Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/12/2003

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Fragestunde - Drucksachen 15/413, 15/419 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Ziffer 10 der Richtlinien für die Fragestunde die dringliche Frage des Kollegen Eckart von Klaeden auf Drucksache 15/419 auf: Geht die Berichterstattung des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ vom 10. Februar 2003 über einen „Alternativ-Plan der Franzosen und Deutschen“ auf Informationen aus der Bundesregierung zurück, und wenn ja, von wem stammen diese Informationen? Zur Beantwortung dieser Frage steht der Staatsminister Rolf Schwanitz zur Verfügung.

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Herr von Klaeden, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Ziel der Bundesregierung ist es, alle Möglichkeiten zu einer friedlichen Lösung der Irakproblematik zu nutzen. Der Bundeskanzler wird morgen in seiner Regierungserklärung die Haltung der Bundesregierung und ihr Vorgehen erläutern. Gemeinsam mit Frankreich und Russland sind wir der Auffassung, dass die vom Sicherheitsrat einstimmig verabschiedete Resolution 1441 einen Rahmen bietet, dessen Möglichkeiten noch nicht voll und ganz ausgeschöpft sind. Wie der Regierungssprecher bereits am Montag erläuterte, gibt es gemeinsame Überlegungen zwischen Deutschland und Frankreich, die darauf zielen, das Inspektionsteam unter Leitung von Herrn Blix und Herrn al-Baradei zu stärken. Erste Vorschläge dazu hat der französische Außenminister de Villepin in der Sicherheitsratssitzung am 5. Februar vorgetragen. Diese wurden vor dem Hintergrund einer engen Abstimmung zwischen Deutschland und Frankreich vom deutschen Außenminister Joschka Fischer unterstützt. Weder ist es Aufgabe der Bundesregierung noch liegt es im Rahmen ihrer Möglichkeiten, die Frage zu beantworten, auf welche Quellen sich die Berichterstattung in den Medien im Einzelnen stützt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage des Kollegen von Klaeden.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ist es zutreffend, dass sich der Bundeskanzler am Donnerstagabend letzter Woche, also zwei Tage vor der Sicherheitskonferenz in München, mit Redakteuren des „Spiegel“ im Kanzleramt getroffen hat und ihnen dabei seine Vorstellungen zu den von Ihnen erwähnten möglichen Initiativen Deutschlands und Frankreichs erläutert hat?

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Herr von Klaeden, der Bundeskanzler trifft sich regelmäßig mit Journalisten. Darunter sind auch Journalisten des „Spiegel“. ({0})

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ist es zutreffend, dass Außenminister Joseph Fischer und Verteidigungsminister Peter Struck, die beide an der Sicherheitskonferenz in München teilgenommen haben, nicht über dieses Gespräch und seinen Inhalt informiert waren?

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Herr von Klaeden, das kann ich nicht bestätigen. Es findet zwischen den Ressorts wie auch im Kabinett eine enge Abstimmung statt. Diese ist gerade in der Irakfrage sehr intensiv und findet mitunter sogar mehrmals täglich statt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister, war dieser Plan - man hat von einem Geheimplan gesprochen - so geheim, dass Bundesaußenminister Joseph Fischer wie auch Verteidigungsminister Peter Struck nichts davon wussten? Sie haben von einer Abstimmung zwischen den Ressorts gesprochen. Stimmt es, dass man sich dabei am Telefon zum Teil sehr lautstark äußert?

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Herr Koppelin, es kann nicht Aufgabe der Bundesregierung sein, Äußerungen und Mutmaßungen in Zeitungen zu bewerten oder zu kommentieren. Ich will noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen - auch der Regierungssprecher hat dies getan -, dass es gemeinsame Überlegungen zwischen Deutschland und Frankreich auf der Grundlage einer gemeinsamen Einschätzung der Situation im Irak gibt. Dies wird von allen Mitgliedern des Bundeskabinetts mitgetragen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die nächste Zusatzfrage hat der Kollege von und zu Guttenberg.

Karl Theodor Guttenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wann, in welcher Form und auf welcher Ebene hat die Kommunikation mit Frankreich vor, während und nach der Sicherheitskonferenz stattgefunden?

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Herr Kollege, wir stehen insbesondere mit Frankreich in ständigem Kontakt, also nicht nur vor, während oder nach der Konferenz. Wir haben die feste Absicht - dies ist insbesondere durch die Vorschläge, die der französische Außenminister in der Sitzung des Sicherheitsrates am 5. Februar eingebracht hat, und die Unterstützung, die der deutsche Außenminister dort kundgetan hat, deutlich geworden -, im Interesse einer friedlichen Lösung des Irakkonflikts weiterhin gemeinsam vorzugehen. Dabei haben wir das Ziel, im Sicherheitsrat, aber auch darüber hinaus, eine möglichst große Zustimmung für diese Überlegungen zu finden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Grindel.

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, bezüglich der Frage des Kollegen von Klaeden, die sich nicht allgemein auf die Pressearbeit des Bundeskanzlers bezogen hat, frage ich konkret nach, ob Sie bereit sind, zu bestätigen, dass es am Donnerstag ein Gespräch des Bundeskanzlers mit mehreren Redakteuren des „Spiegel“ im Kanzleramt gegeben hat.

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Es hat am Donnerstag mehrere Kontakte zu Journalisten gegeben. Darunter befanden sich auch Journalisten des „Spiegel“. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Fischer.

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich frage Sie: Ist die Berichterstattung des „Tagesspiegel“ von gestern falsch, nach der in dem Gespräch mit den „Spiegel“-Redakteuren am Donnerstagabend die Frage der Blauhelmeinsätze das erste Mal erörtert worden ist, und ist es richtig, dass Herr Struck in München erklärt hat, er habe dies erst aus der Vorabveröffentlichung des „Spiegel“ erfahren?

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Herr Abgeordneter, Hintergrundgespräche und das, was einzelne Zeitungen in ihrer journalistischen Freiheit interpretieren bzw. berichten, können nicht Gegenstand der Berichterstattung der Bundesregierung sein.

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich frage nach. - Sie haben Recht, es ist nicht zulässig, eine zweite Frage zu stellen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nach den Regelungen der Fragestunde ist eine weitere Zusatzfrage - außer durch den Fragesteller - nicht möglich. Es liegen keine weiteren Fragen zu dieser Dringlichkeitsfrage vor, sodass ich die Befragung der Bundesregierung zu diesem Punkt abschließe. Der Kollege von Klaeden möchte einen Geschäftsordnungsantrag stellen.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, im Namen meiner Fraktion stelle ich den Antrag, wegen der unbefriedigenden und ausweichenden Beantwortung der Frage durch die Bundesregierung im Anschluss an die Fragestunde eine Aktuelle Stunde dazu abzuhalten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nach den Richtlinien für die Aktuelle Stunde - in diesem Fall geht es um Ziffer 1 b - ist eine sich aus der Fragestunde entwickelnde Aktuelle Stunde unmittelbar im Anschluss an die Fragestunde durchzuführen. Dies hat zur Folge, dass die für heute angemeldete Aktuelle Stunde zu einem anderen Thema nicht stattfinden wird. Ich rufe nun die Fragen entsprechend der Ihnen bekannt gemachten Reihenfolge auf. Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Frage 1 des Kollegen Dietrich Austermann wird schriftlich beantwortet. Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Marieluise Beck zur Verfügung. Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Reinhard Grindel auf: Treffen die Feststellungen eines Gutachtens der FriedrichEbert-Stiftung zu den bisherigen Wirkungen der Programme der Bundesregierung gegen Rechtsextremismus - Xenos, Entimon und Civitas - zu, wonach die Sonderzuwendungen vor allem in den neuen Ländern für „normale“ Jugendarbeit verwendet werden, für welche die zuständigen Kommunen keine Finanzmittel mehr ausgeben können - „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 2. Januar 2003 -, und wenn ja, wie will die Bundesregierung dafür sorgen, dass die Mittel aus den entsprechenden Programmen künftig zielgerichteter eingesetzt werden?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Gestatten Sie mir vorab eine Bemerkung, weil zu diesem Komplex eine große Vielzahl von Fragen vorliegt: In der von der Friedrich-Ebert-Stiftung finanzierten Studie wird das Aktionsprogramm ausdrücklich begrüßt. Ich zitiere aus einer Stellungnahme des Autors, die mir vorliegt: Ziel war und ist es, zur Verbesserung und Verstetigung der Programme beizutragen. Nachdem ein Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ am 2. Januar 2003 dies vorgemacht hat, werden von interessierter Seite selektiv einige kritische Anmerkungen aufgegriffen, um generelle Zweifel am Nutzen solcher Programme zu streuen. Dies widerspricht den Intentionen der Expertise. Zu Ihrer Frage: Das Aktionsprogramm, das aus den drei Teilen Entimon, Civitas und Xenos besteht, zielt auf die Stärkung der Zivilgesellschaft zur Bekämpfung und Prävention von rechtsextremistischem, fremdenfeindlichem und antisemitischem Gedankengut. Hauptzielgruppe sind junge Menschen, aber auch Eltern, Erzieher, Lehrer und andere Multiplikatoren; denn über diese Zielgruppe können langfristig wirkende Einstellungsveränderungen am besten erreicht werden. Mit dem Aktionsprogramm will die Bundesregierung im Rahmen ihrer Anregungsfunktion Zeichen setzen. Dies ist nach Einschätzung der Bundesregierung sichtbar gelungen. Damit unterscheidet sich diese Zielsetzung von „normaler“ Jugendarbeit. Sie soll „normale“ Jugendarbeit nicht ersetzen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage des Kollegen Grindel.

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, die Studie besagt, dass nach den Erkenntnissen der Wissenschaftler die Sonderzuwendungen vor allem in den neuen Ländern für Projekte der „normalen“ Jugendarbeit verwendet worden sind. Deswegen möchte ich Sie fragen, wie viele neue Projekte angestoßen worden sind, die mit einer gewissen Dauerhaftigkeit laufen.

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Eine Vielzahl von Projekten läuft in der Regel länger als ein Jahr. Das ist auch so gewollt; denn der Aspekt der Nachhaltigkeit steht dabei im Vordergrund. Eine Aufschlüsselung, welche Projekte wann gestartet worden sind, möchte ich Ihnen schriftlich nachreichen. Noch einmal: Es ist nicht Sinn des Aktionsprogramms, „normale“ Jugendarbeit zu ersetzen. Ich möchte hier allerdings ein Problem sehr deutlich benennen. Die Tatsache, dass von den Ländern die Mittel für die allgemeine Jugendarbeit deutlich zusammengestrichen werden, führt zumindest bei den Trägern zu der Versuchung, nunmehr aus anderen Projekten Mittel zu akquirieren. Aber die Leitvorstellungen und Zielsetzungen der Programme begrenzen diese Möglichkeit eindeutig.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage.

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ist dann nach Ihrer Einschätzung die Feststellung von Herrn Roth falsch, dass es sich im Wesentlichen um Symbolpolitik handele, da viele Projekte wegen der auch von Ihnen angesprochenen schwierigen Finanzlage der Kommunen gerade in den neuen Ländern gestrichen werden, weil sie diese nicht mehr kofinanzieren können?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Es handelt sich bei diesen Modellprojekten - das kann man dem Begriff schon entnehmen - um Modelle. Es ist keine Förderung der Bundesregierung mit einer Dauer von fünf, zehn oder 15 Jahren. Das läge auch nicht in der Kompetenz des Bundes. In dem Modell ist eine Anschubphase vorgesehen. Es wird sich zeigen, ob es vor Ort Träger gibt, zum Beispiel Kommunen, Kirchen, Unternehmen oder Einzelpersonen, die bereit sind, diese Modelle in ihre Obhut zu nehmen und damit zu einer Verankerung beizutragen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass bei einigen Programmen 50 Prozent dieser Projekte dauerhaft übernommen wurden. Bei anderen Programmen gelingt das nicht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Dümpe-Krüger. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert

Jutta Dümpe-Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003519, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, die CDU/CSU unterstellt, in den neuen Ländern würden Sonderzuwendungen aus dem Programm „Jugend für Toleranz und Demokratie“ für die „normale“ Jugendarbeit umgewidmet. Wenn das wirklich der Fall wäre, müsste dann nicht dringend die Jugendarbeit finanziell besser ausgestattet werden, statt hier die Idee zu verfolgen, Programme zu streichen?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Ich habe eben schon auf das Problem hingewiesen, dass angesichts leerer Kassen in Gemeinden und Ländern die Jugendarbeit sehr geblutet hat - davon war vor allem die so genannte normale Jugendarbeit betroffen - und dass es deswegen aus einer Not heraus bei Trägern und Verbänden die Überlegung gibt, möglicherweise woanders - in diesem Fall beim Bund - Mittel zu akquirieren. Aber da die Programme in ihrer Zielsetzung sehr genau umrissen sind, ist dieser Weg verschlossen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Dr. Michael Bürsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, wenn Sie die Studie richtig gelesen haben, werden Sie wie auch die Fragesteller bei der Frage, ob die Mittel in die allgemeine Jugendarbeit fließen, die Möglichkeit erkannt haben, dass auch die allgemeine Jugendarbeit mit der Zielsetzung der Programme in Verbindung gebracht wird. Stimmen Sie mir also zu, dass die Jugendarbeit in den neuen Ländern auch dadurch erfolgen kann, dass die Zielsetzungen von Entimon, Xenos und Civitas übernommen werden, und dass es sich dabei um etwas Sinnvolles handelt?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Wenn Sie es in dieser Weise und mit dieser Zielsetzung formulieren, ist das richtig. Es sind auch Mittel an große Träger geflossen. Wenn allgemeine Träger der Jugendarbeit Projekte durchführen, mit denen sie zum Beispiel im Sinne von politischer Bildungsarbeit einen Ansatz verfolgen, mit dem ein demokratisches Gesellschaftsbild gegen Gewalt, Aggression und Fremdenfeindlichkeit erzeugt werden soll, dann sind auch sie berechtigt, an diesen Programmen teilzunehmen. Das ist sogar gewünscht. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Grindel auf: Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um sicherzustellen, dass von den Programmen gegen Rechtsextremismus künftig auch Haupt- und Realschüler erreicht werden, die nach den Ergebnissen des Gutachtens der Friedrich-Ebert-Stiftung als besonders anfällig für Fremdenfeindlichkeit und Extremismus gelten?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Nach den Leitlinien von Entimon, Civitas und Xenos gehören Haupt- und Berufsschülerinnen und -schüler zu der Zielgruppe der Programme; denn aus Untersuchungen ist bekannt, dass es in dieser Gruppe eine besondere Anfälligkeit für Rechtsextremismus gibt. Zu Entimon ist festzuhalten: Im Rahmen der statistischen Auswertung durch die wissenschaftliche Begleitung des Programms wurde festgestellt, dass im Vergleich zum Jahr 2001 im Jahr 2002 die gewünschte Zielgruppe der Haupt- und Berufsschülerinnen und -schüler überdurchschnittlich stark angesprochen wurde. So wurden in 64 Prozent der Projekte Hauptschülerinnen und -schüler und in 46 Prozent der Projekte Realschülerinnen und und -schüler erreicht. Insofern konnte mit diesem Programm dem Problem der politischen Bildung, dass von ihr zu wenig Hauptund Realschülerinnen und -schüler erreicht werden, entgegengewirkt werden. Auch in Zukunft wird bei der Förderung der Fokus auf Projekten liegen, die sich an Haupt-, Real- und Berufsschülerinnen und -schüler wenden. Lassen Sie mich noch etwas zum Programm Civitas ausführen. Das Programm Civitas ist nicht vorrangig auf die Kinder- und Jugendarbeit ausgerichtet, sondern auf alle Altersgruppen der Gesellschaft, weil Fremdenfeindlichkeit und undemokratische Einstellungen bekanntlich nicht nur bei jungen Menschen, sondern durchaus in allen Altersgruppen vertreten sind. Die spezifischen Ausprägungen und das Ausmaß von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit im Osten Deutschlands verlangten ein Sonderprogramm in den neuen Bundesländern.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Grindel.

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wie stellen Sie sicher - zum Beispiel durch wissenschaftliche Begleitung oder andere Maßnahmen -, dass gerade gewaltbereite Jugendliche mit diesem Programm erreicht werden? In der Studie ist schließlich kritisiert worden, dass das nicht der Fall ist.

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Herr Grindel, es ist im Bereich der politischen Bildung natürlich eine große Herausforderung, ganz zielgerichtet die Menschen zu erreichen, die man erreichen möchte. Es hat vonseiten der Regierung Kohl in den Jahren 1992 bis 1994 ein ähnliches Projekt namens AgAG, Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt, gegeben. Zu der Zeit hat man sich sehr zielgenau auf die Jugendlichen mit rechtsgerichteter und gewaltorientierter Gesinnung konzentriert. In der Auswirkung hat das durchaus zu großen kritischen Unsicherheiten geführt, weil man das Gefühl hatte, dadurch würden im Rahmen der Jugendarbeit die aggressiven Jugendlichen gestärkt, vielleicht sogar „belohnt“, und auf die anderen werde der Fokus nicht gelenkt. Deswegen orientieren sich die neuen Programme stärker an einer breiteren Zielsetzung allgemeinen zivilgesellschaftlichen Denkens und Handelns.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Grindel.

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, stellen Sie damit nicht jede Form aufsuchender Jugendarbeit infrage? Wo immer problembeladene oder besonders gefährdete Jugendliche speziell von Jugendsozialarbeit angesprochen werden, handelt es sich um eine besonders betroffene Gruppe, sodass Ihr Argument im Grunde den völligen Verzicht aufsuchender Jugendarbeit bedeuten würde, weil man sagt, damit würde eine Auffälligkeit belohnt. Das geht weit über den Bereich rechtsextremistischer oder gewaltbereiter Jugendlicher hinaus.

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Herr Grindel, ich bin weit davon entfernt, dass wir in diesem schwierigen Bereich von politischer Bildung und allgemeiner Pädagogik und bei der Beantwortung der Frage, wie wir demokratische und zivile Grundhaltungen bei jungen Menschen schaffen, den einen Ansatz gegen den anderen ausspielen. Ich habe engen Kontakt gehabt zu Projekten im Rahmen dieser akzeptierenden Jugendarbeit und ich finde, dass es da auch sehr viel Gutes gegeben hat. Trotzdem besteht die Gefahr, dass der Bereich der Freundlichen, der Angepassten, der Stilleren aus den Augen verloren wird, und deswegen hat es hier eine Umsteuerung in Richtung allgemeines zivilgesellschaftliches Denken gegeben. Das bedeutet aber nicht, dass damit der Ansatz der akzeptierenden Jugendarbeit gänzlich beiseite geschoben werden sollte.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Griese.

