Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit-
zung ist eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum
Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen
({0})
- Drucksache 15/119 ({1})
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen
({2})
- Drucksachen 15/287, 15/312 ({3})
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({4})
- Drucksachen 15/480, 15/481 Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Schultz ({5})
Kerstin Andreae
Dr. Andreas Pinkwart
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({6}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 15/487 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Walter Schöler
Antje Hermenau
Dr. Günter Rexrodt
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({7}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann Otto
Solms, Dr. Andreas Pinkwart, Carl-Ludwig Thiele,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Eigenheimerwerb nicht erschweren - weitere
Belastungen für Beschäftigte und Betriebe der
Bauwirtschaft und für Familien vermeiden
- Drucksachen 15/33, 15/480, 15/481 Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Schultz ({8})
Kerstin Andreae
Dr. Andreas Pinkwart
Zu den Gesetzentwürfen liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der FDP
vor. Über die Gesetzentwürfe stimmen wir später in einer
namentlichen Abstimmung ab.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister Hans Eichel das Wort.
({9})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In einer wirtschaftlichen Schwächephase, in der wir
uns ohne Zweifel befinden,
({0})
brauchen wir eine Politik der Verlässlichkeit und eine
Politik der Wachstumsförderung.
({1})
Dazu gehört die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen als ein zwingender, aber natürlich nicht zureichender
Bestandteil. Das heißt, auch hier muss finanzpolitisch
Kurs gehalten werden. Denn das einfache Ausweichen in
zusätzliche Schulden durch eigene Entscheidung - man
kann das übrigens zurzeit in den Vereinigten Staaten beobachten; die Wirtschaftswissenschaftler üben daran Kritik - heißt nichts anderes, als die zukünftigen Spielräume,
die wir uns in den letzten Jahren erarbeitet haben, wieder
zu verengen.
Deswegen haben wir für dieses Jahr eine Haushaltskonzeption auf den Tisch gelegt, die dazu führt, dass wir
unter der Voraussetzung - ich nenne ausdrücklich die Bedingungen; diese waren stets klar, werden aber immer
wieder unterschlagen -, dass wir in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von 1 Prozent haben,
({2})
die Kriterien des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes gerade noch einhalten können.
({3})
Das sollten wir alle anstreben.
({4})
Zu diesem Zwecke haben wir ein Haushaltskonzept
vorgelegt, in dem Einsparungen überwiegend auf der
Ausgabenseite vorgesehen sind, und zwar in den Bereichen, in denen es nicht konjunkturschädlich, aber sozial
auch nicht einfach ist.
({5})
- Ich komme sofort zu diesem Thema. Aber Sie können
sich nicht aus diesem Zusammenhang herausstehlen, sehr
verehrte Frau Kollegin. - Keine Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit zu zahlen ist in der Tat ein harter
Weg. Aber er muss gegangen werden.
({6})
Wir brauchen zudem den Abbau von Finanzhilfen, von
Subventionen. Genau dies tun wir.
Es ist übrigens eine spannende Veranstaltung, wenn
man sich Ihre Praxis ansieht. Als Sie Subventionsberichte vorgelegt haben, waren Sie im Hinblick auf die Definition dessen, was eine Subvention ist, sehr vorsichtig.
Umso verschwenderischer sind Sie heute mit den Angaben, welche Finanzmittel man einsparen könne, wenn
man Subventionen abbaut. Hätten Sie zu Ihrer Regierungszeit die Subventionen richtig definiert, wären wir einen kleinen Schritt weiter.
({7})
Die Finanzhilfen sinken von 11,4 Milliarden Euro
- dies war der Betrag im letzten Jahr Ihrer Regierungszeit auf 7,8 Milliarden Euro in diesem Jahr, das heißt um mehr
als 30 Prozent. Was nicht gekürzt, sondern aufgestockt
wird - das ist in dieser Situation richtig -, sind die Investitionen. Das gilt für alle Zukunftsaufgaben.
Subventionen gibt es nicht nur auf der Ausgabenseite,
sondern auch auf der Einnahmeseite. Sie sind im Steuerrecht in großem Maße vorhanden. Das sind nämlich all die
Sonderregelungen, die Lobbygruppen für ihren Bereich
durchgesetzt haben.
({8})
So weit - abstrakt - folgen Sie von der Opposition in
Ihren Programmen dieser Argumentation. Sie reden die
ganze Zeit davon, man müsse alle Sondertatbestände
abbauen, man müsse die Basis der Besteuerung ordentlich
verbreitern
({9})
und anschließend die Steuersätze senken.
({10})
Das ist wunderbar. Aber wenn es konkret wird - darüber
werden wir gleich reden -, sind Sie jedes Mal nicht dabei,
sondern klemmen sich hinter jede Lobbygruppe und verteidigen deren spezielles Privileg im Steuerrecht.
({11})
Wir werden die Konsolidierung der Staatsfinanzen
nicht alleine über die Ausgabenseite erreichen. Wir brauchen auch eine Stabilisierung und Verbreiterung der Steuerbasis. Das ist übrigens gemeinsame Programmatik aller
in diesem Hause vertretenen Parteien. Ich prüfe jetzt bei
Ihnen ab, inwieweit Ihnen das Ernst ist.
Das Gesetz, über das wir heute reden, ist Bestandteil
der Haushaltsstrategie, die ich eben geschildert habe und
die übrigens für den Gesamtstaat gemacht werden muss.
Die Verantwortung dafür, dass wir unsere Verpflichtungen im Rahmen des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes einhalten, haben der Bundestag und der Bundesrat. Der Bund darf übrigens ab dem Jahre 2004 - das
ist das Zugeständnis, das ich den Ländern gemacht habe nur noch 45 Prozent des gesamtstaatlichen Defizits, das
dann nach Maastricht noch zulässig ist, haben. Das betrifft
den Bundeshaushalt und die sozialen Sicherungssysteme.
Damit wissen wir, welche enorme Konsolidierungsaufgabe wir zu leisten haben.
55 Prozent verbleiben für die Länder. Zu den Ländern
gehören verfassungsrechtlich die Gemeinden. Das bedeutet erstens, dass wir eine Mitverantwortung haben, soweit
es um Bundesgesetze geht, und zweitens, dass 55 Prozent
der Verantwortung für das gesamtstaatliche Defizit bei
den Ländern und mit ihnen bei den Kommunen liegen.
Das wird sich erweisen müssen, wenn jetzt über dieses
Gesetz entschieden wird.
Meine Damen und Herren, diesem Gesetz liegen vier
Prinzipien zugrunde.
Erstes Prinzip. Wir müssen die Besteuerung, die wir
vorschreiben, auch durchsetzen. Es kann nicht wie bei
dem sein, was man - der Name ist falsch gewählt - die
Spekulationsteuer nennt, also bei der einjährigen Begrenzung, wo wir die Besteuerung nicht durchsetzen können. Vor dem Verfassungsgericht wird die Verfassungswidrigkeit dieser Regelung beklagt, weil 95 Prozent der
Betroffenen ihre Gewinne, die sie versteuern müssen,
nicht melden.
Ich sage das Folgende nicht, um einen Streit vom
Zaune zu brechen, sondern weil ich darum werbe und
weiß, dass wir Mehrheiten im Bundestag und im Bundesrat brauchen und dass sie unterschiedlich gelagert sind: Es
geht nicht um den gläsernen Bürger. Es interessiert mich
überhaupt nicht, was auf den Konten der Bürger passiert.
Es geht auch nicht um die Bundesverwaltung, sondern um
Länderverwaltungen. Aber über zwei Dinge sollte doch in
diesem Hause Einvernehmen bestehen:
Zum einen darf nichts strafrechtlich Relevantes auf den
Konten passieren, etwa im Zusammenhang mit Geldwäsche und Drogenhandel. So etwas müssen wir bekämpfen;
das kann doch nicht streitig sein.
({12})
Wir haben es erst am Ende der vergangenen Wahlperiode
geschafft, das wirklich durchzusetzen. So lange hat
Deutschland gebraucht, um die internationalen Standards
anzuwenden, um Drogenhandel und Geldwäsche im Finanzsystem richtig zu bekämpfen. Ich hatte unter meinen
Finanzministerkollegen keinen leichten Stand und musste
sagen: Deutscher Föderalismus und anderes stehen dem
im Weg.
Zum anderen müssen wir gemeinsam der Auffassung
sein, dass die steuerlich relevanten Tatbestände der Besteuerung auch zugeführt werden müssen. Da ist mir jedes Mittel, wie wir es ganz einfach hinbekommen, recht.
({13})
Dabei geht es gar nicht darum, dass der Staat auf die Konten gucken soll. Das ist nicht das Thema. Aber schauen
Sie sich bitte an, wie das in den Vereinigten Staaten, in
Großbritannien, in Frankreich, in Spanien, in Schweden
geregelt wird. Warum haben wir dann solche Probleme?
Ich biete eine konstruktive Debatte darüber an, wie wir
es so einfach wie irgend möglich erreichen, dass wir ganz
schlicht die steuerbaren Tatbestände wie bei der Lohnsteuer so auch bei der Kapitalertragsteuer erfassen, ohne
den gläsernen Bürger zu schaffen. Darauf kommt es an.
Zweites Prinzip. Unternehmen, die Gewinne machen,
sollen auch Steuern zahlen. Sie haben im Wahlkampf einen
Punkt zu Recht benannt: die Körperschaftsteuer. Sie haben
das meiner Meinung nach aber nicht mit den richtigen Argumenten getan. Wir sind jedoch darauf eingegangen und
erwarten jetzt, dass es dazu eine konstruktive Debatte gibt.
Bei dieser Gelegenheit will ich darauf hinweisen, dass
nur in wenigen Ländern dieser Erde Verlustvorträge in der
Form vorgenommen werden können, wie das in Deutschland möglich ist. Das ist ein zentraler Punkt, über den wir
reden müssen.
Ein anderer Punkt betrifft die Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der Organschaft. Es ist völlig in Ordnung,
wenn Unternehmen, die wirtschaftlich eng miteinander
verbunden sind, die Verluste und Gewinne gegeneinander
verrechnen können; denn anderenfalls würden wir sie
zwingen, sich in Stammhauskonzerne umzuwandeln. Wir
sollten mit dem Steuerrecht nicht die Rechtsform und die
Organisationsform der Unternehmen präjudizieren.
({14})
Der Weg, den wir in diesem Bereich mit unserer Steuerreform gegangen sind, ist in Ordnung. Nicht in Ordnung
dagegen ist, wenn sich Unternehmen, die wirtschaftlich
nichts miteinander zu tun haben, durch Gründung von
Tochtergesellschaften in die Lage versetzen, Gewinne
und Verluste gegeneinander zu verrechnen. Das ist ein
zentrales Thema.
({15})
Zum dritten Prinzip. Wir müssen dafür sorgen, dass der
ermäßigte Mehrwertsteuersatz so eingesetzt wird, wie
er ursprünglich gemeint war, nämlich um eine soziale
Komponente bei der Mehrwertsteuer zu haben. Das trifft
auf Grundnahrungsmittel, kulturelle Grundbedürfnisse
sowie den öffentlichen Personennah- und künftig auch auf
den öffentlichen Personenfernverkehr zu.
Wenn ich mir Ihren Subventionsbericht ansehe, dann
wird deutlich, dass Sie dort Klientelismus betreiben. In
Ihrem Subventionsbericht von 1998 ist die Steuervergünstigung bei der Mehrwertsteuer für Zahntechniker als
Subvention geführt worden. Ich möchte von Ihnen wissen, wie Sie sich hierzu verhalten: Sie selber haben in
Ihrer Regierungszeit den ermäßigten Mehrwertsteuersatz
für Zahntechniker im Subventionsbericht als Subvention
geführt.
({16})
Wenn Sie dem jetzt nicht nachkommen, dann kann ich
Ihnen voraussagen, wie die Diskussion um die Reform im
Gesundheitswesen laufen wird - sie ist schon im Gange;
Sie sind schon auf den Leim gegangen -: Dadurch, dass
der einen Gruppe der ermäßigte Mehrwertsteuersatz zugestanden wird - die Zahntechniker sind die Einzigen im
Gesundheitswesen -, wird die Tür natürlich weiter aufgemacht und alle anderen Gruppen im Gesundheitswesen
wollen das Gleiche für sich beanspruchen. Ich habe schon
gelesen, dass Sie im Kampf mit der Pharmaindustrie und
den Apothekern nachgeben wollen - das ist ganz einfach und auch Medikamente in den ermäßigten Mehrwertsteuersatz lassen wollen. So werden Sie eine Reform der Sozialsysteme, eine Begrenzung der Lohnnebenkosten und
eine Senkung der Steuer- und Abgabenlast nie hinbekommen.
({17})
Denn es müssen in den Systemen die Rationalisierungsund Effizienzreserven gehoben werden und es darf nicht
zusätzliches Geld in das System hineingesteckt werden.
Wenn wir das machen, dann haben wir diese Auseinandersetzung bereits verloren. Wenn Sie diesen Weg gehen,
dann reden Sie bitte nicht mehr von einer Finanzpolitik,
die wachstumsfördernd ist und die strukturelle Defizite
abbauen wird.
Ich komme nun auf bestehende Gemeinsamkeiten
zurück. Es gibt also eine gemeinsame Position aus Ihrer
Regierungszeit und aus unserer. Sie sind auf die Probe gestellt, ob Sie auch jetzt noch zu ihr stehen und sie durchhalten.
Viertes und letztes Prinzip. Es geht um den Abbau von
Steuervergünstigungen. Die Sache ist ganz einfach: Jeder, der den Normalsatz bezahlt, bezahlt diese mit. Die
größte Vergünstigung - damit bin ich wieder beim Thema
Subvention - ist die Eigenheimzulage. Diese steht im
Subventionsbericht der Bundesregierung von 1998.
({18})
Nun machen Sie, da Sie die ganze Zeit sagen, Subventionsabbau sei die Lösung, doch Ernst damit. Führen Sie
diesen doch wenigstens in den Bereichen durch, die Sie
selber als Subvention definiert haben.
({19})
Der Gedanke der Eigentumsförderung ist richtig; das
ist gar keine Frage. Die Eigentumsförderung ist aber
falsch bei einem Wohnungsmarkt, der in Deutschland
zum größten Teil durch ein Überangebot gekennzeichnet
ist. Jährlich 10 Milliarden Euro an Subventionen hineinzugeben ist weitaus schlimmer als das, was beim Bergbau
passiert. Beim Bergbau, dem einzigen großen Subventionsempfänger, werden die Subventionen jährlich zurückgefahren. Das müssen wir festhalten.
({20})
Sie sind herzlich eingeladen, an dieser Stelle wenigstens Ihre Positionen, die Sie in Ihrer Regierungszeit vertreten, aber nicht umgesetzt haben, mit uns zusammen
umzusetzen. Vielleicht fällt Ihnen auf, dass es dabei um
eine viel stringentere grundsätzlichere Linie geht, bei der
man anpacken muss.
Ich kann verstehen: Eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage ist natürlich sehr viel leichter und schöner, wenn man gleichzeitig die Steuersätze senken kann.
Die finanzielle Lage lässt dies aber nicht zu. Trotzdem
wird es fast dazu kommen; denn die nächste Stufe der
Steuersenkung wird zum 1. Januar 2004 umgesetzt, und
das meiste von dem, worüber wir hier diskutieren, wird
auch erst zu diesem Zeitpunkt in Kraft treten. Das bedeutet, dass die Änderungen allenfalls mit einem halben oder
einem Jahr Vorsprung, spätestens aber zum Zeitpunkt einer weiteren Steuersenkung gültig werden. Dann werden
die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und die
Senkung der Steuersätze gleichzeitig erfolgen. Auch das
war übrigens eine gemeinsame Position. Man wird sehen,
wie es aussieht, wenn es Ernst wird.
Ein finanzpolitisches Ziel ist, das strukturelle Defizit in
einem Gesamtkonzept so zurückzuführen, dass wir auch
bei einem Wachstum von einem Prozent die MaastrichtKriterien gerade noch einhalten können. Das sollte jedem
in diesem Hause einen eigenen Einsatz Wert sein, zumal
weil es eine gemeinsame Position beim Stabilitäts- und
Wachstumspakt war
({21})
Ich sage ausdrücklich, dass dafür auch der Bundesrat verantwortlich ist, in dem Sie die Mehrheit stellen.
Meine Damen und Herren, wir sorgen für eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, eine Befestigung
der Steuerbasis, eine Vereinfachung des Steuerrechts und
Steuersenkungen. Eine solche Politik müsste auch in einer gemeinsamen Verantwortung möglich sein. Ich will
darauf hinweisen, dass das jetzt Sache des Bundesrates
ist. Der Bundestag - dafür bin ich dankbar - wird den Gesetzentwurf heute mit der Mehrheit der Koalition verabschieden. Angesichts Ihrer eigenen Position sind Sie eingeladen, sich sehr sorgfältig zu überlegen, ob Sie gegen
dieses Gesetz wirklich derart Front machen wollen. Sie
verleugnen damit eine Reihe Ihrer eigenen Positionen.
({22})
Mit einiger Verwunderung habe ich gesehen, dass einige Bundesländer, die offiziell erklären, gegen dieses
Gesetz zu sein, die Einnahmen aus diesem Gesetz gleichwohl schon in ihren Haushalt für dieses Jahr eingestellt
haben.
({23})
Hessen hat zum Beispiel 140 Millionen Euro in seinen
Haushalt eingestellt.
({24})
- Ja, noch vor der Wahl. - Die Begründung lautete, dass
die Körperschaftsteuer reformiert werden soll.
Meine Damen und Herren, wenn das gesamte Gesetz,
das hier vorliegt, vollständig umgesetzt wird, bringt es
dem Land Hessen in diesem Jahr nicht 140 Millionen
Euro, sondern 122 Millionen Euro. Was heißt das eigentlich? Ich bin sehr darauf gespannt, wie sich das Land Hessen angesichts der 140 Millionen Euro, die es aufgrund
der Steuerrechtsänderung bei der Körperschaftsteuer in
den Haushalt 2004 eingestellt hat, damit es überhaupt einen verfassungsmäßigen Haushalt zuwege bringen kann,
im Bundesrat verhalten wird.
({25})
Übrigens: Auch das Saarland hat seine Einnahmen aus
diesem Gesetz bereits in den Haushalt eingestellt.
Das heißt aus meiner Sicht, dass wir nicht so weit auseinander liegen, wie die wahlkämpfenden Politiker gelegentlich glauben machen wollen.
Wir alle brauchen nämlich eine Befestigung der Steuerbasis. Damit es nicht zu falschen Zuweisungen kommt
- daran sollten auch Sie von der Opposition im Deutschen
Bundestag kein Interesse haben -, will ich hier mit Nachdruck festhalten, dass die Länder die Verantwortung für
die Kommunalhaushalte haben. Wir machen Vorschläge, die auch für die Kommunal- und die Länderhaushalte
gut sind.
({26})
Das Spiel läuft aber nicht so, dass der Bund und der Bundesfinanzminister die Verantwortung für alle Defizite tragen und die Länder sich zurücklehnen und ihren konstruktiven Beitrag nicht leisten.
Ich bin auf den weiteren Ablauf des Gesetzgebungsvorhabens gespannt. Ich bin mir sicher, dass wir uns im
Vermittlungsausschuss wiedertreffen werden. Möglicherweise wird es danach vernünftigere Ergebnisse geben, als
mancher aus der Oppositionen seinen Beiträgen heute behaupten wird.
({27})
Ich erteile dem Kollegen Michael Meister, CDU/CSUFraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesfinanzminister Eichel hat sein Statement
zu Recht mit dem Hinweis auf die deutsche Wachstumsschwäche - das Restwachstum lag im vergangenen Jahr
bei 0,2 Prozent - begonnen. Allerdings haben Sie vergessen, darauf hinzuweisen, wer diese Wachstumsschwäche
verursacht hat.
Ihre Politik hat dafür gesorgt,
({0})
dass wir das vergangene Jahr mit einem Wachstum von
0,2 Prozent abgeschlossen haben. Es liegt in Ihrer Verantwortung, dass es in Deutschland vier Jahre lang permanent Steuererhöhungen gegeben hat. Damit haben Sie
dafür gesorgt, dass das Wachstum in Deutschland so niedrig ausfällt.
({1})
Im Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung
wurde gerade die Wachstumserwartung für das Jahr 2003
von 1,5 Prozent auf 1 Prozent reduziert. Die Forschungsinstitute gehen von niedrigeren Werten aus. Die Sachverständigen in der Anhörung am 15. Januar haben uns vorausgesagt: Wenn dieses Gesetz ins Bundesgesetzblatt
aufgenommen wird, wird das Wachstum noch einmal um
0,5 Prozent zurückgehen.
({2})
Das heißt, dieses Gesetz ist ein Beitrag, um die Wachstumsschwäche zu verstärken. Er fördert eben nicht
Wachstum und Wirtschaft, Herr Bundesfinanzminister.
({3})
Unsere Forderung an die Bundesregierung ist: Wir
brauchen eine Politik für mehr Wachstum und mehr Beschäftigung, keine Politik gegen Wachstum und Beschäftigung. Wenn Sie heute über 40 Steuererhöhungen beschließen, dann ist das in dieser Lage ein fatales Signal an
die Wirtschaft und die Konsumenten in diesem Land.
Nehmen Sie von diesen Steuererhöhungen Abstand! Ziehen Sie diesen Gesetzentwurf zurück! Befestigen Sie
durch mehr Wachstum die Steuerbasis, die Sie angesprochen haben!
({4})
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben zu Recht gefordert: Wir brauchen eine Politik der Verlässlichkeit. Wir
brauchen mehr Vertrauen. Unsere Steuerpolitik soll bei
den Handelnden in der Wirtschaft durch mehr Verlässlichkeit Vertrauen schaffen. - Das Wirtschaftsklima in der
Bundesrepublik Deutschland wird durch die Diskussion,
die diese Koalition und diese Bundesregierung in der
Steuerpolitik führten, massiv beschädigt. Herr Bundeskanzler Schröder würde, wenn er anwesend wäre, von einer Steuerkakophonie in den letzten sechs Monaten sprechen.
({5})
Kein Mensch konnte verfolgen, was dieser Gesetzentwurf
tatsächlich enthielt, weil sich die Meldungen über den Inhalt täglich geändert haben. Dadurch haben Sie dazu beigetragen, dass wir in Deutschland keine Politik der Verlässlichkeit mehr haben.
({6})
Nehmen wir einmal die Meldung zur Eigenheimzulage vom Anfang dieser Woche. Zunächst hatten Sie vor,
diese Regelung rückwirkend zum 1. Januar dieses Jahres
in Kraft treten zu lassen. Jetzt geben Sie bekannt, dass die
Neuregelung erst am Tage der Verkündung in Kraft treten
werde. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben die jungen
Menschen in Deutschland, die Wohneigentum schaffen
wollen, über sechs Monate lang verunsichert. Sie haben
den Brand gelegt. Nachdem das Haus abgebrannt ist, betätigen Sie sich als Feuerlöscher. Es ist unglaubwürdig, wenn
Sie von dieser Stelle aus mehr Verlässlichkeit fordern.
({7})
Wenn Sie von mehr Verlässlichkeit in der Politik sprechen, dann schauen Sie sich einmal das Thema der Privatnutzung von Dienstwagen an. Kein Mensch in
Deutschland kann Ihnen sagen, welches Recht für die Privatnutzung von Dienstwagen gerade gilt. Einerseits müssen die Menschen das Recht beachten, das heute im Bundesgesetzblatt steht. Andererseits müssen sie auch das
berücksichtigen, was möglicherweise rückwirkend zum
Jahresanfang, wenn dieser Gesetzentwurf verabschiedet
wird, beschlossen wurde. Herr Bundesfinanzminister, das
ist vertrauensschädigend. Ziehen Sie diese Regelung
zurück, um Vertrauen und Verlässlichkeit wieder herzustellen!
({8})
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben vergessen, die
Lage am Arbeitsmarkt zu erwähnen. Die Zahl der Arbeitslosen betrug im Januar 4,62 Millionen. Seit Mitte des
letzten Jahres gibt es eine dramatische Steigerung. Der
Chef der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg, Herr
Gerster, hat für diesen Monat eine weitere Steigerung der
Arbeitslosenzahlen angekündigt. Der Zielwert dieser
Bundesregierung - ich will ihn einmal in Erinnerung rufen - lag nicht bei 4,62 oder 5 Millionen Arbeitslosen. Sie
haben versprochen, die Zahl der Arbeitslosen auf 3,5 Millionen zu senken.
({9})
Mit Ihrer Politik werden die Menschen 16 Milliarden Euro weniger in der Tasche haben. Sie wollen dieses
Geld den Konsumenten in diesem Land entziehen, die
kaum noch konsumieren, weil sie total verunsichert sind.
Sie wollen das Geld den Unternehmen entziehen, die
schon jetzt kaum noch investieren und bald noch weniger
investieren können. Sie entziehen auch der kommunalen
Ebene massiv Geld, die ebenfalls Investitionen benötigt,
welche aber nicht getätigt werden können. Durch eine solche Politik des Geldentzugs schaffen Sie eine noch höhere
Arbeitslosigkeit in Deutschland. Kehren Sie um und nehmen Sie dieses Gesetz zurück! Machen Sie endlich eine
Politik für mehr Beschäftigung und mehr Wachstum in
diesem Lande!
({10})
Ich bedaure, dass Herr Bundeswirtschaftsminister
Clement heute Morgen nicht anwesend ist. Er hat uns in
vielen Reden verkündet, dass unser Land dringend mehr
Flexibilität, mehr Freiheit und Bürokratieabbau braucht.
Mit diesem Gesetzentwurf sollen so genannte Kontrollmitteilungen für über 300 Millionen Konten mit Kapitalerträgen eingeführt werden. Das wird heute mit diesem
Gesetz beschlossen. Das fällt nach Ihrer Aussage unter
das Stichwort Bürokratieabbau.
({11})
Jedes Anlageinstitut muss die entsprechenden Erklärungen erstellen. Die Finanzverwaltung muss diese über
300 Millionen Erklärungen bearbeiten. Auch der Bürger
muss sich damit auseinander setzen, wenn er seine Steuererklärung ausfüllen will.
Das hat nichts mit Bürokratieabbau zu tun, sondern das
ist Bürokratieaufbau. Dadurch entstehen zusätzliche Kosten und mehr Staat. Es wird damit zu einem Schnüffelstaat
kommen.
({12})
An dieser Stelle möchte ich mich einmal ganz konkret
an die Bundestagsfraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
wenden. Meine Damen und Herren, Sie haben einen Ursprung. Ursprünglich haben Sie einmal gesagt, dass Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung Werte
sind, für die Sie in diesem Land kämpfen wollen. Frau
Scheel hat bis zum gestrigen Tage in jedem Pressestatement verkündet, dass Bündnis 90/Die Grünen Kontrollmitteilungen nicht mittragen werden. Aber am letzten
Mittwoch gingen bei der Abstimmung im Finanzausschuss Ihre Arme hoch. Auch heute werden Sie bei der namentlichen Abstimmung Ihre Arme heben. Sie verraten
damit ihre eigenen Wurzeln. Sie vertreten nicht mehr Ihre
ursprünglichen Ziele.
({13})
Sie kämpfen nicht mehr, wie etwa bei der Volksabstimmung Ende der 80er-Jahre, für den Bürger in diesem
Land, sondern Sie sind zur Staatspartei geworden.
({14})
Vor dem Hintergrund einer geplanten Zinsabgeltungsteuer sind Kontrollmitteilungen vollkommen überflüssig. Wir sind der Meinung, dass man auch bei anderen Kapitalerträgen zu einem Analogon zur Zinsabgeltungsteuer
übergehen sollte. Dann brauchen wir auch an dieser Stelle
keine Kontrollmitteilungen mehr.
({15})
Die Befürchtungen, die Sie, Herr Bundesfinanzminister, allerdings wecken, wenn Sie jetzt Kontrollmitteilungen einführen, zeigen sich in der wabernden Debatte um
die Vermögensteuer und in der wabernden Debatte um die
Frage, ob man nicht auch Kapitalerträge als Bemessungsgrundlage für Sozialbeiträge heranziehen sollte.
({16})
Vor diesem Hintergrund stärken Sie nicht den Finanzplatz
Deutschland und den Kapitalmarkt in Deutschland, sondern schwächen ihn. Das hat nichts mit verlässlicher Politik zu tun. Sie zerstören an dieser Stelle Vertrauen und
Verlässlichkeit.
({17})
Da wir über das Thema Bürokratie sprechen, möchte
ich auch einmal den Luftverkehr ansprechen. Hier haben
Sie ja jetzt vor, dass grenzüberschreitende Flüge in Zukunft der Umsatzsteuer unterworfen werden sollen. Sie
tun dies allerdings isoliert, nicht abgestimmt mit Ihren europäischen Partnern. Ich frage Sie: Was wollen Sie machen, wenn jemand ohne Zwischenlandung in Deutschland von Rom nach London fliegt? Wie wollen Sie beim
Überflug über Deutschland den Umsatzsteueranteil erheben? Wollen Sie das Flugzeug zur Zwischenlandung
zwingen?
({18})
Da die Umsatzsteuer ja bereits beim Ticketkauf entrichtet werden muss, frage ich Sie: Was machen Sie, wenn
ein Flug plötzlich länger dauert, weil zum Beispiel der
Flugplatz gesperrt ist oder eine Warteschleife geflogen
werden muss? Wie berechnen Sie dann den inländischen
Streckenanteil, Herr Bundesfinanzminister? Ihr Gesetzentwurf führt zu einer Wahnsinnsbürokratie und zerstört
in Europa Vertrauen, weil Sie in einem isolierten Schritt
vorgehen. So kann man keine verlässliche Steuerpolitik
machen. Auch an dieser Stelle schaffen Sie wieder eine
Menge Bürokratie.
({19})
Herr Bundesfinanzminister, nun komme ich auf den
Punkt Haushaltskonsolidierung zu sprechen. Wir sind uns
einig: Wir wollen den Vertrag von Maastricht einhalten.
({20})
- Wir, Frau Kollegin, hatten einen Bundesfinanzminister
Theo Waigel, der den Vertrag von Maastricht und seine
Kriterien nach einem harten Kampf in Europa durchgesetzt hat. Wir haben die Maastricht-Kriterien in den Haushaltsjahren bis 1998 eingehalten. Deshalb bekennen wir
uns zu Maastricht und zur Haushaltskonsolidierung. Wir
wollen den Vertrag einhalten und wir wollen die Haushaltskonsolidierung erreichen.
