Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Jahreswirtschaftsbericht 2003.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit,
Wolfgang Clement.
Die Bundesregierung hat heute den Jahreswirtschaftsbericht 2003 verabschiedet. Er steht unter dem Motto: Allianz für Erneuerung - Reformen gemeinsam voranbringen. Die zentrale Botschaft dieses Berichtes lautet, dass
das Jahr 2003 zum Jahr der entscheidenden wirtschaftsund finanzpolitischen Weichenstellungen werden muss.
Es muss uns in diesem Jahr gelingen, die Wachstumsdynamik der Wirtschaft zu stärken, ein höheres Wachstumspotenzial zu erschließen und das Wachstum beschäftigungswirksamer zu machen; das heißt, wir müssen den
Weg ebnen, damit wir ein höheres Wachstum bekommen,
und müssen dafür sorgen, dass aus diesem wirtschaftlichen Wachstum schneller und mehr Arbeitsplätze entstehen.
Ich komme zu den Daten des Jahreswirtschaftsberichtes. Die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen für die
kommenden Monate stellen sich eher schwierig dar. In
unserer Projektion für das Jahr 2003 rechnen wir mit einem realen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts im Jahresdurchschnitt um rund 1 Prozent. Die Zahl der Erwerbstätigen wird im Jahresdurchschnitt wahrscheinlich ein
halbes Prozent unter dem Durchschnitt des Jahres 2002
liegen. Die Zahl der Arbeitslosen wird zunächst voraussichtlich leider ansteigen. Im Jahresdurchschnitt wird sie
nach dieser Prognose rund 4,2 Millionen erreichen und
damit den Stand des Vorjahres übertreffen. Im Vorjahr lag
sie im Durchschnitt bei 9,8 Prozent; in diesem Jahr wird
sie nach dieser Prognose bei 10 Prozent liegen. Mit der
Belebung der Konjunktur und dem allmählichen Wirksamwerden der Arbeitsmarktreformen wird die Zahl der
Arbeitslosen in der zweiten Jahreshälfte zurückgehen.
Zum Jahresende 2003 dürfte sie unter dem Stand am Ende
des Jahres 2002 liegen.
Im Klartext heißt das: Die Durststrecke auf dem Arbeitsmarkt ist noch nicht überwunden. 2003 wird ein Jahr
der Entscheidung, in dem wir alle, die Bundesregierung,
die Politik insgesamt, Arbeitgeber und Gewerkschaften,
in höchstem Maße gefordert sind, alles zu tun, um die
Zahl der Arbeitslosen so rasch wie möglich zunächst unter die 4-Millionen-Marke zu drücken und dann weiter zu
senken.
Bei all dem gibt es aber auch Konjunkturindikatoren,
die erste Lichtblicke verheißen. Zu nennen sind zum Beispiel die Zahl der Auftragseingänge, die Kapazitätsauslastungen, die Produktion, die im November 2002 merklich
angestiegen ist, sowie die Stimmungsverbesserung beim
Konjunkturindikator des ZEW und beim Ifo-Geschäftsklimaindex, der erstmals seit acht Monaten eine leichte
Verbesserung aufweist. Darüber hinaus können wir moderat zunehmende Lohnstückkosten, eine verhaltene Nachfrageentwicklung und eine Höherbewertung des Euro
verzeichnen. Das bedeutet, die Gefahren sind insgesamt
eher zurückgegangen.
Dafür, dass es in diesem Jahr, wenn auch nur sehr verhalten, zu einer wirtschaftlichen Erholung kommen wird
- prognostiziert ist 1 Prozent -, sprechen insgesamt günstige Rahmenbedingungen. Wir nehmen an, dass die weltwirtschaftliche Dynamik zunehmen wird, dass die Exporte die Binnennachfrage und die Binnenkonjunktur
anstoßen werden, dass die kurz- und langfristigen Nominalzinsen niedrig bleiben werden, dass die Lohnstückkosten nur moderat zunehmen werden - wir rechnen mit
1 Prozent nach 0,9 Prozent im vergangenen Jahr -, dass
die Inflationsrate mit etwa 1,5 Prozent niedrig bleibt und
dass sich die Gewinnaussichten der Unternehmen insgesamt verbessern werden. Alles in allem bewegen wir uns
mit unserer Schätzung des Wachstums, von dem wir ausgehen, dass es moderat steigen wird, im Rahmen der
Schätzungen der nationalen Experten. Die Prognosen der
deutschen Experten gehen allesamt von einem realen
Wachstum von 0,6 Prozent bis 1,1 Prozent aus.
Im Jahre 2003 wird es also ganz verhalten wieder aufwärts gehen. Dies kann allerdings nur unter der Voraussetzung geschehen, dass es zu keiner kriegerischen Entwicklung im Irak kommt. Ich denke, wir alle hoffen, dass
es dort nicht zu einem Krieg kommt. Die Auswirkungen
einer kriegerischen Entwicklung sind für die Wirtschaftsprognostiker unkalkulierbar. Diese sind jedoch nicht an
erster Stelle gefragt, wenn es um das Risiko eines Krieges
geht. Es geht um die Menschen und um die Region.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
das ist die Situation.
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Minister. - Zunächst werden jetzt
Fragen zum Themenbereich, über den soeben berichtet
worden ist, gestellt. Als Erste hat sich die Kollegin
Dr. Gesine Lötzsch gemeldet.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, mich
würde interessieren, welche Auswirkungen die Steuerreform auf das Wirtschaftswachstum im Jahre 2002 hatte
und ob die Bundesregierung feststellen konnte, dass die
Kapitalgesellschaften, die durch diese Steuerreform besonders begünstigt wurden, mehr Investitionen getätigt und
mehr Arbeitsplätze geschaffen haben als in den Vorjahren.
Frau Kollegin, das kann ich nicht dezidiert beantworten. Die wirtschaftliche Entwicklung ist so, wie ich sie geschildert habe, nämlich sehr verhalten. Im vergangenen
Jahr betrug das Wachstum 0,2 Prozent.
Die Unternehmen haben in den Exportsektor enorm investiert; dort haben sie große Erfolge. Wir sind unverändert Exportvizeweltmeister. Eine solche Differenzierung,
wie Sie sie beschreiben, ist nur schwer möglich. Wenn
man das Exportwachstum herausrechnet, erkennt man,
dass es im letzten Jahr in der Binnenwirtschaft ein Minuswachstum in Höhe von 1,3 Prozentpunkten gab. Das
ist die reale Lage.
Ich glaube, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung
nicht in die einzelnen Instrumente, die sie angesprochen
haben, ausdifferenzieren lässt.
Als nächstes hat der Kollege Hans Michelbach das Fragerecht.
Herr Bundesminister, Sie gehen in Ihrer Wachstumsprognose - Sie haben sie reduziert - von einem Wachstum
in Höhe von 1 Prozent aus. Das sollte nicht zu Selbstlob
führen. Ist bei einer Wachstumsprognose von 1 Prozent
überhaupt eine Erneuerung in den Bereichen der Investitionen und der Beschäftigung möglich? Kann man das
nicht eher mit Ernüchterung als mit Erneuerung umschreiben? Ist nicht ein Wachstum - entsprechende Prognosen wurden von anderen Instituten erstellt - von unter
1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erwarten? Ist damit nicht auch in diesem Jahr wieder die Gefahr der Überschreitung der Defizitquote des Wachstums- und Stabilitätspakts von Maastricht gegeben?
Herr Kollege, ich habe ja gesagt, dass sich die nationalen Wachstumsprognosen zwischen 0,6 und 1,1 Prozent
bewegen. Unsere Experten nehmen ein Wachstum von
1 Prozent an. Bei diesem Wachstum und unter den gegebenen Bedingungen gehen wir davon aus, dass sich die
Verschuldungsquote der Bundesrepublik Deutschland
- gemäß dem Maastrichter Vertrag - auf unter 3 Prozent
belaufen wird. Das ist die reale Lage.
Es mag sein, dass die Situation zur Ernüchterung
beiträgt. Wichtig ist aber, dass wir durch sie veranlasst
werden, alles zu tun, was möglich ist, um die Wachstumskräfte zu stärken und auf diese Weise ein höheres Wachstum zu erreichen und mehr Arbeitsplätze - auch für den
Fall eines niedrigeren Wachstums - zu schaffen. Die Ergebnisse des vergangenen Jahres und auch die Perspektive dieses Jahres betrachte ich eher als Aufforderung an
Sie und mich, an uns alle, alles im jeweiligen Verantwortungsbereich Mögliche zu tun, um die Situation zu verbessern.
Es ist gar keine Frage, dass sie nicht zufriedenstellend
ist. Allein bei der Beschreibung, dass sie nicht zufriedenstellend ist, zu verharren genügt aber nicht. Durch politisches Handeln ist es möglich, Prognosen zu über- oder
unterbieten, je nachdem, aus welcher Perspektive Sie das
betrachten. Wir können also eine bessere Lage erreichen,
als uns die Prognostiker zurzeit zutrauen.
Vielen Dank, Herr Bundesminister. - Die nächste Frage
hat der Kollege Dirk Niebel.
Herr Minister, Sie haben gerade vorgetragen, dass Sie
für das Jahr 2003 mit einem wirtschaftlichen Wachstum
von 1 Prozent und einer durchschnittlichen Arbeitslosigkeit von 4,2 Millionen rechnen. Sie haben für das Ende
dieses Jahres als Ziel definiert, die durchschnittliche Arbeitslosigkeit des letzten Jahres zu unterbieten. Im letzten Jahr lag die durchschnittliche Arbeitslosigkeit bei
4,06 Millionen. Die wirtschaftswissenschaftlichen Institute gehen im Wesentlichen davon aus, dass die Beschäftigungsschwelle des Wirtschaftswachstums bei 2 bis
2,5 Prozent liegt.
Deswegen interessiert mich bei dem von Ihnen prognostizierten Wirtschaftswachstum, mit welchem arbeits1614
marktpolitischen Gesamtkonzept Sie dieses Ziel erreichen wollen. Werden Sie dieses Gesamtkonzept zu Beginn dieses Jahres vorlegen oder wird es bei den monatlich häppchenweise vorgelegten Reformvorschlägen
bleiben, wonach die Reform für Januar, das Kündigungsschutzgesetz, in zwei Tagen abgeschlossen sein müsste?
({0})
- Sie haben eine Reform pro Monat angekündigt. Die Reform für Januar war der Kündigungsschutz. Der Januar ist
in zwei Tagen vorbei. Deswegen frage ich nach dem Gesamtkonzept.
Sie haben Recht: Bisher gehen wir in Deutschland davon aus, dass erst ab einem Wachstum von 2 bis 2,5 Prozent eine wirkliche Beschäftigungswirkung festzustellen
ist. Wie Sie wissen, ist das in den Nachbarstaaten wie
Frankreich oder den Niederlanden anders. Unser Ziel
muss also sein, auch mit einem niedrigeren Wachstum
- wir sollten nicht gleich verzagen, sondern versuchen,
ein höheres Wachstum zu erreichen - eine Beschäftigungswirkung zu erzielen.
Dass wir das nicht erreicht haben, hat meiner Auffassung nach sehr stark damit zu tun, dass wir den Dienstleistungssektor nicht genügend entwickelt haben. Deshalb
waren die Schritte, die wir gemeinsam mit der CDU/CSUOpposition getan haben, um den Sektor der geringfügig
Qualifizierten mit Aufstiegsmöglichkeiten und den Bereich der Leih- und Zeitarbeit zu entwickeln, richtig. Das
sind aus meiner Sicht Instrumente, mit denen es möglich
ist, die Beschäftigungswirksamkeit schon bei niedrigerem
Wachstum eintreten zu lassen. Deswegen waren und sind
diese Maßnahmen und die jetzt infrage stehenden Schritte
richtig.
Die erste Reform für diesen Monat war die am 1. Januar in Kraft getretene. Sie müssen sich also für die
nächste Reform bis zum Februar gedulden, Herr Kollege.
Aber Sie können sich darauf verlassen, dass die Reformen,
die ich ankündige, tatsächlich vollzogen werden sollen.
({0})
- Das hängt von Ihnen ab. Sie sind der Gesetzgeber. Ich
darf noch nicht einmal über diese Brüstung steigen.
({1})
Die nächste Frage hat der Kollege Hartmut Schauerte.
Herr Minister Clement, der Jahreswirtschaftsbericht
für 2002 enthielt eine Wachstums- und Beschäftigungsprognose. Können Sie noch einmal sagen, wie in der Abrechnung die Abweichung zwischen Soll und Ist war?
Können Sie mir die Frage beantworten, wie Sie die
Annahme rechtfertigen wollen, dass auch Ihre jetzige
Prognose nicht wieder abweichen wird, insbesondere vor
dem Hintergrund, dass die gesamtwirtschaftliche Stimmungslage zu Beginn dieses Jahres deutlich schlechter als
Anfang des letzten Jahres war?
Ich darf direkt eine zweite Frage anschließen. Letztes
Jahr war ein Exportzuwachs von 2,9 Prozent zu verzeichnen. Für dieses Jahr rechnen Sie mit einem Exportzuwachs von 4,5 Prozent. Wie wollen Sie vor dem Hintergrund einer steigenden Dollar-Euro-Parität eine solche
Zahl rechtfertigen?
Herr Kollege Schauerte, für das Jahr 2002 war in der
Herbstprojektion von 2001 ein Wachstum von 1,25 Prozent prognostiziert worden. Für 2003 ist in der Herbstprojektion von 2002 die Zahl von 1,5 Prozent genannt
worden. Jetzt liegt die Projektion bei 1 Prozent. Sie wissen,
dass wir uns bei diesen Prognosen und den Korrekturen in
trauter Gemeinsamkeit mit allen Prognostikern befinden.
Dennoch sollten und werden wir uns nicht im Herabdefinieren der wirtschaftlichen Chancen überbieten, sondern uns geht es darum, die Chancen zu verbessern. Es ist
ebenso möglich, eine Prognose nach oben zu korrigieren.
Das bleibt möglich, auch wenn es in Deutschland zurzeit
befremdend klingen mag. Es ist möglich, die Situation zu
verbessern. Tatsächlich sind aber die Prognosen in der
letzten Zeit aufgrund der Einbrüche in der Weltwirtschaft
insgesamt korrigiert worden, und zwar flächendeckend
und weltweit. Mit dieser Situation müssen wir umgehen.
Aber wir müssen alles tun, um diese Situation zu korrigieren.
Hinsichtlich der Exportsituation ist der Sachverständigenrat etwas skeptischer als wir, aber nicht so skeptisch,
wie es in der Zahl 2,9 Prozent zum Ausdruck kommt. Wir
gehen davon aus, dass sich die Weltwirtschaft erholt.
Auch die internationalen Institute erwarten, dass sich die
amerikanische Volkswirtschaft erholt; im Hinblick auf die
japanische Volkswirtschaft weisen ebenfalls manche Indikatoren nach oben. In Lateinamerika, beispielsweise in
Argentinien, scheint die Talsohle erreicht zu sein. Insofern gehen wir von einer Aufhellung der weltwirtschaftlichen Bedingungen aus, allerdings unter dem Vorbehalt,
dass es nicht zu einer kriegerischen Entwicklung im und
um den Irak kommt. Ich habe eben versucht, deutlich zu
machen, dass eine solche Entwicklung unkalkulierbar
wäre. Ich will hier nichts an die Wand malen, sondern nur
deutlich sagen, dass so etwas in den Prognosen nicht
ernsthaft vorgesehen werden kann.
Vielen Dank. - Die nächste Frage wird von der Kollegin Dagmar Wöhrl gestellt.
Herr Minister, der Jahreswirtschaftsbericht zeigt auch
diesmal, dass die Realität Sie einholt. Die wirtschaftliche
Dynamik fehlt. Eine Frage zu den im Bericht veröffentlichten Zahlen: Sie gehen davon aus, dass der private
Konsum 2003 um bis zu 2,5 Prozent ansteigen wird - und
das vor dem Hintergrund, dass er im letzten Jahr nur um
0,5 Prozent anstieg. Worauf begründen Sie Ihre Prognose
und wie sehen Sie den Zusammenhang mit den von Ihnen
beschlossenen Steuer- und Abgabenerhöhungen, die allein in diesem Jahr die Bürger und Bürgerinnen mit circa
27 Milliarden Euro belasten werden?
Frau Kollegin, im Bericht ist ausgewiesen, dass der private Konsum nach der Prognose - wir reden hier immer
über Prognosen - um ein halbes Prozent ansteigen wird.
Sie haben eben den nominellen Wert genannt; real rechnen wir nur mit einem Anstieg von einem halben Prozent.
Das leichte Minus ist für das vergangene Jahr mit der Entwicklung des Euro und anderen Faktoren der gefühlten
Inflation erklärt worden. Die Kaufzurückhaltung war in
Deutschland besonders ausgeprägt. Aufgrund der etwas
besseren Bedingungen, die es in diesem Jahr im Vergleich
zum Vorjahr geben sollte, insbesondere aufgrund der Preisentwicklung, rechnen die Experten - ich rechne ja nicht;
die Experten rechnen, und zwar unbeeinflusst - insgesamt
mit einer etwas kräftigeren Nachfrage, wenn auch nicht
mit einer so kräftigen Nachfrage, wie man es sich vorstellen könnte und wie sie in anderen Staaten gegeben ist.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Gudrun Kopp.
Herr Minister, in Ihrem Jahreswirtschaftsbericht sprechen Sie - dies erscheint angesichts der auch für dieses
Jahr prognostizierten hohen Arbeitslosigkeit als recht gewagt - davon, dass eine dynamische Steigerung der Einnahmen aus Sozialbeiträgen zu erwarten sei. Worauf begründen Sie Ihre optimistische Einschätzung?
Darauf, dass sich die Situation insgesamt und dadurch
die Einnahmesituation verbessert.
({0})
- Ja, sicher. Die Experten gehen davon aus - das ist aus
meiner Sicht sehr verhalten gerechnet -, dass sich die Arbeitslosigkeit aufgrund der Hartz-Maßnahmen im Jahresdurchschnitt um 120 000 verringern wird. Ich selbst gehe
davon aus - das ist jedenfalls mein Ziel; es ist kein Versprechen -, dass wir eine weiter gehende Entlastung erreichen. Diese Zuversicht teile ich mit der Leitung der
Bundesanstalt für Arbeit. Wir hoffen, dass wir insbesondere in der zweiten Jahreshälfte weitere Fortschritte auf
dem Arbeitsmarkt erzielen werden.
({1})
Die nächste Frage stellt der Kollege Karl-Josef
Laumann.
Herr Minister, Sie gehen, wie Sie eben selbst gesagt haben, im Jahreswirtschaftsbericht von einem Wachstum
des privaten Verbrauchs in Höhe von 0,75 Prozent aus.
Erst einmal aber wird aufgrund von Beschlüssen, die auch
Sie im Kabinett gefasst haben - der Gesetzgeber hat ja
eine Kabinettsvorlage mit Mehrheit beschlossen -, der
normale private Haushalt ab Januar durchschnittlich
100 Euro weniger zur Verfügung haben. Woher nehmen
Sie bei einer Verkleinerung der Lohntüte um im Schnitt
100 Euro die Hoffnung, dass der private Verbrauch in
Deutschland zunehmen wird?
Das Konsumverhalten der Menschen hängt von der
Stimmungslage ab. Die Stimmungslage war in Deutschland im vergangenen Jahr, aufgehängt an dem, was unter
anderem mit dem „Teuro“ zusammenhing, alles andere
als konsumfreudig und konsumfördernd. Diesen Zusammenhang kennen Sie so gut wie ich.
Im Übrigen ist die Situation sehr differenziert zu sehen.
Aber selbstverständlich spielen auch die Höhe der Arbeitslosigkeit und andere Faktoren eine Rolle.
Die Ziele, die wir uns gesteckt haben, werden natürlich
- das hoffe ich - auch die Stimmungslage verbessern und
damit zu einem anderen Kaufverhalten führen. Hinzu
kommen objektive Faktoren wie beispielsweise die zu erwartende Preisentwicklung, die Entwicklung der Inflationsrate, die in Deutschland ausgesprochen stabil ist, und
die Lohnentwicklung.
Der Faktor der Belastung, den Sie angesprochen haben, sollte also nicht der einzige sein, den es zu berücksichtigen gilt. Abgesehen davon sollten Sie - Sie haben
mit 100 Euro lediglich eine Durchschnittsmarke der Belastung gesetzt - das Kaufverhalten der einzelnen Bevölkerungsgruppen sehr viel differenzierter sehen. Beispielsweise sollte man zwischen dem Kaufverhalten der
Rentner und dem anderer Bevölkerungsgruppen unterscheiden. Wenn Sie das tun, werden Sie feststellen, dass
die Einkommen sehr unterschiedlich sind und dass das
Kaufverhalten entsprechend differenziert zu sehen ist.
Vielen Dank. - Die nächste Frage stellt der Kollege
Dr. Joachim Pfeiffer.
Herr Minister Clement, Sie haben gerade davon gesprochen, dass Sie alle Maßnahmen ergreifen möchten,
die das Wachstum beschleunigen und eine Belebung des
Arbeitsmarktes, also den Aufbau von Beschäftigung, ermöglichen. Die Worte hör ich wohl, allein mir fehlt etwas
der Glaube an die Taten, wenn ich die letzten Wochen und
Monate Revue passieren lasse.
Sie haben vor wenigen Tagen den interessanten Vorschlag gemacht, den Kündigungsschutz zu modernisieren
bzw. zu flexibilisieren. Mich interessiert, wie konkret die
diesbezüglichen Pläne sind, wann und wie Sie sie umzusetzen gedenken und ob Sie in Ihrer Fraktion auch eine
Mehrheit dafür haben. Wir stehen zur Verfügung, wenn
Sie Unterstützung benötigen; denn wir halten die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen für den Aufbau von
Beschäftigung für sehr sinnvoll.
Herr Kollege, mir ist nicht klar, worauf Sie Ihre Skepsis stützen. Sie haben doch mit uns zusammen einen Teil
der notwendigen ersten Reform des Arbeitsmarktes beschlossen. Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, dann
haben Sie sich - nicht Sie persönlich, aber Ihre Fraktion über das Tempo der Veränderungen und nicht über die
Langsamkeit bei der Umsetzung der gesetzlichen Maßnahmen beschwert.
({0})
- Herr Laumann, selbstverständlich haben Sie immer
genügend Kraft. Aber schauen Sie sich einmal Ihre Kollegen an.
({1})
Insoweit kann ich Ihre Kritik nicht verstehen.
Des Weiteren habe ich in einem Interview die Frage bejaht, ob das Thema Kündigungsschutz beispielsweise in
kleinen und kleinsten Unternehmen eine Rolle spielen
könne; das ist richtig. Wir werden selbstverständlich zu
überprüfen haben, ob es auch im Arbeitsrecht gesetzliche
Vorschriften gibt, die den Eintritt von Arbeitslosen in den
Arbeitsmarkt behindern. Dies werden wir in aller Sorgfalt
erörtern. Zu gegebener Zeit wird die Regierung entsprechende Vorschläge machen. Dies wird nicht allzu lange
auf sich warten lassen; denn wir haben, wie ich schon oft
gesagt habe, keine Zeit zu verlieren. Wenn Sie bei dem,
was wir vorschlagen, mittun wollen, sind Sie herzlich
willkommen.
Vielen Dank.
({0})
- Sie können sich gerne noch einmal melden.
Das Fragerecht hat jetzt der Kollege Johannes
Singhammer.
Herr Minister, Sie haben mit dem heute vorgelegten
Jahreswirtschaftsbericht 2003 das ursprünglich prognostizierte Wirtschaftswachstum um 0,5 Prozentpunkte nach
unten korrigiert. Das bedeutet nach Expertenschätzungen
Einnahmeausfälle im Bereich der Steuern und bei den Sozialversicherungssystemen in Höhe von etwa 5 Milliarden.
Nun hat die Vergangenheit gezeigt, dass die Schätzungen
- leider - immer weiter nach unten korrigiert werden
mussten. Bei allem Optimismus, den die Politik auch verbreiten soll: Haben Sie denn einen Notfallplan, wenn das
eintreten sollte, was einige Institute voraussagen, nämlich
wenn das Wirtschaftswachstum nur 0,5 Prozent beträgt
und wenn sich dadurch bedingt erneut ein großes Loch bei
den Einnahmen auftut? Wie wollen Sie dann reagieren?
Wie wollen Sie die dann fehlenden Finanzmittel aufbringen?
Herr Kollege, unser Plan ist es natürlich, die Ziele, die
wir uns gesteckt haben, zu erreichen. Dazu gehört beispielsweise, dass wir in diesem Jahr ohne Bundeszuschuss für die Bundesanstalt für Arbeit auskommen wollen. Das ist, wie ich finde, ein bemerkenswertes Ziel,
nachdem der Bund im vergangenen Jahr, wenn ich das
richtig im Kopf habe, einen Zuschuss von 5 bis 6 Milliarden Euro aufbringen musste.
({0})
Wir sind aufgrund der ersten Reformschritte, die wir
im Bereich des Arbeitsmarktes unternommen haben, in
dieser Hinsicht optimistisch. Es geht in diesem Jahr darum, diese Schritte zu vervollkommnen, das heißt, nicht
nur entsprechende Gesetze zu beschließen, sondern das
Beschlossene auch umzusetzen; denn Gesetze allein verändern die Welt noch nicht. Das bedeutet einen erheblichen Umbau im Haushalt und bei den Instrumenten der
Bundesanstalt für Arbeit. Der Vorstandsvorsitzende, Herr
Gerster, hat ja deutlich gemacht, dass man hier umsteuern
müsse. Die bisherigen Instrumente der Strukturförderung,
die im Osten und vor allem im Westen angewendet worden sind, müssen in ihrer Bedeutung gegenüber den, wie
ich sie nenne, aktiven Beschäftigungsmaßnahmen zurücktreten.
Wir hoffen natürlich, dass wir beispielsweise mit der
Förderung von Zeit- und Leiharbeit oder mit dem Modell,
welches das Hinübergleiten von einem Minijob in einen
800-Euro-Job erleichtert, tatsächliche Veränderungen bewerkstelligen und damit auch Entlastungen an anderen
Stellen erreichen. Die Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten, auch in Form von Selbstständigkeit, ist
das Ziel unseres Vorgehens.
Es gibt diesbezüglich auch sehr ermutigende Zahlen.
Ich habe nicht die Absicht, Düsternis zu verbreiten; vielmehr möchte ich darauf hinweisen, dass beispielsweise
im vergangenen Jahr 123 000 arbeitslose Menschen - ich
hoffe, dass ich diese Zahl richtig in Erinnerung habe - in
die Selbstständigkeit gegangen sind, viele davon in eine
bisher beständige Selbstständigkeit. Diese Entwicklung
wollen wir forcieren. Dazu ist eine Reihe von Instrumenten vorhanden.
Um auf den zweiten Teil Ihrer Frage einzugehen: Wir
gehen davon aus, dass das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz die Spielräume bietet, die wir brauchen, um auf
konjunkturelle Veränderungen, die aus heutiger Sicht
nicht erkennbar sind, reagieren zu können, und zwar, wie
wir mehrfach angekündigt haben, flexibel, ohne dass wir
deshalb das Ziel des Stabilitätspakts, die Neuverschuldung bis 2006 auf nahezu null zu senken, aufgeben. Es
bleibt bei diesem Ziel, es bleibt bei den Steuersenkungen
2004/2005, wie es der Gesetzgeber beschlossen hat. Steuerrechtlich reicht das aus, was die Bundesregierung vorgelegt hat. Die entsprechenden Vorlagen befinden sich
jetzt im Gesetzgebungsverfahren. Wir werden uns mit den
Ergebnissen auseinander zu setzen haben.
Die nächste Frage hat der Kollege Hans Michelbach.
