Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/29/2003

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Jahreswirtschaftsbericht 2003. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement.

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005291

Die Bundesregierung hat heute den Jahreswirtschaftsbericht 2003 verabschiedet. Er steht unter dem Motto: Allianz für Erneuerung - Reformen gemeinsam voranbringen. Die zentrale Botschaft dieses Berichtes lautet, dass das Jahr 2003 zum Jahr der entscheidenden wirtschaftsund finanzpolitischen Weichenstellungen werden muss. Es muss uns in diesem Jahr gelingen, die Wachstumsdynamik der Wirtschaft zu stärken, ein höheres Wachstumspotenzial zu erschließen und das Wachstum beschäftigungswirksamer zu machen; das heißt, wir müssen den Weg ebnen, damit wir ein höheres Wachstum bekommen, und müssen dafür sorgen, dass aus diesem wirtschaftlichen Wachstum schneller und mehr Arbeitsplätze entstehen. Ich komme zu den Daten des Jahreswirtschaftsberichtes. Die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen für die kommenden Monate stellen sich eher schwierig dar. In unserer Projektion für das Jahr 2003 rechnen wir mit einem realen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts im Jahresdurchschnitt um rund 1 Prozent. Die Zahl der Erwerbstätigen wird im Jahresdurchschnitt wahrscheinlich ein halbes Prozent unter dem Durchschnitt des Jahres 2002 liegen. Die Zahl der Arbeitslosen wird zunächst voraussichtlich leider ansteigen. Im Jahresdurchschnitt wird sie nach dieser Prognose rund 4,2 Millionen erreichen und damit den Stand des Vorjahres übertreffen. Im Vorjahr lag sie im Durchschnitt bei 9,8 Prozent; in diesem Jahr wird sie nach dieser Prognose bei 10 Prozent liegen. Mit der Belebung der Konjunktur und dem allmählichen Wirksamwerden der Arbeitsmarktreformen wird die Zahl der Arbeitslosen in der zweiten Jahreshälfte zurückgehen. Zum Jahresende 2003 dürfte sie unter dem Stand am Ende des Jahres 2002 liegen. Im Klartext heißt das: Die Durststrecke auf dem Arbeitsmarkt ist noch nicht überwunden. 2003 wird ein Jahr der Entscheidung, in dem wir alle, die Bundesregierung, die Politik insgesamt, Arbeitgeber und Gewerkschaften, in höchstem Maße gefordert sind, alles zu tun, um die Zahl der Arbeitslosen so rasch wie möglich zunächst unter die 4-Millionen-Marke zu drücken und dann weiter zu senken. Bei all dem gibt es aber auch Konjunkturindikatoren, die erste Lichtblicke verheißen. Zu nennen sind zum Beispiel die Zahl der Auftragseingänge, die Kapazitätsauslastungen, die Produktion, die im November 2002 merklich angestiegen ist, sowie die Stimmungsverbesserung beim Konjunkturindikator des ZEW und beim Ifo-Geschäftsklimaindex, der erstmals seit acht Monaten eine leichte Verbesserung aufweist. Darüber hinaus können wir moderat zunehmende Lohnstückkosten, eine verhaltene Nachfrageentwicklung und eine Höherbewertung des Euro verzeichnen. Das bedeutet, die Gefahren sind insgesamt eher zurückgegangen. Dafür, dass es in diesem Jahr, wenn auch nur sehr verhalten, zu einer wirtschaftlichen Erholung kommen wird - prognostiziert ist 1 Prozent -, sprechen insgesamt günstige Rahmenbedingungen. Wir nehmen an, dass die weltwirtschaftliche Dynamik zunehmen wird, dass die Exporte die Binnennachfrage und die Binnenkonjunktur anstoßen werden, dass die kurz- und langfristigen Nominalzinsen niedrig bleiben werden, dass die Lohnstückkosten nur moderat zunehmen werden - wir rechnen mit 1 Prozent nach 0,9 Prozent im vergangenen Jahr -, dass die Inflationsrate mit etwa 1,5 Prozent niedrig bleibt und dass sich die Gewinnaussichten der Unternehmen insgesamt verbessern werden. Alles in allem bewegen wir uns mit unserer Schätzung des Wachstums, von dem wir ausgehen, dass es moderat steigen wird, im Rahmen der Schätzungen der nationalen Experten. Die Prognosen der deutschen Experten gehen allesamt von einem realen Wachstum von 0,6 Prozent bis 1,1 Prozent aus. Im Jahre 2003 wird es also ganz verhalten wieder aufwärts gehen. Dies kann allerdings nur unter der Voraussetzung geschehen, dass es zu keiner kriegerischen Entwicklung im Irak kommt. Ich denke, wir alle hoffen, dass es dort nicht zu einem Krieg kommt. Die Auswirkungen einer kriegerischen Entwicklung sind für die Wirtschaftsprognostiker unkalkulierbar. Diese sind jedoch nicht an erster Stelle gefragt, wenn es um das Risiko eines Krieges geht. Es geht um die Menschen und um die Region. Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, das ist die Situation. Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Minister. - Zunächst werden jetzt Fragen zum Themenbereich, über den soeben berichtet worden ist, gestellt. Als Erste hat sich die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch gemeldet.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, mich würde interessieren, welche Auswirkungen die Steuerreform auf das Wirtschaftswachstum im Jahre 2002 hatte und ob die Bundesregierung feststellen konnte, dass die Kapitalgesellschaften, die durch diese Steuerreform besonders begünstigt wurden, mehr Investitionen getätigt und mehr Arbeitsplätze geschaffen haben als in den Vorjahren.

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005291

Frau Kollegin, das kann ich nicht dezidiert beantworten. Die wirtschaftliche Entwicklung ist so, wie ich sie geschildert habe, nämlich sehr verhalten. Im vergangenen Jahr betrug das Wachstum 0,2 Prozent. Die Unternehmen haben in den Exportsektor enorm investiert; dort haben sie große Erfolge. Wir sind unverändert Exportvizeweltmeister. Eine solche Differenzierung, wie Sie sie beschreiben, ist nur schwer möglich. Wenn man das Exportwachstum herausrechnet, erkennt man, dass es im letzten Jahr in der Binnenwirtschaft ein Minuswachstum in Höhe von 1,3 Prozentpunkten gab. Das ist die reale Lage. Ich glaube, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung nicht in die einzelnen Instrumente, die sie angesprochen haben, ausdifferenzieren lässt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächstes hat der Kollege Hans Michelbach das Fragerecht.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, Sie gehen in Ihrer Wachstumsprognose - Sie haben sie reduziert - von einem Wachstum in Höhe von 1 Prozent aus. Das sollte nicht zu Selbstlob führen. Ist bei einer Wachstumsprognose von 1 Prozent überhaupt eine Erneuerung in den Bereichen der Investitionen und der Beschäftigung möglich? Kann man das nicht eher mit Ernüchterung als mit Erneuerung umschreiben? Ist nicht ein Wachstum - entsprechende Prognosen wurden von anderen Instituten erstellt - von unter 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erwarten? Ist damit nicht auch in diesem Jahr wieder die Gefahr der Überschreitung der Defizitquote des Wachstums- und Stabilitätspakts von Maastricht gegeben?

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005291

Herr Kollege, ich habe ja gesagt, dass sich die nationalen Wachstumsprognosen zwischen 0,6 und 1,1 Prozent bewegen. Unsere Experten nehmen ein Wachstum von 1 Prozent an. Bei diesem Wachstum und unter den gegebenen Bedingungen gehen wir davon aus, dass sich die Verschuldungsquote der Bundesrepublik Deutschland - gemäß dem Maastrichter Vertrag - auf unter 3 Prozent belaufen wird. Das ist die reale Lage. Es mag sein, dass die Situation zur Ernüchterung beiträgt. Wichtig ist aber, dass wir durch sie veranlasst werden, alles zu tun, was möglich ist, um die Wachstumskräfte zu stärken und auf diese Weise ein höheres Wachstum zu erreichen und mehr Arbeitsplätze - auch für den Fall eines niedrigeren Wachstums - zu schaffen. Die Ergebnisse des vergangenen Jahres und auch die Perspektive dieses Jahres betrachte ich eher als Aufforderung an Sie und mich, an uns alle, alles im jeweiligen Verantwortungsbereich Mögliche zu tun, um die Situation zu verbessern. Es ist gar keine Frage, dass sie nicht zufriedenstellend ist. Allein bei der Beschreibung, dass sie nicht zufriedenstellend ist, zu verharren genügt aber nicht. Durch politisches Handeln ist es möglich, Prognosen zu über- oder unterbieten, je nachdem, aus welcher Perspektive Sie das betrachten. Wir können also eine bessere Lage erreichen, als uns die Prognostiker zurzeit zutrauen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Bundesminister. - Die nächste Frage hat der Kollege Dirk Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, Sie haben gerade vorgetragen, dass Sie für das Jahr 2003 mit einem wirtschaftlichen Wachstum von 1 Prozent und einer durchschnittlichen Arbeitslosigkeit von 4,2 Millionen rechnen. Sie haben für das Ende dieses Jahres als Ziel definiert, die durchschnittliche Arbeitslosigkeit des letzten Jahres zu unterbieten. Im letzten Jahr lag die durchschnittliche Arbeitslosigkeit bei 4,06 Millionen. Die wirtschaftswissenschaftlichen Institute gehen im Wesentlichen davon aus, dass die Beschäftigungsschwelle des Wirtschaftswachstums bei 2 bis 2,5 Prozent liegt. Deswegen interessiert mich bei dem von Ihnen prognostizierten Wirtschaftswachstum, mit welchem arbeits1614 marktpolitischen Gesamtkonzept Sie dieses Ziel erreichen wollen. Werden Sie dieses Gesamtkonzept zu Beginn dieses Jahres vorlegen oder wird es bei den monatlich häppchenweise vorgelegten Reformvorschlägen bleiben, wonach die Reform für Januar, das Kündigungsschutzgesetz, in zwei Tagen abgeschlossen sein müsste? ({0}) - Sie haben eine Reform pro Monat angekündigt. Die Reform für Januar war der Kündigungsschutz. Der Januar ist in zwei Tagen vorbei. Deswegen frage ich nach dem Gesamtkonzept.

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005291

Sie haben Recht: Bisher gehen wir in Deutschland davon aus, dass erst ab einem Wachstum von 2 bis 2,5 Prozent eine wirkliche Beschäftigungswirkung festzustellen ist. Wie Sie wissen, ist das in den Nachbarstaaten wie Frankreich oder den Niederlanden anders. Unser Ziel muss also sein, auch mit einem niedrigeren Wachstum - wir sollten nicht gleich verzagen, sondern versuchen, ein höheres Wachstum zu erreichen - eine Beschäftigungswirkung zu erzielen. Dass wir das nicht erreicht haben, hat meiner Auffassung nach sehr stark damit zu tun, dass wir den Dienstleistungssektor nicht genügend entwickelt haben. Deshalb waren die Schritte, die wir gemeinsam mit der CDU/CSUOpposition getan haben, um den Sektor der geringfügig Qualifizierten mit Aufstiegsmöglichkeiten und den Bereich der Leih- und Zeitarbeit zu entwickeln, richtig. Das sind aus meiner Sicht Instrumente, mit denen es möglich ist, die Beschäftigungswirksamkeit schon bei niedrigerem Wachstum eintreten zu lassen. Deswegen waren und sind diese Maßnahmen und die jetzt infrage stehenden Schritte richtig. Die erste Reform für diesen Monat war die am 1. Januar in Kraft getretene. Sie müssen sich also für die nächste Reform bis zum Februar gedulden, Herr Kollege. Aber Sie können sich darauf verlassen, dass die Reformen, die ich ankündige, tatsächlich vollzogen werden sollen. ({0}) - Das hängt von Ihnen ab. Sie sind der Gesetzgeber. Ich darf noch nicht einmal über diese Brüstung steigen. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage hat der Kollege Hartmut Schauerte.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister Clement, der Jahreswirtschaftsbericht für 2002 enthielt eine Wachstums- und Beschäftigungsprognose. Können Sie noch einmal sagen, wie in der Abrechnung die Abweichung zwischen Soll und Ist war? Können Sie mir die Frage beantworten, wie Sie die Annahme rechtfertigen wollen, dass auch Ihre jetzige Prognose nicht wieder abweichen wird, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die gesamtwirtschaftliche Stimmungslage zu Beginn dieses Jahres deutlich schlechter als Anfang des letzten Jahres war? Ich darf direkt eine zweite Frage anschließen. Letztes Jahr war ein Exportzuwachs von 2,9 Prozent zu verzeichnen. Für dieses Jahr rechnen Sie mit einem Exportzuwachs von 4,5 Prozent. Wie wollen Sie vor dem Hintergrund einer steigenden Dollar-Euro-Parität eine solche Zahl rechtfertigen?

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005291

Herr Kollege Schauerte, für das Jahr 2002 war in der Herbstprojektion von 2001 ein Wachstum von 1,25 Prozent prognostiziert worden. Für 2003 ist in der Herbstprojektion von 2002 die Zahl von 1,5 Prozent genannt worden. Jetzt liegt die Projektion bei 1 Prozent. Sie wissen, dass wir uns bei diesen Prognosen und den Korrekturen in trauter Gemeinsamkeit mit allen Prognostikern befinden. Dennoch sollten und werden wir uns nicht im Herabdefinieren der wirtschaftlichen Chancen überbieten, sondern uns geht es darum, die Chancen zu verbessern. Es ist ebenso möglich, eine Prognose nach oben zu korrigieren. Das bleibt möglich, auch wenn es in Deutschland zurzeit befremdend klingen mag. Es ist möglich, die Situation zu verbessern. Tatsächlich sind aber die Prognosen in der letzten Zeit aufgrund der Einbrüche in der Weltwirtschaft insgesamt korrigiert worden, und zwar flächendeckend und weltweit. Mit dieser Situation müssen wir umgehen. Aber wir müssen alles tun, um diese Situation zu korrigieren. Hinsichtlich der Exportsituation ist der Sachverständigenrat etwas skeptischer als wir, aber nicht so skeptisch, wie es in der Zahl 2,9 Prozent zum Ausdruck kommt. Wir gehen davon aus, dass sich die Weltwirtschaft erholt. Auch die internationalen Institute erwarten, dass sich die amerikanische Volkswirtschaft erholt; im Hinblick auf die japanische Volkswirtschaft weisen ebenfalls manche Indikatoren nach oben. In Lateinamerika, beispielsweise in Argentinien, scheint die Talsohle erreicht zu sein. Insofern gehen wir von einer Aufhellung der weltwirtschaftlichen Bedingungen aus, allerdings unter dem Vorbehalt, dass es nicht zu einer kriegerischen Entwicklung im und um den Irak kommt. Ich habe eben versucht, deutlich zu machen, dass eine solche Entwicklung unkalkulierbar wäre. Ich will hier nichts an die Wand malen, sondern nur deutlich sagen, dass so etwas in den Prognosen nicht ernsthaft vorgesehen werden kann.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Die nächste Frage wird von der Kollegin Dagmar Wöhrl gestellt.

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, der Jahreswirtschaftsbericht zeigt auch diesmal, dass die Realität Sie einholt. Die wirtschaftliche Dynamik fehlt. Eine Frage zu den im Bericht veröffentlichten Zahlen: Sie gehen davon aus, dass der private Konsum 2003 um bis zu 2,5 Prozent ansteigen wird - und das vor dem Hintergrund, dass er im letzten Jahr nur um 0,5 Prozent anstieg. Worauf begründen Sie Ihre Prognose und wie sehen Sie den Zusammenhang mit den von Ihnen beschlossenen Steuer- und Abgabenerhöhungen, die allein in diesem Jahr die Bürger und Bürgerinnen mit circa 27 Milliarden Euro belasten werden?

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005291

Frau Kollegin, im Bericht ist ausgewiesen, dass der private Konsum nach der Prognose - wir reden hier immer über Prognosen - um ein halbes Prozent ansteigen wird. Sie haben eben den nominellen Wert genannt; real rechnen wir nur mit einem Anstieg von einem halben Prozent. Das leichte Minus ist für das vergangene Jahr mit der Entwicklung des Euro und anderen Faktoren der gefühlten Inflation erklärt worden. Die Kaufzurückhaltung war in Deutschland besonders ausgeprägt. Aufgrund der etwas besseren Bedingungen, die es in diesem Jahr im Vergleich zum Vorjahr geben sollte, insbesondere aufgrund der Preisentwicklung, rechnen die Experten - ich rechne ja nicht; die Experten rechnen, und zwar unbeeinflusst - insgesamt mit einer etwas kräftigeren Nachfrage, wenn auch nicht mit einer so kräftigen Nachfrage, wie man es sich vorstellen könnte und wie sie in anderen Staaten gegeben ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage stellt die Kollegin Gudrun Kopp.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, in Ihrem Jahreswirtschaftsbericht sprechen Sie - dies erscheint angesichts der auch für dieses Jahr prognostizierten hohen Arbeitslosigkeit als recht gewagt - davon, dass eine dynamische Steigerung der Einnahmen aus Sozialbeiträgen zu erwarten sei. Worauf begründen Sie Ihre optimistische Einschätzung?

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005291

Darauf, dass sich die Situation insgesamt und dadurch die Einnahmesituation verbessert. ({0}) - Ja, sicher. Die Experten gehen davon aus - das ist aus meiner Sicht sehr verhalten gerechnet -, dass sich die Arbeitslosigkeit aufgrund der Hartz-Maßnahmen im Jahresdurchschnitt um 120 000 verringern wird. Ich selbst gehe davon aus - das ist jedenfalls mein Ziel; es ist kein Versprechen -, dass wir eine weiter gehende Entlastung erreichen. Diese Zuversicht teile ich mit der Leitung der Bundesanstalt für Arbeit. Wir hoffen, dass wir insbesondere in der zweiten Jahreshälfte weitere Fortschritte auf dem Arbeitsmarkt erzielen werden. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage stellt der Kollege Karl-Josef Laumann.

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, Sie gehen, wie Sie eben selbst gesagt haben, im Jahreswirtschaftsbericht von einem Wachstum des privaten Verbrauchs in Höhe von 0,75 Prozent aus. Erst einmal aber wird aufgrund von Beschlüssen, die auch Sie im Kabinett gefasst haben - der Gesetzgeber hat ja eine Kabinettsvorlage mit Mehrheit beschlossen -, der normale private Haushalt ab Januar durchschnittlich 100 Euro weniger zur Verfügung haben. Woher nehmen Sie bei einer Verkleinerung der Lohntüte um im Schnitt 100 Euro die Hoffnung, dass der private Verbrauch in Deutschland zunehmen wird?

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005291

Das Konsumverhalten der Menschen hängt von der Stimmungslage ab. Die Stimmungslage war in Deutschland im vergangenen Jahr, aufgehängt an dem, was unter anderem mit dem „Teuro“ zusammenhing, alles andere als konsumfreudig und konsumfördernd. Diesen Zusammenhang kennen Sie so gut wie ich. Im Übrigen ist die Situation sehr differenziert zu sehen. Aber selbstverständlich spielen auch die Höhe der Arbeitslosigkeit und andere Faktoren eine Rolle. Die Ziele, die wir uns gesteckt haben, werden natürlich - das hoffe ich - auch die Stimmungslage verbessern und damit zu einem anderen Kaufverhalten führen. Hinzu kommen objektive Faktoren wie beispielsweise die zu erwartende Preisentwicklung, die Entwicklung der Inflationsrate, die in Deutschland ausgesprochen stabil ist, und die Lohnentwicklung. Der Faktor der Belastung, den Sie angesprochen haben, sollte also nicht der einzige sein, den es zu berücksichtigen gilt. Abgesehen davon sollten Sie - Sie haben mit 100 Euro lediglich eine Durchschnittsmarke der Belastung gesetzt - das Kaufverhalten der einzelnen Bevölkerungsgruppen sehr viel differenzierter sehen. Beispielsweise sollte man zwischen dem Kaufverhalten der Rentner und dem anderer Bevölkerungsgruppen unterscheiden. Wenn Sie das tun, werden Sie feststellen, dass die Einkommen sehr unterschiedlich sind und dass das Kaufverhalten entsprechend differenziert zu sehen ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer.

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister Clement, Sie haben gerade davon gesprochen, dass Sie alle Maßnahmen ergreifen möchten, die das Wachstum beschleunigen und eine Belebung des Arbeitsmarktes, also den Aufbau von Beschäftigung, ermöglichen. Die Worte hör ich wohl, allein mir fehlt etwas der Glaube an die Taten, wenn ich die letzten Wochen und Monate Revue passieren lasse. Sie haben vor wenigen Tagen den interessanten Vorschlag gemacht, den Kündigungsschutz zu modernisieren bzw. zu flexibilisieren. Mich interessiert, wie konkret die diesbezüglichen Pläne sind, wann und wie Sie sie umzusetzen gedenken und ob Sie in Ihrer Fraktion auch eine Mehrheit dafür haben. Wir stehen zur Verfügung, wenn Sie Unterstützung benötigen; denn wir halten die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen für den Aufbau von Beschäftigung für sehr sinnvoll.

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005291

Herr Kollege, mir ist nicht klar, worauf Sie Ihre Skepsis stützen. Sie haben doch mit uns zusammen einen Teil der notwendigen ersten Reform des Arbeitsmarktes beschlossen. Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, dann haben Sie sich - nicht Sie persönlich, aber Ihre Fraktion über das Tempo der Veränderungen und nicht über die Langsamkeit bei der Umsetzung der gesetzlichen Maßnahmen beschwert. ({0}) - Herr Laumann, selbstverständlich haben Sie immer genügend Kraft. Aber schauen Sie sich einmal Ihre Kollegen an. ({1}) Insoweit kann ich Ihre Kritik nicht verstehen. Des Weiteren habe ich in einem Interview die Frage bejaht, ob das Thema Kündigungsschutz beispielsweise in kleinen und kleinsten Unternehmen eine Rolle spielen könne; das ist richtig. Wir werden selbstverständlich zu überprüfen haben, ob es auch im Arbeitsrecht gesetzliche Vorschriften gibt, die den Eintritt von Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt behindern. Dies werden wir in aller Sorgfalt erörtern. Zu gegebener Zeit wird die Regierung entsprechende Vorschläge machen. Dies wird nicht allzu lange auf sich warten lassen; denn wir haben, wie ich schon oft gesagt habe, keine Zeit zu verlieren. Wenn Sie bei dem, was wir vorschlagen, mittun wollen, sind Sie herzlich willkommen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. ({0}) - Sie können sich gerne noch einmal melden. Das Fragerecht hat jetzt der Kollege Johannes Singhammer.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, Sie haben mit dem heute vorgelegten Jahreswirtschaftsbericht 2003 das ursprünglich prognostizierte Wirtschaftswachstum um 0,5 Prozentpunkte nach unten korrigiert. Das bedeutet nach Expertenschätzungen Einnahmeausfälle im Bereich der Steuern und bei den Sozialversicherungssystemen in Höhe von etwa 5 Milliarden. Nun hat die Vergangenheit gezeigt, dass die Schätzungen - leider - immer weiter nach unten korrigiert werden mussten. Bei allem Optimismus, den die Politik auch verbreiten soll: Haben Sie denn einen Notfallplan, wenn das eintreten sollte, was einige Institute voraussagen, nämlich wenn das Wirtschaftswachstum nur 0,5 Prozent beträgt und wenn sich dadurch bedingt erneut ein großes Loch bei den Einnahmen auftut? Wie wollen Sie dann reagieren? Wie wollen Sie die dann fehlenden Finanzmittel aufbringen?

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005291

Herr Kollege, unser Plan ist es natürlich, die Ziele, die wir uns gesteckt haben, zu erreichen. Dazu gehört beispielsweise, dass wir in diesem Jahr ohne Bundeszuschuss für die Bundesanstalt für Arbeit auskommen wollen. Das ist, wie ich finde, ein bemerkenswertes Ziel, nachdem der Bund im vergangenen Jahr, wenn ich das richtig im Kopf habe, einen Zuschuss von 5 bis 6 Milliarden Euro aufbringen musste. ({0}) Wir sind aufgrund der ersten Reformschritte, die wir im Bereich des Arbeitsmarktes unternommen haben, in dieser Hinsicht optimistisch. Es geht in diesem Jahr darum, diese Schritte zu vervollkommnen, das heißt, nicht nur entsprechende Gesetze zu beschließen, sondern das Beschlossene auch umzusetzen; denn Gesetze allein verändern die Welt noch nicht. Das bedeutet einen erheblichen Umbau im Haushalt und bei den Instrumenten der Bundesanstalt für Arbeit. Der Vorstandsvorsitzende, Herr Gerster, hat ja deutlich gemacht, dass man hier umsteuern müsse. Die bisherigen Instrumente der Strukturförderung, die im Osten und vor allem im Westen angewendet worden sind, müssen in ihrer Bedeutung gegenüber den, wie ich sie nenne, aktiven Beschäftigungsmaßnahmen zurücktreten. Wir hoffen natürlich, dass wir beispielsweise mit der Förderung von Zeit- und Leiharbeit oder mit dem Modell, welches das Hinübergleiten von einem Minijob in einen 800-Euro-Job erleichtert, tatsächliche Veränderungen bewerkstelligen und damit auch Entlastungen an anderen Stellen erreichen. Die Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten, auch in Form von Selbstständigkeit, ist das Ziel unseres Vorgehens. Es gibt diesbezüglich auch sehr ermutigende Zahlen. Ich habe nicht die Absicht, Düsternis zu verbreiten; vielmehr möchte ich darauf hinweisen, dass beispielsweise im vergangenen Jahr 123 000 arbeitslose Menschen - ich hoffe, dass ich diese Zahl richtig in Erinnerung habe - in die Selbstständigkeit gegangen sind, viele davon in eine bisher beständige Selbstständigkeit. Diese Entwicklung wollen wir forcieren. Dazu ist eine Reihe von Instrumenten vorhanden. Um auf den zweiten Teil Ihrer Frage einzugehen: Wir gehen davon aus, dass das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz die Spielräume bietet, die wir brauchen, um auf konjunkturelle Veränderungen, die aus heutiger Sicht nicht erkennbar sind, reagieren zu können, und zwar, wie wir mehrfach angekündigt haben, flexibel, ohne dass wir deshalb das Ziel des Stabilitätspakts, die Neuverschuldung bis 2006 auf nahezu null zu senken, aufgeben. Es bleibt bei diesem Ziel, es bleibt bei den Steuersenkungen 2004/2005, wie es der Gesetzgeber beschlossen hat. Steuerrechtlich reicht das aus, was die Bundesregierung vorgelegt hat. Die entsprechenden Vorlagen befinden sich jetzt im Gesetzgebungsverfahren. Wir werden uns mit den Ergebnissen auseinander zu setzen haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage hat der Kollege Hans Michelbach.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, wie kommen Sie zu Ihrer Grundaussage, dass sich die Gewinnaussichten unserer Betriebe verbessern werden? Verwechseln nicht auch Sie Bruttogewinn mit Nettogewinn? Durch das Steuervergünstigungsabbaugesetz wird die Steuerbemessungsgrundlage deutlich verbreitert, und zwar ohne gleichzeitige Tarifsenkungen. Angesichts dessen müssen Sie doch einräumen, dass die zusätzlichen Steuerbelastungen von 23 Milliarden Euro allein in diesem Jahr und etwa 70 Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren den Nettogewinn doch erheblich aufzehren werden und dass damit Investitionsmöglichkeiten stark eingeschränkt werden. Wie ist es konkret mit der Firmenwagenbesteuerung und mit der Wertzuwachsbesteuerung? Dadurch werden doch viele Tausend Arbeitsplätze vernichtet. Wie ist es mit der Eigenheimzulage? Vielleicht können Sie hier einmal eine ganz konkrete Antwort geben.

