Familienförderung scheinen die Familien nicht mitzugehen. Die erhofften Kinder werden ganz offensichtlich nicht geboren.
Letzter Punkt: Ganztagsschulprogramm der Bundesregierung, klassisches Beispiel für meine These, dass Sie
sich nur unter Druck mit unseren Vorstellungen auseinander setzen. Aus der ursprünglich vorgesehenen Fassung mit 10 000 neuen Ganztagsschulen unter Bundesaufsicht mit dem vom Bund genehmigten pädagogischen
Konzept wird hoffentlich ein flexibles Instrument zur
Verbesserung verschiedener Formen der Ganztagsbetreuung. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin nach
wie vor der Auffassung, dass ein solches Programm auf
Bundesebene nichts zu suchen hat. Da Sie unseren Vorstellungen aber offensichtlich nicht folgen, die Gewerbesteuerumlage zu senken und damit den Kommunen vor
Ort die Möglichkeit zu Schulsanierungsprogrammen zu
geben,
({24})
werden wir mit allen demokratischen Mitteln darum ringen, dass unsere Vorstellungen der Ganztagsbetreuung
berücksichtigt werden. Zu Ihrem Ärger haben wir damit
Erfolg, denn Sie brauchen die Bundesratsmehrheit. Die
Länder werden ihre Vorstellungen in die Verhandlungen
einbringen.
({25})
Hierzu gehört vorrangig die Freiwilligkeit bei den Nachmittagsstunden, hierzu gehören die Einbindung der Jugendarbeit und der Jugendverbandsarbeit, die dauerhafte
Finanzierbarkeit durch die Schulträger und die Bedarfsorientierung unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten.
Lassen Sie mich zur Äußerung des Staatssekretärs
Matschie in einer Thüringer Zeitung mit Blick auf die
neuen Länder noch einiges hinzufügen: Für uns ist es absolut wichtig, dass bestehende Ganztagsschulen in dieses
Programm aufgenommen werden.
({26})
Das ist nach jetziger Fassung eben genau nicht der Fall.
Bei der gestern hier durchgeführten Konferenz ist genau
dies zum Knackpunkt in Bezug auf die Verwaltungsvereinbarung zwischen den Ländern und dem Bund gemacht worden. Der Bund will bestehende Ganztagsschulen eben nicht fördern.
({27})
Sollte dieser Passus in den kommenden Verhandlungen nicht aufgenommen werden, wird dieses Förderprogramm an den neuen Ländern komplett vorbeigehen.
Wir haben nämlich ein flächendeckendes Netz von
Ganztagsschulen. Leider befinden sie sich aufgrund der
finanziellen Probleme in einem sehr schlechten baulichen Zustand. Wir werden darauf bestehen, dass das Programm auch für die neuen Länder gilt. Das war einmal
Chefsache; offensichtlich ist das vergessen worden.
({28})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden weiterhin mit Ihnen für unsere Vorstellungen streiten. Vielleicht machen Sie sich in Zukunft die Mühe, sich bei der
Suche nach dem besten Weg wirklich einmal mit uns
auseinander zu setzen. Ich freue mich darauf.
({29})
Das Wort hat die Abgeordnete Bettina Hagedorn,
SPD-Fraktion.
Verehrtes Präsidium! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Als neues Mitglied dieses 15. Bundestages stehe
ich heute das erste Mal an dieser Stelle und spreche zu
Ihnen als Hauptberichterstatterin über den Einzelplan 17
des Renate-Schmidt-Ministeriums,
({0})
weil ich Ihnen Verbesserungen und Absenkungen vorstellen möchte, die wir im parlamentarischen Verfahren
in den Ausschussberatungen erzielt haben, und weil ich
die Knackpunkte zwischen Rot-Grün und der Opposition
darstellen will.
Lassen Sie mich aber zu Beginn meiner Ausführungen einen Appell an die Damen und Herren der Opposition richten. In der ersten Lesung, die ich hier am
3. Dezember erlebt habe, haben Sie zwar viel gesagt,
aber, um ehrlich zu sein, wenig zum Einzelplan 17.
({1})
- Ich glaube, da täuschen Sie sich.
Frau Eichhorn suggerierte den Zuhörern hier und den
Fernsehzuschauern beispielsweise erneut und wider besseres Wissen
({2})
- sie hat gesprochen -, dass die CDU das Familiengeld
einführen wolle - hören Sie lieber zu, Herr Kampeter -,
({3})
obwohl es keinerlei Vorschläge zur Gegenfinanzierung
dieser 30,7 Milliarden teuren Seifenblase gibt, eine
Summe, die sechsmal so groß wie der komplette
Einzelplan 17 ist.
({4})
Frau Tillmann unterstellte am 3. Dezember Rot-Grün
gar den Bruch eines Wahlversprechens, weil sie die
1,5 Milliarden Euro für die Aufstockung der Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren im Haushalt
nicht finden konnte.
({5})
Einer Nichtfachfrau hätte man Kompetenzmangel oder
Naivität zugute halten können.
({6})
Als zuständige Haushälterin im Deutschen Bundestag jedoch wissen Sie, Frau Tillmann, nur zu genau, dass diese
1,5 Milliarden Euro nie im Einzelplan 17 zu finden sein
werden, sondern als Selbstbehalt in den kommunalen
Haushalten, und zwar nach erfolgreicher Umsetzung der
Hartz-Gesetze und der Gemeindefinanzreform.
({7})
Wer aber hier im Bundestag Tatsachen zum Haushalt
bewusst so verdreht, der würdigt weder die Ernsthaftigkeit der Debatte noch das ganze Haus angemessen. Aber
noch schlimmer: Dabei wird das Ziel offenbar, Frau
Lenke, Wählerinnen und Wähler an der Nase herumzuführen.
({8})
Wenn Sie dann gleichzeitig, wie hier am 3. Dezember
geschehen, den Willen zur konstruktiven Zusammenarbeit für sich in Anspruch nehmen, dann wird offenbar,
dass Sie dieses Schild zwar wie eine Monstranz vor sich
hertragen, aber nicht mit Leben zu füllen bereit sind.
({9})
Sie haben heute die Chance, zu erläutern, was Sie im
Einzelplan 17 anders und - aus Ihrer Sicht - besser gestaltet hätten. Erklären Sie doch bitte - wir haben schon
einiges von Frau Tillmann dazu gehört -, warum Sie
ausgerechnet bei den Programmen für die Jugend, für
bürgerschaftliches Engagement, Demokratiefähigkeit
und Toleranz gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus, nämlich bei Civitas und Entimon, 20 Millionen Euro streichen
({10})
und damit den Zuschuss auf Null absenken wollten.
({11})
Diejenigen, die bei der Friedrich-Ebert-Stiftung diese
Studie gemacht haben, verwahren sich sehr wohl dagegen, sich von Ihnen instrumentalisieren zu lassen; denn
sie wollten konstruktive Kritik üben. Aber es war ganz
gewiss nicht ihre Absicht, dass diese Projekte, wie Sie es
mit Ihren Vorschlägen bewirken würden, gegen die
Wand gefahren werden.
({12})
Nutzen Sie also die Gelegenheit und erklären Sie, wo
Sie die notwendigen Einsparungen vorgenommen hätten, Frau Lenke. Wir nehmen die Verantwortung wahr,
einerseits der jungen Generation nicht weitere Schulden
aufzubürden und andererseits die europäischen Stabilitätskriterien zu beachten,
({13})
während Sie uns im Haushaltsausschuss einen endlosen
Wunschzettel abgeliefert haben. Nur wenn Sie diese Antworten heute nicht schuldig bleiben - und nur dann -,
kann man sagen: Thema nicht verfehlt.
({14})
- Ich bin die ganze Zeit bei der Sache, Frau Lenke. Ich
kann Sie gerne einmal mit Ihren eigenen Reden konfrontieren.
({15})
Ich hätte bei so viel Abgrenzung zum Regierungshandeln vermutet, dass diesen Worthülsen konkrete Anträge
von Ihnen im Haushaltsausschuss gefolgt wären; denn
Sie haben öffentlich suggeriert, mit unseren Prioritäten
völlig unzufrieden zu sein.
({16})
Doch weit gefehlt! Positiv ausgedrückt: Der allergrößte
Teil des mit über 5 Milliarden Euro ausgestatteten Haushalts passierte die parlamentarische Beratung im großen
Einvernehmen aller vier Fraktionen.
({17})
Das ist kein Wunder; denn die zentrale Botschaft des
Einzelplans 17 lautet: Trotz Haushaltskonsolidierung
und Einsparung bleibt die Förderung für Familien, für
Senioren, für die Frauen und Jugendlichen, für Vereine
und Verbände, für Verbands- wie für Projektarbeit, für
Wohlfahrtspflege und Integration auf dem von Rot-Grün
angelegten hohen Niveau erhalten.
({18})
- Dazu komme ich noch.
({19})
Das Ministerium erbringt zwar wie alle anderen Ministerien auch einen deutlichen Beitrag zur Haushaltsstabilität durch Einsparung und damit zur Generationengerechtigkeit. Nach dem Willen von Rot-Grün wird aber
nicht, Frau Lenke, nach dem Gießkannenprinzip zulasten aller, sondern orientiert an politischen Zielrichtungen
gespart.
({20})
Ein Satz zum Erziehungsgeld, weil es Herr Haupt in
der ersten Lesung angesprochen hat, frei nach dem
Motto: Es gibt eine Absenkung, was gleichbedeutend ist
mit familienfeindlicher Politik. Dazu muss deutlich gesagt werden - Frau Tillmann, das geht auch in Ihre Richtung, weil Sie vorhin den Betrag von 30 Millionen Euro
angesprochen haben -: Bereits im Haushaltsjahr 2002
sind wie Sie wissen, 200 Millionen Euro, die für das Erziehungsgeld vorgesehen waren, nicht abgerufen und
dem Haushalt gutgeschrieben worden. Dahinter steckte
keine politische Zielsetzung. Das war schlicht und ergreifend darauf zurückzuführen - es handelt sich nämlich um einen Schätztitel -, dass das Erziehungsgeld zu
hoch veranschlagt war. Deshalb ist es um insgesamt
188 Millionen Euro abgesenkt worden.
({21})
Die Botschaft an die Familien im Land lautet daher: An
eurem Erziehungsgeld ändert sich überhaupt nichts.
({22})
Allerdings sollten wir gemeinsam darüber nachdenken, warum die Geburtenrate in Deutschland eigentlich
so niedrig ist
({23})
und warum überhaupt, Herr Kampeter, die jungen und
überwiegend gut ausgebildeten Frauen in unserem Land
immer weniger bereit sind, sich den Kinderwunsch zu
erfüllen, obwohl er laut Shell-Studie vorhanden ist. In
Deutschland gibt es im Vergleich zum europäischen
Ausland eben eine unterentwickelte Möglichkeit der
Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Wir geben mit
dem rot-grünen Programm für mehr Ganztagsbetreuung
und zusätzliche Krippenplätze die einzig vernünftige
Antwort auf diesen in Deutschland über Jahrzehnte gepflegten Missstand.
({24})
Dieser Bildungsoffensive geben wir Priorität und stellen
das unter Beweis.
Ich sage hier deutlich: Dieses Ziel kann nur als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gelingen. Daran sollten
sich auch die eigentlich zuständigen Länder und
Kommunen beteiligen. Ich weiß, welches Argument
jetzt - gebetsmühlenartig - kommt: die mangelhafte
Finanzausstattung von Ländern und Kommunen.
Dazu sage ich Ihnen: Noch bin ich amtierende Bürgermeisterin und Amtsvorsteherin in einer ländlichen,
struktur- und finanzschwachen Region. Dort haben wir
in den letzten drei Jahren für 4 000 Einwohner - Herr
Kampeter, hören Sie ruhig einmal zu - drei Jugendtreffs
gebaut, eine Jugendpflegerin eingestellt und die ortsansässige Grund- und Hauptschule mit einem Ganztagsbetrieb an drei Tagen ausgestattet,
({25})
und das im Übrigen mit der Unterstützung des gewiss
nicht reichen Landes Schleswig-Holstein.
Ich sage Ihnen aber auch: Geld allein ist es nicht, was
fehlt. Das, was auch auf kommunaler und Länderebene
vielfach fehlt, ist der Wille zu einer fortschrittlichen Politik für Kinder und Jugendliche, für Frauen und Familien, der Wille, hier Schwerpunkte zu setzen.
({26})
Mir sind durchaus Kommunen bekannt - das darf ich als
Bürgermeisterin sagen -, die erheblich gesündere Finanzen haben als meine Heimatkommune und die ihr Geld
lieber in granitgepflasterte Marktplätze als in Jugendtreffs investieren.
({27})
Wenn wir hier über die mangelnde Finanzausstattung
von Ländern und Kommunen sprechen, dann sollten Sie
auf eine weitere Frage eine Antwort geben: Warum blockieren Sie eigentlich das Steuervergünstigungsabbaugesetz?
({28})
Wenn Sie es nämlich nicht blockieren würden, würde es
Ländern und Kommunen bis 2006 zusätzlich 24 Milliarden Euro bescheren und sie in die Lage versetzen, Frau
Lenke, ihren Beitrag zur Qualitätsverbesserung der Bildung, der dringend erforderlich ist, zu leisten.
({29})
Für politischen Sprengstoff hat aber in erster Linie Ihr
Antrag auf Reduzierung der Mittel für die Programme
Civitas und Entimon auf null gesorgt. Ich bin stolz darauf - das kann ich so sagen -, dass wir, Rot-Grün, obwohl es im Finanzplan eigentlich nicht vorgesehen war
und trotz aller Haushaltsnöte, es geschafft haben, diese
Programme fortzusetzen, zu verstetigen.
({30})
- Ja, das ist einen Beifall wert.
Frau Tillmann, ich muss mich sehr wundern: Alle östlichen Bundesländer profitieren insbesondere von dem
Programm Civitas. Die herausragenden Länder - wenn
ich Ihnen das einmal sagen darf -, die das Programm Entimon durchführen, sind zum Beispiel Nordrhein-Westfalen, Bayern und Hessen. Insgesamt werden bei beiden
Programmen 680 Projekte gefördert - mit einer Unzahl
an freiwillig engagierten jungen Leuten, an Hauptamtlern und Ehrenamtlern.
({31})
Sie waren bereit, das alles voll gegen die Wand zu fahren. Bei aller Liebe: Dafür habe ich kein Verständnis.
({32})
Der CDU/CSU-Antrag auf ersatzlose Streichung dieser Programme war ebenso wenig durchdacht wie die
von der CDU/CSU geäußerte Idee, bei einer Senkung
der Gewerbesteuerumlage - das war nämlich Ihr
Gegenfinanzierungsvorschlag - könnten die Kommunen
diese Projekte selbst tragen. Dabei sollten Sie wissen,
dass die Projekte gerade in strukturschwachen Regionen,
zum Beispiel in meiner,
({33})
in denen kaum Gewerbesteuereinnahmen existieren,
({34})
nötig sind. Wo aber keine Gewerbesteuer, da auch kein
Gewinn bei einer Gewerbesteuerumlageveränderung
und auch keine Stärkung kommunaler Finanzkraft. Insofern hätte Ihre absurde Idee gerade die Kommunen bevorteilt, in denen die Gewerbesteuer kräftig sprudelt.
({35})
Die jedoch sollten die kommunale Jugendarbeit als eigenständige Pflichtaufgabe begreifen.
({36})
Ich komme jetzt zum Zivildienst, Frau Lenke. Der Zivildienst steht perspektivisch vor Herausforderungen und
Veränderungen und mit ihm die sozialen Dienste, die in einer demographisch sich dramatisch verändernden Gesellschaft ihre Aufgaben und die zu deren Bewältigung notwendige personelle Aufstellung neu definieren müssen.
({37})
Die Beschlussfassung zum Fortbestand der Wehrpflicht
und damit auch des Zivildienstes wird den Bundestag
spätestens 2006 beschäftigen.
({38})
- Hören Sie doch einmal ein bisschen zu! Mit dem Zuhören haben Sie echt ein Problem.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Lenke?
Ich würde vorschlagen, sie stellt die Zwischenfrage,
wenn ich mit meiner Rede fertig bin.
Dieser künftigen Entscheidung darf in unserem Haushalt keinesfalls vorgegriffen werden und das passiert
trotz gegenteiliger Unterstellung auch in keiner Weise.
Unbestritten stellt jedoch eine solche künftige Weichenstellung uns Haushälter und auch die Träger der sozialen Dienste und das Bundesamt für den Zivildienst
sowie das Ministerium vor die gemeinsame Aufgabe,
beide Alternativen in ihren Konsequenzen zu bedenken
und haushaltskonforme Antworten darauf zu suchen und
zu finden.
({0})
Das Ziel der Koalition ist es, mehr Wehrgerechtigkeit
herzustellen. Das ist in unserem Koalitionsvertrag so formuliert.
({1})
Wir haben schwerpunktmäßig in diesem Haushalt - Sie
wissen, das ist uns nicht leicht gefallen, aber das ist der
politische Schwerpunkt - circa 98 Millionen Euro im
Bereich des Zivildienstes gekürzt. Das ist eine gigantische Summe, sie macht aber nur 11,5 Prozent des Ansatzes für den Zivildienst aus. Man muss dazu vor allen
Dingen wissen, dass der Ansatz für den Zivildienstbereich ein halbes Jahr vorher um satte 80 Millionen Euro
aufgestockt worden ist. Insofern bewegt sich der im jetzigen Haushalt festgelegte Betrag mit marginalen Unterschieden etwa wieder auf dem Finanzplanniveau des
Vorjahres.
({2})
Frau Kollegin, berücksichtigen Sie bitte, dass die Redezeit schon überschritten ist?
Ja, das werde ich gern tun. Aber ich habe dem Protokoll entnommen, dass man bei der ersten Rede von Frau
Tillmann in der ersten Lesung sehr viel Rücksicht genommen hat. Insofern glaube ich, dass ich meine Rede
hier noch zu Ende bringen darf.
Zum Zivildienständerungsgesetz und zu dem entsprechenden Haushaltsansatz: Wir wollten mit diesem Haushalt eigentlich eine sehr starke Absenkung vollziehen,
haben sie aber durch das Zivildienständerungsgesetz
aufgefangen und eine Übergangslösung geschaffen. Das
haben wir getan, weil wir sowohl für die Träger als auch
für die Zivildienstleistenden Planungssicherheit schaffen
wollten.
({0})
Bedauerlich ist nur, dass der Bundesrat mit seiner Blockadepolitik das In-Kraft-Treten des Gesetzes jetzt verzögert und es deshalb im Moment keine Planungssicherheit gibt, weder für die Träger noch für die jungen
Männer, die den Wehrdienst antreten.
({1})
Frau Kollegin, ich muss Sie gleichwohl bitten, zum
Ende zu kommen.
Das will ich gerne machen.
({0})
- Ich gebe mir Mühe, mich nicht von Ihnen irritieren zu
lassen.
Eines möchte ich dieser Stelle noch erwähnen; ich
glaube, ich tue das in unser aller Namen. Einige Ansätze
sind einmütig erhöht worden. Die Absenkungen haben
wir allein gemacht, aber die Erhöhungen haben wir mit
allen vier Fraktionen hingekriegt. Ich nenne hier insbesondere das Deutsch-Französische Jugendwerk,
({1})
für das der Haushaltsansatz um 3 Millionen Euro erhöht
worden ist mit dem Ziel, zusätzliche Projekte für die Begegnung junger Deutscher und Franzosen konzipieren zu
können: Franzosen und Deutsche als Achse der Verständigung und Freundschaft in einem zusammenwachsenden Europa. Sie setzen die Schwerpunkte richtig, wenn
Sie in die Jugend, in den Austausch und in das Verstehen
investieren, weil das immer auch eine Investition in den
Frieden ist. Persönlich wünsche ich mir darum, dass dieses Geld entsprechend ausgegeben wird.
Ganz zum Schluss: Es waren schwierige Beratungen.
Ich bin stolz darauf, dass wir mit Rot-Grün den Konsolidierungskurs fortgesetzt haben, denn wir sind das Ministerium, in dem Generationengerechtigkeit definiert wird,
und das hat auch etwas mit Haushaltskonsolidierung zu
tun.
Danke.
({2})
Frau Kollegin Hagedorn, ich gratuliere Ihnen herzlich
zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.
({0})
Ich bitte um Nachsicht, dass auch der Großzügigkeit des
jeweiligen Präsidenten natürliche Grenzen gesetzt sind,
weil nicht wir die Redezeiten festlegen, sondern die
Fraktionen.
({1})
- Ich bin ja beinahe geneigt, auf solche guten Vereinbarungen gleich spontan einzugehen. - Ich wollte nur noch
einmal darauf aufmerksam machen, dass es keine Unfreundlichkeit gegenüber dem jeweiligen Redner ist,
sondern dass die Hinweise mit Rücksicht darauf erfolgen, dass Redezeit, die an einer Stelle zusätzlich gewährt
wird, an anderer Stelle dann fehlt.
Nun erteile ich das Wort der Kollegin Ina Lenke für
die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Hagemann,
({0})
Sie haben hier von Generationengerechtigkeit gesprochen. Ich kann Ihnen das wirklich nicht ersparen: Sie
sind dafür verantwortlich, wenn es keinen direkten Übergang von der Schule oder dem Beruf in den Zivildienst
gibt.
({1})
Ich war am Freitag in einer großen Behinderteneinrichtung. Dort müssen die Jugendlichen jetzt zwei oder drei
Monate warten, bis sie einen Zivildienstplatz bekommen. Das haben Sie mit Ihrer Finanzpolitik zu verantworten.
({2})
Meine Damen und Herren, das dramatische Sinken
der Staatseinnahmen, das die Bundesregierung mit ihrer
verunglückten Wirtschafts- und Steuerpolitik verursacht
hat, wirkt sich ganz besonders auf den Einzelplan 17,
den des Familienministeriums, aus. Auch in diesem Einzelplan wird das politische Versagen dieser Bundesregierung offenkundig. Ihre Planungen von heute sind - das
hat gerade der Zivildienst gezeigt - morgen schon wieder Makulatur.
({3})
Das wissen Sie ganz genau. Ich möchte das an einigen
konkreten Themen festmachen.
Erstens: der Zivildienst. Ich bin zivildienstpolitische
Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion.
({4})
- Hier steht eine Expertin. Sie sind für anderes Expertenwissen zuständig. - Der finanzielle Kahlschlag beim Zivildienst hat bei Ihnen System. Er kann deshalb auch
nicht nur haushaltspolitisch und haushaltstechnisch betrachtet werden. Denn die weit überdurchschnittlichen
Einsparungen im Haushalt des Bundesfamilienministeriums werden fast ausschließlich - da müssen Sie mir
Recht geben - zulasten des Zivildiensthaushaltes realisiert.
({5})
Meine Damen und Herren, die finanzielle Austrocknung des Zivildienstes führt zu einem Verlust an Betreuungsqualität. Soziale Einrichtungen wie zum Beispiel
Krankenhäuser und Einrichtungen für behinderte Menschen stürzen Sie alle Monate, alle Wochen wieder in
Planungsunsicherheit. Sie wissen ganz genau, dass die
10 Millionen Euro, die Sie jetzt noch zu den
90 Millionen Euro hinzugefügt haben, ein wirkliches
Planungschaos bei den Trägern der Einrichtungen hinterlassen haben.
({6})
Wir von der Opposition fordern Sie auf: Entwickeln
Sie endlich Zukunftskonzepte für die Umgestaltung des
Zivildienstes.
({7})
- Herr Kollege, wenn Sie nicht in diesem Ausschuss gewesen sind, kann ich Sie gerne aufklären. Sie haben eine
ganze Legislaturperiode Zeit gehabt, um Konzepte vorzulegen. Nichts ist gekommen, was den Zivildienst anbelangt.
({8})
- Wir haben ein Positionspapier zum Zivildienst. Das
schicke ich Ihnen zu. Wir werden das weiterentwickeln.
Sie bekommen noch im ersten Halbjahr unseren Antrag,
mit dem Sie sich beschäftigen können.
Wir fordern klare Zukunftskonzepte statt hektische
Kürzungen an der falschen Stelle. Ministerin Schmidt
- ich freue mich, dass Sie heute hier sind und Zeit
haben - verkündete zum Beispiel letzte Woche, 2004
werde die Zahl der Zivildienstplätze nochmals drastisch
um 20 000 sinken.
Frau Hagemann,
({9})
Sie sagen, Wehr- und Dienstgerechtigkeit bedeute,
100 000 Wehrpflichtige und 100 000 Zivildienstleistende einzuziehen. Erklären Sie mir jetzt in Form einer
Zwischenfrage, was von der Wehrgerechtigkeit und der
Generationengerechtigkeit für junge Menschen übrig ist,
wenn jeder zweite junge Mann weder Zivildienst noch
Wehrdienst leistet!
({10})
Dass Sie eine Einberufungsgerechtigkeit der Wehrgerechtigkeit gleichstellen, spottet jeder Beschreibung. Ich
muss sagen, das empört mich. Herr Haupt und ich sind
auch für die Jugend da. Was Sie hier von Generationengerechtigkeit geredet haben, ist wirklich nicht wahr.
Meine Damen und Herren, das besteht eine Pflichtdienstungerechtigkeit. Ich wiederhole für den Fall, dass
es nicht verstanden worden ist: Ein Teil der jungen Männer leistet einen Zwangsdienst und der andere Teil
kommt davon. Letzterer wird weiter zunehmen, wenn
Frau Schmidt noch in diesem Jahr 20 000 Zivildienstplätze streichen wird. Weniger als die Hälfte eines Geburtsjahrgangs von jungen Männern wird noch Wehroder Zivildienst ableisten. Das ist Ihre rot-grüne Gerechtigkeit. Der folgen wir Liberalen nicht.
Es ist wirklich schier unglaublich, Frau Hagemann
({11})
- Frau Hagedorn? Entschuldigung! -: Sie reduzieren
zum 1. Januar dieses Jahres die Zuschüsse zum Sold der
Zivildienstleistenden von 70 auf 50 Prozent, die Einrichtungen müssen also 20 Prozent mehr zahlen. Außerdem
erklären Sie, dass Sie den Einrichtungen 20 000 Zivildienststellen wegnehmen, weil Sie diese nicht mehr finanzieren können.
({12})
Wir liberale Frauen fühlen uns verantwortlich für die
zweite Seite der Medaille, für den Ersatz des Zivildienstes. Wir wollen einen Mix aus ordentlichen Arbeitsplätzen, Freiwilligendiensten und Ehrenamtlichkeit. Wir
werden im April auf Bundesebene eine Expertenanhörung durchführen. Dann werden wir sehen, was aus unseren Konzepten, die wir dann besprechen werden, wird.
Wir wollen, dass der heutige Haushaltsansatz für den
Zivildienst als Anschubfinanzierung des Ausstieges aus
dem Zivildienst hin zu diesem Mix genutzt wird. Wenn
Sie den Zivildienstetat immer weiter austrocknen, werden Sie keine sozialverträgliche Umgestaltung schaffen.
Deswegen ist es wichtig, den Ausstieg aus dem Zivildienst schon jetzt und nicht erst im Jahre 2006 zu machen. Diese Ankündigung hat mich sehr erschreckt.
Aber Herr Struck hat gesagt, 2004 soll entschieden werden, ob der Zivildienst bleibt. Deshalb werden wir Ihnen
zu diesem Zeitpunkt Vorschläge vorlegen.
Kap. 1704 in Einzelplan 17 ist Ausdruck Ihrer politischen Konzeptionslosigkeit, aber das konzeptionslose
Ausbluten des Zivildienstes wollen wir nicht mitmachen.
Ich möchte zum zweiten Schwerpunkt, der Kinderbetreuung, kommen. Auch dazu haben Sie etwas gesagt. Richtig ist, dass sich in Einzelplan 17 kein entsprechender Haushaltsansatz findet. Sie haben erklärt, dass
die Kommunen Gelder im Rahmen des Hartz-II-Konzepts bekommen. Ich bin gespannt auf die Rede der Ministerin. Frau Schmidt, ich will schwarz auf weiß sehen,
wie viel Geld die Kommunen aus dem Hartz-II-Konzept
bekommen, damit sie den Rechtsanspruch auf Realisierung einer Betreuungsquote von 20 Prozent für Kinder
unter drei Jahren finanzieren können. Dieses Leistungsgesetz wollen Sie den Kommunen aufdrücken. Jeder redet nur noch vom Hartz-Konzept. Ich habe von Ihnen
keine einzige Zahl und keinen einzigen Finanzierungsnachweis gehört.
Sie haben das Fehlen der Betreuungseinrichtungen
für Kinder dargestellt. Dazu muss ich sagen, dass die Betreuungsmisere der Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt, die wir alle wollen, entgegensteht und die
traditionelle Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern
festigt. Was Sie in Ihrer Gemeinde gemacht haben, habe
ich in meiner Gemeinde vor ein paar Jahren auch gemacht. Es funktioniert, aber nur, wenn Sie Ihr Versprechen, jedes Jahr 1,4 Milliarden Euro zu zahlen, auch einhalten. Dieser Betrag steht aber nicht im Haushalt. Einen
Beleg dafür, dass Sie Ihr Versprechen einhalten, habe ich
bis heute noch nicht gesehen.
({13})
Die Finanzierung ist wichtig. Dabei muss die Ministerin hier und heute Auskunft darüber geben, wie sie den
Rechtsanspruch zur Realisierung der Betreuungsquote in
Höhe von 20 Prozent für Kleinkinder finanzieren und
mit den Ländern zusammen das Geld an die Kommunen
weitergeben will. Die dafür notwendigen 4 Milliarden Euro haben Sie meines Erachtens nicht, Frau Ministerin. Ich gehe davon aus, dass Sie den Kommunen nur
Luftschlösser versprechen und weiter nichts. Ich als
praktizierende Kommunalpolitikerin werde sehr darauf
achten, dass Sie hier Butter bei die Fische tun, damit
endlich etwas passiert.
Mir ist wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen, dass
sich die Bundesregierung der Kinderbetreuung sehr
ernsthaft widmen muss. In der letzten Legislaturperiode
gab es dazu kein Wort und keine Aktion dieser rot-grünen Bundesregierung. Wenn Sie jetzt richtige Konzepte
auf den Tisch legen, werden wir als Opposition Sie dabei
kräftig unterstützen, aber wir werden Ihnen auch Beine
machen.
({14})
Ein drittes Beispiel Ihrer Konzeptionslosigkeit, Frau
Ministerin, ist die Kürzung der Eigenheimzulage. Diese
Kürzung haben Sie gefordert. Sie bedeutet eine drastische Kürzung für Familien. Man muss sechs Kinder haben, um auch jetzt noch bei einem Neubau auf die Höhe
der alten Förderung zu kommen.
({15})
- Dies können Sie auch nicht mit einer Zwischenfrage
aus der Welt schaffen.
Wenn dann noch die Ministerin und auch einige Ausschussmitglieder die Kürzung der Eigenheimzulage als
überfälligen Subventionsabbau verkaufen, ist das schon
eine Unverschämtheit gegenüber den Familien, die beim
Eigenheimbau unterstützt werden müssen.
({16})
Die FDP ist für den Abbau von Subventionen, aber
wir brauchen Entlastungen in Form niedrigerer Steuersätze. Danach können Sie gerne Subventionen abbauen.
Sie aber schmälern die Familieneinkommen durch immer mehr Steuern und Belastungen. Das machen wir
nicht mit. Solche Mittelverschiebungen und eine Erhöhung der Belastungen werden wir nicht mittragen.
({17})
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist deutlich überschritten.
Frau Präsidentin, ich bedanke mich, dass Sie mich
darauf aufmerksam machen. - Wenn Sie auf der einen
Seite die Eigenheimzulage kürzen, der Kanzler aber auf
der anderen Seite in seiner Regierungserklärung ein Programm für die Sanierung des privaten Wohnungsbaus in
Höhe von 8 Milliarden Euro verspricht, dann halte ich
das für tragikomisch. Wir wollen sehen, was von diesen
8 Milliarden Euro übrig bleibt.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Dieser Einzelplan -
Frau Kollegin, ich habe Sie deshalb auf Ihre Redezeit
aufmerksam gemacht, weil diese wirklich deutlich überschritten ist.
Der Einzelplan für das Familienministerium, Frau
Präsidentin, ist nicht akzeptabel. Hierdurch werden Probleme geschaffen und nicht gelöst. Deshalb lehnt die
FDP den Einzelplan 17 ab.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Jutta Dümpe-Krüger, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Lenke, ich gehe zunächst auf Sie ein, weil ich beim
Thema Eigenheimzulage langsam grüne Pickel bekomme.
({0})
Ist Ihnen erstens bekannt, dass der Deutsche Mieterbund
die derzeitige Eigenheimzulage kritisiert, weil sie - ich
zitiere - „die Stadtflucht begünstigt“, „nicht hilft, Wohnungsengpässe zu vermeiden“ und außerdem „diejenigen Haushalte fördert, die am wenigsten auf eine staatliche Förderung angewiesen sind“?
({1})
Ist Ihnen zweitens bekannt, dass das Gutachten einer
namhaften Expertin, Frau Professor Gisela Färber, dieser
Kritik des Deutschen Mieterbundes auf ganzer Linie
Recht gibt und sogar ausweist, dass gerade diejenigen
Fördergelder erhalten, die zu den reichsten Haushalten in
unserem Lande gehören? Wenn nicht, dann wissen Sie es
jetzt.
({2})
Mit dem Einzelplan 17 setzt die Bundesregierung einen wichtigen Schwerpunkt im Bereich Kinder, Jugend
und Familie. Er ist darüber hinaus ein notwendiger
Schritt in Sachen Generationengerechtigkeit; denn wir
dürfen uns nicht länger auf dem Rücken der jungen
Menschen in unserem Land verschulden.
({3})
Um den Stier nun gleich bei den Hörnern zu fassen:
Durch den Konsolidierungskurs gab es auch schmerzhafte Einschnitte, zum Beispiel im Bereich Zivildienst.
So wurden die Träger im November darüber unterrichtet,
dass es zu Einsparungen kommen müsse. Um zu vermeiden, dass es wegen der schon im Oktober 2002 erfolgten
Einberufung im Sommer dieses Jahres zu einer drastischen Absenkung der Zahl der Zivildienstpflichtigen
kommt, haben sich die Spitzen der Freien Wohlfahrtsverbände dafür ausgesprochen, sich mit 50 statt wie bisher 30 Prozent an den entstehenden Kosten zu beteiligen, und zwar ausdrücklich befristet bis Ende 2003.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben wiederholt die Behauptung aufgestellt, die Träger
seien dazu erpresst worden. Ich sage Ihnen: Diese Behauptung ist nicht wahr.
({4})
Das geht eindeutig aus einem Schreiben der Spitzenverbände der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege vom 5. März hervor.
Wenn der Bundesrat dem Gesetz zugestimmt hätte,
dann wäre die Kuh vom Eis gewesen und alle hätten Planungssicherheit gehabt.
({5})
Das sieht im Übrigen auch die Bundesarbeitsgemeinschaft so. Ich zitiere:
Diese negativen Folgen sowohl für die Zivildienstpflichtigen als auch für die von den Beschäftigungsstellen betreuten Klienten sollten gerade
durch die mit der Bundesregierung getroffenen Vereinbarungen vermieden werden.
Dieses Schreiben ist an die zuständigen Minister und Senatoren der Länder sowie an die Vertretungen der Länder
beim Bund gegangen. Ich lese nicht im Kaffeesatz, sondern weiter aus diesem Brief:
Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft zusammenarbeitenden Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtsverbände bitten Sie daher nachdrücklich, dafür
Sorge zu tragen, die Dauer des Vermittlungsausschussverfahrens auf ein Mindestmaß zu beschränken, damit im Interesse der Zivildienstleistenden
und der Dienste und Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege endlich Planungssicherheit hergestellt
werden kann.
Meine Damen und Herren, wer schafft den hier Planungsunsicherheit? ({6})
Sie und kein anderer. Ich fordere Sie auf, Ihre Blockadehaltung endlich aufzugeben.
({7})
Ich möchte jetzt auf den Bereich Rechtsextremismus
eingehen. Seit dem Sommer 2000 sind mehrere Programme durch diese Bundesregierung aufgelegt worden.
Darunter befindet sich das Aktionsprogramm „Jugend
für Toleranz und Demokratie“ mit den drei Programmteilen „Entimon“, „Xenos“ und „Civitas“.
