Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/19/2003

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Eckwerte für ein Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit. Das Wort für einen einleitenden Kurzbericht hat die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium der Finanzen, Frau Dr. Hendricks.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit wollen wir die Zinsbesteuerung ab 2004 neu regeln. Zinsen sollen dann pauschal mit 25 Prozent besteuert werden. Bürger mit geringerem persönlichen Steuersatz erhalten die Möglichkeit, im Rahmen ihrer Veranlagung auch die Zinsen diesem geringeren Steuersatz zu unterwerfen und gegebenenfalls den Sparerfreibetrag berücksichtigen zu lassen. Die nationale Neuregelung der Zinsbesteuerung wird im europäischen Rahmen durch die EU-Zinsrichtlinie flankiert. Mit diesen Maßnahmen wird die Kapitalanlage in Deutschland wesentlich attraktiver als bisher. Dazu trägt nicht nur der geringe Steuersatz bei, sondern auch das großzügige Angebot, das Bürgern unterbreitet wird, die in der Vergangenheit ihre steuerlichen Pflichten nicht immer erfüllt haben. Ihnen soll befristet die Möglichkeit geboten werden, in die Steuerehrlichkeit zurückzukehren. Die vorgesehene Regelung wird deutlich attraktiver sein als die Straf- und Abgabenbefreiung im Rahmen der Steuerreform 1990, weil diesmal nicht nur das angesparte Kapital und die dadurch erzielten Zinsen begünstigt werden sollen, sondern auch die Quellen dieses Kapitals, also das so genannte Schwarzgeld. Die vorgesehene Brücke zur Steuerehrlichkeit dürfte daher zu mehr Erfolg führen als die Regelung von 1990, die immerhin zu nacherklärten Kapitaleinkünften von rund 2,4 Milliarden DM geführt hat. Wer in der Vergangenheit Steuern verkürzt hat, soll durch Abgabe einer Erklärung und gleichzeitige Entrichtung einer pauschalen, als Einkommensteuer zu behandelnden Abgabe Strafbefreiung bzw. Befreiung von Geldbußen erlangen können. In der strafbefreienden Erklärung ist das Vermögen anzugeben, das bei der Besteuerung bisher zu Unrecht nicht berücksichtigt wurde. Die Erklärung soll als Steueranmeldung ausgestaltet werden und damit ohne weiteres Zutun der Finanzbehörden als Steuerfestsetzung wirken. Der Staat verzichtet auf Nachweise des Bürgers und auf Ermittlungen der Finanzbehörden. Es liegt in der Natur der Sache, dass bei später entdeckten Steuerverkürzungen allein der Bürger wissen kann, ob er in seiner Erklärung diese Verkürzungen angegeben hat. Daher trifft ihn als Preis für den Verzicht auf Nachweise und Prüfungen bei Abgabe der strafbefreienden Erklärung die Beweislast. Ich weise jedoch ausdrücklich darauf hin, dass diese Vorgehensweise allgemeinen Beweislastregeln entspricht und keine Beweislastumkehr darstellt. Mit Zahlung der pauschalen Abgabe erlöschen alle Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, soweit sich die strafbefreiende Erklärung auf diese Ansprüche bezieht. Der Bürger hat es damit in der Hand, durch umfassende Erklärung vollständig steuerehrlich und damit straffrei zu werden. Die Eckwerte gehen davon aus, dass der Bürger wirklich steuerehrlich werden will und in Zukunft bleiben möchte. Das ist auch die rechtliche Grundlage, auf der verfassungsrechtlich eine Besserstellung Steuerunehrlicher für die Vergangenheit basiert. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Entscheidungen zur Amnestie im Rahmen des Steuerreformgesetzes 1990 betont, dass eine derartige Besserstellung steuerunehrlicher Bürger gegenüber steuerehrlichen Bürgern nur gerechtfertigt ist, wenn sie geeignet ist, die Steuerehrlichkeit in der Zukunft zu gewährleisten. Hinzu kommt, dass eine steuerliche Besserstellung für die Vergangenheit, die auch nur eine geringfügige Nachversteuerung vorsieht, wirtschaftlich immer schlechter ist als weitere erfolgreiche Steuerhinterziehung. Um eine Brücke zur Steuerehrlichkeit überhaupt attraktiv zu machen, ist es deshalb erforderlich, die Möglichkeit weiterer Steuerhinterziehungen in der Zukunft möglichst zu verbauen. Zugleich effiziente und möglichst bürokratiearme Kontrollmöglichkeiten sind daher unabdingbar. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren wird der Steueranspruch des Staates mit dem Recht des Bürgers auf informationelle Selbstbestimmung in Einklang zu bringen sein. Die gesamte Maßnahme wird den Ehrlichen allerdings nur dadurch vermittelbar, wenn sie dazu dient, Bürger in die Steuerehrlichkeit zurückzuführen. Die Gewährleistung der Steuerehrlichkeit aller Bürger ist ein Gebot der Steuergerechtigkeit. Dies ist ein Begriff, den man in dieser Debatte bisher nur selten gehört hat, den man aber nicht vergessen sollte. Es ist ein Erfahrungswert, dass die Neigung zur Steuerehrlichkeit wächst, je gerechter die Besteuerung empfunden wird. Dieser Satz gilt allerdings auch umgekehrt und findet Ausdruck in dem Schlagwort: Die Ehrlichen sind wieder die Dummen. Es sollte nicht Ziel der Steuerpolitik sein, dieses Schlagwort zu bestätigen. Diejenigen, die meinen, bei einer so genannten Abgeltungsteuer sei mit dem Einbehalt der Steuern auf die Zinsen alles erledigt, täuschen sich. Nehmen wir den Begriff Abgeltungsteuer so, wie er sowohl von der Bundesregierung als auch von der Opposition tatsächlich verstanden wird, dann handelt es sich bei der künftig vorgesehenen Zinsbesteuerung gerade nicht um eine reine Abgeltungsteuer. Unstreitig sehen die Bundesregierung und die Opposition nämlich vor, den Bürgern bei der Einkommensteuerveranlagung das Recht einzuräumen, die Zinsen mit ihrem niedrigeren persönlichen Steuersatz zu berücksichtigen. In diesen Fällen haben die Bürger in ihrer Steuererklärung, die von Verfassungs wegen auf Richtigkeit und Vollständigkeit überprüfbar sein muss, sämtliche Zinsen anzugeben. Darüber hinaus müssen wir die europäischen und internationalen Regeln zur Bekämpfung der Geldwäsche und anderer organisierter Kriminalität beachten. Schmutziges Geld darf auch in Zukunft nicht reingewaschen werden. Herzlichen Dank.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Vielen Dank für den Bericht. Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, zu dem der Bericht erstattet worden ist. Die erste Wortmeldung stammt vom Kollegen Meister.

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Frau Staatssekretärin, ich möchte zunächst zu Ihrem Vortrag nachfragen: Habe ich es richtig verstanden, dass die Bundesregierung beabsichtigt, im Rahmen der Zinsabgeltungsteuer die Sparerfreibeträge - es geht um die Freistellungsaufträge - abzuschaffen? Wenn dem so ist, frage ich Sie: Was bedeutet das für die Sparerfreibeträge jener, die die Zinsabgeltungsteuer in Höhe der geplanten 25 Prozent in Anspruch nehmen? Habe ich es richtig verstanden, dass der Sparerfreibetrag für die Menschen, die die Zinsabgeltungsteuer in Anspruch nehmen, entfällt?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Meister, das würde sich logisch betrachtet sicherlich ergeben. Darauf will ich hier allerdings noch nicht näher eingehen, weil dies dem Gesetzgebungsverfahren vorbehalten bleibt. Das Kabinett hat sich damit heute nicht befasst.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Dr. Solms.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, Sie wissen, dass die FDP diesen Vorschlag mit einer gewissen Sympathie verfolgt. Wir haben dies bereits vor zwei Jahren öffentlich gefordert. Das steht in Zusammenhang damit, dass das Vertrauen der Sparer und möglichen Anleger in den Kapitalmarkt Deutschland insgesamt wieder hergestellt werden muss. Deswegen frage ich Sie, warum Sie diesen vernünftigen Vorschlag mit der flächendeckenden Einführung von Kontrollmitteilungen und der Aufhebung des Bankgeheimnisses - all dies ist gar nicht notwendig, wenn die Steuer an der Quelle erhoben wird - verbinden. Warum verbinden Sie das nicht mit einer Entscheidung für die endgültige Abschaffung der Vermögensteuer und die Nichterhöhung der Erbschaftsteuer, um die leidige Diskussion zu beenden? Dann hätten Sie sehr viel mehr Erfolg zu erwarten.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Solms, zum erstenTeil Ihrer Frage: Ich hatte eben ausgeführt, dass es darum geht, sowohl effiziente als auchbürokratiearmeKontrollmöglichkeitenvorzusehen,die den Steueranspruch des Staates mit dem Recht des Bürgers auf informationelle Selbstbestimmung in Einklang bringen. Zur Abschaffung der Vermögensteuer: Es gibt zurzeit einen Antrag auf Ebene des Bundesrates. Dieser beinhaltet den Vorschlag, man möge den Ländern das Hoheitsrecht für die Vermögensteuer geben. Wie Sie wissen, hat sich die Bundesregierung dem nicht zuneigen können; dies wurde im Plenum bereits behandelt. Ob in der nächsten Zeit weitere Initiativen zur grundsätzlichen Abschaffung der Vermögensteuer, die ja nicht mehr erhoben wird, erfolgen, vermag ich nicht zu beurteilen. Was die Erbschaftsteuer anbelangt, so wissen Sie so gut wie ich, dass beim Bundesverfassungsgericht ein Vorlagebeschluss liegt. Infolgedessen kann der Gesetzgeber, wohl wissend dass ein Bundesverfassungsgerichtsurteil zu erwarten ist, keine endgültige Aussage treffen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, als wir vor zwei Jahren diesen Vorschlag gemacht haben, ist er von der Koalition noch kritisiert worden. Ich habe den Eindruck, Sie haben sich gezwungen gesehen, diesen Gesetzentwurf vorzubereiten, weil Sie die Einnahmen benötigen. Ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass das Finanzministerium am Dienstagmorgen bekannt gegeben hat, man gehe von zusätzlichen Einnahmen von etwa 1 Milliarde Euro aus. Am Dienstagabend wurde über eine Agenturmeldung eine Schätzung von 2 Milliarden Euro genannt. Mittwochmorgen wurde vom Finanzministerium eine Schätzung von 5 Milliarden Euro veröffentlicht. Jetzt wollen Sie zum Ausgleich des Haushalts 2 Milliarden Euro an Einnahmen in den Bundeshaushalt einstellen. Darf ich Sie einmal fragen, von welchen Schätzungen Sie ausgehen, und was berechtigt Sie zu der Hoffnung, dass es diese Einnahmen - gehen wir einmal von 2 Milliarden Euro aus - tatsächlich geben wird, wenn Sie dieses Amnestiegesetz verabschieden werden?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Die Deutsche Bundesbank geht nach vorsichtigen Schätzungen davon aus, dass im Ausland Kapital von deutschen Steuerpflichtigen in der Größenordnung von 150 Milliarden Euro lagert. Darüber hinaus gibt es natürlich Schwarzgeld in der Bundesrepublik Deutschland, das nacherklärt werden soll. Unsere Schätzungen beziehen sich nicht nur auf ausländisches Kapital. Deswegen sind wir in einer vorsichtigen Schätzung davon ausgegangen, dass sich die Einnahmen aus nacherklärtem Kapital zum Ende dieses Jahres in einer Größenordnung von 20 Milliarden Euro bewegen werden. 25 Prozent davon sind 5 Milliarden Euro. Dieses Geld verteilt sich selbstverständlich auf die drei Ebenen des Staates: präterpropter 2 Milliarden Euro für den Bund, 2 Milliarden Euro für die Länder und eine knappe Milliarde Euro für die Kommunen. Auf der Basis dieser Schätzung, angelehnt an die Schätzungen der Deutschen Bundesbank, können wir unter Einhaltung des Prinzips der Vorsicht bei der Aufstellung des Haushaltes mit Einnahmen von 2 Milliarden Euro rechnen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich bitte um Nachsicht dafür, dass ich bei dem Aufruf der Fragesteller nach der Reihenfolge der Wortmeldungen vorgehe; denn es gibt relativ viele Wortmeldungen. Als Nächster erhält der Kollege Michelbach das Wort.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wie wollen Sie Ihre umfassende Schwarzgeldamnestie mit einem wesentlichen Kapitalrückfluss durchsetzen, wenn Sie gleichzeitig, wie heute im Finanzausschuss vorgetragen, 40 Steuererhöhungen mit einem Belastungsumfang von 42 Milliarden Euro beschließen? Ist damit ein Rückfluss von 20 Milliarden Euro, wie Sie ihn annehmen, überhaupt möglich und wie kommen Sie auf diesen Betrag?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Wie ich auf diesen Betrag komme, habe ich gerade dem Herrn Kollegen Koppelin erläutert. Ich glaube, ich kann mir mit Ihrem Einverständnis die Wiederholung ersparen. ({0}) Ich weise aber die in Ihrer Frage enthaltene Unterstellung zurück, wir würden 40 Steuererhöhungen vornehmen. Das ist, um es vorsichtig auszudrücken, eine untechnische Formulierung. ({1}) Sie als Mitglied des Finanzausschusses müssten eigentlich eine bessere Formulierung finden. Nehmen wir uns einmal einige der Maßnahmen vor, die Sie als Steuererhöhung bezeichnen, zum Beispiel die im Bereich der Einführung des Regelsteuersatzes auf landwirtschaftliche Vorprodukte. Unter den 40 Punkten, die Sie als Steuererhöhungen anführen, sind das, wie ich glaube, zwölf Maßnahmen. Ich gehe nicht davon aus, dass zum Beispiel die Landwirte oder aber die Endverbraucher von landwirtschaftlichen Produkten, in die landwirtschaftliche Vorprodukte eingegangen sind, in nennenswertem Umfang zu denjenigen gehören, die bisher Schwarzgeld gebunkert haben. In diesem Bereich ist also kein Zusammenhang festzustellen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Pinkwart.

Andreas Pinkwart (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003610, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, ich möchte gerne im Nachgang zu den Beratungen im Finanzausschuss von heute Morgen im Hinblick auf Ihre Ausführungen zum Thema Kontrollmitteilungen nachfragen, welche Ausgestaltung sich die Bundesregierung einfallen lassen wird, nachdem heute Morgen Anträge der FDP- wie auch der CDU/CSU-Fraktion, die den Bedenken des Bundesdatenschutzbeauftragten Rechnung tragen, abgelehnt worden sind. In diesem Zusammenhang wäre es gerade im Kontext der von Ihnen vorgesehenen Brücke zur Steuerehrlichkeit und Erhöhung der Steuerakzeptanz sehr interessant, zu erfahren, in welcher Form die Bundesregierung meint, die Kontrollmitteilungen ersetzen zu können, bzw. inwiefern sie sie für verzichtbar hält, um die von Ihnen erwähnte, letztlich auch fiskalische Wirkung erzielen zu können.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Pinkwart, die weitere Ausgestaltung bleibt dem Gesetzgebungsverfahren vorbehalten. Wie ich bereits ausgeführt habe, hat das Kabinett - ich habe ja aus der heutigen Kabinettssitzung zu berichten -, heute nicht darüber entschieden. Ich darf aber noch einmal darauf hinweisen, dass im Zuge der Erarbeitung des Gesetzentwurfs selbstverständlich ein Abwägungsprozess zwischen dem Steueranspruch des Staates und dem Recht der Bürger auf informationelle Selbstbestimmung stattfinden wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Dautzenberg.

Leo Dautzenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003067, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Frau Staatssekretärin, Sie führten aus, dass die vorgeschlagenen Eckpunkte in Form der Zinsbesteuerung eine relative Abgeltungsteuer darstellen, weil Sie dem einzelnen Steuerpflichtigen auch die Möglichkeit eröffnen, dass die Besteuerung nach seinem individuellen Steuersatz erfolgt. Macht es aber Sinn, wenn Sie, wie betont wurde, Bürokratieabbau anstreben und gleichzeitig für die Erhebung der Abgeltungsteuer auf Kapitaleinkünfte direkt an der Quelle - dann ist die lückenlose Erfassung bereits gegeben - nach wie vor auf Kontrollmitteilungen bestehen? Dies ist doch nur dann sinnvoll, wenn Sie die Kontrollmitteilungen noch für andere Elemente nutzen, die im Grunde wenig mit steuerlichen Überlegungen zu tun haben.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Dautzenberg, ich habe eben schon mehrmals auf den Abwägungsprozess zwischen dem Recht des Bürgers auf informationelle Selbstbestimmung und dem Steueranspruch des Staates hingewiesen. ({0}) Ich darf betonen, dass ich das Wort „Kontrollmitteilungen“ bis jetzt als Antwort auf Ihre Frage heute noch nicht in den Mund genommen habe. Ich denke, dass es nicht zielführend ist, wenn Sie versuchen, mich hier heute festzunageln. Dies wird dem weiteren Gesetzgebungsverfahren, also zunächst der Formulierung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, vorbehalten sein. Ich darf aber auf Folgendes hinweisen. Sie haben eingangs zu Recht festgestellt: Wenn dem Bürger weiter ermöglicht werden soll, im Einzelfall auch weniger als 25 Prozent Steuern auf die Kaptitaleinkünfte zu zahlen, weil sein persönlicher Steuersatz niedriger ist, dann kann es keine vollständige Abgeltungsteuer geben. Im Zusammenhang mit Österreich wird immer wieder angeführt, dass alle 25 Prozent zahlen und es niemals einen Sparerfreibetrag gab. Das ist eine sehr einfache Regelung. ({1}) Es gibt aber immer einen Widerstreit zwischen Einfachheit und Gerechtigkeit. Wenn im Zuge der Einführung einer vollständigen Abgeltungsteuer eine Entlastung derjenigen, die bisher einen höheren Steuersatz zahlen, erfolgen würde, während zukünftig diejenigen, die bisher einem niedrigeren Steuersatz unterworfen sind, belastet würden, würden wohl weder Sie als Volkspartei noch wir das akzeptieren. Es ist sicherlich in unserem gemeinsamen Interesse, so zu verfahren wie vorgesehen. Deswegen kann keine vollständige Abgeltungsteuer eingeführt werden. Aus diesem Grunde sind für die Zukunft Verifikationsmöglichkeiten notwendig. Wie diese ausgestaltet werden, bleibt dem Gesetzgebungsverfahren vorbehalten. Aber wir sind von Verfassungs wegen dazu veranlasst, die Verifikation bzw. Nachprüfbarkeit des Besteuerungsanspruchs des Staates vorzusehen, auch wegen der möglichen Option, weiterhin unter die bestehende niedrige Besteuerung zu fallen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Seiffert.

Heinz Seiffert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002797, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, insbesondere die 20 Milliarden Euro, die Sie an Kapitalrückflüssen erwarten, sind auch in der Öffentlichkeit relativ stark umstritten. Meinen Sie nicht, dass dieser Betrag eher durch die Einführung eines anonymisierenden Verfahrens, das auch stärker vertrauensbildend wirken würde, zu erreichen wäre? Das würde bedeuten, dass diese Gelder ohne Kontrollmitteilungen und ohne Einzelnachweis anonym zurückgebracht werden könnten. Es ist schließlich zu befürchten, dass die deklarierten Gelder als Bemessungsgrundlage für alle möglichen Zwecke herangezogen werden.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Eine strafbefreiende Erklärung ist schon deswegen notwendig, weil wir natürlich auch die internationalen Regelungen zur Bekämpfung der Geldwäsche und der organisierten Kriminalität einhalten müssen. Mit einer solchen Erklärung - das hatte ich Ihnen schon zu Beginn meiner Ausführungen gesagt - gibt es keine weiteren Nachforschungstatbestände für die Finanzbehörden mehr. Außerdem könnte es sein, dass man irgendwann später von der Finanzbehörde gefragt wird, woher man das Geld habe. Dann muss man doch in der Lage sein, zu sagen: Das habe ich damals erklärt. Sonst ist man doch hinterher der Dumme. Wie soll man denn Vertrauen entwickeln, wenn man in Zukunft nicht nachweisen kann, wie das Geld in den Besitz gekommen ist? Gerade im Interesse desjenigen, der sich steuerehrlich macht, ist es notwendig, dass er im Zweifelsfall sagen kann: Das war doch Gegenstand meiner Erklärung von Dezember 2003. Diese Sicherheit braucht er doch auf jeden Fall. Eine reine anonyme Nacherklärung ist schon aus diesem Grund nicht möglich. Das sollten wir einvernehmlich so sehen, weil sonst der Bürger in Unsicherheit bleibt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Dr. Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Frau Staatssekretärin Hendricks, das, was als Rückkehr in die Steuerehrlichkeit bezeichnet wird, ist ja eigentlich - das Wort ist schon gefallen - ein Amnestiegesetz. Gibt es denn in der Geschichte der Bundesrepublik bzw. in den anderen europäischen Ländern Erfahrungen mit solchen Amnestiegesetzen und, wenn ja, welche Effekte hatten solche Gesetze?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

In der Geschichte der Bundesrepublik - darauf hatte ich schon eben hingewiesen - gab es ein ähnliches Gesetz im Jahr 1990. Das bezog sich allerdings ausschließlich auf die hinterzogenen Kapitalzinsen, also auf solche Zinsen, die nicht der Besteuerung unterlegen haben. Unser Vorschlag ist weiter gehend; denn er bezieht sich auch auf das „Schwarzgeld“. Dass ein 25-prozentiger Steuersatz für das nacherklärte Kapital fällig wird, ist ein außerordentlich günstiges Angebot. Es gibt selbstverständlich auch in anderen europäischen Ländern Erfahrungen mit solchen Amnestiegesetzen. Italien, Spanien, aber auch andere Länder haben in jüngerer Vergangenheit ihren Steuerbürgern solche Angebote gemacht. Sie sind natürlich - das gilt auch für die Steuersätze - immer unterschiedlich ausgestaltet gewesen. Aber im Prinzip sind solche Angebote immer von Erfolg gekrönt gewesen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Spiller.

Jörg Otto Spiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, ich möchte noch einmal auf den Prozess der Abwägung zwischen Datenschutzbelangen und dem Anspruch, das Steuerrecht in der Praxis durchzusetzen, zurückkommen. Können Sie bestätigen, dass das hier angesprochene Problem nicht erst bei den geplanten Kontrollmitteilungen über Kapitaleinkünfte auftaucht, sondern dass es beispielsweise bereits seit langem auch bei Grundstücksveräußerungen und Grundstückskäufen Mitteilungen an das örtliche Finanzamt gibt? Können Sie auch bestätigen, dass es bereits heute Mitteilungen an das örtliche Finanzamt gibt, in denen wesentlich mehr Daten offenbart werden, als es bei den geplanten Kontrollmitteilungen vorgesehen ist? Ich möchte das näher erläutern: Es gibt Schriftstücke an das Finanzamt, in denen nicht nur die Höhe des Einkommens, sondern auch die familiären Verhältnisse, die Anzahl der Kinder und die Religionszugehörigkeit verzeichnet sind. Die Schutzbedürftigkeit dieser Angaben, die unter das Persönlichkeitsrecht fallen, bewerte ich sehr hoch. Diese Schriftstücke nennen sich Lohnsteuerkarten.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Spiller, ich kann Ihnen das bestätigen. Es ist in der Tat so, dass in der Öffentlichkeit gerade bei Kapitalerträgen normalerweise ein anderer Maßstab angelegt wird, wenn es um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung geht, als beim übrigen Besteuerungsverfahren; das ist einfach so. Manchmal hat man in der Tat den Eindruck, dass es viele Verbände gibt, die Steuerhinterzieher schützen wollen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Dr. Meister.

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Frau Staatssekretärin, wenn man das, was Sie vorgetragen und geantwortet haben, mit dem vergleicht, was in der Pressekonferenz des Bundeskanzlers und des Bundesfinanzministers geäußert worden ist, dann stellt man fest, dass die Darstellungen an zwei Stellen weit auseinander liegen. Meine Frage ist: Wie hoch schätzen Sie den Verlust an Vertrauen in den Kapitalmarkt ein, der durch die Diskrepanz zwischen dem, was heute im Bundeskabinett verabschiedet worden ist, und dem, was Bundeskanzler und Bundesfinanzminister in einer gemeinsamen Pressekonferenz vorgestellt haben, entsteht? In der gemeinsamen Pressekonferenz wurde mitgeteilt, dass auch nach Einführung einer relativen Zinsabgeltungsteuer alle Steuerpflichtigen ihre Freibeträge und auch ihren persönlichen Steuersatz in Anspruch nehmen können. Das, was dort mitgeteilt wurde, scheint nicht mehr zu gelten. Das heißt, man sorgt für eine massive Verunsicherung im Kapitalmarkt und bei den Anlegern. Was die Kontrollmitteilungen und das von Ihnen hier vorgestellte Wahlverfahren angeht: Damit geht ein massiver Bürokratiezuwachs in Deutschland einher. Wie bringen Sie das mit dem Ziel dieser Regierung, Bürokratie abzubauen, in Einklang?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Meister, es gibt keinen Unterschied zu dem, was der Bundeskanzler und Bundesfinanzminister Eichel in ihrer Pressekonferenz im Dezember des vergangenen Jahres gesagt haben, nämlich dass der Sparerfreibetrag erhalten bleibt. Das ist auch so. Ich sage noch einmal: Es wird dem weiteren Gesetzgebungsverfahren vorbehalten bleiben, die Ausgestaltung im Einzelnen vorzunehmen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das, was wir vorhaben, zu einer Verunsicherung des Kapitalmarktes führt. Wir ergreifen diese Maßnahme insbesondere aus folgenden Gründen - Kollege Solms und vor allem die Bankenverbände haben uns seit Jahren, zu Recht, darauf hingewiesen -: Es gibt, insbesondere im Ausland, in nennenswertem Umfang Schwarzgeld, welches von Unternehmern nicht als Eigenkapital vorgezeigt werden kann. Angesichts der schwieriger werdenden Bedingungen der Kapitalmarktfinanzierung möchten Betriebsinhaber ihr irgendwann ins Ausland gebrachtes Schwarzgeld gern nach Deutschland zurückbringen, um ihre Eigenkapitalquote zu stärken. Außerdem gibt es vermehrt Menschen, die Schwarzgeld erben. Wenn man Schwarzgeld erbt, das in der Schweiz liegt, dann kann man damit zwar vielleicht wunderschöne Urlaube in Sankt Moritz finanzieren; aber man kann es schlecht in seinen heimischen Finanzkreislauf einbeziehen. Drei Wochen Urlaub in Luxemburg - ich möchte dem luxemburgischen Regierungschef Juncker nicht zu nahe treten - macht eigentlich niemand. Was soll man also mit dem geerbten Schwarzgeld machen? Vor diesem Hintergrund verfolgt unsere Politik das Ziel, die Eigenkapitalquote derjenigen, die in früherer Zeit auf nicht steuerehrliche Weise Schwarzgeld erworben oder ohne ihr Zutun Schwarzgeld geerbt haben, zu erhöhen. Ich glaube, dass der Kapitalmarkt damit deutlich stabilisiert wird, weil Deutschland ab dem nächsten Jahr in Verbindung mit der dann erhobenen Kapitalertragsteuer in Höhe von 25 Prozent auch im internationalen Vergleich äußerst moderat besteuert, sodass auch aus diesem Grund kein Interesse mehr daran bestehen kann, sein Geld im Ausland anzulegen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Mir liegen noch Wortmeldungen der Kollegen Schindler, Pinkwart, Kolbe und Michelbach vor. Danach möchte ich diesen Komplex gerne abschließen, damit hoffentlich noch ein wenig Zeit für andere Fragen zur heutigen Kabinettssitzung verbleibt. Herr Kollege Schindler.

