Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Eckwerte für ein Gesetz zur
Förderung der Steuerehrlichkeit.
Das Wort für einen einleitenden Kurzbericht hat die
Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium
der Finanzen, Frau Dr. Hendricks.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Mit dem Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit wollen
wir die Zinsbesteuerung ab 2004 neu regeln. Zinsen sollen
dann pauschal mit 25 Prozent besteuert werden. Bürger mit
geringerem persönlichen Steuersatz erhalten die Möglichkeit, im Rahmen ihrer Veranlagung auch die Zinsen diesem
geringeren Steuersatz zu unterwerfen und gegebenenfalls
den Sparerfreibetrag berücksichtigen zu lassen. Die nationale Neuregelung der Zinsbesteuerung wird im europäischen Rahmen durch die EU-Zinsrichtlinie flankiert.
Mit diesen Maßnahmen wird die Kapitalanlage in
Deutschland wesentlich attraktiver als bisher. Dazu trägt
nicht nur der geringe Steuersatz bei, sondern auch das
großzügige Angebot, das Bürgern unterbreitet wird, die in
der Vergangenheit ihre steuerlichen Pflichten nicht immer
erfüllt haben. Ihnen soll befristet die Möglichkeit geboten
werden, in die Steuerehrlichkeit zurückzukehren. Die vorgesehene Regelung wird deutlich attraktiver sein als die
Straf- und Abgabenbefreiung im Rahmen der Steuerreform 1990, weil diesmal nicht nur das angesparte Kapital und die dadurch erzielten Zinsen begünstigt werden
sollen, sondern auch die Quellen dieses Kapitals, also das
so genannte Schwarzgeld. Die vorgesehene Brücke zur
Steuerehrlichkeit dürfte daher zu mehr Erfolg führen als
die Regelung von 1990, die immerhin zu nacherklärten Kapitaleinkünften von rund 2,4 Milliarden DM geführt hat.
Wer in der Vergangenheit Steuern verkürzt hat, soll
durch Abgabe einer Erklärung und gleichzeitige Entrichtung einer pauschalen, als Einkommensteuer zu behandelnden Abgabe Strafbefreiung bzw. Befreiung von Geldbußen erlangen können. In der strafbefreienden Erklärung
ist das Vermögen anzugeben, das bei der Besteuerung bisher zu Unrecht nicht berücksichtigt wurde. Die Erklärung
soll als Steueranmeldung ausgestaltet werden und damit
ohne weiteres Zutun der Finanzbehörden als Steuerfestsetzung wirken. Der Staat verzichtet auf Nachweise des
Bürgers und auf Ermittlungen der Finanzbehörden.
Es liegt in der Natur der Sache, dass bei später entdeckten Steuerverkürzungen allein der Bürger wissen
kann, ob er in seiner Erklärung diese Verkürzungen angegeben hat. Daher trifft ihn als Preis für den Verzicht auf
Nachweise und Prüfungen bei Abgabe der strafbefreienden Erklärung die Beweislast. Ich weise jedoch ausdrücklich darauf hin, dass diese Vorgehensweise allgemeinen
Beweislastregeln entspricht und keine Beweislastumkehr
darstellt.
Mit Zahlung der pauschalen Abgabe erlöschen alle Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, soweit sich die
strafbefreiende Erklärung auf diese Ansprüche bezieht.
Der Bürger hat es damit in der Hand, durch umfassende
Erklärung vollständig steuerehrlich und damit straffrei zu
werden.
Die Eckwerte gehen davon aus, dass der Bürger wirklich steuerehrlich werden will und in Zukunft bleiben
möchte. Das ist auch die rechtliche Grundlage, auf der
verfassungsrechtlich eine Besserstellung Steuerunehrlicher für die Vergangenheit basiert. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Entscheidungen zur Amnestie
im Rahmen des Steuerreformgesetzes 1990 betont, dass
eine derartige Besserstellung steuerunehrlicher Bürger
gegenüber steuerehrlichen Bürgern nur gerechtfertigt ist,
wenn sie geeignet ist, die Steuerehrlichkeit in der Zukunft
zu gewährleisten.
Hinzu kommt, dass eine steuerliche Besserstellung für
die Vergangenheit, die auch nur eine geringfügige Nachversteuerung vorsieht, wirtschaftlich immer schlechter ist
als weitere erfolgreiche Steuerhinterziehung. Um eine
Brücke zur Steuerehrlichkeit überhaupt attraktiv zu machen, ist es deshalb erforderlich, die Möglichkeit weiterer
Steuerhinterziehungen in der Zukunft möglichst zu verbauen. Zugleich effiziente und möglichst bürokratiearme
Kontrollmöglichkeiten sind daher unabdingbar. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren wird der Steueranspruch des
Staates mit dem Recht des Bürgers auf informationelle
Selbstbestimmung in Einklang zu bringen sein.
Die gesamte Maßnahme wird den Ehrlichen allerdings
nur dadurch vermittelbar, wenn sie dazu dient, Bürger in
die Steuerehrlichkeit zurückzuführen. Die Gewährleistung der Steuerehrlichkeit aller Bürger ist ein Gebot der
Steuergerechtigkeit. Dies ist ein Begriff, den man in dieser Debatte bisher nur selten gehört hat, den man aber
nicht vergessen sollte.
Es ist ein Erfahrungswert, dass die Neigung zur Steuerehrlichkeit wächst, je gerechter die Besteuerung empfunden wird. Dieser Satz gilt allerdings auch umgekehrt und
findet Ausdruck in dem Schlagwort: Die Ehrlichen sind
wieder die Dummen. Es sollte nicht Ziel der Steuerpolitik
sein, dieses Schlagwort zu bestätigen.
Diejenigen, die meinen, bei einer so genannten Abgeltungsteuer sei mit dem Einbehalt der Steuern auf die Zinsen alles erledigt, täuschen sich. Nehmen wir den Begriff
Abgeltungsteuer so, wie er sowohl von der Bundesregierung als auch von der Opposition tatsächlich verstanden
wird, dann handelt es sich bei der künftig vorgesehenen
Zinsbesteuerung gerade nicht um eine reine Abgeltungsteuer. Unstreitig sehen die Bundesregierung und die Opposition nämlich vor, den Bürgern bei der Einkommensteuerveranlagung das Recht einzuräumen, die Zinsen mit
ihrem niedrigeren persönlichen Steuersatz zu berücksichtigen. In diesen Fällen haben die Bürger in ihrer Steuererklärung, die von Verfassungs wegen auf Richtigkeit und
Vollständigkeit überprüfbar sein muss, sämtliche Zinsen
anzugeben.
Darüber hinaus müssen wir die europäischen und internationalen Regeln zur Bekämpfung der Geldwäsche
und anderer organisierter Kriminalität beachten. Schmutziges Geld darf auch in Zukunft nicht reingewaschen werden.
Herzlichen Dank.
Vielen Dank für den Bericht.
Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu
stellen, zu dem der Bericht erstattet worden ist. Die erste
Wortmeldung stammt vom Kollegen Meister.
Herr Präsident! Frau Staatssekretärin, ich möchte
zunächst zu Ihrem Vortrag nachfragen: Habe ich es richtig verstanden, dass die Bundesregierung beabsichtigt, im
Rahmen der Zinsabgeltungsteuer die Sparerfreibeträge
- es geht um die Freistellungsaufträge - abzuschaffen?
Wenn dem so ist, frage ich Sie: Was bedeutet das für die
Sparerfreibeträge jener, die die Zinsabgeltungsteuer in
Höhe der geplanten 25 Prozent in Anspruch nehmen?
Habe ich es richtig verstanden, dass der Sparerfreibetrag
für die Menschen, die die Zinsabgeltungsteuer in Anspruch nehmen, entfällt?
Herr Kollege Meister, das würde sich logisch betrachtet sicherlich ergeben. Darauf will ich hier allerdings noch
nicht näher eingehen, weil dies dem Gesetzgebungsverfahren vorbehalten bleibt. Das Kabinett hat sich damit
heute nicht befasst.
Herr Dr. Solms.
Frau Staatssekretärin, Sie wissen, dass die FDP diesen
Vorschlag mit einer gewissen Sympathie verfolgt. Wir haben dies bereits vor zwei Jahren öffentlich gefordert. Das
steht in Zusammenhang damit, dass das Vertrauen der
Sparer und möglichen Anleger in den Kapitalmarkt
Deutschland insgesamt wieder hergestellt werden muss.
Deswegen frage ich Sie, warum Sie diesen vernünftigen
Vorschlag mit der flächendeckenden Einführung von Kontrollmitteilungen und der Aufhebung des Bankgeheimnisses - all dies ist gar nicht notwendig, wenn die Steuer an
der Quelle erhoben wird - verbinden. Warum verbinden
Sie das nicht mit einer Entscheidung für die endgültige Abschaffung der Vermögensteuer und die Nichterhöhung der
Erbschaftsteuer, um die leidige Diskussion zu beenden?
Dann hätten Sie sehr viel mehr Erfolg zu erwarten.
Herr Kollege Solms, zum erstenTeil Ihrer Frage: Ich hatte
eben ausgeführt, dass es darum geht, sowohl effiziente als
auchbürokratiearmeKontrollmöglichkeitenvorzusehen,die
den Steueranspruch des Staates mit dem Recht des Bürgers
auf informationelle Selbstbestimmung in Einklang bringen.
Zur Abschaffung der Vermögensteuer: Es gibt zurzeit
einen Antrag auf Ebene des Bundesrates. Dieser beinhaltet den Vorschlag, man möge den Ländern das Hoheitsrecht für die Vermögensteuer geben. Wie Sie wissen, hat
sich die Bundesregierung dem nicht zuneigen können;
dies wurde im Plenum bereits behandelt. Ob in der nächsten Zeit weitere Initiativen zur grundsätzlichen Abschaffung der Vermögensteuer, die ja nicht mehr erhoben wird,
erfolgen, vermag ich nicht zu beurteilen.
Was die Erbschaftsteuer anbelangt, so wissen Sie so
gut wie ich, dass beim Bundesverfassungsgericht ein Vorlagebeschluss liegt. Infolgedessen kann der Gesetzgeber,
wohl wissend dass ein Bundesverfassungsgerichtsurteil
zu erwarten ist, keine endgültige Aussage treffen.
Herr Koppelin.
Frau Staatssekretärin, als wir vor zwei Jahren diesen
Vorschlag gemacht haben, ist er von der Koalition noch
kritisiert worden. Ich habe den Eindruck, Sie haben sich
gezwungen gesehen, diesen Gesetzentwurf vorzubereiten, weil Sie die Einnahmen benötigen.
Ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass
das Finanzministerium am Dienstagmorgen bekannt
gegeben hat, man gehe von zusätzlichen Einnahmen von
etwa 1 Milliarde Euro aus. Am Dienstagabend wurde
über eine Agenturmeldung eine Schätzung von 2 Milliarden Euro genannt. Mittwochmorgen wurde vom Finanzministerium eine Schätzung von 5 Milliarden Euro veröffentlicht. Jetzt wollen Sie zum Ausgleich des Haushalts
2 Milliarden Euro an Einnahmen in den Bundeshaushalt
einstellen. Darf ich Sie einmal fragen, von welchen
Schätzungen Sie ausgehen, und was berechtigt Sie zu
der Hoffnung, dass es diese Einnahmen - gehen wir
einmal von 2 Milliarden Euro aus - tatsächlich geben
wird, wenn Sie dieses Amnestiegesetz verabschieden
werden?
Die Deutsche Bundesbank geht nach vorsichtigen
Schätzungen davon aus, dass im Ausland Kapital von
deutschen Steuerpflichtigen in der Größenordnung von
150 Milliarden Euro lagert. Darüber hinaus gibt es natürlich Schwarzgeld in der Bundesrepublik Deutschland, das
nacherklärt werden soll. Unsere Schätzungen beziehen
sich nicht nur auf ausländisches Kapital.
Deswegen sind wir in einer vorsichtigen Schätzung davon ausgegangen, dass sich die Einnahmen aus nacherklärtem Kapital zum Ende dieses Jahres in einer Größenordnung von 20 Milliarden Euro bewegen werden. 25 Prozent
davon sind 5 Milliarden Euro. Dieses Geld verteilt sich
selbstverständlich auf die drei Ebenen des Staates: präterpropter 2 Milliarden Euro für den Bund, 2 Milliarden
Euro für die Länder und eine knappe Milliarde Euro für
die Kommunen. Auf der Basis dieser Schätzung, angelehnt an die Schätzungen der Deutschen Bundesbank,
können wir unter Einhaltung des Prinzips der Vorsicht bei
der Aufstellung des Haushaltes mit Einnahmen von 2 Milliarden Euro rechnen.
Ich bitte um Nachsicht dafür, dass ich bei dem Aufruf der Fragesteller nach der Reihenfolge der Wortmeldungen vorgehe; denn es gibt relativ viele Wortmeldungen.
Als Nächster erhält der Kollege Michelbach das Wort.
Frau Staatssekretärin, wie wollen Sie Ihre umfassende
Schwarzgeldamnestie mit einem wesentlichen Kapitalrückfluss durchsetzen, wenn Sie gleichzeitig, wie heute
im Finanzausschuss vorgetragen, 40 Steuererhöhungen
mit einem Belastungsumfang von 42 Milliarden Euro beschließen? Ist damit ein Rückfluss von 20 Milliarden
Euro, wie Sie ihn annehmen, überhaupt möglich und wie
kommen Sie auf diesen Betrag?
Wie ich auf diesen Betrag komme, habe ich gerade
dem Herrn Kollegen Koppelin erläutert. Ich glaube, ich
kann mir mit Ihrem Einverständnis die Wiederholung ersparen.
({0})
Ich weise aber die in Ihrer Frage enthaltene Unterstellung zurück, wir würden 40 Steuererhöhungen vornehmen. Das ist, um es vorsichtig auszudrücken, eine untechnische Formulierung.
({1})
Sie als Mitglied des Finanzausschusses müssten eigentlich eine bessere Formulierung finden.
Nehmen wir uns einmal einige der Maßnahmen vor,
die Sie als Steuererhöhung bezeichnen, zum Beispiel die
im Bereich der Einführung des Regelsteuersatzes auf
landwirtschaftliche Vorprodukte. Unter den 40 Punkten,
die Sie als Steuererhöhungen anführen, sind das, wie ich
glaube, zwölf Maßnahmen. Ich gehe nicht davon aus, dass
zum Beispiel die Landwirte oder aber die Endverbraucher
von landwirtschaftlichen Produkten, in die landwirtschaftliche Vorprodukte eingegangen sind, in nennenswertem Umfang zu denjenigen gehören, die bisher
Schwarzgeld gebunkert haben. In diesem Bereich ist also
kein Zusammenhang festzustellen.
Herr Pinkwart.
Frau Staatssekretärin, ich möchte gerne im Nachgang
zu den Beratungen im Finanzausschuss von heute Morgen
im Hinblick auf Ihre Ausführungen zum Thema Kontrollmitteilungen nachfragen, welche Ausgestaltung sich die
Bundesregierung einfallen lassen wird, nachdem heute
Morgen Anträge der FDP- wie auch der CDU/CSU-Fraktion, die den Bedenken des Bundesdatenschutzbeauftragten Rechnung tragen, abgelehnt worden sind. In diesem
Zusammenhang wäre es gerade im Kontext der von Ihnen
vorgesehenen Brücke zur Steuerehrlichkeit und Erhöhung
der Steuerakzeptanz sehr interessant, zu erfahren, in welcher Form die Bundesregierung meint, die Kontrollmitteilungen ersetzen zu können, bzw. inwiefern sie sie für
verzichtbar hält, um die von Ihnen erwähnte, letztlich
auch fiskalische Wirkung erzielen zu können.
Herr Kollege Pinkwart, die weitere Ausgestaltung
bleibt dem Gesetzgebungsverfahren vorbehalten. Wie ich
bereits ausgeführt habe, hat das Kabinett - ich habe ja aus
der heutigen Kabinettssitzung zu berichten -, heute nicht
darüber entschieden. Ich darf aber noch einmal darauf
hinweisen, dass im Zuge der Erarbeitung des Gesetzentwurfs selbstverständlich ein Abwägungsprozess zwischen
dem Steueranspruch des Staates und dem Recht der Bürger auf informationelle Selbstbestimmung stattfinden
wird.
Herr Kollege Dautzenberg.
Herr Präsident! Frau Staatssekretärin, Sie führten aus,
dass die vorgeschlagenen Eckpunkte in Form der Zinsbesteuerung eine relative Abgeltungsteuer darstellen, weil
Sie dem einzelnen Steuerpflichtigen auch die Möglichkeit
eröffnen, dass die Besteuerung nach seinem individuellen
Steuersatz erfolgt. Macht es aber Sinn, wenn Sie, wie betont wurde, Bürokratieabbau anstreben und gleichzeitig
für die Erhebung der Abgeltungsteuer auf Kapitaleinkünfte direkt an der Quelle - dann ist die lückenlose Erfassung bereits gegeben - nach wie vor auf Kontrollmitteilungen bestehen? Dies ist doch nur dann sinnvoll, wenn
Sie die Kontrollmitteilungen noch für andere Elemente
nutzen, die im Grunde wenig mit steuerlichen Überlegungen zu tun haben.
Herr Kollege Dautzenberg, ich habe eben schon mehrmals auf den Abwägungsprozess zwischen dem Recht des
Bürgers auf informationelle Selbstbestimmung und dem
Steueranspruch des Staates hingewiesen.
({0})
Ich darf betonen, dass ich das Wort „Kontrollmitteilungen“ bis jetzt als Antwort auf Ihre Frage heute noch nicht
in den Mund genommen habe. Ich denke, dass es nicht
zielführend ist, wenn Sie versuchen, mich hier heute festzunageln. Dies wird dem weiteren Gesetzgebungsverfahren, also zunächst der Formulierung des Gesetzentwurfs
der Bundesregierung, vorbehalten sein.
Ich darf aber auf Folgendes hinweisen. Sie haben eingangs zu Recht festgestellt: Wenn dem Bürger weiter ermöglicht werden soll, im Einzelfall auch weniger als
25 Prozent Steuern auf die Kaptitaleinkünfte zu zahlen,
weil sein persönlicher Steuersatz niedriger ist, dann kann
es keine vollständige Abgeltungsteuer geben. Im Zusammenhang mit Österreich wird immer wieder angeführt,
dass alle 25 Prozent zahlen und es niemals einen Sparerfreibetrag gab. Das ist eine sehr einfache Regelung.
({1})
Es gibt aber immer einen Widerstreit zwischen Einfachheit und Gerechtigkeit. Wenn im Zuge der Einführung einer vollständigen Abgeltungsteuer eine Entlastung derjenigen, die bisher einen höheren Steuersatz zahlen,
erfolgen würde, während zukünftig diejenigen, die bisher
einem niedrigeren Steuersatz unterworfen sind, belastet
würden, würden wohl weder Sie als Volkspartei noch wir
das akzeptieren. Es ist sicherlich in unserem gemeinsamen
Interesse, so zu verfahren wie vorgesehen. Deswegen kann
keine vollständige Abgeltungsteuer eingeführt werden.
Aus diesem Grunde sind für die Zukunft Verifikationsmöglichkeiten notwendig. Wie diese ausgestaltet werden,
bleibt dem Gesetzgebungsverfahren vorbehalten. Aber
wir sind von Verfassungs wegen dazu veranlasst, die Verifikation bzw. Nachprüfbarkeit des Besteuerungsanspruchs des Staates vorzusehen, auch wegen der möglichen Option, weiterhin unter die bestehende niedrige
Besteuerung zu fallen.
Herr Kollege Seiffert.
Frau Staatssekretärin, insbesondere die 20 Milliarden
Euro, die Sie an Kapitalrückflüssen erwarten, sind auch in
der Öffentlichkeit relativ stark umstritten. Meinen Sie
nicht, dass dieser Betrag eher durch die Einführung eines
anonymisierenden Verfahrens, das auch stärker vertrauensbildend wirken würde, zu erreichen wäre? Das würde
bedeuten, dass diese Gelder ohne Kontrollmitteilungen
und ohne Einzelnachweis anonym zurückgebracht werden könnten. Es ist schließlich zu befürchten, dass die deklarierten Gelder als Bemessungsgrundlage für alle möglichen Zwecke herangezogen werden.
Eine strafbefreiende Erklärung ist schon deswegen
notwendig, weil wir natürlich auch die internationalen
Regelungen zur Bekämpfung der Geldwäsche und der organisierten Kriminalität einhalten müssen. Mit einer solchen Erklärung - das hatte ich Ihnen schon zu Beginn
meiner Ausführungen gesagt - gibt es keine weiteren
Nachforschungstatbestände für die Finanzbehörden mehr.
Außerdem könnte es sein, dass man irgendwann später
von der Finanzbehörde gefragt wird, woher man das Geld
habe. Dann muss man doch in der Lage sein, zu sagen:
Das habe ich damals erklärt. Sonst ist man doch hinterher
der Dumme. Wie soll man denn Vertrauen entwickeln,
wenn man in Zukunft nicht nachweisen kann, wie das
Geld in den Besitz gekommen ist? Gerade im Interesse
desjenigen, der sich steuerehrlich macht, ist es notwendig,
dass er im Zweifelsfall sagen kann: Das war doch Gegenstand meiner Erklärung von Dezember 2003. Diese Sicherheit braucht er doch auf jeden Fall. Eine reine anonyme Nacherklärung ist schon aus diesem Grund nicht
möglich. Das sollten wir einvernehmlich so sehen, weil
sonst der Bürger in Unsicherheit bleibt.
Frau Dr. Lötzsch.
Herr Präsident! Frau Staatssekretärin Hendricks, das,
was als Rückkehr in die Steuerehrlichkeit bezeichnet
wird, ist ja eigentlich - das Wort ist schon gefallen - ein
Amnestiegesetz. Gibt es denn in der Geschichte der Bundesrepublik bzw. in den anderen europäischen Ländern
Erfahrungen mit solchen Amnestiegesetzen und, wenn ja,
welche Effekte hatten solche Gesetze?
In der Geschichte der Bundesrepublik - darauf hatte
ich schon eben hingewiesen - gab es ein ähnliches Gesetz
im Jahr 1990. Das bezog sich allerdings ausschließlich auf
die hinterzogenen Kapitalzinsen, also auf solche Zinsen,
die nicht der Besteuerung unterlegen haben. Unser Vorschlag ist weiter gehend; denn er bezieht sich auch auf das
„Schwarzgeld“. Dass ein 25-prozentiger Steuersatz für
das nacherklärte Kapital fällig wird, ist ein außerordentlich günstiges Angebot. Es gibt selbstverständlich auch in
anderen europäischen Ländern Erfahrungen mit solchen
Amnestiegesetzen. Italien, Spanien, aber auch andere
Länder haben in jüngerer Vergangenheit ihren Steuerbürgern solche Angebote gemacht. Sie sind natürlich - das
gilt auch für die Steuersätze - immer unterschiedlich ausgestaltet gewesen. Aber im Prinzip sind solche Angebote
immer von Erfolg gekrönt gewesen.
Herr Kollege Spiller.
Frau Staatssekretärin, ich möchte noch einmal auf den
Prozess der Abwägung zwischen Datenschutzbelangen
und dem Anspruch, das Steuerrecht in der Praxis durchzusetzen, zurückkommen. Können Sie bestätigen, dass
das hier angesprochene Problem nicht erst bei den geplanten Kontrollmitteilungen über Kapitaleinkünfte auftaucht, sondern dass es beispielsweise bereits seit langem
auch bei Grundstücksveräußerungen und Grundstückskäufen Mitteilungen an das örtliche Finanzamt gibt? Können Sie auch bestätigen, dass es bereits heute Mitteilungen an das örtliche Finanzamt gibt, in denen wesentlich
mehr Daten offenbart werden, als es bei den geplanten
Kontrollmitteilungen vorgesehen ist? Ich möchte das
näher erläutern: Es gibt Schriftstücke an das Finanzamt,
in denen nicht nur die Höhe des Einkommens, sondern
auch die familiären Verhältnisse, die Anzahl der Kinder
und die Religionszugehörigkeit verzeichnet sind. Die
Schutzbedürftigkeit dieser Angaben, die unter das Persönlichkeitsrecht fallen, bewerte ich sehr hoch. Diese
Schriftstücke nennen sich Lohnsteuerkarten.
Herr Kollege Spiller, ich kann Ihnen das bestätigen. Es
ist in der Tat so, dass in der Öffentlichkeit gerade bei Kapitalerträgen normalerweise ein anderer Maßstab angelegt wird, wenn es um das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung geht, als beim übrigen Besteuerungsverfahren; das ist einfach so. Manchmal hat man in der Tat
den Eindruck, dass es viele Verbände gibt, die Steuerhinterzieher schützen wollen.
Herr Kollege Dr. Meister.
Herr Präsident! Frau Staatssekretärin, wenn man das,
was Sie vorgetragen und geantwortet haben, mit dem vergleicht, was in der Pressekonferenz des Bundeskanzlers
und des Bundesfinanzministers geäußert worden ist, dann
stellt man fest, dass die Darstellungen an zwei Stellen weit
auseinander liegen. Meine Frage ist: Wie hoch schätzen
Sie den Verlust an Vertrauen in den Kapitalmarkt ein, der
durch die Diskrepanz zwischen dem, was heute im Bundeskabinett verabschiedet worden ist, und dem, was Bundeskanzler und Bundesfinanzminister in einer gemeinsamen Pressekonferenz vorgestellt haben, entsteht? In der
gemeinsamen Pressekonferenz wurde mitgeteilt, dass
auch nach Einführung einer relativen Zinsabgeltungsteuer
alle Steuerpflichtigen ihre Freibeträge und auch ihren persönlichen Steuersatz in Anspruch nehmen können. Das,
was dort mitgeteilt wurde, scheint nicht mehr zu gelten.
Das heißt, man sorgt für eine massive Verunsicherung im
Kapitalmarkt und bei den Anlegern.
Was die Kontrollmitteilungen und das von Ihnen hier
vorgestellte Wahlverfahren angeht: Damit geht ein massiver Bürokratiezuwachs in Deutschland einher. Wie bringen Sie das mit dem Ziel dieser Regierung, Bürokratie abzubauen, in Einklang?
Herr Kollege Meister, es gibt keinen Unterschied zu
dem, was der Bundeskanzler und Bundesfinanzminister
Eichel in ihrer Pressekonferenz im Dezember des vergangenen Jahres gesagt haben, nämlich dass der Sparerfreibetrag erhalten bleibt. Das ist auch so. Ich sage noch einmal: Es wird dem weiteren Gesetzgebungsverfahren
vorbehalten bleiben, die Ausgestaltung im Einzelnen vorzunehmen.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass das, was wir vorhaben, zu einer Verunsicherung des Kapitalmarktes führt.
Wir ergreifen diese Maßnahme insbesondere aus folgenden
Gründen - Kollege Solms und vor allem die Bankenverbände haben uns seit Jahren, zu Recht, darauf hingewiesen -: Es gibt, insbesondere im Ausland, in nennenswertem Umfang Schwarzgeld, welches von Unternehmern nicht als Eigenkapital vorgezeigt werden kann.
Angesichts der schwieriger werdenden Bedingungen der
Kapitalmarktfinanzierung möchten Betriebsinhaber ihr
irgendwann ins Ausland gebrachtes Schwarzgeld gern
nach Deutschland zurückbringen, um ihre Eigenkapitalquote zu stärken. Außerdem gibt es vermehrt Menschen,
die Schwarzgeld erben.
Wenn man Schwarzgeld erbt, das in der Schweiz liegt,
dann kann man damit zwar vielleicht wunderschöne Urlaube in Sankt Moritz finanzieren; aber man kann es
schlecht in seinen heimischen Finanzkreislauf einbeziehen. Drei Wochen Urlaub in Luxemburg - ich möchte
dem luxemburgischen Regierungschef Juncker nicht zu
nahe treten - macht eigentlich niemand. Was soll man
also mit dem geerbten Schwarzgeld machen? Vor diesem
Hintergrund verfolgt unsere Politik das Ziel, die Eigenkapitalquote derjenigen, die in früherer Zeit auf nicht steuerehrliche Weise Schwarzgeld erworben oder ohne ihr Zutun Schwarzgeld geerbt haben, zu erhöhen.
Ich glaube, dass der Kapitalmarkt damit deutlich stabilisiert wird, weil Deutschland ab dem nächsten Jahr in
Verbindung mit der dann erhobenen Kapitalertragsteuer
in Höhe von 25 Prozent auch im internationalen Vergleich
äußerst moderat besteuert, sodass auch aus diesem Grund
kein Interesse mehr daran bestehen kann, sein Geld im
Ausland anzulegen.
Mir liegen noch Wortmeldungen der Kollegen Schindler,
Pinkwart, Kolbe und Michelbach vor. Danach möchte ich
diesen Komplex gerne abschließen, damit hoffentlich
noch ein wenig Zeit für andere Fragen zur heutigen Kabinettssitzung verbleibt.
Herr Kollege Schindler.
Frau Staatssekretärin, dieser Ansatz ist allgemein zu
begrüßen. Aber was wollen Sie gegen das Misstrauen, das
auch in Ihren Formulierungen zum Ausdruck kommt, tun?
Sie benutzen die Begriffe „informelle Gleichstellung“
und „Verifikation“. In diese Begriffe kann man viel hineininterpretieren. Welche vertrauensbildenden Maßnahmen
wollen Sie - ich erinnere an den Vorschlag der Bankenverbände - ergreifen? Ich rate Ihnen, Unternehmern nicht
noch einmal zu unterstellen, sie hätten ihr Geld im Ausland deponiert, nur weil das einige Banker vielleicht annehmen. So weit sollten Sippenhaft und Verdächtigungen
nicht reichen; sonst erweckt man den Eindruck, alle Unternehmer in diesem Staat würden so handeln.
Wie wollen Sie das Vertrauen, dass totale Anonymität
besteht, herstellen, wenn Sie gleichzeitig Kontrollmitteilungen wollen? Wenn das, was Sie vorhaben, kommt,
dann wird es keinen Kapitalrückfluss geben. Ohne das
nötige Vertrauen werden diejenigen, die gewillt sind, ihr
Kapital in zwei oder drei Jahren nach Deutschland
zurückzuholen, das nicht tun. Anders gesagt: Aufgrund
der Kontrollmitteilungen werden diese Personen fürchten, dass man sie rechtlich noch belangen kann.
Wie hoch wird der staatliche Aufwand für die Kontrollmitteilungen sein? Ihr Ansatz als solcher ist doch vollkommen irrelevant, weil er nicht die nötige Wirkung erzielt. Man traut Ihnen doch nicht.
Herr Kollege Schindler, zu Beginn Ihrer Frage haben
Sie zwei Begriffe genannt, die - wie Sie es ausdrücken zum mangelnden Vertrauen beitragen bzw. sogar Misstrauen schüren. Ich will diese beiden Begriffe aufgreifen.
