Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich
der Kollegin Ursula Lietz sowie dem Kollegen
Dr. Dieter Thomae jeweils zum 65. Geburtstag und
dem Kollegen Rainer Brüderle zum 60. Geburtstag
nachträglich herzlich gratulieren und die besten Wünsche des Hauses aussprechen.
({0})
Sodann teile ich mit, dass die Abgeordneten KarlJosef Laumann und Dr. Andreas Pinkwart am 28. Juni
2005 auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag
verzichtet haben.
({1})
Als Nachfolger haben der Abgeordnete Helmut
Brandt und der Abgeordnete Dr. Michael Terwiesche
am 28. Juni 2005 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße die beiden Kollegen sehr
herzlich.
({2})
Am 1. Juli tritt das neue Abkommen über das
Deutsch-Französische Jugendwerk in Kraft. Demnach
sind vom Deutschen Bundestag für den Verwaltungsrat
ein ordentliches und ein stellvertretendes Mitglied zu benennen. Zwischen den Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD besteht Einvernehmen, den Kollegen
Dr. Andreas Schockenhoff als ordentliches und die
Kollegin Monika Griefahn als stellvertretendes Mitglied vorzuschlagen. Sind Sie damit einverstanden? Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind die Kollegin
und der Kollege als Mitglieder für den Verwaltungsrat
des Deutsch-Französischen Jugendwerks benannt.
Interfraktionell ist zur Tagesordnung Folgendes vereinbart worden: Kernzeitthemen sind Tagesordnungspunkt 4 - Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz und Tagesordnungspunkt 3 - Energiepolitik -; Tagesordnungspunkt 6 - Abgeordnetengesetz - soll nach
Tagesordnungspunkt 9 - Chancen für Arbeitsplätze aufgerufen werden. Die Tagesordnungspunkte 2 - Entsendegesetz -, 10 - Mindestkapitalgesetz -, 15 - Forderungssicherungsgesetz - und 16 - Versorgungsnachhaltigkeitsgesetz - werden abgesetzt.
Außerdem soll die Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte erweitert werden:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Steuerrechtliche Positionen der
FDP vor dem Hintergrund von Berichten über eigene
Finanztransaktionen
({3})
ZP 2 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
({4})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika
Brunkhorst, Birgit Homburger, Michael Kauch, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP: Wärmebereich für
den Klimaschutz erschließen - Erneuerbare Energien
marktwirtschaftlich einbeziehen
- Drucksache 15/5731 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Katherina Reiche,
Hubert Hüppe, Thomas Rachel, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU: Gentests in Medizin, Arbeitsle-
ben und Versicherungen
- Drucksachen 15/543, 15/5866 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Wolfgang Wodarg
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
({6}) zu der Verordnung der Bundesregierung:
Erste Verordnung zur Änderung der Biomasseverord-
nung
- Drucksachen 15/5666, 15/5761 Nr. 2.1, 15/5867 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Marco Bülow
Franz Obermeier
Dr. Antje Vogel-Sperl
Angelika Brunkhorst
d) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU,
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP: Gegen
Gewalt und Vertreibungen in Simbabwe - Die Afrikani-
sche Union muss handeln
- Drucksache 15/5830 -
Redetext
Präsident Wolfgang Thierse
e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses
({7})
Sammelübersicht 223 zu Petitionen
- Drucksache 15/5836 -
f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses
({8})
Sammelübersicht 224 zu Petitionen
- Drucksache 15/5837 -
g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses
({9})
Sammelübersicht 225 zu Petitionen
- Drucksache 15/5838 -
h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses
({10})
Sammelübersicht 226 zu Petitionen
- Drucksache 15/5839 -
i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses
({11})
Sammelübersicht 227 zu Petitionen
- Drucksache 15/5840 -
j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses
({12})
Sammelübersicht 228 zu Petitionen
- Drucksache 15/5841 -
ZP 3 a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beschleunigung der Umsetzung
von öffentlich-privaten Partnerschaften und zur Verbesserung gesetzlicher Rahmenbedingungen für öffentlichprivate Partnerschaften
- Drucksache 15/5668 ({13})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({14})
- Drucksache 15/5859 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Michael Fuchs
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({15}) zu dem An-
trag der Abgeordneten Otto Fricke, Gudrun Kopp, Rainer
Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP:
Privatisierung und öffentlich-private Partnerschaften
- Drucksachen 15/2601, 15/5859 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Michael Fuchs
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({16}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus W.
Lippold ({17}), Hartmut Schauerte, Christian Freiherr
von Stetten, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU: Wachstumsstrategie für Deutschland: Public
Private Partnership weiterentwickeln und nunmehr reali-
sieren - Infrastruktur optimieren, Investitionsstau auflö-
sen
- Drucksachen 15/5676, 15/5861 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Margrit Wetzel
ZP 4 a) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Arbeit schaffen - Sozia-
len Zusammenhalt und wirtschaftliche Dynamik im euro-
päischen Binnenmarkt für Dienstleistungen verbessern
- Drucksache 15/5832 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({18}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vermerk des Generalsekretariats des Rates für die Gruppe
„Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum“ - Vorschlag für
eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt
Ratsdok. 5161/05
- Drucksachen 15/5172, 15/5862 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Joachim Stünker, Olaf Scholz, Erika
Simm, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Dr. Thea
Dückert, Jerzy Montag, Volker Beck ({19}),
weiteren Abgeordneten und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Offenlegung der Vorstandsvergütungen ({20})
- Drucksache 15/5577 ({21})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rainer Funke, Rainer Brüderle,
Daniel Bahr ({22}), weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Stärkung
der Eigentümerrechte einer Aktiengesellschaft ({23})
- Drucksache 15/5582 ({24})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({25})
- Drucksache 15/5860 Berichterstattung:
Abgeordnete Olaf Scholz
Dr. Günter Krings
Rainer Funke
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Olaf Scholz, SPD-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Zunächst einmal möchte ich dem Bundeskanzler meinen Dank aussprechen;
({0})
denn es wird uns die Möglichkeit eröffnet, bald eine
Neuwahl durchzuführen. Offenbar fördert das die Gedankenbildung. Dabei entstehen Situationen, in denen
Vorhaben, die sonst nicht zustande gekommen wären,
plötzlich zustande kommen.
({1})
Der Gesetzentwurf, über den wir heute reden, ist ein solches Vorhaben.
Es wurde schon lange darüber diskutiert, die Vorstandsvergütungen offen zu legen. Immer wieder wird
von allen die Offenlegung gefordert, aber wenn es darum geht, diese Forderung handfest zu machen, also in
Form von Gesetzen zu gießen, denen man nicht ausweichen kann, wird es schwierig. Insofern bin ich sehr froh,
dass die Tatsache, dass man wahrscheinlich in wenigen
Wochen von den Wählerinnen und Wählern gefragt
wird, welche Einstellung man zu diesem Vorhaben hat,
nun dazu führt, dass die Ankündigungen umgesetzt werden.
Ich möchte eine zweite Vorbemerkung machen; sie
hat etwas mit einem anderen Gesetzentwurf zu tun, über
den wir heute diskutieren. Dabei geht es um die Transparenz von Einkünften von Bundestagabgeordneten,
es geht um Nebentätigkeiten, die wir offen legen sollen.
Es war zwar nicht geplant, aber es ist doch ein ganz kluger Zufall, dass wir heute über beide Gesetzentwürfe beraten; denn damit ist das Argument des einen oder anderen, der meint, die Vorstandsvergütungen müssten
transparent sein und öffentlich gemacht werden, die Einkünfte der Bundestagsabgeordneten jedoch nicht, abgeschnitten. Für die Fraktionen von SPD und Grünen, die
diesen Gesetzentwurf unterstützen werden, ist das jedenfalls so.
({2})
Darum, meine Damen und Herren, ist heute ein guter
Tag.
({3})
Wir tun etwas für die Transparenz der Vorstände und
wir tun etwas für die Transparenz der Abgeordneten.