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, dieser Ansatz ist allgemein zu begrüßen. Aber was wollen Sie gegen das Misstrauen, das auch in Ihren Formulierungen zum Ausdruck kommt, tun? Sie benutzen die Begriffe „informelle Gleichstellung“ und „Verifikation“. In diese Begriffe kann man viel hineininterpretieren. Welche vertrauensbildenden Maßnahmen wollen Sie - ich erinnere an den Vorschlag der Bankenverbände - ergreifen? Ich rate Ihnen, Unternehmern nicht noch einmal zu unterstellen, sie hätten ihr Geld im Ausland deponiert, nur weil das einige Banker vielleicht annehmen. So weit sollten Sippenhaft und Verdächtigungen nicht reichen; sonst erweckt man den Eindruck, alle Unternehmer in diesem Staat würden so handeln. Wie wollen Sie das Vertrauen, dass totale Anonymität besteht, herstellen, wenn Sie gleichzeitig Kontrollmitteilungen wollen? Wenn das, was Sie vorhaben, kommt, dann wird es keinen Kapitalrückfluss geben. Ohne das nötige Vertrauen werden diejenigen, die gewillt sind, ihr Kapital in zwei oder drei Jahren nach Deutschland zurückzuholen, das nicht tun. Anders gesagt: Aufgrund der Kontrollmitteilungen werden diese Personen fürchten, dass man sie rechtlich noch belangen kann. Wie hoch wird der staatliche Aufwand für die Kontrollmitteilungen sein? Ihr Ansatz als solcher ist doch vollkommen irrelevant, weil er nicht die nötige Wirkung erzielt. Man traut Ihnen doch nicht.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Schindler, zu Beginn Ihrer Frage haben Sie zwei Begriffe genannt, die - wie Sie es ausdrücken zum mangelnden Vertrauen beitragen bzw. sogar Misstrauen schüren. Ich will diese beiden Begriffe aufgreifen. Zunächst komme ich auf den Begriff der „informationellen Selbstbestimmung“ zu sprechen. Dieser Begriff stammt aus dem Datenschutzrecht - dazu gibt es auch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts; das wurde im Zusammenhang mit der Volkszählung erstritten -, der im Wesentlichen beinhaltet, dass der Bürger das Recht an seinen eigenen Daten hat und sie auch gegenüber Verwaltungsbehörden nicht vollständig öffnen muss. Es werden also Grenzen gezogen. Wie aus diesem Sachverhalt mangelndes Vertrauen erwachsen soll, verstehe ich nicht. Möglicherweise haben Sie meine Aussagen nicht richtig verstanden. ({0}) - Ja. Der Begriff des „informationellen Selbstbestimmungsrechts“ wurde vom Datenschutzbeauftragten in die Debatte eingebracht, um das einmal deutlich zu sagen. Dieses Grundrecht der Bürger haben wir selbstverständlich mit den Ansprüchen des Staates abzuwägen. Den Begriff „Verifikation“ haben nicht wir, sondern das Bundesverfassungsgericht gebraucht. Verifikation heißt im Übrigen nichts anderes als Nachprüfbarkeit. ({1}) - Nein. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts besagt Folgendes: Der Gesetzgeber ist verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Gesetze, die er erlässt, auch in gleicher Weise für alle Steuerbürger angewandt werden. Wenn der Gesetzgeber nicht zugleich die Handhabe für eine gleiche Anwendung für alle Bürger schafft, dann ist das Gesetz verfassungswidrig. Gerade deswegen gibt es einen Vorlagebeschluss, der von Professor Tipke initiiert worden ist. Er hält das jetzige Kapitalertragsbesteuerungssystem unter dem Gesichtspunkt der Verifikation für verfassungswidrig, weil die Nachprüfung eben nicht ausreichend ist. Das ist uns also von Verfassungs wegen aufgegeben. Ich bitte Sie als Mitglied dieses Hohen Hauses sehr herzlich, die Prinzipien unserer Verfassung - das tun Sie gewiss - zusammen mit uns zu beachten und nicht anzunehmen, dass man daraus eine Verunsicherung der Bürger ableiten könnte. Ich füge hinzu: Der Bürger, der sein bisher nicht erklärtes Kapital nacherklärt, muss, wenn die Finanzverwaltung zukünftig Fragen bezüglich der Herkunft des Geldes stellt, nachweisen können, dass er das bereits erklärt hat. Beispielsweise muss er sagen können: Das habe ich doch damals, im Dezember 2003, erklärt. Ein total anonymisiertes Nacherklärungsverfahren würde dem Bürger diese Möglichkeit nehmen und ihn für die Zukunft in einer Position der Unsicherheit belassen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Pinkwart.

Andreas Pinkwart (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003610, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, inwieweit kann der von Ihnen vorgesehene pauschalierte Nachversteuerungssatz, den Sie in zwei Stufen einführen wollen, vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die mit derartigen Maßnahmen im Aus2074 land bereits gesammelt werden konnten, tatsächlich zu dem von Ihnen angestrebten Erfolg führen, den Steuerwiderstand zu überwinden und damit zu mehr Steuerehrlichkeit und zu erhöhten Staatseinnahmen zu kommen? Meine Frage bezieht sich auf die Höhe des pauschalierten Nachversteuerungssatzes wie auf die Fristigkeit. Wir haben es nicht nur mit Geldvermögen zu tun, sondern auch mit Sachvermögen. Dabei stellt sich die Frage der Liquidierung dieser Werte, damit die Steuerschuld überhaupt entrichtet werden kann. Mir erscheinen die in Ihrem Eckpunktepapier genannten Zahlen - bis Jahresende 25 Prozent, bis Sommer des nächsten Jahres 35 Prozent - sowohl hinsichtlich des Zeitraums als auch hinsichtlich der Höhe des Nachversteuerungssatzes zu eng bemessen zu sein.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Was die Höhe des Nachversteuerungssatzes anbetrifft, möchte ich auf Folgendes hinweisen: Es geht nicht nur um die Frage „Sind Kapitalerträge der Steuer nicht unterworfen worden?“ Vielmehr gehen wir davon aus, dass es sich um bisher überhaupt nicht versteuertes Kapital handelt, dass also schon die Quelle schwarz ist. Wenn der Bürger nachweisen kann, dass das nicht so ist und er - in Anführungszeichen - lediglich die Kapitalertragszinsen der Steuer bisher nicht unterworfen hat, so kann er dies natürlich nachträglich anmelden. Er wird dann entsprechend besteuert. Dann wird selbstverständlich nicht davon ausgegangen, dass bereits die Quelle des Geldes schwarz war. Wenn Sie im Übrigen bedenken, dass es sich um bisher unversteuertes Geld gehandelt hat und möglicherweise auch Sozialversicherungsbeiträge hinterzogen wurden, müssen Sie davon ausgehen, dass normalerweise Steuerund Sozialabgaben in einer Größenordnung von 65 und 70 Prozent fällig gewesen wären. Vor diesem Hintergrund ist eine Nachbesteuerung in Höhe von 25 bzw. 35 Prozent ein generöses Angebot. Was die kurze Frist anbelangt, so ist es dem Gesetzgeber aufgegeben, den Bürgerinnen und Bürgern zu sagen: Du hast eine Chance, aber ergreife sie auch! - Die Frist für solche Chancen kann man nicht beliebig verlängern und solche Chancen kann man auch nicht beliebig vermehren. Wiederkehrende Amnestien, also solche, die alle paar Monate neu aufgelegt werden, würden bei den Bürgerinnen und Bürgern sicherlich noch mehr Rechtsunsicherheit schaffen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Kolbe.

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, worauf bezieht sich die angedachte Strafbefreiung, nur auf das Steuerdelikt, die Steuerhinterziehung oder Steuerverkürzung, oder auch auf das möglicherweise davor begangene Grunddelikt? Die Frage darf ich an einem Beispiel deutlich machen: Nicht versteuertes Geld kann völlig legal erwirtschaftet worden sein, kann unter Begehung von Ordnungswidrigkeiten - Verstöße gegen Arbeitszeitbestimmungen oder im Zusammenhang mit Aufenthaltserlaubnissen - erwirtschaftet worden sein, kann unter Missachtung der Sozialversicherungsvorschriften erwirtschaftet worden sein, kann aber auch unter Begehung schwerster Verbrechen - gewerblicher Menschenhandel oder gewerblicher Drogenschmuggel - erwirtschaftet worden sein. Worauf bezieht sich also die Strafbefreiung, nur auf das Steuerdelikt, die Steuerhinterziehung oder die Steuerverkürzung, oder darüber hinaus auch auf das möglicherweise vorhergehende Grunddelikt? Wenn das Grunddelikt erfasst wird, ist die weitere Frage: Wird zwischen den möglichen Grunddelikten differenziert und, wenn ja, wie?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Sie bezieht sich auf das Delikt Steuerverkürzung oder Steuerhinterziehung und auch auf die damit möglicherweise in Verbindung stehende Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen. Ich habe eingangs schon ausgeführt, dass selbstverständlich die nationalen, europäischen und internationalen Regelungen zur Bekämpfung der Geldwäsche und der organisierten Kriminalität beachtet werden müssen. Wir würden uns sonst im internationalen Rahmen nicht pflichtgemäß verhalten. Wir haben die Geldwäscherichtlinie der Europäischen Union in nationales Recht umgesetzt und wir müssen auch die Vereinbarungen in der OECD zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität berücksichtigen. Selbstverständlich gilt die Strafbefreiung nicht für solche Grunddelikte. Auch aus diesem Grund ist es nicht möglich, ein rein anonymisiertes Rückkehrverfahren zu installieren; denn dann würden wir die organisierten Kriminellen aller Welt gleichsam auffordern, ihr Geld jetzt in Deutschland reinzuwaschen. Wenn man weiß, wie mühsam Kriminelle ihr Geld normalerweise waschen - sie gehen meinetwegen in ein Spielkasino, wobei für sie die große Gefahr besteht, eine ganze Menge zu verlieren; trotzdem scheint es sich für sie immer noch zu lohnen, mit dem Gewinn, der dabei herauskommt und der dann weiß ist, wegzugehen -, dann kann man ermessen, wie attraktiv es wäre, nur 25 Prozent abgeben zu müssen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzte Frage, Kollege Michelbach. Auch wenn allen Beteiligten klar ist, dass die Materie nun einmal sehr komplex ist, bitte ich mit Blick auf die für die Regierungsbefragung festgelegte Zeitdauer um eine möglichst knappe Frage und eine ebenso knappe Antwort.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, werden Sie bei Ihrer Schwarzgeldamnestie nicht von einem doch sehr einfach strukturierten fiskalischen Wunschdenken geleitet? Ein Steuersatz von 25 Prozent bzw. 35 Prozent ist im internationalen Vergleich doch sehr hoch. Mich würde dann noch interessieren: Ist das inklusive oder exklusive Kirchensteuer und Soli? Ferner: Warum haben Sie diesen Einnahmewunschbetrag gleich in den Haushalt eingestellt? Daraus ergibt sich der Eindruck, dass Sie damit den Haushalt retten wollen. Ist das eigentlich die einzige Grundlage?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Es entspricht dem Grundsatz von Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit, dass absehbare Einnahmen in den Haushalt eingestellt werden. Da die Bundesregierung beabsichtigt, dieses Gesetz bald auf den Weg zu bringen - es soll noch in der ersten Jahreshälfte verabschiedet werden -, und deswegen heute diese Eckpunkte so beschlossen hat, ist das eine vollständige und zutreffende Grundlage für die Aufnahme dieses erwarteten Betrages in den Haushalt. Natürlich ist es interessant, in diesem Jahr noch mit 25 Prozent davonzukommen. Daher ist unsere Erwartung sicherlich nicht zu hoch angesetzt. Sie haben das Spezialproblem Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer angesprochen. Ja, dafür müssen wir im Gesetzgebungsverfahren noch eine Lösung finden. Das ist bei einer Abgeltungsteuer gar nicht so einfach. Dieses Problem wird noch zu lösen sein. Das haben wir den Kirchen auch zugesagt. Rein gesetzestechnisch ist das allerdings nicht so leicht. Darüber müssen wir uns noch einige Gedanken machen. ({0}) - Soli und Kirchensteuer, beides; selbstverständlich. Wir dürfen den Steueranspruch der Kirchen und natürlich auch den Solidaritätszuschlag nicht einfach unter den Tisch fallen lassen. Dafür müssen wir eine Lösung finden; das werden wir auch. Ich kann Ihnen aber die Lösung noch nicht präsentieren, weil es, wie bereits gesagt, rein gesetzestechnisch nicht so einfach ist. Selbstverständlich wird aber darüber nachgedacht und der Steueranspruch der Kirchen gewährleistet bleiben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zu sonstigen Fragen an die Bundesregierung über den behandelten Themenbereich hinaus gibt es eine Wortmeldung des Kollegen Grund. ({0})

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Frage geht an Herrn Staatssekretär Schlauch. Herr Staatssekretär, in den letzten Tagen berichteten verschiedene Tageszeitungen in Deutschland von der Absicht des Bundeswirtschaftsministers, innerhalb Deutschlands Sonderwirtschaftszonen, also Gebiete minderen Rechtes, einzurichten. Darüber wollte er das Kabinett in der letzten oder in dieser Woche informieren. Aufgrund dieser Mitteilung, der auch nicht widersprochen wurde, haben sich verschiedene Industrieund Handelskammern in Deutschland insbesondere aus den neuen Bundesländern gemeldet, die gerne in ihrem Bereich eine Sonderwirtschaftszone hätten. Meine Frage lautet: War dieser Ministervorstoß Gegenstand der heutigen Kabinettssitzung? Wenn nicht, gibt es überhaupt Denkansätze des Ministeriums in diese Richtung und wie gedenkt man, diese umzusetzen? ({0})

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Errichtung von Innovationsregionen oder Sonderwirtschaftszonen war heute nicht Gegenstand der Beratungen des Kabinetts. Wir haben aber im Wirtschaftsausschuss dieses Thema heute ausführlichst besprochen, unter starker Beteiligung auch von Kolleginnen und Kollegen der Opposition. ({0}) Es würde jetzt zu weit führen, wenn ich diese Diskussion zusammenfassen oder wiederholen würde. Es gibt auch einen schriftlichen Bericht des Wirtschaftsministeriums, der heute Gegenstand der Beratungen des Wirtschaftsausschusses war und in dem der Stand der Dinge aufgeführt ist. Ansonsten bin ich und ist selbstverständlich auch das Haus gerne bereit, weitere Fragen zu beantworten. Jetzt würde das aber, wie ich glaube, den Rahmen sprengen. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das ist jedenfalls mit Blick auf die Zeit zutreffend. Ich beende damit die Regierungsbefragung und rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksachen 15/438, 15/460 Gemäß Ziffer 10 der Richtlinien für die Fragestunde sind zunächst dringliche Fragen aufzurufen. Sie liegen auf Drucksache 15/460 vor und betreffen den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Zur Beantwortung steht uns die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Caspers-Merk zur Verfügung. Wir kommen zunächst zur dringlichen Frage 1 des Kollegen Hartmut Koschyk: Aufgrund welcher Erkenntnisse hat das Bundesministerium für Gesundheit im August 2002 auf die illegale Lagerung von Pockenviren in Russland, Nordkorea und vor allem im Irak hingewiesen - vergleiche „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ vom 16. Februar 2003 - und über welche Informationen verfügt die Bundesregierung hinsichtlich der Lagerung und möglichen Herstellung von weiteren biologischen Kampfstoffen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege Koschyk, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Nach Einschätzung deutscher Sicherheitsbehörden waren und sind Anschläge in Deutschland mittels Pockenviren weiterhin eher unwahrscheinlich. Gesicherte Erkenntnisse darüber, dass Terroristen im Besitz von Pockenviren sind bzw. über entsprechende Anschlagsplanungen, lagen und liegen nicht vor. Eine konkrete Bedrohung ist insofern nicht gegeben. Nach unbestätigten nachrichtendienstlichen Informationen, die der Bundesregierung vorliegen, besteht die Möglichkeit, dass Erreger der Humanpocken auch noch außerhalb der beiden legalen Hinterlegungsstellen - das sind die Laboratorien in Atlanta, USA, und Koitsovo, Russland existieren. Der Irak hat Mitte der 90er-Jahre bezüglich seines Biowaffenprogramms gegenüber der Überwachungskommission der Vereinten Nationen UNSCOM ein so genanntes Camel-Pox Project deklariert, also ein Projekt mit Kamelpocken. Gesicherte Erkenntnisse, dass er über Erreger von Humanpocken verfügt, liegen nicht vor.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Herr Kollege Koschyk?

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, über welche Erkenntnisse verfügte dann die Bundesgesundheitsministerin, als sie bereits im Mai 2002 bei der Jahrestagung der Weltgesundheitsorganisation, WHO, in Genf öffentlich davon sprach, es werde vermutet, dass auch im Irak Pockenviren gelagert würden, weshalb vorsorglich Impfdosen für alle Menschen in Deutschland angeschafft würden?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege, die WHO hat in einer ersten Pressemitteilung vom 2. Oktober 2001 ihre Mitgliedsnationen aufgefordert, Pockenimpfstoff anzuschaffen, weil sich die Bedrohungslage nach dem 11. September weltweit verändert hat. Diesem Vorschlag der WHO sind wir unverzüglich nachgekommen. Eine konkrete Bedrohung lag nicht vor; aber eine Bedrohung ist niemals auszuschließen. Das heißt, hier handelt es sich um eine vorsorgende Politik. Deshalb haben wir mit der Beschaffung von entsprechendem Impfstoff nicht erst im Zusammenhang mit dem Irakkonflikt, sondern bereits Ende des Jahres 2001 begonnen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Koschyk?

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, kann denn die Bundesregierung eine Analyse des Bundesnachrichtendienstes bestätigen, über die die Tageszeitung „Die Welt“ vom 19. November des vergangenen Jahres berichtet hat, wonach der Verdacht besteht, dass der Irak noch immer einen Teil seiner in Munition abgefüllten biologischen Kampfstoffe besitzt und der Irak den Besitz von Anthrax, Botulinustoxin und Aflatoxin in munitionierter Form zugegeben hat und an der Forschung und Entwicklung von Mykotoxinen, Rotaviren, ebenso an Pocken, getarnt als Kamelpocken, arbeitet, woraus der BND laut Tageszeitung „Die Welt“ schlussfolgert: „Die verwendeten Produktionsmethoden und hohen Ausbeuten deuten auf eine fortgeschrittene Technologie hin.“ Es müsse befürchtet werden, dass der Irak „innerhalb von mehreren Monaten sein B-WaffenProgramm wieder aufleben lassen könnte“.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Sehr geehrter Herr Kollege, zunächst einmal will ich festhalten, dass wir zu dieser Pressemitteilung nicht Stellung nehmen. Zu der Gefährdungslage habe ich ausführlich Stellung bezogen. Der 11. September 2001 und die Folgeanschläge haben verdeutlicht, dass islamistische Terroristen durch ihre Anschläge den Tod Tausender Unschuldiger herbeiführen wollen. Das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst beurteilen übereinstimmend, dass keine Anzeichen für eine kurz- oder mittelfristige Entspannung dieser insgesamt hohen Gefährdungslage gesehen werden. Es dürfte daher klar sein, dass die Bundesregierung für alle möglichen Gefahren Vorsorge zu treffen hat. Ich weise allerdings nochmals darauf hin, dass keine gesicherten Hinweise auf konkrete Anschläge mit Pocken in Deutschland oder gegen deutsche Interessen im Ausland vorliegen. Insofern sage ich ausdrücklich, dass es sich hier um eine abstrakte und nicht um eine konkrete Gefährdungslage handelt. Aber auch auf abstrakte Gefährdungslagen muss die Bundesregierung vorbereitet sein. Eine abstrakte Gefährdungslage haben Sie zum Beispiel, wenn Sie in einem Haus mit Feuer rechnen müssen. Für diesen Fall haben wir eine Feuerwehr und Brandmelder. Eine konkrete Gefährdungslage bestünde, wenn ein Brandstifter unterwegs wäre. Wir halten daran fest, dass wir derzeit eine abstrakte Gefährdungslage haben. Wir sollten in der Diskussion über das Thema Pocken, über das sich die Menschen draußen Sorgen machen, auch klar sagen, dass wir zwar für einen eher unwahrscheinlichen Eventualfall Vorsorge treffen, aber dass wir gut daran tun, auf diesen Eventualfall vorbereitet zu sein.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die nächste Wortmeldung ist von Frau Kühn-Mengel.

Helga Kühn-Mengel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003010, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das Gehörte aufgreifend, Frau Staatssekretärin, möchte ich fragen: Hätte die Bundesregierung also in jedem Fall, auch bei noch so geringer Wahrscheinlichkeit, dass Pockenviren freigesetzt werden, diese Maßnahme ergriffen und befinden Sie sich hier auch im Einklang mit Fachleuten im In- und Ausland?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin Kühn-Mengel, wir befinden uns in vollständigem Einklang mit den Fachleuten im In- und Ausland. Alle betreiben Vorsorge durch die Vorhaltung von Pockenimpfstoff. Es ist ja so, dass die Pocken Ende der 70er-Jahre international als ausgerottet galten. Aus diesem Grunde stand praktisch nirgendwo mehr Impfstoff zur Verfügung oder es gab nur noch Restbestände. Insofern war es vorsorgende Politik, diesen Impfstoff zu besorgen und die Bestände Zug um Zug aufzufüllen. Wir befinden uns damit auch in Übereinstimmung mit den Bundesländern; es handelte sich um eine gemeinsame Beschaffungsaktion. Wir hätten in jedem Fall, auch bei einer geringeren Bedrohung, so handeln müssen; denn bei diesem Erreger ist die einzige Vorsorgemöglichkeit das Impfen. Auch bei einem sehr viel kleineren Restrisiko hätten wir im Sinne einer vorausschauenden Gesundheitspolitik immer so gehandelt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Mantel.

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, hat die Bundesregierung ihre Verbündeten und vor allem auch die UNO-Inspektoren über ihre Erkenntnisse hinsichtlich der Gefährdungslage informiert?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin, ich habe gerade erläutert, dass es keine konkrete, sondern nur eine abstrakte Gefährdungs- und Bedrohungslage gibt. Wir haben also keine anderen Erkenntnisse als die, die es international gibt. Ich will noch einmal deutlich sagen, dass wir nicht mehr wissen als die Waffeninspekteure. Um mehr Informationen zu bekommen, sollen sie im Irak ihre Arbeit tun.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Dreßen.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, wir haben im Ausschuss über das Problem sehr intensiv und sehr offen diskutiert. Ich hatte dort das Gefühl, dass die Opposition mit dem, was wir getan haben, einverstanden war. Deswegen verstehe ich nicht - das kann man verschiedenen Pressemeldungen entnehmen -, dass das jetzt anders gesehen wird. Meine Frage an Sie: Erfolgte die Einschätzung hinsichtlich der Gefährdung durch Pockenerreger im Einklang mit den Ländern oder gab es bei den Vorgesprächen andere Meinungen? Halten Sie das, was derzeit abläuft, nämlich dass man versucht, sozusagen eine Panik loszutreten, nicht für etwas wirr? Ich bin wirklich schockiert, wie die Opposition zum Teil unsere Maßnahmen kritisiert.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege Dreßen, wir haben im Gesundheitsausschuss und auch im Haushaltsausschuss in mehreren Sitzungen in der Tat sehr umfangreich über die Beschaffung des Pockenimpfstoffs informiert. Darüber hinaus gab es seit dem 15. Oktober 2001 in diesem Hohen Hause elf schriftliche und mündliche Fragen von Kolleginnen und Kollegen an die Bundesregierung. Auch diese Fragen sind umfassend beantwortet worden. Ich glaube, es muss einen Grundkonsens darüber geben, dass die Beschaffung des Pockenimpfstoffs in unser aller Interesse liegt und dass es am besten wäre, wir müssten ihn niemals einsetzen. Deswegen halte ich die haarspalterische Debatte über die Gefährdungslage für wenig zielführend. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Storm.

Andreas Storm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002811, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie haben ausgeführt, es gebe nur eine abstrakte, aber keine konkrete Bedrohungslage. Es gibt aber einen Vermerk aus Ihrem Ministerium vom 9. August, in dem von dokumentierten Erkenntnissen die Rede ist, dass der Irak über Biokampfstoffe verfügt. Die Ministerin hat in einer Sitzung des Haushaltsausschusses am 13. November vergangenen Jahres erklärt, es sei davon auszugehen, dass Staaten wie Nordkorea oder Irak über Pockenvirenstämme verfügten, weshalb es eine potenzielle Bedrohung gebe. Deshalb sei auch die Gefahr nicht auszuschließen, dass sich jemand selbst infizieren könne, um als Selbstmordattentäter zu fungieren. Dieses widerspricht klar Ihrer Aussage, es gebe nur Hinweise auf eine abstrakte, aber nicht auf eine konkrete Gefahr. Hat die Ministerin im Haushaltsausschuss in diesem Punkt wissentlich die Unwahrheit gesagt? ({0})

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege Storm, ich weise das in aller Form zurück. Mir liegt das Protokoll der Sitzung des Haushaltsausschusses vom 13. November vor. Wenn Sie genau nachlesen, können Sie Formulierungen finden wie die, es werde allerdings vermutet, dass es Pockenviren gebe, die in Staaten wie dem Irak oder Nordkorea gelagert werden könnten. Aus einem Konjunktiv einen Indikativ und aus Hinweisen Nachweise zu machen ist nicht statthaft. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Sonntag-Wolgast.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, wie erklären Sie sich die zunehmende öffentliche Aufregung angesichts der Tatsache, dass bereits im August diese Maßnahmen intern bekannt waren und dass sie im November sowohl im Ausschuss als auch in Pressemeldungen - es wurde eben die „Welt“ zitiert - aufgegriffen wurden? Es gab damals ein vergleichsweise geringes Echo. Wie erklären Sie sich, dass es zu einer deutlichen Zunahme der öffentlichen Aufregung gekommen ist?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin, ich erkläre mir das so, dass die Beschaffungsaktion in den Zusammenhang mit der innenpolitischen Auseinandersetzung um den Irakkonflikt gebracht wird, was nicht zutreffend ist. Wenn man die gesamte Entwicklung zurückverfolgt - das hatte ich eingangs erläutert -, dann stellt man fest, dass wir schon Ende des Jahres 2001 die ersten 6 Millionen Impfstoffdosen, die damals noch verfügbar waren, gekauft haben. Es handelte sich dabei um Bestände des Impfstoffes, der früher von der WHO eingesetzt worden ist. Das heißt, wir haben damals auf die aktuelle Bedrohungssituation nach dem 11. September 2001 reagiert. Alle unsere Maßnahmen sind in den Zusammenhang mit der allgemeinen Vorsorge für unsere Bevölkerung zu bringen. Jetzt wird versucht, das Ganze in einen innenpolitischen Zusammenhang zu stellen, der damals nicht gegeben war.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Binninger.

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Ihr Haus spricht von einem Szenario mit bis zu 25 Millionen Toten in einem Fall, der hoffentlich nie eintritt und gegen den man alles Erdenkliche tun muss. Ich frage Sie: Welche konkreten Erkenntnisse, die zu einem solchen Szenario Anlass geben, haben Sie? Inwiefern können vor dem Hintergrund, dass wir zwischen konkreter und abstrakter Gefahr unterscheiden, infizierte Selbstmordattentäter das Pockenvirus hier wirklich verbreiten?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege, wir können dies nicht ausschließen, da es in den USA und in Russland jeweils ein Laboratorium gibt, in denen entsprechende Virenstämme gelagert wurden, wobei nicht auszuschließen ist, dass aus diesen Beständen Virenstämme abhanden gekommen und verbreitet worden sind. Wir wissen es nicht. Nicht wissen heißt in diesem Falle, dass man auf alles Erdenkliche vorbereitet sein muss. Die einzige Möglichkeit, Vorsorge zu betreiben, besteht darin, Impfstoffe einzulagern. Das tun wir auch. Ich darf Sie daran erinnern, dass gerade von Ihrer Fraktion bzw. von Ministerpräsident Koch im November letzten Jahres vehement gefordert wurde, eine Versorgung mit Impfstoff für die gesamte Bevölkerung vorzusehen. Wir haben dies eingeleitet. Sie wissen, dass es eine Verabredung der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler gab. Wir setzen dieses gemeinsam abgesprochene Vorgehen Zug um Zug um. Deswegen verstehe ich diese Debatte und diese Auseinandersetzung darum nicht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Lotz.

Erika Lotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002726, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, Sie hatten vorhin auf die Frage des Kollegen Dreßen berichtet, dass Sie diese Vorsorge im Einklang mit Fachleuten im In- und Ausland getroffen haben. Meine Frage lautet konkret: Welche Erkenntnisse lagen diesen Planungen zugrunde?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin Lotz, wir haben unmittelbar nach der Warnung durch die WHO und nach dem 11. September reagiert, indem zwischen Bund und Ländern zum Thema Gesundheitsschutz eine gemeinsame Arbeitsgruppe eingerichtet wurde. Dort waren die Fachleute der Länder und des Bundes für die Innen- und die Gesundheitspolitik unter Moderation des Robert-Koch-Instituts beisammen. Im Hinblick auf alle möglichen Formen bioterroristischer Angriffe wurden dort Szenarien entwickelt. Eines der Ergebnisse war, dass wir in Bezug auf die Bedrohung durch Pockenviren am schlechtesten geschützt sind, weil diese Krankheit als ausgerottet galt und wir keine Impfstoffe mehr eingelagert hatten. Aus dieser Situation heraus haben wir gehandelt. Denn bei einem Ausbruch dieser Krankheit ist das Bedrohungsszenario in der Tat enorm. Wir sind zudem der Auffassung: Wenn man ein Risiko nicht ausschließen kann, muss man Vorsorge betreiben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Schröder.

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie sagen, dass Sie Vorsorge treffen. Deshalb meine Frage: Was hat die Bundesregierung bisher veranlasst und was wird die Bundesregierung noch veranlassen, um die bei Pockenimpfungen entstehenden Nebenwirkungen, die gefährlich sind, zu verhindern?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege, Sie sprechen damit eine sehr schwierige Frage an. Denn der derzeit eingelagerte Impfstoff hat keine Zulassung mehr - dies ist im Übrigen weltweit so -, weil diese Krankheit als ausgerottet galt. Vor diesem Hintergrund haben wir in Deutschland auch Ende der 70er-Jahre die Reihenpockenimpfungen eingestellt. Bei der Pockenimpfung gibt es ja Nebenwirkungen. Man spricht von ungefähr 50 bis 100 Nebenwirkungsfällen und ein bis zwei Todesfällen pro 1 Million Impfungen. Deswegen verbietet es sich auch, prophylaktisch zu impfen. Aus diesem Grund haben wir in der damaligen Situation, als die Krankheit als ausgerottet galt, eben nicht mehr geimpft. Der heutige Impfstoff, der von uns eingelagert wird, ist im Labor getestet. Er ist stabil und kann auch nach Auftreten eines ersten Falles noch bis zu fünf Tage eingesetzt werden. Die Impfungen sind dann noch voll wirksam. Es ist Aufgabe der Hersteller, einen nebenwirkungsärmeren Impfstoff zu entwickeln. Im Moment bemühen sich zumindest zwei Hersteller, zunächst einmal die Zulassung für den Impfstoff zu erwerben und als nächsten Schritt einen nebenwirkungsärmeren Impfstoff zu entwickeln. Aber wir haben seit über 20 Jahren keine Erfahrungen mehr mit diesem Impfstoff. Deshalb haben wir auch keine gesicherten Erkenntnisse, ob andere Formen, zum Beispiel eine Vorimpfung mit MVA - darüber wurde in Bayern einmal diskutiert -, wirklich wirksam sind und den vollen Impfschutz bieten. Es gibt eben keine Erfahrungen an getesteten Menschen. Deswegen haben wir uns in der Logik so wie alle anderen Nachbarländer verhalten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Hohmann.