({21})
Herr Bundesfinanzminister, Sie formulieren die Alternative: entweder höhere Steuern oder höhere Schulden.
Ich antworte Ihnen an dieser Stelle: Wenn Sie die Politik,
die Sie heute in diesem Gesetzentwurf vorschlagen, fortsetzen, dann werden Sie durch Ihren Beschluss am Ende
sowohl höhere Steuern als auch höhere Schulden bekommen, weil Sie das Wachstum massiv schädigen und dadurch die Einnahmen, die Sie erwarten, überhaupt nicht
realisieren können. Sie werden mit beidem enden: mit
höheren Schulden und mit höheren Steuern.
({22})
Sie bauen an diesem zentralen Punkt die falsche Alternative auf. Ihre Gedanken sind geprägt von rein fiskalistischem Denken.
({23})
Sie verlieren die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge
vollkommen aus dem Blick. Deshalb muss die Politik, die
Sie hier einschlagen, scheitern.
({24})
Wir fordern Sie auf - Sie nennen sich ja „Sparkommissar“ -, Folgendes zu tun: Fangen Sie endlich an, auf der
Ausgabenseite des Bundeshaushaltes zu sparen, und behaupten Sie nicht, dass Steuererhöhungen Sparpolitik seien!
({25})
Fangen Sie endlich an, bei Bürgern und Unternehmen
wieder Vertrauen zu schaffen! Sie haben dieses Vertrauen
in den vergangenen vier Jahren massiv gestört. Fangen
Sie an, am Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft mehr Flexibilität zuzulassen! Bringen Sie Ihre Fraktion dazu, dass
sie hierbei zustimmt und dass nicht nur Mitglieder der
Bundesregierung darüber reden! Entlasten Sie endlich
Wirtschaft und Arbeitsmarkt von unnötiger Bürokratie!
Dann wird es in Deutschland vorangehen. Dann werden wir
weniger Schulden und niedrigere Steuern haben. Das erreichen wir aber nicht durch das, was Sie hier vorschlagen.
Sie haben über die Konsolidierung gesprochen. Daher
möchte ich noch ein Wort zu Ihrem Finanztableau sagen.
Wir haben dieses Finanztableau im Finanzausschuss intensiv diskutiert. Den Mitarbeitern Ihres Ministeriums ist
es nicht gelungen, die Zahlen, die dort aufgeschrieben
sind, zu erhärten. Deshalb möchte ich massiv bezweifeln,
dass die Zahlen, die Sie in das Finanztableau aufgenommen haben, in irgendeiner Form fundiert sind. Es handelt
sich um Beträge, die Sie aus der Luft gegriffen haben.
Ich will noch einen weiteren Punkt ansprechen. Wir haben in der vergangenen Wahlperiode das Thema Altersvorsorge diskutiert. Sie haben seinerzeit zu Recht festgestellt - darin sind wir einer Meinung -, dass die
betriebliche und die private Altersvorsorge gestärkt werden müssen.
Was aber tun Sie mit diesem Gesetz? Wir wollen die
Bürger ermuntern, mehr private Altersvorsorge zu betreiben, Sie aber besteuern den Wertzuwachs im privaten Bereich. Damit setzen Sie ein absolut kontraproduktives Signal, indem Sie denjenigen, der private Altersvorsorge
betreibt, plötzlich an dieser Stelle mit einer Steuer belegen. Sie machen bei der beliebtesten Form der privaten
Altersvorsorge, nämlich dem Wohneigentum, einen Einschnitt, indem Sie an die Eigenheimzulage herangehen,
Herr Bundesfinanzminister.
Ich möchte daran erinnern, dass Ihre Fraktion gemeinsam mit uns die Eigenheimzulage beschlossen hat, und
zwar wohl wissend, dass wir damit eine Subvention beschließen. Das war der gemeinsame Wille des Gesetzgebers. Ich bin der Meinung, dass man deshalb zu diesem
Willen auch stehen sollte.
({26})
- Herr Binding, Sie haben doch zugestimmt. Sie waren
der Meinung, dass es richtig ist.
({27})
Selbst Ihr Bundeskanzler hat im August in einem Interview mit „Heim und Garten“ gesagt: Wir - damit hat er
wahrscheinlich die SPD-Fraktion und die Bundesregierung gemeint - wollen an der Eigenheimzulage in unveränderter Form festhalten.
({28})
Das war im August 2002. War das eine Täuschung? Hat er
nicht gewusst, was er erzählt, oder hat er das gesagt, was
eigentlich gelten sollte, was er aber vier Wochen später
wieder vergessen hatte?
({29})
Sie haben - damit möchte ich zum Schluss kommen das Stichwort Subventionen angesprochen, Herr Bundesfinanzminister. Wir halten uns bei den Subventionen
schlicht und ergreifend an das, was Sie als solche definieren.
Sie als Bundesregierung verfassen schließlich den Subventionsbericht. Was darin erläutert ist, sind Subventionen, und
was Sie nicht aufführen, sind keine Subventionen.
Von den Maßnahmen, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf
vorsehen, sind 14 im Subventionsbericht aufgeführt; die
anderen sind keine Subventionen. Wenn Sie jetzt der Auffassung sind, dass wir an Subventionen herangehen und
die Bemessungsgrundlage der Besteuerung verbreitern
sollten, dann sind wir unter der Voraussetzung mit Ihnen
einer Meinung, dass Sie im gleichen Atemzug die Steuersätze senken. Das haben wir auf dem Petersberg vorgeschlagen und in diesem Hause mit unserer Mehrheit beschlossen. Dazu müssen Sie uns also nicht auffordern. Ihr
Amtsvorgänger aus Ihrer Partei hat leider dafür gesorgt,
dass dieses Gesetz niemals in Kraft getreten ist.
Wenn Sie sich auf diesen von uns eingeschlagenen
Weg begeben würden, dann hätten Sie uns auf Ihrer Seite.
Diesen Weg würden wir mit beschreiten, weil dann in der
Steuerpolitik in Deutschland tatsächlich etwas vorangehen würde.
Ich darf Sie auffordern: Ziehen Sie dieses Gesetz zurück, um Schaden von dem deutschen Volk abzuwenden.
Danke schön.
({30})
Das Wort hat nun Kollegin Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
war eine klassische Situation. Es war nämlich genau so,
wie wir es von der Union seit Monaten kennen:
({0})
nur Kritik und Blockade, aber kein einziger Vorschlag,
wie Sie die Staatsfinanzen in Deutschland für alle Ebenen
in Ordnung bringen wollen.
({1})
Sie versuchen wieder, zu suggerieren - das grenzt an
Täuschung der Bürger und Bürgerinnen -,
({2})
dass der Abbau von Steuervergünstigungen eine Steuererhöhung sei. Das ist aber nicht der Fall. Vielmehr werden diejenigen, die Steuern nach ihrer Leistungsfähigkeit
zahlen, insgesamt belastet. Das haben wir konzeptionell
so angelegt und das ist im Bundesgesetzblatt für die Jahre
2004 und 2005 bereits verankert worden.
({3})
Es ist richtig, dass viele Bürger und Bürgerinnen nicht nur
den Eindruck haben, dass unser Steuerrecht sehr kompliziert
ist, sondern auch, dass es tatsächlich sehr kompliziert ist.
({4})
Das bekommt man bei Veranstaltungen zu Recht von den
Menschen zu hören. Dazu sage ich Ihnen: In Deutschland
wurde jahrzehntelang Gesellschaftspolitik über das Steuerrecht geregelt. Es ist alles im Steuerrecht geregelt: von der
Bauförderung über die Familienförderung und Kulturförderung bis hin zu der Frage, welche Belastungen behinderte
Menschen steuerlich geltend machen können, und vieles
mehr. Fast jede Lebenssituation ist steuerlich geregelt.
Was wir in Deutschland brauchen, ist ein klares System, auf das wir mit der Senkung der Tarife und der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage hinarbeiten. Das
ist der einzige Weg, um zu einem vernünftigen Steuerkonzept in dieser Republik zu kommen.
({5})
Herr Meister, strengen Sie bitte Ihr Gedächtnis an. Es
ist zwar richtig, dass wir uns in einer wirtschaftlich sehr
schwierigen Situation befinden,
({6})
dass es eine Wachstumsschwäche gibt und die Stimmung
in unserem Land nicht gut ist. Das stimmt und das muss
man auch konstatieren. Deshalb darf man den Leuten aber
nicht suggerieren, das Problem werde gelöst, indem wir
Steuern, Abgaben und die Staatsquote senken und darüber
hinaus jeder das bekommt, was er will. So kann man keine
verantwortungsvolle Politik in diesem Land betreiben.
({7})
Ich schaue nicht gern zurück, sondern lieber nach vorn,
aber man muss auch sehen, dass wir in den 90er-Jahren
zwei Jahre mit Minuswachstum zu verzeichnen hatten.
Auch damals befanden wir uns in sehr schwierigen konjunkturellen Situationen und das wissen auch Sie sehr gut.
Jetzt so zu tun, als sei Deutschland fast schon ein Entwicklungsland auf der untersten Stufe, ist unverantwortlich, und
zwar nicht nur gegenüber den deutschen Investoren; es ist
auch deshalb unverantwortlich, weil im außereuropäischen
Bereich, aber auch innerhalb Europas dadurch zunehmend
der Eindruck entsteht, als sei die Wirtschaft hier so am Boden, dass es sich für ausländische Investoren nicht mehr
lohne, ihr Geld einzusetzen. Auch das hat überhaupt nichts
mit Verantwortung zu tun. Sie sorgen mit Ihren Übertreibungen, die der Situation nicht angemessen sind, ausschließlich für eine miese Stimmung im Land.
({8})
Wir haben eine Empfehlung des Rates der Europäischen Union zum Abbau eines übermäßigen Defizits in
der Bundesrepublik erhalten; diese ist unmissverständlich. Wir müssen bis zum 21. Mai dieses Jahres unser
Konsolidierungspaket von insgesamt 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes umsetzen. Dabei handelt es sich um die
bekannten 14,3 Milliarden Euro, über die immer geredet
wird. Diesen Beitrag brauchen wir, um aus dem eingeleiteten Defizitverfahren herauszukommen.
Es ist eine Kraftanstrengung, die hier vorgenommen
werden muss. Der heute zu beschließende Gesetzentwurf
ist ein Bestandteil davon. Der Minister hat auf die Haushaltssituation hingewiesen und die Einsparungen im
Haushalt genannt. Wir wollen diesen Auftrag umsetzen,
indem wir Steuerschlupflöcher schließen, steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten einschränken und Steuersubventionen abbauen. Das ist der Auftrag, den wir zu erfüllen
haben und den wir zu erfüllen gewillt sind.
Die Union und auch die FDP - bei Ihnen klingt es genauso - beantragen, den Gesetzentwurf abzulehnen.
({9})
Sie erweisen sich damit als Bewahrer und Bewahrerinnen,
Frau Wülfing, von hohen Subventionen in diesem Land
und Sie zeigen, dass Sie absolut kein Faible für die zwingend erforderliche Finanzpolitik in der Verantwortung gegenüber dem Bund, den Ländern und vor allen Dingen gegenüber unseren Kommunen haben.
({10})
Mit dieser Blockadehaltung kommt die Union nicht
aus der Verantwortung heraus. Jeder weiß, dass Sie in der
Länderkammer die Mehrheit haben und eine unmittelbare
Verantwortung dafür tragen, dass die Länderhaushalte
verfassungskonform aufgestellt werden können. Sie tragen darüber hinaus Verantwortung für den mit der EU vereinbarten Konsolidierungskurs; denn die Länder stehen
für 55 Prozent des gesamtstaatlichen Defizits. Aus dieser
Verantwortung werden Sie nicht entlassen.
Der Minister hat darauf hingewiesen - das war für
uns sehr interessant -, dass die Länderhaushalte für das
Jahr 2003 so aufgestellt wurden, als gäbe es dieses Gesetz bereits. Die Wählerinnen und Wähler sind doch im
Wahlkampf, vor allem in Hessen, getäuscht worden. So
hat Herr Koch das Geld, das ihm erst auf der Grundlage
des zu verabschiedenden Gesetzentwurfs zur Verfügung
stehen wird, bereits in seinen Haushalt eingestellt, obwohl er behauptet, den Gesetzentwurf im Bundesrat ablehnen zu wollen. Das ist keine verantwortungsvolle
Politik.
({11})
Die Union hat angekündigt, den Bundesrat nicht für
Parteipolitik zu missbrauchen.
({12})
Das heißt im Klartext, dass Sie sich konstruktiv - Verweigerung und Blockade sind kein Konzept - an der Sicherung der Einnahmen für alle Ebenen beteiligen. Das
haben einige von Ihnen und auch einige der von CDU und
CSU geführten Bundesländer zumindest eine Zeit lang
angekündigt.
({13})
Wenn man sich aber die aktuellen Diskussionen in den
Medien und bei Veranstaltungen, an denen Unionsvertreter teilnehmen, anhört, dann kommt man zu dem Schluss,
dass dies nur eine Pose zu sein scheint. Interessant wird es
ja immer dann, wenn es konkret wird.
({14})
Die Vorstellungen der einzelnen Unionsvertreter gehen nämlich weit auseinander und vor allem wild durcheinander: Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt,
Herr Böhmer, und der Ministerpräsident des Saarlandes,
Peter Müller, möchten wieder über eine Mehrwertsteuererhöhung diskutieren. Der baden-württembergische Finanzminister, Herr Stratthaus, möchte gerne - das ist ja eigentlich kein Fehler - Personalausgaben einsparen. Der
bayerische Finanzminister Faltlhauser glaubt nicht, dass
sich mit Subventionsabbau viel erreichen lasse, während
Ministerpräsident Stoiber daran glaubt. Das alles finde ich
eigenartig. Man merkt, dass hinter dem, was Sie vorschlagen - Sie sprechen immer von einer einheitlichen Linie;
dabei kann die Uneinheitlichkeit jeden Tag nachgelesen
werden -, kein Konzept steckt. Es handelt sich vielmehr
um Einzelmeinungen, die, je nachdem woher der Wind
gerade weht, von Ihrer Seite vorgetragen werden.
({15})
Sie haben vorgeschlagen, bei den Subventionen pauschal zu streichen. Die einen reden von 10 Prozent, die anderen von 15 Prozent. Die FDP möchte neuerdings
- das habe ich jedenfalls gehört -, dass 20 Prozent gestrichen werden. Ich bin gespannt, wie das weitergehen soll;
denn auch Sie müssen einsehen, dass pauschale Kürzungen - das erkennt man, wenn man den Subventionsbericht liest - den Abbau von Subventionen und Steuervergünstigungen bedeuten. Laut Subventionsbericht steht
die Eigenheimzulage an erster Stelle bei den 20 größten
Steuervergünstigungen in der Bundesrepublik Deutschland. Meine Damen und Herren von der FDP-Fraktion,
wenn Sie die Subventionen pauschal um 20 Prozent kürzen wollen, dann müssen Sie auch sagen, wo gekürzt werden soll. Aber darüber hört man überhaupt nichts. Es wird
stattdessen einfach gesagt: Wir wollen pauschal 20 Prozent kürzen.
Unter den 20 größten Finanzhilfen und Steuervergünstigungen des Bundes befinden sich auch das Kindergeld
- wir wollen das familienpolitisch sinnvoll regeln -, die
Steuerfreiheit von Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschlägen und die Arbeitnehmersparzulage. Sie können
das alles selber im Subventionsbericht nachlesen, in dem
das alles auf einer Seite zusammengefasst ist. Ich wünsche mir, dass die Zeitungen einmal darüber berichten,
was Ihre Vorschläge eigentlich bedeuten. Dann wüsste die
Bevölkerung endlich, dass die SPD zusammen mit uns
vernünftig und zielgenau abbauen will, während Sie nach
der Rasenmähermethode - Sie wollen die Existenzgründerdarlehen für kleine und mittlere Betriebe und die Mittel für die Forschung kürzen sowie die Gelder für den
Wohnungsbau zusammenstreichen, was gerade von Herrn
Meister sehr bedauert wurde und was er der Regierung
vorgeworfen hat - kürzen wollen. Bloß, Sie sprechen die
Maßnahmen, die Ihre Vorschläge zur Folge hätten, nicht
an. Das finde ich unlauter. Man sollte auch sagen, was
man will, und darf nicht so tun, als ob das alles unproblematisch wäre und als ob niemandem etwas weggenommen würde, sondern - im Gegenteil - noch etwas hinzubekäme. So geht das nicht.
({16})
Noch im Wahlkampf hat die Union getönt, dass
Großunternehmen wieder mehr Steuern zahlen müssten.
Das hat mich schon damals gewundert; denn der Vorschlag der Union und der FDP, Subventionen und Steuervergünstigungen pauschal zu kürzen, macht ganz unmissverständlich klar - man muss sich nur die einzelnen
Bereiche genau anschauen -, worum es geht: Sie wollen
die kleinen und mittleren Unternehmen belasten und die
großen außen vor lassen; denn Sie haben angekündigt,
dass Sie unsere Vorschläge zur Körperschaftsteuer nicht
unterstützen wollten, und das, obwohl große Unternehmen aufgrund Ihrer damaligen Gesetzgebung noch über
15 Milliarden Euro Guthaben verfügen. Man muss eine
Regelung finden, die gewährleistet, dass alle Unternehmen wenigstens von nun an ihren Beitrag zum Gemeinwohl leisten. Es darf nicht länger so sein, dass große Unternehmen jahrelang aufgrund von Verlustverrechnungen
in einer Größenordnung von 250 Milliarden Euro überhaupt keine Steuern mehr zahlen.
({17})
Wir sind der Auffassung, dass es richtig ist, dass in allen Ressorts Kürzungen hingenommen werden müssen.
Das Kürzen von Ausgaben allein reicht aber nicht. Die
Neuverschuldung in diesem Jahr ist - auch das muss man
einmal klar sagen - die niedrigste seit der Wiedervereinigung. Wir müssen darüber hinaus die Einnahmeseite
stärken. Sie reden immer nur - ohne dabei konkret zu werden - über die Ausgabenseite, nie aber über die Einnahmeseite. Sie müssen hier endlich einmal Farbe bekennen.
Sie müssen einmal sagen, wie Sie die Ausgaben verringern und die Einnahmen erhöhen wollen.
In den Ländern wurden die Bauinvestitionen drastisch, um mehr als 10 Prozent, zurückgefahren. So etwas
macht doch keinen Sinn. Wenn die Baukonjunktur lahmt,
dann darf man nicht auf den Bund zeigen, sondern dann
muss man dafür sorgen, dass wir in diesem Land vernünftige und stabile Einnahmen haben. Wenn das der Fall
ist, dann werden die Bauinvestitionen, die getätigt werden
können - 80 Prozent der Bauinvestitionen werden auf
kommunaler Ebene vorgenommen -, auch getätigt. Wir
brauchen dieses Gesetz, um den Kommunen und den Ländern wieder mehr Investitionsmöglichkeiten und mehr
Spielräume zu geben, also um unserer Verpflichtung insgesamt nachzukommen.
Vielen Dank.
({18})
Ich erteile das Wort Kollegen Hermann Otto Solms,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Scheel, wir reden heute über das so genannte
Steuervergünstigungsabbaugesetz. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben Ihre Rede mit einigen Aussagen begonnen, denen alle in diesem Hause zustimmen können.
Sie haben gesagt, wir brauchten eine Politik der Verlässlichkeit, eine Politik der Wachstumsförderung und wir
müssten das Konvergenzkriterium „Haushaltsdefizit maximal 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes“ des europäischen Stabilitätspaktes einhalten. Das ist alles richtig.
Nur, um Gottes willen, Herr Bundesfinanzminister,
warum machen Sie keine Politik, die diesen Ansprüchen
genügt?
({0})
Warum legen Sie uns hier dieses saumiserable Gesetz
vor? Sie haben sich mit diesem Gesetz doch selbst beschädigt. Es hat keine Initiative der Bundesregierung gegeben, die das Ansehen der Bundesregierung so wie dieses Gesetz herabgesetzt hat. Das Beste, was Sie tun
könnten, bevor dieses Gesetz im Bundesrat kassiert wird,
ist, dass Sie es selbst zurückziehen. Aber Sie haben nicht
den Mut, anzuerkennen, dass Sie hier etwas völlig
Falsches getan haben.
({1})
Herr Bundesfinanzminister, schon der Name dieses
Gesetzes - Steuervergünstigungsabbaugesetz - beinhaltet
eine Täuschung. Mit diesem Gesetz sind über 40 Steuererhöhungen verbunden; dennoch nennen Sie es „Steuervergünstigungsabbaugesetz“. Sie wollen den Menschen
damit suggerieren, Sie beseitigten Ungerechtigkeiten.
({2})
Das ist alles falsch. In Wirklichkeit vergrößern Sie die Anzahl der Ungerechtigkeiten, die in unserem Steuersystem
stecken, und Sie belasten einzelne Sektoren einseitig. Da2230
durch vertiefen Sie die steuerliche Ungerechtigkeit, die es
in Deutschland gibt.
({3})
Es beginnt also schon mit einem Täuschungsmanöver.
Sie sagten, von diesem Gesetz sollte grundsätzlich eine
wachstumsfördernde Wirkung ausgehen. Konjunkturpolitisch ist dieses Gesetz Gift. Es wird die Wachstumskräfte
schwächen und nicht steigern. Dieses Gesetz wird auch
keine strukturpolitischen Erfolge nach sich ziehen. Durch
dieses Gesetz wird die Steuerstruktur nicht verbessert, allenfalls verschlimmbessert. Steuersystematisch ist dieses
Gesetz durch und durch verfehlt; deswegen dürfen wir
diesem Gesetz nicht zustimmen. Sie ermahnen uns, Gesamtverantwortung zu tragen. Das darf aber doch nicht
geschehen, um falsche Gesetze zu beschließen.
({4})
Die FDP-Fraktion wird wie die CDU/CSU-Fraktion
- sie hat das durch den Kollegen Meister eben auch angekündigt - diesem Gesetz in diesem Hause nicht zustimmen; sie wird es ablehnen. Die FDP wird in allen
Landesregierungen, an denen sie beteiligt ist, dafür sorgen, dass diesem Gesetz auch im Bundesrat nicht zugestimmt wird, dass es dort abgelehnt wird.
({5})
Die FDP-Fraktion wird den Vermittlungsausschuss
nicht anrufen. Wenn Sie im Vermittlungsausschuss einen
letzten Rettungsversuch unternehmen wollen, dann haben
Sie das zu verantworten. Die Bundesregierung kann den
Vermittlungsausschuss anrufen. Wir werden das nicht tun,
weil wir dieses Gesetz für durch und durch verfehlt halten.
Sie haben jetzt zuletzt noch einige Änderungen vorgenommen. Sie haben die Belastungswirkung des Gesetzes
von ursprünglich über 17 Milliarden Euro auf 15,4 Milliarden Euro gesenkt, indem Sie dem Gesetz einige Spitzen
genommen haben oder Entscheidungen anderen Gesetzgebungsvorhaben überlassen, beispielsweise den zunächst
vorgesehenen gewerbesteuerlichen Regelungen.
({6})
Die Entscheidung darüber überlassen Sie jetzt sinnvollerweise - das gebe ich zu - der Kommission zur Gemeindefinanzreform. Damit bleibt aber die Bedrohung der Einschränkung der gewerbesteuerlichen Organschaft. Das
wäre eine völlig falsche Maßnahme. Zu glauben, jetzt sei
die Öffentlichkeit zufrieden, weil Sie die Belastungswirkung um 10 Prozent reduziert haben, ist nun wirklich ein
Irrtum. Das wird niemand zu würdigen wissen.
Noch eine zusätzliche Bemerkung zu der Frage der
Auswirkungen auf die Gemeinden. Wir haben uns letzte
Woche damit befasst. Wir, die CDU/CSU und der Bundesrat - mit Zustimmung der FDP - haben beantragt, die
Gewerbesteuerumlage von 30 Prozent wieder auf 20 Prozent zu senken. Das würde den Gemeinden in diesem Jahr
Mehreinnahmen von gut 2 Milliarden bis 2,5 Milliarden Euro bringen.
({7})
- Das hätte den Gemeinden dies gebracht.
({8})
- Das würde den Gemeinden rund 2,5 Milliarden Euro zusätzlich bringen! Leugnen Sie die Wahrheit nicht ab! Das
steht doch im Gesetz.
({9})
Ihre Steuererhöhungsmaßnahmen führen jetzt zu einer
Verbesserung der Finanzlage der Gemeinden um 283 Millionen Euro, also gerade 10 Prozent davon. Das ist auch
eine Frage der Glaubwürdigkeit in der Diskussion um die
Gemeindefinanzen, meine Damen und Herren. Da können
Sie die Gemeindekämmerer nicht hinters Licht führen.
Damit haben Sie sich an den Gemeindefinanzen schuldig
gemacht.
({10})
Von den Gemeindefinanzen - das wissen Sie so gut wie
wir - hängt auch ein Gutteil der konjunkturellen Entwicklung ab. Von daher war das ein fundamentaler Fehler, den wir Ihnen nicht so einfach durchgehen lassen.
({11})
Einige Regelungen in dem Gesetz sind auch systematisch völlig verfehlt. Das gilt insbesondere für die Einführung einer Mindestbesteuerung. Was heißt das denn?
Das heißt, Unternehmen, die Verlustjahre hinter sich haben, können die Verluste, wenn sie wieder in die Gewinnzone kommen, nicht mehr voll verrechnen. Mit der Verrechnung dauert es so lange, bis sie wieder in eine
Verlustphase kommen.
({12})
Das wird bei vielen Unternehmen, die eine geringe Eigenkapitalbasis haben, unweigerlich zur Insolvenz
führen, weil sie die Steuern dann aus der Substanz, aus
dem Eigenkapital, zahlen müssen. Im Übrigen mindert
das ihre Kreditfähigkeit.
Wir waren gestern Abend beim Sparkassenverband. Da
ist uns gesagt worden, dass etwa 50 Prozent der kleineren
und mittleren Unternehmen mit einem Umsatz von bis zu
500 000 Euro, also die ganz kleinen, überhaupt kein Eigenkapital haben. Alle die stehen ohnehin auf der Kippe.
Deren Probleme verschärfen Sie mit solch unsinnigen
Maßnahmen.
({13})
Zur Eigenheimzulage ist schon einiges gesagt worden. Vorgesehen ist ja nicht nur die Kürzung der Eigenheimzulage, sondern auch eine Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen im Wohnungsbau. Das führt
natürlich dazu, dass dieser Branche, die ohnehin auf dem
Boden liegt, ein zusätzlicher Dämpfer verpasst wird und
dass noch einmal Zehntausende von Arbeitnehmern entlassen werden müssen.
({14})
Was soll die Sache mit der Dienstwagenbesteuerung?
Wen treffen Sie damit? Es sind doch nicht die S-KlasseFahrer, sondern es sind die kleinen Handelsvertreter und
die Monteure im Außendienst.
({15})
Das sind diejenigen, die die Wirtschaft am Leben halten.
Denen verteuern Sie den Dienstwagen um 50 Prozent. Sie
müssen das einmal richtig lesen! Das wird um 50 Prozent
teurer. Die Auswirkung auf die Automobilindustrie will
ich gar nicht ansprechen. Eine solche Maßnahme ist einfach dumm. Sie ist überhaupt nicht verständlich.
({16})
Zu den Einschränkungen bei den Werbegeschenken.
Jetzt haben Sie das korrigiert und die Grenze von 40 auf
30 Euro gesenkt. Das macht doch überhaupt keinen Sinn.
Wen trifft das im Wesentlichen? Das trifft den deutschen
Weinbau und kleine Werbegeschenkehersteller. Warum
soll diese kleine Branche jetzt die Zeche bezahlen? Das ist
Rosinenpickerei. Das ist doch keine vernünftige ordnungspolitische Finanzpolitik, die Sie damit machen.
({17})
Mit den Umsatzsteuererhöhungen treffen Sie einseitig
die Landwirschaft.
({18})
Während der Steuersatz auf Futter für Haustiere niedrig
bleibt, sollen die landwirtschaftlichen Vorprodukte wie
Nutzvieh, Futtermittel, Saatgut usw. mit höheren Steuersätzen belastet werden. Das ist angesichts der überaus
schwierigen Situation, in der sich die Land- und Forstwirtschaft ohnehin befindet, völlig unakzeptabel. Dieser
Gesetzentwurf ist verfehlt.
Zum Schluss noch eine Bemerkung zur Zinsabgeltungsteuer, zur Amnestie, zu Kontrollmitteilungen und zum
Bankgeheimnis: Hier sind Sie auf dem richtigen Weg.
Kollege Solms, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kuhn?
Gern.
Bitte schön, Herr Kuhn.
Herr Kollege Solms, wir sind hier, um Ihre Alternativvorschläge zu hören. Sie haben gesagt, dass Sie unseren
Gesetzentwurf ablehnen. Das haben wir verstanden. Sie
haben aber noch keinen Satz dazu gesagt, wie Sie mit den
Haushaltsproblemen fertig werden wollen. Deswegen
möchte ich Ihnen folgende Frage am Beispiel der Eigenheimzulage stellen: Sie sagen einerseits, Sie lehnen die
Vorschläge der Regierung ab. Andererseits ist die FDP für
eine 10- bzw. 20-prozentige pauschale Subventionskürzung. Die Eigenheimzulage ist die größte Position im
Subventionshaushalt mit einem Volumen in Höhe von
10 Milliarden Euro. Eine Kürzung um 10 Prozent würde
1 Milliarden Euro und eine Kürzung um 20 Prozent würde
2 Milliarden Euro entsprechen.
({0})
Ich möchte von Ihnen wissen, wie diese Kürzung um 1 bzw.
2 Milliarden Euro bei der Eigenheimzulage konkret aussehen soll und worin der Unterschied zu den von uns vorgeschlagenen Kürzungen liegt.
Es geht nicht, dass Sie hier wortreich zum Ausdruck
bringen, was Sie nicht wollen, aber während der gesamten Ihnen zur Verfügung stehenden Redezeit - deswegen
möchte ich die verlängern - nichts
({1})
- das ist doch eine Frage; am Schluss steht ein Fragezeichen, darauf könnt ihr euch verlassen - darüber sagen,
welche Alternative Sie in diesem Haus vorschlagen.