Kerstin Griese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, wie beurteilen Sie die Einschätzung der Studie, um die es hier geht, in der deutlich gesagt wird, dass im Vergleich zum früheren AgAG-Programm „deutliche Vorzüge“ in den jetzt vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderten Programmen liegen, da die Kritik am AgAG-Programm genau die war, dass immer dann, wenn irgendwo ein rechtsextremer Anschlag verübt wurde, Geld dorthin gegeben wurde und eben keine nachhaltige zivilgesellschaftliche Arbeit gemacht wurde, und - wenn ich einen zweiten Teil der Frage mit „und“ anfügen darf - wie beurteilen Sie die Problematik, dass uns von Trägern aus ostdeutschen Städten, zum Beispiel in Sachsen-Anhalt, Nachrichten erreichen, dass mit dem Wechsel der Landesregierung sinnvolle Projekte, die vor Ort zivilgesellschaftliches Engagement gefördert haben, jetzt auslaufen müssen und nicht mehr finanziert werden, weil Kommune und Land, in diesem Fall das Land Sachsen-Anhalt, die Projekte nicht mehr unterstützen? ({0})

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Ihre Frage knüpft an die Frage des Kollegen Grindel an. Es darf keine Belohnung für auffälliges Verhalten geben. Das ist der prekäre Punkt, wenn wir über akzeptierende Jugendarbeit sprechen, obwohl natürlich der Ansatz vernünftig ist zu sagen: Wir richten uns an und wir kümmern uns um diejenigen, die gefährdet sind, in diese Milieus abzugleiten. Die Zielgruppe rechtsextremistisch gefährdeter Jugendlicher ist durchaus auch in den Leitlinien benannt. Trotzdem ist es richtig, nicht allein dieser Belohnungsidee zu folgen, sondern jungen Menschen auch Räume und Möglichkeiten der Vernetzung mit einem zivilgesellschaftlichen und demokratischen Grundgefühl zu bieten, die eigentlich die Hefe für unsere Gesellschaft sein müssen. Sie haben außerdem den Rückzug aus der Finanzierung von Landesprogrammen angesprochen. Ich habe mit großem Bedauern zur Kenntnis genommen, dass dem Verein „Miteinander“ in Sachsen-Anhalt, der mit 20 verteilten Anlaufstellen vor allen Dingen in der Fläche eine sehr gute, auf Langfristigkeit angelegte Arbeit geleistet hat, nun durch die Entscheidung der dortigen Landesregierung die Finanzbasis entzogen wird und deshalb ein auf Langfristigkeit angelegtes Instrument nunmehr aufhört zu existieren.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir kommen zur Frage 4 des Kollegen Martin Hohmann: Inwieweit schließt sich die Bundesregierung dem Gutachten - Friedrich-Ebert-Stiftung; Roland Roth: Bürgernetzwerke gegen Rechts - an, das bei der Vergabe von Bundesmitteln für Maßnahmen gegen Rechtsextremismus - Johannes Leithäuser: „Viel Geld mit wenig Wirkung“ in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 2. Januar 2003 - diese verstärkt in „Problemgebieten“ Friedrich-Ebert-Stiftung; Roland Roth: Bürgernetzwerke gegen Rechts, Seite 10 - eingesetzt sieht, und um welche Gebiete in der Bundesrepublik Deutschland handelt es sich dabei?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Die von Ihnen zitierte Aussage aus der genannten Studie bezieht sich auf einen besonderen Teil des im Jahre 2001 im Rahmen des Kinder- und Jugendplans des Bundes durchgeführten Programms „Maßnahmen gegen Gewalt und Rechtsextremismus“. Das ist der Vorläufer des Programms Entimon. Im Auftrag des BMFSFJ wurden damals alle Jugendämter, in deren Zuständigkeitsbereich sich ein Fördergebiet aus der Bund-Länder-Vereinbarung „Die soziale Stadt“ befindet, angeschrieben und über die Möglichkeit zum Erstellen von lokalen Aktionsplänen für Toleranz und Demokratie informiert. Ziel der Förderung war, auf die Entwicklung von Demokratie, Toleranz und Fremdenfreundlichkeit ausgerichtete Handlungskonzepte in und für soziale Brennpunkte zu implementieren. In Kooperation mit öffentlichen und freien Trägern der Jugendhilfe, Quartiersmanagement, lokalen Initiativen und vielen engagierten lokalen Akteuren entstanden somit regionale Handlungskonzepte in 59 von insgesamt 230 Gebieten aus dem Programm „Die soziale Stadt“. In 40 Gebieten in den alten Bundesländern und Berlin ({0}) sowie in 19 Gebieten in den neuen Bundesländern wurden die Konzepte von den Jugendämtern durchgeführt. Nach Einschätzung des BMFSFJ entstanden mit den lokalen Aktionsplänen nachhaltige Finanzierungskonzepte für integriertes Handeln in den sozialen Brennpunkten. Darüber hinaus wurden mit den lokalen Aktionsplänen Strategien zur Führung eines öffentlichen Diskurses zu Toleranz und Demokratie entwickelt und in Aktionen und Maßnahmen mit örtlicher Breitenwirkung umgesetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Hohmann.

Martin Hohmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade eine sehr allgemeine Darstellung gegeben. Mich interessiert: Gab es eine so starke Massierung, dass man von örtlich genau umgrenzten Problemgebieten sprechen kann? Ich hätte gern, dass Sie das nicht von der allgemeinen Seite her beleuchten, sondern die einzelnen örtlichen Bereiche ansprechen.

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Herr Kollege Hohmann, ich habe Ihnen zunächst einmal dargestellt - danach hatten Sie auch gefragt -, wie die Gebiete ausgewählt worden sind. Grundlage für die Auswahl war, wie gesagt, das Programm „Die soziale Stadt“. Danach wurden durch die örtlichen Träger - das waren oft die Jugendämter - die Gebiete genannt, die als problematisch identifiziert waren. Mir steht die genaue Auflistung zur Verfügung, aus der hervorgeht, wo welche Programme letztlich gelaufen sind. Ich möchte Ihnen aber ersparen, die jeweiligen Zahlen aus 16 Bundesländern vorzulesen. Ich schlage vor, dass Ihnen das schriftlich nachgereicht wird.

Martin Hohmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn ich darf, möchte ich noch einmal etwas anmerken. - Es wäre vielleicht interessant, die einzelnen Schwerpunktbereiche darzustellen. Das muss doch möglich sein, wenn Ihnen die genauen Ortsangaben vorliegen.

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Wenn das Parlament das ertragen will, bin ich gerne bereit, Ihnen vorzulesen, in welchen Bundesländern welche Anzahl von Projekten durchgeführt wurde. Wenn Sie das wünschen, dann mache ich das: in Bayern drei, in Berlin ({0}) fünf, in Berlin ({1}) vier, in Baden-Württemberg eines, in Brandenburg drei, in Bremen eines, in Hamburg drei, in Hessen sieben, in Mecklenburg-Vorpommern fünf, in Niedersachsen vier, in Nordrhein-Westfalen zwölf, in Rheinland-Pfalz eines, im Saarland keines, in Sachsen zwei, in Sachsen-Anhalt zwei, in SchleswigHolstein drei und in Thüringen drei.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Beck, es haben schon andere Mitglieder der Bundesregierung mehr Zeit in Anspruch genommen, um keine Information zu vermitteln, als es Ihnen in kürzerer Zeit gelungen ist, Informationen zu vermitteln. ({0}) Insofern ist es schön, dass das auf diese Weise protokolliert wird. ({1}) Weitere Zusatzfragen zu diesem Punkt liegen offenkundig nicht vor. Ich rufe Frage 5 des Kollegen Hohmann auf: Wie bewertet die Bundesregierung die Befürchtungen aus dem Gutachten der Friedrich-Ebert-Stiftung - Friedrich-Ebert-Stiftung; Roland Roth: Bürgernetzwerke gegen Rechts, Seite 15 -, dass angesichts der Maßnahmenfülle und der eingesetzten öffentlichen Mittel die Gefahr bestehe, dass „gegen rechts“ als Förderkriterium zum „Passepartout“ wird?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Die zitierte Passage aus der genannten Studie wird seitens der Autoren und Autorinnen selbst als Zitat aus gelegentlichen Zeitungsberichten vorgetragen und stellt keineswegs die Meinung der Autoren und Autorinnen dar. Die von den Autoren und Autorinnen der Studie zu Recht aufgeworfenen Fragestellungen zur Wirksamkeit von Förderprogrammen werden nicht auf die Bundesprogramme fokussiert, sondern beziehen sich allgemein auf die Förderung durch Bund, Länder und Kommunen. In der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung wird ausdrücklich betont - ich zitiere -: Positiv ist auch die große Fülle von zusätzlichen Initiativen, Projekten und Maßnahmen, die durch die Bundesprogramme in diesem gesellschaftlichen Problembereich ermöglicht worden sind bzw. noch werden. Sie sind regional breit gestreut und erreichen zahlreiche lokale Initiativen und kleine Träger. Die angesprochene Gefahr, dass die Programme zum Passepartout für die Jugendarbeit werden, ist aus Sicht der Bundesregierung nicht gegeben. Auch die vorliegenden Leitlinien und Bewilligungsverfahren verhindern das.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Martin Hohmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie haben die Vermutung, die sich aus dem Zitat entnehmen lässt, jetzt praktisch widerlegt. Allerdings ist in dem Gutachten auch zu lesen, dass der Autor befürchtet, zum Teil werde - jetzt zitiere ich wieder wörtlich - Symbolpolitik gemacht. Wie verträgt sich das mit der von Ihnen gerade getroffenen Aussage?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Herr Hohmann, bitte geben Sie mir eine Minute Zeit zum Blättern. - Ich habe mir die Studie am Wochenende sehr genau angeschaut ({0}) und möchte noch einmal auf den Stellenwert der Studie hinweisen. Diese Studie ist nicht Ergebnis eigenständiger Erhebungen, sondern sie ist eine Auswertung von Literatur. Sie ist so vernünftig und fair, den Stellenwert der einzelnen Aussagen etwas zurückzunehmen. Ich zitiere: Sie - also die Studie kann aber keine eigene systematische Untersuchung anbieten, sondern stützt sich sekundäranalytisch auf verstreut vorhandenes Wissen und die Informationsbereitschaft von Beteiligten. Dieses verstreut vorhandene Wissen ist zum Beispiel aus solchen Zeitungsartikeln zusammengetragen worden. Das ist aber keine belastbare Evaluation. Ich schlage daher vor, dass wir die Ergebnisse der wissenschaftlich angelegten Evaluation, die ja läuft, abwarten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Jetzt rufe ich die Frage 6 des Kollegen Stephan Mayer ({0}) auf: Wie viele Personen bekamen als Angehörige von „Teams“ - Friedrich-Ebert-Stiftung; Roland Roth: Bürgernetzwerke gegen Rechts, Seite 9 - Zuwendungen aus Bundesmitteln für ihre Tätigkeit im Kampf gegen Rechtsextremismus und welche Einstellungsvoraussetzungen wurden dabei zugrunde gelegt?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Herr Abgeordneter Mayer, ich beantworte die Fragen wie folgt: Die Aufgabengebiete der mobilen Beratungsteams sind in den Programmleitlinien für „Civitas“ klar umrissen. Dort sind ebenfalls die Anforderungsprofile für die ausgewählten Träger fixiert. Die hohen Anforderungen an die Arbeit der mobilen Beratungsteams erfordern ein besonderes Qualifikationsprofil der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dieser Projekte und eine permanente arbeitsbegleitende Fortbildung, die im Rahmen des Programms „Civitas“ auch erfolgt. Folgende Einstellungsvoraussetzungen sind für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in mobilen Beratungsteams seitens der Servicestelle „Civitas“ den Trägern vorgegeben worden: Fähigkeit zur selbstständigen Analyse und Bewertung von kommunalen Prozessen und Problemstellungen mit rechtsextremem Hintergrund, fachliche Beratung der verschiedenen Akteure zivilgesellschaftlichen Engagements vor Ort, Entwicklung von Konzepten und Strategien gegen rechtsextreme Entwicklungen und für zivilgesellschaftliches Engagement in Zusammenarbeit mit örtlichen und regionalen Trägern, Erarbeitung von Konzepten und Initiierung von Projekten mit Akteuren und Partnern vor Ort. Nach diesen Einstellungskriterien wurden dann in Hoheit der Träger Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ausgewählt. Im Zuge der Verwendungsnachweisprüfung wird die Einhaltung dieser Einstellungskriterien durch die Servicestelle des Programms „Civitas“ laufend überprüft. Noch zur Zahl der geförderten Personalstellen, nach der Sie gefragt haben. 33 Personen werden im Programmbereich „Mobile Beratungsteams“ gefördert.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Herr Kollege Mayer.

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist es möglich, dass dem Programmbeirat auch Frau Anetta Kahane angehört, die wegen ihrer Stasiverstrickungen unter anderem nicht die Nachfolge von Frau Barbara John als Ausländerbeauftragte von Berlin antreten konnte? Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration: Ich weiß, dass Frau Kahane dabei ist. Leider habe ich den letzten Teil Ihrer Frage nicht verstanden.

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich wiederhole meine Frage gern. Ist es möglich, dass dem Programmbeirat Frau Anetta Kahane angehört, die wegen ihrer Stasiverstrickungen unter anderem nicht die Nachfolge von Frau Barbara John als Ausländerbeauftragte von Berlin antreten konnte? ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich empfehle, dass wir jetzt, nachdem die Frage verständlich formuliert worden ist, Gelegenheit zur ordnungsgemäßen Beantwortung geben. Empörungen sind danach immer noch möglich.

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Schönen Dank, Herr Präsident. - Frau Kahane ist Mitglied in diesem Beirat. Sie hat viele Jahre lang in den östlichen Bundesländern, wo es sehr viel Nachholbedarf an demokratischen und zivilgesellschaftlichen Erfahrungen gibt, gearbeitet. Ich kann nicht bestätigen, dass sie nicht als Nachfolgerin von Frau John ausgewählt worden ist. Nach meiner Kenntnis hat die Wahl der Nachfolgerin von Frau John noch keinen Abschluss gefunden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun rufe ich die Frage 7 auf, die ebenfalls der Kollege Mayer ({0}) gestellt hat: Wurden diese Mitarbeiter auf linksextremistische Tätigkeiten in der Vergangenheit überprüft und, wenn ja, wäre eine linksextremistische Betätigung Ausschlusskriterium für eine Mittelzuwendung?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Wie oben bereits dargelegt, erfolgt die Einstellung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch die Träger. Anhand entsprechender Personalbögen wird die Erfüllung der fachlichen Anforderungsprofile, die mit der entsprechenden, BAT-ähnlichen Vergütung korrelieren, durch die Servicestelle von „Civitas“ geprüft. Das Prüfen des Vorliegens polizeilicher Führungszeugnisse ist nicht Aufgabe der Servicestelle von „Civitas“. Das ebenfalls oben beschriebene Anforderungsprofil für die ausgewählten Träger beinhaltet auch, dass anhand der veröffentlichten Angaben der Verfassungsschutzämter von der Servicestelle von „Civitas“ geprüft wird, ob die Träger vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Selbstverständlich wäre eine linksextreme Betätigung sowohl für die Einstellung von Personen als auch für die Mittelzuweisung Ausschlusskriterium.

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist es richtig, Frau Parlamentarische Staatssekretärin, dass von den Mitarbeitern unter anderem eine Veranstaltung unter dem Titel „Beat the fascist insect“ - auf Deutsch: Zerschlage das faschistische Insekt - abgehalten und organisiert wurde? Allein der Titel deutet ganz klar auf eine grundrechtsfeindliche Diffamierung hin.

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Diese Veranstaltung ist mir nicht bekannt. Unser Haus wird das gerne recherchieren. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun hat der Kollege Hohmann das Wort zu einer Zusatzfrage.

Martin Hohmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Staatssekretärin, ich habe dem Internet entnommen, dass die Organisation „Beat the fascist insect“ wohl eine Privatorganisation ist. Auf einer Internetseite, die ich mir habe ausdrucken lassen, ist eine Küchenschabe abgebildet. Man hat dazu aufgerufen, den Reinerlös einer Veranstaltung an die Amadeu-AntonioStiftung zu überweisen. Diese Stiftung hat wiederum unseren Bundestagspräsidenten als Schirmherrn. Ich möchte fragen, ob das der Bundesregierung bekannt ist und wie sie diesen Vorgang gegebenenfalls bewertet. Mir kommen doch erhebliche Bedenken, wenn ich Revue passieren lasse, wie zu NS-Zeiten und zu stalinistischen Zeiten Menschen - auch hier sind ja letztendlich Menschen gemeint - mit Tieren verglichen werden. Der Film „Der ewige Jude“ ist uns in Erinnerung. Ebenso sind uns die „räudigen Hunde“, die vor den stalinistischen Prozessen eine Rolle gespielt haben, drohend in Erinnerung. Geht das, was hier geschieht, vielleicht in dieselbe Richtung? Wenn ja, was will die Bundesregierung dagegen tun?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Ich habe schon eben sehr deutlich gesagt, dass mir diese Organisation und dieser Aufruf nicht bekannt sind. Ich müsste mir das anschauen. Ich will Ihnen aber sofort konzidieren, dass diese Art, Menschen mit Tieren zu vergleichen, vollkommen unakzeptabel ist und nicht mehr in die Bandbreite von zivilgesellschaftlichem und demokratischem Verhalten fällt. Schließlich möchte ich doch festhalten, dass die Amadeu-Antonio-Stiftung sehr anerkannt ist und in den östlichen Bundesländern sehr gute Arbeit geleistet hat.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 8 des Kollegen Dr. Schröder auf: Inwieweit ist die Bundesregierung bereit, die als „in Reaktion auf eine Welle von Anschlägen, die einen rechtsextremistischen Hintergrund vermuten ließen“ - Friedrich-Ebert-Stiftung; Roland Roth: Bürgernetzwerke gegen Rechts, Seite 54 - beschlossenen Maßnahmen „gegen rechts“ im Hinblick auf die zu vermutende bzw. teils erwiesene islamistische Urheberschaft der Anschläge umzuwidmen?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

In den letzten Jahren hat die Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten zugenommen. In den Jahren von 1998 bis 2000 hatte sich in dieser Folge der Trend zu einem jüngeren, gewaltbereiteren und aktionistischen Rechtsextremismus verstärkt. Diese Aktivitäten sind aber nicht auf islamische Urheberschaft zurückzuführen. Es gibt da keine erkennbare Verbindung; ganz überwiegend gingen diese Aktivitäten auf das Konto junger Menschen deutscher Herkunft. Für den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend möchte ich betonen, dass es ein wichtiges Anliegen des Aktionsprogramms „Jugend für Toleranz und Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ ist, das faktische Wissen über andere Kulturen und ein entsprechendes Verständnis für sie sowohl unter Jugendlichen als auch unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Jugendarbeit und Jugendbildung besser zu entwickeln. Diesem Anliegen dient die Förderung und Weiterentwicklung von inter- bzw. transkulturellen und interreligiösen Praxiskonzepten mit dem Ziel, einen Beitrag zur Anerkennung unterschiedlicher Kulturen und zur Verständigung zwischen Angehörigen dieser Kulturen zu leisten. Es ist nicht beabsichtigt, diese Zielsetzung aufzugeben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Herr Kollege Schröder?

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. - Es ist ja nun allseits bekannt, dass der Antisemitismus Rechtsextremisten und islamistische Extremisten eint. Die von der Bundesregierung bisher aufgelegten Programme zur Bekämpfung von Antisemitismus richten sich bislang nur an Rechtsextreme. Gedenkt die Bundesregierung denn, in Zukunft ihre Programme auch um die Zielgruppe der islamistischen Extremisten zu erweitern?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Das allgemeine Programm für zivilgesellschaftliches Verhalten, für Demokratie und damit gegen Rechtsextremismus, das wir jetzt aufgelegt haben, impliziert selbstverständlich auch die Arbeit - so sie sich denn vor Ort aufdrängt - mit jungen Menschen, die aus einem islamistischen Denken heraus antisemitisch eingestellt sind. Insofern sehe ich da keinen Widerspruch. Die Hauptzielsetzung ist die Bekämpfung von Rechtsextremismus. Antisemitismus und Rechtsextremismus aus islamistischem Umfeld wären dann auch Gegenstand dieses Programms.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zweite Zusatzfrage.

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie gedenken also in Zukunft nicht, speziell etwas auf dem Gebiet islamistisch-extremistischen Gruppen zu tun?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Eine spezielle Ausrichtung gibt es nicht; genauso gibt es zum Beispiel auch keine spezielle Ausrichtung auf jugendliche Spätaussiedler, auch wenn wir wissen, dass sie oft noch große Schwierigkeiten mit demokratischen Grundhaltungen haben und immer wieder auch antisemitische Einstellungen aus den Wanderungsländern mitgebracht werden. Ich möchte noch einmal sagen, dass nach amtlichen Erkenntnissen allein von Januar bis September 2000 10 000 rechtsextremistisch motivierte Straftaten begangen worden sind. Das ist eine erschreckend hohe Zahl. Es deutet nichts darauf hin, dass ein deutlich erkennbarer Teil davon aus islamistischer Orientierung heraus begangen worden wäre, sodass ein Spezialprogramm notwendig wäre. Ich würde wirklich vorschlagen, die gesamte Gesellschaft in den Blick zu nehmen. Dazu gehören auch die Jugendlichen und Menschen, die islamischen Glaubens sind.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich habe nun Wünsche nach Zusatzfragen von den Kolleginnen und Kollegen Dümpe-Krüger, Edathy und Strobl. Zunächst Frau Dümpe-Krüger.

Jutta Dümpe-Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003519, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, geben Sie mir Recht, dass in den neuen Ländern eine Umwidmung der Mittel zugunsten der Bekämpfung von Anschlägen mit angeblich islamistischem Hintergrund unsinnig wäre, weil es dort bei insgesamt rund 2 Prozent Ausländeranteil überhaupt keine nennenswerten islamistischen Gruppierungen gibt?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Die Zahlen, die Sie für die neuen Bundesländer nennen, sind unabweisbar. In die neuen Bundesländer sind, anders als in die alten Bundesländer, kaum ausländische Bürgerinnen und Bürger gewandert, außer vielleicht ehemalige vietnamesische Vertragsarbeitnehmer. Aufgrund des Fehlens der entsprechenden Population ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich von dort aus Gewalttätigkeit, Aggressivität, Rechtsextremismus und Antisemitismus entwickeln, nicht sehr groß.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Edathy.

Sebastian Edathy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003111, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, würden Sie mir zustimmen, dass es vor dem Hintergrund der Zahlen für das Jahr 2002, die das Bundesinnenministerium mir Anfang der Woche übermittelt hat, nämlich dass von 12 364 extremistisch motivierten Straftaten 10 579 in den Bereich des Rechtsextremismus fallen, sehr befremdet, wenn die CDU/CSUFraktion, während hier von einer Umwidmung von Mitteln gesprochen wird, bei den Beratungen des Einzelplans des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Haushaltsausschuss im Januar statt einer Umwidmung beantragt hat, Mittel für Programme zur Bekämpfung des Rechtsextremismus in Höhe von 20 Millionen Euro zu streichen?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Da drängt sich, Herr Kollege, in der Tat die Erkenntnis auf, dass es einen gewissen Widerspruch gibt. Angesichts der Tatsache, dass es in unserer Gesellschaft eine rechtsextremistische Gefahr gibt, wovon wir gemeinsam ausgehen, und angesichts der Debatte um das NPD-Verbot, bei der diese Gefahr ja auch von Innenminister Beckstein aus Bayern sehr deutlich gezeichnet wurde, ist der Vorschlag, die Mittel für diese Programme zu streichen, schwer nachvollziehbar.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Strobl.

