Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Der Kollege Klaus Lippold feiert heute seinen 60. Geburtstag. Ich gratuliere im Namen des Hauses ganz herzlich.
({0})
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 a und 2 b auf:
a)Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jahreswirtschaftsbericht 2003 der Bundesregierung: Allianz für Erneuerung - Reformen
gemeinsam voranbringen
- Drucksache 15/372 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({1})
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jahresgutachten 2002/03 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
- Drucksache 15/100 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({2})
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister Wolfgang Clement das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Jahreswirtschaftsbericht, über den wir heute beraten, ist in einer Zeit außerordentlicher Prognoseunsicherheit entstanden. Die Gründe für diese Unsicherheit
haben sich bis heute noch verstärkt. Die weitere Erholung
der Weltwirtschaft und die Beschleunigung des Welthandels sind durchaus nicht gesichert. Dabei können von einer möglichen militärischen Intervention im Mittleren
Osten nachhaltige negative Effekte auf internationale
Finanzmärkte, Ölpreise sowie Konsumenten- und Investorenvertrauen ausgehen. - So steht es im Jahreswirtschaftsbericht. Weiter heißt es dort:
Ein Krieg stellt ein unkalkulierbares Ereignis dar, das in
der Jahresprojektion nicht berücksichtigt werden kann.
Dieser Auffassung ist offenkundig auch die amerikanische Notenbank. Alan Greenspan jedenfalls sieht in
den wachsenden geopolitischen Risiken, wie er gesagt
hat, eine starke Belastung für die ohnehin verunsicherte
amerikanische Wirtschaft und damit, wie wir aus unserer
Sicht hinzufügen müssen, auch für die Weltwirtschaft.
Weder die Geld- noch die Fiskalpolitik, so Greenspan,
können etwas gegen die derzeitige geopolitische Unsicherheit tun. Dem ist ausdrücklich zuzustimmen.
Die Zukunftssorgen, die durch die Irakkrise ausgelöst
werden, überlagern alle positiven Entwicklungen. Obwohl
sich die Auftragsbücher der Unternehmen in den Euroländern langsam wieder füllen, schrauben die Unternehmer
ihre Produktionserwartungen zurück. Ein drohender Irakkrieg hat sich wie Mehltau über die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt gelegt. Auch deshalb müssen wir jede Chance
ergreifen, um die Kriegsgefahr zu verringern.
({0})
Meine Damen und Herren, um es pointiert zu sagen: Es
wäre das beste Konjunkturprogramm, wenn dieser Krieg
nicht stattfände und wenn wieder alle mit mehr Klarheit und
mehr Zuversicht nach vorn blicken könnten. Im schlimmsten aller Fälle allerdings werden wir im europäischen Rahmen das Notwendige tun müssen, um die nationale Konjunktur so gut wie möglich vor Kriegsfolgen zu schützen.
Dass der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt im Falle außergewöhnlicher Ereignisse, die sich der
Kontrolle des Mitgliedstaates entziehen, die erforderliche
Flexibilität bietet, steht außer Zweifel. Genauso unzweifelhaft muss aber sein, dass die Verpflichtung, das strukturelle Defizit systematisch zurückzuführen, nicht infrage
gestellt wird. Nur über den Abbau des strukturellen Defizits werden wir mittel- und längerfristig zu den konjunkturpolitischen Handlungsspielräumen zurückfinden, die
wir brauchen und wollen.
({1})
Meine Damen und Herren, schon seit mehreren Legislaturperioden ist die wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land unbefriedigend. Die Wachstumsdynamik ist zu
schwach und der Beschäftigungsaufbau kommt nicht
voran. Nach nur 0,2 Prozent realem Wachstum des Inlandsprodukts im vergangenen Jahr erwarten wir für dieses Jahr unter den genannten Voraussetzungen eine verhaltene Belebung des Wachstums auf real rund 1 Prozent.
Für diese Erwartung spricht einiges. So kann die weltwirtschaftliche Entwicklung nach Einschätzung der internationalen Experten wieder an Dynamik gewinnen. Die
kurz- und langfristigen Nominalzinsen bleiben niedrig.
Dafür war die Lockerung der Geldpolitik in Europa Anfang Dezember letzten Jahres ein positives Signal.
Die Lohnstückkosten sind in Deutschland sehr verhalten gewachsen und nehmen weiter nur moderat zu, was
die Wettbewerbspositionen deutscher Exporteure in Europa und am Weltmarkt verbessert.
Zu den günstigen Rahmenbedingungen gehört auch die
geringe Inflation. Sie hat sich in Deutschland merklich
zurückgebildet und ist mit Raten von nur wenig über
1 Prozent am niedrigsten in der Eurozone. Im Jahresdurchschnitt 2002 stiegen die Lebenshaltungskosten nur
um 1,3 Prozent. Wir haben damit wesentlich zur Preisstabilität in Europa beigetragen.
({2})
Wir erwarten in Übereinstimmung mit nahezu allen nationalen Experten ein Wiederanziehen des Wachstums im
zweiten Halbjahr. Eine Reihe von konjunkturellen
Frühindikatoren bestätigen unsere Prognose. Eine Umfrage der Kreditanstalt für Wiederaufbau im deutschen
Mittelstand zeigt ebenfalls erste Stabilisierungstendenzen
an. Interessant ist auch, dass entgegen der öffentlichen
bzw. veröffentlichten Stimmung der Drang zur Selbstständigkeit in Deutschland stärker ist als angenommen
und dass wir immer noch eine deutlich höhere Zahl an Unternehmensgründungen haben als an Insolvenzen.
({3})
Insgesamt deuten die Frühindikatoren eine moderate konjunkturelle Erholung in den nächsten Monaten an.
({4})
- Jawohl, die Ich-AG gehört selbstverständlich dazu, Herr
Kollege. Sie müssen den Menschen die Chance geben,
sich - auch aus der Arbeitslosigkeit heraus - selbstständig
zu machen. Das werden wir weiterhin tun.
({5})
Das Jahr 2003 ist für Deutschland das Jahr der entscheidenden wirtschafts- und finanzpolitischen Weichenstellungen. Im Steuerrecht haben wir die nächsten Stufen
der Steuerreform 2004 und 2005 gesetzlich verankert. Zur
Absenkung der Lohnnebenkosten werden wir noch vor
der Sommerpause vor allem die Gesundheitsreform auf
den Weg bringen. Wenn ich das richtig beobachte, besteht
hier ein gemeinsames Interesse am Erfolg einer solchen
Reform. Mit der Zinsabgeltungsteuer stärken wir die
Steuerbasis und unterbinden unfairen Steuerwettbewerb.
In diesem Jahr müssen wir die Voraussetzungen schaffen, um endlich aus einem wirtschaftlichen Teufelskreis
auszubrechen, in dem sich unser Land seit fast zwei Jahrzehnten bewegt.
({6})
Ich meine den Teufelskreis eines zu schwachen und langfristig zurückgehenden Wachstums einerseits und der damit einhergehenden Arbeitsplatzverluste andererseits, die
wiederum die Wachstumsschwäche vertiefen. Im Ergebnis
ist die Wachstumsdynamik unserer Volkswirtschaft mit
durchschnittlich 1,5 Prozent seit 1995 unzureichend; sie ist
rückläufig. Nach Auffassung vieler Experten liegt das nicht
zuletzt an der langfristigen Unterauslastung des Faktors Arbeit, die viele Gründe hat. Der wichtigste ist zweifellos,
dass die hohe und verhärtete Arbeitslosigkeit zu einer
Wachstumsbremse aus sich selbst heraus geworden ist.
Deshalb geht es jetzt darum, den Zugang zum Arbeitsmarkt, zu regulärer und ehrlicher Arbeit, mit allen Mitteln
der Arbeitsmarkt-, der Wirtschafts-, der Finanz-, der Sozialund nicht zuletzt der Bildungspolitik wieder zu erweitern.
({7})
Im Klartext heißt das: Stetiges und höheres Wachstum ist
ohne einen besseren Zugang zu den Arbeits- und den Gütermärkten nicht möglich, ein spürbarer Abbau der Arbeitslosigkeit auch nicht. Deshalb gehört alles auf den Prüfstand,
was den Zugang zur Erwerbstätigkeit behindern könnte. Bis
zum Sommer werden wir deshalb ein umfassendes Maßnahmenpaket auf den Weg bringen, das unter anderem den
Umbau der Arbeitsverwaltung zu der deutschen Agentur
für Arbeit, die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und
Sozialhilfe und die Ausbildungs- und Beschäftigungssituation Jugendlicher einschließt. Dazu gehört selbstverständlich eine gründliche, aber - dafür verbürge ich mich - faire
Analyse der Beschäftigungswirkungen unseres Arbeits- und
Sozialrechts, aus der es dann Konsequenzen zu ziehen gilt.
({8})
Dass Gewerkschaften und Arbeitgeber der Einladung
des Bundeskanzlers ohne Tagesordnung und Tabus folgen
wollen, finde ich gut. Ich habe Verständnis dafür, dass
beide Seiten in den vergangenen Tagen und Wochen ihre
Positionen deutlich gemacht haben. Ich bin überzeugt:
Keine Seite wird sich entziehen. Entscheidend ist, dass
wir in diesem Jahr die großen Reformen aufs Gleis setzen.
Deshalb habe ich auch mit sehr großem Interesse
die jüngsten Hinweise des DGB-Vorsitzenden Michael
Sommer aufgenommen, die die Bereitschaft auch für Reformen des Arbeitsrechts signalisieren. Wie er bin ich der
Überzeugung, dass wir vorurteilsfrei der Frage nachzugehen haben, was in diesem Land Beschäftigung hemmt. Mir
geht es in der Diskussion etwa um den Kündigungsschutz
oder das Abfindungsrecht nicht um eine Deregulierung
oder gar Aushöhlung des entwickelten Arbeitsrechts, sondern um eine beschäftigungsfördernde Erneuerung. Es
gibt deshalb auch nicht den geringsten Grund, die Gewerkschaften in einer Weise anzugreifen und auszugrenzen, wie das seit neuerem aus den Reihen der Opposition
heraus versucht wird.
({9})
Wer dies tut, Herr Kollege Merz, der hat die Geschichte
der industriellen Beziehungen und die Bedeutung der Sozialpartnerschaft - dies ist übrigens auch für die Arbeitsproduktivität in den Betrieben wichtig - nicht verstanden.
({10})
Meine Damen und Herren, wir haben in Deutschland
keinen Bedarf an markigen Worten; derer sind genug gewechselt. Es besteht vielmehr Bedarf an konkreten Taten
und konkreten Reformen.
({11})
- Sehen Sie, Sie sind doch in Bewegung zu bringen. Es ist
ein Vergnügen, das zu erleben. Glauben Sie mir: Es wird
noch spannender. - Deshalb werden wir den Kurs konsequent fortsetzen, den wir mit den ersten beiden Hartz-Gesetzen und mit unserer Mittelstandsoffensive eingeschlagen haben.
({12})
Dem Arbeitsmarkt kommt bei der Entfesselung der
Wachstumskräfte eine Schlüsselrolle zu. Die Verabschiedung der Gesetze zur Umsetzung der Empfehlung der
Hartz-Kommission Ende letzten Jahres hat gezeigt, dass
eine Einigung über Parteigrenzen hinweg gelingen kann.
Zukünftig - das gilt ab dem 1. Juli dieses Jahres - müssen
sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach einer
Kündigung unmittelbar beim Arbeitsamt melden, damit
wir den Prozess der Vermittlung in Arbeit spürbar beschleunigen können.
Wir haben die Spielräume für Zeitarbeit deutlich
erweitert. Ich kann begründet davon ausgehen, dass es in
diesem Rahmen alsbald auch zu tarifvertraglichen Vereinbarungen zwischen Gewerkschaften und Zeitarbeitsunternehmen für bestimmte Gruppen, wie etwa die Langzeitarbeitslosen, kommen wird, sodass deren Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt besser gelingen kann als bisher.
Die Fördermöglichkeiten bei Existenzgründung durch
Arbeitslose wurden, Herr Kollege Michelbach, durch die
Ich-AG und die Familien-AG sehr wohl ausgebaut. Mit
den Minijobs erschließen wir neue Marktpotenziale unter
anderem im Bereich der haushaltsnahen Dienstleistungen.
An den nächsten Reformschritten wird intensiv gefeilt.
Diese betreffen den Umbau der Bundesanstalt für Arbeit
zu dem modernen Vermittlungsunternehmen und die Beseitigung von Doppelstrukturen und Verschiebebahnhöfen durch die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe
und Sozialhilfe.
Nach Vorlage des Berichts der Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen wird die Bundesregierung
ohne Verzögerung die entsprechenden Gesetzentwürfe
vorlegen. Es wäre gut, wenn wir diese zu Beginn des
nächsten Jahres im Gesetzblatt lesen könnten.
Meine Damen und Herren, unser Land braucht die
Menschen, die Verantwortung übernehmen und unternehmerische Ideen verwirklichen. Sie schaffen die Arbeitsplätze. Der Mittelstand ist der Beschäftigungsmotor in
Deutschland. Deshalb haben wir eine weit reichende Mittelstandsoffensive auf den Weg gebracht. Wir fördern
Existenzgründungen und Kleinstunternehmen durch attraktive Besteuerung, einfachste Buchführungspflichten
und durch Öffnungen im Handwerksrecht. Ich bin überzeugt, dass wir dabei eine Übereinstimmung mit dem
Handwerk erzielen können.
({13})
Mit der neuen Mittelstandsbank bündeln wir die Ressourcen für die Finanzierung des Mittelstands. Wir befreien
die Unternehmen von überflüssiger Bürokratie. Wir werden voraussichtlich noch in diesem Monat erste Stufen des
Masterplans Bürokratieabbau im Kabinett beschließen.
Wir modernisieren die Berufsausbildung durch die
Straffung von Verfahren. Die Erweiterung der Ausbildungsbefugnis liegt mir dabei besonders am Herzen. Es
ist absolut inakzeptabel, dass heute 44 Prozent der Betriebe im Westen und 51 Prozent der Betriebe im Osten
Deutschlands nicht über eine Ausbildereignung entsprechend der einschlägigen Verordnung verfügen. Das müssen wir ändern. Wir brauchen mehr Betriebe, die junge
Menschen ausbilden können und wollen.
({14})
Wenn es um die Stärkung der Wachstumspotenziale unserer Volkswirtschaft geht, dann darf eine strategische
Industriepolitik nicht fehlen. Durch ihre hohe Produktivität und starke Exportorientierung bildet die Industrie
das Fundament der deutschen Wirtschaft. Die Sicherung
und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie
steht daher ganz oben auf der wirtschaftspolitischen Agenda der Bundesregierung.
Wir haben das Thema industrielle Wettbewerbsfähigkeit deshalb auch wieder auf die europäische Tagesordnung gesetzt. Europas Industrie steht heute für ein Viertel
der Wirtschaftskraft des Binnenmarktes und gibt etwa
45 Millionen Menschen Beschäftigung. Das zeigt - so
hoffe ich - unmissverständlich, dass industriefreundliche
Rahmenbedingungen einen großen Beitrag zur Verbesserung der Arbeitsmarktsituation leisten können. Das gilt in
noch höherem Maße für uns in Deutschland, weil das gesamtwirtschaftliche Gewicht der Industrie hierzulande stärker ist als bei den meisten unserer europäischen Nachbarn.
Umso wichtiger ist es, die Stärkung der industriellen
Wettbewerbsfähigkeit in Europa mit Nachdruck voranzutreiben. Wir müssen das ehrgeizige Ziel, das die Staatsund Regierungschefs in Lissabon vereinbart haben, nämlich die Europäische Union innerhalb von zehn Jahren
zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu
machen, mit aller Kraft weiterverfolgen.
Meine Damen und Herren, in diesen Tagen wird uns
vielleicht bewusster als sonst, wie wichtig eine selbstbewusste, eine kräftige europäische Rolle gerade auch in der
Weltwirtschaft ist.
({15})
Ich freue mich deshalb sehr, dass der Bundeskanzler zusammen mit Präsident Chirac und Premierminister Blair
in einem gemeinsamen Brief angeregt hat, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft insgesamt sowie der Industrie zum Schwerpunkt des Frühjahrsgipfels der Europäischen Union zu machen. In diesem Schreiben heißt es,
die Industrie dürfe nicht zum Feld von Regulierungsexperimenten gemacht werden, die höhere Kosten oder Belastungen für die Unternehmen bedeuteten. - Das kann
ich nur nachdrücklich unterstreichen.
({16})
Wenn es uns gelingt, die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft auf hohem Niveau zu halten
- dazu gehört insbesondere eine starke und nachdrückliche Technologiepolitik -, wenn es uns gelingt, das Rückgrat unserer Volkswirtschaft, den Mittelstand, spürbar zu
kräftigen, wenn wir den Arbeitsmarkt gelenkiger machen,
wenn wir die neuen Instrumente der Beschäftigungs- und
der Vermittlungspolitik, die die Hartz-Gesetze uns an die
Hand geben, einsetzen und wenn wir schließlich die Mittel und Instrumente nicht zuletzt in den strukturschwachen Regionen unseres Landes, namentlich in Ostdeutschland, konzentriert einsetzen, dann habe ich keinen
Zweifel daran, dass sich die ökonomischen und die Beschäftigungsperspektiven in unserem Land sehr bald wieder aufhellen können. Daran gemeinsam zu arbeiten und
dabei auch aufeinander zuzugehen, das sollte unser aller
Streben sein.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({17})
Ich erteile das Wort Kollegen Friedrich Merz, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Offen gestanden, bin ich etwas überrascht darüber
gewesen, dass der Bundeswirtschaftsminister seine Rede
zu einem so wichtigen Thema schon nach 13 Minuten Redezeit abgeschlossen hat.
({0})
Die Vorlage des Jahreswirtschaftsberichtes - so steht es
jedenfalls, wenn ich es richtig im Kopf habe, im Stabilitätsund Wachstumsgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist Anlass für die zentrale Aussprache im Bundestag über die
Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Dabei richten wir
den Blick sowohl zurück in das vergangene Jahr als auch
nach vorn in das bereits begonnene Jahr.
Herr Bundeswirtschaftsminister, was Sie heute gebracht haben, das war zu wenig.
({1})
Wenn Sie angesichts der schweren wirtschaftlichen Krise,
in der sich die Volkswirtschaft der Bundesrepublik
Deutschland ja nun ohne Zweifel befindet, Ihrer Aufgabe
gerecht werden wollen, dann müssen Sie zunächst einmal
eine nüchterne und zutreffende Analyse der Lage der
Wirtschaft zu Beginn des Jahres 2003 vornehmen.
({2})
Es kann ja kein Zweifel daran bestehen, dass wir in diesem
Jahr mit Wachstumsaussichten rechnen müssen, die erneut
am untersten Ende der Skala der Länder der gesamten Europäischen Union sind. Es lässt sich doch nicht bezweifeln, dass unser Land in einer tiefen, strukturell begründeten Wachstums- und Beschäftigungskrise steckt. Meine
Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, dies hat nun mit dem drohenden Konflikt im Irak
überhaupt nichts zu tun. Das ist vielmehr das Ergebnis der
Wirtschaftspolitik von Rot und Grün seit vier Jahren.
({3})
Gestern Abend hat der Zentralverband des Deutschen Handwerks die Ergebnisse des Jahres 2002 bekannt gegeben. Vor einem Jahr hat Ihr Vorgänger, Herr
Clement, den Zentralverband massiv kritisiert, ja ihn persönlich beschimpft und diffamiert und gesagt, dies sei
parteipolitisch motivierte Schwarzmalerei,
({4})
als von diesem Verband vor einem Jahr gesagt wurde, dass
die Politik der rot-grünen Bundesregierung zum Verlust
von 200 000 Arbeitsplätzen führen werde. Am Ende des
Jahres 2002 waren es 300 000 Arbeitsplätze, die verloren
gegangen sind, und die Perspektiven für das Jahr 2003
sind noch einmal schlechter geworden.
({5})
Herr Bundeswirtschaftsminister, warum sagen Sie kein
Wort zu der großen Zahl der Unternehmenskonkurse im
Jahr 2002? 38 000 Unternehmen sind in den Konkurs gegangen; Creditreform und andere, die sehr marktnah beobachten, welche Entwicklung sich in den ersten Wochen
des Jahres 2003 abzeichnet, weisen darauf hin, dass wir
bei den Unternehmenskonkursen erneut mit einem Zuwachs von 10 bis 15 Prozent rechnen müssen. Eine Zahl
von 42 000 oder vielleicht 44 000 Unternehmenskonkursen in diesem Jahr würde einen erneuten Rekord in der
deutschen Nachkriegsgeschichte bedeuten. Dazu müssen
Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, etwas sagen, wenn
Sie an diesem Pult stehen und über den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung sprechen.
({6})
Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass die Industrie nach wie vor - trotz des berechtigten Blicks auf den
Mittelstand - eine tragende Säule unserer Volkswirtschaft
ist. Herr Clement, die deutschen Industrieunternehmen haben im Jahr 2002 überproportional an Wert verloren. Überall auf dieser Welt - der Hinweis ist gar nicht falsch - hat
es Probleme gegeben. Wenn Sie die Entwicklung der Unternehmen beispielsweise in Amerika, Japan - das Land
steckt seit zehn Jahren in einer schweren Strukturkrise und Europa mit der Entwicklung der Unternehmen in
Deutschland vergleichen, dann müssen Sie zu der Feststellung gelangen, dass der Wert der börsennotierten
Aktiengesellschaften in keinem Land auf dieser Welt so
dramatisch zurückgegangen ist wie in Deutschland.
({7})
- Entschuldigung, ich will Ihnen die Zahlen nennen: Der
Dow Jones ist um 17 Prozent, der Nikkei-Index um
20 Prozent und der Deutsche Aktienindex, also der DAX
30, um 44 Prozent gesunken.
Meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, die
deutschen Industrieunternehmen haben unter Ihrer Verantwortung in einem Jahr fast die Hälfte ihres Börsenwertes verloren. Das hat nun wahrlich nichts mit der Weltkonjunktur zu tun. Das hat im Wesentlichen etwas mit der
Wirtschaftspolitik der rot-grünen Bundesregierung zu
tun.
({8})
Das, was dort geschieht, hat nicht nur auf die - richtigerweise - durch die Riester-Rente etablierte zusätzliche
private Altersversorgung Auswirkungen. Die Altersversorgung der Menschen wird durch diesen Kursverlust
der deutschen Aktiengesellschaften massiv geschädigt.
Dies hat Auswirkungen auf die Eigenkapitalausstattung
der Unternehmen und massive Auswirkungen auf das
Kreditgeschäft der Unternehmen, weil die Sicherheiten
plötzlich nicht mehr im erforderlichen Umfang vorhanden sind.
({9})
Alles in allem - Herr Bundeswirtschaftsminister, das
Wort ist nicht erwähnt worden - hat das Auswirkungen
auf die Eigenkapitalausstattung der deutschen Unternehmen.
({10})
- Herr Poß, ich werde auf meine Vorschläge zu sprechen
kommen.
({11})
Bevor man hier in einem gewissen politischen Pragmatismus, den ich Herrn Clement gar nicht absprechen
will, auf alle möglichen Einzelvorschläge zu sprechen
kommt, muss man zunächst einmal die Lage zutreffend
analysieren. Wer die Lage nicht richtig analysiert, kann
auch nicht die richtigen Konsequenzen ziehen.
({12})
Deswegen müssen wir über die gesamtökonomischen
Bedingungen des Jahres 2003 anders miteinander sprechen, als Sie das als Bundeswirtschaftsminister seit einigen Wochen tun. Ich sage Ihnen: Wenn wir über die
Grundlagen unserer Volkswirtschaft nur diskutieren und
sie nicht nachhaltig verbessern, dann werden sämtliche
Aktionsprogramme, die Sie in dieser Bundesregierung
beschließen, an der tatsächlichen Lage von Wachstum und
Beschäftigung in Deutschland nichts ändern.
Ich werde eine Reihe von konkreten Vorschlägen machen und Ihnen eine Reihe von konkreten Fragen stellen.
Meine erste Frage: Herr Bundeswirtschaftsminister, was
ist Ihr Kurs?
({13})
Meine zweite Frage - diese wiederhole ich heute zum
zweiten oder dritten Mal - lautet: Welches langfristige
Ziel hat die Bundesregierung hinsichtlich der Staatsquote? Sie bleiben die Antwort auf diese zentrale wirtschaftspolitische Frage erneut schuldig. Herr Bundeswirtschaftsminister, Ihr Vorgänger im Amt, von dem wir mit
Konzepten hier nun wahrlich nicht verwöhnt worden sind,
hat wenigstens zu Beginn seiner Amtszeit den Mut gehabt, in einem Wirtschaftsbericht des Bundeswirtschaftsministeriums - den Jahreswirtschaftsbericht durfte er ja
nicht erstellen - zu schreiben, dass er es für richtig hält,
die Staatsquote langfristig auf 40 Prozent abzusenken. Ist
das die Politik der Bundesregierung, ja oder nein? Ist das
Ihr Ziel? Wenn es Ihr Ziel ist: Ist es auch das Ziel des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland, Gerhard
Schröder? Wohin soll sich der Anteil des Staatsverbrauchs
am Sozialprodukt der Bundesrepublik Deutschland entwickeln? Diese Frage müssen Sie beantworten, wenn Sie
die richtige Wirtschaftspolitik in diesem Lande machen
wollen.
({14})
Herr Bundeskanzler, wenn Sie es - das wurde von Ihnen in einem Interview bestätigt - unverändert für richtig
halten, dass sich die Staatsquote in diese Richtung entwickelt, dann sollten Sie sich klar machen, dass das
erhebliche Auswirkungen auf die Zukunft der sozialen
Sicherungssysteme und auf die Struktur unseres Steuersystems hat. Jenseits aller Mittelstandsoffensiven, Programme, Ich-AGs, Familien-AGs und wie die Dinge alle heißen:
Dies sind die zentralen makroökonomischen Stellschrauben, die die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland drehen oder so lassen kann, wie sie heute stehen. Wenn
sie so bleiben, wie sie heute sind, Herr Clement, dann
werden Sie mit noch so viel Pragmatismus und noch so
vielen Programmen an der Lage unserer Volkswirtschaft
nichts zum Besseren ändern. Diese Fragen müssen beantwortet werden.
({15})
Nun sind wir in den letzten Tagen Zeugen einer anhaltenden Diskussion in der Sozialdemokratischen Partei
und auch in der SPD-Bundestagsfraktion mit Reaktionen
auf die Vorschläge, die Sie zum Thema Kündigungsschutz gemacht haben, geworden. Dazu hat es auch in
dieser Woche in der Bundestagsfraktion der SPD offensichtlich eine kontroverse Auseinandersetzung gegeben,
nachdem Sie zu Beginn des Jahres zu dieser Frage richtigerweise einen Vorschlag gemacht haben. Bei Licht betrachtet ist die Auseinandersetzung, die Sie zu diesem
Thema führen, eine profunde Debatte über den richtigen
Kurs in der Wirtschaftspolitik, die die SPD in den mehr
als vier Jahren ihrer Regierungsverantwortung bis zum
heutigen Tag nicht ausgetragen hat.
Dahinter verbirgt sich mehr als die Frage, ob man am
Kündigungsschutz, am Arbeitsrecht oder an den sonstigen
Rigiditäten unseres Arbeitsmarktes etwas verändern soll.
Dahinter verbirgt sich in großen Teilen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands ein tief greifender Meinungsstreit über den richtigen Weg in der Wirtschaftspolitik und der Sozialpolitik schlechthin.
({16})
Sie, Herr Bundeskanzler, haben im Juni 1999 mit Ihrem
britischen Amtskollegen Tony Blair ein gemeinsames Papier veröffentlicht.
({17})
Damals haben Sie dieses Schröder-Blair-Papier als das
richtungweisende Papier Ihrer Regierungspolitik über
eine im Wesentlichen angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, also über den Weg bezeichnet, den Sie mit Ihrer
Regierung beschreiten wollen.
In diesem Zusammenhang ist sehr viel über das Thema
Neue Mitte gesprochen worden. Kurz vor Weihnachten
des letzten Jahres haben Sie aus dem Kanzleramt wiederum ein Papier an die Öffentlichkeit lanciert, das an die
Strategie anknüpft, die Sie im Sommer 1999 verfolgen
wollten. Dieses Papier enthielt erneut eine im Wesentlichen angebotsorientierte Wirtschaftspolitik. Was ist daraus geworden?
({18})
Es fällt auf, dass das Wort Neue Mitte in Ihrem Sprachgebrauch praktisch überhaupt nicht mehr auftaucht. Die gesamten alten sozialdemokratischen Hüte werden jetzt also
wieder ins Schaufenster gelegt.
Sie müssen uns nicht unbedingt glauben, wenn wir das
so bewerten. Ich empfehle Ihnen, Herr Clement, die Lektüre eines Beitrages eines sehr jungen Professors für
Neuere Geschichte, der gestern in der Zeitung „Die Zeit“
eine Analyse über diesen Befund in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gemacht hat. Professor Paul
Nolte, der schon in sehr jungen Jahren national und international hohes Ansehen genießt, schreibt dazu:
Die Neue Mitte hat keine eigene kulturelle Prägekraft entwickelt und es herrscht in der SPD die Ratlosigkeit darüber vor, welche kulturelle Orientierung
man dem sozialen Wandel geben soll.
Er führt aus:
Das zeigt sich plastisch in der habituellen Unsicherheit sozialdemokratischer Politiker in ihrem
Schwanken zwischen dem anbiedernden, neuproletarischen Gestus eines Olaf Scholz und dem neureichen Gehabe, das man in mancherlei Varianten von
Schröder oder Scharping kennt.
({19})
Genau um diesen Befund geht es. Es geht nicht um
wirtschaftspolitischen Pragmatismus. Es geht um die Ratlosigkeit in der rot-grünen Bundesregierung, wie sie auf
die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts reagieren
soll. Sie fallen im Grunde in die Zeit vor dem Godesberger Parteitag der SPD im Jahre 1959 zurück.
({20})
Das, was Sie in Bezug auf die Wirtschaftspolitik in dieser SPD-Bundestagsfraktion für richtig halten, entspricht
im Wesentlichen dem, was Sie aus dem 19. Jahrhundert
bis heute in Ihren Köpfen haben. Das hat mit einer modernen Wirtschafts- und Sozialpolitik praktisch nichts zu
tun.
({21})
Herr Clement, wenn wir heute eine zutreffende Antwort auf die Frage geben wollen, wie man die Arbeitswelt
des 21. Jahrhunderts neu ordnet, wie man in einem Land
wie der Bundesrepublik Deutschland zu einem hohen
Maß an Beschäftigung, vielleicht sogar zu Vollbeschäftigung und einem kräftigen wirtschaftlichen Wachstum
zurückkommt, dann sind aus meiner Sicht zunächst einmal ein paar Vorbedingungen zu akzeptieren.
({22})
Erstens. Sie müssen, ob Sie wollen oder nicht, die Globalisierung anerkennen, akzeptieren, respektieren und
versuchen, sie mit Ihrer Politik im Inland zu gestalten.
({23})
Wer sich gegen die Globalisierung wendet, wer glaubt,
dass man aus der Globalisierung der Volkswirtschaften
aussteigen kann, der wird sich selbst isolieren und wirtschaftspolitisch marginalisieren.
({24})
Zweitens. Es führt kein Weg daran vorbei, dass Sie eine
Grundentscheidung darüber treffen müssen, ob Sie eine
im Wesentlichen angebotsorientierte oder nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik betreiben wollen.
({25})
Sie können sich nicht um diese Frage herummogeln. Auch
mit der Antwort, Sie würden als intelligenten Policy Mix
beides machen ({26})
wie Sie nicht müde werden zu behaupten -, drücken Sie
sich in Wahrheit um die Entscheidung in dieser Frage
herum, die Sie aber beantworten müssen, wenn Sie über
die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland sprechen.
({27})
Wenn Sie diese beiden Fragen so beantworten wie wir
- was Ihnen wie uns nicht schwer fallen sollte -, dann ergibt sich daraus eine Reihe von logischen Antworten. Wir
müssen dafür sorgen - das haben Sie zu Beginn des Jahres mit Recht festgestellt, Herr Clement -, dass auf dem
Arbeitsmarkt mehr Mobilität und Flexibilität entstehen.
Ich möchte Ihnen zwei Vorschläge zum Kündigungsschutz und zur Betriebsverfassung machen, die wir in dieser Woche - ich gebe zu: auch kontrovers - in den eigenen Reihen diskutiert haben. Herr Clement, wir bieten
Ihnen an, dass wir bei diesem Thema über die Partei- und
Fraktionsgrenzen hinweg zusammenarbeiten. Wir machen Ihnen Vorschläge und sind auch offen für andere
bzw. bessere Vorschläge. Wichtig ist, dass in diesem Bereich etwas unternommen wird.
Wir schlagen Ihnen vor, das Kündigungsschutzrecht
so zu ändern, dass diejenigen, die neu eingestellt werden
- wohlgemerkt; es geht nicht um eine Verschlechterung
der Rechtslage der Beschäftigten -, das Recht bekommen
- ich betone: sie werden nicht dazu verpflichtet -, einen
Arbeitsvertrag abzuschließen, in dem auf das Kündigungsschutzrecht verzichtet und gleichzeitig für den Fall,
dass der Arbeitsplatz nicht erhalten werden kann, eine Option auf eine Abfindung eröffnet wird. Ich meine, es ist
besser, mit einem etwas geringeren Kündigungsschutz beschäftigt zu sein, als mit dem derzeit bestehenden hohen
Kündigungsschutz arbeitslos zu bleiben. Das ist unser
Angebot an Sie.
({28})
Wir machen Ihnen ein zweites Angebot. Wir sind bereit, mit Ihnen die Betriebs- und die Tarifverfassung zu
ändern. Dies ist ein schwieriges Thema. Ich gebe zu, ich
kann - teilweise jedenfalls - verstehen, dass sich die Gewerkschaften dagegen wehren. Weil Sie das angesprochen haben, will ich an dieser Stelle deutlich machen, dass
niemand von uns - auch ich nicht - irgendetwas gegen die
Gewerkschaften einzuwenden hat.
({29})
Die Gewerkschaften haben über viele Jahrzehnte ein hohes Maß an sozialem Frieden in Deutschland ermöglicht
und sie stehen mit in der Verantwortung für soziale Partnerschaft in den Betrieben.