Zunächst komme ich auf den Begriff der „informationellen Selbstbestimmung“ zu sprechen. Dieser Begriff
stammt aus dem Datenschutzrecht - dazu gibt es auch ein
Urteil des Bundesverfassungsgerichts; das wurde im Zusammenhang mit der Volkszählung erstritten -, der im
Wesentlichen beinhaltet, dass der Bürger das Recht an seinen eigenen Daten hat und sie auch gegenüber Verwaltungsbehörden nicht vollständig öffnen muss. Es werden
also Grenzen gezogen. Wie aus diesem Sachverhalt mangelndes Vertrauen erwachsen soll, verstehe ich nicht.
Möglicherweise haben Sie meine Aussagen nicht richtig
verstanden.
({0})
- Ja. Der Begriff des „informationellen Selbstbestimmungsrechts“ wurde vom Datenschutzbeauftragten in die
Debatte eingebracht, um das einmal deutlich zu sagen.
Dieses Grundrecht der Bürger haben wir selbstverständlich mit den Ansprüchen des Staates abzuwägen.
Den Begriff „Verifikation“ haben nicht wir, sondern
das Bundesverfassungsgericht gebraucht. Verifikation
heißt im Übrigen nichts anderes als Nachprüfbarkeit.
({1})
- Nein. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts besagt
Folgendes: Der Gesetzgeber ist verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Gesetze, die er erlässt, auch in gleicher
Weise für alle Steuerbürger angewandt werden. Wenn der
Gesetzgeber nicht zugleich die Handhabe für eine gleiche
Anwendung für alle Bürger schafft, dann ist das Gesetz
verfassungswidrig.
Gerade deswegen gibt es einen Vorlagebeschluss, der
von Professor Tipke initiiert worden ist. Er hält das jetzige
Kapitalertragsbesteuerungssystem unter dem Gesichtspunkt der Verifikation für verfassungswidrig, weil die
Nachprüfung eben nicht ausreichend ist. Das ist uns also
von Verfassungs wegen aufgegeben.
Ich bitte Sie als Mitglied dieses Hohen Hauses sehr
herzlich, die Prinzipien unserer Verfassung - das tun Sie
gewiss - zusammen mit uns zu beachten und nicht anzunehmen, dass man daraus eine Verunsicherung der Bürger
ableiten könnte.
Ich füge hinzu: Der Bürger, der sein bisher nicht erklärtes Kapital nacherklärt, muss, wenn die Finanzverwaltung zukünftig Fragen bezüglich der Herkunft des
Geldes stellt, nachweisen können, dass er das bereits erklärt hat. Beispielsweise muss er sagen können: Das habe
ich doch damals, im Dezember 2003, erklärt. Ein total
anonymisiertes Nacherklärungsverfahren würde dem
Bürger diese Möglichkeit nehmen und ihn für die Zukunft
in einer Position der Unsicherheit belassen.
Herr Kollege Pinkwart.
Frau Staatssekretärin, inwieweit kann der von Ihnen
vorgesehene pauschalierte Nachversteuerungssatz, den
Sie in zwei Stufen einführen wollen, vor dem Hintergrund
der Erfahrungen, die mit derartigen Maßnahmen im Aus2074
land bereits gesammelt werden konnten, tatsächlich zu
dem von Ihnen angestrebten Erfolg führen, den Steuerwiderstand zu überwinden und damit zu mehr Steuerehrlichkeit und zu erhöhten Staatseinnahmen zu kommen?
Meine Frage bezieht sich auf die Höhe des pauschalierten
Nachversteuerungssatzes wie auf die Fristigkeit. Wir haben es nicht nur mit Geldvermögen zu tun, sondern auch
mit Sachvermögen. Dabei stellt sich die Frage der Liquidierung dieser Werte, damit die Steuerschuld überhaupt
entrichtet werden kann.
Mir erscheinen die in Ihrem Eckpunktepapier genannten Zahlen - bis Jahresende 25 Prozent, bis Sommer des
nächsten Jahres 35 Prozent - sowohl hinsichtlich des Zeitraums als auch hinsichtlich der Höhe des Nachversteuerungssatzes zu eng bemessen zu sein.
Was die Höhe des Nachversteuerungssatzes anbetrifft,
möchte ich auf Folgendes hinweisen: Es geht nicht nur um
die Frage „Sind Kapitalerträge der Steuer nicht unterworfen worden?“ Vielmehr gehen wir davon aus, dass es sich
um bisher überhaupt nicht versteuertes Kapital handelt,
dass also schon die Quelle schwarz ist. Wenn der Bürger
nachweisen kann, dass das nicht so ist und er - in Anführungszeichen - lediglich die Kapitalertragszinsen der
Steuer bisher nicht unterworfen hat, so kann er dies natürlich nachträglich anmelden. Er wird dann entsprechend besteuert. Dann wird selbstverständlich nicht davon ausgegangen, dass bereits die Quelle des Geldes schwarz war.
Wenn Sie im Übrigen bedenken, dass es sich um bisher
unversteuertes Geld gehandelt hat und möglicherweise
auch Sozialversicherungsbeiträge hinterzogen wurden,
müssen Sie davon ausgehen, dass normalerweise Steuerund Sozialabgaben in einer Größenordnung von 65 und
70 Prozent fällig gewesen wären. Vor diesem Hintergrund
ist eine Nachbesteuerung in Höhe von 25 bzw. 35 Prozent
ein generöses Angebot.
Was die kurze Frist anbelangt, so ist es dem Gesetzgeber aufgegeben, den Bürgerinnen und Bürgern zu sagen:
Du hast eine Chance, aber ergreife sie auch! - Die Frist
für solche Chancen kann man nicht beliebig verlängern
und solche Chancen kann man auch nicht beliebig vermehren. Wiederkehrende Amnestien, also solche, die alle
paar Monate neu aufgelegt werden, würden bei den Bürgerinnen und Bürgern sicherlich noch mehr Rechtsunsicherheit schaffen.
Herr Kollege Kolbe.
Frau Staatssekretärin, worauf bezieht sich die angedachte Strafbefreiung, nur auf das Steuerdelikt, die Steuerhinterziehung oder Steuerverkürzung, oder auch auf das
möglicherweise davor begangene Grunddelikt?
Die Frage darf ich an einem Beispiel deutlich machen:
Nicht versteuertes Geld kann völlig legal erwirtschaftet
worden sein, kann unter Begehung von Ordnungswidrigkeiten - Verstöße gegen Arbeitszeitbestimmungen oder im
Zusammenhang mit Aufenthaltserlaubnissen - erwirtschaftet worden sein, kann unter Missachtung der Sozialversicherungsvorschriften erwirtschaftet worden sein, kann
aber auch unter Begehung schwerster Verbrechen - gewerblicher Menschenhandel oder gewerblicher Drogenschmuggel - erwirtschaftet worden sein.
Worauf bezieht sich also die Strafbefreiung, nur auf das
Steuerdelikt, die Steuerhinterziehung oder die Steuerverkürzung, oder darüber hinaus auch auf das möglicherweise vorhergehende Grunddelikt? Wenn das Grunddelikt
erfasst wird, ist die weitere Frage: Wird zwischen den
möglichen Grunddelikten differenziert und, wenn ja, wie?
Sie bezieht sich auf das Delikt Steuerverkürzung oder
Steuerhinterziehung und auch auf die damit möglicherweise in Verbindung stehende Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen.
Ich habe eingangs schon ausgeführt, dass selbstverständlich die nationalen, europäischen und internationalen Regelungen zur Bekämpfung der Geldwäsche und der
organisierten Kriminalität beachtet werden müssen. Wir
würden uns sonst im internationalen Rahmen nicht
pflichtgemäß verhalten. Wir haben die Geldwäscherichtlinie der Europäischen Union in nationales Recht umgesetzt und wir müssen auch die Vereinbarungen in der
OECD zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität
berücksichtigen.
Selbstverständlich gilt die Strafbefreiung nicht für solche Grunddelikte. Auch aus diesem Grund ist es nicht
möglich, ein rein anonymisiertes Rückkehrverfahren zu
installieren; denn dann würden wir die organisierten Kriminellen aller Welt gleichsam auffordern, ihr Geld jetzt in
Deutschland reinzuwaschen. Wenn man weiß, wie mühsam Kriminelle ihr Geld normalerweise waschen - sie gehen meinetwegen in ein Spielkasino, wobei für sie die
große Gefahr besteht, eine ganze Menge zu verlieren;
trotzdem scheint es sich für sie immer noch zu lohnen, mit
dem Gewinn, der dabei herauskommt und der dann weiß
ist, wegzugehen -, dann kann man ermessen, wie attraktiv es wäre, nur 25 Prozent abgeben zu müssen.
Letzte Frage, Kollege Michelbach. Auch wenn allen
Beteiligten klar ist, dass die Materie nun einmal sehr komplex ist, bitte ich mit Blick auf die für die Regierungsbefragung festgelegte Zeitdauer um eine möglichst knappe
Frage und eine ebenso knappe Antwort.
Frau Staatssekretärin, werden Sie bei Ihrer Schwarzgeldamnestie nicht von einem doch sehr einfach strukturierten fiskalischen Wunschdenken geleitet? Ein Steuersatz von 25 Prozent bzw. 35 Prozent ist im internationalen
Vergleich doch sehr hoch. Mich würde dann noch interessieren: Ist das inklusive oder exklusive Kirchensteuer und
Soli? Ferner: Warum haben Sie diesen Einnahmewunschbetrag gleich in den Haushalt eingestellt? Daraus ergibt
sich der Eindruck, dass Sie damit den Haushalt retten wollen. Ist das eigentlich die einzige Grundlage?
Es entspricht dem Grundsatz von Haushaltswahrheit
und Haushaltsklarheit, dass absehbare Einnahmen in den
Haushalt eingestellt werden. Da die Bundesregierung beabsichtigt, dieses Gesetz bald auf den Weg zu bringen - es
soll noch in der ersten Jahreshälfte verabschiedet werden -, und deswegen heute diese Eckpunkte so beschlossen hat, ist das eine vollständige und zutreffende Grundlage für die Aufnahme dieses erwarteten Betrages in den
Haushalt. Natürlich ist es interessant, in diesem Jahr noch
mit 25 Prozent davonzukommen. Daher ist unsere Erwartung sicherlich nicht zu hoch angesetzt.
Sie haben das Spezialproblem Solidaritätszuschlag
und Kirchensteuer angesprochen. Ja, dafür müssen wir im
Gesetzgebungsverfahren noch eine Lösung finden. Das
ist bei einer Abgeltungsteuer gar nicht so einfach. Dieses
Problem wird noch zu lösen sein. Das haben wir den Kirchen auch zugesagt. Rein gesetzestechnisch ist das allerdings nicht so leicht. Darüber müssen wir uns noch einige
Gedanken machen.
({0})
- Soli und Kirchensteuer, beides; selbstverständlich.
Wir dürfen den Steueranspruch der Kirchen und natürlich auch den Solidaritätszuschlag nicht einfach unter den
Tisch fallen lassen. Dafür müssen wir eine Lösung finden;
das werden wir auch. Ich kann Ihnen aber die Lösung
noch nicht präsentieren, weil es, wie bereits gesagt, rein
gesetzestechnisch nicht so einfach ist. Selbstverständlich
wird aber darüber nachgedacht und der Steueranspruch
der Kirchen gewährleistet bleiben.
Zu sonstigen Fragen an die Bundesregierung über den
behandelten Themenbereich hinaus gibt es eine Wortmeldung des Kollegen Grund.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Frage geht an
Herrn Staatssekretär Schlauch. Herr Staatssekretär, in den
letzten Tagen berichteten verschiedene Tageszeitungen in
Deutschland von der Absicht des Bundeswirtschaftsministers, innerhalb Deutschlands Sonderwirtschaftszonen,
also Gebiete minderen Rechtes, einzurichten. Darüber
wollte er das Kabinett in der letzten oder in dieser Woche
informieren. Aufgrund dieser Mitteilung, der auch nicht
widersprochen wurde, haben sich verschiedene Industrieund Handelskammern in Deutschland insbesondere aus
den neuen Bundesländern gemeldet, die gerne in ihrem
Bereich eine Sonderwirtschaftszone hätten.
Meine Frage lautet: War dieser Ministervorstoß Gegenstand der heutigen Kabinettssitzung? Wenn nicht, gibt es
überhaupt Denkansätze des Ministeriums in diese Richtung und wie gedenkt man, diese umzusetzen?
({0})
Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die
Errichtung von Innovationsregionen oder Sonderwirtschaftszonen war heute nicht Gegenstand der Beratungen
des Kabinetts. Wir haben aber im Wirtschaftsausschuss
dieses Thema heute ausführlichst besprochen, unter starker Beteiligung auch von Kolleginnen und Kollegen der
Opposition.
({0})
Es würde jetzt zu weit führen, wenn ich diese Diskussion
zusammenfassen oder wiederholen würde.
Es gibt auch einen schriftlichen Bericht des Wirtschaftsministeriums, der heute Gegenstand der Beratungen des
Wirtschaftsausschusses war und in dem der Stand der Dinge
aufgeführt ist. Ansonsten bin ich und ist selbstverständlich
auch das Haus gerne bereit, weitere Fragen zu beantworten.
Jetzt würde das aber, wie ich glaube, den Rahmen sprengen.
({1})
Das ist jedenfalls mit Blick auf die Zeit zutreffend.
Ich beende damit die Regierungsbefragung und rufe
den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 15/438, 15/460 Gemäß Ziffer 10 der Richtlinien für die Fragestunde
sind zunächst dringliche Fragen aufzurufen. Sie liegen auf
Drucksache 15/460 vor und betreffen den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Zur Beantwortung steht uns die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Caspers-Merk zur Verfügung.
Wir kommen zunächst zur dringlichen Frage 1 des
Kollegen Hartmut Koschyk:
Aufgrund welcher Erkenntnisse hat das Bundesministerium
für Gesundheit im August 2002 auf die illegale Lagerung von
Pockenviren in Russland, Nordkorea und vor allem im Irak
hingewiesen - vergleiche „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ vom 16. Februar 2003 - und über welche Informationen
verfügt die Bundesregierung hinsichtlich der Lagerung und möglichen Herstellung von weiteren biologischen Kampfstoffen?
Herr Kollege Koschyk, Ihre Frage beantworte ich wie
folgt: Nach Einschätzung deutscher Sicherheitsbehörden
waren und sind Anschläge in Deutschland mittels Pockenviren weiterhin eher unwahrscheinlich. Gesicherte Erkenntnisse darüber, dass Terroristen im Besitz von Pockenviren sind bzw. über entsprechende Anschlagsplanungen,
lagen und liegen nicht vor. Eine konkrete Bedrohung ist
insofern nicht gegeben.
Nach unbestätigten nachrichtendienstlichen Informationen, die der Bundesregierung vorliegen, besteht die Möglichkeit, dass Erreger der Humanpocken auch noch außerhalb der beiden legalen Hinterlegungsstellen - das sind die
Laboratorien in Atlanta, USA, und Koitsovo, Russland existieren. Der Irak hat Mitte der 90er-Jahre bezüglich seines Biowaffenprogramms gegenüber der Überwachungskommission der Vereinten Nationen UNSCOM ein so genanntes Camel-Pox Project deklariert, also ein Projekt mit
Kamelpocken. Gesicherte Erkenntnisse, dass er über Erreger von Humanpocken verfügt, liegen nicht vor.
Zusatzfrage, Herr Kollege Koschyk?
Frau Staatssekretärin, über welche Erkenntnisse verfügte dann die Bundesgesundheitsministerin, als sie bereits im Mai 2002 bei der Jahrestagung der Weltgesundheitsorganisation, WHO, in Genf öffentlich davon sprach,
es werde vermutet, dass auch im Irak Pockenviren gelagert würden, weshalb vorsorglich Impfdosen für alle
Menschen in Deutschland angeschafft würden?
Herr Kollege, die WHO hat in einer ersten Pressemitteilung vom 2. Oktober 2001 ihre Mitgliedsnationen aufgefordert, Pockenimpfstoff anzuschaffen, weil sich die
Bedrohungslage nach dem 11. September weltweit verändert hat. Diesem Vorschlag der WHO sind wir unverzüglich nachgekommen. Eine konkrete Bedrohung lag nicht
vor; aber eine Bedrohung ist niemals auszuschließen. Das
heißt, hier handelt es sich um eine vorsorgende Politik.
Deshalb haben wir mit der Beschaffung von entsprechendem Impfstoff nicht erst im Zusammenhang mit dem Irakkonflikt, sondern bereits Ende des Jahres 2001 begonnen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Koschyk?
Frau Staatssekretärin, kann denn die Bundesregierung
eine Analyse des Bundesnachrichtendienstes bestätigen,
über die die Tageszeitung „Die Welt“ vom 19. November
des vergangenen Jahres berichtet hat, wonach der Verdacht besteht, dass der Irak noch immer einen Teil seiner
in Munition abgefüllten biologischen Kampfstoffe besitzt
und der Irak den Besitz von Anthrax, Botulinustoxin und
Aflatoxin in munitionierter Form zugegeben hat und an
der Forschung und Entwicklung von Mykotoxinen, Rotaviren, ebenso an Pocken, getarnt als Kamelpocken, arbeitet, woraus der BND laut Tageszeitung „Die Welt“
schlussfolgert:
„Die verwendeten Produktionsmethoden und hohen
Ausbeuten deuten auf eine fortgeschrittene Technologie hin.“ Es müsse befürchtet werden, dass der Irak
„innerhalb von mehreren Monaten sein B-WaffenProgramm wieder aufleben lassen könnte“.
Sehr geehrter Herr Kollege, zunächst einmal will ich
festhalten, dass wir zu dieser Pressemitteilung nicht Stellung nehmen. Zu der Gefährdungslage habe ich ausführlich Stellung bezogen. Der 11. September 2001 und die
Folgeanschläge haben verdeutlicht, dass islamistische
Terroristen durch ihre Anschläge den Tod Tausender Unschuldiger herbeiführen wollen. Das Bundeskriminalamt,
das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst beurteilen übereinstimmend, dass keine Anzeichen für eine kurz- oder mittelfristige Entspannung dieser insgesamt hohen Gefährdungslage gesehen
werden. Es dürfte daher klar sein, dass die Bundesregierung für alle möglichen Gefahren Vorsorge zu treffen hat.
Ich weise allerdings nochmals darauf hin, dass keine
gesicherten Hinweise auf konkrete Anschläge mit Pocken
in Deutschland oder gegen deutsche Interessen im Ausland vorliegen. Insofern sage ich ausdrücklich, dass es
sich hier um eine abstrakte und nicht um eine konkrete
Gefährdungslage handelt. Aber auch auf abstrakte Gefährdungslagen muss die Bundesregierung vorbereitet
sein. Eine abstrakte Gefährdungslage haben Sie zum Beispiel, wenn Sie in einem Haus mit Feuer rechnen müssen.
Für diesen Fall haben wir eine Feuerwehr und Brandmelder. Eine konkrete Gefährdungslage bestünde, wenn ein
Brandstifter unterwegs wäre. Wir halten daran fest, dass
wir derzeit eine abstrakte Gefährdungslage haben.
Wir sollten in der Diskussion über das Thema Pocken,
über das sich die Menschen draußen Sorgen machen, auch
klar sagen, dass wir zwar für einen eher unwahrscheinlichen Eventualfall Vorsorge treffen, aber dass wir gut daran tun, auf diesen Eventualfall vorbereitet zu sein.
Die nächste Wortmeldung ist von Frau Kühn-Mengel.
Das Gehörte aufgreifend, Frau Staatssekretärin,
möchte ich fragen: Hätte die Bundesregierung also in jedem Fall, auch bei noch so geringer Wahrscheinlichkeit,
dass Pockenviren freigesetzt werden, diese Maßnahme ergriffen und befinden Sie sich hier auch im Einklang mit
Fachleuten im In- und Ausland?
Frau Kollegin Kühn-Mengel, wir befinden uns in vollständigem Einklang mit den Fachleuten im In- und Ausland. Alle betreiben Vorsorge durch die Vorhaltung von
Pockenimpfstoff. Es ist ja so, dass die Pocken Ende der
70er-Jahre international als ausgerottet galten. Aus diesem Grunde stand praktisch nirgendwo mehr Impfstoff zur
Verfügung oder es gab nur noch Restbestände. Insofern war
es vorsorgende Politik, diesen Impfstoff zu besorgen und
die Bestände Zug um Zug aufzufüllen. Wir befinden uns
damit auch in Übereinstimmung mit den Bundesländern; es
handelte sich um eine gemeinsame Beschaffungsaktion.
Wir hätten in jedem Fall, auch bei einer geringeren Bedrohung, so handeln müssen; denn bei diesem Erreger ist die
einzige Vorsorgemöglichkeit das Impfen. Auch bei einem
sehr viel kleineren Restrisiko hätten wir im Sinne einer vorausschauenden Gesundheitspolitik immer so gehandelt.
Frau Kollegin Mantel.
Frau Staatssekretärin, hat die Bundesregierung ihre
Verbündeten und vor allem auch die UNO-Inspektoren
über ihre Erkenntnisse hinsichtlich der Gefährdungslage
informiert?
Frau Kollegin, ich habe gerade erläutert, dass es keine
konkrete, sondern nur eine abstrakte Gefährdungs- und
Bedrohungslage gibt. Wir haben also keine anderen Erkenntnisse als die, die es international gibt. Ich will noch
einmal deutlich sagen, dass wir nicht mehr wissen als die
Waffeninspekteure. Um mehr Informationen zu bekommen, sollen sie im Irak ihre Arbeit tun.
Herr Kollege Dreßen.
Frau Staatssekretärin, wir haben im Ausschuss über das
Problem sehr intensiv und sehr offen diskutiert. Ich hatte
dort das Gefühl, dass die Opposition mit dem, was wir getan haben, einverstanden war. Deswegen verstehe ich
nicht - das kann man verschiedenen Pressemeldungen
entnehmen -, dass das jetzt anders gesehen wird.
Meine Frage an Sie: Erfolgte die Einschätzung hinsichtlich der Gefährdung durch Pockenerreger im Einklang mit den Ländern oder gab es bei den Vorgesprächen
andere Meinungen? Halten Sie das, was derzeit abläuft,
nämlich dass man versucht, sozusagen eine Panik loszutreten, nicht für etwas wirr? Ich bin wirklich schockiert,
wie die Opposition zum Teil unsere Maßnahmen kritisiert.
Herr Kollege Dreßen, wir haben im Gesundheitsausschuss und auch im Haushaltsausschuss in mehreren Sitzungen in der Tat sehr umfangreich über die Beschaffung
des Pockenimpfstoffs informiert. Darüber hinaus gab es
seit dem 15. Oktober 2001 in diesem Hohen Hause elf
schriftliche und mündliche Fragen von Kolleginnen und
Kollegen an die Bundesregierung. Auch diese Fragen sind
umfassend beantwortet worden.
Ich glaube, es muss einen Grundkonsens darüber geben,
dass die Beschaffung des Pockenimpfstoffs in unser aller
Interesse liegt und dass es am besten wäre, wir müssten ihn
niemals einsetzen. Deswegen halte ich die haarspalterische
Debatte über die Gefährdungslage für wenig zielführend.
({0})
Herr Kollege Storm.
Frau Staatssekretärin, Sie haben ausgeführt, es gebe
nur eine abstrakte, aber keine konkrete Bedrohungslage.
Es gibt aber einen Vermerk aus Ihrem Ministerium vom
9. August, in dem von dokumentierten Erkenntnissen die
Rede ist, dass der Irak über Biokampfstoffe verfügt. Die
Ministerin hat in einer Sitzung des Haushaltsausschusses
am 13. November vergangenen Jahres erklärt, es sei davon auszugehen, dass Staaten wie Nordkorea oder Irak
über Pockenvirenstämme verfügten, weshalb es eine potenzielle Bedrohung gebe. Deshalb sei auch die Gefahr
nicht auszuschließen, dass sich jemand selbst infizieren
könne, um als Selbstmordattentäter zu fungieren.
Dieses widerspricht klar Ihrer Aussage, es gebe nur
Hinweise auf eine abstrakte, aber nicht auf eine konkrete
Gefahr. Hat die Ministerin im Haushaltsausschuss in diesem Punkt wissentlich die Unwahrheit gesagt?
({0})
Herr Kollege Storm, ich weise das in aller Form zurück. Mir liegt das Protokoll der Sitzung des Haushaltsausschusses vom 13. November vor. Wenn Sie genau
nachlesen, können Sie Formulierungen finden wie die, es
werde allerdings vermutet, dass es Pockenviren gebe, die
in Staaten wie dem Irak oder Nordkorea gelagert werden
könnten. Aus einem Konjunktiv einen Indikativ und aus
Hinweisen Nachweise zu machen ist nicht statthaft.
({0})
Frau Kollegin Sonntag-Wolgast.
Frau Staatssekretärin, wie erklären Sie sich die zunehmende öffentliche Aufregung angesichts der Tatsache,
dass bereits im August diese Maßnahmen intern bekannt
waren und dass sie im November sowohl im Ausschuss
als auch in Pressemeldungen - es wurde eben die „Welt“
zitiert - aufgegriffen wurden? Es gab damals ein vergleichsweise geringes Echo. Wie erklären Sie sich, dass es
zu einer deutlichen Zunahme der öffentlichen Aufregung
gekommen ist?
Frau Kollegin, ich erkläre mir das so, dass die Beschaffungsaktion in den Zusammenhang mit der innenpolitischen Auseinandersetzung um den Irakkonflikt gebracht wird, was nicht zutreffend ist. Wenn man die
gesamte Entwicklung zurückverfolgt - das hatte ich eingangs erläutert -, dann stellt man fest, dass wir schon
Ende des Jahres 2001 die ersten 6 Millionen Impfstoffdosen, die damals noch verfügbar waren, gekauft haben.
Es handelte sich dabei um Bestände des Impfstoffes, der
früher von der WHO eingesetzt worden ist.
Das heißt, wir haben damals auf die aktuelle Bedrohungssituation nach dem 11. September 2001 reagiert.
Alle unsere Maßnahmen sind in den Zusammenhang mit
der allgemeinen Vorsorge für unsere Bevölkerung zu bringen. Jetzt wird versucht, das Ganze in einen innenpolitischen Zusammenhang zu stellen, der damals nicht gegeben war.
Herr Binninger.
Frau Staatssekretärin, Ihr Haus spricht von einem
Szenario mit bis zu 25 Millionen Toten in einem Fall, der
hoffentlich nie eintritt und gegen den man alles Erdenkliche tun muss. Ich frage Sie: Welche konkreten Erkenntnisse, die zu einem solchen Szenario Anlass geben, haben
Sie? Inwiefern können vor dem Hintergrund, dass wir
zwischen konkreter und abstrakter Gefahr unterscheiden,
infizierte Selbstmordattentäter das Pockenvirus hier wirklich verbreiten?
Herr Kollege, wir können dies nicht ausschließen, da
es in den USA und in Russland jeweils ein Laboratorium
gibt, in denen entsprechende Virenstämme gelagert wurden, wobei nicht auszuschließen ist, dass aus diesen Beständen Virenstämme abhanden gekommen und verbreitet worden sind. Wir wissen es nicht. Nicht wissen heißt
in diesem Falle, dass man auf alles Erdenkliche vorbereitet sein muss. Die einzige Möglichkeit, Vorsorge zu betreiben, besteht darin, Impfstoffe einzulagern. Das tun wir
auch.
Ich darf Sie daran erinnern, dass gerade von Ihrer Fraktion bzw. von Ministerpräsident Koch im November letzten Jahres vehement gefordert wurde, eine Versorgung mit
Impfstoff für die gesamte Bevölkerung vorzusehen. Wir
haben dies eingeleitet. Sie wissen, dass es eine Verabredung der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler
gab. Wir setzen dieses gemeinsam abgesprochene Vorgehen Zug um Zug um. Deswegen verstehe ich diese Debatte und diese Auseinandersetzung darum nicht.
Frau Kollegin Lotz.
Frau Staatssekretärin, Sie hatten vorhin auf die Frage
des Kollegen Dreßen berichtet, dass Sie diese Vorsorge im
Einklang mit Fachleuten im In- und Ausland getroffen haben. Meine Frage lautet konkret: Welche Erkenntnisse lagen diesen Planungen zugrunde?
Frau Kollegin Lotz, wir haben unmittelbar nach der
Warnung durch die WHO und nach dem 11. September
reagiert, indem zwischen Bund und Ländern zum Thema
Gesundheitsschutz eine gemeinsame Arbeitsgruppe eingerichtet wurde. Dort waren die Fachleute der Länder und
des Bundes für die Innen- und die Gesundheitspolitik unter Moderation des Robert-Koch-Instituts beisammen. Im
Hinblick auf alle möglichen Formen bioterroristischer
Angriffe wurden dort Szenarien entwickelt. Eines der Ergebnisse war, dass wir in Bezug auf die Bedrohung durch
Pockenviren am schlechtesten geschützt sind, weil diese
Krankheit als ausgerottet galt und wir keine Impfstoffe
mehr eingelagert hatten.
Aus dieser Situation heraus haben wir gehandelt. Denn
bei einem Ausbruch dieser Krankheit ist das Bedrohungsszenario in der Tat enorm. Wir sind zudem der Auffassung: Wenn man ein Risiko nicht ausschließen kann, muss
man Vorsorge betreiben.
Herr Kollege Schröder.
Frau Staatssekretärin, Sie sagen, dass Sie Vorsorge
treffen. Deshalb meine Frage: Was hat die Bundesregierung bisher veranlasst und was wird die Bundesregierung
noch veranlassen, um die bei Pockenimpfungen entstehenden Nebenwirkungen, die gefährlich sind, zu verhindern?
Herr Kollege, Sie sprechen damit eine sehr schwierige
Frage an. Denn der derzeit eingelagerte Impfstoff hat
keine Zulassung mehr - dies ist im Übrigen weltweit so -,
weil diese Krankheit als ausgerottet galt. Vor diesem
Hintergrund haben wir in Deutschland auch Ende der
70er-Jahre die Reihenpockenimpfungen eingestellt. Bei
der Pockenimpfung gibt es ja Nebenwirkungen. Man
spricht von ungefähr 50 bis 100 Nebenwirkungsfällen und
ein bis zwei Todesfällen pro 1 Million Impfungen. Deswegen verbietet es sich auch, prophylaktisch zu impfen. Aus
diesem Grund haben wir in der damaligen Situation, als die
Krankheit als ausgerottet galt, eben nicht mehr geimpft.
Der heutige Impfstoff, der von uns eingelagert wird, ist
im Labor getestet. Er ist stabil und kann auch nach Auftreten eines ersten Falles noch bis zu fünf Tage eingesetzt
werden. Die Impfungen sind dann noch voll wirksam. Es
ist Aufgabe der Hersteller, einen nebenwirkungsärmeren
Impfstoff zu entwickeln. Im Moment bemühen sich zumindest zwei Hersteller, zunächst einmal die Zulassung
für den Impfstoff zu erwerben und als nächsten Schritt einen nebenwirkungsärmeren Impfstoff zu entwickeln. Aber
wir haben seit über 20 Jahren keine Erfahrungen mehr mit
diesem Impfstoff. Deshalb haben wir auch keine gesicherten Erkenntnisse, ob andere Formen, zum Beispiel eine
Vorimpfung mit MVA - darüber wurde in Bayern einmal
diskutiert -, wirklich wirksam sind und den vollen Impfschutz bieten. Es gibt eben keine Erfahrungen an getesteten Menschen. Deswegen haben wir uns in der Logik so
wie alle anderen Nachbarländer verhalten.