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005291

Meine konkrete Antwort lautet, dass ich die in den von Ihnen entworfenen Bildern enthaltenen Auffassungen nicht teile. Experten - wenn Ihnen danach ist, dann können Sie andere Experten, auch solche außerhalb des Wirtschaftsministeriums, befragen - sehen die Entwicklung in Deutschland etwas positiver, als Sie es tun. Ansonsten sollten wir die Diskussion über steuerliche Maßnahmen, die die Bundesregierung vorgeschlagen hat, an den Stellen führen, an denen sie zu führen ist. Entsprechende Vorlagen befinden sich zurzeit im parlamentarischen Verfahren des Bundestages und später werden sie vom Bundesrat beraten. Da gehört diese Diskussion auch hin.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als Nächster hat der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer das Fragerecht.

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, ich möchte zu den Themen Kündigungsschutz und Flexibilisierung nachfragen. Sie haben sehr konkrete Vorschläge gemacht und auch von einer sofortigen Umsetzung gesprochen, zumindest vor wenigen Tagen. Wenn ich Sie gerade richtig verstanden habe, haben Sie von „prüfen“, „überlegen“ und „zu gegebener Zeit“ gesprochen. Mir scheint, dass Sie das Vorhaben auf die lange Bank schieben wollen. Können Sie nicht konkrete Termine und Zeiten nennen?

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005291

Ihre Einschätzung, dass es auf die lange Bank geschoben werden soll, ist falsch. ({0}) - Diese Absicht habe ich nicht. Wenn es Vorschläge zu machen gilt, dann werde ich sie der Bundesregierung vorlegen. Diese Vorschläge wird die Bundesregierung dann entweder akzeptieren oder nicht. Wenn sie sie akzeptiert hat, wird sie sie in Gesetzesform kleiden. So ist der Ablauf. Da müssen Sie sich gedulden. Es wird schnell gehen. Das, was wir zu tun haben, wird sich schnell vollziehen. Dass Sie jetzt eine Antwort von mir wollen und damit die Belebung einer bestimmten öffentlichen Diskussion bewirken wollen, kann ich verstehen. Mit einer solchen Antwort möchte ich Ihnen jetzt nicht dienen. Ich möchte mit den Ergebnissen dienen, die dann vorliegen, wenn die Bundesregierung sie erarbeitet hat. Selbstverständlich wird es auch eine Erörterung in der Koalition geben. So ist der Ablauf. Ich kann Ihren Wissensdurst jetzt nicht stillen. Sie kennen alle Bedingungen, über die wir reden. Wir sprechen über das Abfindungsrecht, das sich in Deutschland aus der Rechtsprechung entwickelt hat, und über Weiteres. Darüber wird sehr sorgfältig zu diskutieren sein. Selbstverständlich müssen wir auch das Arbeitsrecht dahin gehend prüfen, inwieweit es beschäftigungshemmend oder beschäftigungsfördernd wirkt. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte keine Zwischenfragen, Herr Laumann; die sind nicht zulässig. Die Zeit ist zwar schon fast abgelaufen, aber ich lasse jetzt noch drei Fragen zu. Die nächste Frage hat die Kollegin Veronika Bellmann.

Veronika Bellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, Ihr Optimismus in allen Ehren; auch wir wollen nicht alles schlechtreden. Dennoch werde ich das Gefühl nicht los - auch nicht nach der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts -, dass die Regierung einen Zickzackkurs vollführt: Auf ein Zick folgt konsequenterweise immer ein Zack, man weiß aber nicht, in welche Richtung. Ich möchte meine Fragen ganz klar in eine Richtung lenken, nämlich auf das Thema Ost. Sie haben vorhin gesagt, Ihr Optimismus rühre daher, dass das Hartz-Konzept umgesetzt werden soll usw. In der Anhörung wurde uns von Florian Gerster gesagt, dass viele Maßnahmen des zweiten Arbeitsmarktes im Osten nicht ziehen. Ich spreche hier hauptsächlich die Arbeitsvermittlung an. Wie soll die besser funktionieren und wie sollen mehr Menschen Beschäftigungs- und Arbeitsplätze bekommen, wenn keine zu vermitteln sind? Wie wollen Sie speziell im Osten die Vermittlung stärken? Meine zweite Frage betrifft das Thema Ostförderung insgesamt: Im Entwurf des Haushaltsplanes wurden die Mittel für die GA Ost um 60 Millionen gekürzt. Meinen Sie, dass die Wirtschaft im Osten sich schon selbst trägt und so stabil ist, dass man sich das erlauben kann?

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005291

Ich glaube, dass Sie mit Ihrer Auffassung, die Bundesregierung vollziehe einen Zickzackkurs, falsch liegen. Die Bundesregierung hat einen klaren Kurs eingeschlagen; dieser Kurs ist auf mehr Wachstum ausgerichtet. Ich habe jetzt mehrfach die entsprechenden Schritte geschildert: die Steuerentlastungen in den Jahren 2004 und 2005; in diesem Jahr werden wir Maßnahmen ergreifen, um die Lohnnebenkosten senken zu können; parallel dazu erarbeiten wir eine Reform der sozialen Sicherungssysteme; ich habe über die Mittelstandsoffensive, über Bürokratieabbau und Ähnliches gesprochen. - All diese Schritte kennen Sie; sie sind alle auf das gleiche Ziel ausgerichtet, nämlich das Wachstum zu fördern und gleichzeitig den Arbeitsmarkt zu entlasten. Weiterhin habe ich darauf hingewiesen, was wir gemeinsam - jedenfalls CDU/CSU, Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung - getan haben, nämlich die Förderung des Niedriglohnsektors, um auch bei niedrigerem Wachstum eine höhere Beschäftigungsrate zu erzielen. Bei der Betrachtung dessen - wir haben darüber schon einmal unter vier Augen gesprochen -, was Ostdeutschland angeht, wehre ich mich gegen die Auffassung und werde auch versuchen, das in Ostdeutschland deutlich zu machen, als verfolgten die auf dem Hartz-Konzept aufbauenden Gesetze und unsere Mittelstandsförderung ein westlich orientiertes Programm. Es sind sehr wohl sehr wichtige Maßnahmen dabei, bis hin zum Programm Kapital für Arbeit, die für ostdeutsche Unternehmen von außerordentlicher Bedeutung sind. Es kommt hinzu, dass wir in Deutschland insgesamt, aber in Ostdeutschland in besonderer Weise, die Erweiterung der Europäischen Union durch den Beitritt der mittel- und osteuropäischen Länder ins Visier nehmen sollten. Die Bundesregierung wird auf diesem Sektor die notwendigen Aktivitäten einleiten, um beispielsweise durch Begegnungen von Unternehmern mehr Bewegung zu erzeugen. Von Wien aus geschieht dies bereits; die Österreicher sind nun einmal im Umgang mit den mittelund osteuropäischen Staaten gut trainiert. Wir werden also die notwendigen Aktivitäten einleiten. Insgesamt sind die finanziellen Aufwendungen vonseiten des Bundes für Ostdeutschland gleich bleibend hoch. Bitte berücksichtigen Sie insbesondere, dass wir einen BundLänder-Finanzausgleich haben, der bis zum Jahre 2019 reicht und dem Infrastrukturaufbau dient. Ich glaube, dass wir gute Voraussetzungen haben, um all das zu schaffen. Im Übrigen ist die Entwicklung im gewerblichen Bereich in Ostdeutschland deutlich besser als im Westen; auch das Wachstum ist höher. Der Blick wird nur durch die Entwicklung der Bauwirtschaft in Ostdeutschland verstellt. Die Entwicklungen geben also durchaus zur Zuversicht Anlass. Wir werden sie verstärken und dazu im Laufe dieses Jahres die notwendigen Aktivitäten einleiten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Die nächste Frage hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch. Ich bitte jetzt um kurze Fragen und kurze Antworten, weil die Zeit eigentlich schon abgelaufen ist. Bitte.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Bundesminister, ich würde gerne wissen, wie hoch die Bundesregierung den Anteil der Schwarzarbeit am Bruttoinlandsprodukt schätzt und welche Maßnahmen die Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbericht ausgewiesen hat, um den Anteil der Schwarzarbeit zu reduzieren.

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005291

Ich habe nicht im Kopf, ob es im Jahreswirtschaftsbericht eine Anmerkung dazu gibt. Aber wir rechnen damit, dass 4 bis 5 Millionen illegale Beschäftigungsverhältnisse in Schwarzarbeit bestehen. Was tun wir? Wir gehen davon aus, dass wir durch die Maßnahmen, die wir im gering qualifizierten Bereich eingeleitet haben, inklusive der neu hinzugekommenen steuerlichen Absetzbarkeit, sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer aus der Schwarzarbeit herausholen können. Die Möglichkeiten steuerlicher Entlastung, die wir anbieten, wirken ja sogar bis in die persönlichen Lebensverhältnisse hinein. Das sind wichtige Maßnahmen; es sind durchaus Anreize, aus der Schwarzarbeit herauszukommen. Es besteht das Angebot, ein legales Arbeitsverhältnis anzunehmen, und zwar unter bürokratisch einfachsten Bedingungen. Das spielt eine große Rolle. Wir tun gut daran, die Menschen zu ermutigen, davon Gebrauch zu machen. Darüber hinaus werde ich darauf hinzuwirken versuchen, dass der Einsatz der Instrumente gegen die Schwarzarbeit auf eine Stelle konzentriert wird; zurzeit sind noch mehrere Stellen damit beschäftigt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die letzte Frage hat die Kollegin Dagmar Wöhrl.

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, Sie sind wirklich Ankündigungsweltmeister, wenn ich das so bezeichnen darf. Leider schaut es in der Realität und in der Umsetzung etwas anders aus. Im Jahreswirtschaftsbericht wurde die Prognose für das Wirtschaftswachstum auf 1 Prozent gesenkt. Wie sehen Sie die Auswirkungen auf den Haushalt der Regierung, die noch immer von einem Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent ausgeht, und wie ist der Zeitplan bezüglich der Umsetzung des Masterplans für den Bürokratieabbau?

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005291

Frau Kollegin Wöhrl, Sie mögen bitte entschuldigen: Ich vermag Ihre Äußerung hinsichtlich des „Ankündigungsweltmeisters“ nicht ganz zu verstehen. Sie waren dabei, als wir die Gesetze beschlossen haben, die ich angekündigt habe. Da ist also etwas vollzogen worden. ({0}) - Das ist Ihnen zu verdanken, aber ein bisschen auch mir; wir haben es gemeinsam getan. Dabei waren weder Sie eine Ankündigungskollegin noch war ich ein Ankündigungsminister, sondern wir waren Handlungsbevollmächtigte und haben entsprechend gehandelt. So wird es auch weiterhin der Fall sein. Nun zu den geringeren Wachstumserwartungen. Sie tun immer so, als liege die Projektion allein auf meinem Rücken. Die zugrunde gelegten Wachstumserwartungen waren vom Herbst des vergangenen Jahres; nun aber sagen die Wissenschaftler und die Sachverständigen, dass sich - damit wir das nicht vergessen: insbesondere aufgrund der weltkonjunkturellen Ereignisse, die für Deutschland wichtiger als für alle anderen Länder sind, da wir mit der Weltwirtschaft stärker verflochten sind - andere Daten ergeben. Zu den Auswirkungen auf den Haushalt: Wir bleiben unter 3 Prozent Neuverschuldung. Wir haben zurzeit, wenn ich das richtig im Kopf habe, eine Nettoneuverschuldung von 18,9 Milliarden Euro. Das ist keine Ankündigung, sondern die Beschreibung einer Tatsache. Genau so wird es sich weiter vollziehen, Frau Kollegin. ({1}) - Wir sind in der Vorbereitung. Wir können das ja gemeinsam mit hohem Tempo machen; wenn Sie mitmachen, werden wir das schneller hinbekommen und so rasch von der Ankündigung zur Handlung kommen. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Bundesminister Clement, dass Sie sich persönlich den Fragen der Kollegen gestellt haben, was ja auch bei der Regierungsbefragung nicht selbstverständlich ist. Ich darf fragen, ob es zu anderen Themenbereichen noch Fragen an die Bundesregierung gibt. Es sind keine angemeldet worden. - Das ist nicht der Fall. Dann beende ich die Befragung. Wir kommen zur Fragestunde: Fragestunde - Drucksache 15/344 Zunächst rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Marieluise Beck zur Verfügung. Wir kommen zur Frage 1 der Kollegin Petra Pau: Wie viele rechtsextreme, fremdenfeindliche und antisemitische Schriften, Bücher, CDs, Filme und Tonträger sind im Jahr 2002 indiziert worden?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Frau Kollegin Pau, im Jahreszeitraum 2002 hat die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften 39 Trägermedien verboten, weil sie rechtsextremistischen, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Inhalt hatten. Es handelte sich dabei überwiegend um CDs, und zwar um 28, acht Bücher und Broschüren und drei Computerspiele. Videofilme waren bei den indizierten Trägermedien nicht dabei.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfragen, Frau Pau? - Bitte schön.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herzlichen Dank. - Eine erste Nachfrage. Gab es nach der Indizierung der genannten Materialien besondere Aktionen zur Sicherstellung von rechtsextremen Schriften, CDs oder auch Schallplatten?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Die Bundesprüfstelle indiziert weiter und zieht all das ein, dessen sie habhaft werden kann.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Eine zweite Nachfrage. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung im Jahre 2002 ergriffen, um gegen solche rechtsextremen Machwerke aufklärerisch vorzugehen bzw. die Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren? Was haben Sie im Jahre 2003 auf diesem Gebiet vor?

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Sie wissen, dass die Bundesregierung in verschiedenen Ressorts breit angelegte Programme gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit und - positiv formuliert - Programme für Demokratie und Toleranz auf den Weg gebracht hat. Diese Programme richten sich sowohl an Jugendliche als auch an Erwachsene als Mediatoren. Durch dieses Programmtableau wird die Aufmerksamkeit gegenüber antisemitischen, rechtsradikalen und fremdenfeindlichen Trägermedien gestärkt. Zu der Frage, was im Jahr 2003 geplant ist: Sie wissen, dass das Jugendschutzgesetz novelliert worden ist. Die Probleme, die sich daraus ergaben, dass der Medienbereich überwiegend Ländersache ist, sind gelöst worden. Nun können auch Inhalte im Internet, einem von den Jugendlichen sehr stark genutztes Medium, von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert werden. Das ist Gegenstand des JugendmedienschutzStaatsvertrags, der voraussichtlich am 1. April in Kraft tritt. Wir können also davon ausgehen, dass sich die Zugriffsmöglichkeiten noch einmal deutlich verbessern werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Fragen liegen dazu nicht vor. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes zur Verfügung. Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch auf: Teilt die Bundesregierung mit mir die Auffassung, dass die Reduzierung der Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen in der Zeit von 1999 bis 2002 im Alter von 55 Jahren und älter um 45,1 Prozent - Männer: minus 48,6 Prozent; Frauen: minus 38,5 Prozent - nicht in erster Linie auf die Schaffung von Arbeitsplätzen zurückzuführen ist, sondern vielmehr auf eine zunehmende Verrentung dieser Altersgruppe, und wie bewertet die Bundesregierung den geringen Rückgang der Arbeitslosigkeit von Schwerbehinderten unter 55 Jahren, der im Vergleichszeitraum lediglich 5,9 Prozent betrug?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Frau Abgeordnete Lötzsch, der Bundesregierung liegen keine aussagefähigen Strukturdaten vor, die eine Beurteilung zulassen, ob der Rückgang der Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen im Alter von 55 Jahren und älter auf eine Zunahme der Verrentung in dieser Altersgruppe zurückzuführen ist. Die vorliegenden Daten der Bundesanstalt für Arbeit stützen eine derartige Vermutung nicht. Danach stellt der Abgang in Krankheit die größte Gruppe der Abgänge schwerbehinderter Menschen aus Arbeitslosigkeit dar, gefolgt von einem Abgang in Arbeit und Ausbildung insgesamt. Demgegenüber sind vom Januar bis Oktober 2002 nur 25 503 arbeitslose schwerbehinderte Menschen aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Dies entspricht einem Anteil von ungefähr 11 Prozent aller Abgänge. In den Altersgruppen der schwerbehinderten Arbeitslosen unter 55 Jahren verlief die Entwicklung unterschiedlich. Während nach den Strukturanalysen der Bundesanstalt für Arbeit zwischen 1999 und 2002 in den mit rund 31 Prozent aller unter 55 Jahre alten arbeitslosen schwerbehinderten Menschen relativ stark besetzten Altersgruppen der 25- bis unter 40-Jährigen ein Rückgang der Arbeitslosigkeit von 15 Prozent zu verzeichnen war, lag der Rückgang in der ebenfalls starken Altersgruppe zwischen 40 bis unter 45 Jahren bei lediglich 0,3 Prozent. Die Bundesregierung wird bei der Weiterentwicklung der Konzeption zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen Gespräche mit der Bundesanstalt für Arbeit über eine Analyse der Gründe dieser Entwicklung führen, damit dies bei den neu festzulegenden Zielvorgaben berücksichtigt werden kann.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage? - Frau Lötzsch, bitte.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ich möchte daran erinnern, dass wir vor 14 Tagen im Parlament dazu eine Debatte geführt haben und dass in dieser Debatte festgestellt worden ist, dass der Rückgang der Arbeitslosigkeit bei Schwerbehinderten nicht in dem Maß eingetreten ist, wie man es sich zum Ziel gesetzt hatte und wie es gewünscht worden war. Welche konkreten Schlussfolgerungen will die Bundesregierung ziehen, damit speziell für schwerbehinderte Menschen geeignete Arbeitsplätze geschaffen werden können?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Die Einschätzung, die Ihrer Frage zugrunde liegt, kann die Bundesregierung mit Ihnen, Frau Abgeordnete Lötzsch, nicht teilen. Wir hatten verabredet, bis zum Herbst 2002 50 000 Jobs für Schwerbehinderte schaffen und die Arbeitslosigkeit unter den Schwerbehinderten um 25 Prozent verringern zu wollen. Dieses Ziel ist bis auf einige Stellen nach dem Komma erreicht worden. Ich weise darauf hin, dass im Rahmen dieser Kampagne rund 151 500 schwerbehinderte Menschen in Arbeit integriert werden konnten. Das Ziel, 50 000 Menschen wieder in Arbeit zu bringen, ist damit ganz eindeutig mehr als erreicht. Wir werden in der nächsten Woche mit den auf diesem wichtigen Feld beteiligten Verbänden Gespräche darüber führen, warum die Entwicklung in einzelnen Bereichen - insbesondere vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Betroffenheit der Altersgruppen - so und nicht anders war. Wir werden erörtern, was wir in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Arbeit, den Beratungskompetenzen, die notwendig sind, den Verbänden, den Integrationsfachdiensten, aber eben auch der Wirtschaft tun können, um dieser in ganz besonderer Weise - von Arbeitslosigkeit und Behinderung - betroffenen Gruppe die Integration in das Arbeitsleben zu erleichtern.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage, Kollegin Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Sie müssen doch zustimmen - das ist in den Drucksachen des Bundestages nachzulesen -, dass das gesetzte Ziel einer Senkung um 25 Prozent nicht erreicht worden ist.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Ich glaube, wir lagen bei 23,9 Prozent. Man kann sich natürlich um 1,1 Prozent streiten. Ich spreche allen Beteiligten, die sich daran beteiligt haben, den Arbeitsämtern, den Behindertenverbänden, den Integrationsfachdiensten und auch der Wirtschaft, meinen Dank aus. Ich möchte nicht - das sage ich ganz deutlich -, dass das Ergebnis wegen fehlender 1,1 Prozent schlechtgeredet wird. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Fragen hierzu liegen nicht vor. Wir kommen zur Frage 3 der Kollegin Lötzsch: Wird die Bundesregierung bei der Weiterentwicklung der Zielvorgaben darauf achten, dass wirklich die neu geschaffenen Arbeitsplätze für schwerbehinderte Arbeitslose erfasst werden und die Verringerung der Arbeitslosigkeit durch Verrentung nicht in die Statistik einfließt bzw. gesondert ausgewiesen wird?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Frau Kollegin Lötzsch, die Bundesregierung hat schon bisher großen Wert darauf gelegt, dass möglichst viele Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen, insbesondere für arbeitslose schwerbehinderte Menschen, geschaffen werden. Zu diesem Zweck hat sie die Umsetzung des Gesetzes zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter durch die Kampagne „50 000 Jobs für Schwerbehinderte“ in der Öffentlichkeit begleitet. Diese Kampagne war - das habe ich gerade dargestellt - sehr erfolgreich. Die Beschäftigungssituation schwerbehinderter Menschen konnte stetig verbessert werden. In den drei Jahren von Oktober 1999 bis Oktober 2002 sind - wie gerade schon ausgeführt 151 500 schwerbehinderte Menschen durch die Bundesanstalt für Arbeit in Arbeit vermittelt worden. In 55 000 Fällen wurde die Einmündung in den allgemeinen Arbeitsmarkt durch die speziellen Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit zur Förderung der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen ermöglicht. Im Vordergrund werden auch weiterhin die Bemühungen um eine nachhaltige, deutliche Verbesserung der Beschäftigungssituation schwerbehinderter Menschen stehen. Allerdings wird es nicht möglich sein, im Einzelfall festzustellen, ob schwerbehinderte Menschen auf einem für sie neu geschaffenen Arbeitsplatz beschäftigt werden. Der hiermit für die Arbeitgeber und die Bundesanstalt für Arbeit verbundene Verwaltungsaufwand wäre im Hinblick auf den aus solchen Angaben resultierenden Erkenntniswert nicht vertretbar. Maßgebend muss vielmehr sein, dass Arbeitgeber möglichst viele Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen zur Verfügung stellen. Die Abgänge aus der Erwerbstätigkeit - sie erfolgen in aller Regel in die Rente werden bereits heute statistisch gesondert erfasst.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall. Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Christoph Matschie zur Verfügung. Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Michael Kretschmer auf: Wie hoch ist der jährliche Mittelabfluss des „Sonderprogramms zur Förderung innovativer Regionen in den neuen Ländern ({0})“ und des Programms „Innovative regionale Wachstumskerne in den neuen Ländern“ vom Start der Programme bis Jahresende 2002 gewesen?

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Herr Kollege Kretschmer, der jährliche Mittelabfluss des „Sonderprogramms zur Förderung innovativer Regionen in den neuen Ländern“ stellt sich wie folgt dar: im Jahr 1999 2,6 Millionen Euro, im Jahr 2000 8,8 Millionen Euro, im Jahr 2001 15,8 Millionen Euro und im Jahre 2002 30,1 Millionen Euro. Damit wurden in den Jahren 1999 bis 2002 insgesamt 57,3 Millionen Euro für dieses Programm bereitgestellt. Der Abfluss der für das Programm „Innovative regionale Wachstumskerne in den neuen Ländern“ vorgesehenen Mittel stellt sich seit dem Start des Programms in folgender Höhe dar: im Jahre 2001 28,8 Millionen Euro und im Jahre 2002 15,9 Millionen Euro. Insgesamt wurden für die Jahre 2001 und 2002 44,7 Millionen Euro bereitgestellt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kretschmer, Ihre Zusatzfrage, bitte schön.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es handelt sich dabei um ein sehr innovatives Programm, das den Ansatz hat, Netzwerke zu schaffen. Leider hat uns Ihr Vorgänger im Amt keine so gute und innovative Organisation und Antragsgestaltung beschert. Das hat den Effekt, dass wir gerade im Hinblick auf das Programm „Inno-Regio“ nicht das erreicht haben, was beabsichtigt war: eine hohe Mittelauslastung. Die Laufzeit dieses Programms musste daher bis zum Jahr 2006 verlängert werden. Wann informiert uns die Bundesregierung über die Erfolge dieses Programms und welche Schlussfolgerungen ziehen Sie im Hinblick auf das Antragsverfahren?

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Zunächst einmal ist es richtig, dass es gerade in der Konzeptionsphase und auch zu Beginn der Umsetzungsphase Schwierigkeiten gab. Denn es handelt sich um ein sehr komplexes Programm, ein Programm, für dessen Umsetzung erst Strukturen aufgebaut werden mussten. Inzwischen hat die Bundesregierung drei Sachstandsberichte vorgelegt. Der letzte ist erst ein halbes Jahr alt. Er dokumentiert, wie erfolgreich sich inzwischen der Prozess entwickelt hat. Das wird im Übrigen auch von externen Gutachtern anerkannt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ihre zweite Zusatzfrage, bitte schön.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Welche Planungen gibt es für die Zeit nach dem Auslaufen des Programms „Inno-Regio“ im Jahre 2006 und des Programms „Innovative regionale Wachstumskerne in den neuen Ländern“ im nächsten Jahr? Können Sie dazu Aussagen machen?

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Im Moment geht es darum, das erfolgreiche Programm „Inno-Regio“ fortzuführen. Wir haben deshalb dessen Laufzeit bis 2006 verlängert. Auch in den kommenden Jahren stehen erhebliche Mittel zur Verfügung. Ich halte es für ein erfolgreiches Programm, das auch weiterhin für die neuen Bundesländer notwendig ist. Ein solches erfolgreiche Programm sollte man nicht gleich wieder durch irgendetwas Neues ersetzen. Es macht auch wenig Sinn, darüber zu spekulieren, wie es 2006 weitergeht. Wir befinden uns heute im Jahre 2003. Wir sind gewillt, dieses Programm fortzusetzen, und stocken trotz aller Haushaltsrestriktionen, die es an anderen Stellen gibt, die im Haushalt dafür vorgesehenen Mittel deutlich auf.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht Staatsminister Hans Martin Bury zur Verfügung. Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Günter Baumann auf: Werden mit der EU-Osterweiterung die Kontrollen des Personen- und Warenverkehrs an der deutsch-polnischen und deutsch-tschechischen Grenze gänzlich entfallen oder werden die Grenzkontrollen in modifizierter Form für eine Übergangszeit aufrechterhalten?

Not found (Gast)

Herr Kollege Baumann, mit dem Beitritt zum 1. Mai 2004 werden die Kontrollen des Warenverkehrs durch den Zoll zwischen Deutschland und Polen sowie der Tschechischen Republik abgeschafft, da es sich dann um EUBinnengrenzen handeln wird. Weiterhin zulässig werden jedoch die so genannten mobilen Kontrollgruppen sein. Dabei handelt es sich um Beamte, die nicht unmittelbar an der Grenze, sondern nur im Hinterland und nur stichprobenartig kontrollieren dürfen. Diese Kontrollen sind gemeinschaftsrechtlich zulässig, da sie nicht unmittelbar mit dem Grenzübertritt zusammenhängen. Dagegen bleiben grenzpolizeiliche Maßnahmen zur Personenkontrolle zunächst vom Beitritt unberührt. Es wird einen deutlichen Zeitabstand zwischen dem EU-Beitritt zum 1. Mai 2004 und dem In-Kraft-Setzen des Schengener Durchführungsübereinkommens, das heißt der Einführung der Kontrollfreiheit des Personenverkehrs an den EU-Binnengrenzen zu Polen und Tschechien, geben. Dem endgültigen Wegfall der EU-Binnengrenzkontrollen ist eine gründliche Evaluierung der Anwendung des Schengener Besitzstandes vorgeschaltet. Nach erfolgreicher Evaluierung muss der Rat der Europäischen Union einstimmig für jeden der neuen Mitgliedstaaten gesondert die volle Schengen-Mitgliedschaft beschließen. Erst nach diesem Beschluss werden die Personenkontrollen an der deutsch-polnischen und an der deutsch-tschechischen Grenze eingestellt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Herr Kollege Baumann.