Nicht Sie, sondern wir haben nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland das Betriebsverfassungsgesetz auf den Weg gebracht. Diese Betriebsverfassung hat sich im Kern bewährt, und zwar nicht
gegen die Gewerkschaften, sondern mit ihnen.
({30})
Meine Kritik - auch das möchte ich betonen - richtet
sich gegen den Macht- und Gestaltungsanspruch einer
Handvoll von Gewerkschaftsfunktionären in diesem
Lande, die sich anmaßen, praktisch in allen politischen
Fragen an die Stelle der Parlamente zu treten und ihre Entscheidung mit einer Vetoposition durchzusetzen, die zum
Stillstand in diesem Lande führen wird. Dagegen wehre
ich mich mit Nachdruck.
({31})
Es geht im Kern um die Frage, ob wir es zulassen, dass
in diesem Land weiter eine Funktionärsherrschaft etabliert wird,
({32})
oder ob wir das Primat der Politik gemeinsam zurückgewinnen, Herr Clement. Über diese Fragen, die wir gemeinsam entscheiden müssen, kann an keiner anderen
Stelle als im Deutschen Bundestag entschieden werden.
({33})
Deswegen mache ich Ihnen in diesem Zusammenhang
unseren zweiten Vorschlag.
({34})
Wir möchten mit Ihnen zusammen die Betriebsverfassung und die Tarifverfassung ändern. Wir sind der Meinung, dass die Betriebe innerhalb der fortbestehenden
Flächentarifverträge - dabei sind wir übrigens anders als
die FDP der Auffassung, dass die Flächentarifverträge
ihre befriedende überbetriebliche Funktion nicht nur gehabt haben, sondern auch behalten sollen - das Recht bekommen sollten,
({35})
ohne Interventionsrechte der Funktionäre in den Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften eigenständige betriebliche Regelungen zu treffen, wenn die Beteiligten in
den Betrieben übereinstimmend der Auffassung sind, dass
hieran etwas geändert werden soll.
Dieser Vorschlag hat einen sehr konkreten Hintergrund.
Sie kennen die Fälle Burda, Viessmann, Mohndruck und
eine Reihe anderer, die Rechtsgeschichte in Deutschland
geschrieben haben. Wir wollen nicht die befriedende
Funktion der überbetrieblichen Tarifverträge infrage stellen. Wir wollen vielmehr, dass innerhalb der Tarifverträge
die Tarifpartner in den Betrieben das Recht haben, entweder betriebliche Bündnisse für Arbeit nach dem Betriebsverfassungsgesetz gemeinsam auszuhandeln oder aber
nach dem Günstigkeitsprinzip des Tarifvertragsgesetzes
eigenständige Regelungen mit Abweichungen von den Tarifverträgen gemeinsam zu verabreden, wenn dies den Beschäftigungsaussichten in den Betrieben nützt.
({36})
Ich sage nicht nur an die Adresse der Kolleginnen und
Kollegen, sondern auch an die Adresse der Gewerkschaften: Wer die Flächentarifverträge in Deutschland auf
Dauer retten will, der darf sich dieser Flexibilität und dieser Autonomie in den Betrieben nicht in den Weg stellen.
Wer dies heute tut, wird morgen vor dem Trümmerhaufen
der gesamten Tarifpolitik in Deutschland stehen.
({37})
Unser Angebot steht, Herr Clement. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir gemeinsam im Deutschen Bundestag
für eine solche Öffnung unseres Arbeitsmarktes eine
Mehrheit haben. CDU/CSU, FDP, der größere Teil - wie
ich vermute - der Grünen-Fraktion und auch beträchtliche
Teile der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion sind
der Auffassung, dass die Dinge so, wie sie heute sind,
nicht bleiben können. Da wir über Vernunft in Deutschland reden und darüber, dass wir gemeinsam aus dieser
Wachstums- und Beschäftigungskrise herausfinden wollen, lassen Sie uns im Deutschen Bundestag um den Weg
ringen, wie wir dies schaffen können.
Unser Angebot steht. Aber Sie, Herr Clement, müssen
unabhängig von Ihrer Rhetorik Konzepte auf den Tisch
legen, die in Fortsetzung der langen Linien unserer Wirtschaftspolitik einen Weg aus der Krise aufzeigen. Pragmatismus allein reicht nicht. 100 Baustellen und kein Richtfest, Herr Clement, das ist noch keine Wirtschaftspolitik.
({38})
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({39})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Werner Schulz,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Zentrum der heutigen Debatte steht der Jahreswirtschaftsbericht. Das war nicht in jedem Punkt der Rede meines
Vorredners zu erkennen. Ich kann mich des Eindrucks
nicht erwehren, dass Sie dem gestern blamabel gescheiterten Angriff in der Außenpolitik einen weiteren in der
Wirtschaftspolitik folgen lassen wollen.
({0})
Wir liegen doch in der Analyse der angespannten Wirtschaftssituation gar nicht so weit auseinander. Herr Kollege Merz, das Wirtschaftswachstum der 90er-Jahre war
insgesamt mäßig. In zwei Jahren Ihrer Regierungszeit gab
es sogar ein Schrumpfen der Wirtschaft. Angesichts einer
gesättigten und hoch entwickelten Volkswirtschaft müssen wir alles daransetzen, dass wir trotz geringer Wachstumsraten eine hohe Beschäftigung erreichen. Das wird
die Aufgabe in den nächsten Jahren sein; das müssen wir
schaffen.
Ich kann bei Ihnen das alte Bewertungsmuster heraushören: Alles, was schief läuft und was danebengeht, lasten
Sie der Bundesregierung an.
({1})
Ob es gescheiterte Unternehmenskonzepte sind, ob es
Schwierigkeiten aufgrund von Börsenspekulationen sind,
ob sich Firmen verkalkuliert haben, das alles lasten Sie
der Bundesregierung an. So geht es nicht. Das ist das alte
Muster.
({2})
Damit kann man Stimmungen verstärken und Landtagswahlen gewinnen.
Man kann auch - wir akzeptieren das - durch politische Zurückhaltung dem anderen einen Denkzettel verpassen. Wir werden - das werden Sie noch merken - unsere Reformanstrengungen dagegensetzen. Aber auch für
Sie ist eine neue Situation entstanden. Sie müssen jetzt
nämlich endlich Antworten geben und mitarbeiten. Sie
sind in eine neue Verantwortung gekommen.
({3})
Das bedeutet nicht große Konfrontation, die Sie gelegentlich suchen, oder große Koalition, sondern Kooperation. Wir brauchen eine Kraftanstrengung von SchwarzRot-Grün. Das Gold müssen wir uns in diesem Land,
glaube ich, erst wieder erarbeiten. Wir müssen für einen
mentalen Umschwung sorgen. Darüber können Sie ruhig
lachen. Aber die Rezession beginnt im Kopf, vor allem in
Ihrem.
({4})
Ihr Schlechtreden - Sie behaupten zum Beispiel, die Bundesregierung habe kein Konzept und keinen Entwurf kann ich nicht mehr hören, Kollege Merz.
({5})
Schauen Sie sich doch den Jahreswirtschaftsbericht
2003 einmal genau an! Ich stimme Ihnen ja zu, dass die
dort enthaltene Projektion optimistisch ist und dass wir
uns anstrengen müssen, wenn wir sie erreichen wollen.
Daran werden Sie sich jetzt beteiligen müssen. So einfach
wie bisher können Sie es sich jetzt nicht mehr machen.
({6})
Aber neben dieser Projektion ist auf 50 Seiten des Jahreswirtschaftsberichts die Konzeption der Bundesregierung
niedergeschrieben, die unter dem Motto „Modernisierung
und Erneuerung“ steht. Ich weiß nicht, welche anderen
Berichte Sie sonst noch lesen. Ich möchte Ihren Dreistufenplan nicht in Bausch und Bogen verdammen, auch
wenn er das dürftigste Ergebnis dieser Woche ist.
({7})
Aber ich bin froh, dass von Ihrer Seite überhaupt etwas
gekommen ist, worüber wir reden können. Daran können
wir immerhin anknüpfen. Reden wir also über das, worum
es geht!
({8})
Wir halten an der Haushaltskonsolidierung fest.
Schließlich waren wir es, die das Nachhaltigkeitsprinzip
in die Finanzpolitik eingeführt haben.
({9})
- Ich verstehe nicht, warum Sie lachen. Was haben Sie
gegen Nachhaltigkeit? Auf Ihren Abgeordnetenbänken
herrscht vielleicht nachhaltige Komik.
Wir haben, wie gesagt, das Nachhaltigkeitsprinzip in
die Finanzpolitik eingeführt. Für uns ist dieses Prinzip
keine vorübergehende Modeerscheinung; denn wir wissen, dass wir nur so aus der Schuldenspirale herauskommen. Im Unterschied zu Ihnen hat die Bundesregierung in
der letzten Legislaturperiode mit der Haushaltskonsolidierung begonnen. Sie haben uns ja einen riesigen Schuldenberg hinterlassen, der die heutigen Probleme erst geschaffen hat. Wir halten jedenfalls am Wachstums- und
Stabilitätspakt fest.
({10})
Ich sage Ihnen aber auch: Wer das Steuervergünstigungsabbaugesetz in Bausch und Bogen ablehnt und diffamiert, indem er so tut, als ob Subventionsabbau eine
Steuererhöhung ist, der muss jetzt, bitte schön, auch sagen, wie er einsparen möchte. Ich bin auf Ihre Vorschläge
gespannt. Herr Kollege Merz, mich interessiert es sehr
- darauf hätten Sie in Ihrer Rede eingehen sollen -, wie
Sie das strukturelle Defizit, von dem Sie gesprochen haben, beseitigen wollen.
({11})
Wir sind dabei, die Vorschläge der Hartz-Kommission
umzusetzen. Das wird Dynamik und Flexibilität auf dem
Arbeitsmarkt schaffen. Es wird eine bessere Vermittlung
und auch mehr Arbeitsplätze geben. Wir können auch einen Schritt weiter gehen und über den Kündigungsschutz reden. Wir müssen schauen, was die Praxis der Abfindungsregelungen gebracht hat. Möglicherweise ist es
besser, auf Optionsmodelle zu setzen, als an starren Regelungen festzuhalten; denn es ist sicherlich besser, Menschen in Beschäftigung zu bringen, als wenn der Rationalisierungsdruck auf dem Faktor Arbeit lastet und zu
weiteren Entlassungen führt.
Ich bin auch dafür, dass sich der Flächentarif dem Wettbewerb stellt. Wir haben das Betriebsverfassungsgesetz
geändert und den Betriebsräten mehr Mitbestimmung gegeben. Das muss natürlich in betrieblichen Bündnissen
für Arbeit zum Tragen kommen. Wir haben damit Erfahrungen im Osten, wo etliches in dieser Richtung geschieht.
Ich glaube, auch die Gewerkschaften stehen - ich habe
das heute von IG-Metall-Bezirkschef Huber gehört Modernisierungen aufgeschlossen gegenüber. Die Gewerkschaften erkennen nämlich, dass ihre Chance nicht
allein im Armdrücken in Verhandlungsrunden zur Lohngestaltung, sondern auch in der Qualifizierung und der
Weiterbildung ihrer Mitglieder sowie im Coaching von
Betriebsräten besteht. Bloß, Kollege Merz - das kritisiere
ich an Ihnen -, das alles müssen wir mit den Gewerkschaften erreichen. Mit Ihren halbstarken Tönen verprellen Sie die Gewerkschaften. Ich habe manchmal den Eindruck, dass Sie mit Ihrem alten Mofa in die DGB-Zentrale
brettern wollen, um die Sommer-Zeit zu beenden.
({12})
Sie sollten nicht vergessen: Der Ton macht die Musik. Ich
weiß, dass Sie Polemik nicht vertragen können, wenn sie
nicht gerade von Ihrer Seite kommt.
({13})
Wir wollen die sozialen Sicherungssysteme reformieren. Das ist auch Ihre Absicht und da können wir uns treffen. Die Lohnnebenkosten unter 40 Prozent zu senken,
das ist Ihre Absicht und das ist auch unsere Absicht. Insofern können wir da zusammenarbeiten. Ich staune nur darüber. Sie haben die Kommission zur nachhaltigen Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme heftig kritisiert.
Jetzt wollen Sie der Rürup-Kommission eine Ruck-zuckKommission folgen lassen. Bitte schön, dann treten wir in
einen Ideenwettbewerb! Legen wir die Vorschläge zusammen und versuchen, etwas Vernünftiges daraus zu
machen!
Sie wollen die Sozialkassen von den versicherungsfremden Leistungen entlasten. Ich verstehe nur nicht,
warum Sie ausgerechnet bei der Arbeitslosenversicherung
anfangen wollen und das JUMP-Programm oder bei ABM
und SAM kürzen wollen, wie das in dieser Woche durch
einen Antrag zum Ausdruck gekommen ist. Ich habe Ihnen in der letzten Sitzungswoche angeboten, das System
von den versicherungsfremden Kosten der deutschen Einheit zu entlasten.
({14})
Werner Schulz ({15})
Werner Schulz ({16})
Es sind 3 Prozentpunkte, die wir noch heute dafür aufwenden und um die wir die Lohnnebenkosten mit einem
Schlag drücken könnten. Das würde sowohl auf der Arbeitnehmer- als auch auf der Arbeitgeberseite zu Buche
schlagen und wäre auch ein substanzieller Beitrag für ein
Bündnis für Arbeit, damit sich diese ergebnislose Runde
endlich Bündnis für Arbeit nennen kann.
Und ich sage Ihnen: Das wird heute im Bundesrat Ihre
Nagelprobe werden, was die Modernisierung der Wirtschaft anbelangt. Zu einer modernisierten Wirtschaft
gehört auch ein modernes Zuwanderungsrecht. Dieser
Frage müssen Sie sich stellen. Sie wissen, hier sind die
Forderungen der Wirtschaftsverbände an Sie ganz klar,
nicht nur aus demographischen Gründen,
({17})
sondern auch deshalb, weil Zuwanderung natürlich Zugang, Neugründung, Flexibilität und Dynamik in einer
Volkswirtschaft auslösen. Heute werden Sie zeigen müssen, ob Sie die Blockadehaltung wirklich überwunden haben und ob Sie konstruktiv mitarbeiten werden.
({18})
- Nein,
({19})
aber in dieser Frage sind sich alle gesellschaftlichen
Kräfte bis auf die Union einig, Herr Kauder. Nur die
Union verweigert sich bei der Zuwanderungsfrage.
({20})
Sowohl die Kirchen als auch die Wirtschaftsverbände und
andere große Interessenverbände in unserem Land sind
der Zuwanderung gegenüber aufgeschlossen, während
die Union an dieser Stelle absolut blockiert.
({21})
Da werden wir Ihre Reformbereitschaft heute noch erkennen können.
Ich glaube, dass die Reformbereitschaft in unserem
Land weit größer ist als jene, welche die Politik derzeit
abruft.
({22})
Viele könnten die Wahrheit vertragen, wenn man ihnen
die Probleme vernünftig erklärt und eine Perspektive für
Lösungen nennt. Nur dann, wenn wir die Chancen und die
Erfolgsaussichten herausarbeiten - nicht nur immerzu die
Probleme aufwerfen und das Haar in der Suppe suchen,
wie Sie, Kollege Merz, das tun; das dann möglichst auch
noch spalten wollen -, werden wir Kräfte gewinnen und
den mentalen Schub bekommen, den wir für den robusten
Wandel, der in unserem Land abläuft, benötigen.
Wir brauchen keine weiteren Kommissionen, um zu erkennen, dass für die Reformen nicht viel Zeit bleibt. Wir
haben dieses Jahr für Reformen, damit das, was wir in diesem Jahr beschließen, im nächsten Jahr zur vollen Wirkung kommt. Das heißt, wir haben ein kleines Zeitfenster
zum Handeln. Insofern haben wir nicht mehr allzu viel
Zeit, uns über diese Probleme zu streiten; wir müssen echt
zusammenarbeiten. Wie gesagt, Ihr Dreistufenplan bedarf
der Nachbesserung. Da ist noch einiges auszufüllen bzw.
zu konkretisieren.
Es bedarf auch keiner weiteren Kommission, um die
Legitimation der Politik klar zu machen. Wir sollten uns
als Parlament dazu aufraffen - das muss die Leitlinie der
nächsten Monate sein -, uns gegenüber Interessenverbänden und gegenüber Bremsern durchzusetzen und das zu
entscheiden und zu verantworten, was politisch notwendig und geboten ist.
({23})
Das ist die Aufforderung an Sie. Solch eine Politik ist kein
Selbstzweck, sondern die Voraussetzung für die soziale,
ökologische und demokratische Stabilität. Nur so können
wir die Reformvorhaben verwirklichen und nur so werden
wir auch wieder die finanziellen Spielräume bekommen,
die wir brauchen, um die notwendigen Veränderungen zu
realisieren.
Ich danke Ihnen.
({24})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Rainer Brüderle,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Jahreswirtschaftbericht trägt die Überschrift „Allianz für Erneuerung“. Wir haben in der Debatte gestern erlebt, dass
man sehr Acht geben muss und dass es gefährlich wird,
wenn diese Regierung von Allianz spricht.
({0})
Die Wirtschaftslage ist sehr ernst. Wir befinden uns in
der dramatischsten Wachstums- und Wirtschaftskrise der
Nachkriegsgeschichte. Die Wirtschaft stagniert im dritten
Jahr hintereinander. Die Gefahr eines so genannten
Double Dip, also eines nochmaligen Abgleitens in der Rezession, besteht auch ohne einen Irakkrieg ganz konkret.
Herr Clement, es hilft nichts, auf die geopolitische Situation zu verweisen. Diese Situation ist, wie sie ist. Die
anderen haben unter ihr genauso zu leiden. Deutschland
befindet sich also nicht in einer Sonderlage. Daran, dass
wir deutlich schlechter als andere dastehen, obwohl die
anderen die gleichen geopolitischen und weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben, zeigt sich, dass hier, in
diesem Land, etwas falsch gemacht wird. Anders ist unsere Krise logisch nicht zu erklären.
({1})
Die Grundachsen der Wirtschaftspolitik sind nicht
richtig ausgerichtet. Wir brauchen eine Wirtschaftspolitik
mit Charakter. Unsere Wirtschaftspolitik muss sich wieder auf ordnungspolitische Grundsätze besinnen und sie
konsequent umsetzen. Der Staatsanteil in Deutschland
liegt bei fast 50 Prozent. Das ist eine der Ursachen für Effizienzverluste bei uns. Konkret: 48,5 Prozent dessen, was
in diesem Land erarbeitet wird, fließt in den Staatssektor,
der von seiner Struktur her eine schlechtere Effizienz als
die Unternehmen in einer freien Markwirtschaft - Steuerung der Ressourcen und der Dienstleistungen, Produktionsmöglichkeiten - hat.
Bevor die jetzige geopolitische Situation - so nennen
Sie es - eingetreten ist, hat die Regierung die Chance leider nicht genutzt, die Wachstumskräfte zu stärken. Die
Regierung hat es versäumt, eine Steuerreform durchzuführen, die den Bürgern mehr Möglichkeiten, zu konsumieren, und dem Mittelstand mehr Möglichkeiten, zu
investieren, gibt. In der Wirtschaftspolitik dieser Regierung sind keine klaren Linien zu erkennen. Ständig gibt es
Diskussionen über Erbschaftsteuer, Vermögensteuer,
Mehrwertsteuer und anderes. Wie soll man da vernünftig
rechnen? Wie soll zum Beispiel ein Handwerksmeister
entscheiden können, ob er sich eine neue Maschine anschafft, wenn ständig Unsicherheit herrscht? Seinen
Markt kennt er in etwa, aber die Unsicherheiten einer
nicht kalkulierbaren Politik stellen ein Risiko dar, das er
nicht kennt und das er nicht beherrschen kann. Dafür sind
Sie verantwortlich.
({2})
Die Reglementierung in Deutschland ist überdreht.
Das ist zwar nicht allein Ihre Schuld, aber auch Ihre. Die
Regelungsdichte hat sich unter Rot-Grün erhöht; sie
wurde nicht geringer. Es ist immer wieder schön, wenn
Sie tolle Begriffe wie Masterplan oder Bürokratieabbau
benutzen. An Luftblasen, die Sie produzieren, fehlt es
nicht. Geben Sie den Ländern und den Kommunen doch
die Möglichkeit, Gesetze für ein paar Jahre außer Kraft zu
setzen! Wenn Sie das getan haben, dann werden Sie feststellen: Es passiert gar nichts. Die meisten merken nämlich gar nicht, wie viel Unsinn hier reglementiert ist. Geben Sie doch den Menschen die Chance, mit ihrer Arbeit
erfolgreich zu sein!
({3})
Der Mittelstand ist der eigentliche Hoffnungsträger.
Bei den großen Konzernen wird es nicht zu einem nennenswerten Zuwachs an Arbeitsplätzen kommen. Automatisierungsprozesse wie Robotik werden weiterhin dazu
führen, dass Arbeitsplätze dort eher verloren gehen.
Außerdem werden die großen Konzerne die Produktion
bestimmter Komponenten in andere, kostengünstigere
Regionen Europas und der Welt verlagern.
Sie haben Recht: Für die kleinen Betriebe ist der überdrehte Kündigungsschutz ein Einstellungshemmnis. Es
geht nicht darum, den Arbeitnehmern etwas wegzunehmen, sondern darum, den Arbeitslosen etwas zu geben,
nämlich die Chance, wieder eine Arbeit zu bekommen.
Genauso geht es darum, den kleinen und mittleren Betrieben die Chance zu geben, mehr Leute einzustellen, um
mehr produzieren und leisten zu können. Das ist der eigentliche Grund, warum Sie Änderungen vornehmen
müssen. Das haben Sie richtig erkannt. Leider bringen Sie
aber nichts zustande.
({4})
Kaum hatten Sie einige relativ mutige Sätze gesagt,
kam Herr Müntefering und widersprach Ihnen. Ich weiß
nicht, ob es aus gemeinsamen Zeiten in NRW noch Rechnungen zwischen Ihnen zu begleichen gab. Die neueste
Idee des Kanzlers war, den Kündigungsschutz zu lockern,
wenn es im Gegenzug eine Beschäftigungsgarantie gibt.
Der Kanzler möchte also, dass sich ein Handwerksmeister
im Kanzleramt meldet, um dort mitzuteilen, dass er sich
von einem seiner Angestellten trennen muss; im Gegenzug garantiert er, andere Angestellte nicht zu entlassen.
Was Sie veranstalten, das ist doch alles absurdes Theater!
Richtig wäre Folgendes: Für Betriebe, die bis zu 20 Beschäftigte haben, muss die Regelung deutlich vereinfacht
werden. Es darf doch nicht sein, dass ein Metzgermeister
erst Jura studiert haben muss, wenn er jemanden einstellen möchte. Ein Metzgermeister soll Wurst produzieren
und nicht Gesetzestexte studieren müssen.
({5})
Herr Kollege Merz, Sie bleiben auf halbem Weg stehen. Ich sehe die große Koalition, die sich im Hinblick auf
eine Neuregelung der Minijobs gebildet hat, mit großem
Missbehagen.
({6})
- Auch da fliegen Sie heraus, Herr Kuhn; Sie sind ja schon
aus dem Vorsitzendenamt herausgeflogen.
Wir müssen das Tarifkartell öffnen. Im Osten Deutschlands - das weiß jeder hier im Raum - unterliegen 70 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse nicht dem geltenden Tarifvertragsrecht. Diese sind, wenn Sie so wollen,
alle rechtswidrig. Keiner rührt daran: keine Gewerkschaft, keine Regierung. Es handelt sich um eine Notreaktion, damit Beschäftigung überhaupt in dem bisherigen Umfang dort erhalten werden kann. Aber diese
Erkenntnis muss uns doch zu der Einsicht verhelfen, dass
wir Spielräume öffnen müssen.
Deshalb sagen wir, Herr Kollege Merz, dass Mitarbeiter, wenn 75 Prozent eines Betriebs in freier Abstimmung
eine andere Regelung als die, die die Gewerkschaftsfunktionäre ausgehandelt haben, haben wollen, auch das Recht
bekommen sollen, hier eigene Entscheidungen zu treffen.
Es ist ihr Arbeitsplatz, es handelt sich um ihre Lebensperspektiven. Deshalb muss das Tarifvertragsrecht geändert
werden und müssen den betroffenen Arbeitnehmern mehr
Freiheit und mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten gegeben werden.
({7})
Verweigert ihnen doch nicht die Entscheidungsmöglichkeit; ein Quorum von 75 Prozent ist eine hohe Hürde.
({8})
Besonders scheinheilig sind bei diesen Fragen die Grünen. Sie fordern zwar Flexibilität im Arbeitsmarkt und
eine Lockerung des Kündigungsschutzes, doch zugleich
ist ihr Parteifreund Bsirske der schlimmste Betonmischer,
den wir haben.
({9})
Ist es mit Ihrem Demokratie- und Wirtschaftsverständnis
vereinbar, dass jemand, der stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Lufthansa AG ist und damit eine hohe
Verantwortung für ein großes Unternehmen hat - dafür
bekommt er ja auch anständig Geld -, gleichzeitig der Anführer der Streikmaßnahmen gegen dasselbe Unternehmen ist?
({10})
Wie gespalten muss dessen Seele sein? Einerseits ist er
nach dem Aktiengesetz verpflichtet, für das Unternehmen
einzutreten und sein Wohl zu fördern, andererseits ist er
derjenige, der mit Lohnforderungen in Höhe von bis zu
20 Prozent die Axt an das Unternehmen legt. Wissen Sie
nicht, wie die Luftfahrtgesellschaften in der Welt draußen
dastehen?
({11})
Man muss darüber reden können, ob bestimmte Varianten von Mitbestimmung, die sich im Laufe der Zeit ausgeprägt haben und auf der Illusion beruhen, parlamentarische Mechanismen auf Unternehmen übertragen zu
können, noch zeitgemäß sind oder ob sich hier etwas ändern muss. Ich bin dafür, dass Gewerkschaftsführer kein
Aufsichtsratsmandat mehr bekleiden dürfen,
({12})
weil sie damit in Interessenskonflikte geraten. Entweder
nehmen sie das Interesse ihrer Mitglieder nicht richtig
wahr, sodass ihnen die Mitglieder weglaufen - der Deutsche Gewerkschaftsbund verliert ja jedes Jahr zwischen
300 000 und 500 000 Mitglieder - und sie wie ÖTV, DAG
und HBV zu Verdi und nächstes Jahr vielleicht Verdi mit
IG Metall zu Puccini usw. fusionieren müssen
({13})
- das ist die Konsequenz, weil sie die Mitglieder nicht
mehr ansprechen und ihre Interessen nicht mehr wahrnehmen -, oder sie treten für die Interessen der Mitglieder ein
und können die Interessen der Unternehmen nicht mehr
unbefangen wahrnehmen. Man sollte in Ruhe darüber
nachdenken, ob ein solcher Zielkonflikt hingenommen
werden kann oder ob sich hier nicht vielmehr eine Bonzokratie entwickelt hat, die ein Stück weit Mitschuld daran
hat, dass unsere Wirtschaft nicht richtig funktioniert.
Worum geht es im Kern? Wir müssen die Kraft aufbringen, die Grundachsen neu auszurichten. Wir müssen
uns auf das Erfolgsgeheimnis der sozialen Marktwirtschaft zurückbesinnen:
({14})
durch Berechenbarkeit, Vertrauen und Gestaltungsfreiräume der Wirtschaft die Möglichkeit geben, in einen
Wettbewerb einzutreten, der den Namen verdient. Sie
misstrauen dem Wettbewerb. Deshalb versuchen Sie immer neue Ansätze der Industriepolitik. Sie wissen doch
nicht besser als die Unternehmen, wie es laufen soll.
Wenn Ihre Ordnungspolitik nun auch noch auf europäischer Ebene durchgesetzt wird, bekommt man ja eine
Gänsehaut, denn dabei kann nichts Vernünftiges herauskommen. Die Europäische Union ist sicherheitspolitisch
ja kaum handlungsfähig und bekommt viele Reformen
nicht hin. Wenn die noch festlegt, in welchen Sektoren in
Europa investiert und welche gefördert und entwickelt
werden sollen, dann kann das nur schief gehen. Deshalb
fordern wir Rückbesinnung auf Normalität.
({15})
Sie kommen doch an Adam Riese nicht vorbei: Auch
in Zukunft wird zwei plus zwei vier sein, auch wenn Ihnen das nicht passt. Haben Sie doch die Kraft, endlich den
Umbau vorzunehmen! Die Statik des Gebäudes der deutschen Gesellschaft und Wirtschaft stimmt nicht mehr.
Hier haben Sie in den letzten Jahren Fehlentwicklungen
forciert. Deshalb sind wir falsch aufgestellt. Das ist die
Ursache dafür, dass die Veränderungen in der Weltwirtschaft, die geostrategischen Veränderungen Deutschland
stärker treffen als andere Staaten. Sie können nichts dafür,
wenn sich in der Weltwirtschaft etwas verändert; aber Sie
können etwas dafür, dass wir in Deutschland so schlecht
aufgestellt sind und dass sich solche Veränderungen deshalb bei uns doppelt und dreifach auswirken.
Aus diesem Grund brauchen wir wieder eine Rückbesinnung auf die Prinzipien der Wirtschaftspolitik, den
Charakter der Wirtschaftspolitik. Wir müssen wegkommen von kurzatmigen Teillösungen, die es nicht bringen.
Ein Heftpflaster hier und da und homöopathische Dosen
sind nicht die Lösung. Sie müssen jetzt den Mut haben,
konsequent Schnitte vorzunehmen, um etwas zu verändern, sonst wirkt sich Ihre Wirtschaftspolitik auch staatspolitisch aus: Die Menschen wenden sich ab, sie vollziehen die innere Kündigung einem Staat gegenüber, der
nicht in der Lage ist, die Weichen so zu stellen, dass sie
wieder eine Chance haben. Darum geht es: Gebt den Menschen endlich eine Chance!
({16})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Franz Müntefering,
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wirtschaftsminister Wolfgang Clement hat heute
Morgen sehr praktisch und konkret deutlich gemacht, was
in diesem Jahr in der Politik in Deutschland geschehen
wird. Er hat noch einmal die Mittelstandsoffensive erläutert. Er hat darauf hingewiesen, was im Bereich der Hartz2024
Vorschläge beschlossen worden ist und was noch kommen wird. Diese Maßnahmen sind für das Wirtschaftswachstum und die Arbeitsplätze in unserem Lande außerordentlich wichtig.
Der Supervize Merz hat darauf mit einer angeblichen
Analyse geantwortet; er hat gesagt, man müsse die Lage
erst einmal analysieren.
({0})
Er hat all die tatsächlichen oder angeblichen Probleme in
diesem Lande auf die Formel konzentriert: Das ist Schuld
der SPD.
({1})
Das ist die alte Melodie, die schon Rudi Carrell gesungen
hat. Sie haben nur nicht begriffen, Herr Merz, dass das
eine Satire und nicht ernst gemeint war.
({2})
Sie haben heute viele dünne Bretter gebohrt. Ich wundere
mich, wie intensiv Ihre Kollegen klatschen, wenn Sie hier
Ihre Analysen vorbringen.
Zur Staatsquote: Wir haben 1998 eine Staatsquote von
49,3 Prozent übernommen. In der vergangenen Legislaturperiode haben wir sie auf 48,5 Prozent abgesenkt; das
bedeutet eine Absenkung um 20 Milliarden Euro.
({3})
Unser Ziel ist, sie auch weiter abzusenken. Man muss dabei aber realistisch bleiben.
({4})
- Hören Sie erst einmal zu und lesen Sie das noch einmal
nach! Vielleicht können Sie dann einen Teil Ihrer Vorurteile überdenken.
Die Staatsquote hat etwas mit der Zinslast und der
Schuldenlast des Staates zu tun. Die über 40 Milliarden Euro Zinsen, die wir auf Bundesebene Jahr für Jahr
zu bezahlen haben, sind so viel wie 2 Prozent Staatsquote.
Wir haben von Ihnen eine Schuldenlast geerbt,
({5})
die dazu geführt hat, dass von jeder Mark Steuern 22 Prozent für die Zinszahlungen aufgewandt werden mussten.
({6})
Wir haben in den vergangenen vier Jahren mit der Politik
von Hans Eichel erreicht, dass die Schuldenlast des Bundes so weit gesunken ist,
({7})
dass wir nicht mehr 22 Prozent, sondern nur noch 19 Prozent der Steuereinnahmen für die Zinszahlungen benötigen.
Wer die Staatsquote senken will, Herr Merz, muss begreifen, dass diese Politik der Haushaltskonsolidierung
ein ganz wichtiger und richtiger Schritt ist, den wir auch
in Zukunft tun werden.
({8})
Sie mahnen beim Wirtschaftsminister an, die Steuerund Abgabenlast unter 40 Prozent zu senken. Das steht
als mittelfristiges Ziel in seinem Wirtschaftsbericht. Die
Steuerquote ist niedriger, als sie in diesem Lande jemals
war. An der Abgabenquote werden wir zu arbeiten haben.
({9})
- Sie müssen sich Ihre alten Papiere noch einmal anschauen, Herr Merz. Es kann ja sein, dass Sie in Ihrer
Fraktion für alles, was Sie sagen, leichtfertig Beifall bekommen. Aber wenn man sich die Zahlen, die Realitäten
anschaut, kann man nur feststellen: Sie haben ein Wolkenkuckucksheim aufgebaut und behaupten, das sei eine
Analyse. Aber das ist keine Analyse, sondern Ideologie.
({10})
Herr Kollege Müntefering, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gleich. Ich möchte noch einen Punkt dazu sagen.
Ich wundere mich über die Ignoranz gegenüber den
weltwirtschaftlichen Risiken, mit denen wir es zu tun
haben. Wir werden im Lande selbst das tun müssen, was
möglich ist, um Wachstum und Arbeit zu schaffen sowie
Wohlstand zu garantieren; das tun wir auch. Aber nicht
zur Kenntnis zu nehmen, dass weltwirtschaftlich etwas in
Bewegung war und ist und dass ein Konflikt im Nahen
Osten auch für den Wohlstand bei uns im Land eine hohe
Belastung wäre, ist blanke Ignoranz. Das ist zwar nicht
das Thema heute Morgen; aber die Art und Weise, wie Sie,
Herr Merz, und Herr Brüderle darauf reagiert haben,
zeigt, dass Sie nicht begriffen haben, welche ökonomischen Risiken mit Blick auf den Irak und den Nahen Osten
es gibt. Darüber darf man sehr wohl sprechen.