Herr Kollege Hohmann.
Frau Staatssekretärin, man hat aus Ihrem Hause, von
Ihrer Ministerin, und vom Herrn Bundesinnenminister
durchaus unterschiedliche Bewertungen des ganzen Sachverhaltes gehört. Wie erklären Sie sich diese unterschiedlichen Bewertungen?
Ich glaube nicht, dass es zu unterschiedlichen Erklärungen gekommen ist, sondern es wurde ein interner Vermerk hochgespielt. Es ist im Übrigen auch in den vier
Pressemitteilungen des BMGS zum Thema Pocken nachzulesen, dass die Einschätzung des BMGS vollständig der
Einschätzung entspricht, die auch der Bundesinnenminister vorgetragen hat. Wir sprechen von einer angespannten
Gefährdungslage, von einer Situation, in der es eine Gefährdung geben kann, in der wir es aber nicht wissen und
aus diesem Grund Vorsorge betreiben. Ich verstehe nicht
ganz, weshalb wir kritisiert werden. Ich glaube, bei der
derzeitigen weltweiten Situation wäre es unverantwortlich, keine Vorsorge zu betreiben.
Da es zwischendurch immer wieder Signale gibt, die
die Frage beinhalten, ob wir Wortmeldungen registriert
haben: Ich hoffe, dass wir die allermeisten tatsächlich registriert haben. Die Zahl der Zusatzfragen hält sich ziemlich stabil bei einem Dutzend. Diesen Hinweis gebe ich,
damit jeder weiß, mit welchem Zeitaufwand noch zu rechnen ist.
Die nächste Wortmeldung ist die des Herrn Kollegen
Wodarg.
Frau Staatssekretärin, wie beurteilen Sie die von Bayern
in die Diskussion gebrachte Nutzung des bei München
hergestellten MVA-Impfstoffes angesichts der Tatsache,
dass dort wahrscheinlich mit weniger Nebenwirkungen
zu rechnen ist, dass aber auch wahrscheinlich die Schutzwirkung nicht so stark ist, dass also nicht sicher zu sagen
ist, ob überhaupt eine Schutzwirkung durch diesen Impfstoff besteht, und wie halten Sie es damit, dass wir die Bevölkerung bundesweit möglichst in gleichem Maße schützen wollen?
Herr Kollege Wodarg, ich kann das fachlich nicht
selbst beurteilen, sondern wir stützen uns hierbei auf die
Beurteilung durch das Robert-Koch-Institut. Dort wird
gesagt: Wenn es wirklich eine Bedrohungslage gibt, können wir es uns nicht leisten, mit einer Vorimpfung zu beginnen, ohne zu wissen, ob diese Vorimpfung nur die Nebenwirkungen oder auch die Impfwirkung reduziert. Aus
diesem Grunde haben wir uns für den konventionellen
Weg entschieden, im Übrigen gemeinsam mit den Bundesländern und den europäischen Partnern. Damit eine
Vorimpfung irgendwann einmal erfolgreich sein kann,
müssten die Impfstoffe weiterentwickelt und getestet werden. Dies wäre Aufgabe der Herstellerfirma, die daran ja
auch ein großes Interesse haben müsste.
Herr Kollege Luther.
Frau Staatssekretärin Casper-Merk, im Zusammenhang mit der Aufstellung des Bundeshaushalts für 2002,
also im Jahr 2001, wurden vor dem Hintergrund des
11. September 6 Millionen Dosen Pockenimpfstoff angeschafft. Das geschah sicherlich vor dem Hintergrund der
„allgemeinen abstrakten Gefahr“, wie es Bundesminister
Schily bezeichnet hat. Für die Haushaltsvorlage, die im
August zur Beschaffung von weiteren Dosen geführt hat,
ist ausgeführt worden - ich zitiere aus einem Informationspapier für den Haushaltsausschuss -: „Neue Erkenntnisse der Nachrichtendienste über die Wahrscheinlichkeit
eines bioterroristischen Angriffs mit Pockenviren zwangen angesichts des hohen Gefährdungspotenzials für die
Bevölkerung zu sofortigem Handeln.“ Können Sie mir
erläutern, welcher Unterschied in der Betrachtung der
derzeitigen Gefahrenlage gegenüber der allgemeinen, abstrakten Gefahrenlage, also im November 2001 gegenüber dem Sommer 2002, besteht?
Zunächst, Herr Kollege Luther: Mein Name ist CaspersMerk.
Zweitens weiß ich gar nicht, ob Sie hier aus internen
Protokollvermerken oder Vorlagen zitieren dürfen. Es befremdet mich immer etwas, wenn ich diese in der Zeitung
wiederfinde; gerade dann, wenn man im Haushaltsausschuss Vertraulichkeit vereinbart.
Nun möchte ich aber drittens gern Ihre Frage beantworten. Es handelt sich bei den dokumentierten Erkenntnissen um Vermerke, die alle von Mai 2002 und August
2002 stammen. Sie müssen sehen: Wir diskutieren dies alles jetzt vor einem anderen Hintergrund. Damals gab es
im Prinzip keine Waffeninspektionen und keine gesicherten Erkenntnisse, sondern man hat gemutmaßt. Vor dem
Hintergrund dieser abstrakten Gefährdungssituation wurde Impfstoff beschafft.
Ich erinnere mich, dass damals von allen Seiten gefordert wurde, den Pockenimpfstoff auf eine Vollversorgung
der Bevölkerung aufzustocken. Auch von Ihrer Seite gab
es laute Stimmen, dass wir die Vollbevorratung sehr schnell
und sehr zügig vornehmen sollten.
Herr Kollege Strobl.
Frau Staatssekretärin, wir sind uns sicher einig, dass
wir wegen der Gefahr terroristischer Angriffe wachsam
sein und bleiben müssen, aber gleichzeitig nicht durch ungerechtfertigte Übertreibungen zu einer Panikmache in
der Bevölkerung kommen dürfen.
({0})
Deswegen ist meine Frage: Wie ist es eigentlich vor
diesem Hintergrund zu verantworten, dass in Ihrem Hause
Sprechzettel für die Ministerin und amtliche Vermerke gefertigt werden, auf denen die Rede von 40 Prozent Todesfällen, das heißt 25 Millionen Menschen allein in der Bundesrepublik Deutschland, im Falle eines terroristischen
Angriffs ist?
In diesem Zusammenhang frage ich auch: Wie beurteilen Sie es dann eigentlich, dass solche Sprechzettel aus
Ihrem Hause an die Presse lanciert werden, und wer trägt
dafür die politische Verantwortung?
Herr Kollege, auch ich finde, dass man mit den Sorgen
der Menschen nicht spielen sollte. Deswegen hat mich die
Art und Weise, wie diese Diskussion geführt wird, etwas
befremdet, weil wir uns doch einig sein sollten,
({0})
dass es eine richtige Politik war, den Impfstoff anzulegen,
zu bevorraten und Zug um Zug aufzustocken. Es war
zweitens richtig, dies vor dem Hintergrund der weltpolitischen Gefährdungslage zu tun. Es ist auch richtig, dass
man hier durch eine innenpolitische Debatte nicht weiterhin zur Verunsicherung beitragen sollte.
Darüber hinaus will ich Ihnen gern noch einmal sagen - ich habe hier vorhin aus dem Protokoll zitiert -:
Wenn Sie Hinweise haben, sind es keine Nachweise, und
eine Gefährdungssituation ist keine aktuelle, konkrete
und sichere Gefährdung. Deswegen sollten wir froh sein,
dass wir nicht über eine konkrete Gefährdungssituation in
Deutschland reden müssen, sondern für abstrakte Gefährdungssituationen Vorsorge betreiben. Genau dies haben
wir getan.
Ich kann Ihnen auch nicht sagen, wie die Presse an
diese internen Dokumente kommt. Dies führt natürlich
dazu, dass wir unsere sehr offene Informationspolitik gegenüber Haushalts- und Gesundheitsausschuss noch einmal überdenken.
({1})
Es besteht ja voraussichtlich noch Gelegenheit zur
Diskussion, sodass wir uns jetzt bei den zahlreichen angemeldeten Wortmeldungen vielleicht zunächst auf diese
konzentrieren sollten.
Bitte schön, Frau Mattheis.
Frau Staatssekretärin, teilt die Bundesregierung die
Einschätzung von Fachleuten, dass ohne Vorsorge und im
Falle des Ausbruchs von Pocken in Deutschland mit ungefähr 30 Millionen Toten zu rechnen wäre?
Diese Zahl, die uns die Fachleute nennen, ist bei der
Pockenerkrankung leider Realität. Deswegen wäre der
Ausbruch der Pocken eben auch ein Super-GAU. Pocken
gehören zu den wenigen Krankheiten, die man nicht mit
Antibiotika, sondern nur durch Impfen in den Griff bekommen kann. Aus diesem Grunde ist die Vorsorge so
wichtig. Deswegen haben wir genau dies getan.
Herr Kollege Weiß.
Frau Staatssekretärin, können Sie mir bitte noch einmal
erläutern - ich habe es nicht recht verstanden -, wie ein
M-Sprechzettel aus Ihrem Hause, der in die Redaktion der
„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gelangt ist, als Begründung dafür dienen kann, dass Sie Ihren Informationspflichten gegenüber dem Gesundheitsausschuss und
dem Haushaltsausschuss nicht mehr in dem gleichen Umfang wie bisher genügen wollen?
({0})
Herr Kollege, ich habe mich in meinen Ausführungen
nicht nur auf den Sprechzettel, sondern auch auf ausführliche interne Aktenvermerke bezogen, die ausgedruckt
worden sind.
({0})
Diese kamen nicht aus unserem Hause. Sie wurden an die
Mitglieder des Haushaltsausschusses zur Vorbereitung
der Beratung über die zusätzliche Ausgabe für den Impfstoff verteilt. Wie diese an die Presse gelangen konnten,
wissen wir nicht. Es kann auch nicht in unserem gemeinsamen Interesse liegen, dass so etwas an die Presse gespielt wird. Die dadurch entstehende Verunsicherung liegt
sicher nicht im Interesse des Hauses.
({1})
Herr Kollege Reichenbach.
Frau Staatssekretärin, vor dem Hintergrund, dass bereits im August des letzten Jahres unter anderem in der
„FAZ“ auf Hinweise rekurriert wurde, dass unter Umständen in Nordkorea, im Irak, aber auch möglicherweise
in anderen Ländern Biokampfstoffe und entsprechende
gefährliche Erreger existieren - neben Anthrax waren
auch Pocken genannt -, frage ich Sie: Ist es richtig, dass
diese allgemeinen Gefährdungshinweise bis heute allgemein geblieben sind, und ist es richtig, dass eine abstrakte
Gefährdung genauso von Korea wie von einem anderen
potenziellen Träger solcher Waffen ausgehen könnte, der
sich diese Waffen beschafft und irgendwo in dieser Welt
in Umlauf bringt?
Herr Kollege, es ist zutreffend, dass wir die Gefahr
nicht an einem bestimmten Staat und einer bestimmten Situation festmachen können. Wir müssen vielmehr davon
ausgehen, dass sich Pockenerreger in den Labors irgendwelcher anderen Staaten befinden. Wir wissen es eben
nicht genau. Wir müssen deshalb auf diese Gefährdung
vorbereitet sein.
Sie wissen, dass es Aufgabe der Waffeninspekteure ist,
die Frage nach biologischen und chemischen Kampfstoffen zu beantworten. Wir erhoffen uns durch die Weiterarbeit der Waffeninspekteure mehr Klarheit.
({0})
Herr Kollege Bosbach.
Frau Staatssekretärin, wir stimmen Ihnen ausdrücklich
zu, dass streng zwischen Vermutungen, über die und deren politische Wertung man streiten kann, und Tatsachenbehauptungen, die stimmen müssen, unterschieden werden muss. Für den Fall, dass sie nicht stimmen, haben wir
einen Untersuchungsausschuss eingerichtet.
Ich möchte Sie nur mit Tatsachenbehauptungen und
nicht mit Mutmaßungen konfrontieren. In dem Schreiben
vom 9. August 2002 zur Erlangung der Haushaltsmittel
zum Erwerb der Impfdosen heißt es unter anderem wörtlich:
Den deutschen Sicherheitsdiensten liegen dokumentierte Erkenntnisse vor, dass Pockenerreger außerhalb der offiziellen Labore in Atlanta und Koitsovo
illegal, z. B. in Russland, Irak und Nordkorea, gelagert werden. Ebenso gibt es Hinweise darauf, dass
sich Terrorgruppen um die Herstellung biologischer
Kampfstoffe bemühen.
Dies sind Tatsachenbehauptungen. Stimmt diese Bedrohungsanalyse? Stimmen die Sachverhalte oder stimmen
sie nicht? Ist das, was hier steht, richtig oder falsch? Eine
andere Möglichkeit gibt es nicht.
({0})
Herr Kollege Bosbach, dieser Vermerk ist im August
letzten Jahres und nicht vor einer zugespitzten innenpolitischen Debatte über den Irak verfasst worden.
({0})
- Die Frage beantworte ich gern. Ich glaube, dass es richtig ist, zum Thema „dokumentierte Erkenntnisse“
nochmals festzuhalten: Der Begriff „dokumentierte Erkenntnisse“ bezeichnet Hinweise auf das Vorliegen von
Informationen in aufbereiteter Form, denen eine Wahrscheinlichkeitsanalyse zugrunde liegt. Mit dokumentierten Erkenntnissen sind aber keineswegs eindeutige
Beweise oder Erkenntnisse zur absoluten Sicherheit gemeint. Dieser Begriff beschreibt lediglich eine Gefährdungslage.
({1})
Frau Müller, bitte schön.
Frau Staatssekretärin, angesichts der Tatsache, dass aus
verschiedenen Häusern anscheinend des Öfteren Dokumente an die Öffentlichkeit gelangen, frage ich Sie: Kann
die Bundesministerin ausschließen, dass Personen, die
nicht geheimschutzermächtigt sind, in ihrem Haus an Un2082
terlagen gelangen können, die dem Geheimschutz unterliegen?
({0})
Frau Kollegin, wir gehen natürlich davon aus, dass bei
uns alle Regelungen des Geheimschutzes eingehalten
werden. Allerdings wurde gerade, obwohl wir uns hier in
einer öffentlichen Fragestunde befinden, aus einem internen Aktenvermerk zitiert, der eigentlich nur Mitgliedern
des Haushaltsausschusses zugänglich war. So etwas wird
nach wie vor gemacht.
Wir werden dafür Sorge tragen, dass diese Diskussion
nicht weiter geführt wird, weil sie zur Verunsicherung der
Bevölkerung beiträgt. Die Menschen haben Sorge, ob
eine konkrete Gefährdung vorliegt. Eine solche konkrete
Gefährdung liegt - das betone ich noch einmal - nicht vor.
Es handelt sich um eine abstrakte Gefährdung, auf die wir
vorbereitet sind. Eine Debatte, wie wir sie führen, verstehen die Menschen außerhalb dieses Hauses sicherlich
nicht.
({0})
Herr Kollege Schmidbauer, bitte.
Frau Kollegin, angesichts dessen, was der Kollege
Bosbach eben hier zitiert hat, will ich nachfragen. In einer
Kurzinformation ohne Klassifizierung vom September,
an der Ihr Haus beteiligt war, wurde vermerkt,
({0})
dass geheime Informationen vorliegen, wonach die sofortige Beschaffung des Impfstoffes ohne Rücksicht auf die
Rechtslage zu fordern sei, dass aber weitere Einzelheiten
wegen der Geheimhaltungsverpflichtung nicht mitgeteilt
werden könnten. Die Beschaffung von arzneimittelrechtlich nicht zugelassenem Pockenimpfstoff in dieser Situation ist nicht zu kritisieren. Aber wenn bei der Beschaffung erklärt wird, dass geheime Informationen vorliegen,
dann kann es nicht nur „Hinweise“ gegeben haben; dann
müssen schon Fakten vorgetragen worden sein, mit denen
die Notwendigkeit dieser Schritte untermauert wurde.
Herr Kollege Schmidbauer, es handelt sich - das sage
ich nochmals - um Vermerke vom Sommer letzten Jahres.
Es gab damals weder Waffeninspektoren im Irak noch deren Erkenntnisse. Wir hatten aus den 90er-Jahren nur einzelne Hinweise - das habe ich vorhin vorgetragen -, dass
im Irak zum Beispiel mit Kamelpocken experimentiert
wurde. Das war angemeldet. Es war aber nicht auszuschließen, dass diese Kamelpocken weiterentwickelt wurden. Deswegen haben wir uns entschieden, Vorsorge zu
betreiben.
Hinweise sind allerdings keine Nachweise und auch
keine gesicherten Erkenntnisse. Alles, was wir damals
hatten, waren einzelne Hinweise, die von den Diensten
zusammengetragen wurden. Es gab schon im Oktober 2001 ein ausdrückliches Votum der WHO - das mit
der Irakdebatte überhaupt nichts zu tun hatte -, Impfstoff
zu besorgen, um im Eventualfall die eigene Bevölkerung
zu schützen. Unsere europäischen Nachbarn haben dies
Zug um Zug getan. Auch wir in der Bundesrepublik
Deutschland verfügen heute über nahezu 50 Millionen
Dosen Impfstoff. Bis Ende März werden wir nahezu eine
Vollversorgung erreicht haben. Es besteht mit allen Bundesländern die Absprache - das wird von ihnen geteilt -,
dass wir bis zum September über 100 Millionen Dosen
verfügen werden. Auch hier waren sich alle in der Gefährdungseinschätzung und bei dem, was zu tun ist, einig.
Auch der Phasenplan zur Abwehr wurde in Bund-LänderArbeitsgruppen gemeinsam erarbeitet.
Frau Dr. Ober, bitte.
Frau Staatssekretärin, Anfang November letzten Jahres
forderte der hessische Ministerpräsident Roland Koch
eine volle Bevorratung mit Pockenimpfstoff,
({0})
weil - ich zitiere alles fachlich Notwendige zum Schutz unserer Bevölkerung getan werden muss.
Wie war damals die Position der Bundesregierung dazu?
Und wie wird die Abstimmung mit den Partnern in Europa
und in Übersee gehandhabt?
Zunächst einmal: Als die Forderung des hessischen
Ministerpräsidenten gestellt wurde, hatte die Bundesregierung bereits gehandelt.
({0})
Ich hatte vorhin bereits gesagt, dass bis Ende 2001 aufgrund einer neuen Impftechnik - es geht um den Einsatz
von neuem Nadelmaterial - sechs Millionen Dosen auf
24 Millionen Dosen weiterentwickelt werden konnten.
Bis Oktober 2002, bevor also diese Forderung gestellt
wurde, hatten wir weitere 11,3 Millionen Dosen allein aus
Bundesmitteln angeschafft. Am 19. Dezember fand die Ministerpräsidentenkonferenz statt, auf der abgesprochen
wurde, eine Vollbevorratung durchzuführen. Am 21. Januar
und am 7. Februar haben wir dann die restlichen Dosen beschafft, sodass wir Ende März - das habe ich bereits ausgeführt - eine Bevorratung von rund 70 Millionen Dosen
erreicht haben werden. Als diese Forderung aufkam, hatten wir also längst gehandelt.
Im internationalen Bereich befinden wir uns im Einklang
mit unseren Partnern. Es gab die so genannte OttawaGruppe - dazu gehören die G7-Staaten, die WHO und die
EU-Kommission -, die genau dieses, nämlich das Anlegen einer Vollbevorratung, für die Bevölkerung gefordert
hat. Dabei wurde überhaupt nicht über Details der Sicherheitslage gestritten. Nach dem 11. September hat sich die
Welt verändert. Auf diese neuen Gefährdungssituationen
müssen wir vorbereitet sein.
Herr Kollege Grindel.
Frau Staatssekretärin, ich möchte noch einmal auf den
Vermerk vom 9. August mit dem Hinweis auf dokumentierte Erkenntnisse zurückkommen. Trifft es zu, dass dieser
Vermerk das Bundesfinanzministerium über das Bundesinnenministerium erreicht hat und dass das Bundesinnenministerium keinerlei Veränderungen vorgenommen hat,
dass sich die Erkenntnisse, die dort bestanden, also offenbar mit der Einschätzung, die in diesem Vermerk wiedergegeben worden ist, decken?
({0})
Sie haben bezogen auf das Bundesinnenministerium
gefragt. Deshalb bitte ich das Bundesinnenministerium,
dazu Stellung zu nehmen.
Ich kann nur wiederholen: Wir haben es nochmals
überprüft. Die Ministerin hat im Haushalts- und im Gesundheitsausschuss immer gesagt, dass zwar keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen, man es aber nicht ausschließen kann. Aus dieser Situation heraus werde der
Pockenimpfstoff beschafft. Deswegen weiß ich auch
nicht, was zu kritisieren ist. Egal, ob die Gefährdungslage
niedrig oder anders einzuschätzen gewesen wäre: Wir hätten in jedem Fall Impfstoff besorgt, weil es immer die bessere Strategie ist, Vorsorge zu betreiben, als sich hinterher
in einer Situation zu befinden, in der keine Vorräte angelegt wurden.
({0})
Deshalb noch einmal: Wir haben es so verstanden, dass
im August Hinweise in Berichten - dort wurden sie zusammengetragen - vorgelegen haben. Aus diesen Berichten ist zitiert worden. Die Ministerin hat im Haushaltsausschuss aber eindeutig und klar gesagt, dass wir es nicht
sicher wissen. Aus diesem Grunde wollten wir Vorsorge
betreiben und haben um Unterstützung gebeten. Dieser
Bitte ist der Haushaltsausschuss dann auch nachgekommen.
({1})
Herr Kollege Rose.
Frau Staatssekretärin, nachdem Sie ständig versuchen,
das Wort „abstrakt“ zu verwenden sowie von Vorbeugung
zu reden, und sich dann wundern, dass es in der Innenpolitik derzeit eine größere Diskussion gibt, frage ich Sie:
Möchten Sie nicht zur Kenntnis nehmen, dass der Bundesaußenminister auf der Sicherheitskonferenz in München im Zusammenhang mit Irak und Saddam Hussein
wörtlich davon gesprochen hat, dass er versucht, in den
Besitz von Massenvernichtungswaffen zu gelangen?
Ein Bundesminister äußert so etwas öffentlich und es
tauchen noch andere Meldungen auf, die von dem sprachen, was unter einem gewaltigen Druck damals - sicherlich lag dies einige Monate zurück - sowohl vom Bundesgesundheitsministerium als auch - dies hat der Kollege
Schmidbauer gesagt - vom Bundesverteidigungsministerium geäußert wurde. Es ging um außerplanmäßige Ausgaben und erhebliche Forderungen an den Haushaltsausschuss, der das sofort genehmigen möge. Glauben Sie
dann nicht, dass es sich nicht nur um eine hochgespielte
innenpolitische Diskussion, sondern um eine schwere
Sorge der Bevölkerung handelt, die endlich wissen will,
was hier gespielt wird?
({0})
Herr Kollege, ich glaube, dass hier nochmals auf eines
hinzuweisen ist: Wir hätten, egal wie die Gefährdungslage
auch aussieht, immer Impfstoff besorgt, weil dies von der
WHO schon im Oktober 2001 ausdrücklich gefordert
wurde.
({0})
Auf eine Bedrohung mit Pocken gibt es nämlich nur eine
Antwort: impfen.
Der zweite Punkt ist: Wir haben immer gesagt, dass wir
nicht sicher wissen, ob aus den beiden Labors Pockenviren
entwendet oder illegal weiterverbreitet worden sind. Da wir
das nicht wissen, kann ich Ihnen auch keine eindeutige Antwort geben. Wir sind nicht im Besitz einer höheren Weisheit
als die Waffeninspekteure der UN. Wir verlassen uns auf deren Berichte. Deswegen halten wir deren Arbeit für wichtig,
weil nur ein Bericht letzte Sicherheit bringen kann.
Herr Kollege Schönfeld.
Frau Staatssekretärin, aufgrund der Art und Weise, wie
vonseiten der Opposition die Fragen gestellt werden, hat
man den Eindruck, dass eine konkrete Gefahr herbeigeredet werden soll.
({0})
Stimmen Sie mir zu, dass die Antiterrorgesetze, die von
der Bundesregierung in diesem Hohen Hause nach dem
11. September 2001 gemeinsam auf den Weg gebracht
wurden, in erster Linie aufgrund einer sehr abstrakten Gefährdungssituation und weniger aufgrund einer konkreten
Gefahr für Deutschland entstanden sind? Verhält es sich
mit der jetzigen Situation der Versorgung mit dem Pockenimpfstoff durch die Bundesregierung nicht genauso?
Herr Kollege Schönfeld, ich will Ihnen ausdrücklich
zustimmen. Wir hätten dies immer getan - das habe ich
hier wiederholt geäußert -, weil es keine andere Möglichkeit gibt, sich zu schützen, und weil die Pocken die
schlimmste Krankheit sind, die wir kennen. Deswegen
war es ein großer Erfolg der WHO, dass die Pockenkrankheit als ausgerottet galt. Eines der Probleme aber
ist, dass man nicht genau weiß, ob die Labore, wo die
letzten Stämme gelagert werden, lückenlos überwacht
worden sind. Deswegen ist es in diesem Fall wichtig,
Vorsorge zu betreiben. Die einzige Möglichkeit ist hier
das Impfen.
Wir haben auch in anderen Bereichen der Terrorabwehr reagiert. Zur Einschätzung der Sicherheitslage ist
das Innenministerium hier vertreten. Zu diesem Punkt
will ich nichts sagen. In unserer Verantwortung liegt das
Thema Bioterrorismus. Wir haben nicht nur beim Thema
Pocken gehandelt, sondern mit der Bevorratung von
Antibiotika und der Entwicklung eines Stufenplanes haben wir zum Beispiel auch auf mögliche Anschläge mit
Anthrax reagiert. Insofern sind wir das Thema Bioterrorismus in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter Anleitung des Robert-Koch-Instituts neu angegangen, um unsere Bevölkerung besser zu schützen.
Herr Kollege Schockenhoff.
Frau Staatssekretärin, wie verträgt sich Ihre wiederholt
geäußerte Behauptung, dies sei eine abstrakte Bedrohung,
die nicht im Zusammenhang mit einem bestimmten Staat
stehe,
({0})
mit dem schriftlichen Vermerk Ihres Hauses an die anderen Ressorts der Bundesregierung vom 9. August 2002,
den der Kollege Bosbach bereits zitiert hat und in dem es
heißt:
Die Anzeichen für einen möglicherweise kurzfristig
bevorstehenden Angriff der USA auf den Irak verdichten sich.
Dies war ein schriftlicher Vermerk. Weiter heißt es:
Es steht zu befürchten, dass der Irak in einem solchen
Falle mit den ihm zur Verfügung stehenden biologischen Kampfstoffen, also auch Pockenviren, reagiert.
Frau Staatssekretärin, hat Ihr Haus die Bundesregierung
falsch informiert oder sagen Sie hier die Unwahrheit?
({1})
Herr Schockenhoff, bleiben Sie bitte stehen. Das gehört zu den Gepflogenheiten dieses Hauses.
({0})
Frau Staatssekretärin, in aller Regel kümmert sich das
Präsidium darum, die Gepflogenheiten des Hauses zu sichern.
({0})
Ich bedanke mich beim Präsidenten für die Fürsorglichkeit.
({0})
Das Problem tritt bei allen Flügeln dieses Hauses immer mal wieder auf. Es handelt sich in aller Regel nicht
darum, mit diesem Verhalten etwas zu demonstrieren,
sondern es wird schlicht und ergreifend nicht daran gedacht stehen zu bleiben.
({0})
Herr Schockenhoff,
({0})
ich habe bereits vorhin auf diese Frage geantwortet. Ich
habe erläutert, dass der Begriff der dokumentierten Erkenntnisse Hinweise auf das Vorliegen von Informationen
in aufbereiteter Form bezeichnet, denen eine Wahrscheinlichkeitsanalyse zugrunde liegt. Er bezeichnet keineswegs einen eindeutigen Beweis oder eine eindeutige Sicherheit.
({1})
Ich weise Ihren Versuch, Unterschiede in der Einschätzung zwischen Innenministerium und dem Ministerium
für Gesundheit und Soziale Sicherung zu konstruieren
oder uns eine falsche Informationspolitik anzuhängen,
ausdrücklich zurück. Wir haben vollständig und ausführlich informiert.
Alle Beschlüsse zur Beschaffung des Impfstoffs sind in
großem Konsens gefasst worden. Wir haben auch im Auftrag und mit Zustimmung der Länder gehandelt. Denn
ohne die Länder wäre es nicht zu dem Beschluss der Vollbevorratung gekommen.
({2})
Die Einschätzung der Gefährdungslage ist doch damals
von allen geteilt worden.
({3})
Herr Dr. Bürsch.
Frau Staatssekretärin, alle Fachleute - von der WHO bis
zu allen Experten in Deutschland - stimmen darin überein,
dass Vorsorge sein muss, um etwaigen Gefahren zu begegnen. Wie beurteilt die Bundesregierung vor diesem
Hintergrund die Aussage des Gesundheitsexperten Horst
Seehofer
({0})
in der „Aachener Zeitung“ vom 18. Februar 2003, dass es
ohne eine konkrete Bedrohungslage keine ausreichende
Grundlage gebe, Millionen für Impfstoffe auszugeben?
Heißt das, dass die Union nicht dafür ist, dass jetzt Vorsorge
in dem von Ihnen geschilderten Sinne betrieben wird?
({1})
- Entschuldigung, wir lesen auch Zeitung, so wie Sie
Vermerke lesen.
({2})
Herr Kollege Bürsch, wenn das wirklich die Haltung
des Kollegen Seehofer wäre, müsste ich sie als verantwortungslos zurückweisen, weil wir auf alle Fälle Vorsorge betreiben müssen, auch wenn es nur ein Restrisiko
geben sollte.
({0})
Herr Kollege Niebel.
({0})
Frau Staatssekretärin, zunächst stimme ich Ihnen zu,
dass es richtig war, den Impfstoff zu besorgen. Deswegen
haben auch alle Bundesländer zugestimmt. Das ist aber
nicht das Thema der heutigen Befragung; es geht vielmehr
um die Informationspolitik der Bundesregierung.
({0})
Hierbei geht es in erster Linie um die Frage, ob die
Gefährdungslage, die diesen Vermerken zugrunde gelegen hat - Sie haben mehrfach darauf angespielt, dass die
entsprechenden und verlesenen Vermerke aus dem August und September des vergangenen Jahres stammen -,
vor dem Hintergrund neuer Erkenntnisse anders beurteilt wird als damals und um welche Erkenntnisse es
sich handelt. Deswegen ist die Frage, die der Kollege
Schockenhoff vorgebracht hat, durchaus nicht unbegründet. Haben Sie das Parlament oder die Regierung
falsch informiert?