Günter Baumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ich habe eine Zusatzfrage zum Thema Zoll. Sie sprachen davon, dass sich im Rahmen der EU-Erweiterung die Kontrollen durch den Zoll erübrigen werden. Heißt das, dass die Beschäftigten des Zolls aus der betroffenen Region abgezogen werden? In meinem Heimatland, in Sachsen, würde das relativ viele Beschäftigte betreffen. Gibt es eine andere Verwendung für diese Zollbeschäftigten? Können sie weiterhin in dieser Region tätig sein, zum Beispiel im Rahmen einer Verlagerung von Bundesbehörden, oder werden sie in eine andere Region versetzt?

Not found (Gast)

Herr Kollege, bereits seit 2002 wurde dem wegfallenden Personalbedarf an den Ostgrenzen durch rückläufige Einstellungen Rechnung getragen. Im Übrigen ist eine sozialverträgliche Aufgabenverlagerung vorgesehen. Von den rund 6 500 bald nicht mehr zur Zollkontrolle an den Ostgrenzen eingesetzten Bediensteten kann mehr als ein Drittel weiterhin grenznah verwendet werden. Dies soll, ähnlich wie bei der Abschaffung der Zollkontrollen an den Westgrenzen, durch Verlagerung von Zollverwaltungsaufgaben aus anderen Gebieten in die ehemaligen Grenzgebiete erfolgen. Auch die mobilen Kontrollgruppen und die Bekämpfung der illegalen Beschäftigung durch den Zoll sollen verstärkt werden. Im Übrigen ist eine Versetzung von Beschäftigten in andere Gebiete der Bundesrepublik erforderlich, in denen durchaus noch Personalbedarf in der Zollverwaltung besteht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage. Bitte, Herr Kollege Baumann.

Günter Baumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, habe ich richtig verstanden, dass andere Behörden in die Regionen, wo die Grenzen geöffnet werden, verlagert werden und die Zollbeschäftigten dort eine Arbeit finden, also zwei Drittel in der Region beschäftigt bleiben?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich hatte eben ausgeführt, dass mehr als ein Drittel weiterhin grenznah verwendet werden kann, und zwar durch die Verlagerung von Zollverwaltungsaufgaben aus anderen Gebieten, zum Beispiel Binnenzollämtern und Bundeskassen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage des Kollegen Klaus Rose.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aus der Überraschung heraus, dass Sie schon so genaue Zahlen über die Beschäftigten beim Zoll haben, möchte ich meine Frage ein bisschen anders stellen. Bei mir geht es um den tschechisch-bayerischen Grenzraum. Die Zollbeschäftigten selber hoffen, dass sie durch Verlagerung von Zuständigkeiten zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten bekommen. Die Sicherheitslage im Warenverkehr war schon bisher miserabel. Denn nach Auskunft des Bundes der deutschen Zollbeamten ist bisher aufgrund des fehlenden Personals höchstens 1 Prozent des Warenflusses kontrolliert worden. Wer den Zusammenhang zum Beispiel mit der BSE-Hysterie im Agrarbereich sieht, weiß, was das bedeutet. Wie stellen Sie sich da die Zukunft vor?

Not found (Gast)

Herr Kollege, auch aus den genannten Gründen sollen frei werdende Kapazitäten zur Verstärkung der mobilen Kontrollgruppen und der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung durch den Zoll verwendet werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage des Kollegen Kretschmer.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ihren Ausführungen zufolge würden 4 000 Beschäftigte die ostdeutschen Grenzregionen verlassen müssen, zwei Drittel der Beschäftigten. Dazu kommen die Familien; das ist ein ganz erheblicher Abfluss von Kaufkraft und eben auch von Menschen mit Auswirkungen auf die regionale Wirtschaft. Sie unterstützen damit die Abwanderung. Ist dieses Thema mit dem zuständigen Staatsminister für den Osten in der letzten Regierung und dem jetzigen Minister Stolpe besprochen worden? Ist sich die Bundesregierung darüber klar, was sie mit diesem Abzug möglicherweise anrichtet?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich finde, Sie sollten nicht völlig außer Acht lassen, dass wir hier im Zusammenhang mit der wirklich historischen Chance der Einigung Europas und der Überwindung der Folgen des Zweiten Weltkrieges sukzessive zunächst die Warenkontrollen und dann die Personenkontrollen an den bisherigen Ostgrenzen beseitigen können. Dass dies zwangsläufig mit Aufgabenverlagerungen für diejenigen verbunden ist, die bisher mit diesen Kontrollen befasst waren, sollte die eigentliche Dimension des Themas, über das wir sprechen, nicht überlagern. Der Kollege Schwanitz, der in der letzten Legislaturperiode in der von Ihnen angesprochenen Funktion tätig war, sagt mir gerade, dass es in der vergangenen Legislaturperiode Gespräche gegeben hat. Das für das Thema Zoll federführende Finanzministerium ist auch gerne bereit, den neuen Kolleginnen und Kollegen Informationen zu diesem Gesamtkomplex zur Verfügung zu stellen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage des Kollegen Dirk Niebel. ({0})

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, glauben Sie einmal! Herr Staatsminister, Sie haben schon die wegfallenden Aufgaben beim Zoll geschildert. Nun wissen wir alle, dass es auch immer wieder die Diskussion über die Strukturreform bei der Bundesanstalt für Arbeit gibt. Sowohl der Zoll als auch die Bundesanstalt für Arbeit und die Polizeibehörden der Länder beschäftigen sich ja mit der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung. Gibt es hier Überlegungen, die frei werdenden Kapazitäten beim Zoll dahin gehend zu nutzen, dass man die Bundesanstalt für Arbeit als solche verkleinert und diese Kompetenzen bei einer Behörde bündelt?

Not found (Gast)

Herr Kollege Niebel, Sie sprechen jetzt über Fragen, die sich im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit befinden. Inwieweit dort entsprechende Überlegungen angestellt werden, vermag ich Ihnen hier nicht mitzuteilen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatsminister. Die Fragen 6 bis 9 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen sollen schriftlich beantwortet werden. Das Gleiche gilt für die Frage 10 aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Deswegen kommen wir gleich zur Frage 11: Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung bei der Neuorganisation des Deutschen Musikrates bis dato ergriffen oder gedenkt sie zu ergreifen, damit gewährleistet ist, dass zum einen die Existenz des Deutschen Musikrates erhalten bleibt und zum anderen für wirkungsvoll auf das Haushaltsrecht achtende Kontrollund Prüfgremien gesorgt wird? Zur Beantwortung steht die Staatsministerin Dr. Christina Weiss zur Verfügung.

Not found (Gast)

Herr Scheuer, der Deutsche Musikrat befindet sich in einem laufenden Insolvenzverfahren. Dementsprechend ist für alle das Fortbestehen des Deutschen Musikrates betreffenden Fragen, unter anderem natürlich auch für die Vorbereitung einer neuen Vereinssatzung, der vom Amtsgericht Bonn eingesetzte vorläufige Insolvenzverwalter zuständig. Die Bundesregierung hat ihm ihre kooperative Unterstützung angeboten, um gemeinsam einen Weg aus der Krise zu finden. Es sollte - das war meine ausdrückliche Bitte an den Insolvenzverwalter - eine neue Förderstruktur entwickelt werden, die den Anforderungen an eine moderne, von der öffentlichen Hand geförderte Projektarbeit genügt. Dazu gehört auch eine angemessene Vertretung der Zuwendungsgeber in den Kontrollgremien des Deutschen Musikrates.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage?

Andreas Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003625, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. - Frau Weiss, stimmt es aber, dass im neuen Satzungsentwurf, der Mitte März vom Deutschen Musikrat verabschiedet werden soll, die entscheidenden Zuschussgeber - darunter befinden sich die zuständigen Bundesministerien - weniger Einfluss und Kontrollmöglichkeiten haben? Was machen Sie dagegen?

Not found (Gast)

Die neue Satzung hat die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass eine vernünftige und angemessene Kontrolle möglich ist. Wenn die neue Satzung diesen Anforderungen nicht entspricht, können wir sie so nicht akzeptieren.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfrage? Bitte.

Andreas Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003625, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Man soll ja, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist, eingreifen. Deswegen stelle ich folgende Frage: Hat die Bundesregierung am neuen Satzungsentwurf inhaltlich mitgearbeitet und Einfluss genommen, sodass persönliche Bereicherung und schwarze Kassen, die wir beim Deutschen Musikrat festgestellt haben, zukünftig nicht mehr möglich sind?

Not found (Gast)

Wir haben insoweit teilgenommen, als wir intensive Gespräche mit dem Insolvenzverwalter geführt haben. Wir können noch nicht mit Sicherheit sagen, ob unsere Meinungen in diesem Punkte deckungsgleich sind.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Frage 12 des Kollegen Scheuer: Haben bei der Neuorganisation des Deutschen Musikrates die Kontroll- und Prüfgremien weiterhin denselben oder einen verbesserten Stellenwert in der neuen Satzung?

Not found (Gast)

Herr Scheuer, es geht noch einmal darum, dass es unser erklärtes Ziel ist, für die Kontroll- und Prüfgremien einen Stellenwert zu erreichen, der wirklich eine effektive Kontrolle der Verwendung der öffentlichen Mittel ermöglicht. Ich habe eben schon darauf hingewiesen: Die neue Satzung, wie sie im Entwurf vorliegt, erfüllt die Anforderungen dafür noch nicht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Kollege Scheuer?

Andreas Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003625, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich entnehme dem, dass Sie nicht zufrieden sind, dass Planungsrat und Verwaltungsrat in der neuen Satzung abgeschafft werden sollen?

Not found (Gast)

Wir sind noch in Gesprächen, sowohl mit dem Insolvenzverwalter als auch mit verschiedenen Vertreterinnen und Vertretern des Deutschen Musikrates.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage.

Andreas Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003625, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann geben Sie sich also, so wie Sie es ausführen, nicht zufrieden und arbeiten hoffentlich noch einmal nach, sodass im neuen Satzungsentwurf stehen wird, dass das Präsidium ein bestelltes Präsidialausschussgremium einsetzt. Ein Gremium, das vom Präsidium bestellt ist, kann, glaube ich, die Kontrollfunktion nicht wahrnehmen. Kann ich dem entnehmen, dass Sie hier forsch und bestimmt vorgehen, sodass alle haushaltsrechtlichen Kontrollen gesichert sind?

Not found (Gast)

Wir arbeiten an einer klaren Trennung zwischen Interessensvertretung und einem Kontrollgremium für die Geschäftsführer.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Frau Staatsministerin. Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur Verfügung. Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Dr. Klaus Rose auf: Welche Beweggründe veranlassten die Bundesregierung in ihrem Erlass vom 20. September 2002 über die Stiftung der Einsatzmedaille „Fluthilfe 2002“, neben den Angehörigen der Bundeswehr und des Technischen Hilfswerks, THW, nur jene Feuerwehrleute für die Verleihung vorzusehen, die „mindestens einen ganzen Tag vor Ort“ mit den Einsatzkräften des Bundes zusammengearbeitet haben?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Rose, ich beantworte Ihre Anfrage wie folgt: Die Einsatzmedaille „Fluthilfe 2002“ ist grundsätzlich eine Auszeichnung der Bundesminister des Innern und der Verteidigung für die besonderen Verdienste der Angehörigen beider Geschäftsbereiche bei der Bewältigung der Katastrophe im August 2002. In die Auszeichnung mit eingeschlossen wurden diejenigen Helfer - nicht nur Feuerwehrleute -, die vorbildlich mit den Bundeseinsatzkräften zusammengearbeitet haben. Nach der Stiftungssatzung ist für eine Auszeichnung Voraussetzung, dass die Einsatzkraft mindestens einen ganzen Tag vor Ort geholfen hat. Dies gilt sowohl für die Angehörigen der Bundesorganisationen als auch für Dritte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Es gibt keine Zusatzfrage. Wir kommen zur Frage 14 des Kollegen Rose: Ist sich die Bundesregierung der unterschiedlichen Behandlung all jener Feuerwehrleute, zum Beispiel in Bayern, bewusst, die zwar außerordentlich hilfsbereit im Hochwassereinsatz waren, aber eben ohne Zusammenarbeit mit Bundeswehr und THW, und deshalb von der Verleihung der Einsatzmedaille ausgeschlossen bleiben?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Rose, hier möchte ich auf meine Antwort zu Ihrer vorigen Frage verweisen. Wenn die Voraussetzungen für die Verleihung einer Einsatzmedaille des Bundes nicht vorliegen, besteht auf Länderebene die Gelegenheit zur Auszeichnung. Eine entsprechende Anregung der Hochwasserbeauftragten der Bundesregierung vom September 2002 haben die Länder Brandenburg, Hamburg, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein aufgegriffen und eigene Ehrenzeichen gestiftet.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Rose.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe die Zusatzfrage: Können Sie nachempfinden, dass die Feuerwehrleute, die tage- und wochenlang im Einsatz waren - Passau und seine Region waren vom Hochwasser sehr betroffen -, sehr viel geleistet und keine Auszeichnung bekommen haben, weil sie dummerweise nicht wenigstens einen Tag mit dem BGS, dem THW oder der Bundeswehr zusammengearbeitet haben, „die da droben in Berlin“ überhaupt nicht mehr verstehen? Können Sie nachempfinden, dass ein gewaltiger Streit zwischen diesen Feuerwehrleuten und jenen aus der gleichen Einheit, die eine Medaille erhalten haben, entsteht?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Rose, ich glaube, festhalten zu dürfen, dass das Hochwasser im vergangenen Jahr an Elbe und Mulde deutlich gemacht hat, dass all diejenigen, die im Katastrophenschutz tätig waren, hervorragende Arbeit geleistet haben. Das war völlig unabhängig von der Farbe der Uniform. Bezüglich der Verleihung von Orden und Ehrenzeichen gibt es Satzungen und Erlasse. Im Übrigen habe ich Ihnen den Erlass, auf den sich diese Ehrung stützt, mitgebracht. Ich werde ihn Ihnen nachher überreichen, dann können Sie darin noch ein wenig lesen. Ich glaube, es war eine gute Sache, dass die Länder, die von mir aufgezählt worden sind, eigene Ehrungen vorgenommen haben. Vielleicht hätte das der Freistaat Bayern auch tun sollen. Wenn er es noch nicht getan hat, so könnte er das noch nachholen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Rose, bitte.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe diese Antwort in etwa erwartet. Natürlich können das die Länder selber machen. Aber es ist doch verständlich, dass die Feuerwehrleute vor Ort, die diese Auszeichnung gern bekommen hätten, sauer sind. Könnte man die Satzung nicht irgendwann einmal ändern, um solche Ungerechtigkeiten in Zukunft zu vermeiden?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Lieber Herr Rose, reden Sie vielleicht einmal mit dem Innenminister des Landes Bayern darüber, inwieweit das aufgegriffen werden kann. Bei solchen Ehrungen gibt es gewisse Regularien, das ist auch hier der Fall. Nichtsdestotrotz gibt und gab es eine hervorragende Zusammenarbeit und ich bin froh, dass es unter den bei den Hilfsaktionen Tätigen keine Eifersüchteleien und Kompetenzstreitigkeiten gegeben hat. Das wurde ganz deutlich. Deshalb sage ich: Hut ab vor allen, die dort hervorragende Arbeit geleistet haben. Diese und andere Ehrungen sind dafür Ausdruck. Ich hoffe, dass wir weiterhin, wenn es nötig wird, auf diejenigen zählen können, die beispielsweise beim Technischen Hilfswerk, bei der Feuerwehr oder bei anderen Katastrophenschutzorganisationen Hilfe geleistet haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage des Kollegen Scheuer.

Andreas Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003625, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie sprachen vorhin vom Hochwasser an Elbe und Mulde, ich möchte ergänzen, dass es auch an der Donau ein Hochwasser gab. Sie haben gelobt, dass kein Gerangel stattgefunden hat. In Sonntagsreden heißt es, dass die Organisation der Hilfsaktionen harmonisch verlaufen ist. Können Sie nicht nachvollziehen, dass die Feuerwehrleute gern dieses äußere Zeichen der nationalen Anerkennung hätten und nicht nur dezentral ausgezeichnet werden möchten? Sie aber lassen die Satzung als Argument gelten. Wie bewerten Sie dies?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Lieber Kollege Scheuer, erstens: Vielen Dank für den Hinweis, dass es auch an der Donau Hochwasser gegeben hat. Dies wollte ich nicht unterschlagen und wir halten dies jetzt hiermit fest. ({0}) - Ich sehe, der Kollege Koschyk stimmt mir zu. Dies war keine Absicht und die Hinzufügung ist nun erfolgt. Zweitens. Es gibt nun einmal bestimmte Regularien beispielsweise für die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes oder einer Landesverdienstmedaille. Außerdem haben auch Feuerwehrleute, die den Kriterien entsprochen haben, unsere Auszeichnung bekommen. Dies habe ich auch deutlich gemacht. Ich glaube, dass man hier keine falsche Diskussion in Gang setzen sollte. Vielmehr sollte Anerkennung für all diejenigen deutlich werden, die dort großartig geholfen haben. Diese Auszeichnung war ein Symbol dafür. Dies gilt auch für die Auszeichnungen vonseiten der Länder. Ich denke, dass dies eine runde Sache ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen nun zur Frage 15 des Kollegen Clemens Binninger: Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über die Gründe für die Unterschiede in der Zahl der in die DNA-Analyse-Datei seit deren Einrichtung im April 1998 eingestellten Dateien- und Spurendatensätze, wie sie sich aus der Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister des Innern, Fritz Rudolf Körper, vom 19. November 2002 auf die schriftliche Frage 9 der Abgeordneten Katherina Reiche auf Bundestagsdrucksache 15/107 ergibt, und wenn ja, welche Schlüsse zieht sie daraus?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Binninger, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Bundesregierung liegen keine detaillierten Erkenntnisse über die Ursachen des Speicherverhaltens der Länder vor. Angesichts der grundsätzlichen Zuständigkeit der Länder für die Strafverfolgung sieht sie es auch nicht als ihre Aufgabe an, deren Vorgehensweise bei der Speicherung von Datensätzen in der DNA-Analyse-Datei zu bewerten. Dessen ungeachtet appelliert die Bundesregierung an die Länder, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten zu nutzen, und zu verhindern, dass es zu Verzögerungen bei den Einzelfallprüfungen der gesetzlichen Voraussetzungen für molekulargenetische Untersuchungen von Körperzellen, deren Durchführung oder der Speicherung der DNAIdentifizierungsmuster in der DNA-Analyse-Datei kommt. Sie begrüßt deshalb die Entschließung des Bundesrates vom 12. Juni 2001, in der sich die Länder verpflichtet haben, ihre Anstrengungen zum Aufbau der im Gesetz vorgesehenen Gendateien zu verstärken.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Kollege Binninger.

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich habe zwei Zusatzfragen. Mit dem so genannten genetischen Fingerabdruck haben sich die Möglichkeiten der Polizei zur Verfolgung von Sexualstraftätern deutlich verbessert. Stimmen Sie mit mir überein, dass man diese Möglichkeiten aber nur dann nutzen kann, wenn möglichst viele Datensätze in diese Datei eingestellt werden und dieser Umstand nicht einem falsch verstandenen Verständnis von Datenschutz geopfert wird?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Ich glaube, es ist unbestreitbare Tatsache, dass die Nutzung der Datei umso effektiver ist, je größer der Datenbestand ist. Die Bundesländer machen auch Gebrauch davon. Ich erlaube mir, Sie noch einmal darauf hinzuweisen, dass wir relativ genau aufgelistet haben, in wie vielen Fällen die Bundesländer von der Datei Gebrauch machen. Es gibt übrigens auch unterschiedliche Vorgehensweisen. Da ich den Fragenkatalog der heutigen Fragestunde kenne, weiß ich, dass der Kollege Koschyk eine Frage gestellt hat, die sich auch mit diesem grundsätzlichen Problem befasst, die vonseiten des Bundesjustizministeriums, welches in diesem Fall federführend ist, beantwortet werden wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage.

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben vorhin auf die Zuständigkeit der Länder abgehoben. Dies ist nicht zu kritisieren. Stimmen Sie aber mit mir überein, dass hinsichtlich der Anzahl der erfassten Datensätze auffällt, dass die Länder Nordrhein-Westfalen und Niedersachen, aber auch der Bund im Verhältnis zu den bekannt gewordenen Straftaten sehr viel weniger Datensätze eingestellt haben als die Länder Bayern und Baden-Württemberg?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Binninger, die Zahlen liegen mir vor. Es gibt Unterschiede und Differenzierungen. Ich glaube, sie sind nicht geeignet, das Spiel der parteipolitischen Farbenlehre zu beginnen. Wir begrüßen den Beschluss der IMK zu dieser Thematik. Ich hoffe, dass unser Appell entsprechend aufgenommen wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Gibt es eine weitere Frage? - Herr Kollege Koschyk, bitte.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort auf die Frage des Kollegen Binninger gerade davon gesprochen, dass die Bundesregierung an die Bundesländer appelliert, für eine stärkere Zulieferung von Datensätzen zu sorgen und von den rechtlichen Regelungen Gebrauch zu machen. Belässt es die Bundesregierung bei einem Appell oder hat sie es bei den Beratungen in der Konferenz der Länderinnenminister oder der Länderjustizminister auch zu einem Thema gemacht?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Koschyk, ich habe mich auf die Entschließung des Bundesrates vom 12. Juni 2001 bezogen, in der sich die Länder dazu verpflichtet haben, ihre Anstrengungen zum Aufbau der im Gesetz vorgesehenen Gendateien zu verstärken. Daraus wird erstens deutlich, dass dies Thema war. Zweitens wird deutlich, in welche Richtung es gehen soll. Nun obliegt es den Ländern, dies entsprechend umzusetzen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nun eine weitere Frage des Kollegen Krichbaum.

Gunther Krichbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003573, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, nach meinem Dafürhalten wird durch das Vorhandensein unterschiedlicher Erfassungsdaten erkennbar, dass man an diesen Bereich in Zukunft mit größerer Sorgfalt herangehen sollte. Deswegen meine Frage: Haben Sie Erkenntnisse darüber, von wie vielen Sexualstraftätern oder anderen Kriminellen die Datensätze noch nicht in der DNA-Datei erfasst wurden, obwohl die Voraussetzungen dafür vorliegen?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Nein, Herr Kollege Krichbaum, diese Zahlen sind nicht bekannt. Es gibt im Übrigen keine Unterschiede bei der Art der Datensätze, sondern nur Unterschiede und Differenzierungen bei der Anzahl der Datensätze. Ich glaube, das muss man differenzieren. Dementsprechend habe ich auch geantwortet, insbesondere auf die Frage des Kollegen Binninger. Es gibt aber in der Tat Unterschiede, nämlich Unterschiede in der Art der Herangehensweise. Das ist bekannt. Jeder, der sich damit beschäftigt, weiß das.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Die Fragen 16 bis 19 werden schriftlich beantwortet. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach zur Verfügung. Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Hartmut Koschyk auf: Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung zu der Forderung, den Gentest auf alle Straftäter, bei denen derzeit eine erkennungsdienstliche Behandlung erfolgt, auch gegen deren Willen auszudehnen?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Kollege Koschyk, erlauben Sie mir, auch zum besseren Verständnis für die anderen Zuhörer, die Fragen 20 und 21 im Zusammenhang zu beantworten?