({0})
Jetzt Kollege Singhammer.
Herr Müntefering, bei dieser Debatte geht es entscheidend auch um das Vertrauen. Dies spielt in der Wirtschaftspolitik eine große Rolle. Nehmen Sie eigentlich die
Feststellung Ihres früheren Parteivorsitzenden Herrn Lafontaine ernst, der vor kurzem in der „Bild“-Zeitung formuliert hat: „Wer das Kainsmal der Unzuverlässigkeit
und Unglaubwürdigkeit auf der Stirn trägt, wird abgewählt“?
Da haben Sie sich den falschen Zeugen gewählt. Ich
kommentiere Oskar Lafontaine weder öffentlich noch intern.
({0})
Herr Merz, Sie haben konkret zwei Punkte angesprochen: den Kündigungsschutz und den Flächentarif.
Während Sie den Kündigungsschutz offensichtlich zerschlagen wollen, haben wir - Minister Clement ganz vornean - Entscheidendes getan: Wir haben die Bedingungen
für befristete Arbeitsverhältnisse neu formuliert und deutlich erweitert, insbesondere für die 50-Jährigen und Älteren. Wir haben im Hartz-Konzept die Basis dafür geschaffen, dass die Leiharbeit sehr viel stärker genutzt
werden kann, als das bisher der Fall war. Wir haben mit
den Ich-AGs die Möglichkeit eröffnet, auch in Zukunft
eine Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Subunternehmen zu organisieren.
({1})
Zum Flächentarif: Er ist in weiten Teilen Deutschlands - das wissen Sie - nicht tatsächlich in Wirkung. In
Ostdeutschland ist der Flächentarif in den allermeisten
Firmen faktisch nicht gültig.
({2})
Weil das so ist, sage ich Ihnen: Sie reiten an dieser Stelle
auf Punkten herum, die für die Entwicklung bei uns im
Land nicht gut sind. Denn das, was Sie in Ihrer Formulierung zum Kündigungsschutz und zum Flächentarif sagen,
hat ein Ziel: Sie wollen die Handlungsstärke und die
Handlungskraft der Gewerkschaften fundamental treffen.
Das ist Ihr Ziel; darauf richten Sie Ihre Politik.
({3})
Sie wollen auf dem Arbeitsmarkt die totale Individualisierung haben.
({4})
Dazu sage ich Ihnen: Darüber kann man streiten. Das
sind aber zwei unterschiedliche Richtungen der Politik
und der gesellschaftlichen Organisation. Dass wir in
Deutschland so starke Arbeitgeberverbände und so
starke Gewerkschaften haben, war eine der Grundlagen
dafür, dass wir in Deutschland Wohlstand erreicht haben
und ihn auch behalten werden. Man kann sich das alles
anders wünschen.
({5})
Ich sage Ihnen: Eine Wirtschaft bzw. ein Arbeitsmarkt, die
bzw. der total individualisiert ist und wo die Ideologie der
totalen Privatisierung herrscht, wird anders aussehen als
die derzeitige Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland.
({6})
Ich möchte auch in Zukunft in einem Lande leben, in dem
starke Arbeitgeber - auch diese nenne ich ausdrücklich und starke Arbeitnehmer ihre Interessen sinnvoll bündeln,
sie organisieren und sie auch erstreiten können. Das ist demokratische Kultur. Die muss es auch in der Wirtschaft
geben. Deshalb lassen wir an der Mitbestimmung und an
all dem, was damit zusammenhängt, nicht rütteln. Das ist
sicher.
({7})
Kollege Müntefering, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein.
Wir wissen, dass die Erneuerung der Hauptimpuls in
unserem Lande sein muss. Und so handeln wir. Dafür
steht der Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang
Clement in besonderer Weise. Wenn Sie soeben zugehört
hätten, hätten Sie mitbekommen, was er im Hinblick auf
den Bereich Handwerk plant.
Im Übrigen möchte ich ein Dankeschön in Richtung
Handwerk sagen. Das ist der Bereich unserer Wirtschaft,
der am intensivsten ausbildet. Er erreicht eine 10-ProzentQuote. Wenn das alle anderen Bereiche in gleicher Weise
tun würden, sähe die Situation sehr viel besser aus. Meine
Bitte an das Handwerk in Deutschland: Macht das weiter
so mit der Ausbildung! Das ist gut für die jungen Menschen und im Übrigen die Voraussetzung dafür, dass das
Handwerk auch in Zukunft meisterlich bleiben kann.
({0})
Das Problem, das der Mittelstand hat, ist ein ganz anderes. Wenn man mit den Betroffenen spricht, sagen sie:
Unser größtes Problem ist, dass die Banken - auch die
dem Gemeinwohl verpflichteten Banken, die Sparkassen vor Ort die Kreditlinien auch der gewinnträchtigen kleinen und mittleren Unternehmen rabiat zusammengestrichen haben.
({1})
Sie haben keine Chance mehr, Investitionen vernünftig
finanziert zu bekommen; manche werden geradezu in die
Illiquidität getrieben. Deshalb sage ich an dieser Stelle: Hier
ist nicht primär unser Handeln gefragt, sondern das liegt in
der Verantwortung derer, die in diesem Lande in Geldinsti2026
tuten Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung haben.
Sie müssen dafür sorgen, dass die kleinen und mittleren Unternehmen vernünftige Finanzierungskonditionen bekommen. Dies ist eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür,
dass die Wirtschaft handlungsfähig ist und vorankommt.
({2})
Unsere Erwartung an die Banken und Sparkassen ist daher: Schalten Sie von Kleinmut auf Mut um! Es wäre
schon gut, wenn man nicht immer versuchte, alles der Politik hinzuschieben.
({3})
Kollege Müntefering, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?
Herrn Hinsken kann ich das nicht verwehren. Übrigens
noch herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!
Herr Müntefering, die Debatte dauert bereits 70 Minuten. Ist Ihnen bewusst, dass in dieser Zeit - wenn man
den Durchschnittswert zugrunde legt - neun Betriebe in der
Bundesrepublik Deutschland in Konkurs gegangen sind?
({0})
Weder Sie noch Minister Clement haben dazu auch nur
ein Wort gesagt. Was wollen Sie tun, damit die Konkurszahlen nicht noch weiter steigen, sondern endlich nach
unten gedrückt werden? Dahinter stehen schließlich
menschliche Schicksale!
({1})
Herr Hinsken, das ist unsere gemeinsame Sorge. Das,
was Sie sagen, wissen wir und das nehmen wir ernst. Ich
weiß, dass Sie im Bereich des Handwerks in besonderer
Weise engagiert sind. Wir sind ganz nahe beieinander: Es
geht um die Frage, was man an dieser Stelle tun kann.
Ich sage noch einmal: Das, was Wolfgang Clement getan hat, nämlich durch eine besondere Initiative mit der
Kreditanstalt für Wiederaufbau und der Deutschen Ausgleichsbank zumindest partiell Hilfestellung zu geben, ist
sehr viel besser und für die Unternehmen hilfreicher als
die großen Reden, die Ihr Kollege Merz hier führt. Das
sollten Sie zur Kenntnis nehmen.
({0})
Es gibt in Deutschland Arbeit, auch für das Handwerk
und die kleinen und mittleren Unternehmen. Die Frage ist
nur, wie wir sie mobilisieren. Es gibt Arbeit im produzierenden Bereich, es gibt Arbeit im Dienstleistungsbereich,
es gibt Arbeit in der Baubranche. Wir müssen auch den
Kommunen die Chance geben, wieder stärker zu investieren: in die Infrastruktur, in Gebäude. Die Arbeit liegt in
Deutschland doch wirklich auf der Straße; sie muss nur
mobilisiert werden. Die Kommunen fragen uns händeringend, wie das zu finanzieren ist, und die Handwerker fragen händeringend, wie das in Bewegung zu setzen ist.
Wir haben ein Gesetz zur Steuerehrlichkeit vorgelegt.
Uns geht es unter anderem darum, dass die großen Unternehmen, die in den vergangenen Jahren keine oder fast
keine Körperschaftsteuer mehr gezahlt haben,
({1})
so sie denn Gewinne machen, in Zukunft wieder Körperschaftsteuer zahlen müssen - wenn auch nur noch 25 Prozent. An dieser Stelle aber - immerhin geht es darum, ob im
Verlauf der Legislatur 8 bis 9 Milliarden Euro zusätzlich in
die Kassen der Kommunen in Deutschland fließen - sagt
die CDU/CSU: Abgelehnt! Die Bürgermeister und die
Oberbürgermeister der CDU und der CSU haben die durch
das Steuervergünstigungsabbaugesetz zu erwartenden
Mehreinnahmen längst in ihre Haushalte eingestellt, weil
sie dieses Geld dringend brauchen. Sie aber verweigern
sich.
({2})
Deshalb noch einmal die Bitte an Sie, Herr Hinsken, und
an alle bei Ihnen, die klaren Verstand haben und nicht so
ideologisch herangehen, wie das Herr Merz tut:
({3})
Sorgen Sie dafür, dass das Steuervergünstigungsabbaugesetz beschlossen wird! Sie tragen sonst die Verantwortung
dafür, dass die Kommunen auch in Zukunft die Investitionen, die dringend erforderlich wären, nicht finanzieren
können. Es liegt an Ihnen! Sie haben die Chance, dem
Handwerk zu Arbeit zu verhelfen. Von der FDP will ich in
diesem Zusammenhang gar nicht sprechen.
({4})
Über illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit reden
Sie nicht - das passt in das Schema von Herrn Merz nicht
hinein -, obwohl dies eines der größten Probleme überhaupt ist und diese „Branche“ so schnell wächst wie keine
andere. Wo aber sind sie denn, diese Leute? Viele der Unternehmen sind in den Arbeitgeberverbänden organisiert.
Deshalb sage ich an dieser Stelle den Herren Rogowski
und Hundt: Wenn ihr über die hohen Lohnnebenkosten
klagt, dann seht doch bitte ein, dass ihr selbst etwas dafür
tun müsst! Auch Mitglieder eurer Organisationen tun ihre
Arbeit am Finanzminister und am Sozialsystem vorbei;
der ehrliche Handwerker, der ehrliche Unternehmer ist der
Dumme, während sich die anderen ins Fäustchen lachen.
({5})
Wir haben in der letzten Legislaturperiode in Bezug auf
das Tariftreuegesetz und das Arbeitnehmer-Entsendegesetz sowie die Regelungen zum Lohndumping im Baugewerbe Gesetzesinitiativen ergriffen,
({6})
die von Ihnen alle bekämpft worden sind. Deshalb lautet
meine Aufforderung an Sie: Wer über die Senkung der
Lohnnebenkosten spricht ({7})
- Herr Schauerte, lassen Sie das! -, der muss auch im Blick
haben, dass es ganz wichtig ist, die illegale Beschäftigung
und die Schwarzarbeit in Deutschland einzudämmen! Das
wissen Sie doch auch, Sie tun nur nichts dagegen.
({8})
Kollege Müntefering, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Michelbach?
Nein, es tut mir Leid, ich habe nur noch eine Minute
Redezeit.
Ich will noch zwei Bereiche ansprechen, die für die
Binnennachfrage in unserem Land ganz wichtig sind.
Wir wissen: Der Export läuft. Wir hoffen, dass das so weitergeht. Deutschland ist als Industrieland exportfähig und
die großen Unternehmen sind gut drauf. Aber wir wissen
auch, dass die Binnennachfrage nicht so groß ist, wie sie
sein sollte. Woran liegt das?
({0})
- Herr Schauerte sagt natürlich, das liegt daran, dass die
Sozis regieren.
({1})
- Jetzt klatschen Sie auch noch.
({2})
- Wer es so billig erklären will, der soll das doch tun.
Wenn Sie es jedoch genau ansehen, werden Sie feststellen, dass die Zurückhaltung beim Kaufverhalten während
der 90er-Jahre gewachsen ist. Im Jahre 2001 betrug die
Sparquote 140 Milliarden DM.
In welchen Bereichen können wir die Binnennachfrage
anstoßen? Wir können zu Investitionen in den Kommunen
beitragen, aber auch im Bau- und Gesundheitsbereich. In
der Gesundheitspolitik müssen wir in diesem Jahr große
Reformen anpacken und zu Entscheidungen kommen.
Das Gesundheitswesen ist eine der größten Branchen in
unserem Land; dort sind viele Menschen beschäftigt und
werden in Zukunft noch mehr Menschen beschäftigt sein.
Dies ist nicht die Stunde, über Gesundheitsreformen zu
sprechen, aber für die Debatte, die wir darüber führen
werden, kündige ich schon jetzt an, dass wir gemeinsam
darauf achten müssen - das werden wir auch tun -, die
Existenzfähigkeit dieser Branche - ich sage das mit Blick
auf die Arbeitsplätze - zu erhalten; denn das Gesundheitswesen ist ein ganz wichtiger Aspekt für die Entwicklung der Binnennachfrage.
Abschließend möchte ich nur noch stichwortartig den
Bereich der Energiepolitik nennen. Hier geht es darum
zu prüfen, ob mit der energetischen Gebäudesanierung
- 160 Millionen Euro sind dafür in den Haushalt 2003 eingestellt - zwei Dingen gleichzeitig Genüge getan werden
kann:
({3})
dem der Schutz unserer Umwelt und der Schaffung von
Arbeitsplätzen. Sie von der Opposition haben sich in der
Energiepolitik in der vergangenen Legislaturperiode verweigert. Wir haben 15 Gesetzentwürfe in den Bundestag
eingebracht, Sie haben 13 Mal dagegen gestimmt.
Wir haben die Verwendung der erneuerbaren Energien
aus ökologischen Gründen gestärkt, wir haben das aber
auch getan, um Arbeitsplätze zu schaffen. Die Energiepolitik muss auch bei der Verbesserung des Gebäudebestandes in der Bundesrepublik Deutschland eine Rolle spielen. Hier liegt eine große Chance für die kleinen und
mittleren Unternehmen; hier können wir etwas am Arbeitsmarkt bewegen.
({4})
Ich verstehe natürlich, dass Sie jetzt ungläubig schauen
und nicht klatschen; denn Sie wissen, dass ich Recht habe.
Mein Angebot und meine Bitte lauten: Wir müssen in den
nächsten Wochen und Monaten im Bundestag darüber
sprechen, wie wir den Arbeitnehmern und Unternehmen
konkret helfen können; denn wir brauchen mehr Arbeitsplätze in diesem Land. Wir müssen aber endlich aufhören,
in Schlagworten die großen makroökonomischen Dinge
anzusprechen, wie es Herr Merz tut; sie sind nämlich bei
ihm nichts anderes als Luftschlösser.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem
Kollegen Hans Michelbach.
Herr Müntefering, Sie haben die Chuzpe gehabt, die
deutsche Wirtschaft mit einer Globalschelte zu belegen.
Ich muss diese Schelte, die Sie gegenüber den Verbandsvertretern und der gesamten deutschen Wirtschaft betrieben haben, strikt zurückweisen. Allein die deutsche Wirtschaft zahlt 600 Milliarden Euro im Jahr an
Sozialabgaben. Es gibt also keinen Grund, die deutsche
Wirtschaft in dieser Form in die Ecke zu stellen. Herr
Müntefering, das muss ich Ihnen ganz deutlich sagen.
({0})
Sie haben gerade versäumt, Rezepte zur Bekämpfung
der Schattenwirtschaft vorzulegen. Im Bereich der Schattenwirtschaft sind im letzten Jahr 370 Milliarden Euro erwirtschaftet worden. Das war der einzige Bereich, in dem
es einen Zuwachs gegeben hat. Inzwischen beträgt sein Anteil 17,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Das ist Rekordniveau! Dagegen haben Sie kein Rezept. Sie haben
pauschal die deutsche Wirtschaft angegriffen, statt die
Schattenwirtschaft gezielt zu bekämpfen.
Noch ein Wort zur Schuldenentwicklung: Sie haben
gesagt, die Entwicklung der Staatsquote hänge mit der
Schuldenentwicklung zusammen. Das ist zwar richtig, aber
Sie dürfen nicht nur in eine Richtung schauen, sondern
müssen sich selbst die Frage stellen: Was haben Sie zur
Konsolidierung und zur Rückführung der Verschuldung
gemacht? In den Jahren Ihrer Regierungsverantwortung ist
die Neuverschuldung um über 100 Milliarden Euro gestiegen. Das haben Sie zu verantworten. Lassen Sie die Finger
vom Stabilitäts- und Wirtschaftspakt und nehmen Sie diese
Situation wahr! Dazu fordere ich Sie herzlich auf.
({1})
Kollege Müntefering, Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Sehr geehrter Kollege, wenn ich hier Herrn Merz in
Person kritisiere, meine ich nicht die ganze Fraktion der
CDU/CSU. Wenn ich Herrn Rogowski kritisiere, meine
ich nicht die ganze Wirtschaft in Deutschland.
({0})
Dass wir in Deutschland tüchtige Unternehmer haben,
müssen Sie uns nicht sagen. Dass Unternehmen schwarze
Zahlen schreiben müssen, wissen auch wir Sozialdemokraten. In diesem Zusammenhang ist Schwarz ausnahmsweise einmal eine schöne Farbe. Dazu wollen wir auch
gern unseren Teil beitragen.
Unsere Wirtschaft ist global tätig und das ist gut für
uns; denn wir gewinnen durch die Globalisierung, das ist
überhaupt keine Frage. Wir haben der deutschen Wirtschaft in den vergangenen Jahren geholfen, wettbewerbsfähig zu werden.
({1})
- Es kann sein, dass Herr Merz Ihnen immer etwas anderes erzählt, aber hören Sie einfach mal zu.
({2})
Wir haben in den vergangen Jahren dafür gesorgt, dass
ein Großteil dieser Unternehmen keine oder fast keine
Steuern mehr zahlen musste. Sprechen Sie einmal mit
Herrn Hinsken, er wird Ihnen das bestätigen!
({3})
Die Handwerksbetriebe sowie die kleinen und mittleren
Unternehmen beklagen doch, dass wir die großen Unternehmen in solcher Weise hofieren und die kleinen Unternehmen im Grunde angeblich verkümmern lassen.
Herr Kollege, wir haben kein Problem damit, eine vernünftige Industriepolitik zu machen. Wir bleiben Industrieland. Die großen Industriebetriebe bleiben die Lokomotive für unsere Wirtschaft. Hier machen wir keine Abstriche.
An dieser Stelle muss man aber auch klipp und klar sagen:
Vorwürfe aus dieser Richtung an uns und den Versuch, die
Handlungsmöglichkeiten der Gewerkschaften zu zerschlagen, halte ich für nicht vernünftig. Wir wenden uns dagegen;
denn dies kann keine vernünftige Entwicklung sein.
({4})
Nun zu Ihrer Anmerkung zur Staatsquote: Sie können
es wenden, wie Sie wollen, aber die Zinsen in Höhe von
circa 40 Milliarden Euro, die wir pro Jahr auf Bundesebene zahlen müssen, stellen eine Belastung für den Staat
dar. Jedes Prozent Staatsquote macht ungefähr 20 Milliarden Euro aus. Unsere Zinsschuld macht also allein 2 Prozent der Staatsquote aus. Ich habe nicht behauptet - keiner
von uns sagt das -, dass wir die Schulden gesenkt haben.
({5})
- Das ist doch billig, hört doch auf! Ihr wisst doch ganz
genau, dass es anders ist.
Es geht nicht darum, ob die Schulden gesenkt worden
sind. Es geht darum, dass die Nettokreditaufnahme reduziert worden ist. Das ist geschehen und darauf sind wir
stolz. Das war schon schwer genug.
({6})
Die Leistung, die Hans Eichel in den letzten vier Jahren
erbracht hat
({7})
- die Schulden sind immer in Relation zu den Einnahmen
zu sehen, Herr Kauder -,
({8})
ist die: 1998 wurden von jeder Mark, die an Steuern eingenommen wurde, 22 Prozent für Zinszahlungen aufgewandt. Heute beträgt diese Quote 19 Prozent. 19 Prozent
sind deutlich weniger als 22 Prozent. Wir haben die Handlungsfähigkeit des Staates verbessert. Darauf sind wir
stolz und diesen Weg gehen wir weiter.
({9})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Heinz Riesenhuber,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Argumentation von Herrn Müntefering ist in einer raffinierten Weise darauf angelegt, die Menschen zu
verwirren. Erst hat er hier dargestellt, die jetzige Form der
Körperschaftsteuer sei verhängnisvoll, man müsse sie
erhöhen und die Union müsse das mittragen.
({0})
In Ihrer Antwort auf die Kurzintervention des Kollegen
Michelbach haben Sie dagegen mit großer Begeisterung
dargestellt, dass Sie mit dieser Körperschaftsteuer eine
Leistung vollbracht und zur Entlastung der Industrie beigetragen haben.
Der Hintergrund ist aber doch der: Herr Eichel hatte
den Auftrag, den Körperschaftsteuersatz zu halbieren.
Ihm ist damit gelungen, von Einnahmen aus der Körperschaftsteuer in Höhe von 23 Milliarden Euro zu Ausgaben
von knapp 2 Milliarden Euro pro Jahr zu kommen. Dieser
Einbruch ist auf den Fehler von Herrn Eichel bei seiner
Arbeit zurückzuführen. Er hat seine Probleme nicht lösen
können. Wenn Sie das, was Herr Eichel in den Sand gesetzt hat und wodurch er uns in eine steuerliche Falle hat
tappen lassen - dies bringt uns in eine überaus kritische
Situation -, als Triumph der Weisheit und der überlegenen
Strategie der SPD darstellen wollen, dann ist das wirklich
ein Hochmaß an Raffinement, an intellektueller Akrobatik, das man schon fast bewundern muss.
({1})
Zum Thema Schwarzarbeit hat Ihnen der Kollege
Michelbach in schlichten Worten einige relevante Punkte
mitgeteilt. Die Frage ist doch: Warum steigt die Schwarzarbeit, wenn Sie regieren? Wenn Sie anfangen, die Minijobs sozusagen zu kriminalisieren,
({2})
dann bekommen Sie natürlich Probleme. Und von der
Union haben Sie verlangt, dies wieder ins Lot zu bringen.
Wir haben die Minijobs in eine vernünftige Form gebracht. Die konstruktive Arbeit der Union im Bundesrat
war hilfreich für die Zukunft Deutschlands. Wir haben
dieses unsägliche und abstruse Gesetz zur Bekämpfung
der Scheinselbstständigkeit de facto abgeschafft. Sie sollten sich bei uns herzlich bedanken und nicht solch aufsässige Bemerkungen machen.
({3})
Mir ist die Debattenstrategie, die Sie an den Tag gelegt
haben, nicht vollkommen klar.
({4})
Herr Clement hat gerade eine faszinierende Rede gehalten.
({5})
Er hat im Grunde im Einzelnen dargestellt, dass, warum
und wie die Reformen durchgeführt werden müssen und
dass die konstruktive Zusammenarbeit mit der Union gefordert sei. Herr Müntefering dagegen hält eine Rede, als
habe er die Absicht, die Opposition zu stürzen. Das ist
keine besonders intelligente Strategie.
({6})
Herr Schulz hat auf konstruktive Weise, die wir von unseren Freunden bei den Grünen gewöhnt sind, darauf hingewiesen, dass wir Vorschläge machen sollen. Das heißt also:
Ihr braucht uns! Lieber Herr Müntefering, warum kommen
Sie nicht mit Liebe und Demut auf uns zu und bitten uns
um brüderlichen Rat, der Ihnen helfen soll, eine verfahrene
Situation halbwegs wieder in Ordnung zu bringen?
({7})
Wir machen - Herr Friedrich Merz hat darauf hingewiesen - konkrete Vorschläge. Wir haben, obwohl dies
alles schwierige Bereiche sind, Vorschläge zu den betrieblichen Bündnissen für Arbeit, zur Gesundheitspolitik
und zu der Frage des Kündigungsschutzes vorgelegt.
({8})
Wenn Sie weise wären, sehr geehrter Herr Kollege
Müntefering, dann müssten Sie in den nächsten eineinhalb
Jahren mit Sorgsamkeit vorgehen, als ob Sie einen großen
Schatz beschützen müssten. Denn jetzt sind die Wahlen in
Hessen und Niedersachsen gelaufen. Das Ergebnis ist zum
einen sicher der großartigen Leistung von Christian Wulff
zu verdanken. Der Erfolg ist auch der hervorragenden Regierungsarbeit von Roland Koch mit Ruth Wagner zu verdanken. Das Ergebnis war aber auch eine massive Ohrfeige für die Bundesregierung, weil es die Leute nicht
mehr ausgehalten haben, was hier gelaufen ist.
({9})
Sie haben nun 18 Monate Zeit bis zu den nächsten großen
Wahlen, die die Mehrheit im Bundesrat verändern könnten. Diese Zeit müssten Sie, wenn Sie ein Minimum an
Weisheit haben, so nutzen, dass Sie das Land voranbringen. Und wie sieht es aus? Die Mehrheiten sind klar: Sie
haben im Bundestag - wie auch immer - die Mehrheit.
Wir haben im Bundesrat die Mehrheit; diese ist stark. Sie
brauchen für die relevanten Punkte bei dem, was Sie vorhaben, auch den Bundesrat.
({10})
Dabei kann die Arbeitsteilung nicht so aussehen, dass wir
sagen, was alles getan werden soll, und Sie uns erläutern,
warum dies alles Käse sei. Herr Müntefering, dies ist
keine geschickte Strategie; das ist einfach schlechtes
Handwerk.
({11})
Sie müssten mit handfesten und konkreten Vorschlägen
kommen und müssten sagen, was Sie jetzt wirklich wollen.
({12})
- Schauen Sie, eine solch konstruktive, in die Zukunft
weisende Opposition machen wir nicht aus Liebe zu Ihnen, sondern aus Liebe zu Deutschland. So etwas kann
sich ja jede Regierung nur wünschen.
({13})
Wenn ich an 1996, die Petersberger Beschlüsse und die
damalige Steuergesetzgebung, zurückdenke, dann muss
ich sagen: Ihre Strategie bestand in nichts anderem, als
diese ganze Sache blindlings zu blockieren, obwohl sich
das verheerend für die Zukunft Deutschlands ausgewirkt
hat.
({14})
Wir sind jetzt in der Situation, die beschrieben worden
ist und die Friedrich Merz analysiert hat: Es ist im Grunde
alles verkorkst. Unsere Chance besteht eigentlich nur
darin, dass wir im europäischen Vergleich so schlecht
sind. Wenn wir so schlecht sind, dann heißt das doch, dass
wir ein gewisses Potenzial haben. Dann können wir besser werden; darauf können wir aufbauen. Und dann bringen Sie solche Vorschläge!
Der Sachverständigenrat hat uns handfeste Vorschläge gemacht. Sein erster Punkt ist: Steuern senken,
erst Recht in dieser Situation.
({15})
Was machen Sie? Die Steuerreform mit der Entlastung für
den Mittelstand stand im Gesetzblatt. Das nehmen Sie
jetzt erst einmal wieder heraus. Ferner sagen Sie, die Banken seien des Teufels, weil sie für den Mittelstand den Zugang zu den Krediten erschweren. Dazu meine ich: Geben
Sie doch dem Mittelstand die Chance, Geld zu verdienen
und somit Eigenkapital aufzubauen. Dann kann er auch zu
den Banken gehen.
({16})
Die Banken haben kein eigenes Geld; es ist das Geld der
Bürger. Der typische kleine Sparer, der sein Geld einer
Bank anvertraut, stellt das Geld zur Verfügung, mit dem
der Mittelstand arbeiten soll. Mit diesem Geld muss die
Bank verantwortlich umgehen. Welche Vorstellung von
Wirtschaft haben Sie eigentlich?
({17})
Der Kollege Brüderle hat mit der Dynamik, die ihm eigen ist und die wir alle sehr bewundern,
({18})
darauf hingewiesen, dass wir nur mithilfe des Mittelstands eine Chance haben, das Problem der Arbeitslosigkeit zu überwinden.
({19})
Natürlich ist dies die einzige Chance. Und dann frustrieren Sie den Mittelstand mit 48 Steuererhöhungsgesetzen.
Wenn ich mir eine Strategie überlegen sollte, wie man die
Leute verrückt machen und sie so beschäftigen könnte,
dass sie keine Lust mehr zur Arbeit haben, dann würde ich
sagen: Ich mache 48 Gesetze. Deutschland steckt in einer
Krise und Sie reden über die Mehrwertsteuer auf Schnittblumen und Katzenfutter. Das ist doch wirklich ein Witz.
({20})
Was ist denn das für ein Weltbild, das dahinter steckt?
Herr Minister Clement hat mit markigen Worten gesagt: Die Zeit der markigen Worte ist vorbei. Jetzt geht es
darum, Taten sehen zu lassen. - Jawohl! Sie haben bis
jetzt in eindrucksvollen und majestätischen Worten die
Vorschläge genannt, die gemacht worden sind. Die Vorschläge des Sachverständigenrates gefallen mir besser als
jene, die im Jahreswirtschaftsbericht enthalten sind. Die
Vorschläge des Sachverständigenrates sind konkreter und
handfester; der Sachverständigenrat spricht über die
Staatsquote in einer sehr viel konkreteren Weise als Sie.
Aber wie dem auch sei: Jetzt leisten Sie mal etwas!
In der Tat, Herr Müntefering, Sie haben Recht - ich
freue mich, auch Ihnen einmal zustimmen zu können; hier
sehen wir ja, wie die Liebe unter den Menschen wächst -:
({21})
Im Jahreswirtschaftsbericht findet sich eine Passage, in
der es heißt, das schrittweise zu erreichende, mittelfristige
Ziel bei der Steuer- und Abgabenlast seien 40 Prozent.
Dazu sage ich: Prima! Aber das steht am Schluss eines
kleinen Abschnittes über die Rürup-Kommission, sodass
man sich wundert. Das ist ungefähr so, wie der Pilatus ins
Credo kommt: Zufällig steht es da drin. Dabei ist das doch
der zentrale Punkt, von dem aus Sie ableiten müssten, was
Sie wollen, von dem aus Sie Ihre Strategie entwickeln
müssten, von dem aus man aufbauen müsste, was in
Deutschland sein soll. Unter diesem Titel wären alle einzelnen Maßnahmen zu fassen: Wirtschaftswachstum,
Bürokratieabbau. Den Bürokratieabbau machen, bitte
schön, Sie; Bürokratieabbau ist exekutives Handeln. Dabei kann Ihnen die Opposition selbst bei all ihrer brillanten Intelligenz und ihrer überlegenen Konzeptionskraft
nur begrenzt helfen. Wie wir das machen, haben wir in
Hessen gezeigt. Von Hessen lernen heißt, wie Sie einmal
gesagt haben, siegen lernen.
({22})
Wir haben dort 39 Prozent der Verwaltungsvorschriften
und 15 Prozent der Rechtsverordnungen abgebaut. Die
Menschen haben dabei keine Schmerzen erlitten, sondern
sind glücklicher geworden. Das heißt: Tun Sie etwas!
Bringen Sie etwas voran!
Herr Clement, wir sehen mit Freuden, dass Sie mit
großer Dynamik und Tatkraft gestartet sind.
Kollege Riesenhuber, ich muss Sie leider daran erinnern, dass Sie Ihre Redezeit deutlich überschritten haben.
({0})
Ich bitte um Nachsicht und komme zum Schluss. Herr Bundesminister Clement, ich freue mich über jeden
Wirtschaftsminister, der als Tiger startet. Wir hoffen sehr,
dass Sie nicht als Bettvorleger landen. Es ist nicht nur eine
Frage des persönlichen Geschicks des hochverehrten
Herrn Bundesministers, sondern auch eine Frage, ob die
begrenzte Zeit genutzt wird, Deutschland voranzubringen, ob Sie mit den markigen Reden aufhören und zu den
Taten, die Sie so mannhaft in Ihren markigen Reden verlangt haben, schreiten. Hier bauen wir auf Ihre konstruktive Tatkraft. Sie können sich darauf verlassen, dass die
Opposition Sie konzeptionell so begleiten und immer
wieder herausfordern wird, dass all Ihre intellektuellen
Fähigkeiten in hinreichendem Maße entwickelt werden.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir werden vor Herrn Riesenhubers Auftritten zukünftig links
und rechts noch zwei Standmikrofone installieren müssen.
Nun erteile ich Kollegin Gesine Lötzsch das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Riesenhuber, auch ich muss sagen, dass ich vor allen
Dingen von den sportlichen Leistungen, die Sie hier vollbracht haben, begeistert bin. Das ist eine tolle Sache.
Ich denke, der vorliegende Jahreswirtschaftsbericht
ist ein Dokument, das bisher für einen Jahreswirtschaftsbericht einmalig ist; denn es ist von sehr viel Pessimismus
geprägt. Die Arbeitslosenzahlen bleiben hoch und die
Prognosen für das Wirtschaftswachstum sind minimal; sie
liegen inzwischen bei unter 1 Prozent. Das ist tatsächlich
eine denkbar schlechte Ausgangslage für eine wirtschaftliche Stabilisierung.
Die Bundesregierung macht die schlechte Weltwirtschaftslage etwas zu einseitig für diese Situation verantwortlich. Ich glaube, es ist ein Fehler, darauf zu vertrauen,
dass die Wirtschaft nur über ständig steigende Exportüberschüsse wieder angekurbelt werden könnte. Anknüpfend an die gestrige Debatte möchte ich den Einfluss der
internationalen Lage selbstverständlich nicht vernachlässigen. Wir als PDS lehnen einen Krieg gegen den Irak ab,
weil wir Krieg für kein Mittel der Politik halten.
({0})
Aber auch für die Wirtschaft in Europa hätte ein Krieg gegen den Irak verheerende Folgen.
Meine Damen und Herren, zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und zur Ankurbelung der Wirtschaft setzt
die Bundesregierung auf alte Rezepte, deren Unwirksamkeit längst nachgewiesen ist. Dabei muss man nur nach
Ostdeutschland schauen. Weder die weitere Flexibilisierung des Arbeitsmarktes noch Billiglohnstrategien werden zu Erfolgen führen. Würden niedrigere Löhne wirklich Arbeitsplätze in Deutschland schaffen, müssten wir
im Osten die niedrigsten Arbeitslosenzahlen in der Bundesrepublik haben. Flexible Arbeitszeiten, untertarifliche
Bezahlung und unregelmäßige Lohnzahlungen sind dort
keine Seltenheit. Ich frage mich häufig, wie die Menschen
ihre Existenz mit derart niedrigen Löhnen überhaupt sichern können.