({2})
Herr Kuhn, ich bedanke mich für die Frage. Sie gibt
mir zusätzliche Redezeit.
Zunächst einmal haben wir hier über Ihren Gesetzentwurf zu diskutieren. Er steht zur Abstimmung.
({0})
Wenn man die Regierungsmehrheit hat, muss man auch
zu seiner Verantwortung stehen. Man kann die Verantwortung nicht auf die Opposition schieben.
({1})
Sie haben die Verantwortung und müssen auch dazu stehen, und zwar müssen Sie, Frau Scheel, auch ehrlich dazu
stehen,
({2})
aber dazu komme ich gleich noch.
Wir schlagen vor - dies war auch Teil unseres Wahlprogramms -, die Subventionen pauschal zu kürzen. Wir
halten nichts von Ihrer Rosinenpickerei, mit der Sie die
Gruppen belasten, von denen Sie glauben, dass es sich dabei nicht um Ihre Wähler handelt, aber nicht die Gruppen,
von denen Sie glauben, dass es sich um Ihre Wähler handelt. Denken Sie an die Feiertagszuschläge. Diese Rosinenpickerei lehnen wir ab. Wir wollen, dass die Subventionen für alle gekürzt werden.
Wenn Sie als Regierungskoalition, die Sie in diesem
Hause noch die Mehrheit haben, den Vorschlag einbringen würden, alle Subventionen pauschal um 10 Prozent zu
kürzen, würden wir Ihnen zustimmen. Wir würden Ihnen
dabei helfen, die Lösungen im Einzelnen zu finden. Wenn
Sie vorschlagen würden, alle Subventionen pauschal um
20 Prozent zu kürzen, dann würde - das garantiere ich Ihnen - die FDP-Bundestagsfraktion zustimmen. Das wäre
eine saubere, solide Lösung.
({3})
Diese Lösung wäre auch konjunkturpolitisch richtig,
denn dadurch würden die Ausgaben gesenkt und nicht die
Einnahmen erhöht. Das ist entscheidend. Wir können die
Haushalte nur auf der Aufgabenseite konsolidieren, nicht
auf der Einnahmeseite, denn eine Konsolidierung auf der
Einnahmeseite bedeutet immer eine Belastungserhöhung
für die Bevölkerung.
({4})
Das dämpft das Wachstum und führt zu mehr Arbeitslosigkeit. Das ist der ordnungspolitisch unterschiedliche
Ansatz zwischen Ihnen und uns.
({5})
Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zu Ihnen,
Frau Kollegin Scheel, sagen, mittlerweile heißt sie die
„doppelte Christine“:
({6})
Wir alle beobachten es schon seit langem. Sie sind Vorsitzende des Finanzausschusses, haben also ein herausgehobenes Amt inne. In diesem Amt haben Sie Verantwortung
zu zeigen und zu übernehmen. Es geht nicht, dass Sie in
Personalityshows, in der „Welt am Sonntag“ oder in anderen Zeitungen das Gegenteil von dem behaupten, was
Sie hier im Finanzausschuss und im Bundestag tun.
({7})
Das ist verantwortungslos.
({8})
- Bevor Sie Ihre Frage stellen, möchte ich Ihnen ein jüngeres Zitat aus der „taz“ vom 21. Januar 2003 vorlesen:
Die grüne Finanzexpertin Christine Scheel will das
Bankgeheimnis in seiner bisherigen Form schützen.
... Scheel hält Kontrollmitteilungen für „überflüssig“.
Vorgestern haben Sie im Finanzausschuss genau das
Gegenteil beschlossen.
({9})
Sie haben nämlich mit Ihren Kollegen für die Abschaffung des Bankgeheimnisses gestimmt. Damit haben Sie
genau das Gegenteil von dem, was Sie gesagt haben, getan. Das ist unglaubwürdig und unverantwortlich, wenn
man ein solches Amt innehat.
({10})
Wenn man dieser Meinung ist, muss man das Amt zur Verfügung stellen. So ist das in der Politik nun einmal. Man
muss zu seiner Verantwortung stehen.
Ich muss noch ein Wort dazu sagen: Ich stelle ja mit
Bewunderung fest, welche Engelsgeduld die Kolleginnen
und Kollegen aus der SPD-Fraktion, die sich das gefallen
lassen müssen, aufbringen; denn dieses Verhalten ist insbesondere in einer Koalition ausgesprochen unsolidarisch. Ich kann das auch deshalb sagen, weil ich in einer
Koalition in einer verantwortungsvollen Position war und
häufig Dinge mittragen musste, die mir nicht geschmeckt
haben. Aber dazu muss man dann eben auch stehen. Das
gehört dazu. Das ist eine Frage des Charakters.
({11})
Kollege Solms, gestatten Sie zum Schluss Ihrer Redezeit noch eine Zwischenfrage?
Ja.
Herr Dr. Solms, es wird Ihnen nicht gelingen, mit solchen Aussagen einen Keil in die Koalition zu treiben.
({0})
Ich möchte Sie fragen, warum eigentlich in den 29 Jahren,
in denen Sie mitregiert haben, all das, was Sie von sich gegeben haben - ich erinnere an das Steuertarifmodell 15,
25 und 35 sowie an die Senkung der Staatsquote und der
Sozialversicherungsbeiträge auf 35 Prozent -, niemals
Gesetzeskraft erlangt hat.
({1})
Würden Sie bitte stehen bleiben, damit mir die Zeit für
die Antwort nicht angerechnet wird, Frau Kollegin?
({0})
Erinnern Sie sich an die Petersberger Beschlüsse und die
daraus resultierende Steuerreform? Diese Steuerreform
sah als Spitzensteuersätze bei der Körperschaftsteuer
35 Prozent und bei der Einkommensteuer 39 Prozent bei
einem Eingangsteuersatz von 15 Prozent vor. Das heißt,
wir waren ganz nahe dran.
({1})
Wir wollten in diesem Zusammenhang Subventionen
kategorisch abbauen. Dieses Konzept hat der damalige
Parteivorsitzende Oskar Lafontaine mit der damaligen
Bundesratsmehrheit der SPD verhindert,
({2})
übrigens in einem Moment, als der hessische Ministerpräsident Hans Eichel bereits abgewählt war, aber missbräuchlich seine Stimme noch genutzt hat, um diese Steuerreform zu verhindern, obwohl er eigentlich das Vertrauen
der Bevölkerung nicht mehr gehabt hatte. Auch das ist ein
beredtes Beispiel für die Glaubwürdigkeit dieser Regierung.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Ich erteile das Wort Kollegen Reinhard Schultz, SPDFraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Debatte heute ist ja relativ lebhaft, während
Sie, Herr Meister, Ihren Beitrag verhältnismäßig verkniffen und pflichtgemäß abgeliefert haben.
({0})
Das einzige Konzept, das Sie uns als Ausweg aus der Finanz- und Wachstumskrise bzw. der Krise überhaupt mitgegeben haben, war: freie Fahrt für Dienstwagen, mit dem
Dienstwagen in eine bessere Zukunft. Das war Ihr konkreter Beitrag.
({1})
Herr Solms, Sie haben noch einen draufgesetzt und erklärt, die Bundesregierung könne machen, was sie will.
Wenn es nach Ihnen ginge, würde nicht einmal mehr im
Vermittlungsausschuss miteinander geredet. Die Ankündigung einer größeren Totalverweigerung hat es in dieser
Republik noch nicht gegeben.
({2})
Eines ist Ihnen doch genauso klar, wie es uns klar ist:
Nicht nur der Bund hat Probleme mit seinem Haushalt
und seinen Einnahmen, das trifft genauso auf die Länder
und die Gemeinden zu. Wenn die Länder, in deren Boot
auch die Gemeinden sitzen, sich insgesamt einem konstruktiven Vermittlungsverfahren verweigern würden,
würde die Notlage für dieses Jahr und für die Folgejahre
nicht nur zementiert, sondern exponentiell verschärft. Das
kann kein Land auf Dauer wollen. Das wissen Sie genauso
gut wie wir.
({3})
Die EU-Kommission hat der Bundesregierung - und
damit dem Bundesfinanzminister - bescheinigt, dass sie,
was ihren Stabilitätskurs angeht, auf einem guten Wege
ist und alles herausgeholt hat, was an Einsparungen im
Bundeshaushalt möglich war. Es gibt Grenzen des Sparens, weil es irgendwann zum Kaputtsparen kommt, was
wiederum wachstumsschädlich ist. Ich möchte gerne
konkret wissen, wo Sie etwas machen wollen: ob Sie im
Bereich Bildung und Forschung etwas machen wollen, ob
Sie den investiven Anteil des Bundeshaushaltes weiter
herunterfahren wollen oder ob Sie ihn wie wir im Haushalt 2003 wieder herauffahren wollen. Ich möchte gern
konkret und nicht pauschal wissen, wo Sie noch irgendetwas einsparen wollen, was über die Einsparungen hinausgeht, die Hans Eichel in seinem Haushalt vorgelegt hat.
Wenn der Haushaltsstaatssekretär Overhaus, der ja nun
über den Parteien schwebend
({4})
ein objektiver Gewährsmann dafür ist, was geht und was
nicht geht - da hat es schon bei allen Parteien sehr im Gebälk geknirscht -, sagt, da sei kein Cent an Einsparpotenzial mehr drin, dann sollten Sie das zur Kenntnis
nehmen. Dann muss man erkennen, was die EU-Kommission ebenfalls erklärt hat: Die öffentliche Hand - Bund,
Länder und Gemeinden - hat ein erhebliches Einnahmeproblem.
Wer nicht flächendeckend Steuern erhöhen will, sondern weiterhin die Stufen der Steuerreform mit der Senkung der Einkommensteuer durchhalten will, muss sich
umschauen, wo es Sondertatbestände, Subventionstatbestände oder Steuerbegünstigungen gibt. Danach haben wir geschaut und da sind wir auch fündig geworden.
Dass das keine vergnügungsteuerpflichtige Veranstaltung
ist - um im Bild zu bleiben -, haben wir gemerkt und das
sehen auch Sie. Sie haben darüber vergnügt gejubelt, wir
haben politisch darunter gelitten. Das ändert aber nichts
daran, dass wir, auch gegen große Heerscharen von Lobbyisten, in der Verantwortung sind, Steuergerechtigkeit
durchzusetzen, Steuerschlupflöcher zu stopfen und zu einer Verstetigung der Einnahmen der öffentlichen Hand beizutragen. Das ist unsere Aufgabe als Regierungskoalition.
({5})
Dagegen habe ich bei Ihnen während des gesamten Gesetzgebungsverfahrens nur eines gesehen: Sie sind hinter
der Schleimspur des Heeres von Lobbyisten hergekrochen und haben ihnen alles und jedes versprochen.
({6})
Ich sage Ihnen: Die Summe aller Einzelinteressen ist noch
längst nicht das Gemeinwohl. Das aber scheinen Sie zu
glauben.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein dicker Brocken,
den wir zu schultern haben, ist die Verstetigung der Einnahmen aus den Gewinnsteuern, der Körperschaftsteuer
und der Gewerbesteuer, der Unternehmen. Wir nehmen
keinem Unternehmen etwas weg. Wir tragen nicht dazu
bei, dass Verluste, die entstehen können, verschwinden,
sozusagen zugunsten des Fiskus, sondern wir sorgen lediglich dafür, dass, auf der Zeitachse vernünftig verteilt,
Verluste verrechnet werden und infolgedessen, ebenfalls
auf der Zeitachse vernünftig verteilt, Körperschaftsteuer
und Gewerbesteuer fließen. Das ist unser Ansatz.
Deswegen haben wir aus der Erfahrung der letzten
Jahre heraus, in denen Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer komplett eingebrochen sind,
({8})
eine Begrenzung eingezogen, sodass Verluste nun nur
noch bis zu 50 Prozent der Gewinne verrechnet werden
können. Der Rest muss auf die folgenden Steuerjahre vorgetragen werden.
Sie, Herr Solms, haben erklärt, die kleinen und mittleren Unternehmen seien dabei die Leidtragenden. Das wissen auch wir. Deshalb haben wir zusätzlich einen Mittelstandssockel eingeführt, wodurch Gewinne von bis zu
100 000 Euro von dieser Operation völlig unbelastet bleiben. Die ersten 100 000 Euro Gewinn können vollständig
mit Verlusten verrechnet werden. Erst darüber hinaus gilt
der Grundsatz, dass die Verrechnung nur bis zur Hälfte der
Gewinne erfolgen kann.
Es sind weit über 90 Prozent der Unternehmen, die von
dieser Maßnahme nicht betroffen sein werden;
({9})
denn weit über 90 Prozent der Unternehmen haben lediglich Gewinne bis zu 100 000 Euro. Das wissen Sie genauso gut wie wir. Die meisten mittleren und kleinen Unternehmen werden von dieser Operation nicht betroffen
sein, sondern hauptsächlich große Gesellschaften, zum
Teil internationale Gesellschaften, die ihre Steuerlast bisher willkürlich hin- und herverlagert haben, um dem Fiskus zu entgehen, während sie im gleichen Atemzug auf Bilanzpressekonferenzen hohe Gewinne und Ausschüttungen
präsentieren. Das ist die Ungerechtigkeit, die wir beseitigen.
({10})
Die Behandlung der Eigenheimzulage ist ebenfalls
keine einfache Operation, auch für Sozialdemokraten und
für die Regierungskoalition nicht.
({11})
Natürlich möchten wir, dass Bildung von Wohneigentum
auch für kleine und mittlere Einkommen ermöglicht wird.
Angesichts der außerordentlich schwierigen Haushaltslage muss man jedoch prüfen, ob das für jede Zielgruppe
in dieser Gesellschaft gelten kann oder ob man dieses Instrument der Eigenheimförderung nicht etwas zielgenauer
ausrichten kann.
Das haben wir gemacht. Wir haben die Eigenheimzulage
so ausgerichtet, dass Familien mit Kindern die Möglichkeit
erhalten, mithilfe des Staates Wohneigentum zu erwerben.
({12})
Außerdem haben wir dafür gesorgt, dass als Maßstab der
FörderungderErwerbvorhandener Immobiliengilt,weilwir
beobachten können, dass zwar draußen auf dem Lande fröhlich neu gebaut wird, es aber in den Innenstädten zunehmend
Leerstände gibt.Auch das wissen Sie genauso gut wie wir.
Das heißt, wir haben mit dem Abbau einer Subvention
zwei wichtige Ziele, ein siedlungspolitisches und ein familienpolitisches, verbunden. Ich denke, das wird auch
von der Bevölkerung honoriert. Wir befinden uns nicht in
einer Zeit, in der der Staat einem Single oder einem Doppelverdiener-Ehepaar eine Wohnung fördern kann; eine
solche Haushaltslage haben wir nicht. Wir müssen uns
vielmehr auf die Familien konzentrieren.
Ein weiterer wichtiger Punkt im Bereich der Einkommensteuer ist natürlich die Frage der Besteuerung von
Veräußerungsgewinnen. Veräußerungsgewinne entstehen, wenn man eine Immobilie, Wertpapiere oder wertvolle Gegenstände verkauft. Wir sind grundsätzlich der
Meinung, dass jede Einkunftsart gleichmäßig zur Besteuerung herangezogen werden muss. Wir können nicht bestimmte Einkunftsarten - unabhängig davon, ob es dabei
um kleinere oder größere Einkommen geht - grundsätzlich aus der Besteuerung herausnehmen. Das widerspricht
unserem Ansatz einer gleichmäßigen und gerechten Besteuerung. Dazu gehören auch Gewinne aus Veräußerungserlösen. Es wird doch nicht der Preis für die verkaufte Immobilie besteuert, sondern es wird lediglich die
Differenz zwischen den Herstellungskosten und dem erzielten Preis besteuert, und das auch noch mit einem Steuersatz von 15 Prozent - das ist der künftige Eingangssteuersatz, der niedrigste Steuersatz, den es ab 2005 in
diesem Land überhaupt geben wird. Maßvoller kann man
da doch wirklich nicht herangehen.
({13})
Das gilt für Wertpapiere genauso, wobei da noch das
Halbeinkünfteverfahren gilt, das heißt, dort greift der
halbe persönliche Steuersatz, weil die andere Hälfte der
Besteuerung bereits im Unternehmen geschehen ist.
({14})
Wenn Herr Nooke erklärt - das habe ich heute in einer
Tickermeldung gelesen -, das Ganze sei kulturfeindlich,
weil die Besteuerung des Veräußerungserlöses bei der privaten Veräußerung eines Picasso ungerecht wäre und den
Kunstmarkt Deutschlands zerstören würde, dann kann ich
mich darüber nur kaputtlachen.
({15})
Wenn jemand in nennenswertem Umfang einen Gewinn
erzielt - einen Gewinn, der über 1 000 Euro hinausgeht -,
weil er eine Antiquität, ein Kunstwerk oder sonst etwas
veräußert, dann darf er auf diesen Betrag auch 15 Prozent
Steuern zahlen. Das tut ihm nicht weh, hilft aber der Gemeinschaft und stärkt auch das Gefühl dafür, dass in diesem
Lande Steuergerechtigkeit noch Wirklichkeit werden kann.
({16})
Reinhard Schultz ({17})
Reinhard Schultz ({18})
Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben uns
während der gesamten parlamentarischen Prozedur natürlich genau angeschaut, was der Wirtschaft hilft und was
ihr schadet. Wir haben an dem eingebrachten Gesetzentwurf eine Reihe von Änderungen vorgenommen, die insbesondere dazu beitragen, dass Umstrukturierungsund Sanierungsprozesse in Unternehmen weiterhin
steuerneutral möglich bleiben; das ist die Grundphilosophie der Unternehmensteuerreform gewesen. Wir haben
dafür gesorgt, dass es keine Doppelbesteuerung für
Investmentsparer gibt. Es wird nicht mehr im Fonds besteuert, wie ursprünglich vorgesehen, sondern nur noch,
wenn eine Fondsbeteiligung veräußert wird. Wir werden
das auch bei ausländischen Fonds so handhaben und werden alle anderen steuerlichen Ungleichbehandlungen für
ausländische Fonds noch im Laufe dieses Jahres so verändern, dass eine Wahlfreiheit desjenigen, der investmentsparen will, zwischen ausländischen und inländischen Fonds steuerneutral möglich wird. Wir wollen den
Finanzplatz Deutschland stärken und wollen auch dazu
einladen, dass gespart wird. Wir wollen aber auch, dass
Erträge - so sie denn zustande kommen - maßvoll besteuert werden. Ich denke, das sind wir der Finanzlage der
öffentlichen Hand insgesamt schuldig.
Ein letztes Wort zur Lage der Gemeinden: Wir haben
ein Steuerpaket, aus dem insgesamt gesehen - auf das
Entstehungsjahr bezogen - etwa 2,8 Milliarden Euro den
Gemeinden zugute kommen. Dass das nicht sofort im ersten Jahr kassenwirksam wird, ist klar. Das ist jedenfalls
- um es einmal positiv auszudrücken - ein nennenswerter
Betrag; natürlich hilft er.
({19})
Wir hatten im Einvernehmen mit den kommunalen
Spitzenverbänden vorgehabt, auch die gewerbesteuerliche Organschaft abzuschaffen. Wir haben uns mit den
kommunalen Spitzenverbänden aber auch darauf geeinigt, dass die verzerrende Wirkung, die das so kurzfristig
insbesondere für die ostdeutschen Gemeinden gehabt
hätte, weil die Zerlegung der Gewerbesteuer nach Standorten der Betriebsstätten dann nicht mehr möglich gewesen wäre, so nicht zu beurteilen war. Deswegen musste
das in die Kommunalfinanzreform.
Kollege Schultz, Sie müssen zum Ende kommen, Sie
haben Ihre Redezeit schon deutlich überschritten.
Ich komme zum Ende.
Im selben Atemzug sage ich aber auch: Die Kommunalfinanzreform wird zum 1. Januar 2004 kommen. Das
heißt, das, was für die Gemeinden an Verstetigung und an
Mehreinnahmen erreicht werden soll, wird im nächsten
Jahr wirksam. Insofern ist aufgeschoben nicht aufgehoben.
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans Michelbach,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Es gibt keinen Zweifel: Deutschland befindet sich in
der rot-grünen Wachstums-, Steuer- und Haushaltsfalle.
Deutschland erlebt das dritte Stagnationsjahr in Folge.
Das Wachstum bricht immer mehr ein; immer mehr Betriebe gehen in die Insolvenz. Die Arbeitslosigkeit steigt
auf nahezu 5 Millionen. 1997 befanden sich die deutschen
Bürger im Hinblick auf das Pro-Kopf-Einkommen noch
auf Rang sieben der Weltrangliste. Heute befinden wir uns
auf Rang 17. Die Schattenwirtschaft steigt auf über
370 Milliarden Euro und die Schulden im Bundeshaushalt
auf über 800 Milliarden Euro. Die Defizitquote wird nicht
eingehalten und die Investitionsquote sinkt erstmals unter
10 Prozent. Es ist eine Tatsache: Die verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik von Rot-Grün hat uns in
Deutschland in eine schwere Strukturkrise geführt.
({0})
Aber Rot-Grün hat darauf nur eine Antwort: eine neue
Welle von Steuererhöhungen. Das ist Gespensterökonomie Marke Hilflosigkeit. So ist die derzeitige Situation.
({1})
Allein in den letzten vier Jahren hat die rot-grüne Bundesregierung den Bürgern und Betrieben rund 60 Gesetze zur
Änderung von steuerlichen Vorschriften beschert, also
alle drei Wochen ein neues Gesetz. Das ist rot-grüne Tollwut im immer dichteren Steuerdschungel. Rot-Grün leidet anscheinend unter der schweren Krankheit „Steueritis“.
Im Finanzausschuss stellen wir aber immer wieder
fest: Sie sind völlig beratungsresistent. Sie machen das
Gegenteil von dem, was die ökonomische Vernunft verlangt. Sie haben keine steuerpolitische Gesamtkonzeption, keine steuerrechtlichen Prinzipien und keine ordnungspolitische Linie. Allein aus fiskalischen Gründen
haben Sie sich einfach ein neues Abkassiermodell geschneidert: da mal eine Belastung und dort mal eine Belastung, letzten Endes quer durch alle Branchen und bei
allen Bürgern. Dies alles geschieht nach dem Motto: Es
lebe das rot-grüne Stopfen von Haushaltslöchern durch
neue Steuererhöhungen.
Meine Damen und Herren, der Gipfel der Flickschusterei ist, dass diese Steuererhöhungen den Bürgern auch
noch als Sparpaket und Subventionsabbau verkauft
werden. Das ist Etikettenschwindel.
({2})
Das Etikett verspricht besten Kaviar; es handelt sich aber
um die Verteuerung von Hunde- und Katzenfutter. Das
Etikett verspricht Steuergerechtigkeit, aber Bürger und
Betriebe werden willkürlich weiter belastet.
Herr Eichel, ich sage Ihnen: Die schlimmste Art der
Ungerechtigkeit ist die vorgespielte Gerechtigkeit. Mit
diesem Steuergesetz ist der Lack Ihrer Glaubwürdigkeit
endgültig ab. Herr Eichel, Sie sind nur noch der Baron
Münchhausen der deutschen Finanzpolitik.
({3})
Während Ihrer heutigen Rechtfertigungsrede zu dem vorliegenden Steuergesetz hatte ich den Eindruck: Dies ist
mehr oder minder eine Abschiedsrede.
({4})
Sie sollten einmal zur Kenntnis nehmen: Die Hauptursachen für die Krise der Wirtschaft sind nicht der konjunkturelle Einbruch und schon gar nicht die Weltwirtschaft, sondern die ungelösten Strukturprobleme in der
Steuerpolitik, in den Systemen der sozialen Sicherung
und in den öffentlichen Haushalten sowie die Überregulierung unserer Wirtschaft. Anstatt ein Gesamtkonzept für
mehr Wachstum und Beschäftigung vorzulegen, verschlechtern Sie die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen immer weiter.
Man muss die Größenordnung sehen, die Sie heute beschließen wollen. Dies sind bis zum Jahre 2006 Steuererhöhungen - man höre und staune - in der Höhe von
42 Milliarden Euro. Dies ist eine Kaufkraft- und Investitionskraftvernichtung in einer Höhe, die nicht zu verantworten ist.
({5})
Das ist Gift für die Konjunktur. In der jetzigen Situation
müsste das Vertrauen, die Planungssicherheit der Konsumenten gestärkt werden, um den bestehenden Attentismus, die Konsumzurückhaltung zu überwinden. Nur wenn
dies gelingt, wird auch die Binnenkonjunktur wieder anspringen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist doch
eine rot-grüne Milchmädchenrechnung, wenn mit diesem
Gesetz rund 5 Milliarden Euro an Wachstum zerstört werden und der Fiskus gleichzeitig Steuereinnahmen in Höhe
von 4 Milliarden Euro einkassiert. Das ist ein Nullsummenspiel; für den Fiskus kommt nichts dabei heraus. So
wird nichts saniert. Angesichts des Wachstumstiefstands
sind Steuererhöhungen das falsche Mittel. Sie müssen
endlich erkennen, dass dadurch letzen Endes das Gegenteil von dem bewirkt wird, was gegenwärtig notwendig ist.
Meine Damen und Herren, das Steuervergünstigungsabbaugesetz führt für einzelne Branchen zu schwerwiegenden Folgen:
Es führt zur Substanzbesteuerung und damit zur Vernichtung von Unternehmensliquidität durch die Einführung der Mindestbesteuerung. Betriebe mit schwankender Ertragssituation und neu gegründete Unternehmen,
die Anlaufverluste haben, können ihre Verluste nicht mehr
voll mit den Gewinnen verrechnen. Dies vernichtet Liquidität; damit ist der Gang zum Insolvenzrichter vorgegeben. Das ist eine Vernichtung durch Insolvenz.
({6})
- Das ist eine Betriebsvernichtung: Sie führen sie in die
Insolvenz. Das ist der falsche Weg.
Es führt zur höheren Besteuerung von Firmenwagen.
Dies gefährdet Tausende von Arbeitsplätzen in der Automobilindustrie.
Es kommt zur Wertzuwachsbesteuerung durch die Besteuerung von privaten Veräußerungsgewinnen. Dies
ist ein Anschlag auf die Wertpapier- und Immobilienmärkte und somit auch auf die Altersvorsorge unserer
Bürger. Ich weiß gar nicht, ob Sie überhaupt gemerkt haben, dass Sie durch den Wegfall der Spekulationsfrist nur
die Spekulanten fördern. Das ist eine Wirkung dieses Gesetzes. Dies müssen Sie sich einmal vor Augen führen.
Das Gesetz führt auch zur Reduzierung der Investitionen durch die Kürzung der Eigenheimzulage und die
Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen. Zudem wird die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit durch die
Scheingewinnbesteuerung von Warenvorräten beim LifoVerfahren eingeschränkt.
Folge des Gesetzes wird auch die Enteignung mittelständischer Kapitalgesellschaften sein - das möchte ich
besonders betonen -, da die Verrechnung der Körperschaftsteuerguthaben wesentlich eingeschränkt wird.
Bei einer Umwandlung von einer Kapitalgesellschaft in
eine Personengesellschaft sind die Körperschaftsteuerguthaben verloren. Das ist nichts anderes als eine Enteignung.
({7})
Das Gesetz führt zum Bürokratieausbau durch die Einführung eines Kontrollmitteilungssystems für 300 Millionen Konten und zur Kapitalabwanderung durch die Abschaffung des Bankgeheimnisses.
Es wird auch Einkommenseinbußen im Bereich der
Landwirtschaft geben, zum Beispiel durch die erhöhte
Umsatzsteuer auf landwirtschaftliche Vorprodukte. Was
wollen Sie den kleinen Bauern denn noch abnehmen?
Das, was Sie mit diesem Gesetz an Einkommenseinbußen
in der Landwirtschaft hervorrufen, ist nicht mehr akzeptabel.
Diese Liste ließe sich noch um einige Positionen verlängern; insgesamt handelt es sich ja um 40 Maßnahmen.
Ich kann Ihnen nur sagen: Rot-Grün verfolgt einen Steuerirrweg. Die CDU/CSU ist aber auch in der Steuerpolitik
zur Zusammenarbeit für einen Erfolg versprechenden
Kurswechsel bereit. Wozu wir aber nicht bereit sind, ist
die Unterstützung Ihrer Steuererhöhungspolitik. Wir lehnen dieses Steuergesetz deswegen in Gänze ab.
({8})
Die unionsgeführten Bundesländer werden dieses Gesetz im Bundesrat stoppen und für wirtschafts- und finanzpolitische Vernunft sorgen. Damit wird weiterer Schaden
für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland verhindert.
Im Untersuchungsausschuss
({9})
- im Lügen-Untersuchungsausschuss ({10})
hatte Bundesfinanzminister Eichel gestern die Chuzpe,
den Versuch zu unternehmen, die CDU/CSU für das Fehlen der unseriös eingeplanten Haushaltsmittel haftbar zu
machen und ihr den wahrscheinlichen Verstoß gegen die
Maastricht-Kriterien anzuhängen. Herr Eichel, das ist der
Gipfel Ihrer Täuschungsmanöver. Die Drohkeule, ob wir
für Steuererhöhungen oder für mehr Schulden sind,
weisen wir mit Nachdruck zurück. Das ist ein Täuschungsmanöver. Sie suchen jemanden, den Sie für
die Überschreitung der Gesamtschulden bei der Defizitquote und den Verstoß gegen die Maastricht-Kriterien verantwortlich machen können. Ich sage Ihnen: Verantwortlich sind Sie und nicht die CDU/CSU oder irgendjemand
sonst.
({11})
Meine Damen und Herren, für kontraproduktive Luftbuchungen haften wir nicht.
({12})
Es ist Zeit, einen klaren Kurswechsel in der Steuerpolitik
zu erzwingen und in nationaler Kraftanstrengung ökonomische Vernunft durchzusetzen. Wir werden den künstlich aufgebauten Widerspruch zwischen Steuersenkungen
und Haushaltskonsolidierung nicht mehr akzeptieren. Wir
fordern einen klaren Kurswechsel in der Steuer- und Finanzpolitik.
Die Bundesregierung muss die Kraft aufbringen, um
gezielte Vorschläge für Einsparungen vorzulegen und
Subventionen, die im Subventionsbericht enthalten sind,
wirklich abzubauen.