({8})
Was erleben wir nun vor und hinter den Kulissen der
Haushaltsberatungen? Sie stellen die Behauptung auf,
diese Bundesprogramme seien angeblich nicht effektiv.
Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung wird von Ihnen
in diesem Sinne flugs umgedeutet. Fast ebenso schnell
stellt sich allerdings heraus, dass Sie das Gutachten vermutlich nur auszugsweise in der Zeitung gelesen und vor
allem nicht verstanden haben.
({9})
Meine Damen und Herren von der Union, das Gutachten enthält einzelne Kritikpunkte. Daneben ist es insgesamt ein Plädoyer für eine dauerhafte und nachhaltige
Weiterführung der Programme. Gerade den Befürchtungen, dass sich die Programme als kurze Strohfeuer erweisen könnten, wird in der Studie entgegengetreten. In
ihr wird eine langfristig angelegte Sicherstellung der finanziellen Ausstattung befürwortet.
({10})
Dass der Verfasser der Studie - Herr Roth - öffentlich
mitteilt, er fühle sich von Ihnen missinterpretiert und instrumentalisiert, ist im Grunde schon eine schallende
Ohrfeige. Anstatt nun aber nach dem Motto „Hättest du
geschwiegen, wärst du weise geblieben“ zu handeln, haben Sie noch eines draufgesetzt: Die absolute Krönung
war Ihre Nachfrage in der Aktuellen Stunde, ob denn
nicht eine Umwidmung der Mittel in den neuen Ländern
zugunsten der Bekämpfung von Linksextremismus und
Anschlägen mit islamistischem Hintergrund sinnvoll sei.
({11})
Das haben Sie gefragt, obwohl Sie wissen oder wissen
sollten, dass es in den neuen Bundesländern bei einem
Ausländeranteil von insgesamt rund 2 Prozent überhaupt
keine nennenswerten islamistischen Gruppen gibt.
({12})
Meine Damen und Herren, unser aller Interesse muss
es sein, rechtsextremen und fremdenfeindlichen Gesinnungen möglichst früh entgegenzutreten. Das geht nur
mit langjährigen Demokratisierungsprozessen. Darum
brauchen wir die Programme und die dafür notwendigen
Mittel. Wir können es uns überhaupt nicht leisten, in die
alten Mechanismen der Verdrängung und Verleugnung
zurückzufallen.
Danke schön.
({13})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Professor Dr. Maria
Böhmer, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Hoch gelobt und ausgebeutet - das ist die Situation von Familien in unserem Land.
({0})
Wenn Sie sich daran erinnern, was Familien in diesem
Land vor der Bundestagswahl versprochen
({1})
und was nach der Bundestagswahl ganz schnell wieder
in der Schublade versenkt worden ist, dann erkennen
Sie, dass sich die Familien in unserem Land einer Situation gegenübersehen, in der die Familienpolitik wieder
auf Sparflamme gekocht wird.
({2})
Vor der Bundestagswahl hieß es: Wir werden die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Was ist daraus geworden?
4,7 Millionen Arbeitslose haben wir. Das heißt, dass
4,7 Millionen Menschen mit ihren Familien draußen vor
der Tür stehen.
({3})
Wir haben gehört, es gebe keine neuen Belastungen für
Familien. Was ist geschehen? Die Abgaben- und Steuerlast für Familien ist größer geworden als je zuvor.
({4})
Was ist mit den besseren Chancen? Wir alle haben gespannt auf die Rede des Bundeskanzlers am Freitag gewartet. Wir wissen heute: Es wird kein Ruck durch dieses Land gehen und es wird mitnichten zu einem Ruck
für die Familien in diesem Land kommen.
({5})
Frau Ministerin Schmidt, Sie haben vor dem Bundestagswahlkampf SOS für die Familien gefunkt. Sie haben
gesagt: „Ohne Kinder sehen wir alt aus.“ Das ist ein
Buchtitel von Ihnen. Ich habe das Buch mit großer Spannung gelesen und ich sage an dieser Stelle: Sie haben
völlig Recht. Ohne Kinder sehen wir in unserem Land
alt aus. Es gibt immer weniger junge Menschen.
Deutschland wird ein kinderarmes Land sein. Die Überalterung der Bevölkerung nimmt zu. Daraus werden sich
außerordentlich negative Konsequenzen für die Wirtschaft und die Gesellschaft ergeben. Deshalb müssen wir
dringend umsteuern. Aber dieses Umsteuern bedeutet,
dass wir die Familie nicht aussparen dürfen, wie es der
Bundeskanzler am Freitag getan hat; denn in seiner Rede
war von Familie nicht die Rede.
({6})
Das Gegenteil muss der Fall sein. Das bedeutet: Die
Modernisierung unserer sozialen Sicherungssysteme,
des Arbeitsmarktes und des Steuersystems muss von der
Familie her gedacht werden. Nur dann wird eine Reform
in diesem Bereich auch wirklich erfolgreich sein. Das
wird dann kein Kurieren an Symptomen sein, sondern
ein Zurückgehen auf die Ursachen.
Wir wissen, was uns Fachleute immer wieder ins
Stammbuch geschrieben haben - das können Sie auch in
Ihrem Buch nachlesen -: Die niedrige Geburtenrate steht
in einem eklatanten Zusammenhang mit der strukturell
kinderunfreundlichen Gesellschaft. Unsere Arbeitswelt ist über weite Strecken kinderfeindlich. Familien
mit Kindern haben gegenüber kinderlosen Paaren gravierende finanzielle Benachteiligungen. Zudem haben
die Abgaben zugenommen. Das kann so nicht weitergehen.
({7})
Kindererziehung in Deutschland bedeutet fast ein Ge-
lübde für die ewige Armut.
Zurufe von der SPD: Das ist ja ein Überzie-
hen! - Wie sind Ihre Vorschläge?)
Sie bedeutet, dass Menschen, die Kinder erziehen, in der
Altersversicherung bestraft werden. Darüber hinaus werden sie noch mit dem Aus im Beruf dafür bestraft, dass
sie Kinder erziehen. Deshalb ist es nicht verwunderlich,
dass der Kinderwunsch immer mehr auf der Strecke
bleibt.
Frau Hagedorn, in einem Punkt haben Sie Recht gehabt: Wir müssen an dieser Stelle mehr für junge Frauen
und Männer in unserem Land tun, damit sie bereit sind,
ihrem Wunsch, eine Familie zu gründen, wirklich nachzugeben. Eine Geburtenrate von 1,3 ist dramatisch. Aber
noch dramatischer ist, dass mehr als 30 Prozent der
Frauen des Jahrgangs 1965 keine Kinder haben. 41 Prozent der Akademikerinnen haben ebenfalls keine Kinder.
Das heißt, die Kinderlosigkeit greift um sich.
Sie haben als Geheimrezept eine stärkere Kinderbetreuung angeführt. Das mag auf den ersten Blick stimmen.
({8})
Wenn ich nach Skandinavien und nach Frankreich
schaue, dann stelle ich fest, dass die Kinderbetreuung
dort gut ausgebaut ist. Aber ich sage Ihnen auch: In anderen Ländern wie beispielsweise in den USA, wo dieses System so nicht existiert und die Kinderbetreuung oft
selbst organisiert und bezahlt werden muss, ist die Geburtenrate wesentlich höher und das Ja zur Familie deutlicher.
({9})
Also, nur an der Kinderbetreuung allein etwas zu tun,
greift zu kurz. Wir brauchen insgesamt ein familienfreundliches System in unserem Land. Das schließt Kinderbetreuung und Finanzierung ein. Beide Bereiche dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
({10})
An dieser Stelle sind wir klar in die Vorlage getreten.
Wir haben in der letzten Legislaturperiode ein stimmiges
und modernes Familienkonzept vorgelegt. Wir wollen
die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir
wollen bessere Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Das
schließt auch mehr Ganztagsangebote für Kinder ein.
Wenn uns immer wieder unterstellt wird, dass die CDU
und die CSU an dieser Stelle nicht Farbe bekennen würden, dann will ich Ihnen einmal die jüngsten Zahlen aus
dem Saarland nennen. Das Saarland hat die freiwillige
Ganztagsschule nach vorne gebracht. Innerhalb eines
Schuljahres hat sich die Zahl der Ganztagsschulen bei
den Realschulen von neun auf 22 erhöht. Das heißt, fast
jede zweite Realschule im Saarland ist jetzt mit einem
freiwilligen Ganztagsangebot ausgestattet. Bei den
Grundschulen ist innerhalb eines Jahres eine Steigerung
von 97 auf 168 zu beobachten. Ich finde das beachtlich.
({11})
Mehr als die Hälfte aller Grundschulen im Saarland hat
nun auf freiwilliger Basis ein Angebot an Ganztagsschulen. Bei den Gymnasien ist es so, dass jedes dritte Gymnasium die freiwillige Ganztagsschule anbietet. Wer jetzt
immer noch sagt, die Union würde nicht handeln, der irrt
und sollte einmal in die SPD-regierten Länder schauen.
Dort ist dieser Fortschritt noch nicht zu verzeichnen.
({12})
- Liebe Kolleginnen, Sie wissen genau, dass die Bundesländer in einem deutlichen Wettbewerb zueinander
stehen. Ich bin über jedes Bundesland froh, das an dieser
Stelle seine ganze Kraft einsetzt, um in den Bereichen
der Kinderbetreuung und der Ganztagsschulen weiterzukommen.
({13})
Aber ich sage Ihnen auch zum wiederholten Mal: Diejenigen Länder, die vorne liegen, sind die unionsregierten
Länder, und diejenigen Länder, die die Schlusslichter
bilden, sind die SPD-regierten Länder.
({14})
Über eine Äußerung der Ministerin, die immer wieder
in der Presse zu lesen ist, war ich doch etwas erstaunt.
Frau Schmidt, Sie sagen immer wieder, dass Sie wenig
Geld und kaum eigene Gesetzgebungskompetenz haben und dass Sie auf einen Mentalitätswechsel setzen.
Ein Mentalitätswechsel ist zwar nie falsch. Aber es kann
natürlich nicht sein, dass man nur darauf verweist, weil
man machtlos ist. Auch war ich ganz erstaunt festzustellen, dass eine Ministerin Renate Schmidt machtlos sein
soll. An dieser Stelle müssten wir in der Tat überlegen,
eine Initiative zu starten.
Dann habe ich mir aber einmal die Geschäftsordnung
der Bundesregierung vorgenommen. Dort habe ich mit
Fug und Recht gelesen - dafür haben wir alle miteinander gekämpft; denn wir sind daran interessiert, dass wir
ein starkes Familienministerium und ein starkes Ministerium für Frauen haben -, dass das Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend stets zu beteiligen ist, wenn Gesetze von gleichstellungspolitischer
Bedeutung behandelt werden. Das steht in der Geschäftsordnung.
Auch habe ich mich gefragt: Was ist eigentlich bei der
Rentenreform geschehen? Frau Schmidt, das fällt jetzt
zwar vor Ihre Amtszeit, aber es wird Ihnen mit Sicherheit auch in Ihrer Amtszeit so ergehen. Wie sind die Regelungen umgesetzt worden? Heute sind wir mit einer
Regelung in der privaten und betrieblichen Vorsorge
konfrontiert, die lautet: neue Benachteiligungen für
Frauen.
({15})
Diejenigen, die Verfassungsrechtler sind - ich nenne
hier Ute Sacksotsky, eine der Frauen, die viele Jahre am
Bundesverfassungsgericht tätig war und heute in Frankfurt Professorin ist -, erklären, dass diese Regelung vor
dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand hätte.
Denn Frauen zahlen die gleichen Beiträge, bekommen
aber schlechtere Leistungen in der privaten und in der
betrieblichen Altersvorsorge. Deshalb, Frau Ministerin,
fordere ich Sie hier auf: Machen Sie damit Schluss! Nutzen Sie Ihre Kompetenzen. Sorgen Sie dafür, dass
Frauen in unserem Land Gerechtigkeit widerfährt.
({16})
Ich komme auf den von Ihnen angesprochenen Mentalitätswechsel zurück. An einer Stelle habe ich geschmunzelt, als Sie nämlich das Fach Familienkunde
gefordert haben. Familienkunde ist sicherlich ein wichtiger Ansatz. Aber wir sollten die Schulen nicht zu einem
Reparaturbetrieb für etwas, was vorher nicht geleistet
werden konnte, verkommen lassen. Wir wollen Familien
stärken, damit sie aus ihrer Verantwortung heraus das
leisten können, was ihre Aufgabe ist, nämlich die Kinder
zu erziehen. Die Erfüllung dieser Aufgabe lässt sich
nicht ersetzen.
Ich erinnere mich daran, dass Olaf Scholz, der Generalsekretär der SPD, angekündigt hat, die SPD wolle die
Lufthoheit über den Kinderbetten erobern. Dazu muss
ich Ihnen an dieser Stelle sagen: Wir sind dagegen, dass
irgendjemand die Lufthoheit über den Kinderbetten hat.
Hier sind die Eltern gefordert. Die Verantwortung liegt
immer noch bei ihnen.
({17})
Frau Schmidt, ich weiß aber auch, dass Sie immer wieder sagen, dass Sie niemandem vorschreiben wollen, wie
er zu leben hat. Das halte ich für richtig. Hier stimmen
wir überein. Aber es gibt einen Unterschied zwischen
uns. Die Fakten bei der SPD sprechen eine andere Spra2640
che als das, was Sie immer wieder verkünden. Das
möchte ich an zwei Beispielen deutlich machen.
Erstens. Kinderbetreuungskosten können nur dann
steuerlich abgesetzt werden, wenn beide Elternteile erwerbstätig sind. Ich frage mich: Warum gilt dies nicht
auch für den Fall, in dem nur ein Elternteil erwerbstätig
ist?
({18})
Auch in diesem Fall kann es sinnvoll sein, Kinderbetreuung wahrzunehmen, beispielsweise dann, wenn ein Kind
als Einzelkind aufwächst. Hier wäre diese Regelung hilfreich. An dieser Stelle sollten wir mehr tun.
Zweitens. Wie sieht es mit der Aufstockung der
Rentenbeiträge bei der Erziehung bis zum zehnten Lebensjahr des Kindes aus? Wir haben heftig dafür kämpfen müssen, dass diese Regelung nicht nur Erwerbstätigen zugute kommt, sondern dass auch Frauen, die wegen
Kindererziehung auf Erwerbstätigkeit verzichten, eine
Aufstockung der Rentenbeiträge bekommen. Aber immer noch sind die Mütter mit einem Kind bei dieser Rentenregelung außen vor. Diese Frauen haben keine Lobby
bei Ihnen und so kann es nicht bleiben.
({19})
Zuletzt möchte ich noch einen Punkt ansprechen, der
mir in der Tat Sorge bereitet. Wir sind in der Situation, dass
den Familien zwar mehr Mittel gegeben werden - und Sie
haben durchaus Finanzmittel in der letzten Legislaturperiode lockergemacht -, aber die Erhöhung des Kindergeldes durch mehr Steuern, mehr Abgaben und Mehraufwendungen für Kinderbetreuung aufgefressen wird. Das
heißt, dass sich Familien unter dem Strich heute schlechter in unserem Land stellen. Deshalb müssen wir alle an
einem Strang ziehen, damit die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts beachtet werden, die die finanzielle Gerechtigkeit für Familien und die steuerliche Gleichstellung von Alleinerziehenden betreffen, was von Ihnen
völlig falsch interpretiert worden ist und deshalb zu einer
Schlechterstellung von Alleinerziehenden geführt hat.
Dasselbe gilt auch für die Urteile des Bundesverfassungsgerichts mit Blick auf die Pflegeversicherung und
die Rentenversicherung. Hier müssen bald die Weichen
gestellt werden.
Frau Kollegin Böhmer, darf ich Sie an Ihre Redezeit
erinnern.
Frau Ministerin, ich habe die Erwartung an Sie, dass
Sie mit ganz konkreten Vorschlägen auf uns zukommen
und deutlich machen, dass Sie nicht nur für die Familie
reden und SOS funken, sondern mit uns an einem Strang
ziehen, wenn es darum geht, die Weichen in diesem
Land richtig zu stellen. Wir werden alle Kraft über den
Bundesrat dafür einsetzen, dass Familien in diesem Land
nicht länger im Regen stehen.
({0})
Die nächste Rednerin ist die Kollegin Nicolette
Kressl, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Nun hat Frau Böhmer gerade, wie wir gehört haben,
doch tatsächlich angemahnt, den Vergleich zwischen
dem zu ziehen, was in Wahlkämpfen versprochen worden ist, und dem, was jetzt stattfindet. Wir haben darauf
hingewiesen, dass für uns ganz wichtig ist, nach den
deutlichen materiellen Verbesserungen für Familien in
der letzten Legislaturperiode Maßnahmen einzuleiten,
um endlich die Betreuungssituation zu verbessern.
({0})
Beides haben wir auf den Weg gebracht, während die
Union, wenn ich mich richtig erinnere, in dem scheinbar
schlüssigen Konzept, von dem Sie gerade gesprochen
haben, vorrangig ein Familiengeld versprochen hat. Jetzt
frage ich: Warum haben wir heute nicht ein Wort davon
gehört, Frau Böhmer?
({1})
Das kann eigentlich nur damit zu tun haben, dass das,
was Sie im Wahlkampf versprochen haben, heute überhaupt nicht mehr gültig ist. Sonst hätten Sie es wieder
deutlich gemacht.
({2})
Sie haben sich offensichtlich sang- und klanglos von
Ihrem scheinbar schlüssigen Konzept verabschiedet, Sie
stellen aber keine Alternativen vor. Sie sagen uns, was
Ihnen nicht recht ist. Sie haben sich von Ihrem ehemaligen Konzept verabschiedet. Das heißt, auch in der Familienpolitik reihen Sie sich in die Linie derer in der CDU/
CSU ein, die nur noch sagen, was sie nicht wollen, aber
keine eigenen Konzepte auf den Tisch legen können.
({3})
Schauen wir einmal auf den Haushalt, über den wir
heute debattieren. Haushalte sind nur auf den ersten
Blick reines Zahlenwerk. Sie spiegeln in Wirklichkeit
immer wider, welche Prioritäten gesetzt werden; sie
machen deutlich, welche Leitlinien, welche politischen
Vorstellungen bei der Aufstellung eines Haushalts wichtig sind. Wie bei dem Haushalt für Bildung und Forschung, über den wir vorher gerade debattiert haben,
steht auch bei diesem Haushalt für uns eines im Vordergrund: Wir wollen Rahmenbedingungen schaffen, damit Menschen sowohl im ökonomischen als auch im
gesellschaftlichen Bereich gleiche Chancen haben. Dafür steht dieser familienpolitische Haushalt.
({4})
Das bedeutet natürlich auch - es lohnt sich vielleicht,
sich darüber Gedanken zu machen -: Wer Rahmenbedingungen für gleiche Chancen für Kinder und junge
Menschen schaffen will, muss erst einmal überlegen,
wie die gesellschaftlichen Realitäten sind. Ich habe immer noch den Eindruck - auch nachdem ich Sie heute
gehört habe -, dass Sie die gesellschaftlichen Realitäten
nicht wahrnehmen und dementsprechend auch nicht in
Ihre Konzepte umsetzen, wobei man von Konzept, wie
gesagt, eigentlich gar nicht mehr reden kann.
({5})
Weil wir unsere Aufgabe wahrnehmen, gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen zu schaffen, setzen wir
eben nicht mehr allein auf die direkte materielle Förderung von Familien. Vielmehr halten wir es für richtig,
die Rahmenbedingungen zu verbessern, um den tatsächlichen Bedürfnissen von jungen Vätern und Müttern
gerecht zu werden. Deshalb werden wir Familien dabei
unterstützen, ihre Lebensform nach ihren eigenen Vorstellungen bestimmen zu können.
Ich möchte noch auf Frau Tillmann und Frau Böhmer
eingehen; denn ich halte es für unverfroren, dass Sie
zum Beispiel die erwerbsbedingten Betreuungskosten
nennen und uns unterstellen, wir würden nur die berufstätigen Eltern unterstützen. Dabei verschweigen Sie,
dass wir einen Freibetrag von mehr als 2 000 Euro für
Betreuung, Erziehung und Ausbildung eingeführt haben,
der völlig unabhängig von der Art der Betreuung allen
Eltern gewährt wird.
({6})
Das zu verschweigen ist unredlich.
({7})
Neben der Unterstützung für junge Mütter und Väter
in der Betreuung wollen wir erreichen, dass alle Kinder
unabhängig vom sozialen Status der Eltern die bestmögliche Bildung bekommen. Auch dabei steht das Ziel der
Chancengleichheit im Vordergrund.
({8})
Das ist ein weiteres Beispiel dafür, dass wir uns für dieses Ziel einsetzen.
Deshalb ist es unredlich, das Paket Bildung und
Betreuung auseinander zu dividieren, wie es manchmal
Ihren Pressemitteilungen zu entnehmen ist. Wir meinen,
dass zugunsten der bestmöglichen Chancen für Kinder
und junge Menschen Bildung und Betreuung zusammengehören.
({9})
Wenn Sie wahrheitswidrig behaupten, der Bund
würde bei der Vorlage seiner Verwaltungsvereinbarungen den Ländern nicht die weitestmögliche Freiheit einräumen,
({10})
und andere unter Ihnen gleichzeitig fragen, warum wir
kein pädagogisches Konzept fordern, dann kann ich nur
feststellen, dass es Ihnen offensichtlich nicht um die
Chancen der Kinder geht, sondern wieder nur darum, etwas zu verhindern.
({11})
Ich habe mich sehr gefreut, als letzten Freitag nach
der Kultusministerkonferenz eine Einigung über die Verwaltungsvereinbarung erkennbar wurde. Ich gehe davon
aus, dass sich die beiden Seiten noch aufeinander zu bewegen werden.
({12})
Ich will Ihnen aber deutlich sagen: Wenn Ihnen so sehr
an Kleinigkeiten und Kompetenzstreitigkeiten liegt, dass
schließlich die Verwaltungsvereinbarung scheitert, dann
werden Sie den Eltern und den Kindern erklären müssen,
warum Sie ihnen nicht die Chancen für eine bessere Betreuung ermöglichen. Sie werden das in jedem Land erklären müssen.
({13})
Zu der Förderung von Chancengleichheit gehören unserer Ansicht nach auch Programme, in denen sichere
Lebensräume für junge Menschen unabhängig von ihrer
Herkunft in den Mittelpunkte gestellt werden. Deshalb
unterstützen wir - auch der Haushaltsausschuss ist darin
übereingekommen - weiterhin die Programme Entimon
und Civitas. Denn mit diesen Programmen gegen
Rechtsextremismus werden die gesellschaftlichen
Grundlagen dafür geschaffen, dass die Würde der Menschen und nicht ihre Herkunft im Mittelpunkt von Politik
und Gesellschaft steht.
({14})
Selbstverständlich muss bei Programmen, die aus
Steuermitteln finanziert werden, auf ihre Wirksamkeit
geachtet werden. Deshalb hat sich das Familienministerium dafür ausgesprochen, dass Überprüfungen und
Evaluationen durchgeführt werden. Aber so richtig es
ist, auf Zielgenauigkeit zu achten, so ist es für uns auch
unabdingbar, dass auf Bundesebene ein Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit gerade bei jungen Menschen
erfolgt. Wir müssen jungen Menschen die Chance bieten, sich persönlich weiterzuentwickeln und rechte Parolen hinter sich zu lassen. Die genannten Programme bieten jungen Menschen diese Chance.
({15})
Ich will von dieser Frage der Gewalt einen Bogen zu
einer anderen Frage spannen, die mit Gewalt verbunden
ist, nämlich Gewalt, die gegen Kinder und Jugendliche
gerichtet ist. Diese Gewalt kann junge Menschen nicht
nur zutiefst verletzen und auch zerstören, sondern im
Zusammenhang damit kann auch Gewalt entstehen, die
sie gegen andere Menschen richten. Die Koalitionsfraktionen werden deshalb den nationalen Aktionsplan gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen unterstützen und vorantreiben; denn der soeben erwähnte
Zusammenhang ist ganz wichtig.
({16})
Zur Chancengleichheit für Kinder, Jugendliche, Familien und Frauen gehört die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf. Wir müssen darauf achten, dass es faire Bedingungen für Frauen und Männer im Beruf und in anderen gesellschaftlichen Bereichen gibt. Deshalb legen wir
auch auf die Umsetzung der EU-Gleichstellungsrichtlinie Wert und unterstützen die Einrichtung eines Gender-Kompetenz-Zentrums, wie es geplant ist.
Für eine lebendige und sich ständig fortentwickelnde
Gesellschaft müssen und wollen wir Menschen in all ihren unterschiedlichen Lebensformen und -phasen unterstützen; denn gerade diese Mosaiksteinchen lassen ein
geschlossenes und stabiles Ganzes entstehen. Dieses stabile Ganze wollen wir fördern und unterstützen. Auch
dafür ist der vorliegende Haushaltsentwurf ein Signal.
Deshalb können wir Sie nur auffordern, diesem Entwurf
zuzustimmen.
Vielen Dank.
({17})
Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Andreas Scheuer, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Kressl, bleiben Sie ruhig! Zum Familiengeld komme ich noch. Sie müssen nur ein bisschen
Geduld haben.
An einem Haushalt sollte man erkennen, wo Schwerpunkte gesetzt werden. Ihr Einzelplan, Frau Ministerin
Schmidt, ist in dieser Hinsicht zum einen - in diesem
Fall: leider - sehr klar in der Ausrichtung und zum anderen stecken die Tücken im Detail.
({0})
Die Grundausrichtung beschränkt sich auf ein - diesen
Begriff kennen Sie bereits von uns - Gesellschaftskonzept
à la DDR light. Das möchte ich Ihnen heute beweisen.
({1})
Das, was Sie vorgelegt haben, ist nichts anderes als eine
Tirade von Gleichmacherei, Verstaatlichung und Zentralismus. Ihr Konzept ist wie ein abrasierter englischer Rasen
der Gleichmacherei: Jeder, der mehr tun oder leisten will
als seine Pflicht, wird bestraft und durch Regelungen gegängelt. Wir wollen dagegen eine kräftige Wiese der Unterschiedlichkeit - jeder nach seiner Fasson -, weil es in unserem Land viele Menschen gibt, die eigene Ideen haben
und Kraft und Mut besitzen. Der Staat soll erst dort eingreifen, wo Wildwuchs herrscht. Damit werden Leistung,
Wettbewerb, Eigenverantwortung, Selbstverwirklichung
und Solidarität gefordert, aber auch gefördert.
({2})
Als Beispiel möchte ich Ihr Konzept einer Ganztagsschule auf Pflichtbasis nennen. Sie verstaatlichen damit
die Erziehung.
({3})
Ich muss das nicht vertiefen, da meine Vorredner von der
Union schon darauf eingegangen sind. Nur so viel: Hier
ist der Angriff auf die Entscheidungsfreiheit der Eltern
sowie auf das Ehrenamt und das freiwillige Engagement
vorprogrammiert. Entschuldigen Sie, Ihr Kleckerbetrag
von 300 Millionen Euro für diesen Bereich dient auch
nur als Alibimaßnahme. Von der angekündigten
1 Milliarde Euro auf nur 300 Millionen Euro in dem vorliegenden Haushalt!
({4})
Für uns ist klar: Genauso wie bei der Grundsicherung - es
gibt noch viele andere Beispiele - machen Sie auch hier
ein neues Fass in Sachen Belastung der Kommunen auf.
Die Mittelverteilung in den verschiedenen Bereichen
ist ohnehin Ihre sehr anfällige Achillesferse, Frau Ministerin Schmidt, wenn ich sehe - das ist heute schon öfter
angeklungen -, wie Sie vom Bundesrechnungshof und
von der Friedrich-Ebert-Stiftung scharf gerügt werden,
dass Gelder für die Programme gegen rechts ins Leere
gehen. Eines dieser Programm in Höhe von 5 Millionen
Euro beinhaltet zum Beispiel Kosten für die Servicestelle
und für die Vergabe der Mittel in Höhe von 827 000 Euro
jährlich. Sie schaffen mit dieser Servicestelle ein Kunstgebilde. Das zum Thema Bürokratieabbau und Verwaltungsvereinfachung. Vielleicht liegt es ja daran, dass damit besser SPD-nahe, ja sogar linksextreme Projekte und
Initiativen berücksichtigt werden können.
({5})
Hier wird vielfach mit Staatsknete linientreu finanziert
bzw. honoriert.
Hören Sie sich doch einmal bei den verlässlich arbeitenden Trägern um! Die bleiben nämlich auf der Strecke
und beklagen sich, dass die Projektzahlen durch die zentrale Verteilung zurückgehen, nämlich von 330 Projekten
in Bayern auf nur 98 Projekte. Man fragt sich, warum
man von der gut funktionierenden dezentralen Vergabemethode abgerückt ist.
({6})
- Danke. Hervorragender Zwischenruf!
({7})
Vor allem die Nähe zu den Antragstellern hat vor
Missbrauch geschützt und die Projekte wurden „in die
Fläche transportiert“. Genau darauf zielt im Großen und
Ganzen die Hauptkritik des Bundesrechnungshofes.
Sie müssen sich endlich einmal fragen, ob allein Projekte gegen rechts die Probleme der jungen Menschen
lösen. Das ist aus unserer Sicht nicht so. Die Jugendlichen fühlen sich in Sachen Ausbildung und Arbeit betrogen. Auf die damit verbundenen Fragen haben Sie,
meine Damen und Herren von Rot-Grün, keine Antworten.
({8})
Der griesgrämige Kabinettsgrufti Schily, der gerade
eingetroffen ist, agiert hier im Parlament mit Scheibenwischergesten und unflätigen Kommentaren.
({9})
- Nein, ich nehme das nicht zurück, weil auch er die
Scheibenwischergesten nicht mehr zurücknimmt. Er
sollte sich lieber mit der Blamage des gescheiterten
NPD-Verbots beschäftigen. Das wäre ein Programm gegen rechts.
({10})
Wie logisch das Bundesministerium von Frau
Schmidt in Sachen Förderung des Ehrenamtes arbeitet,
sieht man bei der Streichung der Mittel auf 40 Prozent.
Die Begründung ist, dass das Jahr 2001 das Jahr des Ehrenamtes gewesen sei und deshalb die Mittel so hoch gewesen seien. Deshalb habe man so drastisch gekürzt.
Das leuchtet wirklich nicht ein.
Für uns von der Union ist jedes Jahr ein Jahr des Ehrenamtes. Wir müssen Menschen motivieren, in unserer
Gesellschaft aktiv zu werden und sich zu engagieren;
denn wer sich engagiert, gewinnt.
Es war schon komisch, dass der Fraktionsvorsitzende
Müntefering am Freitag vergangener Woche sagte: „Wir
wollen die Chance zur Eigenverantwortung und zur
Selbstverwirklichung geben.“ Außerdem sagte er: „Der
Staat muss sich zurückziehen.“ Jetzt auf einmal geht es
doch. Aber die Motivation von Rot-Grün ist dabei ganz
klar: Wenn in der Staatskasse kein Geld mehr ist, dann
rückt man den Menschen plötzlich wieder in den Vordergrund. Vorher stellte man alles, was geht, unter staatliche
Zuständigkeit und verteufelte die Union, weil sie dafür
ist, die Bürger selbst entscheiden zu lassen. Müntefering
sagte auch, dass zu viele Menschen nur auf der Tribüne
sitzen und zusehen.
({11})
Genau auf dem Gebiet Ehrenamt wird in diesem Einzelplan radikal gekürzt.
Stimmen Sie sich von Rot-Grün in Ihren Strategien
endlich in Ihren eigenen Reihen ab! Sie vergiften die
Stimmung in unserem Land, weil sich die Menschen angesichts des Chaos Ihrer Aussagen nicht mehr auskennen.
({12})
Das ist in der Wirtschaftspolitik genauso wie in der Gesellschaftspolitik.
Die SPD hat in der Vergangenheit eine falsche Politik
gemacht. Daran war man gewöhnt, weil dieser falsche
Kurs verlässlich war.
({13})
Heute macht die SPD immer noch eine falsche Politik,
aber das verlässlich unzuverlässig. Keiner kennt sich bei
den Widersprüchen in den Aussagen und Taten mehr
aus.
({14})
Die Namen der verschiedenen Programme sind
großartig. „Jugend bleibt“, ist ein Programm mit einem
Volumen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro. Die Abwanderung von jungen Menschen aus den neuen Ländern ist
dennoch dramatisch. Zudem waren im Februar
2003 581 000 junge Menschen unter 25 Jahre arbeitslos. Die jungen Leute haben sehr wenig Perspektive,
fühlen sich als Verlierer am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt und sie haben kein Vertrauen in die Politik. Wen
wundert es bei dieser Bundesregierung?
Reparaturmaßnahmen wie solche Programme helfen
da wirklich wenig. Sie meinen es mit diesen Programmen zwar gut; aber machen Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, lieber eine gute Wirtschaftspolitik,
die auf mehr Wachstum und mehr Beschäftigung basiert.
Das wäre eine auf Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit hin ausgerichtete Politik. Meine Damen und
Herren von Rot-Grün, bringen Sie Ihre Gewerkschaftsbremser in den eigenen Reihen zur Räson. Das wäre die
beste Investition in unsere Jugend.
({15})
Grundsätzlich gilt in den verschiedenen Politikfeldern: Wir wollen die Leistung der Menschen im Vergleich zu denen, die nichts oder sehr wenig zur Solidargemeinschaft beitragen, honorieren.
Frau Kressl, wir stehen zu unserem Konzept zum Familiengeld. Sie sollten sich anschließen. Wir wollen
Geld für eine Investition in die Zukunft zur Verfügung stellen, um den Fortbestand unserer Gesellschaft zu sichern.
Wir wollen die jungen Familien für ihren gesellschaftlichen Beitrag besser stellen. Sie von Rot-Grün wollen
das demographische Problem mit starker Zuwanderung lösen.
({16})
Das wollen genau zwei Gruppen in unserer Gesellschaft
nicht: die Union und die überwältigende Mehrheit in der
deutschen Bevölkerung.
({17})
Wir wollen Ihren gesellschaftlichen Umbau durch mehr
Zuwanderung nicht lösen. Alle Experten sagen: Wenn
wir das demographische Problem nicht angehen, bekommen wir massive Probleme, auch hinsichtlich unserer sozialen Sicherungssysteme.
Auch das ist ein Punkt in Sachen Generationengerechtigkeit: Deutschland ist im Weltvergleich einer der
ärmsten Staaten, nämlich arm an Kindern; Platz 180 von
191 Staaten.
({18})
Das ist wahrlich alarmierend. Wir müssen den Generationenvertrag endlich ganzheitlich sehen. Andere Länder
in Europa haben das demographische Problem längst bewältigt, und zwar auf ähnliche Weise, wie von uns vorgeschlagen worden ist. In diesem Haushalt ist bei diesem
Thema Fehlanzeige.
Der Haushalt ist rückwärts- oder allenfalls gegenwartsorientiert, Frau Ministerin, aber auf keinen Fall zukunftsorientiert. Sie brüsten sich immer mit der sozialen
Gerechtigkeit und stellen dies zur Schau. Ihre Politik
- das geben die nackten Zahlen wieder - ist nicht sozial,
geschweige denn generationengerecht. Erkennen Sie
endlich die Zeichen der Zeit! Eine Agenda 2010 à la
Schröder ist bei Ihrem Haushalt, Frau Ministerin
Schmidt, nicht erkennbar. Offenbar haben Sie da im Kabinett gefehlt oder nicht aufgepasst.
({19})
Ihr Haushalt ist nicht zeitgemäß und setzt die falschen
Schwerpunkte.
Herzlichen Dank.
({20})
Herr Kollege Scheuer, Ihre Ausdrucksweise gegenüber dem Bundesinnenminister war beleidigend. Ich erteile Ihnen dafür einen Ordnungsruf und bitte Sie herzlich, sich dafür zu entschuldigen.
({0})
Nächste Rednerin in der Debatte ist die Ministerin für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend Renate Schmidt.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe
Kolleginnen! Ich möchte mich gleich zu Anfang bei den
Berichterstatterinnen und Berichterstattern zum Einzelplan 17 für die sehr solidarische, sehr offene, sehr zielgerichtete und an manchen Stellen sicherlich auch kritische
Beratung meines Einzelplans sehr herzlich bedanken.