Trotz Investitionen in die Infrastruktur verpuffte der
Gründungsboom in Ostdeutschland Anfang der 90er-Jahre. Das Gegenteil ist eingetreten: Durch die sinkende
Kaufkraft wird auch noch die Binnennachfrage lahm gelegt. Solange das Wirtschaftswachstum unter 2 Prozent
liegt, werden auch keine neuen Arbeitsplätze entstehen.
Anstatt aber die Beschäftigung über wirksame Arbeitsmarktprogramme zu fördern, zielt die Politik der Bundesregierung im Augenblick weiter darauf ab, die Arbeitslosen loszuwerden. Ich halte das weder wirtschaftlich noch
sozial für vernünftig.
Die Bundesanstalt für Arbeit - so sagte der Minister
gestern im Ausschuss - soll sich von einer Anstalt zu einer Agentur wandeln. Das hört sich als Schlagwort erst
einmal sehr gut an. Aber der Paradigmenwechsel, für den
Florian Gerster stehen will, hat sich auf die Lage der Arbeitslosen bisher noch nicht positiv ausgewirkt. Bemerkenswert finde ich, dass Gerster gegenüber den Landesarbeitsministern erklärt hat, für ihn stünden die Interessen
der Beitragszahler im Vordergrund. Das ist aus meiner
Sicht zwar richtig, aber nur so lange, wie die Bedürfnisse
der Arbeitslosen dabei nicht aus dem Blick geraten.
Die Koalition hat sich nun vorgenommen, die Zuschüsse
für die Bundesanstalt für Arbeit auf null zu reduzieren. Bekanntlich haben die ostdeutschen SPD-Abgeordneten dagegen protestiert und die Einstellung von über 800 Millionen Euro in den Haushalt gefordert. Damit konnten sie
sich in ihrer Fraktion nicht durchsetzen. Ich würde Ihnen
aber empfehlen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von
der SPD, die konkreten Erfahrungen Ihrer Abgeordneten
aus dem Osten ernster zu nehmen. Die Ostdeutschen sind
zwar in diesem Land die Minderheit. Ihren Wahlsieg vom
September 2002 hat die SPD aber den Ostdeutschen zu verdanken. Dass die Wählerinnen und Wähler mit ihrer
Stimmabgabe konkrete Erwartungen verbinden, ist kein
Geheimnis. Das sollten Sie nicht vergessen.
Die Mittelstandsförderung, die sich die Bundesregierung auf die Fahnen geschrieben hat, nimmt im Wirtschaftsbericht nur einen kleinen Raum ein. Qualität muss
nicht mit Quantität gleichgesetzt werden, aber bemerkenswert ist diese Zurückhaltung schon. Ich denke, eine
neue Mittelstandspolitik ist dringend erforderlich. Die
Bedeutung kleiner und mittelständischer Unternehmen
wird nicht nur gesamtwirtschaftlich, sondern auch gesell2032
schaftlich unterschätzt. Der Mittelstand schafft zwar die
meisten Arbeitsplätze, erhält aber die wenigsten Subventionen. Das ist nicht nur ungerecht, sondern auch ökonomisch bedenklich.
Werden Großprojekte wie Cargolifter oder Lausitzring
- salopp gesprochen - in den Sand gesetzt, ist das ganze
Geld verloren und die Folgekosten sind groß. Werden
aber vergleichsweise geringe Subventionen an mehrere
kleine und mittlere Unternehmen vergeben, so ist die Erfolgswahrscheinlichkeit rein statistisch höher. Das bedeutet allerdings mehr Arbeit für diejenigen, die die Gelder
verwalten. Auch bringt es nicht so schicke Politikerfotos
von geretteten Großbetrieben. Dass diese Rettungsaktionen - siehe Holzmann - oft nicht von Dauer sind, sei hier
nur am Rande erwähnt.
({1})
Ich denke, dass wir in der Mittelstandspolitik - Herr
Präsident, ich bin gleich fertig - den Bedürfnissen ostdeutscher Betriebe gerecht werden müssen. Diese Betriebe sind oft sehr klein. Ihr Problem ist das fehlende Eigenkapital. Im Osten gibt es nun einmal nicht die viel
beschworene Erbengeneration. Dort sind keine Erbtanten
oder reichen Eltern, die ihrer Verwandtschaft mit umfangreichen Immobilien Sicherheit bieten können. Von
den Banken werden die zahlreichen jungen Unternehmer
in den neuen Ländern oft wie die letzten Löffel behandelt.
Jede Wirtschafts- und Arbeitsmarktförderung wird nur
dann funktionieren, wenn es keinen Krieg geben wird.
Alle Bemühungen der Bundesregierung, den drohenden
Krieg gegen den Irak zu verhindern, finden unsere volle
Unterstützung. In dieser wichtigen Frage hat die Bundesrepublik die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. Gut
wäre, wenn die Regierung endlich zu einer Wirtschaftsund Arbeitsmarktpolitik finden könnte, die ebenfalls die
Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hat.
Danke schön.
({2})
Ich erteile Kollegen Joachim Poß, SPD-Fraktion, das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Riesenhuber hat hier - das hat sicherlich einigen gefallen im Stile eines überdynamisierten Managementgurus agiert.
({0})
- Ich meine das wirklich lieb. - Wenn man seine Aussagen auf den Kern zurückführt, hat er Steuersenkungen
gefordert. Das war seine Aussage in dieser Sache. Steuersenkungen sind also der einzige Vorschlag der Union in
dieser Debatte.
({1})
Herr Merz hat zwei Anmerkungen zum Arbeitsrecht
gemacht. Das ist alles, was die Opposition - die FDP fällt
geistig sowieso aus ({2})
in einer Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht zustande bringt! Der Bundeswirtschaftsminister konnte in
seiner Rede aus zeitlichen Gründen nicht auf alles eingehen. Den Menschen in der Bundesrepublik Deutschland
muss klar sein, auf welch geistigem Niveau Sie sich inzwischen befinden. Darum geht es im Kern.
({3})
Im Parlament muss deutlich gemacht werden, wer konkrete, vernünftige und realistische Lösungskonzepte für
die anstehenden Probleme anbietet und wer nicht. Es geht
nicht um das Schwarze-Peter-Spiel.
Herr Merz, die Art und Weise, wie Sie die Gewerkschaften bzw. die Kolleginnen und Kollegen, die sich für
andere Arbeitnehmer und deren Interessen einsetzen, diskreditieren und teilweise verleumden, ist für unseren Sozialstaat erbärmlich. Dass muss man ganz deutlich sagen.
({4})
Herr Göhner, der gerade den Saal verlassen hat, ist doch
einer Ihrer engsten Berater. Er ist Hauptgeschäftsführer
der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Herr Michelbach, der dort sitzt, ist Vizepräsident
dieses Verbands. Das sind die Funktionäre, die in diesem
Lande Fortschritte verhindern. Sie sitzen in Ihren Reihen.
({5})
So kann die Diskussion nicht geführt werden. Wir sollten sie auch nicht auf einem solchen Niveau führen, indem
nur mit dem Finger auf andere gezeigt und gefragt wird,
welche Funktionäre die anderen in ihren Reihen haben.
({6})
- Ich wollte damit nur deutlich machen, dass die Diskussion, die Sie losgetreten haben, Herr Merz, und in der die
Arbeitnehmerinteressen verleumdet werden, Ihnen nicht
aus Ihrer Verlegenheit heraushilft. Diese Verlegenheit,
Herr Merz, haben Sie kürzlich in einem Interview in der
„Welt am Sonntag“ deutlich gemacht.
({7})
Darin haben Sie nämlich Ihr zentrales Wahlkampfversprechen der Steuersenkungen - Herr Riesenhuber hat das
nicht richtig mitbekommen; das verstehe ich nach seinem
Auftritt auch ({8})
wieder kassiert, Herr Merz, weil Sie die Fakten ein wenig
kennen.
({9})
Sie haben keine Steuersenkungen mehr versprochen, sehr
wahrscheinlich aus guten Gründen. Denn Sie wissen um
die Widersprüche. Der saarländische Ministerpräsident
Müller hat sogar festgestellt, dass Steuererhöhungen notwendig sind, vielleicht noch nicht 2003, aber dann 2004.
Herr Böhmer hat sich in ähnlicher Weise eingelassen. Das
ist die Situation. Sie werden von den Realitäten dieses
Landes eingeholt, meine Damen und Herren von der Opposition. Darüber werden wir in den nächsten Tagen und
Wochen ringen. Darum geht es nämlich.
Kollege Poß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Fischer?
Gerne.
({0})
Herr Poß, können Sie sich vorstellen, dass sich jemand,
der elfeinhalb Jahre Betriebsratsvorsitzender war und seit
über 30 Jahren in der Gewerkschaft ist, von manchen
Funktionären dieser Gewerkschaft nicht mehr vertreten
fühlt so wie ich?
Entschuldigen Sie, aber bei aller Sachlichkeit: Das ist
Ihr Problem.
({0})
Es ist Ihr Problem, wie Sie das wahrnehmen, weil Sie als
Betriebsratsvorsitzender möglicherweise eine Politik unterstützen, die in einem diametralen Gegensatz zu den Arbeitnehmerinteressen steht. Da müssen Sie sich Ihre eigene Befindlichkeit klar machen.
({1})
Herr Merz hat in der „Welt am Sonntag“ festgestellt:
Die Finanzpolitik kann derzeit angesichts der desaströsen Lage der öffentlichen Haushalte keinen
konstruktiven Beitrag zur Lösung der Wirtschaftskrise mehr leisten.
Ich finde es beachtlich, wenn Herr Merz nur wenige Tage
nach den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen
zugibt, dass die riesigen Steuersenkungsforderungen der
Union, die noch in dieser Woche von Herrn Glos und Frau
Merkel wiederholt wurden, kassiert werden.
({2})
Damit wurde den Menschen Sand in die Augen gestreut.
Das war nichts anderes als Augenwischerei und
Schwindel. So viel zum Thema Glaubwürdigkeit und
Lügen.
({3})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Laumann?
Natürlich. Das ist ja für die Redezeit günstig.
Herr Kollege Poß, Sie haben meinen stellvertretenden
Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz wegen einiger Äußerungen über die Gewerkschaften angegriffen. Ich will
noch einmal klarstellen: Der Kollege Merz hat nichts anderes gesagt,
({0})
als dass die Entscheidungen in diesem Land im Parlament
und nicht in den Vorständen welchen Verbands auch immer fallen müssen. Bestätigen Sie das?
({1})
Ich möchte Ihnen noch eine zweite Frage stellen. Sie
kommen ja aus dem Ruhrgebiet, in dem es eine starke gewerkschaftliche Tradition gibt.
({2})
Würden Sie mir nicht Recht geben, dass es leider in den
vergangenen Jahren bei vielen DGB-Gewerkschaften die
Entwicklung gegeben hat, dass das Prinzip der Einheitsgewerkschaften nicht mehr gelebt wurde
({3})
und dass gerade im Ruhrgebiet auf Gewerkschafts- und
SPD-Versammlungen kaum noch ein Unterschied in der
Rhetorik erkennbar war?
({4})
Könnten Sie sich vorstellen, dass sich die 50 Prozent Arbeitnehmer, die bei den letzten beiden Landtagswahlen
die CDU gewählt haben, durch diese Rhetorik nicht mehr
angesprochen fühlen?
({5})
Herr Laumann, ich glaube, dass Sie wirklich ein aufrechter Mensch sind. Das will ich ausdrücklich konstatieren. Aber Sie haben ein Problem. Sie als Arbeitnehmervertreter müssen im Zweifel immer die Interessen des
Wirtschaftsflügels Ihrer Fraktion im Deutschen Bundestag vertreten. Das ist Ihr Problem, obwohl Sie versuchen,
diesen Interessenkonflikt abzumildern. Ich schätze Sie
persönlich. Dennoch muss ich Ihnen sagen, dass Sie im
Zweifel auf eine Politik setzen, die sich gegen die Arbeitnehmerschaft richtet.
({0})
Die Konzepte, bei denen Sie konkret werden, wie zum
Beispiel bei den Konzepten zur Gesundheitsreform, richten sich gegen die Arbeitnehmerschaft. Das ist Ihr persönliches Problem, Herr Laumann. Davon kann ich Sie
- mit welcher Antwort auch immer - nicht befreien.
({1})
Ich stelle fest: Wir bleiben berechenbar für Arbeitnehmer, für die mittelständischen Unternehmen und für Familien mit Kindern. Wir senken in den Jahren 2004 und
2005 weiter die Steuern.
({2})
Wir sind also berechenbar. Wir hatten im letzten Jahr die
niedrigste Steuerquote innerhalb der OECD. Die Ministerpräsidenten der Union bekommen einer nach dem anderen kalte Füße, weil sie wissen, dass die Finanzprobleme in erster Linie auf eine unzureichende Steuerbasis
zurückzuführen sind. Darüber werden wir uns in den
nächsten Wochen auseinander setzen müssen.
Monatelang haben Sie, wie gesagt, die Senkung des Einkommensteuerspitzensatzes auf unter 40 Prozent und anderes mehr gefordert. Wo aber bleiben Ihre konkreten Vorschläge? Sie haben doch immer den Eindruck erweckt, Sie
hätten Konzepte. Jetzt sagt Frau Merkel, dass Sie noch etwas Zeit brauchen, um Konzepte vorzulegen. Wo ist denn
das Sparpaket von Herrn Stoiber? Die „Rheinische Post“,
die sich nicht beleidigt fühlt, wenn man feststellt, dass sie
unionsnah ist, schrieb, dieses Sparpaket sei ein Phantom.
Mit diesem Phantom können wir nicht länger Politik machen. Die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland
verlangen konkrete Antworten. Wir geben sie ihnen.
({3})
Sie haben Ihre eigene Klientel über die tatsächlichen
Verhältnisse getäuscht. Es wird für viele Menschen ein
schmerzhafter Prozess werden. Aber auch für Sie wird es
schmerzhaft werden, wenn Sie jetzt in die Realität eintauchen müssen.
Wir warten auf Ihre Vorschläge. Herr Stoiber hat doch
jeden Tag mit vibrierender Stimme gesagt, dass die
Großunternehmen, die von den Sozis so begünstigt würden, keine Steuern mehr zahlen würden und dass dies eine
soziale Schieflage sei. Diese Meinung hat er schon im
Fernsehduell mit dem Bundeskanzler vertreten. Wo ist
denn Ihr Vorschlag zur Reform der Körperschaftsteuer?
Sie sind doch gar nicht in der Lage, einen solchen Vorschlag zu machen.
({4})
Herr Meister sagt, dass Sie in diesem Punkt nichts verändern wollen. Andere wiederum äußern sich anders. Die
Wahrheit ist, dass Sie für die Auseinandersetzung mit der
Realität in diesem Lande nicht aufgestellt sind.
({5})
Sie betreiben nur Augenwischerei. Immer wenn es
konkret wird, tauchen Sie weg. Es ist eine Schande, dass
eine Volkspartei, die so viel Zustimmung in den Umfragen findet, nicht in der Lage ist, auch nur eine konkrete
Antwort auf die Sorgen der Menschen in diesem Land zu
geben.
({6})
Wir warten auf Ihre Vorschläge. In der Finanzpolitik
handeln Sie nach der Devise: nicht konkret werden und
unpräzise bleiben, mit anderen Worten: wegtauchen. Aber
das reicht nicht.
({7})
- Ich bin doch überhaupt nicht giftig.
({8})
Herr Merz hat in einem Interview mit der „Welt am
Sonntag“ gesagt: Konkreter war noch nie eine Opposition
im Bundestag. - Die Wahrheit aber ist: Noch nie war eine
Opposition im Deutschen Bundestag in der Sachauseinandersetzung so weggetaucht wie Sie.
({9})
Das gilt auch für Ihren so genannten Strategiegipfel von
letzter Woche, der ohne Ergebnis blieb.
({10})
- Herr Schauerte, pflegen Sie doch nicht Ihre Vorurteile.
Pflegen Sie endlich etwas Sachverstand, den Sie offenkundig nicht haben.
({11})
Sie sind doch auch ein Interessenvertreter. Sie sind ein
Funktionär der Volksbanken. Immer wenn es um deren Interessen geht, verschließen Sie sich den notwendigen Erkenntnissen.
({12})
Viele Unternehmen leiden darunter, dass sich die Banken
falsch verhalten. Das wissen wir doch.
({13})
Sorgen Sie dafür, dass es besser wird!
Die Unionsspitzen saßen stundenlang zusammen. Aber
kein einziger vernünftiger, konkreter Sparvorschlag hat
das Licht der Welt erblickt. Der Berg kreißte und gebar
noch nicht einmal ein Mäuschen. So viel zur Durchsetzungskraft von Herrn Stoiber, dem ehemaligen Spitzenkandidaten, der von Ihnen jetzt sozusagen zur Seite gedrängt wird.
({14})
Ich fasse zusammen. Es gibt keine konkreten Vorschläge der Union zur unabdingbaren Verbesserung der
Situation der öffentlichen Haushalte, keine konkreten
Vorstellungen zur Fortentwicklung des deutschen Steuerrechts. Ebenso gibt es, wie die gestrige Debatte gezeigt
hat, keine einheitlichen, sondern lediglich widersprüchliche Vorstellungen der Union über die Gemeindefinanzreform.
Sie müssen jetzt Farbe bekennen, weil wir in diesem
Jahr Entscheidungen für die weitere Entwicklung unseres
Landes treffen müssen. Das werden wir Ihnen abverlangen. Sie haben es in der Hand, mit uns zusammen dafür
zu sorgen, dass es zu wichtigen finanziellen Entlastungen
für Bund, Länder und Kommunen kommt, dass in diesem
Jahr - auch daran müssen Sie mitwirken - das 3-ProzentDefizit-Kriterium wieder eingehalten wird und dass wir
- auch das geht nur mit Ihrer Mitarbeit - einen großen
Schritt hin zu einem einheitlicheren und gerechteren Steuersystem machen. Sie müssen sich entscheiden.
({15})
Herr Schauerte, in einer dpa-Meldung ist zu lesen - ich
habe vergessen, sie mit an das Rednerpult zu nehmen; sie
liegt aber an meinem Platz -: Schauerte: Es wird Zeit,
dass wir uns mit den Realitäten auseinander setzen.
({16})
- Genau: Schluss mit den taktischen Spielchen. Herr
Schauerte, obwohl ich Ihnen sehr wahrscheinlich noch nie
zugestimmt habe, stimme ich Ihnen hier ausdrücklich zu.
Setzen Sie sich in der Union durch.
({17})
Machen Sie Schluss mit den taktischen Spielchen und
kümmern Sie sich stattdessen um die Sorgen und die Probleme der Menschen in diesem Land!
({18})
Ich erteile das Wort Kollegen Max Straubinger, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Poß, wir diskutieren heute über den Jahreswirtschaftsbericht des Bundeswirtschaftsministers. Er
ist an Traurigkeit nicht zu überbieten. Er geht nämlich von
der Prognose aus, dass es im Jahr 2003 im Durchschnitt
4,2 Millionen Arbeitslose in unserem Land geben wird
und dass sich die Jugendarbeitslosigkeit auf dem höchsten
Niveau zementieren wird, das sie jemals in der Bundesrepublik erreicht hat. Das ist traurig für die Menschen in
Deutschland.
({0})
Unsere Kollegen Friedrich Merz und Heinz Riesenhuber
haben heute sehr viele Vorschläge gemacht, wie wir
zukünftig unsere Wirtschaft wieder besser in Fahrt bringen können.
({1})
Herr Kollege Poß, Ihnen, der Sie angeblich nicht feststellen konnten, dass Vorschläge gemacht wurden, muss ich
entgegenhalten, dass Sie zwar ständig von den Interessen
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, nicht aber von
den Interessen der arbeitslosen Menschen in unserem
Land reden, die dringend Arbeit suchen. Das ist das Fatale
Ihrer Politik.
({2})
Herr Poß, Sie haben Berechenbarkeit angemahnt. Ich sage
Ihnen: Letztendlich sind Sie und die SPD berechenbar,
wenn es um die Konservierung der Arbeitslosigkeit in unserer Gesellschaft geht. Das ist das traurige Ergebnis Ihrer Politik.
({3})
Im Januar 2003 gab es fast 4,7 Millionen Arbeitslose
und fast 500 000 arbeitslose Jugendliche. Diese dramatische Entwicklung in Deutschland ist das Ergebnis von
vier Jahren Politik der rot-grünen Bundesregierung. Begonnen hat sie mit Lafontaine und möglicherweise wird
sie auch mit ihm enden. Er soll ja in der SPD wieder zu
neuen Ehren kommen. Begonnen hat sie mit Lafontaine,
({4})
weil damals der Bundeshaushalt um 12 Prozent aufgebläht wurde und die Grundlage für die schlechte wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland gelegt wurde.
Ein weiterer Grund ist natürlich die massive Verteuerung
der Energie in unserem Land. Die Ökosteuer führt in erster Linie - der Fraktionsvorsitzende Müntefering ist leider nicht mehr da; er ist ja der Spezialist für Konsumverzicht in unserer Gesellschaft - zu einer Verringerung der
Freiräume, die benötigt werden, um Investitionen zu tätigen bzw. die private Kaufkraft zu stärken; denn hier
wurde maßlos überzogen.
Der Kollege Müntefering hat von der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gesprochen. Ich empfehle ihm, die Wettbewerbsfähigkeit der Tankstellenbesitzer an der österreichischen Grenze etwas genauer zu
untersuchen. Wenn er das täte, dann würde er wahrscheinlich zu einer völlig anderen Meinung von der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft kommen.
({5})
Mit entscheidend war, glaube ich, dass Rot-Grün keine
Reformen vorgenommen hat und dass man auf so genannten Besitzständen hocken bleibt. Ich kann nicht verstehen, dass es ein großartiges Arbeitnehmerrecht ist,
wenn durch einen falschen Kündigungsschutz heute
Arbeitsplätze vor die Hunde gehen. Ich kann dies an einem praktischen Beispiel darlegen. Es geht um die Haushaltsberatungen in unserem Kreistag Dingolfing-Landau.
Vor zwei Jahren wurde extra ein Programm zur Integration von Aussiedlern und ausländischen Bürgerinnen und
Bürgern eingerichtet. Zwei Personen wurden mit Zeitarbeitsverträgen eingestellt. Jetzt kam der Vorschlag des
Landrats und der Verwaltung, diese Arbeit einzustellen,
obwohl sie weiterhin nötig ist. Begründung: Wenn wir die
beiden gut qualifizierten Personen weiterhin beschäftigen, werden wir sie später, wenn die Aufgabe einmal wegfällt, nicht mehr entlassen können.
({6})
- Das wollte ich noch sagen: Es war nicht ein Landrat von
der CSU, sondern der stellvertretende Bezirksvorsitzende
der SPD in Niederbayern. - Das zeigt sehr deutlich,
wie der Kündigungsschutz für Arbeitsplatzverluste in
Deutschland mit verantwortlich ist.
Ich habe den Jahreswirtschaftsbericht natürlich mit Interesse gelesen. Ich bin genau der Meinung, die der Kollege Riesenhuber vorhin schon vorgetragen hat, nämlich
dass wir in der dramatischen Lage, in der wir sind, wesentlich größere Würfe machen müssen, bessere Konzepte zur Umsetzung bringen müssen und uns nicht ständig in Klein-Klein üben dürfen.
({7})
Die SPD hat entdeckt, dass der Mittelstand der Beschäftigungsmotor schlechthin in der Bundesrepublik ist,
und führt dies auch aus: 70 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind in mittelständischen Betrieben. Sie wollen besonders den Mittelstand fördern. Ich
war völlig überrascht und von den Socken, als ich an erster Stelle las: Minimalbesteuerung und einfachste Buchführungspflichten. - Das klingt gut, Herr Bundeswirtschaftsminister. Ich möchte Sie dabei auch unterstützen.
Aber glauben Sie, dass sich jemand dann, wenn ab der
Grenze von 17 500 Euro sofort wieder alle Mechanismen
der Entbürokratisierung entfallen - unterstellt, 50 Prozent
davon sind Kosten -, mit 8 750 Euro - im Jahr, wohlgemerkt! - eine Existenz als Selbstständiger aufbauen
möchte, dann möglicherweise nicht mit 35, sondern mit
50 oder 60 Stunden Arbeitszeit in der Woche? Ich bin davon überzeugt, dass Sie da Schiffbruch erleiden werden.
Ich hätte mich unter diesen Umständen 1984 nicht selbstständig gemacht, Herr Bundeswirtschaftsminister. Das ist
Klein-Klein. Wenn man sich in Ihrem Hause um solche
Grenzen und die Frage, wie man die ins Gesetzblatt hineinbringen kann, Gedanken macht, ist das eigentlich vertaner Beamtenschweiß. Deshalb: große Würfe, Herr Bundeswirtschaftsminister!
({8})
Die Opposition, Friedrich Merz an der Spitze, hat heute
verschiedenste Vorschläge unterbreitet. Wir sind bereit,
sie in eine gemeinsame Gesetzgebungsarbeit zum Wohle
der Menschen in Deutschland mit einzubringen. Das und
nicht das parteipolitisch Kleinkarierte ist unser Ziel.
({9})
Die Wirtschaft Deutschlands muss wieder vorankommen.
Wir als Opposition sind bereit, gute Vorschläge bis ins Gesetzblatt zu bringen. Bei der Hartz-II-Gesetzgebung sind
auf unseren Druck hin die Minijobs wieder entbürokratisiert und handhabbar gemacht worden.
({10})
Wir haben erreicht, dass die Menschen in Deutschland,
die auf dieser Basis arbeiten wollen, auch wieder die
Möglichkeit dazu haben, nachdem SPD und Grüne das im
Jahr 1999 abgeschafft hatten.
Herr Kollege Straubinger, kommen Sie bitte zum
Schluss.
Ja, Herr Präsident. - Das, was ich beschrieben habe, ist
letztendlich das Ergebnis Ihrer Wirtschaftspolitik. Wir
werden Sie mit unseren Vorschlägen garantiert in eine
gute Richtung lenken. Wenn die Vorschläge der Bundesregierung uns die Zustimmung erlauben, dann hat sie unsere Unterstützung.
Besten Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Schauerte das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Poß - nachdem er uns fürchterlich beschimpft hatte, hat er die Debatte mittlerweile verlassen hat mich angegriffen, indem er darauf verwiesen hat, dass
ich gesagt habe, der Dachstuhl in Deutschland brenne und
die Zeit für taktische Spielchen sei vorbei.
({0})
Auf welches Niveau wir in Deutschland mittlerweile
gesunken sind, kann man daran erkennen, dass eine solche Äußerung als kritikwürdig angesehen wird. Wer in
diesem Saal will denn behaupten, wir hätten nicht allzu oft
und viel zu lange taktische Spielchen miteinander betrieben? Wer will das ernsthaft behaupten, ohne zu lügen?
Warum ist es angesichts dessen zu rügen, dass ein Abgeordneter in einer Situation wie der jetzigen - die Sorgen
im Lande nehmen täglich zu - sagt: Wir müssen mit dieser Art von Grabenkämpfen aufhören, wir müssen endlich
vorangehen und Gemeinsamkeiten herausarbeiten.
Das hat Herr Poß offensichtlich überhaupt noch nicht
verstanden. Sein Beitrag - er bestand im Prinzip nur aus
Beschimpfungen; das kann der Wirtschaftsminister nun
überhaupt nicht gebrauchen, wenn er Koalitionen schmieden will, um in Deutschland etwas zu bewegen - hat das
in dramatischer und beklagenswerter Weise bestätigt. Ich
kann eine solche Verhaltensweise nur auf das Tiefste bedauern. Sie entspricht nicht dem, was in Deutschland im
Moment wirtschaftspolitisch und gesellschaftspolitisch
erforderlich ist.
Herzlichen Dank.
({1})
Da Herr Poß nicht mehr anwesend ist, gebe ich dem
Kollegen Schmidt die Gelegenheit, zu erwidern.
Herr Schauerte, mit der Art von Reflex, den Sie gerade
wieder einmal gezeigt haben, dokumentieren Sie auch,
dass Sie diejenigen sind, die ständig Grabenkämpfe betrieben haben. Ich weise die von Ihnen hier in den Raum
gestellten Vorwürfe schärfstens zurück, auch im Namen
von Herrn Poß, der jetzt nicht mehr hier sein kann.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/372 und 15/100 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dirk
Fischer ({0}), Eduard Oswald, Georg
Brunnhuber, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Einführung von streckenbezogenen Gebühren für
die Benutzung von Bundesautobahnen mit
schweren Nutzfahrzeugen
- Drucksache 15/355 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({1})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Tourismus
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Georg Brunnhuber von der CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Die CDU/CSU-Fraktion bringt heute den Entwurf eines
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Einführung von
streckenbezogenen Gebühren für die Benutzung von
Bundesautobahnen mit schweren Nutzfahrzeugen ein.
Der Volksmund nennt diese Gebühren LKW-Maut; als
solche sind sie auch hier allgemein bekannt.
Dieser Gesetzentwurf sorgt für Klarheit. Seine Substanz spricht für Intelligenz; denn er wird dem gerecht,
was Gebühr im Grundsatz bedeutet. Leider Gottes hat die
Bundesregierung nie bedacht, dass das Erheben einer Gebühr mit dem Rückfluss des eingenommenen Geldes in
den Bereich, wo es gezahlt worden ist, einhergehen sollte.
({0})
Die LKW-Maut wird praktisch zu 100 Prozent von denjenigen vereinnahmt, die die Autobahn benutzen. Deshalb begreifen wir nicht, dass die Bundesregierung und die sie tragende Koalition nicht bereit ist zu sagen: Jawohl, diese
Gebühr muss auch denen zu 100 Prozent zugute kommen,
von denen wir sie einkassieren, damit derjenige, der mit seinem LKW die Autobahn benutzt, nicht von vornherein den
Eindruck hat, dass es sich hier um eine zusätzliche Besteuerung und damit um ein zusätzliches Abkassieren handelt.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, machen Sie
es sich da nicht zu leicht. Wir hatten mehrere Anhörungen
zu all diesen Fragen. Bei der letzten Anhörung im Frühjahr des vergangenen Jahres haben einige Rechtsprofessoren darauf hingewiesen, dass es verfassungsrechtlich
zumindest nicht eindeutig als sauber zu bezeichnen ist,
wenn diese Gebühr so aufgeteilt wird, wie Sie es vorhaben. Das Allerschlimmste ist meiner Meinung nach, dass
der Finanzminister einen höheren Anteil, nämlich über
700 Millionen Euro, für sich vereinnahmt und nur
600 Millionen Euro für den Ausbau der Autobahnen im
Rahmen des Anti-Stau-Programms vorgesehen sind.
Damit legen Sie jetzt schon die Fallstricke für das Scheitern Ihrer Verkehrspolitik.
({2})
Denn da, wo der Verkehr am stärksten zunimmt, nämlich
auf der Straße, da tun Sie am wenigsten. Dass die Schiene
von Ihnen aus den Einnahmen aus der LKW-Maut noch
besser bedient wird als die Straße, halten wir schlichtweg
für eine falsche Entscheidung, weil sie auch zu falschen
politischen Schlüssen führt.
({3})
Sie alle kennen die verschiedenen Prognosen: Der Güterkraftverkehr soll bis zum Jahr 2015, also in den
nächsten 13 Jahren, um etwa 64 Prozent zunehmen. Der
überwiegende Anteil dieses Wachstums wird auf den
Verkehrsträger Straße entfallen. Wir sind gerade dabei,
mehr wirtschaftliche Kontakte nach Osteuropa zu knüpfen. Das führt zwangsläufig wieder zu mehr Güterverkehr. Deshalb müsste man, wenn man eine intelligente
Verkehrspolitik machen will, zunächst einmal den Ver2038
kehrsträger Straße ertüchtigen. Wir haben in Deutschland noch viele Autobahnen - das haben Sie ja nun im
Anti-Stau-Programm selber erkannt -,
({4})
wo durch einen Ausbau von zwei auf drei Streifen die Verkehrsfrequenz erhöht werden kann. Eine Ertüchtigung
kann aber auch in Form anderer Maßnahmen erfolgen.
Dafür benötigen wir unwahrscheinlich hohe Summen.
In diesen Wochen werden ja in den Landesparlamenten
die Anmeldungen entsprechender Vorhaben für den Bundesverkehrswegeplan vorbereitet. Man hört, dass die
Maßnahmen, die dem vordringlichen Bedarf zugerechnet
werden, etwa 60 bis 70 Milliarden Euro kosten; insgesamt
geht es wohl um ein Volumen von weit über 100 Milliarden
Euro, das in den nächsten zehn bis 15 Jahren, je nach Laufzeit des Verkehrswegeplans, aufgebracht werden muss. Damit handelt es sich nicht um eine theoretische Diskussion
über den Bedarf des Straßenbaus in Deutschland, sondern
um pragmatische Feststellungen, welche Maßnahmen im
Straßenbau in Deutschland notwendig sind.
Sie können sich da auch nicht herausreden und sagen, es
handele sich nur um Anträge von CDU- und CSU-Abgeordneten. In vielen Landkreisen - ich kann das für BadenWürttemberg bestätigen - sind auch Ihre Parteifreunde im
Anmelden ziemlich spitze. Es herrscht offensichtlich zwischen Rot und Grün Übereinstimmung, dass man noch viele
Straßen bauen müsse. Wenn Sie berücksichtigen, welch unwahrscheinlich große Summe aufgebracht werden muss,
müssten Sie doch von sich aus zu der Einsicht kommen, dass
mehr Geld in den Straßenbau gesteckt werden muss.
({5})
Ich mache Ihnen jetzt einmal die Rechnung auf: Bis
jetzt sind pro Haushaltsjahr Investitionen von etwa
5 Milliarden Euro für die Straße vorgesehen. Wenn wir
von den 3,4 Milliarden Euro, die durch die LKW-Maut
eingenommen werden, die Systemkosten in Höhe von
circa 1,2 Milliarden und die Kosten für die Kompensation
bzw. Harmonisierung abziehen, dann verbleiben insgesamt 2,1 Milliarden Euro für Investitionen. Wenn man die
zu den im Haushalt vorgesehenen 5 Milliarden Euro addiert, kommt man auf über 7 Milliarden Euro für Investitionen in die Straße. Damit könnten wir in zehn Jahren genau das abarbeiten, was als vordringlicher Bedarf
angemeldet wird, nämlich etwa 70 Milliarden Euro. Weil
wir damit nicht nur dafür sorgen, dass der Verkehr ohne
Stau besser läuft, sondern auch eine enorme Investition
für die Bauwirtschaft tätigen, müsste eine intelligente
Verkehrspolitik geradezu dankbar sein, wenn eine Opposition solche Vorschläge macht.