Martin Hohmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, man hat aus Ihrem Hause, von Ihrer Ministerin, und vom Herrn Bundesinnenminister durchaus unterschiedliche Bewertungen des ganzen Sachverhaltes gehört. Wie erklären Sie sich diese unterschiedlichen Bewertungen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Ich glaube nicht, dass es zu unterschiedlichen Erklärungen gekommen ist, sondern es wurde ein interner Vermerk hochgespielt. Es ist im Übrigen auch in den vier Pressemitteilungen des BMGS zum Thema Pocken nachzulesen, dass die Einschätzung des BMGS vollständig der Einschätzung entspricht, die auch der Bundesinnenminister vorgetragen hat. Wir sprechen von einer angespannten Gefährdungslage, von einer Situation, in der es eine Gefährdung geben kann, in der wir es aber nicht wissen und aus diesem Grund Vorsorge betreiben. Ich verstehe nicht ganz, weshalb wir kritisiert werden. Ich glaube, bei der derzeitigen weltweiten Situation wäre es unverantwortlich, keine Vorsorge zu betreiben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Da es zwischendurch immer wieder Signale gibt, die die Frage beinhalten, ob wir Wortmeldungen registriert haben: Ich hoffe, dass wir die allermeisten tatsächlich registriert haben. Die Zahl der Zusatzfragen hält sich ziemlich stabil bei einem Dutzend. Diesen Hinweis gebe ich, damit jeder weiß, mit welchem Zeitaufwand noch zu rechnen ist. Die nächste Wortmeldung ist die des Herrn Kollegen Wodarg.

Dr. Wolfgang Wodarg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, wie beurteilen Sie die von Bayern in die Diskussion gebrachte Nutzung des bei München hergestellten MVA-Impfstoffes angesichts der Tatsache, dass dort wahrscheinlich mit weniger Nebenwirkungen zu rechnen ist, dass aber auch wahrscheinlich die Schutzwirkung nicht so stark ist, dass also nicht sicher zu sagen ist, ob überhaupt eine Schutzwirkung durch diesen Impfstoff besteht, und wie halten Sie es damit, dass wir die Bevölkerung bundesweit möglichst in gleichem Maße schützen wollen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege Wodarg, ich kann das fachlich nicht selbst beurteilen, sondern wir stützen uns hierbei auf die Beurteilung durch das Robert-Koch-Institut. Dort wird gesagt: Wenn es wirklich eine Bedrohungslage gibt, können wir es uns nicht leisten, mit einer Vorimpfung zu beginnen, ohne zu wissen, ob diese Vorimpfung nur die Nebenwirkungen oder auch die Impfwirkung reduziert. Aus diesem Grunde haben wir uns für den konventionellen Weg entschieden, im Übrigen gemeinsam mit den Bundesländern und den europäischen Partnern. Damit eine Vorimpfung irgendwann einmal erfolgreich sein kann, müssten die Impfstoffe weiterentwickelt und getestet werden. Dies wäre Aufgabe der Herstellerfirma, die daran ja auch ein großes Interesse haben müsste.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Luther.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin Casper-Merk, im Zusammenhang mit der Aufstellung des Bundeshaushalts für 2002, also im Jahr 2001, wurden vor dem Hintergrund des 11. September 6 Millionen Dosen Pockenimpfstoff angeschafft. Das geschah sicherlich vor dem Hintergrund der „allgemeinen abstrakten Gefahr“, wie es Bundesminister Schily bezeichnet hat. Für die Haushaltsvorlage, die im August zur Beschaffung von weiteren Dosen geführt hat, ist ausgeführt worden - ich zitiere aus einem Informationspapier für den Haushaltsausschuss -: „Neue Erkenntnisse der Nachrichtendienste über die Wahrscheinlichkeit eines bioterroristischen Angriffs mit Pockenviren zwangen angesichts des hohen Gefährdungspotenzials für die Bevölkerung zu sofortigem Handeln.“ Können Sie mir erläutern, welcher Unterschied in der Betrachtung der derzeitigen Gefahrenlage gegenüber der allgemeinen, abstrakten Gefahrenlage, also im November 2001 gegenüber dem Sommer 2002, besteht?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Zunächst, Herr Kollege Luther: Mein Name ist CaspersMerk. Zweitens weiß ich gar nicht, ob Sie hier aus internen Protokollvermerken oder Vorlagen zitieren dürfen. Es befremdet mich immer etwas, wenn ich diese in der Zeitung wiederfinde; gerade dann, wenn man im Haushaltsausschuss Vertraulichkeit vereinbart. Nun möchte ich aber drittens gern Ihre Frage beantworten. Es handelt sich bei den dokumentierten Erkenntnissen um Vermerke, die alle von Mai 2002 und August 2002 stammen. Sie müssen sehen: Wir diskutieren dies alles jetzt vor einem anderen Hintergrund. Damals gab es im Prinzip keine Waffeninspektionen und keine gesicherten Erkenntnisse, sondern man hat gemutmaßt. Vor dem Hintergrund dieser abstrakten Gefährdungssituation wurde Impfstoff beschafft. Ich erinnere mich, dass damals von allen Seiten gefordert wurde, den Pockenimpfstoff auf eine Vollversorgung der Bevölkerung aufzustocken. Auch von Ihrer Seite gab es laute Stimmen, dass wir die Vollbevorratung sehr schnell und sehr zügig vornehmen sollten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Strobl.

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wir sind uns sicher einig, dass wir wegen der Gefahr terroristischer Angriffe wachsam sein und bleiben müssen, aber gleichzeitig nicht durch ungerechtfertigte Übertreibungen zu einer Panikmache in der Bevölkerung kommen dürfen. ({0}) Deswegen ist meine Frage: Wie ist es eigentlich vor diesem Hintergrund zu verantworten, dass in Ihrem Hause Sprechzettel für die Ministerin und amtliche Vermerke gefertigt werden, auf denen die Rede von 40 Prozent Todesfällen, das heißt 25 Millionen Menschen allein in der Bundesrepublik Deutschland, im Falle eines terroristischen Angriffs ist? In diesem Zusammenhang frage ich auch: Wie beurteilen Sie es dann eigentlich, dass solche Sprechzettel aus Ihrem Hause an die Presse lanciert werden, und wer trägt dafür die politische Verantwortung?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege, auch ich finde, dass man mit den Sorgen der Menschen nicht spielen sollte. Deswegen hat mich die Art und Weise, wie diese Diskussion geführt wird, etwas befremdet, weil wir uns doch einig sein sollten, ({0}) dass es eine richtige Politik war, den Impfstoff anzulegen, zu bevorraten und Zug um Zug aufzustocken. Es war zweitens richtig, dies vor dem Hintergrund der weltpolitischen Gefährdungslage zu tun. Es ist auch richtig, dass man hier durch eine innenpolitische Debatte nicht weiterhin zur Verunsicherung beitragen sollte. Darüber hinaus will ich Ihnen gern noch einmal sagen - ich habe hier vorhin aus dem Protokoll zitiert -: Wenn Sie Hinweise haben, sind es keine Nachweise, und eine Gefährdungssituation ist keine aktuelle, konkrete und sichere Gefährdung. Deswegen sollten wir froh sein, dass wir nicht über eine konkrete Gefährdungssituation in Deutschland reden müssen, sondern für abstrakte Gefährdungssituationen Vorsorge betreiben. Genau dies haben wir getan. Ich kann Ihnen auch nicht sagen, wie die Presse an diese internen Dokumente kommt. Dies führt natürlich dazu, dass wir unsere sehr offene Informationspolitik gegenüber Haushalts- und Gesundheitsausschuss noch einmal überdenken. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es besteht ja voraussichtlich noch Gelegenheit zur Diskussion, sodass wir uns jetzt bei den zahlreichen angemeldeten Wortmeldungen vielleicht zunächst auf diese konzentrieren sollten. Bitte schön, Frau Mattheis.

Hilde Mattheis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003588, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, teilt die Bundesregierung die Einschätzung von Fachleuten, dass ohne Vorsorge und im Falle des Ausbruchs von Pocken in Deutschland mit ungefähr 30 Millionen Toten zu rechnen wäre?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Diese Zahl, die uns die Fachleute nennen, ist bei der Pockenerkrankung leider Realität. Deswegen wäre der Ausbruch der Pocken eben auch ein Super-GAU. Pocken gehören zu den wenigen Krankheiten, die man nicht mit Antibiotika, sondern nur durch Impfen in den Griff bekommen kann. Aus diesem Grunde ist die Vorsorge so wichtig. Deswegen haben wir genau dies getan.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Weiß.

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, können Sie mir bitte noch einmal erläutern - ich habe es nicht recht verstanden -, wie ein M-Sprechzettel aus Ihrem Hause, der in die Redaktion der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gelangt ist, als Begründung dafür dienen kann, dass Sie Ihren Informationspflichten gegenüber dem Gesundheitsausschuss und dem Haushaltsausschuss nicht mehr in dem gleichen Umfang wie bisher genügen wollen? ({0})

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege, ich habe mich in meinen Ausführungen nicht nur auf den Sprechzettel, sondern auch auf ausführliche interne Aktenvermerke bezogen, die ausgedruckt worden sind. ({0}) Diese kamen nicht aus unserem Hause. Sie wurden an die Mitglieder des Haushaltsausschusses zur Vorbereitung der Beratung über die zusätzliche Ausgabe für den Impfstoff verteilt. Wie diese an die Presse gelangen konnten, wissen wir nicht. Es kann auch nicht in unserem gemeinsamen Interesse liegen, dass so etwas an die Presse gespielt wird. Die dadurch entstehende Verunsicherung liegt sicher nicht im Interesse des Hauses. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Reichenbach.

Gerold Reichenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003615, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, vor dem Hintergrund, dass bereits im August des letzten Jahres unter anderem in der „FAZ“ auf Hinweise rekurriert wurde, dass unter Umständen in Nordkorea, im Irak, aber auch möglicherweise in anderen Ländern Biokampfstoffe und entsprechende gefährliche Erreger existieren - neben Anthrax waren auch Pocken genannt -, frage ich Sie: Ist es richtig, dass diese allgemeinen Gefährdungshinweise bis heute allgemein geblieben sind, und ist es richtig, dass eine abstrakte Gefährdung genauso von Korea wie von einem anderen potenziellen Träger solcher Waffen ausgehen könnte, der sich diese Waffen beschafft und irgendwo in dieser Welt in Umlauf bringt?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege, es ist zutreffend, dass wir die Gefahr nicht an einem bestimmten Staat und einer bestimmten Situation festmachen können. Wir müssen vielmehr davon ausgehen, dass sich Pockenerreger in den Labors irgendwelcher anderen Staaten befinden. Wir wissen es eben nicht genau. Wir müssen deshalb auf diese Gefährdung vorbereitet sein. Sie wissen, dass es Aufgabe der Waffeninspekteure ist, die Frage nach biologischen und chemischen Kampfstoffen zu beantworten. Wir erhoffen uns durch die Weiterarbeit der Waffeninspekteure mehr Klarheit. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Bosbach.

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wir stimmen Ihnen ausdrücklich zu, dass streng zwischen Vermutungen, über die und deren politische Wertung man streiten kann, und Tatsachenbehauptungen, die stimmen müssen, unterschieden werden muss. Für den Fall, dass sie nicht stimmen, haben wir einen Untersuchungsausschuss eingerichtet. Ich möchte Sie nur mit Tatsachenbehauptungen und nicht mit Mutmaßungen konfrontieren. In dem Schreiben vom 9. August 2002 zur Erlangung der Haushaltsmittel zum Erwerb der Impfdosen heißt es unter anderem wörtlich: Den deutschen Sicherheitsdiensten liegen dokumentierte Erkenntnisse vor, dass Pockenerreger außerhalb der offiziellen Labore in Atlanta und Koitsovo illegal, z. B. in Russland, Irak und Nordkorea, gelagert werden. Ebenso gibt es Hinweise darauf, dass sich Terrorgruppen um die Herstellung biologischer Kampfstoffe bemühen. Dies sind Tatsachenbehauptungen. Stimmt diese Bedrohungsanalyse? Stimmen die Sachverhalte oder stimmen sie nicht? Ist das, was hier steht, richtig oder falsch? Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. ({0})

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege Bosbach, dieser Vermerk ist im August letzten Jahres und nicht vor einer zugespitzten innenpolitischen Debatte über den Irak verfasst worden. ({0}) - Die Frage beantworte ich gern. Ich glaube, dass es richtig ist, zum Thema „dokumentierte Erkenntnisse“ nochmals festzuhalten: Der Begriff „dokumentierte Erkenntnisse“ bezeichnet Hinweise auf das Vorliegen von Informationen in aufbereiteter Form, denen eine Wahrscheinlichkeitsanalyse zugrunde liegt. Mit dokumentierten Erkenntnissen sind aber keineswegs eindeutige Beweise oder Erkenntnisse zur absoluten Sicherheit gemeint. Dieser Begriff beschreibt lediglich eine Gefährdungslage. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Müller, bitte schön.

Hildegard Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003598, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, angesichts der Tatsache, dass aus verschiedenen Häusern anscheinend des Öfteren Dokumente an die Öffentlichkeit gelangen, frage ich Sie: Kann die Bundesministerin ausschließen, dass Personen, die nicht geheimschutzermächtigt sind, in ihrem Haus an Un2082 terlagen gelangen können, die dem Geheimschutz unterliegen? ({0})

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin, wir gehen natürlich davon aus, dass bei uns alle Regelungen des Geheimschutzes eingehalten werden. Allerdings wurde gerade, obwohl wir uns hier in einer öffentlichen Fragestunde befinden, aus einem internen Aktenvermerk zitiert, der eigentlich nur Mitgliedern des Haushaltsausschusses zugänglich war. So etwas wird nach wie vor gemacht. Wir werden dafür Sorge tragen, dass diese Diskussion nicht weiter geführt wird, weil sie zur Verunsicherung der Bevölkerung beiträgt. Die Menschen haben Sorge, ob eine konkrete Gefährdung vorliegt. Eine solche konkrete Gefährdung liegt - das betone ich noch einmal - nicht vor. Es handelt sich um eine abstrakte Gefährdung, auf die wir vorbereitet sind. Eine Debatte, wie wir sie führen, verstehen die Menschen außerhalb dieses Hauses sicherlich nicht. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Schmidbauer, bitte.

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, angesichts dessen, was der Kollege Bosbach eben hier zitiert hat, will ich nachfragen. In einer Kurzinformation ohne Klassifizierung vom September, an der Ihr Haus beteiligt war, wurde vermerkt, ({0}) dass geheime Informationen vorliegen, wonach die sofortige Beschaffung des Impfstoffes ohne Rücksicht auf die Rechtslage zu fordern sei, dass aber weitere Einzelheiten wegen der Geheimhaltungsverpflichtung nicht mitgeteilt werden könnten. Die Beschaffung von arzneimittelrechtlich nicht zugelassenem Pockenimpfstoff in dieser Situation ist nicht zu kritisieren. Aber wenn bei der Beschaffung erklärt wird, dass geheime Informationen vorliegen, dann kann es nicht nur „Hinweise“ gegeben haben; dann müssen schon Fakten vorgetragen worden sein, mit denen die Notwendigkeit dieser Schritte untermauert wurde.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege Schmidbauer, es handelt sich - das sage ich nochmals - um Vermerke vom Sommer letzten Jahres. Es gab damals weder Waffeninspektoren im Irak noch deren Erkenntnisse. Wir hatten aus den 90er-Jahren nur einzelne Hinweise - das habe ich vorhin vorgetragen -, dass im Irak zum Beispiel mit Kamelpocken experimentiert wurde. Das war angemeldet. Es war aber nicht auszuschließen, dass diese Kamelpocken weiterentwickelt wurden. Deswegen haben wir uns entschieden, Vorsorge zu betreiben. Hinweise sind allerdings keine Nachweise und auch keine gesicherten Erkenntnisse. Alles, was wir damals hatten, waren einzelne Hinweise, die von den Diensten zusammengetragen wurden. Es gab schon im Oktober 2001 ein ausdrückliches Votum der WHO - das mit der Irakdebatte überhaupt nichts zu tun hatte -, Impfstoff zu besorgen, um im Eventualfall die eigene Bevölkerung zu schützen. Unsere europäischen Nachbarn haben dies Zug um Zug getan. Auch wir in der Bundesrepublik Deutschland verfügen heute über nahezu 50 Millionen Dosen Impfstoff. Bis Ende März werden wir nahezu eine Vollversorgung erreicht haben. Es besteht mit allen Bundesländern die Absprache - das wird von ihnen geteilt -, dass wir bis zum September über 100 Millionen Dosen verfügen werden. Auch hier waren sich alle in der Gefährdungseinschätzung und bei dem, was zu tun ist, einig. Auch der Phasenplan zur Abwehr wurde in Bund-LänderArbeitsgruppen gemeinsam erarbeitet.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Dr. Ober, bitte.

Dr. Erika Ober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003603, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, Anfang November letzten Jahres forderte der hessische Ministerpräsident Roland Koch eine volle Bevorratung mit Pockenimpfstoff, ({0}) weil - ich zitiere alles fachlich Notwendige zum Schutz unserer Bevölkerung getan werden muss. Wie war damals die Position der Bundesregierung dazu? Und wie wird die Abstimmung mit den Partnern in Europa und in Übersee gehandhabt?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Zunächst einmal: Als die Forderung des hessischen Ministerpräsidenten gestellt wurde, hatte die Bundesregierung bereits gehandelt. ({0}) Ich hatte vorhin bereits gesagt, dass bis Ende 2001 aufgrund einer neuen Impftechnik - es geht um den Einsatz von neuem Nadelmaterial - sechs Millionen Dosen auf 24 Millionen Dosen weiterentwickelt werden konnten. Bis Oktober 2002, bevor also diese Forderung gestellt wurde, hatten wir weitere 11,3 Millionen Dosen allein aus Bundesmitteln angeschafft. Am 19. Dezember fand die Ministerpräsidentenkonferenz statt, auf der abgesprochen wurde, eine Vollbevorratung durchzuführen. Am 21. Januar und am 7. Februar haben wir dann die restlichen Dosen beschafft, sodass wir Ende März - das habe ich bereits ausgeführt - eine Bevorratung von rund 70 Millionen Dosen erreicht haben werden. Als diese Forderung aufkam, hatten wir also längst gehandelt. Im internationalen Bereich befinden wir uns im Einklang mit unseren Partnern. Es gab die so genannte OttawaGruppe - dazu gehören die G7-Staaten, die WHO und die EU-Kommission -, die genau dieses, nämlich das Anlegen einer Vollbevorratung, für die Bevölkerung gefordert hat. Dabei wurde überhaupt nicht über Details der Sicherheitslage gestritten. Nach dem 11. September hat sich die Welt verändert. Auf diese neuen Gefährdungssituationen müssen wir vorbereitet sein.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Grindel.

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ich möchte noch einmal auf den Vermerk vom 9. August mit dem Hinweis auf dokumentierte Erkenntnisse zurückkommen. Trifft es zu, dass dieser Vermerk das Bundesfinanzministerium über das Bundesinnenministerium erreicht hat und dass das Bundesinnenministerium keinerlei Veränderungen vorgenommen hat, dass sich die Erkenntnisse, die dort bestanden, also offenbar mit der Einschätzung, die in diesem Vermerk wiedergegeben worden ist, decken? ({0})

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Sie haben bezogen auf das Bundesinnenministerium gefragt. Deshalb bitte ich das Bundesinnenministerium, dazu Stellung zu nehmen. Ich kann nur wiederholen: Wir haben es nochmals überprüft. Die Ministerin hat im Haushalts- und im Gesundheitsausschuss immer gesagt, dass zwar keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen, man es aber nicht ausschließen kann. Aus dieser Situation heraus werde der Pockenimpfstoff beschafft. Deswegen weiß ich auch nicht, was zu kritisieren ist. Egal, ob die Gefährdungslage niedrig oder anders einzuschätzen gewesen wäre: Wir hätten in jedem Fall Impfstoff besorgt, weil es immer die bessere Strategie ist, Vorsorge zu betreiben, als sich hinterher in einer Situation zu befinden, in der keine Vorräte angelegt wurden. ({0}) Deshalb noch einmal: Wir haben es so verstanden, dass im August Hinweise in Berichten - dort wurden sie zusammengetragen - vorgelegen haben. Aus diesen Berichten ist zitiert worden. Die Ministerin hat im Haushaltsausschuss aber eindeutig und klar gesagt, dass wir es nicht sicher wissen. Aus diesem Grunde wollten wir Vorsorge betreiben und haben um Unterstützung gebeten. Dieser Bitte ist der Haushaltsausschuss dann auch nachgekommen. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Rose.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, nachdem Sie ständig versuchen, das Wort „abstrakt“ zu verwenden sowie von Vorbeugung zu reden, und sich dann wundern, dass es in der Innenpolitik derzeit eine größere Diskussion gibt, frage ich Sie: Möchten Sie nicht zur Kenntnis nehmen, dass der Bundesaußenminister auf der Sicherheitskonferenz in München im Zusammenhang mit Irak und Saddam Hussein wörtlich davon gesprochen hat, dass er versucht, in den Besitz von Massenvernichtungswaffen zu gelangen? Ein Bundesminister äußert so etwas öffentlich und es tauchen noch andere Meldungen auf, die von dem sprachen, was unter einem gewaltigen Druck damals - sicherlich lag dies einige Monate zurück - sowohl vom Bundesgesundheitsministerium als auch - dies hat der Kollege Schmidbauer gesagt - vom Bundesverteidigungsministerium geäußert wurde. Es ging um außerplanmäßige Ausgaben und erhebliche Forderungen an den Haushaltsausschuss, der das sofort genehmigen möge. Glauben Sie dann nicht, dass es sich nicht nur um eine hochgespielte innenpolitische Diskussion, sondern um eine schwere Sorge der Bevölkerung handelt, die endlich wissen will, was hier gespielt wird? ({0})

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege, ich glaube, dass hier nochmals auf eines hinzuweisen ist: Wir hätten, egal wie die Gefährdungslage auch aussieht, immer Impfstoff besorgt, weil dies von der WHO schon im Oktober 2001 ausdrücklich gefordert wurde. ({0}) Auf eine Bedrohung mit Pocken gibt es nämlich nur eine Antwort: impfen. Der zweite Punkt ist: Wir haben immer gesagt, dass wir nicht sicher wissen, ob aus den beiden Labors Pockenviren entwendet oder illegal weiterverbreitet worden sind. Da wir das nicht wissen, kann ich Ihnen auch keine eindeutige Antwort geben. Wir sind nicht im Besitz einer höheren Weisheit als die Waffeninspekteure der UN. Wir verlassen uns auf deren Berichte. Deswegen halten wir deren Arbeit für wichtig, weil nur ein Bericht letzte Sicherheit bringen kann.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Schönfeld.

Karsten Schönfeld (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003229, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, aufgrund der Art und Weise, wie vonseiten der Opposition die Fragen gestellt werden, hat man den Eindruck, dass eine konkrete Gefahr herbeigeredet werden soll. ({0}) Stimmen Sie mir zu, dass die Antiterrorgesetze, die von der Bundesregierung in diesem Hohen Hause nach dem 11. September 2001 gemeinsam auf den Weg gebracht wurden, in erster Linie aufgrund einer sehr abstrakten Gefährdungssituation und weniger aufgrund einer konkreten Gefahr für Deutschland entstanden sind? Verhält es sich mit der jetzigen Situation der Versorgung mit dem Pockenimpfstoff durch die Bundesregierung nicht genauso?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege Schönfeld, ich will Ihnen ausdrücklich zustimmen. Wir hätten dies immer getan - das habe ich hier wiederholt geäußert -, weil es keine andere Möglichkeit gibt, sich zu schützen, und weil die Pocken die schlimmste Krankheit sind, die wir kennen. Deswegen war es ein großer Erfolg der WHO, dass die Pockenkrankheit als ausgerottet galt. Eines der Probleme aber ist, dass man nicht genau weiß, ob die Labore, wo die letzten Stämme gelagert werden, lückenlos überwacht worden sind. Deswegen ist es in diesem Fall wichtig, Vorsorge zu betreiben. Die einzige Möglichkeit ist hier das Impfen. Wir haben auch in anderen Bereichen der Terrorabwehr reagiert. Zur Einschätzung der Sicherheitslage ist das Innenministerium hier vertreten. Zu diesem Punkt will ich nichts sagen. In unserer Verantwortung liegt das Thema Bioterrorismus. Wir haben nicht nur beim Thema Pocken gehandelt, sondern mit der Bevorratung von Antibiotika und der Entwicklung eines Stufenplanes haben wir zum Beispiel auch auf mögliche Anschläge mit Anthrax reagiert. Insofern sind wir das Thema Bioterrorismus in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter Anleitung des Robert-Koch-Instituts neu angegangen, um unsere Bevölkerung besser zu schützen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Schockenhoff.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wie verträgt sich Ihre wiederholt geäußerte Behauptung, dies sei eine abstrakte Bedrohung, die nicht im Zusammenhang mit einem bestimmten Staat stehe, ({0}) mit dem schriftlichen Vermerk Ihres Hauses an die anderen Ressorts der Bundesregierung vom 9. August 2002, den der Kollege Bosbach bereits zitiert hat und in dem es heißt: Die Anzeichen für einen möglicherweise kurzfristig bevorstehenden Angriff der USA auf den Irak verdichten sich. Dies war ein schriftlicher Vermerk. Weiter heißt es: Es steht zu befürchten, dass der Irak in einem solchen Falle mit den ihm zur Verfügung stehenden biologischen Kampfstoffen, also auch Pockenviren, reagiert. Frau Staatssekretärin, hat Ihr Haus die Bundesregierung falsch informiert oder sagen Sie hier die Unwahrheit? ({1})

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Schockenhoff, bleiben Sie bitte stehen. Das gehört zu den Gepflogenheiten dieses Hauses. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Staatssekretärin, in aller Regel kümmert sich das Präsidium darum, die Gepflogenheiten des Hauses zu sichern. ({0})

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Ich bedanke mich beim Präsidenten für die Fürsorglichkeit. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Problem tritt bei allen Flügeln dieses Hauses immer mal wieder auf. Es handelt sich in aller Regel nicht darum, mit diesem Verhalten etwas zu demonstrieren, sondern es wird schlicht und ergreifend nicht daran gedacht stehen zu bleiben. ({0})

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Schockenhoff, ({0}) ich habe bereits vorhin auf diese Frage geantwortet. Ich habe erläutert, dass der Begriff der dokumentierten Erkenntnisse Hinweise auf das Vorliegen von Informationen in aufbereiteter Form bezeichnet, denen eine Wahrscheinlichkeitsanalyse zugrunde liegt. Er bezeichnet keineswegs einen eindeutigen Beweis oder eine eindeutige Sicherheit. ({1}) Ich weise Ihren Versuch, Unterschiede in der Einschätzung zwischen Innenministerium und dem Ministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung zu konstruieren oder uns eine falsche Informationspolitik anzuhängen, ausdrücklich zurück. Wir haben vollständig und ausführlich informiert. Alle Beschlüsse zur Beschaffung des Impfstoffs sind in großem Konsens gefasst worden. Wir haben auch im Auftrag und mit Zustimmung der Länder gehandelt. Denn ohne die Länder wäre es nicht zu dem Beschluss der Vollbevorratung gekommen. ({2}) Die Einschätzung der Gefährdungslage ist doch damals von allen geteilt worden. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Dr. Bürsch.

Dr. Michael Bürsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, alle Fachleute - von der WHO bis zu allen Experten in Deutschland - stimmen darin überein, dass Vorsorge sein muss, um etwaigen Gefahren zu begegnen. Wie beurteilt die Bundesregierung vor diesem Hintergrund die Aussage des Gesundheitsexperten Horst Seehofer ({0}) in der „Aachener Zeitung“ vom 18. Februar 2003, dass es ohne eine konkrete Bedrohungslage keine ausreichende Grundlage gebe, Millionen für Impfstoffe auszugeben? Heißt das, dass die Union nicht dafür ist, dass jetzt Vorsorge in dem von Ihnen geschilderten Sinne betrieben wird? ({1}) - Entschuldigung, wir lesen auch Zeitung, so wie Sie Vermerke lesen. ({2})

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege Bürsch, wenn das wirklich die Haltung des Kollegen Seehofer wäre, müsste ich sie als verantwortungslos zurückweisen, weil wir auf alle Fälle Vorsorge betreiben müssen, auch wenn es nur ein Restrisiko geben sollte. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Niebel. ({0})

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, zunächst stimme ich Ihnen zu, dass es richtig war, den Impfstoff zu besorgen. Deswegen haben auch alle Bundesländer zugestimmt. Das ist aber nicht das Thema der heutigen Befragung; es geht vielmehr um die Informationspolitik der Bundesregierung. ({0}) Hierbei geht es in erster Linie um die Frage, ob die Gefährdungslage, die diesen Vermerken zugrunde gelegen hat - Sie haben mehrfach darauf angespielt, dass die entsprechenden und verlesenen Vermerke aus dem August und September des vergangenen Jahres stammen -, vor dem Hintergrund neuer Erkenntnisse anders beurteilt wird als damals und um welche Erkenntnisse es sich handelt. Deswegen ist die Frage, die der Kollege Schockenhoff vorgebracht hat, durchaus nicht unbegründet. Haben Sie das Parlament oder die Regierung falsch informiert? ({1})

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege, ich will die Frage beantworten: Wir haben weder das eine noch das andere getan. Wenn Sie sich die elf Fragen ansehen, die die Kolleginnen und Kollegen im Laufe der Zeit - beginnend mit dem 15. Oktober 2001 zum Thema Pocken gestellt haben, dann werden Sie merken, dass sich die Einschätzung der Gefährdungslage kontinuierlich durch diese Fragen hindurch gezogen hat und dass auch die Antworten immer auf einer Linie gelegen haben. Wenn Sie die vier Pressemitteilungen aus unserem Haus lesen, werden Sie dasselbe feststellen. Wir wiederholen immer wieder, dass wir nicht ausschließen können, dass jemand über Pockenviren in ausreichender Menge und der notwendigen Form verfügt. Wir wissen auch nicht, ob er gegebenenfalls bereit ist, diese einzusetzen und ob er über die dafür erforderlichen Kapazitäten verfügt. Da es aber nicht auszuschließen ist, müssen wir für diesen Fall gerüstet sein. Aus diesem Grund haben wir in unserer Argumentation durchgängig eine Linie verfolgt. Das werden Sie sicherlich bestätigen, wenn Sie das über den betreffenden Zeitraum hinweg verfolgen. Mir liegt eine Frage des Kollegen Bonitz ({0}) vom 9. November 2001 vor, in der die Situation in gleicher Weise beschrieben wurde wie heute. Insofern trifft der Vorwurf, dass wir falsch oder unvollständig informiert haben, nicht; vielmehr wird durch die Auswahl von Bruchstücken und einzelnen Sätzen fälschlicherweise dieser Eindruck erweckt. Man muss die Sätze aber im Zusammenhang lesen. Ich verweise auf das Protokoll des Haushaltsausschusses vom 13. November, in dem ausdrücklich nur von Hinweisen und einer Möglichkeit geredet wird, aber nicht von Erkenntnissen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine letzte Zusatzfrage zur ersten dringlichen Frage stellt der Kollege Fischer.