Das meine ich ganz ehrlich. Der Beitrag, den wir zuletzt
gehört haben, entsprach der Atmosphäre, die es während
dieser Beratung unter uns gab, in keiner Weise. Ich brauche jetzt nicht auf den in diesem Parlament nachgeholten
politischen Aschermittwoch einzugehen.
({0})
Ich möchte mich bei meinen Ausführungen auf das
beschränken, um das es geht, nämlich auf den Einzelplan 17, wie es die meisten Rednerinnen und Redner
auch getan haben.
({1})
Das BMFSFJ, das in seinem familienpolitischen Teil
in diesem Jahr sein 50-jähriges Jubiläum feiern kann, hat
in unterschiedlichen Regierungen viel erreicht, aber es
hat nicht selten auch herbe Rückschläge hinnehmen
müssen. Deshalb bin ich stolz darauf, dass es in einer
finanziell schwierigen Situation, in einer wirtschaftlich
angespannten Lage gelungen ist, zu erreichen, dass in
den Kernbereichen meines Ministeriums nicht gespart
werden muss.
({2})
Es musste nicht im zentralen und wichtigen Bereich der
Familienpolitik gespart werden. Es gibt keinerlei Einschränkungen beim Erziehungsgeld. Ich darf an dieser
Stelle vielleicht einmal daran erinnern, dass in der letzten Legislaturperiode nach 15-jährigem Stillstand die
Einkommensgrenzen endlich angehoben worden sind.
({3})
Es wird nicht beim Unterhaltsvorschuss gespart und es
wird auch nicht in solchen Bereichen wie dem Müttergenesungswerk gespart. Nirgendwo im familienpolitischen
Teil muss gespart werden.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Eichhorn?
Wenn mir das nicht auf die Redezeit angerechnet
wird, gern.
Natürlich nicht.
Frau Ministerin, Sie haben gerade gesagt, dass es keinerlei Kürzungen beim Erziehungsgeld gibt. Wie verträgt sich Ihre Aussage mit der Tatsache, dass uns heute
ein Änderungsantrag auf dem Tisch liegt, nach dem
beim Erziehungsgeld 30 Millionen Euro eingespart werden sollen?
Frau Kollegin Eichhorn, ich wäre ohnehin noch darauf zu sprechen gekommen. So kann ich mir das sparen.
Herzlichen Dank.
Ich habe gerade gesagt, es gebe keinerlei Einschränkungen beim Erziehungsgeld. Kein Kind, keine Familie
wird auch nur 1 Euro weniger Erziehungsgeld bekommen als in der letzten Legislaturperiode.
({0})
Es werden weniger Kinder geboren, als wir ursprünglich prognostiziert haben. Die Kürzung um 30 Millionen Euro bedeutet aber keinen dramatischen Rückgang,
wie von einem der Vorredner gesagt worden ist, sondern
einen Rückgang um 1 Prozent. Wir können nach den ersten drei Monaten dieses Jahres genauer sagen, wie hoch
die Geburtenraten sein werden. Wir werden mit diesem
um 30 Millionen Euro gekürzten Ansatz gut zurechtkommen. Beim Erziehungsgeld werden keine Leistungen eingeschränkt.
({1})
Aber auch in anderen Einzelplänen und Ressorts wird
nicht zulasten von Familien eingespart. Ich nenne hier
beispielhaft das Kindergeld. Ich weise an dieser Stelle
noch einmal darauf hin, Frau Böhmer: Die deutlichen
Erhöhungen des Kindergeldes in der letzten Legislaturperiode um 80 DM waren durch das Bundesverfassungsgericht nicht geboten, sondern es war eine freiwillige zusätzliche Leistung von uns.
({2})
Dass diese Leistung in der momentanen finanziellen Situation ungeschmälert erhalten bleibt, halte ich für einen
wesentlichen Erfolg.
Frau Böhmer, ich freue mich, dass Sie mein Buch so
genau gelesen und vieles daraus zitiert haben.
({3})
- Es kommt als Taschenbuch heraus, also können Sie es
preiswerter haben; aber dies nur nebenbei.
({4})
- Ich habe nur auf den Zwischenruf reagiert.
Ich stehe zu allem, was in diesem Buch steht. Natürlich weiß ich, dass die materiellen Leistungen für Familien von erheblicher Bedeutung sind. Aber wir müssen
heute feststellen, dass es nicht an erster Stelle um den
Faktor Geld geht. Es gibt viele Staaten in Europa, die
weniger Transferleistungen zahlen und keine Steuererleichterungen ermöglichen; das gilt auch für die USA. In
diesen Ländern haben die Familien weniger und trotzdem sind die Geburtenraten höher; denn dort erfüllen
sich die jungen Frauen den vorhandenen Kinderwunsch,
weil sie ihren hauptsächlichen Wunsch - um den geht
es -, nämlich ihre Ausbildung nutzen und Beruf und
Kinder vereinbaren zu können, erfüllen können. Dahin
müssen wir kommen und darum setzen wir in diesem
Bereich Prioritäten.
({5})
Frau Lenke, wir haben vereinbart, dass wir ab Ende
2004 - ich betone das; jetzt beraten wir den Haushalt
2003 - 1,5 Milliarden Euro für die Betreuung der unter
Dreijährigen einsetzen. Das werden wir auch tun. Ich
werde im Ausschuss im Detail über diese Maßnahmen
berichten. Ich werde den Kommunen nichts aufs Auge
drücken, sondern, wie ich es schon jetzt tue, gemeinsam
mit den Kommunen darüber verhandeln.
Ich habe mich bei meiner Fraktion versichert, dass
wir, wenn wir es über den Weg, den wir im Koalitionsvertrag festgelegt haben, nicht schaffen sollten, das hinzubekommen, einen anderen Weg finden werden, der für
die Kommunen, die Länder und den Bund - das gehört
allerdings dazu - tragbar ist. Das ist ein wesentliches
Projekt dieser Legislaturperiode. Ich stehe dazu und ich
werde Sie rechtzeitig informieren, wie die Betreuungsquote erreicht werden wird.
({6})
Frau Böhmer, Sie sagen, ich würde über Mentalitätsveränderungen reden. Doch nicht nur, um Himmels willen! Sie sind notwendig, weil wir als Gesetzgeber, egal
welcher Couleur wir sind, den Menschen eine kinderund familienfreundliche Gesellschaft nicht par ordre du
mufti aufs Auge drücken können, sondern Überzeugungsarbeit leisten müssen.
({7})
Aber es geht um mehr als um Mentalitätsveränderungen. Es gibt beispielsweise - weil Sie das angesprochen
haben - ganz konkrete Vorhaben im Bereich der Gleichstellungspolitik. Ich habe in dieser Bundesregierung erreicht - auch ich kenne die Geschäftsordnung -, dass
zum Beispiel die Federführung für die Umsetzung der
EU-Gleichstellungsrichtlinie in meinem Ressort und
nicht bei irgendwelchen anderen Ressorts liegen wird.
({8})
- Nein, das war in Ihrer Regierungszeit anders. Ich erinnere an das Arbeitsrechtliche EG-Anpassungsgesetz, wie
es seinerzeit noch hieß. Wo lag die Zuständigkeit denn,
bitte schön? Sie lag beim BMA, wie auch die Zuständigkeit für diese Richtlinien bisher beim BMA lag. Jetzt
liegt sie in meinem Ressort. Ich bin stolz darauf, dass das
gelungen ist und die Federführung bei uns sein wird.
({9})
Gleichzeitig, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, haben wir Ideen für Einsparungen, die Familien besonders
betroffen hätten, eine Absage erteilt. Solche Ideen kamen auch aus Ihren Reihen, zum Beispiel die, eine Fallpauschale in der Krankenversicherung einzuführen. Wen
hätte das besonders betroffen? Familien.
Ich habe auch sofort reagiert und mich eingemischt
und war damit erfolgreich, als irgendjemand die Idee geboren hatte, die beitragsfreie Mitversicherung von nicht
erwerbstätigen Familienangehörigen zur Disposition zu
stellen.
({10})
- Das kam aber auch nicht von uns, sondern von irgendwelchen Experten. In solchen Fällen muss man sofort
versuchen, klar Schiff zu machen.
({11})
Nicht gekürzt haben wir im Bereich der Frauenpolitik. Der Aktionsplan „Gewalt gegen Frauen“ wird unverändert und mit großer Intensität weitergeführt werden. Wir haben die Mittel für die Stiftung Mutter und
Kind nicht gekürzt. Wir werden in wenigen Monaten das
erste Gender-Kompetenzzentrum der Bundesrepublik
Deutschland installieren. Es wird etwas getan. Ich setze
mitnichten nur auf Mentalitätsveränderungen; ich setze
aber auch darauf, weil sie dringend notwendig sind.
({12})
Ebenso haben wir im Bereich der Seniorenpolitik
nicht gekürzt. So wird unser Projekt EFI, Erfahrungswissen für Initiativen - es ist mir sehr wichtig, auch wenn es
nicht mit großen Beträgen im Haushalt steht -, genauso
fortgesetzt wie die anderen Projekte, die wir uns vorgenommen haben, um die Situation von hilfsbedürftigen
alten Menschen zu verbessern.
Meine sehr geehrten Herren, meine sehr geehrten Damen, ebenso wurden die Mittel des Kinder- und Jugendplans nicht gekürzt, zum Beispiel für die Projekte
„Entwicklung und Chancen“, die vor allen Dingen für
die arbeitslosen jungen Menschen gedacht sind. Ich
werde alles tun, damit sie jetzt nicht irgendwie den Arbeitsämtern zum Opfer fallen. Deswegen werde ich
übermorgen, am Donnerstag, auch darüber mit Herrn
Gerster sprechen.
({13})
Genauso werden die Mittel für solch wichtige Projekte wie Civitas, Entimon und Xenos nicht gekürzt.
Weil mir das so wichtig ist, sage ich: Ich verstehe Ihre
Kritik an dieser Stelle nicht. In den letzten Jahren wurde
doch deutlich, welche Brisanz Rechtsextremismus,
Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus in unserer
Gesellschaft entfalten können. Die Frage, wie durch Prävention und Intervention gegen rechtsextreme und fremdenfeindliche Einstellungen und entsprechend motiviertes Handeln vorgegangen werden kann, bleibt damit in
meinen Augen auf der Tagesordnung, auch deshalb, weil
im Jahr 2002 von 12 634 extremistisch motivierten
Straftaten 10 579, also mehr als 80 Prozent, zum Bereich der rechtsextremen Gewalt zu zählen waren. Dies
beantwortet auch Ihre Frage: Warum nur gegen den
Rechtsextremismus? Wir müssen zur Kenntnis nehmen,
dass darin der Schwerpunkt liegt, den wir bekämpfen
müssen - ich glaube, doch wohl gemeinsam.
({14})
Der bisherige Erfolg des Aktionsprogramms mit
seinen drei Teilen Civitas, Entimon und Xenos ist beachtlich. Seit 2001 war es möglich, insgesamt rund
2 750 Projekte, Initiativen und Maßnahmen zu fördern.
Bereits heute kann ohne Zweifel festgestellt werden, dass
der Bund mit dem Aktionsprogramm einen wichtigen
Beitrag zur Stärkung der Zivilgesellschaft geleistet hat.
({15})
Sie bezweifeln den Erfolg der Programme frei nach
dem Motto, das heute Heribert Prantl in der „Süddeutschen Zeitung“ wie folgt beschreibt:
Wenn die Zahl der Anschläge nicht sinkt, heißt es:
„Die Programme sind eh nicht erfolgreich.“ Wenn
die Zahl der Anschläge aber sinkt, heißt es: „Die
Programme brauchen wir nicht mehr.“
Diese Schlussfolgerung ziehen wir garantiert nicht.
({16})
Sie bezweifeln die Bundeszuständigkeit. Die Programme sind unter anderem wegen ihrer Kleinteiligkeit,
der Unterschiedlichkeit der Projektansätze bei gleicher
Zielrichtung und der Einbettung in lokale Netzwerke
modellhaft. Sie haben Anregungsfunktion; dies ist Aufgabe des Bundes. Die Programme werden selbstverständlich evaluiert; das steht doch überhaupt nicht infrage.
({17})
Natürlich, meine sehr geehrten Herren, meine sehr geehrten Damen, kann es bei solchen Programmen auch
das eine oder andere schwarze Schaf geben. Wir werden
jedem entsprechenden Hinweis, der uns erreicht, nachgehen und dies abstellen. Wir haben uns selbstverständlich auch vorgenommen, in der nächsten Tranche, also
jetzt in 2003, die Zusammenarbeit mit den Kommunen
zu verbessern, aber doch bitte nicht um den Preis, dass
die Kommunen sagen, sie hätten keinen Bedarf an der
Bekämpfung rechtsextremer Gewalt, und dann gar nichts
mehr passiert. Das werden wir garantiert nicht mitmachen. Gegebenenfalls werden wir selbstständig Träger
suchen und dann versuchen, dies umzusetzen.
({18})
Weil Sie heute so häufig die Friedrich-Ebert-Stiftung
und Herrn Roth, der für die Friedrich-Ebert-Stiftung eine
Studie gemacht hat, erwähnt haben, möchte ich aus der
Zeitschrift „Das Parlament“ zitieren. Dort heißt es:
Aber auch Roland Roth fühlt sich missverstanden,
wenn seine Studie nun instrumentalisiert wird, um
Projekten den Geldhahn abzudrehen, wie zum Beispiel dem Verein „Miteinander in Sachsen-Anhalt“,
der bundesweit anerkannt gute Arbeit leistet, nun
aber vor dem Aus steht, weil die Landesregierung
die Zuschüsse weitgehend streichen will.
({19})
Das ist nicht unsere Methode der Bekämpfung des
Rechtsextremismus.
({20})
Wir sind selbstverständlich für Hinweise - vor allem
auch des Bundesrechnungshofs - dankbar, was wir besser machen können. Nichts ist so gut, als dass man es
nicht noch besser machen könnte. Wir lassen uns aber
nicht davon abbringen, unseren Anteil bei der Bekämpfung von rechter Gewalt und Antisemitismus zu leisten.
Gespart werden musste natürlich auch im Einzelplan 17. Angesichts der Struktur dieses Einzelplans bestand die Notwendigkeit, die Einsparsumme vor allem
beim Zivildienst zu erbringen und damit auch die Auflage des Koalitionsvertrages zu erfüllen, Wehr- und Zivildienstpflichtige im gleichen Umfang, wie es ihrem Anteil
an einem Geburtsjahrgang entspricht, einzuziehen.
Frau Lenke, ich gebe Ihnen inhaltlich voll recht: Das
kann noch nicht die angestrebte Wehrgerechtigkeit
sein. Sie gibt es aber angesichts der Tatsache nicht, dass
die Bundeswehr nicht mehr sämtliche Wehrpflichtigen
benötigt.
({21})
Sie haben die Wahl, Einberufungsgerechtigkeit, wie Sie
es genannt haben, zu erreichen - dafür haben wir uns
entschieden - oder zu versuchen, an anderer Stelle Gerechtigkeit zu erreichen. Wir haben uns, wie gesagt, für
den ersten Weg entschieden. Ich halte ihn für eine Übergangszeit auch für vernünftig.
({22})
- Ich bitte, jetzt keine Zwischenfrage mehr zu stellen, da
ich mit meiner Rede fast am Ende bin.
Ich sage ganz deutlich: Wir brauchen eine schnelle
Entscheidung über die Frage: Wehrpflicht ja oder nein?
Möglichst bis Anfang 2004. Nach der Umsetzung dieser
Entscheidung wird es wieder mehr Planungssicherheit
geben als in diesem Jahr. Die Planungsunsicherheit ist
dadurch entstanden, dass wir im Oktober des letzten Jahres vor dem Hintergrund der geänderten Voraussetzungen bereits eine höhere Zahl von Zivildienstpflichtigen
eingezogen haben.
Ich bin den Wohlfahrtsorganisationen und den anderen Trägern des Zivildienstes sehr dankbar, dass sie bereit waren, mitzumachen, und ihre Zuschüsse erhöht haben. Ich bedauere es ungeheuer, dass die Anrufung des
Vermittlungsausschusses jetzt dazu beiträgt, dass wir die
Maßnahmen noch nicht umsetzen und die Sperre freigeben können. Sie blockieren und erhöhen damit die Unsicherheit bei den jungen Menschen wie bei den Trägern
des Zivildienstes weiter.
({23})
Eine Schwierigkeit taucht selten allein auf. So muss
ich sagen: Die Folgen des Programmierfehlers aus dem
Jahr 2001 müssen korrigiert werden. Ich sage aber auch:
Die Einsparmöglichkeiten in diesem Bereich haben das
Ende der Fahnenstange erreicht. Deshalb bin ich dem
Haushaltsausschuss sehr dankbar, dass er die erwähnte
Absenkung um 30 Millionen Euro mitgetragen hat und
dafür sorgt, dass wir in diesem Bereich nicht in weitere
Schwierigkeiten kommen.
({24})
Meine sehr geehrten Herren, meine sehr geehrten Damen, mit dem hier vorliegenden Haushalt wird es gelingen,
zum einen zu sparen und zum anderen Politik weiter gestalten zu können. Ich frage am Schluss: Was wollen Sie?
Ich habe mitbekommen, dass Ihr wesentlicher Antrag die
Kürzung und die Zusammenstreichung der Programme gegen Rechtsextremismus beinhaltete. Sie hätten stattdessen
deutlich machen können - auf diese Diskussion hätte ich
mich heute vor dem Hintergrund konkreter Zahlen gefreut -, dass Ihr Konzept eines Familiengeldes umsetzbar
und finanzierbar ist. Die Haushaltsberatung wäre der richtige Ort und die richtige Stunde gewesen. Das haben Sie
leider Gottes versäumt. Sie bieten den Menschen eine Mogelpackung an, weil Sie wissen, dass Ihre Vorschläge erstens nicht finanzierbar sind und zweitens bei der Bevölkerung nicht auf eine positive Resonanz stoßen.
({25})
Dennoch darf ich mich bei Ihnen allen bedanken.
Nachdem wir sofort wieder in die nächsten Beratungen
eintreten werden, bitte ich um Unterstützung für den
nächsten Haushalt.
Herzlichen Dank.
({26})
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Ministerin Schmidt, auch wenn Sie mir ein
bisschen Redezeit gestohlen haben, was ich Ihnen gerne
zugestehe, bedanke ich mich nicht nur bei den Haushälterinnen und Haushältern, sondern auch bei Ihnen. Denn
wenn wir heute feststellen können, dass Kinder und Familien im Mittelpunkt unserer Politik stehen, dieses
Thema an Bedeutung gewonnen hat und Sie bzw. Ihr
Ministerium immer lauter werden und Lobbyarbeit für
Kinder und Familien betreiben, dann müssen wir uns dafür vor allem bei Ihnen bedanken. Die Koalition wird
weiterhin unter Beweis stellen, dass wir auch in dieser
Wahlperiode die gute Politik, die wir in den vergangenen
vier Jahren gemacht haben, fortsetzen werden.
({0})
Ich möchte ansprechen, was mich an dieser gesamten
Debatte grundsätzlich gestört hat. Wenn man Frau Tillmann, Frau Böhmer oder auch Herrn Scheuer zuhört, gewinnt man den Eindruck, als ob man Familienpolitik nur
betreiben sollte, um den demographischen Faktor zu verbessern und die Geburtsrate der Frauen zu steigern. Ich
finde, das ist eine Beleidigung für alle Familien, die Verantwortung übernehmen. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns.
({1})
Uns geht es nicht darum, sondern um Chancen- und
Teilhabegerechtigkeit, um die Unterstützung junger
Eltern, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen
und ihren Teil zu dieser Gesellschaft beizutragen, und
um Gerechtigkeit beim Aufwachsen von Kindern in
Deutschland. Es geht um die Kinder und nicht nur darum, was gut für die Eltern ist, also auch um die Frage:
Was ist gut für unsere Kinder und Jugendlichen, die in
unserer Gesellschaft aufwachsen?
({2})
Wir behalten die Leistungen für Kinder und Familien
bei. Frau Böhmer, Sie haben davon gesprochen, dass
Kindererziehung ein Gelübde für Armut ist.
({3})
Warum aber kommt ausgerechnet aus Ihren Reihen zum
Beispiel der Vorschlag, die Sozialhilfe um 25 Prozent zu
kürzen? 40 Prozent der Sozialhilfeempfängerinnen sind
alleinerziehende Mütter. Wenn Sie die Sozialhilfe um
25 Prozent kürzen, dann treffen Sie viele alleinerziehende Mütter, die Sozialhilfe beziehen.
({4})
Sie aber sprechen von einem Gelübde für Armut. Sie
sollten sich einmal in Ihren Reihen umschauen. Warum
stellen Sie sich, wenn Sie die Armut bekämpfen wollen,
gegen die Infrastrukturmaßnahmen im Bereich der
Ganztagsschulen und der Betreuung von Kindern im Alter von null bis drei Jahren?
({5})
Wir wissen spätestens seit der Vorlage des Armuts- und
Reichtumsberichts der Regierung bzw. weiterer Armutsberichte: Die beste Form der Armutsbekämpfung ist immer noch die Förderung von Erwerbstätigkeit.
({6})
Warum stellen Sie sich dagegen? Warum unterstützen
Sie ein Programm wie das des Familiengeldes, bei dem
es um nichts anderes geht, als Prämien für das Zuhausebleiben zu verteilen? Ist das Ihre Form der Armutsbekämpfung?
({7})
Dann setze ich lieber die Politik fort, die wir bisher betrieben haben.
({8})
Warum haben Sie nicht zugestimmt, als wir das
Unterhaltsvorschussgesetz geändert haben? Warum waren Sie gegen die Erhöhung des Kindergeldes? Warum
waren Sie gegen das neue Modell des Erziehungsgeldes,
({9})
bei dem es um die Gewährung von mehr Geld während
der Erziehungsphase ging? Das ist die Doppelzüngigkeit
Ihrer Politik.
({10})
Zu den Ganztagsschulen: Es ist eine Unverschämtheit, in diesem Bereich von irgendwelchen DDR-Kopien
zu sprechen. Sie haben die Argumente nicht verstanden:
Es geht in der Tat um die Vereinbarkeit von Beruf und
Familie, um bessere Bildungsperspektiven und darum,
eine andere Zeiteinteilung und andere Pädagogikmodelle
auszuprobieren und sie im Sinne und zum Wohle des
Kindes einzuführen.
Es geht um noch etwas: Sie sprechen von den Ganztagsschulen als den besseren Suppenküchen. 15 Prozent
der Kinder in dieser Gesellschaft leiden unter Adipositas,
das heißt unter Fettsucht. Noch mehr Kinder leiden unter
Magersucht. Es gibt zunehmend Kinder, die falsch ernährt
werden und die ohne Frühstück in die Schule gehen. Es
geht also nicht um Suppenküchen, sondern um eine gesunde Ernährung. Auch das ist ein Teil der Ganztagsschule.
Gerade deshalb werden wir uns als Grüne weiterhin für
die Ganztagsschule einsetzen.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns in
dieser Wahlperiode einiges vorgenommen, auch mit dem
Ausbau der Kinderbetreuung für Kinder von null bis drei
Jahren. Wir werden das durchziehen, es wird am Schluss
ein Erfolgsmodell sein und dazu werden Sie uns gratulieren.
({12})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 17,
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend, in der Ausschussfassung.
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abzustimmen haben. Wer stimmt für den Änderungsantrag
auf Drucksache 15/618? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen
der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen.
Wer stimmt für den Einzelplan 17 in der Ausschussfassung mit der soeben beschlossenen Änderung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 17
ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen
der CDU/CSU und der FDP angenommen.
Ich rufe auf:
10. Einzelplan 06
Bundesministerium des Innern
- Drucksachen 15/556, 15/572 Berichterstattung:
Abgeordnete Susanne Jaffke
Klaus Hagemann
Lothar Binding ({0})
Anja Hajduk
Es liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/
CSU sowie zwei Änderungsanträge der Fraktion der
FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Beatrix Philipp, CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Angst
ist ein schlechter Ratgeber.
({0})
- Das sagt der Volksmund, Herr Wiefelspütz, und wie so
oft hat er Recht.
({1})
Aber während wir noch vor ein paar Jahren in Veranstaltungen, auch in Wahlkampfveranstaltungen, feststellten,
dass die Menschen sehr viel mehr Angst haben, als sie
eigentlich haben müssten, das heißt, das subjektive Gefühl der Bevölkerung ungleich schlechter war als die
Realität, hat sich dies inzwischen, spätestens nach dem
11. September, leider ganz erheblich verändert.
Ich möchte es aber bei dieser Feststellung gerade
heute nicht belassen und ich denke auch, niemand wird
mir widersprechen: Gerade heute sollte man sich ein wenig mit dem Thema Angst befassen, weil wir die Ängste
in der Bevölkerung ernst nehmen müssen und ihnen eigentlich auch begegnen müssten. Angst muss ernst genommen werden und man kann sie nicht wegreden.
({2})
- Richtig, Herr Wiefelspütz, man darf sie nicht schüren.
Aber man darf, indem man den Menschen die Wahrheit
sagt, dazu beitragen, dass ihnen vielleicht die Angst genommen wird, die sie aus einem unbestimmten Gefühl
heraus haben.
Wir müssen uns deswegen damit auseinander setzen,
weil wir gerade in dem Haushalt, der jetzt und hier zur
Beratung ansteht, auch die richtigen Prioritäten setzen
müssen. Mehr können wir hier im Augenblick nicht tun,
aber das, was wir tun können, müssen wir tun. Ich habe
Zweifel, dass diese Bundesregierung das auch so sieht.
Dabei ist nach meiner Meinung Folgendes festzustellen, ich will das gerade heute noch einmal ausdrücklich
sagen: Zweifellos wollen die Menschen - und ich denke,
auch jedes Mitglied in diesem Hause - keinen Krieg.
Aber die Angst vor einer militärischen Auseinandersetzung ist aus vielen Gründen gerade in unserem Volk
besonders groß.
Es ist auch festzustellen, dass die Menschen das Bedrohungspotenzial, das zweifellos von Saddam Hussein
ausgeht, immer noch nicht zu realisieren bereit sind. Daran mag auch die Angst sie hindern, aber wir müssen den
Menschen die Wahrheit sagen. Ich verweise dabei ausdrücklich auf die Beantwortung der schriftlichen Fragen 275 bis 278 des Kollegen Dr. Schockenhoff vom Februar dieses Jahres.
Ich finde es nicht in Ordnung, dass diese Bundesregierung seit mehr als vier Wochen weiß, dass Saddam
Hussein ein mobiles Raketensystem im irakisch-kurdischen Grenzgebiet stationiert hat. Sie weiß auch, dass
sich die Gefahrenlage für die deutschen, englischen und
amerikanischen Soldaten in Kuwait dadurch erheblich
verschärft hat.
({3})
Aber ich vermisse jedwede Konsequenz aus diesen Fakten.
Herr Edathy, es gibt einen Zusammenhang zwischen
innerer und äußerer Sicherheit. Darauf komme ich
gleich noch zu sprechen. Sie erschweren sich jetzt wieder, das zur Kenntnis zu nehmen, indem Sie zwischendurch schwätzen. Wenn Sie diesen Zusammenhang nicht
sehen, finde ich das schwach.
({4})
Auch die Tatsache, dass die Vereinten Nationen seit
zwölf Jahren versucht haben, Druck auf den Irak auszuüben, ist in der aktuellen Debatte völlig in den Hintergrund getreten.
({5})
- Das ist so. Ich stelle es hier nur fest. Deswegen weiß
ich gar nicht, warum Sie das nicht in Ordnung finden.
Selbst die schlichte Wahrheit, dass bis zum Augenblick Saddam Hussein es in der Hand hat, die Krise zu
beenden und eine friedliche Lösung herbeizuführen,
scheint den Menschen überhaupt nicht zugängig oder
präsent zu sein. Dazu - auch das sage ich ganz ehrlich
und offen; Sie kennen mich - hätte ich mir etwas mehr
Inhaltliches in den Ausführungen des Bundeskanzlers
heute Morgen gewünscht.
({6})
Die Menschen erwarten von uns und auch vom Haushalt im Bereich der Innenpolitik - auch wenn Ihnen,
Herr Edathy, das immer noch nicht klar zu sein scheint verständlicherweise einen starken Staat, der sie nach
menschlichem Ermessen optimal und umfassend schützt.
Sie wollen möglichst angstfrei leben und sich sicher fühlen. Deswegen erwarten sie von uns - darauf haben sie
einen Anspruch -, dass wir in diesem Bereich Konsequenzen ziehen.
Wir haben schon mehrfach - auch in diesem Hause darüber gesprochen, dass die althergebrachte Trennung
von äußerer und innerer Sicherheit nicht mehr durchzuhalten ist. Das empfinden die Menschen - jedenfalls die
Menschen, mit denen ich spreche - genauso. Wir haben
darauf hingewiesen, dass wir eine Grundgesetzänderung
für notwendig halten. Was der hessische Innenminister
Volker Bouffier hier am 16. Januar ausgeführt hat, muss
einfach ernst genommen werden. Er hat dies aus sehr
persönlicher Kenntnis und Erfahrung mit den Vorgängen
in Frankfurt, die ja harmlos zu Ende gegangen sind, ausgeführt. Ich zitiere:
Es geht um die Frage: Wie organisieren wir in unserem Land die Gefahrenabwehr so, dass wir alles
tun, was wir können, was wir müssen, was rechtsstaatlich geboten ist, um den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Lande den Schutz zu geben, den sie
brauchen?
Frau Kollegin Philipp, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herrn Wiefelspütz eigentlich immer, nur im Augenblick nicht. Ich würde gerne den Gedanken zu Ende führen, weil es in Ihrer Fraktion offenbar Menschen gibt, die
das, was ich hier ausführe, nicht so nachvollziehen können, wie Sie, Herr Wiefelspütz, es normalerweise tun.
Um dem berechtigten Wunsch nach optimalem
Schutz zu entsprechen, müssen wir die Voraussetzungen
für den Einsatz der Bundeswehr auch im Innern - zur
Gefahrenabwehr - schaffen. Das müssen wir bald tun.
Noch eine Vorbemerkung. Mir ist natürlich bekannt
- Herr Wiefelspütz, vielleicht sind Sie ein wenig enttäuscht -, dass eine Haushaltsplanberatung immer die
Stunde der Opposition ist. Ich weiß auch, dass die Neigung besteht, zu überzeichnen. Die kenne auch ich. Dass
ich das kann, wissen Sie alle.
({0})
Aber ich habe ganz ausdrücklich - ich meine das ernst am Anfang dieser Ausführungen über die Angst gesprochen, weil ich glaube, dass wir gerade in diesem Jahr
- vor dem Hintergrund der aktuellen Situation - ganz
besonders aufmerksam, sorgfältig und sensibel mit diesem Thema und den hier anstehenden Fragen umgehen
müssen. Es gibt in diesem Zusammenhang eben keinen
Raum für Polemik.
({1})
Die Menschen müssen nach der Debatte entweder
glauben, dass wir alles Menschenmögliche für ihre Sicherheit getan haben - oder eben nicht. Sie werden uns
daran messen, ob wir unserer Verantwortung gerecht geworden sind - oder eben nicht.
Meine Damen und Herren, Haushaltswahrheit und
Haushaltsklarheit sind Minimalanforderungen. Das wissen Sie alle. Leider muss ich schon am Anfang feststellen, dass es just mit diesen beiden Anforderungen im
Einzelplan 06 nicht weit her ist.
Erstens. Es fehlt völlig die Umsetzung des Tarifabschlusses im öffentlichen Dienst. Egal wie man ihn
nun findet: Im vorliegenden Haushalt findet er überhaupt
keine Berücksichtigung.
Zweitens. Ebenfalls unberücksichtigt, das heißt nicht
etatisiert, sind die Mittel, die der Staatsvertrag mit dem
Zentralrat der Juden erforderlich macht.
({2})
- Dann nehme ich das sofort zurück und bedanke mich
dafür. Wir hatten ja im Innenausschuss darüber gesprochen. Ich freue mich, dass auch diese Regierungskoalition schlauer werden kann. Wir geben ja die Hoffnung
nicht auf. Gleich haben wir noch einen Antrag auf der
Tagesordnung. Auch da können Sie zeigen, dass Ihnen
dieser Weg nicht versperrt ist.
({3})
Drittens. Ebenso unumstritten ist - so hoffte ich jedenfalls nach den Etatberatungen im Ausschuss - die
Bereitstellung der notwendigen Mittel für die IT-gestützte Rekonstruktion vorvernichteter Stasiunterlagen. Die Summe für Personal und Hardware beläuft sich
auf circa 2,6 Millionen Euro.
Vor dem Hintergrund des 50. Jahrestages des 17. Juni
in diesem Jahr hielte ich es nicht für ein gutes Signal,
wenn nicht nur diese Mittel nicht eingestellt würden,
sondern die Birthler-Behörde auch noch eine Kürzung
um fast 3,5 Millionen Euro zu verkraften hätte.
({4})
Ich meine, wir müssen im Gegenteil etwas dafür tun,
dass die Akzeptanz der Arbeit dieser Behörde auch in
der Bevölkerung wieder wächst.
({5})
Die fehlende Sensibilität und die Unkenntnis - das sage
ich ganz bewusst von jeder Besuchergruppe, die ich hier
durch Berlin führe, zum Beispiel auch nach Hohenschönhausen - über die Tätigkeit und die Machenschaften der Stasi und die Folgen für die Opfer sind in der Bevölkerung oder zumindest bei denjenigen, die wir hier zu
begrüßen haben, erschreckend hoch. Deshalb wäre es ein
völlig falsches Signal, in diesem Bereich die Mittel zu
kürzen.
({6})
Das haben Sie vielleicht so nicht gesehen, und deswegen
bieten wir - darauf habe ich eben schon hingewiesen Ihnen durch unseren Antrag die Möglichkeit, Ihre Auffassung dazu zu ändern.
({7})
- Ja, so sind wir eben.
Es gehört zur Wahrheit, dass auch wir in unserer Regierungsverantwortung in dem großen Bereich des Zivilund Katastrophenschutzes erhebliche Einsparungen
vorgenommen haben.
({8})
- Dazu komme ich gleich. - Aber die Bedrohungslage
war vor ein paar Jahren anders einzuschätzen als heute.
({9})
- Nicht dass Sie noch einen Herzinfarkt bekommen. Das
wollen wir nun auch nicht.
({10})
Die Betonung des Bereichs des Zivil- und Katastrophenschutzes muss zur Konsequenz haben, dass wir ihn
mit entsprechenden finanziellen Mitteln ausstatten.
({11})
Die Menschen haben das Gefühl, dass dies nicht in ausreichendem Maße geschieht. Bei Bedrohungen aus der
Luft - ein Beispiel, das ich vorhin genannt habe -, also bei
Sicherheitsproblemen, die sich durch Angriffe mit Flugzeugen ergeben, reichen Absprachen nicht aus, um eine
Lösung zu finden. Die Menschen brauchen das Gefühl,
dass wir Vorsorge für eine zeit- und sachgerechte Reaktion getroffen haben, um die Zusammenarbeit zwischen
Bundeswehr, Polizei, Feuerwehr, Bundesgrenzschutz,
THW sowie anderen Landes- und Bundesbehörden sicherzustellen. Das aber kostet Geld, welches nicht in dem
notwendigen Umfang - das meinen wir jedenfalls - im
Haushalt zu finden ist.
Wir begrüßen die Absicht des Bundesinnenministers,
ein Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zu schaffen. Wir sind nicht in allen Fällen
uneins und so stimmen wir Ihnen in diesem Fall zu. Die
Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und
Zivilschutz leistet hier schon wichtige Zuarbeit, wenn es
um die Koordinierung der Landes- und Bundesaufgaben
geht. Aber wie immer steckt auch hier der Teufel im Detail.
({12})
In der Antwort der Bundesregierung auf unsere
Kleine Anfrage, Nr. 15/415, haben wir eine Reihe von
Hinweisen auf dringend notwendige Maßnahmen erhalten. Ich nenne nur beispielhaft erstens die Ausstattungsfrage des THW in Bezug auf die Wartung der Fahrzeuge.
Wer den Zustand und das Alter der Einsatzfahrzeuge
kennt, kann über Kürzungen in diesem Bereich, wie die
Bundesregierung sie vorgenommen hat, nur entsetzt
sein.