({6})
Damit hätten Sie nämlich das, was Sie dringend benötigen, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken.
Wenn die Wirtschaft wieder stärker wachsen soll,
brauchen wir eine verbesserte Verkehrsinfrastruktur
auf der Straße. Pro 1 Milliarde Euro Investition in die
Straße könnten etwa 20 000 Arbeitsplätze gesichert oder
neu geschaffen werden.
({7})
Bedenken Sie einmal, was das für ein Investitionsprogramm für Deutschland wäre! Leider Gottes sind Sie unfähig, in diesen Kategorien zu denken.
({8})
In diesem Zusammenhang ist auch die Frage zu erörtern: Warum finanziert ihr aus diesen Mitteln nicht auch
den Schienenausbau? Ich will es Ihnen sagen: Die
Schiene bekommt nach wie vor, obwohl sie privatisiert
wurde, insgesamt ein Vielfaches dessen aus dem Bundeshaushalt, was die Straße erhält.
({9})
Gleichzeitig prüft niemand von Ihnen nach - weder die
Vertreter auf der Regierungsbank, die verantwortlich
wären, noch die Mitglieder aus den Reihen von RotGrün -, wie effizient diese Mittel ausgegeben werden,
({10})
was mit diesen Mitteln geschieht und ob auf der Schiene
mit diesen Mitteln tatsächlich ein verbessertes Angebot
geschaffen wird. Albert Schmidt ist doch deswegen aus
dem Bahn-Aufsichtsrat ausgetreten, weil er nicht mehr
mitmachen wollte.
({11})
Das ehrt ihn bei dem, was dort an Lug und Betrug zulasten des Bundeshaushaltes organisiert wird. Das ist doch
eine Tatsache.
({12})
- Ich nehme „Lug und Betrug“ zurück und sage: Trickserei zulasten des Bundes. Das ist sicherlich das Gleiche.
({13})
Wenn heute, etwa acht Jahre nach der Bahnreform, die
Bahn AG schon wieder 20 Milliarden Euro an Verschuldung aufweist, obwohl wir sie 1994 mit 70 Milliarden DM
komplett entschuldet haben,
({14})
zeigt das doch, dass hier etwas nicht stimmt. Wir kritisieren nicht die Verantwortlichen der Bahn, sondern die Bundesregierung. Warum halten Sie die Verantwortlichen
nicht auf und sagen: Dort, wo so viel Geld fließt, müssen
auch effizient Güter befördert werden,
({15})
statt dass ständig Anschlussstellen und Nebenstrecken gestrichen werden und am Ende trotz erhöhtem Mittelzufluss weniger auf der Schiene befördert wird als vorher.
Ihre Politik für die Schiene ist gescheitert; das kann
man im Februar 2003 feststellen. Sie haben auch in diesem Bereich der Verkehrspolitik keine Konzeption mehr.
({16})
Unser Antrag enthält schlicht den Hinweis, dass die
Betroffenen, nämlich die Zahlenden, sprich: die Unternehmer im Güterkraftverkehr, von der Politik unterstützt
werden müssen; denn sie bezahlen die Maut und haben
deshalb die Erwartungshaltung, dass mit diesem Geld etwas für sie getan wird, also auf der Straße.
Die Pressemeldungen und die Verhandlungen der vergangenen Jahre zeigen, dass Sie das Güterkraftverkehrsgewerbe ganz schön an der Nase herumgeführt haben. Sie haben in allen Besprechungen zunächst gesagt,
die LKW-Maut solle ganz niedrig sein. Dann haben Sie
den Leuten erklärt, je höher die LKW-Maut pro Kilometer sei, umso mehr Harmonisierung schaffe das. Als man
dann im Verkehrsministerium kalte Füße wegen der Zusagen bekommen hat, sind die Verhandlungen ins Kanzleramt verlegt worden. Von dort wurde den Leuten bis
zum Wahltag am 22. September ständig erklärt, man
strebe einen größtmöglichen Harmonisierungsschritt und
eine Kompensation an.
Heute waschen Sie Ihre Hände in Unschuld und sagen
den Leuten: Da können wir nichts machen; mehr als
300 Millionen Euro können wir nicht ausgeben. Sie sagen
das wohl wissend, dass ein Großteil des deutschen Güterkraftverkehrsgewerbes die LKW-Maut, wenn sie in dieser
geringen Harmonisierung kommt, nicht überleben wird.
Bei dieser Maut wird nicht ein Kilogramm mehr auf der
Schiene befördert. Vielmehr werden leider Gottes Billigunternehmen aus dem Ausland auf deutschen Straßen unterwegs sein. Die deutschen Arbeitgeber werden keine
Aufträge mehr erhalten und die Arbeitnehmer werden arbeitslos. Diese Situation haben Sie mit Ihrer Verkehrspolitik geschaffen.
({17})
Mit Ihrer Verkehrspolitik geht es auf den Straßen so zu:
immer mehr Stau. Das Einzige, was an Tempo zunimmt,
ist Ihr Versagen.
({18})
Das Wort hat jetzt der Kollege Uwe Beckmeyer von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Brunnhuber, Ihre Rede war laut und teilweise
abenteuerlich. Mein Eindruck ist: Die Verkehrspolitik an
sich und das, was Sie darüber berichten, stimmen nicht
überein.
Ich habe mich gefragt: Was will die Union mit diesem
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des bestehenden
Gesetzes zur Einführung einer Maut eigentlich erreichen?
({0})
Der Deutsche Bundestag hat dieses Gesetz in der letzten
Legislaturperiode beschlossen. Es ist verkündet und es
harrt der Anwendung.
({1})
Es hat sogar ein Vermittlungsverfahren gegeben. Insbesondere die Punkte der Zweckbindung und der Harmonisierung sind dort erörtert worden. Das Ergebnis war überzeugend: Es gab ein hohes Maß an Übereinstimmung
auch mit den Ländern, die am besten wissen, welche Maßnahmen mit der Maut möglich werden oder, anders gesagt, welche Maßnahmen nicht realisiert werden können,
wenn die Maut nicht kommt.
In dem beschlossenen Gesetz ist ein Mautaufkommen
vorgesehen, das zum überwiegenden Teil zweckgebunden
für die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur verwendet werden soll.
({2})
Hier besteht also eine ganz klare Zweckbindung, aber
eben nicht, wie die Union es vorsieht, ausschließlich für
die Straße. Wir wissen doch: Wer in der Verkehrspolitik
erfolgreich sein und keine Steinzeitpolitik machen will,
der hat am Ende alle Verkehrsträger an den Finanzierungsquellen zu beteiligen.
({3})
Wir alle sind dafür, von einer alleinigen Haushaltsfinanzierung wegzukommen. Ich glaube, da sind wir uns alle
hier in diesem Hause einig. Wir sind an einer teilweisen
Nutzerfinanzierung interessiert; das ist richtig. Dies war
eines der wichtigsten Argumente, geradezu der Motor für
die Einführung einer Maut.
Warum nun der Unionsgesetzentwurf? Die Antwort ist:
Die Union hat ein Problem. Das Problem ist: Sie muss
bzw. sie will versuchen, ihre etwas breitmäuligen Versprechen aus der Vorwahlkampfzeit gegenüber der
Logistikbranche einzulösen. Gemeint ist das Stoiber-Versprechen, den Harmonisierungsbeitrag zu verdoppeln,
also für die Branche statt 300 Millionen Euro 600 Millionen Euro auszuschütten.
Doch jeder Kundige weiß, dass das finanzpolitisch und
verkehrspolitisch zu einem Nullsummenspiel verkommen
kann. Wegekosten entstehen. Sie müssen von den Nutzern
getragen werden.
({4})
Ein entsprechender angemessener Harmonisierungsbeitrag ist zweifelsohne notwendig. Aber die Union weiß genau, dass seit der Wissmann-Waigel-Ära, seit 1995, die
Einnahmen aus der Eurovignette in Höhe von 800 Mil2040
lionen an den Finanzminister abgeführt werden müssen,
Stichwort: Gesamtdeckungsprinzip. Das ist in diesem Zusammenhang Ihre Erfindung.
({5})
Sie weiß aber auch, dass Toll-Collect-Dienstleistungen in
Höhe von 640 Millionen Euro und Kontrollaufwendungen für das BAG in Köln in Höhe von 90 Millionen Euro
bezahlt werden müssen. Wenn wir dann einen Harmonisierungsbeitrag à la Stoiber in Höhe von 600 Millionen
Euro in Rechnung bringen, ergibt das eine Teilsumme von
gut 2,13 Milliarden Euro - und das bei Gesamteinnahmen
in 2004 in Höhe von 3,4 Milliarden Euro.
Was ist das Ergebnis? Am Ende steht für die Finanzierung von Verkehrsinfrastruktur nur noch weniger als die
Hälfte zur Verfügung, nämlich 1,27 Milliarden Euro.
Wenn man die Verteilung so vornimmt, wie Sie es vorschlagen, ist das ein desaströses Ergebnis.
({6})
Denn Bund und Länder brauchen für die Infrastrukturinvestitionen deutlich mehr Geld aus den Mauteinnahmen, als ihnen die aktuelle Opposition
({7})
zubilligen will. Man erkennt die Absicht und ist verstimmt. Die Branche soll einen doppelt so hohen Harmonisierungsbeitrag bekommen, am Ende aber bleibt viel zu
wenig übrig für die dringend notwendigen verkehrssystemübergreifenden Investitionen. Damit kann man
der verkehrspolitischen Problematik in Deutschland nicht
gerecht werden.
Die Union versucht mit ihrem Antrag, diesen schädlichen Tatbestand zu kaschieren, was sträflich, kurzatmig
und grundsätzlich von Übel ist.
({8})
Herr Fischer und Herr Brunnhuber, aus der Entfernung
eines Landes betrachtet, glaubte ich, die Union in diesem
Hause betreibe zumindest handwerklich eine saubere Verkehrspolitik. Doch, so muss ich sagen, ich habe mich geirrt. Dieser Antrag ist eindeutig unter Niveau.
({9})
So geht es nicht. Ich warne davor, dass Sie von der Union
diesen eingeschlagenen Weg gehen. Sie werden den Anforderungen der deutschen Verkehrspolitik mit diesem
Vorschlag in gar keiner Weise gerecht. Er ist falsch und
trägt nicht.
({10})
Ich habe acht Jahre lang als Vorsitzender im Verkehrsausschuss des Bundesrates erlebt: Die Länder überlegen es
sich genau - und sie werden es auch hier tun -, ob sie einen solchen Weg mitgehen. Denn es sind ihre Projekte, die
vor dem Hintergrund Ihrer Vorschläge zu kurz kommen.
({11})
Auch wir Sozialdemokraten halten einen ordentlichen
Beitrag zur Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen im europäischen Güterverkehr für erforderlich. Aber
auch der Schwerlastverkehr mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 12 Tonnen muss an der Finanzierung der Wegekosten beteiligt werden, wie dies bei der
Schiene durch die Trassenpreise schon der Fall ist. Ausländische LKWs werden für die Nutzung der Autobahnen
mit den vollen Wegekosten belastet. Das führt zu einem
fairen Wettbewerb.
Die Zweckbindung nur an ein Verkehrssystem zu koppeln ist falsch. Wir haben in Deutschland ein integriertes
Verkehrssystem und deshalb müssen wir uns an der Gesamtheit aller Personen- und Gütertransporte in der Republik orientieren. Wir müssen alle ineffizienten Investitionen vermeiden und innerhalb dieser Republik alle drei
Verkehrsträger berücksichtigen.
Ein Wort zum Schluss: Wir alle haben die Schreckensszenarien aus der Feder der einschlägigen Branchenverbände gelesen
({12})
und festgestellt, dass vieles aufgeschrieben wurde, was
nur auf den ersten Augenblick beeindruckt. Schauen wir
in die Schweiz: Dort ist die leistungsabhängige Schwerlastabgabe inzwischen Alltag,
({13})
die elektronische Erfassung klappt. Auch dort hat man vor
deren Einführung ein Verwaltungschaos vorhergesagt. Es
ist offensichtlich ausgeblieben.
Wir in der Koalition bleiben zuversichtlich. Wir sind
mit dem Mautgesetz auf dem verkehrspolitisch richtigen
Weg
({14})
und wir lassen uns durch kurzsichtige Ablenkungsmanöver nicht irritieren.
Herzlichen Dank.
({15})
Herr Kollege Beckmeyer, ich beglückwünsche Sie zu
Ihrer ersten Rede in diesem Hause.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Horst Friedrich von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Kollege Beckmeyer, dass ausgerechnet Sie bei dieser Gesetzgebung anderen handwerkliche Fehler vorwerfen,
zeigt, dass Sie eigentlich gar nicht wissen, was für ein Gesetz Sie abgeliefert haben.
({0})
Dass es im Vermittlungsausschuss an dem denkwürdigen
Tag war, als das Zuwanderungsgesetz behandelt worden
ist, das nun von Karlsruhe aufgehoben wurde, ist nur
kennzeichnend für die ganze Gesetzgebung. Sie haben es
bis heute nicht geschafft, dem Gewerbe verlässlich, in gesetzgeberischer Form, zu signalisieren, wie Sie die Kompensation - die zugegebenermaßen nicht ausreichend ist gesetzlich umsetzen wollen.
({1})
Bis heute ist nichts Belastbares im Hause angekommen.
Herr Steinmeier, der Kanzleramtschef, hat schon vor
zwei Jahren bei der Einführung der Maut größtmögliche
Harmonisierung auf europäischem Niveau versprochen. Schauen Sie sich die Zahlen an: Wenn Sie den ausländischen LKW-Anteil abziehen, belasten Sie das deutsche Gewerbe mit der Maut im Jahr mit ungefähr
2,7 Milliarden Euro, während Sie nur um 300 Millionen
Euro entlasten. Wenn das Ihre Kompensation ist, kann ich
nur sagen: Sie haben sich schwer verrechnet.
Dass Sie den Finanzminister loben, verstehe ich nicht.
Sein Einnahmeausfall aus der LKW-Vignette beträgt im
Jahr 2001 - in DM gerechnet - etwa 900 Millionen DM.
Er will sich dafür aber auf einmal 1,5 Milliarden DM ersetzen lassen.
({2})
Er tut das mit einer aus meiner Sicht sehr fadenscheinigen
Begründung.
({3})
- Ach, Herr Kollege Schmidt, diese Behauptung wird
auch durch Wiederholung nicht richtig. Sie können das so
oft behaupten, wie Sie wollen, es bleibt falsch.
({4})
Fakt ist, der Finanzminister hat 900 Millionen DM an
Einnahmen aus der Eurovignette verloren, die man kompensieren kann. Es bleibt das Fragezeichen, warum er sich
1,5 Milliarden kompensieren will.
({5})
Sie haben in Ihrer Maut-Verordnung einen weiteren
Punkt offen gelassen. Das ist die Fälligkeit der Gebühren. Sie ist insbesondere für die mittelständischen Unternehmer wichtig, deren Gebühren automatisch abgebucht
werden sollen. Die automatische Abbuchung funktioniert
aber nur dann, wenn die Banken die Kreditlinien entsprechend erhöhen.
Hier fragen sich nicht nur Neugierige, was es bedeutet,
wenn diejenigen, die nicht abbuchen können, Einzelverfahren vornehmen müssen. Dann stehen Sie wirklich vor
dem Chaos und es wird deutlich größer sein, Herr Kollege
Beckmeyer, als in der Schweiz, weil wir mehr Autobahnkilometer und deutlich mehr Ausfahrten haben.
({6})
Die Union konzentriert ihren Antrag jetzt auf ein weiteres Kriterium: die Zweckbindung. Darüber ist schon nachgedacht worden. Im Sinne einer echten Gebühr muss die
volle Zweckbindung möglich sein. Auch hier sind wir unterschiedlicher Meinung; denn das, was Sie als Zweckbindung bezeichnen, ist nicht abgesegnet, hängt vom Willen
des Finanzministers ab und wird auch den Unternehmen
keine Vorteile bringen. Mehr Straßenbau werden Sie damit
nicht erreichen, weil 50 Prozent aller Einnahmen der Maut
bereits durch die Kompensation für den Finanzminister und
die Systemkosten verbraucht worden sind. Erst der Rest
kann verteilt werden. Das ist aus meiner Sicht zu wenig und
rechtfertigt nicht den Aufwand, den Sie betreiben.
Danke sehr.
({7})
Das Wort hat jetzt der Kollege Albert Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch der heutige Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Veränderung eines wichtigen Punktes des kürzlich verabschiedeten LKW-Maut-Gesetzes kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Thema LKW-Maut in Deutschland
- ich behaupte, auch hier im Haus - überwiegend im Konsens diskutiert wird.
Ich will versuchen, darzustellen, worin sich alle Experten und vor allem die Verkehrsverbände einig sind. Das
soll nicht in Vergessenheit geraten. Der erste Punkt ist: Wir
sind uns einig - die Union erkennt das in ihrem Antrag ausdrücklich an -, dass wir den Erhalt und die Verbesserung
unseres Verkehrssystems nicht bewältigen werden, wenn
wir nicht neben der reinen Haushaltsfinanzierung für den
Bau, den Unterhalt und den Betrieb von Straßen und
Schiene auch die Nutzerfinanzierung verstärkt einsetzen.
Diesen Paradigmenwechsel haben wir mit dem LKWMaut-Gesetz vollzogen, nachdem er auf der Schiene
schon viel früher - im Zuge der Bahnreform - vollzogen
worden ist. Denn das, was dort Trassenpreis heißt, ist
nichts anderes als eine Schienenmaut.
({0})
- In diesem wesentlichen Punkt sind wir uns also einig. Das
freut uns Grüne deshalb ganz besonders, weil dies ein Bei2042
trag zu mehr Verursachergerechtigkeit ist: Derjenige, der
Schäden und damit Kosten verursacht, muss nachher per
LKW-Maut seinen Beitrag leisten, damit diese Kosten
volkswirtschaftlich sinnvoll gedeckt werden. Das ist richtig.
({1})
Ein zweiter Punkt: Mich überrascht ein bisschen, dass
die Union in einem zweiten Punkt Konsens signalisiert,
allerdings ohne dies auszusprechen, nämlich in der Höhe
der LKW-Maut. Alle Berechnungen, die ich in den letzten Wochen und Monaten und auch heute aus Ihrem Mund
gehört habe, gehen von dem Einnahmevolumen aus, das
auch die Bundesregierung angepeilt hat. Dies erzielt man
aber nur, wenn man pro Fahrzeug und pro Kilometer eine
Nutzungsgebühr von im Schnitt 15 Cent einnimmt. Die
Gebühr ist für den schweren LKW etwas höher und für
den leichteren LKW etwas niedriger.
({2})
Dies finde ich sehr erfreulich, denn dadurch ist die Wegekostendeckung ungefähr 15-mal höher als durch die alte
Vignettenregelung. Dies ist in der Tat ein Quantensprung
in der verkehrspolitischen Erkenntnis auf der rechten
Seite dieses Hauses.
({3})
Offenbar besteht auch noch in einem dritten Punkt
Konsens: Wir wollen gemeinsam die Wettbewerbsbedingungen für das spedierende Gewerbe, also für die LKWWirtschaft, auf europäischer Ebene möglichst harmonisch
gestalten. Wir wollen und müssen bestehende Harmonisierungsdefizite Stück für Stück abbauen. Insoweit sind
wir uns einig.
Jetzt komme ich zum Dissens, verehrter, geschätzter
Herr Kollege Brunnhuber.
({4})
- Das ist einfach die süddeutsche Sympathie. - An einer
Stelle beginnt der Widerspruch. Sie sagen doch, wir müssten der spedierenden Wirtschaft viel mehr Einnahmen
zurückerstatten, zugleich aber viel mehr investieren. Was
denn nun? Entweder wollen Sie die Kompensation erhöhen und haben damit weniger zum Reinvestieren oder
Sie wollen die Kompensation nicht erhöhen und haben
dann mehr zum Investieren. Ihre Argumentation ist widersprüchlich. Das ist in einer Debatte immer schlecht.
({5})
Der Weg, den wir eingeschlagen haben, ist sehr vernünftig, nämlich die wirklich bestehenden Harmonisierungsdefizite anzupacken und zu beseitigen.
Gestatten Sie mir hier eine Randbemerkung: Wenn die
Gerüchte, die in diesen Tagen durchsickern, zutreffen,
dass nämlich unsere Nachbarländer Frankreich, Italien
und die Niederlande daran denken, die Dieselsubventionierung möglicherweise über das vereinbarte Zeitmaß hinaus fortzuschreiben, sollten wir gemeinsam dafür eintreten, dass es in Europa nicht zu einem Subventionswettlauf
kommt. Es kann nicht darum gehen, wer den Diesel für
seine Spediteure am stärksten subventioniert. Dann sind
am Schluss alle Verlierer und niemand ist der Gewinner.
Dies war aber nur eine Randbemerkung.
({6})
- Herr Kollege, nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich
habe um 12 Uhr meinen nächsten Termin. Ein anderes
Mal lasse ich Ihre Frage gerne zu.
({7})
- Das hat mit Feigheit nichts zu tun. Diejenigen, die ich
damit angesprochen habe, haben sehr genau verstanden,
dass sie gemeint sind.
Nun zurück zur Kompensation: Wir sind alle gut beraten, wenn wir diese Harmonisierung angehen, damit
Ernst machen, zugleich aber den Zweck der Einnahmen
nicht vernebeln. Es kann und soll hier nicht um Belastungsneutralität gehen, denn sonst können wir uns das
Spiel sparen. Wenn wir die Infrastruktur verbessern wollen, müssen wir zusätzliche Einnahmen erzielen.
Jetzt komme ich zu dem eigentlichen Dissens, der in
Ihrem Antrag zum Vorschein kommt. Wir müssen bei der
Reinvestition darauf achten, das gesamte Verkehrssystem zu verbessern. Inzwischen weiß sogar der ADACAutofahrer, dass wir ohne eine Verlagerung von LKWs
von der Straße auf die Schiene und das Binnenschiff
überhaupt keine Chance mehr haben,
({8})
den Verkehr auf der Straße in Zukunft zu bewältigen. Deswegen ist es richtig, sich nicht nur auf das Anti-Stau-Programm zur Straßenengpassbeseitigung zu konzentrieren,
sondern im gleichen Umfang auch auf die Engpassbeseitigung im Schienennetz. Nur dann haben wir eine Chance,
den LKW-Güterverkehr wenigstens in nennenswertem
Umfang von der Straße auf die Schiene zu verlagern.
({9})
Dieses Ziel würden wir nicht erreichen, wenn wir heute
Ihrem Antrag folgen würden, wonach die Einnahmen lediglich für den Straßenbau verwendet würden.
({10})
Herr Kollege Schmidt, kommen Sie bitte zum Schluss.
Deswegen, Herr Kollege Brunnhuber, können wir
Ihrem Antrag leider nicht näher treten. Wir empfehlen
Albert Schmidt ({0})
Albert Schmidt ({1})
Ihnen aber abschließend zum Trost: Schauen Sie sich einmal an, was Sie übersehen haben.
Nein, Herr Kollege Schmidt, Sie haben Ihre Redezeit
schon weit überschritten.
({0})
Schauen Sie sich einmal das Betreibermodell an. Darin
sind dynamische Investitionsreserven enthalten, die Sie
nicht unterschlagen sollten.
Danke schön.
({0})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Horst Friedrich das Wort.
({0})
Frau Kollegin Hustedt, ich habe, vielleicht im Gegensatz zu Ihnen, in Oberfranken ein sehr schönes Zuhause.
Ich möchte den Kollegen Schmidt, da er meine Zwischenfrage nicht zugelassen hat, auf diesem Wege daran
erinnern, dass wir ihn sehr unterstützen, wenn er seine
Vorstellungen zur Subventionierung von Diesel, die er
eben vorgestellt hat, durchsetzen will.
Er ist aber mitsamt den Kollegen der SPD im Wort.
Ich erinnere an das, was Bundesverkehrsminister
a. D. Bodewig bei der Jahresversammlung des BGL in
Berlin gesagt hat. Seine klare Aussage lautete: Wenn die
Nachbarländer am Jahresende 2002 aus der Subventionierung des Diesels nicht ausstiegen, würden wir diese
Subventionierung einführen. Wenn Sie sich an diesen
Worten messen lassen, dann haben Sie uns auf Ihrer Seite.
({0})
Wollen Sie erwidern? - Bitte schön, Herr Schmidt.
Ich mache es kurz. Ich kann nur wiederholen, was ich
vorhin gesagt habe; denn genauso habe ich das gemeint.
Wenn wir anfangen, in einen Subventionswettlauf darum
einzutreten, wer sein Gewerbe am meisten subventioniert,
dann sind am Schluss die Finanzminister und die Volkswirtschaften aller Länder die Verlierer. Deshalb kann ich
vor diesem Weg nur warnen. Wir müssen auf dem Stopp
der Subventionierung in den anderen Ländern, so wie er
vereinbart worden ist, bestehen. Alles andere halte ich für
falsch.
({0})
Das Wort hat jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin Angelika Mertens.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst bitte ich alle Redner, nicht von Kompensation zu reden; denn Kompensation ist nicht EU-fest. Es ist
besser, von Harmonisierung zu sprechen.
({0})
Ein Wort an Herrn Brunnhuber: Der BGL ist nie im Unklaren gelassen worden - jedenfalls von mir nicht -, was
diese 300 Millionen Euro angeht.
Ich bedanke mich für die Unterstützung, die uns die
CDU/CSU-Fraktion gegeben hat. So ist in dem von ihr
vorgelegten Entwurf zu lesen, die Finanzierung stoße an
Grenzen und wir brauchten ein zweites Standbein. Dafür
herzlichen Dank. Über Plagiate soll man sich nicht ärgern.
Sie sind wahrscheinlich die aufrichtigsten aller Komplimente. Das hat schon Theodor Fontane gesagt, der ja im
19. Jahrhundert gelebt hat. Alles andere in Ihrem Antrag
würde sehr gut in diese Zeit passen.
Mit Ihrer Haltung sind Sie völlig isoliert, nicht nur in
Europa, sondern auch in der Wirtschaft. Das Deutsche
Verkehrsforum spricht sich in diesem Zusammenhang
für Preise im Verkehr aus, die aus Sicht der Nutzer, der
Verkehrsträger und des Staates fair sind;
({1})
das heißt, eine Wegekostenanlastung nach dem Verursacherprinzip und Zweckbindung der daraus erwirtschafteten Mittel für Ausbau und Erhalt der Verkehrsinfrastruktur.
({2})
Das Verkehrsforum ist nicht irgendein Verein, sondern
zählt zu der Crème de la Crème der Verkehrswirtschaft.
Dass einige Mitglieder das unterschreiben, aber anders reden, ist letztlich deren Problem und nicht unseres.
Ich hatte das Vergnügen, an einem Mobilitätsforum
teilnehmen zu können, auf dem ein Vertreter der Automo2044
bilwirtschaft - er kam übrigens aus dem Süden - gefordert
hat, 50 Milliarden Euro zusätzlich in Straßen zu investieren. Selbst die Vertreter des ADAC haben kurz vor einem
Ohnmachtsanfall gestanden, als sie das gehört haben.
({3})
So kann man, wie ich denke, keine seriöse Diskussion
führen; vielleicht ist das auch nicht gewollt. Das wäre allerdings bedauerlich. Wir stellen uns der nationalen und
der europäischen Verantwortung. Dies bedeutet noch immer: nachhaltige Mobilität und Miteinander von wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Verantwortung.
Wir brauchen also eine integrierte Verkehrspolitik. Alle
Verkehrsträger müssen ihre Stärken optimieren und ihre
Schwächen minimieren.
({4})
Wir werden die Verkehrsprobleme der Zukunft nicht
lösen können, wenn wir nicht zu einer deutlichen Verlagerung besonders beim Güterverkehr auf Schiene und
Wasserwege kommen. Dazu sind durch die Umsetzung
der Bahnreform, den qualifizierten Ausbau bei Schiene
und Wasserweg, der besseren Vernetzung der Verkehrsträger, zum Beispiel durch Investitionen in den kombinierten Verkehr, die Weichen gestellt.
Der überwiegende Teil der Einnahmen aus der LKWMaut werden in den nächsten Jahren gezielt für die größten Probleme eingesetzt, nämlich zur Beseitigung der Kapazitätsengpässe bei Straße, Schiene und Wasserweg.
Bei der Straße kommen wir zum Beispiel auf Lückenschlüsse von 250 km. Die Mauteinnahmen geben uns
auch die Möglichkeit, erstmals das Betreibermodell zu
realisieren, also den Ausbau auf sechs bzw. acht Streifen
bei Autobahnen, finanziert, erhalten und betrieben durch
die private Bauindustrie.
Die Anschubfinanzierung des Bundes stellt sozusagen die Ablösesumme für die Nutzung durch den privaten
PKW-Verkehr dar. Wir werden wegen dieses Modells von
der Wirtschaft, vor allen Dingen von der Bauindustrie, gelobt. Ich denke, das haben wir auch verdient. Diesen
Schritt, der lange überfällig war, haben wir gewagt. Das
zeigt, dass wir eine mutige Verkehrspolitik machen.
({5})
Ihr Antrag, Frau Blank, zeigt letztlich die Rückschrittlichkeit Ihrer Politik. Ich kann nur sagen: Bleiben Sie dabei! Das wird uns unser Geschäft eindeutig erleichtern.
Unser Geschäft ist, eine vernünftige, moderne und integrierte Verkehrspolitik zu machen. Das haben wir in den
letzten vier Jahren bewiesen und das werden wir auch in
den kommenden vier Jahren beweisen.
({6})
Angesichts des Lobes, das wir für unsere Verkehrspolitik bekommen, können wir selbstbewusst sein; mit der
Kritik können wir leben.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/355 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts
- Drucksache 15/197 ({0})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({1})
- Drucksache 15/432 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Joachim Pfeiffer
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Parlamentarische Staatssekretär Staffelt für die Bundesregierung das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute abschließend den Gesetzentwurf
der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur
Novellierung des Energiewirtschaftsrechts. Dieses Gesetzgebungsverfahren konnte, wie Sie sich vielleicht erinnern, in der vergangenen Legislaturperiode nach einem
Einspruch des Bundesrates nicht mehr zum Abschluss gebracht werden. Der Gesetzentwurf ist jetzt erneut eingebracht worden - er ist mit dem früheren identisch -, damit
die vorgesehenen und vor allem die dringend notwendigen Ergänzungen des Energiewirtschaftsrechts umgesetzt
werden können.
Über den Inhalt des Gesetzentwurfs im Einzelnen haben wir ja bereits in der ersten Lesung am 19. Dezember
letzten Jahres miteinander debattiert. Deshalb will ich Sie
nicht mit Wiederholungen langweilen, sondern nur kurz
auf zwei wichtige Punkte im Zusammenhang mit dem
Energiewirtschaftsrecht hinweisen.
Erstens. Wir wollen mit der Novelle die Regeln für die
Marktöffnung im Gasbereich ergänzen und so vor allem
das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland
wegen nicht vollständiger Umsetzung der EU-Gasrichtlinie stoppen. Sie werden sich erinnern, dass es im Grunde
seit dem Jahr 2000 eine solche Regelung hätte geben sollen und es aufgrund der Debatten, die es in diesem Hause,
aber auch mit den Verbänden gegeben hat, und aufgrund
unseres Wunsches, eine Regelung zu finden, die ohne eine
Regulierungsbehörde auskommt, zu einem gewissen zeitlichen Verzug gekommen ist. Ich sage daher: Wer Wettbewerb im Gasbereich will, darf diesen Gesetzentwurf
nicht weiter blockieren.
Zweitens. Der Gesetzentwurf verbessert insgesamt den
gesetzlichen Rahmen für die leitungsgebundene Energiewirtschaft. Dazu gehört, dass die Novelle für eine größere
Schlagkraft der Kartellbehörde sorgt. Dies geschieht
durch den Sofortvollzug ihrer Netzzugangsverfügungen.
Dazu gehört ferner, das die Novelle auch weiterhin den
Weg für Verbändelösungen in der Energiewirtschaft insgesamt offen hält. Dies geschieht durch die vorgesehene
größere rechtliche Verbindlichkeit der Verbändevereinbarungen für den Netzzugang bei Strom und Gas.
Schließlich sorgt der Gesetzentwurf zum Beispiel mit
der Ermächtigungsgrundlage für eine Netzzugangsverordnung Gas auch dafür, dass wir handlungsfähig sind,
falls die Verhandlungen zur Weiterentwicklung der Verbändevereinbarung Gas nicht erfolgreich verlaufen sollten.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hält
eine rasche Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs der
Regierungsfraktionen für dringend geboten. Unserer Auffassung nach gibt es dazu keine Alternative. Wir brauchen
die im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Regelungen, um
unser Netzzugangssystem ohne Brüche weiterentwickeln
zu können. Daher gilt es, diesen Gesetzentwurf jetzt so
umzusetzen, wie er ist. Ich denke, wir alle sind uns über
die Ziele im Wesentlichen einig.
Im Sommer hatte ich das Vergnügen, mit den Kolleginnen und Kollegen aus den Bundesländern im Vermittlungsausschuss darüber zu debattieren. Nachhaltige inhaltliche Probleme waren im Grunde genommen nicht
festzustellen. Von daher appelliere ich an alle Kolleginnen
und Kollegen in diesem Hause, speziell auch an die der
Opposition, ausdrücklich: Lassen Sie uns das Gesetzgebungsverfahren gemeinsam zügig abschließen.
({0})
Es liegt ein Gesetzentwurf vor, der eine Vielzahl wichtiger und völlig unstrittiger Regelungen zur Weiterentwicklung des Wettbewerbs auf dem Strom- und Gasmarkt
enthält. Wenn wir das bei uns praktizierte Netzzugangsmodell, das auf eine staatliche Rahmensetzung mit ergänzender Selbstregulierung durch Verbändevereinbarungen
setzt, beibehalten wollen, sehe ich zu einem solchen Gesetzentwurf keine Alternative.