({4})
Das passt gut zusammen.
Nun zum Inhalt des Gesetzentwurfs. Wir haben gesagt: Wenn es die deutsche Wirtschaft von sich aus
schafft, eine Offenlegung von Vorstandsvergütungen zustande zu bringen, dann ist das gut. Hier haben wir uns
im Einklang mit den Vorschlägen befunden, die die
Cromme-Kommission gemacht hat. Aber wir haben
auch gesagt: Wir warten ab, welchen Erfolg diese Freiwilligkeitsoffensive haben wird.
In diesem Jahr wurde uns ein Bericht vorgelegt, in
dem wir erfahren mussten, dass Aktiengesellschaften,
die an Börsen notiert sind, doch nicht in ausreichendem
Maße zu dieser Transparenz der Vergütungen ihrer Vorstände gekommen sind. Nun musste man sich entscheiden, wie man mit dieser Situation umgeht. Daher wurde,
nachdem uns dieser Bericht vorlag, sofort ein Vorschlag
erarbeitet, darum gibt es diesen Gesetzentwurf von SPD
und Grünen, und darum glaube ich, dass dieser Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden, gut ist.
({5})
Es geht - das will ich ausdrücklich sagen - nicht um
die Befriedigung irgendeiner nicht berechtigten Neugier,
die darin bestehen würde, dass man immer schon einmal
in irgendeiner Zeitung lesen wollte, welches Vorstandsmitglied wie viel verdient. Das ist zwar interessant, aber
dafür ist der Deutsche Bundestag nicht zuständig. Das
herauszufinden ist eine journalistische Aufgabe. Dabei
müssen wir nicht gesetzgeberisch nachhelfen.
Vielmehr geht es darum, einen Weg zu finden, wie die
Aktionäre von Unternehmen und diejenigen, die sich
für Aktiengesellschaften interessieren und sich an ihnen
beteiligen wollen - sei es mit einer Aktie oder mit sehr
vielen Aktien -, etwas darüber erfahren, wie die Vorstände der Aktiengesellschaften in Deutschland finanziell ausgestattet sind.
Diese Frage - das muss man ganz nüchtern sagen - ist
heute eine andere als in früheren Jahren. Wir wissen ja,
in welchem Ausmaß die Gehälter von Fußballspielern
gestiegen sind und welch hohe Ablösesummen in diesem
Bereich gezahlt werden. Wenn man diese Summen auf
die Verzinsung einer Kapitalanlage überträgt, kommen
dabei, wenn man das umrechnet, ganz ordentliche mittelständische Unternehmen heraus. Einige Vorstandseinkommen bewegen sich in einer Größenordnung, die sich
manch hart arbeitender Unternehmer mit vielen Mitarbeitern ganz ernsthaft als Dividende seines Unternehmens wünschen würde; aber eine solch hohe Summe
wird er niemals erreichen.
({6})
Angesichts dessen ist es von zentraler wirtschaftlicher
Bedeutung, die Höhe der Gehälter, die gezahlt werden,
zu erfahren. Daher ist es im Interesse des Wirtschaftsplatzes Bundesrepublik Deutschland, dass die Vorstandsgehälter offen gelegt werden.
({7})
Das geschieht durch dieses Gesetz. Es geschieht auf
eine so charmante und gesetzgeberisch kluge Weise,
dass niemand etwas dagegen haben konnte. Das ist der
Grund dafür, dass es letztendlich zu einer solch breiten
Unterstützung gekommen ist, und das ist wohl auch der
Grund dafür - das will ich lobend sagen -, dass die
CDU/CSU - die FDP allerdings nicht - gesagt hat, dass
sie unseren Gesetzentwurf unterstützt.
({8})
Wir haben folgende Opting-Out-Lösung in unseren
Gesetzentwurf aufgenommen: Wenn die Aktionäre, für
die wir das machen, mit Dreiviertelmehrheit für fünf
Jahre beschließen, dass sie die Höhe der Gehälter ihrer
Vorstandsmitglieder nicht erfahren wollen, dann soll
man sie daran nicht hindern. Weil das so ist, kann man
jedem, der meint, hier gebe es verfassungsrechtliche Bedenken, sagen: Das ist nicht so. Es gibt keine verfassungsrechtlichen Bedenken; denn diejenigen, um die es
geht, können selbst entscheiden und zu einer anderen
Lösung kommen.
Auch ist dann jedem das Argument abgeschnitten, der
sagt, hier gehe es um die Befriedigung unberechtigter
Neugier; denn derjenige, der das alles schon weiß bzw.
gar nicht genauer wissen will, kann eine andere Entscheidung treffen. Darum glaube ich, dass dieser Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden, gut ist. Dieses
Gesetz wird lange Zeit Bestand haben. Dadurch werden
die Bundesrepublik Deutschland und ihre Aktiengesellschaften an die Transparenz moderner Aktienmärkte in
anderen Ländern anschließen. Wir holen jetzt das nach,
was anderswo schon existiert, und zwar unter einer modernen rot-grünen Regierung.
Schönen Dank.
({9})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Günter Krings,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Kollegen! Vielleicht sollten wir zu Beginn meiner Rede, wenn schon nicht zu Beginn der ganzen Debatte, einmal kurz klarstellen, worum es hier heute eigentlich geht, vielleicht auch für die Zuschauer zu Hause
an den Fernsehern: Es geht um die Offenlegung der
Bezüge von Vorständen von börsennotierten Aktiengesellschaften. Es geht nicht um die Nebeneinkünfte
von Vorständen von börsennotierten Aktiengesellschaften; genau diesen Vergleich haben Sie, Herr Scholz, aber
gerade hergestellt. Die Bezüge der Abgeordneten sind
im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Wir wollen nicht,
dass die Nebeneinkünfte der Vorstände im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden, wir wollen lediglich,
dass die Haupteinkünfte veröffentlicht werden. Das ist
sozusagen die Parallelität und keine andere.
({0})
Die Tagesordnungsregie, die vielleicht doch nicht
ganz zufällig ist, hat dazu geführt, dass die Offenlegung
der Vergütungen der Vorstandsmitglieder börsennotierter
Aktiengesellschaften heute während der Kernzeit des
Plenums behandelt wird. Darüber freuen wir als Union
uns aus zwei Gründen: Zum einen gibt es uns Gelegenheit, unseren Standpunkt für Transparenz und Offenheit
hier in aller Öffentlichkeit darzulegen, und zum anderen
führt unsere Debatte während der Kernzeit des Bundestages der Öffentlichkeit exemplarisch unsere an der Sache orientierte Begleitung der Gesetzentwürfe der rotgrünen Bundesregierung vor. Während die linke Seite
dieses Hauses von 46 Gesetzentwürfen der Union in dieser Legislaturperiode nur ganze zwei - ganze zwei! - angenommen hat, hat die Union von den über
90 Gesetzentwürfen, die ins Vermittlungsverfahren zwischen Bundesrat und Bundestag gegangen sind, im Ergebnis nur einen einzigen abgelehnt. Nach drei Jahren
dieser Wahlperiode lautet das für Sie relativ ernüchternde Fazit eindeutig: Sie haben fast immer Ihre Mehrheit dazu benutzt, zu blockieren; wir waren zu Kompromissen in der Sache fast immer bereit.
({1})
- Schauen Sie sich die Zahlen an; die Zahlen belegen es.
({2})
Sie bauen Legenden auf; wir können mit Zahlen belegen, was wir gemacht haben. Das markiert eben den Unterschied zwischen Ihrer Politik und der Politik der
Union. Unsere Zustimmung, auch heute zu dem Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz, verweist Ihre
ständig wiederholte Unterstellung einer Blockadehaltung der Union endgültig in das Reich politischer Legenden.