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, aufgrund Ihrer Antworten frage ich Sie, wo Sie für unsere Bevölkerung die größeren Gefährdungspotenziale sehen: bei dem gewaltbereiten Rechtsextremismus oder bei den gewaltbereiten Islamisten? ({0})

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Zunächst einmal schlage ich dem Parlament vor, die Statistiken anzuschauen. Im Bereich des Rechtsextremismus haben wir eine beunruhigend hohe Zahl von Übergriffen und Straftaten. Ich kann Ihnen nicht sagen, dass das für alle Zeiten so sein wird und dass es nicht auch Gefährdungen aus anderen Quellen geben könnte. Aber Ihrer Bitte, das eine oder andere als größeres Gefährdungspotenzial zu benennen, möchte ich nicht nachkommen. Ich bin der Meinung, dass alle Tendenzen in dieser Gesellschaft, unsere demokratischen Grundsätze zu verletzen, von uns bekämpft werden sollten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Grindel.

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Bezug nehmend auf die Frage des Kollegen Edathy und Ihre Antwort frage ich Sie: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Anträge im Haushaltsausschuss nicht so zu interpretieren sind, dass wir etwas gegen Maßnahmen gegen Rechtsextremismus hätten, sondern so, dass offenbar die Qualität der Programme, um die es hier geht, infrage zu stellen ist und dass das der Ansatz unserer zahlreichen Fragen und der Hintergrund dafür war, dass wir der Auffassung sind, dass die Notwendigkeit dieser Programme fraglich ist?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Ich war in den Beratungen des Haushaltsausschusses selber nicht dabei. Zunächst einmal scheint es das Faktum zu geben, dass Sie dort beantragt haben, die Mittel zu streichen, ({0}) und nicht vorgeschlagen haben, andere Programme aufzulegen, die Ihrer Meinung nach besser wären. ({1}) Sie meinen, dass die Programme „offenbar“ - das war eben das entscheidende Wort - nicht erfolgreich seien; aber zumindest diese Studie legt dafür nicht Zeugnis ab. Deshalb wäre ich bei der Gesamtbewertung etwas vorsichtiger. Wir sollten uns klarmachen, dass rechtsradikale, antisemitische, undemokratische Einstellungen nicht per Knopfdruck verändert werden können. Das wissen wir alle; das wissen Sie und auch wir. Ich fand in dieser Studie den Satz „Es gibt keine politische Feuerwehr“ sehr vernünftig. Auch die politische Bildung ist das nicht. Es würde uns gut tun, wenn wir uns gemeinsam auf den Weg machen würden, Erfahrungen zu sammeln, wie man Rechtsradikalismus, Radikalismus überhaupt und undemokratischen Verhaltensweisen am besten begegnet. Deswegen finde ich es sehr gut, dass diese Programme wissenschaftlich begleitet werden. Ich hoffe, dass wir im Laufe der Zeit etwas klarer sehen, wo die besten Ansatzpunkte sind.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Dr. Schröder auf: Inwieweit ist die Bundesregierung angesichts der Kritik an der „mangelnden Transparenz“ - Friedrich-Ebert-Stiftung; Roland Roth: Bürgernetzwerke gegen Rechts, Seite 56 - ihrer Projekte „gegen rechts“ bereit, Maßnahmen wie die kurzfristige Veröffentlichung von Kriterien für den Auswahlprozess und die Vorlage einer Übersicht über abgelehnte Projekte sowie bislang fehlender Wirkungsanalysen - Friedrich-Ebert-Stiftung; Roland Roth: Bürgernetzwerke gegen Rechts, Seite 58 - zu ergreifen?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Die Umsetzung des Aktionsprogramms „Jugend für Toleranz und Demokratie“ erfolgt auf der Basis von Programmleitlinien. In den Programmleitlinien werden konkrete Zielsetzungen benannt, deren Einhaltung durch die mit der Programmumsetzung beauftragten Servicestellen sowohl bei der Projektauswahl als auch bei der Projektauswertung anhand detaillierter Indikatorenkataloge geprüft wird. Darüber hinaus untersuchen die mit der wissenschaftlichen Begleitung der Programme „Entimon“ und „Civitas“ beauftragten Institute - das ist zum einen das Deutsche Jugendinstitut in Leipzig und zum anderen das Institut für Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld - die Programmebene und die Umsetzungsebene bzw. die Vermittlungsinstanzen und die Projektebene, wodurch sich begründete Aussagen über die Effekte des jeweiligen Programms machen lassen. Da ist also noch etwas Geduld angesagt. Die Informationen zu den Möglichkeiten der Antragstellung ebenso wie zur Programmumsetzung, das heißt auch die jeweiligen Programmleitlinien, werden auf eigenen Programmwebsites sowie den Websites des BMFSFJ bzw. des BMWA veröffentlicht. Darüber hinaus informieren die mit der Umsetzung der einzelnen Teilprogramme des Aktionsprogramms betrauten Servicestellen mittels Flyern, Mailings und Infoveranstaltungen unter anderem über die Möglichkeiten der Antragstellung. Gemäß den Programmzielsetzungen werden mithilfe der Programmbeiräte gezielt Zielgruppen angesprochen, die über das Aktionsprogramm informiert werden. Auf den Programmwebsites werden die Programmergebnisse veröffentlicht. Bereits seit 2002 wird darüber hinaus auf der Website der wissenschaftlichen Begleitung des Programmes „Entimon“, des Deutschen Jugendinstituts, die Datenbank MAREG veröffentlicht, die Auskunft zu den geförderten Projekten gibt. Außerdem werden den obersten Landesjugendbehörden regelmäßig Informationen über die Umsetzung des Aktionsprogramms zur Verfügung gestellt. Da sind dann auch die abgelehnten Projekte zu finden, nach denen Sie gefragt haben. Die Bundesregierung hat in dem „Bericht über die aktuellen und geplanten Maßnahmen und Aktivitäten der Bundesregierung gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt“ gemäß Ziffer 21 des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 30. März 2001 ausführlich über die Umsetzung des Aktionsprogramms berichtet.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage? - Bitte.

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Also entnehme ich Ihren Ausführungen, dass Sie mit der Transparenz, der Evaluierung der Effizienz und der Effektivität dieser Projekte zufrieden sind und hier nichts weiter unternehmen möchten?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

In dem Gutachten der Friedrich-Ebert-Stiftung wird deutlich hervorgehoben, dass es lobenswerterweise gerade bei dem „Civitas“-Projekt schon in der ersten Phase eine solche wissenschaftliche Begleitung und Evaluierung gab, die dann herangezogen werden konnte, um aus den Anmerkungen der Institute Schlüsse zu ziehen und zu lernen. Auch bei „Entimon“ gibt es diese Begleitung. Ich gehe davon aus, dass das Deutsche Jugendinstitut quer durch alle gesellschaftlichen Gruppen und über die Parteien hinweg einen hohen Respekt genießt. Ich glaube, dass die wissenschaftliche Evaluation dort gut aufgehoben ist.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 10 der Kollegin Dorothee Mantel auf: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass im Bereich der von ihr finanzierten Maßnahmen des „Aufstands der Anständigen“ Mittel und Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung und -kontrolle der Projekte fehlen, und, wenn nein, warum nicht?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Frau Kollegin Mantel, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: In der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung wird keineswegs pauschal die Behauptung aufgestellt, dass das Aktionsprogramm „Jugend für Toleranz und Demokratie“ nicht wissenschaftlich begleitet wird. Vielmehr wird darauf hingewiesen, dass die Wirksamkeit solcher Programme im Detail schwer nachweisbar ist; darüber haben wir eben schon gesprochen. Ich möchte an dieser Stelle wiederum aus der Stellungnahme des Autors der Studie zitieren, der sagt - ich glaube, das ist eine sehr ehrliche Herangehensweise -: Sichere Wege und Instrumente, mit denen mit staatlichen Mitteln erfolgreich in zivilgesellschaftliche Entwicklungen eingegriffen werden kann, gibt es nicht. Es ist schwer, objektiv belastbare Maßstäbe zu entwickeln. Darüber hinaus werden Forderungen zur Weiterentwicklung der Evaluierungstheorien erhoben, die aus der Sicht der Wissenschaft nachvollziehbar - Wissenschaft hat auch ein Eigeninteresse, was durchaus legitim ist -, aber im Rahmen eines solchen Programmes nicht leistbar sind. Wenn bei einem solchen Programm ein hoher Anteil der Mittel zur wissenschaftlichen Begleitung ausgegeben würde, gäbe es sicherlich ebenfalls - auch von Ihnen kritische Nachfragen. In den Teilprogrammen „Civitas“ und „Entimon“ des Aktionsprogramms „Jugend für Toleranz und Demokratie“ war die wissenschaftliche Begleitung von vornherein Bestandteil der Programmumsetzung. Die wissenschaftliche Begleitung des Programms „Xenos“ wird gegenwärtig vorbereitet.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist es Auffassung der Bundesregierung, dass schon allein mit der Durchführung von Projekten gegen rechts Zeichen gesetzt werden und daher eine Qualitätskontrolle der Projekte nicht mehr notwendig ist?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Nein, das ist nicht Auffassung der Bundesregierung. Ich habe Ihnen gerade gesagt, dass wir die Evaluierung und die Begleitung solcher Programme für ausgesprochen wichtig halten. Politik muss auch lernfähig sein. Es muss Möglichkeiten geben, Anregungen aus der Praxis aufzunehmen und diese bei der Fortentwicklung von Programmen einfließen zu lassen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Griese zu einer Nachfrage.

Kerstin Griese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In dieser Studie, über die wir hier sprechen, findet sich ja durchaus eine Gesamtbewertung. So heißt es zum Programm „Civitas“, es würden - ich zitiere sinnvolle neue Wege beschritten, indem Rechtsextremismus nicht als Jugendproblem, sondern als eines der ganzen Gesellschaft begriffen wird, und nicht als psychosoziales Phänomen, sondern als politisches gefasst wird, dem durch eine Stärkung der Demokratiefähigkeit begegnet werden kann. Teilen Sie, Frau Staatssekretärin, meine Auffassung, dass die CDU/CSU ihren Fragen ausschließlich einen Artikel aus der „Frankfurter Allgemeinen“ vom 2. Januar dieses Jahres zugrunde gelegt und vergessen hat, sich die differenzierten Betrachtungen der Studie selbst anzusehen? Denn die Tatsache, dass Rechtsextremismus ein gesamtgesellschaftliches Phänomen ist, dem wir als Demokraten gemeinsam entgegenzutreten haben, wird doch hoffentlich in diesem Haus nicht bestritten. ({0})

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Verehrte Frau Kollegin, die Kollegen der Union haben mir vorher nicht mitgeteilt, welches Quellenmaterial sie ihren Fragen zugrunde gelegt haben. Auch ich fände es allerdings sehr gut, wenn die Fragesteller diese Studie sehr genau läsen - so wie ich das am Wochenende getan habe. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Beck, nun haben Regierung wie Opposition ja jeweils so ihre Vorlieben, was das Vorenthalten von Eigeninformationen betrifft. ({0}) - Ja, es wurde aber Bezug darauf genommen, dass das Material vorher nicht angekündigt wurde. Das habe ich in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus vielfach mit wechselseitigen Rollenverteilungen beobachten können. Nächste Zusatzfrage, Kollege Hohmann.

Martin Hohmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, unsere Fragen lassen erkennen, dass die Programme dieser Regierung unter einem ganz bestimmten Blickwinkel durchgeführt werden: ({0}) Es ist der Kampf gegen rechts angesagt. Wir hätten uns gewünscht, dass man dies in gleicher Weise gegen links macht. ({1}) Das ist unser gutes Recht. Schließlich gab es in dieser Republik über lange Zeit einen antitotalitären Konsens und keiner hier in diesem Hause wird wohl sagen, dass das, was auf der linksextremen Seite geschieht, alles „Pippi Langstrumpf“ ist. Wir sind natürlich dafür, dass das Geld, wenn es für solche Programme ausgegeben wird, zielgerichtet einge1834 setzt wird. Vor diesem Hintergrund zitiere ich aus der Studie, die 83 Seiten hat. Damit möchte ich widerlegen, dass wir vielleicht nur den Artikel aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gelesen hätten. In der Studie heißt es zu dem Programm „Civitas“: Geradezu fahrlässig ist die weitgehend fehlende konzeptionelle Berücksichtigung der besonderen Bedingungen in Ostdeutschland. ({2}) Wie stehen Sie dazu? Das war auch der Hintergrund meiner ersten Frage: Gab es besondere Problembereiche? Sie haben eine Aufstellung vorgelesen, aus der ich nicht erkennen konnte, dass es eine konzeptionelle Berücksichtigung der besonderen Bedingungen in Ostdeutschland gibt. ({3}) Wie stehen Sie zu dem zitierten Satz?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Verehrter Herr Kollege, da scheint mir etwas durcheinander zu gehen. Denn gerade das Programm „Civitas“ ist ein Programm, das sich ausschließlich an die fünf neuen Bundesländer richtet. Deswegen bringe ich es im Augenblick logisch nicht zusammen, dass an das Programm „Civitas“ der Vorwurf geknüpft wird, es würde auf die Bedingungen in den fünf neuen Ländern nicht ausreichend eingehen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Koschyk hat sich zu einer Zwischenfrage gemeldet. Danach ist Kollege Edathy an der Reihe.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, dem Kollegen Hohmann ging es nicht darum, die Frage aufzuwerfen, ob das Programm „Civitas“ nur für die neuen Bundesländer konzipiert worden ist oder nicht. Er hat Sie vielmehr gefragt - ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diese Frage beantworten könnten -, wie Sie zu der Aussage in der Studie stehen - ich wiederhole diese noch einmal -: Geradezu fahrlässig ist die weitgehend fehlende konzeptionelle Berücksichtigung der besonderen Bedingungen in Ostdeutschland. Das heißt, der Autor meint - das steht auf Seite 10, Herr Edathy, wenn Sie es nachlesen möchten -, ({0}) dass die Bundesregierung bei diesem Programm, das sich, wie Sie, Frau Staatssekretärin, gesagt haben, in erster Linie an die fünf neuen Bundesländer wendet, eine Fehlkonstruktion geschaffen hat und es, wie er sagt, fahrlässig ist, dass man bei der Ausrichtung des Programms auf die neuen Länder die besonderen Bedingungen dort nicht berücksichtigt hat. ({1}) Er begründet das dann noch an einigen anderen Stellen.

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Verehrter Herr Kollege, mir wird gerade - denn alles habe auch ich nicht präsent - ein Auszug aus der Studie gereicht. Ich zitiere: Gerade das Programm „Civitas“ ist in seinen Strukturen auf die besonderen Bedürfnisse in den neuen Bundesländern zugeschnitten. Vielleicht ist es doch möglich, dass sich auch in solch eine Studie, an der mehrere Leute arbeiten, einmal ein Widerspruch einschleicht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Edathy.

Sebastian Edathy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003111, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, abgesehen davon, dass ich hoffe, dass Sie meine Hoffnung zu teilen vermögen, dass der Kollege Hohmann mit seinen Äußerungen nicht etwa mehr Linksextremismus in Deutschland herbeiwünscht, den es dann zu bekämpfen gelte - ich denke, die Zahlen sind da sehr eindeutig -, möchte ich fragen: Teilen Sie mit mir das Verständnis der Ausführungen von Herrn Roth in seiner Studie, in der er darauf hinweist, in manchen Regionen in den neuen Ländern hätten wir gerade deshalb eine besonders schwierige Situation, weil das Ziel der Stärkung der Bürgergesellschaft das Vorhandensein der Bürgergesellschaft voraussetzt, und dass er gerade deshalb dafür plädiert, Programme weiter zu schärfen und sie zu verstetigen, und eben nicht dafür plädiert, etwas wieder in die Schublade zu legen?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Diese Auffassung teile ich. Wir alle wissen, dass - ohne damit diskriminierende Aussagen gegenüber den neuen Bundesländern machen zu wollen - in einem Land, in dem es viele Jahre keine Demokratie gab und damit auch für Bürgerinnen und Bürger nicht die Möglichkeit, sich in Demokratie zu üben, zivilgesellschaftliches, bürgerschaftliches und demokratisches Engagement tatsächlich erst wachsen muss. Auch die Erfahrung damit muss wachsen. Deswegen finde ich es besonders gut, wenn wir gerade den Blick auf die Jugend lenken; denn das ist die kommende Generation. Ihr müssen wir gerade in den bürgerschaftlichen, demokratischen und zivilgesellschaftlichen Bereichen die Möglichkeit geben, Erfahrungen zu sammeln, um dann schlichtweg zu guten Demokraten zu werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Auch der Kollege Fischer erhält die Möglichkeit zu einer Zusatzfrage.

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, sind Sie bereit, dieses Projekt vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Begutachtungen vom Bundesrechnungshof evaluieren zu lassen?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Ich gehe davon aus, dass der Bundesrechnungshof die Mittelverwendung dieser Programme sowieso überprüft - ich wäre sehr erstaunt, wenn er es nicht täte -, denn das ist bei Geldern, die nach der Bundeshaushaltsordnung ausgegeben werden, normal.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun kommen wir zur Frage 11 der Kollegin Dorothee Mantel: Hält die Bundesregierung die beim „Aufstand der Anständigen“ im Vordergrund stehenden medienwirksamen Events wie Wettbewerbe, Messen und Feste - vergleiche Friedrich-EbertStiftung; Roland Roth: „Bürgernetzwerke gegen Rechts“, Seite 21 für das geeignete Mittel, um eine Sensibilisierung für die Problematik Extremismus zu erreichen?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Es ist nicht so, dass medienwirksame Events im Vordergrund des Aktionsprogramms stehen. In der Regel sind die Projekte des Aktionsprogramms auf Langfristigkeit angelegt. Allerdings sind Wettbewerbe, Feste und Events durchaus ein taugliches Mittel der politischen Bildungsarbeit und zur Förderung des zivilgesellschaftlichen Engagements. Ich erinnere zum Beispiel an den Victor-KlempererWettbewerb der Dresdner Bank, der in Zusammenarbeit mit dem „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ mit sehr großem Erfolg durchgeführt worden ist. Genau dieser Wettbewerb hat viele junge Menschen motiviert, an den Ausschreibungen in den Schulen teilzunehmen. Das ist selbstverständlich ein vernünftiger Weg, der zur politischen Bildung führen kann.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Welche Altersgruppe muss nach Ansicht der Bundesregierung bei den Projekten gegen rechts im Besonderen angesprochen werden?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Generell kann man das nicht sagen; denn es ist sehr eindeutig festzuhalten, dass undemokratische, rechtsextreme oder fremdenfeindliche Einstellungen in allen Altersgruppen in der Gesellschaft zu finden sind. Trotzdem ist eine Schwerpunktsetzung in Richtung pädagogische Bildung der Jugend deswegen vernünftig, weil das die Menschen betrifft, die unsere Gesellschaft bauen müssen. Deswegen gibt es eine Schwerpunktsetzung bei den Jugendlichen, aber das Programm „Entimon“ konzentriert sich nicht ausschließlich auf Jugendliche, sondern richtet sich auch an ältere Menschen. Ich weiß von Ausländerbeauftragten aus Brandenburg, dass dort neue Ansätze gesucht werden. Dazu gehört der Austausch mit Senioren, die als Großeltern das Denken der Kinder beeinflussen. Auch das sind vernünftige Wege, die wir ausprobieren sollten und die sicherlich ihren Beitrag zum Werben für die Demokratie leisten können.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich bedanke mich bei Frau Beck für die Beantwortung der Fragen. Zur Beantwortung der weiteren Fragen zu diesem Geschäftsbereich steht uns die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Riemann-Hanewinckel zur Verfügung. Ich rufe zunächst die Frage 12 der Kollegin Ina Lenke auf: Inwiefern stellt das am 31. Januar 2003 vom Deutschen Bundestag in dritter Lesung verabschiedete Erste Zivildienständerungsgesetz ab sofort sicher, dass alle für das Haushaltsjahr 2003 durch den Bund bereits eingegangenen Verpflichtungen in Form von Einberufungen und verteilten Kontingenten für das gesamte Haushaltsjahr 2003 vollständig finanziert sind?

Christel Hanewinckel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000802

Sehr geehrte Kollegin Lenke, mit der angesprochenen Änderung der Kostenregelung im Zivildienstgesetz wird der Bundeshaushalt deutlich entlastet und die insgesamt zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel reichen aus, um die im Haushaltsjahr 2003 bereits erfolgten Einberufungen und die für spätere Einberufungen in 2003 freigegebenen Kontingente finanzieren zu können.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Frau Lenke.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich frage mich, Frau Staatssekretärin, warum es dann einen Finanzierungsvorbehalt von 20 Prozent gibt. Bis zur Veröffentlichung des Gesetzes im Bundesgesetzblatt werden nämlich nur 80 Prozent des Kontingentes an die Träger gegeben und der Finanzierungsvorbehalt bleibt, das heißt, die Träger werden von Ihnen nicht befriedigt. Ich befürchte eine längere Wartezeit für Zivildienstleistende. Es sind bereits Bescheide zurückgenommen worden, weil die Kontingente ausgeschöpft sind. Meine Frage ist, ob Sie sich angesichts dieser hier vorgetragenen Tatsachen nicht anders besinnen; denn dass alles bezahlt wird, wie Sie das eben vorgetragen haben, stimmt nicht.