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie haben festgestellt, dass Hinweise keine Nachweise sind. Dokumentierte Erkenntnisse erhält man aber doch nicht durch Hinweise, sondern nur durch Nachweise. Deshalb frage ich die Bundesregierung und damit auch die Staatssekretärin des Bundesinnenministeriums: Wie haben sich beim Bundesinnenministerium die dokumentierten Erkenntnisse geändert? So etwas ändert sich doch nicht durch den Ablauf der Zeit.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Fragen, die an die Bundesregierung gerichtet werden, werden von dem Vertreter oder der Vertreterin des zuständigen Ministeriums beantwortet. ({0}) - Oder auch nicht. Das obliegt in der Tat der Souveränität der Fragesteller wie derjenigen, die Antworten zu geben haben. Aber es kann jetzt nicht gezielt das eine oder das andere Ministerium befragt werden. Das ist innerhalb der Bundesregierung abzustimmen, unabhängig von dem Reiz, den eine solche Konstellation zugegebenermaßen haben könnte. Bitte, Frau Kollegin Caspers-Merk.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Die eben gestellte Frage richtet sich eigentlich an das Bundesinnenministerium. Ich kann Ihnen diese Frage nicht beantworten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dann schließe ich jetzt die Befragung zu der ersten der zwei eingereichten dringlichen Fragen ab. Ich rufe die zweite dringliche Frage des Kollegen Koschyk auf: Warum hat die Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt nicht die für Katastrophenschutz zuständigen Länder im erforderlichen Umfang unterrichtet, wenn, wie in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 17. Februar 2003 zitiert, die Bundesministerin für Gesundheit, Ulla Schmidt, bereits in einem Brief vom 17. Mai 2002 an die nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin von dokumentierten Erkenntnissen, die eine grundsätzliche Bedrohung weltweit begründen, spricht? Zur Beantwortung steht ebenfalls Frau Staatssekretärin Caspers-Merk zur Verfügung.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege Koschyk, in Ihrer zweiten dringlichen Frage spielen Sie auf das Verhältnis zwischen Bund und Ländern an. Die Länder werden seit dem 11. September 2001 in den einschlägigen Bund-Länder-Gremien fortlaufend über alle sicherheitsrelevanten Erkenntnisse informiert. Dies gilt auch für die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Gesundheitsschutz“, an der sowohl die für Gesundheit wie auch für den Bereich Inneres und Katastrophenschutz zuständigen Ministerien der Länder teilnehmen. Die Innenministerien und die Gesundheitsministerien arbeiten also Hand in Hand. Bund und Länder haben über diese Arbeitskontakte hinaus einen gemeinsamen Stufen- und Phasenplan erstellt, der am 24. Oktober letzten Jahres beschlossen wurde. Dies ist in Kooperation zwischen Bund und Ländern erfolgt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Koschyk.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wie erklären Sie sich dann die heute in den Medien zu lesende Kritik der sächsischen Gesundheitsministerin Christine Weber? Sie kritisiert, dass die Länder vom Bund nicht eher in die Lage versetzt worden seien, ihre vorbereitende Pflicht zu tun.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege, ich dachte mir schon, dass Sie danach fragen werden. Deswegen habe ich mich vergewissert, ob der Freistaat Sachsen ausreichend informiert und eingebunden war. Ich möchte Ihnen wie folgt antworten: Unverzüglich nach dem 11. September 2001 wurde mit den Ländern eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Gesundheitsschutz“ auf Ebene der Innen- und Gesundheitsminister einberufen. Diese sorgt seitdem für einen kontinuierlichen Informationsabgleich und hat einen gemeinsamen Stufenplan entwickelt. Im Rahmen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe wurden unter Moderation des Robert-KochInstituts Unterarbeitsgruppen für eine dezidierte Logistikplanung zum Pockenschutz eingerichtet, die ihren Abschlussbericht am 24. Oktober 2002 vorgelegt haben. Dieses Abschlussdokument beinhaltet die Punkte Organisation von Schutzimpfungen, Hygieneplan, Diagnostik und Therapiefragen. Das Land Sachsen hat an allen diesen Planungen und an allen Sitzungen der Unterarbeitsgruppen teilgenommen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Koschyk.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ich möchte noch einmal auf den Vermerk aus Ihrem Haus vom 9. August des vergangenen Jahres zu sprechen kommen. Nachdem wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass auf die mehrfach gestellten Fragen nach der Mitbefassung des Innenministerium nicht geantwortet worden ist, obwohl die Parlamentarische Staatssekretärin des Innenministeriums anwesend ist, möchte ich Ihnen, Frau Staatssekretärin, noch einmal die Frage stellen: Ist Ihnen bekannt, ob das Bundesministerium des Innern im Rahmen seiner Mitbefassung der in dem Vermerk vom 9. August wiedergegebenen Gefahreneinschätzung widersprochen hat oder ob das Bundesinnenministerium sie geteilt hat?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Das ist mir nicht bekannt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Damit an dieser Stelle keine formalen Irritationen entstehen, möchte ich auf Folgendes hinweisen: Dass die anwesende Staatssekretärin des Innenministeriums dazu nicht Stellung nimmt, hängt mit unseren Regelungen zur Befragung der Bundesregierung zusammen und nicht etwa mit einer möglichen Weigerung, auf gestellte Fragen zu antworten. ({0}) - Ich muss jetzt ganz sicherlich keine zweckdienlichen Hinweise geben, wie man - zwar nicht in dieser, aber in der nächsten Plenarwoche - gegebenenfalls den gleichen Effekt erzielen kann. Es spricht schon manches dafür, dass wir uns an die Verfahrensregeln, die wir einvernehmlich beschlossen haben, im konkreten Fall halten. ({1}) Ich sehe, dass es dazu keine weiteren Fragen gibt. Zur Geschäftsordnung hat sich der Kollege Grund gemeldet.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Antworten der Bundesregierung bleiben widersprüchlich, ausweichend und unbefriedigend. ({0}) Das wurde auch durch die vielen Nachfragen, die von Abgeordneten der Koalitionsfraktionen gestellt wurden, deutlich. Namens meiner Fraktion beantrage ich deshalb zum Thema „Gefährdung in Deutschland durch Pocken“ eine Aktuelle Stunde im Anschluss an diese Fragestunde. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dem Verlangen der Fraktion der CDU/CSU auf Durchführung einer Aktuellen Stunde aufgrund der Antworten der Bundesregierung auf die Dringlichkeitsfragen ist nach Anlage 5 I 1 b unserer Geschäftsordnung stattzugeben. Diese Aktuelle Stunde muss unmittelbar im Anschluss an die Fragestunde durchgeführt werden. Für die Fragestunde verbleibt die Zeit von einer knappen Stunde. In dieser Zeit behandeln wir die anderen Fragen der Fragestunde. Nach den dringlichen Fragen rufe ich nun gemäß Nr. 15 der Richtlinien für die Fragestunde vier schriftliche Fragen des Kollegen Jens Spahn auf: 1/282 Wie viel Prozent derjenigen, die eine Ausbildung in einer der Ausbildungswerkstätten der Bundeswehr durchlaufen haben, stellen sich danach als Zeit- oder Berufssoldaten zur Verfügung? 1/283 Gibt es eine nachvollziehbare Begründung, warum mit dem Fluglehrzentrum F-4F in Rheine die angegliederte Ausbildungswerkstätte geschlossen werden soll, obgleich sie inhaltlich überhaupt nichts mit dem Waffensystem zu tun hat? 1/284 Ist eine Angliederung der Ausbildungswerkstätte an einen anderen Standort der Bundeswehr in Rheine geprüft worden, insbesondere mit Blick auf das Gerätehauptdepot, und, wenn ja, mit welchem Ergebnis? 1/285 Ist geprüft worden, ob für 2003 noch einmal Auszubildende in der Ausbildungswerkstatt beim Fluglehrzentrum F-4F für die dreijährige Ausbildung aufgenommen werden können, da diese ja unabhängig von der Standortschließung im Jahr 2006 beendet wäre? Diese Fragen wurden nicht in der dafür vorgesehenen Frist beantwortet. Da diese Fragen inzwischen schriftlich beantwortet wurden, kann der Fragesteller nun nicht mehr nach der Sache, wohl aber nach dem Grund für die Überschreitung der Wochenfrist fragen. Für die Beantwortung steht der Kollege Wagner vom Bundesministerium der Verteidigung zur Verfügung. Herr Kollege Spahn, bitte.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich frage hiermit nach dem Grund für die Überschreitung der Wochenfrist.

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Lieber Herr Kollege, an der Beantwortung der vier Fragen, die Sie zu den Themenkomplexen „Ausbildung“, „Übernahme als Berufs- und Zeitsoldat“, „Schließung einer Ausbildungswerkstatt“ und „Standortfragen“ gestellt haben, waren mehrere Abteilungen des Verteidigungsministeriums beteiligt. Wegen der verschiedenen Zuständigkeiten in den EinzelfragenundderdamitverbundenenKomplexitäthatdie notwendige Abstimmung einen über das übliche Maß hinausgehenden Zeitrahmen inAnspruch genommen. Erschwerend und eigentlich entscheidend kam die dienstlich bedingte Abwesenheit des für die Beantwortung zuständigen Parlamentarischen Staatssekretärs, unseres Kollegen Walter Kolbow, hinzu - er war dienstlich in Brüssel und anschließend auf der Sicherheitskonferenz in München -, sodass Sie unser Antwortschreiben leider erst am 11. Februar erreicht hat. Für dieses Versäumnis bitte ich um Ihr Verständnis.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Spahn, bitte.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Abgesehen davon dass mich dieses Antwortschreiben nicht am 11. Februar erreicht hat, sondern dann erst abge2088 sandt wurde - es erreichte mich am 14. Februar -, also abgesehen davon, dass Sie zu spät geantwortet haben, finde ich es noch viel unbefriedigender, dass Sie falsche, zumindest nicht mehr aktuelle Behauptungen in der Antwort aufgestellt haben. Der als Begründung für den fachlichen Zusammenhang genannte mehrwöchige Einsatz in der Instandsetzungseinrichtung des Fluglehrzentrums F-4F in Rheine erfolgt seit zwölf Jahren nicht mehr und ist damit gar nicht mehr aktuell. Da Sie für Ihre Antwort schon so lange brauchten, interessiert es mich, warum Sie nicht auf aktuelle Tatsachen eingehen.

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Sie verlangen zu Recht eine Antwort auf Ihre Frage. Ich kann Ihnen jetzt nicht antworten, weil ich diesbezüglich nicht Bescheid weiß. Ich lasse das prüfen. Wir werden selbstverständlich die Antwort schriftlich nachreichen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nachdem die Fragen des Kollegen Spahn nach dem Grund der Fristüberschreitung bei der Beantwortung seiner schriftlichen Fragen beantwortet worden sind, kommen wir nun zu den Fragen auf Drucksache 15/438. Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Abweichend von der Reihenfolge der Fragen auf der Drucksache werden die Fragen 1 und 2 des Abgeordneten Dr. Klaus Rose später durch einen Vertreter des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit beantwortet. Die Fragen 3 und 4 des Kollegen Bindig werden schriftlich beantwortet. Ebenso werden die Fragen 40 und 41 des Kollegen Dr. Luther schriftlich beantwortet. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Christoph Matschie zur Verfügung. Die Fragen 5 und 6 der Kollegin Dr. Lötzsch werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Lensing auf: Welche konkreten Änderungen des Berufsbildungsgesetzes, BBiG, plant die Bundesregierung, um die Ankündigung aus dem Koalitionsvertrag von 2002 umzusetzen, das BBiG zu novellieren sowie dessen Geltungsbereich zu erweitern, und welchen genauen Zeitplan gedenkt sie für die Novellierung vorzusehen und einzuhalten?

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Herr Kollege Lensing, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung hat bereits in einem ersten Schritt im Zusammenhang mit dem Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt die Berufsausbildungsvorbereitung als eigenständigen Teil der Berufsbildung in das Berufsbildungsgesetz eingefügt. Das ist seit dem 1. Januar dieses Jahres in Kraft. Das Berufsbildungsgesetz soll darüber hinaus mit dem Ziel novelliert werden, die duale Ausbildung zu stärken, mehr Durchlässigkeit zwischen den Bildungswegen zu schaffen, die berufliche Bildung weiter zu internationalisieren, das Prüfungswesen zu modernisieren und den Geltungsbereich des Gesetzes zu erweitern. Zur Vorbereitung der Reform befindet sich die Bundesregierung in einem intensiven Dialog mit Experten und Sozialpartnern. Im Anschluss wird sie einen Gesetzentwurf erarbeiten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Herr Kollege Lensing.

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie glauben, dass all das, was Sie gerade ausgeführt haben, lediglich durch die Novellierung oder totale Änderung des Berufsbildungsgesetzes denkbar ist? Glauben Sie, dass hierdurch verhindert wird, dass wir ein weiteres Maß an Regulierungssucht und Bürokratie zu ertragen haben?

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

In der Diskussion im Zusammenhang mit der Novelle des Berufsbildungsgesetzes geht es vor allem darum, das Berufsbildungsgesetz den aktuellen Anforderungen anzupassen. Ich verweise nochmals darauf, dass wir beispielsweise Maßnahmen zur stärkeren Internationalisierung der Berufsbildung einarbeiten müssen. Darüber werden Gespräche auf internationaler Ebene geführt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage?

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich warte die Antwort auf meine nächste Frage ab und werde dann eine Zusatzfrage stellen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dann rufe ich die Frage 8 des Kollegen Lensing auf: Welche Position vertritt die Bundesregierung gegenüber gewerkschaftlichen Forderungen nach einer Umlagefinanzierung, einem Rechtsanspruch auf berufliche Ausbildung sowie einer Übertragung der Aufgaben der für die Berufsbildung zuständigen Stellen auf eine „neutrale Institution“?

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Herr Kollege Lensing, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Die Bundesregierung sieht die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt mit Sorge. Sie befindet sich mit den Sozialpartnern in einem Dialog über die notwendigen Maßnahmen. Wir halten nach wie vor am Ausbildungskonsens fest und werden die Wirtschaft verstärkt in die Pflicht nehmen, ein ausreichendes betriebliches Ausbildungsplatzangebot sicherzustellen. Das Hauptziel muss sein, bisher noch nicht ausbildende Betriebe - auch im wohlverstandenen Eigeninteresse - für die Berufsausbildung zu gewinnen. Wir wollen eine Allianz für Ausbildung, in der alle Verantwortlichen ihre Anstrengungen bündeln und neue Initiativen für mehr betriebliche Ausbildungsplätze verabreden und starten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Herr Kollege Lensing.

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nicht zuletzt die Gewerkschaften haben sich mit der Frage der Umlagefinanzierung, einem Rechtsanspruch auf berufliche Ausbildung sowie einer Übertragung von Aufgaben auf eine neutrale Institution befasst und entsprechende Forderungen gestellt. Vor diesem Hintergrund möchte ich wissen, ob Sie den Gewerkschaften Hoffnung machen, dass ihre Forderungen durch die Novellierung des Gesetzes erfüllt werden. Wie hat man sich eine „neutrale Institution“ vorzustellen?

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Herr Kollege Lensing, ich will zunächst noch einmal betonen, dass wir uns auf der Grundlage des Ausbildungskonsenses bewegen wollen. Die von Ihnen abgefragten Punkte sind nicht Teil des Konsenses und werden deshalb im Moment auch nicht verfolgt. ({0}) - Welche Institution? Jetzt muss ich zurückfragen.

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir haben den Eindruck, dass Sie nach der Verabschiedung des Berufsbildungsgesetzes eine Institution schaffen wollen, die das im Einzelnen zu überwachen, zu überprüfen und zu kontrollieren hat.

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Von einer solchen Absicht ist mir bisher nichts bekannt. Wir befinden uns in der Anfangsphase der Diskussion mit den Sozialpartnern über eine Novellierung des Berufsbildungsgesetzes. Sie kennen diese Diskussion. Vor dem Hintergrund dieser Diskussion werden die notwendigen Änderungen verabredet und dann natürlich auch im zuständigen Ausschuss diskutiert werden.

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gut. Vielen Dank.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Hohmann.

Martin Hohmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wir sprechen hier über die Ausbildung von jungen Menschen. Dafür ist von allen gesellschaftlich verantwortlichen Gruppen alles zu tun. Frage: Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele Ausbildungsstellen durch die desolate wirtschaftliche Entwicklung der letzten vier Jahre weggefallen sind?

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Herr Kollege, in den letzten vier Jahren hat es auf dem Ausbildungsstellenmarkt eine Entwicklung gegeben, die zu einer zunehmenden Anzahl von Ausbildungsplätzen geführt hat. Im Jahr 2001 beispielsweise standen mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung, als es Ausbildungsplatzsuchende gab. Es gibt im abgeschlossenen Ausbildungsjahr 2002 noch einen ganz kleinen Bestand an unvermittelten Bewerbern. Diesen Personen - es handelt sich um etwa 0,5 Prozent der Bewerber - werden weitere Angebote gemacht werden. Was das neue Ausbildungsjahr angeht, so kann man im Moment noch keine konkreten Aussagen machen. Allerdings - deshalb habe ich gesagt: Wir beobachten die Entwicklung mit Sorge - ist im Vergleich zum Vorjahr im Moment eine geringere Anzahl betrieblicher Ausbildungsplätze gemeldet. Deshalb wollen wir alles daransetzen, dass mehr betriebliche Ausbildungsplätze gemeldet und zur Verfügung gestellt werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereichs. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Vogt zur Verfügung. Die Fragen 9 und 10 des Kollegen Fromme sollen schriftlich beantwortet werden. Ich rufe die Frage 11 der Kollegin Petra Pau auf: Ist der Bundesregierung bekannt, dass jährlich Hunderte Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen umkommen, und welche Schritte gedenkt sie zu unternehmen, die insoweit fatalen Wirkungen dieser EU-Außengrenzen zu prüfen?

Ute Vogt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002823

Sehr geehrte Frau Kollegin Pau, der Bundesregierung sind statistische Erhebungen zu Ihrer Fragestellung nicht bekannt. Ich verweise zudem auf die Antwort, die wir Ihnen im Rahmen der Fragestunde im Deutschen Bundestag am 12. Februar 2003 auf Ihre Frage - das war die Frage 40 - gegeben haben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Frau Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Selbst wenn Ihnen die Zahlen nicht bekannt sind, so gibt es ja öffentlich zugängliche Presseberichte. Gerade erst haben wir wieder von der Festnahme von Schleppern an der deutsch-polnischen Grenze gehört. Insofern inte2090 ressiert mich, welche Anstrengungen die Bundesregierung auch im Rahmen der Europäischen Union unternimmt, um diese Zustände an den EU-Außengrenzen anders und erträglicher zu gestalten.

Ute Vogt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002823

Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, sind für uns die Daten zu Todesfällen zum Beispiel an der deutsch-polnischen Grenze und an der deutsch-tschechischen Grenze erfassbar. Es handelt sich um vier Fälle an der deutsch-polnischen und einen Fall an der deutsch-tschechischen Grenze. Wir sind insgesamt bemüht, im Rahmen der Kriminalitätsbekämpfung auf internationaler und auf europäischer Ebene das Schleuserunwesen zu bekämpfen und die illegale Migration einzugrenzen, möglichst zu verhindern. In diesem Sinne sind wir tätig. Aber es gibt keine statistisch erfassten Daten. Unsere Bemühungen auf internationaler und europäischer Ebene richten sich darauf, solche illegalen Wanderungen zu verhindern.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage?

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Danke.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dann haben wir auch diesen Geschäftsbereich abgehandelt. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Rezzo Schlauch zur Verfügung. Ich rufe zunächst die beiden Fragen des Kollegen Rose zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts auf, die - darüber besteht Einvernehmen - durch das Wirtschaftsministerium beantwortet werden sollen. Frage 1 des Kollegen Rose: Ist der Bundesregierung bekannt, inwieweit nach wie vor deutsche Firmen mit irakischen Geschäftspartnern Dual-use-Geschäfte betreiben, also mit Gütern, die auch militärischen Zwecken dienen können? Frage 2 des Kollegen Rose: Falls ja, beabsichtigt die Bundesregierung eine stärkere Kontrolle von wirtschaftlichen, politischen oder anderen deutsch-arabischen Gesellschaften, soweit in deren Reihen Firmenvertreter Kontakte auch mit irakischen Unternehmen unterhalten? Rezzo Schlauch Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit: Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Rose, mit Ihrer Zustimmung beantworte ich beide Fragen zusammen. Zu Frage 1: Seit dem Irakembargo von 1990 finden genehmigte Exporte in den Irak nur noch in der Form von humanitären Lieferungen in begrenztem Umfang sowie von Gütern statt, die im Rahmen des seit 1996 bestehenden „Oil for Food“-Programms geliefert werden. Der Export solcher Güter setzt im Regelfall sowohl eine Genehmigung der zuständigen VN-Gremien als auch des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, BAFA, voraus. Die Vereinten Nationen haben eine Goods Review List erstellt, auf der die von Ihnen angesprochenen Dual-useGüter im Einzelnen gelistet sind. Ausfuhren der von dieser Liste erfassten Güter bedürfen der Zustimmung des Sanktionsausschusses der Vereinten Nationen. Dem BAFA liegen keine Anträge deutscher Firmen vor, die Güter enthalten, die unter diese Goods Review List fallen. Im Übrigen würde es der deutschen Genehmigungspolitik zu Ausfuhren an den Irak entsprechen, bei Zweifeln über die erforderliche zivile Verwendung der Ware die im Rahmen des Totalembargos nur ausnahmsweise mögliche Genehmigung nicht zu erteilen. Zu Frage 2: Unternehmen, die Geschäftsbeziehungen zum Irak unterhalten, ist das umfassende Handelsembargo bekannt. Auch wirtschaftliche, politische oder andere deutsch-arabische Gesellschaften kennen diese Embargobestimmungen, die auch alle Tätigkeiten zur Förderung verbotener Ausfuhren, Einfuhren und Dienstleistungen untersagen. Verstöße gegen die Embargobestimmungen werden von den zuständigen Strafverfolgungsbehörden verfolgt und können mit Freiheitsstrafen bis zu 15 Jahren geahndet werden. Sie sind mit Sicherheit darüber informiert, dass vor kurzem ein solches Verfahren vor dem Landgericht Mannheim stattgefunden hat. Soweit die Embargovorschriften eingehalten werden, sind Geschäftskontakte mit irakischen Unternehmen, zum Beispiel zur Erlangung von Aufträgen für genehmigungsfähige Ausfuhren im Rahmen des Oil-for-Food-Programms zulässig. Vor dem Hintergrund der umfassenden Embargoregelungen erscheinen der Bundesregierung weitere Vorschriften zur Beschränkung derartiger Geschäftskontakte nicht erforderlich.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Herr Kollege Rose?

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Trügt mich der Eindruck, Herr Staatssekretär, dass Sie zwar die offizielle Linie ordnungsgemäß vorgetragen haben, aber, wenn nicht der „Spiegel“ und Sendungen wie „Report“ die Unwahrheit berichten, Verschiedenes geschieht, an dem auch Organe der Bundesregierung beteiligt sind, und solche Geschäftskontakte stattfinden?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Nach meiner Kenntnis trügt dieser Eindruck, und zwar deshalb, weil die Gesetzeslage so eindeutig ist, dass eigentlich keine Grauzonen möglich sind. Denken Sie insbesondere daran, dass hier in erster Linie UN-Gremien zuständig sind und es dann, wenn etwas gegen diese Gesetzeslage geschieht, Sache der Strafverfolgungsbehörden ist. Vonseiten der Bundesregierung jedenfalls werden Genehmigungen, die nicht der gesetzlichen Regelung entsprechen, nicht erteilt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zweite Zusatzfrage.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Teilt dann die Bundesregierung die Erkenntnisse des Kölner Zollkriminalamtes, wonach auf Reisen von deutschen Geschäftsleuten, die von der deutschen Regierung ja stark unterstützt werden, illegale Kontakte, so möchte ich das einmal nennen, mit Geschäftspartnern im Irak angebahnt werden, bei denen durchaus auch illegale Rüstungsexporte angestrebt werden? Das ist, wie gesagt, an vielen Stellen nachzulesen.

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Mir ist nicht bekannt, dass die Bundesregierung Reisen von Geschäftsleuten in den Irak unterstützt; schon gar nicht Reisen, auf denen illegale Geschäfte angebahnt werden sollen. Diesbezüglich gibt es vonseiten der Bundesregierung keine Aktivitäten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte noch nachhaken. Natürlich kann man, wie es in diesem Umfeld üblich ist, nicht von Hause aus jemandem unterstellen, dass er, wenn er ein Visum erhält und bei Pass- und Zollformalitäten sowie bei der BagdadMesse die Unterstützung der Botschaft bekommt, etwas Illegales treibt. Das ist schon klar. Trotzdem stehen wir gerade gegenüber dem Irak in einer engen Front in Bezug auf das Waffen- und Handelsembargo, sodass ich mich als Mitglied einer Bundesregierung noch nicht einmal dem Verdacht aussetzen würde, Kontakte zu unterstützen, die man hinterher aufgrund anderer Quellen feststellen kann. Ich frage Sie deshalb konkret - obwohl ich das lieber das Auswärtige Amt gefragt hätte -: Warum unterstützt man dann solche Kontakte oder Institutionen - die vom Auswärtigen Amt Mittel erhalten -, in denen die Bedeutung des irakischen Diktators ganz offiziell heruntergespielt wird - völlig anders als im Fall des Chefs des Auswärtigen Amtes, der ihn als Diktator bezeichnet - und die Leute beschäftigen, die diesen Diktator als eigentlich fast liebenswerten Menschen bezeichnen?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Herr Kollege Dr. Rose, Sie benutzen den Ausdruck „unterstützen“. Unterstützen bedeutet juristisch, wenn mich meine juristischen Kenntnisse nicht im Stich lassen, Beihilfe, sozusagen tätige Hilfe. ({0}) Ich vermag nicht zu erkennen, warum die Erteilung eines Visums, auf die möglicherweise Anspruch besteht, eine Unterstützungshandlung sein soll. Eine Form der Unterstützung ist auch in dem Fall, auf den Sie sich beziehen, mit Sicherheit keinesfalls gegeben. Deshalb kann ich Ihnen deutlich sagen - in dieser Beziehung bin ich mit Ihrer Analyse vollkommen einverstanden und einig -: Selbstverständlich stehen wir dem System von Saddam Hussein als Diktator in einer klar ablehnenden Haltung gegenüber. Deshalb gibt es seitens der Bundesregierung jedenfalls keine Unterstützung für Menschen, die illegale Geschäfte anbahnen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Rose, Sie haben eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte meine vierte Zusatzfrage dazu nutzen, Sie zu fragen, ob Sie als Wirtschaftsministerium, vielleicht in Zusammenarbeit mit anderen Stellen, wenigstens bereit sind, den in der Sendung „Report“ von Montagabend doch ziemlich massiv vorgetragenen Vorwürfen nachzugehen. Wenn es anonyme Anzeigen gibt, muss man sie verfolgen. Hier sind in einem großen öffentlichen Bericht Unterstellungen oder vielleicht sogar Fakten aufgetaucht, denen man nachgehen muss. Können Sie mir zusagen, dass Sie als Bundesregierung das tun?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Mir persönlich ist dieser Bericht von „Report“ nicht bekannt. Ich kenne einen Bericht des „Spiegel“, auf den Sie sich möglicherweise ebenfalls beziehen. Wenn es sich in beiden Fällen um denselben Akteur handelt, dann bin ich selbstverständlich gerne bereit, Ihrer Anregung nachzukommen und Ihnen unsere Erkenntnisse und unsere Haltung bezüglich der Aktivitäten dieser Person darzulegen und zu dem Stellung zu nehmen, was sowohl im „Spiegel“-Bericht wie auch in der Sendung „Report“ vorgetragen worden ist.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Nachfrage, bitte schön.

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich möchte an die letzte Zusatzfrage anknüpfen. Können Sie mit Ihrem heutigen Wissensstand denn ausschließen, dass es stimmt, was in den Medienberichten offen diskutiert wird, nämlich dass von deutschen Firmen in der Vergangenheit acht mobile Labors, die auch zur Herstellung von Pockenviren genutzt werden können - ich zitiere aus dem Medienbericht -, an den Irak geliefert wurden?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Herr Kollege, ich kann überhaupt nichts ausschließen. Ich kann nur mit Sicherheit sagen, dass das - das war sozusagen die ursprüngliche Fragestellung - in jedem Fall illegal und damit Sache der Strafverfolgungsbehörden wäre und dass dafür selbstverständlich keine Genehmigung der Bundesregierung vorliegen würde. Aber ich bin gerne bereit - diese Zusage wiederhole ich -, diese Vorwürfe zu prüfen und die diesbezüglichen Erkenntnisse der Bundesregierung den Fragestellern zukommen zu lassen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Es gibt eine weitere Zusatzfrage, und zwar des Kollegen Schröder.