({3})
Wir lassen uns von unserer an der Sache orientierten
Haltung auch dann nicht abbringen, wenn sich RotGrün, wie heute, bei dem Zeitplan für die Beratung eines
Gesetzes eher von Populismus als von solider Wirtschaftspolitik leiten lässt. Während die SPD-Parteispitze
gegen „Heuschrecken“ wetterte und der Kapitalismus als
Sündenbock für die miserable Wirtschaftslage in
Deutschland ausgemacht wurde, stellte die Justizministerin scheinbar ganz zufällig den heute zu beratenden
Gesetzentwurf vor - ein sehr merkwürdiger Vorgang. Sie
haben mit der Herstellung dieses unmittelbaren zeitlichen Zusammenhangs dem Anliegen für mehr Transparenz im Aktienrecht - das uns in diesem Hause eint mehr geschadet als genutzt. Wer die Forderung nach Offenheit als Vorwurf an die Wirtschaft formuliert, darf
sich nicht wundern, wenn die betroffenen Unternehmen
eher in einer Abwehrhaltung verharren, als dass sie diesem Ziel auch positiv gegenüberstehen.
Ich kann mir daher lebhaft vorstellen - und die Reaktionen haben es ja gerade gezeigt -, wie groß die Enttäuschung in den Reihen von Rot-Grün in den letzten Tagen
über unsere Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf war
und ist. In Wahrheit sind Ihnen die Kapitalismuskritikthemen längst ausgegangen. Ein Klassenkampfthema
der SPD nach dem anderen hat sich in heiße Luft
aufgelöst. Diese Woche haben Sie gar noch das für heute
angesetzte Arbeitnehmer-Entsendegesetz von der Tagesordnung absetzen müssen. Was Ihnen bleibt, ist die
nackte Heuschreckenrhetorik. Wenn die Menschen Sie
aber fragen, was Sie politisch-inhaltlich anders machen
wollen - wozu Sie sieben Jahre Gelegenheit gehabt hätten -, dann fällt Ihnen nichts mehr ein, jedenfalls nichts,
wofür Sie in Ihren jeweiligen Fraktionen auch nur annähernd eine Mehrheit zusammenbekommen würden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen
mit unserer Zustimmung zu diesem Gesetz im In- und
Ausland das Vertrauen in unseren Aktienmarkt stärken.
({4})
Ein logischer Beitrag hierzu ist ein möglichst hohes Maß
an Transparenz im Hinblick auf die relevanten Unternehmensdaten von börsennotierten Aktiengesellschaften. Gerade viele ausländische Anleger - die wir übrigens anders als Herr Müntefering nicht als Schädlinge
bekämpfen wollen, sondern deren Nutzen für unsere
Wirtschaft wir anerkennen - erwarten eine individualisierte Offenlegung von Vorstandsbezügen. Dort, wo wir
in einem internationalen Kapitalmarkt mit einer deutschen Sonderregelung von internationalen Standards
abweichen, muss man schon gute Gründe für dieses
Abweichen haben. Bei der Offenlegung von Vorstandsvergütungen vermag ich solche Gründe nicht zu erkennen. Die Höhe der Vorstandsbezüge gehört zu den relevanten Informationen, die Aktionäre einer Gesellschaft
oder auch solche, die es noch werden wollen, durchaus
interessieren dürfen; so weit ist im Hause wohl insgesamt, bis hin zu FDP, Konsens. Zu einer für den Durchschnittsaktionär fassbaren Größe werden diese Angaben
aber erst, wenn sie auch getrennt nach den einzelnen
Vorstandsmitgliedern gemacht werden.
Bei der konkreten Ausgestaltung dieses Gesetzentwurfes hätten wir in der Union uns durchaus auch andere
Lösungswege vorstellen können. Nach dem von uns im
Ergebnis akzeptierten Vorschlag des Herausoptierens
können 75 Prozent des auf der Hauptversammlung erschienenen Kapitals eine Offenlegung verhindern. Umgekehrt betrachtet: 25 Prozent des Kapitals sind erforderlich, um die auch von der Cromme-Kommission
geforderte Transparenz im Ergebnis tatsächlich sicherzustellen. Hätte man sich darauf einigen können, dass
grundsätzlich ein positiver Beschluss der Hauptversammlung notwendig ist, um die Offenlegung zu erreichen - ein so genanntes Opt-in -, dann hätte man dem
Minderheitenschutz meiner Meinung nach sogar noch
mehr Vorschub geleistet. Denkbar wäre hier nämlich ein
Quorum deutlich unter 25 Prozent gewesen.
Wenn man jedoch die Offenlegung als Grundfall ins
Gesetz schreibt und den besonders gelagerten Interessen
einiger Aktiengesellschaften durch ein Modell des Herausoptierens Rechnung trägt, dann darf dieses Herausoptieren nicht unnötig verkompliziert werden. Es ist
daher entscheidend, dass der Hauptversammlungsbeschluss, von der Offenlegung abzusehen, nicht alle zwei
Jahre oder gar jedes Jahr wiederholt werden muss. Es ist
uns wichtig, durchgesetzt zu haben, dass die Fünf-Jahres-Frist im Gesetzentwurf steht. Wenn wir die Offenlegung der Vorstandsvergütungen nämlich auf jeder zweiten Hauptversammlung zum Streitpunkt werden ließen,
täten wir weder den betroffenen Unternehmen noch dem
Kapitalstandort Deutschland einen Gefallen. Ich erlaube
mir, darauf hinzuweisen, dass es nach dem FDP-Modell
fast vorprogrammiert wäre, dass wir dies jedes Jahr zum
Streitpunkt in den Verhandlungen der Hauptversammlungen machen würden. Wie gesagt: Das würde weder
den Unternehmen noch dem Wirtschaftsstandort dienen.
({5})
Für die kollegiale und sehr sachliche Atmosphäre im
Berichterstattergespräch bedanke ich mich beim Kollegen Scholz ausdrücklich. Wir haben bei diesem
Gespräch weitergehende gemeinsame Änderungen erarbeitet, durch die Schlupflöcher des ursprünglichen
Gesetzentwurfes geschlossen werden und für eine realistische Darstellung der Pensionszusagen heutiger Vorstandsmitglieder gesorgt wird. So darf sich die Offenlegung nicht auf die Leistungen beschränken, die direkt an
ein Vorstandsmitglied erbracht werden, sondern muss
auch diejenigen umfassen, die im Interesse und im Zusammenhang mit der Gesellschaft von Dritten erbracht
werden. Zu einer umfassenden Offenlegung der Vergütung zählt auch die Auflistung der Leistungen für den
Fall der Beendigung der Tätigkeit.
Wir stimmen diesem Gesetzentwurf also in der Fassung, die er durch die Beratungen im Rechtsausschuss
erhalten hat, zu. Wir tun dies getreu unserer Devise für
unsere Arbeit als Opposition hier im Deutschen Bundestag, wonach wir zu gemeinsamen Lösungen für unser
Land bereitstehen, solange die Vorteile die Nachteile
überwiegen. Ich darf ergänzen: Wir erhoffen uns ab
Herbst eine ebenso konstruktive Opposition für unsere
Regierungsarbeit.
({6})
Ich will zum Schluss aber noch deutlich machen, dass
eines bei diesem Gesetzgebungsverfahren sehr auffällig
ist; das sollten Sie sich sehr ernsthaft anhören. Der Deutsche Bundestag ist beim Offenlegungsgesetz offenbar in
der Lage, eine relativ komplexe Frage in wenigen Wochen einer sachdienlichen Regelung zuzuführen. Es
wirft kein gutes Licht auf die Bundesregierung, dass sie
es in der gleichen Zeit nicht geschafft hat, etwas ganz
Einfaches zu tun, nämlich in den Gesellschafterversammlungen der Unternehmen des Bundes dafür zu
sorgen, dass auch dort die Vorstandsgehälter offen gelegt
werden.
({7})
Das ginge viel einfacher und schneller, als ein Gesetz zu
erlassen, und das griffe nicht in Rechtspositionen privater Dritter ein. Jedermann leuchtet ein, dass Unternehmen der öffentlichen Hand auch verstärkt unter der Aufsicht der Öffentlichkeit stehen sollten.