Christel Hanewinckel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000802

Frau Kollegin Lenke, Ihre Frage war, inwiefern das erste Zivildienständerungsgesetz sicherstellt - ({0}) - Sofort geht ja nicht, es muss erst einmal Gesetz werden. Sie wissen, dass das Gesetz am 1. März 2003 in Kraft treten soll. Sie wissen vielleicht auch, dass mit den Verbänden und den Verwaltungsstellen die Vereinbarung besteht, im seit Oktober 2002 laufenden Zivildienstjahr vorerst nur 80 Prozent der Kontingente zu vergeben. Das Zivildienstjahr läuft noch bis zum Oktober 2003 und auch im Laufe dieses Zivildienstjahres müssen noch Einberufungen möglich sein. Die verbleibenden 20 Prozent sollen bei In-Kraft-Treten dieses Gesetzes freigegeben werden. Damit ist die Finanzierung der noch ausstehenden Einberufungen von 20 Prozent sichergestellt. Bedingung ist aber die Kostenabsenkung wie im Gesetz festgeschrieben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zweite Zusatzfrage.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, wie wollen Sie dies sicherstellen, wenn das Gesetz etwa aufgrund einer Verzögerung im Bundesrat erst am 1. Juni 2003 in Kraft tritt?

Christel Hanewinckel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000802

Dies steht im Moment nicht zur Debatte. In unserem Gesetzentwurf steht der 1. März. Vom 1. Juni kann überhaupt nicht die Rede sein. Die Debatte im Bundesrat wird am kommenden Freitag stattfinden, dann sehen wir weiter.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir kommen zur Frage 13 der Kollegin Lenke: In welcher Höhe wird die Bundesregierung über die im Einzelplan 17 des Haushaltes 2003 - Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - bereits umgesetzten Einsparungen von 90,676 Millionen Euro hinaus, von denen 80 Millionen Euro auf die Titelgruppe 03 - Ausgaben für Zivildienstleistende - umgelegt wurden, im Jahr 2003 weitere Einsparungen vornehmen, die auch den Zivildienst betreffen?

Christel Hanewinckel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000802

Im zweiten Regierungsentwurf zum Haushalt 2003 sind die entsprechenden Einsparungen in Kap. 1704 vorgesehen. Nach dem Beschluss des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages vom 16. Januar 2003 sind in Kap. 1704 im Haushaltsjahr 2003 zusätzlich circa 9,4 Millionen Euro einzusparen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, wo genau will die Bundesregierung diese 9,4 Millionen Euro einsparen?

Christel Hanewinckel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000802

Sie werden in Kap. 1704 eingespart. Insgesamt sind es 95,1 Millionen Euro und davon sind 5 Millionen Euro als globale Minderausgabe ausgebracht worden.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich finde, dass Sie die Frage nicht beantwortet haben. Ich habe gefragt, wo in Kap. 1704 dieser Betrag eingespart werden soll. Sie haben gesagt, dieser Betrag werde pauschal eingespart. Ich frage Sie, welcher Haushaltstitel mit diesen Einsparungen belastet wird.

Christel Hanewinckel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000802

Kapitel 1704 trägt die Überschrift „Bundesamt für den Zivildienst“. Hier wird insgesamt entsprechend eingespart, und zwar mit der Maßgabe - das wissen Sie -, dass die Gesetzesänderung am 1. März 2003 in Kraft tritt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, Sie wollen also in Kap. 1704, „Bundesamt für den Zivildienst“, neben den 90 Millionen Euro weitere circa 10 Millionen Euro einsparen. Meinen Sie denn, dass Sie als Bundesregierung auch dafür verantwortlich sind, dass die Wehr- und Zivildienstungerechtigkeit weiter steigt, weil aus Ihrem Haushalt weniger Zivildienststellen zur Verfügung gestellt werden können?

Christel Hanewinckel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000802

Aus unserem Haushalt werden nicht weniger Zivildienststellen zur Verfügung gestellt. Die Zivildienststellen werden so wie bisher in Absprache mit den entsprechenden Verwaltungsstellen mit Zivildienstleistenden ausgestattet werden. Innerhalb eines Zivildienstjahres gibt es allerdings Schwankungen. Diese hängen nicht nur damit zusammen, in welcher Höhe Gelder zur Verfügung stehen, sondern vor allen Dingen mit den Planungen der einzelnen Dienststellen und mit den Entscheidungen der einzelnen Zivildienstleistenden, wann sie den Zivildienst im Laufe eines Haushaltsjahres beginnen wollen. Insofern ist es gut möglich, dass entsprechende Schwankungen innerhalb eines Zivildienstjahres auftreten können. Abschließend betone ich: Die 80 Prozent sind bisher sichergestellt. Die 20 Prozent werden, wenn das Gesetz in Kraft tritt und sich damit einiges im Bereich der Kosten ändert, bei den Kontingenten ausgegeben. Es wird nichts gekürzt, die Zahlen werden nicht geändert. ({0}) - Ja.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Schaaf.

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, müssten die Kontingente, die jetzt noch freigegeben werden, reduziert werden, wenn das Erste Zivildienständerungsgesetz nicht zum 1. März in Kraft tritt, da dadurch die Einsparungen in diesem Bereich weniger hoch ausfallen? Das sollte nach Absprache mit den Verbänden doch ausdrücklich verhindert werden.

Christel Hanewinckel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000802

Es ist unser Ziel, dass die Kontingente von 20 Prozent, die noch ausstehen, wenn es geht, nicht gekürzt werden müssen. An diesem Ziel hält die Bundesregierung fest. Wir wollen vor allen Dingen sicherstellen, dass die jungen Männer an ihrer bisherigen Lebensplanung für dieses Jahr festhalten können. Aber auch die Dienststellen müssen weiterhin die Möglichkeit haben, ihre Aufgaben zu erfüllen. Deshalb hoffen wir sehr, dass wir dies mit der entsprechenden Gesetzesänderung erreichen. Dabei ist aber auch ein anderer Punkt von Bedeutung. Auch von Ihrer Seite müssten Vorschläge kommen. Davon war bisher nichts zu sehen, Frau Kollegin Lenke. Das muss einmal gesagt werden. Es liegt im Interesse der Bundesregierung, den Zivildienst in diesem Jahr so weit wie möglich und so, wie es mit der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände, mit den jeweiligen Naturschutzverbänden und mit den kommunalen Spitzenverbänden abgesprochen worden ist, zu erhalten. Im allerschlimmsten Fall könnte es Absenkungen geben. Das wollen wir nicht. Die Bundesregierung wird alles tun, damit genau das nicht passiert. In diesem Sinne hoffe ich nach wie vor, dass auch im Bundesrat dieses Problem gesehen wird und dass der Bundesrat darauf verzichtet, den Vermittlungsausschuss anzurufen, der das Gesetzesvorhaben lediglich verzögern würde. Das liegt auch in der Verantwortung der Opposition.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es liegen keine weiteren Fragen zu diesem Geschäftsbereich vor. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Caspers-Merk zur Verfügung. Wir kommen zur Frage 14 des Kollegen Gerald Weiß: Ist der Bundesregierung bekannt, ob - und wenn ja, in welchem vermuteten Umfang - mit fremden Krankenversicherungskarten auf nicht gesetzliche Weise Leistungen im deutschen Gesundheitswesen in Anspruch genommen werden?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege Weiß, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Der Bundesregierung liegen keine offiziellen und insbesondere keine bundesweiten Zahlen zur missbräuchlichen Verwendung der Krankenversicherungskarte vor. Die von verschiedenen Seiten hierzu in der Öffentlichkeit verbreiteten Angaben sind bislang Schätzungen. So ist zum Beispiel die Diskrepanz der Ergebnisse verschiedener Untersuchungen aus Bayern zum Missbrauch der Krankenversicherungskarte erheblich. Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern liegt Missbrauch bei rund 33 000 Versicherten vor. Die AOK Bayern erfasste im vierten Quartal 2001 dagegen lediglich 641 Krankenversicherungskarten, die durch häufige Inanspruchnahme von Ärzten und eine hohe Anzahl von Arzneimittelverordnungen auffielen. Allein diese beiden Beispiele aus nur einem Bundesland machen deutlich, dass keine abgesicherten Zahlen für die ganze Bundesrepublik vorliegen. Ich bin Ihnen für die Frage allerdings sehr dankbar, weil sie mir die Gelegenheit gibt, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass es die Aufgabe sowohl der Krankenkassen als auch der KVen ist, einem vermuteten Missbrauch in jedem Fall entgegenzutreten und die Prüfdichte erheblich zu erhöhen. Eine der Möglichkeiten wäre beispielsweise, wie es die AOK Baden-Württemberg bereits tut, ein Lichtbild auf die Versichertenkarte aufzubringen. Leider hat bei der AOK Baden-Württemberg - die Bundesregierung hat dieses Modellprojekt mit veranlasst und gefördert - bislang nur ein Drittel der Versicherten von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Es handelt sich derzeit um 1,2 Millionen Versicherte. Dies wäre ein weiterer Schritt, um Missbrauch der Krankenversicherungskarte zu beseitigen. Darüber hinaus will ich an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass wir mit Hochdruck daran arbeiten, die Chipkarte intelligenter und damit fälschungssicherer zu machen. Wir wollen einen Notfalldatensatz - in Anlehnung an den europäischen Notfallausweis - auf der Chipkarte anbringen, sodass sie auch in Notfällen genutzt werden kann. Ich bin gerade Ihnen für diese Fragestellung sehr dankbar; denn ich habe mit großer Verwunderung festgestellt, dass die CDU/CSU-Fraktion heute bei der Haushaltsberatung im Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Streichungsanträge bezüglich der Unterstützung der elek1838 tronischen Chipkarte vorgelegt hat. Ihre Frage zeigt mir, dass wir mit der Chipkarte auf dem richtigen Weg sind.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Herr Kollege Weiß.

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, halten Sie die Ergebnisse der Untersuchung der Kassenärztlichen Vereinigung in Bayern, die, wenn ich es so sagen darf, ein intelligentes neues Rasterverfahren - ein Analyseraster - verwendet hat, für plausibel? Sie kam zu dem Ergebnis, dass durch die verschiedenen Formen der betrügerischen Inanspruchnahme der Chipkarte ein enormer Schaden entstanden ist. Als Stichworte wurden genannt: wandernde Chipkarte, Gesundheitstouristen aus dem Ausland, die die Karten von Verwandten oder Bekannten in der Bundesrepublik missbräuchlich verwenden, und nicht versicherte Personen, die die Karten von gesetzlich Versicherten illegalerweise in Anspruch nehmen. Erscheinen die ermittelten Werte aus Ihrer Sicht einigermaßen plausibel und stellen sie für Sie einen Anlass dar, diesen Dingen etwas stringenter und nachhaltiger nachzugehen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege Weiß, diese Frage habe ich bereits in meiner Einführung beantwortet. Ich habe Ihnen nämlich deutlich gemacht, dass es Aufgabe der Kassen und der KVen ist, diesem Missbrauch durch verstärkte Prüfungen zu begegnen. Es handelt sich hier nicht um eine hoheitliche Aufgabe. Es geht um die Gelder der Beitragszahlerinnen und -zahler; insofern begrüßen wir alle Maßnahmen, die zu einer Verstärkung der Prüfdichte führen. Ich habe Ihnen gerade am Beispiel Bayerns klar gemacht, dass es vonseiten der AOK und der KV Bayern sehr unterschiedliche Angaben gibt. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass es hier zu einer größeren Datentransparenz und zu einer besseren Zusammenarbeit kommt. Deswegen fördert die Bundesregierung insbesondere die elektronische Patientenkarte, die Notfalldateien und die Bemühungen um die Fälschungssicherheit. Ich bin sehr froh, dass die AOK Niedersachsen im Auftrag aller AOKen der Frage der missbräuchlichen Nutzung der Karten von Toten nachgegangen ist. Sie hat einige Ergebnisse produziert, die uns aufhorchen lassen. Ihre Frage, ob wir sichere Erkenntnisse für die Bundesrepublik haben, muss ich verneinen. Es gibt einzelne Auffälligkeiten. Durch unsere stark strukturierte Kassenlandschaft und die unterschiedliche Struktur der KVen gibt es aber keine sicheren Abschätzungen. Es könnte sein, dass die Schätzung der KV Bayerns, die auf 100 Millionen Euro für Bayern kommt - dies rechnet sie hoch und spricht von einem Missbrauch in der Größenordnung von, wenn ich die Zahl richtig im Kopf habe, 1 Milliarde Euro -, stimmt. Wir können es nicht sicher abschätzen. Die Kassen sagen uns, dass die Zahl darunter liegt. Es ist aber ein Umstand, der uns besorgt macht. Deswegen werden wir alle Maßnahmen, die zu einer verbesserten Prüfdichte führen, unterstützen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Weiß.

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie sagen, dass Sie besorgt sind. Ich verstehe Sie aber richtig, dass Sie jetzt keinen Anlass für gesetzgeberisches Handeln der Bundesregierung sehen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege Weiß, wir haben heute im Gesundheitsausschuss die Eckpunkte der Bundesregierung zur Gesundheitsstrukturreform diskutiert. Darunter befindet sich zum Beispiel die Forderung nach einer elektronischen Patientenkarte, die fälschungssicher ist und mehr Informationen enthält. Insbesondere um diese einzuführen, haben wir zusätzliche Haushaltsmittel beantragt. Ich bin sehr froh, dass wir nun zügig an die Umsetzung herangehen. Unterhalb dessen, was wir in Zukunft wollen, ist es aber bereits jetzt möglich, dass die Kassen Plausibilitätstests durchführen und dass die KVen die Prüfdichte erhöhen. Es liegt auch in unserem Interesse, dass dies auf alle Fälle erfolgt, um dem Missbrauch deutlich zu begegnen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Fragen 15 und 16 des Kollegen Hofbauer werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Fragen 17 des Kollegen Werner Lensing auf: Hat die Bundesregierung vor, das Embryonenschutzgesetz zu ändern, wie es die Äußerung des Bundeskanzlers, Gerhard Schröder: „Wir werden zu diskutieren haben, ob man das therapeutische Klonen von einem solchen Verbot ausnehmen kann und muss“ - EZ, „Evangelische Zeitung Online“ vom 26. Januar 2003 -, nahe legt?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege Lensing, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Die Bundesrepublik Deutschland hat mit dem Embryonenschutzgesetz ein Gesetz, das mit seinen klaren Grenzziehungen und seinem hohen Schutzstandard die Gewissheit bietet, sich den aktuellen Fragen und Befürchtungen mit der notwendigen Sorgfalt und Gelassenheit stellen zu können. Vor der Entscheidung über die Notwendigkeit weiterer gesetzlicher Regelungen in diesem Bereich sollte nach Auffassung der Bundesregierung die Debatte im Bundestag intensiv geführt werden. Die Bundesregierung will den Ergebnissen dieser Diskussion nicht vorgreifen. Sie wissen, lieber Herr Kollege, dass es interfraktionelle Anträge zu der Forderung gibt, das Embryonenschutzgesetz mit seinen Schutzstandards international durchzusetzen. Deswegen glauben wir, dass intensive parlamentarische Beratung Not tut.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte gerne zwei Zusatzfragen stellen. Frau Staatssekretärin, könnten wir uns darauf verständigen, dass meine Frage, die sich auf die Aussage des Herrn Bundeskanzlers bezog, durch Ihre Einlassung noch nicht ausreichend beantwortet worden ist? Aus der Aussage des Bundeskanzlers geht hervor, dass er sich sehr wohl vorstellen könne, eine bestimmte Form des therapeutischen Klonens zuzulassen.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Ich glaube, die von Ihnen formulierte Frage lässt sich nicht so eindeutig aus dem Bruchstück eines Interviews ableiten. Ich habe Ihnen geantwortet, dass wir mit dem Embryonenschutzgesetz einen sehr hohen und guten Schutzstandard haben. Sollten weitere Beratungen erfolgen, muss das Parlament einbezogen werden. An dieser Antwort möchte ich festhalten. Sie wissen, dass das Herstellen von Embryonen zu Forschungszwecken aufgrund § 1 Abs. 1 Nr. 2 des Embryonenschutzgesetzes, das Klonen von Embryonen nach § 6 Abs. 1 des Embryonenschutzgesetzes und der Verbrauch von Embryonen zu Forschungszwecken aufgrund § 2 Abs. 1 des Embryonenschutzgesetzes in Deutschland verboten und unter Strafe gestellt ist. Wir sehen hier keinen aktuellen Handlungsbedarf. Sie wissen, dass wir eine intensive und ethisch geprägte Diskussion zu diesem Bereich führen. Zudem wurde der Wunsch des Parlaments nach Einsetzung einer neuen Enquete-Kommission geäußert. Deswegen werden wir uns mit diesen Themen ethisch vertretbar in dieser Legislaturperiode befassen.

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich teile Ihre Auffassung im Hinblick auf den hohen Schutz, den die Embryonen in Deutschland auch vor dem Hintergrund des Stammzellgesetzes genießen, das wir in der vorherigen Legislaturperiode verabschiedet haben. Gleichwohl habe ich folgendes Problem: Das Klonen insgesamt ist bekanntlich mit der hohen Achtung der Menschenwürde universal verbunden. Ich bin der Auffassung, dass man daher nicht zwischen dem so genannten reproduktiven und dem therapeutischen Klonen unterscheiden kann und darf. Jetzt hört man, dass in der Bundesregierung Überlegungen dahin gehend angestellt werden, sich zwar weiterhin gegen das reproduktive Klonen zu engagieren, dass man aber dem therapeutischen Klonen einige positive Aspekte - ich will das sehr vorsichtig ausdrücken - abgewinnen kann. Wie ist das mit der Menschenwürde vereinbar?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege Lensing, es gibt aktuell keinen politischen Handlungsbedarf. Sie sprechen ethische Fragen an, die einer intensiven Beratung im Parlament bedürfen. Sie sprechen Grundüberzeugungen eines jeden Abgeordneten an. Ich erinnere mich an sehr gute Debatten im Parlament, die darauf zurückzuführen waren, dass wir die Gewissensentscheidung der Abgeordneten respektiert haben. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Ich rufe die Frage 33 auf: Ist die Aussage, dass die Bundesregierung die Zeit bis nächsten Herbst nutzen wird, um gemeinsam mit Frankreich die Beratungen der VN-Arbeitsgruppe so vorzubereiten, dass die Initiative Aussicht hat, in der Sitzung der Arbeitsgruppe Ende September nächsten Jahres weitgehende Zustimmung zu finden, wie sie im Bericht des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in der Ausschussdrucksache 15 ({0}) 38 auf Seite 3 geäußert wurde, so zu verstehen, dass die Bundesregierung sich aus taktischen Gründen mit dem Verbot allein des reproduktiven Klonens bei den in der Drucksache erwähnten weiteren Beratungen der Arbeits- gruppe der Vereinten Nationen zufrieden geben wird?1) Zu ihrer Beantwortung steht freundlicherweise der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Hans Martin Bury, zur Verfügung.

Not found (Gast)

Herr Kollege Lensing, die Bundesregierung sieht die Notwendigkeit, die deutsch-französische Initiative aktiv fortzuentwickeln. Sie wird die Zeit bis zur nächsten Sitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen nutzen, um gemeinsam mit der französischen Regierung zu sondieren, auf welche Weise möglichst viele Staaten von der Notwendigkeit eines schnellen Verhandlungserfolgs über ein weltweit wirksames Verbot des Klonens von Menschen überzeugt werden können. Die Bundesregierung verfolgt also weiterhin das Ziel, das Klonen von Menschen auf internationaler Ebene möglichst umfassend zu verbieten.

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Staatsminister. Ihnen ist sicherlich ge- nauso bekannt wie mir, dass wir bisher große Probleme hat- ten, mit der gemeinsamen Aktion der Franzosen und der Deutschen bei der UNO einen Erfolg zu erzielen. Von daher ergibt sich meine Frage, ob Sie schon inhaltlich oder viel- leicht sogar in Bezug auf weitere Schritte - ich will nicht den Begriff „Taktik“ gebrauchen - konkretere Vorstellungen ha- ben, aus denen hervorgehen könnte, dass wir diesmal im Ge- gensatz zum letzten Anlauf erfolgreich sein könnten.

Not found (Gast)

Herr Kollege Lensing, wir werden das Vorgehen zunächst mit dem französischen Partner eng abstimmen 1) siehe hierzu auch Frage 17 und dann gemeinsam mit Frankreich Konsultationen mit anderen Staaten aufnehmen.