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kann ich davon ausgehen, dass Sie nicht ausschließen können, dass diese acht Labors, von denen in dem „Report“-Bericht von Montagabend konkret berichtet wurde, noch genutzt werden?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Man muss zunächst einmal recherchieren, ob dieser Bericht zutreffend ist. Wenn er zutreffend ist, dann muss man klären, auf welchem Weg und von welcher Quelle diese Labors geliefert worden sind. Wenn man diese Erkenntnisse hat, dann ist es - ich sage dies noch einmal eine Angelegenheit der Strafverfolgungsbehörde und nicht der Bundesregierung.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Eine Zusatzfrage des Kollegen Schockenhoff.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung Erkenntnisse, dass diese Labors auf der vom Irak an Chefinspekteur Blix übermittelten Liste stehen?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Ich habe diese Erkenntnisse nicht.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Es gibt keine weiteren Zusatzfragen. Die übrigen Fragen zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit werden nun in der vorgesehenen Reihenfolge aufgerufen. Wir kommen zunächst zur Frage 12 des Abgeordneten Uwe Schummer: Hat die Bundesregierung Pläne, die Bundesanstalt für Arbeit von sachfremden Aufgaben, wie zum Beispiel „Bekämpfung illegaler Beschäftigung“ und der „Kindergeldkasse“, zu entbinden, so wie sie es in der 14. Wahlperiode vorgesehen hat, und gibt es Bestrebungen, die bisherige Aufgabe „Bekämpfung illegaler Beschäftigung“ auf den deutschen Zoll zu übertragen?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Lieber Herr Kollege Schummer, die Bundesregierung prüft derzeit in enger Abstimmung mit allen Beteiligten, welche gesetzlichen Änderungen im Bereich der Organisation der Bundesanstalt erforderlich sind, um die Dienstleistungsqualität nachhaltig zu verbessern. Sie wissen sicherlich, dass die Struktur der Bundesanstalt für Arbeit von Grund auf überprüft wird und reformiert werden soll, was eine ziemliche Herkulesarbeit darstellt. Bei dieser Prüfung wird natürlich auch der von Ihnen genannte Aspekt berücksichtigt. Die Prüfung, ob die Bundesanstalt für Arbeit von den genannten Aufgaben entlastet werden soll, ist noch nicht abgeschlossen. Die Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ hat sich grundsätzlich für eine Entlastung der Bundesanstalt für Arbeit von sachfremden Aufgaben ausgesprochen. Hinsichtlich der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung hat sie jedoch vorgeschlagen, die Aufgabe zumindest vorübergehend bei der Bundesanstalt für Arbeit zu belassen. Hinsichtlich der Auszahlung des Kindergeldes durch die Familienkassen der Arbeitsämter hat die Kommission ausdrücklich eine wirtschaftliche Arbeitsweise festgestellt und dargelegt, dass gegenwärtig dazu keine sinnvolle Alternative gegeben ist.

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär Schlauch, wie viele Beschäftigte hat die Bundesanstalt für Arbeit aktuell und wie viele davon sind in der Vermittlung tätig? Hat sich die Relation zugunsten der Vermittlungstätigkeit in den Arbeitsämtern im letzten Jahr verändert?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Herr Kollege, entschuldigen Sie vielmals, dass ich kein wandelndes Statistisches Bundesamt bin. Deshalb kann ich Ihnen nicht die konkreten Beschäftigtenzahlen darlegen. Ich kann Ihnen auch nicht das genaue Verhältnis der Zahl der Mitarbeiter, die in der Vermittlung tätig sind, zu der Zahl der Mitarbeiter, die andere Aufgaben wahrnehmen, nennen. Ich bin aber gerne bereit, Ihnen die konkreten Zahlen nachzureichen. Klar ist jedoch - insofern sind Sie auf der richtigen Fährte -, dass auch nach unserer Ansicht die Zahl der Beschäftigten, die in der Vermittlung tätig sind, unzureichend ist und dass es Gegenstand der Reform sein muss, die Vermittlungstätigkeit in erheblichem Umfang auszubauen. Die Vermittlung war zwar schon bisher eine Kernaufgabe; aber ihr muss eine noch sehr viel größere Bedeutung zukommen. Ich bin, wie gesagt, gerne bereit, Ihnen die konkreten Zahlen nachzureichen.

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Unterstützt die Bundesregierung die Möglichkeit, Jobcenter zu schaffen, die in enger Zusammenarbeit mit den Arbeitsämtern, aber in kommunaler oder privater Trägerschaft stehen?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Diese Frage wird ebenfalls geprüft. Wir sind der Auffassung, dass es wahrscheinlich gar keine andere Möglichkeit gibt, als die Institutionen, die derzeit auf kommunaler Ebene bei der Vermittlung von besonders schwer zu vermittelnden Arbeitskräften teilweise sehr erfolgreich arbeiten, mit ihrer Erfahrung und ihrem Know-how in die Jobcenter zu integrieren. Deshalb werden die bereits bestehenden Projekte mit Sicherheit in diese Jobcenter integriert werden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Martin Hohmann auf: Wie hoch sind die geschätzten Einnahmen des Bundes durch die vom Bundeskartellamt gegen die Unternehmen der Zementindustrie für möglich gehaltenen Bußgelder - „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 3. Februar 2003 - und in welche Haushaltstitel werden diese gegebenenfalls eingestellt?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Herr Kollege Hohmann, darf ich auch Ihre beiden Fragen zusammen beantworten? ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Dann rufe ich auch die Frage 14 des Abgeordneten Martin Hohmann auf: In welcher Höhe sind in den letzten zwei Jahren Bußgelder durch das Bundeskartellamt verhängt worden und in welche Haushaltstitel wurden diese Einnahmen eingestellt?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Zur Frage 13: Das Bundeskartellamt hat bereits drei großen Unternehmen der Zementindustrie die voraussichtlich zu verhängenden Geldbußen mitgeteilt. Sie belaufen sich insgesamt auf 200 Millionen Euro. Die Verfahren sind jedoch noch nicht abgeschlossen. Bußgeldbescheide wurden noch nicht verschickt. Über die Höhe der gegen die übrigen Zementhersteller zu verhängenden Geldbußen kann zurzeit noch keine abschließende Aussage getroffen werden. Ob gezahlte Bußgelder im Bundeshaushalt vereinnahmt werden, hängt insbesondere davon ab, ob die betroffenen Unternehmen Rechtsmittel gegen die Bußgeldbescheide einlegen. Akzeptieren sie die Bußgeldbescheide und legen sie keine Rechtsmittel ein, fließt dem Bund das gezahlte Bußgeld als Einnahme direkt zu. Kommt es jedoch zu einem Verfahren vor dem zuständigen Oberlandesgericht in Düsseldorf und wird der Bußgeldbescheid von diesem Gericht rechtskräftig bestätigt, so fließt das Geld dem Landeshaushalt zu. Fließen gezahlte Bußgelder dem Bundeshaushalt zu, so werden die Einnahmen bei Kap. 0908 Tit. 112 01 - Geldstrafen, Geldbußen und Gerichtskosten - vereinnahmt. Zu Ihrer zweiten Frage, zur Frage 14: Die Bußgeldeinnahmen betrugen im Jahre 2001 37,554 Millionen Euro und im Jahre 2002 8,052 Millionen Euro. Die Einnahmen wurden, wie ich bereits erwähnte, bei Kap. 0908 Tit. 112 01 vereinnahmt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Hohmann, Ihre Zusatzfrage.

Martin Hohmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, dann muss es das Interesse des Bundes sein, dass die betroffenen Unternehmen möglichst keine Rechtsmittel einlegen, sondern zahlen. Erleichtern Sie die Entscheidung, an die Bundeskasse zu zahlen, vielleicht dadurch, dass Sie Ratenzahlungen anbieten? Denn es geht ja zum Teil um recht hohe Summen, um insgesamt 200 Millionen Euro; das ist ja kein Pappenstiel.

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Das kann ich so ohne weiteres nicht sagen. Ich weiß aus meiner Praxis als Rechtsanwalt, dass einer Ratenzahlung, sofern solche Anträge gestellt und entsprechend begründet werden, nichts entgegensteht. Ich teile Ihre Auffassung: Der Bund wäre selbstverständlich gut beraten, solche Ratenzahlungen zu akzeptieren, wenn das Geld in seine Kasse fließt.

Martin Hohmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, mir sind auf der einen Seite sogar Einnahmen aus solchen Bußgeldern in Höhe von 700 Millionen Euro - ich darf Sie auch bitten, diese Zahl zu bestätigen - genannt worden. Auf der anderen Seite heißt es, nur 150 Millionen Euro seien verbucht worden. Sie haben jetzt eine Zahl von 200 Millionen Euro angegeben. Zwischen diesen 700 und den 150 Millionen Euro besteht ja eine erhebliche Differenz. Man könnte daran denken, dass für den Herrn Finanzminister eine Art schwarze Kasse entsteht.

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Wenn das Wirtschaftsministerium schwarze Kassen hätte, dann, so glaube ich, hätten wir ein Problem. Eine solche schwarze Kasse gibt es nicht. Die Diskrepanz, die Sie benennen, kann ich mir schlecht vorstellen. Denn, wie gesagt, die 200 Millionen Euro, die ich Ihnen im Hinblick auf die laufenden Verfahren genannt habe, sind eine klare Zahl. Ob möglicher2094 weise darüber hinaus etwas verhängt wird, kann ich nicht sagen. Jedenfalls ist mir eine Zahl von insgesamt 700 Millionen Euro nicht geläufig.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Hohmann, Sie hätten noch zwei Zusatzfragen. - Sie verzichten darauf. Vielen Dank. Dann sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Hans Georg Wagner zur Verfügung. Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Wolfgang Börnsen ({0}) auf: Gibt es bereits eine Vorschlagliste für die Veränderung bzw. Aufgabe von Bundeswehrstandorten und könnten das Marinefliegergeschwader 2 in Tarp/Eggebek und die Minensuchflottille in Kappeln/Olpenitz kurz- oder mittelfristig dazugehören?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Herr Kollege Börnsen, Bundesminister Dr. Struck hat am 5. Dezember 2002 erklärt, dass die Bundeswehrreform weiterentwickelt wird und hierzu einen konzeptionellen Rahmen in Form neuer Verteidigungspolitischer Richtlinien erhält. Diese werden bis zum Frühjahr 2003 erarbeitet. Parallel dazu sollen bestimmte Handlungsoptionen weiterverfolgt und ausgeplant werden. Ergebnisse sollen dem Bundesminister zum Frühjahr 2003 zur Entscheidung vorgelegt werden. Die sich hieraus ergebenden Auswirkungen auf die Strukturen der Bundeswehr und auf die Stationierung sind dann vorbehaltlos und besonders sorgfältig zu prüfen. Dabei ist es nicht das primäre Ziel, die Stationierung nur unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu optimieren. Vielmehr wird ein umfassender Kriterienkatalog zur Vorbereitung und Bewertung von Stationierungsentscheidungen angewandt werden, der seit dem Jahre 2000 für alle Stationierungsentscheidungen herangezogen wird. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liegen noch keine Erkenntnisse vor, inwieweit sich Anpassungen der Stationierung für die Standorte Tarp/Eggebek und Kappeln/Olpenitz ergeben.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Bitte schön, Herr Kollege Börnsen.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, bedeutet Ihre Erklärung, dass Sie in Ihren Verteidigungspolitischen Richtlinien weggehen von den bisherigen Konzeptionen, die auch die Weizsäcker-Kommission am 25. Mai 2000 vorgelegt hat, nach denen bestimmte Teilstreitkräfte, zum Beispiel die Marine, aufgestockt und nicht abgebaut werden sollen?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Sie wissen ja, dass die Verteidigungspolitischen Richtlinien, die seit 1992 gelten, fortgeschrieben werden, und dabei werden diese Fragen natürlich mit berücksichtigt werden. Ich kenne den Entwurf der Richtlinien, die dem Minister zur Entscheidung vorgelegt werden, noch nicht, kann also Ihre Frage in diesem Punkt nicht beantworten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, wann rechnen Sie damit, dass der Verteidigungsminister die neue Konzeption, die ja auch die Standorte direkt betreffen wird, vorlegen wird?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Es ist vorgesehen, dass die Verteidigungspolitischen Richtlinien bis Ende Februar/Anfang März vorliegen. Die daraus zu ziehenden Konsequenzen wird der Generalinspekteur vornehmen; das wird sich bis Mitte März hinziehen. Ob Standorte überhaupt betroffen sind, vermag ich nicht zu sagen, weil ich den Entwurf dieser Richtlinie nicht kenne.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Dr. Ole Schröder auf: Mit welchen Sparmaßnahmen sieht sich das Bundesministerium der Verteidigung, BMVg, in den nächsten Jahren konfrontiert und plant das BMVg zur Einhaltung der Sparpläne auch die Aufgabe von Standorten in Schleswig-Holstein?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Herr Kollege Schröder, wie eben schon gesagt, hat Bundesminister Dr. Struck am 5. Dezember 2002 erklärt, dass die Bundeswehrreform weiterentwickelt wird und hierzu einen konzeptionellen Rahmen in Form neuer Verteidigungspolitischer Richtlinien erhält. Diese sollen bis zum Frühjahr 2003 - auch das habe ich eben ausgeführt erarbeitet werden. Parallel dazu sollen bestimmte Handlungsoptionen weiterverfolgt und ausgeplant werden. Die laufenden Untersuchungen hierzu sind von folgenden Leitgedanken bestimmt: Erstens. Altes und im Betrieb besonders aufwendiges und teures Material ist so frühzeitig wie möglich und verantwortbar aus der Nutzung zu nehmen. Zweitens. Beim Betrieb und bei der Beschaffung ist eine Konzentration auf dasjenige Material erforderlich, das für die wahrscheinlichsten Einsätze gebraucht wird. Drittens. Wo immer möglich und sinnvoll, sind multinationale Kooperationslösungen zu verfolgen. Viertens. Redundanzen sind grundsätzlich zu vermeiden und der Betrieb ist effizienter zu gestalten. Die Ergebnisse sollen, wie eben ausgeführt, dem Herrn Bundesminister bis zum Frühjahr zur Entscheidung vorgelegt werden. Die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die Strukturen der Bundeswehr und auf die Stationierung sind dann vorbehaltlos und besonders sorgfältig zu prüfen. Dabei ist es, wie eben schon gesagt, nicht das primäre Ziel, die Stationierung nur unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu optimieren. Vielmehr wird der umfassende Kriterienkatalog zur Vorbereitung und Bewertung von Stationierungsentscheidungen angewandt werden, der seit dem Jahre 2000 für alle Stationierungsentscheidungen heranzogen wird und der den Kolleginnen und Kollegen ja auch bekannt ist. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liegen noch keine Erkenntnisse vor, inwieweit sich Anpassungen der Stationierung auch für die Standorte in Schleswig-Holstein ergeben.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Sie hätten noch Zusatzfragen. ({0}) - Sie verzichten also darauf. Die Fragen Nr. 17 und 18 des Abgeordneten Jürgen Koppelin werden schriftlich beantwortet. Damit verlassen wir den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes zur Verfügung. Ich rufe die Frage 19 der Abgeordneten Petra Pau auf: Wie viele Anträge auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen wurden bisher gestellt?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Frau Kollegin Pau, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Über die Zahl der bei den zuständigen Trägern der Grundsicherung eingegangenen Anträge liegen der Bundesregierung bisher keine Angaben vor. Das Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist erst seit 1. Januar dieses Jahres in Kraft. Es gewährleistet für Personen ab 65 Jahren sowie für medizinisch bedingt dauerhaft voll erwerbsgeminderte Personen ab 18 Jahren eine Absicherung ihres notwendigen Lebensunterhaltsbedarfs. Für die Durchführung des Gesetzes sind nach § 4 Abs. 1 Grundsicherungsgesetz die Kreise oder kreisfreien Städte als Träger vorgesehen und auch zuständig. Nach § 8 Abs. 1 Grundsicherungsgesetz werden Erhebungen über die Empfänger sowie die Ausgaben und die Einnahmen der bedarfsorientierten Grundsicherung als Bundesstatistik durchgeführt. Die Erhebung erfolgt jährlich zum 31. Dezember als Bestandserhebung.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfrage, Frau Kollegin.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ich habe eine Nachfrage. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, dass Anspruchsberechtigte diesen Antrag nicht stellen, da sie durch die Bürokratie bzw. auch die Antragsformulare, welche zum Beispiel über die Vermögensverhältnisse der nächsten Angehörigen sehr genau Auskunft verlangen, hiervon abgehalten werden?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Nein, derartige Erkenntnisse liegen uns bislang nicht vor. Wir hatten seitens des Hauses vorweg eine intensive Beratungstätigkeit veranlasst. Es hat Formulare, Broschüren und Schulungen gegeben, auch für diejenigen, die vor Ort arbeiten. Es ist klar, dass vor dem Hintergrund eines neuen Gesetzes und der Formulare viele Fragen auftreten. Aber wir gehen davon aus, dass dies mit den engagierten Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern vor Ort in den Grundsicherungsämtern oder in den Sozialämtern schnell und zügig behandelt werden kann. Im Übrigen stehen auch die Rentenversicherungsträger für Beratung und Hilfen zur Verfügung.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Keine weitere Zusatzfrage.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Der Geschäftsbereich für Gesundheit wird beantwortet von der Frau Parlamentarischen Staatssekretärin Marion Caspers-Merk. Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Dr. Wolf Bauer auf: Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Auswirkungen des zum 1. Januar 2003 mit dem Beitragssatzsicherungsgesetz in Kraft getretenen Rabatteinzugsverfahrens insbesondere auf die wirtschaftliche Situation der Apotheken?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege, die Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherung durch das Beitragssatzsicherungsgesetz wird durch folgende Regelungen erreicht - Sie haben sich ja insbesondere nach der Situation der Apotheken und der Rabattsituation erkundigt -: erstens einen Herstellerrabatt bei den Arzneimitteln in der Größenordnung von 420 Millionen Euro pro Jahr, zweitens einen Großhandelsabschlag in der Größenordnung von 600 Millionen Euro pro Jahr und drittens eine Erhöhung des so genannten Apothekenrabatts in der Größenordnung von 350 Millionen Euro pro Jahr. Die Einzelheiten der Umsetzung der Abschlagsregelungen werden von den beteiligten Verbänden im Rahmen von Verträgen geregelt. Bisher ist nicht bekannt, ob diese Abschläge bereits in den Abrechnungen für den Monat Januar vollständig berücksichtigt worden sind. Die Vertragsparteien können vereinbaren, dass die endgültige Höhe der Abschläge in den folgenden Abrechnungen nachträglich ermittelt wird. Der Herstellerabschlag soll von den Apothekenrechenzentren direkt mit Herstellern einerseits und Krankenkassen andererseits abgerechnet werden. Nach einem Bericht der „Deutschen Apotheker Zeitung“ vom 23. Januar 2003 ist davon auszugehen, dass im Februar eine weit gehend reibungslose Abwicklung der Rabattverrechnungen nach den neuen gesetzlichen Regelungen sowohl mit den Krankenkassen als auch den Herstellern erfolgen kann. Der Herstellerabschlag bezieht sich auf den Herstellerabgabepreis und nicht auf den Apothekenabgabepreis. Er vermindert damit nicht die Handelsspanne der Apotheken. Den Großhandelsabschlag erhalten die Krankenkassen im Rahmen der Apothekenabrechnungen über die Apothekenrechenzentren. Der Großhandel ist vom Gesetzgeber verpflichtet worden, den Abschlag bereits bei Lieferung der Arzneimittel an die Apotheken zu gewähren. Damit wird sichergestellt, dass die Apotheken den gesetzlich vorgeschriebenen Abschlag auch tatsächlich erhalten. Sollte der Großhandel den Apotheken diesen Abschlag bei den Abrechnungen nicht gewähren, ist die Apotheke befugt, die Rechnung des Großhändlers um diesen Betrag zu kürzen. Der Herstellerabschlag und der Großhandelsabschlag sind gesetzliche Vorgaben. Die Beteiligten haben zugesagt, die entsprechenden Angaben in die Preislisten der Apotheken für die Arzneimittel aufzunehmen. Hierfür sind allein die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände und die Verbände der pharmazeutischen Industrie verantwortlich. Die Eintragungen in die Preisliste und die Gestaltung dieser werden von ihnen in Selbstverwaltung eigenverantwortlich und eigenständig auf privatwirtschaftlicher Grundlage vorgenommen. Der Apothekenrabatt wird bei der Abrechnung von den Apothekenrechenzentren ermittelt und mit den Krankenkassen verrechnet. Diesen Rabatt haben die Apotheken selbst zu tragen. Zusätzlich belastet werden nur die höherpreisigen Arzneimittel in der Größenordnung von über 52,46 Euro.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Bauer, Ihre Zusatzfragen, bitte.

Dr. Wolf Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, zu dieser Abwicklung ist ein gewaltiger bürokratischer Apparat erforderlich. Dieser bürokratische Apparat zieht natürlich auch Kosten nach sich. Sind diese Kosten in Ihrem Hause überhaupt schon einmal ermittelt worden und wer soll diese Kosten übernehmen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege, die Apothekenrechenzentren existieren bereits. Ich glaube, mittlerweile sind alle Apotheken in Deutschland an die Apothekenrechenzentren angeschlossen. Bereits jetzt gibt es Rabattierungen und Abschläge, die über die Apothekenrechenzentren ermittelt werden. Insoweit entsteht kein neuer Aufwand, sondern es ist lediglich eine neue Rabattregelung vereinbart worden, die über die bewährten Strukturen der Apothekenrechenzentren abgewickelt werden.

Dr. Wolf Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie sehen mir bitte nach, dass ich das nicht nachvollziehen kann. Es sind für die Apothekenrechenzentren viele neue Aufgaben hinzugekommen. Bisher waren die Rechenzentren nur für die Abrechnung im Innenverhältnis zwischen Krankenkasse und Apotheke verantwortlich. Nun erstreckt sich dies vom Hersteller über den Großhandel bis hin zur Apotheke. Diese zusätzlichen Aufgaben verursachen hohe zusätzliche Kosten. Über die Höhe dieser Kosten und darüber, wer diese Kosten tragen soll, muss man sich Gedanken machen.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass die neuen Preislisten, auf denen die unterschiedlichen Preise, also der Apothekenabgabepreis, der Verkaufspreis, der Herstellerpreis und der Großhandelspreis, basieren, bisher schon von den Beteiligten in eigener Verantwortung erstellt worden sind. Für preisliche Änderungen gilt derselbe Mechanismus. Alles andere erfolgt maschinell über die Apothekenrechenzentren. Auch bisher wurde den gesetzlichen Krankenkassen vonseiten der Apotheken ein Rabatt gewährt. Dieser Rabatt ist nochmals angehoben worden, insbesondere für die hochpreisigen Arzneimittel. Insofern wurden keine neuen Tatbestände geschaffen, sondern es wurde praktisch auf bestehende Rabattierungs- und Abschlagsstrukturen aufgesattelt. Natürlich ist jede Umstellung mit einem Aufwand verbunden. Das will ich nicht bestreiten. Ich kann aber nicht erkennen, dass völlig neue Tatbestände geschaffen worden wären. Probleme gibt es in der Tat bei den Großhandelsrabatten. Sie wissen, dass der Großhandel versucht, keinen eigenständigen Beitrag zu leisten. Aus diesem Grunde haben wir mit PHAGRO Gespräche geführt. Es geht nicht, dass man vereinbarte Rabatte mit dem gesetzlichen Rabatt, den der Großhandel zu leisten hat, verrechnet. Ich bin froh, dass in die Gespräche zwischen Apotheken und Großhandel wieder Bewegung gekommen ist.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Eine Zusatzfrage der Kollegin Lanzinger.

Barbara Lanzinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003499, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es gibt einen internern Vermerk mit der Aussage, dass die Apotheken durch diese Umstellung mit 50 000 Euro jährlich belastet würden. Äußerungen der Bundessozialministerin stehen dagegen, die lauten, die Apotheken würden mit nur 16 000 Euro jährlich belastet. Wie sieht nach Auffassung der Bundesregierung die tatsächliche Belastung der Apotheken durch diese Umstellung aus?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Es handelt sich hierbei um Durchschnittszahlen. Diese Zahlen besagen, dass der Durchschnittsumsatz der deutschen Apotheke bei 1,3 bis 1,4 Millionen Euro liegt. Daraus errechnet sich - auch das geschieht nach bestimmten Listen - ein durchschnittlicher Gewinn. Anhand dessen haben wir ausgerechnet, wie hoch die finanziellen Auswirkungen im Durchschnitt für die Apotheken sind, und sind auf die Größenordnung von 16 000 Euro gekommen, die Sie eben genannt haben. Das sagt aber nichts darüber aus, wie hoch die Auswirkung für die Apotheke vor Ort ist, weil der Anteil von Medikamenten, die über die GKV abgerechnet werden, von Apotheke zu Apotheke sehr unterschiedlich ist. Eine Größenordnung von 50 000 Euro ist allerdings nicht korrekt. Sie würde nur dann zutreffen, wenn am Ende die Apotheken alle Rabattierungsvorgänge zu tragen hätten. Damit das nicht geschieht, wurde dafür gesorgt, dass jede Stufe ihre Rabattstrukturen selber tragen muss.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Eine Zusatzfrage des Kollegen Spahn.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wie erklären Sie sich die große Diskrepanz zwischen dem internen Vermerk im Gesundheitsministerium, der im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens erstellt wurde und in dem offensichtlich schon davon ausgegangen wird, dass die Belastung aus den Rabatten vom Großhandel an die Apotheker durchgegeben wird - es werden 50 000 Euro genannt -, und den Äußerungen der Frau Ministerin gegenüber der Öffentlichkeit und der Presse, aber auch gegenüber dem Parlament und den Abgeordneten ihrer Partei, die ganz offensichtlich - das zeigen 59 Erklärungen von Abgeordneten der SPD - zu anderen Entscheidungen geführt haben?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Ich kenne diesen internen Vermerk. Er wurde nicht zutreffend wiedergegeben. In diesem Vermerk wird von dem Worst-Case-Szenario ausgegangen, dass alle Rabatte am Ende von den Apotheken zu tragen sind. Dem ist durch Veränderungen, die wir während des Gesetzgebungsverfahrens vorgenommen haben, und durch Absprache mit den Beteiligten begegnet worden. Dieses Szenario wird also nicht zutreffen. Insofern ist die Durchschnittszahl, die ich eingangs genannt habe und die die Ministerin öffentlich genannt hat, korrekt. Durchschnittszahlen spiegeln - das sage ich nochmals nicht die Situation der einzelnen Apotheken wider. Es gibt, wie Sie wissen, Apotheken mit einem GKV-Anteil von 70 bis 80 Prozent und Apotheken mit einem GKVAnteil von 50 Prozent. Je nach Größe dieses Anteils fällt die Auswirkung der Rabattstrukturen, wodurch sich der Gewinn schmälert, sehr unterschiedlich aus. Im Übrigen liegen uns erste Briefe von Apothekern vor, die sich bei uns ausdrücklich bedanken, dass wir mit dem Großhandel gesprochen haben. Seither ist Bewegung in die Front zwischen Großhandel und Apotheken gekommen, weil der Großhandel in der Tat versucht hat, seinen Beitrag über andere Rabattierungsvorgänge abzuwälzen. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Wir kommen zu Frage 21 des Abgeordneten Dr. Wolf Bauer: Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um eine Abwälzung des Großhandelsrabatts auf die Apotheken zu unterbinden?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege, der Großhandel ist durch Gesetz verpflichtet worden, den Großhandelsabschlag in Höhe von 3 Prozent auf die Apothekenabgabepreise zu gewähren. Der Abschlag hat insgesamt ein Volumen von 600 Millionen Euro. Damit wird der erkennbar weit überhöhte Großhandelszuschlag der Arzneimittelpreisverordnung korrigiert, durch den der Großhandel bisher nachweislich eine Handelsspanne von rund 1,1 Milliarden Euro pro Jahr mehr zulasten der Endverbraucher erhalten hat, als er tatsächlich für die Erfüllung seiner Aufgaben benötigt. Die Bundesregierung erwartet vom Großhandel, dass dieser seinen Einsparbetrag erbringt. Der Großhandel hat erklärt, dass er einen spürbaren eigenen Einsparbeitrag erbringen werde. Die pauschale Verweigerung eines eigenen Konsolidierungsbeitrags seitens des pharmazeutischen Großhandels gebe es nicht. Die Schreiben des pharmazeutischen Großhandels vom Dezember 2002 an die Apotheken hinsichtlich der Lieferkonditionen seien nur eine erste kurzfristige Reaktion auf das Beitragssatzsicherungsgesetz gewesen. Eine Verweigerung von Verhandlungen über Lieferkonditionen sei nicht beabsichtigt. Diese Verhandlungen würden nunmehr mit den Apotheken geführt. Die Verhandlungen sind offenbar noch nicht abgeschlossen, sie sind aber bereits im Januar aufgenommen worden.

Dr. Wolf Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wie erklären Sie sich die letzten Äußerungen des Großhandels, wonach er das Einsparvolumen aus eigener Kraft nicht erbringen könne, sodass das an die Apotheken weitergegeben werden müsse?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Zunächst einmal war es für uns interessant, dass in den Gesprächen die eigenen Gewinnspannen korrigiert wurden; die früheren Aussagen wurden also relativiert. Ich kenne keinen am Wirtschaftsgeschehen Beteiligten, der dem Gesetzgeber, der von ihm einen Rabatt erwartet, freiwillig sagen würde, dass er ihn gerne zahlt und dass er dies ohne Probleme kann.