Herr Bundesminister, wie kommen Sie zu Ihrer Grundaussage, dass sich die Gewinnaussichten unserer Betriebe
verbessern werden? Verwechseln nicht auch Sie Bruttogewinn mit Nettogewinn? Durch das Steuervergünstigungsabbaugesetz wird die Steuerbemessungsgrundlage
deutlich verbreitert, und zwar ohne gleichzeitige Tarifsenkungen. Angesichts dessen müssen Sie doch einräumen, dass die zusätzlichen Steuerbelastungen von 23 Milliarden Euro allein in diesem Jahr und etwa
70 Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren den Nettogewinn doch erheblich aufzehren werden und dass damit Investitionsmöglichkeiten stark eingeschränkt werden. Wie ist es konkret mit der Firmenwagenbesteuerung
und mit der Wertzuwachsbesteuerung? Dadurch werden
doch viele Tausend Arbeitsplätze vernichtet. Wie ist es
mit der Eigenheimzulage? Vielleicht können Sie hier einmal eine ganz konkrete Antwort geben.
Meine konkrete Antwort lautet, dass ich die in den von
Ihnen entworfenen Bildern enthaltenen Auffassungen
nicht teile.
Experten - wenn Ihnen danach ist, dann können Sie andere Experten, auch solche außerhalb des Wirtschaftsministeriums, befragen - sehen die Entwicklung in Deutschland etwas positiver, als Sie es tun. Ansonsten sollten wir
die Diskussion über steuerliche Maßnahmen, die die Bundesregierung vorgeschlagen hat, an den Stellen führen, an
denen sie zu führen ist. Entsprechende Vorlagen befinden
sich zurzeit im parlamentarischen Verfahren des Bundestages und später werden sie vom Bundesrat beraten. Da
gehört diese Diskussion auch hin.
Als Nächster hat der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer das
Fragerecht.
Herr Minister, ich möchte zu den Themen Kündigungsschutz und Flexibilisierung nachfragen. Sie haben sehr
konkrete Vorschläge gemacht und auch von einer sofortigen Umsetzung gesprochen, zumindest vor wenigen Tagen. Wenn ich Sie gerade richtig verstanden habe, haben
Sie von „prüfen“, „überlegen“ und „zu gegebener Zeit“
gesprochen. Mir scheint, dass Sie das Vorhaben auf die
lange Bank schieben wollen. Können Sie nicht konkrete
Termine und Zeiten nennen?
Ihre Einschätzung, dass es auf die lange Bank geschoben werden soll, ist falsch.
({0})
- Diese Absicht habe ich nicht. Wenn es Vorschläge zu
machen gilt, dann werde ich sie der Bundesregierung vorlegen. Diese Vorschläge wird die Bundesregierung dann
entweder akzeptieren oder nicht. Wenn sie sie akzeptiert
hat, wird sie sie in Gesetzesform kleiden. So ist der Ablauf. Da müssen Sie sich gedulden. Es wird schnell gehen.
Das, was wir zu tun haben, wird sich schnell vollziehen.
Dass Sie jetzt eine Antwort von mir wollen und damit die
Belebung einer bestimmten öffentlichen Diskussion bewirken wollen, kann ich verstehen. Mit einer solchen Antwort möchte ich Ihnen jetzt nicht dienen. Ich möchte mit
den Ergebnissen dienen, die dann vorliegen, wenn die
Bundesregierung sie erarbeitet hat. Selbstverständlich
wird es auch eine Erörterung in der Koalition geben. So
ist der Ablauf.
Ich kann Ihren Wissensdurst jetzt nicht stillen. Sie kennen alle Bedingungen, über die wir reden. Wir sprechen
über das Abfindungsrecht, das sich in Deutschland aus der
Rechtsprechung entwickelt hat, und über Weiteres. Darüber wird sehr sorgfältig zu diskutieren sein. Selbstverständlich müssen wir auch das Arbeitsrecht dahin gehend
prüfen, inwieweit es beschäftigungshemmend oder beschäftigungsfördernd wirkt.
({1})
Bitte keine Zwischenfragen, Herr Laumann; die sind
nicht zulässig.
Die Zeit ist zwar schon fast abgelaufen, aber ich lasse
jetzt noch drei Fragen zu. Die nächste Frage hat die Kollegin Veronika Bellmann.
Herr Minister, Ihr Optimismus in allen Ehren; auch wir
wollen nicht alles schlechtreden. Dennoch werde ich das
Gefühl nicht los - auch nicht nach der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts -, dass die Regierung einen Zickzackkurs vollführt: Auf ein Zick folgt konsequenterweise
immer ein Zack, man weiß aber nicht, in welche Richtung.
Ich möchte meine Fragen ganz klar in eine Richtung lenken, nämlich auf das Thema Ost.
Sie haben vorhin gesagt, Ihr Optimismus rühre daher,
dass das Hartz-Konzept umgesetzt werden soll usw. In der
Anhörung wurde uns von Florian Gerster gesagt, dass
viele Maßnahmen des zweiten Arbeitsmarktes im Osten
nicht ziehen. Ich spreche hier hauptsächlich die Arbeitsvermittlung an. Wie soll die besser funktionieren und wie
sollen mehr Menschen Beschäftigungs- und Arbeitsplätze
bekommen, wenn keine zu vermitteln sind? Wie wollen
Sie speziell im Osten die Vermittlung stärken?
Meine zweite Frage betrifft das Thema Ostförderung
insgesamt: Im Entwurf des Haushaltsplanes wurden die
Mittel für die GA Ost um 60 Millionen gekürzt. Meinen
Sie, dass die Wirtschaft im Osten sich schon selbst trägt
und so stabil ist, dass man sich das erlauben kann?
Ich glaube, dass Sie mit Ihrer Auffassung, die Bundesregierung vollziehe einen Zickzackkurs, falsch liegen.
Die Bundesregierung hat einen klaren Kurs eingeschlagen; dieser Kurs ist auf mehr Wachstum ausgerichtet. Ich
habe jetzt mehrfach die entsprechenden Schritte geschildert: die Steuerentlastungen in den Jahren 2004 und 2005;
in diesem Jahr werden wir Maßnahmen ergreifen, um die
Lohnnebenkosten senken zu können; parallel dazu erarbeiten wir eine Reform der sozialen Sicherungssysteme;
ich habe über die Mittelstandsoffensive, über Bürokratieabbau und Ähnliches gesprochen. - All diese Schritte
kennen Sie; sie sind alle auf das gleiche Ziel ausgerichtet,
nämlich das Wachstum zu fördern und gleichzeitig den
Arbeitsmarkt zu entlasten.
Weiterhin habe ich darauf hingewiesen, was wir gemeinsam - jedenfalls CDU/CSU, Koalitionsfraktionen
und die Bundesregierung - getan haben, nämlich die Förderung des Niedriglohnsektors, um auch bei niedrigerem
Wachstum eine höhere Beschäftigungsrate zu erzielen.
Bei der Betrachtung dessen - wir haben darüber schon
einmal unter vier Augen gesprochen -, was Ostdeutschland angeht, wehre ich mich gegen die Auffassung und
werde auch versuchen, das in Ostdeutschland deutlich zu
machen, als verfolgten die auf dem Hartz-Konzept aufbauenden Gesetze und unsere Mittelstandsförderung ein
westlich orientiertes Programm. Es sind sehr wohl sehr
wichtige Maßnahmen dabei, bis hin zum Programm Kapital für Arbeit, die für ostdeutsche Unternehmen von
außerordentlicher Bedeutung sind.
Es kommt hinzu, dass wir in Deutschland insgesamt,
aber in Ostdeutschland in besonderer Weise, die Erweiterung der Europäischen Union durch den Beitritt der mittel- und osteuropäischen Länder ins Visier nehmen sollten. Die Bundesregierung wird auf diesem Sektor die
notwendigen Aktivitäten einleiten, um beispielsweise
durch Begegnungen von Unternehmern mehr Bewegung
zu erzeugen. Von Wien aus geschieht dies bereits; die
Österreicher sind nun einmal im Umgang mit den mittelund osteuropäischen Staaten gut trainiert. Wir werden
also die notwendigen Aktivitäten einleiten. Insgesamt
sind die finanziellen Aufwendungen vonseiten des Bundes für Ostdeutschland gleich bleibend hoch. Bitte
berücksichtigen Sie insbesondere, dass wir einen BundLänder-Finanzausgleich haben, der bis zum Jahre 2019
reicht und dem Infrastrukturaufbau dient. Ich glaube, dass
wir gute Voraussetzungen haben, um all das zu schaffen.
Im Übrigen ist die Entwicklung im gewerblichen Bereich in Ostdeutschland deutlich besser als im Westen;
auch das Wachstum ist höher. Der Blick wird nur durch
die Entwicklung der Bauwirtschaft in Ostdeutschland verstellt. Die Entwicklungen geben also durchaus zur Zuversicht Anlass. Wir werden sie verstärken und dazu im Laufe
dieses Jahres die notwendigen Aktivitäten einleiten.
Vielen Dank. - Die nächste Frage hat die Kollegin
Dr. Gesine Lötzsch. Ich bitte jetzt um kurze Fragen und
kurze Antworten, weil die Zeit eigentlich schon abgelaufen ist. Bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Bundesminister,
ich würde gerne wissen, wie hoch die Bundesregierung
den Anteil der Schwarzarbeit am Bruttoinlandsprodukt
schätzt und welche Maßnahmen die Bundesregierung im
Jahreswirtschaftsbericht ausgewiesen hat, um den Anteil
der Schwarzarbeit zu reduzieren.
Ich habe nicht im Kopf, ob es im Jahreswirtschaftsbericht eine Anmerkung dazu gibt. Aber wir rechnen damit,
dass 4 bis 5 Millionen illegale Beschäftigungsverhältnisse
in Schwarzarbeit bestehen.
Was tun wir? Wir gehen davon aus, dass wir durch die
Maßnahmen, die wir im gering qualifizierten Bereich eingeleitet haben, inklusive der neu hinzugekommenen steuerlichen Absetzbarkeit, sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer aus der Schwarzarbeit herausholen können.
Die Möglichkeiten steuerlicher Entlastung, die wir anbieten, wirken ja sogar bis in die persönlichen Lebensverhältnisse hinein.
Das sind wichtige Maßnahmen; es sind durchaus Anreize, aus der Schwarzarbeit herauszukommen. Es besteht
das Angebot, ein legales Arbeitsverhältnis anzunehmen,
und zwar unter bürokratisch einfachsten Bedingungen.
Das spielt eine große Rolle. Wir tun gut daran, die Menschen zu ermutigen, davon Gebrauch zu machen.
Darüber hinaus werde ich darauf hinzuwirken versuchen, dass der Einsatz der Instrumente gegen die
Schwarzarbeit auf eine Stelle konzentriert wird; zurzeit
sind noch mehrere Stellen damit beschäftigt.
Die letzte Frage hat die Kollegin Dagmar Wöhrl.
Herr Minister, Sie sind wirklich Ankündigungsweltmeister, wenn ich das so bezeichnen darf. Leider schaut es
in der Realität und in der Umsetzung etwas anders aus. Im
Jahreswirtschaftsbericht wurde die Prognose für das Wirtschaftswachstum auf 1 Prozent gesenkt. Wie sehen Sie die
Auswirkungen auf den Haushalt der Regierung, die noch
immer von einem Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent
ausgeht, und wie ist der Zeitplan bezüglich der Umsetzung des Masterplans für den Bürokratieabbau?
Frau Kollegin Wöhrl, Sie mögen bitte entschuldigen:
Ich vermag Ihre Äußerung hinsichtlich des „Ankündigungsweltmeisters“ nicht ganz zu verstehen. Sie waren
dabei, als wir die Gesetze beschlossen haben, die ich angekündigt habe. Da ist also etwas vollzogen worden.
({0})
- Das ist Ihnen zu verdanken, aber ein bisschen auch mir;
wir haben es gemeinsam getan. Dabei waren weder Sie
eine Ankündigungskollegin noch war ich ein Ankündigungsminister, sondern wir waren Handlungsbevollmächtigte und haben entsprechend gehandelt. So wird es
auch weiterhin der Fall sein.
Nun zu den geringeren Wachstumserwartungen. Sie
tun immer so, als liege die Projektion allein auf meinem
Rücken. Die zugrunde gelegten Wachstumserwartungen
waren vom Herbst des vergangenen Jahres; nun aber
sagen die Wissenschaftler und die Sachverständigen, dass
sich - damit wir das nicht vergessen: insbesondere aufgrund der weltkonjunkturellen Ereignisse, die für Deutschland wichtiger als für alle anderen Länder sind, da wir mit
der Weltwirtschaft stärker verflochten sind - andere Daten ergeben.
Zu den Auswirkungen auf den Haushalt: Wir bleiben
unter 3 Prozent Neuverschuldung. Wir haben zurzeit,
wenn ich das richtig im Kopf habe, eine Nettoneuverschuldung von 18,9 Milliarden Euro. Das ist keine
Ankündigung, sondern die Beschreibung einer Tatsache.
Genau so wird es sich weiter vollziehen, Frau Kollegin.
({1})
- Wir sind in der Vorbereitung. Wir können das ja gemeinsam mit hohem Tempo machen; wenn Sie mitmachen, werden wir das schneller hinbekommen und so
rasch von der Ankündigung zur Handlung kommen. Ich
freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen.
Vielen Dank, Herr Bundesminister Clement, dass Sie
sich persönlich den Fragen der Kollegen gestellt haben,
was ja auch bei der Regierungsbefragung nicht selbstverständlich ist.
Ich darf fragen, ob es zu anderen Themenbereichen
noch Fragen an die Bundesregierung gibt. Es sind keine
angemeldet worden. - Das ist nicht der Fall. Dann beende
ich die Befragung.
Wir kommen zur Fragestunde:
Fragestunde
- Drucksache 15/344 Zunächst rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
auf. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Marieluise Beck zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 1 der Kollegin Petra Pau:
Wie viele rechtsextreme, fremdenfeindliche und antisemitische Schriften, Bücher, CDs, Filme und Tonträger sind im Jahr
2002 indiziert worden?
Frau Kollegin Pau, im Jahreszeitraum 2002 hat die
Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften 39 Trägermedien verboten, weil sie rechtsextremistischen, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Inhalt hatten. Es handelte sich dabei überwiegend um CDs, und zwar um 28,
acht Bücher und Broschüren und drei Computerspiele.
Videofilme waren bei den indizierten Trägermedien nicht
dabei.
Zusatzfragen, Frau Pau? - Bitte schön.
Herzlichen Dank. - Eine erste Nachfrage. Gab es nach
der Indizierung der genannten Materialien besondere Aktionen zur Sicherstellung von rechtsextremen Schriften,
CDs oder auch Schallplatten?
Die Bundesprüfstelle indiziert weiter und zieht all das
ein, dessen sie habhaft werden kann.
Eine zweite Nachfrage. Welche Maßnahmen hat die
Bundesregierung im Jahre 2002 ergriffen, um gegen solche rechtsextremen Machwerke aufklärerisch vorzugehen
bzw. die Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren? Was haben Sie im Jahre 2003 auf diesem Gebiet vor?
Sie wissen, dass die Bundesregierung in verschiedenen
Ressorts breit angelegte Programme gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit und - positiv formuliert - Programme für Demokratie und Toleranz auf den
Weg gebracht hat. Diese Programme richten sich sowohl
an Jugendliche als auch an Erwachsene als Mediatoren.
Durch dieses Programmtableau wird die Aufmerksamkeit
gegenüber antisemitischen, rechtsradikalen und fremdenfeindlichen Trägermedien gestärkt.
Zu der Frage, was im Jahr 2003 geplant ist: Sie wissen,
dass das Jugendschutzgesetz novelliert worden ist. Die
Probleme, die sich daraus ergaben, dass der Medienbereich überwiegend Ländersache ist, sind gelöst worden.
Nun können auch Inhalte im Internet, einem von den
Jugendlichen sehr stark genutztes Medium, von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert
werden. Das ist Gegenstand des JugendmedienschutzStaatsvertrags, der voraussichtlich am 1. April in Kraft tritt.
Wir können also davon ausgehen, dass sich die Zugriffsmöglichkeiten noch einmal deutlich verbessern werden.
Weitere Fragen liegen dazu nicht vor. Vielen Dank,
Frau Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Franz Thönnes zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch
auf:
Teilt die Bundesregierung mit mir die Auffassung, dass die
Reduzierung der Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen in
der Zeit von 1999 bis 2002 im Alter von 55 Jahren und älter um
45,1 Prozent - Männer: minus 48,6 Prozent; Frauen: minus
38,5 Prozent - nicht in erster Linie auf die Schaffung von Arbeitsplätzen zurückzuführen ist, sondern vielmehr auf eine zunehmende Verrentung dieser Altersgruppe, und wie bewertet die
Bundesregierung den geringen Rückgang der Arbeitslosigkeit von
Schwerbehinderten unter 55 Jahren, der im Vergleichszeitraum lediglich 5,9 Prozent betrug?
Frau Abgeordnete Lötzsch, der Bundesregierung liegen keine aussagefähigen Strukturdaten vor, die eine Beurteilung zulassen, ob der Rückgang der Arbeitslosigkeit
schwerbehinderter Menschen im Alter von 55 Jahren und
älter auf eine Zunahme der Verrentung in dieser Altersgruppe zurückzuführen ist.
Die vorliegenden Daten der Bundesanstalt für Arbeit
stützen eine derartige Vermutung nicht. Danach stellt der
Abgang in Krankheit die größte Gruppe der Abgänge
schwerbehinderter Menschen aus Arbeitslosigkeit dar, gefolgt von einem Abgang in Arbeit und Ausbildung insgesamt. Demgegenüber sind vom Januar bis Oktober 2002
nur 25 503 arbeitslose schwerbehinderte Menschen aus
dem Erwerbsleben ausgeschieden. Dies entspricht einem
Anteil von ungefähr 11 Prozent aller Abgänge.
In den Altersgruppen der schwerbehinderten Arbeitslosen unter 55 Jahren verlief die Entwicklung unterschiedlich. Während nach den Strukturanalysen der Bundesanstalt für Arbeit zwischen 1999 und 2002 in den mit
rund 31 Prozent aller unter 55 Jahre alten arbeitslosen
schwerbehinderten Menschen relativ stark besetzten Altersgruppen der 25- bis unter 40-Jährigen ein Rückgang
der Arbeitslosigkeit von 15 Prozent zu verzeichnen war,
lag der Rückgang in der ebenfalls starken Altersgruppe
zwischen 40 bis unter 45 Jahren bei lediglich 0,3 Prozent.
Die Bundesregierung wird bei der Weiterentwicklung
der Konzeption zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
schwerbehinderter Menschen Gespräche mit der Bundesanstalt für Arbeit über eine Analyse der Gründe dieser
Entwicklung führen, damit dies bei den neu festzulegenden Zielvorgaben berücksichtigt werden kann.
Zusatzfrage? - Frau Lötzsch, bitte.
Ich möchte daran erinnern, dass wir vor 14 Tagen im
Parlament dazu eine Debatte geführt haben und dass in
dieser Debatte festgestellt worden ist, dass der Rückgang
der Arbeitslosigkeit bei Schwerbehinderten nicht in dem
Maß eingetreten ist, wie man es sich zum Ziel gesetzt
hatte und wie es gewünscht worden war. Welche konkreten Schlussfolgerungen will die Bundesregierung ziehen,
damit speziell für schwerbehinderte Menschen geeignete
Arbeitsplätze geschaffen werden können?
Die Einschätzung, die Ihrer Frage zugrunde liegt, kann
die Bundesregierung mit Ihnen, Frau Abgeordnete
Lötzsch, nicht teilen. Wir hatten verabredet, bis zum
Herbst 2002 50 000 Jobs für Schwerbehinderte schaffen
und die Arbeitslosigkeit unter den Schwerbehinderten um
25 Prozent verringern zu wollen. Dieses Ziel ist bis auf einige Stellen nach dem Komma erreicht worden.
Ich weise darauf hin, dass im Rahmen dieser Kampagne rund 151 500 schwerbehinderte Menschen in Arbeit
integriert werden konnten. Das Ziel, 50 000 Menschen
wieder in Arbeit zu bringen, ist damit ganz eindeutig mehr
als erreicht. Wir werden in der nächsten Woche mit den
auf diesem wichtigen Feld beteiligten Verbänden Gespräche darüber führen, warum die Entwicklung in einzelnen Bereichen - insbesondere vor dem Hintergrund der
unterschiedlichen Betroffenheit der Altersgruppen - so
und nicht anders war. Wir werden erörtern, was wir in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Arbeit, den Beratungskompetenzen, die notwendig sind, den Verbänden,
den Integrationsfachdiensten, aber eben auch der Wirtschaft tun können, um dieser in ganz besonderer Weise
- von Arbeitslosigkeit und Behinderung - betroffenen
Gruppe die Integration in das Arbeitsleben zu erleichtern.
Eine weitere Zusatzfrage, Kollegin Lötzsch.
Sie müssen doch zustimmen - das ist in den Drucksachen des Bundestages nachzulesen -, dass das gesetzte
Ziel einer Senkung um 25 Prozent nicht erreicht worden
ist.
Ich glaube, wir lagen bei 23,9 Prozent. Man kann sich
natürlich um 1,1 Prozent streiten.
Ich spreche allen Beteiligten, die sich daran beteiligt
haben, den Arbeitsämtern, den Behindertenverbänden,
den Integrationsfachdiensten und auch der Wirtschaft,
meinen Dank aus. Ich möchte nicht - das sage ich ganz
deutlich -, dass das Ergebnis wegen fehlender 1,1 Prozent
schlechtgeredet wird.
({0})
Weitere Fragen hierzu liegen nicht vor.
Wir kommen zur Frage 3 der Kollegin Lötzsch:
Wird die Bundesregierung bei der Weiterentwicklung der Zielvorgaben darauf achten, dass wirklich die neu geschaffenen
Arbeitsplätze für schwerbehinderte Arbeitslose erfasst werden
und die Verringerung der Arbeitslosigkeit durch Verrentung nicht
in die Statistik einfließt bzw. gesondert ausgewiesen wird?
Frau Kollegin Lötzsch, die Bundesregierung hat schon
bisher großen Wert darauf gelegt, dass möglichst viele
Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen, insbesondere für arbeitslose schwerbehinderte Menschen, geschaffen werden. Zu diesem Zweck hat sie die Umsetzung
des Gesetzes zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
Schwerbehinderter durch die Kampagne „50 000 Jobs für
Schwerbehinderte“ in der Öffentlichkeit begleitet.
Diese Kampagne war - das habe ich gerade dargestellt - sehr erfolgreich. Die Beschäftigungssituation
schwerbehinderter Menschen konnte stetig verbessert
werden. In den drei Jahren von Oktober 1999 bis Oktober 2002 sind - wie gerade schon ausgeführt 151 500 schwerbehinderte Menschen durch die Bundesanstalt für Arbeit in Arbeit vermittelt worden. In
55 000 Fällen wurde die Einmündung in den allgemeinen
Arbeitsmarkt durch die speziellen Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit zur Förderung der Beschäftigung
schwerbehinderter Menschen ermöglicht.
Im Vordergrund werden auch weiterhin die Bemühungen um eine nachhaltige, deutliche Verbesserung der Beschäftigungssituation schwerbehinderter Menschen stehen. Allerdings wird es nicht möglich sein, im Einzelfall
festzustellen, ob schwerbehinderte Menschen auf einem
für sie neu geschaffenen Arbeitsplatz beschäftigt werden.
Der hiermit für die Arbeitgeber und die Bundesanstalt für
Arbeit verbundene Verwaltungsaufwand wäre im Hinblick auf den aus solchen Angaben resultierenden Erkenntniswert nicht vertretbar.
Maßgebend muss vielmehr sein, dass Arbeitgeber
möglichst viele Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen zur Verfügung stellen. Die Abgänge aus der Erwerbstätigkeit - sie erfolgen in aller Regel in die Rente werden bereits heute statistisch gesondert erfasst.
Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall. Vielen Dank, Herr
Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung
steht der Parlamentarische Staatssekretär Christoph
Matschie zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Michael Kretschmer
auf:
Wie hoch ist der jährliche Mittelabfluss des „Sonderprogramms
zur Förderung innovativer Regionen in den neuen Ländern ({0})“ und des Programms „Innovative regionale Wachstumskerne in den neuen Ländern“ vom Start der Programme bis Jahresende 2002 gewesen?
Herr Kollege Kretschmer, der jährliche Mittelabfluss
des „Sonderprogramms zur Förderung innovativer Regionen in den neuen Ländern“ stellt sich wie folgt dar: im
Jahr 1999 2,6 Millionen Euro, im Jahr 2000 8,8 Millionen
Euro, im Jahr 2001 15,8 Millionen Euro und im Jahre
2002 30,1 Millionen Euro. Damit wurden in den Jahren
1999 bis 2002 insgesamt 57,3 Millionen Euro für dieses
Programm bereitgestellt.
Der Abfluss der für das Programm „Innovative regionale Wachstumskerne in den neuen Ländern“ vorgesehenen Mittel stellt sich seit dem Start des Programms in folgender Höhe dar: im Jahre 2001 28,8 Millionen Euro und
im Jahre 2002 15,9 Millionen Euro. Insgesamt wurden für
die Jahre 2001 und 2002 44,7 Millionen Euro bereitgestellt.
Herr Kretschmer, Ihre Zusatzfrage, bitte schön.
Es handelt sich dabei um ein sehr innovatives Programm, das den Ansatz hat, Netzwerke zu schaffen. Leider hat uns Ihr Vorgänger im Amt keine so gute und innovative Organisation und Antragsgestaltung beschert. Das
hat den Effekt, dass wir gerade im Hinblick auf das Programm „Inno-Regio“ nicht das erreicht haben, was beabsichtigt war: eine hohe Mittelauslastung. Die Laufzeit dieses Programms musste daher bis zum Jahr 2006
verlängert werden.
Wann informiert uns die Bundesregierung über die Erfolge dieses Programms und welche Schlussfolgerungen
ziehen Sie im Hinblick auf das Antragsverfahren?
Zunächst einmal ist es richtig, dass es gerade in der
Konzeptionsphase und auch zu Beginn der Umsetzungsphase Schwierigkeiten gab. Denn es handelt sich um ein
sehr komplexes Programm, ein Programm, für dessen
Umsetzung erst Strukturen aufgebaut werden mussten.
Inzwischen hat die Bundesregierung drei Sachstandsberichte vorgelegt. Der letzte ist erst ein halbes Jahr alt. Er
dokumentiert, wie erfolgreich sich inzwischen der Prozess entwickelt hat. Das wird im Übrigen auch von externen Gutachtern anerkannt.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte schön.
Welche Planungen gibt es für die Zeit nach dem Auslaufen des Programms „Inno-Regio“ im Jahre 2006 und
des Programms „Innovative regionale Wachstumskerne
in den neuen Ländern“ im nächsten Jahr? Können Sie
dazu Aussagen machen?
Im Moment geht es darum, das erfolgreiche Programm
„Inno-Regio“ fortzuführen. Wir haben deshalb dessen
Laufzeit bis 2006 verlängert. Auch in den kommenden
Jahren stehen erhebliche Mittel zur Verfügung. Ich halte
es für ein erfolgreiches Programm, das auch weiterhin für
die neuen Bundesländer notwendig ist. Ein solches erfolgreiche Programm sollte man nicht gleich wieder durch
irgendetwas Neues ersetzen. Es macht auch wenig Sinn,
darüber zu spekulieren, wie es 2006 weitergeht. Wir befinden uns heute im Jahre 2003. Wir sind gewillt, dieses
Programm fortzusetzen, und stocken trotz aller Haushaltsrestriktionen, die es an anderen Stellen gibt, die im
Haushalt dafür vorgesehenen Mittel deutlich auf.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht Staatsminister Hans
Martin Bury zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Günter
Baumann auf:
Werden mit der EU-Osterweiterung die Kontrollen des Personen- und Warenverkehrs an der deutsch-polnischen und
deutsch-tschechischen Grenze gänzlich entfallen oder werden die
Grenzkontrollen in modifizierter Form für eine Übergangszeit
aufrechterhalten?
Herr Kollege Baumann, mit dem Beitritt zum 1. Mai
2004 werden die Kontrollen des Warenverkehrs durch den
Zoll zwischen Deutschland und Polen sowie der Tschechischen Republik abgeschafft, da es sich dann um EUBinnengrenzen handeln wird. Weiterhin zulässig werden
jedoch die so genannten mobilen Kontrollgruppen sein.
Dabei handelt es sich um Beamte, die nicht unmittelbar an
der Grenze, sondern nur im Hinterland und nur stichprobenartig kontrollieren dürfen. Diese Kontrollen sind gemeinschaftsrechtlich zulässig, da sie nicht unmittelbar mit
dem Grenzübertritt zusammenhängen.