({13})
Wir brauchen strukturelle Reformen, insbesondere für ein
wettbewerbsgerechtes Steuerrecht. Diese Reformen müssen auch dem Ziel dienen, das Steuerrecht wieder einfacher zu gestalten. Das heißt konkret, Steuer- und Abgabenerhöhungen zu vermeiden, die Steuerlast schrittweise zu
senken, das Steuerrecht zu vereinfachen und Bürokratie
abzubauen, das Unternehmensteuerrecht der internationalen Entwicklung und den internationalen Standards anzupassen, die Reform der Gemeindefinanzen anzugehen, um den Kommunen stabile Einnahmen zu sichern,
unbürokratische Regelungen für die Besteuerung von Kapitalerträgen zu schaffen, die Fortführung von kleinen
und mittleren Unternehmen durch das Steuerrecht nicht
immer weiter zu gefährden und vor allem, die Wachstumskräfte durch Strukturreformen zu entfesseln.
Nur durch mehr Wertschöpfung können wir unsere
zentralen Probleme in der Finanzpolitik lösen. Durch
mehr Wertschöpfung müssen wir die Basis für den Abbau
der hohen Arbeitslosigkeit, für die Finanzierung der sozialen Sicherheit und natürlich für mehr Investitionen in
Infrastruktur und in Bildung und Forschung schaffen.
Das müssen wir zur Erfüllung der zentralen Staatsaufgaben leisten. Das ist die Kernaufgabe, die uns gestellt
wird.
Eine Steuerpolitik, die nur das Anziehen der Steuerschraube kennt, ist auf dem Holzweg. Sie müssen bei Ihrer Arbeit wieder ökonomische Vernunft walten lassen.
Dieser Kurswechsel ist dringend notwendig. Dazu machen wir Ihnen ein Angebot. Wir machen aber kein Angebot hinsichtlich Steuererhöhungen. Diese sind völlig
falsch. Ich darf Sie herzlich bitten: Stimmen Sie diesem
Steuervergünstigungsabbaugesetz nicht zu. Dieses Gesetz
wird uns in Deutschland nicht weiterbringen. Es wird in
unserer Volkswirtschaft, in Deutschland insgesamt großen
Schaden anrichten.
({14})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Rainer Wend, SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Michelbach, Sie haben Recht: Wir haben
4,6 Millionen Arbeitslose, ein geringes Wachstum, eine
hohe Zahl von Insolvenzen und eine ausgedehnte Schattenwirtschaft. Ihre Daten hierzu stimmen. Doch etwas
stimmt mich, abgesehen von der Sache selbst, sehr bitter.
Es stimmt mich bitter, dass ich das Gefühl nicht loswerde,
dass Sie und andere in der Opposition sich geradezu voller
Wonne in diesen schlechten Daten suhlen. Das ist für eine
seriöse Opposition unangemessen.
({0})
Herr Michelbach, Sie haben Recht, wenn Sie sagen,
nicht nur die Weltwirtschaft, sondern auch die Strukturen
in unserem Haushalt und in unserem Land seien mit ursächlich für die Wachstumsschwäche. Sie haben, um nur
zwei Dinge zu nennen, die Lohnnebenkosten und die
Staatsverschuldung angesprochen und haben gesagt, die
Situation sei auf rot-grünes Versagen zurückzuführen.
Darauf muss ich genauso holzschnittartig antworten. Wer
hat denn die Lohnnebenkosten zwischen 1982 und 1998
von 34 Prozent auf 42 Prozent erhöht? - Das war doch die
rechte Seite des Hauses!
({1})
Wer hat denn die Schulden unseres Landes von 1982 bis
1998 vervierfacht? - Das war doch die rechte Seite des
Hauses und nicht die Regierungskoalition!
({2})
Wer derart holzschnittartig arbeitet, der wird der Problematik in unserem Land nicht gerecht.
Ich versuche an dieser Stelle eine Differenzierung. Ich
glaube, wir sind uns einig, dass wir eine Politik für Wachstumsförderung und Haushaltskonsolidierung brauchen.
Dies miteinander zu verbinden ist schwierig genug. An einer Stelle haben wir ordnungspolitisch unterschiedliche
Vorstellungen. Diese sollten benannt werden: Sie sagen,
es gibt in unserem Land einen Automatismus von Steuersenkungen und Wachstum.
({3})
In dieser Absolutheit halte ich das für problematisch. Herr
Michelbach, wenn es nämlich stimmte - ich weise Sie darauf hin, dass wir nach einer OECD-Studie die niedrigste
Steuerquote in ganz Europa haben -,
({4})
müssten wir das höchste Wachstum haben. Es ist aber
nicht so, weil neben den Steuern eine Reihe von anderen
Dingen, zum Beispiel konsumtive Ausgaben im Haushalt
statt Investitionen und Lohnnebenkosten, für das Wachstum von großer Bedeutung ist.
Deshalb sage ich Ihnen: Beim Thema Steuern gibt es
einen Zielkonflikt. Wir wünschen uns niedrige Steuern
sowohl für die Unternehmen als auch für die Bürger, da
dies die Nachfrage erhöht. Gleichzeitig brauchen wir einen Staat mit einer gewissen finanziellen Handlungsfähigkeit; denn ein Staat ohne finanzielle Handlungsfähigkeit würde das Wachstum in unserem Land weiß
Gott mehr beschädigen als die politischen Maßnahmen,
die wir gegenwärtig vorhaben.
({5})
Ich gebe Ihnen Recht: Was wir - ich wende mich an
uns - mit diesem Gesetz in den letzten Monaten angestellt
haben, ist nicht unbedingt ein Ruhmesblatt.
({6})
Jetzt wollen wir uns aber mit dem beschäftigen, was konkret vorliegt, und fragen, ob das, was Ihr erster Redner
heute Morgen gesagt hat, wachstumshemmend oder sogar
ungerecht ist. Ich möchte das anhand zweier Beispiele beantworten.
Zunächst komme ich zur Mindestgewinnsteuer. Herr
Solms, Herr Michelbach, bei uns gibt es keine Mindeststeuer. In einigen Ländern gibt es sie, bei uns aber nicht.
Wir haben eine Mindestgewinnsteuer. Die Unternehmen
zahlen auch in Zukunft nur dann Steuern, wenn sie Gewinne machen. Verluste können sie bis zur Hälfte gegenrechnen. Die kleinen Unternehmen und der Mittelstand
erhalten einen Freibetrag von 100 000 Euro, damit dort
das Eigenkapital gestärkt wird. Das führt zur Verlässlichkeit der Staatseinnahmen und bedeutet eine Hilfe für die
kleinen und mittleren Unternehmen. Das ist vernünftig.
({7})
Als Zweites nenne ich die Besteuerung von Gewinnen aus dem Verkauf von Wertpapieren und Immobilien. Ich frage Sie: Wäre es Ihrer Meinung nach allen Ernstes richtig, in Zukunft die Steuern auf den Faktor Arbeit also auf die Arbeitseinkommen - in den Vordergrund zu
stellen und die Veräußerungsgewinne von Wertpapieren
und Immobilien nicht maßvoll zu besteuern? Ich glaube,
es ist gerecht, die Steuer nicht nur bei den Arbeitseinkommen anzusetzen, sondern auch bei den Gewinnen aus
der Veräußerung von Wertpapieren und Immobilien.
({8})
Bezüglich des Bundesrates tragen Sie die Nase heute
Morgen hoch. Nach den letzten Wahlergebnissen ist das
psychologisch verständlich.
({9})
Ich sage Ihnen aber auch: Nach aller Lebenserfahrung ist
es nicht so, dass auf der einen Seite des Hauses nur die
Klugen und auf der anderen Seite nur die Dummen sitzen.
Im Vermittlungsausschuss setzt man sich zusammen und
versucht zum Wohle unseres Landes, unterschiedliche
Standpunkte so anzunähern, dass ein vernünftiges Ergebnis dabei herauskommt.
Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von Ihnen, dass
Sie sich dieser Aufgabe stellen, sich nicht herausmogeln
und sich Ihrer Verantwortung nicht in einer Totalopposition verweigern. Trotz guter Wahlergebnisse werden Ihnen die Bürger das am Ende nicht durchgehen lassen.
({10})
Ich erteile das Wort der Kollegin Gesine Lötzsch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Koalition will mit dem vorgelegten Gesetzentwurf notwendige Besteuerungslücken schließen. Dieser
Idee kann die PDS auf jeden Fall folgen.
({0})
- Warten Sie doch erst einmal meinen zweiten Satz ab.
Herr Eichel, Sie haben etwas übersehen, und zwar eine
ganz große Lücke. Es ist nicht nur eine Besteuerungslücke, sondern auch eine Gerechtigkeitslücke. Seit der
vorletzten Wahl steht die Einlösung eines Versprechens
der SPD aus, die Einführung der Vermögensteuer. Diese
Gerechtigkeitslücke macht gut 10 Milliarden Euro pro
Jahr aus. Ich frage mich, Herr Eichel: Wie konnten Sie
diese Lücke nur übersehen?
({1})
Sie wollen von 2003 bis 2006 mit Ihrem Gesetz circa 46 Milliarden Euro einnehmen. Es werden wohl weniger werden. Dafür werden CDU/CSU, FDP und LobbyGruppen schon sorgen. Vielleicht bekommen Sie 20 Milliarden Euro zusammen. Herr Eichel, Sie könnten mit
der Vermögensteuer im gleichen Zeitraum die doppelte
Summe kassieren. Mit Einnahmen von 10 Milliarden Euro
pro Jahr haben Sie 2006 40 Milliarden Euro zusammen.
Ich finde, Sie könnten die Einführung der Vermögensteuer doch jetzt wagen; denn diese Koalition hat nicht
mehr viel zu verlieren. Im Gegenteil: Sie hätte viel zu gewinnen.
Ihr Gesetzentwurf wirkt kleinlich, buchhalterisch und
in seiner politischen Ausrichtung diffus. Der interessierte
Bürger hat nicht den Eindruck, dass die Regierung damit
eine Gerechtigkeitslücke schließen will. Ich kann mich
gut daran erinnern, dass Sie 1998 und auch 2002 dafür gewählt worden sind, um eine Gerechtigkeitslücke zu
schließen und 16 Jahre Verteilungsungerechtigkeit unter
Helmut Kohl ein bisschen zu korrigieren. Doch dazu
fehlte Ihnen bisher der Mut. Die Sanierung des Haushaltes, Herr Eichel, ist kein Selbstzweck.
Sie haben viele kleinere und größere Lücken entdeckt
und mit dem Gesetzentwurf versucht, sie zu schließen. Ich
finde es völlig in Ordnung, dass zum Beispiel Gewinne
beim Verkauf von Aktien versteuert werden sollen. Nun
wird sofort gejammert, dass unsere schöne neue Aktienkultur den Bach heruntergehen könne. Ich habe mir die
Zahl der Aktionäre in Deutschland angesehen. Im ersten
Halbjahr 2002 waren das 7,8 Prozent der Bevölkerung. Im
Jahre 2000 waren es noch mehr: 9,7 Prozent. Doch dieser
Rückgang hat nichts mit einer staatlichen Besteuerung,
sondern mit einer geplatzten Spekulationsblase zu tun.
Offensichtlich suchen die Menschen für ihr schwer verdientes Geld jetzt sicherere Anlagen. Doch wie es aussieht, Herr Bundesminister Eichel, werden Sie sich auch
die Aktienbesteuerung von der CDU/CSU im Vermittlungsausschuss abhandeln lassen.
Schon bei den kleinsten Veränderungen verlässt Sie der
Mut. Der Wähler wendet sich doch vor allen Dingen deshalb von Ihnen ab, weil er die Zaghaftigkeit und Ängstlichkeit dieser Regierung nicht mehr ertragen kann. Er
traut der Regierung keine mutigen Schritte mehr zu. Dass
Sie auch anders können, meine Damen und Herren von
der Koalition, haben Sie bei der Irakfrage bewiesen. Hier
haben Sie klare und mutige Aussagen gemacht. Das ist
von der Bevölkerung honoriert worden. Selbst die
CDU/CSU hat gemerkt, dass sie mit ihrer Nibelungentreue gegenüber Bush keine Punkte machen kann. Sie
wird in dieser Frage immer kleinlauter.
Anfang der Woche wurde im Präsidium der CDU/CSU
beschlossen, in einer Aktuellen Stunde über den EU-Sondergipfel eine Aussprache zu führen. Aber angesichts der
gewaltigen Friedensdemonstrationen am Wochenende haben Sie nicht gewagt, diese Aktuelle Stunde, die Sie im
Präsidium beschlossen hatten, anzumelden.
({2})
Jetzt hofft die CDU/CSU, in der Steuerfrage punkten
zu können. Sie hat eine einfache Formel gefunden: Steuern runter, Gewerbesteuer ganz abschaffen und Lohnkosten im öffentlichen Dienst einfrieren. Dieses Rezept,
meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ist gar
keine Alternative. Diese Regelung würde den Staat ärmer,
die Städte und Gemeinden in den Ruin treiben und die
Kaufkraft weiter drosseln. Ich muss Ihnen sagen: Die konservative Opposition hat hier keine vernünftigen Rezepte
vorgelegt.
Der Vorschlag der PDS ist bekannt und lässt sich auf
folgende einfache Gleichung bringen: Einführung der
Vermögensteuer plus kommunales Investitionsprogramm
bringt mehr Arbeitsplätze.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Ich erteile Kollegin Elke Wülfing, CDU/CSU-Fraktion,
das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr
geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrter Herr Vorredner Wend, vielleicht könnten Sie mir einmal zuhören.
({0})
Ich möchte auf Ihren Wortbeitrag eingehen. Nach Ihrer
Auffassung hat die Opposition die Verpflichtung,
({1})
dafür zu sorgen, dass Steuern erhöht werden. Wissen Sie,
welche Verpflichtung wir haben? Sie und wir haben die
Verpflichtung, im Bundestag und im Bundesrat
({2})
- hören Sie doch bitte zu! - die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so zu setzen, dass es endlich wieder zu
Wachstum kommt. Wir sind nicht da, um das Steuersäckel
zu füllen, sondern wir haben die Pflicht, die Bedingungen
zu schaffen, unter denen wieder Arbeitsplätze geschaffen
werden können. Das ist die Grundlage.
({3})
Herr Wend, auf dieser Linie können wir uns einigen,
aber ganz sicher nicht darauf, das Steuersäckel zu füllen.
Denn Deutschland steht vor einer Rezession.
({4})
Das wissen Sie ganz genau. Die Industrie- und Handelskammern haben ihre Prognose vom Herbst 2002 revidiert
und sehen für das Jahr 2003 gar kein Wachstum mehr. Das
scheint Herrn Eichel nicht so sehr zu interessieren. Herr
Eichel, die Investoren sind verunsichert. Jeder zweite will
seine Investitionen verringern. Vier von zehn Unternehmen planen einen Stellenabbau. Das bedeutet Rekordarbeitslosigkeit. Ich finde, das ist ziemlich schlimm. Besonders betroffen sind wieder einmal der Handel und die
Bauwirtschaft.
Vor diesem Hintergrund wollen Sie das so genannte
Steuervergünstigungsabbaugesetz verabschieden, das in
Wirklichkeit ein Geldbeschaffungssammelsurium ist, welches schlicht und einfach nur Steuererhöhungen enthält.
({5})
Das haben Sie ja eben auch ganz freimütig zugegeben.
Herr Schultz, das war schon im Finanzausschuss und eben
wieder so. Sie wollen mit diesem Gesetzentwurf nichts
anderes machen, als die Steuern zu erhöhen, um die Einnahmeseite des Staates zu verbessern und das Haushaltsdefizit von Herrn Eichel auszugleichen.
Wenn Herr Wend ausführt, der Staat müsse doch Einnahmen haben, um etwas ausgeben zu können, muss ich
ganz ehrlich sagen: Wenn ich von der EU-Kommission
bescheinigt bekomme, dass wir ein Defizit von 3,7 Prozent haben, kann ich dieses Staatsverständnis langsam
nicht mehr verstehen. Was machen Sie denn mit dem
ganzen Geld, wenn ich einmal fragen darf?
({6})
Immer noch mehr drauflegen - bei aller Liebe, damit muss
langsam Schluss sein.
({7})
- Ich weiß, dass nächste Woche Karneval ist. - Herr
Eichel, ich bin um unsere Wirtschaftslage sehr besorgt.
Ich bin aber nicht darum besorgt, dass Ihr Steuersäckel
weiter gefüllt wird.
Die Giftliste, die Herr Eichel uns vorgelegt hat, beinhaltete 41 Punkte. Erst dann haben Sie darüber nachgedacht, was Sie damit machen wollen. Sie haben 39 Änderungsanträge gestellt, mit denen der Gesetzentwurf nur
verschlimmbessert wurde. Es ist wirklich nichts dabei
herausgekommen. Das heißt, dieser Gesetzentwurf ist in
dieser wirtschaftlichen Situation ein Würgegriff für Bürger und Wirtschaft, nichts anderes.
({8})
Dann haben Sie - Frau Scheel, Frau Andreae und andere - immer wieder behauptet, es gehe um Subventionsabbau. Aber das stimmt ja nun wirklich nicht. Unser
Arbeitsgruppenvorsitzender, Herr Meister, hat schon darauf hingewiesen - auch wir haben Sie mehrfach darauf
hingewiesen -, dass nur 14 von diesen 41 Punkten
tatsächlich im Subventionsbericht enthalten sind. Deswegen kann man nur sagen: Das, was Sie machen, ist eine
reine Verbreiterung der steuerlichen Bemessungsgrundlage, die, wenn Sie nicht gleichzeitig die Steuern senken,
wie eine Steuererhöhung wirkt.
Hätten Sie sich doch damals, im Jahre 1996, im Bundesrat nicht von Herrn Lafontaine überzeugen lassen und
mit uns gemeinsam eine vernünftige Steuerreform verabschiedet. Wir wären in diesem Land viel weiter und hätten nicht eine solch hohe Arbeitslosigkeit wie zurzeit.
({9})
Vor den Landtagswahlen haben Sie viele Versprechungen gemacht, sowohl Frau Scheel als auch der Bundeskanzler.
({10})
- Wer regiert denn hier? Wer hat denn diesen Gesetzentwurf vorgelegt? Das haben doch Sie getan. Sie fanden es
doch richtig, die Menschen durch Ihre 41 Maßnahmen zusätzlich zu belasten. Aber als die Landtagswahlen bevorstanden, sagten Sie: Nein, mit der Dienstwagenbesteuerung war es nicht so gemeint. So der Kanzler in
Niedersachsen. Aber die Menschen haben das nicht geglaubt, wie Sie am Wahlergebnis gemerkt haben. Damit
hatten sie auch Recht. Sie sind dann ja trotz Schröder bei
der Erhöhung der Dienstwagenbesteuerung geblieben,
wie sie im Gesetzentwurf vorgesehen war. Die negativen
Auswirkungen auf die Autoindustrie haben Sie dabei offensichtlich nicht bedacht.
Ich erinnere an einen Spruch unseres Bundespräsidenten Rau: Gebrochene Versprechen sind - wie geht der
Spruch weiter? Sie wissen, wie er weitergeht.
({11})
Ich meine, dass es nicht angeht, im Dezember einen Gesetzentwurf vorzulegen, dann im Landtagswahlkampf zu
versuchen, diesen Gesetzentwurf langsam, aber sicher
wieder abzuräumen, und schließlich - wie Frau Scheel,
die gerade telefoniert, statt mir zuzuhören - im Ausschuss
über das abzustimmen, was ursprünglich im Gesetzentwurf vorgesehen war.
({12})
Lassen Sie mich noch etwas zu dem Thema Dienstwagen anmerken.
({13})
- Doch, das möchte ich gerne. - Ich kann es nämlich nicht
leiden, dass Sie ständig eine Neiddiskussion führen. Ich
will Ihnen ein Beispiel nennen: Im Unternehmen meines
Mannes gibt es einen Außendienstmitarbeiter.
({14})
- Braucht er einen Dienstwagen oder nicht? - Er verdient
4 215 Euro brutto. Das ist zwar ein ordentlicher Verdienst,
aber er ist bestimmt kein Krösus.
({15})
- Warum sollte ich das tun? Warum möchten Sie sich
nicht mit der Realität konfrontieren lassen? Weil Sie sie
nicht sehen wollen. Ganz einfach.
({16})
Ich möchte mit meinem Beispiel fortfahren. Der gute
Mann verdient 4 215 Euro brutto. Wissen Sie, was er netto
herausbekommt? 1 724 Euro. Die Dienstwagenbesteuerung beträgt dabei jetzt schon 775 Euro.
({17})
Bei einer Erhöhung auf 1,5 Prozent blieben ihm nur noch
1 400 Euro netto übrig. Wissen Sie, was dieser Mann von
Ihrer Neiddiskussion hält? Seine einzige Hoffnung ist die
CDU/CSU,
({18})
die im Bundesrat eine Mehrheit hat und dafür sorgen
kann, dass Ihr blödsinniges Gesetz nicht ins Gesetzblatt,
sondern in den Müll kommt.
({19})
Diese Hoffnung haben auch alle, die im Baubereich
tätig sind: die Arbeitnehmer, die Arbeitnehmerinnen und
die Unternehmer. Die Baubranche hat Ihnen vorhergesagt,
was Sie mit diesem Gesetz erreichen werden: Mit allen
Steuererhöhungen, die Sie der Baubranche zusätzlich zur
Kürzung der Eigenheimzulage zumuten, wird es im Baubereich 200 000 Arbeitsplätze weniger geben. Das haben
Sie dann zu verschulden.
Ich meine, dass mit Fug und Recht darauf hingewiesen
werden darf, welche Folgen der Gesetzentwurf, der zurzeit in diesem Hohen Hause beraten wird, haben würde.
In meinem Wahlkreis Borken zum Beispiel sind die Unternehmensinsolvenzen bereits um 73 Prozent - ich betone: 73 Prozent - gestiegen. Davon war hauptsächlich
die Baubranche betroffen. Wenn das, was Sie in Ihrem
Gesetzentwurf vorgesehen haben, ins Gesetzblatt kommt,
dann kann die Baubranche in meinem Wahlkreis einpacken; dann existiert sie dank Ihrer Wahnsinnspolitik
nämlich nicht mehr.
({20})
Ich muss noch einmal auf die Eigenheimzulage zurückkommen. Die Eigenheimzulage - das haben Frau
Andreae und Frau Scheel noch einmal im Ausschuss und
im Bundestag verkündet - steht im Subventionsbericht an
oberster Stelle. Sie stellt angeblich eine hohe Subvention
dar. Man sollte sich aber darüber im Klaren sein, wie sie
eigentlich entstanden ist. Warum ist die Eigenheimzulage
in den Subventionsbericht aufgenommen worden? Ihnen
ist das bekannt, Frau Scheel. Frau Andreae kann es wohl
nicht wissen, weil sie damals noch nicht im Bundestag
war. Das kann man ihr also nicht übel nehmen, obwohl
man das auch nachlesen könnte.
Obwohl Sie es schon wissen, will ich es Ihnen gern
noch einmal sagen: § 7 und § 10 e EStG waren die Vorgänger, mit denen Abschreibungen möglich waren. Sie
sind deswegen in den 50er-Jahren eingeführt worden,
weil für den Mietwohnungsbau Abschreibungen möglich
waren, für das selbst genutzte Wohneigentum dagegen
nicht. Man hat sich damals gesagt, man darf nicht allein
den Mietwohnungsbau fördern, sondern muss auch die
Eigenheimquote, die in Deutschland nach dem Krieg sehr
niedrig war, erhöhen. Aus diesem Grund wurden die Abschreibungen für das selbst genutzte Wohneigentum eingeführt.
All diejenigen, die damals schon dem Hohen Haus angehörten, haben zusammen mit dem Bundesbauminister
Töpfer in den 90er-Jahren etwas Vernünftiges gemacht,
nämlich die Eigenheimzulage eingeführt. Sie ist sehr sozial, weil sie eine direkte Zulage ist, die nichts mit degressiver Abschreibung zu tun hat. Wir haben das damals
gemeinsam - Sie waren damals in der Opposition, wir in
der Regierung - bewusst gemacht.
({21})
- Jetzt rühmt sich Herr Poß damit, das sei sein Vorschlag
gewesen. Wunderbar! Warum nehmen Sie dann in diesem
Gesetzentwurf die Eigenheimzulage fast vollständig
zurück?
({22})
Warum kommen Sie plötzlich auf die Idee, das Wohneigentum - die Quote liegt in Deutschland nur bei 40 Prozent; das ist im europäischen Vergleich sehr niedrig plötzlich nicht mehr zu fördern?
Bei uns im Münsterland ist das Vermögensbildung in
Arbeitnehmerhand.
({23})
- Das machen Sie weiter? Wie denn? Mit den gekürzten
Zuschüssen kann sich ein Arbeitnehmer mit durchschnittlichem Einkommen selbst im ländlichen Raum - von der
Großstadt oder den neuen Bundesländern will ich gar
nicht reden - kein Häuschen mehr leisten. Das geht nicht
mehr. Es ist schon schlimm, was in diesem Hohen Haus
durchgesetzt werden soll.
Es war gut, dass am 2. Februar Landtagswahlen stattgefunden haben. Es ist gut, dass wir nun eine größere
Mehrheit im Bundesrat haben. Es ist hervorragend, dass
Herr Koch und Herr Wulff vor der Wahl genau das Gleiche gesagt haben wie nach der Wahl. Dieser Gesetzentwurf wird im Bundesrat abgelehnt und in den Orkus geschmissen; denn er gehört in den Papierschredder und
nicht ins Bundesgesetzblatt.
({24})
Wir freuen uns darauf, dass dann die wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen vielleicht etwas besser werden, als
sie jetzt sind.
({25})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Spiller.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich habe sehr aufmerksam zugehört und war gespannt darauf, was Union und FDP wollen.
({0})
Ich muss gestehen, ich habe nur eine konkrete Information bekommen, und zwar von Frau Wülfing. Frau Kollegin Wülfing, ich habe Ihren Ausführungen entnommen,
dass entweder der Außendienstmitarbeiter Ihres Mannes
einen Rolls Royce mit Sonderausstattung fährt oder die
Lohnbuchhaltung Ihres Unternehmens dringend auf Vordermann gebracht werden muss.
({1})
Ich habe aber auch gemerkt, dass weder die Union noch
die FDP wissen, was sie in der Finanzpolitik tun wollen.
Herr Kollege Spiller, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Wülfing?
({0})
Gern.
Herr Kollege Spiller, sind Sie mit mir der Meinung ({0})
- doch -, dass es durchaus vorkommt, dass ein Mitarbeiter lange Autofahrten zu seinem Arbeitsplatz machen
muss - ja oder nein?
Ich bin natürlich der Meinung, dass ein Mitarbeiter - ({0})
- Nein, leider nicht. Sie müssen nur, auch im Interesse Ihres Mitarbeiters, dringend für eine anständige Lohnbuchhaltung sorgen. Sie ziehen dem Mann doch viel zu viel
Geld ab. Das geht doch nicht.
({1})
Ich stelle fest: Weder Union noch FDP haben ein Konzept. Mir ist in der Debatte aber positiv aufgefallen, dass
kein Redner von Union und FDP dem Vermittlungsausschuss angehört. Das lässt hoffen.
({2})
Sie haben sich im Hinblick auf das Vermittlungsverfahren
offenbar in keiner Weise festlegen wollen. Das ist eine
vernünftige Grundeinstellung Ihrer Fraktionsführungen.
({3})
Außerdem ist mir aufgefallen - das bedauere ich allerdings -, dass sich Union und FDP von den Konzepten
verabschiedet haben, die sie in der Vergangenheit in der
Steuerpolitik verkündet haben, zum Beispiel von dem
Grundsatz, dass Steuervergünstigungen und Sonderregelungen abgebaut werden müssen, um die Bemessungsgrundlage zu verbreitern und damit auch Spielraum für
eine Tarifsenkung zu schaffen. Alles, was die Union in
ihrem Entschließungsantrag formuliert hat, kann man unter dem Motto zusammenfassen: Wir lehnen alles ab. Die
Begründung lautet, das Steuervergünstigungsabbaugesetz
sei fiskalisch orientiert. Es stimmt, überraschenderweise
sind Steuergesetze fiskalisch orientiert.
({4})
Die FDP hat mitgeteilt - das steht im Gegensatz zu dem
früher beschworenen Weg des Subventionsabbaus -,
dass sie 90 Prozent aller Subventionen bewahren möchte.
Darauf läuft es jedenfalls hinaus, wenn Sie fordern, dass
10 Prozent der Subventionen gestrichen werden, aber alle
anderen unangetastet bleiben sollen. Schade, früher hatten Sie mehr Mut.
({5})
Das liegt vielleicht auch ein Stückchen daran, lieber Herr
Kollege Solms, dass die FDP ihr Herz für den Steuerbürger erst entdeckt hat, als sie im Bund nicht mehr mitregiert
hat.
({6})
Vorher war sie - das hat Ihnen vielleicht nicht geschmeckt - eine klassische Steuererhöhungspartei. Aber
Reden und Handeln sind so weit voneinander entfernt,
dass Sie jetzt offenbar versuchen, alles, was Sie damals nicht
durchsetzen konnten, wenigstens verbal zu formulieren.
({7})
Unser Grundsatz ist - das ist auch der Kern des vorliegenden Gesetzentwurfs -, das Steueraufkommen im
Unternehmensbereich zu verstetigen; denn auch große
Unternehmen müssen sich, wenn sie Gewinne haben, an
der Finanzierung öffentlicher Aufgaben in angemessener
Weise beteiligen, beispielsweise an der Ausbildung von
Ingenieuren sowie an dem Erhalt und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur unseres Landes. Es kann nicht sein,
dass sich große Unternehmen hier verabschieden. Deshalb brauchen wir eine Verstetigung.
Es ist auch angemessen, von Zeit zu Zeit Subventionen
auf den Prüfstand zu stellen. Eine der größten Subventionen, die es in der Bundesrepublik Deutschland gibt, ist die
Eigenheimzulage. Wir wollen diese Subvention auf Familien mit Kindern konzentrieren. Das ist angemessen.
({8})
Im Übrigen geht es nicht nur um die Einnahmen des
Bundes. Es geht vielmehr um die finanzielle Basis für
Bund, Länder und Gemeinden. Deswegen bin ich sicher,
dass wir mit den Landesministern, egal ob sie in einem
A- oder B-Land Verantwortung für den Landeshaushalt
und Mitverantwortung für die Gemeindehaushalte tragen,
im Vermittlungsausschuss zu einem fairen Kompromiss
kommen werden.