Zweitens ist die Einführung des digitalen Sprechund Datenfunks für die Sicherheitsbehörden in
Deutschland längst überfällig. Herr Minister, Sie meinen, bis zur Weltmeisterschaft 2006 müsste dieses System funktionieren. Es ist auch keinem Menschen klar zu
machen, dass Polizei und Feuerwehr in unterschiedlichen Orten nicht miteinander kommunizieren können,
weil unterschiedliche Netze genutzt werden.
({13})
Die Mittel für die Ausschreibung, die ja wohl der Vergabe vorausgeht - auch bei Ihnen, Herr Minister -, sind
im Etat nicht zu finden. Vielleicht ist es vergessen worden, aber vielleicht ist es auch ein Beispiel für einen anderen Umgang mit Finanzen: Sie und auch wir wissen,
dass die Kosten für analoge Systeme in den nächsten
Jahren die Kosten für die Beschaffung und den Betrieb
digitaler Funksysteme überschreiten werden. In diesem
Zusammenhang wird häufig von Milchmädchenrechnung gesprochen. Wir halten es aus sachlichen wie aus
finanziellen Gründen für gravierend falsch, dass im Etat
keine Mittel für die Ausschreibung zu finden sind.
({14})
Drittens. Zu einem schlüssigen Konzept im Bereich
des Zivil- und Katastrophenschutzes gehören auch die
Ausbildung der Bevölkerung in erster Hilfe und die
Aus- und Fortbildung von Pflegehilfskräften. Im Haushaltsentwurf waren dafür noch 5,4 Millionen Euro vorgesehen, nun sind es nur noch 3,4 Millionen Euro. Ich
wage es nur zu vermuten, wer Ihnen die 2 Millionen
Euro weggenommen hat, Herr Minister. Wir halten dieses Vorgehen für falsch. Man kann nicht auf der einen
Seite Impfstoff gegen Pocken kaufen und auf der anderen Seite vor Ort und an der Basis Geld sparen. Das passt
nicht zusammen. Außerdem trägt es nicht dazu bei, dass
sich die Menschen in unserem Land sicherer fühlen und
wahrnehmen, dass wir alles tun, was möglich ist.
Noch ein Hinweis auf ehrenamtliches Engagement:
Der Herr Minister hat sich in seiner Einbringungsrede
sehr zutreffend über Ehrenamtlichkeit geäußert. Ich darf
zitieren:
Stärker ins Bewusstsein ist die Tatsache getreten,
dass wir uns auch auf Bundesebene mehr um
Bevölkerungsschutz und Katastrophenschutzhilfe
kümmern müssen.
Das ist sehr wahr. Allerdings frage ich mich besorgt, Herr
Minister, wessen Bewusstsein Sie gemeint haben. Ein
stärkeres Bewusstsein spiegelt sich nicht im Etat Ihres Ministeriums wider; das wissen Sie. Bei der vorgesehenen
Ausstattung dieses Bereiches gibt es zwar leichte Verbesserungen, aber die dringend notwendigen Mittel - da sind
wir uns ganz sicher; das haben wir in der Beratung zum
Haushaltsplan im Ausschuss aufgezeigt - fehlen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt Themen, auf die mich die Menschen auf eigentlich jeder
Veranstaltung ansprechen. Sie fragen mich zum Beispiel,
was diese Bundesregierung und wir als Parlamentarier in
Bezug auf das deutsche Ausländer- und Sicherheitsrecht tun. Dass es nicht ausreichend ist, haben wir hier
schon mehrfach angesprochen. Leider gaben die Gespräche in der ersten Runde keine Veranlassung anzunehmen
- das war eindeutig -, dass Sie mit uns in dieser Frage an
einem Strang ziehen. Wir haben bereits ein ausführliches
Konzept vorgelegt und würden uns sehr freuen, wenn
wir es, natürlich mit Zugeständnissen auf beiden Seiten,
zur Sicherheit der Bevölkerung möglichst schnell beschließen könnten.
Zu diesen Eckpunkten gehören - darin müssen wir
uns einig sein -: Wir müssen bereits die Einreise von Extremisten und Terroristen verhindern. Wir müssen Extremisten und Terroristen sicher und frühzeitiger identifizieren; dazu müssen wir - das haben wir schon gesagt biometrische Daten in die Legitimationspapiere aufnehmen. Wir müssen dafür sorgen, dass Extremisten und
Terroristen Deutschland tatsächlich verlassen; dort gibt
es erhebliche Sicherheitslücken.
({15})
Extremisten und Terroristen dürfen keinen deutschen
Pass erhalten, wenn wir vermuten und die Annahme berechtigt ist, dass sie terroristische Vereinigungen unterstützen oder bereit sind, diese zu unterstützen.
Wir müssen aber nicht nur die gesetzlichen Bedingungen hierfür schaffen - das ist nur ein Teil der Hausaufgaben -, sondern müssen die Menschen, die für unsere
Sicherheit vor Ort arbeiten, also zum Beispiel die Beschäftigten bei Polizei und Bundesgrenzschutz, besser
ausstatten. Vor dem Hintergrund der EU-Osterweiterung
wird es gravierende Mehrbelastungen geben. Darauf
müssen wir vorbereitet sein. Wir brauchen dringend einen Einstellungskorridor - Herr Minister, das haben
wir schon mehrfach angesprochen -, um die ausscheidenden BGS-Mitarbeiter ersetzen zu können. Das muss
vorbereitet werden. Darüber hinaus brauchen wir dringend Verbesserungen der persönlichen Ausstattung, der
Dienststellen und der gesetzlichen Grundlagen, um sicherzustellen, dass die BGS-Mitarbeiter den gesteigerten
Anforderungen beim Schutz der Bevölkerung entsprechen können. Das kostet Geld, das in diesem Haushalt
fehlt.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich komme zum Schluss.
Ich schließe ausdrücklich mit dem Dank an alle, die
im Bereich der inneren wie auch der äußeren Sicherheit
unter den besonders schweren Bedingungen ihre Pflicht
tun und oft mehr als das. Unsere Pflicht wäre es, die
haushaltsrechtlichen Möglichkeiten dafür zu schaffen.
Haushaltsplanberatungen, egal auf welcher politischen
Ebene, ob auf kommunaler, auf Landes- oder auf Bundesebene, sind immer eine Frage der Prioritätensetzung.
Weil wir die Prioritäten in diesem Haushalt anders gesetzt hätten, als Sie es getan haben, können wir dem
Haushalt leider nicht zustimmen.
Vielen Dank.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Klaus Hagemann,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir beraten unseren Haushaltsplan 2003
({0})
am Vorabend eines sehr wahrscheinlichen Krieges im
Irak, im Nahen Osten - Frau Kollegin Philipp hat schon
darauf hingewiesen -, in unserer Nachbarregion, wie es
der Bundesaußenminister immer wieder formuliert.
Frau Philipp, nur einen Satz möchte ich doch noch
einmal herausstellen: Durch die Arbeit der Inspektoren
sind mehr Waffen beseitigt worden als durch den ersten
Irakkrieg.
({1})
Deswegen sollte man den Inspektoren auch weiterhin die
Möglichkeit geben, dafür zu sorgen, dass weitere gefährliche Waffen - da gebe ich Ihnen Recht - zerstört werden
können.
({2})
Die Situation, die ich gerade beschrieben habe, wird
natürlich auch Auswirkungen auf die Sicherheitslage in
unserem Land, der Bundesrepublik Deutschland, haben. Es ergeben sich große Herausforderungen für den
Rechtsstaat, für die innere Sicherheit und für die Innenpolitik insgesamt. Sie erfordern eine erhebliche Wachsamkeit der Sicherheitsbehörden. Es muss aber der
Grundsatz gelten, dass Deutschland auch weiterhin ein
freies, weltoffenes und sicheres Land ist. Daran wird
sich aus unserer Sicht auch zukünftig nichts ändern;
({3})
denn Sicherheit und Freiheit ergänzen einander. Sie sind
zwei Seiten ein und derselben Medaille. Das gilt genauso
wie die Tatsache, dass die Rechtsstaatlichkeit und die
Verbrechens- oder Terrorismusbekämpfung keine Gegensätze sind, sondern sich gegenseitig ergänzen.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Grundsätze, die ich hier dargelegt habe, finden sich auch im
Einzelplan 06 wieder. Frau Philipp, Sie haben Recht:
Wir müssen auf die Ängste der Menschen Rücksicht
nehmen. Ich glaube, dass mit diesem Einzelplan deutlich
wird, dass wir gerade durch die Stärkung der Sicherheitsbehörden - durch Finanzmittel, durch Personal
und Sachgegenstände - dafür sorgen, dass die Ängste
nicht zunehmen müssen. Wir dürfen - auch das möchte
ich deutlich machen und noch einmal hervorheben keine Ängste schüren und keine falschen Ängste hervorrufen.
({5})
Durch unsere Politik in den zurückliegenden Jahren
- und nicht erst seit dem letzten Jahr - haben wir die
Kompetenz und die Arbeitsfähigkeit der Sicherheitsbehörden gestärkt. Das haben wir insbesondere durch
die Gesetzgebung nach dem 11. September 2001, aber
auch durch die Bereitstellung von Finanzmitteln über
das Antiterrorprogramm, das in diesem Jahr fortgeschrieben wird und das aus dem Einzelplan 60 genommen und in den Einzelplan 06 eingefügt worden ist,
deutlich gemacht. Sogar das haben Sie angezweifelt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, gerade die
Personal- und Sachausstattung beim Bundesgrenzschutz,
beim Bundeskriminalamt, beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie und beim Bundesamt
für Verfassungsschutz sind gestärkt worden und werden
auch durch den Haushalt 2003 weiterhin gestärkt.
({6})
Das Zahlenwerk von insgesamt mehr als 4 Milliarden
Euro macht deutlich, dass die Möglichkeit zur Haushaltskonsolidierung auf der einen Seite und die Stärkung
der inneren Sicherheit auf der anderen Seite kein Widerspruch sind, sondern sich gegenseitig ergänzen.
Gerade durch die Bemühungen der Koalition aus SPD
und Grünen konnten wir in den zurückliegenden Jahren
etwa 280 Millionen Euro einsparen. In der gleichen Zeit
haben wir durch Prioritätensetzung dafür gesorgt, dass
die Ausgaben für den Bereich der inneren Sicherheit um
400 Millionen Euro aufgestockt werden konnten und
diese 400 Millionen Euro den Sicherheitsbehörden zur
Verfügung gestellt worden sind. Das findet auch im
Haushaltsplan 2003 seinen Niederschlag: Weil wir das
Antiterrorprogramm umsetzen, stocken wir den Etat
auf 2,4 Milliarden Euro auf. Das ist mehr als die Hälfte
des gesamten Haushaltes. Frau Philipp, ich meine, das
ist ein Beitrag zum Abbau der Ängste und dazu - Sie haben es unterstützend gesagt -, alles Menschenmögliche
zu tun. Aber nichts ist so gut, als dass man es nicht noch
verbessern könnte.
({7})
Aber nicht nur bei den Sicherheitsbehörden gilt dies,
sondern genauso für den Zivil- und Katastrophenschutz. Die Koalition aus SPD und Grünen hat hier die
Mittel erheblich aufgestockt. Der Kollege Wiefelspütz
hat dies durch seinen Zwischenruf deutlich gemacht.
Lassen Sie mich das an einigen Beispielen verdeutlichen.
An erster Stelle will ich den Bundesgrenzschutz nennen. Für den Bundesgrenzschutz stehen in diesem Jahr
1,8 Milliarden Euro zur Verfügung. Das sind 200 Millionen Euro mehr als zur CDU/FDP-Regierungszeit. Da ich
gerade den Kollegen Otto Fricke sehe: Natürlich sind
auch populistische Anträge gestellt worden. Diese
könnte man, wenn sie finanzierbar wären, erfüllen. Aber
bei den Beratungen im Haushaltsausschuss haben Sie
uns die Deckung für Ihre Anträge nicht erläutern können. Wie immer fehlt sie bei Ihren Anträgen.
Es gibt beim Bundesgrenzschutz 31 600 Stellen.
Frau Philipp, auch das trägt dazu bei, dass diese Arbeit
richtig erledigt werden kann. Wichtig ist, dass das Stellenhebungsprogramm fortgesetzt wird. Seit 1999 konnte
fast die Hälfte der Bundesgrenzschutzbeamten befördert
werden. Das sollte einmal deutlich gemacht werden. Die
persönliche Ausstattung, die Sie angesprochen haben,
Frau Philipp, wurde verbessert, indem für jeden Bundesgrenzschutzbeamten eine persönliche Schutzweste zur
Verfügung gestellt wird. Auch diese sind finanziert worden.
({8})
Die Bauinvestitionen konnten fortgeführt werden.
Gerade nach der Neugestaltung des Bundesgrenzschutzes waren für Baumaßnahmen zur Renovierung von Unterkünften weitere Mittel notwendig. Daher wurden die
Mittel aufgestockt. Ich will nur darauf hinweisen: Seit
1999 sind bisher 290 Millionen Euro für Bauinvestitionen zur Verfügung gestellt worden. Ebenso ist auch die
Ausstattung des Fahrzeugparks erheblich ausgeweitet
worden. Dieses Jahr stehen dafür 62 Millionen Euro bereit.
Der Bundesgrenzschutz hat insbesondere nach dem
11. September 2001 seine Aufgaben ausweiten müssen.
Die Tätigkeit im Bereich der Sicherung von Flughäfen und
der Luftsicherheit ist deutlich herauszustellen. In der vergangenen Woche haben wir mit dem Innenausschuss den
Frankfurter Flughafen besucht. Wir haben uns dort vom
Bundesgrenzschutz informieren lassen, wie die lückenlose
Gepäckkontrolle funktioniert und wie das Programm der
Flugbegleiter erfolgreich umgesetzt wurde. Auch darauf
möchte ich noch einmal mit Nachdruck hinweisen.
Ein weiterer Bereich bei der Sicherheit ist das Bundeskriminalamt. Die Mittel konnten gegenüber der
schwarz-gelben Regierungszeit um 100 Millionen Euro
aufgestockt werden, insbesondere zur Terrorismusbekämpfung, zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität oder zur Bekämpfung der Geldwäsche. Ebenso ist
das Personal aufgestockt worden. Die Verbesserung der
Kriminaltechnik und die Verstärkung in der Informationstechnologie sind zu ergänzen.
Zum Bereich der Kriminalitäts- und Terrorbekämpfung gehört auch die internationale Zusammenarbeit.
Wir brauchen sie, um Erfolg zu haben. In dem
Einzelplan 06 sind für die internationale Tätigkeit erhebliche Summen aus unserem Haushalt bereitgestellt worden. Auch darauf sei verwiesen.
Was sich ebenso positiv ausgewirkt hat - das gehört
zum Sicherheitsbereich dazu -, ist, dass Bundesinnenminister Otto Schily das Bundesamt für Sicherheit in der
Informationstechnologie geschaffen hat und die Mittel
dafür aufgestockt worden sind. In diesem zukunftsträchtigen Markt ist dies besonders wichtig.
Auch die Bereitschaftspolizei - lassen Sie mich das erwähnen - können wir im nächsten Jahr besser ausstatten,
weil mehr Mittel zur Verfügung stehen. Es hat mich gewundert, dass die CDU/CSU beantragt hat, die Mittel für den
Kauf von Fahrzeugen zu kürzen. Hierzu hatte die Union einen Antrag auf eine 2,5-prozentige Kürzung gestellt.
({9})
- Es ist so, Herr Kollege. Sie müssten im Haushaltsausschuss sein. Dann hätten Sie das miterleben können.
({10})
Die Union hat hier also entsprechende Anträge eingebracht. Meine Damen und Herren, auch INPOL ({11}),
also die Vernetzung der Informationstechnologien von
Länder- und Bundespolizei, kann in diesem Sommer zur
Verfügung gestellt werden.
({12})
Zur inneren Sicherheit gehört auch der Zivil- und Katastrophenschutz. Hier, Frau Philipp, sind wir einer Meinung. In diesem Bereich gilt es, weiterhin auf der einen
Seite die ehrenamtliche und auf der anderen Seite die
hauptamtliche Arbeit zu unterstützen und finanziell zu
fördern. Die aktive Arbeit gerade im Inland, zum Beispiel beim Elbehochwasser und bei anderen Katastrophen, hat die hervorragende Qualität deutlich gemacht.
Aber auch im Auslandsbereich sind viele zivile Einsätze,
insbesondere durch das THW und andere Einrichtungen,
gefördert worden. Gerade die Männer und Frauen, die
hier im Einsatz sind, sind mit die besten Botschafter unseres Landes im Ausland.
({13})
Wir sind bezüglich der Stärkung und Weiterentwicklung des Zivilschutzes neue Wege gegangen. Ich finde es
genauso wie Sie richtig, dass das Bundesamt für den
Katastrophenschutz gegründet und unter dem Dach des
Bundesverwaltungsamtes bzw. - um es konkreter zu sagen - in Zusammenarbeit mit dem Bundesverwaltungsamt eingerichtet wird. Denn hier muss die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern gestärkt und noch
besser koordiniert werden. Die Forschung muss vorangetrieben werden. Auch der Gesundheitsbereich sollte
mit einbezogen werden. Hier sind wir auf dem richtigen
Weg, das möchte ich herausstellen. Ich denke, dass die
Arbeit in Kürze aufgenommen werden kann.
Eine besondere und herausragende Einrichtung ist das
Technische Hilfswerk. Es ist für den Bund eine Perle.
Das möchte ich betonen.
({14})
Ich will mit Nachdruck erwähnen, dass sich immer mehr
Menschen im Technischen Hilfswerk organisieren und
engagieren. Das drückt sich auch in der Zur-VerfügungStellung von Geld aus. Ich darf einmal zwei Zahlen nennen: Im Jahr 1998, als wir die Regierungsverantwortung
übernommen haben, standen für das Technische Hilfswerk 95 Millionen Euro zur Verfügung. In diesem Jahr
werden es 131 Millionen Euro sein. Frau Philipp, Sie sehen, dass wir hier einen Schwerpunkt gesetzt haben.
({15})
Dies ist ein wichtiger und richtiger Schwerpunkt. Die
Anerkennung, gerade bei den Betroffenen, ist immer
wieder festzustellen.
Die Mittel für die erste Hilfe haben wir - das wurde
bereits angesprochen - in der Tat gekürzt. Wir haben uns
lange überlegt, wie wir uns entscheiden. Aber uns ist insbesondere durch das Ministerium deutlich gemacht worden, dass die Mittel in diesem Bereich in den letzten Jahren nicht genügend abgeflossen sind. Dies war der
Grund, aus dem wir hier etwas gekürzt haben. Sollte es
notwendig werden, werden die benötigten Mittel auch
hier zur Verfügung gestellt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einen letzten Gedanken ansprechen. Der Beitrag zur inneren Sicherheit wird auch durch die Integrationsbemühungen und die Sprachförderung von Aussiedlern und
Ausländern geleistet. Dies wollten wir eigentlich durch
das neue Zuwanderungsgesetz regeln.
({16})
Durch die Entscheidung in Karlsruhe ist es aber anders gekommen. Wir wollen diesen Gesetzentwurf erneut einbringen, um die Zuwanderung besser steuern und die Integration
besser fördern zu können. Schon jetzt haben wir im Hinblick
auf das, was kommen wird, die Mittel für die Integrationsbemühungen, die Sprachförderung und die Qualifizierung
von Kursleitern und Multiplikatoren angehoben.
({17})
Auch die Förderung von ausländischen Frauen sei erwähnt.
Außerdem haben wir, SPD und Grüne, zu den bereits
vom Ministerium vorgeschlagenen 169 Millionen Euro
8,5 Millionen Euro zusätzlich beantragt.
({18})
Ich war sehr enttäuscht, dass die Union, obwohl ihre
Vertreter sonst immer so viel von Integration sprechen,
unseren Antrag abgelehnt bzw. sich enthalten hat.
({19})
Ich meine, das ist doppelzüngig. Wichtig ist, dass Integration und Sprachförderung tatsächlich stattfinden. Hierfür
müssen die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Durch die Beratungen des Einzelplans 06 wurden die Mittel auf der
einen Seite aufgestockt, auf der anderen Seite wurden
Einsparungen vorgenommen. Die innere Sicherheit hat
im Ergebnis eine Stärkung erfahren. Das trägt dazu bei,
Ängste bei der Bevölkerung abzubauen. Das ist ein
Schwerpunkt in diesem Haushalt. Ich meine, dass eigentlich eine Zustimmung der Opposition, insbesondere
der Union, notwendig wäre.
({20})
Leider ist dem nicht so. Wir haben vieles erfüllt. Die
SPD und die Grünen, die Regierungskoalition, sind die
Garanten für den Ausbau der inneren Sicherheit.
({21})
Der zuständige Bundesminister Otto Schily ist das äußere Symbol dafür.
({22})
Herzlich Dank, dass Sie mir zugehört haben.
({23})
Der nächste Redner in der Debatte ist der Kollege
Otto Fricke, FDP-Fraktion.
Werte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Herr Hagemann, bei vielem kann ich Ihnen zustimmen,
aber bei dem stetigen Blick auf 1998 kann man eigentlich nur Udo Jürgens zitieren: Schau nach vorne, nicht
zurück.
({0})
Das würde ich Ihnen wirklich einmal für Argumente
empfehlen.
Der Einzelplan 06, der Haushalt des Bundesinnenministeriums, ist in unsicheren Zeiten - und in diesen bewegen wir uns - stets ein Fokus der Öffentlichkeit. Daher sind wir als Parlamentarier verpflichtet, konkrete
Antworten zu geben. Dies betrifft Fragen der inneren
Sicherheit, die Fragen des Katastrophenschutzes, aber
auch Fragen einer zukunftsfähigen Gesellschaft, Stichwort: Zuwanderung. Die Antworten dürfen nicht zu kurz
greifen, sie müssen mittel- und langfristig in schlüssige
Konzepte eingebettet werden.
Im Einzelnen: Ich habe bereits im Rahmen der Debatte zum Einzelplan des Bundesjustizministeriums bei
der ersten Lesung darauf hingewiesen, dass das Bundesinnenministerium - Herr Minister, bitte jetzt nicht wieder erschrecken - mit einem riesigen Bauchladen an
nachgeordneten Behörden und Institutionen versehen ist.
Ich bleibe auch dabei: Ich halte diesen Bauchladen für
falsch.
({1})
Ich will - das wissen Sie - kein Bundespolizeiministerium oder Ähnliches haben, aber ich muss doch sagen,
dass das, was ich in den kleineren Ministerien erlebt
habe, deutlich zeigt, dass ein großes Ministerium in Zeiten knapper Kassen noch flexibel ist und viele Dinge
auffangen kann, die weh tun. Ein kleines Ministerium
kann dies nicht und geht an die Grenzen seiner Belastung. Dieses müssen wir in Zukunft bei der Haushaltspolitik auch berücksichtigen.
({2})
- Das heißt für mich, wenn Sie das genau wissen wollen,
Folgendes: Nehmen Sie als Beispiel den Datenschutzbeauftragten oder die Stasiunterlagen-Behörde. Müssen
diese beim Innenministerium sein? Kann man die nicht
auch bei einem anderen Ministerium ansiedeln? So gibt
es noch viele andere Dinge mehr.
({3})
- Meine Damen und Herren, hören Sie zu und denken
Sie darüber nach. Dann bilden Sie sich Ihre Meinung.
Im Bereich des Katastrophenschutzes, dessen Bedeutung wir bei der Flutkatastrophe deutlich vor Augen
geführt bekommen haben, hat das THW eine sehr gute
Arbeit geleistet. Ich stimme Ihnen zu, Herr Hagemann:
Die Bundesregierung, die Koalition, hat da vieles getan.
Ich bin dennoch der Meinung, dass wir bei den Ortsverbänden etwas mehr tun könnten.
Bevor wieder der Einwand kommt: „Wo nehmen Sie
denn das Geld her?“, mag ich doch einmal daran erinnern,
dass die FDP im Haushaltsausschuss an einigen Stellen
erstens Kürzungsanträgen der Koalition zugestimmt hat
und zweitens - ich erinnere an den Verbraucherschutz
und die Landwirtschaft - Anträge auf erhebliche Kürzungen gestellt hat.
({4})
Der Versuch, immer unsere Kürzungsvorschläge anzumahnen, zielt nach meiner Meinung ins Leere.
Was den Bundesgrenzschutz bzw. die künftige Bundespolizei angeht, hat die FDP feststellen müssen, dass
es trotz vieler Investitionen weiterhin einer erheblichen
Ausstattung und Einrichtung bedarf. Was den Beamten
jetzt teilweise zur Verfügung steht - und ich habe erst
meine ersten Besuche gemacht -, ist teilweise das, was
wir in den 80er-Jahren vorgefunden haben. Der Schritt
ins 21. Jahrhundert, der dringend notwendig ist, ist an
vielen Stellen leider noch nicht getan.
Was den Bereich INPOL ({5}) angeht, so kann man
nur sagen: Ja, es bewegt sich etwas in die richtige Richtung, endlich. Im Haushaltsausschuss - ich habe ein bisschen in den Archiven gestöbert - hat es quasi des Drucks
einer Haushaltssperre bedurft, damit es endlich in die
richtige Richtung ging, nachdem wir mehrere Millionen
in den Sand gesetzt haben. Das Beispiel des Bundesgrenzschutzes zeigt nach meiner Meinung, wie die Exekutive
manchmal mit den Vorgaben der Legislative umgeht.
({6})
Ich möchte aber ausdrücklich etwas betonen, das bei
INPOL ({7}) leider immer wieder vergessen wird. Die
FDP weist immer wieder darauf hin, dass ein stärkerer
Vollzug unserer Gesetze notwendig ist, statt die Menschen
durch immer wieder neue Eingriffsrechte kurz- oder mittelfristig zu beruhigen. INPOL ({8}) ist ein solches Mittel. Es geht eben nicht nur darum, mehr Polizisten und
eine bessere Ausstattung für sie zu fordern, sondern auch
um einen schnellen Datenabgleich. Denn er führt erstens
zu kürzeren und effektiveren Eingriffen in das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung, wenn sie denn sein
müssen, und zweitens sorgt er dafür, dass weitere Eingriffe
vermieden werden können, weil bestimmte Erkenntnisse
früher und schneller gewonnen werden können. Das müssen wir gerade in diesen eben angesprochenen unsicheren Zeiten berücksichtigen.
Es kann und darf nicht sein, dass die einfache Antwort der Politik auf Bedrohungen und Ängste immer nur
in neuen Gesetzen besteht, Frau Philipp. Die Antwort
muss vielmehr darin bestehen, zu prüfen, wie mit den
vorhandenen Gesetzen schneller, effektiver und eingriffsärmer gehandelt werden kann. Denn das sorgt für
Sicherheit.
({9})
Der Kollege Hagemann hat das BSI, das Bundesamt
für Sicherheit in der Informationstechnik, angesprochen.
Es ist in der Tat eine gute Einrichtung, die innerhalb von
Europa führend ist. Dennoch wäre es - wenn wir ehrlich
sind - an dieser Stelle besser gewesen weiterzugehen.
Sie fragen jetzt sicherlich wieder, wo unsere Vorschläge
bleiben. Aber wir werden - das merke ich auch bei anderen Einzelplänen - nur dann vorankommen, wenn wir
erkennen, welche Potenziale im Bereich der EDV liegen,
und einen entsprechenden Druck ausüben. Wenn ich in
den anderen Ausschüssen, in denen ich auch Berichterstatter bin,
({10})
mitbekomme, wie immer wieder die EDV-Ausstattung
als Sparbüchse genutzt wird und hier noch ein Milliönchen und dort noch ein Milliönchen eingespart wird,
dann bin ich gespannt, was aus Bund Online 2005 unter
der Führung des Innenministeriums wird. Der Innenminister wird uns sicherlich nachher bestätigen, dass alles
wunderbar funktioniert. Aber auch hier gibt es Sparbüchsen, an die die Koalition leider viel zu oft herangegangen ist.
Ich will noch auf ein Thema eingehen, das neben der
Frage des Irakkriegs in den Medien eine Rolle gespielt hat
und vielleicht zum Glück für die Koalition, aber auch für
die CDU/CSU ein wenig in den Hintergrund gedrängt
worden ist, nämlich das NPD-Verbotsverfahren in
Karlsruhe. Eines vorab, um gar nicht erst in den Verdacht
falscher moralischer oder sonstiger Positionen zu geraten:
Die FDP bedauert ausdrücklich, dass das von der Bundestagsmehrheit, Bundesrat und Bundesregierung in Gang
gebrachte Verbotsverfahren gegen die NPD eingestellt
werden musste und damit letztlich gescheitert ist.
({11})
- Es musste eingestellt werden. Das ist der Unterschied.
Die Richter haben so entschieden und diese Entscheidung sollten wir - ({12})
- Sehen Sie, das ist der Unterschied. Für einen rechtsstaatlich denkenden Menschen bedeutet das: Wenn die
Regelung besteht, dass eine Minderheit das Verfahren
beenden kann, dann muss er auch akzeptieren, wenn die
Minderheit so entscheidet.
({13})
Wir als FDP ruhen uns nicht darauf aus festzustellen:
Wir haben es schon immer gewusst; wir haben es euch
prophezeit. Aber eines muss an dieser Stelle erlaubt sein.
Ich habe mir in Vorbereitung auf diese Rede noch einmal
die Debatte über den Antrag auf Einleitung des NPDVerbotsverfahrens durchgelesen und mir die bei uns
Politikern so beliebte Sendung „Vorsicht! Friedman“ zu
diesem Thema angeschaut. Anhand der Debatten konnte
man genau erkennen, dass zwischen einem moralisch
hoch gestellten „Gut gemeint“ und einem staatsverantwortlichen „Gut gemacht“ Welten liegen.
({14})
Wer heute die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts ein wenig verfolgt hat, weiß, dass ein Parteiverbotsverfahren ein zweischneidiges Schwert ist. In
diesem Fall besteht das Problem darin, dass die zweite
Schneide des Schwerts zum Zuge kam und diejenigen,
die das Schwert in der Hand geführt haben, mehr oder
weniger verletzt hat. Ich begrüße ausdrücklich, dass der
Bundesinnenminister wie auch der bayerische Innenminister nunmehr eingesehen haben, dass das Verbotsverfahren nichts mehr bringt. Ob die SPD sich darin völlig
einig ist, wage ich zu bezweifeln, nachdem ich gehört
habe, dass Herr Ringstorff beantragt hat, das Verfahren
noch einmal von vorn zu beginnen.
Das Parteiverbotsverfahren kann nicht die Lösung sein.
Lassen Sie es mich so ausdrücken: Der Königsweg der
Auseinandersetzung besteht darin, bei den Wurzeln von
Rechtsradikalismus anzusetzen, das heißt, potenzielle
Zielgruppen bereits gegen das freiheitsfeindliche Gedankengut Rechtsradikaler zu stärken. Es ist müßig, nach
dem Schuldigen zu suchen. Wir sollten lieber unserer
Verantwortung als Politiker gerecht werden und eine Lösung für dieses Problem finden.
({15})
- Danke für das Kompliment, Herr Edathy. Ich freue
mich, dass auch Sie das so sehen. Es wäre schön, wenn
Sie das auch noch verstehen und nachvollziehen würden.
Ich komme zum Schluss, bevor die Präsidentin mich
rügt. Die erhebliche Kritik an den Programmen der Bundesregierung zur Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit
- Civitas, Xenon und Entimon - darf nicht dazu führen,
dass wir die Mittel für diese Programme - hier gebe ich
Herrn Prantl völlig Recht - kürzen oder sogar einstellen.
Wir müssen sie vielmehr stärker auf diejenigen konzentrieren, die in die richtige Richtung geleitet werden sollen. Es
gibt hier Probleme. Wer das verneint, macht einen Fehler.
Ich glaube, dass Herr Prantl einen großen Fehler gemacht hat, als er bei Herrn Friedman gesagt hat: Ich glaube,
das Material ist zu dicht, und ich würde Haus und Hof dafür
verwetten, dass der Antrag durchgeht. Leider hat damals
niemand die Wette von Herrn Prantl angenommen.
({16})
Eines darf man aber festhalten: In einem Rechtsstaat ist
es noch lange nicht möglich, dass man jede Hürde für
ein Gesetz aus dem Weg sprengt, nur weil das Ziel legitim ist.
Herzlichen Dank.
({17})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Silke Stokar, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Philipp hat zu Beginn ihrer Rede gesagt, die Haushaltsberatungen seien die Stunde der Opposition. Ich füge
hinzu: Die Haushaltsberatungen sind auch Stunden der
Wahrheit.
({0})
Ich habe mich während der Rede von Frau Philipp gefragt,
wie die Situation heute, wenige Stunden vor einem Irakkrieg,
aussehen würde, wenn Sie an der Regierung wären.
({1})
Sie wären - das haben Frau Merkel und Herr Pflüger sehr
deutlich gemacht - mit den USA in den Krieg gezogen.
({2})
Sie sollten endlich einmal die Wahrheit sagen, welche
innenpolitischen Auswirkungen Ihre Außenpolitik gehabt hätte. Das wäre Ihr Beitrag zur inneren Sicherheit
gewesen. Ich sage Ihnen: Sie hätten unsere Bevölkerung
in Gefahr gebracht.
({3})
- Das ist keine Unverschämtheit. Ich habe mir die Reden
und Interviews von Herrn Pflüger sehr genau angeschaut.
({4})
Sie haben weitere Themen angesprochen, zu denen
ich etwas sagen möchte. Ich beginne mit dem Thema
digitales Funknetz. Sie beklagen, dass wir für dessen
Einführung keine Mittel eingestellt hätten. Ich darf Sie
an Folgendes erinnern: Es gibt hier nach wie vor eine
Auseinandersetzung, weil Bayern zu den Ländern gehört, die eine Einigung über die bundesweite Einführung
eines einheitlichen Systems - es stehen zwei Systeme
zur Auswahl - verhindern. Solange diese Auseinandersetzung nicht geklärt ist, solange also Bayern der Meinung ist, dass es zwar gut sei, wenn es in Deutschland
ein digitales Funknetz gebe, dass man aber in Bayern ein
anderes einführen werde als in den anderen Bundesländern, solange macht es überhaupt keinen Sinn, dass wir
für diesen Bereich Gelder einstellen.
({5})
- Das weise ich zurück. Sie benehmen sich wie die Lümmel von der ersten Bank.
({6})
Ihre Zwischenrufe sind dermaßen flach, dass ich nicht
bereit bin, auf sie einzugehen.
({7})
Über den BGS werden alte Debatten geführt. Es geht
nicht um die Frage, ob es wichtig ist, dass der BGS neue
Fahrzeuge bekommt. Wir sollten uns vielmehr die veränderte Realität vor Augen führen. Längst werden der
deutsche BGS im Ausland und die Bundeswehr im Innern eingesetzt.
Zum Thema „Aufbau der Europäischen Grenzpolizei“ habe ich von Ihnen inhaltlich überhaupt noch nichts
gehört. Dieser Haushalt ist für uns noch einmal eine Verpflichtung, uns Gedanken über die vorhandenen Strukturen und über die Anpassung dieser Strukturen an veränderte Realitäten zu machen. Mit Ihrer 80er-Jahre-Argumentation in der Innenpolitik ignorieren Sie,
({8})
dass wir es längst mit neuen Themen zu tun haben, zu
denen Sie einfach nichts zu sagen haben.
({9})
Der Kollege von der SPD hat es hier schon gesagt:
Wir haben in diesem Haushalt bewusst ein Zeichen im
Bereich der Integration gesetzt. Begreifen Sie das doch
einmal als ein Angebot auch an Sie! Schließlich haben
Sie gefordert, dass auf dem Gebiet der Einreise von
Extremisten etwas unternommen wird. Begreifen Sie
doch unseren Haushaltsansatz, dessen Mittel in den Bereich der Integration fließen, als ein Angebot, über das
Zuwanderungsgesetz in diesem Hause vernünftig zu
reden!
Wir haben den Auftritt von Herrn Stoiber hier erlebt.
Herr Stoiber hat sich in der Auseinandersetzung über die
Regierungserklärung gegen Frau Merkel durchgesetzt.
Wegen des Wahlkampfs in Bayern setzt sich Herr
Stoiber auch in dieser Situation gegen große Teile der
CDU/CSU durch.