Dagegen bleiben grenzpolizeiliche Maßnahmen zur
Personenkontrolle zunächst vom Beitritt unberührt. Es
wird einen deutlichen Zeitabstand zwischen dem EU-Beitritt zum 1. Mai 2004 und dem In-Kraft-Setzen des Schengener Durchführungsübereinkommens, das heißt der Einführung der Kontrollfreiheit des Personenverkehrs an den
EU-Binnengrenzen zu Polen und Tschechien, geben.
Dem endgültigen Wegfall der EU-Binnengrenzkontrollen ist eine gründliche Evaluierung der Anwendung
des Schengener Besitzstandes vorgeschaltet. Nach erfolgreicher Evaluierung muss der Rat der Europäischen
Union einstimmig für jeden der neuen Mitgliedstaaten gesondert die volle Schengen-Mitgliedschaft beschließen.
Erst nach diesem Beschluss werden die Personenkontrollen an der deutsch-polnischen und an der deutsch-tschechischen Grenze eingestellt.
Zusatzfrage, Herr Kollege Baumann.
Herr Staatsminister, ich habe eine Zusatzfrage zum
Thema Zoll. Sie sprachen davon, dass sich im Rahmen der
EU-Erweiterung die Kontrollen durch den Zoll erübrigen
werden. Heißt das, dass die Beschäftigten des Zolls aus der
betroffenen Region abgezogen werden? In meinem Heimatland, in Sachsen, würde das relativ viele Beschäftigte betreffen. Gibt es eine andere Verwendung für diese Zollbeschäftigten? Können sie weiterhin in dieser Region tätig sein, zum
Beispiel im Rahmen einer Verlagerung von Bundesbehörden, oder werden sie in eine andere Region versetzt?
Herr Kollege, bereits seit 2002 wurde dem wegfallenden Personalbedarf an den Ostgrenzen durch rückläufige
Einstellungen Rechnung getragen. Im Übrigen ist eine sozialverträgliche Aufgabenverlagerung vorgesehen.
Von den rund 6 500 bald nicht mehr zur Zollkontrolle
an den Ostgrenzen eingesetzten Bediensteten kann mehr
als ein Drittel weiterhin grenznah verwendet werden. Dies
soll, ähnlich wie bei der Abschaffung der Zollkontrollen
an den Westgrenzen, durch Verlagerung von Zollverwaltungsaufgaben aus anderen Gebieten in die ehemaligen
Grenzgebiete erfolgen. Auch die mobilen Kontrollgruppen und die Bekämpfung der illegalen Beschäftigung
durch den Zoll sollen verstärkt werden.
Im Übrigen ist eine Versetzung von Beschäftigten in
andere Gebiete der Bundesrepublik erforderlich, in denen
durchaus noch Personalbedarf in der Zollverwaltung besteht.
Zweite Zusatzfrage. Bitte, Herr Kollege Baumann.
Herr Staatsminister, habe ich richtig verstanden, dass andere Behörden in die Regionen, wo die Grenzen geöffnet
werden, verlagert werden und die Zollbeschäftigten dort
eine Arbeit finden, also zwei Drittel in der Region beschäftigt bleiben?
Herr Kollege, ich hatte eben ausgeführt, dass mehr als
ein Drittel weiterhin grenznah verwendet werden kann,
und zwar durch die Verlagerung von Zollverwaltungsaufgaben aus anderen Gebieten, zum Beispiel Binnenzollämtern und Bundeskassen.
Eine weitere Frage des Kollegen Klaus Rose.
Aus der Überraschung heraus, dass Sie schon so genaue
Zahlen über die Beschäftigten beim Zoll haben, möchte
ich meine Frage ein bisschen anders stellen. Bei mir geht
es um den tschechisch-bayerischen Grenzraum. Die Zollbeschäftigten selber hoffen, dass sie durch Verlagerung
von Zuständigkeiten zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten bekommen. Die Sicherheitslage im Warenverkehr
war schon bisher miserabel. Denn nach Auskunft des Bundes der deutschen Zollbeamten ist bisher aufgrund des fehlenden Personals höchstens 1 Prozent des Warenflusses
kontrolliert worden. Wer den Zusammenhang zum Beispiel mit der BSE-Hysterie im Agrarbereich sieht, weiß,
was das bedeutet. Wie stellen Sie sich da die Zukunft vor?
Herr Kollege, auch aus den genannten Gründen sollen
frei werdende Kapazitäten zur Verstärkung der mobilen
Kontrollgruppen und der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung durch den Zoll verwendet werden.
Eine weitere Frage des Kollegen Kretschmer.
Ihren Ausführungen zufolge würden 4 000 Beschäftigte die ostdeutschen Grenzregionen verlassen müssen,
zwei Drittel der Beschäftigten. Dazu kommen die Familien; das ist ein ganz erheblicher Abfluss von Kaufkraft
und eben auch von Menschen mit Auswirkungen auf die
regionale Wirtschaft. Sie unterstützen damit die Abwanderung. Ist dieses Thema mit dem zuständigen Staatsminister für den Osten in der letzten Regierung und dem jetzigen Minister Stolpe besprochen worden? Ist sich die
Bundesregierung darüber klar, was sie mit diesem Abzug
möglicherweise anrichtet?
Herr Kollege, ich finde, Sie sollten nicht völlig außer
Acht lassen, dass wir hier im Zusammenhang mit der
wirklich historischen Chance der Einigung Europas und
der Überwindung der Folgen des Zweiten Weltkrieges
sukzessive zunächst die Warenkontrollen und dann die
Personenkontrollen an den bisherigen Ostgrenzen beseitigen können. Dass dies zwangsläufig mit Aufgabenverlagerungen für diejenigen verbunden ist, die bisher mit
diesen Kontrollen befasst waren, sollte die eigentliche Dimension des Themas, über das wir sprechen, nicht überlagern.
Der Kollege Schwanitz, der in der letzten Legislaturperiode in der von Ihnen angesprochenen Funktion tätig
war, sagt mir gerade, dass es in der vergangenen Legislaturperiode Gespräche gegeben hat. Das für das Thema
Zoll federführende Finanzministerium ist auch gerne bereit, den neuen Kolleginnen und Kollegen Informationen
zu diesem Gesamtkomplex zur Verfügung zu stellen.
Eine weitere Frage des Kollegen Dirk Niebel.
({0})
Ja, glauben Sie einmal!
Herr Staatsminister, Sie haben schon die wegfallenden
Aufgaben beim Zoll geschildert. Nun wissen wir alle,
dass es auch immer wieder die Diskussion über die Strukturreform bei der Bundesanstalt für Arbeit gibt. Sowohl
der Zoll als auch die Bundesanstalt für Arbeit und die Polizeibehörden der Länder beschäftigen sich ja mit der
Bekämpfung der illegalen Beschäftigung. Gibt es hier
Überlegungen, die frei werdenden Kapazitäten beim Zoll
dahin gehend zu nutzen, dass man die Bundesanstalt für
Arbeit als solche verkleinert und diese Kompetenzen bei
einer Behörde bündelt?
Herr Kollege Niebel, Sie sprechen jetzt über Fragen,
die sich im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesministeriums für
Wirtschaft und Arbeit befinden. Inwieweit dort entsprechende Überlegungen angestellt werden, vermag ich Ihnen hier nicht mitzuteilen.
Vielen Dank, Herr Staatsminister.
Die Fragen 6 bis 9 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
sollen schriftlich beantwortet werden.
Das Gleiche gilt für die Frage 10 aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes.
Deswegen kommen wir gleich zur Frage 11:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung bei der Neuorganisation des Deutschen Musikrates bis dato ergriffen oder gedenkt sie zu ergreifen, damit gewährleistet ist, dass zum einen die
Existenz des Deutschen Musikrates erhalten bleibt und zum anderen für wirkungsvoll auf das Haushaltsrecht achtende Kontrollund Prüfgremien gesorgt wird?
Zur Beantwortung steht die Staatsministerin Dr. Christina
Weiss zur Verfügung.
Herr Scheuer, der Deutsche Musikrat befindet sich in
einem laufenden Insolvenzverfahren. Dementsprechend
ist für alle das Fortbestehen des Deutschen Musikrates betreffenden Fragen, unter anderem natürlich auch für die
Vorbereitung einer neuen Vereinssatzung, der vom Amtsgericht Bonn eingesetzte vorläufige Insolvenzverwalter
zuständig. Die Bundesregierung hat ihm ihre kooperative
Unterstützung angeboten, um gemeinsam einen Weg aus
der Krise zu finden. Es sollte - das war meine ausdrückliche Bitte an den Insolvenzverwalter - eine neue Förderstruktur entwickelt werden, die den Anforderungen an
eine moderne, von der öffentlichen Hand geförderte Projektarbeit genügt. Dazu gehört auch eine angemessene
Vertretung der Zuwendungsgeber in den Kontrollgremien
des Deutschen Musikrates.
Zusatzfrage?
Ja. - Frau Weiss, stimmt es aber, dass im neuen Satzungsentwurf, der Mitte März vom Deutschen Musikrat
verabschiedet werden soll, die entscheidenden Zuschussgeber - darunter befinden sich die zuständigen Bundesministerien - weniger Einfluss und Kontrollmöglichkeiten haben? Was machen Sie dagegen?
Die neue Satzung hat die Voraussetzungen dafür zu
schaffen, dass eine vernünftige und angemessene Kontrolle
möglich ist. Wenn die neue Satzung diesen Anforderungen
nicht entspricht, können wir sie so nicht akzeptieren.
Weitere Zusatzfrage? Bitte.
Man soll ja, bevor das Kind in den Brunnen gefallen
ist, eingreifen. Deswegen stelle ich folgende Frage: Hat
die Bundesregierung am neuen Satzungsentwurf inhaltlich mitgearbeitet und Einfluss genommen, sodass persönliche Bereicherung und schwarze Kassen, die wir
beim Deutschen Musikrat festgestellt haben, zukünftig
nicht mehr möglich sind?
Wir haben insoweit teilgenommen, als wir intensive
Gespräche mit dem Insolvenzverwalter geführt haben.
Wir können noch nicht mit Sicherheit sagen, ob unsere
Meinungen in diesem Punkte deckungsgleich sind.
Wir kommen zur Frage 12 des Kollegen Scheuer:
Haben bei der Neuorganisation des Deutschen Musikrates die
Kontroll- und Prüfgremien weiterhin denselben oder einen verbesserten Stellenwert in der neuen Satzung?
Herr Scheuer, es geht noch einmal darum, dass es unser erklärtes Ziel ist, für die Kontroll- und Prüfgremien einen Stellenwert zu erreichen, der wirklich eine effektive
Kontrolle der Verwendung der öffentlichen Mittel ermöglicht. Ich habe eben schon darauf hingewiesen: Die neue
Satzung, wie sie im Entwurf vorliegt, erfüllt die Anforderungen dafür noch nicht.
Zusatzfrage, Kollege Scheuer?
Ich entnehme dem, dass Sie nicht zufrieden sind, dass
Planungsrat und Verwaltungsrat in der neuen Satzung abgeschafft werden sollen?
Wir sind noch in Gesprächen, sowohl mit dem Insolvenzverwalter als auch mit verschiedenen Vertreterinnen
und Vertretern des Deutschen Musikrates.
Zweite Zusatzfrage.
Dann geben Sie sich also, so wie Sie es ausführen, nicht
zufrieden und arbeiten hoffentlich noch einmal nach, sodass im neuen Satzungsentwurf stehen wird, dass das Präsidium ein bestelltes Präsidialausschussgremium einsetzt.
Ein Gremium, das vom Präsidium bestellt ist, kann, glaube
ich, die Kontrollfunktion nicht wahrnehmen. Kann ich
dem entnehmen, dass Sie hier forsch und bestimmt vorgehen, sodass alle haushaltsrechtlichen Kontrollen gesichert
sind?
Wir arbeiten an einer klaren Trennung zwischen Interessensvertretung und einem Kontrollgremium für die
Geschäftsführer.
Vielen Dank, Frau Staatsministerin.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Dr. Klaus Rose
auf:
Welche Beweggründe veranlassten die Bundesregierung in
ihrem Erlass vom 20. September 2002 über die Stiftung der Einsatzmedaille „Fluthilfe 2002“, neben den Angehörigen der Bundeswehr und des Technischen Hilfswerks, THW, nur jene Feuerwehrleute für die Verleihung vorzusehen, die „mindestens einen
ganzen Tag vor Ort“ mit den Einsatzkräften des Bundes zusammengearbeitet haben?
Herr Kollege Rose, ich beantworte Ihre Anfrage wie
folgt: Die Einsatzmedaille „Fluthilfe 2002“ ist grundsätzlich eine Auszeichnung der Bundesminister des Innern
und der Verteidigung für die besonderen Verdienste der
Angehörigen beider Geschäftsbereiche bei der Bewältigung der Katastrophe im August 2002. In die Auszeichnung mit eingeschlossen wurden diejenigen Helfer - nicht
nur Feuerwehrleute -, die vorbildlich mit den Bundeseinsatzkräften zusammengearbeitet haben.
Nach der Stiftungssatzung ist für eine Auszeichnung
Voraussetzung, dass die Einsatzkraft mindestens einen
ganzen Tag vor Ort geholfen hat. Dies gilt sowohl für
die Angehörigen der Bundesorganisationen als auch für
Dritte.
Es gibt keine Zusatzfrage.
Wir kommen zur Frage 14 des Kollegen Rose:
Ist sich die Bundesregierung der unterschiedlichen Behandlung all jener Feuerwehrleute, zum Beispiel in Bayern, bewusst,
die zwar außerordentlich hilfsbereit im Hochwassereinsatz waren,
aber eben ohne Zusammenarbeit mit Bundeswehr und THW, und
deshalb von der Verleihung der Einsatzmedaille ausgeschlossen
bleiben?
Herr Kollege Rose, hier möchte ich auf meine Antwort
zu Ihrer vorigen Frage verweisen. Wenn die Voraussetzungen für die Verleihung einer Einsatzmedaille des Bundes nicht vorliegen, besteht auf Länderebene die Gelegenheit zur Auszeichnung. Eine entsprechende
Anregung der Hochwasserbeauftragten der Bundesregierung vom September 2002 haben die Länder Brandenburg,
Hamburg, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und
Schleswig-Holstein aufgegriffen und eigene Ehrenzeichen gestiftet.
Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Rose.
Ich habe die Zusatzfrage: Können Sie nachempfinden,
dass die Feuerwehrleute, die tage- und wochenlang im
Einsatz waren - Passau und seine Region waren vom
Hochwasser sehr betroffen -, sehr viel geleistet und keine
Auszeichnung bekommen haben, weil sie dummerweise
nicht wenigstens einen Tag mit dem BGS, dem THW oder
der Bundeswehr zusammengearbeitet haben, „die da droben in Berlin“ überhaupt nicht mehr verstehen? Können
Sie nachempfinden, dass ein gewaltiger Streit zwischen
diesen Feuerwehrleuten und jenen aus der gleichen Einheit, die eine Medaille erhalten haben, entsteht?
Herr Kollege Rose, ich glaube, festhalten zu dürfen,
dass das Hochwasser im vergangenen Jahr an Elbe und
Mulde deutlich gemacht hat, dass all diejenigen, die im
Katastrophenschutz tätig waren, hervorragende Arbeit geleistet haben. Das war völlig unabhängig von der Farbe
der Uniform.
Bezüglich der Verleihung von Orden und Ehrenzeichen gibt es Satzungen und Erlasse. Im Übrigen habe ich
Ihnen den Erlass, auf den sich diese Ehrung stützt, mitgebracht. Ich werde ihn Ihnen nachher überreichen, dann
können Sie darin noch ein wenig lesen.
Ich glaube, es war eine gute Sache, dass die Länder, die
von mir aufgezählt worden sind, eigene Ehrungen vorgenommen haben. Vielleicht hätte das der Freistaat Bayern
auch tun sollen. Wenn er es noch nicht getan hat, so könnte
er das noch nachholen.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Rose, bitte.
Ich habe diese Antwort in etwa erwartet. Natürlich
können das die Länder selber machen. Aber es ist doch
verständlich, dass die Feuerwehrleute vor Ort, die diese
Auszeichnung gern bekommen hätten, sauer sind. Könnte
man die Satzung nicht irgendwann einmal ändern, um solche Ungerechtigkeiten in Zukunft zu vermeiden?
Lieber Herr Rose, reden Sie vielleicht einmal mit dem
Innenminister des Landes Bayern darüber, inwieweit das
aufgegriffen werden kann. Bei solchen Ehrungen gibt es
gewisse Regularien, das ist auch hier der Fall.
Nichtsdestotrotz gibt und gab es eine hervorragende
Zusammenarbeit und ich bin froh, dass es unter den bei
den Hilfsaktionen Tätigen keine Eifersüchteleien und
Kompetenzstreitigkeiten gegeben hat. Das wurde ganz
deutlich. Deshalb sage ich: Hut ab vor allen, die dort hervorragende Arbeit geleistet haben. Diese und andere Ehrungen sind dafür Ausdruck. Ich hoffe, dass wir weiterhin,
wenn es nötig wird, auf diejenigen zählen können, die beispielsweise beim Technischen Hilfswerk, bei der Feuerwehr oder bei anderen Katastrophenschutzorganisationen
Hilfe geleistet haben.
Eine weitere Frage des Kollegen Scheuer.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen vorhin vom Hochwasser an Elbe und Mulde, ich möchte ergänzen, dass es
auch an der Donau ein Hochwasser gab.
Sie haben gelobt, dass kein Gerangel stattgefunden hat.
In Sonntagsreden heißt es, dass die Organisation der
Hilfsaktionen harmonisch verlaufen ist. Können Sie nicht
nachvollziehen, dass die Feuerwehrleute gern dieses
äußere Zeichen der nationalen Anerkennung hätten und
nicht nur dezentral ausgezeichnet werden möchten? Sie
aber lassen die Satzung als Argument gelten. Wie bewerten Sie dies?
Lieber Kollege Scheuer, erstens: Vielen Dank für den
Hinweis, dass es auch an der Donau Hochwasser gegeben
hat. Dies wollte ich nicht unterschlagen und wir halten
dies jetzt hiermit fest.
({0})
- Ich sehe, der Kollege Koschyk stimmt mir zu. Dies war
keine Absicht und die Hinzufügung ist nun erfolgt.
Zweitens. Es gibt nun einmal bestimmte Regularien
beispielsweise für die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes oder einer Landesverdienstmedaille. Außerdem
haben auch Feuerwehrleute, die den Kriterien entsprochen haben, unsere Auszeichnung bekommen. Dies habe
ich auch deutlich gemacht.
Ich glaube, dass man hier keine falsche Diskussion in
Gang setzen sollte. Vielmehr sollte Anerkennung für all
diejenigen deutlich werden, die dort großartig geholfen
haben. Diese Auszeichnung war ein Symbol dafür. Dies
gilt auch für die Auszeichnungen vonseiten der Länder.
Ich denke, dass dies eine runde Sache ist.
Wir kommen nun zur Frage 15 des Kollegen Clemens
Binninger:
Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über die Gründe für die
Unterschiede in der Zahl der in die DNA-Analyse-Datei seit deren Einrichtung im April 1998 eingestellten Dateien- und Spurendatensätze, wie sie sich aus der Antwort des Parlamentarischen
Staatssekretärs beim Bundesminister des Innern, Fritz Rudolf
Körper, vom 19. November 2002 auf die schriftliche Frage 9 der
Abgeordneten Katherina Reiche auf Bundestagsdrucksache
15/107 ergibt, und wenn ja, welche Schlüsse zieht sie daraus?
Herr Kollege Binninger, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Der Bundesregierung liegen keine detaillierten Erkenntnisse über die Ursachen des Speicherverhaltens der
Länder vor. Angesichts der grundsätzlichen Zuständigkeit der Länder für die Strafverfolgung sieht sie es auch
nicht als ihre Aufgabe an, deren Vorgehensweise bei der
Speicherung von Datensätzen in der DNA-Analyse-Datei
zu bewerten.
Dessen ungeachtet appelliert die Bundesregierung an
die Länder, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen,
um die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten zu nutzen,
und zu verhindern, dass es zu Verzögerungen bei den Einzelfallprüfungen der gesetzlichen Voraussetzungen für
molekulargenetische Untersuchungen von Körperzellen,
deren Durchführung oder der Speicherung der DNAIdentifizierungsmuster in der DNA-Analyse-Datei kommt.
Sie begrüßt deshalb die Entschließung des Bundesrates
vom 12. Juni 2001, in der sich die Länder verpflichtet haben, ihre Anstrengungen zum Aufbau der im Gesetz vorgesehenen Gendateien zu verstärken.
Zusatzfrage, Kollege Binninger.
Herr Staatssekretär, ich habe zwei Zusatzfragen. Mit
dem so genannten genetischen Fingerabdruck haben sich
die Möglichkeiten der Polizei zur Verfolgung von Sexualstraftätern deutlich verbessert. Stimmen Sie mit mir
überein, dass man diese Möglichkeiten aber nur dann nutzen kann, wenn möglichst viele Datensätze in diese Datei
eingestellt werden und dieser Umstand nicht einem falsch
verstandenen Verständnis von Datenschutz geopfert wird?
Ich glaube, es ist unbestreitbare Tatsache, dass die Nutzung der Datei umso effektiver ist, je größer der Datenbestand ist. Die Bundesländer machen auch Gebrauch davon.
Ich erlaube mir, Sie noch einmal darauf hinzuweisen,
dass wir relativ genau aufgelistet haben, in wie vielen Fällen die Bundesländer von der Datei Gebrauch machen. Es
gibt übrigens auch unterschiedliche Vorgehensweisen.
Da ich den Fragenkatalog der heutigen Fragestunde
kenne, weiß ich, dass der Kollege Koschyk eine Frage
gestellt hat, die sich auch mit diesem grundsätzlichen
Problem befasst, die vonseiten des Bundesjustizministeriums, welches in diesem Fall federführend ist, beantwortet werden wird.
Zweite Zusatzfrage.
Sie haben vorhin auf die Zuständigkeit der Länder abgehoben. Dies ist nicht zu kritisieren. Stimmen Sie aber
mit mir überein, dass hinsichtlich der Anzahl der erfassten
Datensätze auffällt, dass die Länder Nordrhein-Westfalen
und Niedersachen, aber auch der Bund im Verhältnis zu
den bekannt gewordenen Straftaten sehr viel weniger
Datensätze eingestellt haben als die Länder Bayern und
Baden-Württemberg?
Herr Kollege Binninger, die Zahlen liegen mir vor. Es
gibt Unterschiede und Differenzierungen. Ich glaube, sie
sind nicht geeignet, das Spiel der parteipolitischen Farbenlehre zu beginnen. Wir begrüßen den Beschluss der
IMK zu dieser Thematik. Ich hoffe, dass unser Appell entsprechend aufgenommen wird.
Gibt es eine weitere Frage? - Herr Kollege Koschyk,
bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort auf die
Frage des Kollegen Binninger gerade davon gesprochen,
dass die Bundesregierung an die Bundesländer appelliert,
für eine stärkere Zulieferung von Datensätzen zu sorgen
und von den rechtlichen Regelungen Gebrauch zu machen. Belässt es die Bundesregierung bei einem Appell
oder hat sie es bei den Beratungen in der Konferenz der
Länderinnenminister oder der Länderjustizminister auch
zu einem Thema gemacht?
Herr Kollege Koschyk, ich habe mich auf die Entschließung des Bundesrates vom 12. Juni 2001 bezogen,
in der sich die Länder dazu verpflichtet haben, ihre Anstrengungen zum Aufbau der im Gesetz vorgesehenen
Gendateien zu verstärken. Daraus wird erstens deutlich,
dass dies Thema war. Zweitens wird deutlich, in welche
Richtung es gehen soll. Nun obliegt es den Ländern, dies
entsprechend umzusetzen.
Nun eine weitere Frage des Kollegen Krichbaum.
Herr Staatssekretär, nach meinem Dafürhalten wird
durch das Vorhandensein unterschiedlicher Erfassungsdaten erkennbar, dass man an diesen Bereich in Zukunft mit
größerer Sorgfalt herangehen sollte. Deswegen meine
Frage: Haben Sie Erkenntnisse darüber, von wie vielen
Sexualstraftätern oder anderen Kriminellen die Datensätze noch nicht in der DNA-Datei erfasst wurden, obwohl die Voraussetzungen dafür vorliegen?
Nein, Herr Kollege Krichbaum, diese Zahlen sind nicht
bekannt. Es gibt im Übrigen keine Unterschiede bei der
Art der Datensätze, sondern nur Unterschiede und Differenzierungen bei der Anzahl der Datensätze. Ich glaube,
das muss man differenzieren. Dementsprechend habe ich
auch geantwortet, insbesondere auf die Frage des Kollegen Binninger. Es gibt aber in der Tat Unterschiede, nämlich Unterschiede in der Art der Herangehensweise. Das
ist bekannt. Jeder, der sich damit beschäftigt, weiß das.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Die Fragen 16 bis 19 werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Hartmut Koschyk
auf:
Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung zu der Forderung, den Gentest auf alle Straftäter, bei denen derzeit eine erkennungsdienstliche Behandlung erfolgt, auch gegen deren Willen
auszudehnen?
Herr Kollege Koschyk, erlauben Sie mir, auch zum
besseren Verständnis für die anderen Zuhörer, die Fragen
20 und 21 im Zusammenhang zu beantworten?
Ja.
Dann rufe ich auch Frage 21 des Kollegen Koschyk
auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die wissenschaftlichen Erkenntnisse, wonach insbesondere schweren Sexualstraftaten andere Delikte vorausgingen, und wie sieht sie vor diesem Hintergrund die Forderung, den genetischen Fingerabdruck von
Ersttätern bei allen Straftaten mit sexuellem Bezug auch aus
präventiven Gründen zu speichern?
Dass der Einsatz der DNA-Analyse einen wichtigen
Beitrag zur Strafverfolgung leistet und diese in Einzelfällen effektiver gestalten kann, steht außer Frage. Ob und
wie weit die gesetzlichen Zulässigkeitsgrenzen dieses
Einsatzes gelockert werden sollen, ist dagegen schon seit
geraumer Zeit Gegenstand intensiver Diskussionen.
Die Bundesregierung hat in dieser Frage bereits in der
Vergangenheit betont, dass bei Straftaten mit sexuellem
Bezug die zum Teil bestehenden Beschränkungen überprüft werden müssen. Die derzeitige Regelung des § 81 g
StPO zur Entnahme und molekulargenetischen Untersuchung von Körperzellen zu Zwecken der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren setzt zweierlei vo1628
raus: zum einen den Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung und zum anderen die Prognose, dass gegen den Beschuldigten künftig erneut Strafverfahren wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung zu
befürchten sind.
Ein Absehen von der zweiten Voraussetzung, also der
Gefährlichkeitsprognose, kommt schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht in Betracht. Denn es liegt auf
der Hand, dass etwa bei einer einmaligen Verfehlung, die
keine nachhaltige Gefährlichkeit des Beschuldigten erkennen lässt, eine DNA-Analyse nicht notwendig und damit unverhältnismäßig wäre.
Anders verhält es sich bei der Voraussetzung, dass der
Beschuldigte bereits eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen haben muss. Es erscheint unter Opferschutzgesichtspunkten kontraproduktiv, dass - ungeachtet der sich im Einzelfall offenbarenden Gefährlichkeit
des Beschuldigten - mit der DNA-Analyse stets gewartet
werden muss, bis es zu einer neuen Straftat - dann leider
von erheblicher Bedeutung - gekommen ist.
Ich darf hierzu auf das vom Bundesministerium der Justiz in Auftrag gegebene Gutachten der Universität Göttingen verweisen, auf das offenbar auch Sie, Herr Kollege
Koschyk, Bezug nehmen. Die Untersuchung hat ergeben,
dass immerhin etwa 1 bis 2 Prozent der wegen Exhibitionismus verurteilten Täter später Gewalttaten begehen.
Die Koalitionsfraktionen werden deshalb noch in dieser
Woche - genauer gesagt: morgen gegen 13 Uhr - einen
Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag einbringen,
in dem unter anderem auch diese Problematik aufgegriffen wird.