Dr. Wolf Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wir haben uns über Einsparvolumina unterhalten. Können Sie uns in diesem Zusammenhang Auskunft darüber geben, welche Einsparvolumen Sie bei der Einführung eines Versandhandels erwarten?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Diese Frage hat mit Ihrer Ausgangsfrage eigentlich nichts mehr zu tun. Zum Thema Versandhandel können wir keine sicheren Abschätzungen geben. Sie wissen, dass die Arzneimittelausgaben in den letzten vier Jahren - von 1998 bis 2002 um über 25 Prozent gestiegen sind. Das heißt, in diesem Bereich gab es deutliche Zuwächse bei den Ausgaben. Deswegen greifen unsere Maßnahmen insbesondere bei den Arzneimitteln. Durch die drei Rabattstrukturen versprechen wir uns bei den Arzneimitteln - so habe ich es eben auch vorgetragen - ein Einsparvolumen in der Größenordnung von insgesamt 1,3 Milliarden Euro. Sie wissen, dass der zustimmungspflichtige Teil des Beitragssatzsicherungsgesetzes derzeit noch im Bundesrat liegt. Ich appelliere an Sie, mit den Ländern zu reden, sodass wenigstens die Nullrunde bei den Verwaltungskosten der Kassen und die Erweiterung der Optionsmodelle für die Kliniken durchkommen. In diesem Bereich gibt es aber auch noch die Festbeträge. Dies wäre eine weiteres Einsparvolumen bei den Arzneimitteln. Eine sichere Zahl bezüglich des Versandhandels kann ich Ihnen nicht nennen. Das hängt von vielen anderen Konditionen ab. Ich könnte mir vorstellen, dass auch die Apotheken - zum Beispiel durch die so genannten Hausapothekenmodelle, wie sie in Niedersachsen praktiziert werden - die Chance erhalten können, sich an modernen Marketingstrukturen zu beteiligen. Dies könnte für die Apotheken vielleicht die Eröffnung einer neuen Struktur bedeuten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Es gibt eine weitere Zusatzfrage, und zwar des Kollegen Storm.

Andreas Storm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002811, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, sind die Berichte, wonach das Bundesgesundheitsministerium die Aufhebung des Fremdund Mehrbesitzverbotes von Apotheken beabsichtigt, zutreffend?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Lieber Herr Kollege Storm, in der letzten Sitzung des Gesundheitsausschusses haben wir ein Papier mit den Eckpunkten der Gesundheitsstrukturreform verteilt und die Diskussion darüber angeboten. Dort gab es auch Ausführungen zum Thema Mehrbesitzverbot. Als dieser Tagesordnungspunkt in der letzten Woche aufgerufen wurde, waren Sie leider nicht mehr anwesend. ({0}) Wir hätten die Diskussion damals gerne vertiefen können. Zum Mehrbesitzverbot haben wir erste Überlegungen vorgestellt. Sie wissen auch, dass sich das Gesundheitsstrukturgesetz noch in der Diskussion befindet. Wir haben acht Eckpunkte vorgestellt. Dazu gehören auch die Liberalisierungen im Bereich des Arzneimittelmarktes. Eine mögliche Maßnahme wäre das Mehrbesitzverbot. Ob man einen „Deckel“ einführen wird, wo er gegebenenfalls liegen wird und inwieweit man moderne Hausapothekenmodelle einbeziehen wird, wird das weitere Gesetzgebungsverfahren zeigen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Bevor wir zum Schluss der Fragestunde kommen, lasse ich noch die Zusatzfrage des Kollegen Spahn zu.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, vorneweg eine Bitte: Können Sie uns - das hatte ich vorhin ja zugerufen - die Schreiben der Apotheker, die sich bedanken, übersenden? Ich erhalte täglich ganz andere Schreiben. Es wäre schön, auch diese vorliegen zu haben. ({0})

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Ich räume ein, dass diejenigen, die sich bedanken, weniger sind als die anderen. Die Schreiben schicke ich Ihnen aber gerne zu.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme jetzt zu meiner Frage - Sie haben gerade selbst die Festbeträge und andere Dinge angesprochen -: Wird die Arzneimittelpreisverordnung geändert und wenn ja: in welche Richtung?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Sie wissen, dass innerhalb der Gesundheitsstrukturreformen auch die Arzneimittelpreisverordnung ein Thema sein wird. Es gibt verschiedene Modelle. Auch die Vorstellungen beteiligter Wirtschaftskreise wollen wir prüfen. Sie wissen, dass insbesondere die ABDA für eine Veränderung eintritt. Aber auch andere am Wirtschaftsgeschehen Beteiligte im Bereich Arzneimittel wünschen Änderungen. Wir werden diese Wünsche im Gesetzgebungsverfahren prüfen und im Fachausschuss über die einzelnen Punkte reden. Wir können uns sehr wohl vorstellen, dass diese Verordnung in Zukunft auch die Beratungsleistung des Apothekers abbildet und damit Schluss macht, dass besonders viel im oberen Preissegment verdient wird.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Alle Fragen, die jetzt noch nicht zur Beantwortung gekommen sind, werden nach unserer Geschäftsordnung schriftlich beantwortet. Die Fraktion der CDU/CSU hat zur Antwort der Bundesregierung auf die eingebrachte Dringlichkeitsfrage eine Aktuelle Stunde verlangt. Das entspricht Nr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Die Aussprache wird im Anschluss an die Fragestunde durchgeführt. Ich rufe nun den neuen Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der CDU/CSU Pockenviren Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kollege Hartmut Koschyk, CDU/CSU-Fraktion.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der auf offener Bühne ausgetragene Streit innerhalb der Bundesregierung über das Ausmaß der Gefahr von Massenvernichtungswaffen in Händen von Terroristen für unser Land und unsere Bürger und eine in diesem Zusammenhang miserable Informationspolitik haben zu einer großen Verunsicherung unserer Bevölkerung geführt. ({0}) Hierfür trägt allein die Bundesregierung die Verantwortung, nicht etwa die Medien, die über dieses Kompetenzund Auskunftswirrwarr innerhalb der Bundesregierung berichten. ({1}) Die Bundesgesundheitsministerin hat bereits im Mai des Jahres 2002 bei der Jahrestagung der Weltgesundheitsorganisation WHO in Genf öffentlich von Vermutungen gesprochen, dass auch im Irak Pockenviren gelagert würden, weshalb vorsorglich Impfdosen für alle Menschen in Deutschland angeschafft würden. ({2}) Gegenüber ihrer nordrhein-westfälischen Amtskollegin schreibt die Gesundheitsministerin am 17. Mai 2002, dass es „dokumentierte Erkenntnisse“ gebe, die eine grundsätzliche Bedrohungslage weltweit durch bioterroristische Attentate begründen. In dem am Wochenende durch die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ bekannt gewordenen Vermerk des Gesundheitsministeriums vom 9. August 2002 heißt es: Den deutschen Sicherheitsdiensten liegen dokumentierte Erkenntnisse vor, dass Pockenerreger außerhalb der offiziellen Labore in Atlanta und Koitsovo illegal, z. B. in Russland, Irak und Nordkorea gelagert werden. Ebenso gibt es Hinweise darauf, dass sich Terrorgruppen um die Herstellung biologischer Kampfstoffe bemühen. Auch wird die Befürchtung geäußert, dass der Irak im Falle einer militärischen Auseinandersetzung mit den USA „mit den ihm zur Verfügung stehenden biologischen Kampfstoffen, also auch Pockenviren, reagiert.“ So weit der Vermerk des Bundesgesundheitsministeriums. Diese Gefahreneinschätzung haben Sie, Frau Ministerin Schmidt, im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages am 13. November des vergangenen Jahres wiederholt. Dieses Lagebild deckt sich mit einer Analyse des Bundesnachrichtendienstes BND, worüber die Tageszeitung „Die Welt“ am 19. November 2002 berichtet hat. Danach besteht laut BND der Verdacht, dass der Irak noch immer einen Teil seiner in Munition abgefüllten biologischen Kampfstoffe besitze. Auch habe der Irak, so der BND, die Verfügbarkeit über Anthrax, Botulinustoxin und Aflatoxin in munitionierter Form zugegeben. Des Weiteren zitiert „Die Welt“ aus der ihr vorliegenden BND-Analyse, dass der Irak auch an Forschung und Entwicklung von Mykotoxinen und Rotaviren gearbeitet habe und „ebenso an Pocken, getarnt als KamelpockenProjekt“. Der BND schlussfolgerte damals: Die verwendeten Produktionsmethoden und hohen Ausbeuten deuten auf eine fortgeschrittene Technologie hin. Es müsse befürchtet werden, dass der Irak „innerhalb von mehreren Monaten sein B-Waffen-Programm wieder aufleben lassen könnte“. In seinem Bericht vor dem UN-Sicherheitsrat am 27. Januar dieses Jahres hat UN-Chefinspekteur Hans Blix ebenfalls über nachhaltige Hinweise gesprochen, nach denen der Irak über Anthrax verfüge und auch das Nervengas VX in Waffen eingebaut habe. US-Außenminister Powell hat vor dem UN-Sicherheitsrat am 5. Februar dieses Jahres ausgeführt: Saddam Hussein hat Dutzende von biologischen Stoffen untersucht, die Krankheiten hervorrufen, zum Beispiel Gasbrand, Pest, Typhus, Wundstarrkrampf, Cholera, Kamelpocken und hämorrhagisches Fieber, und - so der amerikanische Außenminister weiter er verfügt auch über die Ausrüstung, um Pockenviren zu entwickeln. In diesem Zusammenhang frage ich mich, Herr Bundesminister Schily, warum Sie im Hinblick auf den Haushaltsvermerk vom 9. August des vergangenen Jahres von einem Dokument sprechen, aus dem Geschichten gezimmert werden, die mit dem wahren Sachverhalt nichts zu tun haben, da doch Ihr Haus, das seinerzeit bei diesem Haushaltsvermerk des Gesundheitsministeriums mitbefasst war, der Gefahreneinschätzung nicht widersprochen hat. Die deutsche Öffentlichkeit fragt sich, ob die Bundesgesundheitsministerin über Monate hinweg die Bedro2100 hungslage überdramatisiert hat, um an die notwendigen Haushaltsmittel heranzukommen - was ein Skandal wäre -, oder ob jetzt die Gefahr, die von biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen ausgeht, die sich in den Händen des Iraks befinden, bagatellisiert wird. ({3}) Herr Bundesminister Schily, Sie verweisen immer wieder auf Ihre guten Kontakte zum amerikanischen Justizminister Ashcroft, ({4}) zum neuen Minister für Homeland Security Tom Rice ({5}) - Entschuldigen Sie, Herr Minister, dass mir der Name nicht parat war, aber Sie verkehren ja ständig mit Tom Ridge. - Wenn Sie ständig mit amerikanischen Fachleuten wie dem Minister für Homeland Security und dem Justizminister verkehren und auch Gespräche mit dem FBIChef und dem CIA-Chef geführt haben, dann sollten Sie dem deutschen Parlament und auch der deutschen Öffentlichkeit mitteilen, über welche Erkenntnisse die Amerikaner verfügen und ob sich die Erkenntnisse Ihrer Gesprächspartner mit denen decken, die Außenminister Powell vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dargelegt hat. ({6}) Jedenfalls hilft es nicht, Herr Minister -

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Koschyk, schauen bitte einmal auf die Uhr vor Ihnen!

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. ({0}) Jedenfalls hilft es nicht, jetzt plötzlich ein anderes Lagebild zu entwickeln. ({1}) Die Bevölkerung in Deutschland hat Anspruch auf umfassende Auskunft der Bundesregierung über die bestehende Gefährdungslage. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Bundesministerin Frau Ulla Schmidt.

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was die Opposition hier heute veranstaltet, ist ein Stück aus dem Tollhaus, ({0}) das mit der nationalen Verantwortung für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande nichts zu tun hat, auch wenn Sie das anders darstellen wollen. ({1}) Es sagt vielleicht mehr über den Zustand Ihrer eigenen Partei und über die Art und Weise aus, in der dort die Kommunikation stattfindet. Denn Tatsache ist das, was der Herr Kollege Koschyk vorgetragen hat. Um welche Informationen darüber hinaus geht es Ihnen denn? ({2}) Wann gab es in der Zeit seit dem 11. September 2001 eine Situation, Herr Kollege Luther, in der wir nicht im Haushaltsausschuss und im Gesundheitsausschuss sehr intensiv beraten haben? Mein Ministerium hat direkt nach dem 11. September 2001 gemeinsam mit dem Innenministerium und dem Bundeskanzleramt eine Bund-LänderKoordinierung eingerichtet und gemeinsam mit den Vertretern auch Ihrer Partei in den Landesregierungen darüber geredet, wie wir mit potenziellen Gefährdungen in diesem Lande umgehen. Unabhängig davon, ob Ihnen Erkenntnisse vorliegen oder nicht, kann ich Ihnen versichern: In Bezug auf die Gefährdung mit Pockenviren hilft nur eines, nämlich die Beschaffung von Impfstoff. Das ist das Entscheidende. ({3}) Wenn Sie in den Protokollen nachlesen, was in den einzelnen Ausschüssen gesagt wurde, werden sie feststellen, dass immer wieder darauf hingewiesen wurde, dass eine allgemeine Bedrohungslage besteht. Weil wir nicht wissen, ob irgendwo auf dieser Welt außerhalb der offiziellen Stellen Pockenviren vorhanden sind und gelagert werden, ist eine allgemeine Bedrohung gegeben. So wie für den Erhalt der Gesundheit generell gilt: „Vorbeugen ist besser als heilen“, gilt für den Fall einer Bedrohung mit Pockenviren: Impfen ist notwendig, weil es nach dem heutigen Kenntnisstand der Medizin keine Heilungsmöglichkeiten gibt. Danach haben wir gehandelt. Ich bedauere die jetzt entstandene Diskussion; denn wir haben seit anderthalb Jahren in den entsprechenden Ausschüssen darüber diskutiert - ich spreche jetzt auch die Kollegin an -, dass wir handeln müssen, weil die Pocken zwar ausgerottet waren und weil - mit Ausnahme der offiziellen Labore in den USA und der Sowjetunion jedes Land seine Virusstämme vernichten sollte. Wir wissen aber nicht - darüber gibt es weltweit keine Erkenntnisse -, ob es außer den Kamelpockenviren - diese sind nicht so gefährlich; denn man kann zwar sich, aber keine anderen Menschen anstecken - noch andere Pockenvirenstämme gibt. Wir haben jetzt gehandelt. Ich kann Ihnen gerne die ganze Liste an Maßnahmen vorlesen, die wir gemeinsam mit den Ministern und Ministerinnen der von Ihnen geführten Länder sowie mit den von SPD und Grünen geführten Ländern aufgestellt haben. Wir haben in den letzten anderthalb Jahren versucht, sowohl Zugriff auf vorhandenen Pockenimpfstoff zu bekommen, der qualitativ hochwertig ist, als auch mit dem Haushaltsausschuss eine Regelung zu finden, die es uns ermöglicht, Pockenimpfstoff dort, wo wir Zugriff auf ihn haben, aufzukaufen. Zu dem Vorwurf, wenn es keine konkrete Gefährdung gebe, dann dürfe man das Geld auch nicht ausgeben, sage ich Ihnen: Wenn es konkret geworden wäre und wir hätten vorher kein Geld für Impfstoffe ausgegeben, dann wäre es zu spät gewesen. Das wäre verantwortungslos! Wollen Sie das etwa sein? Das ist jedenfalls nicht die Politik, die die Bundesregierung in dieser Frage macht. ({4}) Wenn wir hier tatsächlich Geld für Impfstoffe ausgegeben hätten, ohne sie zu brauchen, dann wäre die Bundesregierung sehr glücklich darüber; denn das wäre die beste Fehlinvestition, die je getätigt wurde. Schließlich würde das bedeuten, dass die Bürger und Bürgerinnen nicht nur in unserem Land, sondern weltweit sicher und geschützt davor sind, sich mit Pockenviren zu infizieren, also vor einer Krankheit, die nicht heilbar ist. Das ist unser Ziel. ({5}) Wenn Sie in dieser Frage nur ein bisschen nationales Verantwortungsbewusstsein hätten, ({6}) dann würden Sie ein solches Thema, über das wir seit anderthalb Jahren gemeinsam diskutieren ({7}) und bei dem es zwischen uns keine unbeantworteten Fragen gibt, ({8}) zum jetzigen Zeitpunkt - man muss sich fragen, warum Sie das gerade jetzt tun - nicht hochziehen. Sie wollen damit nur von Ihren innerparteilichen Schwierigkeiten ablenken ({9}) sowie die Menschen in diesem Land verunsichern und ihnen Angst und Bange machen, um eine Diskussion anzuzetteln. ({10}) Als hätte es irgendwem in diesem Land genutzt, wenn Herr Luther, Frau Schmidt, Herr Küster - oder wer auch immer - etwas mehr wüssten. ({11}) Wir haben internationale Kontakte und tun das, was auch andere Länder tun: ({12}) Wir tun alles, um unsere Bevölkerung zu schützen. Das ist das Entscheidende. Deshalb war es richtig, dass wir den Impfstoff geordert haben. Wir setzen alles daran, dass im Falle eines Falles - wir hoffen, dass er niemals eintreten wird - die Menschen in diesem Land durch entsprechende Impfungen geschützt sind und dass keine Gefahren entstehen. Daran sollten Sie mitarbeiten und dafür sollten Sie uns dankbar sein. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Andreas Storm [CDU/CSU]: Büttenrede! - Dr. Uwe Küster [SPD]: Sehr verantwortungsvoll! - Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lieber Büttenrede als Kriegstreiberrede!

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Max Stadler, FDPFraktion.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, ich finde, Sie haben am Thema vorbeigeredet. ({0}) Es geht doch nicht darum, ob die Beschaffung von Impfstoffen richtig war, sondern um die Informationspolitik der Bundesregierung. ({1}) Die Bundesregierung muss sich fragen lassen, warum sie die Bedrohung durch Pockenviren einmal als massiv darstellt, ein anderes Mal aber lediglich als abstrakte Gefährdung. ({2}) Nicht die Beschaffungsaktion wird von uns kritisiert, sondern die unterschiedliche Tendenz in der Darstellung der Gefahr. ({3}) In dem Vermerk für den Haushaltsausschuss, der öffentlich bekannt geworden ist, als es also um die Bewilligung von Haushaltsmitteln ging, war von einer akuten Verschärfung der Gefährdungslage, von der Befürchtung, dass der Irak „mit den ihm zur Verfügung stehenden biologischen Kampfstoffen, also auch Pockenviren“ reagieren werde, die Rede. Heute wird dies deutlich relativiert. Das passt nicht zusammen. Entweder ist einmal übertrieben worden oder die Gefahr wird jetzt untertrieben. ({4}) Wir haben vorhin in der Fragestunde erlebt, dass die Staatssekretärin Caspers-Merk angekündigt hat, künftig werde das Parlament nur noch restriktiver und zurückhaltender informiert. Das ist natürlich genau der falsche Weg. ({5}) Nur, wie von Guido Westerwelle gefordert, die Offenlegung aller Fakten, auch der Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes, ist der einzig richtige Weg. ({6}) Nur wenn Sie die Bevölkerung offensiv informieren, werden Sie auch Ängsten vorbeugen. Deshalb hat die „Frankfurter Rundschau“ der Bundesregierung in ihrem gestrigen Kommentar, in dem - das räume ich ein - durchaus auch die Opposition mit Kritik bedacht worden ist, ({7}) zutreffend vorgehalten: Mit ihrem Informationsdesaster hat sie aber einen großen Anteil an der unangebrachten Hysterie zu verantworten. ({8}) Über den konkreten Einzelfall hinaus wirft dieser Vorgang in Wahrheit eine zentrale Frage einer Demokratie auf: Wie und in welchem Umfang muss eine Regierung in Krisenzeiten Parlament und Bevölkerung informieren? Auch uns ist klar: Es darf keine unnötige Panik erzeugt werden. Selbstverständlich gibt es Erkenntnisse, die aus militärischen, geheimdienstlichen oder polizeilichen Erwägungen geheim bleiben müssen. Aber die Demokratie lebt vom öffentlichen Diskurs über die maßgeblichen politischen Themen. Ein solcher Diskurs setzt, um ein berühmtes Buch von Karl Steinbuch zu zitieren, „Die informierte Gesellschaft“ voraus. Deswegen gilt: So viel Information wie möglich, sowohl für das Parlament als auch für die Öffentlichkeit. Im konkreten Fall Irak ist seit langem bekannt, dass dieser Staat Kamelpockenviren hatte, die für Menschen ungefährlich sind. Denkbar ist aber, dass sie als Modell für die Produktion von Pockenviren dienen, die auch als biologische Waffen gegen Menschen eingesetzt werden können. Deswegen ist es für die öffentliche Meinungsbildung von zentraler Bedeutung, das konkrete Ausmaß der Bedrohung genau zu kennen. ({9}) Daher reichen auch vertrauliche Unterrichtungen von einzelnen Parlamentariern oder von Parlamentsausschüssen nicht aus. Übrigens war es gerade ein Versprechen der rot-grünen Regierung und der rot-grünen Koalition, für größtmögliche Transparenz einzutreten. ({10}) In der Koalitionsvereinbarung wird zum Beispiel ein Informationsfreiheitsgesetz versprochen, das - ich zitiere wörtlich - „dem Grundsatz des freien Zugangs zu öffentlichen Daten und Akten Geltung verschafft“. ({11}) Insbesondere die Grünen haben die Forderung nach einem Informationsfreiheitsgesetz in ihr Grundsatzprogramm vom 17. März 2002 aufgenommen. Als dieses Gesetz in der letzten Legislaturperiode an der SPD gescheitert war, wurde dies von den Grünen als ein - ich zitiere eine Pressemitteilung der Grünen - „Rückschlag für Demokratie und Transparenz“ bewertet. ({12}) Akteneinsichtsrechte seien mittlerweile Standard in der demokratischen Gesellschaft. Das muss dann aber auch in Krisensituationen gelten. ({13}) Nach dem angeführten Gesetzentwurf soll das Recht auf Informationszugang freilich nicht bestehen, wenn der Akteninhalt dem Wohle des Staates schwerwiegende Nachteile bereitet. Ich behaupte: In Bezug auf den Fall, um den es heute geht, liegt der schwerwiegende Nachteil nicht in der Information der Bevölkerung, sondern im Verschweigen dieser Information. ({14}) Meine letzte Bemerkung ist losgelöst von diesem konkreten Fall und - ich betone dies ausdrücklich - gilt allgemein. In Zeiten wie diesen wird oft ein berühmtes Wort aus der Antike zitiert, nämlich der Satz Aischylos’: Das erste Opfer eines jeden Krieges ist die Wahrheit. In Kurzform: Die Wahrheit stirbt im Krieg zuerst. Über eines sollten wir uns alle in diesem Haus einig sein: Es darf nie die Situation eintreten, dass schon vor dem Krieg die Wahrheit stirbt. ({15})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Selg, Bündnis 90/Die Grünen.

Petra Selg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003635, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zu Ihnen wissen wir, was Informationspolitik ist. ({0}) Bei uns besteht sie aus Sachpolitik und nicht aus irgendwelchen demagogischen Phrasen. Die von der Opposition jetzt losgetretene Diskussion um das von Pockenviren ausgehende Gefahrenpotenzial ist ein Akt größtmöglicher politischer Verantwortungslosigkeit. ({1}) Ohne jegliche Not wird von der Opposition medienwirksam ein Schmierentheater initiiert. ({2}) Das wird letztlich nur dazu führen, dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes grundlos verunsichert und überflüssige Ängste geschürt werden. ({3}) Was soll diese Spekulation über angebliches Geheimwissen der Regierung über geplante terroristische Anschläge mit Pockenviren? Dafür fehlt jegliche Grundlage. Wir führen hier eine absolute Geisterdiskussion. ({4}) Das Argument der Opposition lautet ungefähr so: Einerseits sagt die Regierung, es gebe keine Gefahr, andererseits bestellt sie größtmögliche Mengen Pockenimpfstoff; also muss es ja eine Gefahr geben. Bei allem Respekt, was ist denn das für eine Logik? Verzichten Sie bei Ihrem Haus etwa auf eine Brandschutzversicherung, nur weil gerade niemand mit Streichhölzern am Vorhang zündelt? Anders gefragt: Folgt aus der Tatsache, dass Sie heute Ihr Haus versichern, dass Ihnen morgen die Bude abbrennt? Natürlich nicht. Die Gefahr, dass Ihnen das Haus niederbrennt, ist zwar prinzipiell gegeben, tritt aber nur mit geringer Wahrscheinlichkeit ein. Nichts anderes tut die Bundesregierung im Moment: Sie versichert die Bevölkerung der Bundesrepublik gegen die abstrakte Gefahr eines Anschlages mit Pockenviren. Sie hat den Impfstoff beschafft, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein. Dies geschah übrigens in völligem Einklang mit den Ländern. Bereits nach dem 11. September haben gerade der bayerische Gesundheitsminister Eberhard Sinner und vor allem Ihr geschätzter Herr Koch die Auffassung vertreten, es wäre fahrlässig und gefährlich, jetzt nicht zu reagieren. ({5}) Heute weiß man angeblich nichts mehr davon. Momentan kann niemand völlig ausschließen, dass es irgendwo auf der Welt Pockenviren gibt und dass sie in falsche Hände geraten könnten. Es könnte durchaus möglich sein, dass auch Staaten wie der Irak oder Nordkorea im Besitz solcher Viren sind. Das sind aber nur Möglichkeiten. Das heißt noch lange nicht, dass dies auch wirklich so ist. Um es noch einmal mit aller Deutlichkeit zu sagen: Wir haben keine Kenntnis von einer akuten Bedrohungssituation. Nichts anderes hat Frau Ministerin Schmidt schon in der Sitzung des Haushaltsausschusses am 13. November klipp und klar gesagt. ({6}) - Der Vermerk - das wurde in dieser Sitzung des Haushaltsausschusses auch gesagt - ({7}) - Fragen Sie sich das einmal selber. Die Meldung der „FAZ“ wird heute von der Opposition als Beweis für das angebliche Geheimwissen der Regierung missbraucht. ({8}) Vorgestern wurde genau die Bewertung, welche die Ministerin im Haushaltsausschuss vorgenommen hat, von einer Sprecherin des Ministeriums erneut vorgetragen. Die Rede war auch hier nur von einer abstrakten Gefahrenlage. Es wurde unmissverständlich klargestellt, dass es keine Erkenntnisse über biologische Kampfstoffe im Irak oder Hinweise für eine konkrete Bedrohung durch Pockenviren gibt. Ich frage mich: Was will die Opposition eigentlich? ({9}) Die Aussagen der Ministerin und von Vertretern des Ministeriums sind eindeutig: Es gibt keinen konkreten Anlass zur Beunruhigung. Nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden war und ist ein Anschlag mit Pockenviren weiterhin eher unwahrscheinlich. ({10}) Diese klaren Aussagen sollte die Opposition endlich akzeptieren. ({11}) Hören Sie auf mit Ihren kleinkarierten Wortklaubereien! Alles andere wirkt zunehmend lächerlich. Auf einer Ministerpräsidentenkonferenz, die kurz vor Weihnachten gemeinsam mit dem Bundeskanzler stattfand, wurde über das Problem der Beschaffung ausreichender Mengen Impfstoffes und dessen Finanzierung erneut geredet. Man vereinbarte einvernehmlich - auch Ihre Ministerpräsidenten waren dabei -, ({12}) dass von der Bundesregierung unverzüglich 100 Millionen Chargen beschafft werden, um im Ernstfall den bislang nicht gewährleisteten Vollschutz der Bevölkerung sicherstellen zu können. Deshalb appelliere ich an Sie: Hören Sie endlich auf, mit billiger Effekthascherei Stimmung machen zu wollen! Hören Sie auf, bei der Bevölkerung unnötigerweise Angst zu schüren! Danke. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Bosbach, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin, Max Stadler hat Recht: Das war eine fulminant vorgetragene Rede. Sie hatte nur den entscheidenden Nachteil, mit dem Thema des Nachmittags nichts zu tun zu haben. ({0}) Es geht nicht um die Frage: War es richtig oder war es falsch, Impfdosen anzuschaffen? ({1}) Die Frage ist vielmehr, ob diese Bundesregierung das tut, was sie tun müsste, nämlich die Bevölkerung zeitnah, umfassend und wahrhaftig über die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus zu informieren. Wir haben begründete und erhebliche Zweifel daran, dass diese Regierung das tut. ({2}) Der Vorwurf der Panikmache ({3}) ist geradezu absurd. Er ist aber nicht nur absurd, er ist paradox; denn Sie fallen in Ohnmacht und werfen uns Panikmache vor, wenn wir wortwörtlich aus regierungsamtlichen Dokumenten zitieren. Sie warnen ja vor Ihrer eigenen Regierung! ({4}) Möglicherweise haben Sie damit sogar Recht. Möglicherweise ist diese Warnung vor Ihrer Regierung sogar richtig. ({5}) Wir sprechen hier nicht über Mutmaßungen und Einschätzungen, sondern wir sprechen über Tatsachenbehauptungen. ({6}) Hartmut Koschyk hat das richtig zitiert. In einem regierungsamtlichen Dokument vom 9. August heißt es: „Den deutschen Sicherheitsdiensten liegen dokumentierte Erkenntnisse vor, dass Pockenerreger außerhalb der offiziellen Labore ... gelagert werden. Als möglicher Standort wird der Irak genannt.“ Gibt es diese dokumentierten Ergebnisse oder gibt es sie nicht? ({7}) Entweder es gibt sie oder es gibt sie nicht. Nur eines von beiden ist möglich. Diese Regierung verweigert standhaft die Beantwortung der Frage, ob diese Behauptung richtig ist oder falsch ist. ({8}) Ich zitiere wieder aus dem Schreiben vom 9. August: „Ebenso gibt es Hinweise darauf, dass sich Terrorgruppen um die Herstellung biologischer Kampfstoffe bemühen.“ Gibt es diese Hinweise oder gibt es sie nicht? ({9}) Es kann nicht beides gleichzeitig richtig sein. Ist die Darstellung der Gefahrenlage durch die Bundesgesundheitsministerin richtig oder ist sie falsch? Sagt Frau Schmidt die Wahrheit oder sagt Herr Schily die Wahrheit? ({10}) Jedenfalls können nicht beide gleichzeitig Recht haben. ({11}) Herr Schily sagt: Wir haben keine Erkenntnisse darüber, dass der Irak über Lager mit Pockenviren verfügt. Das ist ziemlich präzise das Gegenteil von dem, was die Bundesgesundheitsministerin zumindest in der Vergangenheit behauptet hat. Das Entscheidende ist doch wohl eine einheitliche Bedrohungsanalyse durch die Bundesregierung. Es kann nicht sein, dass verschiedene Ministerien unterschiedliche Bedrohungsanalysen vornehmen und die Bundesregierung insgesamt die Bevölkerung im Hinblick auf die Frage: Wie groß ist eigentlich die Gefahr durch den internationalen Terrorismus?, ratlos lässt. Diese einheitliche Bedrohungsanalyse wurde für mich erkennbar erstmals gestern in der „Bild“-Zeitung unter der Überschrift „Jetzt reden die Minister“ vorgenommen. Dass die einheitliche Bedrohungsanalyse in der „Bild“Zeitung vorgenommen wird, und zwar zur Vorbereitung auf diese Aktuelle Stunde, ({12}) ist eher besorgniserregend als beruhigend. ({13}) Wir haben in dieser Debatte, insbesondere bei dem, was Max Stadler Ihnen völlig zutreffend vorgehalten hat, auf die eigentlich entscheidenden Fragen bis jetzt überhaupt keine Antwort bekommen. Frau Caspers-Merk, es hat mir gefallen, dass Sie die Sprachbilder „abstrakte Gefahr“ und „konkrete Gefahr“ benutzt haben und ein Beispiel aus dem Bereich Feuerschutz angeführt haben. Sie haben sinngemäß - nicht wortwörtlich - gesagt: Bei der abstrakten Gefahr gilt: Wir wissen nicht, ob es brennt. Wir hoffen, dass es nicht brennt. Wir gehen davon aus, dass es nicht brennt, aber wir kaufen uns mal einen Feuerlöscher. - Richtig so! Zur konkreten Gefahr haben Sie gesagt: Es ist ein Brandstifter unterwegs. Den eigentlich entscheidenden Punkt haben Sie dabei unterschlagen. Einmal Folgendes unterstellt: Es gibt einen Brandstifter, der schon Hundertausende auf dem Gewissen hat. Wir wissen, dass er Feuerzeuge hat. Wir wissen, dass er Brandbeschleuniger hat. Wir wissen, dass die Weltgemeinschaft ihn aufgefordert hat, den Nachweis dafür zu erbringen, dass er diese Mittel vernichtet hat. ({14}) Wir wissen auch, dass dieser Nachweis bis heute nicht geführt worden ist. Die Frage ist dann: Ist das eine abstrakte Gefahr oder ist das eine konkrete Gefahr? Auf die Beantwortung dieser Frage bin ich gespannt. ({15}) Kommen Sie jetzt nicht auf die Idee, zu sagen, dass der Vermerk vom 9. August das Werk übermotivierter Mitarbeiter im Bundesgesundheitsministerium gewesen ist. Diese Ausrede kennen wir aus dem Verfahren zum Verbot der NPD. Sie war damals nicht tauglich und sie ist es heute nicht. Die politische Verantwortung tragen die beiden Minister und sie werden ihr erkennbar nicht gerecht. ({16})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Karsten Schönfeld, SPD-Fraktion.