({10})
Herr Müller hat schon bedauert, dass Sie sich in der
Rolle „Wir blockieren das Zuwanderungsgesetz und
beugen uns dem bayerischen Diktat“ schon fest eingerichtet haben. Ich sage das in diesem Zusammenhang
nicht nur, weil wir dafür gesorgt haben, dass in den
Haushalt die entsprechenden Mittel für die Integration
eingestellt worden sind, sondern auch, weil Sie bis heute
nicht begriffen haben, dass das Zuwanderungsgesetz
kein Geschenk für Ausländer ist, sondern dass es für alle
in unserer Gesellschaft wichtig und ein Beitrag zu mehr
innerer Sicherheit in diesem Land ist.
({11})
Was den Punkt angeht, auf den ich noch eingehen
möchte, so habe ich für Änderungsanträge seitens der
Opposition durchaus Verständnis. Ich denke dabei insbesondere an die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der
SED-Diktatur und an die Anträge, die den Bereich der
Birthler-Behörde betreffen. Wir haben uns im Haushaltsausschuss massiv dafür eingesetzt, dass die ursprünglich
geplanten Kürzungen weiter reduziert werden, und uns
in dieser Frage auch durchgesetzt. Wir können für diese
Reduzierung hier einfach nur um Verständnis bitten. Es
ist für jede Politikergeneration sehr wichtig, sich mit der
eigenen Vergangenheit und mit den Fehlern der eigenen
Geschichte auseinander zu setzen. Wir von Rot-Grün
werden uns nochmals Gedanken darüber machen, wie
wir zum 50. Jahrestag des 17. Juni 1953 außerhalb des
Haushalts ein Zeichen setzen können, damit die geplanten Festveranstaltungen mit unserer Hilfe - wichtig ist
dabei auch ideelle Hilfe - durchgeführt werden können.
({12})
Zum Schluss möchte ich noch auf etwas eingehen,
was die FDP hier angesprochen hat. Sie von der FDP
haben unter anderem gefordert - das halte ich für unsinnig -, den Datenschutzbeauftragten einem anderen
Ressort zuzuordnen. Wenn dieses Parlament im Hinblick
auf den Bundesdatenschutzbeauftragten ein Zeichen setzen möchte, dann sollten wir uns nicht darüber streiten,
an welches Ressort er gebunden ist. Wir sollten uns dafür einsetzen, dass die Unabhängigkeit des Bundesdatenschutzbeauftragten dadurch gewährleistet ist, dass er an
unser Parlament gebunden ist.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Hagemann?
Nein, meine Redezeit ist abgelaufen und mein Kollege möchte auch noch etwas sagen.
({0})
Ich erteile das Wort der Kollegin Susanne Jaffke,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach diesem Redebeitrag muss man, glaube ich, noch
einmal betonen: Wir sind in der Haushaltsdebatte. Der
Einzelplan 06 - Bundesinnenministerium - eignet sich
nicht dazu, besonders polemisch zu argumentieren.
Dem Kollegen Hagemann möchte ich noch einmal die
Antwort geben, die ich auch schon im Haushaltsausschuss gegeben habe. Der Vorschlag, bei Kap. 0624
- Bereitschaftspolizeien - diese kleine Kürzung um
240 000 Euro vorzunehmen, ist wie folgt zu begründen:
Unter anderem das Land Mecklenburg-Vorpommern hält
den Vertrag mit der Bundesregierung nicht mehr ein und
fährt die Zahl der Einsatzhundertschaften zurück. Demnach wird auch das Material an den Bund zurückgeführt.
Der Rechnungshof hat das aufgegriffen und uns mitgeteilt, dass das so zutrifft.
({0})
- Selbstverständlich. Die Einsatzhundertschaft Anklam
ist aufgelöst worden. Es sind jetzt nur noch zwei Einsatzhundertschaften; Sie wissen es, Herr Kollege Hacker.
Ich möchte keine Polemik machen, sondern Zahlen
sprechen lassen. Der Einzelplan 06 belief sich ursprünglich auf 4,023 Milliarden Euro. Das sind 9,8 Prozent
mehr als im Vorjahr; das ist korrekt.
({1})
Nun hat es in Kap. 0601 und 0602 eine globale Minderausgabe von insgesamt 61 Millionen Euro gegeben, wodurch sich der Aufwuchs auf 8,1 Prozent verringerte.
Die noch dazu veranschlagte globale Minderausgabe
von 25 Millionen Euro, die die Regierungskoalition
draufgelegt hat, hat dazu geführt, dass im Etat nur noch
7,4 Prozent mehr zur Verfügung stehen.
Wenn man sich den ursprünglichen Etat genau anguckt, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass die reinen Personalkosten 2,148 Milliarden Euro ausmachen.
Das sind 52 Prozent. Nach all den Kürzungen und nach
der Änderung infolge der Tariferhöhung von 2,5 Prozent, für die das Bundesinnenministerium 53,7 Millionen Euro erwirtschaften muss, hat der Etat einen Personalkostenanteil von 56 Prozent.
Von vielen ist gesagt worden, dass dieser Etat erfreulicherweise unendlich aufwachsen würde. Unter dem
Strich bleiben aber nur 117 Millionen Euro mehr übrig.
Damit soll der Minister nun die Ausgaben für Sachausstattung, innere Sicherheit und andere Dinge bestreiten.
Damit wird er seine Kernaufgaben, glaube ich, nicht erfüllen können.
Zu seinen Kernaufgaben gehört die Integrationsarbeit für Aussiedler und Asylbewerber sowie die Sprachförderung. Zu den Kernaufgaben gehören auch politische Bildungsarbeit, Kampf gegen Extremismus von
links und rechts. Das wird ein Stück weit auf der Strecke
bleiben. Bei der inneren Sicherheit, der Ausrüstung der
Bundespolizei, der Schaffung der neuen Koordinierungsinstanz für den Zivilschutz in unserem Lande - das
gehört zu den wichtigsten Kernaufgaben - werden die
Investitionen gestreckt werden.
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch ein ganz besonderes Petitum für die besondere Situation an der EU-Außengrenze abgeben. Wenn nicht mit diesem oder spätestens mit dem nächsten Etat gehandelt wird, dann werden
an der heutigen EU-Außengrenze zu Polen und Tschechien mindestens 1 700 BGS-Beamte mehr benötigt und
dafür ist keine Vorsorge getroffen.
({2})
Mit dem Beitritt dieser Länder entfällt die Zollkontrolle,
das heißt die zurzeit noch bestehende Zusammenarbeit
von Einsatzeinheiten von BGS und bewaffnetem Zoll
entfällt. Die Zöllner wissen im Moment nicht, was mit
ihnen passiert. Die Zöllner werden abgezogen. Es entstehen Binnenzollämter. Der BGS muss diese Stellen ersetzen. Dem ist in dem Etat überhaupt nicht Rechnung getragen worden.
Wir waren uns eigentlich über die Parteigrenzen hinweg einig, dass angesichts der besonderen Aufgaben, die
der Innenminister zu tragen hat, dieser Etat einer besonderen Schonung bedarf. Ich kann nur feststellen: Die angekündigte Kraftbrühe, die dieser Etat eigentlich sein
sollte, ist nur ein dünnes Wassersüppchen geworden;
denn Sie haben mit Ihren Kürzungsanträgen zu stark zugeschlagen.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es Ihnen mit
der Arbeit des Ministers wirklich ernst ist, dann können
Sie sich zumindest den zwei Anträgen, die die CDU/
CSU-Fraktion einbringen wird, nicht entziehen. Der
erste Antrag wird sich natürlich mit der Anhebung der
Mittel für die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur befassen,
({4})
damit - auch Frau Kollegin Stokar hat darauf hingewiesen - dem Anliegen Rechnung getragen werden kann,
die Aufarbeitung der jüngeren Vergangenheit und Geschichte in unserem Land weiter voranzubringen.
Zu dem zweiten Antrag, den wir am Donnerstag zum
Haushaltsgrundsätzegesetz stellen werden, kann ich nur
sagen: Herr Kollege Hagemann, Sie haben Recht, wenn
Sie sagen, das THW sei eine Perle. Aber warum um alles in der Welt haben Sie das THW dann doch mit der
1,5-prozentigen Stellenkürzung versehen? Das THW hat
sich in den 90er-Jahren einer ganz intensiven Strukturreform unterziehen müssen; seine Verwaltung ist schon
jetzt extrem ausgedünnt. Wenn nun dort noch einmal
Personal abgebaut wird, kann es die Erfüllung seiner
Aufgaben nicht mehr sicherstellen. Deshalb lassen Sie
uns gemeinsam beim Haushaltsgrundsätzegesetz das
THW von der Personalkosteneinsparung ausnehmen,
wie es immer gute Sitte war, und ein Absinken verhindern.
({5})
Als Hauptberichterstatterin zum Einzelplan 06
möchte ich zum Schluss noch ganz besonders den Ministerialbeamten und -angestellten - einige sitzen hinten auf
der Regierungsbank - danken. Die Haushaltsabteilung
hat uns in einer dankenswert intensiven Arbeit all das
zur Verfügung gestellt, was wir als Berichterstatter
brauchten, und unsere Fragen beantwortet. Das war für
alle Kollegen, vor allem die neuen Kollegen, sehr hilfreich.
Genauso möchte ich allen Behördenleitern danken,
die ihre Behörden in unserer Marathonsitzung kurz und
prägnant vorgestellt haben und damit den neuen Kollegen einen Einblick in ihre Arbeit gegeben haben.
Lassen Sie mich auch dem Minister danken.
({6})
Der Minister hat sich für die Berichterstattergespräche
über zwei Stunden Zeit genommen. Er hat den Berichterstattern seine Schwerpunkte deutlich erläutert. Umso
verwunderlicher ist es natürlich, dass die Regierungskoalitionäre die Wünsche des Ministers nun nicht erfüllen
und überdimensioniert zusammenkürzen. Herr Minister,
ich wiederhole, was ich im Berichterstattergespräch gesagt habe: Sie werden erleben, dass die Opposition regierungstreuer ist als die eigenen Truppen.
({7})
Da wir regierungstreu sind, können wir dem vorgelegten
Beratungsergebnis nicht zustimmen.
({8})
Ich erteile das Wort Kollegen Lothar Binding, SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Damen
und Herren! Über die Bedeutung von Sport, Breitensport
und Spitzensport, besteht große Einigkeit. Deshalb
möchte ich all den Berichterstattern Dank aussprechen,
die in diesem Bereich sehr gut zusammengearbeitet haben. Das gilt parteiübergreifend. Das Ergebnis kann sich
sehen lassen.
({0})
Sport hat auch politisch eine große Bedeutung; denn er
schafft Fairness, Integrationskraft, Kameradschaft, Gesundheit, aber auch Vorbilder.
Ich möchte auch dem Minister danken; denn der Minister hat mit seinen Mitarbeitern, Fritz Rudolf Körper
und Ute Vogt als Parlamentarischen Staatssekretären,
aber auch den Abteilungen eine wirklich hervorragende
Vorlage geliefert und die Sportförderung auf hohem Niveau stabilisiert.
Ich möchte noch einer dritten Gruppe danken und dies
mit einer kleinen Geschichte einleiten. Klaus Staeck hat
mir Folgendes erzählt: Er kommt in ein großes Gebäude
und sieht einen Hausmeister, der sich im Fernsehen ein
wichtiges Rennen der Formel 1 anguckt. Darauf sagt er:
Es ist ja schade, dass der Fahrer keine Steuern in
Deutschland zahlt.
({1})
Der Hausmeister erwidert, der riskiere ja auch sein Leben. Klaus Staeck darauf: Jeder Feuerwehrmann bei uns
im Staat riskiert sein Leben, aber er zahlt seine Steuern
in Deutschland und trägt dazu bei, dass wir die Förderung des Breiten- wie des Spitzensports betreiben können.
Jetzt wird die CDU/CSU sagen, es sei kein Wunder,
dass der mit seinem hohen Einkommen ins Ausland geht,
die Steuern seien zu hoch. Ich meine, so wie der Hausmeister und der Feuerwehrmann ihre Steuern in Deutschland bezahlen - dafür möchte ich ihnen danken -, kann
auch jemand, der 40, 30, 10 oder vielleicht auch nur
5 Millionen Euro an Jahreseinkommen hat, eben sehr
wohl hohe Steuern entrichten, und zwar in Deutschland,
denn er wurde hier sozialisiert und er hat seine momentane Leistungsfähigkeit, die ihn vielleicht nach vorn
bringt, letztendlich auf dem Rücken dieser Gesellschaft
entwickelt.
({2})
Daher glaube ich, dass wir uns mit denjenigen, die mit
Auslandskonten mehr Erfahrung haben als ich, darüber
unterhalten müssen, als Spitzensportler Verantwortung
auch im Sinne der eigenen Vorbildfunktion wahzunehmen.
Mit Blick auf die erfolgreich vorangeschrittenen Sanierungen und Modernisierungen der Stadien in Berlin
und Leipzig können wir feststellen, dass die Sportförderung im Jahr 2003 mit einem Ansatz von mehr als
130 Millionen Euro stabilisiert wird. Diese sehr deutliche Aussage erkennen wir auch daran, dass für zentrale
Maßnahmen auf dem Gebiet des Sports 70 Millionen
Euro zur Verfügung stehen. Die Bundesportfachverbände erhalten 18 Millionen Euro. Für das Personal im
Bereich Leistungssport stehen ebenfalls 18 Millionen
Euro bereit, für Olympiastützpunkte und Bundesleistungszentren 26 Millionen Euro und für Behindertensport 3 Millionen Euro. Für zentrale Maßnahmen des
Breitensports bleibt auch noch ein sehr nennenswerter
Betrag.
Das Bundesinnenministerium kümmert sich aber auch
um eine sehr wichtige Einrichtung, die Welt-Anti-Doping-Agentur, und finanziert diese zur Hälfte. Ich halte
dies für eine sehr wichtige Aufgabe. Die Förderung in
der vorgesehenen Höhe bringt diese Institution erheblich
voran.
Darüber hinaus ist der Sportstättenbau für den Hochleistungssport sehr wichtig; er kann mit einem Zuwachs
rechnen. Die Förderung hierfür hat mit über 19 Millionen Euro ein sehr hohes Niveau erreicht.
Für das Kulturprogramm der Fußballweltmeisterschaft waren im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung insgesamt 30 Millionen Euro angesetzt. Zum Leidwesen des Ministeriums haben wir die für das Jahr 2003
veranschlagten 5 Millionen Euro um 1 Million Euro vermindert. Dies geschah jedoch zugunsten einer sehr wichtigen Sache, nämlich des Goldenen Planes Ost, der als
Sonderförderprogramm für den Breitensport in den neuen
Ländern eine überragende Bedeutung hat. Das Besondere
daran ist, dass man damit investive Mittel induziert, die
von den Ländern und den Kommunen hinzugegeben werden, sodass dies auch unter wirtschaftspolitischem Aspekt eine sehr sinnvolle Maßnahme ist. Somit konnte die
Lothar Binding ({3})
Förderung in dem Programm Goldener Plan Ost auf nunmehr 10 Millionen Euro definiert werden. Darüber hinaus wird das Bundesinstitut für Sportwissenschaften mit
5 Millionen Euro gefördert.
All diese Maßnahmen zeigen, mit welchem Engagement das Innenministerium und letztendlich auch die
Berichterstatter und der Haushaltsausschuss auf diesem
Gebiet agieren.
({4})
An diesem Programm erkennt man, dass es sich um einen Wettkampf der Ideen handelt. Wettkampf ist durchaus ein Begriff aus dem Bereich des Sports. Wenn man
aber die Debatte eine Zeitlang verfolgt hat, merkte man,
dass es kein Wettkampf der Ideen, sondern ein Wettkampf der Beleidigungen, Unverschämtheiten und Dramatisierungen war. Das ist etwa so, als ob es beim Fußball nicht das Ziel wäre, Tore zu treffen, sondern die
Schienbeine des Gegners,
({5})
also hier des politischen Gegners. Das kann so weit führen, dass der Gegner vorübergehend keine Tore schießt;
sportliches Verhalten ist das nicht. Ich möchte dies mit
einer kleinen Beobachtung belegen, die man hier vor
etwa einer Stunde machen konnte. Da sagte Herr
Scheuer, es sei doch eigentlich nicht zu verantworten,
dass man die Stimmung im Land vergifte. Derselbe Kollege begann seine Rede mit der Feststellung - da dachte
ich noch, das liegt vielleicht daneben, aber man kann es
tolerieren -, das Programm sei „DDR light“. Aber er
verstieg sich dann zu einer beleidigenden Formulierung
gegenüber Innenminister Schily. Ich vermisse noch immer die öffentliche Entschuldigung des Kollegen
Scheuer im Plenum.
({6})
- Er hat sich bei Ihnen entschuldigt. Dann mag es in
Ordnung sein. Trotzdem denke ich, er sollte sich öffentlich entschuldigen.
Wer die Debattenbeiträge der CDU/CSU im Haushaltsausschuss zu nur zwei Tagesordnungspunkten einmal etwas genauer analysiert, der wird folgende Worte in
diesen Beiträgen finden. Die Sätze beginnen grundsätzlich mit - manche Kollegen werden sich wiederfinden -:
es ist zu hören, ich bekomme Informationen, ich habe
Gerüchte gehört, Kollege Sowieso hat behauptet. Dann
kommt eine Sequenz von folgenden Begriffen: Lüge,
Trugbild, kaschieren, tricksen, verschleiern, Legendenbildung, falsche Zahlen, Täuschung, einseitig, dauerhaft
verfehlt, die Bedrohung bleibt, schuldig gemacht, einfach dumm, missverständlich, bürokratisches Monster,
beratungsresistent, lückenhaft, entlarven, Schimäre,
Hirngespinst, Klientelbefriedigung, ungerecht, einseitig,
durch und durch verfehlt, bedrohlich, Bedrohung bleibt,
massiv beschädigt - ich zitiere nur die CDU/CSU -,
({7})
täuschen, tricksen.
({8})
- Ihr Zuruf zeigt, dass Sie sich in der Physik nicht so gut
auskennen. Aber das verzeihe ich Ihnen gern.
Ich zitiere weiter die CDU/CSU: Lasten, fatal, missbräuchlich, unterlaufen, europarechtswidrig, verfassungswidrig, schmähliches Dokument des Versagens, Sanierungsfall, ruinös. So viel aus den Mitschriften von
Äußerungen, die zu zwei Tagungsordnungspunkten im
Haushaltsausschuss gefallen sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie zukünftig um einen fairen und sportlichen Wettkampf der
Ideen.
({9})
Ich erteile das Wort Kollegin Dorothee Mantel, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Was passiert, wenn ein Haushalt aus dem
Gleichgewicht gerät, können wir heute schon den ganzen
Tag erleben. Leider - das muss ich jetzt feststellen - hat
auch der Haushalt des Innenministeriums das Gleichgewicht verloren.
({0})
- Warum regen Sie sich jetzt auf? Sie reden doch den
ganzen Tag davon, mit welcher Anstrengung man die gesteckten Ziele verfolgen muss, verehrte Regierungsmitglieder und verehrte Kollegen von der Koalition. Da
können Sie doch stolz sein, dass Sie Ihr Ziel in einer Angelegenheit schon erreicht haben, nämlich bei der politischen Bildung. Es scheint mir, als wäre der Kampf gegen Rechts das Einzige, was in der politischen Bildung
noch zu leisten wäre. Der Haushalt erweckt zumindest
diesen Eindruck.
Doch mit dieser Prioritätensetzung liegen Sie falsch.
Die politische Bildung ist wichtiger denn je. Es ist ein
Alarmzeichen, wenn die Zentralen für politische Bildung
nur einen einstelligen prozentualen Anteil der Bevölkerung erreichen.
({1})
- Herr Wiefelspütz, ich bitte auch um Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Lassen Sie sich dazu eines sagen: Die Wirksamkeit
von Maßnahmen zur politischen Bildung hängt nachgewiesermaßen auch von der Überparteilichkeit des
Trägers ab. Wird ein Träger nicht als politisch neutral
wahrgenommen, erreicht die Maßnahme die Bevölkerung nicht. Anders ausgedrückt: Die Maßnahme erreicht
dann nur die eigene Klientel.
({3})
Das können Sie durchaus als Vorwurf auffassen, meine
Damen und Herren von der Koalition. Ihre Programme
zur politischen Bildung sind reine Klientelpolitik. Wenn Sie etwas anderes tun würden, als nur Biografien
zu studieren, und mir zuhören würden, dann würden Sie
heute vielleicht noch etwas lernen.
({4})
Wenn Sie das Geld sinnvoll ausgeben, dann haben Sie
unsere Unterstützung. Aber es geht nicht an, dass Sie nur
Ihre eigene Klientel bedienen.
({5})
Ich nenne einige Zahlen von Zuwendungen der Bundeszentrale für politische Bildung aus dem vergangenen
Jahr. 336 000 Euro für das Bildungswerk des Deutschen
Gewerkschaftsbundes; das geht nicht.
({6})
502 000 Euro für die Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Bildungswerke, darunter das Herbert-Wehner-Bildungswerk, das keinen Hehl daraus macht, der SPD nahe
zu stehen. Auch das geht nicht.
({7})
- Herr Edathy, da Sie im Ausschuss nur Zeitung lesen,
sollten Sie mir zumindest jetzt zuhören.
({8})
Dagegen gibt es gerade einmal 8 000 Euro für den Bund
der Vertriebenen, der eine unersetzliche kulturelle Arbeit
leistet. Hier ist das Geld plötzlich knapp. Diese Verhältnisse möchte ich nicht weiter kommentieren.
Die Bundeszentrale für politische Bildung gibt für die
Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Rassismus mehr aus als für die gesamten jugendspezifischen
Bildungsangebote. Weitere Programme gegen rechts
gibt es in Millionenhöhe beispielsweise vom Jugendministerium. Sie konnten und Sie können nicht nachweisen, dass dieses Geld effektiv verwendet wird.
Ihnen dürfte sicher auch der Schülerkalender des Vereins „Brandenburg gegen Rechts“ bekannt sein; auch
dieser Fall darf heute nicht unerwähnt bleiben. Mit Geldern des Landes wurde ein Kalender gedruckt, der Werbung für die Jusos und die Falken enthielt.
({9})
In einer Anzeige in diesem Kalender wurde für den Bedarf von Haschischrauchern geworben.
({10})
Immerhin soll dieser Verein künftig von der Landeszentrale keine Zuschüsse mehr bekommen. Ein sehr schaler
Beigeschmack bleibt aber.
({11})
Fünf Monate hat die Landeszentrale nichts bemerkt, obwohl ihr der Kalender angeblich vorlag.
Die Bundeszentrale für politische Bildung betreibt
mit www.bpb-aktiv.de eine eigene Seite gegen Rechtsextremismus. Dass wieder einmal der Extremismus nur
einseitig behandelt wird, wundert mich nicht mehr. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Jede Form von Extremismus ist zu verurteilen. Das haben wir von der Union
immer deutlich gemacht.
({12})
Höchst fraglich ist aber, welchen Vorbildcharakter und
welche Lerneffekte die Internetseite der Bundeszentrale
bietet. Zum Beispiel wird die Aktion „Saufen gegen
rechts“ in einer Linkliste mit Onlineinformationen gegen
Rechtsextremismus aufgeführt.
({13})
Halten Sie das für eine verantwortungsvolle politische
Bildung? - Herzlichen Glückwunsch!
({14})
Die Bundesregierung hält Wettbewerbe, Feste und
Events für ein „taugliches Mittel der politischen Bildungsarbeit“. Das hat Marieluise Beck, Parlamentarische Staatssekretärin, in der Fragestunde vom
12. Februar 2003 gesagt. Welchen Vorbildcharakter und
welche Lerneffekte haben dann Musikfestivals wie
„Beat the Fascist Insect“? Den Indymedia-Skandal
möchte ich nicht mehr aufwärmen. Erwähnenswert finde
ich aber - ich habe das heute Nachmittag extra noch einmal nachgesehen -, dass von der genannten Seite
www.bpb-aktiv.de nach wie vor ein Link auf www.indymedia.de geschaltet worden ist.
({15})
Ich wünsche mir, dass politische Bildung wieder zu
ihrem wahren Auftrag zurückkehrt. Sie soll die Grundlagen der Demokratie vermitteln. Wir werden nicht zulassen, dass Sie bestimmten Gruppen, die Ihnen ideologisch
nahe stehen, unter dem Deckmantel der politischen Bildung Geld zuschustern.
({16})
Das ist nicht nur unanständig, sondern bei dieser Haushaltslage auch unverantwortlich.
Dagegen kürzen Sie den Zuschuss an die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur um
130 000 Euro. Konsequent sind Sie; man kann Ihnen
nicht vorwerfen, Sie seien konsequent. Aber solide Haushaltspolitik braucht einen langen Atem. Gerade meine
Generation wird die Fehler und die Kurzsichtigkeit des
heutigen Handelns zu spüren bekommen. Gerade meine
Generation wird büßen, wenn sich der Bundesfinanzminister die wirtschaftlichen Daten so berechnet, dass der
Haushalt passt.
Wir können es uns nicht leisten, Mittel unnötig auszugeben oder mit riskanten Vorhaben unabsehbare Kostenexplosionen in Kauf zu nehmen. Das gilt besonders im
Bereich der Informationstechnologien.
({17})
- Ich werde sofort konkret. - Der große Sprung soll
„Bund-Online 2005“ werden. Doch wer hoch springt,
sollte bedenken, dass er auch tief fallen kann.
({18})
Der Bundesinnenminister hatte erst letzten Mittwoch
Großartiges zu vermelden:
Bund online ist erfolgreich. Bereits 173 der
400 Dienstleistungen des Bundes sind im Netz verfügbar. Wir liegen im Zeitplan.
Doch wer kennt diese Dienstleistungen? Zahlen zur
tatsächlichen Nutzung sind mir nicht bekannt, ebenso
wenig Untersuchungen über tatsächliche und potenzielle
Zielgruppen und die Akzeptanz der Angebote. Auch Experten halten den Zeitplan für ehrgeizig. Die Warnungen
sind deutlich - ein Zitat aus der „Innovativen Verwaltung“ 12/2002 -: Es „sollte nicht auf einen fertigen Generalplan gewartet werden“. Vielmehr müsse die jahrelange Erfahrung aus der Verwaltungsmodernisierung
aufgegriffen werden. Die Initiative „Bund online“ ist zu
wichtig, als dass am grünen Tisch geplant werden kann,
was in der Praxis nicht ankommt.
({19})
Gerade hier muss Wert auf Akzeptanz gelegt werden.
Der Bundesrechnungshof hat im vergangenen Jahr
festgestellt - dies ist ein Zitat aus der „Computerwoche“
05/2002 -,
({20})
dass es kein Bestandsverzeichnis über die in der Bundesverwaltung eingesetzte Informationstechnik gibt. Wie
kann auf dieser Basis effizient geplant und koordiniert
werden?
Die Digitalisierung der Verwaltung ist ein Schritt in
die Zukunft, ein Schritt zu einem schlanken und effizienten Staat. Aber die Maßnahmen müssen überlegt sein,
damit kein Geld in den Sand gesetzt wird.
({21})
Ich werde dem Hauptgeschäftsführer ausrichten, dass
Sie von der Hanns-Seidel-Stiftung so begeistert sind,
dass Sie sie schon zehnmal erwähnt haben. Das wird er
sicher gern hören.
({22})
Außerdem bin ich auch begeistert, wie sehr ich es
schaffe, Ihre Gemüter zu erregen. Da scheint ja Einiges
im Argen zu liegen.
({23})
Solide Haushaltspolitik zeigt sich nicht im guten Willen, sondern in der Tat. Lassen Sie mich noch einen Satz
sagen: Zumindest farblich haben Sie den Haushalt im
Griff, meine Damen und Herren von der Koalition: Die
Hoffnung ist grün, die Zahlen sind rot.
Herzlichen Dank.
({24})
Ich erteile das Wort dem Bundesminister Otto Schily.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
Ich möchte mich im Gegenzug ausdrücklich bei den
Haushälterinnen und Haushältern bedanken, speziell bei
Frau Jaffke, die ja sich hier als regierungstreue Oppositionspolitikerin sehr freundlich geäußert hat. Ich meine
das auch mit Blick auf die schwierige Aufgabe der Innenpolitik und der inneren Sicherheit, die dieser Haushalt zu vertreten hat.
Bei allem Streit in der Sache und im Detail kann ich
davon ausgehen, dass alle Mitglieder dieses Hauses ein
lebhaftes und engagiertes Interesse daran haben, den
Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Ich will ausdrücklich hervorheben, dass die Haushälterinnen und Haushälter sich dadurch auszeichnen,
dass sie den Haushalt des Innenministeriums in fairer
und konstruktiver Weise begleiten. Das können wir hier
gemeinsam feststellen.
In der Tat dürfen wir uns rühmen - das ist in Zeiten
schwieriger Haushaltslagen keine ganz einfach zu bewerkstelligende Leistung -, dass der Haushalt in verschiedenen Bereichen einen deutlichen Aufwuchs aufweist, insbesondere in denen, die der inneren Sicherheit
dienen. Ich will jetzt nicht alle Zahlen wiederholen. Aber
mir liegt schon sehr daran, dass das Bundeskriminalamt,
die Bundespolizei - ich bedanke mich dafür, dass einige
den neuen Namen des Bundesgrenzschutzes schon vorweggenommen haben -, das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik über mehr Mittel verfügen. Das ist
wichtig für deren Arbeit.
({0})
Weil Sie mehrfach den Bundesgrenzschutz angesprochen haben, will ich auch zum Ausdruck bringen, was
ich aus dem Bundesgrenzschutz selber höre: Die personelle und sachliche Ausstattung des Bundesgrenzschutzes - dazu gehört auch Einkommensentwicklung - war
({1})
noch nie so gut wie unter dieser Regierung. Das wollen
wir hier doch einmal festhalten.
({2})
Eine solide und erfolgreiche Innenpolitik drückt sich in
den Zahlen des Haushaltes aus. Nun habe ich durchaus
mit Wohlwollen vernommen, dass seitens der Opposition Anträge gestellt werden, um die finanzielle Ausstattung meines Haushalts zu verbessern.
({3})
Wer könnte dem als Innenminister widersprechen? Nur
haben Ihre Anträge einen Makel: Es fehlt die Finanzierungsseite.
({4})
Wenn man aus der Opposition nun pausenlos hört, wir
sollten die Steuern doch noch weiter senken,
({5})
dann wird man einsehen, dass solche Anträge zur besseren finanziellen Ausstattung leider eine Verpackung
ohne Inhalt sind. Deshalb sind Ihre Anträge dann doch
nicht so besonders eindrucksvoll.
({6})
Alle zusätzlichen Mittel, die uns zur Verfügung gestellt wurden, haben wir gut angelegt. Ich kann in einer
kurzen Betrachtung im Rahmen der Haushaltsberatungen nicht die gesamte Arbeit darstellen und will deshalb
ein Beispiel herausnehmen, von dem ich glaube, dass es
in der Zukunft noch besondere Bedeutung erhalten wird:
das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Allerdings gab es da von irgendeiner Seite
- ich glaube, von der Koalition - ein bisschen zu viel
Lob: Wir hätten dieses Amt erfunden. - So weit geht die
eigene Anerkennung nicht. Aber wir haben dieses Amt
erheblich ausgebaut. Wir haben in diesem Bereich sehr
viele neue Aufgaben verankert. Ich nenne: die Einrichtung einer Einsatzzentrale des Bundes bei IT-Gefährdungslagen; die Analyse und Prognose von IT-Entwicklungen und -Trends; den Ausbau der Zusammenarbeit
mit den Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden; die
Einrichtung von so genannten Hot- oder Helplines im
Rahmen einer IT-Sicherheitskampagne; den Ausbau der
internationalen Zusammenarbeit - sehr bedeutsam -; die
Konzeption und Koordination des Aufbaus, des Betriebes und der technischen Weiterentwicklung ressortübergreifender IT-Infrastrukturen; die Unterstützung der Beratungstätigkeit der Koordinierungs- und Beratungsstelle
der Bundesregierung für Informationstechnik in der
Bundesverwaltung; die Intensivierung der Maßnahmen
im Bereich der kritischen Infrastrukturen der Informationstechnik; die Öffentlichkeitsarbeit.
Meine Damen und Herren, dieses Amt hat inzwischen
international ein so hohes Ansehen gewonnen, dass viele
nach Deutschland kommen, um es sich anzuschauen,
von ihm zu lernen und in ihren Ländern ähnliche Einrichtungen zu schaffen. Auf dieser Grundlage ist es mir
gelungen, die Forderung nach einer Agentur für Sicherheit in der Informationstechnik auf europäischer Ebene
durchzusetzen. Ich bin dafür dankbar, dass die Europäische Kommission diesen Vorschlag aufgenommen hat.
Wir bemühen uns darum, dass diese Einrichtung ihren
Platz in Deutschland finden wird.
Ohnehin möchte ich im Zusammenhang unserer
nächtlichen Debatte
({7})
- für unsere Verhältnisse ist es noch früh; die mitternächtlichen Debatten stehen uns noch bevor - betonen, dass
nationale Sicherheitspolitik sich immer in einen internationalen Zusammenhang einbetten muss. Ich glaube, dass
wir als Bundesregierung auch da deutliche Erfolge in der
europäischen Politik aufweisen können. Ich habe schon
die Agentur genannt. Ich will hier zwei weitere wichtige
Institutionen nennen, die auf deutsche Vorschläge zurückzuführen sind: die Europäische Polizeiakademie und
die Europäische Grenzpolizei, um die wir uns bemühen.
Am Vorabend eines möglichen Krieges will ich darauf hinweisen, dass wir im internationalen Bereich auch
auf polizeilicher Ebene sehr aktiv sind. Wir haben Verbindungsbeamte in zahlreichen Ländern weltweit. Wir
leisten vorbildliche polizeiliche Arbeit in so krisengefährdeten Gebieten wie Afghanistan und Kosovo. Ich
möchte nicht versäumen, den Kolleginnen und Kollegen
Polizeibeamten, die diese Arbeit leisten, hier meinen besonderen Respekt und meinen Dank zum Ausdruck zu
bringen.
({8})
Im Rahmen einer solchen Debatte ist es nicht möglich, eine umfassende Bilanz zu ziehen. Ich müsste doch
einige Stunden zur Verfügung haben, um Ihnen die Erfolgsbilanz vorzutragen. Das werden Sie nicht ertragen
wollen. Aber ich will durchaus nicht verschweigen, dass
es an der einen oder anderen Stelle noch Reform- und
Weiterentwicklungsbedarf gibt: von den gesetzlichen
Befugnissen und Regelungen bis hin zu Fragen der administrativen und technischen Ausgestaltung der Institutionen.
Ich bin der Opposition besonders dafür dankbar, dass
sie - das hat sie schon bei früherer Gelegenheit getan sehr deutlich - ich habe in Ihren Reihen eigentlich keine
Einschränkung gesehen - und uneingeschränkt die Forderung nach Schaffung eines modernen Digitalfunks
für die Sicherheitsbehörden unterstützt. Ich wäre Ihnen
nur dankbar - das geht etwa an die Adresse von Herrn
Strobl oder der Kollegen aus Hessen -, wenn Sie sich bei
Ihren Landesregierungen ebenso massiv einsetzten. Der
Widerstand kommt von Ministerpräsident Koch und von
dem baden-württembergischen Finanzminister Stratthaus.
({9})
Dort muss noch Überzeugungsarbeit geleistet werden.
({10})
- Nein. Als Zeichen dafür, dass wir hier ehrlich miteinander umgehen, sage ich Ihnen: Es gibt auch in SPDregierten Ländern Finanzminister, die Vorbehalte geäußert haben.
({11})
- Wir wollen ehrlich miteinander umgehen. Deshalb ist
es mein Anliegen und meine Bitte, dass sich alle Seiten
dieses Hauses dafür einsetzen, dass dieses Vorhaben
möglichst schnell in die Tat umgesetzt wird.
Was Frau Philipp hier eingangs gesagt hat, ist völlig
richtig, nämlich dass es ohne Einführung des Digitalfunks viel teurer wird, weil der Analogfunk überholt ist.
Die Kosten für den Analogfunk werden in Zukunft auch
noch erheblich steigen. Wir wären also nicht nur unter
technischen Gesichtspunkten schlecht beraten, wenn wir
diese Dinge nicht voranbringen würden. Ich jedenfalls
bin da sehr engagiert.
Frau Kollegin Mantel, bei der Gelegenheit will ich
auf einige Bemerkungen von Ihnen zu Bund online
2005 eingehen. Ich glaube, Sie waren nicht auf der
CeBIT. Das ist schade. Wenn Sie beim nächsten Mal Zeit
haben, lade ich Sie gern dorthin ein.