Gemäß dem Entwurf wird das Erfordernis, dass bereits
die Anlasstat von erheblicher Bedeutung sein muss, gestrichen, soweit es sich um Straftaten gegen die sexuelle
Selbstbestimmung handelt. Entschieden zu weit geht jedoch die von einzelnen Politikern der Union, etwa dem
hessischen Justizminister, Dr. Christean Wagner, erhobene Forderung, die DNA-Analyse mit dem konventionellen Fingerabdruck generell gesetzlich gleichzustellen.
Hier wird mit einer Zahl argumentiert - dies hat der Kollege Bosbach jüngst getan -, nach der ein Viertel aller Vergewaltiger als Spanner oder Exhibitionisten angefangen
hätte. Dies ist jedenfalls anhand der mir bekannten Untersuchungen nicht belegbar.
Die letzte mir bekannte Untersuchung hierzu wurde
von der Kriminologischen Zentralstelle durchgeführt und
gestern in der „Süddeutschen Zeitung“ zitiert. Diese hatte
eine Gruppe von Straftätern zum Gegenstand, die unter
anderem auch - aber nicht nur! - wegen Exhibitionismus
verurteilt worden war. Bei dieser Gruppe von insgesamt
lediglich 54 Tätern hat sich ergeben, dass 57 Prozent bereits früher mit Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung in Erscheinung getreten waren und dass zwei von
diesen 54 Tätern, also 3,7 Prozent, später wegen Vergewaltigung verurteilt wurden.
Will man redlich argumentieren, muss man die umgekehrte Blickrichtung wählen, wie dies in der vom BMJ in
Auftrag gegebenen Studie der Universität Göttingen getan wurde. Man muss also die Frage stellen, wer zunächst
als Exhibitionist und dann wegen gewalttätiger Straftaten
auf sexuellem Gebiet aufgefallen ist. In dieser Studie ist
man zu dem Ergebnis gekommen - dies habe ich bereits
erwähnt -, dass lediglich 1 bis 2 Prozent der Exhibitionisten später mit einem Gewaltdelikt in Erscheinung treten.
Im Übrigen lässt der Vorschlag, die DNA-Analyse mit
dem herkömmlichen Fingerabdruck gleichzusetzen, die
Unterschiede beider Maßnahmen völlig unberücksichtigt:
Die Gentechnik unterliegt einer Entwicklung, die in ihrer
Dynamik und in ihren Auswirkungen kaum abzuschätzen
ist. Daher ist es unverzichtbar, das mit dieser Dynamik
verbundene Risiko hinsichtlich der Ausforschung persönlicher Lebenssachverhalte zu berücksichtigen und in die
gesetzgeberische Abwägung einfließen zu lassen.
Zu Recht wurde deshalb selbst in dem Ende letzten
Jahres von der Unionsfraktion - also Ihrer Fraktion - eingebrachten Gesetzentwurf zur Verbesserung des Schutzes
der Bevölkerung vor Sexualverbrechern, Bundestagsdrucksache 15/29, diese überzogene Forderung nicht aufgegriffen und lediglich vorgeschlagen, als Anlasstat alle
Vergehen mit sexuellem Hintergrund genügen zu lassen.
Auch die geltende Regelung, dass bei der DNA-Analyse ein Richter vorher festgestellt haben muss, dass der
Beschuldigte voraussichtlich auch künftig Straftaten von
erheblicher Bedeutung begehen wird, ist aus Sicht der
Bundesregierung unverzichtbar. Ich darf hierzu auf die in
jüngster Zeit ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verweisen, in der festgestellt wurde, dass
erstens die Feststellung, Speicherung und künftige Verwendung des DNA-Identifizierungsmusters in das vom
Grundgesetz verbürgte Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung eingreift und zweitens dieses Grundrecht nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit
und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt werden darf.
Der Koalitionsentwurf, der im Übrigen heute Morgen
der Presse vorgestellt wurde und wahrscheinlich auch Ihnen vorliegt, wird diesem wichtigen verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt Rechnung tragen. Andere Vorschläge werden sich hieran messen lassen müssen.
Zusatzfrage des Kollegen Koschyk.
Herr Präsident, ich habe jetzt vier Zusatzfragen.
Ich komme zu meiner ersten Zusatzfrage. Herr Staatssekretär, ich bin über die Vorbehalte, die aus Ihrer Antwort
im Hinblick auf die DNA-Analyse sichtbar werden, erschrocken. Ich möchte Sie fragen, wie Sie den erheblichen Widerspruch zu der Bewertung des Präsidenten des
Bundeskriminalamtes, Herrn Kersten, beurteilen. Sie haben die „Süddeutsche Zeitung“ aus diesen Tagen angeführt. Darin wird Herr Kersten, der BKA-Präsident, wie
folgt zitiert:
Das Instrument ist sehr effektiv, hat eine hohe Trefferquote und ist vor allem bei schweren Verbrechen
wirksam. Von der Schwere des Eingriffs her sehe ich
keine wesentlichen Unterschiede zur Abnahme von
Fingerabdrücken.
Wie bewerten Sie diese Aussage des BKA-Präsidenten
vor dem Licht Ihrer Aussage, in der Sie gravierende Unterschiede zwischen DNA-Analyse und Fingerabdrücken
sehen?
Herr Kollege Koschyk, wir sind uns sicherlich beide
einig, dass alles, was wir an gesetzgeberischen Maßnahmen gerade auf diesem Gebiet veranlassen, unter dem klaren und engen Gesichtspunkt der Verfassungsmäßigkeit
und der Verhältnismäßigkeit geschehen muss.
Wir wissen beide, dass einer Ihrer Fraktionskollegen,
der in der vergangenen Legislaturperiode die Rechtspolitik Ihrer Fraktion an maßgeblicher Stelle beeinflusst hat,
einmal gefordert hat, dass alle männlichen Bewohner
Deutschlands ohne Ansehen der Person und ohne Anlasstat einer DNA-Probe unterzogen werden sollten. Wir sind
uns sicherlich alle darin einig, dass dies weder dem Gesichtspunkt der Verfassungsmäßigkeit noch dem der Verhältnismäßigkeit entspricht.
Sie gestatten, dass wir, die Justizministerin, der Parlamentarische Staatssekretär und die Fachebene des Hauses, unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit
und auch der Verfassungsmäßigkeit zu der Auffassung gekommen sind, die ich soeben vorgetragen habe. Ich würde
mich davor hüten, Herr Koschyk - an Ihrer Stelle würde
ich es überprüfen -, das Zitat eines sehr bedeutenden und
auch sehr guten Beamten, nämlich des Präsidenten des
Bundeskriminalamtes, ohne Prüfung der Authentizität so
zu bewerten. Ich möchte dieses Zitat heute so nicht bewerten.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Koschyk.
Herr Staatssekretär, ich kenne Herrn Kersten als einen
sehr verantwortungsbewussten Präsidenten des Bundeskriminalamtes, von dem ich sicher bin, dass er sich seine
Einschätzung in diesem Interview sehr wohl überlegt hat.
Ich halte sie für sehr gewichtig, weil Herr Kersten diese
Einschätzung aus der kriminalpolizeilichen Praxis gewonnen hat.
Herr Staatssekretär, durch die von Ihnen aus der „Süddeutschen Zeitung“ zitierte Studie des BKAwird deutlich,
dass es ein zu kurz gesprungener Ansatz ist, die Ergebnisse nur im Hinblick auf Anlasstaten im sexuellen Bereich auszuwerten, wie das die Koalitionsfraktionen und
die Bundesregierung jetzt planen. In der „Süddeutschen
Zeitung“ wird der Leiter der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden, Herr Egg, zitiert, der eine „‚entsprechende Ausweitung der Gendatenbank‘ auf die einschlägige Klientel der Vielfachtäter ‚für sinnvoll‘“ hält. Die
Studie des Bundeskriminalamtes zeigt nämlich, dass in
der letzten Zeit die Täter von spektakulären Sexualstraftaten - das wird in der „Süddeutschen Zeitung“ deutlich - kein tätertypisches Profil aufweisen, bei dem mit
minderschweren Sexualdelikten begonnen wird, sondern
dass es sich um Vielfachtäter mit einem sehr breiten Spektrum von Vergehen handelt. Was sagen Sie aufgrund dessen zu dem konkreten Vorschlag des Leiters der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden, die Gendatenbank
auf die einschlägige Klientel der Vielfachtäter auszudehnen, zumal dies gerade angesichts der spektakulären Sexualstraftaten der letzten Wochen und Monate vom Täterbild her nahe liegt?
Herr Koschyk, ich erlaube mir, etwas weiter zurückzugehen: Als früherer Staatsanwalt und Strafrichter verfüge
ich über eine sehr große Erfahrung in der Strafverfolgung.
Ich weiß, dass gerade Sexualstraftäter - das wird durch
viele Studien belegt - eine kriminelle Laufbahn einschlagen, die beim Handtaschenraub, weniger beim Ladendiebstahl, weniger beim Schwarzfahren und auch weniger
- wir haben es eben gehört - beim Exhibitionismus beginnt. Wir wissen auch - das belegen Studien ebenfalls -,
dass viele Sexualstraftäter zuvor strafrechtlich überhaupt
noch nicht in Erscheinung getreten sind, sodass es keinerlei Möglichkeit gibt, in der DNA-Datei nachzuforschen.
Ferner muss man berücksichtigen, welche Taten schon
jetzt in die DNA-Datei aufgenommen werden können:
Das beginnt beim schweren Diebstahl und beinhaltet
natürlich auch den Handtaschenraub. Damit sind im Prinzip all diejenigen erfasst, die später als Sexualstraftäter
schlimmste und schwerste Straftaten begehen könnten.
Wenn wir diesen Katalog durch unseren Gesetzentwurf
noch erweitern, werden wir auch den letzten Rest erfasst
haben.
Da Sie die BKA-Studie zitiert haben, möchte ich noch
die folgenden beiden Sätze vorlesen, die von dem BKAMann Schmitter stammen:
Eine DNA-Spur überführt noch keinen Täter. Sie ist
nur ein Hilfsmittel der Ermittlungen.
Entschuldigen Sie bitte, wenn ich jetzt ein bisschen politisch werde. - Danke, Sie haben genickt. - Gaukeln Sie
bitte der Bevölkerung nicht vor, Herr Kollege Koschyk,
es gäbe die absolute Sicherheit. Wir alle sind bemüht, ein
hohes Maß an Sicherheit insbesondere für gefährdete
Kinder und für gefährdete Frauen zu schaffen. Dies erreichen wir mit unserem Gesetzentwurf, der den Grundsätzen der Verfassungsmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit
entspricht.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, dann müssen Sie auch mir gestatten, dass ich politisch werde. Den kleinen Fortschritt, auf
den sich die Koalitionsfraktionen jetzt verständigt haben,
haben Sie in der parlamentarisch-politischen Diskussion
in diesem Hohen Hause noch vor einem Jahr weit von sich
gewiesen. Nun haben Sie zu Recht den BKA-Mann zitiert, der gesagt hat, die DNA-Spur sei ein Hilfsmittel der
Ermittlung. Ich verweise auch noch einmal auf das, was
Herr Kersten dazu gesagt hat, sowie auf die seit langem
bestehenden Forderungen des Bundes Deutscher Kriminalbeamter.
Daher erlaube ich mir die Frage, warum die Bundesregierung ideologische Vorbehalte - diese sind im ersten
Teil Ihrer Antwort deutlich geworden - gegen die Ausweitung der DNA-Analyse als kriminalpolizeiliches
Hilfsmittel hat und zu dieser Ausweitung nicht bereit ist.
Die parlamentarische Beratung Ihres Gesetzentwurfs bietet dazu noch die Chance.
Ich denke hier zum Beispiel an die Regelung in Österreich, Herr Staatssekretär. Halten Sie es tatsächlich für
rechtsstaatlich bedenklich, dass in Österreich der Richtervorbehalt bei der DNA-Analyse längst nicht eine so große
Rolle wie in Deutschland spielt? Man muss in diesem Zusammenhang ja auch einmal über eine Entlastung der Justiz nachdenken.
Herr Präsident, das waren die Zusatzfragen 4 a und b.
Darf ich sie beantworten?
Ja, bitte.
Danke schön. - Herr Koschyk, ich bin eigentlich froh,
dass es politische Unterschiede in der Betrachtungsweise
gibt, wie man strafrechtliche Regelungen ausgestalten
soll. Ich sage es ganz deutlich: Sie haben eine andere Betrachtungsweise als wir.
Wir haben allerdings in den letzten vier Jahren in der
Rechtspolitik bewiesen, dass wir die Gesetze, die wir insbesondere auf dem strafrechtlichen und strafprozessualen
Sektor gemacht haben, an zwei - ich darf einmal Herrn
Eichel zitieren - Leitplanken messen lassen: Die eine
Leitplanke sind die Wirkung und der Schutz der Bevölkerung. Die andere Leitplanke sind die Verfassungsmäßigkeit und die Verhältnismäßigkeit. Zwischen diesen Leitplanken bewegen wir uns.
Wir sind der politischen Ansicht, dass das Gesetz hinsichtlich der DNA-Analyse in der unseren Vorstellungen
entsprechenden Neufassung des § 81 g StPO einen ausreichenden Schutz und eine größtmögliche Wirkung unter
Beachtung der verfassungsmäßigen Grundsätze und des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bietet. Wenn Sie anderer Ansicht sind, dann finde ich das sehr gut; denn davon
lebt die Demokratie.
Gestatten Sie mir, auf die Frage nach meiner Einschätzung der Regelungen in Österreich eine politische Antwort zu geben. Ich schätze die Österreicher sehr. Unsere
beiden Länder haben eine starke gemeinsame Wurzel auf
dem Gebiet des Rechts, und zwar sowohl im Zivilrecht als
auch im Strafrecht. Dies zeigt sich immer wieder. Aber
zwischen uns gibt es auch unterschiedliche politische
Auffassungen. Die Österreicher haben beispielsweise
- Herr Kollege van Essen wird sich sicherlich daran erinnern; denn er selber hat diesen Begriff in der vor kurzem
geführten Debatte über das Graffitibekämpfungsgesetz
benutzt - kein Problem mit dem Begriff der Verunstaltung. Wir, die Regierungskoalition, haben dagegen ein
rechtspolitisches Problem mit diesem Begriff, wenn es
um die Ahndung von Sachbeschädigungsdelikten geht.
Genauso ist es hier: Wir möchten, dass unsere Sichtweise der Verfassungsmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit eines Gesetzes seinen Niederschlag im deutschen Recht findet.
Sie gestatten mir sicherlich, dass ich keinerlei Wertung
zu dem abgebe, was die Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten sowie das Justizministerium in Österreich tun.
Das ist deren Problem. Genauso wäre ich dankbar, wenn
man im Ausland die Gesichtspunkte, die wir bei unserer
Gesetzgebung berücksichtigen, beachten und achten
würde.
Eine weitere Frage des Kollegen Binninger.
Herr Staatssekretär, Sie haben Ihre ablehnende Haltung
gegenüber unserer Position überwiegend aus der Perspektive des Datenschutzes zugunsten des Straftäters begründet. Hielten Sie es aber nicht für erforderlich und verhältnismäßig, wenn man das Ganze aus der Perspektive des
Opfers sähe und dementsprechend alle Maßnahmen träfe,
um Straftaten zu verhindern? Es kann doch bei einem
Straftäter keine Rolle spielen, welche Straftat er am Beginn seiner kriminellen Karriere begangen hat. Ihre Missbrauchsängste könnte man ja über Löschungsfristen auffangen.
Herr Kollege Binninger, ich glaube, Sie unterliegen
hier einem sehr elementaren Irrtum. Wenn Sie von Opferschutz reden, dann sollten Sie bedenken, dass die
nachträgliche Feststellung eines Täters über die DNAAnalyse dem Opfer fast nichts mehr hilft, vor allen Dingen dann nicht, wenn es tot ist. Ich muss das leider in dieser Deutlichkeit feststellen.
Wir gehen andere Wege des Opferschutzes. Wir haben
zum Beispiel mit unserem Gesetz aus der letzten Legislaturperiode die vorbehaltene Sicherungsverwahrung
eingeführt - auch sie ist verfassungsmäßig und verhältnismäßig -, mit der gefährliche Täter in Sicherungsverwahrung genommen bzw. weiterhin gehalten werden können, um die Opfer zu schützen. Das Einzige, was uns
unterscheidet, ist letztlich die Antwort auf die Frage nach
der Verfassungsmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit.
Ich gehe davon aus, dass auch Ihre Fraktion vor der
Einbringung Ihres Gesetzentwurfs eine entsprechende
Prüfung vorgenommen hat. Unsere Positionen liegen
doch nicht weit auseinander.
Wir werden die Verfassungsmäßigkeit und die Verhältnismäßigkeit unseres Gesetzentwurfs am 19. Februar dieses Jahres von 14 bis 18 Uhr im Rahmen einer groß angelegten Anhörung im Rechtsausschuss erörtern. Sie
möchten - das haben Sie geschrieben; vielleicht kann mir
Herr Koschyk helfen -, dass von „Anlasstaten mit sexuellem Hintergrund“ die Rede ist, während wir möchten,
dass die Formulierung „Straftaten gegen die sexuelle
Selbstbestimmung“ lautet. Das liegt nicht weit auseinander.
Eine weitere Frage stellt der Kollege van Essen.
Herr Staatssekretär, Sie haben mehrfach den Grundsatz
der Verfassungsmäßigkeit erwähnt, den wir zu beachten
haben. Auch die Verhältnismäßigkeit gehört zu diesen
Prinzipien. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in der
Vergangenheit mehrfach mit dieser Thematik befasst. Wie
ist die Auffassung der Bundesregierung? Schafft die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht
auch klare Grenzen in Bezug auf unsere Handlungsspielräume? Zeigt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht auf, dass alles das, was die Kollegen
der CDU/CSU fordern, durch die Verfassung begrenzt
wird und deshalb nicht in dem Umfang, wie es immer
wieder gefordert wird, umgesetzt werden kann?
Herr Parlamentarischer Geschäftsführer van Essen, ich
könnte jetzt einfach mit Ja antworten. Aber das wäre Ihnen wahrscheinlich zu einfach, oder?
({0})
- In der Tat.
Ich habe hier eben die beiden Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verlesen. Ich
nenne sie noch einmal: auf der einen Seite das verbürgte
Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und
auf der anderen Seite die Verwertung im überwiegenden
öffentlichen Interesse. An diese Leitlinien halten wir uns.
Man sollte also nicht Schwarz-Weiß-Malerei betreiben,
indem man Opferschutz und Täterschutz einfach gegenüberstellt, sondern man muss zwischen präventivem Opferschutz und den Möglichkeiten einer guten und sicheren
Identifizierung des Täters unter Beachtung ebendieser
Grundsätze genau abwägen.
Eine weitere Frage stellt der Kollege von Klaeden.
Herr Staatssekretär, meine Frage geht in dieselbe Richtung wie die des Kollegen van Essen; es geht nämlich um
die Verfassungsmäßigkeit und um die Verhältnismäßigkeit. Sie haben hier beide Begriffe mehrfach angeführt.
Zunächst einmal interessiert mich, wieso Sie diese
Ausweitung eigentlich für nicht verhältnismäßig halten.
Halten Sie sie für nicht geeignet, für nicht erforderlich
oder für so unverhältnismäßig, dass die Persönlichkeitsrechte beeinträchtigt werden? Um das, was ich meine, ein
bisschen zu konkretisieren, möchte ich auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1995
verweisen. Dort heißt es:
Seit jeher gehört es zu den Methoden der Verbrechensaufklärung, am Tatopfer oder im Bereich des
Tatortes entdeckte Spuren, die zur Überführung des
Täters führen könnten, zu untersuchen.
Jetzt kommt der Satz, auf den es mir besonders ankommt:
Diese Spuren haben sich derartig objektiviert, dass
ihre Auswertung in der Regel nicht als Eingriff in das
Persönlichkeitsrecht anerkannt werden kann.
Herr Kollege von Klaeden, ich gebe Ihnen vollkommen Recht. Zwar findet eine DNA-Analyse der Spuren
statt; aber die Speicherung in einer Datei erfolgt auf der
Grundlage dessen, dass einem Menschen eine Probe
- Speichel oder was auch immer - entnommen wird.
({0})
Das, was Sie vorgelesen haben, bezieht sich auf die
Objektivierung der Sicherstellung und auf die Auswertung von Tatortspuren. Das, was wir in die gesetzlich
zulässigen Bahnen einbetten wollen - damit wollen wir
gleichzeitig eine bessere Verbrechensbekämpfung ermöglichen -, ist die Entnahme von Vergleichsmaterialien bei
einem potenziellen Täter. Die dabei zu beachtenden
Grundsätze sind andere als diejenigen, die ein Kriminalbeamter bei der Spurensicherung am Tatort beachten
muss. Dies dürfte doch einleuchtend sein, oder?
({1})
- Verhältnismäßigkeit bedeutet - das haben wir beide, sowohl Sie als auch ich, im ersten Semester gelernt -: Einerseits muss eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür sprechen,
dass Maßnahmen zum Erfolg führen, und andererseits
müssen die verfassungsmäßigen Grundsätze beachtet
werden. So einfach ist das.
({2})
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Nach diesem juristischen Seminar bzw. dieser Übung kommen wir wieder zu
anderen Inhalten.
({0})
- Das war Ihre erste Beantwortung? - Herzlichen Glückwunsch!
({1})
Sie haben eine Bella Figura gemacht. Vielen Dank.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller zur Verfügung.
Die Fragen 22 und 23 sollen schriftlich beantwortet
werden. Damit kommen wir zur Frage 24 des Kollegen
Börnsen, der sich auch hier im Saal befindet:
Was hat die Bundesregierung und zu welchem Zeitpunkt unternommen, damit die durch die EU-Kommission kritisierten
Schiffbaubürgschaften norddeutscher Länder EU-rechtskonform
ausgestaltet werden und dadurch Aufträge und Beschäftigung für
die deutsche Werften in Übereinstimmung mit dem EU-Wettbewerbsrecht gesichert werden können?
Bitte schön, Herr Diller.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Börnsen,
die Kommission hat Zweifel daran, dass die Bürgschaftssysteme der Küstenländer zur Förderung des Schiffbaus
kostendeckend arbeiten und die Voraussetzungen der Beihilfefreiheit gemäß Nr. 4.3 der Bürgschaftsmitteilung erfüllen, und hat deshalb wiederholt um die Übersendung
von Informationen gebeten.
Die Bundesregierung vertritt seit Ende 2000 in Übereinstimmung mit den Küstenländern gegenüber der Kommission die Auffassung, dass die Bürgschaftsregelungen
kostendeckend und daher nicht als Beihilfen zu qualifizieren sind. Bundesregierung und Länder stützen sich dabei auf die Bürgschaftsmitteilung der Kommission aus
dem Jahr 2000 sowie auf die mehrjährige Praxis der Kommission bei der Beurteilung von beihilfefreien Bürgschaftsregelungen. Seit dieser Zeit befindet sich die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern in Gesprächen
mit der Kommission, der auf Nachfrage wiederholt und
fristgerecht schriftliche Detailinformationen zu diesen
Regelungen übersandt worden sind, zuletzt am 17. Januar
dieses Jahres. Eine Antwort auf diese jüngste Stellungnahme steht noch aus.
Sollten die Bedenken der Kommission nicht ausgeräumt werden, ist die Eröffnung eines Hauptprüfverfahrens nicht ausgeschlossen. Die Bundesregierung hat
die Länder auf diese Möglichkeit hingewiesen. Die Eröffnung des Hauptprüfverfahrens über die Schiffbaubürgschaftsregelungen der Küstenländer hat allerdings keine
präjudizierende Wirkung für die Frage der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit dieser Förderung.
Zusatzfrage, Kollege Börnsen?
Ja. - Herr Staatssekretär, ich bedanke mich zunächst
für die Antwort. Sie werden aber Verständnis haben, dass
ich noch einmal nachfrage, da ich die Einschätzung der
norddeutschen Landesregierungen teile, dass bei einem
negativen Ausgang des Hauptprüfverfahrens nicht nur
Verluste von Millionen Euro abzuschreiben sind, sondern
auch Hunderte bzw. Tausende von Arbeitsplätzen infrage
stehen. Deshalb möchte ich Sie gerne fragen, warum der
Wettbewerbskommissar so nachdrücklich darauf besteht,
dass die Bundesregierung deutlich macht, dass es hier
nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung gegenüber anderen
europäischen Ländern, wo ebenfalls Förderungen praktiziert werden, gekommen ist.
Herr Kollege Börnsen, der Kommissar hat beispielsweise Fragen bezüglich der gleichmäßigen Erhebung
der Entgelte von allen Reedern unabhängig von ihrer
Bonität gestellt und stellte sich und damit auch uns die
Frage, ob damit nicht eine Quersubventionierung von
Reedereien, denen es gut geht, gegenüber Reedereien,
denen es nicht so gut geht, stattfindet. Deswegen haben
wir ihm dazu jüngst noch einmal aktuelle Zahlen übermittelt. Beispielsweise sind der Mitteilung an die Kommission mit Datum vom 16. Januar - am 17. ist sie dann
wohl herausgegangen - die Bauzeitbürgschaften, Einnahmen und Ausgaben, Gebühren und Entgelte, Verwaltungskosten sowie die Endfinanzierungsbürgschaften jeweils als Einnahmen und Ausgaben in Tabellenform mit
Gegenüberstellungen, die 1989 anfangen und über all
die Jahre gehen, beigefügt worden, sodass sich die
Kommission darüber ein eingehendes Bild machen
kann.
Weitere Zusatzfrage, Herr Börnsen?
Herr Staatssekretär, die Frage, ob es den deutschen
Werften gut geht, kann man sehr schnell beantworten:
Den deutschen Werften geht es zurzeit grausig schlecht.
Zwei Drittel von ihnen haben Aufträge nur noch für zwölf
Monate. Insofern brauchen die deutschen Werften Fördermittel. Was ist die Bundesregierung bereit zu tun,
wenn die 2 Prozent Landesbürgschaften bei der Wettbewerbshilfe wegfallen? Ist die Bundesregierung dann bereit, dafür aufzukommen?
Herr Kollege Börnsen, wir haben, wie ich Ihnen gerade
sagte, am 16. Januar unsere letzte Stellungnahme gegenüber der Kommission abgegeben. Wir möchten nun nicht
in die Phase des Spekulierens eintreten, weil wir bisher
mit den Ländern gemeinsam der Auffassung sind, dass alles in Ordnung ist.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Zur Beantwortung steht
der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres zur Verfügung.
Wir kommen zunächst zur Frage 25 des Kollegen Niebel:
Wie viele Eingliederungsvereinbarungen wurden seit der Einführung des Job-AQTIV-Gesetzes geschlossen und wie häufig
wurde das Instrument Jobrotation bisher eingesetzt?
Herr Kollege Niebel, nach Auskunft der Bundesanstalt
für Arbeit sind von der Einführung des Job-AQTIV-Gesetzes am 1. Januar 2002 bis zum Dezember 2002 rund
895 000 Eingliederungsvereinbarungen getroffen worden. Im Rahmen des Instruments Jobrotation wurden in
demselben Zeitraum insgesamt 603 Einstellungszuschüsse bei Vertretung bewilligt.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, wie viele von den 895 000 Eingliederungsvereinbarungen, die geschlossen worden sind,
haben zu einer tatsächlichen Eingliederung der Betroffenen in den ersten Arbeitsmarkt geführt?
Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten, weil ich
die entsprechenden Daten nicht zur Verfügung habe.
Wären Sie bereit, sie mir schriftlich nachzuliefern?
Dazu bin ich bereit.
Weitere Zusatzfrage?
Wie viele der 603 Eingliederungszuschüsse bei der
Jobrotation wurden an Kleinbetriebe mit unter 20 Arbeitnehmern geleistet?
Auch das kann ich Ihnen nicht beantworten. Sie haben
in Ihrer Frage ja schlicht und einfach nach zwei Größen
gefragt, die ich Ihnen genannt habe. Aber auch diese Daten werde ich nachliefern.
Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar.
Dann kommen wir zur Frage 26 des Kollegen Niebel:
Welche Erfolgsrate zeigen die bisher ausgestellten Vermittlungsgutscheine und wie viele Erfolgshonorare wurden gezahlt?