({9})
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie
von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines
Steuervergünstigungsabbaugesetzes. Der Finanzausschuss
empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/480, die Entwürfe als Steuervergünstigungsabbaugesetz in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Die Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen verlangen namentliche
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Abstimmung. Bei der Stimmabgabe bitte ich alle Kolleginnen und Kollegen, sorgfältig darauf zu achten, dass die
Stimmkarten, die sie verwenden, ihren Namen tragen.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze an
den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Ich teile Ihnen noch mit, dass mehrere Abgeordnete, unter anderem die Abgeordneten Uhl, Heil, Janssen, Reimann,
Büttner ({0}), Weißgerber und Rübenkönig, eine
Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung abgegeben haben. 1
Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen bitten, sich hinzusetzen, damit ich eine Übersicht
habe.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 15/485? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der CDU/CSU und der FDP abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 15/486? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der FDP bei Enthaltung der CDU/CSU abgelehnt worden.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der FDP
mit dem Titel „Eigenheimerwerb nicht erschweren - weitere Belastungen für Beschäftigte und Betriebe der Bauwirtschaft und für Familien vermeiden“. Der Ausschuss
empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/480, den Antrag auf Drucksache 15/33 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
- Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Opposition angenommen worden.
({1})
- Die PDS hat sich bei dieser Abstimmung enthalten.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
H. Carstensen ({2}), Gerda Hasselfeldt,
Dr. Wolfgang Schäuble, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Mit der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik
die Landwirtschaft und die ländlichen Räume
in der EU stärken
- Drucksache 15/422 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft ({3})
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Waltraud
Wolff ({4}), Matthias Weisheit, Sören
Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Volker Beck ({5}), Cornelia Behm, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
EU-Agrarreform mutig angehen und ausgewogen gestalten
- Drucksache 15/462 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft ({6})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansMichael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan,
Ulrich Heinrich, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Marktwirtschaftliches Modell einer flächengebundenen Kulturlandschaftsprämie verwirklichen
- Drucksache 15/435 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft ({7})
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Bevor ich der Abgeordneten Waltraud Wolff das Wort erteile, muss es hier noch ein
bisschen ruhiger werden. Ich bitte die Kolleginnen und
Kollegen, die etwas zu besprechen haben, hinauszugehen,
und bitte die anderen Kolleginnen und Kollegen, sich auf
die Plätze zu begeben, damit wir mit der Debatte fortfahren können.
Jetzt hat die Kollegin Wolff das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Europa ist in Bewegung, egal ob es die Einführung
des Euro ist oder ob es die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten ist. Europa ist zukunftsorientiert.
({0})
Auch im Bereich der Landwirtschaft wollen und dürfen
wir nicht stehenbleiben. 1999 wurde mit der Agenda 2000
der Finanzrahmen für die europäische Agrarpolitik bis
zum Jahr 2006 festgeschrieben. Damals erhielt die
1 Anlage 2
2 siehe Seite ... ({1})
EU-Kommission den Auftrag, zur Entwicklung der Agrarausgaben und zu den Reformmaßnahmen eine Halbzeitbewertung vorzulegen. Nach dem Beschluss der Staats- und
Regierungschefs sollten sowohl die Marktordnungen als
auch der Finanzrahmen kritisch überprüft werden.
Als die Kommission die Vorschläge zur Halbzeitbewertung im Juli des letzten Jahres vorlegte, zeigte sich:
Die Kommission griff wichtige Positionen der Bundesregierung auf. Ganz besonders hervorzuheben sind die Vorschläge zur Entkopplung der Prämienzahlungen von
der Produktion und der Vorschlag zur Einführung einer
dynamischen obligatorischen Modulation. Sie ist im
Grundsatz auch dazu geeignet, Wettbewerbsverzerrungen
zu entschärfen und die bäuerliche Landwirtschaft zu stärken.
({2})
Im Oktober des letzten Jahres beschlossen die Staatsund Regierungschefs der Mitgliedsländer den finanziellen Rahmen für die gemeinsame Agrarpolitik der erweiterten EU. Somit war wieder die Kommission am
Zug. Seit Ende Januar liegen die Legislativvorschläge
der Kommission vor. Auch diese Vorschläge zeigen wieder: Die rot-grüne Bundesregierung hat die Weichen in
die richtige Richtung gestellt,
({3})
ob es die Entkopplung der Direktzahlungen ist, ob es die
Umschichtung von Geldern von der ersten in die zweite
Säule durch Modulation ist oder ob es die Stärkung von
Verbraucher-, Umwelt- und Tierschutz ist. Diese zentralen Forderungen der rot-grünen Bundesregierung sind
Bestandteil des Reformpakets.
Auch wenn sich die Kollegen von der CDU/CSU und
und der FDP gegenüber dem Berufsstand gern als Bewahrer des Alten darstellen: Wir alle in diesem Haus wissen: Wir müssen weg von einer Produktionssubventionierung und wir müssen die Gelder noch stärker in die
Stützung der ländlichen Räume und in Umwelt- und Tierschutzmaßnahmen umlenken.
Wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, dass
im September die nächsten WTO-Verhandlungen stattfinden. Die EU muss die Reformen zur gemeinsamen
Agrarpolitik also zügig voranbringen, will sie die nächste
WTO-Runde in unser aller Interesse gut bestehen.
Allerdings müssen bis dahin noch einige Fragen
beantwortet werden. Deshalb ist es wichtig, dass die
Kommission nun ergänzende Analysen vorlegt, damit die
Länder die Auswirkungen der Reform noch besser einschätzen können. Schon jetzt werden an einem Beispiel,
nämlich dem Vorschlag zur Betriebsprämie, die Probleme deutlich: Werden die Prämienrechte der letzten
Jahre als Referenzwert herangezogen, werden regionale
Ungleichgewichte weiter festgeschrieben und eine Benachteiligung von Grünlandbetrieben gegenüber Ackerbaubetrieben fest zementiert.
Die Bundesregierung verfolgt daher eine andere Strategie. Lassen Sie mich dazu einige entscheidende Fakten
nennen: Erstens. Die Entkoppelung sollte schrittweise erfolgen und in Richtung einer regional einheitlichen
Flächenprämie gehen.
Zweitens. Die in der EU geltenden Vorschriften in den
Bereichen Umwelt- und Tierschutz sowie Lebensmittel- und Betriebssicherheit müssen besser durchgesetzt
werden.
Drittens. Die vorgesehene Cross-Compliance-Regelung und die Einführung eines betrieblichen Beratungssystems müssen so ausgestaltet werden, dass in den Mitgliedstaaten möglichst einheitliche Mindeststandards
gelten und dies nicht zu einem unangemessenen bürokratischen Aufwand führt.
Viertens. Auch bei der Milchmarktreform muss den
Milcherzeugern eine wirtschaftlich tragfähige Perspektive angeboten werden.
({4})
Fünftens. Die vorgesehenen Regelungen im Bereich
der nachwachsenden Rohstoffe sind längst noch nicht
ausreichend. Der angedachte Prämienbetrag von 45 Euro
pro Hektar genügt den Betrieben nicht, um auch in Zukunft wirtschaftlich arbeiten zu können. Wir müssen an
dieser Stelle zukunftsorientiert denken und alle Möglichkeiten nutzen, um fossile, begrenzt vorhandene Rohstoffe
zu schonen. Außerdem sollte uns bewusst sein, dass damit
die Abfallproblematik entschärft würde, weil nachwachsende Rohstoffe gut abbaubar sind. An dieser Stelle muss
nachgebessert werden.
Als ostdeutsche Politikerin habe ich natürlich immer
die EU-weit einmaligen Strukturen in den neuen Ländern im Visier. Daher bin ich sehr froh, dass die im Rahmen der Modulation geplante Kappungsgrenze vom Tisch
ist. Schon nach Bekanntgabe der Reformvorschläge im
Juli letzten Jahres habe ich mich eindeutig gegen dieses
Modell ausgesprochen, denn innerhalb der EU wäre mehr
oder weniger nur eine Region in einem Land davon betroffen, nämlich die neuen Bundesländer. Fast 90 Prozent
der Betriebe in den neuen Bundesländern wären unter
diese Regelung gefallen. Es wäre auch absolut unverständlich gewesen, wenn die in den 90er-Jahren neu entstandenen Agrargenossenschaften unverhältnismäßig stark
belastet worden wären.
Bei den jetzt vorliegenden Legislativvorschlägen zur
obligatorischen Modulation ist meiner Meinung nach
noch zu überprüfen, inwieweit überhaupt eine im Regionenvergleich ausgewogene Prämienkürzung gegeben ist.
Die Bundesregierung muss sich auch dafür einsetzen,
dass der notwendige Arbeitskräfteeinsatz besser berücksichtigt wird. So ist zum Beispiel ein in der Tierproduktion tätiger Betrieb arbeitskräfteintensiv. Bei einem reinen
Ackerbaubetrieb jedoch ist die Fläche mit relativ wenig
Arbeitskräften zu bewirtschaften. In Zukunft kann es nur
so sein, dass der Betrieb mit einem hohen Arbeitskräfteeinsatz weniger von den Kürzungen betroffen ist als der
Betrieb, der mit wenig Arbeitskräften wirtschaften kann.
({5})
Es kann auch nicht im Interesse der Landwirtschaft liegen, einen Teil der Kürzungen durch Modulation in den
Mitgliedstaaten umzuverteilen. Zu kritisieren ist auch,
dass lediglich bis zu 6 Prozent der Kürzungsgelder zur
Stärkung der zweiten Säule genutzt werden können. Bei
einen Kürzungsansatz von maximal 19 Prozent sollte ein
sehr viel größerer Betrag zur Förderung der ländlichen
Räume zur Verfügung gestellt werden.
Zum Thema Modulation ein kleiner Schwenk in mein
Bundesland, nach Sachsen-Anhalt: Mir hat unheimlich gut
gefallen, dass sich die landwirtschaftlichen Verbände unterschiedlichster Couleur bezüglich der Umsetzung der Modulation in Deutschland auf eine Marschrichtung einigen
konnten. Man sehe und staune also, dass gemeinsame
Schwerpunktbereiche festgelegt werden konnten, so zum
Beispiel die Förderung von umwelt- und artgerechten Haltungssystemen inderTierhaltungunddieFörderungextensiver Grünlandnutzung. Also: Im Chor singen viele Stimmen
und wenn sich alle bemühen, klingt es sogar sehr schön.
Das Gleiche gilt natürlich für den Reformprozess in der
EU. Es bedarf zwar noch einiger Veränderungen, aber
wenn sich alle EU-Mitgliedstaaten weiter bemühen, können wir ein vernünftiges Modell vorlegen und gehen gut
vorbereitet in die WTO-Verhandlungen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe natürlich
auch die Anträge der Opposition gelesen. Wenn ich all
das, was ich bei CDU/CSU und FDP gelesen habe, richtig verstanden habe, haben wir viele Berührungspunkte
und auf bestimmten Feldern ähnliche Sichtweisen. Lassen
Sie mich deshalb mit einem Wunsch schließen: Ich wünsche mir, dass wir - Regierungskoalition und Oppositionsparteien - für diesen bedeutenden Reformprozess
gemeinsam Kraftanstrengungen für Deutschland in einem
gemeinsamen Europa unternehmen.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Marlene Mortler.
({0})
- Die Kollegen klatschen schon, das ist nämlich ihre erste
Rede hier.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Titel
Ihres Antrags ist auf den ersten Blick verheißungsvoll,
({0})
aber nur auf den ersten Blick. In Wirklichkeit steht nichts
dahinter.
({1})
Unsere Bäuerinnen und Bauern in Deutschland sind
mutig. Sie wollen sich auch weiterhin den Herausforderungen der Zukunft stellen. Ob ihre Existenzgrundlage als
Ausgangsbasis dafür gewährleistet bleibt, hängt folgenschwer von dem ab, was wir bzw. Sie beschließen. Die
Hauptstoßrichtung der vorliegenden Reformvorschläge
führt aber dazu, dass in Deutschland viele landwirtschaftliche Betriebe vor dem Aus stehen würden. An die Stelle
von ausgewogenem Gestalten ist hier Flickschusterei getreten. Den bäuerlichen Unternehmerfamilien ist damit
nicht geholfen. Sie brauchen eine verlässliche Agrarpolitik.
({2})
Beim Berliner Gipfel 1999 wurde vereinbart, dass die
in der Agenda 2000 festgesetzten Grundregeln verbindlich bis 2006 gelten. Dieses Ergebnis hat die Bundesregierung damals als großen Erfolg verkauft: Die deutsche Landwirtschaft hat Planungssicherheit. Heute
scheinen die Regierungsparteien davon nichts mehr wissen zu wollen. Ich erwarte von Ihnen Vertrauensschutz.
Halten Sie Wort!
({3})
Meine Damen und Herren, für mich ist der Inhalt der
Reformpläne entscheidend und nicht die Verpackung.
({4})
Die Inszenierung der Reformpläne war aus Sicht unserer
Verbraucher schon beeindruckend, professionell und überzeugend. Die Ziele - weniger Bürokratie, Stärkung bäuerlicher Landwirtschaft, Umweltschutz, Tierschutz und
Lebensmittelsicherheit - gehen für alle Bäuerinnen und
Bauern sowie Verbraucher in Ordnung. Mit den vorgeschlagenen Maßnahmen wird aus unserer Sicht jedoch der
falsche Weg beschritten. Ich empfinde außerdem die Begründung der Reformpläne der Kommission als Diffamierung unserer Bäuerinnen und Bauern, denn sie erzeugen hochwertige Nahrungsmittel. Sie wirtschaften nach
dem Nachhaltigkeitsprinzip
({5})
und pflegen gleichzeitig unsere Kulturlandschaft.
({6})
An einem Beispiel aus meinem eigenen Betrieb zum
Thema Markt wird das deutlich: Wir erzeugen und verarbeiten sowohl konventionelle als auch Bioprodukte, aber
nicht, weil Ministerin Künast das so verordnet hat, sondern weil der Markt das so will.
({7})
Zum Stichwort „Bio“ und zum staatlichen Biosiegel:
Seit der Einführung sind meine Biobauern im Landkreis
stocksauer, weil ihre Preise und Märkte wegen des verstärkten Imports immer mehr einbrechen.
({8})
Sie bringen es so auf den Punkt: Wenn es der konventionellen Landwirtschaft gut geht, dann geht es auch uns
Ökobauern gut.
({9})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist
stark im Erfinden von interessanten Wortschöpfungen.
Auch bei Fischler werden klangvolle Begriffe wie Entkoppelung, Modulation und Cross Compliance angeführt,
die in der Konsequenz aber harte Einschnitte und eine
weitere Welle an Bürokratie bedeuten.
Die Bundesregierung sammelt gerade Erfahrungen bei
der nationalen Modulation. Um die gekürzten Direktzahlungen wieder zu verwenden - hören Sie genau zu! -,
ist mindestens 1 Euro an zusätzlichem Verwaltungsaufwand der Behörden für 4 Euro gekürzte Mittel erforderlich. Gleichzeitig kommt in der gesamten Landwirtschaft
netto letztlich weniger Geld einkommenswirksam an.
({10})
Der französische Landwirtschaftsminister Gaymard und
somit die französische Regierung zeigen dagegen auf, dass
es ihnen um die Menschen in der Landwirtschaft und deren
Existenzgrundlage geht. Sie sehen die Situation realistisch:
Die Schwierigkeiten der WTO-Verhandlungen beruhen auf der Tatsache, dass Europa seine Agrarreform
bereits mit der Agenda 2000 vollzogen hat, während
einige Staaten einen größeren Beitrag der EU erwarten. Wir müssen daher unsere eigene Reform in den
Vordergrund der Verhandlungen stellen, zumal andere Länder ihren Beitrag noch nicht geleistet haben.
Bei der Agrarreform ist ohnehin keine Eile angesagt.
Die Haushaltsobergrenzen sind nicht überschritten
und es gibt keine Überproduktion.
So Originalton Gaymard letzte Woche.
Zu dieser Einsicht müsste eigentlich auch die Bundesregierung kommen, da sie dieselbe europäische Landwirtschaft wahrnimmt wie Frankreich.
({11})
Aber vielleicht sind wieder einmal die Übersetzer schuld
daran, wie es der Bundeskanzler nach seiner Einigung mit
Staatspräsident Chirac über die Agrarfinanzplanung bis
2013 beim Brüsseler Gipfel nachträglich hinstellte. Wenn
die Bundesregierung ohne Not eine erneute EU-Agrarreform forciert, so schwächt sie die deutschen und europäischen Bauern im Markt und befürwortet einen massiven Strukturwandel.
Das heißt, der Rückgang der flächendeckenden Landbewirtschaftung, gerade in benachteiligten Gebieten, ist
vorprogrammiert. Zuerst werden kleine und mittlere Betriebe vor das Aus gestellt. Wo sind denn die mutigen,
hehren Aussagen aus der Hochzeit von BSE - „Klein ist
gut; groß ist schlecht, weil es Masse bedeutet“ - geblieben? Sie sind auf der Strecke geblieben.
({12})
Die Ministerin - wir haben das gerade auch von Ihnen,
Frau Wolff, vernommen - freut sich sogar darüber, dass
die so genannte Kappungsgrenze gefallen ist.
Meine Auffassung von Landwirtschaft ist folgende: Jeder Betrieb, der nach bestem Wissen und Gewissen arbeitet - dabei sind die Größe und die Wirtschaftsweise
zweitrangig -, verdient unsere Unterstützung.
({13})
Denn es geht um den Erhalt von Arbeitsplätzen nicht
nur in der Landwirtschaft, sondern auch im vor- und nachgelagerten Bereich und im ländlichen Raum allgemein.
({14})
Was hier zerschlagen wurde, ist auch in einer erweiterten
zweiten Säule nicht aufzufangen. Ist das vielleicht bewusst kalkuliert? Ich hoffe, nicht.
Interessant ist auch, dass die Regierungsfraktionen für
einheitliche Mindeststandards in den Mitgliedstaaten plädieren. Fakt ist, dass zum Beispiel die EU-Richtlinien
stets einheitliche Vorgaben umfassen, die Bundesregierung aber dafür bekannt ist, immer noch eins draufzusetzen, Stichwort: nationale Alleingänge.
Fakt ist auch, dass die Vorschläge des WTO-Landwirtschaftsbeauftragten Harbinson bestätigen, wie strategisch
unklug die Kommission vorgegangen ist. Sie hat sich und
uns mit den tiefgreifenden Vorschlägen einen Bärendienst
erwiesen.
({15})
Leider passt der Antrag der Koalition in dieses Schema.
Ich vermisse auch ein klares Bekenntnis zur Fortführung der Milchquote über 2008 hinaus.
({16})
Mit einem Milchrichtpreis von 20 Cent pro Liter würde
jegliches unternehmerische Handeln im Keim erstickt.
({17})
Damit ist eine kostendeckende Milcherzeugung in
Deutschland nicht mehr möglich. Denken Sie an unsere
Grünlandbetriebe und an die benachteiligten Gebiete, vor
allem an das Allgäu. Sie haben kaum Alternativen.
Einerseits feiern Sie die Höhe der Tarifabschlüsse als
großen Erfolg. Andererseits akzeptieren Sie, dass die Landwirtschaft zweimal bestraft wird: zum einen mit sinkenden
EinkommenundzumanderenmitsteigendenBelastungen.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist um.
Ich weiß, Frau Präsidentin. Es ist meine erste Rede. Ich
gelobe Besserung.
Die Landwirte in Deutschland erwarten von der Politik
zu Recht Perspektiven, die ihnen ein nachhaltiges Wirtschaften ermöglichen. Dazu gehört, dass der Anbau
nachwachsender Rohstoffe auf Stilllegungsflächen auch
zukünftig möglich sein muss. Dazu gehören ferner Planungssicherheit bei der Milchmarktordnung, weniger Bürokratie, um das Anlastungs- und Sanktionsrisiko zu senken,
künftige Beihilfen nur für die wirtschaftenden Betriebe, der
Erhalt regionaler Produktionszweige und vor allem die Absicherung des europäischen Landwirtschaftsmodells.
Frau Kollegin, ich bin schon sehr großzügig gewesen.
Bitte nur noch einen letzten Satz!
Unsere Bauern und Bäuerinnen verdienen es, dass Sie
sich nachhaltig auf allen Ebenen in der EU und bei der
WTO für sie einsetzen.
Danke schön.
({0})
Frau Kollegin, ich gratuliere Ihnen im Namen des Hauses zur Ihrer ersten Rede.
({0})
Bei der Beachtung des Zeitregimes müssen Sie allerdings
ein bisschen nachbessern.
Ich möchte Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung bekanntgeben. Abgegebene Stimmen 546.
Mit Ja haben gestimmt 291, mit Nein haben gestimmt
253. Es gab zwei Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen worden.
({1})
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 546;
davon
ja: 291
nein: 253
enhalten: 2
Ja
SPD
Dr. Lale Akgün
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr ({2})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({3})
Klaus Barthel ({4})
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({5})
Kurt Bodewig
Gerd Friedrich Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({6})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({7})
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Marga Elser
Gernot Erler
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({8})
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({9})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({10})
Anke Hartnagel
Nina Hauer
Hubertus Heil
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Monika Heubaum
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Walter Hoffmann
({11})
Iris Hoffmann ({12})
Frank Hofmann ({13})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Jann-Peter Janssen
Klaus Werner Jonas
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Heinz Köhler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({14})
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Caren Marks
Christoph Matschie
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Petra-Evelyne Merkel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Michael Müller ({15})
Christian Müller ({16})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Volker Neumann ({17})
Dietmar Nietan
Dr. Erika Ober
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Karin Rehbock-Zureich
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Reinhold Robbe
René Röspel
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({18})
Michael Roth ({19})
Gerhard Rübenkönig
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({20})
Thomas Sauer
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({21})
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Ulla Schmidt ({22})
Dagmar Schmidt ({23})
Wilhelm Schmidt ({24})
Heinz Schmitt ({25})
Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Wilfried Schreck
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
({26})
Swen Schulz ({27})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie
Sonntag-Wolgast
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Ute Vogt ({28})
Dr. Marlies Volkmer
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Reinhard Weis ({29})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Jürgen Wieczorek ({30})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Brigitte Wimmer ({31})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
({32})
Heidi Wright
Manfred Helmut Zöllmer
Dr. Christoph Zöpel
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({33})
Volker Beck ({34})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Jutta Dümpe-Krüger
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer ({35})
Katrin Dagmar
Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Peter Hettlich
Thilo Hoppe
Michaele Hustedt
Renate Künast
Markus Kurth
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Friedrich Ostendorff
Simone Probst
Claudia Roth ({36})
Krista Sager
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({37})
Werner Schulz ({38})
Petra Selg
Ursula Sowa
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Marianne Tritz
Hubert Ulrich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Dr. Ludger Volmer
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({39})
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({40})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Dr. Rolf Bietmann
Clemens Binninger
Antje Blumenthal
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({41})
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Helge Braun
Paul Breuer
Monika Brüning
Verena Butalikakis
Hartmut Büttner
({42})
Cajus Caesar
Manfred Carstens ({43})
({44})
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Albert Deß
Vera Dominke
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({45})
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Albrecht Feibel
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({46})
Axel E. Fischer
({47})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({48})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Georg Girisch
Michael Glos
Tanja Gönner
Josef Göppel
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Kurt-Dieter Grill
Reinhard Grindel
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Karl-Theodor Freiherr von
und zu Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Siegfried Helias
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Joachim Hörster
Susanne Jaffke
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Siegfried Kauder ({49})
Gerlinde Kaupa
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Kristina Köhler ({50})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Rudolf Kraus
Michael Kretschmer
Günther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn ({51})
Dr. Karl A. Lamers
({52})
Dr. Norbert Lammert
Barbara Lanzinger
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Walter Link ({53})
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
({54})
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Dorothee Mantel
Stephan Mayer ({55})
Conny Mayer ({56})
Dr. Martin Mayer
({57})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({58})
Doris Meyer ({59})
Maria Michalk
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Stefan Müller ({60})
Bernward Müller ({61})
Bernd Neumann ({62})
Michaela Noll
Claudia Nolte
Günter Nooke
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Melanie Oßwald
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Christa Reichard ({63})
Katherina Reiche
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Roedel
Franz Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Albert Rupprecht ({64})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({65})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt ({66})
Andreas Schmidt ({67})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Horst Seehofer
Kurt Segner
Matthias Sehling
Marion Seib
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von
Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({68})
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Peter Weiß ({69})
Gerald Weiß ({70})
Ingo Wellenreuther
Klaus-Peter Willsch
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
FDP
Daniel Bahr ({71})
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Rainer Funke
Joachim Günther ({72})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Christoph Hartmann
({73})
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Markus Löning
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({74})
Eberhard Otto ({75})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Andreas Pinkwart
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Enthalten
Fraktionslos
Petra Pau
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ulrike Höfken.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kritisiere nur ungern Kollegen, die ihre erste Rede gehalten haben. Aber,
Frau Kollegin, ich muss zu Ihrer Rede - nehmen Sie es
bitte nicht persönlich - wie auch grundsätzlich zur Politik
der CDU/CSU sagen: Sie träumen.
({0})
Sie fordern von uns Reformen auf nationaler Ebene.
Gleichzeitig reden Sie davon, man dürfe auf keinen Fall
Alleingänge machen.
({1})
Wo leben Sie eigentlich? Wir haben einen Antrag vorgelegt, der große Parallelen zum Papier des DBV aufweist.
Sie müssten Ihre Kritik also schon ausweiten.
Es ist klar, dass das Jahr 2003 ein wichtiges Jahr für
die Landwirtschaft ist. Mit den Reformvorschlägen der
EU-Kommission, den Anforderungen der EU-Osterweiterung und den WTO-Verhandlungen stehen ganz konkrete und von uns gewiss nicht zu leugnende Herausforderungen an, denen wir uns stellen müssen und stellen
werden. Die Weichen für die nächsten Jahre werden gestellt. Mit dem jetzt vorliegenden Vorschlag der EUKommission werden in der Tat wichtige Vorschläge von
Frau Ministerin Künast aufgegriffen.
Es gibt zu dieser Reform keine Alternative:
Erstens. Die derzeitige EU-Agrarpolitik aufgrund der
Brüsseler Finanzbeschlüsse wäre schlichtweg nicht mehr
finanzierbar, wenn im nächsten Jahr zehn weitere Staaten
in die EU aufgenommen werden. Die EU wäre schlichtweg handlungsunfähig. Als Anmerkung zum Beitrag meiner Vorrednerin nenne ich das Stichwort Nettozahlerposition. Wie, bitte schön, hätten Sie die Finanzprobleme
nicht nur dieses Landes, sondern auch der anderen europäischen Länder lösen wollen, wenn es hier nicht ein vernünftiges Finanztableau gegeben hätte?
Es gibt zweitens keine Alternative zur Reform der europäischen Agrarpolitik, weil die derzeitige EU-Agrarpolitik schlichtweg nicht WTO-kompatibel ist. Wir stehen in
der Verantwortung, die Betriebe auf diese Situation vorzubereiten. Deswegen ist es notwendig, diese Vorschläge
jetzt vorzulegen, darüber jetzt zu diskutieren und Beschlüsse zu fassen. Denn dann kann es - dies muss auch
so sein - zu Planungssicherheit kommen.
({2})
Drittens müssen die Agrarpolitik und auch die staatlichen
Transferleistungen gesellschaftliche Akzeptanz erhalten.
Dies muss verbessert werden. Eine verstärkte Ausrichtung
auf den Verbraucherschutz sowie die Umwelt- und Tiergerechtigkeit ist dafür eine notwendige Voraussetzung.
Wir brauchen, wie gesagt, die rechtzeitige Reform der
europäischen Agrarpolitik. Denn wir können die Erweiterung der EU und die völlige Veränderung der Agrarpolitik - darauf hat Kommissar Fischler zu Recht hingewiesen - nicht gleichzeitig schultern. Wir brauchen Zukunft
für die ländlichen Räume. Wir brauchen eine verstärkte
Förderung und Unterstützung der so genannten zweiten
Säule. Denn diese bietet die Möglichkeit, Arbeitsplätze zu
schaffen und Wirtschaftsentwicklungen zu fördern.
Noch eine Anmerkung zu den WTO-Vorschlägen, die
im Rahmen des Harbinson-Papiers vorliegen. Wir müssten wahrscheinlich gemeinsam sagen: Diese Vorschläge
sind einerseits nicht dazu geeignet, den berechtigten Forderungen der schwächsten und schwachen Entwicklungsländer nach einem verbesserten Marktzugang nachzukommen. Andererseits sind sie nicht kompatibel zu den
Vorschlägen - das muss man deutlich sehen -, die jetzt im
Rahmen des Fischler-Papieres gemacht worden sind. Sie
sind also in dieser Form für uns nicht akzeptabel.
Die Vorschläge der EU-Kommission gehen insgesamt
in die richtige Richtung. Wichtig werden aber die Konkretisierung und die Ausgestaltung dieser Vorschläge
sein. Hierbei werden für Deutschland einige Korrekturen
notwendig sein, die wir in dem Antrag, der Ihnen vorliegt,
niedergelegt haben.
Das erste Stichwort lautet Entkoppelung. Das ist ein
Systemwechsel, der auch im Rahmen der WTO-Beschlüsse verlangt werden wird. Wir brauchen ein staatliches Fördersystem, das den dann zugelassenen GreenBox-Maßnahmen wirklich entspricht. Das heißt, wir
brauchen betriebsbezogene Beihilfen. Wir unterstützen
die Bundesregierung darin, schrittweise in Richtung
Flächenprämien zu gehen. Wir wollen vor allem - das ist
für uns ein wichtiger Punkt - eine stärkere Grünlandförderung. Wir wollen auf keinen Fall, dass das Ungleichgewicht zwischen Ackerbauförderung und Grünlandförderung, das bisher existiert, weiter zementiert wird.
({3})
Nun zum Stichwort Cross Compliance, zur Koppelung
der Direktzahlungen an Umwelt-, Tierschutz- und Verbraucherschutzstandards. Ich denke, dies bietet nun endlich die Möglichkeit, EU-weit zu einer stärkeren Verbindlichkeit der entsprechenden Richtlinien zu kommen. Das
haben auch Sie von der Opposition immer gefordert und
das ist natürlich notwendig. Wir verlangen, dass es zu einer praxisgerechten Ausgestaltung der Cross-ComplianceRegelung kommt, die dann auch unbürokratisch sein soll.