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Daraus kann ich noch keinen Anflug von Optimismus bei Ihnen erkennen, dass wir erfolgreich sein werden. Von daher - wir müssen in der Politik immer weiter denken ergibt sich die Frage: Was wäre eigentlich, wenn die deutsch-französische Initiative lediglich ein Verbot des reproduktiven Klonens erreichen würde? Würden wir uns mit dieser Situation abfinden oder nach neuen Möglichkeiten suchen, um gegebenenfalls in einer weiteren Aktion das Klonen insgesamt endgültig verbieten zu können?

Not found (Gast)

Herr Kollege Lensing, ich bin generell optimistisch. Ich bin auch insbesondere optimistisch, was die Frage angeht, ob wir aus der gemeinsamen Initiative heraus zu einer internationalen Verständigung über ein wirksames Verbot des Klonens von Menschen kommen. Über einen möglichen anderen Ausgang der Verhandlungen mag ich nicht spekulieren.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf. Für die Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Angelika Mertens zur Verfügung. Ich rufe zunächst die Frage 18 des Kollegen Michael Kretschmer auf: Trifft es zu, dass polnische Finanzbehörden aufgrund angeblicher Steuerschulden Fahrzeuge deutscher Busunternehmen im grenzüberschreitenden Personennahverkehr mit der Beschlagnahme bedrohen, und wenn ja, wie reagiert die Bundesregierung darauf?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Lieber Kollege Kretschmer, nach Informationen der Bundesregierung soll gegenüber der Verkehrsgesellschaft Görlitz GmbH, die den grenzüberschreitenden öffentlichen Personenverkehr zwischen Görlitz auf deutscher Seite und Zgorzelec auf polnischer Seite betreibt, unter Hinweis auf angeblich bestehende Mehrwertsteuerschulden von polnischer Seite eine solche Beschlagnahme in Aussicht gestellt worden sein. Hintergrund dürfte ein vom polnischen Ministerium für Infrastruktur Ende Dezember 2002 an insgesamt 33 deutsche Verkehrsunternehmen übermitteltes Schreiben sein. Diese betreiben oder betrieben im grenzüberschreitenden Verkehr Omnibuslinien nach Polen, allerdings bis auf das in Görlitz betroffene Unternehmen nicht im Nah-, sondern im Fernverkehr. In dem genannten Schreiben werden die Unternehmen aufgefordert, ihre Geschäftstätigkeit als mehrwertsteuerpflichtiges Gewerbe bis zum 31. Januar 2003 bei der polnischen Finanzverwaltung anzumelden. Sie sind dieser Pflicht bisher nicht nachgekommen. Für den Fall der Fristversäumnis wird im Hinblick auf das Tätigwerden der polnischen Finanzbehörden darauf hingewiesen, dass bei Zuwiderhandlungen gegen das geltende polnische Steuerrecht mit der Möglichkeit gerechnet werden müsse, dass die Omnibusse des jeweiligen Unternehmens zur Deckung der festgestellten Steuerschuld sichergestellt würden. Die Bundesregierung hat das polnische Ministerium für Infrastruktur umgehend gebeten, nicht an der zu kurz bemessenen Anmeldefrist bis zum 31. Januar 2003 festzuhalten bzw. diese Frist deutlich zu verlängern. Außerdem wurde um weitere Aufklärung über das von den deutschen Unternehmen konkret erwartete Vorgehen gebeten. Eine Reaktion seitens des polnischen Ministeriums für Infrastruktur steht noch aus. Nach dem Eindruck der Bundesregierung geht es dem polnischen Ministerium für Infrastruktur zunächst darum, die Anmeldung der deutschen Unternehmen bei der polnischen Finanzverwaltung durchzusetzen. Danach soll offenbar die Veranlagung zur Mehrwertsteuer erfolgen, die von Polen für den auf polnischem Gebiet liegenden Streckenanteil der Omnibuslinienverkehre beansprucht wird. Bislang ist kein Fall bekannt, in dem es zu den von polnischer Seite als möglich dargestellten Zwangsmaßnahmen gekommen wäre.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Kretschmer.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie sehen, dass das ein großes Problem ist, gerade im Hinblick auf die EU-Osterweiterung und das Zusammenwachsen der Grenzregionen. Deswegen ist der Vorgang sehr ärgerlich. Es scheint so zu sein - ich möchte Sie bitten, das zu bestätigen oder zu verneinen -, dass es auch an der deutschen Seite liegt. In der deutsch-polnischen Koordinierungskommission auf Länderebene scheint es Versäumnisse gegeben zu haben.

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Diese Versäumnisse sehe ich nicht. In der gemischten Gruppe, in der die Länder und übrigens auch die Verbände mitarbeiten, gab es diese Informationen schon im Herbst 2001. Das Gesetz auf polnischer Seite stammt aus dem Jahr 1993, ist also schon ziemlich alt; die polnischen Behörden haben es nur nie angewandt. Bei uns wäre das übrigens gar nicht möglich, weil bei uns bei der Anmeldung auch die Steuerpflicht eintritt. Es hat zum einen von unserer Seite sowohl aus der gemischten Gruppe als auch aus dem Ministerium Übersetzungshilfen gegeben. Also waren eigentlich alle darüber informiert, dass irgendwann die Stunde schlägt. Insofern müssen wir uns nichts vorwerfen. Zum anderen ist dieser Fall vielleicht auch insofern etwas ganz Besonderes, als es sich um den einzigen grenzüberschreitend ÖPNV handelt, der zwischen Deutschland und Polen betrieben wird. Für den ÖPNV sind natürlich die Länder zuständig. Aber ich glaube, dass sowohl das Land wie auch der Bund alles getan haben, um hier Informationen zu geben, die man verwenden konnte, die aber wohl nicht verwandt worden sind.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Eine letzte Frage: Es ist gerade in diesem speziellen Fall nicht so, dass gegenseitig die Mehrwertsteuer erlassen wird, weil es sich um ein Verfahren handelt, in dem die Leistungen kooperativ von polnischen Unternehmen und einem deutschen Unternehmen erbracht werden. Es ist also vielmehr so, dass beide, sowohl die Polen in Deutschland als auch das deutsche Unternehmen in Polen, Mehrwertsteuer zahlen müssen.

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Bis jetzt war es so, dass wir für den Verkehr bei uns immer Mehrwertsteuer erhoben haben, während die Polen das bis jetzt nicht gemacht haben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 19 des Kollegen Kretschmer auf: Welche konzeptionellen Vorstellungen bezüglich Inhalt, Organisationsstruktur, Finanzierung und Standort verfolgt die Bundesregierung bei der Gründung eines Osteuropazentrums für Wirtschaft und Kultur?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Die Regierungsparteien haben vereinbart, in dieser Wahlperiode ein Osteuropazentrum für Wirtschaft und Kultur einrichten zu wollen. Hintergrund dieser Überlegungen ist die bevorstehende EU-Erweiterung. Die damit verbundenen Chancen der grenzübergreifenden Zusammenarbeit sollen offensiv genutzt werden. Das Zentrum soll in Kooperation mit wissenschaftlichen Institutionen, Einrichtungen der Wirtschaft und kulturellen Vereinigungen zur Stärkung der deutschen Beziehungen zu den Staaten in Mittel- und Osteuropa beitragen. Insbesondere die neuen Bundesländer haben mit der Erweiterung die Chance, sich zu einer europäischen Verbindungsregion mit gutem Zugang zu den Märkten speziell der EU-Erweiterungsstaaten fortzuentwickeln. Die inhaltliche Aufgabenstellung des Osteuropazentrums und seine Organisationsstruktur bedingen einander. Die Bundesregierung befindet sich hierzu noch in der Abstimmungs- und Planungsphase, sodass zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Aussagen getroffen werden können. Eine Entscheidung über den Standort wird erst zum Abschluss der Überlegungen getroffen werden. Die Finanzierung soll über den Haushalt des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen sichergestellt werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine Zusatzfrage.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es handelt sich um eine wissenschaftliche Einrichtung und wir wundern uns darüber, dass sie beim Verkehrsministerium angesiedelt wird. In welcher Form wird das Parlament und hier insbesondere der Ausschuss für Forschung und Bildung in die konzeptionelle Planung eingebunden?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Ich denke, in der üblichen Form. Wir werden, wenn wir gefragt werden, jedes Mal darüber informieren.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Eine letzte Zusatzfrage: Frau Staatssekretärin, wann rechnen Sie mit der Aufnahme der Arbeit dieses Osteuropazentrums?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich noch keinen konkreten Monat nennen, weil das Ganze noch nicht so weit gediehen ist.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Kolbe auf: Wie beurteilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass der Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Manfred Stolpe, am 9. Dezember 2002 in Delitzsch auf einer öffentlichen Kundgebung das Bestehenbleiben des Eisenbahnausbesserungswerkes Delitzsch zugesichert hat, den Schließungsbeschluss vom Sommer 2001 für die Eisenbahnausbesserungswerke der Deutschen Bahn AG, deren Alleingesellschafter die Bundesrepublik Deutschland ist, und wirkt sie darauf hin, diesen Beschluss für einzelne Standorte auszusetzen bzw. zurückzunehmen?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Herr Kollege Kolbe, anlässlich des Besuchs am 9. Dezember 2002 in Delitzsch konnte von Herrn Bundesminister Dr. Manfred Stolpe nach Absprache mit dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG der Schließungsbeschluss um zwei Jahre bis zum Jahresende 2005 für ausgesetzt erklärt werden. Der Ministerpräsident des Freistaates Sachsen sagte bei seinem Besuch in Delitzsch eine angemessene Unterstützung durch den Freistaat zu, damit es für Delitzsch eine wirtschaftliche Perspektive gibt. Auch von der Landesregierung des Freistaates Sachsen wird akzeptiert, dass es innerhalb des Bahnkonzerns eine Straffung der Kapazitäten bei den Ausbesserungswerken geben muss. Nach Angaben der Deutschen Bahn AG sind die 18 Ausbesserungswerke nur zu 57 Prozent ausgelastet. Mit dem Sanierungskonzept des Vorstandes der Deutschen Bahn AG von Juni 2001 werden die Kapazitäten an den künftigen Bedarf der Fahrzeuginstandhaltung und -instandsetzung angepasst. Das ist für die Konsolidierung des Unternehmens unbedingt erforderlich. Die Sanierungsmaßnahmen erfolgen im Konsens mit den Gewerkschaften. Der Vorstand der Deutschen Bahn AG entscheidet hier in alleiniger unternehmerischer Verantwortung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Dies entspricht der mit der Bahnreform herbeigeführten sowie von Bundestag und Bundesrat mit großer Mehrheit beschlossenen Trennung der staatlichen Aufgaben von der notwendigen Eigenverantwortlichkeit der Deutschen Bahn AG. Der Bund hat als Eigentümer in seinem Verhalten gegenüber der Deutschen Bahn AG die aktienrechtlichen Vorgaben zu beachten. Nach der aktienrechtlichen Kompetenznorm des § 76 des Aktiengesetzes leitet der Vorstand die Gesellschaft in eigener Verantwortung; das heißt, er ist in Fragen der Geschäftsführung nicht an Weisungen anderer Organe der Gesellschaft oder des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen gebunden. Der Schließungsbeschluss kann daher nur vom Vorstand der Deutschen Bahn AG zurückgenommen werden. Das ist nur für die Standorte zu erwarten, bei denen ein Investor bereit ist, das jeweilige Werk zu übernehmen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Kolbe.

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ich möchte zitieren, was der Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe am 9. Dezember 2002 in Delitzsch gesagt hat, und Sie um Stellungnahme dazu bitten. Manfred Stolpe hat wortwörtlich gesagt: Wir haben eine klare Zusage, die mir heute früh noch mal bestätigt worden ist von Herrn Mehdorn, dass er ganz kurzfristig mit Ministerpräsident Milbradt und mit mir über Perspektiven nicht nur für ein, zwei Jahre, sondern über die Perspektiven dieses Standorts reden wird. Weiter sagte Manfred Stolpe wörtlich: Aber es bleibt ganz sicher in den nächsten Jahren ein Werk der Bahn und es wird Aufträge der Bahn haben. So wurde es am 9. Dezember 2002 vor rund 2 000 Menschen in Delitzsch gesagt. Wie verträgt sich das mit Ihren Ausführungen im Deutschen Bundestag, dass es sich nur um einen Aussetzungsbeschluss für zwei Jahre handeln solle? Ich sehe hier einen eklatanten Widerspruch.

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Ich sehe darin keinen eklatanten Widerspruch, weil das Werk zwei Jahre in den Händen der DB AG bleiben wird. Sie wissen, dass dieses Werk ausgeschrieben werden soll. Ich könnte mir vorstellen, dass dieser Standort mit dem entsprechenden Auftrag ohne Weiteres erhalten bleibt. In welcher Regie, ist eine andere Frage.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage.

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Uns allen ist natürlich bekannt, dass die Deutsche Bahn eine Aktiengesellschaft ist. Aber die Bundesrepublik Deutschland ist 100-prozentiger Eigentümer; sie ist also Alleineigentümer. Deshalb frage ich noch einmal: Was gedenkt die Bundesregierung jetzt zu tun, um das alles zu begleiten, oder haben Sie schon etwas unternommen bzw. werden Sie in den nächsten Wochen und Monaten etwas unternehmen?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Ich weiß nicht, wie lange Sie schon Mitglied des Bundestags sind. Ich muss Ihnen vielleicht erklären, dass die Bahnreform 1994 beschlossen worden ist. ({0}) - Wenn Sie, Herr Kollege Kolbe, in „Kürschners Volkshandbuch“ vier Sterne neben Ihrem Namen stehen haben, dann waren Sie schon damals Mitglied des Bundestags und können sich sicherlich noch daran erinnern, dass beschlossen worden ist, aus der Deutschen Bundesbahn keine GmbH, sondern eine Aktiengesellschaft zu machen. Wenn aus der Bundesbahn eine GmbH gemacht worden wäre, dann gäbe es jetzt einen Geschäftsführer, den man anweisen könnte, dieses oder jenes zu tun. Das ist aber nicht der Fall. Was die Bahnwerke angeht, ist, im Konsens auch mit den Ländern und den Ministerpräsidenten, gesagt worden, dass sich die Länder und DB AG die jeweiligen Standorte angucken sollen. Minister Stolpe hat hierbei eine, wie ich finde, sehr erfolgreiche Moderatorenrolle eingenommen. Wir alle sollten uns darüber freuen, dass es mit Delitzsch weitergeht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 21 des Kollegen Manfred Kolbe auf: Hält es die Bundesregierung und insbesondere der Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Manfred Stolpe, in seiner Zuständigkeit für den Aufbau Ost für mit der Förderung des Aufbaus Ost vereinbar, dass die Deutsche Bahn AG alle vier Eisenbahnausbesserungswerke im Freistaat Sachsen schließen will und von insgesamt 5 350 abzubauenden Arbeitsplätzen allein 2 341 Arbeitsplätze in Sachsen abgebaut werden sollen?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Zur Zukunft der sächsischen Ausbesserungswerke fand am 28. Januar 2003 ein weiteres Gespräch beim Vorsitzenden der Deutschen Bahn AG unter Beteiligung von Herrn Bundesminister Dr. Stolpe und des Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen statt. Dabei wurde die Zusage vom 9. Dezember 2002 bekräftigt und es wurden gemeinsame Maßnahmen zwischen der Deutschen Bahn AG und dem Freistaat Sachsen zur Erhaltung des Standortes Delitzsch abgestimmt. Zu den Werken Chemnitz und Zwickau werden die von der Deutschen Bahn AG eingeleiteten Maßnahmen zur Privatisierung nach Einschätzung des Freistaates positiv bewertet. In den Werken Chemnitz, Delitzsch und Zwickau waren nach Angaben der Deutschen Bahn AG am 31. Dezember 2002 noch 1 208 vollzeitbeschäftigte Personen tätig. Das Werk Leipzig/Engelsdorf, in dem überwiegend Güterwagen instand gehalten worden sind, ist seit 1. Januar 2002 kein Werk der Deutschen Bahn AG mehr. Es wurde zu diesem Zeitpunkt mit 151 Beschäftigten an die Investorengruppe Wils/Duroc/Til-Gutzen verkauft.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, vor dem Hintergrund dessen, dass Ihr Haus für den Aufbau Ost zuständig ist, frage ich Sie noch einmal: Halten Sie es für sachgerecht, dass alle vier sächsischen Eisenbahnausbesserungswerke geschlossen werden, und halten Sie es auch für sachgerecht, dass nach dem Stand der Beschlussfassung von 5 350 Arbeitsplätzen bundesweit allein 2 341, also knapp die Hälfte, in einem Bundesland, nämlich in Sachsen, abgebaut werden?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Die Bahn modernisiert sich. Wir alle sind uns darüber einig, glaube ich, dass gerade mit der Modernisierung des Fuhrparks der Abbau bestimmter Kapazitäten einhergeht. Dass Sachsen sehr viele Bahnwerke hat, hat mit der Struktur der früheren DDR zu tun. Sie können ganz sicher sein, dass hier kein Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz verlieren wird; es gibt eine Übernahmegarantie. Insofern: Wir können das eine nicht ohne das andere haben. Die DB AG - das ist der Auftrag aus der Bahnreform - soll sich konsolidieren und am Markt bestehen können. Dazu gehört der Personalabbau, der auch in anderen Bereichen stattfindet. Dazu gehört ebenfalls, dass Ausbesserungswerke geschlossen werden oder von anderen übernommen werden und dann unter anderer Regie weiterbestehen. Wenn wir ganz ehrlich sind, müssen wir sagen: Das ist der Auftrag, den wir als Politik an die DB AG gegeben haben. Sie erfüllt ihn. Wenn jetzt davon abgewichen werden soll, müssen Sie mir sagen, in welcher Form Sie Werke erhalten wollen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Kolbe.

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, den Kern meiner Frage haben Sie nicht beantwortet. Deshalb stelle ich jetzt fest und bitte Sie um Zustimmung dazu: Bundesminister Manfred Stolpe hält diesen einseitigen Abbau bei den Bahnwerken in einem ostdeutschen Bundesland für regionalpolitisch ausgewogen und sachgerecht. Ist das so?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Das habe ich in keiner Weise gesagt. Minister Stolpe war noch gar nicht Minister, als beschlossen wurde, wie die Bahn damit umzugehen gedenkt. Für jedes Werk haben wir Unterstützung signalisiert, was etwa eine Moderatorenrolle angeht. Die Werke sind zum Teil nicht als solche erhalten worden, sondern auch in andere Geschäftsbereiche gegangen. Das haben wir in Sachsen genauso gemacht wie in allen anderen Bundesländern. Sie können also nicht das schließen, was Sie eben gesagt haben. Das ist Ergebnis dessen, was Sie 1994 beschlossen haben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereiches. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Christoph Matschie zur Verfügung. Ich rufe zunächst die Frage 22 des Kollegen Uwe Schummer auf: Wie viele unbesetzte Ausbildungsstellen in den neuen Bundesländern stehen aktuell den nicht untergebrachten Bewerbern gegenüber und wie gestaltet sich aktuell die Situation für ostdeutsche Hauptschulabsolventen auf dem Ausbildungsstellenmarkt?

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Herr Kollege Schummer, der Vergleich von Bewerberzahlen und Ausbildungsstellen ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht aussagekräftig, da sich der Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsstellenmarkt erfahrungsgemäß erst im letzten Quartal des Vermittlungsjahres, das heißt von Juli bis Ende September, vollzieht. Nach der Ausbildungsvermittlungsstatistik der Bundesanstalt für Arbeit für das Vermittlungsjahr 2002/2003 stehen in den neuen Ländern aktuell - ich beziehe mich auf die Zahl von Januar - 29 528 unbesetzten Berufsausbildungsstellen 97 977 unvermittelte Bewerber gegenüber.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Schummer, Sie haben das Wort zu einer Zusatzfrage.

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Stimmt die Information der „Leipziger Volkszeitung“ vom 31. Januar dieses Jahres - dort wird die Bildungsministerin, Frau Bulmahn, zitiert -, dass die im Bundeshaushalt vorgesehene Kürzung beim Ausbildungsplatzsonderprogramm Ost um 12 Millionen Euro vollständig zurückgenommen wird?

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Bund und Länder haben vereinbart, dass dieses Ausbildungsplatzsonderprogramm weiter zurückgefahren wird, nämlich von derzeit 14 000 Stellen im letzten Ausbildungsjahr auf 12 000 Ausbildungsstellen. Das ist die Planung. Im Moment gibt es Gespräche darüber, diesen Rückgang nicht zu vollziehen. Das muss aber in den abschließenden Gesprächen über den Haushalt endgültig geklärt werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage.

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vor dem Hintergrund, dass eine Frage mit einer ähnlichen Information zwei Tage vor der Veröffentlichung in der eben genannten Zeitung im Ausschuss gestellt und nicht beantwortet wurde, richte ich an Sie folgende Frage: Ist es üblich, dass Abgeordnete über zentrale Haushaltsfragen des Bundes nicht im zuständigen Ausschuss, sondern über die Presse informiert werden?

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Es ist üblich, dass Abgeordnete in den zuständigen Ausschüssen informiert werden. Ich kann hier gegenwärtig kein Problem erkennen. Die Fragen, die im Ausschuss gestellt worden sind, sind vonseiten unseres Ministeriums beantwortet worden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 23 des Kollegen Schummer auf: Wie viele ostdeutsche Hauptschulabsolventen sind davon aktuell unversorgt und wie hoch liegt ihr Anteil an den nicht vermittelten Bewerbern?