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann rufe ich auch Frage 21 des Kollegen Koschyk auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die wissenschaftlichen Erkenntnisse, wonach insbesondere schweren Sexualstraftaten andere Delikte vorausgingen, und wie sieht sie vor diesem Hintergrund die Forderung, den genetischen Fingerabdruck von Ersttätern bei allen Straftaten mit sexuellem Bezug auch aus präventiven Gründen zu speichern?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Dass der Einsatz der DNA-Analyse einen wichtigen Beitrag zur Strafverfolgung leistet und diese in Einzelfällen effektiver gestalten kann, steht außer Frage. Ob und wie weit die gesetzlichen Zulässigkeitsgrenzen dieses Einsatzes gelockert werden sollen, ist dagegen schon seit geraumer Zeit Gegenstand intensiver Diskussionen. Die Bundesregierung hat in dieser Frage bereits in der Vergangenheit betont, dass bei Straftaten mit sexuellem Bezug die zum Teil bestehenden Beschränkungen überprüft werden müssen. Die derzeitige Regelung des § 81 g StPO zur Entnahme und molekulargenetischen Untersuchung von Körperzellen zu Zwecken der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren setzt zweierlei vo1628 raus: zum einen den Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung und zum anderen die Prognose, dass gegen den Beschuldigten künftig erneut Strafverfahren wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung zu befürchten sind. Ein Absehen von der zweiten Voraussetzung, also der Gefährlichkeitsprognose, kommt schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht in Betracht. Denn es liegt auf der Hand, dass etwa bei einer einmaligen Verfehlung, die keine nachhaltige Gefährlichkeit des Beschuldigten erkennen lässt, eine DNA-Analyse nicht notwendig und damit unverhältnismäßig wäre. Anders verhält es sich bei der Voraussetzung, dass der Beschuldigte bereits eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen haben muss. Es erscheint unter Opferschutzgesichtspunkten kontraproduktiv, dass - ungeachtet der sich im Einzelfall offenbarenden Gefährlichkeit des Beschuldigten - mit der DNA-Analyse stets gewartet werden muss, bis es zu einer neuen Straftat - dann leider von erheblicher Bedeutung - gekommen ist. Ich darf hierzu auf das vom Bundesministerium der Justiz in Auftrag gegebene Gutachten der Universität Göttingen verweisen, auf das offenbar auch Sie, Herr Kollege Koschyk, Bezug nehmen. Die Untersuchung hat ergeben, dass immerhin etwa 1 bis 2 Prozent der wegen Exhibitionismus verurteilten Täter später Gewalttaten begehen. Die Koalitionsfraktionen werden deshalb noch in dieser Woche - genauer gesagt: morgen gegen 13 Uhr - einen Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag einbringen, in dem unter anderem auch diese Problematik aufgegriffen wird. Gemäß dem Entwurf wird das Erfordernis, dass bereits die Anlasstat von erheblicher Bedeutung sein muss, gestrichen, soweit es sich um Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung handelt. Entschieden zu weit geht jedoch die von einzelnen Politikern der Union, etwa dem hessischen Justizminister, Dr. Christean Wagner, erhobene Forderung, die DNA-Analyse mit dem konventionellen Fingerabdruck generell gesetzlich gleichzustellen. Hier wird mit einer Zahl argumentiert - dies hat der Kollege Bosbach jüngst getan -, nach der ein Viertel aller Vergewaltiger als Spanner oder Exhibitionisten angefangen hätte. Dies ist jedenfalls anhand der mir bekannten Untersuchungen nicht belegbar. Die letzte mir bekannte Untersuchung hierzu wurde von der Kriminologischen Zentralstelle durchgeführt und gestern in der „Süddeutschen Zeitung“ zitiert. Diese hatte eine Gruppe von Straftätern zum Gegenstand, die unter anderem auch - aber nicht nur! - wegen Exhibitionismus verurteilt worden war. Bei dieser Gruppe von insgesamt lediglich 54 Tätern hat sich ergeben, dass 57 Prozent bereits früher mit Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung in Erscheinung getreten waren und dass zwei von diesen 54 Tätern, also 3,7 Prozent, später wegen Vergewaltigung verurteilt wurden. Will man redlich argumentieren, muss man die umgekehrte Blickrichtung wählen, wie dies in der vom BMJ in Auftrag gegebenen Studie der Universität Göttingen getan wurde. Man muss also die Frage stellen, wer zunächst als Exhibitionist und dann wegen gewalttätiger Straftaten auf sexuellem Gebiet aufgefallen ist. In dieser Studie ist man zu dem Ergebnis gekommen - dies habe ich bereits erwähnt -, dass lediglich 1 bis 2 Prozent der Exhibitionisten später mit einem Gewaltdelikt in Erscheinung treten. Im Übrigen lässt der Vorschlag, die DNA-Analyse mit dem herkömmlichen Fingerabdruck gleichzusetzen, die Unterschiede beider Maßnahmen völlig unberücksichtigt: Die Gentechnik unterliegt einer Entwicklung, die in ihrer Dynamik und in ihren Auswirkungen kaum abzuschätzen ist. Daher ist es unverzichtbar, das mit dieser Dynamik verbundene Risiko hinsichtlich der Ausforschung persönlicher Lebenssachverhalte zu berücksichtigen und in die gesetzgeberische Abwägung einfließen zu lassen. Zu Recht wurde deshalb selbst in dem Ende letzten Jahres von der Unionsfraktion - also Ihrer Fraktion - eingebrachten Gesetzentwurf zur Verbesserung des Schutzes der Bevölkerung vor Sexualverbrechern, Bundestagsdrucksache 15/29, diese überzogene Forderung nicht aufgegriffen und lediglich vorgeschlagen, als Anlasstat alle Vergehen mit sexuellem Hintergrund genügen zu lassen. Auch die geltende Regelung, dass bei der DNA-Analyse ein Richter vorher festgestellt haben muss, dass der Beschuldigte voraussichtlich auch künftig Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, ist aus Sicht der Bundesregierung unverzichtbar. Ich darf hierzu auf die in jüngster Zeit ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verweisen, in der festgestellt wurde, dass erstens die Feststellung, Speicherung und künftige Verwendung des DNA-Identifizierungsmusters in das vom Grundgesetz verbürgte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingreift und zweitens dieses Grundrecht nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt werden darf. Der Koalitionsentwurf, der im Übrigen heute Morgen der Presse vorgestellt wurde und wahrscheinlich auch Ihnen vorliegt, wird diesem wichtigen verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt Rechnung tragen. Andere Vorschläge werden sich hieran messen lassen müssen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage des Kollegen Koschyk.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich habe jetzt vier Zusatzfragen. Ich komme zu meiner ersten Zusatzfrage. Herr Staatssekretär, ich bin über die Vorbehalte, die aus Ihrer Antwort im Hinblick auf die DNA-Analyse sichtbar werden, erschrocken. Ich möchte Sie fragen, wie Sie den erheblichen Widerspruch zu der Bewertung des Präsidenten des Bundeskriminalamtes, Herrn Kersten, beurteilen. Sie haben die „Süddeutsche Zeitung“ aus diesen Tagen angeführt. Darin wird Herr Kersten, der BKA-Präsident, wie folgt zitiert: Das Instrument ist sehr effektiv, hat eine hohe Trefferquote und ist vor allem bei schweren Verbrechen wirksam. Von der Schwere des Eingriffs her sehe ich keine wesentlichen Unterschiede zur Abnahme von Fingerabdrücken. Wie bewerten Sie diese Aussage des BKA-Präsidenten vor dem Licht Ihrer Aussage, in der Sie gravierende Unterschiede zwischen DNA-Analyse und Fingerabdrücken sehen?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Kollege Koschyk, wir sind uns sicherlich beide einig, dass alles, was wir an gesetzgeberischen Maßnahmen gerade auf diesem Gebiet veranlassen, unter dem klaren und engen Gesichtspunkt der Verfassungsmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit geschehen muss. Wir wissen beide, dass einer Ihrer Fraktionskollegen, der in der vergangenen Legislaturperiode die Rechtspolitik Ihrer Fraktion an maßgeblicher Stelle beeinflusst hat, einmal gefordert hat, dass alle männlichen Bewohner Deutschlands ohne Ansehen der Person und ohne Anlasstat einer DNA-Probe unterzogen werden sollten. Wir sind uns sicherlich alle darin einig, dass dies weder dem Gesichtspunkt der Verfassungsmäßigkeit noch dem der Verhältnismäßigkeit entspricht. Sie gestatten, dass wir, die Justizministerin, der Parlamentarische Staatssekretär und die Fachebene des Hauses, unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit und auch der Verfassungsmäßigkeit zu der Auffassung gekommen sind, die ich soeben vorgetragen habe. Ich würde mich davor hüten, Herr Koschyk - an Ihrer Stelle würde ich es überprüfen -, das Zitat eines sehr bedeutenden und auch sehr guten Beamten, nämlich des Präsidenten des Bundeskriminalamtes, ohne Prüfung der Authentizität so zu bewerten. Ich möchte dieses Zitat heute so nicht bewerten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Koschyk.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich kenne Herrn Kersten als einen sehr verantwortungsbewussten Präsidenten des Bundeskriminalamtes, von dem ich sicher bin, dass er sich seine Einschätzung in diesem Interview sehr wohl überlegt hat. Ich halte sie für sehr gewichtig, weil Herr Kersten diese Einschätzung aus der kriminalpolizeilichen Praxis gewonnen hat. Herr Staatssekretär, durch die von Ihnen aus der „Süddeutschen Zeitung“ zitierte Studie des BKAwird deutlich, dass es ein zu kurz gesprungener Ansatz ist, die Ergebnisse nur im Hinblick auf Anlasstaten im sexuellen Bereich auszuwerten, wie das die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung jetzt planen. In der „Süddeutschen Zeitung“ wird der Leiter der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden, Herr Egg, zitiert, der eine „‚entsprechende Ausweitung der Gendatenbank‘ auf die einschlägige Klientel der Vielfachtäter ‚für sinnvoll‘“ hält. Die Studie des Bundeskriminalamtes zeigt nämlich, dass in der letzten Zeit die Täter von spektakulären Sexualstraftaten - das wird in der „Süddeutschen Zeitung“ deutlich - kein tätertypisches Profil aufweisen, bei dem mit minderschweren Sexualdelikten begonnen wird, sondern dass es sich um Vielfachtäter mit einem sehr breiten Spektrum von Vergehen handelt. Was sagen Sie aufgrund dessen zu dem konkreten Vorschlag des Leiters der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden, die Gendatenbank auf die einschlägige Klientel der Vielfachtäter auszudehnen, zumal dies gerade angesichts der spektakulären Sexualstraftaten der letzten Wochen und Monate vom Täterbild her nahe liegt?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Koschyk, ich erlaube mir, etwas weiter zurückzugehen: Als früherer Staatsanwalt und Strafrichter verfüge ich über eine sehr große Erfahrung in der Strafverfolgung. Ich weiß, dass gerade Sexualstraftäter - das wird durch viele Studien belegt - eine kriminelle Laufbahn einschlagen, die beim Handtaschenraub, weniger beim Ladendiebstahl, weniger beim Schwarzfahren und auch weniger - wir haben es eben gehört - beim Exhibitionismus beginnt. Wir wissen auch - das belegen Studien ebenfalls -, dass viele Sexualstraftäter zuvor strafrechtlich überhaupt noch nicht in Erscheinung getreten sind, sodass es keinerlei Möglichkeit gibt, in der DNA-Datei nachzuforschen. Ferner muss man berücksichtigen, welche Taten schon jetzt in die DNA-Datei aufgenommen werden können: Das beginnt beim schweren Diebstahl und beinhaltet natürlich auch den Handtaschenraub. Damit sind im Prinzip all diejenigen erfasst, die später als Sexualstraftäter schlimmste und schwerste Straftaten begehen könnten. Wenn wir diesen Katalog durch unseren Gesetzentwurf noch erweitern, werden wir auch den letzten Rest erfasst haben. Da Sie die BKA-Studie zitiert haben, möchte ich noch die folgenden beiden Sätze vorlesen, die von dem BKAMann Schmitter stammen: Eine DNA-Spur überführt noch keinen Täter. Sie ist nur ein Hilfsmittel der Ermittlungen. Entschuldigen Sie bitte, wenn ich jetzt ein bisschen politisch werde. - Danke, Sie haben genickt. - Gaukeln Sie bitte der Bevölkerung nicht vor, Herr Kollege Koschyk, es gäbe die absolute Sicherheit. Wir alle sind bemüht, ein hohes Maß an Sicherheit insbesondere für gefährdete Kinder und für gefährdete Frauen zu schaffen. Dies erreichen wir mit unserem Gesetzentwurf, der den Grundsätzen der Verfassungsmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit entspricht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, dann müssen Sie auch mir gestatten, dass ich politisch werde. Den kleinen Fortschritt, auf den sich die Koalitionsfraktionen jetzt verständigt haben, haben Sie in der parlamentarisch-politischen Diskussion in diesem Hohen Hause noch vor einem Jahr weit von sich gewiesen. Nun haben Sie zu Recht den BKA-Mann zitiert, der gesagt hat, die DNA-Spur sei ein Hilfsmittel der Ermittlung. Ich verweise auch noch einmal auf das, was Herr Kersten dazu gesagt hat, sowie auf die seit langem bestehenden Forderungen des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Daher erlaube ich mir die Frage, warum die Bundesregierung ideologische Vorbehalte - diese sind im ersten Teil Ihrer Antwort deutlich geworden - gegen die Ausweitung der DNA-Analyse als kriminalpolizeiliches Hilfsmittel hat und zu dieser Ausweitung nicht bereit ist. Die parlamentarische Beratung Ihres Gesetzentwurfs bietet dazu noch die Chance. Ich denke hier zum Beispiel an die Regelung in Österreich, Herr Staatssekretär. Halten Sie es tatsächlich für rechtsstaatlich bedenklich, dass in Österreich der Richtervorbehalt bei der DNA-Analyse längst nicht eine so große Rolle wie in Deutschland spielt? Man muss in diesem Zusammenhang ja auch einmal über eine Entlastung der Justiz nachdenken.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Präsident, das waren die Zusatzfragen 4 a und b. Darf ich sie beantworten?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ja, bitte.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Danke schön. - Herr Koschyk, ich bin eigentlich froh, dass es politische Unterschiede in der Betrachtungsweise gibt, wie man strafrechtliche Regelungen ausgestalten soll. Ich sage es ganz deutlich: Sie haben eine andere Betrachtungsweise als wir. Wir haben allerdings in den letzten vier Jahren in der Rechtspolitik bewiesen, dass wir die Gesetze, die wir insbesondere auf dem strafrechtlichen und strafprozessualen Sektor gemacht haben, an zwei - ich darf einmal Herrn Eichel zitieren - Leitplanken messen lassen: Die eine Leitplanke sind die Wirkung und der Schutz der Bevölkerung. Die andere Leitplanke sind die Verfassungsmäßigkeit und die Verhältnismäßigkeit. Zwischen diesen Leitplanken bewegen wir uns. Wir sind der politischen Ansicht, dass das Gesetz hinsichtlich der DNA-Analyse in der unseren Vorstellungen entsprechenden Neufassung des § 81 g StPO einen ausreichenden Schutz und eine größtmögliche Wirkung unter Beachtung der verfassungsmäßigen Grundsätze und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bietet. Wenn Sie anderer Ansicht sind, dann finde ich das sehr gut; denn davon lebt die Demokratie. Gestatten Sie mir, auf die Frage nach meiner Einschätzung der Regelungen in Österreich eine politische Antwort zu geben. Ich schätze die Österreicher sehr. Unsere beiden Länder haben eine starke gemeinsame Wurzel auf dem Gebiet des Rechts, und zwar sowohl im Zivilrecht als auch im Strafrecht. Dies zeigt sich immer wieder. Aber zwischen uns gibt es auch unterschiedliche politische Auffassungen. Die Österreicher haben beispielsweise - Herr Kollege van Essen wird sich sicherlich daran erinnern; denn er selber hat diesen Begriff in der vor kurzem geführten Debatte über das Graffitibekämpfungsgesetz benutzt - kein Problem mit dem Begriff der Verunstaltung. Wir, die Regierungskoalition, haben dagegen ein rechtspolitisches Problem mit diesem Begriff, wenn es um die Ahndung von Sachbeschädigungsdelikten geht. Genauso ist es hier: Wir möchten, dass unsere Sichtweise der Verfassungsmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit eines Gesetzes seinen Niederschlag im deutschen Recht findet. Sie gestatten mir sicherlich, dass ich keinerlei Wertung zu dem abgebe, was die Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten sowie das Justizministerium in Österreich tun. Das ist deren Problem. Genauso wäre ich dankbar, wenn man im Ausland die Gesichtspunkte, die wir bei unserer Gesetzgebung berücksichtigen, beachten und achten würde.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage des Kollegen Binninger.

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben Ihre ablehnende Haltung gegenüber unserer Position überwiegend aus der Perspektive des Datenschutzes zugunsten des Straftäters begründet. Hielten Sie es aber nicht für erforderlich und verhältnismäßig, wenn man das Ganze aus der Perspektive des Opfers sähe und dementsprechend alle Maßnahmen träfe, um Straftaten zu verhindern? Es kann doch bei einem Straftäter keine Rolle spielen, welche Straftat er am Beginn seiner kriminellen Karriere begangen hat. Ihre Missbrauchsängste könnte man ja über Löschungsfristen auffangen.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Kollege Binninger, ich glaube, Sie unterliegen hier einem sehr elementaren Irrtum. Wenn Sie von Opferschutz reden, dann sollten Sie bedenken, dass die nachträgliche Feststellung eines Täters über die DNAAnalyse dem Opfer fast nichts mehr hilft, vor allen Dingen dann nicht, wenn es tot ist. Ich muss das leider in dieser Deutlichkeit feststellen. Wir gehen andere Wege des Opferschutzes. Wir haben zum Beispiel mit unserem Gesetz aus der letzten Legislaturperiode die vorbehaltene Sicherungsverwahrung eingeführt - auch sie ist verfassungsmäßig und verhältnismäßig -, mit der gefährliche Täter in Sicherungsverwahrung genommen bzw. weiterhin gehalten werden können, um die Opfer zu schützen. Das Einzige, was uns unterscheidet, ist letztlich die Antwort auf die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit. Ich gehe davon aus, dass auch Ihre Fraktion vor der Einbringung Ihres Gesetzentwurfs eine entsprechende Prüfung vorgenommen hat. Unsere Positionen liegen doch nicht weit auseinander. Wir werden die Verfassungsmäßigkeit und die Verhältnismäßigkeit unseres Gesetzentwurfs am 19. Februar dieses Jahres von 14 bis 18 Uhr im Rahmen einer groß angelegten Anhörung im Rechtsausschuss erörtern. Sie möchten - das haben Sie geschrieben; vielleicht kann mir Herr Koschyk helfen -, dass von „Anlasstaten mit sexuellem Hintergrund“ die Rede ist, während wir möchten, dass die Formulierung „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ lautet. Das liegt nicht weit auseinander.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage stellt der Kollege van Essen.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie haben mehrfach den Grundsatz der Verfassungsmäßigkeit erwähnt, den wir zu beachten haben. Auch die Verhältnismäßigkeit gehört zu diesen Prinzipien. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in der Vergangenheit mehrfach mit dieser Thematik befasst. Wie ist die Auffassung der Bundesregierung? Schafft die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht auch klare Grenzen in Bezug auf unsere Handlungsspielräume? Zeigt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht auf, dass alles das, was die Kollegen der CDU/CSU fordern, durch die Verfassung begrenzt wird und deshalb nicht in dem Umfang, wie es immer wieder gefordert wird, umgesetzt werden kann?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Parlamentarischer Geschäftsführer van Essen, ich könnte jetzt einfach mit Ja antworten. Aber das wäre Ihnen wahrscheinlich zu einfach, oder? ({0}) - In der Tat. Ich habe hier eben die beiden Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verlesen. Ich nenne sie noch einmal: auf der einen Seite das verbürgte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und auf der anderen Seite die Verwertung im überwiegenden öffentlichen Interesse. An diese Leitlinien halten wir uns. Man sollte also nicht Schwarz-Weiß-Malerei betreiben, indem man Opferschutz und Täterschutz einfach gegenüberstellt, sondern man muss zwischen präventivem Opferschutz und den Möglichkeiten einer guten und sicheren Identifizierung des Täters unter Beachtung ebendieser Grundsätze genau abwägen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage stellt der Kollege von Klaeden.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, meine Frage geht in dieselbe Richtung wie die des Kollegen van Essen; es geht nämlich um die Verfassungsmäßigkeit und um die Verhältnismäßigkeit. Sie haben hier beide Begriffe mehrfach angeführt. Zunächst einmal interessiert mich, wieso Sie diese Ausweitung eigentlich für nicht verhältnismäßig halten. Halten Sie sie für nicht geeignet, für nicht erforderlich oder für so unverhältnismäßig, dass die Persönlichkeitsrechte beeinträchtigt werden? Um das, was ich meine, ein bisschen zu konkretisieren, möchte ich auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1995 verweisen. Dort heißt es: Seit jeher gehört es zu den Methoden der Verbrechensaufklärung, am Tatopfer oder im Bereich des Tatortes entdeckte Spuren, die zur Überführung des Täters führen könnten, zu untersuchen. Jetzt kommt der Satz, auf den es mir besonders ankommt: Diese Spuren haben sich derartig objektiviert, dass ihre Auswertung in der Regel nicht als Eingriff in das Persönlichkeitsrecht anerkannt werden kann.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Kollege von Klaeden, ich gebe Ihnen vollkommen Recht. Zwar findet eine DNA-Analyse der Spuren statt; aber die Speicherung in einer Datei erfolgt auf der Grundlage dessen, dass einem Menschen eine Probe - Speichel oder was auch immer - entnommen wird. ({0}) Das, was Sie vorgelesen haben, bezieht sich auf die Objektivierung der Sicherstellung und auf die Auswertung von Tatortspuren. Das, was wir in die gesetzlich zulässigen Bahnen einbetten wollen - damit wollen wir gleichzeitig eine bessere Verbrechensbekämpfung ermöglichen -, ist die Entnahme von Vergleichsmaterialien bei einem potenziellen Täter. Die dabei zu beachtenden Grundsätze sind andere als diejenigen, die ein Kriminalbeamter bei der Spurensicherung am Tatort beachten muss. Dies dürfte doch einleuchtend sein, oder? ({1}) - Verhältnismäßigkeit bedeutet - das haben wir beide, sowohl Sie als auch ich, im ersten Semester gelernt -: Einerseits muss eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür sprechen, dass Maßnahmen zum Erfolg führen, und andererseits müssen die verfassungsmäßigen Grundsätze beachtet werden. So einfach ist das. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Nach diesem juristischen Seminar bzw. dieser Übung kommen wir wieder zu anderen Inhalten. ({0}) - Das war Ihre erste Beantwortung? - Herzlichen Glückwunsch! ({1}) Sie haben eine Bella Figura gemacht. Vielen Dank. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller zur Verfügung. Die Fragen 22 und 23 sollen schriftlich beantwortet werden. Damit kommen wir zur Frage 24 des Kollegen Börnsen, der sich auch hier im Saal befindet: Was hat die Bundesregierung und zu welchem Zeitpunkt unternommen, damit die durch die EU-Kommission kritisierten Schiffbaubürgschaften norddeutscher Länder EU-rechtskonform ausgestaltet werden und dadurch Aufträge und Beschäftigung für die deutsche Werften in Übereinstimmung mit dem EU-Wettbewerbsrecht gesichert werden können? Bitte schön, Herr Diller.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Börnsen, die Kommission hat Zweifel daran, dass die Bürgschaftssysteme der Küstenländer zur Förderung des Schiffbaus kostendeckend arbeiten und die Voraussetzungen der Beihilfefreiheit gemäß Nr. 4.3 der Bürgschaftsmitteilung erfüllen, und hat deshalb wiederholt um die Übersendung von Informationen gebeten. Die Bundesregierung vertritt seit Ende 2000 in Übereinstimmung mit den Küstenländern gegenüber der Kommission die Auffassung, dass die Bürgschaftsregelungen kostendeckend und daher nicht als Beihilfen zu qualifizieren sind. Bundesregierung und Länder stützen sich dabei auf die Bürgschaftsmitteilung der Kommission aus dem Jahr 2000 sowie auf die mehrjährige Praxis der Kommission bei der Beurteilung von beihilfefreien Bürgschaftsregelungen. Seit dieser Zeit befindet sich die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern in Gesprächen mit der Kommission, der auf Nachfrage wiederholt und fristgerecht schriftliche Detailinformationen zu diesen Regelungen übersandt worden sind, zuletzt am 17. Januar dieses Jahres. Eine Antwort auf diese jüngste Stellungnahme steht noch aus. Sollten die Bedenken der Kommission nicht ausgeräumt werden, ist die Eröffnung eines Hauptprüfverfahrens nicht ausgeschlossen. Die Bundesregierung hat die Länder auf diese Möglichkeit hingewiesen. Die Eröffnung des Hauptprüfverfahrens über die Schiffbaubürgschaftsregelungen der Küstenländer hat allerdings keine präjudizierende Wirkung für die Frage der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit dieser Förderung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Kollege Börnsen?

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. - Herr Staatssekretär, ich bedanke mich zunächst für die Antwort. Sie werden aber Verständnis haben, dass ich noch einmal nachfrage, da ich die Einschätzung der norddeutschen Landesregierungen teile, dass bei einem negativen Ausgang des Hauptprüfverfahrens nicht nur Verluste von Millionen Euro abzuschreiben sind, sondern auch Hunderte bzw. Tausende von Arbeitsplätzen infrage stehen. Deshalb möchte ich Sie gerne fragen, warum der Wettbewerbskommissar so nachdrücklich darauf besteht, dass die Bundesregierung deutlich macht, dass es hier nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung gegenüber anderen europäischen Ländern, wo ebenfalls Förderungen praktiziert werden, gekommen ist.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege Börnsen, der Kommissar hat beispielsweise Fragen bezüglich der gleichmäßigen Erhebung der Entgelte von allen Reedern unabhängig von ihrer Bonität gestellt und stellte sich und damit auch uns die Frage, ob damit nicht eine Quersubventionierung von Reedereien, denen es gut geht, gegenüber Reedereien, denen es nicht so gut geht, stattfindet. Deswegen haben wir ihm dazu jüngst noch einmal aktuelle Zahlen übermittelt. Beispielsweise sind der Mitteilung an die Kommission mit Datum vom 16. Januar - am 17. ist sie dann wohl herausgegangen - die Bauzeitbürgschaften, Einnahmen und Ausgaben, Gebühren und Entgelte, Verwaltungskosten sowie die Endfinanzierungsbürgschaften jeweils als Einnahmen und Ausgaben in Tabellenform mit Gegenüberstellungen, die 1989 anfangen und über all die Jahre gehen, beigefügt worden, sodass sich die Kommission darüber ein eingehendes Bild machen kann.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfrage, Herr Börnsen?

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, die Frage, ob es den deutschen Werften gut geht, kann man sehr schnell beantworten: Den deutschen Werften geht es zurzeit grausig schlecht. Zwei Drittel von ihnen haben Aufträge nur noch für zwölf Monate. Insofern brauchen die deutschen Werften Fördermittel. Was ist die Bundesregierung bereit zu tun, wenn die 2 Prozent Landesbürgschaften bei der Wettbewerbshilfe wegfallen? Ist die Bundesregierung dann bereit, dafür aufzukommen?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege Börnsen, wir haben, wie ich Ihnen gerade sagte, am 16. Januar unsere letzte Stellungnahme gegenüber der Kommission abgegeben. Wir möchten nun nicht in die Phase des Spekulierens eintreten, weil wir bisher mit den Ländern gemeinsam der Auffassung sind, dass alles in Ordnung ist. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres zur Verfügung. Wir kommen zunächst zur Frage 25 des Kollegen Niebel: Wie viele Eingliederungsvereinbarungen wurden seit der Einführung des Job-AQTIV-Gesetzes geschlossen und wie häufig wurde das Instrument Jobrotation bisher eingesetzt?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Kollege Niebel, nach Auskunft der Bundesanstalt für Arbeit sind von der Einführung des Job-AQTIV-Gesetzes am 1. Januar 2002 bis zum Dezember 2002 rund 895 000 Eingliederungsvereinbarungen getroffen worden. Im Rahmen des Instruments Jobrotation wurden in demselben Zeitraum insgesamt 603 Einstellungszuschüsse bei Vertretung bewilligt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage?

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, wie viele von den 895 000 Eingliederungsvereinbarungen, die geschlossen worden sind, haben zu einer tatsächlichen Eingliederung der Betroffenen in den ersten Arbeitsmarkt geführt?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten, weil ich die entsprechenden Daten nicht zur Verfügung habe.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wären Sie bereit, sie mir schriftlich nachzuliefern?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Dazu bin ich bereit.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfrage?