({8})
Dennoch ist alles, was wir auf ein wiederholtes Nachfragen - auch gestern im Rechtsausschuss noch - zu diesem
Punkt von der Bundesregierung zu hören bekommen:
Wir beraten die Frage.
Die Bundesregierung hat hierzu offenbar sogar einen
Arbeitskreis gegründet und eingesetzt. Es ist schon fast
pharisäerhaft, wenn Sie den Unternehmen einerseits sagen, die Empfehlungen einer von der Wirtschaft eingesetzten Kommission, eines Arbeitskreises, nämlich der
Cromme-Kommission, reichten nicht aus, man bräuchte
eine verbindliche Entscheidung hierzu, während die
Bundesregierung zur gleichen Zeit andererseits erst einmal einen Arbeitskreis gründet, um das Thema sozusagen ohne verbindliche Entscheidungen anzugehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie werden
nicht an den Worten, sondern an den Taten gemessen.
Gehen Sie endlich mit gutem Beispiel voran und sorgen
Sie dafür, dass Sie von den privaten Unternehmen nicht
etwas fordern, was Sie nicht bereit sind, in Ihrem eigenen Arbeitsbereich, bei den öffentlichen Unternehmen,
einzulösen!
Danke schön.
({9})
Ich erteile Kollegin Thea Dückert, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
dem Gesetz zur Offenlegung der Managergehälter, das
wir heute hier beschließen werden, holen wir etwas
nach, was in Deutschland schon längst eine Selbstverständlichkeit sein sollte. In vielen anderen Marktwirtschaften dieser Welt ist dies bereits eine Selbstverständlichkeit, weil zu einer Marktwirtschaft Transparenz
gehört, auch um die Vertrauensbildung voranzubringen.
({0})
Dieser Selbstverständlichkeit konnte sich nun auch die
Union nicht mehr entziehen. Ich bin froh, dass wir heute
gemeinsam mit diesem wichtigen Schritt das auf den
Weg bringen, was in den großen deutschen Aktiengesellschaften zum Regelfall werden soll. Dafür beschließen
wir heute dieses Gesetz.
Es ist schon interessant, dass sich die selbst ernannten
Herolde der freien Marktwirtschaft, nämlich die FDP, an
genau dieser Stelle sperren. Das ist interessant, aber
überhaupt nicht verwunderlich. Wir haben hier erneut
ein Beispiel dafür, dass die FDP nichts anderes als die
Verteidigerin des Lobbyismus in diesem Lande ist.
({1})
Sie meinen mit Freiheit die Freiheit für eine bestimmte Gruppe. Wir meinen mit Freiheit, meine Damen
und Herren von der FDP, die Freiheit mit Verantwortung.
({2})
Wir meinen, dass Manager in diesem Land nicht nur gegenüber ihren Aktionärinnen und Aktionären, sondern
auch gegenüber der Öffentlichkeit Verantwortung tragen. Die heutigen und zukünftigen Aktionärinnen und
Aktionäre und diejenigen, die sich überlegen, es zu werden, aber auch die Öffentlichkeit haben das gute Recht,
zu erfahren, warum und in welchem Maße sich Managergehälter entwickeln, wenn beispielsweise große Konzerne ihre Belegschaften in die Wüste schicken. Jeder
und jede haben ein Recht, dies öffentlich zu diskutieren.
Wenn wir zu Recht sagen, dass Leistung in Deutschland
messbar sein muss und sich Entlohnung an Leistung
messen soll, dann darf es für die Manager keinen
Schutzschild geben. Sie von der FDP wollen genau dies.
({3})
Ich muss auch sagen, dass diese selbstverständliche
Forderung nach Transparenz und nach Schutz für Verbraucherinnen und Verbraucher ebenso für öffentliche
Unternehmen gilt. Da bin ich mit Ihnen völlig einig. Es
ist sehr einfach, diese Forderung zu erfüllen. Es wäre
gut, wenn das Finanzministerium gerade in den Unternehmen, in denen wir als öffentliche Hand die Aktienmehrheit haben, wie beispielsweise bei der Bahn oder
der KfW, die Öffentlichkeit zügig herstellte; das ist völlig richtig.
({4})
Zur Marktwirtschaft gehört auch Transparenz; das ist
klar. Warum? Um Vertrauen zu bilden. Um Vertrauen zu
bilden, gehört es zukünftig auch dazu, Vetternwirtschaft
in großen Konzernen zu unterbinden. Deswegen müssen
wir in Zukunft dafür sorgen, dass die Zahl der Aufsichtsratsmandate auf maximal fünf pro Person beschränkt wird. Auch der Wechsel zwischen Vorstand
und Aufsichtsrat darf nicht mehr selbstverständlich
sein, sondern muss untersagt werden.
({5})
Sie sehen: Zur Herstellung von Transparenz und Vertrauen ist noch einiges zu tun. Heute machen wir dafür
einen wichtigen Schritt. Es wäre gut, wenn die FDP aus
ihrer Ecke herausgekommen wäre. Das ist ihr nicht möglich gewesen. Wie gesagt, das wundert uns nicht. Aber
wir leiten heute die entsprechenden Maßnahmen für
mehr Transparenz ein. Ähnliche Maßnahmen werden
wir heute auch für Abgeordnete beschließen. Das ist sehr
gut so.
Ich danke Ihnen.
({6})
Ich erteile das Wort Kollegin Sibylle Laurischk, FDPFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf
zu den Bemerkungen von Herrn Scholz vorweg eines anmerken: Es geht hier nicht nur darum, dass wir Transparenz schaffen, es geht auch darum, dass wir Eigentumsrechte wahren.
({0})
Dass nun gerade vonseiten der SPD eine völlig unterschiedliche Problemlage angeschnitten wird und die
Vorstandsvergütungen und die Abgeordneteneinkünfte in einen Topf geworfen werden, ist bezeichnend.
Sie wissen nicht zu unterscheiden und wissen deshalb
nicht, wovon Sie reden.
({1})
Zur Sache:
({2})
Es geht um Eigentumsrechte.
({3})
- Ich möchte Sie doch bitten, mir zuzuhören.
({4})
Seit über einem Jahr wird in der Öffentlichkeit und in
der Politik über die Offenlegung von Vorstandsvergütungen diskutiert. Kurz vor der Wahl in NRW, die bekanntlich für die SPD katastrophal ausging, legte uns die
Bundesjustizministerin einen Gesetzentwurf vor, der in
größter Eile ganz offenbar zu Wahlkampfzwecken im
parlamentarischen Verfahren beraten wurde, und dies,
obwohl Frau Bundesjustizministerin Zypries immer und
mit Nachdruck angekündigt hatte, einen Gesetzentwurf
für einen gesetzlichen Zwang zur Offenlegung frühestens im Herbst dieses Jahres vorzulegen.
Die FDP hat sich schon im letzten Herbst mit ihrem
Antrag zur Konzernmitbestimmung und zur Stärkung
von Aufsichtsräten und Eigentümerrechten deutlich
positioniert.
({5})
Diese Position haben wir durch Einbringung eines eigenen Gesetzentwurfs zur Offenlegung von Vorstandsvergütungen noch einmal bekräftigt. Ein Gesetz zur Stärkung der Eigentümerrechte liegt heute ebenfalls zur
Beratung vor. Bereits dem Titel unseres Gesetzentwurfs
können Sie entnehmen, worum es bei dieser Diskussion
eigentlich gehen sollte: um die Stärkung der Rechte der
Eigentümer einer Aktiengesellschaft, also der Aktionäre.
Denn diese sind die Einzigen, die ein gerechtfertigtes Interesse an einer Offenlegung der Vorstandsgehälter haben können. Sie - nicht die Öffentlichkeit - sind die Anteilseigner der Aktiengesellschaft.