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Unter allen Bewerbern in den neuen Bundesländern - das sind insgesamt 121 014 Jugendliche - sind 26 577 Hauptschulabsolventen. Das sind 22 Prozent aller Bewerber. Unter den noch nicht vermittelten Bewerbern sind 20 076 Hauptschulabsolventen. Das sind 20,5 Prozent aller unvermittelten Bewerber. Auch in diesem Jahr wird der Vermittlung von Hauptschulabsolventen besondere Aufmerksamkeit zu widmen sein. In den zusätzlichen Länderprogrammen werden Hauptschulabsolventen als besondere Zielgruppe berücksichtigt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine Zusatzfrage.

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bestätigen Sie die Aussage von Bundesminister Clement in der Bundestagsdebatte vom 30. Januar, wonach 51 Prozent der Betriebe in den neuen Bundesländern derzeit nicht ausbildungsberechtigt sind? Mit welchen Maßnahmen gedenken Sie die Ausbildungsfähigkeit der Betriebe im dualen System zu stärken?

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Ich kenne die Aussage, auf die Sie soeben verwiesen haben, nicht und kann dazu deshalb weder etwas Bestätigendes noch etwas Dementierendes sagen. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine zweite Zusatzfrage.

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wie hoch ist die Zahl der Ausbildungsabbrecher im Schnitt und in welchem Zeitraum wird die Bundesregie- rung differenzierte und arbeitsmarktfähige zweijährige Ausbildungsberufe oder Ausbildungsmodule mit Teilab- schlüssen gesetzlich ermöglichen? Ist Ihnen bekannt, dass eine solche Gesetzesinitiative von den Wirtschaftspoliti- kern der SPD bereits formuliert ist?

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Zu den Abbrecherquoten liegen mir jetzt keine Zahlen vor, da sie nicht Gegenstand der Frage waren. Ich bin aber gern bereit, Ihnen diese Zahlen, soweit sie uns zur Verfü- gung stehen, nachzureichen. Was die Gestaltung der Ausbildung angeht: In diesem Jahr wird eine Novelle des Berufsbildungsgesetzes vor- bereitet. Alle damit im Zusammenhang stehenden Fragen werden im Rahmen der Beratung dieser Novelle vom Par- lament diskutiert und beschlossen werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 24 des Kollegen Dr. Bergner auf: Wie viele Bewerber für eine Lehrstelle gibt es aktuell Ende Ja- nuar 2003 in den neuen Bundesländern, die sofort eine Lehrstelle antreten möchten, aber unversorgt sind?1)

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Herr Dr. Bergner, am 30. September 2002 gab es in den neuen Ländern 10 203 unvermittelte Bewerberinnen und Bewerber, denen 882 unbesetzte Ausbildungsplätze ge- genüberstanden. Daneben gab es zu diesem Zeitpunkt rund 7 900 Plätze aus den verschiedenen Sonderprogram- men, die noch nicht eingesetzt waren. Das betrifft Pro- grammplätze im Bund-Länder-Sonderprogramm 2002, in den ergänzenden Länderprogrammen sowie in dem ab dem 1. Februar 2003 erneut einsetzbaren Jugendsofort- programm. 1) siehe hierzu auch Frage 52 Durch die Nachvermittlungsaktivitäten der Bundesanstalt für Arbeit sank die Anzahl der Ende September noch nicht vermittelten Bewerber und Bewerberinnen bis zum 31. Dezember 2002 um 5 428 oder rund 53,2 Prozent auf 4 775. Zum Vergleich dazu: Ende Dezember 2001 waren es 3 309. Für diese Jugendlichen waren 269 betriebliche Ausbildungsplätze, über 600 Programmplätze des BundLänder-Sonderprogramms und der Länderprogramme sowie bis zu maximal 2 100 außerbetriebliche Plätze nach Art. 4 des Jugendsofortprogramms verfügbar. Ende Januar 2003 waren noch 4 215 Bewerber und Bewerberinnen unvermittelt. Die Bundesanstalt für Arbeit wird den verbliebenen Jugendlichen ein weiteres Angebot machen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Bergner.

Dr. Christoph Bergner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003505, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär Matschie, darf ich fragen, wie sich diese Zahlen im Vergleich zu denen der Vorjahre darstellen, und geben Sie mir vor dem Hintergrund dieser Zahlen Recht, dass Überlegungen zur Rückführung von Ausbildungsplatzsonderprogrammen unangebracht sind?

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Herr Kollege, ich habe Ihnen ja die Vergleichszahl von Ende Dezember 2001 genannt. Wir hatten Ende Dezember 2002 noch 4 775 unvermittelte Bewerberinnen und Bewerber, Ende Dezember 2001 waren es 3 309, das heißt etwas weniger. Zum zweiten Teil Ihrer Frage kann ich sagen: Die Rückführung des Ausbildungsplatzsonderprogramms ist mit den Ländern verabredet gewesen. Hier gab es ja eine längerfristige Planung, die über mehrere Jahre ging. Im Moment ist im Gespräch, dass diese Rückführung so, wie sie geplant war, nicht stattfinden soll. Die Gespräche darüber sind aber noch nicht abgeschlossen; auch die Haushaltsberatungen für diesen Bereich sind ja, wie Sie wissen, noch nicht abgeschlossen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage.

Dr. Christoph Bergner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003505, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Können Sie bestätigen, dass in den Verhandlungen über die Rückführung des Ausbildungsplatzsonderprogramms die betroffenen Bundesländer unterschiedliche Positionen einnehmen?

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Ich kann Ihnen zum gegenwärtigen Verhandlungsstand keine Auskunft geben, bin aber gern bereit, noch einmal zu recherchieren, wie im Moment der Stand der Verhandlungen ist, und Ihnen dann gegebenenfalls im Ausschuss die entsprechenden Auskünfte zu geben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage des Kollegen Fuchtel.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wie verträgt sich eigentlich diese jetzt gerade so breit dargestellte Sachlage mit den Zusicherungen in Ihrem Wahlprogramm, dafür zu sorgen, dass die Jugendlichen einen Ausbildungsplatz bekommen werden? ({0})

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Es ist nach wie vor Ziel der Bundesregierung, allen, die ausgebildet werden wollen, auch einen Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen. Sie wissen selbst, dass in allererster Linie die Wirtschaft dafür verantwortlich ist, dass die notwendigen Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden. Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen, um die Wirtschaft dabei zu unterstützen, aber auch um zusätzliche Ausbildungsmöglichkeiten zu finanzieren. Das wird auch in Zukunft so bleiben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Kretschmer.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Was unternimmt die Bundesregierung denn jetzt, wenn es nicht dazu kommt, dass das Ausbildungsplatzprogramm aufgestockt wird, wie es zwar in der Zeitung steht, aber offensichtlich doch nicht der Fall ist, weil die Länder ja nun der Meinung sind, man solle das kürzen - für Sachsen kann ich das nicht bestätigen, da hat man uns genau das Gegenteil gesagt; aber wir können im Ausschuss gerne darüber sprechen -, um für eine verbesserte Ausbildungsplatzsituation gerade in den neuen Bundesländern, aber mittlerweile auch in den alten Bundesländern zu sorgen?

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Die Bundesregierung ist im Moment unter anderem in Gesprächen mit der deutschen Wirtschaft über die Frage, inwieweit die Wirtschaft noch mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen kann. Ich bin mir auch sicher, dass Ihnen nicht entgangen ist, dass beispielsweise Herr Hundt öffentlich zugesichert hat, dass die deutsche Wirtschaft bereit wäre, eine Ausbildungsplatzgarantie abzugeben. Er hat dann einige Bedingungen auch in Richtung der Gewerkschaften formuliert. Das zeigt, dass in der Wirtschaft durchaus das Potenzial vorhanden wäre, allen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus gibt es verschiedene Programme der Bundesregierung, zum Teil gemeinsam mit den Ländern, beispielsweise ein spezielles Programm, bei dem Lehrstellenentwickler Unternehmen helfen, weitere Lehrstellen anzubieten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir sind damit am Ende der für die Fragestunde vorgesehenen Zeit. Ich schließe die Fragestunde. Die Fraktion der CDU/CSU hat zur Antwort der Bundesregierung auf die eingebrachte Dringlichkeitsfrage eine Aktuelle Stunde verlangt. Diesem Verlangen ist nach Anlage 5 I 1 b unserer Geschäftsordnung stattzugeben, und zwar unmittelbar im Anschluss an die Fragestunde. Deshalb rufe ich als neuen Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU Irakpolitik Als erster Redner erhält der Kollege Eckart von Klaeden für die CDU/CSU das Wort. ({0})

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Die Aufregungen um die Veröffentlichung im „Spiegel“ über einen angeblichen Alternativplan von Deutschland und Frankreich zeigen: Die Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler, ist mit ihrem Latein am Ende. ({0}) Deutschland steckt in der schwersten außen- und sicherheitspolitischen Krise seit Bestehen der Bundesrepublik. Sie haben gleich mehrere Fehler auf einmal gemacht. Mit Ihrem Hinweis, einen deutschen Weg zu gehen, haben Sie das zarte Pflänzlein der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik in Europa zertreten. Mit Ihrer Verweigerung der erforderlichen und erwünschten Unterstützung der Türkei im NATO-Rat am Montag gefährden Sie die Bündnisfähigkeit Deutschlands. Sie erhöhen mit Ihrer absoluten Weigerung, an einer von der UN sanktionierten Maßnahme gegen den Irak teilzunehmen, die Notwendigkeit und die Gefahr einer Entwaffnung Saddam Husseins mit militärischen Mitteln und Sie schwächen die Vereinten Nationen und machen sie lächerlich, ({1}) indem Sie die völkerrechtliche Beweislast umkehren; denn durch Ihren Vorschlag, Blauhelme in den Irak zu schicken, erwecken Sie den Eindruck, die Vereinten Nationen und nicht Saddam Hussein müssten nachweisen, dass er die Massenvernichtungswaffen, deren Existenz ihm nachgewiesen wurde, vernichtet hat. Das ist der vorläufige Höhepunkt einer außen- und sicherheitspolitischen Geisterfahrt, die nicht das Ziel hatte, Saddam Hussein zu entwaffnen und den Frieden im Nahen Osten - oder was Sie dafür halten - zu bewahren, sondern allein das Ziel, die Bundestagswahl am 22. September zu gewinnen und Gerhard Schröder wieder an die Macht zu bringen. Den ersten Fehler haben Sie auf einer SPD-Wahlkampfveranstaltung, der Auftaktveranstaltung am 5. August letzten Jahres, begangen, indem der Bundeskanzler erklärt hat, Deutschland werde sich an einer Maßnahme gegen den Irak nicht beteiligen, selbst wenn der UN-Sicherheitsrat sie beschließen würde. ({2}) Niemand hat von Deutschland eine militärische oder finanzielle Beteiligung verlangt. Das Einzige, was von Deutschland erwartet wurde, war die politische und moralische Unterstützung einer Drohkulisse gegen Saddam Hussein innerhalb der Vereinten Nationen. Diese Drohkulisse haben Sie entscheidend geschwächt. ({3}) Den zweiten Fehler hat der Bundeskanzler begangen, als er die Bundesjustizministerin nach ihrer Äußerung am 19. September letzten Jahres, in der sie George Bush und das Vorgehen gegen den Irak mit Adolf Hitler und dessen Handeln verglich, nicht sofort entlassen hat. ({4}) Der Bundeskanzler hat einen Brief an den amerikanischen Präsidenten geschrieben, in dem er den Eindruck erweckt hat, diese Äußerung sei gar nicht gefallen. Er ist nicht auf den ungeheuerlichen diplomatischen Affront eingegangen, sondern hat die plumpe Ausrede der Ministerin vor der Bundespressekonferenz wiederholt und damit den Eindruck erweckt, der amerikanische Präsident fühle sich zu Unrecht persönlich beleidigt. Der dritte Fehler geschah am 10. Januar dieses Jahres, als der Bundeskanzler UN-Botschafter Pleuger öffentlich maßregelte, der lediglich die Position des Außenministers zur Frage einer weiteren UN-Resolution vorgetragen hatte. Der vierte Fehler geschah am 27. Januar in Goslar, als Gerhard Schröder von dort dem Außenminister, der sich in New York aufhielt, in den Rücken fiel und unwidersprochen zuließ, dass sein damaliger Kronprinz Sigmar Gabriel ({5}) den Vereinigten Staaten unterstellte, sie wollten junge Menschen für Öl in den Krieg schicken. Gabriel unterstellte damit nur niedere, ökonomische Motive und der daneben stehende Bundeskanzler applaudierte und widersprach nicht. ({6}) Den fünften Fehler haben Sie begangen, als der Bundeskanzler am Donnerstag - der Staatsminister hat das auf eine entsprechende Frage des Kollegen Grindel zugestehen müssen - gegenüber „Spiegel“-Redakteuren seinen unausgegorenen Plan über den Einsatz von UN-Blauhelmen im Irak angesprochen hat. Er hat seine Minister zur Sicherheitskonferenz nach München geschickt, ohne sie vorher zu informieren. ({7}) Die Folge war ein peinlicher Eiertanz für die Bundesrepublik Deutschland. Bereits am Sonntag hat die französische Verteidigungsministerin die gemeinsame Initiative, über die im „Spiegel“ berichtet wurde, dementiert und dazu gesagt: Die Deutschen wollten sich wieder ins Spiel bringen, sich also aus der selbst verschuldeten Isolation befreien. - Damit haben Sie den „Spiegel“, der am Montag erschien, schon am Sonntag zu Altpapier gemacht. Der sechste Fehler, den Sie begangen haben, ist, dass Sie der Türkei, einem Land, das Sie in die Europäische Union aufnehmen wollen, die erforderliche und gewünschte militärische Unterstützung verweigert haben. ({8}) In der Außen- und Sicherheitspolitik hat es noch nie einen solchen Schaden für die Bundesrepublik Deutschland gegeben. Als Letztes möchte ich mich an die Grünen wenden: Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, noch profitieren Sie von dem Sinkflug der Sozialdemokraten. Noch wandert ein Teil der sozialdemokratischen Wähler zu Ihnen. Aber Außenminister Fischer hat immer wieder eine öffentliche Desavouierung ertragen müssen. Jedes Mal, wenn er sich bemüht hat, wieder ein Türchen in Richtung Vereinte Nationen oder USA zu öffnen, ({9}) hat der Bundeskanzler in öffentlichen Stellungnahmen diese Tür wieder zugeschlagen. Die Bedeutung der Worte vom Koch und vom Kellner ist nie so deutlich geworden wie bei dieser Desavouierung des Außenministers durch den Bundeskanzler.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich bin bei meinem letzten Satz. Mich würde es nicht wundern, wenn Fischer, wenn er nicht endlich dazu bereit ist, zu einem Wechsel beizutragen, als Schröders Pudel in die Geschichte Deutschlands eingehen wird. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Markus Meckel, SPDFraktion.

Markus Meckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001451, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Kollege von Klaeden, wir haben nicht deswegen einen Kanzler, damit er Latein kann, sondern damit er regiert, Schaden vom deutschen Volke abwendet und sich für den Frieden einsetzt. Genau das tut unser Kanzler. ({0}) An seiner Seite - nicht im Zwist, sondern in Übereinstimmung mit ihm - tut dies übrigens auch der deutsche Bundesaußenminister. ({1}) Einen Zickzackkurs sehe ich nicht bei dieser Bundesregierung, sondern bei der Opposition im letzten halben Jahr. ({2}) Denn ich erinnere mich an die Diskussion im letzten Sommer, als Herr Stoiber kurz nach Herrn Schröder klar gesagt hat: Wir wollen uns nicht beteiligen. Er ist weit darüber hinausgegangen. Er hat sogar infrage gestellt, ob die Amerikaner in Deutschland liegende Basen nutzen und ihnen Überflugrechte gewährt werden könnten. Das hat Stoiber im letzten Sommer infrage gestellt. Vergessen Sie bitte nicht, dass dies so war! Herr Schmidt, Sie sollten sich an die Worte Ihres Vorsitzenden erinnern. ({3}) In einem wichtigen Punkt hatte Herr Stoiber Recht. Er hat am letzten Sonnabendmorgen in München erklärt, dass es wichtig sei, den Inspektoren auf der Grundlage der Resolution 1441 mehr Zeit zu geben und diese Resolution wirklich zu nutzen. Das ist unsere Position. ({4}) Dafür hat sich Herr Stoiber in seinem Eingangsstatement unmittelbar nach der Rede von Herrn Rumsfeld eingesetzt. ({5}) - Sie haben Recht. Er hat seine Position geändert. In seiner Rede am Abend hat er Herrn Rumsfeld zugestimmt. Ich spreche ja von den Schlangenlinien. Dies sollten Sie in Erinnerung behalten. ({6}) Sie sprechen von einem Geheimplan; das ist der Anlass für diese Aktuelle Stunde gewesen. Sie meinen, den „Spiegel“ bzw. entsprechende Hinweise retten zu müssen. Es hat nie einen Geheimplan gegeben. ({7}) Es hat auch nirgendwo geheime Verhandlungen gegeben. Es gibt die Bemühungen der deutschen Regierung, gemeinsam mit anderen Mitgliedern des Sicherheitsrates dafür zu sorgen, dass der Weg der Resolution 1441 weiter verfolgt wird - so lange, bis die Inspektoren selber klar sagen, dass das bisher Beschlossene keine Chance mehr hat. Bisher weisen alle Signale der Inspektoren in die gegenteilige Richtung. Sie waren letzte Woche in Bagdad. Nach all dem, was wir bisher vernehmen konnten - der Bericht wird ja erst am kommenden Freitag vorgelegt werden -, gibt es Fortschritte. Das heißt nicht, dass dies schon genügen würde. Aber offensichtlich sieht man die Chance - das ist auch unsere Position -, dass es sich lohnt, die Inspektionen weiterzuführen. Deutschland und Frankreich versuchen gegenwärtig - mit Unterstützung Russlands -, auf dieser Grundlage weiterzumachen, und sagen: Man sollte überlegen, inwieweit es sinnvoll und möglich ist, die Inspektionen zu verstärken und auszubauen. ({8}) Diese Überlegung, die der französische Außenminister schon in der letzten Sicherheitsratssitzung geäußert hat, knüpft übrigens an eine Frage an, die man schon vor der Verabschiedung der Resolution 1441 gestellt hat - auch aufseiten der Amerikaner und der Briten -: Inwieweit ist eine militärische Komponente zur Absicherung der Inspektionen sinnvoll? Über diese Frage, die dann später nicht weiter verfolgt worden ist, kann man durchaus streiten; das letzte Urteil sollte in meinen Augen den Inspektoren selbst zukommen. Heute als Anhängsel von Blauhelmen zu reden halte ich selbst für nicht so sinnvoll. ({9}) Es ist aber ohnehin nicht wesentlicher Bestandteil dieses Vorschlages. Es geht lediglich darum, die Inspektionen zu verstärken und zu überlegen, mit welchen Methoden dies geschehen kann. Klar ist: Sie brauchen Zeit. In Richtung der Opposition will ich noch eines sagen - meine Redezeit geht zu Ende -: Der europäische Zusammenhalt ist wahrhaftig stark geschwächt. In der letzten Woche hatten die europäischen Außenminister eine gemeinsame Position gefunden. Leider ist dieser Konsens von Teilen Europas durch eine Aktion - die Erklärung der Acht -, die von anderen inszeniert war, aufgebrochen worden. ({10}) Ich halte es für sehr problematisch, wenn sich Ihre Fraktion dem anschließt. Darüber wird auch morgen zu diskutieren sein. Fragen Sie bitte Ihren Kollegen im Europäischen Parlament Elmar Brok, fragen Sie die griechische Präsidentschaft, was sie davon halten, wenn der europäische Zusammenhalt an dieser Stelle verlassen wird. ({11}) Wir halten das für ein großes Problem. Ich danke Ihnen. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Werner Hoyer, FDP-Fraktion.