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wie viele der 603 Eingliederungszuschüsse bei der Jobrotation wurden an Kleinbetriebe mit unter 20 Arbeitnehmern geleistet?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Auch das kann ich Ihnen nicht beantworten. Sie haben in Ihrer Frage ja schlicht und einfach nach zwei Größen gefragt, die ich Ihnen genannt habe. Aber auch diese Daten werde ich nachliefern.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann kommen wir zur Frage 26 des Kollegen Niebel: Welche Erfolgsrate zeigen die bisher ausgestellten Vermittlungsgutscheine und wie viele Erfolgshonorare wurden gezahlt?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Wie die Bundesanstalt für Arbeit mitteilt, wurden von April bis Dezember 2002 insgesamt 206 940 Vermittlungsgutscheine ausgegeben und 12 950 davon bei den Arbeitsämtern eingelöst, was einer Quote von rund 6,2 Prozent entspricht. Die personenbezogene Vermittlungsquote dürfte jedoch gleichwohl höher sein, da in der Zahl der ausgegebenen Gutscheine auch Folgegutscheine enthalten sind. So kann es vorkommen, dass Arbeitslose nach Ablauf der dreimonatigen Geltungsdauer des jeweiligen Gutscheins weitere Gutscheine erhalten. Die Honorarhöhe beträgt bei einer Arbeitslosigkeit von bis zu sechs Monaten 1 500 Euro, bei sechs bis zu neun Monaten 2 000 Euro und bei über neun Monaten 2 500 Euro. Die insgesamt gezahlte Honorarhöhe belief sich auf rund 13,6 Millionen Euro. Die Höhe der demgegenüber eingesparten Leistungen, Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe, ist zwar nur schwer schätzbar, dürfte aber gleichwohl um ein Mehrfaches höher sein.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage? - Bitte.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, können Sie untergliedern, wie viele Eingliederungszuschüsse nach der jeweils von Ihnen beschriebenen Dauer der Arbeitslosigkeit geleistet worden sind?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Das können wir sicher; aber ich kann darauf nicht jetzt antworten, weil das eine weitere statistische Nachfrage ist. Ich müsste Ihnen das schriftlich beantworten.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Auch dafür wäre ich Ihnen dankbar, Herr Staatssekretär.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, liegt die Vermutung nahe, dass die Ausnutzung der Vermittlungsgutscheine größer wäre, wenn die Entgelte, die damit zu erzielen sind, an die bei Personalberatungsbetrieben marktüblichen Entgelte angepasst würden, die in aller Regel bei zwei bis zweieinhalb Monatsgehältern liegen?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Sie haben gefragt, ob die Vermutung nahe liegt: nein.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann kommen wir zur Frage 27 des Abgeordneten Erich G. Fritz: Liegen der Bundesregierung Kenntnisse über die geplante Verwendung der in Genua gefundenen und aus einer deutschen BASF-Fabrik stammenden chemischen Substanz Morpholin vor - vergleiche „Handelsblatt“ vom 17. Januar 2003 -, und wenn nein, was unternimmt die Bundesregierung zur Klärung des Fundes?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Kollege Fritz, ich würde die Fragen 27 und 28 gerne gemeinsam beantworten, wenn der Herr Präsident das zulässt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann rufe ich auch die Frage 28 auf: Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, ob die Ausfuhr der chemischen Substanz Morpholin dem Chemiewaffenübereinkommen oder der Dual-use-Verordnung unterliegt und damit genehmigungspflichtig ist, und wenn nein, gibt es eine Prüfung bzw. Zusammenarbeit mit den zuständigen deutschen Behörden?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Bei dem von Ihnen angesprochenen Morpholin handelt es sich um eine Chemikalie mit weltweit breiter industrieller Anwendung. Gegenüber dem deutschen Hersteller ist eine Verwendung in Libyen im Rahmen der Herstellung von Produkten für die Erdölindustrie angegeben worden. Eine derartige Verwendung der Chemikalie als Lösungsmittel bei der Ölförderung - beispielsweise zur Ausspülung von Bohrschlämmen - ist plausibel. Die Chemikalie kann demgegenüber nicht für die Produktion von Chemiewaffen eingesetzt werden. Die deutschen Behörden haben diese Einschätzung der italienischen Seite mitgeteilt. Die deutsche Botschaft in Rom steht mit den zuständigen italienischen Behörden in Verbindung, um weitere Einzelheiten des Falles aufzuklären und erforderliche Informationen auszutauschen. Die Chemikalie Morpholin ist weder vom Chemiewaffenübereinkommen noch von der gemeinsamen EU-Güterliste nach der EG-Dual-use-Verordnung erfasst. Sie unterliegt auch nicht als nationale Sonderposition der deutschen Ausfuhrliste. Dies ist das Ergebnis der Beurteilung durch die zuständigen deutschen Behörden, wie es der italienischen Seite bereits mitgeteilt worden ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage.

Erich G. Fritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich bedanke mich für die - in diesem Fall - beruhigende Auskunft. Ich möchte gerne von Ihnen noch wissen, ob die Bundesregierung bei aller Aufregung, die diese Nachricht an vielen Stellen verursacht hat, einen Überblick darüber hat, wie die EG-Dual-useVerordnung in den Mitgliedsländern angewandt wird. Gibt es ein Berichtswesen und eine regelmäßige Zusammenfassung der vorliegenden Erkenntnisse? In welcher Weise wird eigentlich überprüft, ob die Dual-use-Verordnung in allen Ländern richtig angewendet wird? Dieses Beispiel - auch wenn es nicht kritisch ist - zeigt nämlich, dass es zum Teil sehr schwierig ist, die Wege von Exporten auf dem Binnenmarkt zu verfolgen.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Abgeordneter Fritz, mir liegen dazu gegenwärtig keine Informationen oder Erkenntnisse vor. Ich müsste dieser Frage erst nachgehen. Im vorliegenden Fall war es offensichtlich so, dass Interpol im Hafen von Genua rund 48 Tonnen dieser Chemikalie aufgrund von Vermutungen zunächst beschlagnahmt hatte. Der Vorgang hat Wellen geschlagen, weil er von der Zeitschrift „La Repubblica“ publik gemacht wurde. Einige Behörden sind diesen spannenden Fragen nachgegangen und konnten nachweisen, dass es sich um eine „harmlose“ Chemikalie handelt. Die Frage, wie die Dual-use-Verordnung in anderen Mitgliedsländern angewandt wird, kann ich jetzt nicht beantworten. Wir gehen dieser Frage nach und ich teile Ihnen die entsprechende Antwort mit.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfrage? - Bitte, Herr Fritz.

Erich G. Fritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. Ich glaube, das wäre auch für Kollegen interessant. Ich weiß, dass ich mit meiner nächsten Frage Ihre Zuständigkeit nicht treffe.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Doch, Sie treffen sie.

Erich G. Fritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich muss Sie als Vertreter der Bundesregierung fragen: Hat das BAFA oder das Zollkriminalamt Erkenntnisse darüber, ob in Zeiten ausgesprochen schlechter Konjunktur die Gefahr besteht, dass es eine größere Zahl bedenklicher Dual-use-Exporte gibt?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Diese Frage möchte ich mit dem Hinweis beantworten, dass es nicht die Aufgabe der von Ihnen genannten deutschen Behörden ist, entsprechende Erkenntnisse zu gewinnen. ({0}) Im vorliegenden Fall waren das BKA, das BAFA, das ZKA und der BND mit dieser Angelegenheit beschäftigt. ({1}) Ihre Frage bezieht sich auf die Einschätzung, ob in Zeiten ökonomischer Schwäche die Gefahr des Exports von möglicherweise gefährlichen und den entsprechenden Verordnungen unterliegenden Chemikalien größer ist. Dazu müsste man einmal untersuchen, ob sich in solchen Zeiten entsprechende Fälle häufen. Das ist eine etwas umfangreichere Aufgabe. Wir werden versuchen, diese Frage im Haus mit den entsprechenden Stellen zu erörtern. Wir lassen Ihnen dann eine entsprechende Mitteilung zukommen. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs angekommen. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Wagner zur Verfügung. Die Fragen 29 bis 32 werden schriftlich beantwortet. Ich rufe nun die Frage 33 der Kollegin Petra Pau auf: Welche konkreten Erfolge konnte bisher das Marinekontingent der Bundeswehr bei seinem Einsatz am Horn von Afrika im Rahmen der Operation Enduring Freedom bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus erzielen und wie beurteilt die Bundesregierung die Wirksamkeit dieses Einsatzes?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Frau Kollegin Pau, sämtliche Aktivitäten der deutschen Marineverbände am Horn von Afrika werden im Rahmen der Operation Enduring Freedom durchgeführt. Der Bundestag hat der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe auf die USA auf Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5 des Nordatlantikvertrages sowie der Resolutionen 1368 ({0}) und 1373 ({1}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen am 17. November 2001 zugestimmt. Am 15. November 2002 hat der Bundestag der Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der Operation Enduring Freedom für weitere zwölf Monate zugestimmt. Die Aufgaben des deutschen Marineverbandes am Horn von Afrika bestehen seit Beginn der Operation am 2. Februar 2002 in der Überwachung des zugewiesenen Seeraumes sowie in der Nachrichtengewinnung und Aufklärung. Im Vordergrund stehen der Schutz der Seeverbindungswege vor terroristischen Übergriffen und die Unterbindung der Versorgung terroristischer Gruppen. Auch das Ausweichen dieser Gruppen über den Seeweg soll verhindert werden. Daneben wird Versorgungsunterstützung im Rahmen der Operation Enduring Freedom geleistet und werden Begleitschutzoperationen, insbesondere für Schiffe mit gefährlicher Ladung wie Öl und Gas, durchgeführt. In der täglichen Arbeit des Marinekontingents heißt das konkret beispielsweise, dass der Schiffsverkehr mit aktiven und passiven elektronischen, optischen und optronischen Mitteln beobachtet wird, Fahrzeuge katalogisiert und in einer Datenbank archiviert werden. Damit sollen Fahrzeuge, die sich wiederholt im Operationsgebiet bewegen, schnell identifiziert werden, um sie anschließend beobachten bzw. verfolgen zu können. Es erfolgen auch gezielte, direkte Abfragen des Schiffsverkehrs und Durchsuchungen auf kooperativer Grundlage. So wurden durch das deutsche Einsatzkontingent bisher 31 Begleitschutzaufträge und zehn Beschattungen von verdächtigen Einheiten durchgeführt sowie circa 3 700 Kontakte im Rahmen der Seeraumüberwachung aufgeklärt. Die Seefernaufklärer führten circa 190 Aufklärungsflüge durch. In den Ländern um das Horn von Afrika hat die Operation Enduring Freedom generell einen stabilisierenden Einfluss ausgeübt. Es konnte ein entscheidender Beitrag zur Abschreckung terroristischer Anschläge auf den internationalen Seeverkehr geleistet sowie die Bewegungsfreiheit terroristischer Gruppen nachhaltig eingeschränkt werden. Gleichzeitig sind Gewaltkriminalität und Piraterie in einigen Gebieten zurückgegangen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Frau Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Gibt es neben diesen Aktivitäten der Überwachung und des Abschneidens von Verbindungswegen messbare Ergebnisse im Sinne von Festnahmen oder Beschlagnahmungen, um deutlich zu machen, dass durch diesen Einsatz am Horn von Afrika Teilen des internationalen Terrorismus die Nachschubwege tatsächlich abgeschnitten wurden oder gar Strukturen zerschlagen werden konnten?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Ja, es wurden solche Aktivitäten festgestellt. Die entsprechenden Informationen wurden den befreundeten Nationen und den Nachrichtendiensten zur Verfügung gestellt, die dann die entsprechende Auswertung für den weiteren Einsatz der Marine vornehmen konnten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ich habe eine zweite Nachfrage. Sind der Bundesregierung kritische Stimmen aus den eingesetzten Mannschaften oder gar von Offizieren über den Einsatz des bundesdeutschen Marinekontingents bezogen auf die Arbeitsbedingungen, aber auch auf die Sinnhaftigkeit des Einsatzes bekannt?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Nein, solche Stimmen sind nicht bekannt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine Zusatzfrage des Kollegen Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ist das Gerücht, das man den Medien entnehmen konnte, wahr, dass manche Soldaten im Nachgang zum Einsatz darauf hingewiesen wurden, dass sie über die Beurteilung des Einsatzes in der Öffentlichkeit nicht reden dürfen? Wenn dem so wäre, wie wäre das mit dem Bild vom Bürger in Uniform zu vereinbaren?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Das sind Gerüchte - Sie haben das selbst gesagt -, die ich nicht kommentieren möchte.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Ich rufe die Frage 34 der Kollegin Ina Lenke auf: Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung im Hinblick auf die Durchsetzung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei den Streitkräften, auf deren Fehlen bereits der Bericht des Wehrbeauftragten vom 12. März 2002 hinweist, in Bezug auf konkrete Regelungen familiengerechter Arbeitszeiten, auf die Möglichkeit von Teilzeitbeschäftigung und familienbedingter Beurlaubung?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Frau Kollegin, das wachsende internationale Engagement der Bundeswehr und die parallel fortschreitende Reform der Bundeswehr belasten insbesondere das militärische Führungspersonal erheblich. Die Balance zwischen dem Lebensbereich Beruf auf der einen und dem Lebensbereich Familie auf der anderen Seite gestaltet sich bei vielen Soldatinnen und Soldaten immer schwieriger. Beruf und Familie führen mitunter in eine Konfliktsituation, die sowohl die arbeitsbezogene Leistungsfähigkeit als auch die familienbezogene Befindlichkeit beeinträchtigt. Für die Bundeswehr gilt es, diesem zunehmenden Spannungsfeld und den damit verbundenen Erwartungen große Aufmerksamkeit zuzuwenden, und zwar nicht nur vordergründig wegen der Attraktivität des Arbeitsplatzes, sondern auch deshalb, weil die Soldatin bzw. der Soldat die Einsatzmotivation im Wesentlichen aus dem Rückhalt in der engeren sozialen Umgebung bezieht. Neben den bereits bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten der Beurlaubung von Soldatinnen und Soldaten während der Elternzeit, des Betreuungsurlaubs und der Beurlaubung wegen pflegebedürftiger Kinder kann eine Flexibilisierung der Arbeitszeit durch Gleitzeitregelungen und insbesondere durch Teilzeitdienst einen entscheidenden Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Dienst leisten. Damit kann zugleich gleichstellungspolitischen Forderungen und den Verpflichtungen des Dienstherrn zur Fürsorge entsprochen werden. Gleitzeitdienst gibt es inzwischen für Soldatinnen und Soldaten in circa 300 Dienststellen der Bundeswehr. Substanzielle Fortschritte bei der Eröffnung der Möglichkeit von befristetem Teilzeitdienst für Soldatinnen und Soldaten zum Zwecke der Familienfürsorge sind ohne Einführung einer gesetzlichen Bemessungsgrundlage für die Dienstzeit nicht möglich. Zum Zwecke der Ermöglichung von Teilzeitdienst wird zurzeit geprüft, ob eine eigenständige, gesetzlich verankerte Dienstzeitregelung für Soldaten geschaffen werden kann, welche die besonderen Belange des militärischen Dienstes in den Streitkräften berücksichtigt. Dabei wird die Ermöglichung von Teilzeitdienst auf militärischen Dienstposten während der Elternzeit in die Prüfung einbezogen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage? - Bitte schön.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, der Deutsche Bundeswehr-Verband hat das schon imApril 2001 in einem Brief an Ihr Haus angemahnt. Können Sie mir sagen, warum eine Reaktion darauf so lange gedauert hat und wann die Bundesregierung endlich dieentsprechendengesetzlichenRegelungenschafft?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Es bedurfte nicht erst des Briefes des Bundeswehrverbandes, dass die Bundesregierung auf dieses Problem aufmerksam geworden ist. Dies ist, wie Sie wissen, ein sehr vielschichtiges Problem. Deshalb bitte ich um Verständnis, wenn die Vorbereitungszeit für die Einführung solcher Regelungen etwas länger dauert. Ich kann Ihnen aber versichern, dass daran gearbeitet wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sagen Sie mir bitte, wann eine entsprechende gesetzliche Regelung von Ihrem Minister im Bundestag vorgelegt wird!

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Sie wird so schnell wie möglich vorgelegt werden. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Lenke, zur Frage 34 können Sie keine weitere Zusatzfrage stellen. Vielleicht ergibt sich ja im Kontext der Frage 35 die Gelegenheit, hierzu nachzufragen. ({0})

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Diese Chance will ich natürlich gerne einräumen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 35 der Abgeordneten Lenke auf: Welche konkreten Pläne zur vollständigen beruflichen Gleichstellung von Frauen in der Bundeswehr verfolgt die Bundesregierung?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Frau Kollegin, sämtliche Aktivitäten der deutschen Marineverbände am Horn von Afrika werden im Rahmen der Operation Enduring Freedom durchgeführt. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das ist jetzt wahrscheinlich durch den sowieso unzutreffenden Zuruf aus der eigenen Fraktion über die Möglichkeiten der Geschäftsordnung verursacht worden. Herr Kollege Wagner, das sehen wir Ihnen nach.

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Ich bin froh darüber, darauf aufmerksam gemacht worden zu sein, eine Antwort nicht gleich zweimal zu geben. Sehr geehrte Frau Kollegin, das wachsende internationale Engagement der Bundeswehr und die parallel fortschreitende Reform der Bundeswehr belasten insbesondere das militärische Führungspersonal erheblich. ({0}) - Ja, natürlich. Ich will Ihnen das nicht ersparen. Herr Kollege Niebel, jetzt geht es richtig los. Verehrte Frau Kollegin, die sofortige Einbeziehung der Soldatinnen und Soldaten in den Geltungsbereich des Bundesgleichstellungsgesetzes war im Gesetzgebungsgang Gegenstand von Vorüberlegungen. Davon wurde jedoch zunächst im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Abstand genommen. Für den militärischen Bereich werden zurzeit eigene Gleichstellungsgrundlagen und -regelungen erarbeitet, die den Besonderheiten des militärischen Dienstes und den Erfordernissen zur Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft der Streitkräfte Rechnung tragen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ihre Zusatzfrage, Frau Lenke.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Ihre beiden Antworten wundern mich wirklich sehr. Für den Bereich der Wirtschaft verlangen Sie ein Gleichstellungsgesetz, aber in Ihrem Zuständigkeitsbereich sind Sie nicht in der Lage, Gleichstellungsregelungen zu schaffen. Deshalb meine Frage: Welche positiven Auswirkungen auf Ihre Pläne in Bezug auf die Nachwuchsgewinnung hätten solche Regelungen? Sie wissen, dass hoch qualifizierte Frauen zwar zur Bundeswehr wollen, davor aber zurückschrecken, weil es entsprechende Regelungen nicht gibt. Ich denke, die Bundesregierung hat sehr schnell eine Regelung vorzulegen. Wenn das nicht geschieht, wird die Opposition gezwungen sein, Ihnen Initiativen vorzulegen, auf die Sie dann antworten müssen.

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Sie können sich darauf verlassen, dass die Bundesregierung daran arbeitet und sehr schnell etwas vorlegen wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es gibt keine weitere Zusatzfrage. Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Bis zum Beginn der Aktuellen Stunde, bis 15.35 Uhr, unterbreche ich die Sitzung. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde Haltung der Bundesregierung zu den Auswirkungen ihrer Steuerpolitik auf die kommunalen Finanzen Die Fraktion der CDU/CSU hat diese Aktuelle Stunde verlangt. Erster Redner in der Debatte ist der Kollege Peter Götz, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Viele Städte und Gemeinden in Deutschland stehen vor einer wirtschaftlichen und sozialen Katastrophe. Der Deutsche Städtetag hat diese Woche in seiner Pressekonferenz zur desolaten Finanzsituation in den kommunalen Haushalten erklärt: Den Städten geht es so schlecht wie nie zuvor seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund ruft zu einer Kampagne auf: „Rettet die Kommunen!“ Landkreise verklagen den Bund vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Öffentlichkeit nimmt zunehmend die kommunalfeindliche rot-grüne Politik wahr. Nach gerade vier Jahren rot-grüner Regierungsverantwortung befinden sich die Städte, Gemeinden und Kreise am Rande des Ruins, und zwar in Ost und West. Das Schlimme ist: Besserung ist nicht in Sicht. Die Einnahmen brechen weg. Immer mehr Menschen werden arbeitslos. Mehr als 4,2 Millionen Menschen sind in Deutschland ohne Arbeit. Die sozialen Ausgaben der Kommunen steigen dadurch weiter an. Die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben geht immer weiter auseinander. Inzwischen liegt das Defizit bei 10 Milliarden Euro im Jahr. Die Kommunen finanzieren ihre Personalkosten nur noch aus Kassenkrediten. Diese Kassenkredite sind im vergangenen Jahr um über 25 Prozent gestiegen und steigen weiter. Was sind die Konsequenzen? Geld für Investitionen fehlt. Die Schulen verrotten. Schwimmbäder, Büchereien und Theater werden geschlossen. In vielen Straßen brennt keine Leuchte mehr. Die Handwerksbetriebe haben dies deutlich zu spüren bekommen. Für viele Handwerksbetriebe und mittelständische Unternehmen bedeutet das den Gang zum Konkursrichter. Was ist die Ursache? Eine Fülle von Fehlentscheidungen hier in Berlin und nicht in den kommunalen Entscheidungsgremien ist die Ursache für diese Entwicklung. Zum Beispiel bricht die Gewerbesteuer rapide und massiv ein. Die Gewerbesteuerumlage, über die wir hier ebenfalls diskutiert haben, hat enorme Folgen für die kommunalen Haushalte, und zwar in Milliardengrößenordnungen. In Düsseldorf bedeutet allein die Erhöhung der Gewerbesteuerumlage einen Einnahmeverlust von 158 Millionen Euro innerhalb von vier Jahren. Die Konsequenz ist: Viele Kommunen sind zur Handlungsunfähigkeit verdammt. Einige Städte - es sind nicht wenige - haben angekündigt, dass sie die Gesetze des Bundes nicht mehr ausführen werden - nicht weil sie es nicht wollen, sondern weil sie es einfach nicht mehr können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das geht an die Grundsubstanz der kommunalen Selbstverwaltung und wirft die Frage nach dem Gesellschaftsmodell auf, das wir wollen. ({0}) Die Menschen im Land haben kein Verständnis mehr für diese Art von Politik. Sie wenden sich ab. Eine Entfremdung gegenüber dem Staat, aber inzwischen auch gegenüber den Kommunen, gegenüber den Städten und Gemeinden, sowie den Kreisen in unserem Land ist die Folge. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Wir wollen keinen sozialistischen Staat, der zentral von oben alles regiert und dem Bürger das Geld abnimmt. Wir wollen auch keinen Staat, der die Lufthoheit über den Kinderbetten hat, worüber immer wieder diskutiert wird. CDU und CSU setzen auf eigene Verantwortung. Wir setzen auf leistungsstarke Städte und Gemeinden. Mit dem ständigen Verschiebebahnhof zulasten kommunaler Haushalte muss Schluss sein. ({1}) Wir fordern die Bundesregierung auf, mit uns gemeinsam über eine Grundgesetzänderung zu diskutieren, damit das Konnexitätsprinzip in unsere Verfassung aufgenommen wird und künftig bei allen politischen Entscheidungen des Bundes wieder der Grundsatz gilt: Wer bestellt, bezahlt. Wir fordern weiter, dass sich die Bundesregierung endlich darum kümmert, was sich in Europa zulasten der kommunalen Ebene entwickelt. Der Konvent zur europäischen Verfassung befindet sich in einer entscheidenden Phase. Wir wollen nicht, dass sich Brüssel künftig noch mehr als heute um kommunale Angelegenheiten kümmert und sich einmischt. Brüssel muss nicht die Wasserversorgung in Kleinkleckersdorf regeln, sondern Brüssel bzw. Europa hat die Aufgabe, sich um die wirklich großen Fragen - davon gibt es genug - zu kümmern. Hier ist der Außenminister eindeutig gefordert, deutsche Interessen zu vertreten. Aber auch hier Fehlanzeige auf der ganzen Linie. Wir fordern Sie auf: Nehmen Sie kommunale Interessen endlich ernst und warten Sie nicht ständig auf irgendwelche neue Kommissionen! Das Schielen auf Kommissionen ist in unserem Staat zu wenig. Wir fordern Sie auf, zu handeln. Die Menschen in unserem Land wollen, dass die Politik handelt und nicht nur wartet. Herzlichen Dank. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Florian Pronold, SPD-Fraktion.