Karsten Schönfeld (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003229, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist das Recht der Opposition, in Fragestunden die Bundesregierung über bestimmte Sachverhalte zu befragen, wie es eben auch zu dem Problem der Pockenviren geschehen ist. Aber, meine Damen und Herren, es ist durchsichtig und scheinheilig, was Sie hier veranstalten und welchen Popanz Sie aufführen. Nichts anderes geschieht auch in dieser Aktuellen Stunde; wir haben es jetzt wieder bei den drei Oppositionsrednern, die bisher gesprochen haben, erlebt. Herr Kollege Bosbach, Sie haben uns gerade gesagt, dass Sie Ihre Erkenntnisse offensichtlich aus der „Bild“Zeitung beziehen. ({0}) Sie sollten sich auf Dinge konzentrieren, die den Tatsachen entsprechen, und nicht auf diese Art und Weise vorgehen. Sie entlarven sich ja selbst. Es ist absurd, was hier immer wieder behauptet wird. In der „Süddeutschen“ von heute lesen wir: Erst die Pockenviren, jetzt Langstrecken-Raketen, morgen vielleicht ein ganzes Atomwaffenarsenal … Was Sie hier veranstalten, ist Panik- und Angstmache. Das widert einen wirklich an. Anders kann ich das nicht bezeichnen. ({1}) Die entscheidende Frage ist doch: Können die Menschen in Deutschland sicher sein, dass alles getan wird, um sie vor einem möglichen Pockenvirenangriff zu schützen? Hier lautet die klare Antwort: Es wird von der Bundesregierung alles getan. Hier hilft kein Reden, hier hilft nur, entsprechende Impfdosen anzuschaffen. Das passiert. Es wäre gut, wenn Sie sich hier nicht nur darauf zurückziehen würden, uns zu kritisieren, sondern vielleicht auch einmal Ihre Stimme in Richtung der Länder erheben würden, die nur die kleinkarierte Diskussion darüber führen, wer das am Ende alles bezahlen soll. So heißt es dort: Der Ernstfall hat etwas mit Krieg zu tun, das ist Zivilschutz und damit Bundessache. Wir sind dagegen der Meinung, Pockenschutz ist auch Katastrophenschutz. Hier sind also die Länder mit im Boot. Ich richte die herzliche Bitte in Richtung Opposition: Sprechen Sie mit den von Ihnen regierten Ländern und fordern Sie sie auf, sich an der Finanzierung zu beteiligen. Bis heute ist alles vom Bund bezahlt worden. ({2}) Es ist erstaunlich: Erst wollen Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, wissen, warum die für den Katastrophenschutz zuständigen Länder angeblich zu spät informiert wurden. Wenn es dann aber konkret wird und um die Finanzen geht, möchten die Ländervertreter am liebsten gar nichts mehr von einer Bedrohung hören. Da ist dann zu hören: Ist überhaupt so schnell so viel nötig? Hier besteht doch, wie ich denke, ein großer Widerspruch. ({3}) In Sachen Pockenviren gibt es keinen Grund, eine solche Panik zu schüren, wie Sie sie in den letzten Tagen zu schüren versucht haben. Wir laden Sie ein: Kommen Sie mit, unterstützen Sie uns bei der Information der Öffentlichkeit! ({4}) Hören Sie endlich mit der Verunsicherungskampagne auf, die Sie betreiben! Es wäre schön, wenn auch Sie zu dieser Einsicht kämen und endlich auf den Boden der Tatsachen zurückkehrten. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Friedbert Pflüger, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Friedbert Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001710, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir aus gegebenem Anlass eine kurze Vorbemerkung. Wir hatten am vergangenen Montag einen EU-Gipfel, auf dem eine eindrucksvolle Erklärung abgegeben wurde, der wir in allen Teilen zustimmen. ({0}) In dieser Erklärung wird für den Frieden geworben. Dort steht, man wolle versuchen, den Irak friedlich zu entwaffnen. Dort steht allerdings auch, dass vom Irak und seinen Massenvernichtungswaffen die eigentliche Bedrohung ausgehe. ({1}) In diesem Papier der Europäischen Union steht, dass der Irak besser kooperieren müsse und dass er jetzt eine letzte Chance habe, sofort und vollständig abzurüsten. Dann heißt es dort: Krieg als ein letztes Mittel zur Durchsetzung der Entwaffnung wird nicht ausgeschlossen. Meine Damen und Herren, all dies steht im Zusammenhang: der Versuch, den Frieden zu erreichen mit allen möglichen Mitteln, aber, um die Arbeit der Inspektoren durchführen zu können, auch die Drohung mit militärischer Gewalt. Wenn die Bundesregierung das bereits im Sommer gesagt hätte, dann hätten wir nie eine Störung des Grundkonsenses in außenpolitischen Fragen in unserem Land gehabt. ({2}) Bedauerlich ist nur, dass, wie man heute Morgen in den Nachrichtenagenturen liest, der Herr Bundeskanzler die Androhung der Gewalt als letztes Mittel in dieser Erklärung nur als eine generelle und abstrakte Erklärung bezeichnet. ({3}) Wie europafähig ist eigentlich eine Bundesregierung, die zu einem Sondergipfel fährt, über Stunden mit allen europäischen Staats- und Regierungschefs eine Erklärung vereinbart, nach Hause fährt und sagt, dass dieser Teil aber nur abstrakt gemeint sei? So kann man in Europa nicht Politik machen. ({4}) Aus solchen Äußerungen ergibt sich für die Europäische Union schwerer Schaden. ({5}) Meine Damen und Herren, hier ist mehrfach angesprochen worden, dass nur Angst- und Panikmache erfolge. ({6}) Ich kann nur sagen: Die Papiere, die wir zitiert haben, sind keine Papiere von George Bush, auch nicht von der CDU/CSU-Opposition, sondern Papiere aus Ihrem Haus. Wenn Panikmache erfolgt ist, ({7}) dann aus dem Gesundheitsministerium und von Ihrer Ministerin; von niemandem anders. ({8}) Es geht nicht um Panikmache und Hysterie. ({9}) Man darf in der Tat nicht mit solchen schrecklichen Dingen wie Pockenviren und Massenvernichtungswaffen Panik und Hysterie erzeugen. ({10}) Aber man darf ebenfalls nicht - darum geht es uns - verharmlosen und vernebeln. Sie vernebeln und verharmlosen die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen. ({11}) Zum Thema der Pocken ist von den Kollegen Koschyk und Bosbach bereits das meiste gesagt worden. ({12}) Der amerikanische Außenminister Powell hat vor der Weltöffentlichkeit einen sehr eindrucksvollen Vortrag gehalten - jedenfalls habe ich ihn als eindrucksvoll empfunden - und mitgeteilt, wie sich die Bedrohungslage wirklich darstellt. Der Herr Bundesaußenminister Fischer hat das mit den Worten kommentiert: Das ist doch nichts Neues, das wissen wir schon aus eigenen Erkenntnissen. ({13}) Wir hätten gerne, dass die Bundesregierung einmal nicht verharmlost, nicht mit einem Nebensatz, wie in der letzten Regierungserklärung des Bundeskanzlers, das Thema Massenvernichtungswaffen behandelt, sondern dass sie das, was Herr Powell sagt, in groben Zügen unter Berufung auf das, was deutsche Quellen erforscht und erarbeitet haben, der deutschen Öffentlichkeit übermittelt. Darauf hat die deutsche Öffentlichkeit ein Recht. Sie hat ein Recht darauf, zu erfahren, wie die Bundesregierung diese Bedrohung einschätzt. Die Bundesregierung sollte nicht so tun, als ob die Frage der Massenvernichtungswaffen ein Hirngespinst von George Bush sei. Das ist nämlich nicht der Fall. ({14}) Es ist Hans Blix und nicht George Bush, der am 27. Januar vor dem UNO-Sicherheitsrat gesagt hat, dass es nachhaltige Hinweise darauf gebe, dass der Irak mehr Anthrax produziert habe, als er gegenüber den UN-Inspektoren angegeben habe. Einiges davon habe er versteckt. Zudem habe der Irak 650 Kilogramm Nährmittel zur Herstellung von Milzbrandbakterien nicht deklariert. Blix sagte dann wörtlich: Ich stelle fest, dass die Menge der fraglichen Nährmittel ausreichend wäre, um beispielsweise circa 5 000 Liter konzentriertes Anthrax herzustellen. ({15}) Das ist keine kleine Menge. Mit dieser Menge kann man Millionen von Menschen umbringen. ({16}) Ich sage Ihnen: Die große Bedrohung der Zukunft ist die Verbindung von Terrorismus und Massenvernichtungswaffen. Meine Fraktion will sich später nicht vorwerfen lassen - wir wollen alle hoffen und beten, dass es niemals zu solchen Anschlägen kommt -: Ihr habt doch alles gewusst, ihr habt den Zugang zu den Dokumenten gehabt und seid gebrieft worden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Pflüger, Sie müssen zum Ende kommen. ({0})

Dr. Friedbert Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001710, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber ihr habt es vorgezogen, einfach nur Bekenntnisse zum Frieden in die Welt zu setzen und nichts konkret gegen diese fundamentale Bedrohung und Herausforderung zu unternehmen. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Silke Stokar von Neuforn, Bündnis 90/Die Grünen.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der Rede von Herrn Pflüger ist mir deutlich geworden, dass das Thema dieser Aktuellen Stunde zwar ein ernstes Anliegen der CDU/CSU ist, dass sie aber offensichtlich nach wie vor ein großes Problem damit hat. Es geht hier nämlich nicht um Vermerke aus Ministerien. ({0}) Es geht hier auch nicht um Informationspolitik. ({1}) Mir ist jetzt sehr deutlich geworden - dafür bin ich Herrn Pflüger dankbar -, dass Sie seit Tagen versuchen, den Beweis zu führen, dass eine akute Gefahr vom Irak ausgeht. ({2}) Ihre Spitze hat bis heute keine Antwort auf die erfolgreichen Friedensbemühungen der rot-grünen Bundesregierung gefunden. ({3}) Sie haben auch noch keine Antwort auf die gemeinsame Erklärung der EU-Staaten gefunden. ({4}) Es geht Ihnen hier weder um Innenpolitik noch um Gesundheitspolitik, sondern es geht Ihnen darum, mit der amerikanischen Regierung gegen den Irak Krieg zu führen. ({5}) Sie trauen sich aber nicht, dies zu sagen. An den unterschiedlichen Redebeiträgen wird deutlich, dass Sie sich uneins sind. ({6}) Sie trauen sich nach wie vor nicht, die Position, die Herr Pflüger dargelegt hat, offen zu vertreten. ({7}) Sie suchen verzweifelt nach einem Rechtfertigungsgrund für einen Militärschlag gegen den Irak. ({8}) Der friedlichen Stimmung in unserer Bevölkerung setzen Sie eine Angstkampagne mit Pockenviren entgegen. ({9}) Ich nenne dies psychologische Kriegsführung. ({10}) Ich bin sehr froh, dass diese rot-grüne Bundesregierung am 22. September gerade in diesen schwierigen innen- und außenpolitischen Zeiten das Vertrauen der Bevölkerung erneut bekommen hat. Sie hat dieses Vertrauen bekommen, weil die Bevölkerung nicht möchte, dass Innenpolitik mit Hysterie gemacht wird und dass mit Fiktionen gearbeitet wird. Wenn man den Pressespiegel gelesen hat, dann kann man es nur für absurd halten, wie innerhalb weniger Tage einzelne Politiker aus Ihren Reihen, insbesondere Herr Westerwelle, zu selbst ernannten Pockenvirenspezialisten geworden sind, die meinen, dass sie mehr wissen als die Experten des Robert-Koch-Instituts und der neu eingerichteten Akademie für Krisenmanagement. ({11}) Dort gibt es den Sachverstand, auf den sich die rot-grüne Bundesregierung stützt. Sie aber ignorieren diesen Sachverstand, weil Sie eine andere Stimmung in der Bevölkerung produzieren wollen. Sie wollen den großen Friedensdemonstrationen etwas entgegensetzen. Sie brauchen eine Gesellschaft in Angst, damit Sie sich als Problemlöser anbieten können. Ihre Motivation ist mir hier deutlich geworden. ({12}) Sie alle hätten schon vor dem 11. September die Möglichkeit gehabt, das zur Kenntnis zu nehmen. ({13}) Auf einer Innenministerkonferenz wurde einstimmig, unter Zustimmung aller Länder - auch der CDU- und der CSU-regierten Länder, also auch Bayerns -, eine neue Strategie zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland entwickelt. Wir haben im Bereich des Zivil- und Katastrophenschutzes einmütig Entscheidungen getroffen. Nun tun Sie hier so, als seien Sie daran nicht beteiligt gewesen und als seien Sie nicht darüber informiert worden. Ich glaube, dass die Bevölkerung am 22. September 2002 ein richtiges Gefühl hatte. Es war richtig, dieser Bundesregierung das Vertrauen auszusprechen. ({14}) Wir stehen für zwei Dinge: für eine Friedenspolitik in Europa und für eine Innenpolitik mit Augenmaß, ({15}) bei der wir das zum Schutz der Bevölkerung Notwendige und Erforderliche tun, es aber ablehnen, mit Panik Stimmung zu machen. Danke schön. ({16})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Andreas Storm, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Andreas Storm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002811, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin Schmidt, Sie haben vorhin von einem Tollhaus gesprochen. Das trifft mit Blick auf die Informationspolitik auf Ihr Bundesministerium und, wenn ich an die letzte Rede denke, ein Stück weit auf die grüne Bundestagsfraktion zu. ({0}) Bei dieser Debatte geht es einzig und allein um die Informationspolitik oder, besser gesagt, um die Desinformationspolitik der Bundesregierung in diesem Zusammenhang. ({1}) Kein vernünftig denkender Mensch wird die Notwendigkeit von Pockenschutzmaßnahmen leugnen. Der Ausgangspunkt dieser Debatte ist der Vermerk des Gesundheitsministeriums vom 9. August des vergangenen Jahres. Der Kollege Bosbach und der Kollege Koschyk haben aus einer Stelle, die die Überschrift „Wahrscheinlichkeit eines Angriffs“ trägt, zitiert. Dort, wo es um dokumentierte Erkenntnisse geht, heißt es weiter - ich zitiere wörtlich -: Die Anzeichen für einen möglicherweise kurzfristig bevorstehenden Angriff der USA auf den Irak verdichten sich. Es steht zu befürchten, daß der Irak in einem solchen Falle mit den ihm zur Verfügung stehenden biologischen Kampfstoffen, also auch Pockenviren, reagiert. Das ist nicht von irgendeiner nicht amtlichen Organisation, sondern steht in einem Vermerk des Bundesgesundheitsministeriums. Es heißt dort weiter, dass im Falle eines solchen Angriffs und wenn kein zusätzlicher Impfstoff angeschafft werde, mit 30 bis 40 Prozent Todesfällen, also mit etwa 25 Millionen Toten, zu rechnen sei. Nun hat der Sprecher des Gesundheitsministeriums zu diesen Opferzahlen wörtlich erklärt: Das war etwas zugespitzt; ich bedauere das. ({2}) Uns haben alle Fachleute gesagt: Ohne einen umfassenden Impfschutz ist diese Beschreibung ein realistisches Szenario. Genau deswegen dringen alle Gesundheitspolitiker darauf, diesen Impfstoff so schnell wie möglich zu beschaffen. ({3}) Meine Damen und Herren, dieser Vermerk war nicht irgendein interner Vermerk. Denn das Bundesinnenministerium hat diese Einschätzung im August 2002 geteilt und unverändert an das Bundesfinanzministerium weitergeleitet. ({4}) Frau Ministerin, Sie selbst haben bereits im Mai des vergangenen Jahres auf der Jahrestagung der WHO in Genf erklärt, es müssten vorsorglich Impfstoffe für alle Menschen in Deutschland angeschafft werden. Auch da hat das Stichwort Irak eine Rolle gespielt. Es ist die Frage, welche Bedrohungslage die Regierung denn nun wirklich sieht. Vorhin in der Fragestunde hat der Kollege Schmidbauer aus einem Bericht des Bundeswehrbeschaffungsamtes in Köln vom 6. September zitiert. Ich beziehe mich darauf noch einmal auszugsweise. Da heißt es, es lägen geheime Informationen vor, wonach die sofortige Beschaffung des Impfstoffes ohne Rücksicht auf die Rechtslage zu fordern sei. Weitere Einzelheiten könne die betreffende Stelle aufgrund der Geheimhaltungsverpflichtung nicht mitteilen. ({5}) Auch das zitiere ich aus einer Vorlage, die sowohl dem Bundesinnenministerium als auch dem Bundesgesundheitsministerium vorgelegen hat. Wenn das, was darin steht, richtig ist, dann wollen wir wissen, was Sache ist. Die Desinformationspolitik des Gesundheitsministeriums ist das große Problem. Wenn diese Dinge so brisant sind, wie es in diesem Dokument dargestellt wird, müsste man sich fragen, weshalb nicht unverzüglich der Fachausschuss damit konfrontiert wurde, vielleicht sogar noch vor der Wahl am 22. September. Das hat nicht stattgefunden. Nun könnte man erwarten, dass dieses Thema in einer der ersten Sitzungen des neuen Gesundheitsausschusses auf die Tagesordnung gekommen wäre. Das war aber weder im Oktober noch im November noch im Dezember der Fall, sondern es hat bis Januar gedauert, bis wir im Gesundheitsausschuss erstmals umfassend über dieses Thema diskutiert haben, fünf Monate, nachdem dieser Vermerk im Gesundheitsministerium angefertigt worden ist. Meine Damen und Herren, diese Art der Informationspolitik ist völlig inakzeptabel. ({6}) Deswegen muss man feststellen: Frau Ministerin Schmidt, Sie haben die Bedrohung durch Pockenviren im Zuge der Haushaltsberatungen bewusst sehr offensiv dargestellt. Nun wollen Sie gemeinsam mit Ihrem Kollegen, dem Innenminister, davon nichts mehr wissen und sprechen von einer abstrakten Gefahr, als sei da realistisch überhaupt nichts zu erwarten. Kein Mensch geht davon aus oder würde auch nur im Traum daran denken, dass wir unmittelbar vor einer solchen Gefährdung stehen. Aber wir als Parlamentarier würden unserer Verantwortung nicht gerecht, wenn wir nicht in dieser Hinsicht Vorsorge träfen. Deswegen muss die Gefährdungslage deutlich gemacht werden. ({7}) Darauf haben das Parlament und die Öffentlichkeit ein Anrecht. ({8}) Dieser Verpflichtung sind Sie nicht nachgekommen. Ich rate Ihnen sehr dringend, Frau Ministerin: Ändern Sie Ihre Informationspolitik, und zwar umgehend! ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Wolfgang Wodarg, SPD-Fraktion.

Dr. Wolfgang Wodarg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte erscheint mir nach der langen Befassung in der Fragestunde mit diesem Thema, in der wir von der Bundesregierung bereits viele Antworten gehört haben, überflüssig wie ein Kropf. ({0}) Das, was wir hier gehört haben, hat nichts mit dem zu tun, wofür wir hier sitzen. Wir sitzen hier, um die Bevölkerung zu schützen. Wir sitzen hier, um die richtigen Maßnahmen einzuleiten. Ich stelle fest: Diese Bundesregierung hat rechtzeitig eine gute Analyse des Risikos vorgenommen, hat die Schwerpunkte notwendiger Maßnahmen identifiziert, ({1}) hat sofort gehandelt und wir sind mit dem, was die Bundesregierung zum Schutze der Bevölkerung gemacht hat, einverstanden. ({2}) Es gibt keinen Dissens in diesem Hause über die Maßnahmen. Ich halte diese Feststellung für wichtig. Der Deutsche Bundestag ist einig mit den von der Bundesregierung getroffenen Maßnahmen und er will und muss der Bevölkerung gemeinsam mit der Regierung klar machen, dass sie sich zu Recht so sicher fühlen kann, wie man es in der Situation, in der wir uns befinden, nur sein kann. ({3}) Diese Aussage droht in diesem Hause fast verloren zu gehen, aber das ist es, was die Leute von uns wissen wollen. Jetzt kommen wir zu unseren Interna. Wir haben hier darüber gestritten, wer wann welches Papier vorgelegt hat, ({4}) ob die Bundesregierung rechtzeitig gleiche oder widersprüchliche Formulierungen gewählt hat. Das hört sich alles ganz interessant an, und wir verbringen damit jetzt schon zwei Stunden. Sie sagen, das sei für Sie wichtig, und beantragen eine Aktuelle Stunde. Ich kann nur sagen: Ich finde es schade, dass wir auf diese Weise unser Vertrauen verspielen, das wir benötigen und das wir in diesem Fall zu Recht haben. ({5}) Das hat damit zu tun, dass Sie dieses Thema für andere Zwecke missbrauchen wollen. Meine Vorrednerin von den Grünen hat sehr schön dargestellt, ({6}) dass Ihre Aktion etwas mit einem anderen Politikfeld zu tun hat, nämlich mit der Außenpolitik und mit der Haltung der Bundesregierung in Bezug auf einen möglichen Krieg im Irak. Sie haben offenbar Schwierigkeiten, in dieser Sache der Bevölkerung die Wahrheit zu sagen. ({7}) Ich glaube, wir müssen uns vorsehen, wir müssen aufpassen, dass wir, wenn wir etwas für die Gesundheit der Menschen tun wollen, nicht in die Rolle von Ärzten kommen, die sich im Angesicht des Patienten über das Datum und die Modalitäten ihrer Abrechnungen streiten. Wir erleben solche Aktionen von Ihnen auch in der Gesundheitspolitik: Patienten werden zu Geiseln gemacht. Ich denke, das dürfen Sie nicht schon wieder tun, schon gar nicht, wenn es um ein so ernstes Thema geht wie das, welches wir hier heute behandeln. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael Luther, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Bundesministerin Schmidt, Sie haben mich in Ihrer Rede mehrmals auf den Verlauf der Haushaltsberatungen angesprochen. Deshalb möchte ich einiges dazu sagen. Ich beginne mit einem Zitat aus der „FAZ“: Das Gesundheitsministerium bestätigte die Existenz der Vorlage, - also der Vorlage vom 9. August 2002 wies aber darauf hin, dass man eine drastische Sprache gewählt habe, um im Haushaltsausschuss „zügig Gelder für Impfstoffe freizubekommen“. ({0}) Ich habe noch nie aus Sprechzetteln zitiert, Frau Caspers-Merk, aber hier geht es darum: Was hat denn eigentlich der Haushaltsausschuss gewusst und was ist im Haushaltsausschuss behandelt worden? Deshalb möchte ich aus dem Sprechzettel, der mir als Berichterstatter vorlag, zitieren. ({1}) - Das ist nicht vertraulich. - In der Begründung des Papiers für die Sitzung des Haushaltsausschusses am 13. November 2002 steht: Neue Erkenntnisse der Nachrichtendienste über die Wahrscheinlichkeit eines bioterroristischen Angriffs mit Pockenviren zwangen angesichts des hohen Gefährdungspotenzials für die Bevölkerung zu sofortigem Handeln. ({2}) Ich möchte daran erinnern: Bei den Beratungen für den Haushalt 2002, also im November 2001, ist beschlossen worden, 6 Millionen Dosen Pockenimpfstoff zu bestellen. Das geschah unter dem Eindruck der Geschehnisse am 11. September 2001. Da konnte man tatsächlich davon sprechen, dass es eine allgemeine, abstrakte Gefahrensituation gab, die zum Handeln anregte. Der Genehmigung einer außerplanmäßigen Ausgabe im August 2002 lagen dann - so die Information des Haushaltsausschusses - neue Erkenntnisse von Nachrichtendiensten über eine besondere Gefahrenlage zugrunde. Das Papier, das heute mehrfach zitiert wurde und auf das sich das gründet, was der Haushaltsausschuss dann vorgelegt bekommen hat, weist nicht nur auf eine allgemeine, sondern auf eine sehr konkrete Gefahr hin. Den Nachrichtendiensten liegen also dokumentierte Erkenntnisse vor, dass Pockenerreger zum Beispiel im Irak existieren. Das heißt, der Irak verfügt über biologische Massenvernichtungsmittel. Ich will es noch einmal festhalten: Diese Vorlage lag dem Haushaltsausschuss nicht vor. Wenn es nun vonseiten des Gesundheitsministeriums heißt, man habe diese drastische Sprache gewählt, um im Haushaltsausschuss zügig Gelder für Impfstoffe freizubekommen, dann muss man noch einmal den Zeitablauf darstellen: Am 16. August 2002 wurde dem Bundesgesundheitsministerium die außerplanmäßige Ausgabe durch das Bundesfinanzministerium genehmigt. Der Haushaltsausschuss wurde am 13. November 2002 damit befasst, also einige Monate später. Es war daher nicht notwendig, für den Haushaltsausschuss diese drastische Sprache zu verwenden. Der Sachverhalt ist anders: Das Gesundheitsministerium musste sich gegenüber dem Finanzminister durchsetzen. Aber bedarf es dafür einer drastischen Sprache? Bislang ging ich davon aus, dass man sich im Kabinett unter Zustimmung des Bundeskanzlers gemeinsam mit dem Bundesinnenministerium letztendlich entschlossen hat, Pockenimpfstoffe zu bestellen. Also gehe ich davon aus, dass dieses Papier vom 9. August 2002 richtig ist, nicht übertreibt und der Wahrheit, der tatsächlichen Situation, entspricht. ({3}) Wenn man entsprechend dem, was auch die WTO nach dem 11. September 2001 empfohlen hatte, eine Vollversorgung der Bevölkerung mit Pockenimpfstoffen hätte vornehmen wollen, dann hätte man nicht drei Mal den Haushaltsausschuss damit befassen müssen, nämlich im November 2001, im November 2002 und im Januar 2003. Immer wieder kam scheibchenweise noch etwas dazu und immer wieder wurde es damit begründet, dass es jetzt sofort unbedingt notwendig sei aufgrund neuer Erkenntnisse und was auch immer. Das macht die ganze Sache für mich sehr unglaubwürdig. Ich will noch einmal festhalten: ({4}) Ich bin der Meinung, dass die Bundesgesundheitsministerin richtig gehandelt hat. Angesichts der vorliegenden Informationen musste sie auch so handeln. Der Haushaltsausschuss hat diesem außergewöhnlichen Verfahren richtigerweise zugestimmt, nämlich die Entscheidung ohne Ausschreibung und ohne vorher den Haushaltsausschuss damit zu befassen, zu treffen. Die Bevölkerung muss geschützt werden. Deswegen ist die Anschaffung von Pockenimpfstoffen richtig. Das stellt auch niemand in diesem Hause infrage. Warum aber gibt es diesen Kurswechsel der Bundesgesundheitsministerin, die plötzlich die Gefahr herunterspielt? Ich kann es Ihnen sagen: Im August 2002, kurz vor der Bundestagswahl, wäre es nicht opportun gewesen, wenn diese Tatsachen an die Öffentlichkeit gelangt wären. Damals wurde mit einem von den USA inszenierten Krieg gegen den Irak gedroht, um die Wahl zu gewinnen. So kann man nicht Politik machen. So zerstört man das Verhältnis zur UNO, zur EU und zu den Vereinigten Staaten von Amerika. ({5}) Ich fordere Sie auf: Ändern Sie Ihre Politik an dieser Stelle und informieren Sie die Bevölkerung zukünftig ordentlich! ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau, fraktionslos.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die PDS im Bundestag hält die heute angezettelte Debatte für höchst verlogen und die Position der CDU/CSU obendrein für kreuzgefährlich. ({0}) Die Frage des Schutzes vor terroristischen Verbrechen diskutieren wir seit dem 11. September 2001 sehr intensiv, auch die nach biologischen Angriffen im Allgemeinen und die nach Pockengefahren im Besonderen. Ich habe mich damals für meine Fraktion im Robert-Koch-Institut über deren Einschätzung und über Vorsorgemöglichkeiten informiert. Deshalb halte ich es für richtig, wenn nun vorsorglich Impfstoffe in diesem Umfang bereitstehen. Ich kann mich erinnern, dass mir der Präsident des RobertKoch-Instituts die Prognose gab, dass man bis zum Beginn des Jahres 2003 so weit sein könnte, diesen Gefahren prophylaktisch zu begegnen. Allerdings sollten wir uns daran erinnern: Damals war von Bin Laden und seinem Netzwerk die Rede. Heute dramatisieren CDU/CSU und leider auch die FDP die Pockenfrage, und zwar im Kontext mit dem Irak, und das, obwohl es dafür keinerlei Belege gibt. ({1}) Deshalb sage ich Ihnen: Sie instrumentalisieren das Pockenthema für Ihre Außenpolitik und versuchen, sich durch Ihre Zustimmung zum Kriegskurs aus der gesellschaftlichen Isolation zu holen. Das ist schäbig und wird Ihnen auch nicht gelingen. ({2}) Ich möchte an das Kurzzeitgedächtnis der Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU appellieren. Sie haben im Sommer Zeter und Mordio geschrieen, als im Bundestagswahlkampf das Thema Krieg und Frieden eine Rolle spielte. Frau Merkel empörte sich damals und sagte, man dürfe nicht mit den Ängsten der Menschen spielen. Richtig, aber genau das machen heute CDU/CSU in der aktuellen Pockendebatte. Dasselbe tun Sie übrigens auch bei anderen brisanten innenpolitischen Themen, zum Beispiel, wenn es um oder besser gegen Ausländer geht. Es fehlt nur noch, dass Sie den Papst verteufeln, weil der nicht auf CDU/CSU-Linie, sondern auf dem Friedenspfad ist. ({3}) Nun noch ein Wort zu Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün. Seit vorgestern gibt es eine gemeinsame Erklärung der EU zum drohenden Irakkrieg. Die Opposition zur Rechten spricht von einem Kurswechsel, Kanzler und Außenminister sprechen von einem guten Kompromiss, ({4}) Diplomaten sprechen vom kleinsten gemeinsamen Nenner. Das mag sein, aber selbst dieser kleinste gemeinsame Nenner liegt neben dem Friedensgebot des Grundgesetzes. Er widerspricht der EU-Charta und auch dem Völkerrecht, denn er stellt Krieg in Aussicht. Der Kompromiss ist folglich nicht gut, sondern faul. Millionen Menschen haben am vergangenen Wochenende europaweit für etwas anderes demonstriert. Das möchte ich namens der PDS klarstellen. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Gerold Reichenbach, SPD-Fraktion.