({6})
Das Gesetz der Regierungskoalition verkennt diesen
Ansatz. Das Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz
sieht einen gesetzlichen Zwang für börsennotierte Unternehmen zur individualisierten Offenlegung der Vorstandsgehälter vor. Nach der Begründung des Entwurfs
sollen damit zwar die Rechte der Aktionäre gestärkt werden, aber im Grunde geht es nur darum, die Heuschrecken- und Neiddebatte noch mit einem Gesetzentwurf
anzufüttern.
({7})
Es geht Ihnen eben um diese Neiddebatte. Wir hingegen
wollen, dass die Rechte der Eigentümer, die sich entschieden haben, sich an einer Aktiengesellschaft zu beteiligen, gewahrt bleiben. Das muss hier einmal so deutlich gesagt werden.
({8})
Sie scheinen zwar erkannt zu haben, dass Aktionäre
Rechte haben, die auch anerkannt werden müssen; diese
Rechte sollten die Aktionäre jedoch ohne Bevormundung durch den Gesetzgeber ausüben können. Deswegen
haben wir die einzig logische Regelung vorgeschlagen:
Die Aktionäre entscheiden als mündige Anteilseigner
per Mehrheitsbeschluss - wie in einer Aktiengesellschaft üblich - darüber, ob sie Offenlegung wünschen.
Ihr Ansatz eines Opt-out mit einer Dreiviertelmehrheit
entspricht außerdem nicht den aktienrechtlich üblichen
Regeln. Jeder Student weiß: Es genügt im Aktienrecht
für Beschlüsse grundsätzlich eine einfache Mehrheit.
Eine größere Mehrheit wie zum Beispiel die Dreiviertelmehrheit ist nur dann notwendig, wenn es sich um so genannte Grundlagenbeschlüsse handelt.
Auch stellt Ihr Gesetzentwurf eine Entmündigung des
Aktionärs dar, trotz der Opt-out-Regelung; denn es wird
ihm ein Interesse unterstellt, welches nicht nachgewiesen ist. Vielmehr wird einfach ein gesetzlicher Zwang in
seinem angeblichen Interesse vorgesehen und er erhält
zur angeblichen Absicherung der Verfassungsfestigkeit
dieses Gesetzes die Möglichkeit, die Offenlegung abzuwehren. Was diese rechtliche Konstruktion mit der Wahrung der Interessen und der Rechte von Aktionären wirklich zu tun hat, ist zumindest Ihrem Entwurf nicht zu
entnehmen.
({9})
Der Aktionär erhält durch unseren Entwurf tatsächlich mehr Rechte. Er kann nicht nur darüber entscheiden,
ob er überhaupt eine individualisierte Offenlegung der
Gehälter möchte, er hat auch die Möglichkeit, den Grad
der Aufschlüsselung der Gehälter zu bestimmen. Damit
erhält der Aktionär maximale Einflussmöglichkeiten bezüglich der Offenlegung.
Zusammenfassend möchte ich noch einmal eines betonen: Transparenz ist sicherlich wichtig. Aber sie sollte
nicht durch die Entmündigung der Aktionäre, sondern
durch die Stärkung der Freiheit und Verantwortung der
Aktionäre erreicht werden. Dieses Ziel kann nur mit unserem Gesetzentwurf erreicht werden.
({10})
Ich erteile das Wort Kollegen Alfred Hartenbach,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf mich an dieser Stelle auch ein bisschen als
Mitglied der Bundesregierung sehr herzlich für die konstruktive Atmosphäre bei der Beratung dieses Gesetzentwurfs bedanken. Ich hätte mir gewünscht, dass bei
diesem wichtigen rechtspolitischen Vorhaben alle Fraktionen an einem Strang ziehen und ihm zustimmen würden, statt dass einige wieder Transparenz predigen, aber
in Wirklichkeit Klientelpolitik betreiben.
({0})
Immerhin dürfen wir uns über die Unterstützung der
Union freuen. Damit können wir, glaube ich, auch einmal die Mehrheiten im Bundesrat positiv beeinflussen.
Verehrter Kollege Krings, man hat dem ersten Teil Ihrer Rede ein bisschen angemerkt, dass Sie aus Westdeutschland kommen. Sie wohnen in der Nähe von
Aachen. Der erste Teil Ihrer Rede war zwar sicherlich
lustig, aber für eine Nominierung für den „Orden wider
den tierischen Ernst“ reicht sie nicht aus.
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Welche Rede
haben Sie denn gehört?
- Ich habe gut zugehört. Was Sie hinsichtlich der Blockade gesagt haben, war völlig fehl am Platz. Ich dachte,
Sie hätten das gemerkt.
Das Thema ist in den Fachkreisen und in der Öffentlichkeit breit diskutiert worden. Es geht dabei nicht um
Neid oder Neugier; es geht vielmehr darum, die Kontrollrechte der Aktionäre - vor allem der Kleinaktionäre - zu stärken. Diese Ansicht teilt die FDP nicht. Unser Entwurf zielt in diese Richtung und ist damit richtig,
während die FDP darauf abzielt, die Großaktionäre bzw.
das Großkapital zu stärken. Sie alle wissen: Vorstandsbeschlüsse regeln das Verfahren, auch in der Versammlung. Vorschläge des Vorstands werden in aller Regel
umgesetzt. Aber man muss sich ganz schön anstrengen,
um 25 Prozent der Kleinaktionäre zusammenzubekommen, die einen solchen Beschluss fassen. Deswegen:
Eine Entmündigung der Aktionäre wollen Sie und nicht
wir.
({1})
Wir stärken die Eigentümerrechte und schaffen mehr
Transparenz. Vor allen Dingen kommen wir dem Deutschen Corporate-Governance-Kodex in einem wichtigen Punkt entgegen. In vielen anderen Bereichen werden
die Kodexempfehlungen Gott sei dank bereits nahezu
vollständig befolgt. Dr. Cromme hat dies erst kürzlich in
einer von ihm vorgelegten Neuauflage dieses Werkes bestätigt. Die Corporate-Governance-Kommission leistet
auf diese Weise einen maßgeblichen Beitrag für gute
Unternehmungsführung in Deutschland. Hierfür gebührt ihr ausdrücklich Anerkennung.
Die Kommission hat auch im Auftrag der Bundesregierung gearbeitet. Wir hatten lange, bevor das Thema
Neuwahlen anstand, hierzu einen Gesetzentwurf vorgelegt, verehrte Frau Kollegin Laurischk. Wenn Sie ihn lesen, dann erkennen Sie, dass es sich dabei sozusagen um
einen Parallelentwurf handelt, sodass wir mit den Koalitionsfraktionen übereinstimmen und einen guten Weg
gehen. Ich glaube, die Union sieht das genauso.
Wir haben den Gesetzentwurf bewusst schlank gehalten, um Raum für den Kodex - also für Eigenverantwortung und die Stärkung der Rechte der Aktionäre - zu lassen. Wir haben davon abgesehen, den Vergütungsbericht
für die Unternehmen verpflichtend vorzuschreiben. Es
gilt der Grundsatz: „So viel Regulierung wie nötig, so
viel Freiheit wie möglich“. Deshalb enthält der Gesetzentwurf nur Sollvorschriften für Informationen zur Vergütungsstruktur.
Der Rechtsausschuss hat den Gesetzentwurf nach
Diskussionen mit Experten - ich habe bereits erwähnt,
dass die Gespräche sehr vernünftig und gut verlaufen
sind - in zwei Detailpunkten ergänzt. So wurde zum einen die Angabepflicht zu den Pensionszusagen konkretisiert - das ist ein sehr wichtiger Punkt -;
({2})
zum anderen sollen die Vorstände auch die Leistungen
offen legen, die ein Vorstand von dritter Seite erhält.
Auch das ist ein wesentlicher Punkt, um Korruption
- ich spreche das Wort aus, weil es einige andere verschämt verschweigen - auf diesem Gebiet vorzubeugen.
Auch aus diesem Grund bin ich dankbar, dass wir gemeinsam daran arbeiten.