({12})
Dann werde ich Ihnen gerne die Fortschritte des Projektes darstellen. Wir haben für E-Government diesmal sehr
viel mehr Ausstellungsfläche zur Verfügung gehabt. Wir
konnten eine große Erfolgsbilanz vorweisen. Zu den
Dienstleistungen, von denen Sie sagen, sie seien weitgehend unbekannt, kann ich nur sagen, dass sie in der Wirtschaft sehr gut bekannt sind.
Ich will ein Beispiel nennen: Die Möglichkeit, die
Übermittlung statistischer Angaben gegenüber dem Statistischen Bundesamt online abzuwickeln, wird bereits
zu einem hohen Prozentsatz in Anspruch genommen.
Andere Kommunikationsverbindungen werden von der
Wirtschaft heute schon zu 90 Prozent in Anspruch genommen. Das ist mit Kosteneinsparungen und Ähnlichem verbunden.
In diesem Bereich haben wir auf der einen Seite eine
beachtliche Investitionssumme zu verzeichnen, nämlich
etwa 1,45 Milliarden Euro. Diese Summe wird dort zugunsten unserer Informations- und Kommunikationsindustrie investiert. Auf der anderen Seite ist mit Einsparungen in Höhe von 400 Millionen Euro jährlich zu
rechnen, wenn wir Bund online vollständig abgeschlossen haben. Ich sage Ihnen: Das wird ein Return of
Investment, an dem sich mancher Businessplan in der
Wirtschaft ein Beispiel nehmen könnte. Ich bin sehr
stolz drauf, wie weit wir vorangekommen sind. Hier haben wir überhaupt keine Kritik verdient.
({13})
An der Stelle liegen wir in der internationalen Bewertung leider nicht an erster Stelle - wo wir eigentlich sein
sollten -, weil es auf Länderebene und auf kommunaler
Ebene einen gewissen Nachholbedarf gibt. Die dort teilweise bestehende Vielfalt ist in diesem Fall kein Vorteil.
Wenn es beispielsweise bei Kraftfahrzeugzulassungsverfahren über 100 Softwaremodelle gibt, ist ein vernünftiges E-Government nicht machbar. Um das voranzubringen, müssen wir mit den Ländern und Kommunen
zusammenarbeiten.
Insofern kann es vielleicht sogar ein Vorteil sein, dass
der hessische Ministerpräsident mir - was nicht unbedingt auf mein Wohlgefallen gestoßen ist - einen wichtigen Mann aus dem Bundeskriminalamt abgeworben hat,
der das Projekt INPOL ({14}) betreut.
({15})
- Sie wissen, dass es in der Bundesverwaltung immer
gute Leute gibt. Deshalb habe ich sogar ein gewisses
Verständnis dafür. Ich habe dem hessischen Ministerpräsidenten gesagt: Wenn das zur Folge hat, dass die betreffende Person Sie dazu veranlassen kann, Ihren Widerstand gegen den Digitalfunk aufzugeben, wäre selbst
diese Maßnahme zu befürworten.
Wir werden sicherlich auch dem Regelungsbedarf
nachkommen müssen, der im Bereich polizeilicher
Maßnahmen im Luftbereich besteht. Für Maßnahmen
auf dem Boden und zu Wasser gibt es klare Regelungen, aber im Luftbereich sind die Zuständigkeiten nach
meiner Überzeugung zu verstreut. Deswegen gehen wir
entschlossen an ein Luftpolizeigesetz. Wir werden das
- das ist die Überlegung von Herrn Kollegen Wiefelspütz und anderen aus der Koalition; Frau Stokar von
Neuforn hat sich auch in der Weise dazu geäußert - mit
einem Bundeswehraufgabengesetz verbinden, welches
die Aufgaben der Bundeswehr im Rahmen der verfassungsrechtlichen Bestimmungen regeln soll.
Dies sollten wir vorurteilsfrei und ohne uns in irgendwelche Schützengräben zu begeben miteinander besprechen. Ich lade Sie ausdrücklich ein, mit uns über diese
Fragen zu reden, und sage Ihnen vorweg: Ich gehe nicht
dogmatisch an diese Fragen heran, sondern ausdrücklich
praxisorientiert. Man muss sich erst die Situationen vergegenwärtigen, die entstehen könnten, um zu den richtigen normativen Regelungen zu kommen.
Bereits Herr Fricke hat das NPD-Verbotsverfahren
angesprochen. Ich danke ihm für seine sehr sachliche
Kommentierung. Allerdings muss auch ich bei dieser
Gelegenheit einige Sätze zum NPD-Verbotsverfahren sagen, weil Herr Strobl der Meinung war, sich dazu äußern
zu müssen.
({16})
Ich bedauere ausdrücklich, dass dieses Verfahren eingestellt worden ist.
({17})
Ich habe nicht sehr viel Glück mit dem Senat: Das eine
Mal verliere ich einen Prozess mit der Minderheit des
Senats und das andere Mal mit der Mehrheit des Senats.
Das ist keine besonders gute Erfahrung.
Wenn von Ihnen, Herr Strobl, aber behauptet wird, es
habe angebliche handwerkliche Fehler gegeben, dann
muss ich Ihnen Folgendes sagen: Sie müssen sich klar äußern, wie Sie das meinen. Das ist für eine argumentative
Auseinandersetzung wichtig. Wenn Sie sich die Meinung
der Minderheit des Senats zu Eigen machen - ich wie auch
die Mehrheit des Senats widersprechen dieser Meinung
mit Entschiedenheit -, dann müssten Sie die Verfassungsschutzbehörden ernsthaft vor die Alternative stellen, entweder auf ein Verbotsverfahren zu verzichten, obwohl es
nach der sachlichen Betrachtung gerechtfertigt wäre,
({18})
oder alle Quellen offen zu legen und sogar auf die Beobachtung der verfassungsfeindlichen Partei vor Beginn
des Verfahrens und während des Verfahrens verzichten.
Diese Alternative ist nach meiner Überzeugung verfehlt.
Denken Sie nur an das KPD-Verbotsverfahren. Das
KPD-Verbotsverfahren hat fünf Jahre gedauert. Ihre politischen Kreise, Herr Strobl, haben die KPD als eine
sehr gefährliche, verfassungsfeindliche Partei angesehen. Meinen Sie wirklich allen Ernstes, bei Beginn des
KPD-Verbotsverfahrens hätte die Beobachtung der KPD
eingestellt werden sollen? Es wäre interessant, das von
Ihnen zu hören.
Wenn die Verfassungsbehörden wirklich alle Quellen
offen legen müssten, wenn es opportun erscheint - wenn
Sie dieser Meinung sind, dann müssten Sie Ihre Kritik in
diesem Punkt konkretisieren -, dann kann ich Ihnen sagen, was passiert: Die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden würde ernsthaft Schaden nehmen; denn der Verfassungsschutz ist dringend darauf angewiesen, Quellen
zu gewinnen. Wenn die Verfassungsschutzbehörden
diese Möglichkeit nicht hätten, dann würde deren Arbeit
erheblich geschwächt.
Also lassen Sie uns über diese Fragen ernsthaft und
objektiv nachdenken. Dann kommen wir auch zu den
richtigen Schlussfolgerungen. So, wie sich die Lage jetzt
darstellt, ist die Sperre beim Bundesverfassungsgericht
nicht zu überwinden. Das führt mich, Herr Fricke, zu der
Überzeugung, dass es im Moment keinen Sinn hat, dieses Verbotsverfahren neu aufzulegen.
Herr Minister, Sie müssen zum Ende kommen.
Ich weiß, meine Redezeit ist überschritten. Deswegen
werde ich jetzt Schluss machen. - Ich bedanke mich
noch einmal für die sehr faire Behandlung des Haushaltes meines Ministeriums und hoffe, dass er Ihre Zustimmung findet.
({0})
Ich erteile dem Kollegen Strobl das Wort zu einer
Kurzintervention.
Herr Bundesinnenminister, da Sie mich in Bezug auf
das bedauerlicherweise gescheiterte NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht am heutigen
Tage angesprochen haben, möchte ich zwei Dinge sagen.
Erstens. Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU hat
von Anbeginn des Verfahrens ausdrücklich auf die Risiken, die ein solches Verfahren in sich birgt, hingewiesen.
({0})
Dies war auch der Grund, Herr Kollege Burgbacher, warum wir, wie Sie sich sicherlich erinnern können, im
Deutschen Bundestag nicht zugestimmt haben.
({1})
Wir haben nämlich gesagt, dass dieses Verfahren eine Angelegenheit der Exekutive ist, weil nur sie einschätzen
kann, welches Material - und auf welche Art und Weise bei einem solchen Verfahren eingeführt werden kann.
({2})
Dass hierbei Fehler gemacht worden sind, ist nach dem
heutigen Ausgang des Verfahrens ganz offensichtlich.
Hätten Sie von vornherein abgesehen, dass das Verfahren so ausgehen würde, wie es heute geschehen ist, wenn
aufseiten der Antragsteller entsprechend vorgegangen
wird, dann hätten Sie das Verfahren nie einleiten dürfen.
Herr Innenminister, ich komme zum zweiten Punkt - das
kann ich Ihnen nicht ersparen -: Spätestens zu dem Zeitpunkt, als das Bundesverfassungsgericht den bereits festgesetzten Termin für eine mündliche Verhandlung abgesagt hat, hätten insbesondere bei Ihnen die Alarmglocken
schrillen müssen.
({3})
Bedauerlicherweise haben Sie es zu diesem Zeitpunkt
besser gewusst als die Richter des Bundesverfassungsgerichts. Eigentlich war spätestens zu diesem Zeitpunkt abzusehen, auf welch gefährlichem Weg man sich bei diesem Verfahren aufseiten der Antragsteller unter Ihrer
Leitung befand.
Deswegen bleibe ich dabei: Wir haben von Anfang an
auf die Risiken hingewiesen. Leider hat sich das bewahrheitet. Während des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht ist ganz sicher auch von Ihnen nicht alles
richtig gemacht worden.
({4})
Herr Minister, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion.
Kollege Strobl, Sie tun etwas, das Sie in diesen Tagen
wiederholt getan haben: Sie behaupten angebliche handwerkliche Fehler, aber Sie benennen sie nicht.
({0})
Ich würde von Ihnen gerne erfahren - sagen Sie es mir
bitte konkret -, welcher handwerkliche Fehler dem Bundesministerium des Innern in diesem Zusammenhang
vorzuwerfen ist.
Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass ich nur die Begründungen in meinem Antrag zu verantworten habe.
({1})
In ihm befindet sich der Name nur einer Person, die früher einmal als Informant eines Landesamtes für Verfassungsschutz gedient hat; es ist Herr Frenz. Auf dessen
Äußerungen wird Bezug genommen. Ich sage Ihnen
aber: Die Tatsache, dass sich jemand, der früher einmal
Informationen an ein Verfassungsschutzamt geliefert hat,
später als NPD-Mitglied verfassungsfeindlich äußert
({2})
- lassen Sie mich doch ausreden, ich habe Ihnen vorhin
auch zugehört; seien Sie ein wenig geduldig, ich erkläre
es Ihnen doch mit aller Geduld -, macht doch dessen
Aussagen nicht bedeutungslos. Ich wüsste nicht, warum
das so sein sollte. Das ist jedenfalls meine Auffassung.
({3})
Ansonsten finden Sie in meinem Antrag nichts dergleichen. Ich habe mich im Wesentlichen auf öffentlich zugängliche Quellen gestützt.
({4})
Zweiter Punkt.
({5})
- Wo soll der Fehler sein? Sie sind so ungeduldig. Daran
merke ich, dass Ihnen allmählich aufgeht, dass Ihre Begründung ziemlich schwach ist.
({6})
Solange Sie mir nicht genau sagen, wo der Fehler begangen wurde - ({7})
- Sie wollen es ja offenbar nicht sagen. So können Sie
mit mir aber nicht umgehen. - Die Minderheit des Senats hat den Antragstellern insgesamt vorgeworfen, sie
hätten die Quellen nicht aufgedeckt oder die Beobachtungen vor Beginn bzw. während des Verfahrens nicht
eingestellt. Dazu habe ich hier am Pult schon das Notwendige gesagt.
Nun will ich Ihnen etwas zu Ihrer Haltung sagen: Sie
geben das falsch wieder. Sie haben das Verfahren unterstützt und gesagt: Die Bundesregierung und die Landesregierungen sollen das in Gang bringen. Ich stimme
Ihnen in diesem Punkt ja zu. Hier war ich mit der Entscheidung meiner Fraktion nicht einverstanden. Das
kann ja auch einmal passieren.
({8})
- Entschuldigung, das ist so. - Ich war nicht dafür, dass
der Bundestag einen eigenständigen Antrag stellt. Ich
habe gesagt, dass mir ein Entschließungsantrag ausreichen würde. Den hätte ich allerdings begrüßt.
Sie wissen, dass ich ursprünglich skeptisch war. Ich
habe mich von Herrn Kollegen Beckstein überzeugen
lassen. Ihm muss ich das Urheberrecht zuerkennen. Herr
Strobl, jetzt frage ich Sie: Wenn Sie schon kritisieren
wollen, warum richten Sie Ihre Kritik dann ausschließlich an mich? Wo ist die Kritik an Herrn Beckstein?
({9})
Wenn Sie in dieser Frage ehrlich wären, dann müssten
Sie Herrn Beckstein kritisieren. Aber dazu habe ich von
Ihnen keine Silbe gehört.
Deshalb halte ich das, was Sie hier veranstalten, für
die typische Form von „Haltet den Dieb!“. Lassen Sie
das! Damit kommen wir in einer solch schwierigen und
heiklen Frage nicht weiter.
({10})
Ich erteile Kollegen Norbert Barthle, CDU/CSUFraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister Schily, dass Sie zu dem Sportetat, einem
ebenfalls wichtigen Bereich in Ihrem Ministerium, keinen Satz gesagt haben, kann ich angesichts der nicht gerade erfreulichen Entwicklung verstehen, aber nicht ganz
nachvollziehen.
Herr Kollege Binding hat zu diesem Bereich gesprochen. Ich gebe den Dank für die gute Zusammenarbeit
ausdrücklich zurück, möchte aber doch sagen: Wenn rotgrüne Kollegen von „Verstetigung“ sprechen - so viel
habe ich schon gelernt -, meinen sie eine ständige Abwärtsentwicklung. Das muss man an dieser Stelle deutlich sagen. Ich habe noch knapp fünf Minuten Zeit, um
Ihnen anhand von fünf Punkten darzulegen, dass RotGrün den Sport nicht gefördert hat. Im Gegenteil: Die
rot-grüne Bundesregierung hat die Förderung des Spitzensports - das ist eigentlich ihre originäre Aufgabe - in
den vergangenen Jahren deutlich zurückgefahren.
Das betrifft vor allen Dingen die Investitionen für die
Einrichtungen des Spitzensports. Herr Schily, Sie haben
die Mittel für diesen Bereich ganz konkret um 40 Prozent gekürzt. Ich meine, dass dies angesichts der internationalen Herausforderungen kaum verantwortbar ist. Sie
zehren - das müssen Sie einfach sehen - von der Substanz. Goethe hat einmal gesagt:
Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es,
um es zu besitzen.
Diesen Satz sollten Sie sich immer wieder vor Augen
führen.
({0})
Der zweite Punkt betrifft die zentralen Maßnahmen.
Im Etat ist das die Größe, die für die Sportförderung von
eigentlicher Bedeutung ist. Ein Blick in den Haushalt
zeigt, dass der Ansatz in den vergangenen Jahren, so
auch für 2003, einigermaßen konstant geblieben ist
- wenn er auch unter dem aus den Jahren 1996 und 1998
liegt -, allerdings bei gleichzeitig ständig steigenden
Aufwendungen für Trainer und Trainingsmaßnahmen.
Was das in der Realität für den Sport bedeutet, kann jeder selbst ermessen.
Ich will nun zum dritten Punkt kommen. Er betrifft
den auch vom Kollegen Binding angesprochenen Goldenen Plan Ost. Im Wahlkampf 1998 war noch von zusätzlichen jährlichen Investitionen in Höhe von 50 Millionen Euro die Rede. 15 Millionen Euro sind es in den
letzten beiden Jahren geworden. 2003 sollten nach dem
Willen der Bundesregierung nur noch 8 Millionen Euro
eingestellt werden. Wir haben uns im Ausschuss auf
knapp 10 Millionen Euro geeinigt. Das ist angesichts der
vergangenen Jahre nur ein Trostpflaster; denn sowohl
die Investitionen für die Sportstätten als auch für den
Goldenen Plan Ost wirken sich in den einzelnen Kommunen aus.
Dass diese Notwendigkeit besteht, zeigt ein Blick in
die Sportstättenstatistik: 40 Prozent unserer Sportstätten
sind hierzulande sanierungs- und renovierungsbedürftig.
In den neuen Ländern sind es sogar 70 Prozent. Deshalb
kann ich nur raten, in diese Bereiche zu investieren. Das
belebt die Konjunktur und sichert unsere Zukunft.
({1})
Lassen Sie mich einen vierten Punkt anführen. In einem Bereich zeigt sich Rot-Grün verblüffend großzügig,
nämlich bei den repräsentativen Ausgaben im Zusammenhang mit der Austragung der Fußballweltmeisterschaft 2006 in unserem Lande. Unsere Fraktion steht
klipp und klar zu dieser Fußball-WM; das ist gar keine
Frage. Daran zweifelt niemand. Aber die Zusage, Herr
Schily, die Erlöse aus dem Münzverkauf - 30 Millionen Euro ab diesem Jahr - für ein Rahmenprogramm für
die WM zur Verfügung zu stellen, kommt einem Freibrief für das Organisationskomitee gleich.
Wir Parlamentarier haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, genau hinzuschauen, in welcher
Höhe und wofür diese Mittel verwendet werden sollen.
Deshalb haben wir dort gekürzt. Diese Kürzung richtet
sich nicht gegen den DFB. Dennoch wundert mich die
das Parlament gewissermaßen diskreditierende Reaktion eines WM-Mitorganisators angesichts dieser Kürzung um 1 Million Euro für das Organisationskomitee.
Ich meine, das ist auch für den größten deutschen Sportfachverband nicht akzeptabel. Herr Schily muss vielleicht noch lernen, dass der Haushalt hier im Parlament
und nirgendwo sonst entschieden wird.
({2})
Lassen Sie mich noch einen fünften Punkt anführen,
die sportwissenschaftlichen Einrichtungen. Im Haushalt heißt dieser Posten „Projektförderung für Sporteinrichtungen im Beitrittsgebiet“. Dahinter verbergen sich
das Institut für Angewandte Trainingswissenschaft in
Leipzig und die Forschungs- und Entwicklungsstelle für
Sportgeräte hier in Berlin. Beide sind Topadressen, die
für große Erfolge im Sport stehen. Auch für diesen Bereich sind die Mittelansätze nur geringfügig höher als im
Jahr 2002.
({3})
Über die Jahre hinweg muss man von einem Abbau
sprechen, nämlich deshalb, weil die Personalkosten die Kosten des FES sind zu 85 Prozent Personalkosten Jahr für Jahr steigen. Diese steigenden Personalkosten
können nur durch Personalabbau aufgefangen werden.
Hier appelliere ich an Sie: Stimmen Sie unserem Antrag,
die Mittel auf 7,5 Millionen Euro zu erhöhen, zu, um
den Bestand dieser für den Sport wichtigen Einrichtungen - dazu zählt auch das Bundesinstitut für Sportwissenschaft in Bonn - für die Zukunft zu sichern.
({4})
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Ich erteile dem Kollegen Volker Beck, Bündnis 90/
Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie
mich zunächst auf das Thema zu sprechen kommen, über
das gerade eine streitige Auseinandersetzung geführt
wurde. Ich glaube, die heutige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das NPD-Verbotsverfahren einzustellen, war eine Niederlage im Kampf gegen den
Rechtsextremismus.
({0})
Sie war aber gleichzeitig auch ein positives Signal, dass
selbst die schlimmsten Feinde des Rechtsstaates und der
Demokratie in Deutschland mit einem korrekten Verfahren rechnen können.
({1})
Wir haben anzuerkennen, dass eine Minderheit - die das
Recht hierzu hat - sich dafür entschieden hat, von ihrem
Volker Beck ({2})
Recht, dieses Verfahren einzustellen, Gebrauch gemacht
hat.
({3})
- Herr Kollege Wiefelspütz, das wollte ich gerade ausführen.
({4})
Gleichwohl muss ich sagen, dass ich die Argumentation der Minderheit nicht in allen Punkten zwingend
finde. Vor allen Dingen finde ich das Argument der
Mehrheit beachtlich, dass in einem Parteiverbotsverfahren das Gericht selber die Wahrheitsfindung zu betreiben
hat.
({5})
Denn Antragsteller in einem Verfahren sui generis ist
eben nicht die Staatsanwaltschaft. Deshalb hat mich das
Ergebnis gewundert.
Trotzdem muss ich sagen: Wir sollten jetzt keine Debatte der billigen Schuldzuweisungen führen.
Kollege Beck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Burgbacher?
Aber gerne doch. Wir haben uns ja heute Morgen in
Karlsruhe gesehen.
Herr Kollege Beck, Sie selbst waren ja ganz wesentlich daran beteiligt, dass dieser Antrag zustande kam.
Würden Sie denn mit mir übereinstimmen, dass es keinen
Sinn macht, am Bundesverfassungsgericht herumzukritteln, sondern dass man wenigstens jetzt die Erkenntnis
haben sollte - die übrigens damals nur die FDP hatte -,
dass es der falsche Weg war, einen Verbotsantrag zu stellen, da dieser Weg viel zu riskant war,
({0})
und dass es viel besser gewesen wäre, die Grundlagen
des Rechtsextremismus zu bekämpfen, anstatt sich in ein
solches Verfahren zu flüchten?
({1})
Herr Burgbacher, in unserer Fraktion gehörte ich immer zu denjenigen, die in dieser Einschätzung sehr vorsichtig waren und auch Bedenken hatten, diesen Weg zu
gehen.
({0})
Ich meine aber: Wenn sich im Parlament und in anderen
Verfassungsorganen eine Mehrheit für diesen Weg entscheidet, dann sollte man diesen Weg auch gemeinsam
und geschlossen gehen.
({1})
Wenn Sie sich einmal die offiziellen Dokumente dieser Partei anschauen, dann stellen Sie fest, dass Sie keinen einzigen V-Mann und keine weitere Erkenntnis benötigen, um zu der Auffassung zu gelangen,
({2})
dass diese Partei antisemitisch, rassistisch und widerlich
ist.
({3})
Auch im Bundestagsantrag wurde ausführlich dargelegt,
dass das Programm der Partei in vielen Punkten - von
den Formulierungen bis zur Ideologie - eine Wiederauflage des Parteiprogramms der NSDAP ist. Deshalb wäre
es richtig gewesen, im Ergebnis zu einem Verbot zu
kommen. Das ist leider nicht gelungen.
({4})
Jetzt müssen wir uns auf folgende Frage konzentrieren: Was sind die Konsequenzen dieser Entscheidung?
Ich glaube, Herr Kollege, dass es zwei Konsequenzen
gibt. Zum einen müssen wir sagen: Jetzt, da uns das
NPD-Verbotsverfahren als Instrument, zumindest vorübergehend, aus der Hand geschlagen ist, müssen wir uns
darauf konzentrieren, sowohl die NPD als auch die gesamte rechtsradikale Szene gesellschaftlich zu bekämpfen. Wir müssen sehen, wie wir denen die Jugendlichen
abgraben können, wie wir die Jugendlichen aus der Jugendmusikszene, die die Leute viel stärker als die dumpfen Postillen der NPD beeinflusst, herausholen können.
Deshalb geht die Diskussion, die im Rahmen des zuvor
debattierten Einzelplans in Bezug auf die Streichung der
entsprechenden Programme geführt wurde, in eine völlig
falsche Richtung. Wir müssen diese Programme vielmehr verbessern, sie ausbauen, stärken und so ausrichten, dass sie effizient funktionieren.
({5})
Herr Kollege Beck, gestatten Sie eine Nachfrage des
Kollegen Burgbacher?
Die gestatte ich, auch wenn ich noch zu der zweiten
Konsequenz ausführen wollte; aber dafür bleibt sicher
hinterher Zeit.
Herr Kollege Beck, bei der Einschätzung der NPD
sind wir uns alle in diesem Hause einig. Darum geht es
überhaupt nicht. Ich stelle daher die Frage: Sind Sie bereit, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu
akzeptieren und das zu tun, was die FDP schon seinerzeit wollte, nämlich Rechtsextremismus zu bekämpfen,
anstatt sich über den Verbotsantrag zu streiten?
Herr Kollege, wenn Sie mir vorhin zugehört hätten,
dann wüssten Sie die Antwort auf die Frage schon, denn
ich habe gerade appelliert, das zu akzeptieren, obwohl es
eine Entscheidung einer Minderheit ist. Die Minderheit
hat aber nach unserem Bundesverfassungsgerichtsgesetz das Recht zu einer solchen Entscheidung. Wir müssen das akzeptieren und darüber nachdenken, was uns
dieser Vorgang lehrt.
Dieser Vorgang lehrt nicht nur - erstens -, dass es nötig ist, den Rechtsextremismus gesellschaftlich zu bekämpfen, sondern er lehrt uns zweitens auch, dass wir
über die Rolle der Verfassungsschutzämter und über
deren Reform nachdenken müssen.
({0})
Zu Ihnen, Herr Kollege Strobl. Bei Ihnen - wie bei
Herrn Röttgen und Herrn Bosbach - ist mir die selbstgefällige Auseinandersetzung mit diesem Thema aufgefallen, nach dem Motto: Schily hat einen Fehler gemacht
und wir machen uns einen schlanken Fuß. Wenn das
NPD-Verbotsverfahren scheitert, dann finde ich es kleinlich, dass sich die demokratischen Parteien auf diesem
Niveau zerstreiten. Wir müssen uns im Kampf gegen die
NPD einig sein.
({1})
Herr Kollege Strobl, wenn Sie den Gerichtsentscheid
gelesen hätten, dann würden Sie sich hier nicht so aufplustern. Bundesrat, Bundesregierung und Bundestag
haben gemeinsam Anträge gestellt. Das Gericht rügt ausdrücklich an einigen Stellen die Verfassungsschutzämter
von Thüringen, Berlin, Hessen und - ganz vorneweg Bayern.
({2})
Bayern ist in diesem Schriftsatz bei den problematischen
Punkten ganz prominent. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten aus der Entscheidung einen Punkt, den ich - das
räume ich ein - in der Tat für etwas problematisch halte:
Schließlich hat noch nach Eingang der Verbotsanträge in Richtung eines weiteren Mitglieds des Bundesvorstandes der Antragsgegnerin, Jürgen Distler,
ein Anwerbeversuch stattgefunden. Das ergibt sich
aus dem Schreiben des Präsidenten des Bayerischen
Landesamts für Verfassungsschutz vom 19. Februar
2002 an das Bundesverfassungsgericht.
Man hat nach Einreichung der Anträge versucht, im
Bundesvorstand weitere V-Leute zu finden.
({3})
Wenn es darum geht, wer hier Fehler gemacht hat, dann
sollten die Freunde von Herrn Beckstein in dieser Diskussion besser schweigen. Sie sollten sich lieber mit uns
daran machen, zu überlegen, was jetzt im Kampf gegen
den Rechtsextremismus zu tun ist.
({4})
Einer weiteren Debatte dürfen wir nicht ausweichen:
Wir haben uns als Parlamentarier genauso geärgert wie
manche bei Gericht, dass wir nicht wussten, dass sich in
den Materialien, die uns für den Sachvortrag vor Gericht
gegeben wurden, Zitate von V-Leuten fanden, die nicht
offengelegt waren. Ich glaube, es gibt so viel erdrückendes Beweismaterial, dass das nicht notwendig war. Wie
kam es zu diesen Materialien? Die Landesämter haben
sich gegenseitig trotz der Hinweise der Bundesebene gescheut, offenzulegen, dass das andere Landesamt den eigenen V-Mann zitiert. Sie haben sich nicht in die Karten
schauen lassen wollen.
Das heißt für mich ganz klar: Entweder wir kommen
zu einer anderen Organisation im Bereich des Verfassungsschutzes oder wir sorgen in Bezug auf die V-Leute
für eine zentrale Kartei, sodass so etwas nachvollzogen
werden kann. Diese zentrale Kartei muss dann aber auch
der parlamentarischen Kontrolle des Deutschen Bundestages unterliegen.
Man muss sicherlich auch darüber reden, ob wir mit
unserem parlamentarischen Kontrollgremium wirklich
über die notwendige Eingriffstiefe in der Kontrolle verfügen oder ob wir dieses Gremium nicht dadurch stärken
müssen, dass wir ihm einen Geheimdienstbeauftragten
zur Seite stellen.
({5})
- Das ist übrigens eine sozialdemokratische Idee, Herr
Wiefelspütz. Wir können gerne darüber diskutieren, wie
wir die parlamentarische Kontrolle stärken können.
({6})
Aber ich denke, in diesem Fall ist uns einiges durchgegangen. Das sollte uns zumindest dazu bringen, eine konstruktive Debatte über die Intensivierung der Kontrolle,
aber auch über die Verbesserung der Zusammenarbeit zu
führen. Ich freue mich, dass Sie sich so engagieren, Herr
Volker Beck ({7})
Wiefelspütz. Das wird sicherlich eine spannende Diskussion innerhalb der Koalition. Darin haben wir einige
Übung; das werden wir schon gut hinbekommen.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über Einzelplan 06
- Bundesministerium des Inneren - in der Ausschussfassung. Hierzu liegen drei Änderungsanträge vor, über die
wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/621? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
FDP auf Drucksache 15/622? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit derselben
Mehrheit wie eben abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
FDP auf Drucksache 15/623? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit derselben
Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Einzelplan 06
- Bundesministerium des Inneren - in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 06 ist mit den Stimmen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen CDU/CSU und
FDP angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe auf:
11. Einzelplan 07
Bundesministerium der Justiz
- Drucksachen 15/557, 15/572 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Heinz Köhler
Alexander Bonde
12. Einzelplan 19
Bundesverfassungsgericht
- Drucksachen 15/556, 15/752 Berichterstattung:
Abgeordnete Otto Fricke
Bernhard Kaster
Zu Einzelplan 07 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat schon wieder der Kollege Norbert Barthle. Herzlich willkommen
am Mikrofon. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
bitte darum, dem Redner die Chance zu geben, ungestört
zu reden. Ich bitte Sie, Ihre Gespräche außerhalb des
Plenarsaals zu führen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Leider muss ich gleich zu Beginn meiner Rede etwas
zum Justizhaushalt anmerken, das auch für den gesamten
Haushaltsplan gilt, nämlich dass das gesamte Werk eigentlich schon zum Zeitpunkt der Einbringung Makulatur ist, weil Sie wie schon vor der Bundestagswahl im
vergangenen Jahr konkrete Zahlen und Daten zur wirtschaftlichen Entwicklung nicht zur Kenntnis nehmen.
Dass die Beratungen zum Justizetat trotzdem so gut
und harmonisch verlaufen sind, liegt sicherlich daran,
dass es sich um einen kleinen, aber feinen Etat handelt,
der sich mit seinem Anteil von gerade einmal 0,14 Prozent am Gesamtetat und einem hohen Personalkostenanteil nicht als Steinbruch für Millionen oder Milliarden
Euro eignet. Es liegt aber auch daran, dass uns mit Frau
Ministerin Zypries, dem Parlamentarischen Staatssekretär Hartenbach und Staatssekretär Dr. Geiger eine Ministeriumsleitung gegenübersteht, mit der die Zusammenarbeit Freude macht.
({0})
Der Umgang miteinander war von Achtung und Fairness geprägt. Das möchte ich ausdrücklich feststellen
und Sie bitten, den Dank an Ihr Haus weiterzugeben.
Ich danke auch den Berichterstatterkollegen
Dr. Köhler, Bonde und Fricke für die angenehme Arbeitsatmosphäre. Ich hoffe, dass das so bleibt, solange
Rot-Grün regiert.
Der Haushalt des Bundesjustizministeriums für 2003
umfasst 345 345 000 Euro. Das sind 188 000 Euro weniger als 2002. Damit wird anscheinend ein maßvoller
Beitrag zu den Sparanstrengungen geleistet. Doch dieses Bild trügt. Zusammen mit den titelscharf heruntergebrochenen Einsparungen im Personalbereich in Höhe
von 1,246 Millionen Euro und der verbleibenden globalen Minderausgabe in Höhe von 5,416 Millionen Euro
leistet Ihr Etat, Frau Zypries, 6,662 Millionen Euro und
damit einen weit überdurchschnittlichen Sparbeitrag.
Dass dieser zum großen Teil bei den Beamtinnen und
Beamten des Generalbundesanwalts realisiert wird, ist
angesichts unserer aktuellen Sicherheitslage aus meiner
Sicht eine doch zweifelhafte Entscheidung.
({1})
Glücklicherweise sagt die Größe eines Haushalts
nichts über seine Bedeutung aus. Ihr Haus hat als oberstes und kostbarstes Gut die Pflege unseres Rechts und
damit des Fundaments unserer freiheitlichen Demokratie
zur Aufgabe. Ich hoffe, dass Sie diese auch entsprechend
wahrnehmen. Wenn man nicht viel Geld hat, dann muss
man sich besonders sorgfältig überlegen, wofür man es
ausgibt. Es bedarf also intelligenter Schwerpunktsetzungen. Wenn ich mir die Titel Ihres Einzelplans 07 anschaue, die einen Aufwuchs verzeichnen, dann muss ich
Ihnen bestätigen, dass Sie dieser Verantwortung größtenteils gerecht worden sind.
Die Ausgaben für die Bezüge der Richter und Beamten am Bundesgerichtshof steigen um 1,574 Millionen
auf 16,271 Millionen. Das hängt damit zusammen, dass
diese Behörde nicht am linearen Personalabbau teilnehmen kann und dass dort gute Arbeit - 13,9 Prozent mehr
Rechtssachen wurden erledigt - geleistet wird. Deshalb
ist dieser Aufwuchs zu rechtfertigen, genauso wie die
Erhöhung der Mittel für die Informationstechnik auf
1,363 Millionen Euro. Das hängt mit der Einführung
des elektronischen Rechtsverkehrs zusammen. Hier ist
der Bundesgerichtshof Vorreiter. Er zeigt - zunächst
noch exemplarisch -, wie in Zeiten knapper öffentlicher
Mittel die Justiz durch effiziente Arbeitstechniken entlastet und die Qualität der Arbeit dennoch gewährleistet
werden kann. Bisher ist die Judikative in Sachen ITTechnologie der Entwicklung immer hinterhergehinkt.
Es wäre zu begrüßen, wenn sie auch einmal Vorreiter
sein könnte.
Einer der wenigen Dissenspunkte in unseren Berichterstattergesprächen betraf den Titel 68 101, nämlich die
Härteleistungen für Opfer rechtsextremistischer Übergriffe. Niemand in diesem Hohen Hause zweifelt daran,
dass Rechtsextremismus nicht geduldet werden darf.
Niemand von uns darf wegschauen, wenn Menschen
Opfer rechtsextremistischer Gewalt zu werden drohen.
Ich begrüße es deshalb, dass die Fallzahlen rückläufig
sind. Während 2001 noch 210 Entschädigungsanträge
gestellt wurden, waren es 2002 nur noch 116. Die Wachsamkeit der Demokraten zeigt also Wirkung. Aber diese
Wirkung muss sich gegenüber jeder Form von Extremismus entfalten.
({2})
Unser Mitgefühl und unsere Hilfsbereitschaft muss allen
Opfern extremistischer Gewalt gelten; denn den Opfern ist es schließlich egal, ob sie von rechter, linker, religiös oder rassistisch motivierter Gewalt betroffen sind.
Mit Ihrer Entscheidung, Frau Zypries, den entsprechenden Titel bei 1 Million Euro zu verstetigen, setzen Sie
den ideologisch verbohrten Irrweg fort, anstatt endlich
zuzugeben, dass es darum geht, generell Opfern zu helfen.