Gerold Reichenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003615, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich vorweg eine persönliche Bemerkung machen. Ich selbst bin Mitglied eines Katastrophenstabes. ({0}) Die Art und Weise, wie die Opposition in diesem Hause - Ihr Zwischenruf spricht für sich ({1}) mit den Vorbereitungen und der Analyse, die von verantwortlichen Stellen zu verschiedenen Bedrohungsszenarien vorgenommen wird, und mit der Planung der Gefahrenabwehr umgeht, ist schlicht und einfach steinerweichend. Wenn ich in meinem Stab wäre, würde ich ein anderes Wort benutzen, nämlich eines, das mit „K“ anfängt. Sie betreiben eine systematische Verunsicherung der Bevölkerung. Nicht die Bundesregierung verunsichert, sondern Sie. Sie behaupten, es würden Bedrohungsszenarien verschwiegen. Dazu möchte ich mit Genehmigung der Präsidentin einige Zeitungsausschnitte aus dem vergangenen Jahr zitieren. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schreibt: „Pocken als Waffe“. Die „Welt am Sonntag“ titelte am 13. Oktober 2002: „Deutschland kauft Pockenimpfstoff“. Die „Frankfurter Rundschau“ schrieb am 5. November 2002: „Rückkehr zur Pockenschutzimpfung“. Dieses Thema ist also schon fast ein Jahr alt. Nicht die Lesart des Bedrohungsszenarios in den Ministerien hat sich geändert, sondern Ihre Interpretation, weil es Ihnen politisch zupass kommt, dies hochzuspielen. ({2}) Sie behaupten, es gebe in dieser Frage keine Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. ({3}) Sie haben vorhin die unterschiedlichsten Haushaltsansätze genannt. Seit Sommer dieses Jahres wird unter anderem darüber verhandelt, wer die Kosten zu tragen hat. ({4}) - Ja, die gibt es. Aber wir haben die betreffende Behauptung doch nicht aufgestellt, Herr Bosbach. Sie, Herr Kollege Koschyk, haben das vorhin in der Fragestunde als Anlass Ihrer Frage genommen. Das Ziel ist erreicht. Es kommt in den Medien so an, als wäre die Gefahr durch den Einsatz von Pockenviren oder durch andere Terroranschläge neu. Sie wird hochgespielt. Horrorszenarien können kolportiert werden. Aber das ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, kein verantwortlicher Bevölkerungsschutz. Bevölkerungsschutz ist eine nationale Aufgabe, die von allen getragen werden muss. Dieses Thema ist denkbar ungeeignet, um damit parteipolitische Spielchen zu machen. ({5}) Seit dem Terroranschlag vom 11. September arbeitet die Bundesregierung systematisch die Aufgaben ab, die sich aus dieser neuen Bedrohungslage ergeben haben. Das gilt zum Beispiel für die Bedrohung mit Biowaffen - beispielsweise mit Milzbrand-, Pocken- oder anderen Erregern -, die für einen Terroranschlag verwendet werden könnten. So haben wir seit September 2001 insgesamt 367 moderne ABC-Erkundungsfahrzeuge - dies sind Fahrzeuge, die zur Erkundung von atomaren, biologischen und chemischen Gefahrenlagen eingesetzt werden können und diese beseitigen können - an die Länder ausgeliefert. Insgesamt wurden damit 852 Fahrzeuge für den Katastrophenschutz zusätzlich zur Verfügung gestellt. ({6}) Das gemeinsame Melde- und Lagezentrum von Bund und Ländern wurde mit den Ländern zusammen aufgebaut. Auch in diesem Bereich gab es eine Abstimmung. ({7}) Das deutsche Notfallinformationssystem ist auf den Weg gebracht worden. Die Bevorratung mit Pockenimpfstoffen - das wurde schon genannt - läuft bereits seit dem Jahr 2001. Dies ist in Kooperation mit den Bundesländern geschehen. Auch sie waren über Ihre Landesregierung von Anfang an an diesen Sicherheitsentscheidungen beteiligt. ({8}) In die Bedrohungsanalyse wurde natürlich auch die Möglichkeit einbezogen, dass Biowaffen in die Hände von Terroristen fallen könnten oder dass Länder wie Irak oder Nordkorea, von dem heute bezeichnenderweise niemand spricht, darüber verfügen könnten. Das Thema ist allerdings nicht neu. Darüber wird seit Sommer letzten Jahres diskutiert. Damals ist, aufbauend auf dem, was wir im Jahr 2001 veranlasst haben, auch die grundsätzliche Entscheidung gefallen, im Ernstfall Seren für den Impfschutz der gesamten Bevölkerung bereitzuhalten. ({9}) Das Thema wird von der Union allerdings aufgehübscht und aufgebauscht; denn sie möchte etwas ganz anderes erreichen. Das scheint mir durchsichtig zu sein. Seit Wochen versuchen Sie, die Thematik Massenvernichtungswaffen hochzuziehen. Es wird darüber geredet, der BND habe mögliche Erkenntnisse. Gerade deshalb möchten wir, dass die Erkenntnisse, die an die UNO-Inspektoren weitergegeben wurden, weiter überprüft werden und dass die Inspektoren weiterarbeiten können. Die Union lässt allerdings nichts unversucht, um die Friedenspolitik der Bundesregierung mit Panikmache in Misskredit zu bringen. ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wo liegt Ihr Problem? Liegt es darin, dass sich die Bundesregierung seit dem 11. September systematisch auf mögliche Bedrohungslagen einrichtet? Liegt es darin, dass die Bundesregierung die Überprüfung der Arsenale und die Entwaffnung Saddam Husseins durch die UNO-Inspektoren anstrebt und vorantreiben will? Die Rede von Herrn Pflüger vorhin war verräterisch. Ihr Problem liegt darin, dass Sie in der deutschen Bevölkerung mit Ihrer positiven Haltung zum Irakkrieg völlig isoliert sind. ({11}) 80 Prozent der Bevölkerung sind auf einer Linie mit der Bundesregierung.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, schauen Sie bitte ein wenig auf die Uhr.

Gerold Reichenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003615, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie wollen eine Entwaffnung mit friedlichen Mitteln. Die Vermutung liegt nahe, dass die Union versucht, auf diese Weise aus der Defensive beim Thema Irakkrieg herauszukommen. Wir haben bisher alles getan, um Deutschland sicher zu machen, und wir werden dies auch in Zukunft tun. Dort, wo es um den Schutz der Bevölkerung geht, hat Parteitaktik nichts zu suchen. Wir nehmen unsere Verantwortung wahr. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Reichenbach, ich gratuliere Ihnen sehr herzlich zu Ihrer ersten Rede in diesem Hohen Hause und wünsche Ihnen alles Gute. ({0}) Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Peter Hintze, CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Peter Hintze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000907, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Fragestunde und auch diese Debatte sind deutliche Belege dafür, dass innerhalb der Bundesregierung eine ziemliche Konfusion darüber herrscht, ({0}) wie die Bedrohungsanalyse aussieht und - viel schlimmer und wichtiger - welche Schlüsse man daraus zu ziehen hat. ({1}) Falls wir in der Debatte den Eindruck erweckt haben sollten, es ginge hier vornehmlich um eine Kritik an der Bundesgesundheitsministerin, ({2}) dann möchte ich das klarstellen: ({3}) Wir sind der Meinung, dass die Bundesgesundheitsministerin richtig handelt, wenn sie angesichts kritischer Erkenntnisse sagt, dass sie zum Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Massenvernichtungswaffen Vorsorge trifft. ({4}) Ich glaube auch nicht, dass Otto Schily die richtige Adresse für die zentrale Kritik des heutigen Nachmittags ist - er spricht leider erst am Schluss dieser Debatte -; denn man kann dem Bundesinnenminister nichts vorwerfen, wenn er eine solche Bedrohung erkennt und durch sein Haus darauf hinweist. Wir kritisieren ein wichtiges Mitglied der Bundesregierung, das heute leider nicht hier ist, nämlich den Herrn Bundeskanzler; denn er zieht aus den Erkenntnissen des Bundesinnenministers, der Bundesgesundheitsministerin und seiner Nachrichtendienste nicht die notwendigen sicherheitspolitischen Konsequenzen zum Schutz der eigenen Bevölkerung. ({5}) Kollege Bosbach hat hier sehr schön dargelegt, ({6}) dass aus einer abstrakten Bedrohung sehr rasch eine konkrete Bedrohung werden kann. ({7}) Die Staatssekretärin des Bundesgesundheitsministeriums hat ausgeführt: Wenn man von einem Brandstifter weiß, muss man Feuerlöscher beschaffen. Ich fände es wesentlich sinnvoller, den Brandstifter präventiv festzusetzen und sicherzustellen, dass er nichts anzünden kann, was man hinterher mühsam löschen muss. ({8}) Das ist es doch, was wir in diesen Tagen und Wochen erleben: Wir erleben einen Bundeskanzler, der diese Erkenntnisse ignoriert, wir erleben Bundesminister, die demonstrieren. Demonstrieren ist das Recht eines jeden Menschen und auch eines jeden Ministers. Aber ich frage mich: Ist es Fahrlässigkeit oder Naivität? Massenvernichtungswaffen lassen sich nicht durch eine pazifistische Ohne-mich-Haltung oder durch Demonstrationen beseitigen. Nur durch die Entschlossenheit der freien Welt können sie vernichtet werden. Das ist eine wichtige Erkenntnis unserer Geschichte. ({9}) Der Kollege Pflüger ist gerade dafür kritisiert worden, dass er den europäischen Gipfel angesprochen hat. Dass Sie sich darüber aufgeregt haben, zeigt Ihre Engstirnigkeit. Wir müssen doch die Zusammenhänge sehen. Solche Gefahren, seien sie nun potenziell oder konkret - wir alle hoffen, dass sie nicht konkret werden -, muss man gemeinsam bannen. Sie lassen sich aber nicht durch gute Worte, sondern nur durch entschiedene Taten bannen. ({10}) Wie ist denn Afghanistan, wo Frauen unterdrückt und Menschen gefoltert und ermordet wurden, befreit worden? Wie ist denn dem Balkan die Freiheit gebracht worden? - Nicht durch Demonstrationen oder durch Kritik an der Opposition, sondern durch die Bereitschaft der Vereinigten Staaten und anderer Völker, ihr Leben dafür einzusetzen, dass Freiheit und Recht in dieser Welt einen dauerhaften Platz haben! ({11}) Aus diesem Grunde ist es bedauerlich, dass heute Nachmittag der entscheidende Stuhl in diesem Hohen Hause nicht besetzt ist. Es ist gut - Herr Pflüger hat darauf hin2114 gewiesen und auch ich möchte das unterstreichen -, dass sich der Bundeskanzler dazu durchgerungen hat, die Erklärung von Brüssel zu unterschreiben. Ich hoffe nur, dass es nicht eine seiner Finten war, sondern dass dies auch für die deutsche Haltung im Sicherheitsrat gilt. Wenn wir aber erkennen müssen, dass Saddam Hussein nicht nachgibt - um in Ihrem Bild zu bleiben: Der Brandstifter plant, ein Feuer zu legen -, dann stellt sich für uns die Frage: Was machen wir? ({12}) Kaufen wir einen weiteren Feuerlöscher oder gehen wir, solange wir noch die Kraft dazu haben, gegen diesen Menschen vor? ({13}) Deshalb sage ich zum Schluss: Es ist richtig, dass die Regierung Vorsorge gegen einen möglichen Pockenangriff auf Deutschland trifft. Ich werde mich in fünf oder zehn Jahren nicht darüber beklagen, dass diese Maßnahme 200 Millionen Euro gekostet hat, wenn der Ernstfall glücklicherweise nicht eingetreten ist. Diese Entscheidungen sind richtig; denn sie entsprechen dem Schutzauftrag einer Bundesregierung. Das will ich einmal klar sagen. Wir aber kritisieren die Widersprüche. Den Kopf in den Sand stecken und sich dann Schnorchel besorgen, damit man atmen kann, ist keine geeignete Politik. Ich danke Ihnen. ({14})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Bundesminister des Innern, Otto Schily. ({0})

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Wenn es noch eines Nachweises bedurft hätte, dass Sie heute eine ganz andere Debatte als die führen wollen, die Sie als Thema der Aktuellen Stunde angemeldet haben, dann war das der Beitrag des Kollegen Hintze. ({0}) Sie wollen eine außenpolitische Debatte führen. Ich empfehle Ihnen, dafür den richtigen Zeitpunkt zu wählen, und schlage die Kernzeit am Donnerstag vor. Dann werden wir sehen, wie gewichtig Ihre Argumente sind. Sie haben eine Aktuelle Stunde zur möglichen Bedrohung durch Pockenviren angemeldet. Nur zu diesem Thema werde ich mich äußern. Ich will einen Beitrag zur Versachlichung der Debatte leisten, indem ich zunächst einmal mit Zufriedenheit feststelle, dass eine Bevorratung mit Impfstoffen von allen Seiten des Hauses für sinnvoll gehalten wird. Das ist ein erfreulicher Sachverhalt. Die Bundesregierung hat bereits im Oktober 2001 mit diesen Maßnahmen begonnen; darauf hat Frau Kollegin Schmidt mit Recht hingewiesen. Sie wissen, dass die Irakkrise zu diesem Zeitpunkt noch nicht das heutige Ausmaß hatte. Dieser Erkenntnis sind wir wohl alle. ({1}) Sie aber argumentieren, dass dies nicht das Thema sei. Es gehe vielmehr um die Informationspolitik; das hat auch der Kollege Bosbach angesprochen. Ich will Ihnen nun ganz offen etwas zum Thema Irak sagen: Der Vermerk, auf den Sie sich berufen, ist unglücklich formuliert; das ist gar keine Frage. ({2}) Er ist übrigens nicht zur Information der Öffentlichkeit verfasst worden. ({3}) - Das ist die Frage, die Sie zu Recht stellen. Wenn Sie mich dafür haftbar machen wollen, dann müssten Sie vorbringen: Das ist eine Leitungsvorlage gewesen. - Dann würde ich die Haftung dafür übernehmen. Es handelt sich aber um eine interne Vorlage. Zu dem Zeitpunkt, als über eine mögliche Gefährdung diskutiert wurde, hat unser Ministerium klar zum Ausdruck gebracht, dass nur eine abstrakte Gefährdung besteht. Das ist auch dem Bundesgesundheitsministerium mitgeteilt worden. Frau Kollegin Schmidt hat alles, was dazu zu sagen ist, richtig vorgetragen. Ich will Ihnen eine Passage - anderes ist bereits in der Fragestunde angesprochen worden; das kann ich mir ersparen - vortragen. Wir sollten uns besser darauf stützen statt auf irgendwelche Sprechzettel. Ich muss wohl demnächst meine Sprechzettel anketten, wenn ich in den Ausschuss gehe, damit sie nicht in fremde Hände gelangen. ({4}) - Lassen Sie mich doch fortfahren! Ich zitiere: Frau Schmidt erklärt, es gebe grundlegend keine neuen Erkenntnisse, die sich auf den Irak oder anderes bezögen und die bisherige Vorgehensweise erforderlich gemacht hätten. Sie sehen, dass der Sachverhalt von Frau Kollegin Schmidt an dieser Stelle völlig klar dargestellt wurde. Ich möchte Folgendes ausführen - hören Sie von der Opposition jetzt einmal gut zu! -: ({5}) Wie wir bereits dargestellt haben, ist uns bekannt, dass der Irak mit Kamelpocken experimentiert hat. Daraus können durchaus Schlussfolgerungen gezogen und es kann gefragt werden, warum diese Experimente durchgeführt werden. Die Erkenntnisse hinsichtlich der Pockenviren sind den Nachrichtendiensten und damit auch Ihrer alten Regierung seit Mitte der 90er-Jahre zugänglich gewesen. Wenn Sie daraus eine abstrakte Gefährdung herleiten, dann frage ich Sie: Wann hat die alte Bundesregierung mit der Bevorratung von Impfstoffen begonnen? Diese Frage muss ich Ihnen dann stellen. ({6}) Seien Sie deshalb vorsichtig mit einem solchen Vorwurf! Ich kann dann auch die Frage stellen, was Sie der Öffentlichkeit dazu mitgeteilt haben. ({7}) Ich will Sie aber gleich wieder entlasten, damit Sie nicht in Unruhe geraten. Dieses Thema ist damals öffentlich diskutiert worden, weil es auch Gegenstand der Inspektionen war. Auch der Kollege Pflüger hat die Zusammenhänge völlig durcheinandergebracht. ({8}) Es tut mir Leid, das sagen zu müssen. Ich habe seinerzeit die Rede des Secretary of State Colin Powell bei meinem Besuch in den Vereinigten Staaten von Amerika am Fernsehschirm verfolgt. Lesen Sie das einmal nach! Auch darin ist nur von Versuchen mit Kamelpocken die Rede, aber nicht etwa von Vorratslagern an biologischen Kampfstoffen in Form von Pockenviren. Sie können ganz sicher sein: Unsere amerikanischen Freunde sind bei der Informationsgewinnung so gut, dass sie sich, wenn solche Erkenntnisse vorlägen, nicht einen Vermerk - entschuldige bitte, Ulla - ({9}) - In der Aktuellen Stunde gibt es keine Zwischenfragen, Herr Kollege Koschyk. Das sollte Ihnen bekannt sein. ({10}) - Ja, ich kenne das. Da ist aber nicht von Lagern die Rede. Ich will jetzt nicht in eine solche Debatte eintreten. Das wäre eine außenpolitische Debatte, die wir an anderer Stelle führen sollten. ({11}) Ich will nur Folgendes anmerken, Herr Koschyk, weil Sie auch in dieser Frage die Dinge durcheinander gebracht haben. ({12}) - Hören Sie doch einen Moment zu! Ich habe Ihnen doch auch geduldig zugehört. Ich kann Sie auf die Aussagen der beiden Inspektoren Blix und el Baradei hinweisen, die wörtlich festgestellt haben - das können Sie nachlesen -: Es gibt keine belastenden Hinweise auf die Fortführung von nuklearen, biologischen oder chemischen Waffenprogrammen. Was die beiden Inspektoren in der Tat festgestellt haben - das hat Herr Pflüger richtig erwähnt - ist, dass ein Nachweis fehlt, was aus bestimmten Anthrax- und anderen Beständen geworden ist. Dabei handelt es sich aber um ein völlig anderes Thema. ({13}) Das hat mit dem Thema, über das Sie heute mit uns sprechen wollten, wahrlich nichts zu tun. Bringen Sie die Dinge nicht durcheinander! ({14}) Ich habe in irgendeiner Pressemeldung gelesen - in der jemand Milzbranderreger mit Pockenerregern verwechselt hat -, ({15}) dass man sich aber mit Antibiotika gegen Milzbranderreger schützt. Bitte bringen Sie die Dinge nicht durcheinander. Ich habe den Eindruck, dass Sie - das ist Ihnen von den Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen zu Recht vorgeworfen worden - etwas anzetteln wollen. Sie wollen in der Öffentlichkeit Unruhe stiften und aufwiegeln. ({16}) - Nein, das wollen Sie. Das zeigt der ganze Debattenverlauf am heutigen Tag. ({17}) - Was schwach oder was nicht schwach ist, beurteilen noch immer andere, Herr Koschyk. Das, was Sie heute vorgetragen haben, war in meinen Augen sehr schwach. ({18}) - Nein, ich glaube, ich habe ihn richtig zitiert. Auch Sie selber haben ihn zitiert. Es gibt jedenfalls keine Hinweise - ich stütze mich dabei auf die Aussagen von Herrn Blix und Herrn el Baradei - auf die Fortführung von Waffenprogrammen. Im Übrigen, wenn wir über Herrn Powell reden wollten, dann müssten wir natürlich auch die Frage stellen, ob alle Erkenntnisse wirklich übereinstimmen. Das ist aber ein anderes Thema. Lassen Sie uns bei anderer Gelegenheit darüber diskutieren. Das, was Sie heute gemacht haben, ist der untaugliche Versuch, wider besseres Wissen durch den Umgang mit diesem Thema wieder einmal Unruhe in der Bevölkerung zu stiften. Das ist schändlich. ({19}) Es ist nicht schändlich, für Frieden und gegen Krieg zu demonstrieren. Es ist aber schändlich, auf diese Weise Unruhe in der Bevölkerung zu stiften. ({20}) Ich habe heute gelesen - das ist eine gute Nachricht -, dass der bayerische Ministerpräsident jetzt - er hat lange dafür gebraucht - seine Kandidatur offiziell für beendet erklärt hat. Nun sollten auch Sie - dann hätten Sie eben2116 falls lange gebraucht - endlich mit dem Wahlkampf aufhören. Dann kämen wir wieder zu einer guten sachlichen Diskussion über die Probleme unseres Landes. Das wäre sinnvoll. ({21})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Dr. Michael Bürsch, SPD-Fraktion.

Dr. Michael Bürsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das Ende der Debatte gibt die Möglichkeit, rhetorisch abzurüsten, Aufregungen aus der Diskussion herauszunehmen und auf die Kernfrage zurückzukommen, die Herr Stadler am Anfang gestellt hat. Es geht einerseits um das Recht auf Information und andererseits um Panikmache und Hysterie, die wir vermeiden wollen. Ich stelle am Ende der Debatte fest, dass wir uns in zweierlei Hinsicht einig sind: Erstens. Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, über drohende Gefahren für ihre Gesundheit seriös informiert zu werden. Das gilt natürlich insbesondere für schwerwiegende Gefahren wie drohende Seuchen. Zweitens. Panikmache und Hysterie dürfen keine Mittel der Politik werden. Sie dürfen nicht eingesetzt werden, um Stimmung zu machen oder um auf billige Weise für die eigenen Ziele zu werben. Das schadet insbesondere bei dem Thema der Gesundheitsvorsorge sowohl der Vorsorge selbst als auch der Vermeidung von Gefahren. ({0}) Wie schwierig die Gratwanderung zwischen seriöser Information einerseits sowie Panikmache und Hysterie andererseits - einen gewissen Anflug gibt es ja schon - ist, hat sich meiner Ansicht nach an der Berichterstattung der Medien in den letzten Tagen und an dem gezeigt, was sie, insbesondere die Zeitungen, aus der Veröffentlichung eines Haushaltsvermerks vom letzten August gemacht haben. Ich möchte nur einen kleinen Überblick über die Schlagzeilen geben, die deutlich machen, was daraus in den Zeitungen gemacht worden ist: „Bioterror“, „Pockenwarnung“, „Der Tag X“, „Pockenviren, Selbstmordterroristen, Sabotageakte - Deutschlands Sicherheitsstäbe bereiten sich auf einen Irakkrieg vor“, „Pockenalarm Experten rechnen mit Millionen Toten“ - das ist die Überschrift der Zeitung mit den großen Buchstaben gewesen -, „Tödliche Pocken - So groß ist die Gefahr wirklich“. Herr Grindel, das sind Ihre ehemaligen Kollegen aus den Medien, die so etwas daraus machen. Ich frage Sie: Muss das so sein? Ist es gottgegeben, dass man durch das Herausfiltern bestimmter Sätze aus einem internen Haushaltsvermerk, der als solcher auch deutlich gekennzeichnet ist und der nie im Leben von Sicherheitsexperten zum Beispiel des BND, die etwas über Gefährdungslagen sagen können, quer geschrieben wurde, einen solchen Inhalt konstruiert? Für mich ist das ein Lehrstück dafür, welche Verantwortung wir Politiker, und zwar sowohl Vertreter der Opposition als auch der Koalition, aber auch die Medien dafür haben, wie Informationen vermittelt werden. Wir Politiker, aber auch die Medien haben die Verantwortung, Panik und Hysterie zu vermeiden. Insofern gebe ich dem Autor Recht, der vor zwei Tagen in der „Süddeutschen Zeitung“ zu diesem Thema geschrieben hat - das war ausdrücklich ein Kommentar; die Trennung zwischen Nachricht und Kommentar wird nicht in allen Zeitungen eingehalten; diese Trennung ist eine alte Tugend, die vielleicht mehr Zeitungen wieder entdecken sollten -: Im Journalismus gilt mittlerweile die Regel, dass jede Woche eine neue Sau durchs Dorf getrieben werden muss. ({1}) - Ich zitiere einen Autor der „Süddeutschen Zeitung“. Die Herde der Schweine wird dabei immer größer. An diesem Wochenende wurde wieder mal nach Kräften getrommelt: Anschläge mit Pockenviren drohten, die Bundesregierung verharmlose die Gefahr, geheimste gesicherte Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes würden ignoriert. Der normale hysterische Katastrophismus also. Jetzt kommt ein wunderbarer Schlenker zu Herrn Westerwelle - er wird sich erinnern -: Erfahrene Trittbrettfahrer wie der FDP-Bundesvorsitzende Guido Westerwelle erklärten, die Darstellung der Lage durch die Bundesregierung sei verharmlosend und daher „unverantwortlich“. Der Vorsitzende einer kleinen Partei, also keiner Volkspartei, hat sich auf dieses Trittbrett hinaufbegeben und dafür gesorgt, dass diese Panik verstärkt wurde. Ich plädiere dafür, dass wir uns das zu Eigen machen, was auch im Journalismus im Wege der freiwilligen Selbstverpflichtung im Kodex des Presserates geschrieben steht. Wir Politiker können uns das wirklich zu Eigen machen, wir könnten das verinnerlichen. Im Kodex des Presserates heißt es zum Beispiel zu den Grundsätzen: Zur Veröffentlichung bestimmte Nachrichten und Informationen in Wort und Bild sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Diesen Maßstab legen die Medien an ihre Arbeit an, auch wenn sie ihm nicht immer gerecht werden. Wir Politiker sollten ihn mindestens genauso beherzigen wie die Medien. Ich füge ausdrücklich hinzu: Das ist keine Medienschelte, sondern es soll ein Appell an die Verantwortung von uns allen, aber auch der Journalisten sein. Die Journalisten mögen das, worüber sie berichten, mit dem nötigen Verantwortungsgefühl vermitteln; denn sonst kommt genau das zustande, was wir hier erlebt haben: eine Panik und Hysterie erzeugende Berichterstattung. Das soll nicht mehr passieren. Ich bin der Meinung, wir sollten es mit George Bernard Shaw halten. Er hat einmal sinngemäß gesagt: Viele Menschen fürchten die Freiheit; denn sie bedeutet Verantwortung. - Verantwortung müssen wir tragen. Wenn wir das tun, dann brauchen wir die Freiheit, vor allem die Pressefreiheit, nicht zu fürchten. Danke schön. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 20. Februar 2003, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.