Wie die Bundesanstalt für Arbeit mitteilt, wurden
von April bis Dezember 2002 insgesamt 206 940 Vermittlungsgutscheine ausgegeben und 12 950 davon
bei den Arbeitsämtern eingelöst, was einer Quote von
rund 6,2 Prozent entspricht. Die personenbezogene Vermittlungsquote dürfte jedoch gleichwohl höher sein, da
in der Zahl der ausgegebenen Gutscheine auch Folgegutscheine enthalten sind. So kann es vorkommen, dass
Arbeitslose nach Ablauf der dreimonatigen Geltungsdauer des jeweiligen Gutscheins weitere Gutscheine erhalten.
Die Honorarhöhe beträgt bei einer Arbeitslosigkeit von
bis zu sechs Monaten 1 500 Euro, bei sechs bis zu neun
Monaten 2 000 Euro und bei über neun Monaten
2 500 Euro. Die insgesamt gezahlte Honorarhöhe belief
sich auf rund 13,6 Millionen Euro. Die Höhe der demgegenüber eingesparten Leistungen, Arbeitslosengeld oder
Arbeitslosenhilfe, ist zwar nur schwer schätzbar, dürfte
aber gleichwohl um ein Mehrfaches höher sein.
Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie untergliedern, wie
viele Eingliederungszuschüsse nach der jeweils von Ihnen beschriebenen Dauer der Arbeitslosigkeit geleistet
worden sind?
Das können wir sicher; aber ich kann darauf nicht jetzt
antworten, weil das eine weitere statistische Nachfrage
ist. Ich müsste Ihnen das schriftlich beantworten.
Auch dafür wäre ich Ihnen dankbar, Herr Staatssekretär.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, liegt die Vermutung nahe, dass die
Ausnutzung der Vermittlungsgutscheine größer wäre,
wenn die Entgelte, die damit zu erzielen sind, an die bei
Personalberatungsbetrieben marktüblichen Entgelte angepasst würden, die in aller Regel bei zwei bis zweieinhalb Monatsgehältern liegen?
Sie haben gefragt, ob die Vermutung nahe liegt: nein.
Dann kommen wir zur Frage 27 des Abgeordneten
Erich G. Fritz:
Liegen der Bundesregierung Kenntnisse über die geplante
Verwendung der in Genua gefundenen und aus einer deutschen
BASF-Fabrik stammenden chemischen Substanz Morpholin vor
- vergleiche „Handelsblatt“ vom 17. Januar 2003 -, und wenn
nein, was unternimmt die Bundesregierung zur Klärung des Fundes?
Herr Kollege Fritz, ich würde die Fragen 27 und 28
gerne gemeinsam beantworten, wenn der Herr Präsident
das zulässt.
Dann rufe ich auch die Frage 28 auf:
Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, ob die Ausfuhr der
chemischen Substanz Morpholin dem Chemiewaffenübereinkommen oder der Dual-use-Verordnung unterliegt und damit genehmigungspflichtig ist, und wenn nein, gibt es eine Prüfung bzw. Zusammenarbeit mit den zuständigen deutschen Behörden?
Bei dem von Ihnen angesprochenen Morpholin handelt
es sich um eine Chemikalie mit weltweit breiter industrieller Anwendung. Gegenüber dem deutschen Hersteller
ist eine Verwendung in Libyen im Rahmen der Herstellung von Produkten für die Erdölindustrie angegeben
worden. Eine derartige Verwendung der Chemikalie als
Lösungsmittel bei der Ölförderung - beispielsweise zur
Ausspülung von Bohrschlämmen - ist plausibel.
Die Chemikalie kann demgegenüber nicht für die Produktion von Chemiewaffen eingesetzt werden. Die deutschen Behörden haben diese Einschätzung der italienischen Seite mitgeteilt. Die deutsche Botschaft in Rom
steht mit den zuständigen italienischen Behörden in Verbindung, um weitere Einzelheiten des Falles aufzuklären
und erforderliche Informationen auszutauschen.
Die Chemikalie Morpholin ist weder vom Chemiewaffenübereinkommen noch von der gemeinsamen EU-Güterliste nach der EG-Dual-use-Verordnung erfasst. Sie unterliegt auch nicht als nationale Sonderposition der
deutschen Ausfuhrliste. Dies ist das Ergebnis der Beurteilung durch die zuständigen deutschen Behörden, wie es
der italienischen Seite bereits mitgeteilt worden ist.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich bedanke mich für die - in diesem Fall - beruhigende Auskunft. Ich möchte gerne von
Ihnen noch wissen, ob die Bundesregierung bei aller Aufregung, die diese Nachricht an vielen Stellen verursacht
hat, einen Überblick darüber hat, wie die EG-Dual-useVerordnung in den Mitgliedsländern angewandt wird.
Gibt es ein Berichtswesen und eine regelmäßige Zusammenfassung der vorliegenden Erkenntnisse? In welcher
Weise wird eigentlich überprüft, ob die Dual-use-Verordnung in allen Ländern richtig angewendet wird? Dieses
Beispiel - auch wenn es nicht kritisch ist - zeigt nämlich,
dass es zum Teil sehr schwierig ist, die Wege von Exporten auf dem Binnenmarkt zu verfolgen.
Herr Abgeordneter Fritz, mir liegen dazu gegenwärtig
keine Informationen oder Erkenntnisse vor. Ich müsste
dieser Frage erst nachgehen. Im vorliegenden Fall war es
offensichtlich so, dass Interpol im Hafen von Genua rund
48 Tonnen dieser Chemikalie aufgrund von Vermutungen
zunächst beschlagnahmt hatte. Der Vorgang hat Wellen
geschlagen, weil er von der Zeitschrift „La Repubblica“
publik gemacht wurde. Einige Behörden sind diesen spannenden Fragen nachgegangen und konnten nachweisen,
dass es sich um eine „harmlose“ Chemikalie handelt.
Die Frage, wie die Dual-use-Verordnung in anderen
Mitgliedsländern angewandt wird, kann ich jetzt nicht beantworten. Wir gehen dieser Frage nach und ich teile Ihnen die entsprechende Antwort mit.
Weitere Zusatzfrage? - Bitte, Herr Fritz.
Vielen Dank. Ich glaube, das wäre auch für Kollegen
interessant.
Ich weiß, dass ich mit meiner nächsten Frage Ihre Zuständigkeit nicht treffe.
Doch, Sie treffen sie.
Ich muss Sie als Vertreter der Bundesregierung fragen:
Hat das BAFA oder das Zollkriminalamt Erkenntnisse
darüber, ob in Zeiten ausgesprochen schlechter Konjunktur die Gefahr besteht, dass es eine größere Zahl bedenklicher Dual-use-Exporte gibt?
Diese Frage möchte ich mit dem Hinweis beantworten,
dass es nicht die Aufgabe der von Ihnen genannten deutschen Behörden ist, entsprechende Erkenntnisse zu gewinnen.
({0})
Im vorliegenden Fall waren das BKA, das BAFA, das
ZKA und der BND mit dieser Angelegenheit beschäftigt.
({1})
Ihre Frage bezieht sich auf die Einschätzung, ob in Zeiten ökonomischer Schwäche die Gefahr des Exports von
möglicherweise gefährlichen und den entsprechenden
Verordnungen unterliegenden Chemikalien größer ist.
Dazu müsste man einmal untersuchen, ob sich in solchen
Zeiten entsprechende Fälle häufen. Das ist eine etwas umfangreichere Aufgabe. Wir werden versuchen, diese Frage
im Haus mit den entsprechenden Stellen zu erörtern. Wir
lassen Ihnen dann eine entsprechende Mitteilung zukommen.
({2})
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs angekommen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Wagner zur Verfügung.
Die Fragen 29 bis 32 werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe nun die Frage 33 der Kollegin Petra Pau auf:
Welche konkreten Erfolge konnte bisher das Marinekontingent der Bundeswehr bei seinem Einsatz am Horn von Afrika im
Rahmen der Operation Enduring Freedom bei der Bekämpfung
des internationalen Terrorismus erzielen und wie beurteilt die
Bundesregierung die Wirksamkeit dieses Einsatzes?
Frau Kollegin Pau, sämtliche Aktivitäten der deutschen
Marineverbände am Horn von Afrika werden im Rahmen
der Operation Enduring Freedom durchgeführt. Der Bundestag hat der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion
auf terroristische Angriffe auf die USA auf Grundlage des
Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5
des Nordatlantikvertrages sowie der Resolutionen 1368
({0}) und 1373 ({1}) des Sicherheitsrats der Vereinten
Nationen am 17. November 2001 zugestimmt. Am 15. November 2002 hat der Bundestag der Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der Operation Enduring Freedom
für weitere zwölf Monate zugestimmt.
Die Aufgaben des deutschen Marineverbandes am
Horn von Afrika bestehen seit Beginn der Operation am
2. Februar 2002 in der Überwachung des zugewiesenen
Seeraumes sowie in der Nachrichtengewinnung und Aufklärung. Im Vordergrund stehen der Schutz der Seeverbindungswege vor terroristischen Übergriffen und die
Unterbindung der Versorgung terroristischer Gruppen.
Auch das Ausweichen dieser Gruppen über den Seeweg
soll verhindert werden. Daneben wird Versorgungsunterstützung im Rahmen der Operation Enduring Freedom
geleistet und werden Begleitschutzoperationen, insbesondere für Schiffe mit gefährlicher Ladung wie Öl und Gas,
durchgeführt.
In der täglichen Arbeit des Marinekontingents heißt
das konkret beispielsweise, dass der Schiffsverkehr mit
aktiven und passiven elektronischen, optischen und optronischen Mitteln beobachtet wird, Fahrzeuge katalogisiert und in einer Datenbank archiviert werden. Damit sollen Fahrzeuge, die sich wiederholt im Operationsgebiet
bewegen, schnell identifiziert werden, um sie anschließend beobachten bzw. verfolgen zu können. Es erfolgen
auch gezielte, direkte Abfragen des Schiffsverkehrs und
Durchsuchungen auf kooperativer Grundlage.
So wurden durch das deutsche Einsatzkontingent bisher 31 Begleitschutzaufträge und zehn Beschattungen
von verdächtigen Einheiten durchgeführt sowie circa
3 700 Kontakte im Rahmen der Seeraumüberwachung
aufgeklärt. Die Seefernaufklärer führten circa 190 Aufklärungsflüge durch.
In den Ländern um das Horn von Afrika hat die Operation Enduring Freedom generell einen stabilisierenden
Einfluss ausgeübt. Es konnte ein entscheidender Beitrag
zur Abschreckung terroristischer Anschläge auf den internationalen Seeverkehr geleistet sowie die Bewegungsfreiheit terroristischer Gruppen nachhaltig eingeschränkt
werden. Gleichzeitig sind Gewaltkriminalität und Piraterie in einigen Gebieten zurückgegangen.
Zusatzfrage, Frau Pau.
Gibt es neben diesen Aktivitäten der Überwachung und
des Abschneidens von Verbindungswegen messbare Ergebnisse im Sinne von Festnahmen oder Beschlagnahmungen, um deutlich zu machen, dass durch diesen Einsatz am Horn von Afrika Teilen des internationalen
Terrorismus die Nachschubwege tatsächlich abgeschnitten wurden oder gar Strukturen zerschlagen werden konnten?
Ja, es wurden solche Aktivitäten festgestellt. Die entsprechenden Informationen wurden den befreundeten Nationen und den Nachrichtendiensten zur Verfügung gestellt, die dann die entsprechende Auswertung für den
weiteren Einsatz der Marine vornehmen konnten.
Weitere Zusatzfrage.
Ich habe eine zweite Nachfrage. Sind der Bundesregierung kritische Stimmen aus den eingesetzten Mannschaften oder gar von Offizieren über den Einsatz des
bundesdeutschen Marinekontingents bezogen auf die Arbeitsbedingungen, aber auch auf die Sinnhaftigkeit des
Einsatzes bekannt?
Nein, solche Stimmen sind nicht bekannt.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Niebel.
Herr Staatssekretär, ist das Gerücht, das man den Medien entnehmen konnte, wahr, dass manche Soldaten im
Nachgang zum Einsatz darauf hingewiesen wurden, dass
sie über die Beurteilung des Einsatzes in der Öffentlichkeit nicht reden dürfen? Wenn dem so wäre, wie wäre das
mit dem Bild vom Bürger in Uniform zu vereinbaren?
Das sind Gerüchte - Sie haben das selbst gesagt -, die
ich nicht kommentieren möchte.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Ich rufe die Frage 34 der Kollegin Ina Lenke auf:
Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung im Hinblick
auf die Durchsetzung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei
den Streitkräften, auf deren Fehlen bereits der Bericht des Wehrbeauftragten vom 12. März 2002 hinweist, in Bezug auf konkrete
Regelungen familiengerechter Arbeitszeiten, auf die Möglichkeit
von Teilzeitbeschäftigung und familienbedingter Beurlaubung?
Frau Kollegin, das wachsende internationale Engagement der Bundeswehr und die parallel fortschreitende Reform der Bundeswehr belasten insbesondere das militärische Führungspersonal erheblich. Die Balance zwischen
dem Lebensbereich Beruf auf der einen und dem Lebensbereich Familie auf der anderen Seite gestaltet sich bei
vielen Soldatinnen und Soldaten immer schwieriger. Beruf und Familie führen mitunter in eine Konfliktsituation,
die sowohl die arbeitsbezogene Leistungsfähigkeit als
auch die familienbezogene Befindlichkeit beeinträchtigt.
Für die Bundeswehr gilt es, diesem zunehmenden Spannungsfeld und den damit verbundenen Erwartungen
große Aufmerksamkeit zuzuwenden, und zwar nicht nur
vordergründig wegen der Attraktivität des Arbeitsplatzes,
sondern auch deshalb, weil die Soldatin bzw. der Soldat
die Einsatzmotivation im Wesentlichen aus dem Rückhalt
in der engeren sozialen Umgebung bezieht.
Neben den bereits bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten der Beurlaubung von Soldatinnen und Soldaten
während der Elternzeit, des Betreuungsurlaubs und der
Beurlaubung wegen pflegebedürftiger Kinder kann eine
Flexibilisierung der Arbeitszeit durch Gleitzeitregelungen
und insbesondere durch Teilzeitdienst einen entscheidenden Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Dienst leisten. Damit kann zugleich gleichstellungspolitischen Forderungen und den Verpflichtungen des Dienstherrn zur
Fürsorge entsprochen werden.
Gleitzeitdienst gibt es inzwischen für Soldatinnen und
Soldaten in circa 300 Dienststellen der Bundeswehr.
Substanzielle Fortschritte bei der Eröffnung der Möglichkeit von befristetem Teilzeitdienst für Soldatinnen
und Soldaten zum Zwecke der Familienfürsorge sind
ohne Einführung einer gesetzlichen Bemessungsgrundlage für die Dienstzeit nicht möglich. Zum Zwecke der Ermöglichung von Teilzeitdienst wird zurzeit geprüft, ob
eine eigenständige, gesetzlich verankerte Dienstzeitregelung für Soldaten geschaffen werden kann, welche die besonderen Belange des militärischen Dienstes in den Streitkräften berücksichtigt. Dabei wird die Ermöglichung von
Teilzeitdienst auf militärischen Dienstposten während der
Elternzeit in die Prüfung einbezogen.
Zusatzfrage? - Bitte schön.
Herr Staatssekretär, der Deutsche Bundeswehr-Verband
hat das schon imApril 2001 in einem Brief an Ihr Haus angemahnt. Können Sie mir sagen, warum eine Reaktion darauf
so lange gedauert hat und wann die Bundesregierung endlich
dieentsprechendengesetzlichenRegelungenschafft?
Es bedurfte nicht erst des Briefes des Bundeswehrverbandes, dass die Bundesregierung auf dieses Problem aufmerksam geworden ist. Dies ist, wie Sie wissen, ein sehr
vielschichtiges Problem. Deshalb bitte ich um Verständnis, wenn die Vorbereitungszeit für die Einführung solcher Regelungen etwas länger dauert. Ich kann Ihnen aber
versichern, dass daran gearbeitet wird.
Eine weitere Zusatzfrage.
Sagen Sie mir bitte, wann eine entsprechende gesetzliche Regelung von Ihrem Minister im Bundestag vorgelegt
wird!
Sie wird so schnell wie möglich vorgelegt werden.
({0})
Frau Lenke, zur Frage 34 können Sie keine weitere Zusatzfrage stellen. Vielleicht ergibt sich ja im Kontext der
Frage 35 die Gelegenheit, hierzu nachzufragen.
({0})
Diese Chance will ich natürlich gerne einräumen.
Ich rufe die Frage 35 der Abgeordneten Lenke auf:
Welche konkreten Pläne zur vollständigen beruflichen Gleichstellung von Frauen in der Bundeswehr verfolgt die Bundesregierung?
Frau Kollegin, sämtliche Aktivitäten der deutschen
Marineverbände am Horn von Afrika werden im Rahmen
der Operation Enduring Freedom durchgeführt.
({0})
Das ist jetzt wahrscheinlich durch den sowieso unzutreffenden Zuruf aus der eigenen Fraktion über die Möglichkeiten der Geschäftsordnung verursacht worden. Herr
Kollege Wagner, das sehen wir Ihnen nach.
Ich bin froh darüber, darauf aufmerksam gemacht worden zu sein, eine Antwort nicht gleich zweimal zu geben.
Sehr geehrte Frau Kollegin, das wachsende internationale Engagement der Bundeswehr und die parallel fortschreitende Reform der Bundeswehr belasten insbesondere das militärische Führungspersonal erheblich.
({0})
- Ja, natürlich. Ich will Ihnen das nicht ersparen. Herr
Kollege Niebel, jetzt geht es richtig los.
Verehrte Frau Kollegin, die sofortige Einbeziehung der
Soldatinnen und Soldaten in den Geltungsbereich des
Bundesgleichstellungsgesetzes war im Gesetzgebungsgang Gegenstand von Vorüberlegungen. Davon wurde jedoch zunächst im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Abstand
genommen. Für den militärischen Bereich werden zurzeit
eigene Gleichstellungsgrundlagen und -regelungen erarbeitet, die den Besonderheiten des militärischen Dienstes
und den Erfordernissen zur Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft der Streitkräfte Rechnung tragen.
Ihre Zusatzfrage, Frau Lenke.
Herr Staatssekretär, Ihre beiden Antworten wundern
mich wirklich sehr. Für den Bereich der Wirtschaft verlangen Sie ein Gleichstellungsgesetz, aber in Ihrem Zuständigkeitsbereich sind Sie nicht in der Lage, Gleichstellungsregelungen zu schaffen. Deshalb meine Frage:
Welche positiven Auswirkungen auf Ihre Pläne in Bezug
auf die Nachwuchsgewinnung hätten solche Regelungen?
Sie wissen, dass hoch qualifizierte Frauen zwar zur Bundeswehr wollen, davor aber zurückschrecken, weil es entsprechende Regelungen nicht gibt. Ich denke, die Bundesregierung hat sehr schnell eine Regelung vorzulegen.
Wenn das nicht geschieht, wird die Opposition gezwungen sein, Ihnen Initiativen vorzulegen, auf die Sie dann
antworten müssen.
Sie können sich darauf verlassen, dass die Bundesregierung daran arbeitet und sehr schnell etwas vorlegen wird.
Es gibt keine weitere Zusatzfrage.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Bis zum Beginn der Aktuellen Stunde, bis 15.35 Uhr, unterbreche ich
die Sitzung.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zu den Auswirkungen ihrer Steuerpolitik auf die kommunalen
Finanzen
Die Fraktion der CDU/CSU hat diese Aktuelle Stunde
verlangt.
Erster Redner in der Debatte ist der Kollege Peter Götz,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Viele Städte und Gemeinden
in Deutschland stehen vor einer wirtschaftlichen und sozialen Katastrophe. Der Deutsche Städtetag hat diese Woche in seiner Pressekonferenz zur desolaten Finanzsituation in den kommunalen Haushalten erklärt: Den Städten
geht es so schlecht wie nie zuvor seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund ruft zu einer Kampagne auf: „Rettet die
Kommunen!“ Landkreise verklagen den Bund vor dem
Bundesverfassungsgericht.
Die Öffentlichkeit nimmt zunehmend die kommunalfeindliche rot-grüne Politik wahr. Nach gerade vier Jahren
rot-grüner Regierungsverantwortung befinden sich die
Städte, Gemeinden und Kreise am Rande des Ruins, und
zwar in Ost und West. Das Schlimme ist: Besserung ist
nicht in Sicht. Die Einnahmen brechen weg. Immer mehr
Menschen werden arbeitslos. Mehr als 4,2 Millionen
Menschen sind in Deutschland ohne Arbeit. Die sozialen
Ausgaben der Kommunen steigen dadurch weiter an.
Die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben geht
immer weiter auseinander. Inzwischen liegt das Defizit
bei 10 Milliarden Euro im Jahr. Die Kommunen finanzieren ihre Personalkosten nur noch aus Kassenkrediten.
Diese Kassenkredite sind im vergangenen Jahr um über
25 Prozent gestiegen und steigen weiter.
Was sind die Konsequenzen? Geld für Investitionen
fehlt. Die Schulen verrotten. Schwimmbäder, Büchereien
und Theater werden geschlossen. In vielen Straßen brennt
keine Leuchte mehr. Die Handwerksbetriebe haben dies
deutlich zu spüren bekommen. Für viele Handwerksbetriebe und mittelständische Unternehmen bedeutet das
den Gang zum Konkursrichter.
Was ist die Ursache? Eine Fülle von Fehlentscheidungen hier in Berlin und nicht in den kommunalen Entscheidungsgremien ist die Ursache für diese Entwicklung.
Zum Beispiel bricht die Gewerbesteuer rapide und
massiv ein. Die Gewerbesteuerumlage, über die wir hier
ebenfalls diskutiert haben, hat enorme Folgen für die
kommunalen Haushalte, und zwar in Milliardengrößenordnungen. In Düsseldorf bedeutet allein die Erhöhung
der Gewerbesteuerumlage einen Einnahmeverlust von
158 Millionen Euro innerhalb von vier Jahren.
Die Konsequenz ist: Viele Kommunen sind zur Handlungsunfähigkeit verdammt. Einige Städte - es sind nicht
wenige - haben angekündigt, dass sie die Gesetze des
Bundes nicht mehr ausführen werden - nicht weil sie es
nicht wollen, sondern weil sie es einfach nicht mehr können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das geht an die Grundsubstanz der kommunalen Selbstverwaltung und wirft die
Frage nach dem Gesellschaftsmodell auf, das wir wollen.
({0})
Die Menschen im Land haben kein Verständnis mehr für
diese Art von Politik. Sie wenden sich ab. Eine Entfremdung gegenüber dem Staat, aber inzwischen auch gegenüber den Kommunen, gegenüber den Städten und Gemeinden, sowie den Kreisen in unserem Land ist die
Folge. Das kann auf Dauer nicht gut gehen.
Wir wollen keinen sozialistischen Staat, der zentral
von oben alles regiert und dem Bürger das Geld abnimmt.
Wir wollen auch keinen Staat, der die Lufthoheit über den
Kinderbetten hat, worüber immer wieder diskutiert wird.
CDU und CSU setzen auf eigene Verantwortung. Wir setzen auf leistungsstarke Städte und Gemeinden. Mit dem
ständigen Verschiebebahnhof zulasten kommunaler
Haushalte muss Schluss sein.
({1})
Wir fordern die Bundesregierung auf, mit uns gemeinsam über eine Grundgesetzänderung zu diskutieren, damit
das Konnexitätsprinzip in unsere Verfassung aufgenommen wird und künftig bei allen politischen Entscheidungen des Bundes wieder der Grundsatz gilt: Wer bestellt,
bezahlt.
Wir fordern weiter, dass sich die Bundesregierung endlich darum kümmert, was sich in Europa zulasten der
kommunalen Ebene entwickelt. Der Konvent zur europäischen Verfassung befindet sich in einer entscheidenden
Phase. Wir wollen nicht, dass sich Brüssel künftig noch
mehr als heute um kommunale Angelegenheiten kümmert
und sich einmischt. Brüssel muss nicht die Wasserversorgung in Kleinkleckersdorf regeln, sondern Brüssel bzw.
Europa hat die Aufgabe, sich um die wirklich großen Fragen - davon gibt es genug - zu kümmern. Hier ist der
Außenminister eindeutig gefordert, deutsche Interessen
zu vertreten. Aber auch hier Fehlanzeige auf der ganzen
Linie.
Wir fordern Sie auf: Nehmen Sie kommunale Interessen endlich ernst und warten Sie nicht ständig auf irgendwelche neue Kommissionen! Das Schielen auf Kommissionen ist in unserem Staat zu wenig. Wir fordern Sie auf,
zu handeln. Die Menschen in unserem Land wollen, dass
die Politik handelt und nicht nur wartet.
Herzlichen Dank.
({2})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Florian Pronold,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Der Titel dieser Aktuellen Stunde und die
vorangegangene Rede legen mir einen biblischen Vergleich nahe.
({0})
Wie Sie vielleicht wissen, wird im 3. Buch Mose die
Geschichte vom Sündenbock wiedergegeben. Es ist im
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Alten Testament so dargestellt, dass man diesem Bock die
eigenen Sünden auferlegt hat, um ihn dann in die Wüste
zu schicken.
({1})
Ich habe den Eindruck - ich kenne das sehr gut von
meinen Kolleginnen und Kollegen in Bayern -, dass Sie
genau diese Sündenbockstrategie anzuwenden versuchen,
indem Sie von den Verfehlungen ablenken, für die zum
Beispiel die Bayerische Staatsregierung verantwortlich ist
({2})
und die natürlich Konsequenzen für die Situation der
Kommunen in Bayern haben.
({3})
Ich habe den Eindruck, dass es hier auch eine direkte
Erbfolge gibt, nämlich die der CDU/CSU-Bundestagsabgeordneten zurück bis hin zu den uns ebenfalls aus der Bibel bekannten Pharisäern. Frei nach dem Motto: Wenn in
Bayern die Sonne lacht, hat’s die CSU gemacht, gibt’s im
Winter Eis und Schnee, war’s die böse SPD,
({4})
ziehen Sie derzeit durch die Lande und versuchen, alle
kommunalen Finanzprobleme der SPD-geführten Bundesregierung in die Schuhe zu schieben.
({5})
- Wie schön, dass Sie mir zustimmen. Das freut mich. In
dem Fall haben Sie ausnahmsweise einmal Recht.
({6})
Das jüngste Beispiel ist die Fluthilfe. Sie gehen momentan vor Ort herum und behaupten, es könnten in
Bayern keine Feuerwehrhäuser mehr gebaut werden, weil
die Bundesregierung durch das Fluthilfegesetz den Kommunen wieder in die Tasche gelangt habe; wenn Ihr Vorschlag durchgekommen wäre, dann wäre für die Kommunen alles besser.
({7})
- Sie können nicht rechnen und stellen es hier selber unter Beweis.
Wie Sie wissen, haben wir die Fluthilfe seriös durch die
Verschiebung der Steuerreform finanziert. Die Kommunen haben sozusagen das, was sie aufgrund der Steuerentlastung für die Bürgerinnen und Bürger sowieso nicht
bekommen hätten, jetzt für die Beseitigung der Schäden
durch die Flutkatastrophe eingesetzt. Wenn Ihr Vorschlag
durchgekommen wäre, wäre die Steuerreform nicht um
ein Jahr verschoben worden und die Kommunen hätten
genau dieselbe Finanzausstattung, wie sie sie jetzt haben.
Deswegen ist es schon sehr pharisäerhaft, wenn Sie hier
wieder versuchen, der Bundesregierung zu unterstellen,
dass sie schuld daran sei, dass die Finanzsituation der
Kommunen so schlecht ist. Zweitens ist es so, dass kein
anderes Land so schlechte Schlüsselzuweisungen an seine
Kommunen gibt wie Bayern.
({8})
In Nordrhein-Westfalen erhalten die Kommunen 60 Prozent mehr als die bayerischen Kommunen vom Freistaat.