({4})
Ich denke, das Anliegen teilen alle.
Ähnliches gilt für das Betriebsaudit. Das könnte ein
Monstrum werden; aber es kann genauso gut eine Chance
sein, Qualitätssicherungssysteme zu unterstützen, über
die die deutsche Landwirtschaft ohnehin verfügt oder die
sie einrichten möchte. Das heißt, auch hier bestehen große
Chancen, wenn die Ausgestaltung praxisgerecht erfolgt.
Nun zum Ausbau der zweiten Säule und zur Einführung der obligatorischen Modulation. Es ist richtig,
dass die Kommission diesen Schritt verstärkt geht. Die
Modulation wird obligatorisch eingeführt. Das führt zu einer besseren Fördergerechtigkeit, bringt mehr Mittel in
die ländlichen Räume und verstärkt die Umweltgerechtigkeit bei der Produktion. Auch die bäuerliche Produktion wird damit ganz deutlich gestärkt.
Wichtig ist das im Übrigen nicht nur für die bisherigen
Mitgliedstaaten und für Deutschland mit seinen ländlichen Regionen, sondern gerade für die Beitrittsländer.
Allerdings müssen wir sagen: Die Modulation kommt zu
spät, erst nach 2006, und mit viel zu niedrigen Anfangssätzen. Das heißt, wir setzen uns dafür ein, dass es zu einem Vorziehen und zu einer besseren Ausstattung der
Modulationsregelung kommt, um auch in diesem Bereich
in Zukunft die Agrarumweltprogramme zu stärken.
Die Regelung im Hinblick auf die nachwachsenden
Rohstoffe - das hat meine Kollegin Wolff bereits angesprochen - halten wir nicht für akzeptabel. Wir möchten,
dass nachwachsende Rohstoffe eine Zukunft haben und
sie entsprechend gefördert werden.
({5})
Insgesamt muss man sagen: Die Reform der EU, die
EU-Osterweiterung und die WTO-Verhandlungen werden dazu führen, dass es - bis auf einen gewissen Sockelbetrag - immer weniger staatliche Transferleistungen
gibt. Es wird eine stärkere Marktorientierung notwendig
sein, und zwar mit Blick auf die europäischen Verbraucher im Binnenmarkt. Das ist Bestandteil der Agrarpolitik
der Grünen und wird von der Bundesregierung mit aller
Kraft vorangetrieben. Es wird also die Diskussion zu
führen sein, mit der Ministerin Künast schon begonnen
hat und die die CDU/CSU, die FDP und der Berufsstand
nicht zu führen wagten, nämlich die Diskussion um
die Durchsetzung der Produktionskosten in den Erzeugerpreisen. Dieser Verantwortung müssen wir uns alle
stellen, auch die Wirtschaft und deren Interessenvertretung.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christel HappachKasan. Sie hält heute ebenso wie weitere Redner, die noch
folgen werden - ich nenne Thomas Silberhorn und Peter
Jahr -, ihre erste Rede in diesem Hause. Ich bitte also um
viel Aufmerksamkeit für die neuen Abgeordneten.
Bitte, Frau Kollegin.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die
EU wandelt sich, Deutschland hat sich im Laufe der Jahre
ebenfalls gewandelt. Die Agenda 2000 sollte die Erweiterung der EU finanziell absichern. Das ist nicht gelungen.
Wir werden weitere Reformschritte brauchen, um dies zu
erreichen.
Kollegin Wolff hat verschiedene kritische Bemerkungen zu den Legislativvorschlägen von EU-Kommissar
Fischler gemacht. Damit liegt sie nicht schlecht. Ich will
nur die Stichworte Grünland und nachwachsende Rohstoffe, aber auch die Roggen-Intervention nennen. Wir
werden Sie aber danach bewerten, was von diesen kritischen Bemerkungen übrig bleibt, wenn die Regierung
nachher darüber beschließt. Das wird die Zielmarke sein.
({0})
Es wird in Deutschland leicht vergessen, insbesondere
in diesem Hause: Mehr als die Hälfte der Menschen in
Deutschland lebt in ländlichen und halbstädtischen Regionen. Auch wenn diese Regionen nicht mehr ausschließlich durch die Landwirtschaft geprägt sind, so sähe doch
das Bild der freien Landschaft in Deutschland ohne Landwirtschaft anders aus.
({1})
Die Ferienländer Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Bayern verdanken einen Teil ihrer Attraktivität den ländlichen Strukturen. Arbeitsplätze in den
Handwerksbetrieben und in der Ernährungsindustrie profitieren vom wirtschaftlichen Erfolg der landwirtschaftlichen Betriebe. Erdbeeren kann man das ganze Jahr über
aus aller Welt importieren, aber am besten schmecken sie
immer noch im Mai, frisch gepflückt.
({2})
Ich will damit deutlich machen: Wir diskutieren hier Vorschläge, die viele Menschen in Deutschland etwas angehen,
nicht nur die schwindende Zahl der Bauern. Vor diesem Hintergrund müssen wir die Vorschläge von EU-Kommissar
Fischler prüfen, sie auf ihre Auswirkungen für Deutschland
bewerten und die eigenen Interessen definieren.
Die Landwirtschaft versorgt die Menschen mit hochwertigen Nahrungsmitteln; dies war so und dies soll so
bleiben. Ihre Dienstleistungen für den Erhalt unserer Kulturlandschaft müssen honoriert werden. Weizen kann
man verkaufen, Schnitzel ebenfalls. Der Anblick von
Kornblumen ist für den Betrachter umsonst, für den Landwirt aber nicht. Das wird häufig vergessen.
({3})
Die FDP hat als erste und einzige Partei die Einführung
einer produktunabhängigen Kulturlandschaftsprämie vorgeschlagen. Damit will sie das gegenwärtige hochkomplizierte Prämiensystem abschaffen.
({4})
Wir wollen die Direktzahlungen der EU von der Produktion entkoppeln, diese an die Bewirtschaftung der Flächen
binden und unter Einbeziehung des Grünlandes die
Dienstleistungen der Landwirte für die Pflege und den Erhalt der Kulturlandschaft honorieren. So könnte es gelingen, den riesigen bürokratischen Aufwand zu vermindern.
Arbeitsplätze in der Landwirtschaft gehören zu den
kostenintensivsten. Daher braucht eine unternehmerische
Landwirtschaft Planungssicherheit. Die Abstände zwischen den Agrarreformen der EU werden immer kürzer:
1992 MacSharry, 2000 die Agenda 2000 und die nächste
Reform folgt in 2007. Die Investition in einen Kuhstall
rechnet sich aber erst im Laufe von 30 Jahren. Daran wird
deutlich, in welcher Weise ein Landwirt von politischen
Entscheidungen abhängig ist und welch großes persönliches Risiko er bei seinen Investitionsentscheidungen auf
sich nimmt.
Neben der Planungssicherheit brauchen Landwirte faire
Wettbewerbsbedingungen. Auf einem EU-Binnenmarkt
führen nationale Sonderwege dazu, die eigene landwirtschaftliche Produktion in die Nachbarländer zu vertreiben. Schon aus arbeitsmarktpolitischen Gründen können
wir uns das nicht leisten. Die Politik könnte sich dann für
ihr vorbildliches Verhalten zwar an die Brust klopfen,
aber die Eier werden aus Tschechien importiert, wo künftig die EU-Standards der Maßstab sind und nicht die deutschen Verordnungen.
({5})
Auf den ersten Blick scheinen die drei eingebrachten
Anträge vor allem Gemeinsamkeiten zu zeigen. Es gibt
aber auch eine ganze Reihe von Unterschieden. Ob die gemeinsame Agrarpolitik der EU den Landwirten, wie die
CDU das fordert, die Erwirtschaftung eines angemessenen Einkommens ermöglichen wird, hängt ganz entscheidend von den betriebswirtschaftlichen Voraussetzungen
und der Ausbildung der Landwirte ab. Da gibt es keine
Garantie. Ich muss in diesem Zusammenhang an den
früheren Satz der CDU denken: Wer Bauer sein will, kann
es auch bleiben.
({6})
- Wir wissen, lieber Kollege Carstensen: Das geht nicht.
Aber auch die FDP tritt dafür ein, dass sich der Strukturwandel nicht weiter beschleunigt, wie dies in den letzten Jahren zu beobachten war.
Rot-Grün fordert möglichst einheitliche Mindeststandards in den EU-Mitgliedstaaten. Gut, auch die FDP
fordert dies. Doch Rot-Grün weiß, dass die Standards für
die landwirtschaftliche Produktion in der EU und insbesondere in Deutschland hoch sind, sonst hätten wir nicht
solch hochwertige Lebensmittel. Die konkrete Politik von
Rot-Grün zielt doch gerade darauf, für Deutschland Sonderregelungen festzuschreiben, die, ganz im Gegensatz zu
den Aussagen im eigenen Antrag, für die landwirtschaftlichen Betriebe zu Wettbewerbsverzerrungen führen würden.
({7})
Die Nennung des Faktors Arbeit als Kriterium zur
Prämienberechnung bedeutet, dass der tüchtige, effektiv arbeitende Landwirt durch das Prämiensystem bestraft wird. Das ist leistungsfeindlich. Das lehnen wir
ab.
({8})
Geradezu rührend ist im vorliegenden Antrag die Erwähnung der Wanderschaf- und Ziegenhaltung. Das soll
dem Antrag wohl Lokalkolorit geben und von rot-grünen
Fehlleistungen ablenken.
Es ist schon auffällig, liebe Kolleginnen und Kollegen
auf der linken Seite: Keiner der bekannten Sprüche ist zu
lesen. Sogar der Spruch „Klasse statt Masse“ fehlt. Vielleicht hat Rot-Grün begriffen, dass die Probleme nicht
beim frisch geernteten Produkt liegen, sondern in der
Weiterverarbeitung. Auch die Agrarwende ist zu Recht in
der Versenkung verschwunden. Gut so; denn noch immer
gilt: Im Märzen der Bauer, auch wenn er nicht die Rösslein anspannt, sondern sich an den Computer setzt und auf
den Trecker steigt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Ich gratuliere Ihnen im Namen des Hauses zu Ihrer ersten Rede.
({0})
- Entsprechend dem Thema der Debatte überreichen Ihnen die Kollegen etwas Nahrhaftes und keine Blumen.
Das Wort hat jetzt der Minister für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Fischerei des Landes MecklenburgVorpommern, Till Backhaus.
({1})
Dr. Till Backhaus, Minister ({2}):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Im Märzen der Bauer die Rösslein anspannt diese Liedstrophe ist eben genannt worden. Ich habe den
Eindruck, dass es hier einen gewissen Grundkonsens gibt.
Wir sind uns darüber einig, dass die Landwirte in
Deutschland für die Kulturlandschaft in den letzten Jahrzehnten hervorragende Arbeit geleistet haben und diese
auch den nächsten Jahrzehnten leisten werden. Im Übrigen gehöre auch ich als Landwirt dazu.
Es ist schön, dass wir, kurz bevor die Vegetation zu
sprießen beginnt, im Deutschen Bundestag im Rahmen
der Debatte zur Agrarwirtschaft über die Zukunft der
deutschen Landwirtschaft reden. Ich bin der festen Überzeugung, dass die europäische Agrarwirtschaft vor neuen
Herausforderungen steht.
Erstens. Der Vollzug der beschlossenen EU-Osterweiterung zum Mai 2004 steht vor der Tür.
Zweitens. Das Thema Herstellung der WTO-Konformität steht auf der Tagesordnung. Dies muss dringend
umgesetzt werden, und zwar möglichst noch in diesem
Jahr, damit wir Klarheit in Bezug auf die Rahmenbedingungen bekommen.
Drittens. Ich halte eine stärkere Ausrichtung der Agrarwirtschaft auf marktorientierte Entwicklungen im Innenverhältnis Europas für richtig. Gleichzeitig will die Gemeinschaft - auch das ist zu unterstreichen - natürlich an
den Grundfesten der Agrarpolitik und den Reformen festhalten, die eingeleitet worden sind.
Viertens. Die Unterstützung und Stärkung der benachteiligten Gebiete steht mit im Vordergrund. Dabei denke
ich an die strukturschwachen Regionen Deutschlands;
Mecklenburg-Vorpommern und die ländlichen Räume
insgesamt gehören dazu.
Die Gemeinschaft will aber auch - das ist zu unterstreichen - den bereits begonnen vernünftigen Weg, nämlich zu konsolidieren, weitergehen. Das betrifft insbesondere Bereiche wie die Nachhaltigkeit oder die Umwelt,
die Verbraucherschutzproblematik - das ist zurzeit vor allem mit Blick nach Thüringen ein sehr aktuelles Thema und natürlich auch den Tierschutz, der in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit sehr stark an Bedeutung gewonnen hat.
Das heißt, wir brauchen strategische Veränderungen;
diese sind unerlässlich. Ich glaube auch, dass wir gemeinsam einen neuen Gesellschaftsvertrag zwischen den
Landwirten und der Gesellschaft entwickeln müssen.
({3})
Ich darf Sie ausdrücklich daran erinnern, dass sich an
den Zielen einer gemeinsamen Agrarpolitik in Europa
nichts geändert hat.
Schauen wir uns den Art. 33 des EG-Vertrages oder das
Landwirtschaftsgesetz an. Dort geht es darum, die nachhaltige Entwicklung der ländlichen Räume zu fördern sowie die Einkommen innerhalb der Landwirtschaft zu entwickeln und sie nicht von der gesamtgesellschaftlichen
Entwicklung abzukoppeln. Leider hat es hier in den letzten Jahren ein Auseinanderdriften gegeben.
Es ist klar, dass eine Agrarreform wohl überlegt und
sozial ausgewogen sein sowie zukunftsfähig und nachhaltig ausgerichtet werden muss. Die Entwicklungen zeigen aber auch, dass es höchste Zeit für einen neuen Vertrag zwischen der Gesellschaft und der Landwirtschaft ist.
Es kann und darf nicht alles so bleiben, wie es ist. Das
sage ich ganz klar auch an die Adresse der CDU/CSU.
Wer glaubt, er könne bei diesem Thema auf dem gegebenen Stand verharren, der wird irgendwann ad absurdum
geführt.
({4})
Daher begrüße ich die Vorschläge von Herrn Fischler
ausdrücklich.
({5})
Minister Dr. Till Backhaus ({6})
Aus meiner Sicht stellen sie einen grundsätzlich richtigen
Schritt in die richtige Richtung dar.
({7})
- Ich gehe davon aus, dass das ein Ihrer Partei nahe stehender Parteifreund ist. Ich weiß gar nicht, warum es hier
einen Widerspruch gibt.
({8})
- Jetzt wird es ja interessant. - Ich begrüße ebenfalls ausdrücklich, dass wir hierfür in Kopenhagen die grundsätzlichen finanziellen Rahmenbedingungen gesetzt haben und dass damit Planungsklarheit herrscht. Nun geht
es um die Ausgestaltung.
({9})
Ich will hier nicht nur Kritik vortragen, sondern vor allen Dingen alternative Vorschläge unterbreiten. Frau Bundesministerin, dies tue ich im Übrigen auch im Wissen,
dass wir mit pfiffigen und guten neuen Ideen gemeinsam
an der Front kämpfen werden, um dies in Brüssel mit Engagement und Vehemenz zu vertreten. Ich halte es an dieser Stelle auch für richtig, Ihnen, Frau Bundesministerin,
sehr dafür zu danken, dass Sie die Streichung der Kappung der Ausgleichszahlungen aus diesem Papier erreicht
haben. Herzlichen Dank dafür.
({10})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme
nun zur Entkoppelung der Ausgleichszahlungen von der
Produktion. In Anbetracht der WTO-Verhandlungen gibt
es gar keine andere Alternative. Ich begrüße sie unter der
Voraussetzung, dass die Verlagerung der Zahlungsansprüche von dem Produzenten auf den aktiven - das betone ich - Bewirtschafter der Fläche erfolgen wird. Der
aktive Landwirt muss im Vordergrund stehen.
In Europa ist die Sicherstellung der Versorgung mit
hochwertigen Lebensmitteln zur Selbstverständlichkeit
geworden. Wenn überhaupt, dann stehen vor allen Dingen
Fragen der Herkunft, der Qualität und des Preis-Leistungs-Verhältnisses der Produktion im Vordergrund. Sollte
man die landwirtschaftliche Produktion nicht schrittweise
stärker den Kräften des Marktes überlassen, wie dies bei
anderen Erzeugnissen auch geschieht? Wäre das nicht
richtig? Das böte vielen Landwirten - gerade auch in den
neuen Bundesländern - eine Entwicklungsperspektive.
Selbstverständlich wäre das mit höheren Risiken verbunden. Ich darf meine Kollegin aus Bayern ansprechen: Gerade für kleine strukturierte Betriebe, aber auch für
größere Unternehmen wäre das mit höheren Risiken verbunden.
Eine halbe Marktwirtschaft gibt es eben nicht und eine
halbe soziale Marktwirtschaft erst recht nicht. Wenn die
Gesellschaft auch künftig noch Ausgleichszahlungen an
die Landwirte akzeptieren soll - diese haben in der Gemeinschaft immerhin eine Größenordnung von 42,5 Milliarden Euro -, dann müssen die Land-, Forst- und
Fischwirte eine Kulturlandschaftspflege und damit die
Entwicklung auf hohem Niveau, Beschäftigung - das betone ich ausdrücklich - und natürlich auch eine Wertschöpfung im ländlichen Raum sichern. Dies tun sie wie
kaum jemand anderes. Dafür bedanke ich mich bei den
Landwirten in Deutschland ausdrücklich.
({11})
Das meine ich im Prinzip mit einem neuen Gesellschaftsvertrag. Daher ist die Umstellung von Ausgleichszahlungen, sodass sie einen Flächenbezug haben, auch
gesellschaftspolitisch absolut richtig.
({12})
Vernünftigerweise sollte der Gesellschaft jeder Hektar
- das betone ich - gleich viel wert sein. Für jeden Hektar,
den man bewirtschaftet, sollte man also eine ähnliche Prämie erhalten. Deswegen meine ich, dass das von der Kommission vorgeschlagene Betriebsprämienmodell diesem
Ansatz nicht gerecht wird; das möchte ich ausdrücklich
betonen. Es würde teilweise fragwürdige historische Ansprüche zementieren. Ich befürworte stattdessen eine einheitliche Flächenprämie je Hektar in ganz Deutschland,
zumindest aber auf der Ebene der Bundesländer.
({13})
Um Mitnahmeeffekte zu minimieren und gleichzeitig
mögliche Beschäftigungsprobleme abzumildern, schlage
ich vor, die Höhe der künftigen Prämien an die Zahl der
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten zu koppeln.
Ich könnte mir für Deutschland - das habe ich mit
Herrn Fischler diskutiert - einen Höchstbetrag von bis zu
30 000 Euro je Arbeitskraft vorstellen. Das wäre eine Begrenzung, die sich nicht an der Betriebsgröße oder der
Struktur orientiert, sondern am Beitrag des Unternehmens
zur Sicherung von Beschäftigung im ländlichen Raum. Ist
das nicht ein vernünftiger Ansatz?
({14})
Die Zusammenfassung aller Prämien zu einer einheitlichen Prämie je Hektar kann im Übrigen auch dazu beitragen, bürokratische Belastungen abzubauen. Das wollen
wir doch alle. Übertragungsregelungen ohne feste Bindung an die Fläche lehne ich jedoch ab. Wo das hinführen
kann, haben wir im Zusammenhang mit der Milchquotenproblematik gesehen. Wollen wir denn wieder neue
Sofamelker oder Sofalandwirte produzieren? Ich möchte
das nicht.
({15})
Deswegen muss man sich ganz klar auf den aktiven Bewirtschafter konzentrieren.
({16})
Die Kommission schlägt vor, die Roggen-Intervention
übergangslos zu beenden. Das würde weite Teile der deutschen Landwirtschaft, insbesondere in den neuen Bundesländern und auf den ertragsschwachen Standorten, unvermittelt und wegen fehlender Alternativen besonders
hart treffen. Ich denke dabei an ein Stufenmodell. Außer2254
dem sind Kompensationsmaßnahmen in Richtung der
nachwachsenden Rohstoffe dringend notwendig.
DieangestrebteMarktorientierungstelltdieobligatorische
Flächenstilllegung grundsätzlich infrage. Ich schlage vor, an
der Flächenstilllegung nur als vorsorglichem Steuerinstrument bei Marktturbulenzen festzuhalten. Hierfür wäre ein
variabler Satz geeignet, der möglichst nahe bei null liegen
sollte.DasistausökologischenGründensinnvollundrichtig.
Zu den Marktordnungsmaßnahmen Milch. Die Vorschläge zur Milchmarktordnung sind aus der Sicht des
Landes Mecklenburg-Vorpommern alles andere als ausgewogen; das sage ich ausdrücklich.
({17})
Keinesfalls können wir der Aufstockung der Quote um weitere 2 Prozent zustimmen; denn wir müssen die wirtschaftliche Dimension beachten. Deutschland produziert ein Viertel der europäischen Milch und trägt bei der Veredlung von
Milchprodukten den Löwenanteil. Jährlich verarbeiten unsere Unternehmen mit immerhin 38 000 Beschäftigten bis
zu 27 Milliarden Kilogramm Milch. Daran hängen auch
120 000 deutsche Milchviehbetriebe. Dahinter verbirgt sich
ein Markt von etwa 20 Milliarden Euro.
Wir schlagen vor, dass wir in einer Übergangszeit - ähnlich wie es dargestellt worden ist - die Quote endgültig abschaffen und ein mengengesteuertes System über die Molkerei bzw. über die Superabgabe als Steuerungsinstrument
ab dem Jahre 2015 entwickeln. Ich denke, dass dieser Vorschlag einen flexiblen und gleitenden Weg aufzeigt.
Zur Modulation. Das von der Kommission vorgeschlagene degressive Modulationsmodell der entkoppelten Beihilfen und das Splitting der Betriebe lehne ich ausdrücklich ab. Den Vorzug sollte ein lineares Modell
bekommen, das einheitliche Kürzungssätze für alle Betriebe in Europa vorsieht. Auf dem Grundsatz dessen, was
ich vorgelegt habe, ist das gerecht. Nach dem Kommissionsmodell würde der durchschnittliche Modulationssatz
in Mecklenburg-Vorpommern 2013 bei 17 Prozent liegen.
Dies können wir nicht hinnehmen. Das ist ein Diskriminierung unserer Betriebsstruktur.
({18})
Wir wollen eine Stärkung der ländlichen Räume, um
auch dafür eine Lösung zu finden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? Ihre Redezeit wird
währenddessen angehalten.
Dr. Till Backhaus, Minister ({0}):
Ja, gerne.
Das gibt es nur im Bundestag, dass man die Zeit anhalten kann.
Herr Minister Backhaus, ich bin schon irritiert. Sie begrüßen grundsätzlich Fischlers Vorschläge. Jetzt kommen
Sie mit 25 Abers - von der Modulation bis zur Abschaffung der Obergrenze bei den Betrieben. Die Degression ist
ja in den Vorschlägen noch enthalten. Wenn Sie jetzt sagen,
dass Sie für die Abschaffung der Quote sind, muss ich
mich schon fragen: Wie wollen Sie den Standort Deutschland bei der Agrarproduktion in Europa halten, wenn Sie
nicht einen gewissen Schutz für unsere Bauern vorsehen?
Sie begrüßen grundsätzlich auch die Vorschläge von
Herrn Fischler, die bedeuten, dass die Getreidebauern auf
die Straße gehen müssten, weil ihnen die umverteilten
Mittel bei Milch und Zucker genommen würden. Das ist
doch die Wahrheit; das ist in diesen Vorschlägen enthalten. Weil Sie sagen, dass Sie die Vorschläge grundsätzlich
begrüßen, frage ich Sie: Sind Sie dieser Auffassung?
Dr. Till Backhaus, Minister ({0}):
Ich habe gerade versucht, die Grundsätze meiner Politik in Mecklenburg-Vorpommern darzustellen. Daran
werden Sie erkannt haben, dass wir - ich beziehe mich
noch einmal auf die Milchquotenproblematik - einen
gleitenden Ausstieg aus der Milchquote wollen. Im Übrigen dürfte es Ihrer Aufmerksamkeit ja nicht entgangen
sein, dass die Beschlusslage im Agrarrat eindeutig ist und
der Ausstieg aus der Quote im Jahre 2008 umgesetzt werden soll. Meine Damen und Herren, das ist Beschlusslage,
({1})
allerdings mit der Einschränkung, dass die Vorgehensweise in der Halbzeit überprüft werden soll. Deswegen
sage ich: Wir wollen bis zum Jahr 2015 einen gleitenden
Prozess des Ausstieges aus dieser Quote.
({2})
Dann wollen wir ein mengengesteuertes System über die
Molkereiwirtschaft bzw. ein Modell, das als Instrument
der Steuerung über die Superabgabe umgesetzt wird.
({3})
- Sie können mir abnehmen, dass ich mich mit der Wende
sehr intensiv damit befasst habe, was im Bereich der Quotenregelung seit 1984 in Deutschland - damals stellte die
CDU/CSU den Landwirtschaftsminister - passiert ist. Ich
meine, dass man die Landwirte damit zum Teil in den
Ruin getrieben hat. Jetzt wollen Sie ein Modell entwickeln, das diese Märkte stabilisieren soll. Das, was Sie
hier versuchen, ist doch unredlich.
({4})
Ich will abschließend noch etwas zu der Modulation
auf nationaler Ebene sagen. Jawohl, ich habe mich für die
Modulation stark gemacht und den Kompromiss in entscheidenden Teilen mit ausgehandelt. Auch habe ich mich
Minister Dr. Till Backhaus ({5})
Minister Dr. Till Backhaus ({6})
lange Zeit dafür ausgesprochen. Trotzdem bitte ich dieses
Hohe Haus, sowohl aufgrund der Einkommenssituation
im Agrarbereich, die ja ernst ist, als auch im Zusammenhang mit der Diskussion über die Reform der Agrarpolitik zu überdenken, ob die Modulation im nationalen Rahmen nicht zunächst für ein Jahr ausgesetzt werden kann,
damit wir genau prüfen können, ob das zu der Vorstellung
von Franz Fischler kompatibel ist. Denn nichts wäre
schlimmer, als wenn wir nachher in Europa oder in
Deutschland zwei Modelle hätten, die nicht zueinander
kompatibel wären.
Auch ich sehe - damit komme ich zum Schluss - das
Ziel der Reform darin, alles für die weitere Stärkung der
ländlichen Räume zu tun. Aber vor dem Hintergrund des
Modells, das vorgelegt wurde, sehe ich nicht, dass wir in
Deutschland in diesem Bereich viel Geld aus Brüssel bekommen werden. Allein für Mecklenburg-Vorpommern
würde dies bedeuten, dass von den Preisausgleichszahlungen in Höhe von 450 Millionen Euro, die unsere Landwirte in den ländlichen Räumen bekommen, etwa
130 Millionen Euro quasi in den Kassen Brüssels versinken und im Wesentlichen nicht zurückfließen würden.
Dies können wir nicht verantworten. Deswegen fordere
ich Sie auf, unseren Antrag, der in Kürze im Bundesrat
vorliegen und über den dort diskutiert werden wird, gemeinsam zu unterstützen und uns zu helfen, damit es in
Deutschland eine Zukunft für die Landwirtschaft geben
kann.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Bleser.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die EUKommission hat eine neue Agrarreform vorgelegt und damit ihren ursprünglichen Plan einer Halbzeitbewertung
der bis 2006 angelegten Agenda 2000 aufgegeben. Kommissar Fischler möchte damit eine wettbewerbsfähige,
umwelt- und tiergerechte, sozialverträgliche Landwirtschaft in allen Teilen der EU anstreben. Das ist gut und richtig. Was er vorgelegt hat, ist aber das genaue Gegenteil.
({0})
Die auf über 160 eng bedruckten Seiten aufgeführten
Vorschläge
({1})
sind ein Vorstoß in eine neue Dimension staatlicher
Bevormundung, eine Verschwendung von Steuermitteln
und ein bürokratischer Exzess, der seinesgleichen sucht.
({2})
Die wenigen guten Lösungsansätze werden - ich behaupte: bewusst - durch Umsetzungsmodalitäten in ihr
Gegenteil verkehrt. Die Bundesregierung gehört zu einer
Minderheit von vier Staaten, die dieses bürokratische
Monstrum auch noch grundsätzlich begrüßt haben, Frau
Künast. Alle anderen Länder, darunter auch Frankreich,
lehnen diese Vorschläge zum Teil grundsätzlich ab.
Ich werfe Ihnen vor, Frau Künast, dass Sie sich mit
Ihrer Unterstützung Fischlers zur Helfershelferin eines
Vertragsbrüchigen machen.
({3})
Ich will das auch begründen.
Erstens. Eine nachhaltige Landwirtschaft braucht lange Planungsräume. Die geplante Aufkündigung der
sicherlich verbesserungswürdigen Agenda 2000 bedeutet
nach Berechnungen des Deutschen Bauernverbandes für
die deutsche Landwirtschaft schon im nächsten Jahr
Einkommensverluste in Höhe von 568 Millionen Euro.
Die Bauern und die Betriebe der Ernährungswirtschaft
haben keine Chance, sich binnen eines Jahres auf die
neuen Rahmenbedingungen einzustellen. Damit verlieren
viele Bäuerinnen und Bauern ihre Existenz und noch
mehr Arbeitnehmer im vor- und nachgelagerten Bereich
ihren Arbeitsplatz - und das in der derzeitigen Situation.
({4})
Zweitens. Ihr Verhalten gegenüber den zehn
Beitrittsstaaten ist nicht fair, Frau Künast. Zwar sitzen
diese zehn Länder ab Mai mit am Verhandlungstisch, sie
haben aber kein Stimmrecht. Allein deswegen ist die
Glaubwürdigkeit der Laufzeit einer vorgezogenen Agrarreform bis 2012 jedenfalls meiner Meinung nach infrage
gestellt.
({5})
Drittens. Sie haben bis heute keine Berechnungen über
die möglichen Auswirkungen auf die deutschen Landwirte vorgelegt, Frau Künast. Bayern und Sachsen-Anhalt haben das innerhalb weniger Tage geschafft.