({3})
Meine letzten Bemerkungen betreffen eines der Kronjuwelen in Ihrem Etat: das Deutsche Patent- und Markenamt. Wir sind uns einig, dass dieses Amt - vor allem
im Wandel hin zu einer modernen Dienstleistungsunternehmung - von großer Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Deutschland ist. Seine Funktionsfähigkeit gilt es
daher zu erhalten. Was den Justizetat angeht, ist man in
der - nur selten vorkommenden - glücklichen Situation,
fast 80 Prozent der Ausgaben durch eigene Einnahmen
zu erwirtschaften. Das Gros dieser Einnahmen kommt
vom Deutschen Patent- und Markenamt; deshalb dürfen
wir diese Sau nicht schlachten, sondern wir müssen sie
mästen.
({4})
Herr Kollege Ströbele, die Regierungskoalition hat
den Etat für das DPMA um 246 000 Euro gekürzt,
({5})
und das bei einem Überhang an Patentanträgen. Ich
meine, es gibt intelligentere Lösungen. Wir hätten eine
solche Kürzung nicht vorgenommen.
({6})
Auch ich kann nicht abschätzen, ob es angesichts dieser Kürzungen überhaupt möglich sein wird, die geplante Einstellung von 60 neuen Patentprüfern in diesem
Amt vorzunehmen. Ich meine, das wäre notwendig, das
wäre der richtige Weg, den man folglich beschreiten
muss, um den Standort Deutschland zu stärken und die
von Rot-Grün mit verursachte tiefe Wirtschaftskrise in
unserem Land zu mildern.
Allein diese beiden Punkte reichen aus, um zu dem
Schluss zu kommen, dass wir Ihrem Etatentwurf, Frau
Ministerin, leider, nicht zustimmen können.
({7})
Danke.
({8})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Heinz Köhler,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Leitlinie für die Haushaltsberatungen 2003
waren für uns Konsolidieren und Gestalten. Ich denke,
dass wir das Ziel „Konsolidieren und Gestalten“ mit dem
Haushalt 2003 insgesamt erreichen. Das gilt natürlich
auch für die Einzelhaushalte, in diesem Zusammenhang
für den Haushalt des Bundesministeriums der Justiz und
für den Haushalt des Bundesverfassungsgerichts.
Hinter uns liegt in jedem Fall eine schwierige Operation; schließlich mussten wir neben der etatisierten globalen Minderausgabe eine zweite globale Minderausgabe teilweise auflösen, was für kleine Haushalte wie die
des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesverfassungsgerichts natürlich Schwierigkeiten bereitet.
Der Kollege Barthle hat darauf hingewiesen, dass
beide Haushalte klein sind. Sie beinhalten im Wesentlichen Mittel für Personal- und Sachausgaben. Gerade was
Einsparungen betrifft, ist der Gestaltungsspielraum dort
relativ klein. Aber unter dem Strich ist festzuhalten: Wir
haben es bei beiden Haushalten geschafft, sowohl zu
konsolidieren als auch mitzugestalten. Das ist, wie gesagt, insgesamt ein gutes Ergebnis. Der Umfang des
Haushalts des Jahres 2003 ist geringer als der des Jahres
2002 und wesentlich geringer als der des Jahres 1998.
Das zeigt, dass diese Regierungskoalition seit 1998 einen klaren Konsolidierungskurs erfolgreich fährt.
({0})
Konsolidierung ist die eine und Gestaltung ist die andere Seite beim Aufstellen eines Haushalts. Was den Gesamthaushalt betrifft, haben wir nicht nur konsolidiert,
sondern auch gestaltet. Dass wir auch in den kleinen
Haushalten des Bundesministeriums der Justiz und des
Bundesverfassungsgerichts gestaltend gewirkt haben,
möchte ich hier an wenigen Eckpunkten verdeutlichen:
Erstens. Im Hinblick auf den Haushalt 2003 war es
uns wichtig, die erfolgreiche Reformpolitik auf dem Gebiet des Rechts, die seit 1998 betrieben wird, haushaltsmäßig abzusichern. Ich denke, wir werden dieses Ziel
mit den finanziellen Rahmenbedingungen dieses Haushalts erreichen; denn Rechtspolitik ist Gesellschaftspolitik und sie hat daher eine hohe Bedeutung für unsere
Demokratie.
({1})
Zweitens. Es ist uns gelungen, im Haushalt 2003 die
Erhöhung der Verwaltungskostenerstattungen des Bundes an die Länder in Höhe von 1,5 Millionen Euro für
die Unterbringung der Strafgefangenen, für die der Bund
zuständig ist, in Haftanstalten der Länder finanziell abzusichern. Damit wird eine langjährige „Hängepartie“
haushaltsmäßig erfolgreich abgeschlossen.
Drittens. Mit einem neuen Etatansatz von 9 Millionen
Euro für einen Entschädigungsfonds für Opfer terroristischer Gewalt haben wir die Grundlage gelegt, um
die Entschädigung von Menschen, die unverschuldet
Opfer des Terrorismus in New York, Bali oder Djerba
wurden, zu ermöglichen. Dieser Etatansatz geht auf eine
Zusage des Bundeskanzlers zurück. Es war sehr wichtig,
nicht nur ein Zeichen zu setzen, sondern auch, die entsprechenden Mittel zu etatisieren, damit auf diese Art
und Weise diejenigen Menschen, die unverschuldet Opfer terroristischer Gewalt werden, durch die Gemeinschaft angemessen entschädigt werden können. Auf diesem Weg setzt man auch ein finanzielles Zeichen der
Solidarität mit diesen Menschen, die, wie gesagt, unverschuldet Opfer dieser Gewalt geworden sind.
({2})
Wir haben auch in diesem Haushalt wieder 1 Million Euro für Entschädigungen für Opfer rechtsextremistischer Übergriffe eingesetzt; der Kollege Barthle
hat sich damit kritisch beschäftigt. Ich will dieses Thema,
das offensichtlich in jeder Haushaltsberatung eine große
Rolle spielt, heute nicht vertiefen. Ich will nur darauf hinweisen, dass wir in unserem Land nach wie vor erhebliche Gewalt mit rechtsextremem Hintergrund haben. Die
Zahlen für Januar zeigen das sehr deutlich: immerhin
33 Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund. Deswegen müssen wir dieses weiterhin veranschlagen
({3})
und damit gleichzeitig ein Zeichen gegen rechtsextreme
Gewalt setzen.
({4})
Der sicherlich wichtigste Bereich, der Schwerpunkt in
finanzieller Hinsicht in diesem Haushalt - der Kollege
Barthle hat darauf hingewiesen - ist das Deutsche
Patent- und Markenamt. Das Deutsche Patent- und
Markenamt spielt natürlich eine wichtige Rolle für den
Wirtschaftsstandort Deutschland. Es sind Krokodilstränen, die Sie vergossen haben, Kollege Barthle, als Sie
gesagt haben, welch große Bedeutung das Deutsche
Patent- und Markenamt habe. Beim Deutschen Patentund Markenamt ist Mitte der 90er-Jahre heruntergefahren worden - zum Nachteil des Wirtschaftsstandorts
Deutschland.
({5})
Um das nur an einer Zahl festzumachen: Die Zahl der
Patentprüfer ist von 660 auf 550 gesunken.
Zum Abbau des Bearbeitungsstaus haben wir in den
letzten Jahren durch einen Maßnahmenkatalog die Zahl
der Stellen wieder erhöht. In diesem Jahr werden es
77 neue Stellen sein, davon 60 für Patentprüfer. Auf diese
Art und Weise soll der Rückstand abgebaut werden. Aber
das dauert Zeit. Wir werden den Zenit, was die nicht bearbeiteten Anträge angeht, erst Ende des Jahres überschreiten. Erst jüngst hat der Präsident des Patentamts,
Dr. Jürgen Schade, auf seiner Pressekonferenz darauf
hingewiesen, dass im letzten Jahr der Stau um 12 Prozent
überdurchschnittlich abgebaut werden konnte. Die Maßnahmen, die durch das Ministerium eingeleitet worden
sind, zeigen also Wirkung.
Gerade die Entwicklung beim Deutschen Patent- und
Markenamt zeigt, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland nicht so schlecht ist, wie das die Opposition gelegentlich darzustellen versucht.
({6})
Um die Zahlen in Erinnerung zu rufen: Es gab 1993
41 000 Patentanmeldungen. 1998 waren es bereits
57 000. Im Jahr 2002 waren es über 63 000 Patentanmeldungen. Gerade auch bei den Anmeldungen im internationalen Bereich mit Bestimmungsland Deutschland gibt
es eine überdurchschnittliche Zunahme, nämlich eine
von über 10 Prozent. Der bayerische Ministerpräsident
hat hier am letzten Freitag von einem „Sanierungsfall
Deutschland“ gesprochen. Dazu kann ich nur sagen: Er
weiß nicht, wovon er spricht. Es geht nur darum, dieses
Land schlecht zu reden.
({7})
- Es ist so.
Wir sehen im Deutschen Patent- und Markenamt ein
Aushängeschild des Wirtschaftsstandorts Deutschland.
Wir werden es weiterhin auch finanziell unterstützen,
um auf diese Art und Weise dazu beizutragen, dass es in
unserem Land aufwärts geht. Wir versichern dem Deutschen Patent- und Markenamt unsere Unterstützung
auch in finanzieller Hinsicht.
Ich will damit zum Schluss kommen und Ihnen, Frau
Ministerin, und den Kollegen Mitberichterstattern für die
gute Zusammenarbeit danken. Eine gute Zusammenarbeit werden wir, wie ich hoffe, auch in den nächsten Jahren praktizieren.
In diesem Sinne herzlichen Dank.
({8})
Es war die erste Rede des Kollegen Köhler. Herzlichen Glückwunsch!
({0})
Ich erteile dem Kollegen Rainer Funke, FDP-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundesjustizministerium wird zu Recht als klassisches Ministerium bezeichnet, nicht nur deshalb, weil es der guten Tradition entspricht, sondern auch deshalb, weil es
für die Aufrechterhaltung und Entwicklung unseres
Rechtstaats eine zentrale Funktion innerhalb der Regierung wahrnimmt.
({0})
Neben der inneren und der äußeren Sicherheit ist die
Wahrung des Rechtsstaats Kernaufgabe des Staats. Im
Interesse unserer Demokratie darf der Haushalt des Justizministeriums nicht den allgemeinen Sparzwängen geopfert werden. Das Justizministerium muss mit den Mitteln ausgestattet werden, die es zur Erfüllung seiner
Aufgaben unbedingt benötigt.
({1})
Diese Aufgaben sind auch in dieser Legislaturperiode
vielfältig.
Großer Bedarf besteht zum Beispiel beim Betreuungsrecht. Seit 1999 denken wir im Bundestag über
eine Novellierung nach, weil wir inzwischen wissen,
dass das 1988 gefundene Gesetz gegenüber dem früheren Entmündigungsrecht viele bedeutende und gute
Rechtsänderungen gebracht hat, dass es aber in einigen
Teilen nicht mehr praktikabel ist und dass Verfahrensabläufe verschlankt werden müssen.
({2})
In einer überfraktionellen Arbeitsgruppe unter der
Leitung von Frau von Renesse haben wir uns in der letzten Legislaturperiode mit diesen Fragen beschäftigt. Ich
denke, wir müssen in dieser Legislaturperiode zu Potte
kommen, wie wir in Norddeutschland sagen. Dazu bedarf es auch der personellen Ressourcen des Bundesjustizministeriums.
Die eben angesprochenen Verschlankungsnotwendigkeiten bestehen natürlich auch im Familienrecht, insbesondere im Unterhaltsrecht und im Scheidungsfolgenrecht. Die Vorschläge des Deutschen Juristentages zum
Erbrecht sollten in dieser Legislaturperiode zumindest
aufgegriffen werden. Ich weiß, dass sie in dieser Legislaturperiode nicht Eingang ins Bundesgesetzblatt finden
werden, aber sie müssen zumindest politisch diskutiert
werden.
Im Bereich des Wirtschaftsrechts muss dringend das
Bilanzrecht fortentwickelt werden; denn wir haben uns
in § 292 a HGB als Gesetzgeber selbst gebunden, indem
wir festgelegt haben, dass das bisherige Konzernbilanzrecht nur bis zum 31. Dezember 2004 gilt. Danach müssen wir die europarechtlichen Vorgaben mit umgesetzt
haben. Ich nenne hier die Stichworte IAS und US-GAPP.
Wir sind uns auch einig, dass im Wirtschaftsrecht die
Grundsätze der Baums-Kommission und die CorporateGovernance-Regelungen umgesetzt werden sollen, und
zwar möglichst schnell, damit der Finanzmarkt Deutschland innerhalb Europas wieder gestärkt werden kann.
Das Urheberrecht wird uns in der gesamten Legislaturperiode begleiten. Vielleicht kommt die Koalition in
den nächsten Tagen zu einer Einigung.
({3})
Dann können wir wenigstens den ersten Teil des Urheberrechts abhaken. Den schwierigeren Teil hat man noch
aufgespart; wir legen ihn, vornehm gesagt, in den zweiten Korb.
({4})
- Herr Tauss, ich glaube, Sie sollten sich in dieser Beziehung etwas zurückhalten.
({5})
Denn die Verhandlungen über den ersten Korb waren nur
wegen der Koalition schwierig. Wir hätten mitgearbeitet,
wenn man uns gelassen hätte. Aber Sie konnten sich
nicht einigen.
({6})
Hinzu kommt, dass der Reformeifer der früheren Ministerin
({7})
zu zahlreichen Mängeln bei den angeblichen Jahrhundertgesetzen geführt hat, die jetzt insbesondere im prozessualen Bereich repariert werden müssen.
Last, but not least sind zahlreiche schwierige europarechtliche Vorschriften in nationales Recht umzusetzen.
Auch das bindet natürlich Kapazitäten.
Ich erwähne dies, weil ich nicht möchte, dass der Justizhaushalt die qualifizierten Kapazitäten des Hauses
weiter ausdünnt. Im Gegenteil, das Justizministerium
braucht eher eine personelle Verstärkung; denn es ist noch
viel zu tun, vielleicht nicht so sehr im strafrechtlichen
Bereich, obwohl es häufig, aus welchen Richtungen
auch immer, den Ruf nach mehr und schärferen strafrechtlichen Bestimmungen gibt, die aber die Sicherheit
eher nicht verstärken. Jedoch bedarf es zum Beispiel in
den Bereichen Prävention und Strafrechtssanktion
grundlegender Überlegungen, die in dieser Legislaturperiode auch in Angriff genommen werden müssen.
Meine Damen und Herren, das deutsche Rechtssystem ist sicherlich eines der besten in der Welt, wenn es
auch sehr kompliziert ist. Aber insgesamt können wir
Deutschen auf unser Rechtssystem stolz sein. Es könnte
durchaus wie zum Beispiel die DIN ein Exportschlager
sein, wenn alle Wünsche von Entwicklungsländern und
Schwellenländern, aber auch von einigen Industrieländern berücksichtigt werden könnten. Die Deutsche Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit leistet
auf diesem Gebiet hervorragende Hilfe. Allerdings ist
die Zusammenarbeit mit der GTZ und dem Entwicklungshilfeministerium verbesserungswürdig. Deswegen
wäre eine bessere Koordinierung angebracht. Man sollte
auf die Egoismen im Entwicklungsministerium keine
Rücksicht nehmen.
({8})
Meine Damen und Herren, wir Liberalen werden die
Arbeit des Bundesjustizministeriums im Interesse unserer deutschen Rechtsordnung und der Rechtsstaatlichkeit
konstruktiv begleiten. Wir danken den Mitarbeitern des
Ministeriums für ihre engagierte Arbeit.
({9})
Nun hat Kollege Jerzy Montag, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollegin
Mantel hat in der Debatte über den Haushalt des Innenministeriums ein sehr schönes Farbspiel angesprochen:
Die Hoffnung sei grün, die Zahlen seien rot. Sie hat sich
geirrt. Die Hoffnung ist grün und die Zahlen des Haushalts sind schwarz. Leiten Sie aber aus dieser Farbenlehre keine übertriebenen Hoffnungen für sich ab. Der
Gesamthaushalt ist rot-grün, weil er Ausdruck einer guten rot-grünen Politik ist.
({0})
Besonders beim Justizhaushalt, meine Damen und
Herren von der Opposition, haben Sie mit der Lupe nach
irgendetwas suchen müssen, um mit schwächsten Argumenten zu begründen, warum Sie gerade diesen Haushalt ablehnen wollen.
Im Vergleich zu vielen anderen Posten des Bundeshaushalts haben wir es beim Justizhaushalt mit einem
sehr geringen Volumen zu tun. Wir sprechen über
347 Millionen Euro von insgesamt 248 Milliarden Euro,
also weniger als 1,5 Promille. Zur Verdeutlichung: Bei
gleichmäßiger Aufteilung des Haushalts auf Ministerien
hätten wir es mit einem Kabinett von über 750 Ministerinnen und Ministern zu tun. Dennoch bestehen keine
Zweifel an der großen Reichweite und dem Einfluss der
Rechtspolitik auf praktisch alle Gebiete der Gesellschaft
bis tief hinein in das Privatleben jedes einzelnen Bürgers.
Das Bundesjustizministerium und die Bundesgerichte
der Bundesrepublik Deutschland, herausragend hierbei
das Bundesverfassungsgericht - das sage ich ganz bewusst auch am heutigen Tage -, achten auf die Verfassungsmäßigkeit neuer und wachen über die Einhaltung
bestehender Gesetze und den rechtmäßigen Gesetzesvollzug. Deswegen handelt es sich hierbei um bestens
angelegtes Geld.
Angesichts der Bedeutung des rechtspolitischen Diskurses und meiner überaus kurzen Redezeit will ich weder
aufzählen, was die Koalition bisher schon in der Rechtsund Justizpolitik geleistet hat, noch, was sie im nächsten
Jahr rechts- und justizpolitisch vorhat. Sie kennen unser
Programm, ich nenne beispielhaft das Antidiskriminierungsgesetz im Privatrecht, die Reform des Sexualstrafrechts und dann folgend die Sanktionenrechtsreform, unseren Willen zur stärkeren Haftvermeidung und zur
Begrenzung der wuchernden Telefonüberwachung und
wir kennen Ihre Kritik daran. Bei der notwendigen Neuordnung und Heraufsetzung der Rechtsanwaltsvergütung
werden wir uns vielleicht sogar zu einer gemeinsamen
Stellungnahme zusammenfinden.
Ich will auf eine aktuelle und grundsätzliche Rechtsfrage eingehen, auf das Verbot der Folter. Der stellvertretende Polizeipräsident von Frankfurt am Main hat bei
der aktenkundigen Dokumentation der beabsichtigten
Folterung eines Gefangenen eine Debatte entfesselt, die
an die Substanz des Rechtsstaates geht und am Grundkonsens unseres demokratischen Verfassungs- und
Grundrechtsstaates rüttelt. Manche scheuen eine Debatte
darüber und wollen befürchteten Tabubrüchen in dieser
Diskussion durch einen möglichst schnellen Übergang
zur Tagesordnung begegnen. Das wird aber nicht gelingen und wäre ein großer Fehler.
({1})
Die in Frankfurt dokumentierte Folterandrohung war ein
kalkulierter und ein beabsichtigter Tabubruch. Darüber
müssen wir in aller Offenheit reden, auch im Bundestag.
Neu und unerhört an diesem Vorgang ist, dass erstmals die Behauptung aufgestellt wurde, Folter sei ein
denkbares Verhalten der Staatsgewalt gegenüber Menschen im staatlichen Gewahrsam. Ich meine demgegenüber, dass wir alle in diesem Hause festhalten sollten:
Folter ist durch internationale Pakte, die zur grundrechtlichen Grundausstattung auch in Deutschland gehören,
und durch die Verfassung selbst unter allen Umständen,
absolut und abwägungsfest verboten.
({2})
Das gilt für die Androhung von Folter gleichermaßen.
Ich will an dieser Stelle Herrn Parlamentarischen
Staatssekretär Hartenbach ausdrücklich danken, der dies
für die Bundesregierung glasklar formuliert hat. Eine
entsprechende Stellungnahme des Bundestages steht
noch aus.
Folter ist mehr als Körperverletzung im Amt und
mehr als Aussageerpressung. Folter macht ihren Opfern
streitig, ein Mensch mit unveräußerlichen Rechten zu
sein. Sie macht Menschen zu Körpern und Subjekte zu
Objekten staatlichen Handelns. Deshalb ist Folter ein
zentraler Angriff auf die Würde des Menschen, die nach
Art. 1 der Verfassung unantastbar ist. „Unantastbar“ ist
keine Verfassungslyrik aus alter Zeit. Gerade in der Folterdebatte erweist dieses Wort seinen vollen Sinn. Es ist
nicht erlaubt, einen Menschen in seiner Würde anzutasten. Wer dies infrage stellt - einige Unionspolitiker haben das getan -, der öffnet die Büchse der Pandora.
({3})
Das dürfen wir nicht zulassen, wenn wir nicht wollen,
dass Folter bei uns in Deutschland zu einem denkbaren
Mittel staatlichen und polizeilichen Handelns wird.
({4})
Meine Damen und Herren, wir werden uns rechtsund justizpolitischen Aufgaben auch in diesem Jahr beherzt zuwenden. Wir rechnen mit Ihrer Kritik. Wir hoffen aber auch auf Zustimmung im Einzelfall. Ich bitte
und fordere Sie alle darüber hinaus auf, zu einer uns alle
einenden Ächtung der Folter durch das Parlament unseres Landes, durch den Deutschen Bundestag, zu kommen.
Danke schön.
({5})
Ich erteile das Wort Kollegen Norbert Röttgen, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Bundesjustizministerin, Sie sind jetzt fast 150 Tage, so lange wie
die neue Regierung, im Amt. Darum bietet diese Debatte
Gelegenheit, den Start der Regierung zu bilanzieren. Sie
wissen, dass wir immer das Gute bei Ihnen suchen.
({0})
Aber leider können wir es auch in der Rechtspolitik bei
Ihnen nicht finden.
({1})
Wir haben eine vernünftige Basis für ein Gespräch
gefunden; das erkennen wir an. Aber in der Sache war es
kein guter Start der neuen Regierung auf dem Gebiet der
Rechtspolitik. Nach dem gescheiterten Aktionismus der
Vergangenheit hat sich nun eine gewisse rechtspolitische
Lustlosigkeit breit gemacht.
({2})
Von Elan und Konzepten ist nirgendwo etwas zu spüren.
Es gibt nicht sehr viele Ergebnisse. Die wenigen Ergebnisse, die wir feststellen können, sind negativ. Ich werde
und muss sie gleich benennen.
Kollege Barthle hat schon auf den Bundeshaushalt
hingewiesen, der natürlich nur eine geringe rechtspolitische Relevanz aufweist. Aber an einer Stelle geht es
nicht um viel Geld, sondern um eine politische Grundsatzfrage. Das betrifft die Ungleichbehandlung von
Opfern extremistischer Gewalt, die in diesem Haushalt
versteckt ist.
({3})
Wir haben auch im Ausschuss darüber debattiert. Die
Opfer rechtsextremistischer Gewalt erhalten eine Härtefallleistung. Den Opfern anderer extremistischer Gewalt
wird diese Leistung verweigert. Derjenige Bürger, der
von einem Rechtsradikalen zusammengeschlagen wird,
bekommt eine Leistung des Staates. Demjenigen, der
von einem Linksradikalen zusammengeschlagen wird,
wird diese Leistung verweigert. Das ist zutiefst ungerecht. Es geht nicht um viel Geld; diese Ungerechtigkeit
ist empörend.
({4})
Ich kann nicht nachvollziehen, dass Sie den Bürgern
eine solche Ungerechtigkeit zumuten, indem Sie aufgrund der politischen Motivation von Gewalt unterscheiden, ob ein Opfer eine Leistung bekommen darf oder
nicht. Das müssen Sie korrigieren. Ich sage Ihnen: Wir
sind enttäuscht, dass Sie nicht die Kraft aufbringen,
diese Sache zu korrigieren.
Ein weiteres negatives Ergebnis betrifft die Preisgabe
der jahrelang fraktionsübergreifend vertretenen Position
zum EU-Gemeinschaftspatent. Sie mögen vielleicht sagen: Das merkt in der Öffentlichkeit keiner. Aber das Patentrecht ist nicht irgendeine abseitige Rechtsmaterie,
die man so oder so regeln kann. Das Patent honoriert Erfindungsgeist und schützt Innovationen. Damit hat das
Patentrecht eine eminent wirtschaftspolitische Bedeutung. Von allen Fraktionen ist die Position eines effektiven, kostengünstigen und zügigen Patentwesens in
Deutschland vertreten worden. Wir sind in Europa und
weltweit - das ist keine deutsche Arroganz - führend auf
dem Gebiet des Patentwesens. Unser Land hat die Rohstoffe nicht in der Erde, sondern in unseren Köpfen. Darum müssen wir Innovationen, geistige Fortschritte fördern.
Das, was Sie Anfang März gemacht haben - Sie haben einem faulen Kompromiss zugestimmt und die alte
deutsche Position auf dem Gebiet des Gemeinschaftspatents geräumt -, ist ein fataler Weg. Denn es wird in
Europa kein zügiges, kostengünstiges Patentwesen mehr
geben. Allein die bürokratischen Sprachenregelungen, denen Sie politisch-informell zugestimmt haben, nämlich
dass Patentansprüche in jede Sprache übersetzt werden
müssen und der Gerichtsprozess zentral in Luxemburg in
der Sprache des Beklagten geführt werden muss - ein
Deutscher, der gegen einen Griechen klagt, muss ein Patentrechtsverfahren in Luxemburg auf Griechisch führen
- sind ein Irrsinn. Das wird das Patentverfahren verzögern und verteuern. Für den Mittelstand können Sie es
geradezu abschreiben.
Ich frage Sie: Warum haben Sie, nachdem Sie 150 Tage
im Amt sind, diese Position, die über Jahre gehalten worden ist - es ist eine deutsche Position; zwei Drittel aller europarechtlichen Patentrechtsstreitigkeiten werden in
Deutschland geführt -, innerhalb von fünf Monaten geräumt? Erklären Sie es! Ist Deutschland, weil Sie sich außen- und europapolitisch isoliert haben, selbst in Fachfragen nicht mehr widerstandsfähig? Sind wir nicht mehr in
der Lage, eine deutsche Position zu vertreten?
Auch andere Länder tun das. Erklären Sie es!
({5})
Die Bundesregierung hat das im Rechtsausschuss
nicht erklären können. Wir gehen in der Gerichtsbarkeit
einen Sonderweg. Wir haben eine europäische Rechtsmaterie, für die auf einmal ein europäisches Gericht eingerichtet wird. Das hat mit Subsidiarität nichts zu tun.
Auch auf anderen Gebieten gibt es europäische Rechtsmaterien, die aber von deutschen Gerichten angewendet
werden. Das Prinzip der Subsidiarität ist hier verletzt
worden. Dies ist ein negatives Ergebnis, ein fataler Weg.
Ich habe mich darüber gefreut, dass im Rechtsausschuss im Grunde genommen übereinstimmend Unverständnis geherrscht hat und Kritik artikuliert worden ist.
Wir fordern Sie auf: Ziehen Sie dieses Thema, das auf dem
Europäischen Gipfel am 21. März 2003 behandelt werden
soll, zurück! Noch geht es. Sie schaden dem Land und
dem Wirtschaftsstandort, wenn Sie dies nicht tun.
({6})
Ich komme zu anderen Gebieten der europäischen
Rechtspolitik, auf denen die Bundesregierung und auch
Sie zu Ergebnissen hätten kommen müssen. Ich spreche
von einer ganzen Reihe von europäischen Richtlinien,
die nicht umgesetzt worden sind, obwohl die Frist bereits abgelaufen ist. Die Biopatentrichtlinie hätte im
Sommer des Jahres 2000 umgesetzt werden müssen. Es
ist noch nichts geschehen.
({7})
- Sie haben die Mehrheit. Die Wahrheit ist: Sie von der
Koalition sind nicht in der Lage, einen Gesetzentwurf
vorzulegen. Darum gibt es keinen.
({8})
Das Urheberrecht hätte bis zum Dezember 2002 umgesetzt werden müssen, der EU-Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung ebenfalls. Die Antidiskriminierungsrichtlinie muss bis Juli 2003 umgesetzt werden. Auch das
werden Sie nicht schaffen, meine Damen und Herren.
({9})
- Bei aller sehr kompetenten Schreierei des Kollegen
Tauss, die wir ja ressortübergreifend feststellen können,
({10})
muss ich sagen: Herr Kollege Tauss, Sie sind einer der
wenigen verbliebenen Universalgebildeten, der sich mit
Lautstärke zu jedem Gebiet äußert. Aber wenn man sich
einmal von Sachkunde befreit hat, kann man auch ungeniert schreien, Herr Kollege Tauss.
Das ist die Maxime, die Sie praktizieren.
({11})
Meine Damen und Herren, wir stellen auf dem Gebiet
der Rechtspolitik eine Handlungsschwäche fest. Sie
kommen deshalb nicht zu Ergebnissen, weil Sie in der
Koalition nicht zu Ergebnissen kommen. Das ist bei der
Terrorismusbekämpfung so, das ist bei der Antidiskriminierungsrichtlinie so, das ist bei der Biopatentrichtlinie
so. Wir leiden, Sie belasten unser Land mit einer rot-grünen Handlungsschwäche und darum kommt es nicht zu
Ergebnissen. Was bedeutet das eigentlich? Wir verletzen
unsere Pflichten zur Gesetzgebung. Sie begründen die
Gesetze in Brüssel und sind dann nicht in der Lage, sie
hier zu realisieren. So kann man nicht Rechtspolitik machen.
Das betrifft aber nicht allein die europäische Rechtspolitik, in der deutschen Rechtspolitik ist es genauso.
Seit eineinhalb Jahren steht fest, dass der Versorgungsausgleich bei Ehescheidungen neu geregelt werden
muss.
({12})
Dabei geht es um die so genannte Barwertverordnung,
das ist auch wieder ein technischer Begriff.
({13})
Beim Lebenssachverhalt geht es darum, dass wir dem
wirtschaftlich schwächeren Ehepartner - das sind in der
Regel die Frauen - die soziale Sicherung erhalten müssen. Das ist ein eminent sozialpolitisches Anliegen. Die
Verordnung ist ausgelaufen und Sie haben es nicht geschafft, eine neue an ihre Stelle zu setzen. Nun kann
nicht Recht gesprochen werden, Prozesse werden ausgesetzt. Sie lassen die wirtschaftlich schwächeren Frauen
im Stich.
({14})
Das ist die Wirklichkeit, die Sie zu verantworten haben.
({15})
- Ja, genau. Es geht um Rentenansprüche, Herr Kollege.
({16})
- Nein, aber es geht um die, die davon betroffen sind.
Wollen Sie bestreiten - dann sagen Sie es hier ganz ausdrücklich -, dass es hier ein sozialpolitisches Problem
gibt? Dann haben Sie noch nicht einmal Problembewusstsein. Ich hätte Ihnen unterstellt, dass Sie zumindest
das Problem verstanden haben. Jetzt stelle ich fest: Sie
kennen das Problem gar nicht. Das ist ein Zeichen von
Ignoranz, ich hoffe, nicht von Arroganz.
({17})
Das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz wurde vor Jahren beschlossen; Sie haben nichts getan. Ich liste hier die
Punkte auf, bei denen die Politik hätte handeln müssen.
Sie tun nichts.
({18})
- Nein, es geht um ein Bundesgesetz. Herr im Himmel!
Sie müssen handeln, aber Sie schaffen es nicht.
({19})
Ich nenne ein ganz kleines Thema: Graffitibekämpfung.
({20})
- Sie stöhnen darüber. Von den Bürgern wird ein Gesetz
gefordert, weil sie die Betroffenen sind. Seit Jahren legen wir Gesetzentwürfe vor.
({21})
Nur weil Sie stöhnen: Der Parlamentarische Staatssekretär Hartenbach kündigt hierzu die Bereitschaft der Bundesregierung zum Nachdenken an. Ich finde es bemerkenswert, wenn ein Parlamentarischer Staatssekretär so
etwas besonders ankündigt.
({22})
Er hat jetzt schon in zwei Debatten die Bereitschaft zum
Nachdenken erklärt.
({23})
Wir bitten Sie nur um ein Produkt des Nachdenkens. Sagen Sie: Wir wollen das, weil es hier eine Strafrechtslücke gibt.
({24})
Wir freuen uns über die Bereitschaft zum Nachdenken,
aber die Fähigkeit zum Nachdenken mit einem Ergebnis
wäre noch schöner.
({25})
- Auch wenn es Ihnen nicht gefällt, liste ich die Mängel
auf.
Ich will einen letzten Punkt benennen, das Sexualstrafrecht.
({26})
Die Union hat einen konsequenten Entwurf vorgelegt,
Sie haben eine schlechte Kopie nachgelegt. Aber was ich
hier noch mehr als den Inhalt kritisieren möchte, ist die
Art und Weise, wie das Thema vorgetragen worden ist.
Wir sind in Sorge, ob dieses Thema eine angemessene
Behandlung erfährt. Sie haben die Veröffentlichung in
der „Bild am Sonntag“ in der Erwartung gewählt, für die
Darstellung dieses Themas dort ein an differenzierten
politischen Aussagen besonders interessiertes Publikum
zu finden.
({27})
Es ist die Frage, ob das richtig war. Sie haben das Thema
dort unter der Überschrift „Wer bei Kindesmissbrauch
wegschaut, muss ins Gefängnis“ dargestellt, aber Sie haben nur die halbe Wahrheit dargestellt. Sie haben gesagt,
dass die, die wegschauen, bestraft werden, Sie haben
aber nicht gesagt, wer alles nicht bestraft wird, wenn er
wegschaut, nämlich all diejenigen, die keine Kenntnis
haben. Sie haben dann am Tag darauf eine Pressekonferenz durchgeführt.
({28})
Ich will Ihnen eines sagen: Heribert Prantl, der nicht immer nur christdemokratisches Gedankengut verbreitet,
hat auf diese Aktion der Bundesjustizministerin in der
„Süddeutschen Zeitung“ einen harten Vorwurf erhoben
- ich mache mir diesen Vorwurf nicht zu Eigen, aber ich
nehme ihn ernst -, nämlich den des politischen Missbrauchs des Kindesmissbrauchs. Das sollte uns vielleicht
zu denken geben, wenn es darum geht, wie wir mit diesem Thema umgehen.
({29})
Sie haben eine Pressekonferenz zu diesem Thema
veranstaltet. Sie haben eine Kampagne der Bundesregierung angekündigt. Sagen Sie etwas zu dieser Kampagne,
damit die Befürchtung zerstreut wird, es sei nur heiße
Luft gewesen!
({30})
Wir haben eine Sachverständigenanhörung zu diesem Thema durchgeführt. Sie hat mit einem Fiasko für
Sie geendet. In diesem ganz zentralen Punkt, den Sie als
den prominentesten vorangestellt haben, haben schon
vorher alle Opferschutzverbände gesagt: Wir lehnen
diese Anzeigepflicht als unpraktikabel und kontraproduktiv ab. Der Kinderschutzbund und Frauenverbände
haben das abgelehnt. In dieser Sachverständigenanhörung haben dann insbesondere die von Ihnen benannten
Sachverständigen, Rechtspraktiker und Rechtswissenschaftler diesen Vorstoß zurückgewiesen. Das muss ein
Bundesjustizministerium erst einmal schaffen: einen
Vorschlag zu machen, den alle ablehnen und von dem
sich am Ende sogar Herr Montag und Herr Stünker
distanzieren. Sie haben vor der Sachverständigenanhörung erklärt: Es bleibt dabei. - Es war unglücklich, das
vor der Anhörung zu erklären. Nun haben wir die Sorge,
dass dieses heikle Thema belastet und geprägt wird -
Herr Kollege Röttgen, die Schriftführer haben mich
gerade darauf aufmerksam gemacht, dass der Präsident
sich nicht getraut habe, Sie zu unterbrechen. Auch ich
traue mich natürlich nicht, möchte Sie aber dennoch
ganz vorsichtig darauf aufmerksam machen, dass auch
bei großzügiger Betrachtung der Uhr die angemeldete
Redezeit leicht überschritten ist.
Ich bedanke mich für die Konzession der Großzügigkeit.
Zum Schluss mahne ich uns alle, dieses heikle Thema
nicht mit faulen parteipolitischen Kompromissen zu belasten. Betreiben Sie nicht in der Notlage, in die Sie sich
nun gebracht haben, die Gesichtswahrung der Ministerin! Damit werden Sie diesem Thema nicht gerecht.