Drittens reden Sie landauf, landab über die Gewerbesteuerumlage und fordern, dass die Mehreinnahmen aufgrund der Erhöhung von der Bundesregierung an die
Kommunen zurückgegeben werden. Der bayerische
Finanzminister sagt aber relativ offen, den Anteil, den er
erhält - das sind erkleckliche Millionen Euro -, könne er
den Kommunen selbstverständlich nicht zurückgeben,
das solle die Bundesregierung machen. Wenn das nicht
pharisäerhaft ist, frage ich: Was ist es dann?
({9})
Weitere Beispiele sollen nur kurz angesprochen werden; denn die Redezeit ist begrenzt. Sie bürden den Kommunen die Personalkosten für ihre Schulen auf und der
Freistaat Bayern zahlt den Kommunen die versprochenen
Zuschüsse - über 2 Milliarden Euro - nicht aus.
Einen weiteren biblischen Vergleich will ich mir sparen, aber ich möchte doch an den Splitter und den Balken
erinnern. Das dürfte Ihnen doch auch etwas sagen.
Ich bitte Sie, keine polemische Debatte zu führen. Lassen Sie Ihre Schuldzuweisungen! Sie helfen den Kommunen nicht. Lassen Sie Ihr pharisäerhaftes Gerede und bringen Sie endlich eigene vernünftige Vorschläge! Diese sind
Sie jetzt leider auch wieder schuldig geblieben. Sie haben
keine Vorschläge. Sie können nur jammern, sonst nichts.
({10})
Herr Kollege Pronold, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.
({0})
Ich hoffe, dass Sie sich Ihre Bibelfestigkeit in den ganz
unterschiedlichen parlamentarischen Situationen, mit denen Sie noch zu tun haben werden, bewahren können.
({1})
- Das gilt für das Alte und das Neue Testament. Sie bieten
eine unerschöpfliche Quelle von Zitaten.
Ich darf nun dem Kollegen Michael Goldmann das
Wort für die FDP-Fraktion erteilen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch ich gratuliere Ihnen, Herr Kollege Pronold. Wir
sollten uns vielleicht einmal privat darüber unterhalten,
welche Erfahrungen Sie in der Kommunalpolitik haben.
({0})
Ich will damit nicht sagen, dass man immer welche haben
muss, aber es ist gewiss von Vorteil, wenn man zur Sache
spricht.
Sie haben vom Sündenbock gesprochen. Dazu muss
ich Ihnen sagen: Sie haben von der Entwicklung der kommunalen Finanzen gerade in der letzten Zeit überhaupt
keine Ahnung. Die Situation der kommunalen Finanzen
war immer schwierig und es gab immer Ungerechtigkeiten. Ich habe nie verstanden, warum Kommunen, die sich
besondere Mühe geben und besondere Anstrengungen unternommen haben, später weniger Schlüsselzuweisungen
bekamen. Eines steht aber eindeutig fest: Die Finanzlage
der Kommunen hat sich unter Rot-Grün dramatisch verschlechtert. Es ist genau so, wie es der Kollege Götz gesagt hat: Die Kommunen stehen nicht nur mit dem
Rücken an der Wand, sondern sie sind schlicht und ergreifend in sehr vielen Bereichen, bei denen es um die Interessen der Bürger geht, überhaupt nicht mehr handlungsfähig.
({1})
Darüber müsste man sich eigentlich einig sein; denn es
bringt überhaupt nichts, das zu einem bayerischen Problem zu machen. Es handelt sich um ein deutsches Problem und Sie wissen, dass sich die Situation deshalb verschärft hat, weil Sie falsche steuerliche Weichenstellungen
vorgenommen haben.
({2})
- Die höhere Gewerbesteuerumlage haben Sie zu verantworten. Das gesamte Steuerreformkonzept - eigentlich ist
es gar kein Konzept -, das auf den Weg gebracht worden
ist, haben Sie zu verantworten.
({3})
In Niedersachsen zum Beispiel kann kein Landkreis
mehr seinen Haushalt ausgleichen. Ich selbst habe an Beratungen im Landkreis Emsland teilgenommen. Vom
Morgen bis zum Nachmittag haben wir Defizitentwicklungen festgestellt; daraufhin haben wir die gesamten
Haushaltsberatungen eingestellt und neue aufgenommen.
Das liegt an Ihrer politischen Weichenstellung in verschiedenen Bereichen.
({4})
Ich glaube, Sie wissen manchmal nicht, was bestimmte
steuerliche Weichenstellungen oder Gesetzgebungsmaßnahmen bedeuten. Haben Sie sich zum Beispiel einmal
mit den Auswirkungen der Grundsicherung auf die kommunalen Haushalte beschäftigt?
({5})
Haben Sie sich einmal mit den Belastungen für Mittelstand und Handwerk und deren Auswirkungen auf das
kommunale Geschehen beschäftigt? Ich glaube, wenn Sie
das tun, kommen Sie zu dem Ergebnis, dass die Kommunen einer Zangenbewegung ausgesetzt sind: Der Bund
nimmt und die Länder nehmen zum Teil auch, vor allen
Dingen die rot-grün-regierten Länder nehmen massiv.
({6})
Gerade in Niedersachsen hat die rote Landesregierung
den Kommunen immer und immer wieder Einnahmen genommen. Jeder, der sich damit ernsthaft befasst, wird
mich darin bestätigen.
({7})
Ihre in meinen Augen relativ schlechte - ich könnte
auch sagen: saumäßige - Wirtschaftspolitik trifft vor allen
Dingen Mittelstand und Handwerk,
({8})
die nach wie vor in entscheidender Weise die Träger kommunaler Finanzen sind. Sie wissen, dass sich die Gewerbesteuer immer antizyklisch ausgewirkt und die Kommunen hinsichtlich ihrer Finanzen immer in eine schwierige
Situation gebracht hat.
({9})
Liebe Kollegen von Rot-Grün, wir können uns über
das eine oder andere unterhalten und Sie können hier auch
Bibelsprüche rauf- und runterbeten, aber Sie haben kein
Herz und keinen Verstand bei der Politik, die Sie für die
Kommunen machen. Das ist sehr bedauerlich, denn gerade die Kommunen waren immer diejenigen, die entscheidend dafür gesorgt haben, dass von der Basis her
Arbeitsplätze entstehen, dass von der Basis her Investitionen getätigt werden und auch von der Basis her so etwas wie einigermaßen gleiche Lebenschancen in allen
Bereichen entstehen. Insofern ist Ihre Politik gerade auch
eine Politik gegen die ländlichen Räume, gegen Mittelstand und Handwerk und im Grunde genommen gegen
diejenigen, die vor Ort bereit sind, Verantwortung zu
übernehmen. Ich bedaure das sehr.
({10})
Sie streben jetzt möglicherweise eine Ausweitung der
Gewerbesteuer an. Sie wollen diese auf Landwirte und
Freiberufler ausdehnen. Ich denke, dies ist der völlig
falsche Weg. Wir als FDP wollen Verlässlichkeit für die
kommunalen Finanzen. Deswegen fordern wir Sie jetzt
und heute auf: Nehmen Sie die Erhöhung der Gewerbesteuerumlage zurück!
({11})
- Nein, nicht mehr Schulden aufnehmen, sondern nehmen
Sie sie schlicht zurück. Es ist ein Irrtum, wenn Sie glauben, damit die Finanzsituation verbessern zu können. Dadurch, dass Sie die Betriebe belasten, verhindern Sie Investitionen und Weichenstellungen für Arbeitsplätze.
({12})
Eines der größten Probleme in den Kommunen besteht
darin, dass in der Bundesrepublik viel zu wenige Menschen eine Arbeit haben. Eines der größten Probleme in
den Kommunen besteht darin, dass sich die Ertragssituation der Betriebe sowie der Menschen, der Bürger verschlechtert hat. Deswegen müssen wir die kommunalen
Finanzen auf eine solide Basis stellen.
Wir sind gegen die Revitalisierung der Gewerbesteuer,
hinter der sich im Grunde nichts anders verbirgt als die
Einbeziehung der freien Berufe in die Gewerbesteuer.
Nein, das wollen wir nicht.
({13})
Wir wollen den Kommunen ein eigenes Heberecht im
Bereich der Umsatz- und Einkommensteuer geben. Wir
wollen eine Gemeindefinanzreform, die vereinfacht. Ich
bin seit 20 Jahren Bürgermeister einer Gemeinde. Wenn
Sie jemals die Finanzsituation Ihrer Gemeinde durchgerechnet haben, zolle ich Ihnen erstens höchsten Respekt.
Zweitens kann ich Ihnen garantierten, dass Sie wochenlang
daran gesessen haben, weil dieses System so kompliziert
ist, dass man kaum dahinter kommt. Diese Ungerechtigkeiten, diese Unklarheiten und die Überbürokratisierung
führen dazu, dass vor Ort überhaupt keine vernünftige Politik gemacht werden kann, die die Kommunen trägt.
Seien Sie vernünftig! Sorgen Sie dafür, dass sich die
kommunalen Finanzen schnellstens verbessern! Das ist
die notwendige Grundlage für eine Verbesserung der derzeitigen Situation der Kommunen und insgesamt für eine
bessere Politik.
Herzlichen Dank.
({14})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Andreae,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden in der Aktuellen Stunde über die Auswirkungen unserer Steuerpolitik auf die kommunalen Finanzen. Bevor ich darauf eingehe, möchte ich einige
grundlegende Anmerkungen machen und auf die Beiträge
meiner Vorredner eingehen.
Wir wissen, um die Finanzen der Kommunen steht es
schlecht. Wir haben defizitäre Haushalte, den Verkauf von
Vermögensbeständen und viele Kommunen, die von der
Substanz leben. Dies können wir nicht wegdiskutieren.
Das Problem sind die Einnahmen der Kommunen. Auch
darin sind wir uns einig. Die Einnahmen der Kommunen
sind so, wie sie jetzt ausgestaltet sind, durch eine hohe Abhängigkeit von der Gewerbesteuer und damit von der
Konjunktur gekennzeichnet. Dieses Problem der nicht
stetigen Einnahmen der Kommunen und der geringen Planungssicherheit der Kommunen müssen wir lösen.
Wir lösen es nicht dadurch, dass wir jetzt die Gewerbesteuer in Bausch und Bogen verdammen. Wir lösen es
vielmehr, indem wir im Zuge der Gemeindefinanzreform
die Gewerbesteuer mit dem Ziel der Verstetigung der Einnahmen der Kommunen modernisieren. Denn dann schaffen wir Planungssicherheit für die Kommunen.
({0})
Die FDP, die Steuern am liebsten abschaffen würde,
die immer wieder Modelle entwickelt, mit denen der
Wettbewerb der Kommunen gefördert werden soll, erkennt nicht die Probleme der Kommunen wie Wegzüge in
den so genannten Speckgürtel oder das Gegeneinander
der Kommunen, das man nicht wegdiskutieren kann. So
kann, wie ich finde, der Vorschlag, den Sie machen, keinen Bestand haben. Wir müssen vielmehr, um auf den
richtigen Weg zu kommen, die Gewerbesteuer modernisieren und über andere Elemente diskutieren.
Wer heute über die Finanzen der Kommunen spricht,
muss anerkennen, dass in den Kommunen auch Fehler gemacht wurden. Manche Kommunen haben viel zu lange
über ihre Verhältnisse gelebt.
({1})
Es wurden Projekte von ungeheurem Umfang verfolgt.
Ein solches Projekt ist „Stuttgart 21“. An diesem Projekt
wurde lange festgehalten. Dabei müsste man der Kommune ganz deutlich sagen: Liebe Kommune, verabschiedet euch von diesem Projekt, denn es ist nicht zu finanzieren.
Es gibt Vorfinanzierungen von Straßen - in BadenWürttemberg kenne ich den Fall konkret -, wodurch sich
finanzielle Auswirkungen für die Kommunen ergeben,
die sich über viele Jahre und Jahrzehnte hinweg erstrecken werden. So kann die Politik in den Kommunen
nicht aussehen.
({2})
Verwaltungsreformen stehen aus. Dabei ist hier in den
Kommunen viel Potenzial vorhanden, ihre Ausgaben zu
senken. Ich finde es gut, dass viele Kommunen diese Situation als Chance begreifen, um über ihre eigenen kommunalen Haushalte zu diskutieren. Das sollten wir auf jeden Fall unterstützen.
Wir dürfen die Kommunen aber nicht alleine lassen.
Wir müssen die Finanzkraft der Kommunen verstetigen
und verbessern. Wir müssen die Gewerbesteuer modernisieren. Ich verspreche mir viel von der Gemeindefinanzreform. Vielleicht gelingt es uns, diese unendliche Geschichte der Reform der Gewerbesteuer - so wurde sie
einmal betitelt - tatsächlich anzugehen. Ich hoffe sehr,
dass wir hier im Sinne der Kommunen zu einer Zusammenarbeit kommen; denn ohne starke Städte ist kein Staat
zu machen; da gebe ich Ihnen Recht. Wir brauchen die
Kommunen. Wir brauchen die kommunale Selbstverwaltung.
Nun komme ich zu dem Thema Aufgabenübertragung
an die Kommunen. Sie wissen, das betrifft den Bund wie
auch die Länder. Nach dem Grundgesetz sind es vor allem
die Länder, die die Aufgaben an die Kommunen übertra1642
gen. Wenn Sie immer wieder sagen, dass wir Aufgaben an
die Kommunen übertragen, deren Finanzierung aber nicht
gewährleisten, dann ist das nicht richtig.
({3})
- Die Kommunen haben für die Grundsicherung im Alter
410 Millionen Euro bekommen. Das sind 100 Millionen
Euro mehr, als damals als Bedarf ermittelt und festgesetzt
wurde. Wenn heute durch die Lande gezogen und gesagt
wird, das Geld reiche nicht, dann bitte ich Sie, sich die Begründung dafür anzuschauen, warum dieses Geld nicht
reichen soll. Im Augenblick kann noch niemand sagen, ob
das Geld reicht oder nicht. Fest aber steht: Wir haben
410 Millionen Euro dafür eingestellt.
({4})
- Das Geld geht an die Länder. Das wissen Sie. Die Länder sind die Treuhänder für die Weitergabe dieser Gelder
an die Kommunen. Da liegt noch viel im Argen.
({5})
Ich komme nun zum Steuervergünstigungsabbaugesetz,
weil Sie das an manchen Stellen angesprochen haben. Ich
kann nicht verstehen, warum Sie bei Maßnahmen, die
Kommunen direkt helfen, wie zum Beispiel die Abschaffung der gewerbesteuerlichen Organschaften, schon heute
ihre Blockade ankündigen. Das wären Gelder, die die Kommunen direkt bekommen könnten, wenn wir heute die gewerbesteuerlichen Organschaften abschaffen würden.
({6})
- Es gibt auch Ausgleichsmaßnahmen für die Kommunen,
die davon besonders betroffen sind. Sie bekommen direkt
Geld, mit dem sie arbeiten können.
({7})
Wir haben die Zahlen doch vorliegen, was das Steuervergünstigungsabbaugesetz den Kommunen bringen
kann: 580 Millionen Euro im Jahr 2003, 2,1 Milliarden
Euro im Jahr 2004 und 3,2 Milliarden Euro im Jahr 2005.
({8})
Sie wissen, dass Maßnahmen in diesem Konzept enthalten sind, die konkrete Auswirkungen auf die Kommunen
haben. Ich kann nur hoffen, dass Sie diese Maßnahmen im
Bundesrat nicht blockieren, denn sie sind wichtig für die
Kommunen.
Ich hoffe, dass wir im Rahmen der Gemeindefinanzreform zusammenarbeiten; denn wir sind uns sicherlich
einig darin, dass wir die kommunale Selbstverwaltung
brauchen und dass wir die Kommunen mit ihren Aufgaben nicht alleine lassen können. Sie übernehmen wichtige
Aufgaben und weisen die größte Bürgernähe auf. Wir
brauchen die kommunale Selbstverwaltung. Wir brauchen aber auch eine Zusammenarbeit aller Fraktionen. Ich
hoffe sehr, dass uns das gelingt.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Otto Bernhardt, CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich stelle zunächst einmal fest, dass die FDP, die Grünen und die Christdemokraten erkannt haben, dass es den
Kommunen schlecht geht. Ich bedauere, dass Sie, Herr
Kollege Pronold von der SPD, dies als Polemik bezeichnet haben.
({0})
Ich glaube, wir sollten uns in diesem Hause darüber einig
sein, dass es den Kommunen schlecht geht. Ihnen geht es
schlechter als je zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. - Ich will Sie nicht mit den Zahlen langweilen. - Die entscheidende Ursache dafür liegt in der
verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik der rot-grünen
Regierung.
({1})
Frau Kollegin von den Grünen, Ihnen fällt nichts anderes ein, als sich in dieser Debatte für Steuererhöhungen
einzusetzen.
({2})
Das ist genau das, was wir nicht brauchen.
({3})
Ich sage es mit aller Deutlichkeit: Das würde die Situation
der Kommunen noch weiter verschlechtern.
({4})
Wir können uns natürlich über die Ursachen unterhalten; hier gibt es Meinungsverschiedenheiten. Die entscheidende Ursache ist die verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik. Über die Wirkung werden wir zu einer
einheitlichen Auffassung kommen. Die Wirkung dieser
Finanzsituation ist: Die kommunalen Investitionen gehen
zurück, die Zahlungsmoral der öffentlichen Hand wird
schlechter und beides trifft die mittelständische Wirtschaft vor Ort. Im Ergebnis - die Zahlen belegen das führt diese Politik zu mehr Arbeitslosen und mehr Firmenpleiten. Das ist die aktuelle Situation.
Wir müssen uns die Frage stellen, was wir kurzfristig
tun können. Sie verweisen immer gerne auf die eingesetzte
Kommission. Prima! Wir brauchen sicherlich eine grundlegende Veränderung der kommunalen Finanzen. Die
Kommission hat sich, wenn ich richtig informiert bin,
konstituiert und bisher eine Arbeitssitzung durchgeführt.
({5})
Vor 2004 sind keine Ergebnisse zu erwarten.
({6})
So lange können die Kommunen nicht warten.
Frau Kollegin von den Grünen, deshalb antworte ich
auf Ihre Frage, wo unsere Alternativen sind: Es gibt einen
Gesetzentwurf des Bundesrates und der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Ich glaube, ich verrate keine Geheimnisse aus den Ausschüssen, wenn ich sage, dass dieser Gesetzentwurf heute Morgen im Finanzausschuss mit den
Stimmen von Rot-Grün abgelehnt worden ist. Das ist Ihre
kommunalfreundliche Haltung.
({7})
Worum geht es bei diesem Gesetzentwurf? Sie haben
im Jahre 2000 die Gewerbesteuerumlage gegen unsere
Stimmen von 20 auf 30 Prozent erhöht.
({8})
Sie alle wissen, dass es bei der Gewerbesteuer um eine
Größenordnung von circa 20 Milliarden pro Jahr geht.
10 Prozentpunkte bedeuten also circa 2 Milliarden. Sie
haben die Erhöhung der Gewerbesteuerumlage damals
- das können Sie im Protokoll nachlesen - mit zwei Argumenten eingeführt. Ihr erstes Argument lautete, dass
sich durch Ihre „geniale“ Steuerreform die Wirtschaftssituation so nachhaltig verbessern würde, dass die Kommunen mehr Geld bekämen. Ihr zweites Argument lautete, dass die Kommunen durch die Veränderung der
Abschreibungen in den einzelnen Branchen neue Einnahmen erzielen würden.
Die zweite Voraussetzung haben Sie - um das klar zu
sagen - Gott sei Dank nicht erfüllt. Auch wir wollten das
nicht, weil es konjunkturpolitisch nicht passte. Ich glaube,
ich brauche in diesem Hause nicht zu betonen, was aus der
Konjunktur geworden ist. Beide Voraussetzungen, unter
denen Sie diese Erhöhung eingeführt haben, wurden also
nicht erfüllt. Deshalb kann ich nur sagen: Unsere Kommunen benötigen kurzfristig Hilfe und keine Kommission, die jahrelang tagt. Wir haben Ihnen einen konkreten
Vorschlag unterbreitet; die unionsregierten Länder haben
dies im Bundesrat ebenfalls getan.
({9})
Sie haben ihn heute Morgen abgelehnt.
Damit Sie wissen, um welche Größenordnung es geht:
Den Kommunen fehlten im letzten Jahr 7 Milliarden Euro.
In diesem Jahr werden es wahrscheinlich 10 Milliarden
Euro sein. Dieses eine Gesetz würde den Kommunen sofort - wir wollen es ja rückwirkend zum 1. Januar - gut
2 Milliarden Euro zusätzlich bringen. Ich appelliere an die
Kommunalpolitiker bei den Sozialdemokraten: Erkennen
Sie Ihr kommunalpolitisches Herz und tun Sie etwas für
die Kommunen. Dies wäre ein wichtiger Beitrag zur Wirtschaftsförderung in Deutschland und zur Sicherung der
kommunalen Selbstverwaltung. Auch darüber sollten Sie
einmal nachdenken.
({10})
Ich erteile dem Kollegen Dieter Grasedieck für die
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben die Probleme vor Jahren erkannt, Herr
Bernhardt. Genau deshalb haben wir eine Kommission
eingerichtet.
({0})
Wir versuchen, hier etwas zu bewegen. Wir malen nicht
undifferenziert schwarz.
({1})
Wir bemühen uns um eine Grundlage und um ein Gesetz. Sie wissen genau, dass der Kommissionsbericht
Mitte des Jahres vorliegen wird. Wir brauchen ihn als Basis für das Gesetz, das wir noch in diesem Jahr verabschieden werden. Wir gestalten, Hast wäre schädlich. Sicherlich kann man Politik unverkrampft und mit leichter
Hand machen. Harte exakte Arbeit ist aber zwingend erforderlich. Deshalb brauchen wir die Arbeit der Kommission.
Sie haben meinen Satz, dass man in der Politik exakte
Arbeit leisten muss, häufig vergessen.
({2})
Sie von der CDU/CSU fordern zum Beispiel eine drastische Steuerreduzierung. Sie wollen einen Spitzensteuersatz von 40 Prozent, die FDP will sogar 35 Prozent.
Gleichzeitig verlangen Sie ein Sofortgeld für die Kommunen.
({3})
Gestern forderten Sie ein Sofortgeld für die Bundeswehr.
Sie von der FDP fordern ein Bürgergeld. All das ist nicht
ohne Weiteres zu verbinden; denn das sind widersprüchliche Forderungen und Anträge. Die Milliarden fallen
nicht vom Himmel. Zudem müssen die Maastricht-Kriterien berücksichtigt werden.
Sie von der FDP sind verantwortungslos, wenn Sie behaupten - das haben Sie gerade wieder erwähnt -, dass der
Staatsanteil am Volkseinkommen bei 56 Prozent liegt. Sie
fragen sich aber gar nicht, ob nicht in ein Investor, der
solch eine Falschmeldung liest, daraus falsche Schlussfolgerungen ziehen könnte. Ihr Antrag zur Mehrwertsteuer enthält diese Behauptung ebenfalls.
Die Steuern waren einmal hoch, Herr Bernhardt und
die Kollegen von der FDP, aber das ist zehn Jahre her. Damals betrug der Spitzensteuersatz 56 Prozent, der Eingangssteuersatz lag bei 25,9 Prozent. Das war Ihre Leistung, aber das ist längst Geschichte. Die SPD und die
Grünen haben dafür gesorgt, dass 2005 der Eingangssteuersatz 15 Prozent und der Spitzensteuersatz 42 Prozent betragen werden. Das sind wirkliche Veränderungen.
({4})
Sie haben vielleicht im OECD-Bericht gelesen, dass
Deutschland im Jahr 2001 mit 21,9 Prozent die niedrigste
Steuerquote in Europa hatte. In der OECD haben nicht
SPD-Mitglieder das Sagen, es ist kein der SPD nahe stehendes Institut. Es ist ein international anerkanntes Institut. Die Experten sind der Meinung: Deutschland ist ein
Niedrigsteuerland.
Sie werden überrascht sein: Das Institut der deutschen
Wirtschaft hat diese Zahlen bestätigt. Das zeigt, dass die
Sozialdemokraten und die Grünen hinsichtlich der Steuersätze viel erreicht haben. Durch Ihre Diskussionen - heute
über Kommunalfinanzen, am Freitag über Mehrwertsteuer - verunsichern Sie die Menschen.
({5})
Unsere Koalition gestaltet und gibt den Menschen
Hoffnung. Wir brauchen einen positiven Push und keine
Schwarzmalerei. Unser Land muss die finanzielle Belastung durch die deutsche Einheit tragen. Hier sehen wir
insbesondere die Probleme der Kommunen. Hinzu
kommt die Bewältigung der Flutkatastrophe. Wir arbeiten
diese Punkte ganz exakt ab. Sie haben uns unterstellt, dass
wir dies nicht tun.
({6})
Zur Bewältigung der Flutkatastrophe stehen 14 Milliarden Euro zur Verfügung. Natürlich berücksichtigen wir
die Situation der Kommunen und Gemeinden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brauchen
für unsere Gemeinden ein Gesamtkonzept. Dieses Gesamtkonzept werden wir noch in diesem Jahr auf der Basis der Empfehlungen der Gemeindefinanzreformkommission erarbeiten. Indem wir es umsetzen werden,
werden wir den Gemeinden Hilfen bieten.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Hans Michelbach für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt keinen Zweifel: Bürger, Betriebe und Kommunen sind geradezu in eine rot-grüne Steuerfalle geraten. Das fortwährende Drehen an der Steuerschraube war
für die Konjunktur und damit auch für die Steuereinnahmen absolut kontraproduktiv.
({0})
Der steuerpolitische Würgegriff hat zu einem Einbruch
des Wachstums und der Steuereinnahmen, zu höherer Arbeitslosigkeit und zu einer höheren Zahl von Firmenpleiten geführt. Die Zahlen sind eindeutig. Sie dürfen nicht
eine Steuerquote der OECD, die bei uns schon einmal Abbitte geleistet hat, sondern müssen die Staatsquote anführen. In Ihrem eigenen Finanzbericht stehen für das Jahr
2002 48,5 Prozent. Damit sind wir Schlusslicht in Europa.
({1})
1997 lagen wir beim Pro-Kopf-Einkommen noch auf
Rang sieben der Weltrangliste, heute finden wir uns auf
Rang 13 wieder. Das spiegelt den Verlust an Einnahmen
bei Kommunen, beim Staat und bei den Bürgern wider.
Sie haben einfach an den falschen Schrauben gedreht, indem Sie immer wieder den Staatsanteil vergrößert haben.
({2})
Der Einkommens- und Steuereinnahmeverlust in
Deutschland hat eine dramatische Entwicklung genommen. Seine Ursachen sind hausgemacht.
({3})
Unsinnige Steuererhöhungen in der Rezession haben den
privaten Verbrauch und die Investitionen abgewürgt. Das
hat natürlich negative Auswirkungen auch auf die Kommunalfinanzen. Letzten Endes können die Kommunen
nichts dafür; sie haben diesen Schaden gewissermaßen im
Durchgriff zu erleiden.
Wird von Rot-Grün diese Politik der Erhöhung des
Staatsanteils fortgesetzt, dann wird - hier gebe ich Ihnen
Brief und Siegel - die für nationale Haushaltsdefizite geltende Obergrenze von 3 Prozent auch in diesem Jahr überschritten werden und Sie werden Sanktionen der EUKommission hinnehmen müssen. Sie haben die Probleme
nicht im Griff. Sie verursachen immer größere Probleme,
weil Sie kein Gesamtkonzept haben.
({4})
Der heute von Herrn Clement vorgelegte Jahreswirtschaftsbericht schafft nicht das notwendige Vertrauen für Investoren und Konsumenten. Wer sich wie Herr Clement bei
einer unsicheren Wachstumsprognose von nur 1 Prozent geradezu selbst lobt, ist für mich ein wirtschaftspolitischer
Tiefflieger. Die Schattenwirtschaft dagegen soll bereits
17 Prozent des BIP erreichen. Dazu sagt er nichts. Mit den
370 Milliarden Euro, die der öffentlichen Hand in
Deutschland aufgrund der Schattenwirtschaft verloren gehen - das ist eine Rekordzahl -, könnte man die Finanzkrise sehr schnell beheben. Hier muss man nur an den
richtigen Schrauben drehen.