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Immerhin, Herr Kollege Meckel, war dieser Geheimplan so geheim und derart nicht existent, dass der Bundesminister der Verteidigung in München auf meine Frage dazu geantwortet hat, zwar könne er dazu nichts sagen, aber der Bundeskanzler werde am Donnerstag in seiner Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag dazu Stellung nehmen. ({0}) Was ist denn nun? München war wieder einmal ein wirklich faszinierendes Erlebnis, eine tolle Konferenz. Wir empfangen dort jährlich sehr viele hochkarätige Gäste aus aller Welt. ({1}) Ich fürchte, in Zukunft werden wir uns auf die Rolle des Gastgebers reduzieren müssen und nicht mehr als ernsthafte Gesprächs- und Verhandlungspartner zur Kenntnis genommen werden. ({2}) Es kann doch nicht sein, meine Damen und Herren, dass die Konferenz in München bereits fünf, sechs Stunden läuft und erst dann, aufgrund einer von Agenturen verbreiteten Vorabmeldung des „Spiegel“, die Frage gestellt werden kann: Was ist an dieser Initiative eigentlich dran?, während die beiden Verteidigungsminister, die gerade gesprochen haben, der französische und der deutsche, sowie offenbar weite Teile des Auswärtigen Amtes über die Angelegenheit nicht informiert sind. ({3}) Das ist eine Düpierung all derjenigen, die dorthin gekommen sind, um mit uns als Partner ernsthaft über Sicherheitspolitik zu reden. ({4}) Wir werden über den Irak hier sicher noch oft - vor allem auch morgen - sprechen, aber heute steht etwas anderes im Vordergrund, nämlich die Frage, wie wir mit solchen Themen umgehen. ({5}) Es ist die Frage, sehr verehrte Frau Kollegin Roth, ob der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland auf dem Altar innenpolitischen Taktierens die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland geopfert hat. Darum geht es. ({6}) Wenn man dann in einer Situation, in der ein NATOPartner unter Druck gerät, die notwendige Hilfe verweigert, dann schlägt man einen Nagel in den Sarg des Bündnisses, ({7}) dem wir sehr, sehr viel in unserer deutschen Geschichte zu verdanken haben. ({8}) Das Kernprinzip der NATO ist tiefe Integration. Tiefe Integration setzt voraus, dass man bereit ist, sich voneinander abhängig zu machen, weil man dann nur noch gemeinsam militärisch agieren kann. Sie setzt voraus, dass man die Kraft hat, zu gemeinsamen Entscheidungen zu kommen, und sich nicht durch Vorfestlegungen von vornherein daran hindert, Einfluss auf das zu nehmen, was am Ende gemeinsame Entscheidung ist. ({9}) Deswegen ist die Bundesrepublik Deutschland von Bundeskanzler Schröder schlicht und ergreifend in die Irrelevanz geführt worden. Der Bundesminister des Auswärtigen weiß das auch ganz genau. Die Bundesregierung wird in dieser Aktuellen Stunde erstaunlicherweise nicht Stellung nehmen. Ich frage mich, wie lange der Außenminister diesen Kurs eigentlich noch mittragen kann. ({10}) Wie glaubwürdig ist unser Bekenntnis zum Multilateralismus, wenn wir von vornherein sagen: „Egal, was der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen entscheidet, wir nicht!“? Wie glaubwürdig ist eigentlich unser Bekenntnis zur NATO und wie glaubwürdig ist unser Bekenntnis zu dem, was wir uns gemeinsam - zumindest bisher - als gemeinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik erhofft haben? Die ESVP ist bereits tot, bevor wir die ersten ernsthaften Schritte in ihre Richtung gemacht haben. Das wird man der Bundesregierung eines Tages anrechnen müssen. ({11}) Kluge Außenpolitik besteht darin, Optionen zu schaffen, immer wieder neue zu öffnen und nicht vorzeitig Optionen zu schließen. ({12}) Genau gegen eine solche Grundregel der internationalen Politik hat die Bundesregierung, hat insbesondere der Bundeskanzler verstoßen. Die Bundesrepublik Deutschland hat international erheblichen Schaden genommen. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Ludger Volmer, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin schon seit einigen Jahren in diesem Parlament. Aber ich habe noch nie eine Aktuelle Stunde erlebt, die so überflüssig war wie die heutige. ({0}) Sie ist der Sache nach überflüssig. ({1}) Morgen wird der Bundeskanzler dazu eine ausführliche Regierungserklärung abgeben. ({2}) Auch der Außenminister wird sich in aller Ausführlichkeit dazu äußern. Da kann über alles dem Grunde nach und so intensiv wie nötig diskutiert werden. Ich frage mich: Warum weichen Sie heute auf Nebenthemen aus, zum Beispiel auf die Frage, wie über diese außerordentlich komplizierte und differenzierte Angelegenheit am Wochenende in der Presse berichtet wurde? Natürlich kann man darüber reden, wie die Berichterstattung ist. Man kann darüber reden, ob es richtig ist, nach einer Recherche, bei der man dieses und jenes Element über Konsultationen, Ideen und Beratungen zusammengetragen hat, diesen dann den Stempel „deutsch-französischer Geheimplan“ aufzudrücken und einen solchen Plan - gäbe es ihn wirklich - mit dieser Aktion sofort zu torpedieren. Man kann darüber reden, aber das, glaube ich, ist das absolute Nebenthema. Ich frage mich, mit welchem Maßstab Sie diese Kritik vorbringen. Ich könnte es verstehen, wenn jemand, der wie wir, wie Rot-Grün bzw. die Bundesregierung, intensiv daran arbeitet, den Frieden zu sichern, ({3}) kritisch einwenden würde: „Ihr macht das nicht optimal und eure Kommunikationsstrategie hat manchmal Fehler.“ Eine solche Kritik würden wir uns anhören und dann würden wir versuchen, das zu verbessern. Aber das ist nicht Ihr Maßstab. ({4}) Sie haben einen völlig anderen Maßstab. Sie wollen keine bessere Friedenspolitik, sondern Sie haben hinter der Kritik an der Bundesregierung monatelang ihre eigene Haltung verborgen, ({5}) und zwar deshalb, weil Sie keine eigene hatten. Sie waren voller interner Widersprüche zwischen CDU und CSU. Auch heute noch kommen CSU-Abgeordnete zu uns und sagen: „Macht bloß weiter, wir werden in unserer Fraktion rasiert.“ Das hören wir immer wieder. ({6}) Jetzt, nach den Landtagswahlen, hat Ihre Parteivorsitzende endlich die Wahrheit aufgedeckt. Die CDU, so hat sie gesagt, steht hinter George Bush, das heißt, die CDU ist für eine Politik, durch die - so ist die Einschätzung aller Experten - eine militärische Eskalation kaum noch in letzter Minute zu stoppen ist. ({7}) Unsere Politik, die Politik der Koalition und der Bundesregierung, zielt darauf, die letzten Chancen zu nutzen, das letzte kleine Fenster zu nutzen, um den Ausbruch des Krieges zu verhindern. ({8}) Wenn es darum in der internationalen Politik geht, bleibt nur noch ein Skandal an diesem Wochenende und über diesen muss geredet werden. ({9}) Der Skandal ist, dass die CDU/CSU in dem Moment, in dem die Bundesregierung und die Koalition versuchen, den Frieden zu retten, sagt: Wir sind für die kriegerische Option. ({10}) Das ist der Skandal. ({11}) Wenn Sie sagen, Sie seien für das Bedrohungsszenario, für die Androhung eines Krieges, dann müssen Sie auch sagen: Wir sind willens, ihn zu führen und daran teilzunehmen. ({12}) Ich erwarte von Frau Merkel, dass sie morgen, wenn der Bundeskanzler seine Regierungserklärung abgibt und unsere Friedenspolitik darstellt, ({13}) ihre Strategie aufdeckt, sodass wir sie genauso intensiv und kritisch diskutieren können, wie Sie unsere Politik unter die Lupe genommen haben. Das gehört zu einem offenen und ehrlichen Diskurs. Wir lassen Ihnen nicht mehr durchgehen, dass Sie sich durch Kritteleien an einzelnen Elementen der rot-grünen Politik vor einer klaren Stellungnahme drücken, weil Sie Angst vor fundamentalem Zwist in den eigenen Reihen und davor haben, sich selber zu isolieren. ({14}) Es mag ja sein, dass Rot-Grün und die Bundesregierung in bestimmten Phasen dieser Diskussion ({15}) allein dazustehen schienen, aber urplötzlich - aus Ihrer Sicht sogar überraschend - waren wir in einer Allianz mit Frankreich. ({16}) Einen Tag später war Russland dabei. Nun sieht alles danach aus, dass China dieser Initiative beitreten wird. Es zeichnet sich die Mehrheit im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen für die Verlängerung der Mission von Blix und el Baradei ab. ({17}) Ich möchte von Ihnen morgen eine klare Aussage hören: Sind Sie für den Versuch, die Mission von Blix und el Baradei zu verlängern, oder wollen Sie Ihre Option einer direkten militärischen Eskalation sofort umsetzen? Wir verlangen morgen ein klares Wort von Frau Merkel. Danke. ({18})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Grindel, CDU/CSU-Fraktion.

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Volmer, ich habe meine Zweifel daran, ob der Bundesaußenminister die Informationspolitik am Wochenende wirklich als Nebensache empfunden hat. So wie ich ihn kennen gelernt habe, hat er sich aufgeregt, und zwar mit Recht. ({0}) Denn im „Spiegel“ am Montag war nicht nur etwas über den deutsch-französischen Geheimplan zu lesen, sondern unter der Überschrift „Beziehung mit Knacks“ auch eine Geschichte über massive Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bundeskanzler und dem Außenminister, ({1}) und das ausgerechnet, nachdem, wie jetzt bestätigt, am Donnerstagabend Gerhard Schröder im Kanzleramt mit „Spiegel“-Redakteuren gesprochen hat. So etwas ist kein Zufall. Wer die Artikel gelesen hat, kann nur zu einer Schlussfolgerung kommen: ({2}) Hier ist gezielt durchgestochen worden, und zwar vom Chef persönlich. Schröder hat Fischer mal wieder zeigen wollen, wer Koch und wer Kellner ist. Es geht in Wahrheit um taktische Winkelzüge, es geht allein um innenpolitische Ränkespiele. ({3}) Es ist offenbar völlig gleichgültig, ob außenpolitischer Schaden entsteht. Das ist der Geist von Goslar und das ist ein Ungeist. ({4}) Ein besonders jämmerliches Bild hat der Bundesverteidigungsminister abgegeben, der in der Tat am Wochenende vor einer teuflischen Alternative stand: Gebe ich zu, dass ich keine Ahnung habe, oder glaube ich dem „Spiegel“? Sozialdemokraten entscheiden sich in der Regel für die zweite Alternative. ({5}) Struck am Samstag zu Blauhelmen: „Da ist was dran.“ Struck am Sonntag zu Blauhelmen: „Zum Umfang kann ich nichts sagen.“ Struck am Montag zu Blauhelmen: „Das entspricht nicht der Realität.“ Meine Damen und Herren, wir haben es hier mit einem Abgrund an Unwissenheit zu tun. ({6}) Der Kollege Gernot Erler hat dazu sehr einfühlsam gesagt: „Solche Pläne können nur in sehr kleinem Kreis besprochen werden. Da kann nicht jeder über alles Bescheid wissen.“ ({7}) Ich weiß nicht, wer zu dem kleinen Kreis gehört hat. Der Bundesaußenminister jedenfalls nicht und auch nicht der Bundesverteidigungsminister, ({8}) obwohl es immerhin um den Blauhelmeinsatz von Bundeswehrsoldaten ging. Das ist ja keine Kleinigkeit. Der Außenminister wird vom „Spiegel“ und nicht vom Bundeskanzler informiert. Politiker mit Charakter würden angesichts einer solchen Behandlung anfangen, sich zu überlegen, ob sie dem Kanzler nicht die Brocken vor die Füße werfen. ({9}) Zumindest hätte der Außenminister, Frau Kollegin Roth, zu diesem deutsch-französischen Geheimplan sagen können: Forget it! Zumindest das hätte er sagen können. ({10}): Hat der Herr Glos Ihnen das alles aufgeschrieben?) Bevor wir jetzt zu viel Mitlied mit dem Verteidigungsminister bekommen, muss man darauf hinweisen, dass wir jetzt sehen, was passiert, wenn wichtige Regierungsämter nicht nach fachlichen Gesichtspunkten, sondern ausschließlich nach parteitaktischem Kalkül besetzt werden. Herr Struck hat eben wie ein Fraktionsvorsitzender, wie ein braver Parteisoldat, und nicht wie ein verantwortungsbewusster oberster Dienstvorgesetzter unserer Bundeswehrsoldaten reagiert, ({11}) der sich an Fakten orientiert und auch einmal den Mut hat, zu widersprechen, wenn Pläne vorgelegt werden, die fachlich sehr fragwürdig sind. ({12}) Auch in meinem Wahlkreis machen sich die Menschen wegen der Entwicklung im Irak Sorgen. Ich glaube, dass es vielen Bürgern nicht leicht fällt, sich zwischen all den Resolutionen, den Plänen, dem Sicherheitsrat, dem NATO-Rat, den Beistandspflichten und den Inspekteuren zurechtzufinden. Die Menschen wollen jetzt politische Führung. Sie wollen Orientierung. Sie haben es nicht verdient, dass man mit ihren Sorgen politische Geschäfte macht wie der, der diesen angeblichen Alternativplan im „Spiegel“ platziert hat. Dies ist ein fragwürdiger Regierungsstil, der mit den Menschen spielt. ({13}) Ich finde es richtig, dass meine journalistischen Berufskollegen nicht nur solche angeblichen Alternativpläne transportieren, sondern jetzt auch aufdecken, welche Interessen dahinter stecken, wenn ihnen solche Pläne verkauft werden. Es ist gut, dass wir heute nachlesen können, was der Bundeskanzler am Montag der SPD-Fraktion gesagt hat. Er hat gesagt, an der Irakfrage entscheide sich vieles für die SPD und auch für ihn. ({14}) Nein, es geht nicht um die Sicherheit seines Kanzlerstuhls, sondern um die Sicherheit der Menschen gerade auch in unserem Land. Es geht um nationale Interessen und nicht um Machterhalt. Wir müssen in der Debatte die Maßstäbe mal wieder zurechtrücken. ({15}) Joschka Fischer hat am Wochenende - da wusste er von seinen Mitarbeitern bereits, was am Donnerstag im Kanzleramt zwischen Schröder und dem „Spiegel“ gelaufen war - auf der Münchner Konferenz gesagt: „Auch die Deutschen müssen zugeben, dass sie nicht immer die Weisheit mit Löffeln gefressen haben.“ Gerade mit Blick auf die Bundesregierung muss man sagen: Wo der Mann Recht hat, hat er Recht. ({16})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Grindel, ich gratuliere Ihnen recht herzlich zu Ihrer ersten Rede hier in diesem Hohen Hause und wünsche Ihnen alles Gute. ({0}) Nächste Rednerin ist die Kollegin Uta Zapf, SPDFraktion.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss sagen, ich bin schockiert, ich bin tief erschüttert ({0}) über die Art und Weise, wie Sie bei dem so ernsten Thema „Krieg und Frieden“ hier sitzen, lachen und verdammte Späße machen und ganz offensichtlich überhaupt nichts kapiert haben. ({1}) - Sie können noch so viel brüllen. Angesichts dessen, dass jemand wie Herr Glos sagt: „außenpolitisches Dilemma ohne Beispiel“, „Spaltung Europas“, „Schädigung der NATO“ - Frau Merkel sagt: „Verantwortungslosigkeit“ -, sage ich Ihnen: Diese Regierung versucht mit allen Möglichkeiten, die ihr zur Verfügung stehen, ({2}) einen Krieg abzuwenden. ({3}) - Das glaube ich sehr wohl, lieber Herr Merz. ({4}) Wenn Sie ab und zu auch andere Zeitungen lesen würden, dann kämen Sie nicht auf die idiotische Idee, dass dies, wie der „Spiegel“ zitiert hat, ein Geheimplan gewesen sei. ({5}) Frankreich hat diesen so genannten Geheimplan am 5. Februar im Sicherheitsrat vorgetragen. ({6}) Herr Fischer hat daneben gesessen. ({7}) - Das hat er nicht dementiert. Herr Fischer hat daneben gesessen und hat zum großen Entsetzen von Herrn Powell genickt und so deutlich gemacht, dass er den Plan gut findet. ({8}) Am 11. Februar ist in der „Times“ der volle Wortlaut der Vorschläge erschienen, die am 10. Februar Blix und el Baradei übergeben worden sind. Sie nennen dies eine angebliche Alternative, Herr von Klaeden. Das ist keine angebliche Alternative; es ist vielmehr ein sehr kluger Plan. ({9}) Herr Blix und Herr el Baradei haben gesagt, sie bräuchten zum einen mehr Zeit. Diese Initiative ist richtig, da dadurch den Inspektoren mehr Zeit gegeben wird. Sie haben zweitens noch intensivere Inspektionen gefordert. Dann ist der Plan wiederum richtig, denn er gewährt eine höhere Zahl von Inspektionen. Darüber hinaus werden weitere Rahmenbedingungen geschildert, die mit einer besseren Ausstattung mit Technologie und ähnlichem zu tun haben. ({10}) - Von Blauhelmen steht überhaupt nichts darin. Ich sage Ihnen, woher der Vorschlag des Einsatzes von Blauhelmen kommt: ({11}) Deren Einsatz ist in einem Konzept der Carnegie Foundation der Amerikaner aufgetaucht und ist im Sicherheitsrat auch diskutiert worden. ({12}) Der Einsatz von Blauhelmen ist in diesem Bereich als nicht dienlich befunden worden. ({13}) - Ich kann doch nichts dafür, wenn Journalisten des „Spiegel“ unseriös berichten, Herrgott noch mal! ({14}) Sie wissen doch ganz genau, wie diese Berichte entstehen. Da wird zusammengemischt, was überhaupt nicht zusammengehört. ({15}) Meine Damen und Herren, wir müssen, weil wir alle wissen, welche Folgen kriegerische Auseinandersetzungen in dieser Region haben werden, alles daran setzen, diesen Krieg zu vermeiden. Gleichzeitig müssen wir erreichen, dass Saddam Hussein nachweislich keine Massenvernichtungswaffen besitzt. ({16}) Ich glaube, dass dazu dieser von Ihnen so lächerlich gemachte Alternativplan in der Tat ein Weg wäre. ({17}) Ich hoffe, dass dieser Plan eine Chance bekommt, damit der Frieden in unserem Land und der ganzen Welt gewahrt bleibt. Es gibt doch eine Diskussion darüber, welche Folgen dies alles in der Region hat und welche Folgen es insgesamt in der Auseinandersetzung um den Terrorismus und in der Frage, ob es die Antiterrorkoalition sprengt, hat. Welche Folgen hat das zum Beispiel in Bezug auf die islamische Welt? Wir provozieren einen Kulturkampf, den wir eigentlich vermeiden wollen. Wir müssen alles nutzen, was uns zur Verfügung steht, wir müssen eine Politik der Prävention betreiben. Das ist der Weg, den wir gehen müssen. Noch eine Anmerkung. Herr Volmer hat bereits darauf hingewiesen, wie der Grundsatz dieser Regierung lautet. Sehen Sie einmal in die Koalitionsvereinbarung hinein. Zur wirtschaftlichen Frage. Sie in der Opposition wissen doch, dass ein solcher Krieg weltwirtschaftliche Auswirkungen hat, die wir uns überhaupt noch nicht vorstellen können. Auch das ist vielleicht ein Grund, dem Frieden eine Chance zu geben. Diese Chance haben wir durch den Einsatz der Inspektoren und durch die jetzt möglichen Überflüge über Irak. Ich glaube, es ist nicht verantwortungslos, eine solche Initiative zu unterstützen. Im Übrigen: Es gibt gerade einmal vier Länder im Sicherheitsrat, die dem ablehnend gegenüberstehen. Die anderen Länder stehen einer solchen Strategie positiv gegenüber. Ich hoffe, dass die Diskussionen im Sicherheitsrat jetzt und nach dem 14. Februar dazu führen werden, dass wir diese Chance wirklich nutzen. Danke schön. ({18})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Christian Schmidt, CDU/CSU-Fraktion.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Zapf, ich empfehle Ihnen, die Beurteilung der Gesichtsausdrücke zukünftig zu unterlassen, sonst fiele mir zur Ernsthaftigkeit der Diskussion, der Form der Diskussion und des Zustandes manches ein, was ich über Rot-Grün hier aber nicht sagen will. ({0}) - Ich muss schon sagen: Allein das Erhellende des unsäglichen Beitrags des ausgeschiedenen Staatsministers aus dem Auswärtigen Amt macht diese Debatte schon hörens-, lesens- und erlebenswert. ({1}) Diese Form kann nur so bezeichnet werden, wie es HansUlrich Jörges im neuen „Stern“ getan hat. Er sagt: „Sie bringen die Weltordnung ins Wanken. Amateure, Dilettanten zuweilen, die ihre Kugeln übers diplomatische Parkett donnern wie Bowlingspieler und dann staunend zuschauen, welche Kegel sie umgerissen haben.“ Das ist die Ernsthaftigkeit. Es geht um den Frieden. Frau Zapf, nach den ganzen Legendenbildern hat es einen Geheimplan nicht gegeben. Zugegeben: Er war für Sie sicherlich so geheim, dass Sie ihn nicht gekannt haben. Es stimmt ja vielleicht, dass es keinen Geheimplan gegeben hat. Sie müssen sich dann aber schon entscheiden. Der Bundesverteidigungsminister - nicht irgendein von Ihnen neuerdings angegriffener „Spiegel“-Journalist hat in einem Interview mit Reuters am 9. Februar auf die Frage, ob die Initiative Blauhelme mit einschließt, Folgendes geantwortet - ich zitiere -: Struck bestätigte auch, dass die deutsch-französische Initiative den Einsatz von UNO-Blauhelmsoldaten zur Entwaffnung Iraks vorsieht. ({2}) Er schloss zudem eine deutsche Beteiligung daran nicht aus. Es sei unklar, wie viele Blauhelmsoldaten die UNO nach Irak entsenden würde, wenn ein solcher Beschluss gefasst werde, sagte er. Struck sagte ferner, dass unter ihrer Aufsicht die Massenvernichtungswaffen des Landes zerstört werden sollten. Zur Blauhelmtruppe sagte er: Wir könnten uns daran schon beteiligen. ({3}) Am 10. Februar sagte Bela Anda - das muss die Veranstaltung gewesen sein, auf der er immer nach unten geblickt hat; er wollte nicht nach oben schauen, weil er nicht ins Auge der Journalisten blicken wollte - auf die Frage - ({4}) - Die Sache ist wirklich zu ernst, als dass Sie sie wie das 325-Euro-Gesetz behandeln können. ({5}) Wir waren hier. Ihr Bundeskanzler ist in einer Woche viermal - also fast jeden Tag - mit einer jeweils anderen Er1854 klärung daher gekommen, weil er nicht wusste, von was er redete. Er hat den Finger in den Wind gesteckt. Ich behaupte, dass die Themen - es ging zunächst um die Arbeitsplätze, heute geht es um den Frieden in der Welt nicht seine erste Priorität haben. Er will in die Presse und in die Medien; er will Stimmung machen. Das ist für einen Bundeskanzler unerträglich. ({6}) Auf die Frage, ob dazu ein Blauhelmeinsatz notwendig sei, erklärte der Regierungssprecher Bela Anda, die Frage stelle sich nicht, weil es darum gehe, dass der Irak vollständig zu kooperieren habe. Lassen Sie nicht nur die Weltöffentlichkeit, sondern auch uns darüber eine Minute nachdenken. Was sagt der Regierungssprecher? Der Bundeskanzler hat es übrigens wortgleich im „Stern“-Interview wiederholt. ({7}) Er sagt: Also schloss ich messerscharf, dass nicht sein kann, was nicht sein darf; denn - damit hat er Recht - nach der Resolution 1441 und 16 anderen Resolutionen hat er zu kooperieren. Allein, Herr Bundeskanzler, Herr Regierungssprecher, die Realität ist eine andere - deswegen gibt es 16 Resolutionen -: Herr Saddam Hussein kooperiert nicht. ({8}) - Ich gebe zu, dass ich das schlecht beurteilen kann, der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen kann dies aber sehr wohl. ({9}) - Wollen Sie bitte einmal die Resolution 1441 lesen! Wollen Sie bitte die Öffentlichkeit ernsthaft darüber informieren, was ist! ({10}) - Mit Ihnen da hinten rede ich gleich überhaupt nicht. Sie fragen, was ich will. Wir sind uns alle darüber einig, dass es ideal wäre, wenn Saddam Hussein, ohne dass ein Schuss fällt oder eine Kugel fliegt, seinen Verpflichtungen, die seit dem Jahre 1990 sehr genau dokumentiert sind, nachkommen würde - nach Auffassung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, das ist unsere Vertretung der Weltgemeinschaft, gefährdet er aber den Weltfrieden - und bereit wäre, ein Quasi-Protektorat in seinem Land zuzulassen. Wenn Sie das jemals gewollt haben, dann haben Sie das mit der Art und Weise, in der dieser so genannte Plan, bevor er überhaupt zu Ende gedacht war, mit all seinen Widersprüchen in der Öffentlichkeit dargestellt wurde - ich erinnere an das Beispiel mit der Bowlingkugel -, kaputtgemacht. Deswegen behaupte ich: Mit der Politik, die Sie machen, bringen Sie uns der militärischen Auseinandersetzung näher als dem Frieden. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ursula Mogg, SPDFraktion.