Das Grundkonzept ist aber unverändert geblieben.
Mit der gesetzlichen Offenlegungspflicht befinden wir
uns im internationalen Vergleich in guter Gesellschaft.
In erster Linie sind es die angloamerikanischen Länder,
die die Individualangaben bereits vorschreiben. Aber
auch Unternehmen in Frankreich oder Italien, deren Gesellschaftsorgane ähnlich aufgebaut sind wie bei uns,
müssen ihre Vorstandsgehälter individualisiert ausweisen. In diesem Zusammenhang weise ich auch auf die
Empfehlung der EU-Kommission hin, die wertvolle Vorschläge für die Offenlegung der Vergütungspolitik enthält. Noch sind es unverbindliche Vorgaben. Ich glaube
aber, dass es verbindliche Vorschriften werden können,
wenn wir mit unserem Gesetz heute ein Signal setzen.
Gestatten Sie mir, in der mir verbleibenden Redezeit
eine Anmerkung zu machen. Herr Kollege Krings, natürlich brauchen wir für die Regelung der Offenlegung von
Vorstandsgehältern bundeseigener Unternehmungen
eine Arbeitsgruppe, in der alle vertreten sind. Es sind ja
in der Regel keine börsennotierten Unternehmungen, für
die das Aktienrecht gilt. Auch das GmbH-Recht gilt
nicht.
({3})
- Mein lieber Kollege Krings, Sie haben mir gestern gut
zugehört. Ich danke Ihnen dafür. - Es geht darum, dass
wir Regelungen schaffen, die auch für die Länder und
vor allem für die Kommunen - für die öffentlich-rechtlichen Sparkassen zum Beispiel - gelten. Es ist doch gut,
wenn wir uns sehr genau überlegen, was wir machen.
Wir machen etwas; das Gesetz wird kommen. Wir werden das noch machen. Ich freue mich, dass Sie dies als
Opposition genau so sachlich und kompetent begleiten
werden, wie Sie es bisher begleitet haben.
({4})
Vielen herzlichen Dank, meine lieben Kollegen.
({5})
Ich erteile das Wort Kollegen Hartmut Schauerte,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Staatssekretär Hartenbach, offensichtlich hat
Sie die Bemerkung des Kollegen Krings zur Frage, wer
in der Vergangenheit was blockiert hat, doch sehr getroffen.
({0})
Deswegen möchte ich die Fakten noch einmal in aller
Ruhe und in aller Sachlichkeit benennen. Von mehr als
90 Gesetzgebungsvorhaben, die im Vermittlungsausschuss gelandet sind,
({1})
ist eines definitiv blockiert worden und gescheitert: Das
war das unglaublich wichtige Verfütterungsverbotsgesetz aus dem Bereich landwirtschaftlicher Ernährungsfragen - ein ganz zentrales Gesetzgebungsvorhaben.
Umgekehrt haben der Bundesrat und die Bundesländer
in der zurückliegenden - man muss wohl sagen: in der
noch laufenden - Legislaturperiode über 100 Gesetzesanträge eingebracht, von denen mit Ihrer Mehrheit über
90 abgelehnt wurden. Seien Sie in Zukunft also vorsichtig mit dem Blockadevorwurf; denn die Fakten sprechen
ganz eindeutig gegen Sie. Sie haben immer wieder eine
Blockade gegen vernünftige Gesetzgebungsvorhaben
der Union praktiziert.
({2})
Damit keine falschen Legenden entstehen, eine
zweite Bemerkung: Wir haben von Anfang an das, was
die Kommission Deutscher Corporate-GovernanceKodex unter Cromme erarbeitet und entwickelt hat,
positiv begleitet und tatkräftig mitgewirkt. Wir haben
diesen Prozess gewollt und wir wollen ihn immer noch.
Die Frage ist jetzt, wie lange man auf Freiwilligkeit setzen kann und wann der Gesetzgeber eingreifen sollte.
Darüber kann man ein bisschen diskutieren. Das ist nicht
existenziell, aber eine Frage des Stils. Dass dieses Gesetz ausgerechnet jetzt, in einer Zeit kommt, in der Sie
im Wahlkampf eine Neiddiskussion lostreten werden
und in der Müntefering Kapitalismuskritik - Stichwort
„Heuschreckendiskussion“ - äußert, schadet dem Anliegen. Das kritisieren wir; das finden wir nicht gut.
({3})
Es wäre besser, wenn wir das vermieden hätten.
Deswegen lassen wir uns aber von unserem Kurs, von
dem, was wir mit diesem Gesetz erreichen wollen, nicht
abbringen. Wir halten die Offenlegung in Publikumsgesellschaften für geboten, für notwendig, für sinnvoll und
für zielführend. Die Frage ist: Wie fasst man das? Dazu
gab es ein paar Varianten. Wir haben sie bereits vorgestellt.
Nach unserer Auffassung hätte man noch etwas warten können. Im Jahr 2004 hat der Cromme-Entwurf erheblich an Akzeptanz gewonnen. Über zwei Drittel der
DAX-Unternehmen haben ihn akzeptiert. Man hätte abwarten können, ob noch mehr hinzugekommen wären.
Es kommt in dieser Frage nicht auf ein halbes oder ein
Jahr an. Das hätte man machen können. Sie sind aber
den anderen Weg gegangen. Na gut!
Zum Vorgehen gab es verschiedene Alternativen: Die
eine Alternative - die haben Sie jetzt gewählt -, war,
dass das Gesetz die Offenlegung vorschreibt und die Aktionäre mit einer Mehrheit von 75 Prozent sagen können,
dass sie sie nicht haben möchten. Der andere Weg wäre
genau so praktikabel gewesen: Das Gesetz schreibt die
Offenlegung nicht vor; aber 25 Prozent, 20 Prozent oder
10 Prozent der Aktionäre können beschließen, dass offen
gelegt werden muss.
({4})
Über beide Wege hätte man zum Ziel kommen können.
Wir hatten dasselbe Ziel, und der Streit um den Weg ist
nicht so bedeutend und so wichtig, dass wir deswegen
Nein sagen. Wir können auch mit diesem Ihrem Weg leben, weil 75 Prozent der Aktionäre ihr Recht wahrnehmen und Nein sagen können zu der gesetzlichen Festlegung.
Warum sind hier etwas andere Mehrheiten geboten
als auf normalen Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften, auf denen eine Mehrheit von 50 Prozent
ausreicht? Weil wir hier eine besondere Befangenheitssituation haben; das sage ich nachdrücklich auch noch einmal an die FDP gerichtet. In den Aufsichtsräten unserer
DAX-Unternehmen sitzen sehr häufig Vorstände aus anderen Unternehmen. Bevor die Beratung zur Offenlegung in der Aktionärsrunde geführt wird, findet sie
zunächst einmal im Aufsichtsrat statt. In diesen Aufsichtsräten wurde eine vernünftige Offenlegungspraxis
über weite Strecken bisher blockiert, weil man sich aus
seiner anderen Position heraus, nämlich in einem anderen Unternehmen selber auch Vorstand zu sein, nicht frei
genug gesehen hat, um über die Fragen zu entscheiden:
Welche Informationen brauchen die Aktionäre? Was ist
das wirkliche Interesse der Aktionäre? Deswegen ist es
vernünftig, hier nicht mit Mehrheiten von nur 50 Prozent
zu operieren, sondern die Quoten zu verschieben, damit
wir die Offenlegung und Transparenz bekommen, die
wir für sinnvoll erachten und die wir brauchen. Das ist
kein besonderes Problem.
Ich appelliere auch an die Wirtschaft. Wie bereits gesagt, gibt es in den entwickelten Kapitalmärkten, zum
Beispiel in den USA und in England, diese Offenlegung
schon lange. Dort geht man souveräner damit um, weil
es nicht diesen Neiddruck gibt, den wir in der deutschen
Gesellschaft immer noch haben. Deswegen bedauern
wir, dass über das Thema in diesem zeitlichen Zusammenhang diskutiert wird. Wir hätten gern eine Diskussion frei von solchen Verdächtigungen geführt, weil das
Gesetz dann klarer und positiver wirken könnte.