({5})
Meine Damen und Herren, die verfehlte Finanz- und
Wirtschaftspolitik der rot-grünen Bundesregierung hat
dazu geführt, dass sich die öffentlichen Haushalte, insbesondere die Haushalte der Kommunen, in einer kritischen Situation befinden. Die Bundesregierung hat kein
wirtschafts- und finanzpolitisches Gesamtkonzept zur
Entfesselung von Innovation, Wachstum und Beschäftigung.
Wenn Sie bei Ihrem Vergleich der Kommunen in
Deutschland ausgerechnet die des Landes Bayern heranziehen, wo die Kommunen und der kommunale Finanzausgleich noch die besten Zahlen aufweisen,
({6})
dann sind Sie nicht nur auf einem Auge, sondern völlig
blind. Ich muss Ihnen eines ganz ehrlich sagen: Wenn Sie
solche Vergleiche anstellen, dann müssen Sie berücksichtigen, dass die Investitionen der Gemeinden in Bayern
weit über dem Bundesdurchschnitt liegen, deren Verschuldung aber weit unter dem Bundesdurchschnitt liegt.
Daher können Sie den kommunalen Finanzausgleich in
Bayern gar nicht angreifen. Wissen Sie, was Sie angreifen
müssten? - Dass eine Stadt wie Passau, die im letzten Jahr
eine große Hochwasserkatastrophe mit Schäden in Höhe
von 10 Millionen Euro zu bewältigen hatte, von Ihnen
eine Hilfe von nur 527 000 Euro bekommt,
({7})
ihr bei den Schlüsselzuweisungen aber fast dieselbe
Summe, nämlich 500 000 Euro, gleich wieder abgezogen
wird. Das ist die perverse Kommunalfeindlichkeit der
Bundesregierung.
({8})
Zum Abschluss möchte ich deutlich machen: Es muss
eine Steuerpolitik für mehr Wachstum des Bruttosozialprodukts betrieben werden, damit ein größerer Kuchen
zur Verfügung steht, von dem Staat und Kommunen ihren
notwendigen Anteil abbekommen. Es muss eine Rücknahme der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage, eine
niedrigere Staatsquote, ein Steuerbelastungsabbauprogramm und einen Verzicht auf das so genannte Steuervergünstigungsabbaugesetz geben. Es darf keine neue
Mehrwertsteuererhöhung und keine Verbreiterung der
Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer geben. Es
muss stattdessen eine realistische und zielführende Gemeindefinanzreform geben.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich wäre in
Anbetracht der wirklich sehr schwierigen finanziellen Situation, in der sehr viele Städte und manche Gemeinden
stecken - wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir zugeben, dass das nicht alle betrifft -, sehr froh, wenn wir uns
hier polemische Diskussionen ersparen könnten.
({0})
Ich wäre außerdem sehr froh, wenn man bei den Fakten
bliebe, Herr Michelbach,
({1})
wenn man keine Nebelkerzen werfen würde nach dem
Motto: Hochwasserhilfe für Passau! Sie wissen ganz genau - ich hoffe, dass Sie das wissen -, wie das mit den
Schlüsselzuweisungen funktioniert. Das Land Bayern
und nicht die Bundesregierung oder die sie tragenden
Fraktionen haben die Verantwortung dafür zu tragen, dass
es in Passau so gelaufen ist, wie es gelaufen ist.
({2})
Wenn Sie behaupten, unseren Kommunen gehe es so
schlecht, weil sich das ganze Land in einem steuerpolitischen Würgegriff befinde, dann kann ich nur sagen: Bleiben Sie auch hier bei den Fakten! Wir haben bis zum Jahr
2001 von keiner Kommune irgendetwas gehört, was darauf hingedeutet hat, dass es große finanzielle Probleme
gibt;
({3})
denn bis inklusive des Jahres 2000 war die wirtschaftliche
Situation gut. Ein Wachstum von 3 Prozent bei den Gewerbesteuereinnahmen im Jahr 2000 sei klasse gewesen;
das sagen alle kommunalen Verbände, auch der Deutsche
Städtetag.
Die Probleme haben im Jahr 2001 begonnen. Die Ursachen dafür liegen vorwiegend darin, dass wir eine konjunkturelle Entwicklung zu verzeichnen hatten, die vor
allem im Bereich der Banken und der Bauunternehmen
zu Einbrüchen bei den Auftragszahlen geführt hat. Wir
haben hier zigmal über die Abhängigkeiten vom Weltmarkt und darüber diskutiert, warum die konjunkturelle
Entwicklung 2001 so negativ verlaufen ist. Das hat sich
letztendlich leider auch - das zeigen die Zahlen - bei den
Einnahmen negativ niedergeschlagen. Seit dem Jahr
2001 sind beispielsweise ein verstärkter Preiswettbewerb
und ein damit einhergehender Preisverfall bei den deutschen Energieversorgern festzustellen. Aufgrund dieser
Entwicklung hat es in sehr vielen Städten in der Bundesrepublik Deutschland einen drastischen Einbruch bei den
Gewerbesteuereinnahmen gegeben; denn viele Städte
sind von wenigen großen Gewerbesteuerzahlern abhängig,
({4})
wie zum Beispiel von Banken, Versicherungen, Energieversorgern und Großunternehmen in der Automobilindustrie.
Ich möchte nicht alle aufzählen - denn Sie kennen sie alle und nur beispielhaft Siemens nennen. Die Abhängigkeit von
sehr wenigen großen Unternehmen hat im Zusammenspiel
mit der konjunkturellen Entwicklung - ich erinnere an die
Wertberichtigungen, die in den Konzernen vorgenommen
werden mussten - letztendlich zu dieser Problemlage und
auch zum Einbruch der Aktienmärkte geführt.
({5})
Die Kollegin Kerstin Andreae hat darauf hingewiesen,
dass die Lage sehr ernst ist. Ich teile diese Einschätzung.
Unsere Fraktion beschäftigt sich mit den damit verbundenen Fragen sehr intensiv.
({6})
Die Steuerschätzung im November ist noch davon ausgegangen, dass es einen Einbruch von etwa 7,5 Prozent geben wird. Die aktuellen Zahlen, die der Deutsche Städtetag am Montag vorgelegt hat, besagen, dass der Einbruch
nicht bei 7,5 Prozent, sondern „nur“ - das ist kein Trost bei 5,3 Prozent liegt. Das ist dramatisch genug.
Was nicht geht, ist, so zu tun, als ob man die Probleme
der Kommunen über eine Änderung bei der Gewerbesteuerumlage lösen könne; denn von der Rücknahme der
Erhöhung der Gewerbesteuerumlage - auch das müssen
Sie einfach einmal sehen - profitierten diejenigen Kommunen, die sowieso einnahmestark sind. Die einkommensschwachen Kommunen hätten von der Änderung bei
der Gewerbesteuerumlage überhaupt nichts,
({7})
obwohl man genau denen helfen muss.
Abschließend möchte ich Folgendes sagen: Hören Sie
mit Ihrer blöden Polemik auf!
({8})
Kümmern Sie sich vielmehr mit uns darum, dass wir eine
gescheite Reform der kommunalen Finanzen zustande
bringen, dass wir die Probleme in diesem Land lösen,
({9})
und zwar mithilfe des Bundesrates, und dass wir letztendlich nicht so eine Situation wie in Hessen bekommen.
Hessen hat beispielsweise einen Investitionsfonds aufgelegt. In diesen Investitionsfonds haben vorwiegend die
Kommunen eingezahlt.
({10})
Aus diesem Investitionsfonds in der Größenordnung von
400 Millionen Euro will Herr Koch jetzt die Hälfte herausnehmen, um seinen Landeshaushalt zu sanieren.
({11})
So viel zur Unterstützung der Kommunen im Wahlkampfland Hessen. Was da passiert, ist eine Sauerei.
({12})
Nächster Redner ist der Kollege Manfred Kolbe, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Stadt
Dresden plante im Dezember letzten Jahres, alle städtischen Krippen und Hortplätze zu schließen. Sie hat zu diesem Zweck sämtlichen betroffenen Eltern kurz vor Weihnachten Kündigungen geschickt. Zu diesen Schließungen
ist es bis heute nicht gekommen. Im Stadtrat wird verhandelt und es liegen Kompromisslösungen vor. Dass eine
Stadt - aus welchen Gründen auch immer - meinte, diesen Weg gehen zu müssen, belegt wie kaum ein anderes
Beispiel eindrucksvoll die Finanznot unserer Kommunen.
Ähnliche Nachrichten erhalten wir in diesen Tagen aus
allen Kommunen unserer Wahlkreise: Jugendklubs und
Schwimmbäder werden geschlossen, Büchereiöffnungszeiten werden eingeschränkt. Jüngst wurde sogar einmal
kolportiert - das hat sich nicht als wahr herausgestellt;
aber man hat es zunächst geglaubt -, dass die Schüler einer Schule aufgefordert worden seien, ihr eigenes Klopapier mitzubringen.
({0})
Das stimmte zwar nicht; aber es wurde zunächst geglaubt,
Frau Scheel. Auch das belegt die Finanznot unserer Kommunen.
Unsere Kommunen, unsere Städte, unsere Gemeinden
und unsere Landkreise stecken in der schwersten Finanzkrise seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Um
diesen Fakt kommen Sie nicht herum.
({1})
Das gilt für ehemals reiche Kommunen, etwa die Landeshauptstadt München. Der dortige Oberbürgermeister ist
aus Protest gegen die Kommunalpolitik dieser Bundesregierung nicht zur Abschlusskundgebung mit dem Kanzler
gekommen.
({2})
- Warum war er denn im Urlaub? Fragen Sie ihn einmal,
warum er zum Abschluss des Bundestagswahlkampfs im
Urlaub war, Frau Scheel.
({3})
Das gilt aber auch für die ärmeren Kommunen im
Osten. Der Sächsische Städte- und Gemeindetag schätzt
die Lage der Städte und Gemeinden im Freistaat Sachsen
nicht nur als dramatisch, sondern sogar als katastrophal
ein, und das, obwohl es den sächsischen Kommunen im
Vergleich zu den anderen Kommunen im Osten noch am
besten geht.
Die Kommunen im Osten sind genauso wie die Kommunen im Westen betroffen. Sie sind allerdings aus vielerlei Gründen besonders betroffen. Das liegt zum einen
daran, dass bei ihnen die Steuerdeckungsquote niedriger
ist. Die Steuerdeckungsquote im Osten liegt nur noch bei
16,6 Prozent. Auf den Lebensunterhalt eines Menschen
bezogen hieße das, dass das Einkommen nur 16,6 Prozent
zu seiner Deckung beitragen würde. Alles andere muss
von anderer Seite kommen. Hier kann man nicht mehr von
kommunaler Selbstverwaltung reden.
Die Einnahmen der Kommunen gehen also zurück.
Außerdem leiden sie besonders unter den Aufgaben, die
der Bund ihnen aufbürdet. Jüngstes Beispiel hierfür ist das
Grundsicherungsgesetz.
({4})
Die Folge: Auch die Investitionen gehen zurück. Sie sind
in Sachsen von 3,1 Milliarden Euro im Jahr 1992 auf nur
noch 1,5 Milliarden Euro im Jahre 2001 zurückgegangen;
die kommunalen Investitionen wurden also halbiert. Dabei ist die sächsische Investitionsquote sogar noch die
höchste.
Wir müssen also handeln und brauchen keine Parteipolemik. Da stimmen wir überein. Nur, Frau Scheel, der
Bund muss handeln. Rot-Grün hat leider im Augenblick
im Bundestag die Mehrheit. Sie müssen handeln, wir als
Opposition können leider nicht handeln, wir hätten sonst
gehandelt. Das hat ja auch unser heute vorgestellter Gesetzentwurf gezeigt.
({5})
Sie müssen handeln, indem Sie erstens die Rahmenbedingungen nicht noch mehr verschlechtern. Da blicke
ich mit Sorge auf das Steuervergünstigungsabbaugesetz
und den Wegfall der gewerbesteuerlichen Organschaft.
Schauen Sie sich, Frau Staatssekretärin Hendricks, bitte
noch einmal ganz genau an, welche Auswirkungen das
etwa auf die Kommunen im Ostteil unseres Landes hat.
Ich höre aus etlichen Städten, dass denen bis zu 80 Prozent der Gewerbesteuereinnahmen wegbrechen würden.
Wenn das stimmt, führt das diese Städte und Gemeinden
weiter in den Abgrund.
Zweitens müssen wir sofort handeln. Da ist unser Gesetzentwurf, der die Änderung der Gewerbesteuerumlage
auf die alte Höhe vorsieht, der richtige Weg. Sie aber haben das abgelehnt.
Drittens muss die Kommission zur kommunalen
Finanzreform endlich die Arbeit aufnehmen. Sie haben ja
zu Recht vorhin einen Lacherfolg geerntet, als Sie sagten,
Sie hätten die Kommission eingesetzt.
({6})
Wir wollen jetzt Ergebnisse dieser Kommission sehen.
({7})
Die Bildung der Kommission wurde 1998 angekündigt,
bis heute, 29. Januar 2003, liegen keine Ergebnisse vor.
Ich höre jetzt, dass diese Reform zum 1. Januar 2004 in
Kraft treten soll. Das geht kaum.
({8})
- Wir nehmen Sie beim Wort, Frau Scheel. Wir sind gespannt, aber ich befürchte, das wird wieder handwerklich
unseriös gemacht und geht wieder zulasten der Kommunen. Handeln Sie endlich!
Danke.
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Bernd Scheelen für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die unzähligen Falschbehauptungen, die mir in den
fünfminütigen Redebeiträgen der Opposition zu Gehör
kamen, würden schon dazu reizen, sie alle hier einzeln
auseinander zu nehmen. Ich will das nicht tun, sondern
mich auf zwei beschränken.
Herr Kollege Michelbach, das Land Bayern - das wissen Sie ganz genau - hat zur Beseitigung der Flutschäden
5 Millionen Euro bekommen und behalten, nicht an die
Kommunen weitergegeben. Von Leuten wie Ihnen, deren
Partei auf Länderebene so handelt, lassen wir uns keine
Ratschläge erteilen.
({0})
Dann haben Sie genauso wie der Kollege Bernhardt geklagt, die vermeintlich verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik der rot-grünen Regierung sei der eigentliche
Grund, warum es im Moment Bund, Ländern und Gemeinden so schlecht gehe.
({1})
Ich will Ihnen die Gründe nennen. Es gibt zwei Gründe.
Der eine Grund
({2})
- völlig korrekt - sind die weltwirtschaftlichen konjunkturellen Verwerfungen, unter denen ein exportorientiertes Land wie die Bundesrepublik natürlich zu leiden
hat.
({3})
- Hören Sie doch einmal zu und reden Sie nicht immer dazwischen!
Der Hauptgrund ist der Scherbenhaufen, den Sie uns
1998 hinterlassen haben.
({4})
Der Scherbenhaufen bestand aus Rekordarbeitslosigkeit,
aus Rekordstaatsverschuldung und aus einem jährlich
maroderen Bundeshaushalt. Wir sind dabei, diese Schäden zu reparieren. Das ist ein hartes Stück Arbeit. Wir sind
dabei auf einem guten Wege.
({5})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Titel der
heutigen Aktuellen Stunde, die die CDU/CSU beantragt
hat, zeigt, wie unseriös und wie verlogen - vorhin wurde
auch schon einmal „pharisäerhaft“ gesagt ({6})
die Union mit wirklich wichtigen finanzpolitischen Themen umgeht.
Wir reden doch nicht von Steuererhöhungen, sondern
Sie reden davon. Wir sprechen von Subventionsabbau und
Sie machen Vorschläge zur Mehrwertsteuererhöhung. In
der „FAZ“ lese ich zum Beispiel, dass Herr Böhmer gestern gesagt hat, er könne sich eine Mehrwertsteuererhöhung durchaus vorstellen. Von uns haben Sie das bisher nicht gehört.
({7})
Sie sprechen sich für Steuererhöhungen aus, wir tun das
nicht.
({8})
Meine Damen und Herren, das drängende Problem
der schwierigen finanziellen Lage der Städte und Gemeinden sollte Ihnen eigentlich Anlass zu konstruktiver
Opposition sein. Aber das Einzige, was Ihnen einfällt, ist
die permanente Wiederholung des Märchens von den angeblichen Steuererhöhungen dieser Regierung - als
wenn die Gemeinden und auch die Länder und der Bund
das Problem hätten, dass es zu viel Steuereinnahmen
gäbe; das wäre die logische Konsequenz. Sie beklagen
auf der einen Seite, die Steuern seien zu hoch, und sagen
auf der anderen Seite, es gebe keine Einnahmen. Was
stimmt denn jetzt? Entweder sind die Steuern zu hoch
- dann müsste es auch relativ hohe Einnahmen geben oder das Umgekehrte gilt. Es passt nicht beides zusammen.
({9})
Sie setzen darauf, dass die Leute das nicht durchschauen. Aber halten Sie die Wähler nicht für so dumm
wie sich selber.
({10})
Der Rückgang des Gewerbesteueraufkommens, gerade
in den großen Städten, ist natürlich nicht nur eine Folge der
weltwirtschaftlichen konjunkturellen Verwerfungen, sondern auch eine Folge dessen, was Sie mit der Gewerbesteuer in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit veranstaltet
haben. Sie haben nämlich alle konjunkturunabhängigen
Bestandteile aus der Gewerbesteuer herausgenommen.
({11})
Jetzt, da die Konjunktur nicht so gut ist, wird deutlich, wie
abhängig die Gewerbesteuer von der Konjunktur ist. Sie
ist eben nicht - ich weiß nicht, wer von Ihnen das eben gesagt hat - antizyklisch, sondern gerade zyklisch, sie bewegt sich mit den Konjunkturzyklen: Läuft die Konjunktur gut, gibt es hohe Gewerbesteuereinnahmen, läuft die
Konjunktur nicht gut, sind sie niedrig. Das ist die Folge
Ihrer Politik.
({12})
Was ist nun der Beitrag der Opposition? Auf der einen
Seite beklagen Sie die desolate Lage der kommunalen
Haushalte, auf der anderen Seite lehnen Sie in Bezug auf
konkrete Maßnahmen - über die wir ja zurzeit im Finanzausschuss und demnächst auch hier im Hohen Hause reden - jede Verantwortung ab.
Aber diese Doppelzüngigkeit hat Tradition. Wir kennen das spätestens seit dem Jahre 2001. Seit Mitte 2001,
seitdem klar ist, dass sich die Situation bei den Gewerbesteuereinnahmen verschlechtert, haben wir Gegenmaßnahmen ergriffen.
({13})
Zum Beispiel im Zusammenhang mit der Unternehmensteuerfortführung haben wir konkrete Maßnahmen zum
Stopfen von Steuerschlupflöchern, die große Konzerne
nutzen - ich nenne das Stichwort Mehrmütterorganschaft,
ein Steuersparmodell für Konzerne -, ergriffen, die Sie
aber abgelehnt haben.
({14})
Sie lehnen ganz konkrete Hilfsmaßnahmen für die Gemeinden ab.
Dasselbe gilt für das Steuervergünstigungsabbaugesetz. Die Kollegin Andreae hat die Zahlen vorhin vorgetragen. Es geht in diesem Jahr konkret um 600 Millionen Euro Soforthilfe für die Gemeinden - Sie sind
dagegen. Es geht im nächsten Jahr um Hilfe in Höhe von
2 Milliarden Euro - Sie sind dagegen. Es geht um Hilfe in
Höhe von 2,5 Milliarden Euro im übernächsten Jahr und
3 Milliarden Euro im Jahr 2006 - Sie sind dagegen, Sie
lehnen das ab. Das müssen Sie den Menschen draußen
und Ihren Kommunalpolitikern vor Ort selber erklären.
Das ist doppelzüngig und pharisäerhaft.
({15})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dass wir die
Probleme nicht allein mit dem Stopfen von Steuerschlupflöchern in den Griff bekommen werden, ist völlig
klar.
({16})
Es ist mehrfach auf die Kommission hingewiesen worden,
die eingesetzt worden ist, um die Gemeindefinanzen einer
Überprüfung zu unterziehen. Das eine Ziel ist, die Einnahmeseite zu verstetigen, das andere Ziel, die Ausgabenseite der Kommunen neu zu gestalten. Ich glaube, die
Kommission ist da auf einem guten Wege. Wir werden
den Zeitplan einhalten und die Reform zum 1. Januar
nächsten Jahres in Kraft setzen.
Herr Kollege Scheelen, denken Sie an die Redezeit.
Ich kann damit im Grunde schließen.
Vielleicht noch ein Satz zu der hier öfter angesprochenen Frage der Zurückführung der Gewerbesteuerumlage.
Da hat, glaube ich, der Kollege Bernhardt vorhin ein paar
falsche Behauptungen aufgestellt.
({0})
Sie haben gesagt, es sei davon ausgegangen worden,
durch die Steuerreform würde die Wirtschaft so boomen,
dass die Gemeinden Mehreinnahmen hätten. Das war eine
Hoffnung, aber nicht die Begründung für die Maßnahmen
bei der Gewerbesteuerumlage. Schauen Sie einmal genau
in den Gesetzentwurf und fragen Sie die kommunalen
Spitzenverbände.
({1})
Dahinter steckte, dass bei den Steuersenkungen, die wir
vorgenommen haben, in Bereichen, in denen die Gemeinden nicht tangiert waren, Bund und Länder Ausfälle hatten, zum Beispiel bei der Körperschaftsteuer, sie aber bei
den gegenfinanzierenden Maßnahmen begünstigt waren.
({2})
Um da einen Ausgleich herbeizuführen, wurde etwas an der
Stellschraube der Gewerbesteuerumlage gedreht. Das geschah mit Zustimmung der kommunalen Spitzenverbände.
Deswegen ist klar, dass es im nächsten Jahr eine Reform geben wird. Diese wird den Gemeinden helfen, nicht
Ihre kurzfristigen Vorschläge, die nur populistisch sind
und zu Wahlkampfzwecken missbraucht werden, denn in
vier Tagen wird ja in zwei Ländern gewählt. Das ist der
einzige Grund, warum Sie eine Aktuelle Stunde zu diesem
Thema beantragt haben.
Herzlichen Dank.
({3})
Ich bitte die nachfolgenden Redner zu beachten, dass
mein Hinweis auf die Redezeit nicht als Ermutigung für
zwei weitere Minuten Redezeit gemeint ist und dass ich
nur ungern durch das Abschalten des Mikrofons die Einhaltung der Redezeit sicherstellen möchte.
Nächster Redner ist der Kollege Klaus-Peter Flosbach,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
katastrophale Situation der Kommunen ist hinlänglich bekannt, allerdings nicht der SPD, wie ich soeben gehört
habe. Es ist ein wahres Vergnügen, zu hören, dass Frau
Scheel und Frau Andreae immerhin bestätigen, dass es
den Kommunen schlecht geht und dass sie am finanziellen Abgrund stehen.
({0})
Ich bin allerdings erstaunt, wie beratungsresistent Sie
sind, wenn es darum geht, den Kommunen Hilfe zu leisten. Da fordert heute in der Zeitschrift „Impulse“ das
({0})
Das Ende der Fahnenstange ist erreicht. Bund und
Land müssen sofort eine Rettungsaktion für die
Kommunen starten.
Da fordern alle kommunalen Spitzenverbände und all diejenigen, die Ahnung von Kommunalfinanzen haben, die Reduzierung der Gewerbesteuerumlage, weil - das hat Herr
Bernhardt sehr deutlich gesagt - die Geschäftsgrundlage
entfallen ist. Doch Hans Eichel und die rot-grüne Koalition
lehnen nach wie vor die Reduzierung dieser Gewerbesteuerumlage ab. Das ist und bleibt skandalös.
({1})
Herr Scheelen, es gibt nun das neue - ich will es von
vornherein richtig bezeichnen - Steuererhöhungsprogramm.
({2})
Dieses Steuererhöhungsprogramm gibt den Kommunen
im Grunde den entscheidenden Stoß für den Schritt in den
Abgrund. Sie treffen nämlich mit diesen Maßnahmen die
Wirtschaft mitten ins Herz.
({3})
Sie sind bei der Anhörung am 15. Januar dabei gewesen. Ich will einmal den exotischen Professor ausklammern und nur die Aussagen der anderen anwesenden
Sachverständigen betrachten. Über 90 Prozent der Experten waren der Meinung, dass dieses Gesetzespaket von
Ihnen zurückgezogen werden muss.
({4})
In diesem Paket sind beispielsweise die Mindestbesteuerung,
({5})
die Verschlechterung im Wohnungsbau und im Immobilienbereich sowie die Neidsteuer für Dienstwagenbesitzer
enthalten. All dieses beschleunigt den konjunkturellen
Abschwung und wird dazu führen, dass die Kommunen
eben nicht mehr Geld, sondern wegen des Ausfalls der Ertragsteuern noch weniger Geld in der Kasse haben.
({6})
Sie versprechen allen Kommunen in Deutschland im
Rahmen dieses Steuererhöhungsprogramms für 2003 einen Anteil an der Umsatzsteuer in Höhe von 30 Millionen Euro. Aber das Verbraucherverhalten und der Schaden für Handel und Landwirtschaft finden in Ihrer
statischen und fiskalischen Betrachtung keinerlei Berücksichtigung. An dieser Stelle ein Hinweis: Diese 30 Millionen Euro reichen gerade aus, um in meinem Wahlkreis,
einem ländlichen Bezirk, die laufenden Defizite in den
Verwaltungshaushalten auszugleichen.
Minister Stolpe fordert jetzt ein, wie er es nennt, Sonderinvestitionsprogramm für besonders belastete Städte.
Welche Städte sind denn nicht besonders belastet? Ich
empfehle Ihnen: Halten Sie sich an Ihr Regierungsprogramm! Auf Seite 22 schreiben Sie, dass Sie erstens die
Finanzkräfte der Kommunen insgesamt stärken wollen
und dass Sie zweitens wegen der Aufgabenverlagerung
auf die Kommunen einen Finanzausgleich schaffen wollen. Das ist also, wie wir es nennen, die Verwirklichung
des Konnexitätsprinzips.
Warum halten Sie sich nicht an Ihr eigenes Programm?
Was tun Sie? Sie setzen eine Regierungskommission - der
Kollege Kolbe hat es gerade schon gesagt - zur Reform
des Gemeindefinanzsystems ein. Nach vier Jahren
Ankündigung schaffen Sie es endlich, im Mai 2002 die
konstituierende Sitzung einzuberufen.
({7})
Die Kommission hat seitdem einmal getagt.
In der Kommission sollen die Kommunalsteuern sowie
die Arbeitslosen- und Sozialhilfe behandelt werden. Aber
warum werden andere wesentliche Bereiche ausgeschlossen? Die Aufgabenverlagerung und die Kostenverlagerung auf die Kommunen werden nicht diskutiert.
({8})
Das in Ihrem Regierungsprogramm proklamierte Konnexitätsprinzip findet keine Anwendung.
({9})
Zweitens. Ausgeschlossen von der Diskussion wird der
Abbau der Mischfinanzierung. Drittens. Ausgeschlossen
wird eine Verschiebung der Finanzen zwischen den Ebenen
Bund, Länder und Kommunen. Das hat für die Kommunen
eine sehr große Bedeutung, weil - viertens - die Lösungen
für das voluminöse Anwachsen der Kosten und der sozialen Aufgaben ausgeschlossen sind. Bei den sozialen Aufgaben handelt es sich beispielsweise um Eingliederungshilfen für Behinderte, Hilfen zum Lebensunterhalt oder
Hilfe zur Pflege sowie Pflegewohngeld. Dort, wo die Kosten bei den Kommunen aufgrund der demographischen
Entwicklung besonders dynamisch steigen, finden sie keinerlei Unterstützung bei der Bundesregierung.
({10})
Der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Herr
Poß, ist nicht mehr anwesend. In den letzten Tagen wurde
er in mehreren Zeitungen dahin gehend zitiert, dass strukturelle Korrekturen und keine Lastenverschiebungen notwendig seien. Hören Sie doch endlich auf, die Lasten auf
die Kommunen zu verschieben!
({11})
Nehmen wir das Beispiel der Grundsicherung im Rentensystem. Was haben die Kommunen mit der Rente zu
tun? In meinem Heimatkreis sind die Belastungen durch
die Grundsicherung höher als alle freiwilligen Ausgaben
des Kreises zusammen.