({6})
Sie kommen zu verheerenden Ergebnissen. Insbesondere
die Milchwirtschaft und der damit zusammenhängende
Erhalt des Grünlandes - und zwar vor allem in den Mittelgebirgslagen - ist ein ernstes Problem. Sie sollten
eigentlich wissen, Frau Künast: Wo die Milch wegfließt,
verschwindet das Grünland und dann stirbt auch der
Wiesenbrüter.
({7})
Sie von der Koalition tappen im Dunkeln und haben
- wenn man Ihr Fernziel eines Anteils der Ökolandwirtschaft von 20 Prozent außer Acht lässt - noch nicht
einmal eine Vorstellung von einer zukünftigen Landwirtschaft. Für 97 Prozent der Landwirte haben Sie kein
Konzept, kein Ziel und keine Vision. Auch agrarpolitisch
sieht sich diese Bundesregierung damit in Europa in die
Ecke gestellt. Es ist eben kein Lob für Sie, Frau Künast,
wenn die Hoffnungen der deutschen Bauern auf der
französischen Regierung und dem französischen Staatspräsidenten Chirac liegen.
Worum geht es also? Was die Kommission jetzt
vorgeschlagen hat, ist auch ein Angebot an die WTO. Die
Generallinie lautet: Absenkung der Preisstützung, um
die Nahrungsmittelpreise auf Weltmarktniveau zu bringen. Dazu muss man wissen, dass weder in den USA noch
anderswo die Preise, insbesondere für Getreide, in den
letzten Jahren kostendeckend waren. Nicht viele wissen,
dass die Vereinigten Staaten 2001 pro Vollerwerbslandwirt Subventionen in Höhe von 22 000 Euro geleistet
haben. Dagegen war die EU mit 17 000 Euro pro Vollerwerbslandwirt noch sparsam.
Hüben wie drüben versucht man mit wechselseitigen
Forderungen bei der WTO-Konferenz Marktanteile durch
externe und interne Stützungsmaßnahmen zu halten.
Fischlers Angebote allerdings sind von der WTO kassiert
und mit zusätzlichen Forderungen beantwortet worden.
So jedenfalls ist der jüngste Vorstoß des Vorsitzenden des
Agrarkomitees der WTO, Harbinson, zu werten.
Es ist deshalb dringend erforderlich, Frau Ministerin,
dass Sie mit den Vereinigten Staaten einen Interessenausgleich finden. Ob Sie allerdings in der derzeitigen Situation dort einen Termin bekommen, wage ich zu bezweifeln.
Zurück zu den Vorschlägen Fischlers: Der Getreidepreis soll gesenkt und 50 Prozent des dadurch entstehenden Einkommensausfalls sollen ausgeglichen werden.
Viel schlimmer ist es noch bei der Milch. Der Milchpreis
soll innerhalb von fünf Jahren um bis zu 25 Prozent fallen.
Dafür sollen den Landwirten 4,1 Cent pro Liter aus
Steuermitteln überwiesen werden. Wer aber meint, dass
diese Preissenkungen beim Verbraucher ankommen, der
irrt sich gewaltig.
({8})
Die Preissenkung bei Getreide - die Preise sind in den
letzten Jahren fast um die Hälfte gesunken - hat nicht
dazu geführt, dass Bot und Brötchen billiger wurden. Das
genaue Gegenteil ist der Fall. So wird es auch bei den
Milchprodukten sein.
({9})
Jetzt wird es kompliziert: Alle für einen Betrieb
gezahlten Subventionen sollen auf der Basis verschiedener Berechnungsgrundlagen addiert werden und dann
unabhängig davon, ob ein Landwirt produziert oder nicht,
als so genannte Betriebsprämie bezahlt werden. So etwas nennt man Entkoppelung. Damit ist auch der Begriff
des Hängemattenbauern in der Welt. Die Prämienrechte,
die zudem handelbar sein sollen, sollen über einen bestimmten Zeitraum bis zu 19 Prozent gekürzt und umverteilt werden. Das heißt nichts anderes, als dass sie aus
Deutschland wegfließen.
Das war noch nachvollziehbar, jetzt kommt aber der
Joker: Derjenige, der diese Prämie haben will, muss
38 EU-Vorschriften beachten, sonst gibt es Abzüge. Allein
die Titel dieser 38 Vorschriften füllen zwei DIN-A4Seiten. Damit aber nicht genug: Jetzt hat Herr Fischler
vorgeschlagen, dass Betriebe ab 15 000 Euro Direktzahlung eine Zwangsberatung erhalten sollen.
({10})
Damit machen Sie - Sie haben das durch die Begrüßung der Vorschriften unterstützt - die deutschen und
europäischen Bauern zu ferngesteuerten Zettelwirten.
Das lassen wir uns nicht gefallen.
({11})
Unsere Position ist klar: Erstens. Wir fordern, dass die
Agenda 2000 bis zum Jahr 2006 läuft, wobei Verbesserungen am Milchmarkt nötig sind, und sie als Grundlage für
die WTO-Verhandlungen angesehen wird.
Zweitens. Wir halten an Mengenregulierungen zur
Stabilisierung der Märkte, insbesondere bei Milch und
Zucker, fest.
Drittens. Eine totale Entkopplung von Ausgleichszahlungen lehnen wir ab. Wir legen unbedingten Wert darauf,
dass nur wirtschaftende Betriebe für erbrachte Leistungen
entlohnt werden. Dabei können wir uns auch ein dreistufiges Modell von Grund-, Zusatz- und Sonderprämien für
gesamtgesellschaftliche Leistungen vorstellen. Eine Degression der Entlohnung lehnen wir ebenfalls ab.
Viertens. Eine Zwangsberatung landwirtschaftlicher
Betriebe halten wir genauso wenig für zielführend wie die
Sanktionierung von Verstößen gegen geltendes Recht
durch Prämienentzug. Eine solche Sanktionierung ist
Aufgabe der Rechtsprechung.
Fünftens. Wir treten für eine stärkere Nutzung von landwirtschaftlichen Flächen für nachwachsende Rohstoffe
ein. Dazu gehört auch der Anbau auf Stilllegungsflächen.
({12})
Die Nutzung von Biomasse zur Energieerzeugung ist
in jedem Fall günstiger und hat eine höhere Wertschöpfung als zum Beispiel die Windenergie.
Herr Kollege, achten Sie bitte auf die Zeit.
Ich will mit einem Appell schließen. Ich möchte Sie
herzlich bitten, dafür zu kämpfen, dass wir auch in
Zukunft eine breite Verteilung von Grund und Boden
haben, unsere Kulturlandschaft erhalten, unsere Vorstellungen vom Tierschutz Bestand haben und die Menschen
in der Agrarwirtschaft auch in der EU 25 und nach WTO II
noch eine Perspektive haben.
Ich fordere die Bundesregierung auf, in Anbetracht der
beißenden Kritik aller Fachleute ihre grundsätzliche Zustimmung zu dieser Reform zurückzunehmen.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Reinhold Hemker.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Es ist klar geworden: Die heutige Debatte beschäftigt sich
mit Vorschlägen - nicht mit endgültigen Entscheidungen -,
die Teil eines Prozesses sind, der weltweite Auswirkungen hat und von weltweiten Entwicklungen beeinflusst
wird. Das heißt, ohne einer Debatte zu den Welthandelskonferenzen vorgreifen zu wollen, wir beschäftigen uns
hier mit einem Bereich, in dem es um die Schaffung und
Weiterentwicklung von Strukturen und letztlich auch um
die Entwicklung und um den Frieden in der Welt geht. Das
gilt insbesondere, wenn man auf die EU-Osterweiterung
schaut.
Ich sage heute: Ich möchte es noch erleben, dass jene
Länder des Balkans Mitglieder in der Europäischen
Union werden, in denen noch vor einigen Jahren Bürgerkrieg herrschte und in denen jetzt auf der Basis des Ausbaus der Agrar- und Ernährungswirtschaft wieder für innere Sicherheit und Frieden gesorgt wird.
({0})
Sie wissen, dass der Globalisierungsprozess von engagierten Christen und von den Kirchen mit Aussagen
zum so genannten konziliaren Prozess begleitet wird. Es
werden Leitorientierungen genannt, an die wir denken
müssen, wann immer wir über Reformen im Agrarbereich
sprechen: Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der
Schöpfung. Mittlerweile enthalten nicht nur die Präambeln in den Programmen derjenigen Parteien, die sich
christlich nennen, diese Begriffe. Das ist - um es auf eine
kurze Formel zu bringen - eine theologisch-sozialethische Beschreibung der drei Kennzeichen des global zu
verankernden Nachhaltigkeitsprozesses, wie er auf der
Weltkonferenz für Entwicklung und Umwelt 1992 als
ausgewogener Dreiklang festgelegt wurde. Die damals
freiwillig abgeschlossenen verpflichtenden Vereinbarungen sind für uns eine grundlegende Orientierung. Das
muss auch so bleiben, wenn wir uns in die Reformbemühungen sowohl auf der Welt- als auch auf der Europaebene einschalten.
Beim EU-Agrarreformprozess stoßen wir immer wieder
auf die Grundlagen dessen, was wir mit langfristiger
Tragfähigkeit bezeichnen: für die Bearbeitung von Grund
und Boden, das Pflanzen und Säen, die Verarbeitung der
Produkte und das Handeln mit ihnen. Dabei geht es - das
ist das Entscheidende - um die Sicherung, die Schaffung
und die Weiterentwicklung der ökonomischen Grundlagen, und zwar nicht nur in der jetzigen, sondern auch in
der erweiterten EU. Das gilt auch für Deutschland mit
seinen vielen landwirtschaftlichen Betrieben. Es geht des
Weiteren um die ökologische Qualifizierung - das wird
immer wieder vergessen, wenn wir über Reformprozesse
politisch diskutieren - als Beitrag der Agrar- und Ernährungswirtschaft für den Erhalt einer Erde mit einer
Umwelt, die lebenserhaltend sein muss. Es geht nicht
zuletzt - das fordert die sozialen Dimensionen heraus auch um Ausgleichsgerechtigkeit, und zwar global, regional, national und lokal.
Genau vor diesem Hintergrund sind die Vorschläge der
Kommission zu bewerten, und zwar - dazu hat Minister
Backhaus ja bereits das Wichtige und das Richtige gesagt - auch unter Berücksichtigung der Interessen derjenigen, deren Betriebe mit den jeweiligen Produktionsschwerpunkten betroffen sind. Ausgleich ist also weiterhin wichtig. Aber klar muss sein - das ist die Position der
Bundesregierung und der Europäischen Kommission -:
Einen wie auch immer gearteten Ausgleich, der indirekt
oder direkt der Entwicklung in anderen Ländern entgegensteht - das gilt insbesondere für die ärmeren Länder;
darüber werden wir in einigen Wochen oder Monaten im
Zusammenhang mit der WTO-Debatte noch ausführlich
reden -, wollen wir nicht. Deswegen verweisen wir im
Koalitionsantrag darauf, dass „mit der Agenda 2000 zwar
eine tragfähige Grundlage für die Erweiterung und die
WTO-Verhandlungen geschaffen wurde, dennoch in vielen Bereichen Handlungsbedarf“ besteht.
Wir haben - das habe ich schon mit meiner Eingangsbemerkung deutlich gemacht - keine fertigen Beschlüsse.
Wir befinden uns vielmehr in einem Reformprozess, über
den wir parlamentarisch mitberaten und zu dem wir
Empfehlungen an die Regierung aussprechen. Das gilt
natürlich auch für diejenigen Vorschläge, die nach den
Berichten des Agrarrats im Fachausschuss vorgelegt werden - ich bin auf die Diskussionen sehr gespannt -, sowie
für die Vorschläge aus dem Modalitätenkatalog, lieber
Peter Bleser - das sage ich auch an die Adresse der anderen
Redner -, den der Vorsitzende des WTO-Agrarausschusses,
Harbinson, vorgelegt hat. Wir werden während der Debatte
über die WTO-Verhandlungen auch darüber reden.
Ich erkläre für unsere Fraktion: Der Agrarreformprozess geht in die richtige Richtung, und zwar nicht nur aus
umwelt- und entwicklungspolitischen Gründen, sondern
auch, weil er viele neue Möglichkeiten für die Betriebe in
Deutschland und in der Europäischen Union aufzeigt. Ein
Beispiel hat Peter Bleser vorhin erwähnt. Dieses Beispiel
zeigt Möglichkeiten dafür auf, dass - ich zitiere aus unserem Antrag - „der Ausbau der stofflichen und energetischen Nutzung der nachwachsenden Rohstoffe vorangetrieben wird und der Anbau nach wie vor eine attraktive
Einkommensalternative bleibt“.
({1})
Dieser Ansatz muss weiterhin verfolgt werden.
Peter Bleser, ich bin froh, dass du gesagt hast: Nachwachsende Rohstoffe müssen natürlich auch auf Stilllegungsflächen angebaut werden können. Ich gehe davon
aus, dass gerade dieser Bereich in der Zukunft eine Erfolgsstory sein wird.
({2})
- Nun einmal langsam, Harry. In diesem Antrag sind einzelne Punkte erwähnt. Wir können darin nicht ein ganzes
Programm festhalten. Im Übrigen ist durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz gerade dieser Bereich weiterent2258
wickelt worden. Dafür ist diese Regierung verantwortlich.
({3})
Ich verweise in diesem Zusammenhang noch auf etwas
anderes. In Deutschland werden zur Verwertung nachwachsender Rohstoffe mittlerweile die besten Anlagen
der Welt gebaut. Sie sind - das kann man schon heute sagen - ein Exportschlager. Ich gehe davon aus, dass die
Weiterentwicklung dieses gesamten Bereiches große
Chancen bietet. Das gilt im Übrigen auch für diejenigen
Länder, denen wir uns insbesondere im Rahmen der Debatte über die WTO-Verhandlungen zuwenden werden.
Viele der ärmeren Länder dieser Welt, insbesondere die
ganz armen, haben eigentlich nur deswegen eine Chance,
nachwachsende Rohstoffe zu verarbeiten, weil sie andere
Rohstoffe gar nicht haben - und das nicht nur für die energetische Nutzung. Von daher ist der EU-Agrarreformprozess Teil eines globalen Veränderungsprozesses.
Meine Fraktion und unser Koalitionspartner wünschen
uns, dass die Verhandlungen in Europa und auf der
WTO-Ebene das alles auch weiterhin berücksichtigen. Es
sind zwar auch die Eigeninteressen einzubringen, aber es
ist jeweils zu bedenken, dass der Gleichklang von Ökologie, Ökonomie und sozialer Orientierung nur gelingen
kann, wenn es bei den entsprechenden internationalen
Verhandlungen, die nach der Rio-Konferenz stattfinden,
Fortschritte gibt. Frau Ministerin, in diesem Sinne wünsche ich der Regierung bei diesen Verhandlungen alles
Gute und ein gutes Vorankommen.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Thomas
Silberhorn.
({0})
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Unsere Agrarpolitik ist darauf ausgerichtet,
eine flächendeckende Bewirtschaftung unserer Kulturlandschaft sicherzustellen und die Wettbewerbsfähigkeit
unserer Landwirte zu erhalten. Beide Ziele sind mit dem
Vorschlag der EU-Kommission zur Reform der gemeinsamen Agrarpolitik nicht zu erreichen. Lassen Sie mich
das anhand der vorgesehenen Entkopplung der Direktzahlungen und der Reform der Milchmarktordnung darlegen.
Die Entkopplung der Direktzahlungen von der Produktion ist als solche noch nicht problematisch. Entscheidend ist, woran angekoppelt wird. Genau das ist der
Punkt, an dem der Vorschlag der Kommission, nämlich
die Direktzahlungen künftig an die Betriebe zu binden,
aus meiner Sicht unannehmbar ist, weil er zu krassen Ungerechtigkeiten führen würde:
({0})
Wenn nämlich betriebsbezogene Prämien nach dem bisherigen Prämienvolumen in einem bestimmten Referenzzeitraum bemessen werden sollen, dann bedeutet das im
Ergebnis eine Festschreibung der bisherigen Betriebsstrukturen. Dadurch werden wir nur neue Wettbewerbsverzerrungen erleben. Was wir stattdessen brauchen, ist
Chancengleichheit im Binnenmarkt.
({1})
Gerade die kleinen Betriebe werden mit Betriebsprämien
jede Chance einer Weiterentwicklung verlieren und letztlich
leichter aus dem Markt gedrängt werden können. Dieses
Modell ist ein Existenzvernichtungsprogramm für bäuerliche Familienbetriebe. Das ist mit uns nicht zu machen!
({2})
Es sind die vielen Familienbetriebe, die bei uns noch
eine flächendeckende Bewirtschaftung gewährleisten.
Das prägt nicht nur unsere Kulturlandschaft, sondern das
sichert auch die Zukunft unserer ländlichen Räume. Wer
dagegen betriebsbezogene Prämien einführen will, verabschiedet sich von dem Ziel einer flächendeckenden Landbewirtschaftung. Das werden wir nicht hinnehmen können.
({3})
Wir haben einen Alternativvorschlag auf den Tisch gelegt, nämlich den Vorschlag, eine flächenbezogene
Grundprämie ergänzt um eine nutzungsbezogene Zusatzprämie einzuführen. Ich füge persönlich hinzu: Wir
müssen darüber hinaus die Prämien ausdifferenzieren,
und zwar nach der Wirtschaftskraft der einzelnen EUMitgliedstaaten. Es kann doch nicht länger angehen, dass
wir in der gesamten Europäischen Union einheitliche Prämien zahlen, obwohl die wirtschaftlichen Verhältnisse
völlig verschieden sind und die Disparitäten mit der
Osterweiterung sogar noch zunehmen werden. Deshalb
ist es an der Zeit, meine ich, das regional unterschiedliche
Wohlstandsniveau bei der Bemessung der Direktzahlungen zu berücksichtigen. Dann müssen eben für einen
Landwirt in Deutschland ein paar Euro mehr drin sein als
für seine Kollegen aus Portugal oder Irland.
({4})
Lassen Sie mich schließlich noch kurz auf den Vorschlag zur Reform des Milchmarktes eingehen - ein besonders trauriges Kapitel der Kahlschlagpolitik der Kommission. Es liegt auf der Hand, dass die Preise ins
Bodenlose fallen müssen, wenn die Milchquote erhöht
werden soll und gleichzeitig die Stützpreise für Butter und
Magermilchpulver drastisch gesenkt werden sollen. Die
Folge werden nicht nur dramatische Einkommenseinbußen sein, sondern auch ein Höfesterben, vor allem an
den ohnehin benachteiligten Grünlandstandorten, und
wiederum der Ausstieg aus der flächendeckenden Bewirtschaftung. Sie, Frau Landwirtschaftsministerin, werden
sich deshalb daran messen lassen müssen, ob Sie die Verwirklichung dieser verheerenden Vorschläge verhindern
können.
Wie wir dem Antrag Ihrer Fraktion, der heute vorliegt,
entnehmen können, fällt Ihnen dazu bislang offenbar
nicht viel mehr ein als das, dass man für den Bereich
Milch frühzeitig zu Entscheidungen kommen müsse.
Dazu kann ich nur sagen: Es wird höchste Zeit, Frau
Künast, dass Sie endlich zu Entscheidungen kommen, bevor hier nicht nur die Milch sauer wird. Beziehen Sie endlich Position, namentlich zur Verlängerung der Milchquotenregelung. Und tun Sie endlich, was Ihre Aufgabe ist,
nämlich die Interessen unserer Landwirte im Ministerrat
und gegenüber der Kommission zu vertreten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Auch im Namen des Hauses Gratulation zur ersten
Rede.
({0})
Das Wort hat jetzt die Frau Ministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Renate Künast.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir stehen jetzt vor einem Jahr großer Entscheidungen für die
europäische Landwirtschaft, für unsere ländlichen Räume
und für unsere natürlichen Lebensgrundlagen.
Wir haben gestern im Agrarministerrat erstmals den
Entwurf eines Modalitätenpapiers von WTO-Verhandlungsführer Harbinson diskutiert, ein Papier, das, wenn es
umgesetzt würde, weitreichende Konsequenzen für die
Bäuerinnen und Bauern in Europa hätte. Wir haben außerdem zum zweiten Mal eine Aussprache zum Thema
„Halbzeitbilanz der Agenda 2000“ geführt, die in diesem
Sommer und parallel zu den WTO-Gesprächen in trockenen Tüchern sein soll. Wir haben die anstehende EUOsterweiterung im nächsten Jahr vor uns - das wirft Licht
und Schatten voraus -, bei der dann zehn zum Teil sehr
agrarisch geprägte Mitgliedstaaten dazukommen und integriert werden müssen.
Vor diesem Hintergrund stellt sich jetzt gar nicht die
Frage, die manche hier gestellt haben, ob wir eine Agrarreform wollen oder wann wir eine Agrarreform wollen,
sondern es stellt sich nur noch die Frage, wie sie aussehen
wird und ob wir sie uns überstülpen lassen oder ob wir sie
selber strukturieren.
({0})
Spätestens seit dem BSE-Jahr 2000 müsste eigentlich
jedem klar sein, wie das Leitbild einer zukünftigen
Agrarpolitik aussehen muss. Wir brauchen eine nachhaltige Agrarwirtschaft, die Ressourcen schont. Wir brauchen eine tiergerechte Landwirtschaft. Wir brauchen
Klasse statt Masse. Wir brauchen gesunde und hochwertige Lebensmittel. Wir brauchen eben - das sage ich mit
Blick auf eine Vorrednerin - eine Agrarwende.
({1})
Ich sage das gerade mit Blick auf Thüringen. Sie sehen, wie viel an der Stelle noch zu tun ist. Ich ärgere mich
über Thüringen deshalb, weil es dort zwar auf der einen
Seite eine freiwillige Kontrolle gibt, die Kontrolle auf der
anderen Seite aber so lange dauert, dass durch diese Art
der Kontrolle am Ende die Landwirte schon wieder benachteiligt sind.
({2})
In Produktionszweigen, die trotz des verunreinigten Futters über Wochen funktioniert haben, müssen dann die
Tiere getötet werden.
Daran sehen Sie, dass man selbst eine Agrarwende
nicht als geschlossenes System betrachten kann. Man
muss den gesamten verarbeitenden Bereich mit einbeziehen. Nicht nur die Verbraucher, sondern auch die Landwirte haben einen Anspruch darauf, dass die Futtermittel
kontrolliert werden, und zwar schnell, und sie nicht gezwungen sind, diese Futtermittel noch wochenlang weiter
zu verfüttern.
({3})
An den Vorrednern fällt mir eines auf: Es gibt bei Ihnen eine eklatante Wirklichkeitsverweigerung. Diese haben sie schon 1992 und bei der Agenda 2000 praktiziert
und diese gibt es jetzt schon wieder. Das aber geschieht
auf Kosten unserer Bäuerinnen und Bauern und das Spiel
werde ich nicht mitmachen.
({4})
- Sie haben eine sektorale Wahrnehmung, kommen mit
populistischen Äußerungen und haben im Ergebnis nichts
Neues gesagt.
({5})
Man muss hier einmal sagen, was Sie immer so treiben:
Sie rufen immer nach einem neuen Zauberlehrling, nur
gehen Ihnen die irgendwann einmal aus. Vor zwei Jahren
haben Sie noch überall erzählt: Die Künast kann noch
nicht einmal eine Kuh melken; anderes habe ich auch nie
behauptet.
({6})
In Brüssel werden aber auch keine Kühe gemolken, sondern da wird Politik gemacht. Auf dem Gebiet kann ich
offensichtlich mehr als andere.
({7})
Vor zwei Jahren haben Sie hier gesagt: Wie gut, dass
es Franz Fischler gibt, diesen vernünftigen Bauern aus
Österreich. Der sortiert und regelt alles.
({8})
Dass Sie hier nicht mit einem glühend roten Gesicht sitzen, da bewundere ich Ihre Chuzpe. Genau dieser Franz
Fischler, den Sie immer so gelobt haben, den Sie von der
CDU/CSU-Fraktion eingeladen haben, den Sie hochgejubelt haben und bei dem Sie versucht haben, ihn gegen
mich und die Bundesregierung in Position zu bringen, hat
jetzt Vorschläge gemacht.
({9})
- Sie waren vielleicht nicht dabei; ich habe die Zeitungsartikel alle gelesen und alle anderen wissen es auch.
({10})
Es hieß immer: Franz Fischler gegen Rot-Grün, gegen
Agrarwende und Künast.
({11})
Jetzt, da die Agrarwende europäisch wird und Ihr konservativer Kollege Fischler Vorschläge macht, tun Sie so,
als hätten Sie mit ihm nie etwas zu tun gehabt. Ich bin gespannt, wer der Nächste ist, den Sie so durch den Kakao
ziehen.
({12})
- Lieber Friedrich, jetzt hast du mir etwas vorweggenommen. Jetzt geht es immer um den Franzosen an und für
sich, aber Sie ahnen und wissen vielleicht auch schon,
dass wir seit Monaten mit dem französischen Minister zusammensitzen und an gemeinsamen Papieren arbeiten.
Ich weiß, was dann passiert. Nächstes Jahr um diese Zeit
wird weder auf Franz Fischler noch auf Hervé Gaymard
ein Loblied gesungen. Dann suchen Sie sich irgendeinen
Neuen. Wir warten mit Spannung.
({13})
Ich sage Ihnen nur eines ganz klar. So wird keine Politik
für die Bäuerinnen und Bauern in Deutschland daraus.
({14})
Lassen Sie mich noch etwas zu Herrn Silberhorn sagen. Sie sind gegen einheitliche Prämien in der EU, aber
wer aus Bayern kommt, sollte an dieser Stelle demütig
schweigen, denn auch dieses Modell kommt von einem
Bayern, von Ignaz Kiechle. Schweigen Sie demütig, wenn
Sie über das Thema reden, dass ich an der Frage gemessen werde, wie sich die Milchmarktsituation verändert.
Was dies angeht, so bin ich vor Ihnen aufgestanden. Sie
müssten eigentlich schweigen, denn die Situation heute ist
Ergebnis eines CDU-Bauernverbandsystems.
({15})
Sie machen Politik, indem Sie ungetrübt von jeder
Sachkenntnis den einen oder anderen Vorschlag einbringen. Was Sie aber nicht tun, ist, das gesamte System einzubeziehen. Sie tun so, als würden wir unter Laborbedingungen leben. Wir haben eine WTO. Sie kennen jetzt den
ersten Entwurf von Harbinson.
({16})
An der Stelle brauchen Sie sich doch gar nicht mehr mit
mir und damit auseinander zu setzen, ob ich zu viele Reformen will. An dieser Stelle müssten Sie eigentlich mit
uns gemeinsam darum kämpfen, dass dieses Papier von
Harbinson, das unausgewogen und einseitig ist, so nicht
beschlossen wird. So wird ein Schuh daraus.
({17})
Ansonsten erzählen Sie lieber Geschichten aus Wolkenkuckucksheim
({18})
- aus Pfaffenhofen; stimmt, der Ort war falsch. Mein System ist es, reinen Wein einzuschenken und die Zukunft zu
organisieren. Ich glaube, das ist für die Bäuerinnen und
Bauern besser.
({19})
Ich möchte zwei, drei Worte zu den konkreten Vorschlägen von Fischler - die Unterlagen haben Sie ja alle
schon im Ausschuss bekommen - sagen: Ich stehe zu der
dynamischen und obligatorischen Modulation. Das Geld
für die ländliche Entwicklung, das wir dringend brauchen,
fließt dann nicht nur in die Urproduktion der Landwirte,
sondern in all das, was auch Sie neuerdings immer so
schön fordern - worüber ich mich freue - nämlich in die
Pflege der Kulturlandschaften, Umweltschutz und artgerechte Tierhaltung.
({20})
- Wenn Sie es schon viel länger fordern als ich, dann müssen Sie wohl über Jahrzehnte eine Geheimhaltungspolitik
betrieben haben, weil es keiner gemerkt hat.
({21})
- Das war dann vielleicht ein kleiner PR-Fehler Ihrerseits.
Wir brauchen für ein Spektrum von Maßnahmen im
ländlichen Raum gerade auch in den neuen Bundesländern Geld. Man muss dieses Geld einmal in Bewegung
bringen, ob es in erneuerbare Energien, nachwachsende
Rohstoffe oder wohin auch immer fließt, sodass im ländlichen Raum zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden
können. Diese entstehen dann zwar nicht mehr nur im
klassischen Bereich der ländlichen Urproduktion. Aber
das ist auch gut so; denn eines ist doch eindeutig: Wer die
Landflucht und Abwanderung in Mecklenburg-Vorpommern und vielen Randgebieten der neuen Bundesländer
stoppen will, muss den Mädchen, die zuerst weggehen,
um Ausbildungsplätze im Westen zu suchen, in ihrer Heimat eine Perspektive bieten. Sie bieten sie ihnen nicht, indem Sie sie in bestimmte Berufe hineinzwingen. Sie
schaffen dies nur, indem Sie die Angebotspalette von Berufen sozusagen um moderne Berufe, die heute gesucht
werden, erweitern.
({22})
„Ländliche Strukturpolitik“ ist der richtige Ausdruck dafür. Dafür wollen wir Geld bewegen.
({23})
Wir werden natürlich darauf achten - das weiß der
Kommissar längst -, dass zukünftig die Mittel im entsprechenden EU-Land verbleiben, damit dort Maßnahmen unterstützt werden können. Wir wollen die Modulation ja gerade deshalb, um in diesen Regionen die
Schaffung von Arbeitsplätzen zu unterstützen.
({24})
Bezüglich Degression und Entkopplung meine ich,
dass da etwas geändert werden muss. Die Bundesregierung hat im Februar letzten Jahres bereits Vorschläge zu
einer schrittweisen Entkopplung gemacht, die am Ende
sozusagen durch betriebsbezogene Prämien ein Mehr
schafft und insbesondere den Faktor Arbeitsplatz einbezieht. Wir geben hierfür ja Steuergelder aus; wir können
nicht so tun, als ginge es um Besitzstandswahrung. Es
geht vielmehr um das Ausgeben von Steuergeldern. Wir
wollen von daher öffentlich begründen, warum und wofür
wir sie ausgeben. Deshalb ist es richtig, bei den Direktzahlungen in Zukunft den Faktor Arbeitsplatz einzuberechnen. Selbstverständlich wollen wir ein System, das
administrabel ist. Ich weiß ja, dass die Länder heute schon
Probleme haben, das ganze Personal zu bezahlen, das man
für Kontrollen braucht. Also muss ein solches System
funktionieren.