({1})
Herr Kollege, ich will die Frage beantworten: Wir haben
weder das eine noch das andere getan. Wenn Sie sich die elf
Fragen ansehen, die die Kolleginnen und Kollegen im
Laufe der Zeit - beginnend mit dem 15. Oktober 2001 zum Thema Pocken gestellt haben, dann werden Sie merken, dass sich die Einschätzung der Gefährdungslage kontinuierlich durch diese Fragen hindurch gezogen hat und
dass auch die Antworten immer auf einer Linie gelegen
haben. Wenn Sie die vier Pressemitteilungen aus unserem
Haus lesen, werden Sie dasselbe feststellen.
Wir wiederholen immer wieder, dass wir nicht ausschließen können, dass jemand über Pockenviren in
ausreichender Menge und der notwendigen Form verfügt. Wir wissen auch nicht, ob er gegebenenfalls bereit
ist, diese einzusetzen und ob er über die dafür erforderlichen Kapazitäten verfügt. Da es aber nicht auszuschließen ist, müssen wir für diesen Fall gerüstet sein.
Aus diesem Grund haben wir in unserer Argumentation
durchgängig eine Linie verfolgt. Das werden Sie sicherlich bestätigen, wenn Sie das über den betreffenden Zeitraum hinweg verfolgen. Mir liegt eine Frage des Kollegen Bonitz
({0})
vom 9. November 2001 vor, in der die Situation in gleicher Weise beschrieben wurde wie heute. Insofern trifft
der Vorwurf, dass wir falsch oder unvollständig informiert
haben, nicht; vielmehr wird durch die Auswahl von
Bruchstücken und einzelnen Sätzen fälschlicherweise
dieser Eindruck erweckt. Man muss die Sätze aber im Zusammenhang lesen.
Ich verweise auf das Protokoll des Haushaltsausschusses vom 13. November, in dem ausdrücklich nur von Hinweisen und einer Möglichkeit geredet wird, aber nicht von
Erkenntnissen.
Eine letzte Zusatzfrage zur ersten dringlichen Frage
stellt der Kollege Fischer.
Frau Staatssekretärin, Sie haben festgestellt, dass Hinweise keine Nachweise sind. Dokumentierte Erkenntnisse
erhält man aber doch nicht durch Hinweise, sondern nur
durch Nachweise. Deshalb frage ich die Bundesregierung
und damit auch die Staatssekretärin des Bundesinnenministeriums: Wie haben sich beim Bundesinnenministerium die dokumentierten Erkenntnisse geändert? So etwas ändert sich doch nicht durch den Ablauf der Zeit.
Die Fragen, die an die Bundesregierung gerichtet werden, werden von dem Vertreter oder der Vertreterin des
zuständigen Ministeriums beantwortet.
({0})
- Oder auch nicht. Das obliegt in der Tat der Souveränität
der Fragesteller wie derjenigen, die Antworten zu geben
haben. Aber es kann jetzt nicht gezielt das eine oder das
andere Ministerium befragt werden. Das ist innerhalb der
Bundesregierung abzustimmen, unabhängig von dem
Reiz, den eine solche Konstellation zugegebenermaßen
haben könnte.
Bitte, Frau Kollegin Caspers-Merk.
Die eben gestellte Frage richtet sich eigentlich an das
Bundesinnenministerium. Ich kann Ihnen diese Frage
nicht beantworten.
Dann schließe ich jetzt die Befragung zu der ersten der
zwei eingereichten dringlichen Fragen ab.
Ich rufe die zweite dringliche Frage des Kollegen
Koschyk auf:
Warum hat die Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt nicht die
für Katastrophenschutz zuständigen Länder im erforderlichen
Umfang unterrichtet, wenn, wie in der „Frankfurter Allgemeinen
Zeitung“ vom 17. Februar 2003 zitiert, die Bundesministerin für
Gesundheit, Ulla Schmidt, bereits in einem Brief vom 17. Mai
2002 an die nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin von
dokumentierten Erkenntnissen, die eine grundsätzliche Bedrohung weltweit begründen, spricht?
Zur Beantwortung steht ebenfalls Frau Staatssekretärin
Caspers-Merk zur Verfügung.
Herr Kollege Koschyk, in Ihrer zweiten dringlichen
Frage spielen Sie auf das Verhältnis zwischen Bund
und Ländern an. Die Länder werden seit dem 11. September 2001 in den einschlägigen Bund-Länder-Gremien
fortlaufend über alle sicherheitsrelevanten Erkenntnisse
informiert. Dies gilt auch für die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Gesundheitsschutz“, an der sowohl die für Gesundheit wie auch für den Bereich Inneres und Katastrophenschutz zuständigen Ministerien der Länder
teilnehmen. Die Innenministerien und die Gesundheitsministerien arbeiten also Hand in Hand. Bund und Länder
haben über diese Arbeitskontakte hinaus einen gemeinsamen Stufen- und Phasenplan erstellt, der am 24. Oktober
letzten Jahres beschlossen wurde. Dies ist in Kooperation
zwischen Bund und Ländern erfolgt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Koschyk.
Frau Staatssekretärin, wie erklären Sie sich dann die
heute in den Medien zu lesende Kritik der sächsischen
Gesundheitsministerin Christine Weber? Sie kritisiert,
dass die Länder vom Bund nicht eher in die Lage versetzt
worden seien, ihre vorbereitende Pflicht zu tun.
Herr Kollege, ich dachte mir schon, dass Sie danach
fragen werden. Deswegen habe ich mich vergewissert, ob
der Freistaat Sachsen ausreichend informiert und eingebunden war. Ich möchte Ihnen wie folgt antworten: Unverzüglich nach dem 11. September 2001 wurde mit den
Ländern eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Gesundheitsschutz“ auf Ebene der Innen- und Gesundheitsminister
einberufen. Diese sorgt seitdem für einen kontinuierlichen Informationsabgleich und hat einen gemeinsamen
Stufenplan entwickelt. Im Rahmen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe wurden unter Moderation des Robert-KochInstituts Unterarbeitsgruppen für eine dezidierte Logistikplanung zum Pockenschutz eingerichtet, die ihren
Abschlussbericht am 24. Oktober 2002 vorgelegt haben.
Dieses Abschlussdokument beinhaltet die Punkte Organisation von Schutzimpfungen, Hygieneplan, Diagnostik
und Therapiefragen. Das Land Sachsen hat an allen diesen Planungen und an allen Sitzungen der Unterarbeitsgruppen teilgenommen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Koschyk.
Frau Staatssekretärin, ich möchte noch einmal auf den
Vermerk aus Ihrem Haus vom 9. August des vergangenen
Jahres zu sprechen kommen. Nachdem wir zur Kenntnis
nehmen müssen, dass auf die mehrfach gestellten Fragen
nach der Mitbefassung des Innenministerium nicht geantwortet worden ist, obwohl die Parlamentarische Staatssekretärin des Innenministeriums anwesend ist, möchte
ich Ihnen, Frau Staatssekretärin, noch einmal die Frage
stellen: Ist Ihnen bekannt, ob das Bundesministerium des
Innern im Rahmen seiner Mitbefassung der in dem Vermerk vom 9. August wiedergegebenen Gefahreneinschätzung widersprochen hat oder ob das Bundesinnenministerium sie geteilt hat?
Das ist mir nicht bekannt.
Damit an dieser Stelle keine formalen Irritationen entstehen, möchte ich auf Folgendes hinweisen: Dass die anwesende Staatssekretärin des Innenministeriums dazu
nicht Stellung nimmt, hängt mit unseren Regelungen zur
Befragung der Bundesregierung zusammen und nicht
etwa mit einer möglichen Weigerung, auf gestellte Fragen
zu antworten.
({0})
- Ich muss jetzt ganz sicherlich keine zweckdienlichen
Hinweise geben, wie man - zwar nicht in dieser, aber in
der nächsten Plenarwoche - gegebenenfalls den gleichen
Effekt erzielen kann. Es spricht schon manches dafür,
dass wir uns an die Verfahrensregeln, die wir einvernehmlich beschlossen haben, im konkreten Fall halten.
({1})
Ich sehe, dass es dazu keine weiteren Fragen gibt.
Zur Geschäftsordnung hat sich der Kollege Grund gemeldet.
Die Antworten der Bundesregierung bleiben widersprüchlich, ausweichend und unbefriedigend.
({0})
Das wurde auch durch die vielen Nachfragen, die von Abgeordneten der Koalitionsfraktionen gestellt wurden,
deutlich. Namens meiner Fraktion beantrage ich deshalb
zum Thema „Gefährdung in Deutschland durch Pocken“
eine Aktuelle Stunde im Anschluss an diese Fragestunde.
({1})
Dem Verlangen der Fraktion der CDU/CSU auf Durchführung einer Aktuellen Stunde aufgrund der Antworten
der Bundesregierung auf die Dringlichkeitsfragen ist nach
Anlage 5 I 1 b unserer Geschäftsordnung stattzugeben.
Diese Aktuelle Stunde muss unmittelbar im Anschluss an
die Fragestunde durchgeführt werden.
Für die Fragestunde verbleibt die Zeit von einer knappen Stunde. In dieser Zeit behandeln wir die anderen Fragen der Fragestunde.
Nach den dringlichen Fragen rufe ich nun gemäß
Nr. 15 der Richtlinien für die Fragestunde vier schriftliche
Fragen des Kollegen Jens Spahn auf:
1/282
Wie viel Prozent derjenigen, die eine Ausbildung in einer der
Ausbildungswerkstätten der Bundeswehr durchlaufen haben, stellen sich danach als Zeit- oder Berufssoldaten zur Verfügung?
1/283
Gibt es eine nachvollziehbare Begründung, warum mit dem
Fluglehrzentrum F-4F in Rheine die angegliederte Ausbildungswerkstätte geschlossen werden soll, obgleich sie inhaltlich überhaupt nichts mit dem Waffensystem zu tun hat?
1/284
Ist eine Angliederung der Ausbildungswerkstätte an einen anderen Standort der Bundeswehr in Rheine geprüft worden, insbesondere mit Blick auf das Gerätehauptdepot, und, wenn ja, mit
welchem Ergebnis?
1/285
Ist geprüft worden, ob für 2003 noch einmal Auszubildende in
der Ausbildungswerkstatt beim Fluglehrzentrum F-4F für die dreijährige Ausbildung aufgenommen werden können, da diese ja unabhängig von der Standortschließung im Jahr 2006 beendet wäre?
Diese Fragen wurden nicht in der dafür vorgesehenen
Frist beantwortet. Da diese Fragen inzwischen schriftlich
beantwortet wurden, kann der Fragesteller nun nicht mehr
nach der Sache, wohl aber nach dem Grund für die Überschreitung der Wochenfrist fragen.
Für die Beantwortung steht der Kollege Wagner vom
Bundesministerium der Verteidigung zur Verfügung. Herr
Kollege Spahn, bitte.
Ich frage hiermit nach dem Grund für die Überschreitung der Wochenfrist.
Lieber Herr Kollege, an der Beantwortung der vier Fragen, die Sie zu den Themenkomplexen „Ausbildung“,
„Übernahme als Berufs- und Zeitsoldat“, „Schließung einer
Ausbildungswerkstatt“ und „Standortfragen“ gestellt haben,
waren mehrere Abteilungen des Verteidigungsministeriums
beteiligt. Wegen der verschiedenen Zuständigkeiten in den
EinzelfragenundderdamitverbundenenKomplexitäthatdie
notwendige Abstimmung einen über das übliche Maß hinausgehenden Zeitrahmen inAnspruch genommen.
Erschwerend und eigentlich entscheidend kam die
dienstlich bedingte Abwesenheit des für die Beantwortung zuständigen Parlamentarischen Staatssekretärs, unseres Kollegen Walter Kolbow, hinzu - er war dienstlich
in Brüssel und anschließend auf der Sicherheitskonferenz
in München -, sodass Sie unser Antwortschreiben leider
erst am 11. Februar erreicht hat. Für dieses Versäumnis
bitte ich um Ihr Verständnis.
Herr Kollege Spahn, bitte.
Abgesehen davon dass mich dieses Antwortschreiben
nicht am 11. Februar erreicht hat, sondern dann erst abge2088
sandt wurde - es erreichte mich am 14. Februar -, also abgesehen davon, dass Sie zu spät geantwortet haben, finde
ich es noch viel unbefriedigender, dass Sie falsche, zumindest nicht mehr aktuelle Behauptungen in der Antwort
aufgestellt haben. Der als Begründung für den fachlichen
Zusammenhang genannte mehrwöchige Einsatz in der Instandsetzungseinrichtung des Fluglehrzentrums F-4F in
Rheine erfolgt seit zwölf Jahren nicht mehr und ist damit
gar nicht mehr aktuell. Da Sie für Ihre Antwort schon so
lange brauchten, interessiert es mich, warum Sie nicht auf
aktuelle Tatsachen eingehen.
Sie verlangen zu Recht eine Antwort auf Ihre Frage.
Ich kann Ihnen jetzt nicht antworten, weil ich diesbezüglich nicht Bescheid weiß. Ich lasse das prüfen. Wir werden
selbstverständlich die Antwort schriftlich nachreichen.
Nachdem die Fragen des Kollegen Spahn nach dem
Grund der Fristüberschreitung bei der Beantwortung seiner schriftlichen Fragen beantwortet worden sind, kommen wir nun zu den Fragen auf Drucksache 15/438.
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Abweichend von der Reihenfolge der Fragen auf der Drucksache werden die Fragen 1 und 2 des
Abgeordneten Dr. Klaus Rose später durch einen Vertreter des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit beantwortet.
Die Fragen 3 und 4 des Kollegen Bindig werden schriftlich beantwortet. Ebenso werden die Fragen 40 und 41 des
Kollegen Dr. Luther schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Christoph
Matschie zur Verfügung. Die Fragen 5 und 6 der Kollegin
Dr. Lötzsch werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Lensing auf:
Welche konkreten Änderungen des Berufsbildungsgesetzes,
BBiG, plant die Bundesregierung, um die Ankündigung aus dem
Koalitionsvertrag von 2002 umzusetzen, das BBiG zu novellieren
sowie dessen Geltungsbereich zu erweitern, und welchen genauen
Zeitplan gedenkt sie für die Novellierung vorzusehen und einzuhalten?
Herr Kollege Lensing, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Die Bundesregierung hat bereits in einem ersten
Schritt im Zusammenhang mit dem Gesetz für moderne
Dienstleistungen am Arbeitsmarkt die Berufsausbildungsvorbereitung als eigenständigen Teil der Berufsbildung
in das Berufsbildungsgesetz eingefügt. Das ist seit dem
1. Januar dieses Jahres in Kraft.
Das Berufsbildungsgesetz soll darüber hinaus mit dem
Ziel novelliert werden, die duale Ausbildung zu stärken,
mehr Durchlässigkeit zwischen den Bildungswegen zu
schaffen, die berufliche Bildung weiter zu internationalisieren, das Prüfungswesen zu modernisieren und den Geltungsbereich des Gesetzes zu erweitern. Zur Vorbereitung
der Reform befindet sich die Bundesregierung in einem
intensiven Dialog mit Experten und Sozialpartnern. Im
Anschluss wird sie einen Gesetzentwurf erarbeiten.
Zusatzfrage, Herr Kollege Lensing.
Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie glauben, dass
all das, was Sie gerade ausgeführt haben, lediglich durch
die Novellierung oder totale Änderung des Berufsbildungsgesetzes denkbar ist? Glauben Sie, dass hierdurch
verhindert wird, dass wir ein weiteres Maß an Regulierungssucht und Bürokratie zu ertragen haben?
In der Diskussion im Zusammenhang mit der Novelle
des Berufsbildungsgesetzes geht es vor allem darum, das
Berufsbildungsgesetz den aktuellen Anforderungen anzupassen. Ich verweise nochmals darauf, dass wir beispielsweise Maßnahmen zur stärkeren Internationalisierung der
Berufsbildung einarbeiten müssen. Darüber werden Gespräche auf internationaler Ebene geführt.
Weitere Zusatzfrage?
Ich warte die Antwort auf meine nächste Frage ab und
werde dann eine Zusatzfrage stellen.
Dann rufe ich die Frage 8 des Kollegen Lensing auf:
Welche Position vertritt die Bundesregierung gegenüber gewerkschaftlichen Forderungen nach einer Umlagefinanzierung,
einem Rechtsanspruch auf berufliche Ausbildung sowie einer
Übertragung der Aufgaben der für die Berufsbildung zuständigen
Stellen auf eine „neutrale Institution“?
Herr Kollege Lensing, Ihre Frage beantworte ich wie
folgt: Die Bundesregierung sieht die Entwicklung auf
dem Arbeitsmarkt mit Sorge. Sie befindet sich mit den
Sozialpartnern in einem Dialog über die notwendigen
Maßnahmen. Wir halten nach wie vor am Ausbildungskonsens fest und werden die Wirtschaft verstärkt in die
Pflicht nehmen, ein ausreichendes betriebliches Ausbildungsplatzangebot sicherzustellen. Das Hauptziel muss
sein, bisher noch nicht ausbildende Betriebe - auch im
wohlverstandenen Eigeninteresse - für die Berufsausbildung zu gewinnen. Wir wollen eine Allianz für Ausbildung, in der alle Verantwortlichen ihre Anstrengungen
bündeln und neue Initiativen für mehr betriebliche Ausbildungsplätze verabreden und starten.
Zusatzfrage, Herr Kollege Lensing.
Nicht zuletzt die Gewerkschaften haben sich mit der
Frage der Umlagefinanzierung, einem Rechtsanspruch
auf berufliche Ausbildung sowie einer Übertragung von
Aufgaben auf eine neutrale Institution befasst und entsprechende Forderungen gestellt. Vor diesem Hintergrund
möchte ich wissen, ob Sie den Gewerkschaften Hoffnung
machen, dass ihre Forderungen durch die Novellierung
des Gesetzes erfüllt werden. Wie hat man sich eine „neutrale Institution“ vorzustellen?
Herr Kollege Lensing, ich will zunächst noch einmal
betonen, dass wir uns auf der Grundlage des Ausbildungskonsenses bewegen wollen. Die von Ihnen abgefragten Punkte sind nicht Teil des Konsenses und werden
deshalb im Moment auch nicht verfolgt.
({0})
- Welche Institution? Jetzt muss ich zurückfragen.
Wir haben den Eindruck, dass Sie nach der Verabschiedung des Berufsbildungsgesetzes eine Institution schaffen
wollen, die das im Einzelnen zu überwachen, zu überprüfen und zu kontrollieren hat.
Von einer solchen Absicht ist mir bisher nichts bekannt.
Wir befinden uns in der Anfangsphase der Diskussion mit
den Sozialpartnern über eine Novellierung des Berufsbildungsgesetzes. Sie kennen diese Diskussion. Vor dem
Hintergrund dieser Diskussion werden die notwendigen
Änderungen verabredet und dann natürlich auch im zuständigen Ausschuss diskutiert werden.
Gut. Vielen Dank.
Weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Hohmann.
Herr Staatssekretär, wir sprechen hier über die Ausbildung von jungen Menschen. Dafür ist von allen gesellschaftlich verantwortlichen Gruppen alles zu tun. Frage:
Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele Ausbildungsstellen durch die desolate wirtschaftliche Entwicklung der
letzten vier Jahre weggefallen sind?
Herr Kollege, in den letzten vier Jahren hat es auf dem
Ausbildungsstellenmarkt eine Entwicklung gegeben, die
zu einer zunehmenden Anzahl von Ausbildungsplätzen
geführt hat. Im Jahr 2001 beispielsweise standen mehr
Ausbildungsplätze zur Verfügung, als es Ausbildungsplatzsuchende gab. Es gibt im abgeschlossenen Ausbildungsjahr 2002 noch einen ganz kleinen Bestand an unvermittelten Bewerbern. Diesen Personen - es handelt
sich um etwa 0,5 Prozent der Bewerber - werden weitere
Angebote gemacht werden.
Was das neue Ausbildungsjahr angeht, so kann man im
Moment noch keine konkreten Aussagen machen. Allerdings - deshalb habe ich gesagt: Wir beobachten die Entwicklung mit Sorge - ist im Vergleich zum Vorjahr im
Moment eine geringere Anzahl betrieblicher Ausbildungsplätze gemeldet. Deshalb wollen wir alles daransetzen, dass mehr betriebliche Ausbildungsplätze gemeldet
und zur Verfügung gestellt werden.
Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Vogt zur Verfügung.
Die Fragen 9 und 10 des Kollegen Fromme sollen
schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 11 der Kollegin Petra Pau auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, dass jährlich Hunderte
Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen umkommen, und welche
Schritte gedenkt sie zu unternehmen, die insoweit fatalen Wirkungen dieser EU-Außengrenzen zu prüfen?
Sehr geehrte Frau Kollegin Pau, der Bundesregierung
sind statistische Erhebungen zu Ihrer Fragestellung nicht
bekannt. Ich verweise zudem auf die Antwort, die wir Ihnen im Rahmen der Fragestunde im Deutschen Bundestag
am 12. Februar 2003 auf Ihre Frage - das war die Frage 40 - gegeben haben.
Zusatzfrage, Frau Pau.
Selbst wenn Ihnen die Zahlen nicht bekannt sind, so
gibt es ja öffentlich zugängliche Presseberichte. Gerade
erst haben wir wieder von der Festnahme von Schleppern
an der deutsch-polnischen Grenze gehört. Insofern inte2090
ressiert mich, welche Anstrengungen die Bundesregierung auch im Rahmen der Europäischen Union unternimmt, um diese Zustände an den EU-Außengrenzen anders und erträglicher zu gestalten.
Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, sind für uns die
Daten zu Todesfällen zum Beispiel an der deutsch-polnischen Grenze und an der deutsch-tschechischen Grenze erfassbar. Es handelt sich um vier Fälle an der deutsch-polnischen und einen Fall an der deutsch-tschechischen Grenze.
Wir sind insgesamt bemüht, im Rahmen der Kriminalitätsbekämpfung auf internationaler und auf europäischer
Ebene das Schleuserunwesen zu bekämpfen und die illegale Migration einzugrenzen, möglichst zu verhindern. In
diesem Sinne sind wir tätig. Aber es gibt keine statistisch
erfassten Daten. Unsere Bemühungen auf internationaler
und europäischer Ebene richten sich darauf, solche illegalen Wanderungen zu verhindern.
Weitere Zusatzfrage?
Danke.
Dann haben wir auch diesen Geschäftsbereich abgehandelt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Zur Beantwortung steht
der Parlamentarische Staatssekretär Rezzo Schlauch zur
Verfügung.
Ich rufe zunächst die beiden Fragen des Kollegen Rose
zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts auf, die
- darüber besteht Einvernehmen - durch das Wirtschaftsministerium beantwortet werden sollen.
Frage 1 des Kollegen Rose:
Ist der Bundesregierung bekannt, inwieweit nach wie vor deutsche Firmen mit irakischen Geschäftspartnern Dual-use-Geschäfte betreiben, also mit Gütern, die auch militärischen Zwecken
dienen können?
Frage 2 des Kollegen Rose:
Falls ja, beabsichtigt die Bundesregierung eine stärkere Kontrolle von wirtschaftlichen, politischen oder anderen deutsch-arabischen Gesellschaften, soweit in deren Reihen Firmenvertreter
Kontakte auch mit irakischen Unternehmen unterhalten?
Rezzo Schlauch Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:
Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Rose, mit Ihrer Zustimmung beantworte ich beide Fragen zusammen.
Zu Frage 1: Seit dem Irakembargo von 1990 finden genehmigte Exporte in den Irak nur noch in der Form von
humanitären Lieferungen in begrenztem Umfang sowie
von Gütern statt, die im Rahmen des seit 1996 bestehenden „Oil for Food“-Programms geliefert werden. Der Export solcher Güter setzt im Regelfall sowohl eine Genehmigung der zuständigen VN-Gremien als auch des
Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, BAFA,
voraus.
Die Vereinten Nationen haben eine Goods Review List
erstellt, auf der die von Ihnen angesprochenen Dual-useGüter im Einzelnen gelistet sind. Ausfuhren der von dieser Liste erfassten Güter bedürfen der Zustimmung des
Sanktionsausschusses der Vereinten Nationen. Dem BAFA
liegen keine Anträge deutscher Firmen vor, die Güter enthalten, die unter diese Goods Review List fallen. Im Übrigen würde es der deutschen Genehmigungspolitik zu Ausfuhren an den Irak entsprechen, bei Zweifeln über die
erforderliche zivile Verwendung der Ware die im Rahmen
des Totalembargos nur ausnahmsweise mögliche Genehmigung nicht zu erteilen.
Zu Frage 2: Unternehmen, die Geschäftsbeziehungen
zum Irak unterhalten, ist das umfassende Handelsembargo bekannt. Auch wirtschaftliche, politische oder andere deutsch-arabische Gesellschaften kennen diese Embargobestimmungen, die auch alle Tätigkeiten zur
Förderung verbotener Ausfuhren, Einfuhren und Dienstleistungen untersagen. Verstöße gegen die Embargobestimmungen werden von den zuständigen Strafverfolgungsbehörden verfolgt und können mit Freiheitsstrafen
bis zu 15 Jahren geahndet werden. Sie sind mit Sicherheit
darüber informiert, dass vor kurzem ein solches Verfahren
vor dem Landgericht Mannheim stattgefunden hat. Soweit die Embargovorschriften eingehalten werden, sind
Geschäftskontakte mit irakischen Unternehmen, zum
Beispiel zur Erlangung von Aufträgen für genehmigungsfähige Ausfuhren im Rahmen des Oil-for-Food-Programms
zulässig.
Vor dem Hintergrund der umfassenden Embargoregelungen erscheinen der Bundesregierung weitere Vorschriften zur Beschränkung derartiger Geschäftskontakte
nicht erforderlich.
Zusatzfrage, Herr Kollege Rose?
Trügt mich der Eindruck, Herr Staatssekretär, dass Sie
zwar die offizielle Linie ordnungsgemäß vorgetragen haben, aber, wenn nicht der „Spiegel“ und Sendungen wie
„Report“ die Unwahrheit berichten, Verschiedenes geschieht, an dem auch Organe der Bundesregierung beteiligt sind, und solche Geschäftskontakte stattfinden?
Nach meiner Kenntnis trügt dieser Eindruck, und zwar
deshalb, weil die Gesetzeslage so eindeutig ist, dass eigentlich keine Grauzonen möglich sind. Denken Sie insbesondere daran, dass hier in erster Linie UN-Gremien
zuständig sind und es dann, wenn etwas gegen diese Gesetzeslage geschieht, Sache der Strafverfolgungsbehörden ist. Vonseiten der Bundesregierung jedenfalls werden
Genehmigungen, die nicht der gesetzlichen Regelung entsprechen, nicht erteilt.
Zweite Zusatzfrage.
Teilt dann die Bundesregierung die Erkenntnisse des
Kölner Zollkriminalamtes, wonach auf Reisen von deutschen Geschäftsleuten, die von der deutschen Regierung
ja stark unterstützt werden, illegale Kontakte, so möchte
ich das einmal nennen, mit Geschäftspartnern im Irak angebahnt werden, bei denen durchaus auch illegale Rüstungsexporte angestrebt werden? Das ist, wie gesagt, an
vielen Stellen nachzulesen.
Mir ist nicht bekannt, dass die Bundesregierung Reisen
von Geschäftsleuten in den Irak unterstützt; schon gar
nicht Reisen, auf denen illegale Geschäfte angebahnt werden sollen. Diesbezüglich gibt es vonseiten der Bundesregierung keine Aktivitäten.
Weitere Zusatzfrage.
Ich möchte noch nachhaken. Natürlich kann man, wie
es in diesem Umfeld üblich ist, nicht von Hause aus jemandem unterstellen, dass er, wenn er ein Visum erhält
und bei Pass- und Zollformalitäten sowie bei der BagdadMesse die Unterstützung der Botschaft bekommt, etwas
Illegales treibt. Das ist schon klar.
Trotzdem stehen wir gerade gegenüber dem Irak in einer engen Front in Bezug auf das Waffen- und Handelsembargo, sodass ich mich als Mitglied einer Bundesregierung noch nicht einmal dem Verdacht aussetzen
würde, Kontakte zu unterstützen, die man hinterher aufgrund anderer Quellen feststellen kann.
Ich frage Sie deshalb konkret - obwohl ich das lieber
das Auswärtige Amt gefragt hätte -: Warum unterstützt
man dann solche Kontakte oder Institutionen - die vom
Auswärtigen Amt Mittel erhalten -, in denen die Bedeutung des irakischen Diktators ganz offiziell heruntergespielt wird - völlig anders als im Fall des Chefs des Auswärtigen Amtes, der ihn als Diktator bezeichnet - und die
Leute beschäftigen, die diesen Diktator als eigentlich fast
liebenswerten Menschen bezeichnen?
Herr Kollege Dr. Rose, Sie benutzen den Ausdruck
„unterstützen“. Unterstützen bedeutet juristisch, wenn
mich meine juristischen Kenntnisse nicht im Stich lassen,
Beihilfe, sozusagen tätige Hilfe.
({0})
Ich vermag nicht zu erkennen, warum die Erteilung eines
Visums, auf die möglicherweise Anspruch besteht, eine
Unterstützungshandlung sein soll. Eine Form der Unterstützung ist auch in dem Fall, auf den Sie sich beziehen,
mit Sicherheit keinesfalls gegeben.
Deshalb kann ich Ihnen deutlich sagen - in dieser Beziehung bin ich mit Ihrer Analyse vollkommen einverstanden und einig -: Selbstverständlich stehen wir dem
System von Saddam Hussein als Diktator in einer klar ablehnenden Haltung gegenüber. Deshalb gibt es seitens der
Bundesregierung jedenfalls keine Unterstützung für Menschen, die illegale Geschäfte anbahnen.
Herr Kollege Rose, Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Ich möchte meine vierte Zusatzfrage dazu nutzen, Sie
zu fragen, ob Sie als Wirtschaftsministerium, vielleicht in
Zusammenarbeit mit anderen Stellen, wenigstens bereit
sind, den in der Sendung „Report“ von Montagabend
doch ziemlich massiv vorgetragenen Vorwürfen nachzugehen. Wenn es anonyme Anzeigen gibt, muss man sie
verfolgen. Hier sind in einem großen öffentlichen Bericht
Unterstellungen oder vielleicht sogar Fakten aufgetaucht,
denen man nachgehen muss. Können Sie mir zusagen,
dass Sie als Bundesregierung das tun?
Mir persönlich ist dieser Bericht von „Report“ nicht
bekannt. Ich kenne einen Bericht des „Spiegel“, auf den
Sie sich möglicherweise ebenfalls beziehen. Wenn es sich
in beiden Fällen um denselben Akteur handelt, dann bin
ich selbstverständlich gerne bereit, Ihrer Anregung nachzukommen und Ihnen unsere Erkenntnisse und unsere
Haltung bezüglich der Aktivitäten dieser Person darzulegen und zu dem Stellung zu nehmen, was sowohl im
„Spiegel“-Bericht wie auch in der Sendung „Report“ vorgetragen worden ist.