Zu dem Thema, das Herr Kollege Montag ganz zum
Schluss angesprochen hat, sollten wir im Rechtsausschuss eine qualifizierte Debatte führen. Ich wäre gern
auch hier kurz darauf eingegangen. Die Zeit dafür ist
aber nicht da.
Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Nun hat der Kollege Joachim Stünker, SPD-Fraktion,
das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich habe am 4. Dezember
letzten Jahres bei der ersten Lesung an dieser Stelle die
rechtspolitischen Maßnahmen der Regierungskoalition
für diese Legislaturperiode umfassend dargestellt. Ich
denke, ich kann an dem heutigen späten Abend darauf
Bezug nehmen.
Auf die Rede von Herrn Röttgen ist zu sagen: Seien
Sie sicher, die EU-Richtlinien, die Sie angesprochen haben, werden zügig umgesetzt. Ich darf darauf hinweisen,
dass 1998 insgesamt 30 EU-Richtlinien, die die KohlRegierung uns hinterlassen hatte, nicht umgesetzt waren.
Wir haben da also noch ein bisschen Spielraum.
({0})
Ich darf Ihnen des Weiteren sagen, dass es in diesem
Land nicht um einen notleidenden Versorgungsausgleich
bei Ehescheidung geht, sondern um die Barwertverordnung, einen kleinen Teil im Versorgungsausgleich. Die
Novellierung der Barwertverordnung wird noch im März
im Kabinett behandelt und dann umgesetzt werden.
Meine Damen und Herren, der Kollege Dr. Götzer hat
in der ersten Lesung, die ich angesprochen habe, zu
Recht darauf hingewiesen, dass Haushaltsdebatten immer auch Generaldebatten seien. Er hat im Folgenden
die Aufgabe von Rechtspolitik aus der Sicht der
Unionsparteien skizziert. Da war dann die Rede von der
„Stärkung und ... Verbesserung des Rechtsstaats“, von
der „Sicherung der Freiheit der Bürger gegenüber dem
Staat und auch gegenüber Dritten“ sowie von einem
„starken Staat“, der ausschließlich den „optimalen
Schutz der Bürger gegen Verbrechen gewährleisten“
könne.
Es ist mir daher ein Bedürfnis, mich in der heutigen
Generaldebatte kurz mit dem immer deutlicher in Erscheinung tretenden Verständnis der Unionsparteien von
Rechtspolitik in diesem Hause zu beschäftigen, wie es in
der Rede von Herrn Götzer und ansatzweise auch heute
in der Rede des Kollegen Röttgen deutlich geworden ist.
Dieses Verständnis erscheint mir rechtsstaatlich zunehmend problematisch.
({1})
Die entscheidende Frage ist nämlich: Was verstehen
Sie eigentlich unter dem von Ihnen so bezeichneten
„starken Staat“? Die soeben zitierten Floskeln vermag
vielleicht jeder von uns noch zu unterschreiben. Wenn
Sie aber konkrete rechtspolitische Maßnahmen benennen, dann fällt im Eifer des Gefechtes sehr schnell die
Tarnkappe. Herr Kollege Röttgen hatte in der ersten Lesung acht Beispiele aufgezählt, die sozusagen die Essentials der Rechtspolitik der Unionsparteien seien. In diesen Beispielen hat sich dann auch der Kanon der
Rechtspolitik bereits erschöpft.
Ich will die Beispiele noch einmal kurz nennen: Verschärfung des Sexualstrafrechts, schärfere Strafen zur
Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern,
Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung,
Anordnung der Sicherungsverwahrung auch bei Ersttätern und ebenso bei Heranwachsenden - verfassungsrechtlich bedenkliche Regelungen möge man erst einmal
ins Gesetz schreiben; der Bürger könne zum Verfassungsgericht gehen, um sie dann überprüfen zu lassen -,
Verschärfung des Jugendstrafrechts, obligatorische Anwendung des allgemeinen Strafrechts auf Heranwachsende, das Höchstmaß der Jugendstrafe auf 15 Jahre heraufsetzen. Ein weiterer Vorschlag in diese Richtung
kommt zudem aus dem Bundesrat, nämlich das Höchstmaß der allgemeinen Freiheitsstrafe von 15 Jahren auf
20 Jahre heraufzusetzen. Ein Beispiel außerhalb des
Strafrechts - immer noch aus der gleichen Rede -: In der
Antidiskriminierungsdebatte sehen Sie Ihre Aufgabe darin, dafür Sorge zu tragen, dass nicht wild gewordene
Ideologen Deutsche gegenüber Ausländern in unserer
Rechtsordnung massiv benachteiligen.
({2})
Das heißt, Rechtspolitik ist für Sie reine Kriminalpolitik
und Kriminalpolitik wird von Ihnen lediglich unter dem
Gesichtspunkt der inneren Sicherheit thematisiert. Also
rufen Sie nach immer mehr Strafen, immer schärferen
Strafen und immer höheren Strafen. Das ist für Sie der
starke Staat. Ich meine, das ist wahrlich zu wenig.
({3})
Sie bedienen damit kurzfristig Gefühle in der Gesellschaft. Rein kriminalpolitisch, aber auch rechtsstaatlich
- lassen Sie sich das heute Abend einmal sagen - ist das
ein gefährlicher Weg; denn höhere Strafen schützen
nicht vor Kriminalität, sie erwecken nur den Schein, sie
würden schützen. Gesetzgebung wird dadurch im Endeffekt zu Symbolik. Dies kann man nur so bezeichnen,
wie es der Deutsche Anwaltverein in einer Stellungnahme vor einigen Wochen getan hat: als archaische
Vorstellungen von Strafe und Sühne oder vom Erziehungsideal des 19. Jahrhunderts, soweit es das Jugendstrafrecht betrifft.
({4})
Ich wiederhole daher: Das ist ein gefährlicher Weg,
denn Sie wecken damit Erwartungen in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit. Diese Erwartungen können sich,
so sie unerfüllt bleiben, ganz schnell gegen den Rechtsstaat selber wenden; denn wer sich vom Recht verlassen
fühlt, wendet sich bedenkenloser gegen das Recht. Wer
die kriminalpolitische öffentliche Diskussion derart, wie
von mir skizziert, aufheizt, darf sich nicht wundern,
wenn zu Beginn des 21. Jahrhunderts über die kriminalpolitische Zulässigkeit der Folter und neuestens auch der
Zwangskastration von Sexualstraftätern wieder ernsthaft diskutiert wird. Zu Anfang des 21. Jahrhunderts
möchte man fast meinen, das sei eine Gespensterdebatte.
({5})
Ich möchte daher heute Abend mit Nachdruck darauf
hinweisen und hier zu Protokoll geben: Hier unterscheiden wir uns in aller Deutlichkeit. Diesen Weg werden
wir mit Ihnen nicht mitgehen. Wir haben uns einer humanen, rationalen und effizienten Kriminalpolitik verschrieben.
({6})
Ich will dies - sozusagen als Kontrastprogramm - ganz
kurz mit der Benennung einiger notwendiger kriminalpolitischer Reformvorhaben unterfüttern.
Herr Kollege, ich fürchte, dass für eine ausführliche
Darstellung Ihrer beabsichtigten Erläuterungen nicht
mehr die notwendige Zeit besteht - wenn ich Sie darauf
rechtzeitig aufmerksam machen darf.
({0})
Herr Präsident, nachdem Herr Kollege Röttgen so exzessiv überzogen hat, darf ich vielleicht diese drei Sätze
noch sagen?
Einverstanden.
Danke schön.
Die Reform des Sanktionenrechts ist umzusetzen.
Die Modernisierung des eigenständigen Jugendkriminalrechts ist konsequent weiterzuführen. Der Vollzug
der Untersuchungshaft und der Jugendstrafe ist auf eine
gesetzliche Grundlage zu stellen. Der Vollzug der Jugendstrafe und des Jugendarrestes ist gesetzlich differenziert zu regeln. Die Diversion ist auszuweiten und
Strafverfahren sind zu beschleunigen. Mediation und
Täter-Opfer-Ausgleich sind flächendeckend einzuführen. Die ambulante Straffälligenhilfe ist zu stärken und
zu vernetzen. Die justiziellen Instrumente der europäischen Strafverfolgung sind zu stärken. Grenzüberschreitende Kriminalität in Europa erfordert verstärkte Kooperation bei der Kriminalitätsbekämpfung.
Dies ist moderne Kriminalpolitik. Diese Maßnahmen
bewirken eine verbesserte Prävention und einen verbesserten Schutz der Opfer. Dafür steht diese rot-grüne Regierungskoalition. Dafür steht ein starker Staat.
Schönen Dank.
({0})
Das Wort hat nun der Abgeordnete Hans-Christian
Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich will die drei Minuten, die mir zur Verfügung stehen,
einer einziger Verfassungsinstitution widmen, nämlich
dem Bundesverfassungsgericht und seinem Haushalt.
Dies tue ich nicht, weil ich nach der heute verkündeten
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dessen
Haushalt kürzen oder etwas drauflegen will, sondern
weil ich - das ist der eine Grund - die Minderheit des
Bundesverfassungsgerichts in Schutz nehmen will, vor
allem nach dem, was hier heute gesagt worden ist. Ich
stehe ja häufig aufseiten von Minderheiten;
({0})
in diesem Fall aufseiten der Minderheit des Bundesverfassungsgerichts. Diese Minderheit hat nicht gesagt, dass
mit Beginn eines Verbotsverfahrens oder kurz vorher
alle Beobachtungsaktivitäten gegenüber einer radikalen
Partei eingestellt werden müssten; sie hat vielmehr gesagt - ich zitiere wörtlich aus der Presseverlautbarung
des Gerichts -:
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Die Beobachtung einer politischen Partei durch
V-Leute staatlicher Behörden, die als Mitglieder
des Bundesvorstands oder eines Landesvorstands
fungieren, unmittelbar vor und während der Durchführung eines Parteiverbotsverfahrens ist in der
Regel unvereinbar mit den Anforderungen an ein
rechtsstaatliches Verfahren.
Das kann ich nur unterstützen.
({1})
Diese Ansicht ist richtig. Sie garantiert ein faires Verfahren, weil niemand ausschließen kann, dass wenn
während eines Verbotsverfahrens im Bundesvorstand
oder in einem Landesvorstand einer Partei ein V-Mann
sitzt und aus diesen Gremien berichtet, das den Antragstellern, das heißt den Bundesorganen, in irgendeiner
Weise zur Kenntnis kommt. Deshalb besteht die Gefahr,
dass in einem Prozess eine Verfahrensstrategie mitgeteilt wird und sich die andere Seite darauf einstellt. Das
ist ein Essential, das für Strafverfahren wie auch für andere rechtsstaatliche Verfahren gilt. Ich bin der Minderheit des Bundesverfassungsgerichts dankbar, dass sie
das festgestellt und ihre Entscheidung darauf gestützt
hat. Das hohe Gut eines rechtsstaatlichen, eines fairen
Verfahrens sollte nicht nur das Bundesverfassungsgericht, das sollten auch wir achten und immer in Ehren
halten.
Ich komme nun zum zweiten Grund. Das Bundesverfassungsgericht ist das staatliche Organ in der Bundesrepublik, das in den letzten 50 Jahren ständig und verdientermaßen immer mehr an Ansehen gewonnen hat. Wir
sollten uns fragen, warum nicht auch der Deutsche Bundestag und der Bundesrat eine ähnliche Entwicklung
mitgemacht haben.
Ich glaube, es gibt vieles zu ändern und vieles zu
überdenken, auch in und an unserer Verfassung.
({2})
Wie kommt es, dass das Bundesverfassungsgericht immer mehr Aufgaben des Gesetzgebers übernehmen
muss? Wie kommt es, dass das Bundesverfassungsgericht immer häufiger den Gesetzgeber korrigieren muss,
und zwar unabhängig davon, welche Koalition und welche Regierung gerade an der Macht ist? Wie kommt es,
dass neu gewählte Regierungen und neu gebildete Koalitionen so wenig Ideen zur Erneuerung in unserem Staat
durchsetzen können?
({3})
Ist es nicht verwunderlich, dass es sich heute in der Bundesrepublik Deutschland fast nicht mehr lohnt, für eine
neue Mehrheit im Bundestag zu kämpfen, weil eine neue
Mehrheit große Schwierigkeiten hat, eine neue Politik in
der Bundesrepublik Deutschland durchzusetzen, in Gesetze zu gießen und in Regierungshandeln umzusetzen?
Wir müssen in einigen Punkten auch über das Verhältnis zwischen Bundestag und Bundesrat nachdenken.
Dort gilt es, einiges zu korrigieren. Dadurch würde das
Bundesverfassungsgericht noch höher anzusetzen sein.
Außerdem würde das Bundesverfassungsgericht entlastet, wenn wir uns als Gesetzgeber bei Gesetzgebungsverfahren häufiger überlegen würden, wie der Sachverhalt
verfassungsrechtlich zu beurteilen ist, und wenn wir uns
vornehmen würden, die Klärung dieser Fragen nicht alleine dem Verfassungsgericht zu überlassen.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Lassen Sie uns in diese Richtung weiterdenken, vielleicht auch gemeinsam.
({0})
Bevor ich nun dem Kollegen Götzer das Wort erteile,
kann ich Ihnen die frohe Botschaft mitteilen, dass es
heute Abend nicht mehr ganz so lange dauern wird, wie
es vor wenigen Minuten noch anzunehmen war. Das erlaubt uns sicherlich, uns die letzten beiden Reden der
heutigen Aussprache mit besonderer Konzentration anzuhören.
Zunächst spricht der Kollege Götzer für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Der Kollege Stünker hat mich vorhin freundlicherweise
zitiert und danach die Frage aufgeworfen, was denn der
starke Staat sei.
Herr Kollege Stünker, ich will mich jetzt nicht in epische Breiten verlieren, sondern Ihnen in knappsten Worten sagen, was wir unter einem starken Staat im Bereich
der inneren Sicherheit verstehen: Das ist ein Staat, der
für seine Bürger die größtmögliche Sicherheit gewährleistet und unter anderem eine Nulltoleranz gegenüber
Rechtsbrechern an den Tag legt. Er muss mit den erforderlichen Mitteln dafür ausgestattet sein, diese Rolle zu
spielen.
({0})
Dass wir hier auseinander liegen, verwundert niemanden im Raum. Ich denke, bei einigen in Ihrem Lager
- Herr Kollege Stünker, Sie meine ich damit nicht; da
ich Ihre politische Vergangenheit nicht kenne, steht es
mir nicht zu, mich darüber zu äußern - zeigt sich doch
noch das Rechtsstaatsverständnis der alten 68er-Generation, die, Herr Kollege Ströbele, inzwischen - in Ehren
oder auch nicht - etwas angegraut ist.
({1})
Ich glaube, das schimmert durchaus noch durch. Wir reden heute zwar über den Haushalt, aber Sie, Herr Kollege Stünker, hatten mir die Vorlage dazu gegeben,
({2})
weswegen ich diese Vorbemerkung gemacht habe.
Herr Präsident, ich sehe gerade, dass meine restliche
Redezeit nicht stimmen kann. Hier steht, dass mir noch
eine Minute und zwanzig Sekunden zur Verfügung stehen.
({3})
Ursprünglich hatte ich aber sechs Minuten.
Herr Kollege, Sie verkennen die Lage und Sie hätten
es mir einfacher gemacht, großzügiger in der Bewirtschaftung der Zeit zu verfahren, wenn Sie nicht ausdrücklich auf die tatsächliche Redezeit aufmerksam gemacht hätten.
({0})
Frau Ministerin, ich hätte mir vorher gerne Ihre Rede
angehört, die Regie hat es aber so bestimmt, dass Sie am
Schluss reden. Ich kann jetzt natürlich nicht wissen, was
Sie uns heute sagen werden.
({0})
Herr Kollege, wenn Sie das jetzt vorsichtshalber pauschal zurückweisen, kämen Sie mit Ihrer Redezeit gut
zurande.
({0})
Ich bin sprachlos, das ist wahr.
Frau Ministerin, Sie haben Ihre Rede nicht als großen
Wurf und als Jahrhundertrede angekündigt, wie dies der
Bundeskanzler getan hat. Deswegen stehen Sie auch
nicht unter einem solchen Erwartungsdruck. Wir würden
uns aber natürlich schon wünschen, dass Sie heute einiges zu dem sagen, was Sie wirklich vorhaben. Nach fünf
Monaten ist das durchaus nicht verfrüht.
Das alles, was der Kollege Stünker vorhin vorgelesen
hat, steht in der Koalitionsvereinbarung; die kennen wir
alle. Nun geht es aber darum, dass wir hören, was von
dieser Koalitionsvereinbarung endlich auf den Weg gebracht wird. Ich habe mir beispielsweise die Tagesordnungen des Rechtsausschusses in den letzten Monaten
angesehen und festgestellt, dass er im Durchschnitt nur
bei ein oder zwei Tagesordnungspunkten federführend
ist. Mehr ist es nicht; das muss anders werden. Auf dem
Gebiet der Rechtspolitik gibt es eine Menge zu tun.
({0})
Auf das, was der Kollege Röttgen gesagt hat, brauche
ich nicht mehr einzugehen. Ich nenne noch den Anlegerschutz. Sie haben zwar Eckpunkte vorgestellt, es fehlt
aber ein Gesetzentwurf. Ihre Vorgängerin hat angekündigt, dass die mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz zusammenhängenden Verjährungen neu geregelt
werden. Auch dazu ist in den anderen Gesetzen bisher
nichts erfolgt. Bezüglich des Antidiskriminierungsgesetzes werden Sie die Frist bis zum Juli dieses Jahres nicht
einhalten können. Das freut die Grünen am allermeisten.
({1})
Diese sehen hier natürlich ihre Spielwiese und hoffen,
dass sie doch noch den einen oder anderen ideologischen
Quatsch unterbringen und Müll abladen können.
({2})
Das, was im Rahmen der Zuwanderung über die
Schmerzgrenze hinausging oder an unerfüllten Träumen
zurückbleibt, können Sie vielleicht auf diese Weise realisieren.
Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen.
({3})
Ich möchte ein paar Worte zum Sexualstrafrecht sagen.
({4})
- Nein, Sie täuschen sich. - Herr Kollege Stünker, bei
der Debatte habe ich darauf hingewiesen, dass in Ihrem
Gesetzentwurf zum Sexualstrafrecht in einem Punkt sogar eine Abschwächung erfolgt. Sie hingegen haben es
als eine Verschärfung dargestellt. Diese Abschwächung
ist in § 176 a Abs. 1 Nr. 4 des Strafgesetzbuches zu finden, wonach in Zukunft der Wiederholungstäter bei Kinderschändung nicht mehr wegen eines Verbrechens, sondern nur noch wegen eines Vergehens verurteilt wird.
In der Anhörung habe ich dazu eine Sachverständige
gefragt, ob sie meine Meinung teilt, dass dies in Zukunft
zum Vergehen herabgestuft wird. Sie hat mir Recht gegeben. Daraufhin haben Sie mir gesagt, dies sei unstrittig. Ich habe diesen Punkt im Protokoll nachgelesen. Darin ist Ihr Zwischenruf vermerkt, dass dies nicht stimmt.
Auch der Kollege Montag wird mit dem unglaublichen
Vorwurf zitiert, den ich allerdings aushalte, ich hätte den
Gesetzentwurf nicht gelesen.
({5})
Meine Herren Kollegen, diesen Vorwurf müssen Sie
sich selber gefallen lassen. Sie haben den Gesetzentwurf
in der Tat nicht gelesen. Es handelt sich um eine Abschwächung im Sexualstrafrecht, das Sie laut der Koalitionsvereinbarung reformieren wollten.
({6})
Ich glaube, Sie haben selbst die Koalitionsvereinbarung
nicht gelesen.
Herr Kollege Götzer, Sie haben jetzt ziemlich genau
so lange geredet, wie Sie ursprünglich ohnehin reden
wollten, ohne dass die Redezeit dafür ausgereicht hätte.
Es muss Ihnen einleuchten, dass dies selbst bei großzügigster Interpretation der Geschäftsordnung ein Ende haben muss.
({0})
Ich komme zu meinem Schlusssatz. Ich hoffe, dass
wir uns im Interesse eines besseren Rechtsschutzes und
einer höheren Gerechtigkeit in einigen Punkten aufeinander zu bewegen, zum Beispiel bei der Verschärfung
des Jugendstrafrechts ({0})
- das ist noch immer derselbe Satz -, bei dem es das Gericht bei dem furchtbaren Mordfall Vanessa mit dem
maskierten Mörder, Frau Ministerin, bedauert hat - das
ist eine todernste Angelegenheit -, dass es die jetzige
Rechtslage nicht zulässt, diesen Täter so streng zu bestrafen, wie es eigentlich erforderlich gewesen wäre. Ich
denke, über diese Punkte müssen wir miteinander reden.
Das machen wir beim nächsten Mal.
Ich hoffe, dass wir auch bei den Kollegen von RotGrün auf Zustimmung stoßen werden. An uns wird es jedenfalls nicht scheitern.
Vielen Dank.
({0})
Zum Schluss der Aussprache über die Einzelpläne 07
und 19 hat nun die Bundesjustizministerin, Frau Zypries,
das Wort.
({0})
Meine Damen und Herren! Ich muss ein wenig
schneller reden, weil ich nur vier Minuten Redezeit
habe.
Ich möchte mich bei den Berichterstattern für ihre
Aufgeschlossenheit gegenüber den Belangen der Justiz
und für ihre Unterstützung bedanken. Sie haben die Bedeutung des Bundesgerichtshofs hervorgehoben. Die
dortigen Belastungen sind gewachsen. Gleichzeitig hat
aber auch die Zahl der erledigten Fälle zugenommen. Ich
glaube, dass die zusätzlichen 2 Millionen Euro für Personalmittel gut angelegt sind.
({0})
Da wir gerade vom Gericht reden, möchte ich gerne
die Gelegenheit nutzen - danach komme ich zur Justizpolitik -, um mich auch von dieser Stelle - das scheint
mir ein guter Usus zu sein - bei den über
20 000 Richterinnen und Richtern sowie den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten und sonstigen Mitarbeitern in der Justiz zu bedanken.
({1})
Ihre Aufgaben sind weiß Gott nicht immer einfach. Viele
der Verfahren möchte man nicht gerne entscheiden. Das
gilt besonders für konfliktträchtige Fälle, die ebenfalls
bearbeitet werden müssen. Ich glaube, sie haben es verdient, dass wir uns bei ihnen bedanken.
Dass wir im Justizhaushalt bei der Konsolidierung
mithelfen müssen, wissen Sie. Durch die Umlage der
globalen Minderausgabe haben wir sogar einen überproportionalen Anteil tragen müssen. Wir bemühen uns, das
Ganze zu kompensieren und gleichwohl gute Arbeit zu
leisten.
In meiner ersten Haushaltsrede habe ich hier bestimmte Punkte angesprochen, zum Beispiel die Reform
des Wirtschaftsrechts. Der entsprechende Gesetzentwurf wird noch in den Bundestag eingebracht. Vielleicht
erinnern Sie sich, dass ich gesagt hatte, dass wir die
Cromme-Kommission eingesetzt haben. Das, was die
Wirtschaft freiwillig regeln kann, soll sie regeln. Mitte
Mai dieses Jahres wird die Cromme-Kommission wieder
tagen. Dann wird sie darüber befinden, wie viel Konsens
in der Wirtschaft noch möglich ist, ehe wir für diejenigen Punkte, über die sie sich nicht verständigen konnte,
von denen wir aber meinen, dass sie geregelt werden
müssen, einen Gesetzentwurf vorlegen. Ich glaube, dass
auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition,
damit einverstanden sind, wenn wir sagen, dass wir
möglichst wenige Gesetze wollen. Da, wo freiwillige
Regelungen möglich sind, wollen wir einen Spielraum
lassen. Das, denke ich, sollten wir dann auch tun. Seien
Sie so nett, noch ein halbes Jahr zu warten. Dann wird
der Gesetzentwurf eingebracht und Sie können über ihn
beraten.
({2})
Was das DPMA anbelangt, möchte ich zwei Bemerkungen machen. Herr Barthle, Sie hatten gesagt, der
Ansatz sei gekürzt worden. Ich muss Ihnen gestehen:
Das kann ich nicht nachvollziehen. Nach meiner Kenntnis haben wir über 4 Millionen Euro mehr eingestellt als
im Jahre 2002. Wir werden wieder 60 Patentprüfer und
17 Verwaltungsmitarbeiter, die die Patentprüfer unterstützen sollen, einstellen. Von daher kann ich das, was
Sie gesagt haben, nicht nachvollziehen.
Auch kann ich Ihre Kritik am EU-Gemeinschaftspatent nicht nachvollziehen, lieber Herr Röttgen. Das
hat ja etwas miteinander zu tun.
({3})
- Könnt ihr da mal ein bisschen die Klappe halten?
({4})
Soll ich Ihnen helfen, Frau Ministerin? Die eigentlichen Störpotenziale sind ja erstaunlicherweise in Ihrer
eigenen Koalition angesiedelt. Das ist ja unglaublich. Ich
bitte Sie zuzuhören.
({0})
Deswegen habe ich das ja so freundlich geflüstert und
nicht um Ihre Hilfe gebeten. - Was also das EU-Gemeinschaftspatent angeht, würde ich doch gerne darauf hinweisen wollen, dass die Fundamentalkritik, die Sie, Herr
Röttgen, hier geäußert haben, leider völlig verfehlt ist.
({0})
Sie wissen, dass die Bundesregierung viele Jahre
massiven Widerstand geleistet hat gegen jede andere
Form des europäischen Patents als die, die in Deutschland war und auch hier sein sollte. Dass es innerhalb von
14 anderen Ländern nicht auf Wohlgefallen stößt, wenn
immer ein Land Ansprüche anmeldet, ist auch klar. Viele
Jahre haben wir es versucht. Aber jetzt war ein Zeitpunkt
erreicht, zu dem wir nur noch sagen konnten, dass wir
mit fliegenden Fahnen untergehen.
({1})
Dies war vor allen Dingen deshalb der Fall, weil die
griechische Präsidentschaft einen Druck aufgebaut hat,
dem man manchmal - vielleicht haben Sie solche Verhandlungen noch nicht geführt ({2})
nicht mehr standhalten kann.
Ich gestehe gerne zu - wenn das ein Zugestehen ist -,
dass auch ich der Auffassung war, dass sich Deutschland, um Schlimmeres zu verhindern, bewegen sollte.
Denn das, was die griechische Präsidentschaft erreichen
wollte, wissen auch Sie. Sie wollte ein Reisegericht
einführen, also ein Gericht, das innerhalb aller Staaten
der Europäischen Union herumreist und die Verhandlungen jeweils vor Ort abhält. Das wäre kein festes Gericht
gewesen. Es hätte sich - wenigstens nach unserer Ansicht - keine Gerichtspraxis und anderes mehr entwickeln können.
Daher war ich der Auffassung, dass es für die deutsche Patentgerichtsbarkeit viel besser ist, wenn ein festes
Gericht in Luxemburg zuständig ist und man innerhalb
kürzester Zeit dort sein kann, als wenn wir es mit irgendwelchen Reisegerichten zu tun bekommen. Das ist der
eine Punkt.
({3})
In Bezug auf einen anderen Punkt, der das Sprachenregime anbelangt, hat Deutschland einen großen Erfolg
erzielt. Auch das möchte ich gerne einmal sagen. Es war
vorgesehen, dass in alle Sprachen übersetzt wird. Wir
waren zuerst dafür, dass nur in drei oder zwei Sprachen
übersetzt wird. Auch eine Übersetzung nur auf Englisch
wäre möglich gewesen. Aber wir wollten keine Übersetzung in alle Sprachen.
In mühsamsten Verhandlungen hat es Herr Staatssekretär Geiger - er hat sich hier wirklich unglaublich engagiert; das muss man einmal sagen ({4})
erreicht, dass es bei der Patenterteilung dabei bleibt, dass
in nur drei Sprachen übersetzt werden muss. Wenn das
Patent dann erteilt ist, kann man die anderen Übersetzungen über einen Zeitraum von mehreren Jahren strecken.
Das heißt, der Patentinhaber kann selber entscheiden, in
welchen Ländern er das Patent in der Sprache des jeweiligen Landes braucht und in welchen Ländern er das Patent vielleicht gar nicht wahrnehmen will.
Der nächste Punkt: Das jetzige Patent, das so genannte Bündelpatent, bleibt erhalten. Es wird also nicht
abgeschafft, sondern das europäische Patent tritt daneben. Bis das erste europäische Patent erteilt wird, wird es
voraussichtlich noch Jahre dauern. Das wird also nicht
heute oder morgen virulent. Wir haben zwischendurch
mit der Industrie geredet. Die Industrie unterstützt den
Vorschlag und ist mit diesem Patent einverstanden. Sie
hat die Möglichkeit, bei dem jetzt vorhandenen Bündelpatent zu bleiben. Es kann also überhaupt keine Rede davon sein, dass die Kosten schlagartig explodieren würden und unser ganzes Patentwesen im Eimer sei. Das
wird nicht der Fall sein. Da kann ich Sie beruhigen.
({5})
Ein anderes Gesetz, das wir Ihnen noch in der ersten
Hälfte dieses Jahres hoffentlich - wenn die Länder mitspielen - vorlegen werden, ist das Justizmodernisierungsgesetz. Darüber habe ich schon etwas gesagt. Wir
wollen versuchen, die Abläufe innerhalb der Justiz zu
vereinfachen, zu verschlanken und leichter zu machen,
indem wir Aufgaben übertragen und schwierige Strukturvorschriften bereinigen.
Wir werden das Gesetz über die Angelegenheiten der
Freiwilligen Gerichtsbarkeit noch in dieser Legislaturperiode vorlegen, allerdings nicht in diesem Jahr - um das
gleich zu sagen - sondern erst später. Die ZPO-Reform
- darüber hatten wir gesprochen - wird, soweit nötig,
evaluiert.
Über das Betreuungsrecht, Herr Funke, haben wir
schon einmal geredet. Es gibt eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe. An erster Stelle sind die Länder gefordert,
etwas zu tun. Sie kommen leider nicht mit Vorschlägen
rüber, mit denen wirklich Geld eingespart werden kann.
Ich werbe im Moment für die Vorsorgevollmacht, aber
die Länder haben das Verfahren in der Hand und müssen
selbst einmal sagen, wo sie meinen, dass es besser werden kann.
Zu der Modernisierung der Justiz gehört nicht nur,
dass man das Verfahren modernisiert, sondern auch der
elektronische Rechtsverkehr. Wir haben beim Bundesgerichtshof einen funktionierenden Modellversuch. Wir
müssen es vor allen Dingen schaffen, dass wir zwischen
dem Eingang des Schriftsatzes und dem Urteil, das herausgehen kann, den Workflow innerhalb der Gerichte
elektronisch verbessern. Das machen wir.
Parallel dazu gestalten wir innerhalb der Europäischen Union gemeinsam mit den anderen Ländern mit
der Umsetzung zahlreicher EU-Richtlinien den Raum
der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts weiter aus.
Ich will Sie nicht über Gebühr strapazieren, aber lassen Sie mich zum Schluss noch auf einen anderen Punkt
eingehen, der mir in der Tat am Herzen liegt, nämlich
das Sexualstrafrecht. Mir zu unterstellen, dass ich mit
Kindern Politik machen würde, finde ich schon ziemlich
unerhört.
({6})
Ich habe die Anhörung mit den Opferverbänden in unserem Hause durchgeführt und kann Ihnen sagen, dass ich
mit den Damen und Herren der Opferverbände einig
war. Sie sind auch dafür, dass es so etwas wie eine Anzeigepflicht gibt. Sie wollen nur eines nicht. Sie sagen:
Wir müssen verhindern, dass quasi spontan angezeigt
wird und ein Kind unvorbereitet in einen Prozess gezogen wird. Das heißt also, dass sie eine Anzeige wollen.
Sie wollen nur, dass mit dem Kind Gespräche geführt
werden. Wir müssen versuchen, diesen Zeitraum noch in
irgendeiner Form in den Griff zu bekommen. Ich glaube
nicht, dass die Herren Montag und Stünker das anders
sehen. Sie sind auch dieser Auffassung.
Natürlich wollen wir, dass diese Verbrechen aufhören.
Das ist doch völlig klar, das ist unstreitig.
({7})
Wenn so etwas passiert, dann wollen wir, dass es zur Anzeige kommt und aufgedeckt wird. Aber selbstverständlich haben wir in diesen Fällen einen ganz besonderen
Opferschutz zu berücksichtigen, weil diese Opfer eine
andere Rolle haben als viele andere. Das ist der Punkt.
({8})
Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass wir uns
einigen können, was die Formulierung anbelangt. In der
Sache stehe ich in der Tat nach wie vor dazu und halte es
für richtig. Das werden Sie, wenn Sie mit den Opferverbänden reden, von diesen auch hören. Die sehen das auch
so. Sie halten es auch für wichtig, dass wir so viele dieser
Taten wie möglich verfolgen und damit deutlich machen,
dass das in dieser Gesellschaft nicht toleriert wird.
Herzlichen Dank.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Zunächst zum
Einzelplan 07 - Bundesministerium der Justiz - in der
Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion der CDU/CSU vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf
Drucksache 15/624? - Wer stimmt dagegen? - Wer
möchte sich enthalten? - Der Antrag ist offenkundig abgelehnt.
Wir stimmen nun über den Einzelplan 07 - Bundesministerium der Justiz - in der Ausschussfassung ab.
Wer stimmt für diesen Einzelplan? - Wer stimmt dagegen? - Wer möchte sich enthalten?- Damit ist der
Einzelplan 07 mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen.
Wir kommen zum Einzelplan 19 - Bundesverfassungsgericht -, ebenfalls in der Ausschussfassung. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? ({0})
Der Einzelplan 19 ist mit den Stimmen der Koalition
und der FDP bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen.
Ich rufe nun den ursprünglich für Donnerstag vorgesehenen Punkt I. 20 auf:
20. Einzelplan 12
Bundesministerium für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen
- Drucksachen 15/561, 15/572 Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb
Gunter Weißgerber
Uwe Göllner
Dr. Günter Rexrodt
Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion
der CDU/CSU und vier Änderungsanträge der FDP vor.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung waren für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Der Widerspruch hält sich in Grenzen. Damit hätte das so beschlossen werden können, wenn die beteiligten Fraktionen und
insbesondere die benannten Redner nicht großmütig darauf verzichtet hätten, ihre angedrohten Reden tatsächlich zu halten.
({1})
Tatsächlich haben für die SPD die Kollegen Uwe
Göllner, Wolfgang Spanier und Gunter Weißgerber, für
die CDU/CSU die Kollegen Bartholomäus Kalb, Arnold
Vaatz, Norbert Barthle und Dirk Fischer, für Bündnis 90/
Die Grünen die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig, für
die FDP der Kollege Horst Friedrich und schließlich
auch der Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe ihre
sorgfältig vorbereiteten Reden zu Protokoll gegeben.1)
Dies ist ein beispielhafter Beitrag zur Humanisierung der
Arbeitswelt,
({2})
für den ich mich insbesondere im Namen all der Kolleginnen und Kollegen bedanken möchte, die ohnehin
nicht hätten reden können, aber bis zum bitteren Ende
der Abstimmungen hätten warten müssen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den
Einzelplan 12 - Bundesministerium für Verkehr, Bauund Wohnungswesen - in der Ausschussfassung. Hierzu
liegen die angekündigten sechs Änderungsanträge vor,
über die wir jetzt abzustimmen haben, und zwar zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/
CSU auf Drucksache 15/644. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Das reicht nicht. Der Antrag ist abgelehnt.
({3})
Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 15/646: Wer stimmt für diesen Antrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch dies ist
keine Mehrheit.
Änderungsantrag der FDP auf Drucksache 15/641:
Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der FDP auf
Drucksache 15/642? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch dieser Antrag hat nicht die ausreichende Mehrheit.
Abstimmung über den Änderungsantrag der FDP auf
Drucksache 15/643: Wer stimmt für diesen Antrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dieser Antrag hat keine Mehrheit.
Abstimmung über den Änderungsantrag der FDP auf
Drucksache 15/645: Wer stimmt für diesen Antrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Das alles
sieht mir sehr nach Absprache aus.
({4})
Auch dieser Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den
Einzelplan 12 in der Ausschussfassung. Ich bitte diejenigen, die dem Einzelplan 12 in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Das ist die Mehrheit.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 19. März, 9 Uhr, ein.
Ich schließe die Sitzung.