Ich wiederhole an dieser Stelle: Es kann in einer Zeit, in
der wir über die Fragen von Deregulierung und Entbürokratisierung reden, nicht sein, dass wir Regulierungsbehörden provozieren und nicht darauf setzen, dass alle,
die im Zusammenhang mit Strom und Gas, als ein Wirtschaftskomplex miteinander verbunden sind - die Kunden
genauso wie die Hersteller und Lieferanten -, eine Lösung
finden, in die alle eingebunden sind und aufgrund derer die
Schwierigkeiten eigenständig gelöst werden können. Wie
Sie wissen, haben wir durch das Kartellamt die Möglichkeit, in schwierige Fragen einzugreifen und durch den
Sofortvollzug reagieren zu können. Ich denke, das ist eine
Austarierung der Interessen und entspricht damit auch
dem, was alle Beteiligten erwarten dürfen.
Wir stehen mit unserem System der Verbändevereinbarungen an einer Weichenstellung.
Zum einen müssen die Verbändevereinbarungen insbesondere im Gasbereich natürlich auch zukünftig weiterentwickelt werden. Mit der vorgesehenen Befristung der
Verrechtlichung tragen wir dem im Gesetzentwurf Rechnung. Denken Sie bitte daran: Was wir heute beschließen,
gilt bis zum 31. Dezember dieses Jahres. Wir werden uns
sehr schnell in eine erneute Novellierungsdebatte hineinbegeben müssen. Wir haben dann aber eine Grundlage,
auf der wir vernünftig weiterentwickeln können.
Zum anderen müssen wir den Partnern der Verbändevereinbarungen bei dieser Fortentwicklung ein positives
Signal geben, indem wir den Verhandlungsergebnissen
eine größere rechtliche Relevanz als bisher verschaffen.
Geschieht dies nicht, droht das Instrument der Verbändevereinbarungen insgesamt zu scheitern.
Auf dem Energierat am 25. November 2002 ist es der
Bundesregierung gelungen, dem System der Verbändevereinbarungen - auch in den Rahmenbedingungen neuer
europäischer Binnenmarktrichtlinien für Strom und Gas Raum zu verschaffen. Nach diesem Erfolg hielte ich es
nicht für klug, die Tür zu diesem Gestaltungsspielraum
auf nationaler Ebene jetzt zuzuschlagen. Die für nächstes
Jahr anstehende Umsetzung der neuen EU-Binnenmarktrichtlinie wird es ohnehin erforderlich machen, dass wir
gemeinsam weitere Anpassungen am Energiewirtschaftsrecht vornehmen. Wir werden in diesem Hause also spätestens im nächsten Winter gemeinsam über das Energierecht diskutieren.
Für heute gilt: Bringen wir nunmehr den notwendigen
ersten Schritt zu Ende. Lassen Sie uns dann gemeinsam
den zweiten Schritt sorgfältig vorbereiten. Meine Bitte an
die Kollegen von CDU/CSU und FDP: Helfen Sie mit,
dass auch in den von Ihnen regierten Bundesländern ein
Weg für die Verabschiedung gefunden wird. Meine Erfahrungen aus Gesprächen vom Frühsommer des vergangenen Jahres waren, dass die Unterschiede gering und die
Chancen für eine Einigung gut sind. Wir sollten uns deshalb auf den Weg machen, diesen Gesetzentwurf in der
vorliegenden Fassung zu verabschieden.
Danke.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes ist
in der Tat nicht nur für die Energiewirtschaft, sondern
auch für die gesamte gewerbliche Wirtschaft und die privaten Kunden wichtig. Die Energiewirtschaft benötigt
Planungs- und Investitionssicherheit. Wenn die Netzbetreiber - das gilt für den Strom- und den Gasbereich
gleichermaßen - nicht wissen, was auf sie zukommt, dann
ist das ein Investitionshemmnis ersten Grades. Auch die
kommunalen Energieversorger wissen nicht, wie es weitergeht. Neue Energieanbieter haben keine Klarheit über
die Markteintrittsbedingungen. Was sind die Folgen? - Investitionszurückhaltung, Investitionsvermeidung oder
gar Investitionsverlagerung.
Herr Staatssekretär Staffelt, Sie haben es angesprochen
und ich habe es bereits bei der ersten Lesung im Dezember gesagt: Soweit ich es beurteilen kann, sind wir uns
über die Ziele nicht nur weitestgehend, sondern über alle
Fraktionen hinweg einig. Aber die Wahl der Instrumente
und der Weg zum Ziel trennen uns. Deshalb finde ich es
bedauerlich und nicht nachvollziehbar, weshalb Sie in den
vergangenen Wochen nicht die Gelegenheit genutzt haben, zu einem Kompromiss zu kommen. Ich sehe nach
wie vor die Möglichkeit zu einem Kompromiss. Das
habe ich diese Woche im Ausschuss wiederholt.
Wie ist die wirkliche Lage? Sie haben in der vergangenen Legislaturperiode diesen Gesetzentwurf - aus welchen Gründen auch immer - vertrödelt oder verschleppt.
Sie haben ihn dann im Frühjahr des letzten Jahres eingebracht und sind damit im Bundesrat gegen die Wand gefahren. Danach hatten Sie in der alten Legislaturperiode
nicht mehr die Kraft - es wird darüber gestritten, ob es ein
Einspruchsgesetz oder ein zustimmungsbedürftiges Gesetz ist -, den Gesetzentwurf erneut in den Bundestag einzubringen. So weit, so schlecht.
Im Dezember 2002 haben Sie diesen Gesetzentwurf
mit zwei Marginalien, aber sonst unverändert wieder eingebracht. Wir haben signalisiert, dass wir zu einem Kompromiss bereit sind. Diesen Kompromiss haben wir in der
Sache konkretisiert. Ich will ihn in aller Kürze anschneiden: Er dient den Interessen der Netzbetreiber, weil er Investitions- und Planungssicherheit bietet, und ermöglicht
eine Nettosubstanzerhaltung der Netze. Wir alle haben
nichts davon, wenn die Netzbetreiber nicht mehr in die
Netze investieren, sondern von der Substanz leben und es
dann in einigen Jahren zu ernsthaften Schwierigkeiten in
der Versorgungssicherheit kommt. Andererseits müssen
wir sicherstellen, dass der Wettbewerb wirklich greift.
Auf diesem Gebiet sind die letzten Liberalisierungs- und
Rationalisierungserfolge mit Sicherheit noch nicht erreicht.
Unstrittig ist, dass Quersubventionen in der Größenordnung von mindestens 270 Millionen Euro pro Jahr von
den Netzbetreibern in den Erzeugungsbereich fließen,
womit die Wettbewerbsfähigkeit an dieser Stelle beeinflusst wird. Deshalb ist es für mich nicht nachvollziehbar - ich muss es leider so sagen: Im besten Fall ist es
naiv, im mittleren Fall dilettantisch und im schlechtesten
Fall wirtschaftsfeindlich -, wenn Sie jetzt unser Gesprächsangebot nicht nutzen, um zu einem Kompromiss
zu kommen. Es ist absehbar, dass Sie mit diesem Gesetzentwurf im Bundesrat - Herr Staffelt, Sie haben das anders dargestellt - wieder massiv gegen die Wand fahren.
({0})
Zuletzt haben sich die Wirtschaftsminister am 12. und
13. Dezember mit diesem Thema beschäftigt und sie haben damals einstimmig die Verrechtlichung in Form einer
Vermutungsregelung abgelehnt. Nach unseren Informationen wird sie - nicht nur was die unionsregierten
Länder, sondern auch Länder wie Rheinland-Pfalz und
Schleswig-Holstein betrifft - im Bundesrat nicht realisiert.
Deshalb ist es um so unverständlicher, dass Sie nicht bereits jetzt in den Gremien des Bundestages die Gelegenheit zum Kompromiss nutzen, um damit schneller zu einer Lösung zu kommen. Wir haben Ihnen am Mittwoch
und auch bereits im vergangenen Jahr in Aussicht gestellt,
wie wir zu einem Kompromiss gelangen könnten.
Was aber ist die Folge? Auf der einen Seite verhindern
Sie Rationalisierungs- und Liberalisierungsfortschritte,
das heißt, für die gewerbliche Wirtschaft und die Verbraucher steigen die Kosten. Die Rationalisierungs- und
Liberalisierungsfortschritte werden durch Ihre Politik
der Steuererhöhungen konterkariert. Herr Merz hat vor
zwei Wochen die absoluten Zahlen genannt. Danach ist
die Belastung durch Energiesteuern in Deutschland in den
vergangenen vier Jahren von 2 Milliarden auf 12 Milliarden angestiegen. Für einen privaten Haushalt mit drei Personen ist die steuerliche Belastung von 28 Prozent im Jahr
1998 auf 41 Prozent 2002 angestiegen und hat dadurch die
Rationalisierungs- und Liberalisierungseffekte mehr als
überkompensiert. Das heißt, der private Haushalt behält
derzeit nichts mehr übrig.
Für die gewerbliche Wirtschaft sieht es nicht anders aus.
In diesem Bereich kommt es zu einem Investitionsstau, zur
Investitionsvermeidung oder gar zur Investitionsverlagerung, weil die Unternehmen durch die Ökosteuer und die
anderen damit verbundenen Kostensteigerungen immer
stärker in ihrer Wettbewerbsfähigkeit eingeschränkt werden. Insofern ist es in der Tat dringend notwendig, zu einer Lösung zu kommen.
Sie haben die EU-Problematik angesprochen. Es ist bereits ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet worden.
Auch deshalb verstehe ich nicht, dass Sie nicht versuchen,
zu einer Lösung zu kommen bzw. einen Kompromiss zu
erzielen.
Sie haben diesen Weg beschritten. Wir haben Ihnen
diese Woche das Angebot gemacht, die heutige Beratung
des Gesetzentwurfs abzusetzen und in der nächsten Woche unter Einbeziehung der Bundesländer zu einer Lösung zu kommen. Dann hätte das Thema nächste Woche
im Bundestag behandelt und vielleicht auch eine Lösung
erzielt werden können. Damit hätte viel Zeit gespart werden können. Bei dem jetzt eingeschlagenen Weg besteht
die Gefahr, dass gar nichts geschieht, dass der von uns allen gewünschte verhandelte Netzzugang in Deutschland
nicht geschaffen wird und dass vielleicht nichts anderes
übrig bleibt als die Regulierung, die ohnehin von einigen
von Ihnen gewünscht zu werden scheint.
In der Handelsblatt-Konferenz hat Herr Clement kürzlich die Position der Regierungsfraktionen vorgetragen.
Frau Hustedt hat - wenn ich das richtig verstanden habe wenige Minuten später inhaltlich etwas anderes vorgetragen, nämlich dass sie sich eine Regulierung vorstellen
könnte, die sie für wünschenswert halte.
Dieses Tohuwabohu führt im Ergebnis leider nicht zu der
dringend notwendigen Rechts- und Planungssicherheit
für die Energiewirtschaft und die Unternehmen, sondern zu
Verzögerungen. Im Ergebnis können wir, wie gesagt,
nicht mehr den deutschen Weg, den wir eigentlich als gemeinsames Ziel verfolgen, beschreiten. Das wäre bedauerlich.
Ich darf noch einmal unsere Gesprächsbereitschaft anbieten, wie es Herr Adamowitsch bereits vor zwei Wochen getan hat. Leider sind bisher Ihrerseits keine konkreten Gesprächsangebote gefolgt. Auch wenn Sie es
vielleicht mittlerweile selber nicht mehr glauben: Sie sind
noch an der Regierung und wir hoffen, dass Sie, während
Sie sich auf dem Fahrersitz befinden - ({1})
- Frau Barnett, wenn Sie mit Ihrem Dilettantenstadel so
weitermachen, werden Sie in der Tat die SPD dort hinbringen, wo Möllemann die FDP nicht hingebracht hat:
auf 18 Prozent.
({2})
Ich möchte zum Thema zurückkehren. Das Energiewirtschaftsrecht ist wirklich kein Feld, auf dem man ideologische Grundsatzstreitigkeiten austragen sollte, wenn
man sich über das Ziel einig ist. Lassen Sie uns also zu einer Verständigung kommen und die nächste Woche nutzen, ohne Vermittlungsausschuss, aber unter Einbeziehung der Bundesländer zu einem Ergebnis zu kommen.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Michaele Hustedt vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Patienten Wettbewerb im Strom- und Gasbereich geht es aus
meiner Sicht schlecht. Junge mittelständische Unternehmen, die hoffnungsvoll in den Wettbewerb gestartet sind,
wie zum Beispiel ares, und VASA, mussten inzwischen
Insolvenz anmelden, weil sie gegen die alteingesessenen
Unternehmen keine Chance hatten. Der Kampf um den
Endverbraucher wurde aufgegeben. So hat zum Beispiel
Yello die Preise um 20 Prozent erhöht. Die Stadtwerke,
die noch die Interessen der Kunden vertreten können,
werden Schritt für Schritt aufgekauft. Sie sind nicht mehr
unabhängig und können also nicht mehr im Namen der
Kunden verhandeln.
Die großen Unternehmen teilen sich die Gebiete wieder auf. Das heißt, Stadtwerke, die noch unabhängig sind,
bekommen kein alternatives Angebot mehr, weil die
Großen nicht mehr in Konkurrenz zueinander treten. Daher ist es ein relativ düsteres Bild, das ich vom Zustand
des Wettbewerbs im Strom- und Gasbereich in diesem
Lande zeichnen muss.
Vor diesem Hintergrund muss man diesen Gesetzentwurf sehen. Wir setzen damit die EU-Gasrichtlinie um.
Dies geschieht relativ spät. Deshalb stehen wir auch unter
Zeitdruck. Wir wollen mit diesem Gesetz einige Verbesserungen für den Gas- und Strombereich durchsetzen. Die
Frage stellt sich, ob dieses Gesetz ausreicht, um die Missstände im Wettbewerb tatsächlich zu beheben. Darauf
muss ich mit Nein antworten.
({0})
Auf die Frage, ob dieses Gesetz ein Fortschritt ist, muss
ich antworten: Ja, es bedeutet durchaus einen kleinen
Schritt vorwärts. Aber es müssen noch weitere Schritte
folgen.
Absolut positiv ist die Möglichkeit des Sofortvollzugs
durch das Kartellamt zu bewerten. Das stärkt seine Stellung und gibt ihm die Möglichkeit, einzugreifen und mit
dem Sofortvollzug die Probleme zügig zu beheben. Die
Praxis sieht im Moment so aus, dass bei Streitigkeiten drei
Jahre lang vor Gericht gezogen wird. In der Zwischenzeit
sind aber die Kunden weg. Unter Umständen sind kleine
Unternehmen dann vom Markt verschwunden. Die neue
Regelung ist also ein echter Fortschritt.
({1})
Herr Kollege Pfeiffer, wenn man die Diskussion über
den verhandelten oder regulierten Netzzugang unideologisch führt, dann muss man sagen, dass dies ein Schritt
in Richtung stärker regulierter Netzzugang ist. Eine unabhängige staatliche Instanz wird in ihrer Position als
Schiedsrichter gestärkt. Sie kann damit wirkungsvoller
eingreifen, um den Wettbewerb zu fördern. Wir diskutieren schon lange nicht mehr darüber, ob wir einen regulierten oder einen verhandelten Netzzugang haben wollen. Das Element des verhandelten Netzzuganges gibt es
bereits. Nun werden Schritt für Schritt und so unbürokratisch wie nur möglich stärkere Regulierungen durch den
Staat als Schiedsrichter eingeführt, um einen fairen Netzzugang sicherzustellen.
({2})
Ich glaube, es ist richtig, dass wir diese Diskussion
führen.
Es gibt einen zweiten wichtigen Punkt, nämlich die
Verrechtlichung der Verbändevereinbarung. Wer weiterhin auf den verhandelten Netzzugang setzt, der muss
diesen Weg mitgehen. Durch den Antrag der FDP, aber
auch durch unsere Vorschläge wurde die Diskussion ausgelöst, ob wir in diesem Zusammenhang den Ermessensspielraum des Kartellamtes größer machen sollten, als es
bis jetzt im Gesetz vorgesehen ist. Ich verfolge diese Diskussion durchaus mit Sympathie. Wir stehen allerdings
sehr stark unter Zeitdruck - das wurde heute schon gesagt -, weil wir die Gasrichtlinie umsetzen müssen. Ich
hoffe, dass im Bundesrat in diesem Punkt eine Einigung
möglich ist. In den anderen Kernfragen sind wir uns einig.
Ich glaube, dass diese Novellierung ein erster Schritt
ist. Er ist aber kein ausreichender Schritt, um wieder mehr
Wettbewerbsintensität zu erzeugen. Es steht in dieser Legislaturperiode eine zweite Novellierung an. Wir werden
uns dabei insbesondere mit der Umsetzung der neuen EURichtlinie hinsichtlich des Wettbewerbs beschäftigen
müssen. Dabei stehen zwei Themen im Mittelpunkt. Es
gibt nach wie vor die Diskussion, ob nicht die Stellung des
Staates als Schiedsrichter, also die Stellung des Kartellamtes oder welcher Behörde auch immer, gestärkt werden
muss, um hier größeren Einfluss zu nehmen.
Es steht auch die Frage an, ob wir ein stärkeres Unbundling brauchen, also eine noch deutlichere Trennung
von Netz, Stromerzeugung und Stromhandel, um das Netz
von den Interessen der Stromerzeuger unabhängig zu machen.
Das werden die Themen sein, die bei der Umsetzung
der neuen EU-Richtlinie angeschnitten werden und mit
denen wir uns folglich beschäftigen müssen.
Abschließend möchte ich feststellen: Ich erwarte, dass
die Verbände zügig die neuen Verbändevereinbarungen
aushandeln. Nicht erst im Herbst, sondern schon im April
oder im Mai muss es zu Ergebnissen kommen, die deutlich besser sind als das, was zurzeit auf dem Tisch liegt.
Das gilt nicht nur für den Gasbereich. Auch im Strombereich brauchen wir Verbesserungen. Ich erwarte auch,
dass die neuen Anbieter und die Verbraucher stärker als
bisher in die Verhandlungen einbezogen werden; denn es
kann nicht angehen, dass bei den Verhandlungen nur die
Stadtwerke, die EVUs und die Großindustrie am Tisch sitzen und sich zulasten von Verbrauchern und Neuanbietern
einigen. Auch deren Interessen müssen bei den Verbändevereinbarungen deutlich berücksichtigt werden.
Wenn das Ergebnis nicht ausreichend ist - das sage ich
sehr deutlich -, dann müssen wir über eine stärkere Regulierung diskutieren. Das, Herr Pfeiffer, hat nichts mit
Wunschdenken zu tun. Ich wünsche mir zwar, dass es einen staatlichen Rahmen gibt und dass sich die Verbände
selber Regeln geben, an die sie sich halten und die einen
fairen Netzzugang gewährleisten. Man muss aber feststellen, dass das zurzeit nicht der Fall ist, obwohl schon
vier, fünf Jahre ins Land gegangen sind. Wenn jetzt nicht
der entscheidende Schritt gemacht wird, dann ist der
Staat, ob er will oder nicht, ob er es sich wünscht oder
nicht, in der Pflicht, hier den Schiedsrichter zu spielen und
im Bereich des natürlichen Monopols Netz für einen fairen Netzzugang zu sorgen. Das ist meine Position. Ich bin
überzeugt, dass die unseres Koalitionspartners nicht weit
davon entfernt ist.
Danke.
({3})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Gudrun Kopp von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Herren und Damen! Ich
glaube, wir sind uns einig darüber, dass wir in Deutschland den Wettbewerb im Strom- und Gasbereich stärken
wollen. Frau Kollegin Hustedt, zu Ihrer Definition der
Aufgaben des Bundeskartellamts möchte ich ganz klar
sagen: Dieses Amt hat nicht die Funktion eines Regulierers, sondern ist - das ist ein ganz großer Unterschied - die
Instanz der Missbrauchskontrolle. Das muss man klar
auseinander halten.
({0})
Die Neuauflage des Energiewirtschaftsgesetzes enthält
im Vergleich zum ersten Entwurf lediglich eine Neuerung,
nämlich die des Sofortvollzugs. Das ist richtig und dringend notwendig; das unterstützen wir auch. Aber ansonsten enthält der Gesetzentwurf keine weiteren Neuerungen. Herr Staatssekretär Staffelt, Sie haben auch während
der Beratungen keinerlei Vorschläge aufgenommen. Das
bedauern wir sehr; denn die FDP-Bundestagsfraktion hat
einen dezidierten Änderungsantrag vorgelegt.
({1})
- Vor zwei Wochen! Bitte erkundigen Sie sich noch einmal. - Wir hätten in der Tat - hier bin ich mit dem Kollegen Dr. Pfeiffer einer Meinung - mit ein bisschen gutem
Willen zu einem Konsens kommen können.
Ich möchte noch einmal darstellen, worauf wir Wert
legen.
({2})
Wir als FDP-Fraktion wollen mit den beantragten Änderungen erreichen, dass die Kartellaufsicht über die Nutzungspreise voll wirksam bleibt, also nicht nur jenseits
der Reichweite der Verbändevereinbarungen wirkt. Wir
möchten, dass zur Klärung von Streitigkeiten im Zusammenhang mit Netzzugangsvereinbarungen und Netzzugangsverweigerungen eine Streitschlichtungsstelle
beim Bundeskartellamt eingerichtet wird, und nicht, dass
wie derzeit eine kleine Task Force, die beim Bundeswirtschaftsministerium angesiedelt ist, an ein paar Stellschrauben dreht. Uns als FDP-Fraktion reicht die Formulierung „gute fachliche Praxis“ nicht aus, weil sie zu
unbestimmt ist.
({3})
Wir erwarten leider, dass dadurch Tür und Tor für Rechtsstreitigkeiten in erheblichem Umfang geöffnet werden.
Auch das sollten wir vermeiden. Deshalb schlagen wir
eine Verrechtlichung der Verbändevereinbarung „Strom II
plus“ unter Verzicht auf die „gute fachliche Praxis“, wie
sie im Gesetzentwurf genannt wird, mit einer dynamischen Verweisung und einer Berücksichtigungsregelung
vor. Das halten wir für absolut notwendig. Eine Verrechtlichung der Verbändevereinbarung Gas II vom 3. Mai des
letzten Jahres ist nicht beabsichtigt. Wir sind uns, glaube
ich, auch darüber einig, dass die Vereinbarung in der jetzigen Form den wettbewerblichen Anforderungen absolut
nicht genügt. Daran müssen wir noch arbeiten.
Wir als FDP sind der Meinung, dass Deutschland faire
Wettbewerbspreise für Strom und Gas dringend braucht.
Solche wettbewerbsfähigen Preise sind nämlich das
Fundament einer gut funktionierenden Wirtschaft an unserem Standort Deutschland. Vergessen Sie nicht, liebe
Kollegen und Kolleginnen von Rot-Grün, dass gerade die
Verbraucher durch die Ökosteuer und andere Abgaben bereits über Gebühr belastet sind!
Michaele Husted
Noch ein Wort zum Schluss. Ich finde es bedauernswert, dass wir nicht zu Verhandlungen kommen konnten.
Den Gesetzentwurf werden wir heute ablehnen, weil keiner unserer Änderungswünsche berücksichtigt wurde.
Das kommt in den Bundesrat und - davon können wir,
glaube ich, ausgehen - dann auch in den Vermittlungsausschuss. Es wird also weitere Zeit ins Land gehen, es
wird wertvolle Zeit, wertvolle Energie benötigt werden,
die wir in einen Konsens hätten investieren können. Von
daher kann ich nur sagen: Schade drum! Wir als Oppositionsfraktion haben hier versucht, einen konstruktiven
Beitrag zu leisten. Wir werden das weiterhin tun und sagen: Sie haben zu verantworten, was jetzt weiter geschieht.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat jetzt der Kollege Rolf Hempelmann von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist zu Recht festgestellt worden: Mit der Novelle
zum Energiewirtschaftsgesetz verabschieden wir heute
etwas, was für die Gesamtgesellschaft in Deutschland
wichtig ist; denn jeder ist in irgendeiner Weise Teilnehmer
am Strom- oder Gasmarkt und soll letztlich vom fairen
und chancengleichen Wettbewerb, den wir mit diesem
Gesetz begünstigen wollen, profitieren.
Es ist darauf hingewiesen worden, welch langen Vorlauf dieses Gesetz hat. Wir haben in der Tat in der letzten
Legislaturperiode relativ früh begonnen, an der Entwicklung dieses Gesetzes zu arbeiten. Wir haben das in einer
Form getan, die möglichst viele in dieser Gesellschaft und
in der Energiewirtschaft mitnehmen sollte, nämlich in der
Form der Verbändevereinbarung, an der die Politik
durchaus beteiligt war. Das war gut so, denke ich, und der
Preis, den wir gezahlt haben - das Ganze hat eben gedauert -, war die Sache wert. Wenn man deswegen von Verschleppung redet, Herr Kollege Dr. Pfeiffer, dann trifft das
die Sache überhaupt nicht. Wenn Sie es als Verschleppung
begreifen, dass wir den Versuch unternehmen, einen breiten Dialog zu einem Thema zu organisieren, zu dem wir
auch einen breiten Konsens haben wollen,
({0})
dann ist das Ihre Sache und spricht für ein Demokratieverständnis, das wir jedenfalls nicht teilen.
({1})
Ein wesentliches Ziel dieses Gesetzes ist, die Verbändevereinbarung, die, wie gesagt, nach langem Vorlauf und
einem schwierigen Interessenausgleich zustande gekommen ist, zu verrechtlichen. Darüber ist jedenfalls eine
ganze Zeit lang der Streit entbrannt. Deswegen will ich für
die SPD-Fraktion - ich denke, das gilt für unseren Koalitionspartner gleichermaßen - noch einmal ganz deutlich
sagen: Wir wollen diese Verrechtlichung. Wir wollen sie
vor allem deshalb, weil dies die einzige Chance ist, um auf
Dauer unser deutsches System einer freiwilligen Verbändevereinbarung zu stabilisieren und in Brüssel langfristig
Akzeptanz für diesen Weg zu finden.
Wir müssen uns im Übrigen klar darüber sein: Dies ist
ein Weg, der in keinem anderen der Mitgliedstaaten gegangen wird. Die anderen 14 haben den Regulierer. Wir
haben die freiwillige Verbändevereinbarung. Wenn man
so will, ist dies ein deutscher Sonderweg. In diesem Fall
stören Sie sich ja auch nicht an der Vokabel - bei anderen
Themen sind Sie bei diesem Begriff ein bisschen sensibler -, sondern sagen: Es ist in Ordnung, dass wir diesen
Sonderweg gehen.
Wenn wir diesen „deutschen Sonderweg“ weiterhin gehen wollen, wenn wir den Erfolg der Bundesregierung
vom November letzten Jahres, für den ich ausdrücklich
danke, nicht gefährden wollen - ich erinnere daran, dass
für diesen Weg auch ein Stück Akzeptanz geschaffen
worden ist -, dann müssen wir diese Verrechtlichung jetzt
vollziehen.
Andererseits muss die Verbändevereinbarung - ich
gebe denjenigen durchaus Recht, die da noch Verbesserungsmöglichkeiten sehen - selbstverständlich weiterentwickelt werden. Wir haben die Verrechtlichung zunächst
bis zum 31. Dezember 2003 begrenzt; denn es ist völlig
klar: Der Wettbewerb in unserem Land hat noch nicht das
Ausmaß, das wir uns wünschen. Auch bei den Verbänden,
die beim Zustandekommen der Vereinbarung am Tisch
saßen, gibt es noch Vorbehalte und Bedenken, ob der
Wettbewerb auf diese Weise tatsächlich in dem erhofften
Maße etabliert werden kann. An der Vereinbarung muss
weiter gearbeitet werden. Sie muss mehr Transparenz enthalten. Letztlich wird sich die Verbändevereinbarung an
der Antwort auf die Frage „Gibt es sowohl im Strom- als
auch im Gasbereich tatsächlich einen fairen und chancengleichen Netzzugang?“ messen lassen müssen. Ich wiederhole: Wir fordern eine Weiterentwicklung der Verbändevereinbarung.
Wichtig ist aber auch die Verordnungsermächtigung
für den Bundeswirtschaftsminister; schließlich müssen
wir uns auch darüber Gedanken machen, was sein wird,
wenn es keine optimierte Verbändevereinbarung und daher keinen faireren Wettbewerb in den Bereichen von
Strom und Gas gibt. Wenn das der Fall ist, ist der Wirtschaftsminister ermächtigt, die notwendigen Maßnahmen
zu ergreifen. Am Ende der Entwicklung kann es natürlich
auch dazu kommen, dass es einen Regulierer gibt.
Es wird immer so getan, als gäbe es in Europa den Regulierer. In Wirklichkeit gibt es 14 unterschiedliche Mitgliedstaaten und 14 unterschiedliche Systeme. Es gibt
große und es gibt kleine Behörden. Es gibt Beamtenapparate; es gibt aber auch sehr flexible GmbHs. Wir werden
uns die unterschiedlichen Verhältnisse in den einzelnen
europäischen Staaten sehr genau anschauen. Es gibt auch
auf diesem Gebiet durchaus die Chance, von anderen zu
lernen und, wenn es sein muss, ein System zu entwickeln,
das viele der Befürchtungen, die jedenfalls hier immer
wieder geäußert werden, nicht rechtfertigt. Damit kein
Missverständnis entsteht: Das, was ich gerade beschrieben habe, ist eine Not- oder Auffangsituation; was wir
wollen, ist die Verbändevereinbarung. Alle Teilnehmer
sind aufgefordert, ihren Beitrag zu leisten.
Das Kartellamt ist hier mehrfach erwähnt worden.
Das Kartellamt hat in der Vergangenheit in der Tat einige
Kritik geübt. Das Kartellamt hatte beispielsweise die Auffassung vertreten, die Unterstellung einer guten fachlichen Praxis bei Einhaltung der Verbändevereinbarung
grenze seinen Handlungsrahmen ein. Dazu sage ich: Das
spricht nicht gegen die Verrechtlichung und das spricht
auch nicht gegen die Etablierung des Systems der guten
fachlichen Praxis, sondern das spricht dafür, dass die
Verbändevereinbarung weiterentwickelt werden muss,
sodass die Befolgung der Verbändevereinbarung mit einer
guten fachlichen Praxis letztlich identisch ist. Dieser Gedanke zeigt den Weg auf, den wir gehen wollen.
Ich möchte noch ein paar Worte zu dem sagen, was die
Opposition hier gesagt hat. Die FDP hat in der Tat vor
zwei Wochen einen Antrag eingebracht. Aber was ist die
Substanz dieses Antrages?
({2})
Im Grunde genommen geht aus diesem Antrag doch hervor, dass wir wesentliche Bestandteile der Verbändevereinbarung aufgeben sollen. Das heißt, in diesem Antrag
kommt keine Bestätigung des Systems der Verbändevereinbarung, sondern eine Absage zum Ausdruck. Wenn wir
Ihren Weg gingen, dann würden sich große Teile der Wirtschaft von der Teilnahme an der Verbändevereinbarung
verabschieden und dann hätten wir ein - diesen Begriff haben Sie, Herr Dr. Pfeiffer, hier eben benutzt - Tohuwabohu. Genau das wollen wir nicht und deswegen gehen wir
nicht den Weg, den die FDP vorschlägt.
Dr. Pfeiffer hat einerseits von Kompromissvorschlägen
gesprochen und andererseits hat er auf uns eingeschlagen,
indem er das, was wir hier vorgetragen und vorgeschlagen
haben, „Dilettantenstadel“ genannt hat. Es tut mir Leid,
sagen zu müssen: Das ist nicht die Sprache des Kompromisses, sondern die Sprache der Verweigerung.
({3})
Wir gehen hier, im Bundestag, unseren Weg. Wir formulieren eine klare Position auf der Basis eines langen
Dialoges mit den Marktteilnehmern in diesem Bereich.
Wir zeigen, dass wir regieren - Sie haben das eingefordert -,
indem wir diese Position klar machen.
Jetzt geht das Ganze in den Bundesrat. Es ist in Ordnung, dass im Bundesrat die Länder ihre Interessen vortragen und es gegebenenfalls dann im Vermittlungsausschuss auch zu Veränderungen kommt. Ich nehme, wenn
es ernst gemeint ist, gerne Ihr Angebot an, weitere Gespräche zu führen. Wir als Parlamentarier können die Gespräche im Bundesrat begleiten und mithelfen, dass hier
zeitnah vernünftige Ergebnisse erzielt werden und es zu
einem Interessenausgleich zwischen Bund und Ländern
kommt. Die Länder haben in dieser Sache natürlich in der
Tat - ich nenne nur die Stichworte Preisaufsicht und Landeskartellbehörden - eigene Überlegungen angestellt und
eigene Interessen.
Ich lade Sie also alle ein: Nehmen Sie, wenn Sie es
ernst meinen, weiter konstruktiv an der Entwicklung dieses Gesetzes sozusagen in der nächsten Instanz teil. Wir
jedenfalls werden diesem Gesetzentwurf heute zustimmen, weil wir der Auffassung sind, dass dies der Abschluss eines langen Prozesses ist. Die nächste Runde
wird zeigen, wie wir gemeinsam zu einem vielleicht noch
breiteren Konsens kommen können.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Rolf Bietmann von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier war gerade von Dialog und breitem Konsens die
Rede, aber Herr Kollege Hempelmann, Sie wissen, es gibt
weder diesen Dialog noch Konsens. Es gibt nicht einmal
innerhalb der rot-grünen Koalitionäre Konsens in dieser
Frage. Es war für mich ein sehr interessantes Erlebnis, als
ich im Umwelt- und Wirtschaftsausschuss mit ansehen
konnte, wie Ihnen die Grünen klar gesagt haben, dass sie
eigentlich nicht hinter den Inhalten dieses Gesetzes stehen
und vor allen Dingen in der Frage der Bewertung der wettbewerbsrechtlichen Regelungen zu ganz anderen Ergebnissen als die SPD kommen und am liebsten mit CDU und
FDP gegen dieses Gesetz gestimmt hätten. Deswegen gibt
es heute im Deutschen Bundestag eigentlich eine Mehrheit für mehr Wettbewerb im Energiewirtschaftsrecht.
({0})
Es ist bedauerlich, dass aus Gründen des Koalitionszwanges heute etwas von SPD und Grünen beschlossen
wird, hinter dem die Grünen als Regierungsfraktion eigentlich gar nicht stehen und das keine Chance hat, bei
den Bundesländern im Bundesrat auf Zustimmung zu
stoßen. Ein solches Verfahren und Vorgehen ist eigentlich
für den Gesetzgeber beschämend. Hinzu kommt, dass dieses Energiewirtschaftsgesetz in der Tat eine Vielzahl von
Fehlern enthält. Dabei geht es nicht nur um die Frage der
Verrechtlichung der Verbändevereinbarung.