Nächste Nachfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, ich möchte an die letzte Zusatzfrage anknüpfen. Können Sie mit Ihrem heutigen Wissensstand denn ausschließen, dass es stimmt, was in den
Medienberichten offen diskutiert wird, nämlich dass von
deutschen Firmen in der Vergangenheit acht mobile Labors, die auch zur Herstellung von Pockenviren genutzt
werden können - ich zitiere aus dem Medienbericht -, an
den Irak geliefert wurden?
Herr Kollege, ich kann überhaupt nichts ausschließen.
Ich kann nur mit Sicherheit sagen, dass das - das war sozusagen die ursprüngliche Fragestellung - in jedem Fall
illegal und damit Sache der Strafverfolgungsbehörden
wäre und dass dafür selbstverständlich keine Genehmigung der Bundesregierung vorliegen würde.
Aber ich bin gerne bereit - diese Zusage wiederhole
ich -, diese Vorwürfe zu prüfen und die diesbezüglichen
Erkenntnisse der Bundesregierung den Fragestellern zukommen zu lassen.
Es gibt eine weitere Zusatzfrage, und zwar des Kollegen Schröder.
Kann ich davon ausgehen, dass Sie nicht ausschließen
können, dass diese acht Labors, von denen in dem „Report“-Bericht von Montagabend konkret berichtet wurde,
noch genutzt werden?
Man muss zunächst einmal recherchieren, ob dieser
Bericht zutreffend ist. Wenn er zutreffend ist, dann muss
man klären, auf welchem Weg und von welcher Quelle
diese Labors geliefert worden sind. Wenn man diese Erkenntnisse hat, dann ist es - ich sage dies noch einmal eine Angelegenheit der Strafverfolgungsbehörde und
nicht der Bundesregierung.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Schockenhoff.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung Erkenntnisse, dass diese Labors auf der vom Irak an Chefinspekteur Blix übermittelten Liste stehen?
Ich habe diese Erkenntnisse nicht.
Es gibt keine weiteren Zusatzfragen. Die übrigen Fragen zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Wirtschaft und Arbeit werden nun in der vorgesehenen
Reihenfolge aufgerufen.
Wir kommen zunächst zur Frage 12 des Abgeordneten
Uwe Schummer:
Hat die Bundesregierung Pläne, die Bundesanstalt für Arbeit
von sachfremden Aufgaben, wie zum Beispiel „Bekämpfung illegaler Beschäftigung“ und der „Kindergeldkasse“, zu entbinden, so
wie sie es in der 14. Wahlperiode vorgesehen hat, und gibt es Bestrebungen, die bisherige Aufgabe „Bekämpfung illegaler Beschäftigung“ auf den deutschen Zoll zu übertragen?
Lieber Herr Kollege Schummer, die Bundesregierung
prüft derzeit in enger Abstimmung mit allen Beteiligten,
welche gesetzlichen Änderungen im Bereich der Organisation der Bundesanstalt erforderlich sind, um die Dienstleistungsqualität nachhaltig zu verbessern. Sie wissen sicherlich, dass die Struktur der Bundesanstalt für Arbeit
von Grund auf überprüft wird und reformiert werden soll,
was eine ziemliche Herkulesarbeit darstellt. Bei dieser
Prüfung wird natürlich auch der von Ihnen genannte
Aspekt berücksichtigt.
Die Prüfung, ob die Bundesanstalt für Arbeit von den
genannten Aufgaben entlastet werden soll, ist noch nicht
abgeschlossen. Die Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ hat sich grundsätzlich für eine
Entlastung der Bundesanstalt für Arbeit von sachfremden
Aufgaben ausgesprochen. Hinsichtlich der Bekämpfung
der illegalen Beschäftigung hat sie jedoch vorgeschlagen,
die Aufgabe zumindest vorübergehend bei der Bundesanstalt für Arbeit zu belassen. Hinsichtlich der Auszahlung
des Kindergeldes durch die Familienkassen der Arbeitsämter hat die Kommission ausdrücklich eine wirtschaftliche Arbeitsweise festgestellt und dargelegt, dass
gegenwärtig dazu keine sinnvolle Alternative gegeben ist.
Herr Staatssekretär Schlauch, wie viele Beschäftigte
hat die Bundesanstalt für Arbeit aktuell und wie viele davon sind in der Vermittlung tätig? Hat sich die Relation
zugunsten der Vermittlungstätigkeit in den Arbeitsämtern
im letzten Jahr verändert?
Herr Kollege, entschuldigen Sie vielmals, dass ich kein
wandelndes Statistisches Bundesamt bin. Deshalb kann
ich Ihnen nicht die konkreten Beschäftigtenzahlen darlegen. Ich kann Ihnen auch nicht das genaue Verhältnis der
Zahl der Mitarbeiter, die in der Vermittlung tätig sind, zu
der Zahl der Mitarbeiter, die andere Aufgaben wahrnehmen, nennen. Ich bin aber gerne bereit, Ihnen die konkreten Zahlen nachzureichen.
Klar ist jedoch - insofern sind Sie auf der richtigen
Fährte -, dass auch nach unserer Ansicht die Zahl der Beschäftigten, die in der Vermittlung tätig sind, unzureichend ist und dass es Gegenstand der Reform sein muss,
die Vermittlungstätigkeit in erheblichem Umfang auszubauen. Die Vermittlung war zwar schon bisher eine Kernaufgabe; aber ihr muss eine noch sehr viel größere Bedeutung zukommen.
Ich bin, wie gesagt, gerne bereit, Ihnen die konkreten
Zahlen nachzureichen.
Unterstützt die Bundesregierung die Möglichkeit, Jobcenter zu schaffen, die in enger Zusammenarbeit mit den
Arbeitsämtern, aber in kommunaler oder privater Trägerschaft stehen?
Diese Frage wird ebenfalls geprüft. Wir sind der Auffassung, dass es wahrscheinlich gar keine andere Möglichkeit gibt, als die Institutionen, die derzeit auf kommunaler Ebene bei der Vermittlung von besonders schwer zu
vermittelnden Arbeitskräften teilweise sehr erfolgreich
arbeiten, mit ihrer Erfahrung und ihrem Know-how in die
Jobcenter zu integrieren. Deshalb werden die bereits bestehenden Projekte mit Sicherheit in diese Jobcenter integriert werden.
Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Martin
Hohmann auf:
Wie hoch sind die geschätzten Einnahmen des Bundes durch
die vom Bundeskartellamt gegen die Unternehmen der Zementindustrie für möglich gehaltenen Bußgelder - „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 3. Februar 2003 - und in welche Haushaltstitel werden diese gegebenenfalls eingestellt?
Herr Kollege Hohmann, darf ich auch Ihre beiden Fragen zusammen beantworten?
({0})
Dann rufe ich auch die Frage 14 des Abgeordneten
Martin Hohmann auf:
In welcher Höhe sind in den letzten zwei Jahren Bußgelder
durch das Bundeskartellamt verhängt worden und in welche
Haushaltstitel wurden diese Einnahmen eingestellt?
Zur Frage 13: Das Bundeskartellamt hat bereits drei
großen Unternehmen der Zementindustrie die voraussichtlich zu verhängenden Geldbußen mitgeteilt. Sie
belaufen sich insgesamt auf 200 Millionen Euro. Die Verfahren sind jedoch noch nicht abgeschlossen. Bußgeldbescheide wurden noch nicht verschickt. Über die Höhe der
gegen die übrigen Zementhersteller zu verhängenden
Geldbußen kann zurzeit noch keine abschließende Aussage getroffen werden.
Ob gezahlte Bußgelder im Bundeshaushalt vereinnahmt werden, hängt insbesondere davon ab, ob die
betroffenen Unternehmen Rechtsmittel gegen die Bußgeldbescheide einlegen. Akzeptieren sie die Bußgeldbescheide und legen sie keine Rechtsmittel ein, fließt dem
Bund das gezahlte Bußgeld als Einnahme direkt zu.
Kommt es jedoch zu einem Verfahren vor dem zuständigen Oberlandesgericht in Düsseldorf und wird der Bußgeldbescheid von diesem Gericht rechtskräftig bestätigt,
so fließt das Geld dem Landeshaushalt zu.
Fließen gezahlte Bußgelder dem Bundeshaushalt zu, so
werden die Einnahmen bei Kap. 0908 Tit. 112 01 - Geldstrafen, Geldbußen und Gerichtskosten - vereinnahmt.
Zu Ihrer zweiten Frage, zur Frage 14: Die Bußgeldeinnahmen betrugen im Jahre 2001 37,554 Millionen Euro
und im Jahre 2002 8,052 Millionen Euro. Die Einnahmen
wurden, wie ich bereits erwähnte, bei Kap. 0908
Tit. 112 01 vereinnahmt.
Herr Kollege Hohmann, Ihre Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, dann muss es das Interesse des
Bundes sein, dass die betroffenen Unternehmen möglichst keine Rechtsmittel einlegen, sondern zahlen. Erleichtern Sie die Entscheidung, an die Bundeskasse zu
zahlen, vielleicht dadurch, dass Sie Ratenzahlungen anbieten? Denn es geht ja zum Teil um recht hohe Summen,
um insgesamt 200 Millionen Euro; das ist ja kein Pappenstiel.
Das kann ich so ohne weiteres nicht sagen. Ich weiß
aus meiner Praxis als Rechtsanwalt, dass einer Ratenzahlung, sofern solche Anträge gestellt und entsprechend begründet werden, nichts entgegensteht. Ich teile Ihre Auffassung: Der Bund wäre selbstverständlich gut beraten,
solche Ratenzahlungen zu akzeptieren, wenn das Geld in
seine Kasse fließt.
Herr Staatssekretär, mir sind auf der einen Seite sogar
Einnahmen aus solchen Bußgeldern in Höhe von 700 Millionen Euro - ich darf Sie auch bitten, diese Zahl zu bestätigen - genannt worden. Auf der anderen Seite heißt es,
nur 150 Millionen Euro seien verbucht worden. Sie haben
jetzt eine Zahl von 200 Millionen Euro angegeben. Zwischen diesen 700 und den 150 Millionen Euro besteht ja
eine erhebliche Differenz. Man könnte daran denken, dass
für den Herrn Finanzminister eine Art schwarze Kasse
entsteht.
Wenn das Wirtschaftsministerium schwarze Kassen
hätte, dann, so glaube ich, hätten wir ein Problem. Eine
solche schwarze Kasse gibt es nicht.
Die Diskrepanz, die Sie benennen, kann ich mir
schlecht vorstellen. Denn, wie gesagt, die 200 Millionen
Euro, die ich Ihnen im Hinblick auf die laufenden Verfahren genannt habe, sind eine klare Zahl. Ob möglicher2094
weise darüber hinaus etwas verhängt wird, kann ich nicht
sagen. Jedenfalls ist mir eine Zahl von insgesamt 700 Millionen Euro nicht geläufig.
Herr Kollege Hohmann, Sie hätten noch zwei Zusatzfragen. - Sie verzichten darauf.
Vielen Dank. Dann sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht der Herr
Parlamentarische Staatssekretär Hans Georg Wagner zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Wolfgang
Börnsen ({0}) auf:
Gibt es bereits eine Vorschlagliste für die Veränderung bzw.
Aufgabe von Bundeswehrstandorten und könnten das Marinefliegergeschwader 2 in Tarp/Eggebek und die Minensuchflottille in
Kappeln/Olpenitz kurz- oder mittelfristig dazugehören?
Herr Kollege Börnsen, Bundesminister Dr. Struck hat
am 5. Dezember 2002 erklärt, dass die Bundeswehrreform weiterentwickelt wird und hierzu einen konzeptionellen Rahmen in Form neuer Verteidigungspolitischer
Richtlinien erhält. Diese werden bis zum Frühjahr 2003
erarbeitet. Parallel dazu sollen bestimmte Handlungsoptionen weiterverfolgt und ausgeplant werden. Ergebnisse
sollen dem Bundesminister zum Frühjahr 2003 zur Entscheidung vorgelegt werden.
Die sich hieraus ergebenden Auswirkungen auf die
Strukturen der Bundeswehr und auf die Stationierung sind
dann vorbehaltlos und besonders sorgfältig zu prüfen. Dabei ist es nicht das primäre Ziel, die Stationierung nur unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu optimieren. Vielmehr wird ein umfassender Kriterienkatalog zur
Vorbereitung und Bewertung von Stationierungsentscheidungen angewandt werden, der seit dem Jahre 2000 für
alle Stationierungsentscheidungen herangezogen wird.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liegen noch keine Erkenntnisse vor, inwieweit sich Anpassungen der Stationierung für die Standorte Tarp/Eggebek und Kappeln/Olpenitz ergeben.
Bitte schön, Herr Kollege Börnsen.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, bedeutet Ihre Erklärung, dass Sie in Ihren Verteidigungspolitischen Richtlinien weggehen von den bisherigen Konzeptionen, die auch die Weizsäcker-Kommission am 25. Mai
2000 vorgelegt hat, nach denen bestimmte Teilstreitkräfte, zum Beispiel die Marine, aufgestockt und nicht abgebaut werden sollen?
Sie wissen ja, dass die Verteidigungspolitischen Richtlinien, die seit 1992 gelten, fortgeschrieben werden, und
dabei werden diese Fragen natürlich mit berücksichtigt
werden. Ich kenne den Entwurf der Richtlinien, die dem
Minister zur Entscheidung vorgelegt werden, noch nicht,
kann also Ihre Frage in diesem Punkt nicht beantworten.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, wann
rechnen Sie damit, dass der Verteidigungsminister die
neue Konzeption, die ja auch die Standorte direkt betreffen wird, vorlegen wird?
Es ist vorgesehen, dass die Verteidigungspolitischen
Richtlinien bis Ende Februar/Anfang März vorliegen. Die
daraus zu ziehenden Konsequenzen wird der Generalinspekteur vornehmen; das wird sich bis Mitte März hinziehen. Ob Standorte überhaupt betroffen sind, vermag
ich nicht zu sagen, weil ich den Entwurf dieser Richtlinie
nicht kenne.
Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Dr. Ole
Schröder auf:
Mit welchen Sparmaßnahmen sieht sich das Bundesministerium der Verteidigung, BMVg, in den nächsten Jahren konfrontiert und plant das BMVg zur Einhaltung der Sparpläne auch die
Aufgabe von Standorten in Schleswig-Holstein?
Herr Kollege Schröder, wie eben schon gesagt, hat
Bundesminister Dr. Struck am 5. Dezember 2002 erklärt,
dass die Bundeswehrreform weiterentwickelt wird und
hierzu einen konzeptionellen Rahmen in Form neuer Verteidigungspolitischer Richtlinien erhält. Diese sollen bis
zum Frühjahr 2003 - auch das habe ich eben ausgeführt erarbeitet werden. Parallel dazu sollen bestimmte Handlungsoptionen weiterverfolgt und ausgeplant werden.
Die laufenden Untersuchungen hierzu sind von folgenden Leitgedanken bestimmt:
Erstens. Altes und im Betrieb besonders aufwendiges
und teures Material ist so frühzeitig wie möglich und verantwortbar aus der Nutzung zu nehmen.
Zweitens. Beim Betrieb und bei der Beschaffung ist
eine Konzentration auf dasjenige Material erforderlich,
das für die wahrscheinlichsten Einsätze gebraucht wird.
Drittens. Wo immer möglich und sinnvoll, sind multinationale Kooperationslösungen zu verfolgen.
Viertens. Redundanzen sind grundsätzlich zu vermeiden und der Betrieb ist effizienter zu gestalten.
Die Ergebnisse sollen, wie eben ausgeführt, dem Herrn
Bundesminister bis zum Frühjahr zur Entscheidung vorgelegt werden. Die sich daraus ergebenden Auswirkungen
auf die Strukturen der Bundeswehr und auf die Stationierung sind dann vorbehaltlos und besonders sorgfältig zu
prüfen. Dabei ist es, wie eben schon gesagt, nicht das
primäre Ziel, die Stationierung nur unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu optimieren. Vielmehr
wird der umfassende Kriterienkatalog zur Vorbereitung
und Bewertung von Stationierungsentscheidungen angewandt werden, der seit dem Jahre 2000 für alle Stationierungsentscheidungen heranzogen wird und der den Kolleginnen und Kollegen ja auch bekannt ist. Zum
gegenwärtigen Zeitpunkt liegen noch keine Erkenntnisse
vor, inwieweit sich Anpassungen der Stationierung auch
für die Standorte in Schleswig-Holstein ergeben.
Herr Kollege, Sie hätten noch Zusatzfragen.
({0})
- Sie verzichten also darauf.
Die Fragen Nr. 17 und 18 des Abgeordneten Jürgen
Koppelin werden schriftlich beantwortet.
Damit verlassen wir den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Gesundheit und Soziale Sicherung auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär
Franz Thönnes zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 19 der Abgeordneten Petra Pau auf:
Wie viele Anträge auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen wurden bisher gestellt?
Frau Kollegin Pau, Ihre Frage beantworte ich wie folgt:
Über die Zahl der bei den zuständigen Trägern der Grundsicherung eingegangenen Anträge liegen der Bundesregierung bisher keine Angaben vor.
Das Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist erst seit 1. Januar dieses Jahres in Kraft. Es gewährleistet für Personen
ab 65 Jahren sowie für medizinisch bedingt dauerhaft voll
erwerbsgeminderte Personen ab 18 Jahren eine Absicherung ihres notwendigen Lebensunterhaltsbedarfs. Für die
Durchführung des Gesetzes sind nach § 4 Abs. 1 Grundsicherungsgesetz die Kreise oder kreisfreien Städte als
Träger vorgesehen und auch zuständig. Nach § 8 Abs. 1
Grundsicherungsgesetz werden Erhebungen über die
Empfänger sowie die Ausgaben und die Einnahmen der
bedarfsorientierten Grundsicherung als Bundesstatistik
durchgeführt. Die Erhebung erfolgt jährlich zum 31. Dezember als Bestandserhebung.
Ihre Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Ich habe eine Nachfrage. Liegen der Bundesregierung
Erkenntnisse vor, dass Anspruchsberechtigte diesen Antrag nicht stellen, da sie durch die Bürokratie bzw. auch
die Antragsformulare, welche zum Beispiel über die Vermögensverhältnisse der nächsten Angehörigen sehr genau
Auskunft verlangen, hiervon abgehalten werden?
Nein, derartige Erkenntnisse liegen uns bislang nicht
vor. Wir hatten seitens des Hauses vorweg eine intensive
Beratungstätigkeit veranlasst. Es hat Formulare, Broschüren und Schulungen gegeben, auch für diejenigen, die vor
Ort arbeiten. Es ist klar, dass vor dem Hintergrund eines
neuen Gesetzes und der Formulare viele Fragen auftreten.
Aber wir gehen davon aus, dass dies mit den engagierten
Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern vor Ort in den
Grundsicherungsämtern oder in den Sozialämtern schnell
und zügig behandelt werden kann. Im Übrigen stehen
auch die Rentenversicherungsträger für Beratung und
Hilfen zur Verfügung.
Keine weitere Zusatzfrage.
Der Geschäftsbereich für Gesundheit wird beantwortet
von der Frau Parlamentarischen Staatssekretärin Marion
Caspers-Merk.
Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Dr. Wolf Bauer
auf:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Auswirkungen des zum 1. Januar 2003 mit dem Beitragssatzsicherungsgesetz in Kraft getretenen Rabatteinzugsverfahrens insbesondere auf die wirtschaftliche Situation der Apotheken?
Herr Kollege, die Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherung durch das Beitragssatzsicherungsgesetz
wird durch folgende Regelungen erreicht - Sie haben sich
ja insbesondere nach der Situation der Apotheken und der
Rabattsituation erkundigt -: erstens einen Herstellerrabatt
bei den Arzneimitteln in der Größenordnung von 420 Millionen Euro pro Jahr, zweitens einen Großhandelsabschlag in der Größenordnung von 600 Millionen Euro pro
Jahr und drittens eine Erhöhung des so genannten Apothekenrabatts in der Größenordnung von 350 Millionen
Euro pro Jahr.
Die Einzelheiten der Umsetzung der Abschlagsregelungen werden von den beteiligten Verbänden im Rahmen
von Verträgen geregelt. Bisher ist nicht bekannt, ob diese
Abschläge bereits in den Abrechnungen für den Monat Januar vollständig berücksichtigt worden sind. Die Vertragsparteien können vereinbaren, dass die endgültige Höhe
der Abschläge in den folgenden Abrechnungen nachträglich ermittelt wird. Der Herstellerabschlag soll von den
Apothekenrechenzentren direkt mit Herstellern einerseits
und Krankenkassen andererseits abgerechnet werden.
Nach einem Bericht der „Deutschen Apotheker Zeitung“
vom 23. Januar 2003 ist davon auszugehen,
dass im Februar eine weit gehend reibungslose Abwicklung der Rabattverrechnungen nach den neuen
gesetzlichen Regelungen sowohl mit den Krankenkassen als auch den Herstellern erfolgen kann.
Der Herstellerabschlag bezieht sich auf den Herstellerabgabepreis und nicht auf den Apothekenabgabepreis. Er
vermindert damit nicht die Handelsspanne der Apotheken.
Den Großhandelsabschlag erhalten die Krankenkassen
im Rahmen der Apothekenabrechnungen über die Apothekenrechenzentren. Der Großhandel ist vom Gesetzgeber
verpflichtet worden, den Abschlag bereits bei Lieferung der
Arzneimittel an die Apotheken zu gewähren. Damit wird sichergestellt, dass die Apotheken den gesetzlich vorgeschriebenen Abschlag auch tatsächlich erhalten. Sollte der
Großhandel den Apotheken diesen Abschlag bei den Abrechnungen nicht gewähren, ist die Apotheke befugt, die
Rechnung des Großhändlers um diesen Betrag zu kürzen.
Der Herstellerabschlag und der Großhandelsabschlag
sind gesetzliche Vorgaben. Die Beteiligten haben zugesagt, die entsprechenden Angaben in die Preislisten der
Apotheken für die Arzneimittel aufzunehmen. Hierfür
sind allein die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände und die Verbände der pharmazeutischen Industrie verantwortlich. Die Eintragungen in die Preisliste und
die Gestaltung dieser werden von ihnen in Selbstverwaltung eigenverantwortlich und eigenständig auf privatwirtschaftlicher Grundlage vorgenommen.
Der Apothekenrabatt wird bei der Abrechnung von den
Apothekenrechenzentren ermittelt und mit den Krankenkassen verrechnet. Diesen Rabatt haben die Apotheken
selbst zu tragen. Zusätzlich belastet werden nur die höherpreisigen Arzneimittel in der Größenordnung von über
52,46 Euro.
Herr Kollege Bauer, Ihre Zusatzfragen, bitte.
Frau Staatssekretärin, zu dieser Abwicklung ist ein gewaltiger bürokratischer Apparat erforderlich. Dieser bürokratische Apparat zieht natürlich auch Kosten nach sich.
Sind diese Kosten in Ihrem Hause überhaupt schon einmal
ermittelt worden und wer soll diese Kosten übernehmen?
Herr Kollege, die Apothekenrechenzentren existieren
bereits. Ich glaube, mittlerweile sind alle Apotheken in
Deutschland an die Apothekenrechenzentren angeschlossen. Bereits jetzt gibt es Rabattierungen und Abschläge,
die über die Apothekenrechenzentren ermittelt werden.
Insoweit entsteht kein neuer Aufwand, sondern es ist lediglich eine neue Rabattregelung vereinbart worden, die
über die bewährten Strukturen der Apothekenrechenzentren abgewickelt werden.
Frau Staatssekretärin, Sie sehen mir bitte nach, dass ich
das nicht nachvollziehen kann. Es sind für die Apothekenrechenzentren viele neue Aufgaben hinzugekommen.
Bisher waren die Rechenzentren nur für die Abrechnung
im Innenverhältnis zwischen Krankenkasse und Apotheke
verantwortlich. Nun erstreckt sich dies vom Hersteller
über den Großhandel bis hin zur Apotheke. Diese zusätzlichen Aufgaben verursachen hohe zusätzliche Kosten.
Über die Höhe dieser Kosten und darüber, wer diese Kosten tragen soll, muss man sich Gedanken machen.
Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass die neuen
Preislisten, auf denen die unterschiedlichen Preise, also
der Apothekenabgabepreis, der Verkaufspreis, der Herstellerpreis und der Großhandelspreis, basieren, bisher
schon von den Beteiligten in eigener Verantwortung erstellt worden sind. Für preisliche Änderungen gilt derselbe Mechanismus. Alles andere erfolgt maschinell über
die Apothekenrechenzentren.
Auch bisher wurde den gesetzlichen Krankenkassen
vonseiten der Apotheken ein Rabatt gewährt. Dieser Rabatt ist nochmals angehoben worden, insbesondere für die
hochpreisigen Arzneimittel. Insofern wurden keine neuen
Tatbestände geschaffen, sondern es wurde praktisch auf
bestehende Rabattierungs- und Abschlagsstrukturen aufgesattelt. Natürlich ist jede Umstellung mit einem Aufwand verbunden. Das will ich nicht bestreiten. Ich kann
aber nicht erkennen, dass völlig neue Tatbestände geschaffen worden wären.
Probleme gibt es in der Tat bei den Großhandelsrabatten. Sie wissen, dass der Großhandel versucht, keinen eigenständigen Beitrag zu leisten. Aus diesem Grunde haben wir mit PHAGRO Gespräche geführt. Es geht nicht,
dass man vereinbarte Rabatte mit dem gesetzlichen Rabatt, den der Großhandel zu leisten hat, verrechnet. Ich bin
froh, dass in die Gespräche zwischen Apotheken und
Großhandel wieder Bewegung gekommen ist.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Lanzinger.
Es gibt einen internern Vermerk mit der Aussage, dass
die Apotheken durch diese Umstellung mit 50 000 Euro
jährlich belastet würden. Äußerungen der Bundessozialministerin stehen dagegen, die lauten, die Apotheken würden mit nur 16 000 Euro jährlich belastet. Wie sieht nach
Auffassung der Bundesregierung die tatsächliche Belastung der Apotheken durch diese Umstellung aus?
Es handelt sich hierbei um Durchschnittszahlen. Diese
Zahlen besagen, dass der Durchschnittsumsatz der deutschen Apotheke bei 1,3 bis 1,4 Millionen Euro liegt. Daraus errechnet sich - auch das geschieht nach bestimmten
Listen - ein durchschnittlicher Gewinn. Anhand dessen
haben wir ausgerechnet, wie hoch die finanziellen Auswirkungen im Durchschnitt für die Apotheken sind, und
sind auf die Größenordnung von 16 000 Euro gekommen,
die Sie eben genannt haben.
Das sagt aber nichts darüber aus, wie hoch die Auswirkung für die Apotheke vor Ort ist, weil der Anteil von Medikamenten, die über die GKV abgerechnet werden, von
Apotheke zu Apotheke sehr unterschiedlich ist. Eine
Größenordnung von 50 000 Euro ist allerdings nicht korrekt. Sie würde nur dann zutreffen, wenn am Ende die
Apotheken alle Rabattierungsvorgänge zu tragen hätten.
Damit das nicht geschieht, wurde dafür gesorgt, dass jede
Stufe ihre Rabattstrukturen selber tragen muss.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Spahn.
Frau Staatssekretärin, wie erklären Sie sich die große
Diskrepanz zwischen dem internen Vermerk im Gesundheitsministerium, der im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens erstellt wurde und in dem offensichtlich schon davon ausgegangen wird, dass die Belastung aus den
Rabatten vom Großhandel an die Apotheker durchgegeben wird - es werden 50 000 Euro genannt -, und den
Äußerungen der Frau Ministerin gegenüber der Öffentlichkeit und der Presse, aber auch gegenüber dem Parlament und den Abgeordneten ihrer Partei, die ganz offensichtlich - das zeigen 59 Erklärungen von Abgeordneten
der SPD - zu anderen Entscheidungen geführt haben?
Ich kenne diesen internen Vermerk. Er wurde nicht zutreffend wiedergegeben. In diesem Vermerk wird von dem
Worst-Case-Szenario ausgegangen, dass alle Rabatte am
Ende von den Apotheken zu tragen sind. Dem ist durch
Veränderungen, die wir während des Gesetzgebungsverfahrens vorgenommen haben, und durch Absprache mit
den Beteiligten begegnet worden. Dieses Szenario wird
also nicht zutreffen. Insofern ist die Durchschnittszahl,
die ich eingangs genannt habe und die die Ministerin öffentlich genannt hat, korrekt.
Durchschnittszahlen spiegeln - das sage ich nochmals nicht die Situation der einzelnen Apotheken wider. Es
gibt, wie Sie wissen, Apotheken mit einem GKV-Anteil
von 70 bis 80 Prozent und Apotheken mit einem GKVAnteil von 50 Prozent. Je nach Größe dieses Anteils fällt
die Auswirkung der Rabattstrukturen, wodurch sich der
Gewinn schmälert, sehr unterschiedlich aus.
Im Übrigen liegen uns erste Briefe von Apothekern
vor, die sich bei uns ausdrücklich bedanken, dass wir mit
dem Großhandel gesprochen haben. Seither ist Bewegung
in die Front zwischen Großhandel und Apotheken gekommen, weil der Großhandel in der Tat versucht hat, seinen Beitrag über andere Rabattierungsvorgänge abzuwälzen.
({0})
Wir kommen zu Frage 21 des Abgeordneten Dr. Wolf
Bauer:
Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um
eine Abwälzung des Großhandelsrabatts auf die Apotheken zu unterbinden?
Herr Kollege, der Großhandel ist durch Gesetz verpflichtet worden, den Großhandelsabschlag in Höhe von
3 Prozent auf die Apothekenabgabepreise zu gewähren.
Der Abschlag hat insgesamt ein Volumen von 600 Millionen Euro. Damit wird der erkennbar weit überhöhte
Großhandelszuschlag der Arzneimittelpreisverordnung
korrigiert, durch den der Großhandel bisher nachweislich
eine Handelsspanne von rund 1,1 Milliarden Euro pro
Jahr mehr zulasten der Endverbraucher erhalten hat, als er
tatsächlich für die Erfüllung seiner Aufgaben benötigt.
Die Bundesregierung erwartet vom Großhandel, dass
dieser seinen Einsparbetrag erbringt. Der Großhandel hat
erklärt, dass er einen spürbaren eigenen Einsparbeitrag erbringen werde. Die pauschale Verweigerung eines eigenen
Konsolidierungsbeitrags seitens des pharmazeutischen
Großhandels gebe es nicht. Die Schreiben des pharmazeutischen Großhandels vom Dezember 2002 an die Apotheken hinsichtlich der Lieferkonditionen seien nur eine
erste kurzfristige Reaktion auf das Beitragssatzsicherungsgesetz gewesen. Eine Verweigerung von Verhandlungen
über Lieferkonditionen sei nicht beabsichtigt. Diese Verhandlungen würden nunmehr mit den Apotheken geführt.
Die Verhandlungen sind offenbar noch nicht abgeschlossen, sie sind aber bereits im Januar aufgenommen
worden.
Frau Staatssekretärin, wie erklären Sie sich die letzten
Äußerungen des Großhandels, wonach er das Einsparvolumen aus eigener Kraft nicht erbringen könne, sodass das
an die Apotheken weitergegeben werden müsse?