Florian Pronold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003612, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Titel dieser Aktuellen Stunde und die vorangegangene Rede legen mir einen biblischen Vergleich nahe. ({0}) Wie Sie vielleicht wissen, wird im 3. Buch Mose die Geschichte vom Sündenbock wiedergegeben. Es ist im Vizepräsident Dr. Norbert Lammert Alten Testament so dargestellt, dass man diesem Bock die eigenen Sünden auferlegt hat, um ihn dann in die Wüste zu schicken. ({1}) Ich habe den Eindruck - ich kenne das sehr gut von meinen Kolleginnen und Kollegen in Bayern -, dass Sie genau diese Sündenbockstrategie anzuwenden versuchen, indem Sie von den Verfehlungen ablenken, für die zum Beispiel die Bayerische Staatsregierung verantwortlich ist ({2}) und die natürlich Konsequenzen für die Situation der Kommunen in Bayern haben. ({3}) Ich habe den Eindruck, dass es hier auch eine direkte Erbfolge gibt, nämlich die der CDU/CSU-Bundestagsabgeordneten zurück bis hin zu den uns ebenfalls aus der Bibel bekannten Pharisäern. Frei nach dem Motto: Wenn in Bayern die Sonne lacht, hat’s die CSU gemacht, gibt’s im Winter Eis und Schnee, war’s die böse SPD, ({4}) ziehen Sie derzeit durch die Lande und versuchen, alle kommunalen Finanzprobleme der SPD-geführten Bundesregierung in die Schuhe zu schieben. ({5}) - Wie schön, dass Sie mir zustimmen. Das freut mich. In dem Fall haben Sie ausnahmsweise einmal Recht. ({6}) Das jüngste Beispiel ist die Fluthilfe. Sie gehen momentan vor Ort herum und behaupten, es könnten in Bayern keine Feuerwehrhäuser mehr gebaut werden, weil die Bundesregierung durch das Fluthilfegesetz den Kommunen wieder in die Tasche gelangt habe; wenn Ihr Vorschlag durchgekommen wäre, dann wäre für die Kommunen alles besser. ({7}) - Sie können nicht rechnen und stellen es hier selber unter Beweis. Wie Sie wissen, haben wir die Fluthilfe seriös durch die Verschiebung der Steuerreform finanziert. Die Kommunen haben sozusagen das, was sie aufgrund der Steuerentlastung für die Bürgerinnen und Bürger sowieso nicht bekommen hätten, jetzt für die Beseitigung der Schäden durch die Flutkatastrophe eingesetzt. Wenn Ihr Vorschlag durchgekommen wäre, wäre die Steuerreform nicht um ein Jahr verschoben worden und die Kommunen hätten genau dieselbe Finanzausstattung, wie sie sie jetzt haben. Deswegen ist es schon sehr pharisäerhaft, wenn Sie hier wieder versuchen, der Bundesregierung zu unterstellen, dass sie schuld daran sei, dass die Finanzsituation der Kommunen so schlecht ist. Zweitens ist es so, dass kein anderes Land so schlechte Schlüsselzuweisungen an seine Kommunen gibt wie Bayern. ({8}) In Nordrhein-Westfalen erhalten die Kommunen 60 Prozent mehr als die bayerischen Kommunen vom Freistaat. Drittens reden Sie landauf, landab über die Gewerbesteuerumlage und fordern, dass die Mehreinnahmen aufgrund der Erhöhung von der Bundesregierung an die Kommunen zurückgegeben werden. Der bayerische Finanzminister sagt aber relativ offen, den Anteil, den er erhält - das sind erkleckliche Millionen Euro -, könne er den Kommunen selbstverständlich nicht zurückgeben, das solle die Bundesregierung machen. Wenn das nicht pharisäerhaft ist, frage ich: Was ist es dann? ({9}) Weitere Beispiele sollen nur kurz angesprochen werden; denn die Redezeit ist begrenzt. Sie bürden den Kommunen die Personalkosten für ihre Schulen auf und der Freistaat Bayern zahlt den Kommunen die versprochenen Zuschüsse - über 2 Milliarden Euro - nicht aus. Einen weiteren biblischen Vergleich will ich mir sparen, aber ich möchte doch an den Splitter und den Balken erinnern. Das dürfte Ihnen doch auch etwas sagen. Ich bitte Sie, keine polemische Debatte zu führen. Lassen Sie Ihre Schuldzuweisungen! Sie helfen den Kommunen nicht. Lassen Sie Ihr pharisäerhaftes Gerede und bringen Sie endlich eigene vernünftige Vorschläge! Diese sind Sie jetzt leider auch wieder schuldig geblieben. Sie haben keine Vorschläge. Sie können nur jammern, sonst nichts. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Pronold, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. ({0}) Ich hoffe, dass Sie sich Ihre Bibelfestigkeit in den ganz unterschiedlichen parlamentarischen Situationen, mit denen Sie noch zu tun haben werden, bewahren können. ({1}) - Das gilt für das Alte und das Neue Testament. Sie bieten eine unerschöpfliche Quelle von Zitaten. Ich darf nun dem Kollegen Michael Goldmann das Wort für die FDP-Fraktion erteilen.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich gratuliere Ihnen, Herr Kollege Pronold. Wir sollten uns vielleicht einmal privat darüber unterhalten, welche Erfahrungen Sie in der Kommunalpolitik haben. ({0}) Ich will damit nicht sagen, dass man immer welche haben muss, aber es ist gewiss von Vorteil, wenn man zur Sache spricht. Sie haben vom Sündenbock gesprochen. Dazu muss ich Ihnen sagen: Sie haben von der Entwicklung der kommunalen Finanzen gerade in der letzten Zeit überhaupt keine Ahnung. Die Situation der kommunalen Finanzen war immer schwierig und es gab immer Ungerechtigkeiten. Ich habe nie verstanden, warum Kommunen, die sich besondere Mühe geben und besondere Anstrengungen unternommen haben, später weniger Schlüsselzuweisungen bekamen. Eines steht aber eindeutig fest: Die Finanzlage der Kommunen hat sich unter Rot-Grün dramatisch verschlechtert. Es ist genau so, wie es der Kollege Götz gesagt hat: Die Kommunen stehen nicht nur mit dem Rücken an der Wand, sondern sie sind schlicht und ergreifend in sehr vielen Bereichen, bei denen es um die Interessen der Bürger geht, überhaupt nicht mehr handlungsfähig. ({1}) Darüber müsste man sich eigentlich einig sein; denn es bringt überhaupt nichts, das zu einem bayerischen Problem zu machen. Es handelt sich um ein deutsches Problem und Sie wissen, dass sich die Situation deshalb verschärft hat, weil Sie falsche steuerliche Weichenstellungen vorgenommen haben. ({2}) - Die höhere Gewerbesteuerumlage haben Sie zu verantworten. Das gesamte Steuerreformkonzept - eigentlich ist es gar kein Konzept -, das auf den Weg gebracht worden ist, haben Sie zu verantworten. ({3}) In Niedersachsen zum Beispiel kann kein Landkreis mehr seinen Haushalt ausgleichen. Ich selbst habe an Beratungen im Landkreis Emsland teilgenommen. Vom Morgen bis zum Nachmittag haben wir Defizitentwicklungen festgestellt; daraufhin haben wir die gesamten Haushaltsberatungen eingestellt und neue aufgenommen. Das liegt an Ihrer politischen Weichenstellung in verschiedenen Bereichen. ({4}) Ich glaube, Sie wissen manchmal nicht, was bestimmte steuerliche Weichenstellungen oder Gesetzgebungsmaßnahmen bedeuten. Haben Sie sich zum Beispiel einmal mit den Auswirkungen der Grundsicherung auf die kommunalen Haushalte beschäftigt? ({5}) Haben Sie sich einmal mit den Belastungen für Mittelstand und Handwerk und deren Auswirkungen auf das kommunale Geschehen beschäftigt? Ich glaube, wenn Sie das tun, kommen Sie zu dem Ergebnis, dass die Kommunen einer Zangenbewegung ausgesetzt sind: Der Bund nimmt und die Länder nehmen zum Teil auch, vor allen Dingen die rot-grün-regierten Länder nehmen massiv. ({6}) Gerade in Niedersachsen hat die rote Landesregierung den Kommunen immer und immer wieder Einnahmen genommen. Jeder, der sich damit ernsthaft befasst, wird mich darin bestätigen. ({7}) Ihre in meinen Augen relativ schlechte - ich könnte auch sagen: saumäßige - Wirtschaftspolitik trifft vor allen Dingen Mittelstand und Handwerk, ({8}) die nach wie vor in entscheidender Weise die Träger kommunaler Finanzen sind. Sie wissen, dass sich die Gewerbesteuer immer antizyklisch ausgewirkt und die Kommunen hinsichtlich ihrer Finanzen immer in eine schwierige Situation gebracht hat. ({9}) Liebe Kollegen von Rot-Grün, wir können uns über das eine oder andere unterhalten und Sie können hier auch Bibelsprüche rauf- und runterbeten, aber Sie haben kein Herz und keinen Verstand bei der Politik, die Sie für die Kommunen machen. Das ist sehr bedauerlich, denn gerade die Kommunen waren immer diejenigen, die entscheidend dafür gesorgt haben, dass von der Basis her Arbeitsplätze entstehen, dass von der Basis her Investitionen getätigt werden und auch von der Basis her so etwas wie einigermaßen gleiche Lebenschancen in allen Bereichen entstehen. Insofern ist Ihre Politik gerade auch eine Politik gegen die ländlichen Räume, gegen Mittelstand und Handwerk und im Grunde genommen gegen diejenigen, die vor Ort bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Ich bedaure das sehr. ({10}) Sie streben jetzt möglicherweise eine Ausweitung der Gewerbesteuer an. Sie wollen diese auf Landwirte und Freiberufler ausdehnen. Ich denke, dies ist der völlig falsche Weg. Wir als FDP wollen Verlässlichkeit für die kommunalen Finanzen. Deswegen fordern wir Sie jetzt und heute auf: Nehmen Sie die Erhöhung der Gewerbesteuerumlage zurück! ({11}) - Nein, nicht mehr Schulden aufnehmen, sondern nehmen Sie sie schlicht zurück. Es ist ein Irrtum, wenn Sie glauben, damit die Finanzsituation verbessern zu können. Dadurch, dass Sie die Betriebe belasten, verhindern Sie Investitionen und Weichenstellungen für Arbeitsplätze. ({12}) Eines der größten Probleme in den Kommunen besteht darin, dass in der Bundesrepublik viel zu wenige Menschen eine Arbeit haben. Eines der größten Probleme in den Kommunen besteht darin, dass sich die Ertragssituation der Betriebe sowie der Menschen, der Bürger verschlechtert hat. Deswegen müssen wir die kommunalen Finanzen auf eine solide Basis stellen. Wir sind gegen die Revitalisierung der Gewerbesteuer, hinter der sich im Grunde nichts anders verbirgt als die Einbeziehung der freien Berufe in die Gewerbesteuer. Nein, das wollen wir nicht. ({13}) Wir wollen den Kommunen ein eigenes Heberecht im Bereich der Umsatz- und Einkommensteuer geben. Wir wollen eine Gemeindefinanzreform, die vereinfacht. Ich bin seit 20 Jahren Bürgermeister einer Gemeinde. Wenn Sie jemals die Finanzsituation Ihrer Gemeinde durchgerechnet haben, zolle ich Ihnen erstens höchsten Respekt. Zweitens kann ich Ihnen garantierten, dass Sie wochenlang daran gesessen haben, weil dieses System so kompliziert ist, dass man kaum dahinter kommt. Diese Ungerechtigkeiten, diese Unklarheiten und die Überbürokratisierung führen dazu, dass vor Ort überhaupt keine vernünftige Politik gemacht werden kann, die die Kommunen trägt. Seien Sie vernünftig! Sorgen Sie dafür, dass sich die kommunalen Finanzen schnellstens verbessern! Das ist die notwendige Grundlage für eine Verbesserung der derzeitigen Situation der Kommunen und insgesamt für eine bessere Politik. Herzlichen Dank. ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Andreae, Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden in der Aktuellen Stunde über die Auswirkungen unserer Steuerpolitik auf die kommunalen Finanzen. Bevor ich darauf eingehe, möchte ich einige grundlegende Anmerkungen machen und auf die Beiträge meiner Vorredner eingehen. Wir wissen, um die Finanzen der Kommunen steht es schlecht. Wir haben defizitäre Haushalte, den Verkauf von Vermögensbeständen und viele Kommunen, die von der Substanz leben. Dies können wir nicht wegdiskutieren. Das Problem sind die Einnahmen der Kommunen. Auch darin sind wir uns einig. Die Einnahmen der Kommunen sind so, wie sie jetzt ausgestaltet sind, durch eine hohe Abhängigkeit von der Gewerbesteuer und damit von der Konjunktur gekennzeichnet. Dieses Problem der nicht stetigen Einnahmen der Kommunen und der geringen Planungssicherheit der Kommunen müssen wir lösen. Wir lösen es nicht dadurch, dass wir jetzt die Gewerbesteuer in Bausch und Bogen verdammen. Wir lösen es vielmehr, indem wir im Zuge der Gemeindefinanzreform die Gewerbesteuer mit dem Ziel der Verstetigung der Einnahmen der Kommunen modernisieren. Denn dann schaffen wir Planungssicherheit für die Kommunen. ({0}) Die FDP, die Steuern am liebsten abschaffen würde, die immer wieder Modelle entwickelt, mit denen der Wettbewerb der Kommunen gefördert werden soll, erkennt nicht die Probleme der Kommunen wie Wegzüge in den so genannten Speckgürtel oder das Gegeneinander der Kommunen, das man nicht wegdiskutieren kann. So kann, wie ich finde, der Vorschlag, den Sie machen, keinen Bestand haben. Wir müssen vielmehr, um auf den richtigen Weg zu kommen, die Gewerbesteuer modernisieren und über andere Elemente diskutieren. Wer heute über die Finanzen der Kommunen spricht, muss anerkennen, dass in den Kommunen auch Fehler gemacht wurden. Manche Kommunen haben viel zu lange über ihre Verhältnisse gelebt. ({1}) Es wurden Projekte von ungeheurem Umfang verfolgt. Ein solches Projekt ist „Stuttgart 21“. An diesem Projekt wurde lange festgehalten. Dabei müsste man der Kommune ganz deutlich sagen: Liebe Kommune, verabschiedet euch von diesem Projekt, denn es ist nicht zu finanzieren. Es gibt Vorfinanzierungen von Straßen - in BadenWürttemberg kenne ich den Fall konkret -, wodurch sich finanzielle Auswirkungen für die Kommunen ergeben, die sich über viele Jahre und Jahrzehnte hinweg erstrecken werden. So kann die Politik in den Kommunen nicht aussehen. ({2}) Verwaltungsreformen stehen aus. Dabei ist hier in den Kommunen viel Potenzial vorhanden, ihre Ausgaben zu senken. Ich finde es gut, dass viele Kommunen diese Situation als Chance begreifen, um über ihre eigenen kommunalen Haushalte zu diskutieren. Das sollten wir auf jeden Fall unterstützen. Wir dürfen die Kommunen aber nicht alleine lassen. Wir müssen die Finanzkraft der Kommunen verstetigen und verbessern. Wir müssen die Gewerbesteuer modernisieren. Ich verspreche mir viel von der Gemeindefinanzreform. Vielleicht gelingt es uns, diese unendliche Geschichte der Reform der Gewerbesteuer - so wurde sie einmal betitelt - tatsächlich anzugehen. Ich hoffe sehr, dass wir hier im Sinne der Kommunen zu einer Zusammenarbeit kommen; denn ohne starke Städte ist kein Staat zu machen; da gebe ich Ihnen Recht. Wir brauchen die Kommunen. Wir brauchen die kommunale Selbstverwaltung. Nun komme ich zu dem Thema Aufgabenübertragung an die Kommunen. Sie wissen, das betrifft den Bund wie auch die Länder. Nach dem Grundgesetz sind es vor allem die Länder, die die Aufgaben an die Kommunen übertra1642 gen. Wenn Sie immer wieder sagen, dass wir Aufgaben an die Kommunen übertragen, deren Finanzierung aber nicht gewährleisten, dann ist das nicht richtig. ({3}) - Die Kommunen haben für die Grundsicherung im Alter 410 Millionen Euro bekommen. Das sind 100 Millionen Euro mehr, als damals als Bedarf ermittelt und festgesetzt wurde. Wenn heute durch die Lande gezogen und gesagt wird, das Geld reiche nicht, dann bitte ich Sie, sich die Begründung dafür anzuschauen, warum dieses Geld nicht reichen soll. Im Augenblick kann noch niemand sagen, ob das Geld reicht oder nicht. Fest aber steht: Wir haben 410 Millionen Euro dafür eingestellt. ({4}) - Das Geld geht an die Länder. Das wissen Sie. Die Länder sind die Treuhänder für die Weitergabe dieser Gelder an die Kommunen. Da liegt noch viel im Argen. ({5}) Ich komme nun zum Steuervergünstigungsabbaugesetz, weil Sie das an manchen Stellen angesprochen haben. Ich kann nicht verstehen, warum Sie bei Maßnahmen, die Kommunen direkt helfen, wie zum Beispiel die Abschaffung der gewerbesteuerlichen Organschaften, schon heute ihre Blockade ankündigen. Das wären Gelder, die die Kommunen direkt bekommen könnten, wenn wir heute die gewerbesteuerlichen Organschaften abschaffen würden. ({6}) - Es gibt auch Ausgleichsmaßnahmen für die Kommunen, die davon besonders betroffen sind. Sie bekommen direkt Geld, mit dem sie arbeiten können. ({7}) Wir haben die Zahlen doch vorliegen, was das Steuervergünstigungsabbaugesetz den Kommunen bringen kann: 580 Millionen Euro im Jahr 2003, 2,1 Milliarden Euro im Jahr 2004 und 3,2 Milliarden Euro im Jahr 2005. ({8}) Sie wissen, dass Maßnahmen in diesem Konzept enthalten sind, die konkrete Auswirkungen auf die Kommunen haben. Ich kann nur hoffen, dass Sie diese Maßnahmen im Bundesrat nicht blockieren, denn sie sind wichtig für die Kommunen. Ich hoffe, dass wir im Rahmen der Gemeindefinanzreform zusammenarbeiten; denn wir sind uns sicherlich einig darin, dass wir die kommunale Selbstverwaltung brauchen und dass wir die Kommunen mit ihren Aufgaben nicht alleine lassen können. Sie übernehmen wichtige Aufgaben und weisen die größte Bürgernähe auf. Wir brauchen die kommunale Selbstverwaltung. Wir brauchen aber auch eine Zusammenarbeit aller Fraktionen. Ich hoffe sehr, dass uns das gelingt. Vielen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat der Kollege Otto Bernhardt, CDU/CSUFraktion.

Otto Bernhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich stelle zunächst einmal fest, dass die FDP, die Grünen und die Christdemokraten erkannt haben, dass es den Kommunen schlecht geht. Ich bedauere, dass Sie, Herr Kollege Pronold von der SPD, dies als Polemik bezeichnet haben. ({0}) Ich glaube, wir sollten uns in diesem Hause darüber einig sein, dass es den Kommunen schlecht geht. Ihnen geht es schlechter als je zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. - Ich will Sie nicht mit den Zahlen langweilen. - Die entscheidende Ursache dafür liegt in der verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik der rot-grünen Regierung. ({1}) Frau Kollegin von den Grünen, Ihnen fällt nichts anderes ein, als sich in dieser Debatte für Steuererhöhungen einzusetzen. ({2}) Das ist genau das, was wir nicht brauchen. ({3}) Ich sage es mit aller Deutlichkeit: Das würde die Situation der Kommunen noch weiter verschlechtern. ({4}) Wir können uns natürlich über die Ursachen unterhalten; hier gibt es Meinungsverschiedenheiten. Die entscheidende Ursache ist die verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik. Über die Wirkung werden wir zu einer einheitlichen Auffassung kommen. Die Wirkung dieser Finanzsituation ist: Die kommunalen Investitionen gehen zurück, die Zahlungsmoral der öffentlichen Hand wird schlechter und beides trifft die mittelständische Wirtschaft vor Ort. Im Ergebnis - die Zahlen belegen das führt diese Politik zu mehr Arbeitslosen und mehr Firmenpleiten. Das ist die aktuelle Situation. Wir müssen uns die Frage stellen, was wir kurzfristig tun können. Sie verweisen immer gerne auf die eingesetzte Kommission. Prima! Wir brauchen sicherlich eine grundlegende Veränderung der kommunalen Finanzen. Die Kommission hat sich, wenn ich richtig informiert bin, konstituiert und bisher eine Arbeitssitzung durchgeführt. ({5}) Vor 2004 sind keine Ergebnisse zu erwarten. ({6}) So lange können die Kommunen nicht warten. Frau Kollegin von den Grünen, deshalb antworte ich auf Ihre Frage, wo unsere Alternativen sind: Es gibt einen Gesetzentwurf des Bundesrates und der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Ich glaube, ich verrate keine Geheimnisse aus den Ausschüssen, wenn ich sage, dass dieser Gesetzentwurf heute Morgen im Finanzausschuss mit den Stimmen von Rot-Grün abgelehnt worden ist. Das ist Ihre kommunalfreundliche Haltung. ({7}) Worum geht es bei diesem Gesetzentwurf? Sie haben im Jahre 2000 die Gewerbesteuerumlage gegen unsere Stimmen von 20 auf 30 Prozent erhöht. ({8}) Sie alle wissen, dass es bei der Gewerbesteuer um eine Größenordnung von circa 20 Milliarden pro Jahr geht. 10 Prozentpunkte bedeuten also circa 2 Milliarden. Sie haben die Erhöhung der Gewerbesteuerumlage damals - das können Sie im Protokoll nachlesen - mit zwei Argumenten eingeführt. Ihr erstes Argument lautete, dass sich durch Ihre „geniale“ Steuerreform die Wirtschaftssituation so nachhaltig verbessern würde, dass die Kommunen mehr Geld bekämen. Ihr zweites Argument lautete, dass die Kommunen durch die Veränderung der Abschreibungen in den einzelnen Branchen neue Einnahmen erzielen würden. Die zweite Voraussetzung haben Sie - um das klar zu sagen - Gott sei Dank nicht erfüllt. Auch wir wollten das nicht, weil es konjunkturpolitisch nicht passte. Ich glaube, ich brauche in diesem Hause nicht zu betonen, was aus der Konjunktur geworden ist. Beide Voraussetzungen, unter denen Sie diese Erhöhung eingeführt haben, wurden also nicht erfüllt. Deshalb kann ich nur sagen: Unsere Kommunen benötigen kurzfristig Hilfe und keine Kommission, die jahrelang tagt. Wir haben Ihnen einen konkreten Vorschlag unterbreitet; die unionsregierten Länder haben dies im Bundesrat ebenfalls getan. ({9}) Sie haben ihn heute Morgen abgelehnt. Damit Sie wissen, um welche Größenordnung es geht: Den Kommunen fehlten im letzten Jahr 7 Milliarden Euro. In diesem Jahr werden es wahrscheinlich 10 Milliarden Euro sein. Dieses eine Gesetz würde den Kommunen sofort - wir wollen es ja rückwirkend zum 1. Januar - gut 2 Milliarden Euro zusätzlich bringen. Ich appelliere an die Kommunalpolitiker bei den Sozialdemokraten: Erkennen Sie Ihr kommunalpolitisches Herz und tun Sie etwas für die Kommunen. Dies wäre ein wichtiger Beitrag zur Wirtschaftsförderung in Deutschland und zur Sicherung der kommunalen Selbstverwaltung. Auch darüber sollten Sie einmal nachdenken. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile dem Kollegen Dieter Grasedieck für die SPD-Fraktion das Wort.

Dieter Grasedieck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben die Probleme vor Jahren erkannt, Herr Bernhardt. Genau deshalb haben wir eine Kommission eingerichtet. ({0}) Wir versuchen, hier etwas zu bewegen. Wir malen nicht undifferenziert schwarz. ({1}) Wir bemühen uns um eine Grundlage und um ein Gesetz. Sie wissen genau, dass der Kommissionsbericht Mitte des Jahres vorliegen wird. Wir brauchen ihn als Basis für das Gesetz, das wir noch in diesem Jahr verabschieden werden. Wir gestalten, Hast wäre schädlich. Sicherlich kann man Politik unverkrampft und mit leichter Hand machen. Harte exakte Arbeit ist aber zwingend erforderlich. Deshalb brauchen wir die Arbeit der Kommission. Sie haben meinen Satz, dass man in der Politik exakte Arbeit leisten muss, häufig vergessen. ({2}) Sie von der CDU/CSU fordern zum Beispiel eine drastische Steuerreduzierung. Sie wollen einen Spitzensteuersatz von 40 Prozent, die FDP will sogar 35 Prozent. Gleichzeitig verlangen Sie ein Sofortgeld für die Kommunen. ({3}) Gestern forderten Sie ein Sofortgeld für die Bundeswehr. Sie von der FDP fordern ein Bürgergeld. All das ist nicht ohne Weiteres zu verbinden; denn das sind widersprüchliche Forderungen und Anträge. Die Milliarden fallen nicht vom Himmel. Zudem müssen die Maastricht-Kriterien berücksichtigt werden. Sie von der FDP sind verantwortungslos, wenn Sie behaupten - das haben Sie gerade wieder erwähnt -, dass der Staatsanteil am Volkseinkommen bei 56 Prozent liegt. Sie fragen sich aber gar nicht, ob nicht in ein Investor, der solch eine Falschmeldung liest, daraus falsche Schlussfolgerungen ziehen könnte. Ihr Antrag zur Mehrwertsteuer enthält diese Behauptung ebenfalls. Die Steuern waren einmal hoch, Herr Bernhardt und die Kollegen von der FDP, aber das ist zehn Jahre her. Damals betrug der Spitzensteuersatz 56 Prozent, der Eingangssteuersatz lag bei 25,9 Prozent. Das war Ihre Leistung, aber das ist längst Geschichte. Die SPD und die Grünen haben dafür gesorgt, dass 2005 der Eingangssteuersatz 15 Prozent und der Spitzensteuersatz 42 Prozent betragen werden. Das sind wirkliche Veränderungen. ({4}) Sie haben vielleicht im OECD-Bericht gelesen, dass Deutschland im Jahr 2001 mit 21,9 Prozent die niedrigste Steuerquote in Europa hatte. In der OECD haben nicht SPD-Mitglieder das Sagen, es ist kein der SPD nahe stehendes Institut. Es ist ein international anerkanntes Institut. Die Experten sind der Meinung: Deutschland ist ein Niedrigsteuerland. Sie werden überrascht sein: Das Institut der deutschen Wirtschaft hat diese Zahlen bestätigt. Das zeigt, dass die Sozialdemokraten und die Grünen hinsichtlich der Steuersätze viel erreicht haben. Durch Ihre Diskussionen - heute über Kommunalfinanzen, am Freitag über Mehrwertsteuer - verunsichern Sie die Menschen. ({5}) Unsere Koalition gestaltet und gibt den Menschen Hoffnung. Wir brauchen einen positiven Push und keine Schwarzmalerei. Unser Land muss die finanzielle Belastung durch die deutsche Einheit tragen. Hier sehen wir insbesondere die Probleme der Kommunen. Hinzu kommt die Bewältigung der Flutkatastrophe. Wir arbeiten diese Punkte ganz exakt ab. Sie haben uns unterstellt, dass wir dies nicht tun. ({6}) Zur Bewältigung der Flutkatastrophe stehen 14 Milliarden Euro zur Verfügung. Natürlich berücksichtigen wir die Situation der Kommunen und Gemeinden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brauchen für unsere Gemeinden ein Gesamtkonzept. Dieses Gesamtkonzept werden wir noch in diesem Jahr auf der Basis der Empfehlungen der Gemeindefinanzreformkommission erarbeiten. Indem wir es umsetzen werden, werden wir den Gemeinden Hilfen bieten. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Hans Michelbach für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt keinen Zweifel: Bürger, Betriebe und Kommunen sind geradezu in eine rot-grüne Steuerfalle geraten. Das fortwährende Drehen an der Steuerschraube war für die Konjunktur und damit auch für die Steuereinnahmen absolut kontraproduktiv. ({0}) Der steuerpolitische Würgegriff hat zu einem Einbruch des Wachstums und der Steuereinnahmen, zu höherer Arbeitslosigkeit und zu einer höheren Zahl von Firmenpleiten geführt. Die Zahlen sind eindeutig. Sie dürfen nicht eine Steuerquote der OECD, die bei uns schon einmal Abbitte geleistet hat, sondern müssen die Staatsquote anführen. In Ihrem eigenen Finanzbericht stehen für das Jahr 2002 48,5 Prozent. Damit sind wir Schlusslicht in Europa. ({1}) 1997 lagen wir beim Pro-Kopf-Einkommen noch auf Rang sieben der Weltrangliste, heute finden wir uns auf Rang 13 wieder. Das spiegelt den Verlust an Einnahmen bei Kommunen, beim Staat und bei den Bürgern wider. Sie haben einfach an den falschen Schrauben gedreht, indem Sie immer wieder den Staatsanteil vergrößert haben. ({2}) Der Einkommens- und Steuereinnahmeverlust in Deutschland hat eine dramatische Entwicklung genommen. Seine Ursachen sind hausgemacht. ({3}) Unsinnige Steuererhöhungen in der Rezession haben den privaten Verbrauch und die Investitionen abgewürgt. Das hat natürlich negative Auswirkungen auch auf die Kommunalfinanzen. Letzten Endes können die Kommunen nichts dafür; sie haben diesen Schaden gewissermaßen im Durchgriff zu erleiden. Wird von Rot-Grün diese Politik der Erhöhung des Staatsanteils fortgesetzt, dann wird - hier gebe ich Ihnen Brief und Siegel - die für nationale Haushaltsdefizite geltende Obergrenze von 3 Prozent auch in diesem Jahr überschritten werden und Sie werden Sanktionen der EUKommission hinnehmen müssen. Sie haben die Probleme nicht im Griff. Sie verursachen immer größere Probleme, weil Sie kein Gesamtkonzept haben. ({4}) Der heute von Herrn Clement vorgelegte Jahreswirtschaftsbericht schafft nicht das notwendige Vertrauen für Investoren und Konsumenten. Wer sich wie Herr Clement bei einer unsicheren Wachstumsprognose von nur 1 Prozent geradezu selbst lobt, ist für mich ein wirtschaftspolitischer Tiefflieger. Die Schattenwirtschaft dagegen soll bereits 17 Prozent des BIP erreichen. Dazu sagt er nichts. Mit den 370 Milliarden Euro, die der öffentlichen Hand in Deutschland aufgrund der Schattenwirtschaft verloren gehen - das ist eine Rekordzahl -, könnte man die Finanzkrise sehr schnell beheben. Hier muss man nur an den richtigen Schrauben drehen. ({5}) Meine Damen und Herren, die verfehlte Finanz- und Wirtschaftspolitik der rot-grünen Bundesregierung hat dazu geführt, dass sich die öffentlichen Haushalte, insbesondere die Haushalte der Kommunen, in einer kritischen Situation befinden. Die Bundesregierung hat kein wirtschafts- und finanzpolitisches Gesamtkonzept zur Entfesselung von Innovation, Wachstum und Beschäftigung. Wenn Sie bei Ihrem Vergleich der Kommunen in Deutschland ausgerechnet die des Landes Bayern heranziehen, wo die Kommunen und der kommunale Finanzausgleich noch die besten Zahlen aufweisen, ({6}) dann sind Sie nicht nur auf einem Auge, sondern völlig blind. Ich muss Ihnen eines ganz ehrlich sagen: Wenn Sie solche Vergleiche anstellen, dann müssen Sie berücksichtigen, dass die Investitionen der Gemeinden in Bayern weit über dem Bundesdurchschnitt liegen, deren Verschuldung aber weit unter dem Bundesdurchschnitt liegt. Daher können Sie den kommunalen Finanzausgleich in Bayern gar nicht angreifen. Wissen Sie, was Sie angreifen müssten? - Dass eine Stadt wie Passau, die im letzten Jahr eine große Hochwasserkatastrophe mit Schäden in Höhe von 10 Millionen Euro zu bewältigen hatte, von Ihnen eine Hilfe von nur 527 000 Euro bekommt, ({7}) ihr bei den Schlüsselzuweisungen aber fast dieselbe Summe, nämlich 500 000 Euro, gleich wieder abgezogen wird. Das ist die perverse Kommunalfeindlichkeit der Bundesregierung. ({8}) Zum Abschluss möchte ich deutlich machen: Es muss eine Steuerpolitik für mehr Wachstum des Bruttosozialprodukts betrieben werden, damit ein größerer Kuchen zur Verfügung steht, von dem Staat und Kommunen ihren notwendigen Anteil abbekommen. Es muss eine Rücknahme der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage, eine niedrigere Staatsquote, ein Steuerbelastungsabbauprogramm und einen Verzicht auf das so genannte Steuervergünstigungsabbaugesetz geben. Es darf keine neue Mehrwertsteuererhöhung und keine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer geben. Es muss stattdessen eine realistische und zielführende Gemeindefinanzreform geben. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat die Kollegin Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich wäre in Anbetracht der wirklich sehr schwierigen finanziellen Situation, in der sehr viele Städte und manche Gemeinden stecken - wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir zugeben, dass das nicht alle betrifft -, sehr froh, wenn wir uns hier polemische Diskussionen ersparen könnten. ({0}) Ich wäre außerdem sehr froh, wenn man bei den Fakten bliebe, Herr Michelbach, ({1}) wenn man keine Nebelkerzen werfen würde nach dem Motto: Hochwasserhilfe für Passau! Sie wissen ganz genau - ich hoffe, dass Sie das wissen -, wie das mit den Schlüsselzuweisungen funktioniert. Das Land Bayern und nicht die Bundesregierung oder die sie tragenden Fraktionen haben die Verantwortung dafür zu tragen, dass es in Passau so gelaufen ist, wie es gelaufen ist. ({2}) Wenn Sie behaupten, unseren Kommunen gehe es so schlecht, weil sich das ganze Land in einem steuerpolitischen Würgegriff befinde, dann kann ich nur sagen: Bleiben Sie auch hier bei den Fakten! Wir haben bis zum Jahr 2001 von keiner Kommune irgendetwas gehört, was darauf hingedeutet hat, dass es große finanzielle Probleme gibt; ({3}) denn bis inklusive des Jahres 2000 war die wirtschaftliche Situation gut. Ein Wachstum von 3 Prozent bei den Gewerbesteuereinnahmen im Jahr 2000 sei klasse gewesen; das sagen alle kommunalen Verbände, auch der Deutsche Städtetag. Die Probleme haben im Jahr 2001 begonnen. Die Ursachen dafür liegen vorwiegend darin, dass wir eine konjunkturelle Entwicklung zu verzeichnen hatten, die vor allem im Bereich der Banken und der Bauunternehmen zu Einbrüchen bei den Auftragszahlen geführt hat. Wir haben hier zigmal über die Abhängigkeiten vom Weltmarkt und darüber diskutiert, warum die konjunkturelle Entwicklung 2001 so negativ verlaufen ist. Das hat sich letztendlich leider auch - das zeigen die Zahlen - bei den Einnahmen negativ niedergeschlagen. Seit dem Jahr 2001 sind beispielsweise ein verstärkter Preiswettbewerb und ein damit einhergehender Preisverfall bei den deutschen Energieversorgern festzustellen. Aufgrund dieser Entwicklung hat es in sehr vielen Städten in der Bundesrepublik Deutschland einen drastischen Einbruch bei den Gewerbesteuereinnahmen gegeben; denn viele Städte sind von wenigen großen Gewerbesteuerzahlern abhängig, ({4}) wie zum Beispiel von Banken, Versicherungen, Energieversorgern und Großunternehmen in der Automobilindustrie. Ich möchte nicht alle aufzählen - denn Sie kennen sie alle und nur beispielhaft Siemens nennen. Die Abhängigkeit von sehr wenigen großen Unternehmen hat im Zusammenspiel mit der konjunkturellen Entwicklung - ich erinnere an die Wertberichtigungen, die in den Konzernen vorgenommen werden mussten - letztendlich zu dieser Problemlage und auch zum Einbruch der Aktienmärkte geführt. ({5}) Die Kollegin Kerstin Andreae hat darauf hingewiesen, dass die Lage sehr ernst ist. Ich teile diese Einschätzung. Unsere Fraktion beschäftigt sich mit den damit verbundenen Fragen sehr intensiv. ({6}) Die Steuerschätzung im November ist noch davon ausgegangen, dass es einen Einbruch von etwa 7,5 Prozent geben wird. Die aktuellen Zahlen, die der Deutsche Städtetag am Montag vorgelegt hat, besagen, dass der Einbruch nicht bei 7,5 Prozent, sondern „nur“ - das ist kein Trost bei 5,3 Prozent liegt. Das ist dramatisch genug. Was nicht geht, ist, so zu tun, als ob man die Probleme der Kommunen über eine Änderung bei der Gewerbesteuerumlage lösen könne; denn von der Rücknahme der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage - auch das müssen Sie einfach einmal sehen - profitierten diejenigen Kommunen, die sowieso einnahmestark sind. Die einkommensschwachen Kommunen hätten von der Änderung bei der Gewerbesteuerumlage überhaupt nichts, ({7}) obwohl man genau denen helfen muss. Abschließend möchte ich Folgendes sagen: Hören Sie mit Ihrer blöden Polemik auf! ({8}) Kümmern Sie sich vielmehr mit uns darum, dass wir eine gescheite Reform der kommunalen Finanzen zustande bringen, dass wir die Probleme in diesem Land lösen, ({9}) und zwar mithilfe des Bundesrates, und dass wir letztendlich nicht so eine Situation wie in Hessen bekommen. Hessen hat beispielsweise einen Investitionsfonds aufgelegt. In diesen Investitionsfonds haben vorwiegend die Kommunen eingezahlt. ({10}) Aus diesem Investitionsfonds in der Größenordnung von 400 Millionen Euro will Herr Koch jetzt die Hälfte herausnehmen, um seinen Landeshaushalt zu sanieren. ({11}) So viel zur Unterstützung der Kommunen im Wahlkampfland Hessen. Was da passiert, ist eine Sauerei. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Manfred Kolbe, CDU/ CSU-Fraktion.