Sie haben eine Parallele zur Offenlegung der Einkünfte der Abgeordneten gezogen, Frau Dückert. Das
ist nicht korrekt. Was die Gehälter betrifft, haben wir in
vielen Bereichen in Deutschland bereits die Offenlegung. Bei Abgeordneten haben wir eine absolute Offenlegung der Gehälter.
({5})
Auch bei den Vorständen reden wir im Moment nur über
die Offenlegung der Gehälter. In der derzeitigen Diskussion über die Einkünfte der Abgeordneten geht es aber
nicht um die Gehälter, sondern um ihr sonstiges Einkommen. Darüber reden wir bei Vorständen mitnichten. Das
ist ein sehr wesentlicher Unterschied.
({6})
- Entschuldigung, die Fakten müssen doch geklärt werden. Das, was wir jetzt für Vorstände beschließen wollen, ist für die Abgeordneten schon lange gesetzlich geregelt.
({7})
Die Offenlegung der Gehälter ist nicht nur für Abgeordnete, sondern für den gesamten öffentlichen Dienst gesetzlich geregelt. Jeder Bürger in dieser Republik kann
sich danach erkundigen, was welcher Gemeindedirektor
und was welcher Studienrat und Oberstudienrat verdient.
Dadurch ist die Welt nicht zusammengebrochen. Diese
Art von Transparenz haben wir bereits.
({8})
Diesen Teil von Transparenz übertragen wir jetzt auf Publikumsgesellschaften. Das ist vernünftig. Das war auch
immer der Ansatz von CDU-Politik. In diesem Bereich
sind wir nicht Nachzügler, sondern wir gehen voran in
der Beurteilung dieses Sachverhalts.
Wir können auch die beteiligte Wirtschaft nur bitten,
dieses Gesetz zu akzeptieren. Cromme hat es jetzt auch
noch einmal vorgetragen. Auch bei ihm ging es eigentlich nur um die Frage: Ist es richtig, das Experiment jetzt
durch gesetzlichen Zwang abzubrechen, oder hätte man
den experimentellen Prozess noch etwas länger laufen
lassen können? Das ist aber mehr eine Geschmacksfrage
als eine konkrete Inhaltsfrage.
Eine weitere Bemerkung ist mir wichtig: Mit uns gibt
es keine Neiddebatte und keine Kapitalismuskritik im
Zusammenhang mit diesem Thema. Wir wollen in allen
übrigen Bereichen der Cromme-Diskussion unter allen
Umständen an der Freiwilligkeit festhalten. Das ist uns
ganz wichtig. Wir durchbrechen die ansonsten sinnvolle
Freiwilligkeit in dem Corporate-Governance-System an
einer Stelle, weil hier eine besondere Befangenheit der
Beteiligten vorliegt, aber ich warne vor dem Versuch,
diese Corporate-Governance-Strukturen insgesamt ins
Gesetz zu kleiden. Das muss völlig unabhängig und frei
bleiben. Nur bei dieser einen Ausnahme ist für uns die
gesetzliche Bindung möglich.
({9})
Ich sage noch einmal: Wegen der besonderen Befangenheit erscheint es uns nach gewissenhafter Prüfung
geboten, sinnvoll und vernünftig, das Gesetz jetzt in dieser Form zu verabschieden.
Eine letzte Bemerkung. Es ist ja interessant, dass die
Debatte über das Entsendegesetz von der heutigen Tagesordnung genommen worden ist. Im Rahmen dieser
Debatte zum Beispiel darüber zu diskutieren, ob die Art
und Weise, wie wir unseren Arbeitsmarkt entwickeln,
der falsche Weg ist, wäre absolut sinnvoll gewesen.
({10})
Aber Sie haben auf die Tagesordnung nur noch populismusverdächtige Themen gesetzt. Um die Dinge durchzusetzen, die dieses Land wirklich braucht, haben Sie
keine Kraft mehr. Das ist nun einmal so; das wurde heute
deutlich.
({11})
Ich kann Ihnen genau sagen, warum Sie die Debatte
über das Entsendegesetz von der Tagesordnung genommen haben. Der Grund ist, dass die SPD in ihrem neuen
Regierungsprogramm, das sie nach der Vertrauensfrage
verabschieden will, nicht mehr auf das Entsendegesetz
abheben, sondern grundsätzlich die Einführung eines
Mindestlohns vorsehen will. Das ist der Hintergrund dieser Operation.
({12})
- Doch, das ist ein großer Gegensatz; das ist ein völlig
anderes Modell. - Ich wette mit Ihnen, dass Sie in Ihrem
Programm die Einführung eines generellen Mindestlohns in Deutschland festlegen werden. Deswegen passt
Ihnen die bisherige Konzeption des Entsendegesetzes
nicht mehr. Wir werden es erleben. Wir halten jedenfalls
Ihren Weg für falsch und schädlich.
Dem Entwurf eines Gesetzes über die Offenlegung
der Vorstandsvergütungen werden wir zustimmen. Ich
denke, dass die Wirtschaft das akzeptieren kann. Wir
werden sehen, ob sich das Gesetz in der Praxis bewährt.
Möglicherweise kann man auch über eine Befristung reden und diesen Bereich von einem gesetzlichen Zwang
befreien, wenn akzeptiert worden ist, dass solche Dinge
offen gelegt werden müssen. Das werden wir dann überprüfen, wenn wir - hoffentlich - den klaren Auftrag unserer Wähler bekommen haben, Sie abzulösen. Darauf
arbeiten wir hin.
Herzlichen Dank.
({13})
Ich erteile das Wort Kollegin Gesine Lötzsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin
Abgeordnete der PDS.
({0})
Es ist schon erstaunlich, wie viel Zeit die Bundesregierung den börsennotierten Unternehmen gelassen hat,
um die Vorstandsgehälter zu veröffentlichen: mehr als
drei Jahre. Im Februar 2002 wurde der CorporateGovernance-Kodex vorgestellt. Dieser Kodex verlangt
von börsennotierten Unternehmen, dass die Vorstandsvergütungen nicht mehr als Summe für alle Vorstandsmitglieder, sondern dass die Vergütung jedes Einzelnen
veröffentlicht wird. Nach drei Jahren gibt es noch immer
hartnäckigen Widerstand von einigen Vorständen und
erst jetzt, kurz vor der Bundestagswahl, soll dazu ein
wahrlich zahnloses Gesetz verabschiedet werden.
Mich verwundert schon, dass sich deutsche Topmanager so vehement gegen eine Veröffentlichung ihrer Vergütung wehren. Man könnte annehmen, dass sie eine
Diskussion über die Höhe ihrer Gehälter fürchten. Offensichtlich sind sie sich nicht sicher, ob die Höhe ihrer
Gehälter in der Öffentlichkeit gerechtfertigt werden
kann. Die Millionengehälter von Herrn Ackermann von
der Deutschen Bank oder Herrn Schrempp von DaimlerChrysler sind wirklich nicht zu rechtfertigen.
({1})
Warum wehren sich die Bundesregierung und die
konservative Opposition eigentlich gegen eine gesetzlich
verankerte Vergütungsobergrenze für Vorstände? Seit
langer Zeit sind Obergrenzen zwischen dem 20fachen
und dem 150fachen eines durchschnittlichen Arbeitnehmergehaltes in der Diskussion. Ist es denn wirklich eine
Zumutung, für das 150fache eines Arbeitnehmergehaltes
zu arbeiten? Ich glaube nicht. Eine Vergütungsobergrenze wäre nach der massiven Heuschreckenpolemik
von Herrn Müntefering, meine lieben Kolleginnen und
Kollegen von der SPD, ein Muss für dieses Gesetz gewesen.