Zunächst einmal war es für uns interessant, dass in den
Gesprächen die eigenen Gewinnspannen korrigiert wurden; die früheren Aussagen wurden also relativiert. Ich
kenne keinen am Wirtschaftsgeschehen Beteiligten, der
dem Gesetzgeber, der von ihm einen Rabatt erwartet, freiwillig sagen würde, dass er ihn gerne zahlt und dass er
dies ohne Probleme kann.
Frau Staatssekretärin, wir haben uns über Einsparvolumina unterhalten. Können Sie uns in diesem Zusammenhang Auskunft darüber geben, welche Einsparvolumen
Sie bei der Einführung eines Versandhandels erwarten?
Diese Frage hat mit Ihrer Ausgangsfrage eigentlich
nichts mehr zu tun.
Zum Thema Versandhandel können wir keine sicheren
Abschätzungen geben. Sie wissen, dass die Arzneimittelausgaben in den letzten vier Jahren - von 1998 bis 2002 um über 25 Prozent gestiegen sind. Das heißt, in diesem
Bereich gab es deutliche Zuwächse bei den Ausgaben.
Deswegen greifen unsere Maßnahmen insbesondere bei
den Arzneimitteln. Durch die drei Rabattstrukturen versprechen wir uns bei den Arzneimitteln - so habe ich es
eben auch vorgetragen - ein Einsparvolumen in der
Größenordnung von insgesamt 1,3 Milliarden Euro.
Sie wissen, dass der zustimmungspflichtige Teil des
Beitragssatzsicherungsgesetzes derzeit noch im Bundesrat liegt. Ich appelliere an Sie, mit den Ländern zu reden,
sodass wenigstens die Nullrunde bei den Verwaltungskosten der Kassen und die Erweiterung der Optionsmodelle
für die Kliniken durchkommen. In diesem Bereich gibt es
aber auch noch die Festbeträge. Dies wäre eine weiteres
Einsparvolumen bei den Arzneimitteln.
Eine sichere Zahl bezüglich des Versandhandels kann
ich Ihnen nicht nennen. Das hängt von vielen anderen
Konditionen ab. Ich könnte mir vorstellen, dass auch die
Apotheken - zum Beispiel durch die so genannten Hausapothekenmodelle, wie sie in Niedersachsen praktiziert
werden - die Chance erhalten können, sich an modernen
Marketingstrukturen zu beteiligen. Dies könnte für die
Apotheken vielleicht die Eröffnung einer neuen Struktur
bedeuten.
Es gibt eine weitere Zusatzfrage, und zwar des Kollegen Storm.
Frau Staatssekretärin, sind die Berichte, wonach das
Bundesgesundheitsministerium die Aufhebung des Fremdund Mehrbesitzverbotes von Apotheken beabsichtigt, zutreffend?
Lieber Herr Kollege Storm, in der letzten Sitzung des
Gesundheitsausschusses haben wir ein Papier mit den
Eckpunkten der Gesundheitsstrukturreform verteilt und
die Diskussion darüber angeboten. Dort gab es auch Ausführungen zum Thema Mehrbesitzverbot. Als dieser Tagesordnungspunkt in der letzten Woche aufgerufen wurde,
waren Sie leider nicht mehr anwesend.
({0})
Wir hätten die Diskussion damals gerne vertiefen können.
Zum Mehrbesitzverbot haben wir erste Überlegungen
vorgestellt. Sie wissen auch, dass sich das Gesundheitsstrukturgesetz noch in der Diskussion befindet. Wir haben
acht Eckpunkte vorgestellt. Dazu gehören auch die Liberalisierungen im Bereich des Arzneimittelmarktes. Eine
mögliche Maßnahme wäre das Mehrbesitzverbot. Ob man
einen „Deckel“ einführen wird, wo er gegebenenfalls liegen wird und inwieweit man moderne Hausapothekenmodelle einbeziehen wird, wird das weitere Gesetzgebungsverfahren zeigen.
Bevor wir zum Schluss der Fragestunde kommen, lasse
ich noch die Zusatzfrage des Kollegen Spahn zu.
Frau Staatssekretärin, vorneweg eine Bitte: Können
Sie uns - das hatte ich vorhin ja zugerufen - die Schreiben der Apotheker, die sich bedanken, übersenden? Ich erhalte täglich ganz andere Schreiben. Es wäre schön, auch
diese vorliegen zu haben.
({0})
Ich räume ein, dass diejenigen, die sich bedanken, weniger sind als die anderen. Die Schreiben schicke ich Ihnen aber gerne zu.
Ich komme jetzt zu meiner Frage - Sie haben gerade
selbst die Festbeträge und andere Dinge angesprochen -:
Wird die Arzneimittelpreisverordnung geändert und wenn
ja: in welche Richtung?
Sie wissen, dass innerhalb der Gesundheitsstrukturreformen auch die Arzneimittelpreisverordnung ein Thema sein wird. Es gibt verschiedene Modelle. Auch die
Vorstellungen beteiligter Wirtschaftskreise wollen wir
prüfen. Sie wissen, dass insbesondere die ABDA für eine
Veränderung eintritt. Aber auch andere am Wirtschaftsgeschehen Beteiligte im Bereich Arzneimittel wünschen
Änderungen.
Wir werden diese Wünsche im Gesetzgebungsverfahren prüfen und im Fachausschuss über die einzelnen
Punkte reden. Wir können uns sehr wohl vorstellen, dass
diese Verordnung in Zukunft auch die Beratungsleistung
des Apothekers abbildet und damit Schluss macht, dass
besonders viel im oberen Preissegment verdient wird.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Alle Fragen,
die jetzt noch nicht zur Beantwortung gekommen sind, werden nach unserer Geschäftsordnung schriftlich beantwortet.
Die Fraktion der CDU/CSU hat zur Antwort der Bundesregierung auf die eingebrachte Dringlichkeitsfrage
eine Aktuelle Stunde verlangt. Das entspricht Nr. 1 b der
Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Die Aussprache wird
im Anschluss an die Fragestunde durchgeführt. Ich rufe
nun den neuen Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der CDU/CSU
Pockenviren
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kollege Hartmut Koschyk, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der auf offener Bühne ausgetragene Streit innerhalb der
Bundesregierung über das Ausmaß der Gefahr von Massenvernichtungswaffen in Händen von Terroristen für unser Land und unsere Bürger und eine in diesem Zusammenhang miserable Informationspolitik haben zu einer
großen Verunsicherung unserer Bevölkerung geführt.
({0})
Hierfür trägt allein die Bundesregierung die Verantwortung, nicht etwa die Medien, die über dieses Kompetenzund Auskunftswirrwarr innerhalb der Bundesregierung
berichten.
({1})
Die Bundesgesundheitsministerin hat bereits im Mai
des Jahres 2002 bei der Jahrestagung der Weltgesundheitsorganisation WHO in Genf öffentlich von Vermutungen gesprochen, dass auch im Irak Pockenviren gelagert
würden, weshalb vorsorglich Impfdosen für alle Menschen in Deutschland angeschafft würden.
({2})
Gegenüber ihrer nordrhein-westfälischen Amtskollegin
schreibt die Gesundheitsministerin am 17. Mai 2002, dass
es „dokumentierte Erkenntnisse“ gebe, die eine grundsätzliche Bedrohungslage weltweit durch bioterroristische Attentate begründen. In dem am Wochenende durch die
„Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ bekannt gewordenen Vermerk des Gesundheitsministeriums vom
9. August 2002 heißt es:
Den deutschen Sicherheitsdiensten liegen dokumentierte Erkenntnisse vor, dass Pockenerreger außerhalb der offiziellen Labore in Atlanta und Koitsovo
illegal, z. B. in Russland, Irak und Nordkorea gelagert werden. Ebenso gibt es Hinweise darauf, dass
sich Terrorgruppen um die Herstellung biologischer
Kampfstoffe bemühen.
Auch wird die Befürchtung geäußert, dass der Irak im
Falle einer militärischen Auseinandersetzung mit den
USA „mit den ihm zur Verfügung stehenden biologischen
Kampfstoffen, also auch Pockenviren, reagiert.“ So weit
der Vermerk des Bundesgesundheitsministeriums.
Diese Gefahreneinschätzung haben Sie, Frau Ministerin Schmidt, im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages am 13. November des vergangenen Jahres wiederholt. Dieses Lagebild deckt sich mit einer Analyse des
Bundesnachrichtendienstes BND, worüber die Tageszeitung „Die Welt“ am 19. November 2002 berichtet hat. Danach besteht laut BND der Verdacht, dass der Irak noch
immer einen Teil seiner in Munition abgefüllten biologischen Kampfstoffe besitze. Auch habe der Irak, so der
BND, die Verfügbarkeit über Anthrax, Botulinustoxin und
Aflatoxin in munitionierter Form zugegeben.
Des Weiteren zitiert „Die Welt“ aus der ihr vorliegenden BND-Analyse, dass der Irak auch an Forschung und
Entwicklung von Mykotoxinen und Rotaviren gearbeitet
habe und „ebenso an Pocken, getarnt als KamelpockenProjekt“. Der BND schlussfolgerte damals:
Die verwendeten Produktionsmethoden und hohen
Ausbeuten deuten auf eine fortgeschrittene Technologie hin.
Es müsse befürchtet werden, dass der Irak „innerhalb von
mehreren Monaten sein B-Waffen-Programm wieder aufleben lassen könnte“.
In seinem Bericht vor dem UN-Sicherheitsrat am
27. Januar dieses Jahres hat UN-Chefinspekteur Hans
Blix ebenfalls über nachhaltige Hinweise gesprochen,
nach denen der Irak über Anthrax verfüge und auch das
Nervengas VX in Waffen eingebaut habe. US-Außenminister Powell hat vor dem UN-Sicherheitsrat am 5. Februar dieses Jahres ausgeführt:
Saddam Hussein hat Dutzende von biologischen
Stoffen untersucht, die Krankheiten hervorrufen,
zum Beispiel Gasbrand, Pest, Typhus, Wundstarrkrampf, Cholera, Kamelpocken und hämorrhagisches Fieber, und
- so der amerikanische Außenminister weiter er verfügt auch über die Ausrüstung, um Pockenviren
zu entwickeln.
In diesem Zusammenhang frage ich mich, Herr Bundesminister Schily, warum Sie im Hinblick auf den Haushaltsvermerk vom 9. August des vergangenen Jahres von
einem Dokument sprechen, aus dem Geschichten gezimmert werden, die mit dem wahren Sachverhalt nichts zu
tun haben, da doch Ihr Haus, das seinerzeit bei diesem Haushaltsvermerk des Gesundheitsministeriums mitbefasst war,
der Gefahreneinschätzung nicht widersprochen hat.
Die deutsche Öffentlichkeit fragt sich, ob die Bundesgesundheitsministerin über Monate hinweg die Bedro2100
hungslage überdramatisiert hat, um an die notwendigen
Haushaltsmittel heranzukommen - was ein Skandal wäre -, oder ob jetzt die Gefahr, die von biologischen und
chemischen Massenvernichtungswaffen ausgeht, die sich
in den Händen des Iraks befinden, bagatellisiert wird.
({3})
Herr Bundesminister Schily, Sie verweisen immer wieder auf Ihre guten Kontakte zum amerikanischen Justizminister Ashcroft,
({4})
zum neuen Minister für Homeland Security Tom Rice
({5})
- Entschuldigen Sie, Herr Minister, dass mir der Name
nicht parat war, aber Sie verkehren ja ständig mit Tom
Ridge. - Wenn Sie ständig mit amerikanischen Fachleuten wie dem Minister für Homeland Security und dem Justizminister verkehren und auch Gespräche mit dem FBIChef und dem CIA-Chef geführt haben, dann sollten Sie
dem deutschen Parlament und auch der deutschen Öffentlichkeit mitteilen, über welche Erkenntnisse die Amerikaner
verfügen und ob sich die Erkenntnisse Ihrer Gesprächspartner mit denen decken, die Außenminister Powell vor dem
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dargelegt hat.
({6})
Jedenfalls hilft es nicht, Herr Minister -
Herr Kollege Koschyk, schauen bitte einmal auf die
Uhr vor Ihnen!
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss.
({0})
Jedenfalls hilft es nicht, jetzt plötzlich ein anderes Lagebild zu entwickeln.
({1})
Die Bevölkerung in Deutschland hat Anspruch auf umfassende Auskunft der Bundesregierung über die bestehende Gefährdungslage.
Herzlichen Dank.
({2})
Nächste Rednerin ist die Bundesministerin Frau Ulla
Schmidt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Was die Opposition hier heute veranstaltet, ist ein Stück
aus dem Tollhaus,
({0})
das mit der nationalen Verantwortung für die Sicherheit
der Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande nichts zu tun
hat, auch wenn Sie das anders darstellen wollen.
({1})
Es sagt vielleicht mehr über den Zustand Ihrer eigenen
Partei und über die Art und Weise aus, in der dort die
Kommunikation stattfindet. Denn Tatsache ist das, was
der Herr Kollege Koschyk vorgetragen hat. Um welche
Informationen darüber hinaus geht es Ihnen denn?
({2})
Wann gab es in der Zeit seit dem 11. September 2001
eine Situation, Herr Kollege Luther, in der wir nicht im
Haushaltsausschuss und im Gesundheitsausschuss sehr
intensiv beraten haben? Mein Ministerium hat direkt nach
dem 11. September 2001 gemeinsam mit dem Innenministerium und dem Bundeskanzleramt eine Bund-LänderKoordinierung eingerichtet und gemeinsam mit den Vertretern auch Ihrer Partei in den Landesregierungen
darüber geredet, wie wir mit potenziellen Gefährdungen
in diesem Lande umgehen.
Unabhängig davon, ob Ihnen Erkenntnisse vorliegen
oder nicht, kann ich Ihnen versichern: In Bezug auf die
Gefährdung mit Pockenviren hilft nur eines, nämlich die
Beschaffung von Impfstoff. Das ist das Entscheidende.
({3})
Wenn Sie in den Protokollen nachlesen, was in den einzelnen Ausschüssen gesagt wurde, werden sie feststellen,
dass immer wieder darauf hingewiesen wurde, dass eine
allgemeine Bedrohungslage besteht. Weil wir nicht wissen, ob irgendwo auf dieser Welt außerhalb der offiziellen
Stellen Pockenviren vorhanden sind und gelagert werden,
ist eine allgemeine Bedrohung gegeben. So wie für den
Erhalt der Gesundheit generell gilt: „Vorbeugen ist besser
als heilen“, gilt für den Fall einer Bedrohung mit Pockenviren: Impfen ist notwendig, weil es nach dem heutigen
Kenntnisstand der Medizin keine Heilungsmöglichkeiten
gibt. Danach haben wir gehandelt.
Ich bedauere die jetzt entstandene Diskussion; denn
wir haben seit anderthalb Jahren in den entsprechenden
Ausschüssen darüber diskutiert - ich spreche jetzt auch
die Kollegin an -, dass wir handeln müssen, weil die
Pocken zwar ausgerottet waren und weil - mit Ausnahme
der offiziellen Labore in den USA und der Sowjetunion jedes Land seine Virusstämme vernichten sollte. Wir
wissen aber nicht - darüber gibt es weltweit keine Erkenntnisse -, ob es außer den Kamelpockenviren - diese
sind nicht so gefährlich; denn man kann zwar sich, aber
keine anderen Menschen anstecken - noch andere
Pockenvirenstämme gibt. Wir haben jetzt gehandelt.
Ich kann Ihnen gerne die ganze Liste an Maßnahmen
vorlesen, die wir gemeinsam mit den Ministern und Ministerinnen der von Ihnen geführten Länder sowie mit den
von SPD und Grünen geführten Ländern aufgestellt haben. Wir haben in den letzten anderthalb Jahren versucht,
sowohl Zugriff auf vorhandenen Pockenimpfstoff zu bekommen, der qualitativ hochwertig ist, als auch mit dem
Haushaltsausschuss eine Regelung zu finden, die es uns
ermöglicht, Pockenimpfstoff dort, wo wir Zugriff auf ihn
haben, aufzukaufen. Zu dem Vorwurf, wenn es keine konkrete Gefährdung gebe, dann dürfe man das Geld auch
nicht ausgeben, sage ich Ihnen: Wenn es konkret geworden
wäre und wir hätten vorher kein Geld für Impfstoffe ausgegeben, dann wäre es zu spät gewesen. Das wäre verantwortungslos! Wollen Sie das etwa sein? Das ist jedenfalls nicht
die Politik, die die Bundesregierung in dieser Frage macht.
({4})
Wenn wir hier tatsächlich Geld für Impfstoffe ausgegeben
hätten, ohne sie zu brauchen, dann wäre die Bundesregierung sehr glücklich darüber; denn das wäre die beste Fehlinvestition, die je getätigt wurde. Schließlich würde das
bedeuten, dass die Bürger und Bürgerinnen nicht nur in
unserem Land, sondern weltweit sicher und geschützt davor sind, sich mit Pockenviren zu infizieren, also vor einer Krankheit, die nicht heilbar ist. Das ist unser Ziel.
({5})
Wenn Sie in dieser Frage nur ein bisschen nationales Verantwortungsbewusstsein hätten,
({6})
dann würden Sie ein solches Thema, über das wir seit anderthalb Jahren gemeinsam diskutieren
({7})
und bei dem es zwischen uns keine unbeantworteten Fragen gibt,
({8})
zum jetzigen Zeitpunkt - man muss sich fragen, warum Sie
das gerade jetzt tun - nicht hochziehen. Sie wollen damit
nur von Ihren innerparteilichen Schwierigkeiten ablenken
({9})
sowie die Menschen in diesem Land verunsichern und ihnen Angst und Bange machen, um eine Diskussion anzuzetteln.
({10})
Als hätte es irgendwem in diesem Land genutzt, wenn
Herr Luther, Frau Schmidt, Herr Küster - oder wer auch
immer - etwas mehr wüssten.
({11})
Wir haben internationale Kontakte und tun das, was auch
andere Länder tun:
({12})
Wir tun alles, um unsere Bevölkerung zu schützen. Das ist
das Entscheidende. Deshalb war es richtig, dass wir den
Impfstoff geordert haben. Wir setzen alles daran, dass im
Falle eines Falles - wir hoffen, dass er niemals eintreten
wird - die Menschen in diesem Land durch entsprechende
Impfungen geschützt sind und dass keine Gefahren entstehen. Daran sollten Sie mitarbeiten und dafür sollten Sie
uns dankbar sein.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN - Andreas Storm [CDU/CSU]:
Büttenrede! - Dr. Uwe Küster [SPD]: Sehr verantwortungsvoll! - Silke Stokar von Neuforn
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lieber Büttenrede als Kriegstreiberrede!
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Max Stadler, FDPFraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Frau Ministerin, ich finde, Sie haben am Thema
vorbeigeredet.
({0})
Es geht doch nicht darum, ob die Beschaffung von Impfstoffen richtig war, sondern um die Informationspolitik
der Bundesregierung.
({1})
Die Bundesregierung muss sich fragen lassen, warum sie
die Bedrohung durch Pockenviren einmal als massiv darstellt, ein anderes Mal aber lediglich als abstrakte Gefährdung.
({2})
Nicht die Beschaffungsaktion wird von uns kritisiert, sondern die unterschiedliche Tendenz in der Darstellung der
Gefahr.
({3})
In dem Vermerk für den Haushaltsausschuss, der öffentlich bekannt geworden ist, als es also um die Bewilligung von Haushaltsmitteln ging, war von einer akuten
Verschärfung der Gefährdungslage, von der Befürchtung,
dass der Irak „mit den ihm zur Verfügung stehenden biologischen Kampfstoffen, also auch Pockenviren“ reagieren werde, die Rede. Heute wird dies deutlich relativiert.
Das passt nicht zusammen. Entweder ist einmal übertrieben worden oder die Gefahr wird jetzt untertrieben.
({4})
Wir haben vorhin in der Fragestunde erlebt, dass die
Staatssekretärin Caspers-Merk angekündigt hat, künftig
werde das Parlament nur noch restriktiver und zurückhaltender informiert. Das ist natürlich genau der falsche Weg.
({5})
Nur, wie von Guido Westerwelle gefordert, die Offenlegung aller Fakten, auch der Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes, ist der einzig richtige Weg.
({6})
Nur wenn Sie die Bevölkerung offensiv informieren, werden Sie auch Ängsten vorbeugen. Deshalb hat die „Frankfurter Rundschau“ der Bundesregierung in ihrem gestrigen Kommentar, in dem - das räume ich ein - durchaus
auch die Opposition mit Kritik bedacht worden ist,
({7})
zutreffend vorgehalten:
Mit ihrem Informationsdesaster hat sie aber einen
großen Anteil an der unangebrachten Hysterie zu
verantworten.
({8})
Über den konkreten Einzelfall hinaus wirft dieser Vorgang in Wahrheit eine zentrale Frage einer Demokratie
auf: Wie und in welchem Umfang muss eine Regierung in
Krisenzeiten Parlament und Bevölkerung informieren?
Auch uns ist klar: Es darf keine unnötige Panik erzeugt
werden. Selbstverständlich gibt es Erkenntnisse, die aus
militärischen, geheimdienstlichen oder polizeilichen Erwägungen geheim bleiben müssen.
Aber die Demokratie lebt vom öffentlichen Diskurs
über die maßgeblichen politischen Themen. Ein solcher
Diskurs setzt, um ein berühmtes Buch von Karl Steinbuch
zu zitieren, „Die informierte Gesellschaft“ voraus. Deswegen gilt: So viel Information wie möglich, sowohl für
das Parlament als auch für die Öffentlichkeit.
Im konkreten Fall Irak ist seit langem bekannt, dass
dieser Staat Kamelpockenviren hatte, die für Menschen
ungefährlich sind. Denkbar ist aber, dass sie als Modell
für die Produktion von Pockenviren dienen, die auch als
biologische Waffen gegen Menschen eingesetzt werden
können. Deswegen ist es für die öffentliche Meinungsbildung von zentraler Bedeutung, das konkrete Ausmaß der
Bedrohung genau zu kennen.
({9})
Daher reichen auch vertrauliche Unterrichtungen von einzelnen Parlamentariern oder von Parlamentsausschüssen
nicht aus.
Übrigens war es gerade ein Versprechen der rot-grünen
Regierung und der rot-grünen Koalition, für größtmögliche Transparenz einzutreten.
({10})
In der Koalitionsvereinbarung wird zum Beispiel ein Informationsfreiheitsgesetz versprochen, das - ich zitiere
wörtlich - „dem Grundsatz des freien Zugangs zu öffentlichen Daten und Akten Geltung verschafft“.
({11})
Insbesondere die Grünen haben die Forderung nach einem Informationsfreiheitsgesetz in ihr Grundsatzprogramm vom 17. März 2002 aufgenommen. Als dieses Gesetz in der letzten Legislaturperiode an der SPD
gescheitert war, wurde dies von den Grünen als ein - ich
zitiere eine Pressemitteilung der Grünen - „Rückschlag
für Demokratie und Transparenz“ bewertet.
({12})
Akteneinsichtsrechte seien mittlerweile Standard in der
demokratischen Gesellschaft. Das muss dann aber auch in
Krisensituationen gelten.
({13})
Nach dem angeführten Gesetzentwurf soll das Recht
auf Informationszugang freilich nicht bestehen, wenn der
Akteninhalt dem Wohle des Staates schwerwiegende
Nachteile bereitet. Ich behaupte: In Bezug auf den Fall,
um den es heute geht, liegt der schwerwiegende Nachteil
nicht in der Information der Bevölkerung, sondern im
Verschweigen dieser Information.
({14})
Meine letzte Bemerkung ist losgelöst von diesem konkreten Fall und - ich betone dies ausdrücklich - gilt allgemein. In Zeiten wie diesen wird oft ein berühmtes Wort aus
der Antike zitiert, nämlich der Satz Aischylos’: Das erste
Opfer eines jeden Krieges ist die Wahrheit. In Kurzform:
Die Wahrheit stirbt im Krieg zuerst. Über eines sollten wir
uns alle in diesem Haus einig sein: Es darf nie die Situation
eintreten, dass schon vor dem Krieg die Wahrheit stirbt.
({15})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Selg, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zu Ihnen wissen wir, was Informationspolitik ist.
({0})
Bei uns besteht sie aus Sachpolitik und nicht aus irgendwelchen demagogischen Phrasen.
Die von der Opposition jetzt losgetretene Diskussion um
das von Pockenviren ausgehende Gefahrenpotenzial ist ein
Akt größtmöglicher politischer Verantwortungslosigkeit.
({1})
Ohne jegliche Not wird von der Opposition medienwirksam ein Schmierentheater initiiert.
({2})
Das wird letztlich nur dazu führen, dass die Bürgerinnen
und Bürger unseres Landes grundlos verunsichert und
überflüssige Ängste geschürt werden.
({3})
Was soll diese Spekulation über angebliches Geheimwissen der Regierung über geplante terroristische Anschläge mit Pockenviren? Dafür fehlt jegliche Grundlage.
Wir führen hier eine absolute Geisterdiskussion.
({4})
Das Argument der Opposition lautet ungefähr so: Einerseits sagt die Regierung, es gebe keine Gefahr, andererseits bestellt sie größtmögliche Mengen Pockenimpfstoff;
also muss es ja eine Gefahr geben. Bei allem Respekt, was
ist denn das für eine Logik? Verzichten Sie bei Ihrem
Haus etwa auf eine Brandschutzversicherung, nur weil
gerade niemand mit Streichhölzern am Vorhang zündelt?
Anders gefragt: Folgt aus der Tatsache, dass Sie heute Ihr
Haus versichern, dass Ihnen morgen die Bude abbrennt?
Natürlich nicht. Die Gefahr, dass Ihnen das Haus niederbrennt, ist zwar prinzipiell gegeben, tritt aber nur mit geringer Wahrscheinlichkeit ein. Nichts anderes tut die Bundesregierung im Moment: Sie versichert die Bevölkerung
der Bundesrepublik gegen die abstrakte Gefahr eines Anschlages mit Pockenviren. Sie hat den Impfstoff beschafft,
um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein.
Dies geschah übrigens in völligem Einklang mit den
Ländern. Bereits nach dem 11. September haben gerade der
bayerische Gesundheitsminister Eberhard Sinner und vor
allem Ihr geschätzter Herr Koch die Auffassung vertreten,
es wäre fahrlässig und gefährlich, jetzt nicht zu reagieren.
({5})
Heute weiß man angeblich nichts mehr davon.
Momentan kann niemand völlig ausschließen, dass es irgendwo auf der Welt Pockenviren gibt und dass sie in
falsche Hände geraten könnten. Es könnte durchaus möglich sein, dass auch Staaten wie der Irak oder Nordkorea im
Besitz solcher Viren sind. Das sind aber nur Möglichkeiten.
Das heißt noch lange nicht, dass dies auch wirklich so ist.
Um es noch einmal mit aller Deutlichkeit zu sagen: Wir
haben keine Kenntnis von einer akuten Bedrohungssituation. Nichts anderes hat Frau Ministerin Schmidt schon in
der Sitzung des Haushaltsausschusses am 13. November
klipp und klar gesagt.
({6})
- Der Vermerk - das wurde in dieser Sitzung des Haushaltsausschusses auch gesagt - ({7})
- Fragen Sie sich das einmal selber. Die Meldung der
„FAZ“ wird heute von der Opposition als Beweis für
das angebliche Geheimwissen der Regierung missbraucht.
({8})
Vorgestern wurde genau die Bewertung, welche die
Ministerin im Haushaltsausschuss vorgenommen hat, von
einer Sprecherin des Ministeriums erneut vorgetragen.
Die Rede war auch hier nur von einer abstrakten Gefahrenlage. Es wurde unmissverständlich klargestellt, dass es
keine Erkenntnisse über biologische Kampfstoffe im Irak
oder Hinweise für eine konkrete Bedrohung durch
Pockenviren gibt. Ich frage mich: Was will die Opposition
eigentlich?
({9})
Die Aussagen der Ministerin und von Vertretern des
Ministeriums sind eindeutig: Es gibt keinen konkreten
Anlass zur Beunruhigung. Nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden war und ist ein Anschlag mit Pockenviren
weiterhin eher unwahrscheinlich.
({10})
Diese klaren Aussagen sollte die Opposition endlich akzeptieren.
({11})
Hören Sie auf mit Ihren kleinkarierten Wortklaubereien!
Alles andere wirkt zunehmend lächerlich.
Auf einer Ministerpräsidentenkonferenz, die kurz vor
Weihnachten gemeinsam mit dem Bundeskanzler stattfand, wurde über das Problem der Beschaffung ausreichender Mengen Impfstoffes und dessen Finanzierung erneut geredet. Man vereinbarte einvernehmlich - auch Ihre
Ministerpräsidenten waren dabei -,
({12})
dass von der Bundesregierung unverzüglich 100 Millionen Chargen beschafft werden, um im Ernstfall den bislang nicht gewährleisteten Vollschutz der Bevölkerung sicherstellen zu können.
Deshalb appelliere ich an Sie: Hören Sie endlich auf,
mit billiger Effekthascherei Stimmung machen zu wollen!
Hören Sie auf, bei der Bevölkerung unnötigerweise Angst
zu schüren!
Danke.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Bosbach,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin, Max Stadler hat Recht: Das war
eine fulminant vorgetragene Rede. Sie hatte nur den entscheidenden Nachteil, mit dem Thema des Nachmittags
nichts zu tun zu haben.
({0})
Es geht nicht um die Frage: War es richtig oder war es
falsch, Impfdosen anzuschaffen?
({1})
Die Frage ist vielmehr, ob diese Bundesregierung das tut,
was sie tun müsste, nämlich die Bevölkerung zeitnah, umfassend und wahrhaftig über die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus zu informieren. Wir haben begründete und erhebliche Zweifel daran, dass diese
Regierung das tut.
({2})
Der Vorwurf der Panikmache
({3})
ist geradezu absurd. Er ist aber nicht nur absurd, er ist paradox; denn Sie fallen in Ohnmacht und werfen uns Panikmache vor, wenn wir wortwörtlich aus regierungsamtlichen Dokumenten zitieren. Sie warnen ja vor Ihrer
eigenen Regierung!
({4})
Möglicherweise haben Sie damit sogar Recht. Möglicherweise ist diese Warnung vor Ihrer Regierung sogar richtig.
({5})
Wir sprechen hier nicht über Mutmaßungen und Einschätzungen, sondern wir sprechen über Tatsachenbehauptungen.
({6})
Hartmut Koschyk hat das richtig zitiert. In einem regierungsamtlichen Dokument vom 9. August heißt es: „Den
deutschen Sicherheitsdiensten liegen dokumentierte Erkenntnisse vor, dass Pockenerreger außerhalb der offiziellen Labore ... gelagert werden. Als möglicher Standort
wird der Irak genannt.“ Gibt es diese dokumentierten Ergebnisse oder gibt es sie nicht?
({7})
Entweder es gibt sie oder es gibt sie nicht. Nur eines von
beiden ist möglich. Diese Regierung verweigert standhaft
die Beantwortung der Frage, ob diese Behauptung richtig
ist oder falsch ist.