Sie haben hier manches gesagt und mir vorgeworfen,
dass ich es nicht machen würde. Ich habe das längst getan. Antworten auf die Fragen zu den nachwachsenden
Rohstoffen und dazu, ob die Roggenvorschläge so akzeptabel sind, wurden längst gegeben. Auch das Thema
Milch, meine Herren, wurde von mir schon längst angesprochen. Ich sage dazu aber nur eines: Das heutige System haben Sie zu verantworten.
({25})
Das lasse ich mir von Ihnen nicht überstülpen.
Die Junglandwirte dagegen wollen andere Perspektiven.
Dafür reicht es aber nicht aus, nach Brüssel zu gehen und
zu sagen: So machen wir es. Denn wir haben Sperrminoritäten auf beiden Seiten: Die eine Gruppe sperrt sich dagegen, das jetzige System über 2008 hinaus fortzuführen;
die andere sperrt sich dagegen, es abzuschaffen. Wir wollen deshalb ein neues System entwickeln: Wichtig ist dabei zunächst einmal, welche Messlatte wir anlegen. Ich
gehe davon aus, dass es im bisherigen EU-Prämiensystem Benachteiligungen gibt, weil bestimmte Gebiete,
wie zum Beispiel Grünlandstandorte, in diesem schlecht
wegkommen. Ich will, dass es dort auch in Zukunft noch
landwirtschaftliche Produktion gibt. Deshalb will ich
Geld zu deren Gunsten umschichten, damit es diese Betriebe weiterhin gibt. Jede Entscheidung zu den Milchquoten ist also daran zu messen.
({26})
Wir werden zusammen mit Frankreich weitere Vorschläge
hierfür erarbeiten und entwickeln. Unser Ziel ist eine multifunktionale Landwirtschaft, der Abbau bestehender Benachteiligungen und die Einbeziehung des Faktors Arbeitsplatz in das landwirtschaftliche Prämiensystem.
Ich will Ihnen noch einen letzten Satz zum Thema
WTO-Agrarverhandlungen sagen. Sie alle haben diese
ja gar nicht berücksichtigt. Wir müssen eine Halbzeitbilanz schaffen, die WTO-fähig ist und diese Reformen
überlebt. Das vorliegende WTO-Papier rechnet die Gelder der Cairns-Gruppe und der USA, deren Exportkredite
und deren Art, Nahrungsmittelhilfen teilweise zulasten
der Entwicklungsländer zu geben, nicht ein. Das lassen
wir uns so nicht gefallen.
Aber wir dürfen nicht bei einer reinen Neinhaltung
bleiben, sondern wir müssen uns daran beteiligen. Wir
müssen auch bei den Entwicklungsländern Bündnispartner finden. Deshalb ist es wichtig, dass wir als EU sie in
ihrer Art unterstützen und ihnen helfen, zum Beispiel die
Produktion auszubauen. Nur so wird ein Schuh daraus.
Wir wollen durch mehrere Einnahmequellen Zukunftsperspektiven für die Landwirtschaft schaffen. Wir wollen
für junge Menschen, für Frauen und Männer auf dem
Lande Einkommensmöglichkeiten schaffen, die sich auf
den Märkten, bis hin zu Energie und nachwachsenden
Rohstoffen, rechnen.
Man kann es in einem Satz sagen: Wir wollen nachhaltige Landwirtschaft im Norden und im Süden unseres
Globus und wir wollen mehr Nord-Süd-Gerechtigkeit,
insbesondere für die am wenigsten entwickelten Länder.
Dafür brauchen wir eine Agrarwende über Europa hinaus
und ein System, bei dem wir den Landwirten nicht Sand
in die Augen streuen, sondern ihnen eine Perspektive bis
2013 geben.
({27})
Das Wort hat jetzt der Herr Kollege Carstensen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Es ist schon interessant, was man jetzt wieder von
Frau Künast hört.
({0})
- Doch, das war interessant, insbesondere das, was sie über
Frankreich gesagt hat. Das war eine typische „Phrasenverschiebung“. Wir haben aber früher im Naturkundeunterricht gehört, dass das etwas anderes ist.
Es ist nichts Sachliches gesagt worden. Aber so ist ja
auch der Inhalt des Antrages. Er spiegelt das wider, was
die SPD schon seit langem macht: Sie findet tolle Worte
für alles Mögliche, zum Beispiel Steuervergünstigungsabbaugesetz für rund 40 Steuererhöhungen.
In dem Antrag steht etwas von Mut.
({1})
Wie heißt es so schön: „Agrarreform mutig angehen und
ausgewogen gestalten“.
({2})
Ich halte den Titel für außerordentlich zynisch, liebe Frau
Wolff. Wer soll hier eigentlich Mut haben? Sollen die
Landwirte Mut haben, unter dieser Regierung weiterzumachen?
({3})
Oder braucht ihr Mut, um neue Vorschläge auf den Tisch
zu legen, statt einen Antrag einzubringen, in dem überhaupt nichts steht?
({4})
Dieser Antrag ist vor vielen Wochen angekündigt worden. Wir haben richtig darauf gewartet, dass etwas Mutiges von der SPD kommt. Und was kam? - Eine Riesenluftblase, die uns in der letzten Woche auf den Tisch
gelegt wurde. Wenn man den Antrag liest, findet man
nichts.
Liebe Frau Künast, wir haben durchaus ein bisschen
Respekt vor Frankreich, zumindest was die Agrarpolitik
und die Hilfe für die deutschen Bauern in den letzten Wochen angeht. Als es um eine Deckelung der Agrarausgaben ging, haben wir uns gefreut, dass den Bauern mithilfe
einer Dolmetscherin und des französischen Staatspräsidenten ein bisschen mehr Luft verschafft worden ist. Als
beim Mid-Term Review neue Beschlüsse verschoben
worden sind, obwohl Sie immer gesagt haben, Sie wollen
sie sofort in Kraft treten lassen, waren wir den Franzosen
sehr dankbar; denn sie haben gesagt, die Bauern bräuchten Planungssicherheit; man solle bis 2007/08 warten.
({5})
Insofern haben wir schon Respekt.
({6})
- Dass Ihr Respekt vor dem Parlament und dem Ausschuss nie sehr groß war, das wissen wir. Aber ich finde
es unmöglich, Frau Künast,
({7})
dass Sie sich in einer agrarpolitischen Debatte, bei der Sie
gerade geredet haben und nun eine Antwort auf Ihre Rede
hören, zu Kollegen setzen, um mit denen zu quatschen,
um das einmal ganz deutlich zu sagen. Aber ich rede gern
weiter.
Sie sagen, wir sollten gemeinsam gegen Harbinson
kämpfen. Das greife ich gern auf. An diesem Punkt weiß
ich selber nicht, ob es richtig ist, bereits im nächsten Jahr
neue Beschlüsse zu fassen, die dann natürlich wieder Vorleistungen für die WTO-Verhandlungen bedeuten, oder
damit zu warten. Ich erinnere aber auch daran, dass Sie
und Ihr Vorgänger Karl-Heinz Funke uns zusammen mit
Herrn Fischler immer wieder gesagt haben, die Beschlüsse der Agenda 2000 seien Vorleistungen für die
WTO. Wo bleiben Sie jetzt mit dieser Stellungnahme?
Sind das noch die Vorleistungen oder nicht?
Es geht nicht darum, ob Sie eine Kuh melken können.
Es hat etwas mit Tierschutz zu tun, dass man Sie, Frau
Künast, nicht an die Kühe heranlässt.
({8})
Es geht darum, ob unsere Agrarpolitik nur europäisch und
vom Haushalt bestimmt ist oder ob wir zu einer Agrarpolitik finden, die in der Lage ist, die bäuerliche Landwirtschaft in unserem Land zu erhalten.
Herr Minister Backhaus, Sie wissen, dass ich Sie sehr
schätze. Es gibt in der SPD nur noch wenige, die etwas
von der Agrarpolitik verstehen. Sie gehören ebenso wie
Karl-Heinz Funke, der weggejagt worden ist, und Uwe
Bartels, der abgewählt worden ist, dazu. Da Sie noch da
sind, besteht also noch ein bisschen Hoffnung. Aber die
Frage ist natürlich, Herr Backhaus, ob es immer richtig
ist, im eigenen Bundesland auf Frau Künast und ihre Vorschläge zu schimpfen, sich aber hier ausdrücklich bei ihr
zu bedanken. Wofür haben Sie sich eigentlich bedankt?
({9})
- Für die Kappungsgrenze! Wenn es der einzige Punkt
ist, für den Sie sich bedankt haben, dann ist es in Ordnung.
Dafür kann man der Frau Ministerin - auch wenn es nicht
allein ihr Verdienst ist - dankbar sein.
Sie haben Kritik geübt an der Abschaffung der Quote.
Sie haben Kritik geübt an den Vorschlägen hinsichtlich
der Milch. Sie haben Kritik geübt an der Modulation. Sie
haben Kritik geübt an der Ausgestaltung der Entkoppelung. Wofür haben Sie sich eigentlich bedankt? Sagen Sie
hier doch einmal, dass Sie mit den Vorschlägen von Herrn
Fischler nicht leben können! Da Sie an jedem Punkt dieser Vorschläge Kritik üben, sagen Sie bitte nicht, Sie würden sie grundsätzlich begrüßen!
({10})
Die Kappungsgrenze ist sicherlich gefallen. Sagen Sie
aber Ihren Bauern in Mecklenburg-Vorpommern einmal,
was anschließend im Zuge der Degression auf sie zukommt. Wenn Sie jeden Hektar gleichmäßig fördern,
dann müssen Sie auch sagen, wer das bezahlen muss und
woher das Geld dafür kommen soll. Wir haben eine ganz
schwierige Situation, in der weniger Geld umverteilt werden muss. Diese Umverteilung führt dazu, dass 80 Prozent der Bauern weniger bekommen. Nur für 20 Prozent
Peter H. Carstensen ({11})
Peter H. Carstensen ({12})
der Bauern - das sind diejenigen, die sich nicht bedanken
werden - wird die Situation günstiger sein.
Wer aber sagt, er finde diese Lösung gut, der muss darüber sprechen, was nach der Umsetzung dieser Vorschläge mit den Milchbetrieben in einem Land wie Mecklenburg-Vorpommern passiert. Nicht einer von euren
Milchbetrieben wird anschließend noch rentabel wirtschaften können, insbesondere deswegen nicht, weil diese
Betriebe einen hohen Kostenanteil durch Fremdarbeitskräfte haben. Wenn die Betriebe in Ihrem Bundesland, die
mehr Fremdarbeitskräfte beschäftigen, mehr Geld bekommen sollen und wenn auf der anderen Seite das Lohnniveau, was richtig ist, angepasst werden soll, dann sind
Ihre Betriebe die ersten, die gegen die Wand fahren, und
nicht die Betriebe in Baden-Württemberg und Bayern.
Herr Minister, deswegen können Sie diese Agrarpolitik
hier nicht einfach loben.
({13})
Frau Künast, selbstverständlich - das streitet kein
Mensch ab - brauchen wir eine Agrarreform. Selbstverständlich müssen wir gemeinsam gegen solche Vorschläge wie die von Harbinson kämpfen. Aber selbstverständlich muss auch sein, das Ganze einmal aus der Sicht
der Bauern zu sehen. Es muss darum gehen, landwirtschaftliche Betriebe zu erhalten. Dabei spielt die Planungssicherheit eine große Rolle. Ihr Vorhaben, die Modulation früher einzuführen - das führt dazu, dass Geld
aus der Bundesrepublik abfließt - und früher mit den
Agrarreformen anzufangen, ist ein schwerer Fehler.
Wir werden Vorschläge auf den Tisch legen. Einen
Großteil dieser Vorschläge, über die man diskutieren
sollte, haben wir schon vorgelegt.
({14})
Keinerbezweifelt,dasswireineAgrarreformbrauchen.Aber
wir brauchen eine Reform, die einige Eckpunkte enthält.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Zu den Eckpunkten gehört die flächendeckende Bewirtschaftung, sodass sichergestellt ist, dass wir auch in
Zukunft eine rentable, kostengünstig produzierende und
wettbewerbsfähige Landwirtschaft haben.
({0})
- Bei allem Respekt, Frau Wolff, ich frage mich, warum
Sie damals den Antrag, in dem eine Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Richtlinien gefordert wurde, abgelehnt haben, obwohl Sie eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft
ohne Wettbewerbsverzerrungen haben wollen.
Herzlichen Dank.
({1})
Herr Kollege Carstensen, ich möchte Ihnen ausdrücklich sagen: Ich kann nichts Tadelnswertes daran finden,
dass sich eine Ministerin, die ein Mandat hat, zu den Abgeordneten setzt. Alles Weitere ist Sache des Präsidenten.
({0})
- Nein, ich gebe Ihnen nicht das Wort, sondern dem Herrn
Minister, den Sie gerade angesprochen haben.
({1})
- Genau das haben Sie gesagt. - Die Wortmeldung des
Ministers ist eine Erklärung zur Aussprache; denn er ist
direkt angesprochen worden.
Dr. Till Backhaus, Minister ({2}):
Herr Carstensen, Sie haben mich direkt angesprochen.
Anscheinend haben Sie mir während meiner Rede überhaupt nicht zugehört.
({3})
Ich fasse es noch einmal für Sie zusammen - wir kennen uns ja schon ein paar Jahre; ich bin im Bundesland
Mecklenburg-Vorpommern sehr fest verwurzelt und
weiß, was in der Landwirtschaft und darüber hinaus in
diesem Lande los ist -: Wir haben mit den Vorschlägen
von Herrn Fischler konkret fünf Riesenprobleme.
Punkt eins betrifft die Modulation, die bei uns dazu
führt, dass die etwas größeren Unternehmen, die zum Teil
von Bayern angegriffen worden sind, unter der Modulation bis zu 19 Prozent ihres Einkommens verlieren würden. Das können wir so nicht akzeptieren. Ich nenne Ihnen noch einmal die Zahlen - ich habe sie in meiner
Rede angeführt -: Wir erhalten zurzeit in MecklenburgVorpommern Preisausgleichszahlungen in Höhe von
circa 450 Millionen Euro. Das sind Tier- und Pflanzenprämien bzw. Hektarausgleichszahlungen. Davon würden
wir in Mecklenburg-Vorpommern nach der Gesamtbilanz
insgesamt etwa 130 Millionen Euro verlieren. Das ist
nicht zu akzeptieren; da muss es Veränderungen geben.
Punkt zwei ist: Ich habe versucht, Ihnen zu erklären,
welche Entwicklung wir im Hinblick auf die Milch wollen. Dazu habe ich gesagt: Wir wollen zwar ein mengengesteuertes Modell, aber den Ausstieg - das sage ich sehr
deutlich auch für den bayerischen Kollegen - aus der kapitalisierten Milchprämie.
({4})
Schauen Sie sich einmal Ihre Börsen in Bayern an: Zurzeit wird die Milchquote für 1 Euro gehandelt. Das ist aus
meiner Sicht der blanke - - Diesen Begriff können Sie
selber wählen.
({5})
Da wird eine Entwicklung betrieben, die die Landwirte
gezielt in den Ruin treibt. Ich bedauere das ausdrücklich.
Punkt drei ist, dass ich gesagt habe: Wir möchten eine
lineare Degression. Denn ich bin der Auffassung, dass es
richtig ist, dass jeder Hektar in gleicher Weise behandelt
wird und der Landwirt als Pfleger der Kulturlandschaft
und damit als jemand, der im ländlichen Raum Arbeit
schafft, ein Honorar dafür erhält.
Der vierte Punkt ist - ich würde dabei gerne dem Herrn
Carstensen, der durch die vor ihm Stehenden verdeckt
wird, in die Augen blicken; aber das wird wahrscheinlich
nicht gewünscht -, dass wir die Roggenintervention, so
wie sie im Modell vorgesehen ist, nicht akzeptieren können. Denn damit würden allein in Mecklenburg-Vorpommern 200 000 Hektar nicht mehr ordnungsgemäß bewirtschaftet.
Der fünfte und letzte Punkt ist, dass ich es ablehne, die
Flächenstilllegung obligatorisch auf 10 Prozent festzulegen. Denn dies bedeutet gerade für die nachwachsenden
Rohstoffe das Aus.
Herr Minister, ich muss Sie leider auf die Redezeit hinweisen.
Dr. Till Backhaus, Minister ({0}):
Ich komme gleich zum Schluss. - Sie wissen es vielleicht: Wir in Mecklenburg-Vorpommern sind dank der
Zusammenarbeit mit dem Bund gerade dabei, zur Verarbeitung von Raps überzugehen. Dies wäre dann auf diesen Flächen nicht mehr möglich.
Das sind die fünf Kritikpunkte. Dazu habe ich in meiner Rede Änderungsvorschläge gemacht. Ich gehe davon
aus, dass der eine oder andere Vorschlag hoffentlich konsensfähig sein wird.
({1})
Das Wort hat jetzt der Herr Kollege Goldmann.
Sehr geehrte, geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich hatte ich hier stehen:
gemeinsame Kämpfer für den ländlichen Raum. Ich
möchte gleich darauf zu sprechen kommen, warum ich
das nun korrigiere.
Herr Backhaus, ich habe Sie bereits während Ihrer
Rede verstanden. Ich denke, dass wir es so halten sollten,
dass wir einander zuhören. Lieber Norbert, wenn schon
Frau Künast nicht den nötigen Respekt vor den Kollegen,
die hier sprechen, hat, indem sie mit dir Privatgespräche
führt, dann solltest vielleicht zumindest du so kollegial
sein, einem Mitglied des Ausschusses die Aufmerksamkeit zu schenken, die ich für notwendig halte.
({0})
Es ist überhaupt keine Frage: Wir brauchen Reformen.
Wir müssen diese Reformen auf den Weg bringen. Dazu
ist sehr viel Konstruktives von den unterschiedlichen
Rednern gesagt worden. Es gibt eine harte Auseinandersetzung um den Weg. Aber wir müssen diesen Weg gehen
und darüber sind wir uns vollkommen einig. Ich bin mit
dem, was zum Beispiel der Kollege Hemker gesagt hat,
sehr einverstanden. Lassen Sie uns hier gemeinsam in die
richtige Richtung gehen!
Es gab ein Problem, Frau Künast: Das war Ihre Rede.
Das will ich ganz ehrlich sagen. Sie haben unnötigerweise
einen Keil in die sehr sachlich geführte Diskussion getrieben und das, was Sie gesagt haben, hatte meiner Meinung nach etwas mit dem zu tun, was Sie angesprochen
haben, nämlich mit Wirklichkeitsverweigerung.
({1})
Wenn Sie die Agrarwende auf den BSE-Skandal zurückführen, dann haben Sie diese Problematik überhaupt nicht
verstanden und dann ist Ihre Politik, die Sie auf dieser
Grundlage gestalten, auf Sand gebaut und hat kein festes
Fundament.
({2})
Sie haben die Modulation angesprochen. Wir sind
selbstverständlich bereit, gemeinsam etwas für den ländlichen Raum zu tun. Wir werden in den Haushaltsdebatten Anträge stellen, die darauf abzielen, den Wandel der
Agrarstruktur weiter voranzutreiben. Stimmen Sie diesen
Anträgen doch zu! Aber nehmen Sie den Bauern nicht
weg, was sie brauchen, um die Herausforderungen, die
auf sie zukommen, selber bewältigen zu können.
({3})
Wir brauchen uns bei diesem Thema nicht künstlich
auseinander zu dividieren. Sie wissen ja, dass Sie meine
Fraktion bei der aktuellen Diskussion um den Futtermittelskandal in Thüringen auf Ihrer Seite haben. Ich
denke, Gemeinsamkeit würde uns hier helfen.
Welches sind die Gemeinsamkeiten, auf die wir Liberale Wert legen? Wir wollen erstens eine Entkopplung der
Direktzahlungen der EU von der Produktion, weil wir
meinen, dass dies die Kernvoraussetzung für einen drastischen Abbau der Bürokratie ist und die Gewähr bietet,
dass den Landwirten dieses Geld zur Verfügung steht.
({4})
Unser Modell einer Kulturlandschaftsprämie, das
maßgeblich von unserem Kollegen Heinrich entwickelt
worden ist, trägt diesem Gedanken hundertprozentig
Rechnung. - Es ist schon interessant, was Sie, Herr
Backhaus, dazu gesagt haben. Ich glaube, Sie haben unser Programm gelesen. - Das Geld wird so bei denjenigen
ankommen, die es brauchen. Deswegen werden wir an
dem Vorschlag der Kulturlandschaftsprämie festhalten
und ihn in die Diskussion einbringen.
({5})
Minister Dr. Till Backhaus ({6})
Minister Dr. Till Backhaus ({7})
Zweitens wollen wir Planungssicherheit. Ich sage es
einmal ganz platt - Herr Bleser hat es an Beispielen deutlich gemacht -: Mit dem Beginn der obligatorischen Modulation der Direktzahlungen im nächsten Jahr wird es
nichts. Das steht erst im Jahr 2006 an. Ihr Vorgehen ist ein
Unding. Die Milch unserer Kühe kommt auf den Markt
und Sie sprechen von dem Vorziehen der Milchmarktreform auf das Jahr 2004. Das ist realitätsfremd. Wir sollten gemeinsam einen Weg beschreiten, Frau Höfken.
Den Zeitraum von 2007 bis 2012, 2013 oder 2014 können wir ausgestalten. In dieser Zeit werden wir die Entkopplung schrittweise umsetzen. Dabei steht alles auf
dem Prüfstand und für alles werden Lösungsvorschläge
entwickelt. Wenn es uns glückt, den Menschen klar zu
machen, dass das Geld, das die Bauern erhalten, von diesen für den Erhalt der Kulturlandschaft im ländlichen
Raum eingesetzt wird, werden wir gesellschaftliche Akzeptanz für unsere Vorstellungen finden, auch beim Steuerzahler, und können wir Perspektiven für unsere Bauern
entwickeln.
Inwieweit wir Ausnahmeregelungen brauchen, zum
Beispiel im Bereich der Zuckererzeugung, werden wir sehen. Aber wir sollten Lösungen gemeinsam entwickeln.
Ich bin davon überzeugt, dass der Orientierungsrahmen, den ich zu skizzieren versucht habe, Grundvoraussetzung für die WTO-Kompatibilität ist. Wenn wir die Gemeinsamkeiten herausstellen, sind wir, wie ich meine, auf
einem guten Weg. Lassen Sie uns diesen Weg beschreiten!
Herzlichen Dank.
({8})
Jetzt erhält der Abgeordnete Peter Jahr das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin zunächst sehr froh darüber, dass wir über die anstehende
EU-Agrarreform heute in diesem Hohen Hause und damit
in der Öffentlichkeit diskutieren können. Ich freue mich
auch darüber, dass zu diesem Beratungsgegenstand verschiedene Anträge vorliegen; denn in der Politik gilt: Reden ist gut, beschließen ist besser.
Die bisherige Verhandlungsstrategie der Bundesregierung könnte man mit dem Motto beschreiben: Das Ziel ist
nichts, Bewegung ist alles.
({0})
Auch bei den die Regierung stützenden Fraktionen ist
es nicht anders, meine Damen und Herren von der SPD
und von den Grünen. Zurzeit erkenne ich in Ihren Reihen
eine Meinungsvielfalt, welche die Anzahl Ihrer Ausschussmitglieder bei weitem übertrifft: Da lobt die zuständige Ministerin die Vorschläge von Kommissar
Fischler über alle Maßen. Das wurde im Ausschuss recht
heftig kritisiert. Heute im Plenum klangen die Aussagen
hierzu etwas differenzierter; der Agrarsprecher kann sich
Nachbesserungen vorstellen. In dem vorliegenden Antrag
von SPD und Grünen werden die Reformvorschläge dagegen ausdrücklich begrüßt. Ich könnte noch mehr Beispiele nennen.
Dieses Durcheinander haben wir schon beim so genannten Steuervergünstigungsabbaugesetz erlebt. Auch
dazu wurden ständig neue Nebelbomben gezündet. Es
wurden sogar nicht autorisierte Anträge der regierungstragenden Fraktionen verteilt, dass selbst der politisch interessierte Landwirt Mühe hat, Ankündigungen von Initiativen oder persönliche Ansichten der Abgeordneten
von Beschlüssen der Bundesregierung zu unterscheiden.
Dieses Durcheinander ist mittlerweile zum unverkennbaren
Markenzeichen rot-grüner Regierungsarbeit geworden.
({1})
Ich wünsche mir - nein, besser gesagt: ich erwarte von
der Bundesregierung endlich konkrete Vorstellungen darüber, wie die EU-Agrarreform weiterentwickelt werden
und wann sie in Kraft treten soll. Was mich besonders ärgert, ist die Tatsache, dass die Fraktionen von SPD und
Grünen dieses Versteckspiel der Konkretheit mitmachen.
Ihr Antrag entspricht zwar den formellen Anforderungen
der Geschäftsordnung, ist ordentlich formuliert und enthält keine orthographischen Fehler - ich habe zumindest
keine gefunden -,
({2})
er hat nur einen Mangel: Er hat keinen konkreten Inhalt.
Von der Überschrift des Antrages „EU-Agrarreform mutig angehen und ausgewogenen gestalten“ wird inhaltlich
nichts abgearbeitet.
({3})
Nach dem Durchlesen kann man nur feststellen: Früher
waren Sie vielleicht einmal mutig und ausgewogen, heute
sind Sie nur noch „und“ - und selbst das nur noch mit Abstrichen.
({4})
- Ich komme noch darauf zu sprechen.
({5})
In Anbetracht Ihrer Ankündigungen in Presse und auf
Wahlkreisveranstaltungen ist der von Ihnen eingereichte
Antrag eine einzige große Enttäuschung. Glücklicherweise hat die CDU/CSU-Fraktion einen eigenen Antrag
vorgelegt. Immer dann, wenn man beim Lesen Ihres Antrages denkt, jetzt werde es konkret, wechseln die Verfasser das Thema. Beispiele: Sie wollen die Reform zwar
mutig und ausgewogen angehen, über den Zeitpunkt des
In-Kraft-Tretens sagen Sie nichts Konkretes.
Ich weiß ja nicht, was Ihre freundliche Ministerin
hierzu empfiehlt; ich empfehle Ihnen den Antrag der
Fraktion der CDU/CSU. Unser Antrag ist eindeutig. Darin
heißt es:
Die in Berlin beschlossene Agenda 2000 gilt ohne
wesentliche Abstriche bis ins Jahr 2006.
({6})
Dieser Satz in unserem Antrag bedeutet, grundlegende
Korrekturen vor Ablauf dieses Zeitpunktes sind unzulässig.
({7})
- Herr Kollege Weisheit, ich freue mich, dass wir Ihren
Zwischenruf ins Protokoll aufnehmen können. Wenn das
selbstverständlich ist, dann hätten Sie das aber auch gleich
in den Antrag schreiben können. Unsere Bäuerinnen und
Bauern warten auf konkrete Hinweise und nicht auf
schöngeistige Formulierungen, die in der Sache nicht weiterhelfen.
({8})
Mein nächstes Beispiel betrifft die Milchquote. Sie,
meine Damen und Herren von Rot-Grün, wollen - so steht
es in Ihrem Antrag -, dass die Reform der Marktordnung
Milch den Milcherzeugern eine wirtschaftlich tragfähige
Perspektive eröffnet. Stimmt! Allerdings ist diese Aussage so herrlich unkonkret, dass sie immer passt.
({9})
Die Aussage, morgen findet Wetter statt, hat einen ähnlich
konkreten Inhalt. Auch hier verweise ich Sie auf den Antrag der CDU/CSU-Fraktion. Dort steht eindeutig und
klar, dass wir uns für die Beibehaltung der Milchquote bis
2014/15 aussprechen, und das ohne Erhöhung der Milchquotenmenge.
({10})
- Ohne Erhöhung, das ist schon wichtig.
({11})
Auch bei den Themen Bürokratieabbau, Entkopplung
der Prämien und Wegfall der Roggenintervention - eine
Problematik, die sich ganz besonders in den neuen Bundesländern negativ auswirkt - besetzen Sie nur Allgemeinplätze und werden nicht konkret. Beim Roggen hätte
ich mir zum Beispiel eine Antwort auf die Frage gewünscht, ob Sie die energetische Verwertung wollen oder
nicht.
Ich möchte Sie nochmals eindringlich darauf hinweisen, dass es besonders in den neuen Bundesländern bei der
Entkopplung neben den allgemeinen Problemen noch das
Problem der Benachteiligung der Viehhaltung gibt. Produktionsunabhängige Betriebsprämien können nämlich
zu einem weiteren Abbau der Kosten, der Investitionen
und der arbeitskräfteintensiven Viehhaltung führen. Eine
Grünlandprämie wirkt diesem Trend nur ungenügend entgegen. Es stellt sich die Frage, warum ein Bullenmäster
eigentlich noch Bullen mästen soll, wenn er das Geld auch
ohne Produktion bekommt.
({12})
Das, was sich für einen naiven Landwirt als das finanzielle Perpetuum mobile darstellt - man erhält fürs
Nichtstun Geld -, werden wir vor dem Steuerzahler auf
Dauer nicht verantworten können. Leider kann ich aus
Zeitgründen nicht vertiefend auf diese Aspekte eingehen,
weshalb ich auf die Vorredner meiner Fraktion verweise.
Abschließend möchte ich Sie, meine Damen und Herren von der SPD und vom Bündnis 90/Die Grünen, bitten:
Tun Sie sich und der deutschen Landwirtschaft den Gefallen und ziehen Sie Ihren Antrag zum Wohle unserer
Landwirte zurück. Stimmen Sie dem Antrag der
CDU/CSU zu.
({13})
Tun Sie dies ganz einfach deshalb, weil unser Antrag besser ist. Leistung sollte sich ja bekanntlich durchsetzen.
Danke schön.
({14})
Herr Kollege, im Namen des ganzen Hauses gratuliere
ich Ihnen zu Ihrer ersten Rede vor dem Deutschen Bundestag.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/422, 15/462 und 15/435 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Die Vorlage auf Drucksache 15/462 soll zusätzlich an den
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und an den Haushaltsausschuss überwiesen werden.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 12. März 2003, 13 Uhr, ein. Ich
wünsche allen Kolleginnen und Kollegen sowie den Besucherinnen und Besuchern ein schönes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.