In diesem Zusammenhang lohnt es sich auch, einige
Gedanken zur Situation der Energiepolitik überhaupt zu
formulieren, denn der von früheren Regierungen eingeschlagene Weg der Liberalisierung des Energiemarktes ist
sträflich vernachlässigt worden. Die rot-grüne Energiepolitik zeichnet sich heute im Wesentlichen durch Steuererhöhungen, Subventionen und Marktabschottung aus.
Das führte in den letzten Jahren trotz Senkung von Produktionskosten bei den Energieversorgern wieder zu einem Anstieg der Energiepreise für Industrie und Verbraucher. In diesen Preisen dokumentiert sich das
Subventionsproblem bei den erneuerbaren Energien. Insbesondere weisen die Preise für Endverbraucher und
Industrie die unerträgliche Wirkung der Ökosteuer aus. So
treibt Rot-Grün die Energiekosten in einer Weise in die
Höhe, die der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes
Deutschland nachhaltig schadet.
({1})
Die Preise für Industriestrom sind in Deutschland nicht
gefallen. Sie haben wieder das Niveau zu Monopolzeiten
vor der Marktöffnung erreicht. Der Industriestrompreis
- auch das muss man hier einmal sagen, weil das im EEGBericht der Bundesregierung anders steht - befindet sich
nicht im europäischen Mittelfeld, sondern fast an oberster
Stelle. Nur in Italien und Irland liegen die Preise noch
höher, während sie in den anderen EU-Ländern deutlich
darunter liegen. Energiekosten sind aber ein bedeutender
Standortfaktor bei Investitionsentscheidungen. So gefährdet rot-grüne Energiepolitik Investitionen und damit wirtschaftliches Wachstum in Deutschland.
Mit der Verabschiedung des heutigen Entwurfs wird
sich die Preisschraube erneut drehen. Ein Preisanstieg ist
aber für unseren Standort völlig unverantwortbar. Wir
brauchen mit Blick auf die Preisentwicklung endlich den
von allen gewünschten Wettbewerb im Energiemarkt. Genau dem wird der vorliegende Entwurf nicht gerecht.
Dabei liegen die Vorschläge für die Novellierung bereits seit der letzten Legislaturperiode auf dem Tisch. Im
November 2001 hat die Union dazu einen Antrag eingebracht und die Bundesregierung aufgefordert, die Novellierung so vorzunehmen, dass der Wettbewerb erhalten
bleibt und weiter ausgebaut werden kann.
Unser Ziel ist die Schaffung und nachhaltige Etablierung des Wettbewerbs sowohl im Strom- als auch im Gasbereich. Dabei setzen wir unverändert auf freie Verhandlungen zwischen Netzbetreibern, Energielieferanten und
-abnehmern anstelle staatlich regulierter Zugangsregeln.
Diesen Rahmen gewährleisten die Verbändevereinbarungen. Das System der Verbändevereinbarungen dient
dem Wettbewerb und muss weiterentwickelt werden. Allerdings darf die mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf
geplante Verrechtlichung der Verbändevereinbarungen
nicht dazu führen, dass die Missbrauchskontrolle der Kartellbehörden tatsächlich ausgehebelt wird. Den Kartellbehörden sollen nach dem Text des Gesetzes nämlich
durch Vermutungsregeln die Hände gebunden werden. Es
erfolgt eine einseitige Stärkung der jetzigen Betreiber der
Gas- und Stromnetze. Daher wird diese Regelung zu einer
Abschottung der Netze, zu weniger Wettbewerb und damit
zur Stärkung von Monopolen führen. Eine solche Stärkung
von Monopolen wollen wir gerade nicht.
({2})
Die Verrechtlichungslösung der Verbändevereinbarungen im Gesetz hat den Fehler, dass die Netzbetreiber in die
komfortable Lage versetzt werden, ihre Interessen in den
Verbändevereinbarungen aufgrund ihrer herrschenden
Stellung am Markt maximal durchzusetzen, ohne die Kartellaufsicht fürchten zu müssen. Das, meine Damen und
Herren, ist die klassische Rückkehr zur Monopolwirtschaft. Wettbewerb und damit verbundene Preissenkungen sind so ausgeschlossen.
Darum schlagen wir ein anderes System vor. Wir schlagen vor, die Verbändevereinbarungen unter Beibehaltung
einer effektiven Kartellkontrolle insoweit zu verrechtlichen, als die Kartellaufsicht die Einhaltung der Verbändevereinbarungen in jedem Einzelfall angemessen berücksichtigen muss. Mit einer gesetzlich vorgegebenen
Berücksichtigungsklausel kann eine juristische Wertungsvorgabe formuliert werden, die einerseits den Interessen
der Netzbetreiber an Planungs- und Investitionssicherheit
gerecht wird, andererseits aber auch das Interesse an Missbrauchskontrolle durch die Wettbewerber berücksichtigt.
Mit dieser Position - das haben die Erörterungen in den
Fachausschüssen gezeigt - können sich auch die FDP und
- das betone ich - die Grünen anfreunden. Darum wiederhole ich, meine Damen und Herren: Es gibt in diesem
Haus eine politische Mehrheit für Wettbewerb. Deshalb
ist es unverantwortlich, dass die Grünen heute aufgrund
des Koalitionszwanges mit der SPD gegen mehr Wettbewerb in der Energiewirtschaft in Deutschland stimmen.
Aber, meine Damen und Herren, es gibt auch einige
weitere Kritikpunkte. Ich will sie nur kurz skizzieren. Es
geht um die Verweigerung einer Beweislastumkehr zugunsten von Unternehmen, die den Netzzugang begehren.
Außerdem geht es um die fehlende Transparenz der Regelungen im Gesetz.
Ein Letztes, Herr Staatssekretär Staffelt: Richtig ist,
dass das vorläufige Eingreifen des Kartellamtes ein Fortschritt ist. Aber Sie haben den Gesetzentwurf nicht weitergedacht. Sie haben nicht daran gedacht, dass das geltende
Recht zum Tragen kommt, wenn möglicherweise nach drei
oder vier Jahren durch ein deutsches Gericht festgestellt
wird, dass diese vorläufige Regelung falsch war, und dass
insoweit beachtliche Schadenersatzansprüche drohen. Wer
soll denn für diese Schadenersatzansprüche das Geld
zurückstellen? Da geht es ja nicht um Peanuts, sondern um
Hunderte Millionen Euro. Das hat niemand bedacht. Diese
Fragen müssen unbedingt geklärt werden.
Deswegen steht bei kritischer Betrachtung des Gesetzentwurfes fest, dass dieser Entwurf für den Standort
Deutschland die unabdingbar notwendige preisgünstige
und umweltverträgliche Versorgung mit Elektrizität und
Gas nicht garantiert und den Weg der eingeschlagenen Liberalisierung des Energiemarktes verlässt.
Die Union dagegen tritt für mehr Wettbewerb ein. Eine
Rückkehr zu Monopolstrukturen ist mit uns nicht zu machen. Sie nützen niemandem, am wenigsten der Industrie
und dem privaten Verbraucher. Darum sage ich noch einmal: Die Politik von Rot-Grün wird weiter steigende
Energiepreise nach sich ziehen und damit den Wirtschaftsstandort Deutschland schwächen. Diese Politik
machen wir nicht mit.
Vielen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein2052
gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts,
Drucksache 15/197. Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/432, den Gesetzentwurf anzunehmen. Wer stimmt
dem Gesetzentwurf zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
damit in dritter Lesung mit dem gleichen Quorum angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Dirk Niebel, Birgit Homburger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Abbau von Bürokratie sofort einleiten
- Drucksache 15/65 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({0})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin spricht
für den Antragsteller, die FDP-Fraktion, die Kollegin
Birgit Homburger.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Kollege Kubatschka, ich freue mich immer, wenn Sie sich
solche Sorgen um mich machen. Ich kann Ihnen aber versichern: Das ist vollkommen überflüssig.
Kommen wir nun zu unserem Antrag zum Bürokratieabbau. Der Abbau von Bürokratie ist eine der zentralen
Aufgaben der Politik. Längst ist Bürokratie zu einer massiven Belastung in allen Lebensbereichen geworden. Deswegen kämpft die FDP für den Abbau von unsinnigen und
überflüssigen Vorschriften und für mehr Freiheit für die
Bürgerinnen und Bürger.
({0})
Das hat - das muss ich Ihnen sagen - Ihr Wirtschaftsminister, Herr Clement, längst begriffen; jedenfalls erweckt er nach draußen diesen Eindruck. Ihr Bundeskanzler,
Herr Schröder, hat sogar in seiner Regierungserklärung davon gesprochen, dass der Abbau unnötiger Bürokratie eine
Säule seiner Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik sei. Und
was macht die SPD-Bundestagsfraktion? Sie betätigt
sich in dieser Frage als Chefbremser, was das Beispiel
Kündigungsschutz in der letzten Woche wieder bewiesen
hat.
({1})
Wir reden nicht über Bürokratieabbau, sondern wir
handeln. Wir haben bereits im November letzten Jahres,
also in dieser Legislaturperiode, einen ersten Antrag eingebracht.
({2})
Ich möchte Ihnen deutlich machen, dass Sie darüber
nachdenken sollten, ob jetzt nicht auch Sie langsam einmal handeln wollen.
({3})
70 000 Gesetze, Verordnungen und Rechtsvorschriften
haben wir in diesem Land zu beachten. Jährlich werden es
mehr. Dadurch fallen allein für die Wirtschaft rund
30 Milliarden Euro Kosten an. Wenn man sich die Kostenbelastung anschaut, dann stellt man fest, dass ein Arbeitsplatz in der Großindustrie mit rund 150 Euro pro
Jahr belastet wird, während in einem kleinen oder mittelständischen Betrieb eine Belastung von rund 3 500 Euro
pro Arbeitsplatz und Jahr entsteht. Das ist ein Ausmaß,
das längst einer Existenzbedrohung der kleinen und mittleren Betriebe gleichkommt. Dieser Unsinn muss jetzt
endlich aufhören!
({4})
- Wir sagen nicht, dass das alles in den letzten vier Jahren
passiert ist.
Aber ich danke Ihnen für diesen Einwurf: Sie haben
schon in der letzten Legislaturperiode, also vor vier Jahren, in Ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, die Bürokratie und Vorschriften abbauen zu wollen. Sie wollten
deregulieren. Das war ein Hauptpunkt.
({5})
- Ja, das haben Sie wunderbar gemacht. Sie haben in einer Antwort auf eine Anfrage mitgeteilt, dass Sie ein paar
Vorschriften abgeschafft hätten. Aber eine ganze Reihe
neuer haben Sie beschlossen, sodass in der letzten Legislaturperiode unter Ihrer Führung im Saldo bzw. netto, also
das abgezogen, was Sie abgeschafft haben, 300 neue Gesetze und über 1 000 neue Verordnungen beschlossen
worden sind. Das ist das Ergebnis Ihrer Art von Bürokratieabbau: mehr Bürokratie, mehr Regulierung. Aus unserer Sicht ist das der falsche Weg.
({6})
Deswegen fordern wir in unserem Antrag ein Bürokratieabbaugesetz. Ein solches kann - wenn Sie wollen noch vor der Sommerpause 2003 im Deutschen Bundestag beschlossen werden. Wir haben in unserem Antrag
27 konkrete Vorschläge für Bürokratieabbau gemacht,
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
zum Beispiel im Bereich der Statistiken, im Bereich des
Sozialversicherungsrechts, im Bereich des Steuerrechts,
im Bereich des Betriebsverfassungsgesetzes
({7})
oder im Bereich des Kündigungsschutzgesetzes.
Ihre Minister sprechen doch zwischenzeitlich selbst
von Bürokratieabbau, nur umgesetzt wird nichts. Herr
Eichel beispielsweise hat gerade vorgestern angekündigt,
er wolle Überregulierungen im Steuerrecht beseitigen und
in dessen Zuge die Lohnsteuerkarte abschaffen. Da muss
man Sie doch fragen: Warum, um Himmels willen, haben
Sie dann den Anträgen der FDP-Bundestagsfraktion zur
Vereinfachung des Steuerrechts in diesem Hause nicht zugestimmt?
({8})
Oder nehmen wir das Beispiel der Umsatzsteuervoranmeldungen: Wir fordern, dass diese Meldungen künftig nur noch vierteljährlich abgegeben werden müssen. So
könnten im Jahr 12 Millionen Formulare eingespart werden. Das entspricht einer geschätzten Entlastung von mindestens 0,5 Milliarden Euro, im Übrigen für Unternehmen
und Finanzverwaltungen. Anders ausgedrückt: Das ersparte 36 Millionen Blatt Papier - 12 Millionen Formulare à drei Blatt -, gestapelt ein Berg von etwa 4 000 Meter Höhe; das liegt irgendwo zwischen Großglockner und
Matterhorn. Warum stimmen Sie dem nicht zu? Warum
wehren Sie sich dagegen, dass diese Meldungen künftig
statt monatlich nur noch vierteljährlich abgegeben werden müssen?
({9})
- Entschuldigung, Frau Kollegin, aber dieser Zwischenruf ist Unsinn. Durch diese Maßnahme würde man
doch keine Steuern verlieren. Wir wollen lediglich die
Umsatzsteuervoranmeldungen derart vereinfachen, dass
statt monatlich nur noch vierteljährlich ein Formular abgegeben werden muss. Dadurch verliert man doch keine
Steuern. Reden Sie doch nicht so ein Zeug daher!
({10})
Minister Clement ist geradezu das Kontrastprogramm
zu dem, was Sie machen: Er kündigt einen Masterplan
Bürokratieabbau an und will diesen hier im Bundestag
vorlegen. Ich habe den Eindruck, da verhält es sich ein
bisschen wie mit dem Ungeheuer von Loch Ness: Alle reden von Nessi; aber keiner hat sie je gesehen. So ist das
auch mit dem Masterplan.
({11})
Wir wollen ernst machen mit dem Bürokratieabbau.
Hören Sie endlich auf mit Ihrer Bürokratieabbaurhetorik!
Das ist unanständig angesichts der wirtschaftlichen Lage,
in der wir uns befinden. Wir werden Sie in jedem einzelnen Punkt mit einem Lösungsvorschlag konfrontieren. Im
Januar haben wir damit angefangen, in jeder Sitzungswoche des Deutschen Bundestages hierzu Vorschläge einzureichen. Wir geben Ihnen damit die Gelegenheit, zu beweisen, dass es Ihnen mit dem Bürokratieabbau ernst ist.
({12})
Oder um es anders auszudrücken - das ist mein letzter
Satz Herr Präsident -: Die FDP eröffnet Ihnen, meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen, eine riesige Chance.
({13})
Wenn Sie schon selber nichts zuwege bringen, können Sie
unserem Antrag zustimmen und damit das wahr machen,
was Sie sonst nur ankündigen. Das ist unser Angebot an
Sie. Stimmen Sie dem FDP-Antrag zu!
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat jetzt der Kollege Walter Hoffmann von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Homburger,
ein bisschen mehr Nachdenklichkeit hätte Ihrem forschen
Auftreten gut getan, gerade angesichts dieses wichtigen
Themas.
Es ist wohl völlig unstrittig, dass ein Großteil - ich will
das jetzt nicht mit Prozentwerten totschlagen - der bürokratischen Regelungen, mit denen wir uns alle herumzuschlagen haben, auf europarechtliche Regelungen zurückgeht. Jeder Kollege, der im Ausschuss für Wirtschaft und
Arbeit oder im Auswärtigen Ausschuss tätig ist, weiß, dass
die Hälfte der Tagesordnungspunkte - das habe ich im
wahrsten Sinne des Wortes noch geschönt - europarechtliche Regelungen behandelt. - Das ist mein erster Punkt.
Zweiter Punkt: Ich will versuchen, es mit einer Zahl zu
verdeutlichen; es ist eine rein mathematische Angelegenheit. Sie waren 16 Jahre lang - ob ich es gut finde oder
nicht, spielt keine Rolle - für die Gesetzgebung verantwortlich.
({0})
Sie haben 16 Jahre lang eine Unmenge an Vorschriften auf
Bundes- und Länderebene produziert.
({1})
- Ich muss das jetzt anführen. Ich neige nicht zum Rückblick, denn wir müssen unumstritten nach vorn schauen.
({2})
Aber man kann nicht so tun, als sei die Bürokratie in den
letzten vier Jahren entstanden. Das ist in der Tat nicht der
Fall.
({3})
Lassen Sie mich jetzt zum Thema zurückkommen. Die
Zielsetzung ist klar: Wir wollen Bürokratie abbauen. Das
wollen wir nicht nur ankündigen, sondern ernsthaft umsetzen.
({4})
Es ist ja nicht so, als ob nichts geschehen wäre. Hier müssen wir die Tassen im Schrank lassen.
Ich möchte Ihnen den Fall eines Rechtsanwaltes schildern, der mich schriftlich aufgefordert hat, mit dafür zu
sorgen, die Formulare der Krankenkassen zu vereinheitlichen und eine einzige Anlaufstelle im Internet zu
schaffen. Ich musste ihm mitteilen, dass dies bereits seit
November 2001 geltende Rechtslage ist. Ich musste ihm
weiterhin mitteilen, dass die Personalabrechnungsformulare der Krankenkassen nicht nur vereinheitlicht wurden,
sondern dass die Informationstechnische Servicestelle der
GKV ihre Dienste im Internet sogar kostenlos anbietet.
Ein dritter Punkt, bei dem ich mich relativ gut auskenne, sind die Unfallverhütungsvorschriften. Da gab es
ein völlig unübersichtliches Regelwerk. Wir sind stolz darauf, dass seit Oktober vergangenen Jahres die Flut der
Unfallverhütungsvorschriften für die Hersteller und Betreiber technischer Geräte zusammengefasst, vereinheitlicht und vereinfacht worden ist. Das ist eine gute Sache.
({5})
Der vierte Punkt: Die Menschen quälen sich durch ihre
Steuererklärungen; sie sind absolut undurchschaubar,
schwierig und zeitaufwendig. Der einzige Berufsstand, der
davon profitiert, ist der der Steuerberater. Deswegen finde
ich es gut, dass die Bundestagsfraktion eine Initiative
gestartet hat - Sie haben davon sicher in der Zeitung gelesen -, um die Lohnsteuerkarte ab 2005 abzuschaffen, die
Steuererklärung soweit wie möglich zu vereinfachen und die
Vordrucke bundesweit zu vereinheitlichen. Dabei will ich es
belassen, auch wenn es noch eine Fülle weiter gehender Forderungen gibt. Auch das ist ein guter Ansatz. Ich hoffe, wir
haben alle zusammen die Kraft, das durchzustehen.
({6})
Frau Homburger, Sie müssen noch ein paar Tage warten, dann wird das positive Ungeheuer herauskrabbeln und
den Masterplan vorlegen. Sie werden an jedem einzelnen
Punkt gefordert sein. Dann müssen Sie sich auch bekennen
und Position beziehen; denn dann ist die Zeit der Sprücheklopferei im wahrsten Sinne des Wortes vorbei.
({7})
Wir sollten aufhören, das als einmalige Sache oder als
Beschränkung auf eine Legislaturperiode zu betrachten.
Das ist unsinnig. Wir sind uns doch darüber einig, dass
Bürokratieabbau ein Prozess sein muss, der sich über
viele Jahre hinweg vollzieht. Bei alldem, was wir beschließen, sollten wir daran denken, welche Schwierigkeiten und bürokratischen Regelungen das möglicherweise mit sich bringen wird.
Auch in Ihrem Antrag gibt es Maßnahmen, die unstrittig, ja sogar sinnvoll sind. Das ist überhaupt kein Thema.
Wir werden sie im Rahmen des Masterplans sicherlich auch
umsetzen. Es gibt aber auch Konfliktpunke, bei denen ich
sicher bin, dass wir zu keiner Einigung kommen werden.
Eines sage ich ganz deutlich: Mit demjenigen, der unter dem Etikett des Bürokratieabbaus Positionen durchsetzen will, die er bisher im Parlament nicht durchsetzen
konnte, werden wir nicht übereinstimmen. Dabei werden
wir nicht mitmachen.
Ich will ein Beispiel aus Ihrem Antrag nennen. Sie verlangen, dass die Pflicht des Arbeitgebers, über beschäftigungspolitische Vorschläge des Betriebsrates zu beraten,
abgeschafft wird. Frau Homburger, das hat nichts mit
Bürokratie zu tun, sondern schlicht und ergreifend mit
dem Abbau von Arbeitnehmerschutzrechten, mit Mitbestimmung und innerbetrieblicher Demokratie. Um nichts
anderes geht es Ihnen bei diesem Punkt.
Dazu sage ich Ihnen ganz deutlich: Dieser Vorschlag
ist unsinnig und kontraprodutiv. Jeder, der betriebliche
Realitäten kennt, weiß, dass es Betriebsräte mit ihrem
Know-how, ihrem Ideenreichtum und ihrer Fantasie häufig geschafft haben - in Kooperation, oft aber auch gegen
Arbeitgeber -, ihre Betriebe, die in massiven Schwierigkeiten steckten, zu retten. Ich habe in meinem beruflichen
Leben viele solcher positiven Erfahrungen gemacht.
Diese Forderung ist also unsinnig und hat auch nichts
mit Bürokratieabbau zu tun.
({8})
Es handelt sich hierbei schlicht und ergreifend um eine
Forderung nach dem Abbau von Arbeitnehmerrechten.
Dabei werden wir nicht mitmachen. Das sage ich klar und
deutlich.
Frau Homburger, ich bin sehr gespannt - ich sage dies
nicht arrogant -, wie Sie reagieren werden, wenn es bei
der Forderung nach Bürokratieabbau an die Besitzstände
Ihrer Klientel gehen wird. Und das wird kommen.
({9})
- Das haben wir doch. Ich habe meine Zweifel, ob Sie
auch dann noch weiter mitmachen werden, wenn es an die
Standesprivilegien Ihrer Klientel geht.
Ich bin auch für eine ehrliche Diskussion mit den Verbänden; Herr Staffelt wird dies nachher sicherlich noch
ausführlich schildern. Alle Verbände sind aufgefordert
worden, ihre Vorschläge - bis zum November des letzten
Jahres - zu präsentieren. Ich habe nun meine Zweifel, ob
diese Vorschläge mit den betrieblichen Realitäten in Einklang zu bringen sind. Ich habe dies bewusst als Zweifel
formuliert.
Ich bin auch der Auffassung, dass die Wirtschaftsverbände erst einmal ihre eigenen Hausaufgaben zu machen
haben. Es ist bekannt, dass sie einerseits für ihre unmittelbare Arbeit eine Unmenge an Statistiken benötigen und
sich daher mit Händen und Füßen gegen die Abschaffung
wehren, dass sie dies aber andererseits in ihren Forderungskatalog hineinschreiben. Diese Doppelzüngigkeit
wird bei dieser Diskussion nicht aufrechtzuerhalten sein.
Walter Hoffmann ({10})
Walter Hoffmann ({11})
Lassen Sie mich noch etwas zu den Ländern sagen, in
denen Sie von der CDU/CSU Regierungsverantwortung
tragen. Ich habe einen relativ guten Überblick darüber,
was dort im Bereich des Bürokratieabbaus geschieht. Ich
habe mich häufig gefragt, weshalb es immer noch so ist,
dass ein in Mainz zugelassener Architekt keine Aufträge
in Wiesbaden, also auf der anderen Seite des Rheins, ausführen kann.
({12})
Ich habe mich auch häufig gefragt, warum es immer
noch so ist, dass ein in Hessen vereidigter Vermessungsingenieur in Rheinland-Pfalz nicht tätig sein darf. Das
kann doch nicht sein. Ich habe es nicht geglaubt, als man
mir dies erzählt hat. Dort, wo Sie in den Landesregierungen Verantwortung tragen, sind Sie aufgefordert, hier Abhilfe zu schaffen.
({13})
Herr Kollege Hoffmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Homburger?
Natürlich.
Bitte.
Herr Kollege Hoffmann, ich möchte Sie nur fragen, ob
Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass es auch auf
Landesebene sicherlich immer noch Möglichkeiten für einen Bürokratieabbau bzw. den Abbau überflüssiger Vorschriften gibt. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
dass in Hessen unter liberaler Regierungsbeteiligung in
den letzten Jahren 39 Prozent der Verwaltungsvorschriften
und 15 Prozent der Rechtsverordnungen zurückgenommen worden sind? Insgesamt waren dies circa 5 000 Vorschriften.
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass beispielsweise in Baden-Württemberg im Jahre 2000
26 Prozent und im Jahre 2001 weitere 11 Prozent der
Verwaltungsvorschriften zurückgenommen worden sind?
Die Zahlen für das Jahr 2002 habe ich noch nicht vorliegen; aber diese Entwicklung ging weiter.
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass in den
Ländern, in denen die FDP Regierungsverantwortung
trägt, der Bürokratieabbau auch tatsächlich erfolgt?
Frau Homburger, ich nehme diese Zahlen in der Tat zur
Kenntnis.
({0})
Ich sage Ihnen dazu aufgrund interner Informationen: Die
Zahlen sagen relativ wenig aus. Die Hessische Landesregierung hat unter Führung der FDP
({1})
im Baurecht eine ganze Reihe von Änderungen vorgenommen. Schauen Sie sich diese Änderungen einmal an.
Dann werden Sie feststellen, dass alle Verbände, die von
der Sache wirklich etwas verstehen, gegen diese Änderungen sind. Ich behaupte auch, dass ein Großteil dieser
Änderungen absolut kontraproduktiv ist.
Wenn ich noch Zeit hätte - ich habe leider nur noch wenige Sekunden -, würde ich Ihnen anhand mehrerer Beispiele verdeutlichen,
({2})
wie sich ein positiver Ansatz bei der Umsetzung in das
Gegenteil verkehren kann. Dies gilt gerade für das Baurecht. Wir werden eine Unmenge von Klagen bekommen,
weil die Vorschläge nicht durchdacht, nicht abgestimmt
und wirklichkeitsfremd sind. Die Regierung aber kann
aufzeigen, sie habe das und das gemacht. Ich sage Ihnen
dies nicht arrogant oder überheblich, sondern nur, um aufzuzeigen, dass hier der Teufel im Detail steckt.
({3})
Wenn der Masterplan in wenigen Tagen hier auf den
Tisch kommt, werden wir sehen, ob Sie bereit sind, sich
Ihrer Verantwortung konkret zu stellen.
({4})
Zum Abschluss fordere ich Sie noch einmal auf. Machen Sie konkrete Vorschläge, über die wir diskutieren
können und die uns weiterbringen! Verschonen Sie uns
aber bitte mit Ihren Versuchen, durch die Hintertür Mitbestimmungsrechte und andere Schutzrechte auszuhebeln!
Dazu ist uns das Ziel des Bürokratieabbaus zu wichtig.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Michael Fuchs von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Lieber Kollege Hoffmann, vielen Dank für diese markigen
Worte. Einem Kreisvorsitzenden a. D. des DGB hört man
bei einem solchen Thema besonders gerne zu. Sie sprachen
davon, dass der Teufel im Detail stecke. Der Teufel steckt
nicht im Detail, sondern in Ihrer Fraktion, die nicht fähig ist,
diese Dinge umzusetzen. Das ist das Problem.
({0})
Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Wir diskutieren seit
Jahren über den unsäglichen Ladenschluss. Wir hatten
die Hoffnung, dass Sie in diesem Bereich endlich etwas
tun würden; der Bundeskanzler und der Bundeswirtschaftsminister haben das ja mit großen Worten angekündigt. Wie wir von Ihren Kollegen aber hören mussten, haben Sie, wenn es darum geht, die Öffnungszeiten um
gerade einmal vier Stunden zu verlängern, eine Mehrheit
von nur 60 Prozent in Ihrer Fraktion. 40 Prozent stellen
sich noch immer dagegen. Es ist doch ein Drama, wenn
man bei solchen Lächerlichkeiten nicht weiterkommt.
({1})
Wir haben eine wahrhaft gewaltige Regulierungswut in
diesem Staat. Es wurden Anmeldungs-, Aufzeichnungs-,
Berechnungs-, Erklärungs-, Ermittlungs-, Nachweis- und
Abführungspflichten geschaffen. Es gibt 2 200 Gesetze mit
47 000 Einzelvorschriften und 3 000 Rechtsverordnungen
mit 40 000 Einzelvorschriften. Ich finde, da ist genug Platz.
Gerhard Schröder hat in seiner ersten Regierungserklärung gesagt - ich zitiere -:
Wir werden die Verwaltung schlanker und effizienter
machen, wir werden hemmende Bürokratie rasch beseitigen.
Was haben Sie an hemmender Bürokratie in der letzten
Legislaturperiode denn beseitigt?
({2})
Was haben Sie geschafft? - Im OECD-Bürokratievergleich ist zu lesen, dass Deutschland unter den europäischen Ländern Platz 16 einnimmt.
({3})
Ich weiß, dass Sie es schaffen, dass wir auf Plätze, die
noch weiter hinten liegen, kommen. Darin sind Sie gut.
Bei E-Government zum Beispiel liegen wir europaweit
auf dem drittletzten Platz.
({4})
Beim Wirtschaftswachstum haben Sie es nun geschafft,
dass wir Schlusslicht sind. Da haben Sie für dieses Land
die rote Laterne geholt. Das hat es in Deutschland noch
nie gegeben.
({5})
Der FDP-Antrag hat Recht und enthält Punkte, die beweisen, dass Sie Mut haben. Diese haben Sie vorgetragen,
Frau Homburger. Allerdings fehlt mir der Glaube, dass die
Fraktionen von Rot-Grün irgendetwas davon umsetzen
werden. Ich glaube nicht, dass dieser dringend benötigte
Befreiungsschlag kommen wird. Ich erwarte, dass Ihren
Worten endlich Taten folgen.
({6})
Diese großartig angekündigten Reformen müssen mehr
werden als nur Luftblasen.
Wir hören von dem Masterplan; alle Tage wird mit
großen Worten ein Splitter aus ihm verkündet. Aber all die
Ankündigungen - der Ankündigungsminister ist heute
leider nicht hier - zerplatzen wie Seifenblasen. Wird der
Masterplan insgesamt etwa ebenfalls großartig angekündigt und dann von den Gewerkschaften ideologiegerecht
weichgespült? Kommt auch er auf das Abstellgleis wie
der Ladenschluss? 40 Prozent Ihrer Fraktion wollen nichts
ändern. Das kann ich nicht mehr nachvollziehen. Das tut
mir wirklich Leid, Frau Barnett; denn hier müssten wir
endlich zu einem Anschluss an die europäischen Verhältnisse kommen.
Herr Staatssekretär Staffelt, ist es für den Bundeswirtschaftsminister eigentlich befriedigend, dass dann, wenn
er die Gedanken, die er sich immer wieder macht - diese
sind manchmal gar nicht so falsch -, veröffentlicht, die
Herren Bsirske und Zwickel umgehend das Kanzleramt
stürmen und ein führungsstarker Kanzler sofort eine
Rückrufaktion startet? So kann es nicht gehen. Ich sehe
aber leider nicht, dass sich das ändern wird.
Der Bundeswirtschaftsminister strampelt sich ab - das
geben wir durchaus anerkennend zu -, bekommt in der
Fraktion aber nichts Vernünftiges durch. Wir haben ein
Arbeitspapier der Projektgruppe „Masterplan Bürokratieabbau“ des BMWA erhalten. Dieses enthält 33 zum
Teil weit reichende Vorschläge. Vielleicht ist diesmal sogar der große Wurf darunter. Sie gehen so weit, dass die
Zwangsmitgliedschaft in der IHK abgeschafft werden soll
und dass der Meisterbrief im Handwerk zur Disposition
gestellt werden soll. Auch die Arbeitsstättenverordnung
wollen Sie verändern. Die Pflichten zur Führung von Statistiken sollen geändert werden.
({7})
- Herr Kollege Stiegler, ich kann Ihnen das Papier gerne
geben. Es stammt aus dem BMWA. Ich gebe es Ihnen sogar mit dem Rubrum des BMWA.
({8})
- Herr Stiegler, ich fälsche nicht! Ich bin nur sehr gespannt, wie Sie darauf reagieren und was daraus wird.
Oder sind das nur die üblichen Ankündigungen, die wir
von Ihnen gewöhnt sind?
({9})
Die Regierung hat in der letzten Wahlperiode 391 Gesetze
und sage und schreibe 973 Rechtsverordnungen erlassen.
Das war Ihr Programm zum Bürokratieabbau. Ich habe
nicht das Gefühl, als hätten Sie bis jetzt irgendetwas dazugelernt.
({10})
So wird es jedenfalls nicht weitergehen können.
Es gibt eine sieben Jahre alte Untersuchung des Instituts
für Mittelstandsforschung in Bonn, in der nachgewiesen
wurde, dass wir zu viel Bürokratie haben. Warum haben
Sie eigentlich nicht eine neue Untersuchung in Auftrag gegeben? Der Bundeswirtschaftsminister verfügt in seinem
Etat für Öffentlichkeitsarbeit über 13 Millionen Euro. Ich
meine, damit könnte er etwas Sinnvolles anfangen und
eine solche Untersuchung in Auftrag geben. Ich schlage
Ihnen das vor.
({11})
Wenn es Ihnen damit wirklich Ernst ist, dann tun Sie doch
etwas!
({12})
Frau Homburger hat vollkommen Recht: Jeder Arbeitsplatz im Mittelstand ist mit 3 500 Euro Bürokratiekosten belastet. Das muss doch Grund genug sein, so
schnell wie möglich etwas zu ändern.
({13})
Herr Hoffmann, es geht nicht darum, nur ein bisschen
an den Statistiken herumzuschnipseln. Nein, wir müssen
schon an das Eingemachte gehen; es müssen Dinge in Angriff genommen werden, die für die Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen spürbar sind.
({14})
Ein Mitarbeiter benötigt durchschnittlich 62 Stunden für
die bürokratische Pflicht.
({15})
- Wenn Sie es wissen, ist es ja gut. Aber dann tun Sie doch
etwas! Fangen Sie endlich einmal an
({16})
und warten Sie nicht immer nur ab, bis Ihnen irgendwelche Vorschläge gemacht werden.
Wir müssen auch in den Gesetzen die Folgekostenabschätzung etwas anders definieren.