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Stadt Dresden plante im Dezember letzten Jahres, alle städtischen Krippen und Hortplätze zu schließen. Sie hat zu diesem Zweck sämtlichen betroffenen Eltern kurz vor Weihnachten Kündigungen geschickt. Zu diesen Schließungen ist es bis heute nicht gekommen. Im Stadtrat wird verhandelt und es liegen Kompromisslösungen vor. Dass eine Stadt - aus welchen Gründen auch immer - meinte, diesen Weg gehen zu müssen, belegt wie kaum ein anderes Beispiel eindrucksvoll die Finanznot unserer Kommunen. Ähnliche Nachrichten erhalten wir in diesen Tagen aus allen Kommunen unserer Wahlkreise: Jugendklubs und Schwimmbäder werden geschlossen, Büchereiöffnungszeiten werden eingeschränkt. Jüngst wurde sogar einmal kolportiert - das hat sich nicht als wahr herausgestellt; aber man hat es zunächst geglaubt -, dass die Schüler einer Schule aufgefordert worden seien, ihr eigenes Klopapier mitzubringen. ({0}) Das stimmte zwar nicht; aber es wurde zunächst geglaubt, Frau Scheel. Auch das belegt die Finanznot unserer Kommunen. Unsere Kommunen, unsere Städte, unsere Gemeinden und unsere Landkreise stecken in der schwersten Finanzkrise seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Um diesen Fakt kommen Sie nicht herum. ({1}) Das gilt für ehemals reiche Kommunen, etwa die Landeshauptstadt München. Der dortige Oberbürgermeister ist aus Protest gegen die Kommunalpolitik dieser Bundesregierung nicht zur Abschlusskundgebung mit dem Kanzler gekommen. ({2}) - Warum war er denn im Urlaub? Fragen Sie ihn einmal, warum er zum Abschluss des Bundestagswahlkampfs im Urlaub war, Frau Scheel. ({3}) Das gilt aber auch für die ärmeren Kommunen im Osten. Der Sächsische Städte- und Gemeindetag schätzt die Lage der Städte und Gemeinden im Freistaat Sachsen nicht nur als dramatisch, sondern sogar als katastrophal ein, und das, obwohl es den sächsischen Kommunen im Vergleich zu den anderen Kommunen im Osten noch am besten geht. Die Kommunen im Osten sind genauso wie die Kommunen im Westen betroffen. Sie sind allerdings aus vielerlei Gründen besonders betroffen. Das liegt zum einen daran, dass bei ihnen die Steuerdeckungsquote niedriger ist. Die Steuerdeckungsquote im Osten liegt nur noch bei 16,6 Prozent. Auf den Lebensunterhalt eines Menschen bezogen hieße das, dass das Einkommen nur 16,6 Prozent zu seiner Deckung beitragen würde. Alles andere muss von anderer Seite kommen. Hier kann man nicht mehr von kommunaler Selbstverwaltung reden. Die Einnahmen der Kommunen gehen also zurück. Außerdem leiden sie besonders unter den Aufgaben, die der Bund ihnen aufbürdet. Jüngstes Beispiel hierfür ist das Grundsicherungsgesetz. ({4}) Die Folge: Auch die Investitionen gehen zurück. Sie sind in Sachsen von 3,1 Milliarden Euro im Jahr 1992 auf nur noch 1,5 Milliarden Euro im Jahre 2001 zurückgegangen; die kommunalen Investitionen wurden also halbiert. Dabei ist die sächsische Investitionsquote sogar noch die höchste. Wir müssen also handeln und brauchen keine Parteipolemik. Da stimmen wir überein. Nur, Frau Scheel, der Bund muss handeln. Rot-Grün hat leider im Augenblick im Bundestag die Mehrheit. Sie müssen handeln, wir als Opposition können leider nicht handeln, wir hätten sonst gehandelt. Das hat ja auch unser heute vorgestellter Gesetzentwurf gezeigt. ({5}) Sie müssen handeln, indem Sie erstens die Rahmenbedingungen nicht noch mehr verschlechtern. Da blicke ich mit Sorge auf das Steuervergünstigungsabbaugesetz und den Wegfall der gewerbesteuerlichen Organschaft. Schauen Sie sich, Frau Staatssekretärin Hendricks, bitte noch einmal ganz genau an, welche Auswirkungen das etwa auf die Kommunen im Ostteil unseres Landes hat. Ich höre aus etlichen Städten, dass denen bis zu 80 Prozent der Gewerbesteuereinnahmen wegbrechen würden. Wenn das stimmt, führt das diese Städte und Gemeinden weiter in den Abgrund. Zweitens müssen wir sofort handeln. Da ist unser Gesetzentwurf, der die Änderung der Gewerbesteuerumlage auf die alte Höhe vorsieht, der richtige Weg. Sie aber haben das abgelehnt. Drittens muss die Kommission zur kommunalen Finanzreform endlich die Arbeit aufnehmen. Sie haben ja zu Recht vorhin einen Lacherfolg geerntet, als Sie sagten, Sie hätten die Kommission eingesetzt. ({6}) Wir wollen jetzt Ergebnisse dieser Kommission sehen. ({7}) Die Bildung der Kommission wurde 1998 angekündigt, bis heute, 29. Januar 2003, liegen keine Ergebnisse vor. Ich höre jetzt, dass diese Reform zum 1. Januar 2004 in Kraft treten soll. Das geht kaum. ({8}) - Wir nehmen Sie beim Wort, Frau Scheel. Wir sind gespannt, aber ich befürchte, das wird wieder handwerklich unseriös gemacht und geht wieder zulasten der Kommunen. Handeln Sie endlich! Danke. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Bernd Scheelen für die SPD-Fraktion.

Bernd Scheelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002772, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die unzähligen Falschbehauptungen, die mir in den fünfminütigen Redebeiträgen der Opposition zu Gehör kamen, würden schon dazu reizen, sie alle hier einzeln auseinander zu nehmen. Ich will das nicht tun, sondern mich auf zwei beschränken. Herr Kollege Michelbach, das Land Bayern - das wissen Sie ganz genau - hat zur Beseitigung der Flutschäden 5 Millionen Euro bekommen und behalten, nicht an die Kommunen weitergegeben. Von Leuten wie Ihnen, deren Partei auf Länderebene so handelt, lassen wir uns keine Ratschläge erteilen. ({0}) Dann haben Sie genauso wie der Kollege Bernhardt geklagt, die vermeintlich verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik der rot-grünen Regierung sei der eigentliche Grund, warum es im Moment Bund, Ländern und Gemeinden so schlecht gehe. ({1}) Ich will Ihnen die Gründe nennen. Es gibt zwei Gründe. Der eine Grund ({2}) - völlig korrekt - sind die weltwirtschaftlichen konjunkturellen Verwerfungen, unter denen ein exportorientiertes Land wie die Bundesrepublik natürlich zu leiden hat. ({3}) - Hören Sie doch einmal zu und reden Sie nicht immer dazwischen! Der Hauptgrund ist der Scherbenhaufen, den Sie uns 1998 hinterlassen haben. ({4}) Der Scherbenhaufen bestand aus Rekordarbeitslosigkeit, aus Rekordstaatsverschuldung und aus einem jährlich maroderen Bundeshaushalt. Wir sind dabei, diese Schäden zu reparieren. Das ist ein hartes Stück Arbeit. Wir sind dabei auf einem guten Wege. ({5}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Titel der heutigen Aktuellen Stunde, die die CDU/CSU beantragt hat, zeigt, wie unseriös und wie verlogen - vorhin wurde auch schon einmal „pharisäerhaft“ gesagt ({6}) die Union mit wirklich wichtigen finanzpolitischen Themen umgeht. Wir reden doch nicht von Steuererhöhungen, sondern Sie reden davon. Wir sprechen von Subventionsabbau und Sie machen Vorschläge zur Mehrwertsteuererhöhung. In der „FAZ“ lese ich zum Beispiel, dass Herr Böhmer gestern gesagt hat, er könne sich eine Mehrwertsteuererhöhung durchaus vorstellen. Von uns haben Sie das bisher nicht gehört. ({7}) Sie sprechen sich für Steuererhöhungen aus, wir tun das nicht. ({8}) Meine Damen und Herren, das drängende Problem der schwierigen finanziellen Lage der Städte und Gemeinden sollte Ihnen eigentlich Anlass zu konstruktiver Opposition sein. Aber das Einzige, was Ihnen einfällt, ist die permanente Wiederholung des Märchens von den angeblichen Steuererhöhungen dieser Regierung - als wenn die Gemeinden und auch die Länder und der Bund das Problem hätten, dass es zu viel Steuereinnahmen gäbe; das wäre die logische Konsequenz. Sie beklagen auf der einen Seite, die Steuern seien zu hoch, und sagen auf der anderen Seite, es gebe keine Einnahmen. Was stimmt denn jetzt? Entweder sind die Steuern zu hoch - dann müsste es auch relativ hohe Einnahmen geben oder das Umgekehrte gilt. Es passt nicht beides zusammen. ({9}) Sie setzen darauf, dass die Leute das nicht durchschauen. Aber halten Sie die Wähler nicht für so dumm wie sich selber. ({10}) Der Rückgang des Gewerbesteueraufkommens, gerade in den großen Städten, ist natürlich nicht nur eine Folge der weltwirtschaftlichen konjunkturellen Verwerfungen, sondern auch eine Folge dessen, was Sie mit der Gewerbesteuer in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit veranstaltet haben. Sie haben nämlich alle konjunkturunabhängigen Bestandteile aus der Gewerbesteuer herausgenommen. ({11}) Jetzt, da die Konjunktur nicht so gut ist, wird deutlich, wie abhängig die Gewerbesteuer von der Konjunktur ist. Sie ist eben nicht - ich weiß nicht, wer von Ihnen das eben gesagt hat - antizyklisch, sondern gerade zyklisch, sie bewegt sich mit den Konjunkturzyklen: Läuft die Konjunktur gut, gibt es hohe Gewerbesteuereinnahmen, läuft die Konjunktur nicht gut, sind sie niedrig. Das ist die Folge Ihrer Politik. ({12}) Was ist nun der Beitrag der Opposition? Auf der einen Seite beklagen Sie die desolate Lage der kommunalen Haushalte, auf der anderen Seite lehnen Sie in Bezug auf konkrete Maßnahmen - über die wir ja zurzeit im Finanzausschuss und demnächst auch hier im Hohen Hause reden - jede Verantwortung ab. Aber diese Doppelzüngigkeit hat Tradition. Wir kennen das spätestens seit dem Jahre 2001. Seit Mitte 2001, seitdem klar ist, dass sich die Situation bei den Gewerbesteuereinnahmen verschlechtert, haben wir Gegenmaßnahmen ergriffen. ({13}) Zum Beispiel im Zusammenhang mit der Unternehmensteuerfortführung haben wir konkrete Maßnahmen zum Stopfen von Steuerschlupflöchern, die große Konzerne nutzen - ich nenne das Stichwort Mehrmütterorganschaft, ein Steuersparmodell für Konzerne -, ergriffen, die Sie aber abgelehnt haben. ({14}) Sie lehnen ganz konkrete Hilfsmaßnahmen für die Gemeinden ab. Dasselbe gilt für das Steuervergünstigungsabbaugesetz. Die Kollegin Andreae hat die Zahlen vorhin vorgetragen. Es geht in diesem Jahr konkret um 600 Millionen Euro Soforthilfe für die Gemeinden - Sie sind dagegen. Es geht im nächsten Jahr um Hilfe in Höhe von 2 Milliarden Euro - Sie sind dagegen. Es geht um Hilfe in Höhe von 2,5 Milliarden Euro im übernächsten Jahr und 3 Milliarden Euro im Jahr 2006 - Sie sind dagegen, Sie lehnen das ab. Das müssen Sie den Menschen draußen und Ihren Kommunalpolitikern vor Ort selber erklären. Das ist doppelzüngig und pharisäerhaft. ({15}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, dass wir die Probleme nicht allein mit dem Stopfen von Steuerschlupflöchern in den Griff bekommen werden, ist völlig klar. ({16}) Es ist mehrfach auf die Kommission hingewiesen worden, die eingesetzt worden ist, um die Gemeindefinanzen einer Überprüfung zu unterziehen. Das eine Ziel ist, die Einnahmeseite zu verstetigen, das andere Ziel, die Ausgabenseite der Kommunen neu zu gestalten. Ich glaube, die Kommission ist da auf einem guten Wege. Wir werden den Zeitplan einhalten und die Reform zum 1. Januar nächsten Jahres in Kraft setzen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Scheelen, denken Sie an die Redezeit.

Bernd Scheelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002772, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann damit im Grunde schließen. Vielleicht noch ein Satz zu der hier öfter angesprochenen Frage der Zurückführung der Gewerbesteuerumlage. Da hat, glaube ich, der Kollege Bernhardt vorhin ein paar falsche Behauptungen aufgestellt. ({0}) Sie haben gesagt, es sei davon ausgegangen worden, durch die Steuerreform würde die Wirtschaft so boomen, dass die Gemeinden Mehreinnahmen hätten. Das war eine Hoffnung, aber nicht die Begründung für die Maßnahmen bei der Gewerbesteuerumlage. Schauen Sie einmal genau in den Gesetzentwurf und fragen Sie die kommunalen Spitzenverbände. ({1}) Dahinter steckte, dass bei den Steuersenkungen, die wir vorgenommen haben, in Bereichen, in denen die Gemeinden nicht tangiert waren, Bund und Länder Ausfälle hatten, zum Beispiel bei der Körperschaftsteuer, sie aber bei den gegenfinanzierenden Maßnahmen begünstigt waren. ({2}) Um da einen Ausgleich herbeizuführen, wurde etwas an der Stellschraube der Gewerbesteuerumlage gedreht. Das geschah mit Zustimmung der kommunalen Spitzenverbände. Deswegen ist klar, dass es im nächsten Jahr eine Reform geben wird. Diese wird den Gemeinden helfen, nicht Ihre kurzfristigen Vorschläge, die nur populistisch sind und zu Wahlkampfzwecken missbraucht werden, denn in vier Tagen wird ja in zwei Ländern gewählt. Das ist der einzige Grund, warum Sie eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt haben. Herzlichen Dank. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich bitte die nachfolgenden Redner zu beachten, dass mein Hinweis auf die Redezeit nicht als Ermutigung für zwei weitere Minuten Redezeit gemeint ist und dass ich nur ungern durch das Abschalten des Mikrofons die Einhaltung der Redezeit sicherstellen möchte. Nächster Redner ist der Kollege Klaus-Peter Flosbach, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Klaus Peter Flosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003528, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die katastrophale Situation der Kommunen ist hinlänglich bekannt, allerdings nicht der SPD, wie ich soeben gehört habe. Es ist ein wahres Vergnügen, zu hören, dass Frau Scheel und Frau Andreae immerhin bestätigen, dass es den Kommunen schlecht geht und dass sie am finanziellen Abgrund stehen. ({0}) Ich bin allerdings erstaunt, wie beratungsresistent Sie sind, wenn es darum geht, den Kommunen Hilfe zu leisten. Da fordert heute in der Zeitschrift „Impulse“ das

Not found (Gast)

({0}) Das Ende der Fahnenstange ist erreicht. Bund und Land müssen sofort eine Rettungsaktion für die Kommunen starten. Da fordern alle kommunalen Spitzenverbände und all diejenigen, die Ahnung von Kommunalfinanzen haben, die Reduzierung der Gewerbesteuerumlage, weil - das hat Herr Bernhardt sehr deutlich gesagt - die Geschäftsgrundlage entfallen ist. Doch Hans Eichel und die rot-grüne Koalition lehnen nach wie vor die Reduzierung dieser Gewerbesteuerumlage ab. Das ist und bleibt skandalös. ({1}) Herr Scheelen, es gibt nun das neue - ich will es von vornherein richtig bezeichnen - Steuererhöhungsprogramm. ({2}) Dieses Steuererhöhungsprogramm gibt den Kommunen im Grunde den entscheidenden Stoß für den Schritt in den Abgrund. Sie treffen nämlich mit diesen Maßnahmen die Wirtschaft mitten ins Herz. ({3}) Sie sind bei der Anhörung am 15. Januar dabei gewesen. Ich will einmal den exotischen Professor ausklammern und nur die Aussagen der anderen anwesenden Sachverständigen betrachten. Über 90 Prozent der Experten waren der Meinung, dass dieses Gesetzespaket von Ihnen zurückgezogen werden muss. ({4}) In diesem Paket sind beispielsweise die Mindestbesteuerung, ({5}) die Verschlechterung im Wohnungsbau und im Immobilienbereich sowie die Neidsteuer für Dienstwagenbesitzer enthalten. All dieses beschleunigt den konjunkturellen Abschwung und wird dazu führen, dass die Kommunen eben nicht mehr Geld, sondern wegen des Ausfalls der Ertragsteuern noch weniger Geld in der Kasse haben. ({6}) Sie versprechen allen Kommunen in Deutschland im Rahmen dieses Steuererhöhungsprogramms für 2003 einen Anteil an der Umsatzsteuer in Höhe von 30 Millionen Euro. Aber das Verbraucherverhalten und der Schaden für Handel und Landwirtschaft finden in Ihrer statischen und fiskalischen Betrachtung keinerlei Berücksichtigung. An dieser Stelle ein Hinweis: Diese 30 Millionen Euro reichen gerade aus, um in meinem Wahlkreis, einem ländlichen Bezirk, die laufenden Defizite in den Verwaltungshaushalten auszugleichen. Minister Stolpe fordert jetzt ein, wie er es nennt, Sonderinvestitionsprogramm für besonders belastete Städte. Welche Städte sind denn nicht besonders belastet? Ich empfehle Ihnen: Halten Sie sich an Ihr Regierungsprogramm! Auf Seite 22 schreiben Sie, dass Sie erstens die Finanzkräfte der Kommunen insgesamt stärken wollen und dass Sie zweitens wegen der Aufgabenverlagerung auf die Kommunen einen Finanzausgleich schaffen wollen. Das ist also, wie wir es nennen, die Verwirklichung des Konnexitätsprinzips. Warum halten Sie sich nicht an Ihr eigenes Programm? Was tun Sie? Sie setzen eine Regierungskommission - der Kollege Kolbe hat es gerade schon gesagt - zur Reform des Gemeindefinanzsystems ein. Nach vier Jahren Ankündigung schaffen Sie es endlich, im Mai 2002 die konstituierende Sitzung einzuberufen. ({7}) Die Kommission hat seitdem einmal getagt. In der Kommission sollen die Kommunalsteuern sowie die Arbeitslosen- und Sozialhilfe behandelt werden. Aber warum werden andere wesentliche Bereiche ausgeschlossen? Die Aufgabenverlagerung und die Kostenverlagerung auf die Kommunen werden nicht diskutiert. ({8}) Das in Ihrem Regierungsprogramm proklamierte Konnexitätsprinzip findet keine Anwendung. ({9}) Zweitens. Ausgeschlossen von der Diskussion wird der Abbau der Mischfinanzierung. Drittens. Ausgeschlossen wird eine Verschiebung der Finanzen zwischen den Ebenen Bund, Länder und Kommunen. Das hat für die Kommunen eine sehr große Bedeutung, weil - viertens - die Lösungen für das voluminöse Anwachsen der Kosten und der sozialen Aufgaben ausgeschlossen sind. Bei den sozialen Aufgaben handelt es sich beispielsweise um Eingliederungshilfen für Behinderte, Hilfen zum Lebensunterhalt oder Hilfe zur Pflege sowie Pflegewohngeld. Dort, wo die Kosten bei den Kommunen aufgrund der demographischen Entwicklung besonders dynamisch steigen, finden sie keinerlei Unterstützung bei der Bundesregierung. ({10}) Der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Herr Poß, ist nicht mehr anwesend. In den letzten Tagen wurde er in mehreren Zeitungen dahin gehend zitiert, dass strukturelle Korrekturen und keine Lastenverschiebungen notwendig seien. Hören Sie doch endlich auf, die Lasten auf die Kommunen zu verschieben! ({11}) Nehmen wir das Beispiel der Grundsicherung im Rentensystem. Was haben die Kommunen mit der Rente zu tun? In meinem Heimatkreis sind die Belastungen durch die Grundsicherung höher als alle freiwilligen Ausgaben des Kreises zusammen. ({12}) Frau Andreae, wir leben nicht über unsere Verhältnisse. Sie nutzen die Kommunen aus. Damit gehen Sie an die Wurzel der Demokratie und zerstören ein Stück Demokratie. ({13}) Wenn das Finanzministerium für drei Tage schließt, wirkt sich das auf die Bürger nicht aus. Das merkt keiner. Wenn aber in einer Gemeinde für drei Tage die Verwaltung, die Schulen, die Kindergärten, die Müllabfuhr oder der öffentliche Personennahverkehr nicht arbeiten, bricht das öffentliche Leben zusammen. Ihre Taten sind weit entfernt von Ihren Ankündigungen und Programmen. Auch die heute erwähnten guten Vorsätze bringen nichts. Es gibt alle guten Vorsätze; Sie brauchen sie nur noch anzuwenden. Vielen Dank. ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat die Kollegin Simone Violka, SPD-Fraktion.