({8})
Ich zitiere wieder aus dem Schreiben vom 9. August:
„Ebenso gibt es Hinweise darauf, dass sich Terrorgruppen
um die Herstellung biologischer Kampfstoffe bemühen.“
Gibt es diese Hinweise oder gibt es sie nicht?
({9})
Es kann nicht beides gleichzeitig richtig sein.
Ist die Darstellung der Gefahrenlage durch die Bundesgesundheitsministerin richtig oder ist sie falsch? Sagt
Frau Schmidt die Wahrheit oder sagt Herr Schily die
Wahrheit?
({10})
Jedenfalls können nicht beide gleichzeitig Recht haben.
({11})
Herr Schily sagt: Wir haben keine Erkenntnisse darüber,
dass der Irak über Lager mit Pockenviren verfügt. Das ist
ziemlich präzise das Gegenteil von dem, was die Bundesgesundheitsministerin zumindest in der Vergangenheit
behauptet hat.
Das Entscheidende ist doch wohl eine einheitliche Bedrohungsanalyse durch die Bundesregierung. Es kann
nicht sein, dass verschiedene Ministerien unterschiedliche Bedrohungsanalysen vornehmen und die Bundesregierung insgesamt die Bevölkerung im Hinblick auf die
Frage: Wie groß ist eigentlich die Gefahr durch den internationalen Terrorismus?, ratlos lässt.
Diese einheitliche Bedrohungsanalyse wurde für mich
erkennbar erstmals gestern in der „Bild“-Zeitung unter
der Überschrift „Jetzt reden die Minister“ vorgenommen.
Dass die einheitliche Bedrohungsanalyse in der „Bild“Zeitung vorgenommen wird, und zwar zur Vorbereitung
auf diese Aktuelle Stunde,
({12})
ist eher besorgniserregend als beruhigend.
({13})
Wir haben in dieser Debatte, insbesondere bei dem,
was Max Stadler Ihnen völlig zutreffend vorgehalten hat,
auf die eigentlich entscheidenden Fragen bis jetzt überhaupt keine Antwort bekommen.
Frau Caspers-Merk, es hat mir gefallen, dass Sie die
Sprachbilder „abstrakte Gefahr“ und „konkrete Gefahr“
benutzt haben und ein Beispiel aus dem Bereich Feuerschutz angeführt haben. Sie haben sinngemäß - nicht
wortwörtlich - gesagt: Bei der abstrakten Gefahr gilt: Wir
wissen nicht, ob es brennt. Wir hoffen, dass es nicht
brennt. Wir gehen davon aus, dass es nicht brennt, aber
wir kaufen uns mal einen Feuerlöscher. - Richtig so! Zur
konkreten Gefahr haben Sie gesagt: Es ist ein Brandstifter unterwegs.
Den eigentlich entscheidenden Punkt haben Sie dabei
unterschlagen. Einmal Folgendes unterstellt: Es gibt einen Brandstifter, der schon Hundertausende auf dem Gewissen hat. Wir wissen, dass er Feuerzeuge hat. Wir wissen, dass er Brandbeschleuniger hat. Wir wissen, dass die
Weltgemeinschaft ihn aufgefordert hat, den Nachweis
dafür zu erbringen, dass er diese Mittel vernichtet hat.
({14})
Wir wissen auch, dass dieser Nachweis bis heute nicht geführt worden ist. Die Frage ist dann: Ist das eine abstrakte
Gefahr oder ist das eine konkrete Gefahr? Auf die Beantwortung dieser Frage bin ich gespannt.
({15})
Kommen Sie jetzt nicht auf die Idee, zu sagen, dass der
Vermerk vom 9. August das Werk übermotivierter Mitarbeiter im Bundesgesundheitsministerium gewesen ist.
Diese Ausrede kennen wir aus dem Verfahren zum Verbot
der NPD. Sie war damals nicht tauglich und sie ist es
heute nicht. Die politische Verantwortung tragen die beiden Minister und sie werden ihr erkennbar nicht gerecht.
({16})
Nächster Redner ist der Kollege Karsten Schönfeld,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist das Recht der Opposition, in Fragestunden die Bundesregierung über bestimmte Sachverhalte zu befragen, wie
es eben auch zu dem Problem der Pockenviren geschehen
ist. Aber, meine Damen und Herren, es ist durchsichtig
und scheinheilig, was Sie hier veranstalten und welchen
Popanz Sie aufführen. Nichts anderes geschieht auch in
dieser Aktuellen Stunde; wir haben es jetzt wieder bei den
drei Oppositionsrednern, die bisher gesprochen haben, erlebt.
Herr Kollege Bosbach, Sie haben uns gerade gesagt,
dass Sie Ihre Erkenntnisse offensichtlich aus der „Bild“Zeitung beziehen.
({0})
Sie sollten sich auf Dinge konzentrieren, die den Tatsachen entsprechen, und nicht auf diese Art und Weise vorgehen. Sie entlarven sich ja selbst. Es ist absurd, was hier
immer wieder behauptet wird.
In der „Süddeutschen“ von heute lesen wir:
Erst die Pockenviren, jetzt Langstrecken-Raketen,
morgen vielleicht ein ganzes Atomwaffenarsenal …
Was Sie hier veranstalten, ist Panik- und Angstmache. Das
widert einen wirklich an. Anders kann ich das nicht bezeichnen.
({1})
Die entscheidende Frage ist doch: Können die Menschen in Deutschland sicher sein, dass alles getan wird,
um sie vor einem möglichen Pockenvirenangriff zu schützen? Hier lautet die klare Antwort: Es wird von der Bundesregierung alles getan. Hier hilft kein Reden, hier hilft
nur, entsprechende Impfdosen anzuschaffen. Das passiert.
Es wäre gut, wenn Sie sich hier nicht nur darauf zurückziehen würden, uns zu kritisieren, sondern vielleicht
auch einmal Ihre Stimme in Richtung der Länder erheben
würden, die nur die kleinkarierte Diskussion darüber
führen, wer das am Ende alles bezahlen soll. So heißt es
dort: Der Ernstfall hat etwas mit Krieg zu tun, das ist Zivilschutz und damit Bundessache. Wir sind dagegen der
Meinung, Pockenschutz ist auch Katastrophenschutz.
Hier sind also die Länder mit im Boot. Ich richte die herzliche Bitte in Richtung Opposition: Sprechen Sie mit den
von Ihnen regierten Ländern und fordern Sie sie auf, sich
an der Finanzierung zu beteiligen. Bis heute ist alles vom
Bund bezahlt worden.
({2})
Es ist erstaunlich: Erst wollen Sie, meine Damen und
Herren von der CDU/CSU, wissen, warum die für den
Katastrophenschutz zuständigen Länder angeblich zu spät
informiert wurden. Wenn es dann aber konkret wird und
um die Finanzen geht, möchten die Ländervertreter am
liebsten gar nichts mehr von einer Bedrohung hören. Da
ist dann zu hören: Ist überhaupt so schnell so viel nötig?
Hier besteht doch, wie ich denke, ein großer Widerspruch.
({3})
In Sachen Pockenviren gibt es keinen Grund, eine solche Panik zu schüren, wie Sie sie in den letzten Tagen zu
schüren versucht haben. Wir laden Sie ein: Kommen Sie
mit, unterstützen Sie uns bei der Information der Öffentlichkeit!
({4})
Hören Sie endlich mit der Verunsicherungskampagne auf,
die Sie betreiben! Es wäre schön, wenn auch Sie zu dieser Einsicht kämen und endlich auf den Boden der Tatsachen zurückkehrten.
Vielen Dank.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Friedbert Pflüger,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Erlauben Sie mir aus gegebenem Anlass eine
kurze Vorbemerkung. Wir hatten am vergangenen Montag
einen EU-Gipfel, auf dem eine eindrucksvolle Erklärung
abgegeben wurde, der wir in allen Teilen zustimmen.
({0})
In dieser Erklärung wird für den Frieden geworben. Dort
steht, man wolle versuchen, den Irak friedlich zu entwaffnen. Dort steht allerdings auch, dass vom Irak und seinen
Massenvernichtungswaffen die eigentliche Bedrohung
ausgehe.
({1})
In diesem Papier der Europäischen Union steht, dass der
Irak besser kooperieren müsse und dass er jetzt eine letzte
Chance habe, sofort und vollständig abzurüsten. Dann
heißt es dort: Krieg als ein letztes Mittel zur Durchsetzung
der Entwaffnung wird nicht ausgeschlossen.
Meine Damen und Herren, all dies steht im Zusammenhang: der Versuch, den Frieden zu erreichen mit allen
möglichen Mitteln, aber, um die Arbeit der Inspektoren
durchführen zu können, auch die Drohung mit militärischer Gewalt. Wenn die Bundesregierung das bereits im
Sommer gesagt hätte, dann hätten wir nie eine Störung des
Grundkonsenses in außenpolitischen Fragen in unserem
Land gehabt.
({2})
Bedauerlich ist nur, dass, wie man heute Morgen in den
Nachrichtenagenturen liest, der Herr Bundeskanzler die
Androhung der Gewalt als letztes Mittel in dieser Erklärung
nur als eine generelle und abstrakte Erklärung bezeichnet.
({3})
Wie europafähig ist eigentlich eine Bundesregierung,
die zu einem Sondergipfel fährt, über Stunden mit allen
europäischen Staats- und Regierungschefs eine Erklärung
vereinbart, nach Hause fährt und sagt, dass dieser Teil
aber nur abstrakt gemeint sei? So kann man in Europa
nicht Politik machen.
({4})
Aus solchen Äußerungen ergibt sich für die Europäische
Union schwerer Schaden.
({5})
Meine Damen und Herren, hier ist mehrfach angesprochen worden, dass nur Angst- und Panikmache erfolge.
({6})
Ich kann nur sagen: Die Papiere, die wir zitiert haben, sind
keine Papiere von George Bush, auch nicht von der
CDU/CSU-Opposition, sondern Papiere aus Ihrem Haus.
Wenn Panikmache erfolgt ist,
({7})
dann aus dem Gesundheitsministerium und von Ihrer
Ministerin; von niemandem anders.
({8})
Es geht nicht um Panikmache und Hysterie.
({9})
Man darf in der Tat nicht mit solchen schrecklichen Dingen wie Pockenviren und Massenvernichtungswaffen Panik und Hysterie erzeugen.
({10})
Aber man darf ebenfalls nicht - darum geht es uns - verharmlosen und vernebeln. Sie vernebeln und verharmlosen die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen.
({11})
Zum Thema der Pocken ist von den Kollegen Koschyk
und Bosbach bereits das meiste gesagt worden.
({12})
Der amerikanische Außenminister Powell hat vor der
Weltöffentlichkeit einen sehr eindrucksvollen Vortrag gehalten - jedenfalls habe ich ihn als eindrucksvoll empfunden - und mitgeteilt, wie sich die Bedrohungslage
wirklich darstellt. Der Herr Bundesaußenminister Fischer
hat das mit den Worten kommentiert: Das ist doch nichts
Neues, das wissen wir schon aus eigenen Erkenntnissen.
({13})
Wir hätten gerne, dass die Bundesregierung einmal nicht
verharmlost, nicht mit einem Nebensatz, wie in der letzten
Regierungserklärung des Bundeskanzlers, das Thema Massenvernichtungswaffen behandelt, sondern dass sie das,
was Herr Powell sagt, in groben Zügen unter Berufung auf
das, was deutsche Quellen erforscht und erarbeitet haben,
der deutschen Öffentlichkeit übermittelt. Darauf hat die
deutsche Öffentlichkeit ein Recht. Sie hat ein Recht darauf,
zu erfahren, wie die Bundesregierung diese Bedrohung einschätzt. Die Bundesregierung sollte nicht so tun, als ob die
Frage der Massenvernichtungswaffen ein Hirngespinst von
George Bush sei. Das ist nämlich nicht der Fall.
({14})
Es ist Hans Blix und nicht George Bush, der am 27. Januar vor dem UNO-Sicherheitsrat gesagt hat, dass es
nachhaltige Hinweise darauf gebe, dass der Irak mehr
Anthrax produziert habe, als er gegenüber den UN-Inspektoren angegeben habe. Einiges davon habe er versteckt. Zudem habe der Irak 650 Kilogramm Nährmittel
zur Herstellung von Milzbrandbakterien nicht deklariert.
Blix sagte dann wörtlich:
Ich stelle fest, dass die Menge der fraglichen Nährmittel ausreichend wäre, um beispielsweise circa 5 000 Liter konzentriertes Anthrax herzustellen.
({15})
Das ist keine kleine Menge. Mit dieser Menge kann man
Millionen von Menschen umbringen.
({16})
Ich sage Ihnen: Die große Bedrohung der Zukunft ist
die Verbindung von Terrorismus und Massenvernichtungswaffen. Meine Fraktion will sich später nicht vorwerfen lassen - wir wollen alle hoffen und beten, dass es
niemals zu solchen Anschlägen kommt -: Ihr habt doch
alles gewusst, ihr habt den Zugang zu den Dokumenten
gehabt und seid gebrieft worden.
Herr Kollege Pflüger, Sie müssen zum Ende kommen.
({0})
Aber ihr habt es vorgezogen, einfach nur Bekenntnisse
zum Frieden in die Welt zu setzen und nichts konkret gegen diese fundamentale Bedrohung und Herausforderung
zu unternehmen.
Vielen Dank.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Silke Stokar von
Neuforn, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der
Rede von Herrn Pflüger ist mir deutlich geworden, dass
das Thema dieser Aktuellen Stunde zwar ein ernstes Anliegen der CDU/CSU ist, dass sie aber offensichtlich nach
wie vor ein großes Problem damit hat. Es geht hier nämlich nicht um Vermerke aus Ministerien.
({0})
Es geht hier auch nicht um Informationspolitik.
({1})
Mir ist jetzt sehr deutlich geworden - dafür bin ich Herrn
Pflüger dankbar -, dass Sie seit Tagen versuchen, den
Beweis zu führen, dass eine akute Gefahr vom Irak ausgeht.
({2})
Ihre Spitze hat bis heute keine Antwort auf die erfolgreichen Friedensbemühungen der rot-grünen Bundesregierung gefunden.
({3})
Sie haben auch noch keine Antwort auf die gemeinsame
Erklärung der EU-Staaten gefunden.
({4})
Es geht Ihnen hier weder um Innenpolitik noch um Gesundheitspolitik, sondern es geht Ihnen darum, mit der
amerikanischen Regierung gegen den Irak Krieg zu führen.
({5})
Sie trauen sich aber nicht, dies zu sagen. An den unterschiedlichen Redebeiträgen wird deutlich, dass Sie sich
uneins sind.
({6})
Sie trauen sich nach wie vor nicht, die Position, die Herr
Pflüger dargelegt hat, offen zu vertreten.
({7})
Sie suchen verzweifelt nach einem Rechtfertigungsgrund für einen Militärschlag gegen den Irak.
({8})
Der friedlichen Stimmung in unserer Bevölkerung setzen
Sie eine Angstkampagne mit Pockenviren entgegen.
({9})
Ich nenne dies psychologische Kriegsführung.
({10})
Ich bin sehr froh, dass diese rot-grüne Bundesregierung am 22. September gerade in diesen schwierigen innen- und außenpolitischen Zeiten das Vertrauen der Bevölkerung erneut bekommen hat. Sie hat dieses Vertrauen
bekommen, weil die Bevölkerung nicht möchte, dass Innenpolitik mit Hysterie gemacht wird und dass mit Fiktionen gearbeitet wird.
Wenn man den Pressespiegel gelesen hat, dann kann
man es nur für absurd halten, wie innerhalb weniger Tage
einzelne Politiker aus Ihren Reihen, insbesondere Herr
Westerwelle, zu selbst ernannten Pockenvirenspezialisten
geworden sind, die meinen, dass sie mehr wissen als die
Experten des Robert-Koch-Instituts und der neu eingerichteten Akademie für Krisenmanagement.
({11})
Dort gibt es den Sachverstand, auf den sich die rot-grüne
Bundesregierung stützt. Sie aber ignorieren diesen Sachverstand, weil Sie eine andere Stimmung in der Bevölkerung produzieren wollen. Sie wollen den großen Friedensdemonstrationen etwas entgegensetzen. Sie brauchen
eine Gesellschaft in Angst, damit Sie sich als Problemlöser anbieten können. Ihre Motivation ist mir hier deutlich geworden.
({12})
Sie alle hätten schon vor dem 11. September die Möglichkeit gehabt, das zur Kenntnis zu nehmen.
({13})
Auf einer Innenministerkonferenz wurde einstimmig, unter Zustimmung aller Länder - auch der CDU- und der
CSU-regierten Länder, also auch Bayerns -, eine neue
Strategie zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland
entwickelt. Wir haben im Bereich des Zivil- und Katastrophenschutzes einmütig Entscheidungen getroffen.
Nun tun Sie hier so, als seien Sie daran nicht beteiligt
gewesen und als seien Sie nicht darüber informiert worden.
Ich glaube, dass die Bevölkerung am 22. September
2002 ein richtiges Gefühl hatte. Es war richtig, dieser
Bundesregierung das Vertrauen auszusprechen.
({14})
Wir stehen für zwei Dinge: für eine Friedenspolitik in
Europa und für eine Innenpolitik mit Augenmaß,
({15})
bei der wir das zum Schutz der Bevölkerung Notwendige
und Erforderliche tun, es aber ablehnen, mit Panik Stimmung zu machen.
Danke schön.
({16})
Nächster Redner ist der Kollege Andreas Storm,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin Schmidt, Sie
haben vorhin von einem Tollhaus gesprochen. Das trifft
mit Blick auf die Informationspolitik auf Ihr Bundesministerium und, wenn ich an die letzte Rede denke, ein
Stück weit auf die grüne Bundestagsfraktion zu.
({0})
Bei dieser Debatte geht es einzig und allein um die Informationspolitik oder, besser gesagt, um die Desinformationspolitik der Bundesregierung in diesem Zusammenhang.
({1})
Kein vernünftig denkender Mensch wird die Notwendigkeit von Pockenschutzmaßnahmen leugnen. Der Ausgangspunkt dieser Debatte ist der Vermerk des Gesundheitsministeriums vom 9. August des vergangenen Jahres.
Der Kollege Bosbach und der Kollege Koschyk haben aus
einer Stelle, die die Überschrift „Wahrscheinlichkeit eines
Angriffs“ trägt, zitiert. Dort, wo es um dokumentierte Erkenntnisse geht, heißt es weiter - ich zitiere wörtlich -:
Die Anzeichen für einen möglicherweise kurzfristig
bevorstehenden Angriff der USA auf den Irak verdichten sich. Es steht zu befürchten, daß der Irak in
einem solchen Falle mit den ihm zur Verfügung stehenden biologischen Kampfstoffen, also auch Pockenviren, reagiert.
Das ist nicht von irgendeiner nicht amtlichen Organisation, sondern steht in einem Vermerk des Bundesgesundheitsministeriums.
Es heißt dort weiter, dass im Falle eines solchen Angriffs und wenn kein zusätzlicher Impfstoff angeschafft
werde, mit 30 bis 40 Prozent Todesfällen, also mit etwa
25 Millionen Toten, zu rechnen sei.
Nun hat der Sprecher des Gesundheitsministeriums zu
diesen Opferzahlen wörtlich erklärt: Das war etwas zugespitzt; ich bedauere das.
({2})
Uns haben alle Fachleute gesagt: Ohne einen umfassenden Impfschutz ist diese Beschreibung ein realistisches
Szenario. Genau deswegen dringen alle Gesundheitspolitiker darauf, diesen Impfstoff so schnell wie möglich zu
beschaffen.
({3})
Meine Damen und Herren, dieser Vermerk war nicht irgendein interner Vermerk. Denn das Bundesinnenministerium hat diese Einschätzung im August 2002 geteilt
und unverändert an das Bundesfinanzministerium weitergeleitet.
({4})
Frau Ministerin, Sie selbst haben bereits im Mai des vergangenen Jahres auf der Jahrestagung der WHO in Genf
erklärt, es müssten vorsorglich Impfstoffe für alle Menschen in Deutschland angeschafft werden. Auch da hat
das Stichwort Irak eine Rolle gespielt.
Es ist die Frage, welche Bedrohungslage die Regierung
denn nun wirklich sieht. Vorhin in der Fragestunde hat der
Kollege Schmidbauer aus einem Bericht des Bundeswehrbeschaffungsamtes in Köln vom 6. September zitiert.
Ich beziehe mich darauf noch einmal auszugsweise. Da
heißt es, es lägen geheime Informationen vor, wonach die
sofortige Beschaffung des Impfstoffes ohne Rücksicht auf
die Rechtslage zu fordern sei. Weitere Einzelheiten könne
die betreffende Stelle aufgrund der Geheimhaltungsverpflichtung nicht mitteilen.
({5})
Auch das zitiere ich aus einer Vorlage, die sowohl dem
Bundesinnenministerium als auch dem Bundesgesundheitsministerium vorgelegen hat.
Wenn das, was darin steht, richtig ist, dann wollen wir
wissen, was Sache ist. Die Desinformationspolitik des
Gesundheitsministeriums ist das große Problem. Wenn
diese Dinge so brisant sind, wie es in diesem Dokument
dargestellt wird, müsste man sich fragen, weshalb nicht
unverzüglich der Fachausschuss damit konfrontiert
wurde, vielleicht sogar noch vor der Wahl am 22. September. Das hat nicht stattgefunden. Nun könnte man erwarten, dass dieses Thema in einer der ersten Sitzungen
des neuen Gesundheitsausschusses auf die Tagesordnung
gekommen wäre. Das war aber weder im Oktober noch im
November noch im Dezember der Fall, sondern es hat bis
Januar gedauert, bis wir im Gesundheitsausschuss erstmals umfassend über dieses Thema diskutiert haben, fünf
Monate, nachdem dieser Vermerk im Gesundheitsministerium angefertigt worden ist.
Meine Damen und Herren, diese Art der Informationspolitik ist völlig inakzeptabel.
({6})
Deswegen muss man feststellen: Frau Ministerin Schmidt,
Sie haben die Bedrohung durch Pockenviren im Zuge der
Haushaltsberatungen bewusst sehr offensiv dargestellt. Nun
wollen Sie gemeinsam mit Ihrem Kollegen, dem Innenminister, davon nichts mehr wissen und sprechen von einer abstrakten Gefahr, als sei da realistisch überhaupt nichts zu erwarten. Kein Mensch geht davon aus oder würde auch nur
im Traum daran denken, dass wir unmittelbar vor einer solchen Gefährdung stehen. Aber wir als Parlamentarier würden unserer Verantwortung nicht gerecht, wenn wir nicht in
dieser Hinsicht Vorsorge träfen. Deswegen muss die Gefährdungslage deutlich gemacht werden.
({7})
Darauf haben das Parlament und die Öffentlichkeit ein
Anrecht.
({8})
Dieser Verpflichtung sind Sie nicht nachgekommen. Ich
rate Ihnen sehr dringend, Frau Ministerin: Ändern Sie Ihre
Informationspolitik, und zwar umgehend!
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Wolfgang Wodarg,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte erscheint mir nach der langen Befassung in der Fragestunde mit diesem Thema, in der wir
von der Bundesregierung bereits viele Antworten gehört
haben, überflüssig wie ein Kropf.
({0})
Das, was wir hier gehört haben, hat nichts mit dem zu tun,
wofür wir hier sitzen. Wir sitzen hier, um die Bevölkerung
zu schützen. Wir sitzen hier, um die richtigen Maßnahmen
einzuleiten. Ich stelle fest: Diese Bundesregierung hat
rechtzeitig eine gute Analyse des Risikos vorgenommen,
hat die Schwerpunkte notwendiger Maßnahmen identifiziert,
({1})
hat sofort gehandelt und wir sind mit dem, was die Bundesregierung zum Schutze der Bevölkerung gemacht hat,
einverstanden.
({2})
Es gibt keinen Dissens in diesem Hause über die Maßnahmen. Ich halte diese Feststellung für wichtig. Der
Deutsche Bundestag ist einig mit den von der Bundesregierung getroffenen Maßnahmen und er will und muss
der Bevölkerung gemeinsam mit der Regierung klar machen, dass sie sich zu Recht so sicher fühlen kann, wie
man es in der Situation, in der wir uns befinden, nur sein
kann.
({3})
Diese Aussage droht in diesem Hause fast verloren zu gehen, aber das ist es, was die Leute von uns wissen wollen.
Jetzt kommen wir zu unseren Interna. Wir haben hier
darüber gestritten, wer wann welches Papier vorgelegt hat,
({4})
ob die Bundesregierung rechtzeitig gleiche oder widersprüchliche Formulierungen gewählt hat. Das hört sich alles ganz interessant an, und wir verbringen damit jetzt
schon zwei Stunden. Sie sagen, das sei für Sie wichtig,
und beantragen eine Aktuelle Stunde. Ich kann nur sagen:
Ich finde es schade, dass wir auf diese Weise unser Vertrauen verspielen, das wir benötigen und das wir in diesem Fall zu Recht haben.
({5})
Das hat damit zu tun, dass Sie dieses Thema für andere
Zwecke missbrauchen wollen. Meine Vorrednerin von
den Grünen hat sehr schön dargestellt,
({6})
dass Ihre Aktion etwas mit einem anderen Politikfeld zu
tun hat, nämlich mit der Außenpolitik und mit der Haltung
der Bundesregierung in Bezug auf einen möglichen Krieg
im Irak. Sie haben offenbar Schwierigkeiten, in dieser Sache der Bevölkerung die Wahrheit zu sagen.
({7})
Ich glaube, wir müssen uns vorsehen, wir müssen aufpassen, dass wir, wenn wir etwas für die Gesundheit der
Menschen tun wollen, nicht in die Rolle von Ärzten kommen, die sich im Angesicht des Patienten über das Datum
und die Modalitäten ihrer Abrechnungen streiten. Wir erleben solche Aktionen von Ihnen auch in der Gesundheitspolitik: Patienten werden zu Geiseln gemacht. Ich
denke, das dürfen Sie nicht schon wieder tun, schon gar
nicht, wenn es um ein so ernstes Thema geht wie das, welches wir hier heute behandeln.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael Luther,
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Frau Bundesministerin Schmidt, Sie haben mich in Ihrer Rede mehrmals auf den Verlauf der
Haushaltsberatungen angesprochen. Deshalb möchte ich
einiges dazu sagen. Ich beginne mit einem Zitat aus der
„FAZ“:
Das Gesundheitsministerium bestätigte die Existenz
der Vorlage,
- also der Vorlage vom 9. August 2002 wies aber darauf hin, dass man eine drastische Sprache gewählt habe, um im Haushaltsausschuss „zügig
Gelder für Impfstoffe freizubekommen“.
({0})
Ich habe noch nie aus Sprechzetteln zitiert, Frau
Caspers-Merk, aber hier geht es darum: Was hat denn eigentlich der Haushaltsausschuss gewusst und was ist im
Haushaltsausschuss behandelt worden? Deshalb möchte
ich aus dem Sprechzettel, der mir als Berichterstatter vorlag, zitieren.
({1})
- Das ist nicht vertraulich. - In der Begründung des Papiers für die Sitzung des Haushaltsausschusses am
13. November 2002 steht:
Neue Erkenntnisse der Nachrichtendienste über die
Wahrscheinlichkeit eines bioterroristischen Angriffs
mit Pockenviren zwangen angesichts des hohen Gefährdungspotenzials für die Bevölkerung zu sofortigem Handeln.
({2})
Ich möchte daran erinnern: Bei den Beratungen für den
Haushalt 2002, also im November 2001, ist beschlossen
worden, 6 Millionen Dosen Pockenimpfstoff zu bestellen.
Das geschah unter dem Eindruck der Geschehnisse am
11. September 2001. Da konnte man tatsächlich davon
sprechen, dass es eine allgemeine, abstrakte Gefahrensituation gab, die zum Handeln anregte.
Der Genehmigung einer außerplanmäßigen Ausgabe
im August 2002 lagen dann - so die Information des Haushaltsausschusses - neue Erkenntnisse von Nachrichtendiensten über eine besondere Gefahrenlage zugrunde. Das
Papier, das heute mehrfach zitiert wurde und auf das sich
das gründet, was der Haushaltsausschuss dann vorgelegt
bekommen hat, weist nicht nur auf eine allgemeine, sondern auf eine sehr konkrete Gefahr hin. Den Nachrichtendiensten liegen also dokumentierte Erkenntnisse vor, dass
Pockenerreger zum Beispiel im Irak existieren. Das heißt,
der Irak verfügt über biologische Massenvernichtungsmittel.
Ich will es noch einmal festhalten: Diese Vorlage lag
dem Haushaltsausschuss nicht vor. Wenn es nun vonseiten des Gesundheitsministeriums heißt, man habe diese
drastische Sprache gewählt, um im Haushaltsausschuss
zügig Gelder für Impfstoffe freizubekommen, dann muss
man noch einmal den Zeitablauf darstellen: Am 16. August 2002 wurde dem Bundesgesundheitsministerium die
außerplanmäßige Ausgabe durch das Bundesfinanzministerium genehmigt. Der Haushaltsausschuss wurde am
13. November 2002 damit befasst, also einige Monate
später. Es war daher nicht notwendig, für den Haushaltsausschuss diese drastische Sprache zu verwenden. Der
Sachverhalt ist anders: Das Gesundheitsministerium
musste sich gegenüber dem Finanzminister durchsetzen.
Aber bedarf es dafür einer drastischen Sprache? Bislang
ging ich davon aus, dass man sich im Kabinett unter Zustimmung des Bundeskanzlers gemeinsam mit dem Bundesinnenministerium letztendlich entschlossen hat, Pockenimpfstoffe zu bestellen. Also gehe ich davon aus, dass
dieses Papier vom 9. August 2002 richtig ist, nicht übertreibt und der Wahrheit, der tatsächlichen Situation, entspricht.
({3})
Wenn man entsprechend dem, was auch die WTO nach
dem 11. September 2001 empfohlen hatte, eine Vollversorgung der Bevölkerung mit Pockenimpfstoffen hätte
vornehmen wollen, dann hätte man nicht drei Mal den
Haushaltsausschuss damit befassen müssen, nämlich im
November 2001, im November 2002 und im Januar 2003.
Immer wieder kam scheibchenweise noch etwas dazu und
immer wieder wurde es damit begründet, dass es jetzt sofort unbedingt notwendig sei aufgrund neuer Erkenntnisse und was auch immer. Das macht die ganze Sache für
mich sehr unglaubwürdig.
Ich will noch einmal festhalten:
({4})
Ich bin der Meinung, dass die Bundesgesundheitsministerin richtig gehandelt hat. Angesichts der vorliegenden Informationen musste sie auch so handeln. Der Haushaltsausschuss hat diesem außergewöhnlichen Verfahren
richtigerweise zugestimmt, nämlich die Entscheidung
ohne Ausschreibung und ohne vorher den Haushaltsausschuss damit zu befassen, zu treffen. Die Bevölkerung
muss geschützt werden. Deswegen ist die Anschaffung
von Pockenimpfstoffen richtig. Das stellt auch niemand in
diesem Hause infrage.