({17})
Auch in dieser Hinsicht erwarte ich etwas Initiative von
Ihnen. Aber Initiativen von Ihnen finden wir allenfalls in
Zeitungen und nicht hier im Parlament, wo sie hingehören. Das wäre mir wesentlich lieber.
({18})
Ich will mich jetzt gar nicht mit den einzelnen Paragraphen beschäftigen; dazu bräuchte ich drei Stunden Redezeit, die ich leider nicht habe. Wir haben es mit einem
Flächenbrand zu tun, den Ihre Bürokratie verursacht hat.
Sie können sich nicht mehr damit herausreden, Herr
Hoffmann - es tut mir Leid -, dass Bundeskanzler Kohl
16 Jahre lang regiert hat. Das waren 16 gute Jahre für
Deutschland.
({19})
Aber was wir jetzt erlebt haben, sind fünf schlechte Jahre
für Deutschland gewesen.
({20})
Es hat noch nie in Deutschland eine Situation gegeben,
in der die Wirtschaft so sehr am Boden lag wie jetzt. Ich
bin Unternehmer. Ich habe im Zeitraum von Januar bis
heute bereits 25 Unternehmerkunden verloren; sie sind
Pleite gegangen. Das sind die Folgen Ihrer Politik. Was
anderes sollte es denn sonst sein?
({21})
- Ich denke nicht, dass das etwas mit Staatskommunismus
zu tun hat. Aber Sie haben so viele Gesetze gemacht, die
die Unternehmen immer weiter belastet und die dazu geführt haben, dass heute keiner mehr richtig durchatmen
kann. Das sind die Folgen Ihrer Politik.
({22})
Alle sieben Minuten geht in Deutschland ein Unternehmen Pleite. Das finde ich nicht zum Lachen, Frau
Barnett. Da gehen Arbeitsplätze verloren; das sollte Ihnen
genauso weh tun, wie es uns weh tut.
({23})
Herr Kollege Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Bürsch?
Gerne.
Herr Kollege, ist Ihnen bewusst oder bekannt, dass in den
90er-Jahren die Sachverständigenkommission „Schlanker
Staat“ unter der Leitung Ihres früheren Kollegen Rupert
Scholz einen umfänglichen Bericht geschrieben hat, der
viele Forderungen zum Bürokratieabbau enthielt? Damals
lag die Zahl der Gesetze, die in einer Legislaturperiode
verabschiedet wurden, zwischen 500 und 600; es waren
fast doppelt so viel wie jetzt. Ist Ihnen ferner bekannt, dass
aus diesen Forderungen von Professor Rupert Scholz und
der Sachverständigenkommission nichts hervorgegangen
ist, was einen Abbau von Bürokratie und Vorschriften bewirkt hat?
({0})
Ist Ihnen schließlich bekannt, dass Herr Scholz damals
schon darauf hingewiesen hat, dass wir bei der Forderung
nach Bürokratieabbau immer darauf achten müssen, dass
die Gesetze den Rechtsstaat sichern? Wenn Sie Unternehmer fragen, ob sie diese Gesetze brauchen, dann werden
sie Ihnen antworten: Natürlich brauchen wir Richtlinien,
die unser Handeln mit einem Maßstab versehen.
Die Forderung nach Bürokratieabbau gibt es, solange
es Gesetze gibt.
({1})
Insofern stellen Sie jetzt eine etwas populistische Forderung auf.
Ich möchte Sie fragen: Kennen Sie die Forderungen
der Sachverständigenkommission „Schlanker Staat“?
({2})
Wenn ja: Können Sie mir sagen, was davon umgesetzt
worden ist? Wenn man nämlich den Vergleich zu den Jahren 1990 bis 1998 zieht, bekommt man einen etwas realeren Hintergrund, was Ihre Forderungen angeht.
({3})
Herr Kollege, ich darf Ihnen berichten, dass Professor
Scholz eine sehr gute Arbeit geleistet hat. Diese führen
wir heute immer noch weiter.
({0})
Leider sind wir seit 1998 nicht mehr an der Regierung,
sonst hätten wir die Forderungen von Herrn Scholz umgesetzt.
(Klaus Brandner [SPD]: Jetzt machen Sie noch
eine inhaltliche Aussage! Sie lassen nur Sprechblasen ab! Kein einziges Beispiel!
- Herr Brandner, wenn Sie es so gut finden, sollten Sie
den Bericht vielleicht lesen und nicht darüber polemisieren.
({1})
Ich empfehle Ihnen diesen Bericht zur Lektüre; denn er
stellt den Handlungsrahmen dar, den Sie brauchen, um
jetzt Bürokratie abzubauen.
({2})
Eine Menge davon ist umgesetzt worden. Unsere Fraktion wird Forderungen aus dem Scholz-Papier einbringen.
Machen Sie sich keine Sorgen: Wir werden Sie beim
Thema Bürokratie treiben. Ich bin der Meinung, dass wir
über einen solchen Befreiungsschlag sprechen müssen.
Anders werden wir mit dem Moloch Bürokratie nicht fertig werden.
Meine Damen und Herren, zum Abschluss möchte ich
noch eines sagen: Ludwig Erhard kann man immer zitieren. Herr Brandner, ich weiß, dass Sie von ihm nichts halten; das bekommen wir jeden Tag zu hören.
({3})
Sie wissen wahrscheinlich nicht, was er wollte. Ich sage
Ihnen, was er gesagt hat: Jede Ausgabe des Staates stellt
einen Verzicht des Bürgers dar. Darüber sollten Sie einmal
dringend nachdenken; denn Ihr Fraktionsvorsitzender
Müntefering will die Bürger zusätzlich belasten, weil es
immer noch nicht genug ist. Die Bürger sollen zugunsten
des Staates verzichten. Das ist nicht meine Vorstellung
vom Staat. Ich bin der Meinung, dass der Staat für den
Bürger da ist und nicht der Bürger für den Staat.
Vielen Dank.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Fritz Kuhn, Bündnis 90/
Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich kann den Grundton in der Debatte nicht ganz verstehen, und zwar aus folgendem Grund nicht: Es ist doch
völlig logisch, dass es eine Aufgabe staatlicher Politik auf
allen Ebenen ist - in den Gemeinden, den Ländern und
dem Bund -, überflüssige Bürokratie abzubauen. Darüber
muss es einen Konsens geben.
Zunächst einmal geht es darum, wie die Bürger den
Staat empfinden. Ein nicht unerheblicher Teil der Politikverdrossenheit kommt daher, dass die Bürger die Bürokratie nicht durchschauen und oft negative Erfahrungen
gemacht haben. Das betrifft übrigens vor allem die kommunale Ebene. Zweitens ist zu beachten, dass zu viel
Bürokratie auch eine wirtschaftliche Dimension hat. Es ist
auf jeden Fall ein Mittelstandsthema, weil die relative
Kostenbelastung für den Mittelstand höher als für Großbetriebe ist, die das natürlich leichter bewältigen können.
Frau Homburger, das Gutachten, das Sie anfordern
- Sie haben ja die alte Studie zitiert -, ist auf dem Weg.
Das Wirtschaftsministerium hat ein neues Gutachten in
Auftrag gegeben, sodass wir im Herbst neue Zahlen vorlegen können.
Ich will zunächst einmal festhalten: Bürokratieabbau ist notwendig. Hierbei muss es einen konstruktiven
Wettbewerb geben. In den letzten Jahren habe ich viele
Geschichtenerzähler, die darüber berichteten, wo die
Bürokratie am schlimmsten ist, erlebt, die beim Bürokratieabbau völlig gescheitert sind. Der beste Geschichtenerzähler war sicherlich Herr Späth, der im Wahlkampf
Bürokratiegeschichten erzählt hat. Er sprach vom Handwerksbetrieb, der niemanden mehr einstellen konnte, weil
keine zweite Toilette vorhanden war, und von anderen
Dingen. Als Ministerpräsident in Baden-Württemberg ist
er aber gigantisch gescheitert.
({0})
Es gab viele Kommissionen, eine zweijährige Untersuchung und einen Abschlussbericht in fünf Bänden. Ergebnis null! So einfach kann es also nicht gehen.
Vielleicht ist das Maulen über Bürokratie so etwas wie
ein Bürgerrecht. Max Weber hat die Bürokratie ja als das
Wesen staatlicher Herrschaft bezeichnet. Deshalb ist es sicher auch das Recht des Bürgers, zu sagen, dass ihm das
auf den Geist geht.
({1})
Machen wir uns jetzt aber ernsthaft Gedanken darüber,
was passieren muss. Ich finde es richtig, dass das Wirtschaftsministerium jetzt die Vorschläge der Wirtschaftsverbände sammelt. Sie wurden gefragt, welche konkreten Vorschläge sie zum Abbau von Bürokratie haben.
Diese Vorschläge muss man durchgehen und auflisten.
Eine ganze Reihe davon wird man umsetzen können. Damit wurde übrigens bereits in der letzten Legislaturperiode begonnen.
Nicht jeder Vorschlag wird umsetzbar sein, weil die
Verbände natürlich auch Punkte in die Liste aufnehmen
werden, gegen die sie aus anderen Gründen schon immer
waren. Man wird aber auf eine ganze Reihe von Punkten
stoßen, die man sofort und einfach umsetzen kann. Das
sind die Teile der Bürokratie, die dadurch entstanden sind,
dass sich die Verwaltung verselbstständigt hat. Trotz
guten Willens der Verwaltung entstanden absurde, überbürokratische Regelungen. Diesen Teil kann man leichter
erfassen. Einiges davon kann zum Wohle der mittelständischen Wirtschaft abgeschafft werden.
In anderen Bereichen ist das aber nicht so einfach. Dort
muss man die Frage stellen: Wie ist das Ziel, das bisher
mit einer bürokratischen Regelung umgesetzt wird, ohne
diese Regelung zu erreichen? Frau Homburger, was mir
bei Ihrer Rede nicht gefallen hat, war, dass Sie ausschließlich quantitativ argumentiert haben. Sie haben als Beispiel
die Menge an einzusparendem Papier genannt, das sich zu
einer Höhe von etwa 4 000 Metern stapeln ließe. Sie nannten in diesem Zusammenhang den Großglockner. Wir
aber brauchen eine qualitative Diskussion.
Wenn wir Deutschland wirklich entbürokratisieren
wollen, müssen wir eine Aufgabenkritik des Staates
vornehmen.
({2})
Mit dem Einsammeln von Strichlisten ist es nicht getan.
Vielmehr müssen wir uns fragen: Was ist die Kernaufgabe
des Staates? Wenn man ein Ziel, zum Beispiel im Umweltschutz, ohne Bürokratie verwirklichen will, dann
muss man klären, mit welcher anderen Methode man dieses Ziel erreichen kann. Vieles, was Sie in Ihrem Antrag
fordern - ich habe ihn mir genau angeschaut -, ist nicht
machbar, zum Beispiel bei der Mitbestimmung. Sie verweigern sich da einer inhaltlichen Diskussion, weil Sie
das Ziel nicht wollen.
({3})
Daher können Sie fröhlich und herzhaft die Streichung
von Regelungen fordern.
({4})
Wir in der Koalition haben den Masterplan beschlossen.
({5})
- Man muss nicht alles in den ersten vier Monaten machen. Ansonsten werfen Sie der Regierung wieder vor, alles in den ersten Monaten umsetzen zu wollen.
({6})
Frau Homburger, auch diese Legislaturperiode wird - zu
Ihrem Bedauern - vier Jahre dauern. In dieser Zeit werden wir sehr sorgfältig und gründlich die Bürokratie abbauen. Ohne einen Masterplan wird dies aber nicht gelingen. Mithilfe dieses Masterplans wollen wir in allen
Bereichen des Regierungshandelns eine Aufgabenkritik
vornehmen, um festzustellen, welche Regelungen gestrichen werden können, welche notwendig sind und welche
Wege noch zum Ziel führen. Dabei sind vier Fragestellungen zu beachten, auf die ich kurz eingehen will.
Erstens. Welche Aufgaben übernimmt der Staat? Wenn
diese Aufgaben festgelegt sind, muss er Regelungen treffen, um eine Verselbstständigung der Bürokratie zu vermeiden.
Zweitens. Welche Aufgaben kann der Markt besser
übernehmen? Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass
marktwirtschaftliche Regeln in vielen Bereichen des
staatlichen Handelns mehr als das reine Ordnungsrecht
bringen. Das gilt auch für Teile der Umweltpolitik, um ein
ureigenes Thema der Grünen anzusprechen.
Drittens. Welche Aufgaben können besser von der Zivilgesellschaft übernommen werden? In vielen Bereichen
der Sozialpolitik kann vieles auf andere Art als durch eine
staatliche Behörde erreicht werden.
Viertens - das sollte man nicht vergessen -: Gibt es
neue intelligente Kombinationen? Ich meine das Zusammenwirken von einem Minimum an staatlicher Hilfe und
dem gesellschaftlichen Engagement von Bürgerinnen und
Bürgern. Damit würde man sicherlich ein besseres Ergebnis als durch rein staatliches Handeln erzielen.
Liebe Kollegin Homburger, das ist der Grund, warum
wir für die Umsetzung dieses Masterplans ein wenig Zeit
benötigen, um unsere Ziele gründlich zu realisieren.
Manche Maßnahmen kann man sofort umsetzen. Ich für
meine Fraktion kann bei Ihnen allen in diesem Haus nur
dafür werben. Wenn wir es mit unseren Bemühungen
wirklich ernst meinen, dann ist dieses Thema für Parteienhickhack und wechselseitige Polemik nicht geeignet.
({7})
Wir können ein Beispiel nennen, bei dem die Schwarzen
etwas nicht geschafft haben. Dafür können auch die
Schwarzen einen Fall nennen, bei dem wir etwas nicht erreicht haben.
Bürokratie gibt es auf allen Ebenen. Der Bürger unterscheidet ja nicht zwischen Bürokratie der Kommunen, der
Länder, des Bundes oder der Europas. Massiven Bürokratieabbau schaffen wir nur, wenn wir gut zusammenarbeiten. Ihr Antrag ist ein wertvoller Anstoß, der in unserer
Fraktion diskutiert werden wird. Ich glaube, dass in dieser Legislaturperiode unser Masterplan zum Bürokratieabbau ein guter Anfang ist.
Ich danke Ihnen.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Stephan Mayer,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Beim Wetterbericht ist heutzutage häufig von der
gefühlten Temperatur die Rede. Was hat es damit auf sich?
Bei der gefühlten Temperatur handelt es sich um die Temperatur, die subjektiv wahrgenommen wird und die vor allem dann, wenn einem der Wind eisig ins Gesicht bläst,
als wesentlich schmerzhafter und niedriger wahrgenommen wird als die tatsächliche Temperatur.
In Deutschland ist derzeit die gefühlte Bürokratie besonders dramatisch, sowohl für Unternehmen als auch für
jede Privatperson. Denn gerade in der heutigen, wirtschaftlich außerordentlich schwierigen Zeit - einer Zeit dramatischer Auftragseinbrüche, rekordverdächtiger Lohnnebenkosten, einer rigiden Arbeitsgesetzgebung und zu
langer Genehmigungsverfahren - wird die überbordende
Bürokratie als besonders schmerzhaft und belastend empfunden. Dabei wäre es ein großer Fehler der Politik, den
schwarzen Peter der Verwaltung und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im öffentlichen Dienst in die
Schuhe zu schieben.
({0})
Herr Kuhn, diesen Fehler dürfen wir als Politiker nicht
machen. Denn jeder von uns hat sicherlich schon mehrmals die positive Erfahrung gemacht, dass sich ein Beamter oder Angestellter im öffentlichen Dienst bürgernah
und unkompliziert gezeigt hat. Ich möchte daher alles andere, als über Verwaltung, Behörden und öffentlichen
Dienst den Stab zu brechen. Denn eines muss uns in diesem Hause klar sein: Wir sind diejenigen, die vom Volk
gewählt wurden und die das Mandat erhalten haben, zum
Wohle der Bürgerinnen und Bürger die Geschicke
Deutschlands zu lenken. Es ist daher die Aufgabe der Politiker, die entsprechenden Vorgaben zu machen und den
Umdenkungsprozess in Richtung Entbürokratisierung
einzuleiten.
Das eminent wichtige Thema Entbürokratisierung besteht nicht nur in der Abschaffung von Normen und Gesetzen oder in der Vereinfachung von Genehmigungsverfahren, sondern es bedarf zunächst eines deutlichen
Bewusstseinswandels in der Politik, im Staat und in der
Bevölkerung. Entbürokratisierung sollte daher in der
staatlichen Hierarchie ganz oben angesiedelt sein.
Meines Erachtens wäre ein „Mister Entbürokratisierung“, ein Experte mit einem schlagkräftigen und kompetenten Mitarbeiterstab, der unabhängig von politischer
Einflussnahme ist, am besten geeignet, dem staatlichen
Apparat auf die Finger zu schauen und das gesamte Normenwerk - sprich: alle Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften - darauf zu überprüfen, ob sie vereinfacht oder möglicherweise völlig abgeschafft werden
können.
Es gibt das geflügelte Wort: Wer einen Sumpf trockenlegen will, darf nicht die Frösche fragen. Ich möchte diesen Satz umformulieren: Wer Deutschland reformieren
und nach vorne bringen will, der darf dies nicht Rot-Grün
überlassen. Denn die von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, geprägte Forderung, wir bräuchten den
aktivierenden Staat, offenbart in verräterischer Art und
Weise Ihr eigentliches Ziel und Ansinnen. Sie trauen es
den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland nicht zu, für
sich selbst Verantwortung zu tragen. Sie wollen immer
mehr Macht und Kompetenzen an den Staatsapparat heranziehen und haben nicht den Mut, mehr Rechte und Verantwortung in private Hände zu geben.
Wir von der CDU/CSU setzen unser Modell von der
aktiven Bürgergesellschaft dagegen. Wir haben den
Mut, einen deutlichen Schritt zu gehen und den Bürgerinnen und Bürgern mehr Freiheit und Selbstverantwortung
einzuräumen. Wir haben auch das Vertrauen in die Menschen, dass sie ihr Leben eigenverantwortlich besser gestalten. Die Bürgerinnen und Bürger sind in diesem Punkt
bereits wesentlich weiter und aufgeschlossener, als Sie
von Rot-Grün nur zu denken wagen. Unter den wenigen
Stellenanzeigen, die heutzutage trotz Ihrer fatalen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik noch veröffentlicht werden, werden Sie keine finden, in der von der Bewerberin
oder dem Bewerber nicht höchste Flexibilität, die Fähigkeit zu eigenverantwortlichem Arbeiten und überdurchschnittliche Motivation erwartet wird.
Was man im Kleinen voraussetzt, sollte man auch im
Großen erwarten können. Die Politik muss dann aber auch
so ehrlich sein, den Menschen offen und ungeschminkt zu
sagen, dass mit diesem Mehr an Freiheit und Rechten
auch ein Mehr an Pflichten verbunden ist. Sicherlich ist
ein Großteil der Bevölkerung pauschal für die Entbürokratisierung, aber den Einzelfall, der einen persönlich betrifft, möchte dann doch jeder genauestens im Gesetz geregelt haben.
({1})
Hier ist mehr Mut zur Lücke gefordert. Diesen Mut muss
zum einen die Politik zeigen, aber zum anderen müssen
letztendlich wir alle in Deutschland diesen Mut haben, indem wir akzeptieren, dass nicht alles bis ins letzte Detail
durch Gesetze, Verordnungen oder Verwaltungsvorschriften geregelt werden kann.
({2})
Deshalb muss der Grundsatz jeglicher Entbürokratisierungsbemühungen sein: Die beste Bürokratie ist die, die
überhaupt nicht entsteht. Der Staat muss sich auf seine
Kernaufgaben und Kompetenzen konzentrieren. Ferner
muss die Aufgabenverteilung zwischen den einzelnen
staatlichen Ebenen neu überdacht werden, damit Flexibilität und Eigenverantwortung gewährleistet werden
Stephan Mayer ({3})
können. Beispielsweise ist es meines Erachtens ein Unding, dass mehr als 70 Prozent der Weltliteratur in deutscher Sprache auf dem Gebiet des Steuerrechts verfasst ist.
Vor allem der Subsidiaritätsgedanke sollte im Hinblick auf bürokratische Anforderungen stärker zum Zuge
kommen. Statt einer Vielzahl von detaillierten gesetzlichen und rechtlichen Vorschriften sollte der Gesetzgeber
seine konkreten Ziele definieren. Die Unternehmer hätten
dann die Pflicht, zur Realisierung dieser Ziele betriebsbezogen optimierte Lösungen zu entwickeln und selbst auszuwählen. Solche Regelungen könnten gegebenenfalls in
betrieblichen Bündnissen getroffen werden. Eine Subsidiaritätsregelung wäre insbesondere für Kleinbetriebe zu
fordern. Sie wäre aber auch auf alle Unternehmen ausweitungsfähig.
Erfolgreiche Beispiele für die Umsetzung dieses Gedankens waren in den letzten Jahren Selbstverpflichtungen der Wirtschaft in der Umweltpolitik, Herr Kuhn. Hier
ist der Umweltpakt Bayern, der am 23. Oktober 2000 unter dem Titel „Nachhaltiges Wirtschaften im 21. Jahrhundert“ neu aufgelegt wurde, vorbildlich. Bayern ist mit
dem Umweltpakt von 1995 als erstes Bundesland in
Deutschland den neuen Weg der Kooperation von Staat
und Wirtschaft gegangen. Bayern hat Betriebe, die durch
ein Ökoaudit Eigenverantwortung für den betrieblichen
Umweltschutz übernommen haben, mit Erleichterungen
beim Verwaltungsschutz belohnt.
Dieser Weg hat in Deutschland und darüber hinaus
Schule gemacht. Der Umweltpakt Bayern stand Pate für
ähnliche Vereinbarungen in vielen Bundesländern, unabhängig von der jeweiligen politischen Couleur. Das Ziel,
im Oktober 2005 die Marke von 3 000 Teilnehmern zu erreichen, ist mit der aktuellen Zahl von 3 290 Teilnehmern
bereits heute bei weitem übertroffen.
Viele Unternehmer klagen mir regelmäßig ihr Leid darüber, dass in besonders eilbedürftigen Fällen das derzeit
gültige Genehmigungsrecht noch immer ein großes Investitionshemmnis darstellt. Für den Bau von Anlagen wäre
es daher unter dem Gesichtspunkt des Subsidiaritätsgedankens sinnvoll, das Instrument der Rahmengenehmigung bundesweit einzuführen. Dieses Instrument räumt
den Unternehmen das Recht ein, auf Basis vereinfachter
Unterlagen in einem festgelegten Rahmen mit dem Bau
einer Anlage zu beginnen und erst kurz vor Betriebsbeginn die Detailprüfung und die Genehmigung durchführen zu lassen. Die Genehmigungsverfahren nach dem
Bundes-Immissionsschutzgesetz sind hier als vorbildlich
anzuführen.
Zudem sollten für die Bearbeitung von Genehmigungsverfahren zwischen und innerhalb der Behörden
insgesamt Fristen festgelegt werden, die bei Überschreitung eine automatische Genehmigung in Form einer Genehmigungsfiktion zur Folge haben. Hierfür wären einheitliche gesetzgeberische Maßnahmen auf Bundes- und
Länderebene erforderlich.
Wenn man in der Politik die Grundauffassung vertritt,
dass es notwendig ist, mehr Zutrauen und Vertrauen in die
Bürger und in die Unternehmen zu setzen, sollte man verstärkt zu Erlaubnissen mit Verbotsvorbehalt übergehen.
Im Freistaat Bayern wurde dies beispielsweise durch
weitreichende und grundlegende Novellierungen der
bayerischen Bauordnung erreicht.
Des Weiteren sind die übertriebenen Anforderungen an
Statistiken sowie Mitteilungs- und Meldepflichten zu
nennen. Hier entsteht in manchen Bereichen die groteske
Situation, dass Daten mehrfach erhoben werden. So gibt
es beispielsweise bei den Lohn- und Gehaltskosten allein
vier Kostenstrukturerhebungen: Verdienst-, Arbeitskosten-, Gehalts- und Lohnstrukturerhebung. Viele andere
Erhebungen sind unnötig, weil sie wegen der Auswahl der
Befragten nicht repräsentativ sein können. Ich nenne beispielsweise die Güterkraftverkehrsstatistik.
Wirklich gespannt bin ich auf den Masterplan Bürokratieabbau, den Herr Bundesminister Clement alsbald
vorlegen will. Aber mehr als einen Desasterplan erwarte
ich davon nicht. Ich räume durchaus ein, dass Sie es gut
meinen. Aber gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht, wie man unschwer an dem Beispiel des in der
Amtszeit von Herrn Clement zentralen Vorhabens
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist schon deutlich überschritten.
- ich komme zum Ende, Frau Präsidentin - einer Verwaltungsstrukturreform erkennen kann. Der von Herrn
Clement vorgelegte Gesetzentwurf hatte mit einer Verwaltungsstrukturreform nichts mehr zu tun.
Kurzum, meine Damen und Herren von Rot-Grün, Sie
können es nicht und Sie werden es auch nicht lernen. Das
ist aber auch nicht schlimm, weil es sich angesichts der
kurzen Restlaufzeit, in der Sie noch Verantwortung für
Deutschland tragen, für Sie nicht mehr lohnt, noch hinzuzulernen.
({0})
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär
Ditmar Staffelt.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich habe den Ausführungen des Kollegen Mayer
phasenweise sehr interessiert zugehört. Dass Sie zum
Schluss sozusagen noch Ihre Pflichtrunde gedreht haben,
indem Sie die übliche Polemik eingebracht haben, soll
mich nicht daran hindern, mich mit der Sache konstruktiv
auseinander zu setzen.
Herr Kollege Fuchs, Sie entbürokratisieren sich sozusagen selbst, wenn Sie jetzt schon gehen und nicht mehr
den Beitrag der Bundesregierung anhören wollen. Auch
das entspricht übrigens dem, was Sie hier vorgetragen haben. Herr Fuchs, Sie haben leider Gottes eine sehr rückwärts gewandte Rede gehalten. Sie haben überhaupt nicht
nach vorne diskutiert.
({0})
Sie müssen sich auch die Feststellung gefallen lassen,
dass es sich bei dem Thema Bürokratie leider nicht nur um
ein parteipolitisches oder koalitionäres Problem, sondern
auch um ein Strukturproblem unserer Gesellschaft
handelt, das über Jahrzehnte gewachsen ist. Man muss
doch zugeben, dass wir alle über viele Jahrzehnte zum
Aufbau von Bürokratie in Bund, Ländern und Gemeinden, wenn auch aus sehr unterschiedlichen Motiven, beigetragen haben, weil wir Gesetze gemacht haben, die wir
für notwendig und richtungsweisend erachtet haben, aber
auch weil wir aufgrund bestimmter Ereignisse und Umstände Regulierungsbedarf gesehen haben, dem wir durch
entsprechende Gesetze und Verordnungen nachgekommen sind. Die sollten letztendlich helfen, das staatliche
Miteinander zu organisieren.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, dass es nicht nur Forderungen von Unternehmen
nach Entbürokratisierung, sondern auch nach mehr
Regulierung gibt, und zwar immer dann, wenn in einem
bestimmten Bereich Bedrohungen entstehen, die möglicherweise nichts mit vernünftigen und rechtlich einwandfreien Wettbewerbsbedingungen zu tun haben. Ich erinnere mich - ich darf das deshalb anführen, weil dies auch
Teil des Antrags der FDP-Fraktion ist - an unsere Diskussion über die Tariftreue. Wer hat denn dieses Thema
initiiert? Es waren doch die Vertreter der deutschen
Bauindustrie, die zu uns gekommen sind und geklagt haben: Wenn wir uns die Tarifstruktur und die Bezahlung
der Arbeitskräfte anschauen, dann müssen wir feststellen,
dass die Situation in der Bauwirtschaft katastrophal ist.
Die ehrlichen Handwerker und die ehrlichen Bauunternehmer, die sich an Recht und Gesetz sowie an die Tarife
halten, haben Wettbewerbsnachteile gegenüber denjenigen, die schlicht und einfach außerhalb des Gesetzes
agieren.
Wie sollen wir uns nun verhalten? Sollen wir das
Ganze dem Markt überlassen, und zwar auch dem Teil des
Marktes, den wir für rechtlich nicht abgesichert halten?
Oder sollen wir den ehrlichen Kaufleuten, den ehrlichen
Handwerkern und den ehrlichen Unternehmern helfen,
indem wir an dieser Stelle ein bisschen eingreifen, damit
wieder reguläre Wettbewerbsverhältnisse am Markt herrschen? Ich finde, das ist auch ein Teil der Wahrheit, mit
der wir uns auseinander setzen müssen.
({1})
Im Handwerk ist die Situation ähnlich. Wir diskutieren heute doch auch über die Frage, inwieweit wir Existenzgründungen im Bereich des Handwerks erleichtern
können. Dagegen stehen natürlich die bisherigen Regelungen der Handwerksordnung, die sehr viele Vorteile
bietet, der es aber auch gut täte - das darf man nicht vergessen -, wenn sie mehr Freiräume zuließe. In unseren
Gesprächen, die wir im Augenblick mit den Vertretern
des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks führen,
geht es um die Frage, wie sich das organisieren lässt.
Auch das ist ein Thema, bei dem aus der Sicht eines Verbandes eher der Erhalt des Status quo als das Aufbrechen
vorhandener Strukturen erstrebenswert erscheint. Auch
das gibt es. Ich sage deshalb noch einmal: Wenn man sich
diesem Thema inhaltlich vernünftig nähern will, dann
darf man es nicht parteipolitisch, sondern nur strukturell
tun.
Die Bundesregierung hat - Sie wissen, dass das ein
großer Komplex ist - mit der Entbürokratisierung begonnen. Bei der Mittelstandsoffensive ist sozusagen ein
Small Business Act in der Pipeline. Die entsprechenden
Gesetze und Verordnungen sind in der Mache.
({2})
- Ja natürlich, Sie werden das alles erleben. Es braucht
seine Zeit. Sie können ja einmal in unsere Abteilung VIII,
die Mittelstandsabteilung, schauen. Die Leute da ackern
von morgens bis abends, weil all das, was wir machen,
natürlich auch in vernünftige gesetzliche Formen gegossen werden muss.
({3})
Sie wissen auch sehr wohl, dass wir natürlich bereitwillig
die gesellschaftlich notwendigen Gespräche führen, um das
sattelfest zu machen und in die Praxis umsetzen zu können.
Ich füge hinzu, dass wir beim Thema Masterplan Bürokratieabbau - das ist von Ihnen hier ein wenig polemisch
dargestellt worden - auf dem Weg sind. Ende Februar
wird es einen Kabinettsbeschluss dazu geben und dann
werden wir über die Details reden müssen. Dann wird im
Einzelnen festzustellen sein: An welchen Stellen kann
man an Stellschrauben drehen und an welchen kann man
es nicht?
Wir als Bundeswirtschaftsministerium jedenfalls haben klargelegt: Alle Vorschläge, die uns aus den Unternehmen, aus den Verbänden, aus den Gewerkschaften,
von einzelnen Bürgerinnen und Bürgern erreichen, werden evaluiert und in entsprechender Weise ihre Berücksichtigung finden, wenn es um die Betrachtung dessen
geht, was in unserem Land gemeinhin an Forderungen in
Sachen Bürokratieabbau besteht.
Ich bitte Sie allerdings, in einem Punkt aufzupassen;
der Kollege Kuhn hat das zu Recht gesagt. Ich weigere
mich, zum Beispiel einen Komplex wie das Betriebsverfassungsgesetz mal schnell unter dem Thema Bürokratieabbau abzuhandeln und abzuhaken. Da sollten wir
schon offen über die Frage des Betriebsverfassungsgesetzes miteinander debattieren.
({4})
Das können wir ja tun, das wäre dann ehrlich. Es gibt eben
substanzielle Gesetze, die etwas anderes beinhalten als nur
Bürokratie, die auch etwas mit Gesellschaftspolitik und
auch etwas mit dem Wohl und Wehe von Unternehmern
auf der einen Seite und Arbeitnehmern auf der anderen
Seite zu tun haben.
Ich sage noch einmal: Wir werden alles prüfen. Wir
werden alle Evaluierungen, die von uns vorgenommen
werden, vorlegen. Das ist eine ganze Menge.
Die Themen dabei sind - Sie haben es angesprochen -:
Handwerksordnung - Ziel ist übrigens die Abschaffung
der Inländerdiskriminierung und die Erleichterung von
Existenzgründungen -, Zwangsmitgliedschaften, Vergaberecht, Honorarordnung für Architekten und Ingenieure,
Arbeitsstättenverordnung, Unfallversicherung und alles,
was damit zu tun hat, Modernisierung der beruflichen Bildung. Es ist eine lange Reihe von Themen, denen wir uns
stellen müssen. Wir sind allesamt gehalten, glaube ich, die
Polemik an der Stelle zu lassen.
Herr Fuchs, Ihre Anmerkung war überhaupt nicht hilfreich. Sie müssten es eigentlich besser wissen. Wenn Sie
im politischen Prozess beheimatet sind, dann müssten Sie
wissen, dass der Prozess hin zu einem Kabinettsbeschluss
weit fortgeschritten ist. Sie tun hier so, als würden wir
noch Monate oder Jahre ins Land gehen lassen, bevor wir
irgendetwas vorlegen. Dies wird mitnichten der Fall sein.
Ich sage in Ihre Richtung, Herr Mayer: Wenn es gute
Vorschläge aus dem Freistaat Bayern gibt, bitte schön! Sie
sind eingeladen, sie einzubringen! Ich füge hinzu: Das
Thema Entbürokratisierung erschöpft sich nicht allein mit
einem solchen Prozess auf Bundesebene. Es ist auch ein
Thema der Länder und Gemeinden.
({5})
- Das glaube ich Ihnen ja. Kommissionen zu diesem
Thema gibt es wohl in ziemlich allen Bundesländern. Die
Frage ist: Was kommt dabei heraus?
Wie gesagt: Gute Ideen sind willkommen. Gute Ideen
werden übernommen, zumindest evaluiert werden. Wenn
die Evaluierung zu einem positiven Ergebnis führt, dann
werden die Ideen auch übernommen. Insofern hoffe ich
auf weniger Polemik und mehr Sachorientierung. Dann
werden wir in den kommenden Monaten in der Sache
selbst einen gewaltigen Schritt vorankommen.
Danke.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/65 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 19. Februar 2003, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.