Simone Violka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003250, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will an die Rede meines Vorredners anknüpfen, weil ich die Aussage „Wer bestellt hat, soll auch bezahlen!“ nicht stehen lassen kann. Wenn der Bund an die Länder zahlt und dort Finanzminister mit klebrigen Fingern sitzen, die das Geld an die Kommunen nicht weiterleiten, ({0}) dann kann der Bund nichts dafür. In Deutschland gibt es leider jede Menge Finanzminister mit klebrigen Fingern. ({1}) Ich komme aus einem Land, in dem der Finanzminister besonders klebrige Finger hat. ({2}) Komischerweise ist es so, dass die Opposition ihr Herz für Kommunen und ihre Steuerprobleme immer erst dann entdeckt, wenn Wahlen vor der Tür stehen. Das ist so offensichtlich, dass es fast unerträglich ist. Herr Kolbe hat Dresden angeführt. Leider hat er vergessen, zu sagen, dass dieser besonders kinderfreundliche Bürgermeister ein FDP-Mann ist. Vielleicht können Sie ihm einen schönen Gruß bestellen und ihm einmal Ihr Programm zur Verfügung stellen. Ich glaube nicht, dass in Ihrem Programm das mit den Kindergärten vorgesehen ist; es sei denn, Sie haben Ihr Herz für Familien neu entdeckt. ({3}) In Sachsen gibt es zwei andere große Städte, die die gleichen Voraussetzungen haben, nämlich Leipzig und Chemnitz. Die Bürgermeister Tiefensee und Seifert, beide von der SPD, kommen gar nicht auf die Idee, ihre Kommunalfinanzen durch die Schließung von Kindergärten zu verbessern. ({4}) Wenn die Steuerpolitik der Bundesregierung tatsächlich so schlecht ist, frage ich mich, warum die CDU/CSU vor den Wahlen durch das Land gezogen ist und gesagt hat: Wenn wir an die Macht kommen, dann - das versprechen wir euch - wird die dritte Stufe sofort umgesetzt, damit ihr nicht auf das Geld verzichten müsst. ({5}) Jetzt ist die Steuerreform plötzlich schlecht. Das glaubt doch kein Mensch mehr! ({6}) Was ist mit den anderen Wahlversprechen? Steuern herunter! Steuern herunter! Steuern herunter! Natürlich dürfen damit aber keine Steuerausfälle verbunden sein! ({7}) Wie soll das denn finanziert werden? ({8}) Mit der gleichen Blauäugigkeit, mit der Sie dieses Land von 1990 bis 1998 in den finanziellen Ruin geführt haben? Immer hieß es: Es wird schon jemand richten! Der Herrgott wird es schon richten! Die Konjunktur wird es schon richten! - Acht Jahre lang hat die Konjunktur es nicht richten können. ({9}) Das Desaster haben wir übernehmen müssen. ({10}) Neuverschuldung ist für Sie nichts Neues. Herr Koch macht das in Hessen zurzeit nach, besser gesagt: vor. Allein 2002 explodierte die Nettoneuverschuldung in Hessen auf einen Rekordwert von 2 Milliarden Euro. Das muss man sich einmal vorstellen. Wer soll denn das bezahlen? Herr Koch scheint mit keiner sehr langen Lebensdauer zu rechnen, wenn er sagt: Ich mache einfach Schulden, sollen sich doch die anderen mit den Zinsen beschäftigen. Außerdem macht er vor, wie man sich als Ministerpräsident bei den Kommunen ungeniert bedienen kann. 100 Millionen Euro werden aus dem kommunalen Investitionsfonds locker in den hessischen Landeshaushalt umgeleitet. ({11}) - 200 Millionen Euro wurden bestätigt. ({12}) Auch sonst ist Herr Koch nicht kleinlich im Hinblick auf Luftbuchungen und fiktive Einnahmen. Aber er verkündet natürlich, dass er die Konsolidierung des Haushaltes fortführen will. Schließlich habe man ja in der laufenden Legislaturperiode eine erfolgreiche Konsolidierung durchgeführt. ({13}) Konsolidierung bei einer Neuverschuldung in Höhe von 2 Milliarden Euro und Buchungen, die selbst der Hessische Städtetag als politisch unzulässig und rechtlich bedenklich bezeichnet? Herr Koch sollte einmal eine brutalstmögliche Überprüfung seines Haushaltes veranlassen, bevor er den Wählern so etwas vorsetzt. ({14}) Vielleicht holt er sich ja Rat bei seinen Kollegen aus Sachsen. Von dort bekommt er bestimmt ein paar tolle Hin1652 weise, wie man den Kommunen jede Menge Geld aus der Tasche ziehen kann. Die CDU in Sachsen hat die Schlüsselzuweisungen wieder gesenkt. In einer Stadt in meinem Wahlkreis, in Oelsnitz im Erzgebirge mit 13 000 Einwohnern, macht das in diesem Jahr eine Summe von 300 000 Euro aus. ({15}) - Weil die Schlüsselzuweisungen heruntergefahren worden sind. Warum denn sonst? ({16}) Das Schlimme ist: Sachsen hat es - meines Wissens als einziges Bundesland - nicht nötig, sich finanziell an der Landeswohlfahrt zu beteiligen. Ich weiß nicht, warum das in Sachsen noch Landeswohlfahrt heißt und nicht Wohlfahrt der Kreise und kreisfreien Städte. Auf die wird das nämlich umgewälzt. Man sollte einmal überlegen, wer bestellt und wer bezahlt. Das Problem ist, ({17}) dass die Kommunen diejenigen sind, die das ausbaden müssen, was die Länder auf die Kommunen abwälzen. Die Länder stecken nämlich das Geld, das sie vom Bund bekommen, in die eigene Tasche. ({18}) Sachsen brüstet sich doch überall damit, dass es die niedrigste Verschuldung hat. Aber es gibt dort jede Menge Kommunen, die am Boden liegen, weil sie vom Land die Gelder, die ihnen zustehen, nicht bekommen. ({19}) Dafür kann der Bund nichts! ({20}) Das ist ein Landesproblem! Mir kann man nicht vorwerfen, dass ich mich in den Kommunalfinanzen nicht auskenne. Ich bin seit 1994 Kommunalpolitikerin! ({21})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Jochen-Konrad Fromme, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Scheel, Sie haben von Nebelkerzen gesprochen. Sie sollten das, was Sie in den Zeitungen verkünden, einmal damit vergleichen, wie Sie in den Ausschüssen und im Bundestag abstimmen. Dazwischen liegen Welten. ({0}) Dass Sie nicht gemerkt haben, dass bei den Kommunen etwas nicht stimmt, verstehe ich nicht. Die niedersächsischen Kommunen haben schon im Jahre 2001 10 Prozent ihrer laufenden Ausgaben mit Kassenkrediten bestritten. Wenn das kein katastrophaler Zustand ist, dann weiß ich nicht, wie man das ansonsten bezeichnen soll. Falls Sie das wirklich nicht begriffen haben, frage ich mich, auf welche Art und Weise Sie sich mit Kommunalfinanzen beschäftigt haben. Die „FAZ“ hat diesen Zustand vor kurzem als „Schröders Erbe“ bezeichnet. Das, was er in Niedersachsen angerichtet hat, hat er nahtlos im Bund fortgesetzt. ({1}) Die Menschen haben endlich den Unterschied zwischen Gerhard Schröder und einer Telefonzelle begriffen: Bei der Telefonzelle müssen sie erst bezahlen und dürfen dann wählen. Bei Gerhard Schröder dürfen sie erst wählen und müssen dann bezahlen. ({2}) Deshalb, mein lieber bibelfester Herr Kollege, wird zu Lichtmess, also in der übernächsten Woche, das passieren, was auch schon früher passiert ist: Altes Personal wird in die Wüste geschickt und neues Personal kommt. Denn die Menschen haben dies durchschaut. ({3}) Drei Ursachen sind maßgeblich für die kommunale Finanzkrise: die katastrophale Wirtschaftslage, die Eingriffe von Bund und Ländern in die Kommunalhaushalte und die Ausgabenexplosion. Ihre Wirtschaftspolitik ist es gewesen, die die Abwärtsspirale in Deutschland eingeleitet hat. Sie haben immer noch nicht begriffen: Wer die Steuern erhöht, wird am Ende weniger Einnahmen haben. Das trifft die Kommunen viel härter als die anderen Ebenen. ({4}) Wenn die Kommunen noch die Finanzkraft von 1991 hätten, dann könnten sie im Rahmen von Investitionen durchaus ein halbes Prozent mehr zum Bruttosozialprodukt beitragen. Diese Möglichkeit haben Sie ihnen weggenommen. Deswegen können die Kommunen keine Aufträge mehr vergeben. Das heißt, es gibt weniger Arbeit, mehr Arbeitslose, weniger Steuereinnahmen und mehr Sozialhilfeausgaben. Mit Ihren Maßnahmen treiben Sie diesen Kreislauf an. Sie sagen, Sie würden nicht an Steuererhöhungen denken. Dazu muss ich feststellen: Ihr künftiger Finanzministerkandidat - denn alle Ministerpräsidenten, die abgewählt worden sind, haben auf der Regierungsbank Platz genommen ({5}) kommentiert Ihre Politik als Voodoo-Ökonomie. Er ist kein sehr glaubwürdiger Zeuge; denn er spricht von einer Erhöhung der Erbschaftsteuer, der Vermögensteuer, der Verkaufsteuer, der Dienstwagensteuer, der Akademikersteuer, der Erbschaftsteuer, der Spekulationsteuer, der Tabaksteuer, der Ökosteuer und der Versicherungsteuer. Meine Damen und Herren, das ist Ihr Fehler: Sie nehmen den Menschen und der Wirtschaft die Kaufkraft und beschleunigen den Kreislauf nach unten. ({6}) Sie bereichern sich schamlos an den Kommunen. Ein Beispiel dafür ist die letzte Tarifrunde. Einer Ihrer Hauptsprecher war ja der niedersächsische Finanzminister, der offensichtlich um seinen Job fürchtet und deshalb einem unverantwortlichen Abschluss zugestimmt hat. Wie sieht denn die Bilanz des Tarifabschlusses aus? Der Bund hat Mehreinnahmen von 97 Millionen Euro, weil er nämlich durch den Tarifabschluss mehr Steuern zusätzlich einnimmt, als er überhaupt Kosten hat. Die Länder haben 467 Millionen Euro minus und die Kommunen 1,8 Milliarden Euro minus. Diesen Abschluss haben Sie nur gemacht, weil Sie zu den Wahlen keinen Streik haben wollten. Stattdessen haben Sie einen vernünftigen Abschluss verhindert. So gehen Sie vor. ({7}) - Dank der Enthaltung von Niedersachsen ist das Ergebnis zustande gekommen. Jetzt frage ich mich: Was ist denn in Niedersachsen los? Die haben doch nur Angst gehabt! Das waren doch Ihre Leute. Sie bereichern sich auf unsägliche Art und Weise bei den Kommunen. Ich nehme nur einmal das Beispiel Kindergeld. Ihre Ministerpräsidenten Voscherau - da sitzt schon der Nach-Nachfolger -, Eichel, Schröder und Lafontaine - wo ist er eigentlich? Ach nein, der kommt erst wieder ({8}) haben im Grundgesetz festgeschrieben, dass die Kommunen nicht stärker belastet werden dürfen. ({9}) - Von dem hat damals noch keiner geredet; der lag noch in den Windeln. Wenn ich mir die Bilanz ansehe, stelle ich fest, dass Länder und Kommunen 1,6 Milliarden Euro mehr als nach der grundgesetzlich vorgeschriebenen Regelung zahlen. Das ist Ihre Politik „zugunsten“ der Kommunen. Deswegen haben sie keine Finanzkraft mehr. Deswegen können sie keine Ausgaben mehr vornehmen. Stimmen Sie deswegen endlich einem richtigen Kurs zu! Betreiben Sie die richtige Wirtschaftspolitik! Betreiben Sie Aufgabenabbau auf der Ausgabenseite, damit die Haushalte endlich wieder saniert werden! Stimmen Sie als Sofortmaßnahme der Gewerbesteuerumlagensenkung zu! Denn das geht schnell. Das kann jeder Kämmerer ausrechnen. Da kann er Hoffnung schöpfen. Daraus kann er Aufträge für die Wirtschaft machen. Dann kann es weitergehen. Aber reden Sie nicht von der „Wundertüte“ Gemeindefinanzreform! ({10}) - Wir wollen eine, aber die richtige. - Sie haben gesagt: Da gibt es keine Minderausgaben; da gibt es keine Mehreinnahmen. Wenn es keine Mehreinnahmen gibt und man sich mit der Ausgabenseite nicht beschäftigt, kann bei der Gemeindefinanzreform keine Sanierung der Kommunalfinanzen herauskommen. Das ist doch Ihr Problem. ({11}) Sie leben in einer völlig anderen Wirklichkeit. Sie malen sich wie Frau Scheel ein Bild und sagen: Bis 2001 war alles in Ordnung; ({12}) erst vor ein paar Tagen haben wir durch den Städtetag davon erfahren. - So haben Sie es eben gesagt. Sie haben die jahrelangen Meldungen gar nicht zur Kenntnis genommen. Meine Damen und Herren, ich sage es noch einmal. Eines ist doch völlig klar: Die Menschen haben erkannt, dass sie mit Ihnen auf der Abwärtsspirale und nicht auf der Aufwärtsspirale weiterkommen. Deswegen wird es am 2. Februar die Einleitung einer Wende geben. Sie werden dann einen neuen Finanzminister haben. Wir freuen uns schon auf seine Voodoo-Ökonomie. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun hat die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Dr. Barbara Hendricks das Wort.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal: Ich werde natürlich auch in der nächsten Woche und in der Zukunft sehr gerne und effizient mit Finanzminister Eichel zusammenarbeiten. ({0}) Herr Kollege Kolbe, Sie haben vorhin eine Geschichte erzählt: Angeblich sollten Schülerinnen und Schüler selber Toilettenpapier in die Schule mitbringen. Sie haben dann gesagt: Das stimmte zwar nicht, wurde aber zunächst geglaubt. - Genau so verfahren Sie hier: Das stimmt zwar nicht, soll aber zunächst geglaubt werden. ({1}) Diese - im doppelten Sinne - Latrinenparolen, die Sie durch dieses Beispiel verstärkt haben, muss man einmal deutlich zurückstoßen. In den ganzen 90er-Jahren hat das Gewerbesteueraufkommen aller Kommunen in der Bundesrepublik Deutschland zusammen in der Größenordnung von 40 bis 45 Milliarden DM gelegen. Im Jahr 1998 betrug das Gewerbesteueraufkommen 46 Milliarden DM. Im Jahr 1999 waren es 50 Milliarden DM. Im Jahr 2000 wurden 53 Milliarden DM und damit ein Nachkriegsrekord erreicht. ({2}) Wir hatten, wie Sie wissen, schon 1999 und 2000 unsere ersten Steuersenkungsschritte eingeleitet, bei der Einkommensteuer, im Eingangsteuersatz, im Spitzensteuersatz und bei der Anhebung des Grundfreibetrages. Die entscheidende Steuerreformstufe kam im Jahr 2001. ({3}) Trotz all Ihrer Debatten - man muss die Steuern senken, damit die Wirtschaft läuft -, war es leider so, dass im Jahr 2001 die Gewerbesteuer bei einer Größenordnung von 46 Milliarden verharrte. Damit war übrigens wieder die Größenordnung von 1998 und eigentlich der ganzen 90er-Jahre erreicht. ({4}) In der Tat war das im Verhältnis zur einsamen Spitze des Jahres zuvor von 53 Milliarden DM ein deutlicher Einbruch. Aber es war die Größenordnung, die in den ganzen 90er-Jahren die Gewerbesteuer in der Bundesrepublik Deutschland ausgemacht hat. Wir haben die abschließenden Zahlen für das Jahr 2002 noch nicht; wir haben hier bisher nur geschätzte Zahlen. Ich vermute, dass wir etwa in der Größenordnung des vergangenen Jahres liegen werden. Ich kann das natürlich nicht genau sagen. Wahrscheinlich liegt das Gewerbesteueraufkommen wieder in der Größenordnung der ganzen 90er-Jahre. Jetzt kommen wir noch einmal zur ständig erhobenen Forderung nach einer Absenkung der Gewerbesteuerumlage. ({5}) Kollege Scheelen hat schon darauf hingewiesen: Als wir das Steuersenkungsgesetz beschlossen haben, betrug das Aufkommen der Gemeinden am Steueraufkommen 12,3 Prozent. Inklusive der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage wurden die Kommunen mit einem Anteil von 8,9 Prozent an den Steuereinnahmeausfällen beteiligt. Sie sind also unterproportional beteiligt worden. ({6}) Das haben die kommunalen Spitzenverbände anerkannt. Im Gesetz steht, dass wir im Jahr 2004 den angemessenen Ausgleich über die Gewerbesteuerumlage überprüfen werden. ({7}) Im Jahr 2006 werden wir sie wieder absenken. Dies geschah mit Zustimmung der kommunalen Spitzenverbände. Selbstverständlich hat sich das Steueraufkommen in den letzten Jahren insgesamt nicht positiv entwickelt, ({8}) weder für die Kommunen noch für den Bund und die Länder. Trotzdem stimmt die anteilige Finanzierung der Kommunen natürlich immer noch genauso wie vorher. ({9}) Deswegen ist die isolierte Forderung nach einer Absenkung der Gewerbesteuerumlage einfach nicht zu verstehen. Ich darf im Übrigen noch auf Folgendes aufmerksam machen: Zwei Drittel der Gewerbesteuerumlage gehen zugunsten der Länder und ein Drittel zugunsten des Bundes. ({10}) Als die bayerische Landtagsfraktion der SPD nach dem ersten Vorpreschen der Bayerischen Staatsregierung, wofür sie im Bundesrat zunächst keine Mehrheit gefunden hatte, den Antrag gestellt hat, wenigstens in Bayern zwei Drittel zugunsten der Kommunen zu geben, haben sie es natürlich abgelehnt. ({11}) Daran erkennt man ja auch, dass dies alles nur Schaufensteranträge sind, die den Zweck haben: Das stimmte zwar nicht, sollte aber zunächst geglaubt werden. Das sage ich noch einmal in Ihre Richtung. ({12}) Jetzt kommen wir noch einmal zu anderen Punkten. Herr Flosbach hat hier angekündigt: Wenn wir das Steuervergünstigungsabbaugesetz jetzt verabschieden würden, dann wäre dies der endgültige Todesstoß für die deutsche Wirtschaft und damit einhergehend der endgültige Todesstoß für die deutschen Kommunen. ({13}) Als Beispiel hat Herr Kollege Flosbach die so genannte Mindestgewinnbesteuerung angesprochen. Ich weiß auch, dass das von Sachverständigen und Interessenvertretern in der Anhörung durchaus kritisch betrachtet worden ist. ({14}) Ich darf Sie aber darauf hinweisen, dass im Haushaltsplan des Landes Hessen für das Jahr 2003 unter Bezugnahme auf Körperschaftsteuer und Mindestgewinnbesteuerung 140 Millionen Euro an Mehreinnahmen eingestellt worden sind, weil der famose Kollege Koch sonst überhaupt keinen verfassungsmäßigen Haushalt mehr aufstellen könnte. ({15}) Mit derselben Begründung - zusätzliche Einnahmen aus der Mindestgewinnbesteuerung - hat der Kollege Müller im Saarland plus 10 Millionen Euro in seinen zugegebenermaßen kleineren Haushalt eingestellt. Hören Sie also auf, hier herumzureden! Nur mit diesen Maßnahmen können Ihre Kollegen aus den Ländern ihren Haushalt wenigstens noch verfassungsgemäß aufstellen, im Vollzug werden sie es bei dem Ausgabeverhalten, das sie an den Tag legen, nicht schaffen. ({16}) Ich möchte noch einen Hinweis zur so genannten Lastenverschiebung machen. Ich weiß, man soll nach vorn schauen, aber wenn gerade Sie sagen, wir würden eine Verschiebung zulasten der Kommunen vornehmen, dann darf man doch einmal daran erinnern, dass im Zuge der Novellierung des § 218 StGB die alte Bundesregierung mit den alten Mehrheiten in diesem Parlament den Kommunen aufgegeben hat, Kindergartenplätze für alle Dreibis Sechsjährigen zu schaffen. Das ist eine zweifellos sinnvolle Maßnahme, aber beschlossen ohne irgendeinen Ausgleich! ({17})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Staatssekretärin, gestatten Sie eine kurze Unterbrechung. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es wäre schon gut, wenn hauptsächlich der gemeldete Redner oder die gemeldete Rednerin das Wort hätte. Das gilt für alle Seiten. Es erleichtert vor allen Dingen die Vermittlung dessen, was hier gemeint ist, nach draußen.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herzlichen Dank, Herr Präsident! - Sie wissen genau, dass wir 410 Millionen Euro - die Kollegin Kerstin Andreae hat darauf hingewiesen - zur Finanzierung der Grundsicherung an die Kommunen über die Länder überweisen. Zudem haben wir ins Gesetz geschrieben, dass wir im Jahr 2005, also nach zwei Jahren, eine Spitzabrechnung vornehmen werden. Das ist das Konnexitätsprinzip in Reinkultur. ({0}) Die meisten Kommunen wären froh, wenn ihre Länder so mit ihnen umgehen würden. Dann stellt sich die Frage: Was ist mit den Personalkosten? Ich will ein Beispiel nennen. Mein Heimatkreis Kleve hat 300 000 Einwohner. Der Landrat geht davon aus, dass es 300 Fälle von Grundsicherung im Kreis Kleve gibt. Dafür können Sie nicht einmal eine zusätzliche Person beschäftigen; denn das würde ja bedeuten, dass sie bei rund 200 Arbeitstagen etwa anderthalb Anträge pro Tag behandeln müsste. Sie nehmen doch wohl nicht ernsthaft an, dass man dafür tatsächlich zusätzliches Personal einstellen muss. Ein kurzer Hinweis: Manchmal sind die Forderungen der Kommunen, was die Personalkosten anbelangt, etwas seltsam. Ich erinnere an einen Oberbürgermeister in diesem Fall mit SPD-Parteibuch, der erklärt hat - inhaltlich mag man davon halten, was man will, das will ich hier nicht debattieren -, wegen der Einführung der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften müsse er fünf zusätzliche Standesbeamte einstellen. Wahrscheinlich gibt es in der ganzen Bundesrepublik noch nicht einmal 1 000 eingetragene gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften, aber in einer bestimmten Großstadt brauchte man fünf zusätzliche Standesbeamte! Manchmal ist das Klagen ein bisschen arg weit hergeholt. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzte Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Frau Dr. Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Ich bin Abgeordnete der PDS. ({0}) Städte, Gemeinden und Landkreise schlagen Alarm. Die schwerste kommunale Finanzkrise in der Geschichte der Bundesrepublik schwebt wie ein Damoklesschwert über den allermeisten der 14 000 Rathäuser und 323 Landratsämter in Deutschland. Mitte des Jahres 2002 hatten die Kommunen Kassenkredite in Höhe von insgesamt 11,7 Milliarden Euro in Anspruch genommen, zehnmal mehr als noch 1992. Das Finanzierungsdefizit der Städte, Gemeinden und Landkreise wird in diesem Jahr voraussichtlich die Rekordhöhe von 9,9 Milliarden Euro erreichen, das sind gut 3 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr. Man muss klar sagen: Die rot-grüne Bundesregierung trägt mit ihrer Steuer- und Haushaltspolitik die Hauptverantwortung für die größte kommunale Finanzkrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Mit ihrem Steuersenkungs- und Unternehmensteuergesetz aus dem Jahr 2000 hat die Steuerreform Löcher in bis dato nicht bekanntem Umfang in die kommunalen Haushalte gerissen und damit den Bestand kommunaler Selbstverwaltung überhaupt gefährdet. ({1}) Rot-Grün war schon vor viereinhalb Jahren mit dem Versprechen angetreten, das Gemeindefinanzsystem auf den Prüfstand zu stellen und die Finanzkraft der Kommunen zu stärken. Aber auch CDU/CSU und FDP können nicht so tun, als hätten sie mit der Misere nichts zu tun. Sie haben fortwährend die Gewerbesteuer ausgehöhlt und damit ein wahrlich unrühmliches Erbe mit negativen Auswirkungen auf die Kommunalfinanzen hinterlassen. Auch wenn diese Situation jetzt noch verschärft wurde, ist es wahrlich nicht gerechtfertigt, dass Sie, meine Damen und Herren von CDU/CSU und FDP, sich hier jetzt als Heilsbringer für die Kommunen aufspielen. ({2}) Denn das Erbe, das Sie den Kommunen hinterlassen haben, war kein gutes. Zurück zur Verantwortung der Bundesregierung: Nur auf Druck der kommunalen Spitzenverbände war von der Bundesregierung wenige Wochen vor der letzten Bundestagswahl überhaupt eine Kommission für die Reform der Kommunalfinanzen eingesetzt worden. Leider, so muss man sagen, lautet das unrühmliche Fazit bis jetzt: Außer Spesen nichts gewesen! Die beiden nach der Bundestagswahl angesetzten Kommissionssitzungen fielen durch Verschulden der Bundesregierung buchstäblich ins Wasser. Die Kommunen brauchen jetzt als Soforthilfe dreierlei; ich will Ihnen die diesbezüglichen Vorschläge der PDS unterbreiten. Erstens. Die im Rahmen der Steuerreform beschlossene Erhöhung der Gewerbesteuerumlage muss rückgängig gemacht werden. Damit hätten die Städte und Gemeinden sofort 2,3 Milliarden Euro an Gewerbesteuer mehr in der Tasche. ({3}) Zweitens. Die gewerbesteuerliche Organschaft, die eine für viele Kommunen verheerende Gewinn- und Verlustrechung im Rahmen eines Konzerns ermöglicht, muss abgeschafft werden. Schließlich drittens. Beginnend mit dem Bundeshaushalt 2003 muss in Einzelplan 60, Allgemeine Finanzverwaltung, eine kommunale Investitionspauschale des Bundes für ostdeutsche Städte und Gemeinden sowie Kommunen in strukturschwachen Regionen des alten Bundesgebietes mit einem Volumen von ungefähr 3 Milliarden Euro verankert werden. Dies gab es übrigens schon einmal, in den Jahren 1991 und 1993. ({4}) Bundesminister Stolpe hat diese Idee aufgegriffen. Jetzt muss er mit unser aller Unterstützung für eine solide Finanzierung sorgen. Dafür hat er auch unsere Unterstützung. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit auch am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 30. Januar 2003, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.