({12})
Frau Andreae, wir leben nicht über unsere Verhältnisse.
Sie nutzen die Kommunen aus. Damit gehen Sie an die
Wurzel der Demokratie und zerstören ein Stück Demokratie.
({13})
Wenn das Finanzministerium für drei Tage schließt,
wirkt sich das auf die Bürger nicht aus. Das merkt keiner.
Wenn aber in einer Gemeinde für drei Tage die Verwaltung,
die Schulen, die Kindergärten, die Müllabfuhr oder der öffentliche Personennahverkehr nicht arbeiten, bricht das öffentliche Leben zusammen. Ihre Taten sind weit entfernt
von Ihren Ankündigungen und Programmen. Auch die
heute erwähnten guten Vorsätze bringen nichts. Es gibt alle
guten Vorsätze; Sie brauchen sie nur noch anzuwenden.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat die Kollegin Simone Violka, SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich will an die Rede meines Vorredners anknüpfen, weil ich die Aussage „Wer bestellt hat, soll auch
bezahlen!“ nicht stehen lassen kann. Wenn der Bund an
die Länder zahlt und dort Finanzminister mit klebrigen
Fingern sitzen, die das Geld an die Kommunen nicht weiterleiten,
({0})
dann kann der Bund nichts dafür. In Deutschland gibt es
leider jede Menge Finanzminister mit klebrigen Fingern.
({1})
Ich komme aus einem Land, in dem der Finanzminister
besonders klebrige Finger hat.
({2})
Komischerweise ist es so, dass die Opposition ihr Herz für
Kommunen und ihre Steuerprobleme immer erst dann
entdeckt, wenn Wahlen vor der Tür stehen. Das ist so offensichtlich, dass es fast unerträglich ist.
Herr Kolbe hat Dresden angeführt. Leider hat er vergessen, zu sagen, dass dieser besonders kinderfreundliche
Bürgermeister ein FDP-Mann ist. Vielleicht können Sie
ihm einen schönen Gruß bestellen und ihm einmal Ihr Programm zur Verfügung stellen. Ich glaube nicht, dass in
Ihrem Programm das mit den Kindergärten vorgesehen ist;
es sei denn, Sie haben Ihr Herz für Familien neu entdeckt.
({3})
In Sachsen gibt es zwei andere große Städte, die die
gleichen Voraussetzungen haben, nämlich Leipzig und
Chemnitz. Die Bürgermeister Tiefensee und Seifert, beide
von der SPD, kommen gar nicht auf die Idee, ihre Kommunalfinanzen durch die Schließung von Kindergärten zu
verbessern.
({4})
Wenn die Steuerpolitik der Bundesregierung tatsächlich so schlecht ist, frage ich mich, warum die CDU/CSU
vor den Wahlen durch das Land gezogen ist und gesagt
hat: Wenn wir an die Macht kommen, dann - das versprechen wir euch - wird die dritte Stufe sofort umgesetzt, damit ihr nicht auf das Geld verzichten müsst.
({5})
Jetzt ist die Steuerreform plötzlich schlecht. Das glaubt
doch kein Mensch mehr!
({6})
Was ist mit den anderen Wahlversprechen? Steuern
herunter! Steuern herunter! Steuern herunter! Natürlich
dürfen damit aber keine Steuerausfälle verbunden sein!
({7})
Wie soll das denn finanziert werden?
({8})
Mit der gleichen Blauäugigkeit, mit der Sie dieses
Land von 1990 bis 1998 in den finanziellen Ruin geführt
haben? Immer hieß es: Es wird schon jemand richten! Der
Herrgott wird es schon richten! Die Konjunktur wird es
schon richten! - Acht Jahre lang hat die Konjunktur es
nicht richten können.
({9})
Das Desaster haben wir übernehmen müssen.
({10})
Neuverschuldung ist für Sie nichts Neues. Herr Koch
macht das in Hessen zurzeit nach, besser gesagt: vor.
Allein 2002 explodierte die Nettoneuverschuldung in
Hessen auf einen Rekordwert von 2 Milliarden Euro. Das
muss man sich einmal vorstellen. Wer soll denn das bezahlen? Herr Koch scheint mit keiner sehr langen Lebensdauer zu rechnen, wenn er sagt: Ich mache einfach
Schulden, sollen sich doch die anderen mit den Zinsen beschäftigen.
Außerdem macht er vor, wie man sich als Ministerpräsident bei den Kommunen ungeniert bedienen kann.
100 Millionen Euro werden aus dem kommunalen Investitionsfonds locker in den hessischen Landeshaushalt umgeleitet.
({11})
- 200 Millionen Euro wurden bestätigt.
({12})
Auch sonst ist Herr Koch nicht kleinlich im Hinblick
auf Luftbuchungen und fiktive Einnahmen. Aber er verkündet natürlich, dass er die Konsolidierung des Haushaltes fortführen will. Schließlich habe man ja in der laufenden Legislaturperiode eine erfolgreiche Konsolidierung
durchgeführt.
({13})
Konsolidierung bei einer Neuverschuldung in Höhe von
2 Milliarden Euro und Buchungen, die selbst der Hessische Städtetag als politisch unzulässig und rechtlich bedenklich bezeichnet? Herr Koch sollte einmal eine brutalstmögliche Überprüfung seines Haushaltes veranlassen,
bevor er den Wählern so etwas vorsetzt.
({14})
Vielleicht holt er sich ja Rat bei seinen Kollegen aus
Sachsen. Von dort bekommt er bestimmt ein paar tolle Hin1652
weise, wie man den Kommunen jede Menge Geld aus der
Tasche ziehen kann. Die CDU in Sachsen hat die Schlüsselzuweisungen wieder gesenkt. In einer Stadt in meinem
Wahlkreis, in Oelsnitz im Erzgebirge mit 13 000 Einwohnern, macht das in diesem Jahr eine Summe von
300 000 Euro aus.
({15})
- Weil die Schlüsselzuweisungen heruntergefahren worden sind. Warum denn sonst?
({16})
Das Schlimme ist: Sachsen hat es - meines Wissens als
einziges Bundesland - nicht nötig, sich finanziell an der
Landeswohlfahrt zu beteiligen. Ich weiß nicht, warum das
in Sachsen noch Landeswohlfahrt heißt und nicht Wohlfahrt der Kreise und kreisfreien Städte. Auf die wird das
nämlich umgewälzt. Man sollte einmal überlegen, wer bestellt und wer bezahlt.
Das Problem ist,
({17})
dass die Kommunen diejenigen sind, die das ausbaden
müssen, was die Länder auf die Kommunen abwälzen.
Die Länder stecken nämlich das Geld, das sie vom Bund
bekommen, in die eigene Tasche.
({18})
Sachsen brüstet sich doch überall damit, dass es die
niedrigste Verschuldung hat. Aber es gibt dort jede Menge
Kommunen, die am Boden liegen, weil sie vom Land die
Gelder, die ihnen zustehen, nicht bekommen.
({19})
Dafür kann der Bund nichts!
({20})
Das ist ein Landesproblem!
Mir kann man nicht vorwerfen, dass ich mich in den
Kommunalfinanzen nicht auskenne. Ich bin seit 1994
Kommunalpolitikerin!
({21})
Nächster Redner ist der Kollege Jochen-Konrad
Fromme, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Scheel, Sie haben von Nebelkerzen gesprochen. Sie sollten das, was Sie in den Zeitungen verkünden, einmal damit vergleichen, wie Sie in den Ausschüssen und im Bundestag abstimmen. Dazwischen liegen
Welten.
({0})
Dass Sie nicht gemerkt haben, dass bei den Kommunen etwas nicht stimmt, verstehe ich nicht. Die niedersächsischen Kommunen haben schon im Jahre 2001
10 Prozent ihrer laufenden Ausgaben mit Kassenkrediten
bestritten. Wenn das kein katastrophaler Zustand ist, dann
weiß ich nicht, wie man das ansonsten bezeichnen soll.
Falls Sie das wirklich nicht begriffen haben, frage ich
mich, auf welche Art und Weise Sie sich mit Kommunalfinanzen beschäftigt haben. Die „FAZ“ hat diesen Zustand vor kurzem als „Schröders Erbe“ bezeichnet. Das,
was er in Niedersachsen angerichtet hat, hat er nahtlos im
Bund fortgesetzt.
({1})
Die Menschen haben endlich den Unterschied zwischen Gerhard Schröder und einer Telefonzelle begriffen:
Bei der Telefonzelle müssen sie erst bezahlen und dürfen
dann wählen. Bei Gerhard Schröder dürfen sie erst wählen
und müssen dann bezahlen.
({2})
Deshalb, mein lieber bibelfester Herr Kollege, wird zu
Lichtmess, also in der übernächsten Woche, das passieren,
was auch schon früher passiert ist: Altes Personal wird in
die Wüste geschickt und neues Personal kommt. Denn die
Menschen haben dies durchschaut.
({3})
Drei Ursachen sind maßgeblich für die kommunale
Finanzkrise: die katastrophale Wirtschaftslage, die Eingriffe von Bund und Ländern in die Kommunalhaushalte
und die Ausgabenexplosion. Ihre Wirtschaftspolitik ist es
gewesen, die die Abwärtsspirale in Deutschland eingeleitet hat. Sie haben immer noch nicht begriffen: Wer die
Steuern erhöht, wird am Ende weniger Einnahmen haben.
Das trifft die Kommunen viel härter als die anderen
Ebenen.
({4})
Wenn die Kommunen noch die Finanzkraft von 1991 hätten, dann könnten sie im Rahmen von Investitionen
durchaus ein halbes Prozent mehr zum Bruttosozialprodukt beitragen. Diese Möglichkeit haben Sie ihnen weggenommen. Deswegen können die Kommunen keine Aufträge mehr vergeben. Das heißt, es gibt weniger Arbeit,
mehr Arbeitslose, weniger Steuereinnahmen und mehr
Sozialhilfeausgaben. Mit Ihren Maßnahmen treiben Sie
diesen Kreislauf an.
Sie sagen, Sie würden nicht an Steuererhöhungen denken. Dazu muss ich feststellen: Ihr künftiger Finanzministerkandidat - denn alle Ministerpräsidenten, die abgewählt worden sind, haben auf der Regierungsbank Platz
genommen ({5})
kommentiert Ihre Politik als Voodoo-Ökonomie. Er ist
kein sehr glaubwürdiger Zeuge; denn er spricht von einer
Erhöhung der Erbschaftsteuer, der Vermögensteuer, der
Verkaufsteuer, der Dienstwagensteuer, der Akademikersteuer, der Erbschaftsteuer, der Spekulationsteuer, der
Tabaksteuer, der Ökosteuer und der Versicherungsteuer.
Meine Damen und Herren, das ist Ihr Fehler: Sie nehmen den Menschen und der Wirtschaft die Kaufkraft und
beschleunigen den Kreislauf nach unten.
({6})
Sie bereichern sich schamlos an den Kommunen. Ein
Beispiel dafür ist die letzte Tarifrunde. Einer Ihrer Hauptsprecher war ja der niedersächsische Finanzminister, der
offensichtlich um seinen Job fürchtet und deshalb einem
unverantwortlichen Abschluss zugestimmt hat. Wie sieht
denn die Bilanz des Tarifabschlusses aus? Der Bund hat
Mehreinnahmen von 97 Millionen Euro, weil er nämlich
durch den Tarifabschluss mehr Steuern zusätzlich einnimmt, als er überhaupt Kosten hat. Die Länder haben
467 Millionen Euro minus und die Kommunen 1,8 Milliarden Euro minus. Diesen Abschluss haben Sie nur gemacht, weil Sie zu den Wahlen keinen Streik haben wollten. Stattdessen haben Sie einen vernünftigen Abschluss
verhindert. So gehen Sie vor.
({7})
- Dank der Enthaltung von Niedersachsen ist das Ergebnis zustande gekommen. Jetzt frage ich mich: Was ist
denn in Niedersachsen los? Die haben doch nur Angst gehabt! Das waren doch Ihre Leute.
Sie bereichern sich auf unsägliche Art und Weise bei
den Kommunen. Ich nehme nur einmal das Beispiel Kindergeld. Ihre Ministerpräsidenten Voscherau - da sitzt
schon der Nach-Nachfolger -, Eichel, Schröder und
Lafontaine - wo ist er eigentlich? Ach nein, der kommt
erst wieder ({8})
haben im Grundgesetz festgeschrieben, dass die Kommunen nicht stärker belastet werden dürfen.
({9})
- Von dem hat damals noch keiner geredet; der lag noch
in den Windeln. Wenn ich mir die Bilanz ansehe, stelle ich fest, dass
Länder und Kommunen 1,6 Milliarden Euro mehr als
nach der grundgesetzlich vorgeschriebenen Regelung
zahlen.
Das ist Ihre Politik „zugunsten“ der Kommunen. Deswegen haben sie keine Finanzkraft mehr. Deswegen können sie keine Ausgaben mehr vornehmen. Stimmen Sie
deswegen endlich einem richtigen Kurs zu! Betreiben Sie
die richtige Wirtschaftspolitik! Betreiben Sie Aufgabenabbau auf der Ausgabenseite, damit die Haushalte endlich
wieder saniert werden! Stimmen Sie als Sofortmaßnahme
der Gewerbesteuerumlagensenkung zu! Denn das geht
schnell. Das kann jeder Kämmerer ausrechnen. Da kann
er Hoffnung schöpfen. Daraus kann er Aufträge für die
Wirtschaft machen. Dann kann es weitergehen.
Aber reden Sie nicht von der „Wundertüte“ Gemeindefinanzreform!
({10})
- Wir wollen eine, aber die richtige. - Sie haben gesagt:
Da gibt es keine Minderausgaben; da gibt es keine Mehreinnahmen. Wenn es keine Mehreinnahmen gibt und man
sich mit der Ausgabenseite nicht beschäftigt, kann bei der
Gemeindefinanzreform keine Sanierung der Kommunalfinanzen herauskommen. Das ist doch Ihr Problem.
({11})
Sie leben in einer völlig anderen Wirklichkeit. Sie malen sich wie Frau Scheel ein Bild und sagen: Bis 2001 war
alles in Ordnung;
({12})
erst vor ein paar Tagen haben wir durch den Städtetag davon erfahren. - So haben Sie es eben gesagt. Sie haben die
jahrelangen Meldungen gar nicht zur Kenntnis genommen.
Meine Damen und Herren, ich sage es noch einmal.
Eines ist doch völlig klar: Die Menschen haben erkannt,
dass sie mit Ihnen auf der Abwärtsspirale und nicht auf der
Aufwärtsspirale weiterkommen. Deswegen wird es am
2. Februar die Einleitung einer Wende geben. Sie werden
dann einen neuen Finanzminister haben. Wir freuen uns
schon auf seine Voodoo-Ökonomie.
({13})
Nun hat die Parlamentarische Staatssekretärin Frau
Dr. Barbara Hendricks das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst einmal: Ich werde natürlich auch in der nächsten Woche und in der Zukunft sehr gerne und effizient mit
Finanzminister Eichel zusammenarbeiten.
({0})
Herr Kollege Kolbe, Sie haben vorhin eine Geschichte erzählt: Angeblich sollten Schülerinnen und
Schüler selber Toilettenpapier in die Schule mitbringen.
Sie haben dann gesagt: Das stimmte zwar nicht, wurde
aber zunächst geglaubt. - Genau so verfahren Sie hier:
Das stimmt zwar nicht, soll aber zunächst geglaubt werden.
({1})
Diese - im doppelten Sinne - Latrinenparolen, die Sie
durch dieses Beispiel verstärkt haben, muss man einmal
deutlich zurückstoßen.
In den ganzen 90er-Jahren hat das Gewerbesteueraufkommen aller Kommunen in der Bundesrepublik
Deutschland zusammen in der Größenordnung von 40 bis
45 Milliarden DM gelegen. Im Jahr 1998 betrug das Gewerbesteueraufkommen 46 Milliarden DM. Im Jahr 1999
waren es 50 Milliarden DM. Im Jahr 2000 wurden 53 Milliarden DM und damit ein Nachkriegsrekord erreicht.
({2})
Wir hatten, wie Sie wissen, schon 1999 und 2000 unsere ersten Steuersenkungsschritte eingeleitet, bei der Einkommensteuer, im Eingangsteuersatz, im Spitzensteuersatz und bei der Anhebung des Grundfreibetrages. Die
entscheidende Steuerreformstufe kam im Jahr 2001.
({3})
Trotz all Ihrer Debatten - man muss die Steuern senken,
damit die Wirtschaft läuft -, war es leider so, dass im
Jahr 2001 die Gewerbesteuer bei einer Größenordnung
von 46 Milliarden verharrte. Damit war übrigens wieder
die Größenordnung von 1998 und eigentlich der ganzen
90er-Jahre erreicht.
({4})
In der Tat war das im Verhältnis zur einsamen Spitze des
Jahres zuvor von 53 Milliarden DM ein deutlicher Einbruch. Aber es war die Größenordnung, die in den ganzen
90er-Jahren die Gewerbesteuer in der Bundesrepublik
Deutschland ausgemacht hat. Wir haben die abschließenden Zahlen für das Jahr 2002 noch nicht; wir haben hier
bisher nur geschätzte Zahlen. Ich vermute, dass wir etwa
in der Größenordnung des vergangenen Jahres liegen werden. Ich kann das natürlich nicht genau sagen. Wahrscheinlich liegt das Gewerbesteueraufkommen wieder in
der Größenordnung der ganzen 90er-Jahre.
Jetzt kommen wir noch einmal zur ständig erhobenen
Forderung nach einer Absenkung der Gewerbesteuerumlage.
({5})
Kollege Scheelen hat schon darauf hingewiesen: Als
wir das Steuersenkungsgesetz beschlossen haben, betrug
das Aufkommen der Gemeinden am Steueraufkommen
12,3 Prozent. Inklusive der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage wurden die Kommunen mit einem Anteil von
8,9 Prozent an den Steuereinnahmeausfällen beteiligt. Sie
sind also unterproportional beteiligt worden.
({6})
Das haben die kommunalen Spitzenverbände anerkannt.
Im Gesetz steht, dass wir im Jahr 2004 den angemessenen
Ausgleich über die Gewerbesteuerumlage überprüfen
werden.
({7})
Im Jahr 2006 werden wir sie wieder absenken. Dies geschah mit Zustimmung der kommunalen Spitzenverbände. Selbstverständlich hat sich das Steueraufkommen
in den letzten Jahren insgesamt nicht positiv entwickelt,
({8})
weder für die Kommunen noch für den Bund und die Länder. Trotzdem stimmt die anteilige Finanzierung der
Kommunen natürlich immer noch genauso wie vorher.
({9})
Deswegen ist die isolierte Forderung nach einer Absenkung der Gewerbesteuerumlage einfach nicht zu verstehen.
Ich darf im Übrigen noch auf Folgendes aufmerksam
machen: Zwei Drittel der Gewerbesteuerumlage gehen
zugunsten der Länder und ein Drittel zugunsten des Bundes.
({10})
Als die bayerische Landtagsfraktion der SPD nach dem
ersten Vorpreschen der Bayerischen Staatsregierung, wofür sie im Bundesrat zunächst keine Mehrheit gefunden hatte, den Antrag gestellt hat, wenigstens in Bayern
zwei Drittel zugunsten der Kommunen zu geben, haben
sie es natürlich abgelehnt.
({11})
Daran erkennt man ja auch, dass dies alles nur Schaufensteranträge sind, die den Zweck haben: Das stimmte zwar
nicht, sollte aber zunächst geglaubt werden. Das sage ich
noch einmal in Ihre Richtung.
({12})
Jetzt kommen wir noch einmal zu anderen Punkten.
Herr Flosbach hat hier angekündigt: Wenn wir das Steuervergünstigungsabbaugesetz jetzt verabschieden würden, dann wäre dies der endgültige Todesstoß für die deutsche Wirtschaft und damit einhergehend der endgültige
Todesstoß für die deutschen Kommunen.
({13})
Als Beispiel hat Herr Kollege Flosbach die so genannte
Mindestgewinnbesteuerung angesprochen. Ich weiß auch,
dass das von Sachverständigen und Interessenvertretern
in der Anhörung durchaus kritisch betrachtet worden ist.
({14})
Ich darf Sie aber darauf hinweisen, dass im Haushaltsplan
des Landes Hessen für das Jahr 2003 unter Bezugnahme
auf Körperschaftsteuer und Mindestgewinnbesteuerung
140 Millionen Euro an Mehreinnahmen eingestellt worden sind, weil der famose Kollege Koch sonst überhaupt
keinen verfassungsmäßigen Haushalt mehr aufstellen
könnte.
({15})
Mit derselben Begründung - zusätzliche Einnahmen
aus der Mindestgewinnbesteuerung - hat der Kollege
Müller im Saarland plus 10 Millionen Euro in seinen zugegebenermaßen kleineren Haushalt eingestellt. Hören
Sie also auf, hier herumzureden! Nur mit diesen Maßnahmen können Ihre Kollegen aus den Ländern ihren Haushalt wenigstens noch verfassungsgemäß aufstellen, im
Vollzug werden sie es bei dem Ausgabeverhalten, das sie
an den Tag legen, nicht schaffen.
({16})
Ich möchte noch einen Hinweis zur so genannten Lastenverschiebung machen. Ich weiß, man soll nach vorn
schauen, aber wenn gerade Sie sagen, wir würden eine
Verschiebung zulasten der Kommunen vornehmen, dann
darf man doch einmal daran erinnern, dass im Zuge der
Novellierung des § 218 StGB die alte Bundesregierung
mit den alten Mehrheiten in diesem Parlament den Kommunen aufgegeben hat, Kindergartenplätze für alle Dreibis Sechsjährigen zu schaffen. Das ist eine zweifellos
sinnvolle Maßnahme, aber beschlossen ohne irgendeinen
Ausgleich!
({17})
Frau Staatssekretärin, gestatten Sie eine kurze Unterbrechung.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es wäre schon gut,
wenn hauptsächlich der gemeldete Redner oder die gemeldete Rednerin das Wort hätte. Das gilt für alle Seiten.
Es erleichtert vor allen Dingen die Vermittlung dessen,
was hier gemeint ist, nach draußen.
Herzlichen Dank, Herr Präsident! - Sie wissen genau,
dass wir 410 Millionen Euro - die Kollegin Kerstin
Andreae hat darauf hingewiesen - zur Finanzierung der
Grundsicherung an die Kommunen über die Länder überweisen. Zudem haben wir ins Gesetz geschrieben, dass
wir im Jahr 2005, also nach zwei Jahren, eine Spitzabrechnung vornehmen werden. Das ist das Konnexitätsprinzip in Reinkultur.
({0})
Die meisten Kommunen wären froh, wenn ihre Länder so
mit ihnen umgehen würden.
Dann stellt sich die Frage: Was ist mit den Personalkosten? Ich will ein Beispiel nennen. Mein Heimatkreis
Kleve hat 300 000 Einwohner. Der Landrat geht davon aus,
dass es 300 Fälle von Grundsicherung im Kreis Kleve gibt.
Dafür können Sie nicht einmal eine zusätzliche Person beschäftigen; denn das würde ja bedeuten, dass sie bei rund
200 Arbeitstagen etwa anderthalb Anträge pro Tag behandeln müsste. Sie nehmen doch wohl nicht ernsthaft an, dass
man dafür tatsächlich zusätzliches Personal einstellen muss.
Ein kurzer Hinweis: Manchmal sind die Forderungen
der Kommunen, was die Personalkosten anbelangt, etwas
seltsam. Ich erinnere an einen Oberbürgermeister in diesem Fall mit SPD-Parteibuch, der erklärt hat - inhaltlich
mag man davon halten, was man will, das will ich hier
nicht debattieren -, wegen der Einführung der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften müsse er fünf zusätzliche Standesbeamte einstellen. Wahrscheinlich gibt es
in der ganzen Bundesrepublik noch nicht einmal 1 000 eingetragene gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften,
aber in einer bestimmten Großstadt brauchte man fünf zusätzliche Standesbeamte! Manchmal ist das Klagen ein
bisschen arg weit hergeholt.
({1})
Letzte Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Frau
Dr. Gesine Lötzsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Ich bin Abgeordnete der PDS.
({0})
Städte, Gemeinden und Landkreise schlagen Alarm.
Die schwerste kommunale Finanzkrise in der Geschichte
der Bundesrepublik schwebt wie ein Damoklesschwert
über den allermeisten der 14 000 Rathäuser und 323 Landratsämter in Deutschland. Mitte des Jahres 2002 hatten
die Kommunen Kassenkredite in Höhe von insgesamt
11,7 Milliarden Euro in Anspruch genommen, zehnmal
mehr als noch 1992. Das Finanzierungsdefizit der Städte,
Gemeinden und Landkreise wird in diesem Jahr voraussichtlich die Rekordhöhe von 9,9 Milliarden Euro erreichen, das sind gut 3 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr.
Man muss klar sagen: Die rot-grüne Bundesregierung
trägt mit ihrer Steuer- und Haushaltspolitik die Hauptverantwortung für die größte kommunale Finanzkrise seit
dem Zweiten Weltkrieg. Mit ihrem Steuersenkungs- und
Unternehmensteuergesetz aus dem Jahr 2000 hat die Steuerreform Löcher in bis dato nicht bekanntem Umfang in
die kommunalen Haushalte gerissen und damit den Bestand kommunaler Selbstverwaltung überhaupt gefährdet.
({1})
Rot-Grün war schon vor viereinhalb Jahren mit dem
Versprechen angetreten, das Gemeindefinanzsystem auf
den Prüfstand zu stellen und die Finanzkraft der Kommunen zu stärken.
Aber auch CDU/CSU und FDP können nicht so tun, als
hätten sie mit der Misere nichts zu tun. Sie haben fortwährend die Gewerbesteuer ausgehöhlt und damit ein
wahrlich unrühmliches Erbe mit negativen Auswirkungen
auf die Kommunalfinanzen hinterlassen. Auch wenn
diese Situation jetzt noch verschärft wurde, ist es wahrlich
nicht gerechtfertigt, dass Sie, meine Damen und Herren
von CDU/CSU und FDP, sich hier jetzt als Heilsbringer
für die Kommunen aufspielen.
({2})
Denn das Erbe, das Sie den Kommunen hinterlassen haben, war kein gutes.
Zurück zur Verantwortung der Bundesregierung: Nur
auf Druck der kommunalen Spitzenverbände war von der
Bundesregierung wenige Wochen vor der letzten Bundestagswahl überhaupt eine Kommission für die Reform der
Kommunalfinanzen eingesetzt worden. Leider, so muss
man sagen, lautet das unrühmliche Fazit bis jetzt: Außer
Spesen nichts gewesen! Die beiden nach der Bundestagswahl angesetzten Kommissionssitzungen fielen durch
Verschulden der Bundesregierung buchstäblich ins Wasser.
Die Kommunen brauchen jetzt als Soforthilfe dreierlei;
ich will Ihnen die diesbezüglichen Vorschläge der PDS
unterbreiten.
Erstens. Die im Rahmen der Steuerreform beschlossene Erhöhung der Gewerbesteuerumlage muss rückgängig gemacht werden. Damit hätten die Städte und Gemeinden sofort 2,3 Milliarden Euro an Gewerbesteuer
mehr in der Tasche.
({3})
Zweitens. Die gewerbesteuerliche Organschaft, die
eine für viele Kommunen verheerende Gewinn- und Verlustrechung im Rahmen eines Konzerns ermöglicht, muss
abgeschafft werden.
Schließlich drittens. Beginnend mit dem Bundeshaushalt 2003 muss in Einzelplan 60, Allgemeine Finanzverwaltung, eine kommunale Investitionspauschale des
Bundes für ostdeutsche Städte und Gemeinden sowie
Kommunen in strukturschwachen Regionen des alten
Bundesgebietes mit einem Volumen von ungefähr 3 Milliarden Euro verankert werden. Dies gab es übrigens
schon einmal, in den Jahren 1991 und 1993.
({4})
Bundesminister Stolpe hat diese Idee aufgegriffen. Jetzt
muss er mit unser aller Unterstützung für eine solide Finanzierung sorgen. Dafür hat er auch unsere Unterstützung.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit auch
am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 30. Januar 2003,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.