Warum aber gibt es diesen Kurswechsel der Bundesgesundheitsministerin, die plötzlich die Gefahr herunterspielt?
Ich kann es Ihnen sagen: Im August 2002, kurz vor der Bundestagswahl, wäre es nicht opportun gewesen, wenn diese
Tatsachen an die Öffentlichkeit gelangt wären. Damals
wurde mit einem von den USA inszenierten Krieg gegen
den Irak gedroht, um die Wahl zu gewinnen. So kann man
nicht Politik machen. So zerstört man das Verhältnis zur
UNO, zur EU und zu den Vereinigten Staaten von Amerika.
({5})
Ich fordere Sie auf: Ändern Sie Ihre Politik an dieser
Stelle und informieren Sie die Bevölkerung zukünftig ordentlich!
({6})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau, fraktionslos.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die PDS im Bundestag hält die heute angezettelte Debatte
für höchst verlogen und die Position der CDU/CSU obendrein für kreuzgefährlich.
({0})
Die Frage des Schutzes vor terroristischen Verbrechen
diskutieren wir seit dem 11. September 2001 sehr intensiv, auch die nach biologischen Angriffen im Allgemeinen
und die nach Pockengefahren im Besonderen. Ich habe
mich damals für meine Fraktion im Robert-Koch-Institut
über deren Einschätzung und über Vorsorgemöglichkeiten
informiert. Deshalb halte ich es für richtig, wenn nun vorsorglich Impfstoffe in diesem Umfang bereitstehen. Ich
kann mich erinnern, dass mir der Präsident des RobertKoch-Instituts die Prognose gab, dass man bis zum Beginn des Jahres 2003 so weit sein könnte, diesen Gefahren prophylaktisch zu begegnen.
Allerdings sollten wir uns daran erinnern: Damals war
von Bin Laden und seinem Netzwerk die Rede. Heute dramatisieren CDU/CSU und leider auch die FDP die
Pockenfrage, und zwar im Kontext mit dem Irak, und das,
obwohl es dafür keinerlei Belege gibt.
({1})
Deshalb sage ich Ihnen: Sie instrumentalisieren das
Pockenthema für Ihre Außenpolitik und versuchen, sich
durch Ihre Zustimmung zum Kriegskurs aus der gesellschaftlichen Isolation zu holen. Das ist schäbig und wird
Ihnen auch nicht gelingen.
({2})
Ich möchte an das Kurzzeitgedächtnis der Kolleginnen
und Kollegen von CDU/CSU appellieren. Sie haben im
Sommer Zeter und Mordio geschrieen, als im Bundestagswahlkampf das Thema Krieg und Frieden eine Rolle
spielte. Frau Merkel empörte sich damals und sagte, man
dürfe nicht mit den Ängsten der Menschen spielen. Richtig, aber genau das machen heute CDU/CSU in der aktuellen Pockendebatte. Dasselbe tun Sie übrigens auch bei
anderen brisanten innenpolitischen Themen, zum Beispiel,
wenn es um oder besser gegen Ausländer geht. Es fehlt nur
noch, dass Sie den Papst verteufeln, weil der nicht auf
CDU/CSU-Linie, sondern auf dem Friedenspfad ist.
({3})
Nun noch ein Wort zu Ihnen, liebe Kolleginnen und
Kollegen von Rot-Grün. Seit vorgestern gibt es eine gemeinsame Erklärung der EU zum drohenden Irakkrieg.
Die Opposition zur Rechten spricht von einem Kurswechsel, Kanzler und Außenminister sprechen von einem
guten Kompromiss,
({4})
Diplomaten sprechen vom kleinsten gemeinsamen Nenner.
Das mag sein, aber selbst dieser kleinste gemeinsame
Nenner liegt neben dem Friedensgebot des Grundgesetzes. Er widerspricht der EU-Charta und auch dem Völkerrecht, denn er stellt Krieg in Aussicht. Der Kompromiss
ist folglich nicht gut, sondern faul. Millionen Menschen
haben am vergangenen Wochenende europaweit für etwas
anderes demonstriert. Das möchte ich namens der PDS
klarstellen.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Gerold Reichenbach,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lassen Sie mich vorweg eine persönliche Bemerkung machen. Ich selbst bin Mitglied eines Katastrophenstabes.
({0})
Die Art und Weise, wie die Opposition in diesem Hause
- Ihr Zwischenruf spricht für sich ({1})
mit den Vorbereitungen und der Analyse, die von verantwortlichen Stellen zu verschiedenen Bedrohungsszenarien
vorgenommen wird, und mit der Planung der Gefahrenabwehr umgeht, ist schlicht und einfach steinerweichend.
Wenn ich in meinem Stab wäre, würde ich ein anderes
Wort benutzen, nämlich eines, das mit „K“ anfängt.
Sie betreiben eine systematische Verunsicherung der
Bevölkerung. Nicht die Bundesregierung verunsichert,
sondern Sie. Sie behaupten, es würden Bedrohungsszenarien verschwiegen. Dazu möchte ich mit Genehmigung
der Präsidentin einige Zeitungsausschnitte aus dem vergangenen Jahr zitieren. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schreibt: „Pocken als Waffe“. Die „Welt am Sonntag“ titelte am 13. Oktober 2002: „Deutschland kauft
Pockenimpfstoff“. Die „Frankfurter Rundschau“ schrieb
am 5. November 2002: „Rückkehr zur Pockenschutzimpfung“. Dieses Thema ist also schon fast ein Jahr alt. Nicht
die Lesart des Bedrohungsszenarios in den Ministerien
hat sich geändert, sondern Ihre Interpretation, weil es Ihnen politisch zupass kommt, dies hochzuspielen.
({2})
Sie behaupten, es gebe in dieser Frage keine Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern.
({3})
Sie haben vorhin die unterschiedlichsten Haushaltsansätze genannt. Seit Sommer dieses Jahres wird unter anderem darüber verhandelt, wer die Kosten zu tragen hat.
({4})
- Ja, die gibt es. Aber wir haben die betreffende Behauptung doch nicht aufgestellt, Herr Bosbach. Sie, Herr Kollege Koschyk, haben das vorhin in der Fragestunde als
Anlass Ihrer Frage genommen.
Das Ziel ist erreicht. Es kommt in den Medien so an,
als wäre die Gefahr durch den Einsatz von Pockenviren
oder durch andere Terroranschläge neu. Sie wird hochgespielt. Horrorszenarien können kolportiert werden. Aber
das ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, kein verantwortlicher Bevölkerungsschutz. Bevölkerungsschutz ist eine
nationale Aufgabe, die von allen getragen werden muss.
Dieses Thema ist denkbar ungeeignet, um damit parteipolitische Spielchen zu machen.
({5})
Seit dem Terroranschlag vom 11. September arbeitet
die Bundesregierung systematisch die Aufgaben ab, die
sich aus dieser neuen Bedrohungslage ergeben haben. Das
gilt zum Beispiel für die Bedrohung mit Biowaffen - beispielsweise mit Milzbrand-, Pocken- oder anderen Erregern -, die für einen Terroranschlag verwendet werden
könnten. So haben wir seit September 2001 insgesamt
367 moderne ABC-Erkundungsfahrzeuge - dies sind Fahrzeuge, die zur Erkundung von atomaren, biologischen
und chemischen Gefahrenlagen eingesetzt werden können und diese beseitigen können - an die Länder ausgeliefert. Insgesamt wurden damit 852 Fahrzeuge für den
Katastrophenschutz zusätzlich zur Verfügung gestellt.
({6})
Das gemeinsame Melde- und Lagezentrum von Bund
und Ländern wurde mit den Ländern zusammen aufgebaut. Auch in diesem Bereich gab es eine Abstimmung.
({7})
Das deutsche Notfallinformationssystem ist auf den Weg
gebracht worden. Die Bevorratung mit Pockenimpfstoffen - das wurde schon genannt - läuft bereits seit dem
Jahr 2001. Dies ist in Kooperation mit den Bundesländern
geschehen. Auch sie waren über Ihre Landesregierung von
Anfang an an diesen Sicherheitsentscheidungen beteiligt.
({8})
In die Bedrohungsanalyse wurde natürlich auch die
Möglichkeit einbezogen, dass Biowaffen in die Hände
von Terroristen fallen könnten oder dass Länder wie Irak
oder Nordkorea, von dem heute bezeichnenderweise niemand spricht, darüber verfügen könnten. Das Thema ist
allerdings nicht neu. Darüber wird seit Sommer letzten
Jahres diskutiert. Damals ist, aufbauend auf dem, was wir
im Jahr 2001 veranlasst haben, auch die grundsätzliche
Entscheidung gefallen, im Ernstfall Seren für den Impfschutz der gesamten Bevölkerung bereitzuhalten.
({9})
Das Thema wird von der Union allerdings aufgehübscht
und aufgebauscht; denn sie möchte etwas ganz anderes
erreichen. Das scheint mir durchsichtig zu sein. Seit Wochen versuchen Sie, die Thematik Massenvernichtungswaffen hochzuziehen. Es wird darüber geredet, der BND
habe mögliche Erkenntnisse. Gerade deshalb möchten
wir, dass die Erkenntnisse, die an die UNO-Inspektoren
weitergegeben wurden, weiter überprüft werden und dass
die Inspektoren weiterarbeiten können. Die Union lässt allerdings nichts unversucht, um die Friedenspolitik der Bundesregierung mit Panikmache in Misskredit zu bringen.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wo liegt Ihr Problem?
Liegt es darin, dass sich die Bundesregierung seit dem
11. September systematisch auf mögliche Bedrohungslagen einrichtet? Liegt es darin, dass die Bundesregierung
die Überprüfung der Arsenale und die Entwaffnung
Saddam Husseins durch die UNO-Inspektoren anstrebt
und vorantreiben will? Die Rede von Herrn Pflüger vorhin war verräterisch. Ihr Problem liegt darin, dass Sie in
der deutschen Bevölkerung mit Ihrer positiven Haltung
zum Irakkrieg völlig isoliert sind.
({11})
80 Prozent der Bevölkerung sind auf einer Linie mit der
Bundesregierung.
Herr Kollege, schauen Sie bitte ein wenig auf die Uhr.
Sie wollen eine Entwaffnung mit friedlichen Mitteln.
Die Vermutung liegt nahe, dass die Union versucht, auf
diese Weise aus der Defensive beim Thema Irakkrieg
herauszukommen. Wir haben bisher alles getan, um
Deutschland sicher zu machen, und wir werden dies auch
in Zukunft tun. Dort, wo es um den Schutz der Bevölkerung geht, hat Parteitaktik nichts zu suchen. Wir nehmen
unsere Verantwortung wahr.
({0})
Herr Kollege Reichenbach, ich gratuliere Ihnen sehr
herzlich zu Ihrer ersten Rede in diesem Hohen Hause und
wünsche Ihnen alles Gute.
({0})
Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Peter
Hintze, CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die heutige Fragestunde und auch diese Debatte
sind deutliche Belege dafür, dass innerhalb der Bundesregierung eine ziemliche Konfusion darüber herrscht,
({0})
wie die Bedrohungsanalyse aussieht und - viel schlimmer
und wichtiger - welche Schlüsse man daraus zu ziehen hat.
({1})
Falls wir in der Debatte den Eindruck erweckt haben
sollten, es ginge hier vornehmlich um eine Kritik an der
Bundesgesundheitsministerin,
({2})
dann möchte ich das klarstellen:
({3})
Wir sind der Meinung, dass die Bundesgesundheitsministerin richtig handelt, wenn sie angesichts kritischer Erkenntnisse sagt, dass sie zum Schutz der Bevölkerung vor
gefährlichen Massenvernichtungswaffen Vorsorge trifft.
({4})
Ich glaube auch nicht, dass Otto Schily die richtige
Adresse für die zentrale Kritik des heutigen Nachmittags
ist - er spricht leider erst am Schluss dieser Debatte -;
denn man kann dem Bundesinnenminister nichts vorwerfen, wenn er eine solche Bedrohung erkennt und durch
sein Haus darauf hinweist. Wir kritisieren ein wichtiges
Mitglied der Bundesregierung, das heute leider nicht hier
ist, nämlich den Herrn Bundeskanzler; denn er zieht aus
den Erkenntnissen des Bundesinnenministers, der Bundesgesundheitsministerin und seiner Nachrichtendienste
nicht die notwendigen sicherheitspolitischen Konsequenzen zum Schutz der eigenen Bevölkerung.
({5})
Kollege Bosbach hat hier sehr schön dargelegt,
({6})
dass aus einer abstrakten Bedrohung sehr rasch eine konkrete Bedrohung werden kann.
({7})
Die Staatssekretärin des Bundesgesundheitsministeriums
hat ausgeführt: Wenn man von einem Brandstifter weiß,
muss man Feuerlöscher beschaffen. Ich fände es wesentlich sinnvoller, den Brandstifter präventiv festzusetzen
und sicherzustellen, dass er nichts anzünden kann, was
man hinterher mühsam löschen muss.
({8})
Das ist es doch, was wir in diesen Tagen und Wochen
erleben: Wir erleben einen Bundeskanzler, der diese Erkenntnisse ignoriert, wir erleben Bundesminister, die demonstrieren. Demonstrieren ist das Recht eines jeden
Menschen und auch eines jeden Ministers. Aber ich frage
mich: Ist es Fahrlässigkeit oder Naivität? Massenvernichtungswaffen lassen sich nicht durch eine pazifistische
Ohne-mich-Haltung oder durch Demonstrationen beseitigen. Nur durch die Entschlossenheit der freien Welt
können sie vernichtet werden. Das ist eine wichtige Erkenntnis unserer Geschichte.
({9})
Der Kollege Pflüger ist gerade dafür kritisiert worden,
dass er den europäischen Gipfel angesprochen hat. Dass
Sie sich darüber aufgeregt haben, zeigt Ihre Engstirnigkeit. Wir müssen doch die Zusammenhänge sehen. Solche
Gefahren, seien sie nun potenziell oder konkret
- wir alle hoffen, dass sie nicht konkret werden -, muss
man gemeinsam bannen. Sie lassen sich aber nicht durch
gute Worte, sondern nur durch entschiedene Taten bannen.
({10})
Wie ist denn Afghanistan, wo Frauen unterdrückt und
Menschen gefoltert und ermordet wurden, befreit worden? Wie ist denn dem Balkan die Freiheit gebracht worden? - Nicht durch Demonstrationen oder durch Kritik an
der Opposition, sondern durch die Bereitschaft der Vereinigten Staaten und anderer Völker, ihr Leben dafür einzusetzen, dass Freiheit und Recht in dieser Welt einen
dauerhaften Platz haben!
({11})
Aus diesem Grunde ist es bedauerlich, dass heute Nachmittag der entscheidende Stuhl in diesem Hohen Hause
nicht besetzt ist. Es ist gut - Herr Pflüger hat darauf hin2114
gewiesen und auch ich möchte das unterstreichen -, dass
sich der Bundeskanzler dazu durchgerungen hat, die Erklärung von Brüssel zu unterschreiben. Ich hoffe nur, dass
es nicht eine seiner Finten war, sondern dass dies auch für
die deutsche Haltung im Sicherheitsrat gilt. Wenn wir
aber erkennen müssen, dass Saddam Hussein nicht nachgibt - um in Ihrem Bild zu bleiben: Der Brandstifter plant,
ein Feuer zu legen -, dann stellt sich für uns die Frage:
Was machen wir?
({12})
Kaufen wir einen weiteren Feuerlöscher oder gehen wir,
solange wir noch die Kraft dazu haben, gegen diesen
Menschen vor?
({13})
Deshalb sage ich zum Schluss: Es ist richtig, dass die
Regierung Vorsorge gegen einen möglichen Pockenangriff auf Deutschland trifft. Ich werde mich in fünf oder
zehn Jahren nicht darüber beklagen, dass diese Maßnahme 200 Millionen Euro gekostet hat, wenn der Ernstfall glücklicherweise nicht eingetreten ist. Diese Entscheidungen sind richtig; denn sie entsprechen dem
Schutzauftrag einer Bundesregierung. Das will ich einmal
klar sagen. Wir aber kritisieren die Widersprüche. Den
Kopf in den Sand stecken und sich dann Schnorchel besorgen, damit man atmen kann, ist keine geeignete Politik.
Ich danke Ihnen.
({14})
Das Wort hat der Bundesminister des Innern, Otto
Schily.
({0})
Wenn es noch eines Nachweises bedurft hätte, dass Sie
heute eine ganz andere Debatte als die führen wollen, die
Sie als Thema der Aktuellen Stunde angemeldet haben,
dann war das der Beitrag des Kollegen Hintze.
({0})
Sie wollen eine außenpolitische Debatte führen. Ich empfehle Ihnen, dafür den richtigen Zeitpunkt zu wählen, und
schlage die Kernzeit am Donnerstag vor. Dann werden
wir sehen, wie gewichtig Ihre Argumente sind.
Sie haben eine Aktuelle Stunde zur möglichen Bedrohung durch Pockenviren angemeldet. Nur zu diesem Thema werde ich mich äußern.
Ich will einen Beitrag zur Versachlichung der Debatte
leisten, indem ich zunächst einmal mit Zufriedenheit feststelle, dass eine Bevorratung mit Impfstoffen von allen Seiten des Hauses für sinnvoll gehalten wird. Das ist ein erfreulicher Sachverhalt. Die Bundesregierung hat bereits im
Oktober 2001 mit diesen Maßnahmen begonnen; darauf hat
Frau Kollegin Schmidt mit Recht hingewiesen. Sie wissen,
dass die Irakkrise zu diesem Zeitpunkt noch nicht das heutige Ausmaß hatte. Dieser Erkenntnis sind wir wohl alle.
({1})
Sie aber argumentieren, dass dies nicht das Thema sei.
Es gehe vielmehr um die Informationspolitik; das hat
auch der Kollege Bosbach angesprochen. Ich will Ihnen
nun ganz offen etwas zum Thema Irak sagen: Der Vermerk, auf den Sie sich berufen, ist unglücklich formuliert;
das ist gar keine Frage.
({2})
Er ist übrigens nicht zur Information der Öffentlichkeit
verfasst worden.
({3})
- Das ist die Frage, die Sie zu Recht stellen. Wenn Sie
mich dafür haftbar machen wollen, dann müssten Sie vorbringen: Das ist eine Leitungsvorlage gewesen. - Dann
würde ich die Haftung dafür übernehmen. Es handelt sich
aber um eine interne Vorlage.
Zu dem Zeitpunkt, als über eine mögliche Gefährdung
diskutiert wurde, hat unser Ministerium klar zum Ausdruck gebracht, dass nur eine abstrakte Gefährdung besteht. Das ist auch dem Bundesgesundheitsministerium
mitgeteilt worden. Frau Kollegin Schmidt hat alles, was
dazu zu sagen ist, richtig vorgetragen.
Ich will Ihnen eine Passage - anderes ist bereits in der
Fragestunde angesprochen worden; das kann ich mir ersparen - vortragen. Wir sollten uns besser darauf stützen
statt auf irgendwelche Sprechzettel. Ich muss wohl demnächst meine Sprechzettel anketten, wenn ich in den Ausschuss gehe, damit sie nicht in fremde Hände gelangen.
({4})
- Lassen Sie mich doch fortfahren! Ich zitiere:
Frau Schmidt erklärt, es gebe grundlegend keine
neuen Erkenntnisse, die sich auf den Irak oder anderes bezögen und die bisherige Vorgehensweise erforderlich gemacht hätten.
Sie sehen, dass der Sachverhalt von Frau Kollegin
Schmidt an dieser Stelle völlig klar dargestellt wurde.
Ich möchte Folgendes ausführen - hören Sie von der
Opposition jetzt einmal gut zu! -:
({5})
Wie wir bereits dargestellt haben, ist uns bekannt, dass der
Irak mit Kamelpocken experimentiert hat. Daraus können
durchaus Schlussfolgerungen gezogen und es kann gefragt werden, warum diese Experimente durchgeführt
werden. Die Erkenntnisse hinsichtlich der Pockenviren
sind den Nachrichtendiensten und damit auch Ihrer alten
Regierung seit Mitte der 90er-Jahre zugänglich gewesen.
Wenn Sie daraus eine abstrakte Gefährdung herleiten,
dann frage ich Sie: Wann hat die alte Bundesregierung mit
der Bevorratung von Impfstoffen begonnen? Diese Frage
muss ich Ihnen dann stellen.
({6})
Seien Sie deshalb vorsichtig mit einem solchen Vorwurf!
Ich kann dann auch die Frage stellen, was Sie der Öffentlichkeit dazu mitgeteilt haben.
({7})
Ich will Sie aber gleich wieder entlasten, damit Sie
nicht in Unruhe geraten. Dieses Thema ist damals öffentlich diskutiert worden, weil es auch Gegenstand der Inspektionen war. Auch der Kollege Pflüger hat die Zusammenhänge völlig durcheinandergebracht.
({8})
Es tut mir Leid, das sagen zu müssen. Ich habe seinerzeit
die Rede des Secretary of State Colin Powell bei meinem
Besuch in den Vereinigten Staaten von Amerika am Fernsehschirm verfolgt. Lesen Sie das einmal nach! Auch
darin ist nur von Versuchen mit Kamelpocken die Rede,
aber nicht etwa von Vorratslagern an biologischen
Kampfstoffen in Form von Pockenviren.
Sie können ganz sicher sein: Unsere amerikanischen
Freunde sind bei der Informationsgewinnung so gut, dass
sie sich, wenn solche Erkenntnisse vorlägen, nicht einen
Vermerk - entschuldige bitte, Ulla - ({9})
- In der Aktuellen Stunde gibt es keine Zwischenfragen,
Herr Kollege Koschyk. Das sollte Ihnen bekannt sein.
({10})
- Ja, ich kenne das. Da ist aber nicht von Lagern die Rede.
Ich will jetzt nicht in eine solche Debatte eintreten. Das
wäre eine außenpolitische Debatte, die wir an anderer
Stelle führen sollten.
({11})
Ich will nur Folgendes anmerken, Herr Koschyk, weil Sie
auch in dieser Frage die Dinge durcheinander gebracht
haben.
({12})
- Hören Sie doch einen Moment zu! Ich habe Ihnen
doch auch geduldig zugehört. Ich kann Sie auf die Aussagen der beiden Inspektoren Blix und el Baradei hinweisen, die wörtlich festgestellt haben - das können Sie
nachlesen -: Es gibt keine belastenden Hinweise auf die
Fortführung von nuklearen, biologischen oder chemischen Waffenprogrammen. Was die beiden Inspektoren
in der Tat festgestellt haben - das hat Herr Pflüger richtig erwähnt - ist, dass ein Nachweis fehlt, was aus bestimmten Anthrax- und anderen Beständen geworden
ist. Dabei handelt es sich aber um ein völlig anderes
Thema.
({13})
Das hat mit dem Thema, über das Sie heute mit uns sprechen wollten, wahrlich nichts zu tun. Bringen Sie die
Dinge nicht durcheinander!
({14})
Ich habe in irgendeiner Pressemeldung gelesen - in der
jemand Milzbranderreger mit Pockenerregern verwechselt hat -,
({15})
dass man sich aber mit Antibiotika gegen Milzbranderreger schützt. Bitte bringen Sie die Dinge nicht durcheinander.
Ich habe den Eindruck, dass Sie - das ist Ihnen von den
Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen
zu Recht vorgeworfen worden - etwas anzetteln wollen.
Sie wollen in der Öffentlichkeit Unruhe stiften und aufwiegeln.
({16})
- Nein, das wollen Sie. Das zeigt der ganze Debattenverlauf am heutigen Tag.
({17})
- Was schwach oder was nicht schwach ist, beurteilen
noch immer andere, Herr Koschyk. Das, was Sie heute
vorgetragen haben, war in meinen Augen sehr schwach.
({18})
- Nein, ich glaube, ich habe ihn richtig zitiert. Auch Sie
selber haben ihn zitiert. Es gibt jedenfalls keine Hinweise
- ich stütze mich dabei auf die Aussagen von Herrn Blix
und Herrn el Baradei - auf die Fortführung von Waffenprogrammen. Im Übrigen, wenn wir über Herrn Powell
reden wollten, dann müssten wir natürlich auch die Frage
stellen, ob alle Erkenntnisse wirklich übereinstimmen.
Das ist aber ein anderes Thema. Lassen Sie uns bei anderer Gelegenheit darüber diskutieren.
Das, was Sie heute gemacht haben, ist der untaugliche
Versuch, wider besseres Wissen durch den Umgang mit
diesem Thema wieder einmal Unruhe in der Bevölkerung
zu stiften. Das ist schändlich.
({19})
Es ist nicht schändlich, für Frieden und gegen Krieg zu
demonstrieren. Es ist aber schändlich, auf diese Weise
Unruhe in der Bevölkerung zu stiften.
({20})
Ich habe heute gelesen - das ist eine gute Nachricht -,
dass der bayerische Ministerpräsident jetzt - er hat lange
dafür gebraucht - seine Kandidatur offiziell für beendet
erklärt hat. Nun sollten auch Sie - dann hätten Sie eben2116
falls lange gebraucht - endlich mit dem Wahlkampf aufhören. Dann kämen wir wieder zu einer guten sachlichen
Diskussion über die Probleme unseres Landes. Das wäre
sinnvoll.
({21})
Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Dr. Michael
Bürsch, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Das Ende der Debatte gibt die Möglichkeit,
rhetorisch abzurüsten, Aufregungen aus der Diskussion
herauszunehmen und auf die Kernfrage zurückzukommen, die Herr Stadler am Anfang gestellt hat. Es geht einerseits um das Recht auf Information und andererseits
um Panikmache und Hysterie, die wir vermeiden wollen.
Ich stelle am Ende der Debatte fest, dass wir uns in zweierlei Hinsicht einig sind:
Erstens. Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, über drohende Gefahren für ihre Gesundheit seriös informiert zu werden. Das gilt natürlich insbesondere für schwerwiegende Gefahren wie drohende
Seuchen.
Zweitens. Panikmache und Hysterie dürfen keine Mittel der Politik werden. Sie dürfen nicht eingesetzt werden,
um Stimmung zu machen oder um auf billige Weise für
die eigenen Ziele zu werben. Das schadet insbesondere
bei dem Thema der Gesundheitsvorsorge sowohl der Vorsorge selbst als auch der Vermeidung von Gefahren.
({0})
Wie schwierig die Gratwanderung zwischen seriöser
Information einerseits sowie Panikmache und Hysterie
andererseits - einen gewissen Anflug gibt es ja schon - ist,
hat sich meiner Ansicht nach an der Berichterstattung der
Medien in den letzten Tagen und an dem gezeigt, was sie,
insbesondere die Zeitungen, aus der Veröffentlichung eines Haushaltsvermerks vom letzten August gemacht haben. Ich möchte nur einen kleinen Überblick über die
Schlagzeilen geben, die deutlich machen, was daraus in
den Zeitungen gemacht worden ist: „Bioterror“, „Pockenwarnung“, „Der Tag X“, „Pockenviren, Selbstmordterroristen, Sabotageakte - Deutschlands Sicherheitsstäbe
bereiten sich auf einen Irakkrieg vor“, „Pockenalarm Experten rechnen mit Millionen Toten“ - das ist die Überschrift der Zeitung mit den großen Buchstaben gewesen -,
„Tödliche Pocken - So groß ist die Gefahr wirklich“. Herr
Grindel, das sind Ihre ehemaligen Kollegen aus den Medien, die so etwas daraus machen. Ich frage Sie: Muss das
so sein? Ist es gottgegeben, dass man durch das Herausfiltern bestimmter Sätze aus einem internen Haushaltsvermerk, der als solcher auch deutlich gekennzeichnet ist
und der nie im Leben von Sicherheitsexperten zum Beispiel des BND, die etwas über Gefährdungslagen sagen
können, quer geschrieben wurde, einen solchen Inhalt
konstruiert?
Für mich ist das ein Lehrstück dafür, welche Verantwortung wir Politiker, und zwar sowohl Vertreter der Opposition als auch der Koalition, aber auch die Medien
dafür haben, wie Informationen vermittelt werden. Wir
Politiker, aber auch die Medien haben die Verantwortung,
Panik und Hysterie zu vermeiden. Insofern gebe ich dem
Autor Recht, der vor zwei Tagen in der „Süddeutschen
Zeitung“ zu diesem Thema geschrieben hat - das war ausdrücklich ein Kommentar; die Trennung zwischen Nachricht und Kommentar wird nicht in allen Zeitungen eingehalten; diese Trennung ist eine alte Tugend, die
vielleicht mehr Zeitungen wieder entdecken sollten -:
Im Journalismus gilt mittlerweile die Regel, dass
jede Woche eine neue Sau durchs Dorf getrieben
werden muss.
({1})
- Ich zitiere einen Autor der „Süddeutschen Zeitung“.
Die Herde der Schweine wird dabei immer größer.
An diesem Wochenende wurde wieder mal nach
Kräften getrommelt: Anschläge mit Pockenviren
drohten, die Bundesregierung verharmlose die Gefahr, geheimste gesicherte Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes würden ignoriert. Der normale
hysterische Katastrophismus also.
Jetzt kommt ein wunderbarer Schlenker zu Herrn
Westerwelle - er wird sich erinnern -:
Erfahrene Trittbrettfahrer wie der FDP-Bundesvorsitzende Guido Westerwelle erklärten, die Darstellung der Lage durch die Bundesregierung sei verharmlosend und daher „unverantwortlich“.
Der Vorsitzende einer kleinen Partei, also keiner Volkspartei, hat sich auf dieses Trittbrett hinaufbegeben und
dafür gesorgt, dass diese Panik verstärkt wurde.
Ich plädiere dafür, dass wir uns das zu Eigen machen,
was auch im Journalismus im Wege der freiwilligen
Selbstverpflichtung im Kodex des Presserates geschrieben steht. Wir Politiker können uns das wirklich zu Eigen
machen, wir könnten das verinnerlichen. Im Kodex des
Presserates heißt es zum Beispiel zu den Grundsätzen:
Zur Veröffentlichung bestimmte Nachrichten und Informationen in Wort und Bild sind mit der nach den
Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen.
Diesen Maßstab legen die Medien an ihre Arbeit an, auch
wenn sie ihm nicht immer gerecht werden. Wir Politiker
sollten ihn mindestens genauso beherzigen wie die Medien.
Ich füge ausdrücklich hinzu: Das ist keine Medienschelte, sondern es soll ein Appell an die Verantwortung
von uns allen, aber auch der Journalisten sein. Die Journalisten mögen das, worüber sie berichten, mit dem nötigen Verantwortungsgefühl vermitteln; denn sonst kommt
genau das zustande, was wir hier erlebt haben: eine Panik
und Hysterie erzeugende Berichterstattung. Das soll nicht
mehr passieren.
Ich bin der Meinung, wir sollten es mit George Bernard
Shaw halten. Er hat einmal sinngemäß gesagt: Viele Menschen fürchten die Freiheit; denn sie bedeutet Verantwortung. - Verantwortung müssen wir tragen. Wenn wir das
tun, dann brauchen wir die Freiheit, vor allem die Pressefreiheit, nicht zu fürchten.
Danke schön.
({2})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 20. Februar 2003,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.