Ursula Mogg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002739, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, dass dieses Haus es verdient hätte, dass wir über die Fragen von Krieg und Frieden in großer Ernsthaftigkeit miteinander diskutieren. ({0}) Sehr geehrter und geschätzter Kollege Schmidt, wir kennen uns lange genug, sodass ich Ihnen sagen kann: Ich finde es schwer erträglich, wie Sie sich um Polemik bemühen. ({1}) Es ist in den Redebeiträgen der Kolleginnen und Kollegen sehr viel über die inhaltlichen Fragen diskutiert worden, über einen deutschen bzw. einen europäischen Ansatz zu einer friedlichen Lösung des Irakproblems. Ich möchte zwei Punkte herausarbeiten, die mich persönlich in dieser Diskussion sehr bewegen. Es geht um Angriffe vonseiten der Opposition. Ich halte es für falsch, dass Sie wider besseres Wissen fortgesetzt behaupten, die deutsche Regierung und die Koalition seien ins Abseits geraten. ({2}) Eine große Mehrheit der Deutschen teilt unsere Haltung. Im Übrigen wird unsere Haltung auch von einer Reihe von Mitgliedern Ihrer Partei geteilt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition. ({3}) Eine wachsende Zahl in der europäischen Bevölkerung ist unserer Ansicht. ({4}) Auch in den USA gibt es jenseits der Intellektuellen und Künstler viele Menschen, die anders denken als ihre Regierung. Diese Haltung setzt sich auch im Senat und im Repräsentantenhaus fort. ({5}) Christian Schmidt ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, wir befinden uns - vielleicht nehmen Sie dieses Argument besonders ernst - in Übereinstimmung mit der Haltung des Papstes. Vielleicht können Sie einmal nachlesen, was er zum Irakkonflikt gesagt hat. ({7}) - Ich habe gerade die Künstler und Intellektuellen genannt. Nicht weit von diesem Hohen Haus entfernt kann man mit diesen Menschen über ihre Haltung zu diesen Fragen diskutieren. Es ist mir auch ein großes Anliegen, in diesem Hause Ihren Vorwurf zu diskutieren, Deutschland stünde nicht zu seinen internationalen Verpflichtungen. Das ist abgrundtief falsch. Als ich 1998 Mitglied des Verteidigungsausschusses wurde, standen deutsche Soldaten schon in Bosnien. Nach vier Jahren stehen deutsche Soldaten nicht nur in Bosnien, sondern auch im Kosovo, in Mazedonien, am Horn von Afrika, in Kuwait und Afghanistan tragen sie Verantwortung für den Frieden und für die Menschen. Das sind nur die wichtigsten Engagements der Bundesregierung und der Bundeswehr. Deutsche Soldaten bewachen amerikanische Einrichtungen in Deutschland. ({8}) Wir stehen zu unserer Verantwortung im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Das tut nicht nur der Bundeskanzler, sondern das tun auch der Außenminister, der Innenminister und der Verteidigungsminister. Der Bundeskanzler hat in diesen Fragen - Sie werden sich an diese Diskussion erinnern - das gezeigt, was man in den USA Leadership nennt. Vielleicht beziehen Sie auch das einmal in Ihre Überlegungen ein. ({9}) Wir leisten wesentliche Beiträge zur Stabilisierung demokratischer Strukturen auf dem Balkan und auch in Afghanistan. Es soll an dieser Stelle - das zu betonen darf ich mir als Mitglied des Verteidigungsausschusses erlauben - nicht unerwähnt bleiben, dass diese internationalen Engagements der Bundesrepublik Deutschland von deutschen Soldaten und ihren Familien einen höchstpersönlichen Beitrag abverlangen. Wir diskutieren auch in anderen Zusammenhängen über diesen Beitrag, den die Soldaten und ihre Familien ganz persönlich zu leisten haben ({10}) und den wir als Parlament ihnen abverlangen. Lassen Sie es mich deshalb folgendermaßen zusammenfassen: Streiten Sie mit uns gemeinsam für eine nicht militärische und friedliche Lösung und für eine Entwaffnung des Irak! ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Kollegin Mogg, Sie haben mehr Stil in unserer Diskussion über Krieg und Frieden angemahnt und meinten, dieses Thema verdiene etwas mehr Ernsthaftigkeit. Dass dabei etwas schief gelaufen ist, ist offensichtlich allen klar. Aber die Frage ist doch, ob das Thema Krieg und Frieden instrumentalisiert wird, um damit Wahlkampf zu machen. Jetzt sind wir noch eine Stufe weiter: Jetzt wird das Thema Krieg und Frieden instrumentalisiert, um innerhalb der Regierung und der Koalitionsfraktionen persönliche Grabenkämpfe auszutragen. ({0}) Die Art und Weise, wie Sie das dargestellt haben, ist peinlich. Wenn ich Ihre Rede zusammenfasse, Frau Kollegin Zapf, dann haben Sie festgestellt: Es gibt keinen Plan, aber dieser Plan war sehr gut. ({1}) Viele Vorredner haben auf das, was in München geschehen ist, Bezug genommen. Zunächst kam die Agenturmeldung. Der Bundesverteidigungsminister bestätigte, dass es diesen Plan gibt. Von Senatoren aus den Vereinigten Staaten nach diesem Plan gefragt, sagte er: Ja, es gibt den Plan, aber ich kann jetzt noch nichts dazu sagen; das wird der Bundeskanzler am nächsten Donnerstag in seiner Regierungserklärung machen. Der Bundesaußenminister weiß offensichtlich von nichts, lässt aber durch seine Mitarbeiter streuen, dass er über den Ablauf nicht amüsiert ist. Im Flugzeug auf dem Weg nach Kabul erzählt Struck dann doch Einzelheiten - der Kollege Grindel hat es vorhin bereits dargelegt -, weil er über die Veränderungen in Berlin noch nicht informiert war. Herr Erler, Sie haben in dem Sender „Phoenix“ festgestellt, dass es keinen Plan gegeben hat, (Gernot Erler [SPD]: Keinen Geheimplan, habe ich gesagt! - Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist etwas anderes! - keinen Geheimplan -, sondern der „Spiegel“ habe seine Informationen beliebig aus der Politik der Vereinten Nationen der vergangenen 15 Jahre zusammengetragen. Frau Zapf, Sie haben wörtlich gesagt, der „Spiegel“ habe unseriös berichtet. Es gibt in der Tat nur zwei Alternativen: Entweder haben die „Spiegel“-Redakteure unseriös berichtet oder aber die Bundesregierung hat unseriös gehandelt. ({2}) Das wollen wir herausbekommen. Wir wollen wissen, ob es in Deutschland Journalisten gibt, die mit einem solchen Berufsethos und auf eine so unseriöse Art und Weise mit der Frage Krieg und Frieden umgehen. Sie haben gesagt, Herr Meckel, es sei schade, dass es in Europa mangelnde Solidarität gebe und dass leider acht Staats- und Regierungschefs aus der Reihe getanzt sind und sich in einer Erklärung mit der Politik der Vereinigten Staaten solidarisiert haben. ({3}) Die Unsolidarität bestand doch aber darin, dass Deutschland und Frankreich den Eindruck erweckt hatten, sie sprächen für Europa, sie könnten Europa majorisieren. Später hat Deutschland den Eindruck erweckt, es spräche für Frankreich. Frankreich hat sich umgehend, noch bevor der „Spiegel“ veröffentlicht wurde, distanziert. Es gab ein offizielles Dementi. Warum aber hat Frankreich den Geheimplan dementiert, wenn es einen solchen Plan nicht gegeben hat? ({4}) Der Außenminister hat vor zweieinhalb Jahren in der Humboldt-Universität in Berlin eine bemerkenswerte Rede über die künftige Integration Europas gehalten. Er hat vor allem auch darüber gesprochen, wie wichtig es ist, dass Europa außenpolitisch handlungsfähig wird. Herr Außenminister, es ist das Ergebnis Ihrer Politik, dass Europa gespalten ist und als außenpolitischer Akteur keine Rolle spielt. Im Gegenteil: Wir haben große Rückschritte in die Zeit vor Ihrer Rede in der Humboldt-Universität gemacht. ({5}) Herr Volmer, Sie betreiben seit Jahren eine bloße Friedensrhetorik. Das bezeichnen Sie als Politik. Politik ist aber das, was man aktiv für den Frieden tut, ({6}) und nicht das, was man über den Frieden redet. Sie gehören zu einer Generation mit einer Geisteshaltung, die sich abgefunden hat mit dem Kalten Krieg, ({7}) die sich seinerzeit mit der Erpressbarkeit durch sowjetische Raketen abgefunden hat. ({8}) Sie sind vor 20 Jahren Sturm gelaufen gegen den NATODoppelbeschluss. ({9}) Sie zeigen eine Geisteshaltung, die sich mit der Zweiteilung Europas abgefunden hatte. Sie waren für zwei deutsche Staaten und haben es als gegen den Frieden gerichtete aggressive Politik bezeichnet, die Wiedervereinigung zu wollen. ({10}) In genau der gleichen Geisteshaltung finden Sie sich heute ab mit der Erpressbarkeit durch Massenvernichtungswaffen in den Händen von Terroristen und Diktatoren. ({11}) Wenn Sie für Multilateralismus sind, wenn Sie für den Frieden sind, dann ist es höchste Zeit, die Autorität der Vereinten Nationen wieder herzustellen, die dadurch schwer beschädigt ist, dass man zwar Resolutionen will, die Umsetzung der Resolutionen aber als Aggression bezeichnet. Sie verwechseln denjenigen, der seit Jahren massiv gegen den Frieden vorgeht, mit dem, der den Frieden wiederherstellen will. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Thomas Strobl, CDU/CSU-Fraktion.

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Zapf hat auf meinen Zwischenruf „Lügt der ‚Spiegel‘?“ uns wissen lassen: Der „Spiegel“ hat die Unwahrheit geschrieben. ({0}) Die Frage ist nur, warum der Bundesverteidigungsminister zunächst die Berichte des „Spiegel“ bestätigt hat. Das ist auch eines der Probleme, derentwegen wir heute diese Aktuelle Stunde beantragt haben. ({1}) Das ist aber nicht das eigentliche Problem, sondern das eigentliche Problem besteht darin, dass der deutsche Bundeskanzler offensichtlich lieber mit „Spiegel“-Redakteuren redet ({2}) als mit den Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion. Das ist im Übrigen nichts Neues. In früheren Zeiten war es auch schon so, als der Bundeskanzler sich wichtigen Problemen der Wirtschaftspolitik und der Arbeitsmarktpolitik zugewandt und Sie über den „Spiegel“ aufgeklärt hat, beispielsweise über Hartz, Rürup oder Gerster. Diese Tatsache, liebe Kolleginnen und Kollegen, will ich zum Anlass nehmen, einmal etwas zum Selbstverständnis von Ministern, aber auch von Abgeordneten zu sagen. Artikel 38 Abs. 1 des Grundgesetzes besagt: Abgeordnete sind nur ihrem Gewissen unterworfen. Da wundere ich mich schon, wenn 50 Jahre Staatsräson auf dem Marktplatz von Goslar preisgegeben werden, ({3}) Thomas Strobl ({4}) wenn in einer Rotweinrunde mit „Spiegel“-Redakteuren deutsche Außenpolitik gemacht wird. ({5}) Der Außenminister schweigt dazu - ich hoffe, er kriegt kein Magengeschwür -, der Verteidigungsminister schwadroniert daher und die SPD-Fraktion pariert, einer wie der andere - mit wenigen Ausnahmen, Herr Kollege Erler und Herr Kollege Klose. ({6}) Parlamentarier sollten sich nicht wichtiger nehmen, als sie sind, Frau Kollegin Roth. ({7}) Aber sie sollten sich etwas wert sein. Und dann sollte man nicht so verfahren, wie Sie hier mit sich verfahren lassen. Die SPD-Fraktion gleicht einem Plenum politischer Pygmäen, aber Abgeordnete, die sich etwas wert sind, stellen sich anders dar. ({8}) Eigentlich könnte die Opposition Freude am Dilettantismus der Bundesregierung haben. ({9}) Die Landtagswahlen geben ja auch durchaus Anlass zur Freude. Aber, Herr Kollege Erler, die Sache ist schon zu ernst, als dass man nur Freude daran haben kann. Die innenpolitischen Probleme sind riesengroß, 4,5 Millionen Arbeitslose, beim Wirtschaftswachstum Schlusslicht in der Europäischen Union und, und, und. Aber fast noch schlimmer ist, dass dieser Bundeskanzler jetzt auf dem Feld der Außenpolitik weiter dilettiert, um die innenpolitischen Probleme zu übertünchen. München ist an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Die außenpolitischen Kapriolen und die Beliebigkeit des Bundeskanzlers sind ebenfalls nicht zu überbieten. Das Problem für die Bundesrepublik Deutschland ist nicht, dass der Bundeskanzler seinen Bundesaußenminister zum Deppen macht und dass er ihm den diplomatischen Boden unter den Füßen wegzieht - manchmal habe ich den Eindruck, Herrn Fischer hat es auch die Hosen ausgezogen; jedenfalls steht er ohne Hosen da, was ein wenig erfreulicher Anblick ist -, ({10}) sondern ist der riesengroße außenpolitische Schaden, der unserem Land entsteht, weil in der Außenpolitik beliebig weiter dilettiert wird. ({11}) Bundesaußenminister Fischer, der ja, wenn ich mich richtig erinnere, einmal Ihr Chef war, Herr Volmer, ({12}) hat an dieser Stelle einmal gerufen - ich glaube, er hat damals den Bundeskanzler gemeint -: Avanti dilettanti! Das möchte ich wiederholen: Avanti dilettanti! ({13}) Besten Dank. ({14})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001069, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Letzter Redner in dieser Debatte ist Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg, CDU/CSU-Fraktion.

Karl Theodor Guttenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch nach dieser Debatte wird deutlich, dass die letzte erkennbare Tradition unserer derzeitigen Außenpolitik das taumelnde Beschreiten von Sonderwegen bleibt. Kalt lächelnd und lediglich einem innenpolitischen Kalkül unterworfen, werden Sonderwege zum diplomatischen Prinzip erhoben, allerdings zu einem Prinzip verantwortungslosen Handelns, wie es in der Nachkriegsgeschichte beispiellos ist. ({0}) Mit einem Handstreich werden die Autorität, die Handlungsfähigkeit und das Vertrauen internationaler Bündnisse unterwandert und erlangen Begriffe wie „Isolation“ und „Irrelevanz“ bitterste Tagesaktualität. ({1}) Die Sonderwege, die Sie, Frau Roth, beschreiten, führen vorbei an der unverzichtbaren transatlantischen Freundschaft, ({2}) vorbei an der engen Partnerschaft und der bisherigen gegenseitigen Verlässlichkeit innerhalb der NATO und vorbei an den Bestrebungen, eine gemeinsame europäische Außenpolitik zu etablieren. Die enge Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten und eine verlässliche europäische Zusammenarbeit werden auf dem Altar der Verhöhnung gewachsener außenpolitischer Strukturen dieses Landes geopfert. ({3}) Die Außendarstellung des vergangenen Wochenendes ist letztlich nur ein weiterer Gipfel der diplomatischen Geisterfahrten. Angesichts dessen darf man fragen, wo der Bundesaußenminister sitzt. Ich glaube, er bleibt willfähriger Beifahrer, bevor er sich nicht entsprechend von den Dingen distanziert, über die man von Dritten erfährt, dass sie ihm eigentlich nicht passen. ({4}) - Richtig, ein Geisterfahrer. ({5}) Herr Volmer, das alles erinnert mich an eine Geisterfahrt ohne Rückspiegel - Sie hätten nur einen Rückspiegel, wenn Sie auch historische Errungenschaften und Zusammenhänge erkennen würden -, ohne Bremse und mit durchgetretenem diplomatischen Gaspedal, den größten außenpolitischen Unfall - Stichwort „NATO“ - kühl kalkulierend. Dieses Kalkül mag bei einigen seine Wurzeln in den 68er-Jahren haben. ({6}) Dabei wird ein Tonfall an den Tag gelegt, der sich, Frau Roth, nahtlos in die Diktion einiger während der Debatte über den NATO-Doppelbeschluss einreiht. ({7}) Kollege Schockenhoff hat mit seiner Beschreibung der nahezu ideologischen Stufenleiter Recht: Man hat sich mit der deutschen Teilung, mit der Erpressbarkeit durch Massenvernichtungswaffen und letztlich mit der Spaltung der NATO und der Europäischen Union sowie mit dem Zusammenbrechen bzw. zumindest mit der Schwächung der Vereinten Nationen abgefunden. ({8}) Sehr interessant ist, was die zwangsläufige Folge wäre, Frau Roth, wenn Sie aus innenpolitischem Kalkül zu einer klaren Verweigerung des notwendigen Beistands in Bündnissen kämen. Die Folge wäre eine Renationalisierung unserer Außen- und Sicherheitspolitik. Das stünde nun wirklich im Widerspruch zu allem, was Deutschland nach 1945 aus der Geschichte gelernt haben sollte und gelernt haben muss. Zum Scheitern verurteilte Aktionismen wie die vom vergangenen Wochenende vermögen diese Gefahr auch nicht aufzuheben. In Ihrer Koalitionsvereinbarung - das ist schon eine Weile her - steht mehrfach, die Bundesregierung setze auf internationale Zusammenarbeit und auf multinationale Organisationen. ({9}) Der Staub der Zeitgeschichte hat sich erstaunlich schnell auf dieses große Werk gelegt ({10}) ein diplomatischer Steinbruch, in dem die Regierung täglich aufs Neue scheinbar spielerisch neues Dynamit in die Hand nimmt, ohne sich dabei an irgendwelche Spielregeln zu halten. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 13. Februar 2003, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.