({2})
Nach dem Gesetzentwurf sollen Vorstände, die ihre
Vergütungen nicht veröffentlichen, mit einer Maximalstrafe in Höhe von 50 000 Euro belegt werden. Das ist in
Anbetracht von Vorstandsgehältern, die in die Millionen
gehen, einfach lächerlich. 50 000 Euro Bußgeld zahlen
die Vorstände aus der Kaffeekasse.
Ich möchte Ihnen einige weitere Kritikpunkte aus
Sicht der PDS benennen:
Erstens. Im Gesetz wird zwar die Veröffentlichung
der Vorstandsgehälter gefordert, nicht aber die Veröffentlichung der Aufsichtsratsvergütung.
Zweitens. Sie erklären zwar, dass Unternehmen, an
denen der Bund beteiligt ist, nach dem Kodex arbeiten.
Aber das haben Sie im Gesetz nicht geregelt. Warum
sollen die Steuerzahler nicht erfahren, wie viel zum Beispiel Herr Mehdorn von der Deutschen Bahn verdient?
Ich glaube, daran wären so mancher Bahnfahrer und
manche Bahnfahrerin brennend interessiert.
({3})
Drittens. Dann haben Sie eine Regelung eingebaut
- das ist hier schon angesprochen worden -, die den Aktionären erlaubt, dieses Gesetz mit Dreiviertelmehrheit
wieder auszuhebeln. Da fragt man sich doch: Was soll
diese Hintertür? Sie werden verstehen, dass wir als PDS
einem solchen zahnlosen Gesetz nicht zustimmen können. Wir werden uns enthalten.
Vielen Dank.
({4})
Ich erteile das Wort Christian Lange, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Herbst des vergangenen Jahres haben sich
40 Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion auf den Weg gemacht, ein Gesetz zur Offenlegung
von Managerbezügen zu formulieren. Wir haben dies gemeinsam mit Herrn Professor Baums getan, dem ich an
dieser Stelle herzlich danken möchte. Wir sind durch den
Bericht der Cromme-Kommission, was unseren Gesetzentwurf angeht, überrollt worden. Wir alle erinnern
uns: Die Cromme-Kommission musste eingestehen, dass
das Versprechen der deutschen Wirtschaft, dass alle
Christian Lange ({0})
30 DAX-Unternehmen die Gehälter ihrer Manager freiwillig veröffentlichen, nicht eingehalten werden konnte.
({1})
Wir, die SPD-Fraktion und sicherlich auch die Grünen-Fraktion, freuen uns, dass die Bundesregierung sofort reagiert hat. Ich will deshalb ein Wort des Dankes
auch an Sie, Frau Ministerin Zypries und Herr Staatssekretär Hartenbach, richten.
({2})
Es war für uns vom Netzwerk Berlin eine Selbstverständlichkeit, dass wir unseren Gesetzentwurf zugunsten
des Gesetzentwurfs der Koalitionsfraktionen zurückziehen. An dieser Stelle will ich deutlich und klar sagen:
Uns ist in der Tat wichtig, dass wir diesen Gesetzentwurf
nicht gegen die Cromme-Kommission, sondern im Einvernehmen mit ihr verhandelt haben.
Ein zweiter Punkt ist mir ganz besonders wichtig
- ich erinnere an das, was Sie und auch der Kollege
Scholz angesprochen haben; wir werden das heute ebenfalls noch beraten -: die Offenlegung der Nebeneinkünfte von Abgeordneten. Das, was beide Gesetzentwürfe, die wir heute verabschieden werden, verbindet,
ist das Thema Vertrauen: Bei den Managergehältern,
über die wir heute Vormittag diskutieren, geht es um das
Vertrauen der Anleger in ihre Aktiengesellschaften und
in deren Vorstände; es geht um Anlegerschutz.
({3})
Heute Mittag geht es um das Vertrauen der Wählerinnen
und Wähler in die wirtschaftliche Unabhängigkeit ihrer
Volksvertreter. Das Vertrauen ist also das verbindende
Element beider Gesetzentwürfe. Wir brauchen beide Gesetze und deswegen werden wir sie heute verabschieden.
({4})
Herr Staatssekretär, ich will Ihnen ausdrücklich dafür
danken, dass Sie mit Blick auf die öffentlichen Unternehmen - wohlgemerkt: öffentlichen, nicht börsennotierten; um öffentliche Unternehmen geht es in diesem
Gesetzentwurf nämlich nicht - angekündigt haben,
({5})
dass die Vergütungen auf allen drei Ebenen - in den Ländern, in den Gemeinden und im Bund - veröffentlicht
werden.
({6})
Ich will auch erläutern, warum wir den Gesetzentwurf
der FDP ablehnen. Ich stimme dem Kollegen Krings
ausdrücklich zu: Nach den Vorstellungen der FDP sollte
eine Offenlegungspflicht nur dann bestehen, wenn die
Hauptversammlung einen entsprechenden Beschluss
fasst. Wer vor einer Neiddebatte in Deutschland aber
Angst hat, der darf Ihrem Weg nicht folgen; denn er bedeutet, dass bei jeder Jahreshauptversammlung entsprechende Diskussionen geführt werden. Deshalb bitte ich
Sie: Ziehen Sie diesen Gesetzentwurf zurück! Seine Verabschiedung führte zum glatten Gegenteil dessen, wovon Sie hier gesprochen haben.
Uns ist noch Folgendes wichtig: Durch die Verabschiedung unseres Gesetzentwurfs wird eine international übliche Praxis in der Bundesrepublik eingeführt. Es
ist in der Tat so, dass alle börsennotierten Unternehmen
in den wichtigen Industrienationen diese Veröffentlichungspflichten haben. Ich will nennen, wo das so ist
- es ist gerade für die Zuschauerinnen und Zuschauer
wichtig, das zu wissen -: in den USA, in Kanada, in
Großbritannien, in Irland, in Frankreich, in den Niederlanden, in Österreich, in der Schweiz, in Schweden und
sehr bald auch in Deutschland.
({7})
Und das ist gut so!
Deshalb sage ich an dieser Stelle in Richtung der
FDP, die zu diesem Gesetzentwurf Nein sagen will: Sie
behaupten doch sonst immer, ein Auge für die Wirtschaft
zu haben.
({8})
Bitte, sorgen Sie dafür, dass internationale Standards
auch in Deutschland gelten!
({9})
Wir verbinden mit diesem Gesetz das Anliegen, dass
es unbürokratisch umgesetzt werden kann. Ein Überblick hat uns schon klar gemacht, wie es andere Länder
machen. Großbritannien hat es beispielsweise geschafft, die Pflicht, Managergehälter offen zu legen, in
einer 27-seitigen Verwaltungsschrift zu regeln. Ich will
Ihnen sagen: Wir schaffen das mit drei Artikeln. Das
macht deutlich, dass dieser Gesetzentwurf kurz, klar und
intelligent ist. Wir bitten um Zustimmung.
Herzlichen Dank.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
eingebrachten Gesetzentwurf über die Offenlegung der
Vorstandsvergütungen, Drucksache 15/5577. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/5860, den GesetzentPräsident Wolfgang Thierse
wurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD,
CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen gegen die übrigen Stimmen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU,
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP bei
Stimmenthaltung von zwei fraktionslosen Abgeordneten
angenommen.
({0})
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion
der FDP zur Stärkung der Eigentümerrechte einer
Aktiengesellschaft auf Drucksache 15/5582. Der Rechts-
ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 15/5860, den Gesetz-
entwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Ge-
setzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen des
Hauses gegen die Stimmen der FDP abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
weitere Beratung.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dagmar
Wöhrl, Karl-Josef Laumann, Dr. Peter Paziorek,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Energiepolitik für mehr Wachstum und Be-
schäftigung
- Drucksache 15/4844 -
b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Dr. Peter Paziorek, Karl-Josef Laumann, Dagmar
Wöhrl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Auswirkungen des weltweiten Energie- und
Ressourcenbedarfs auf die globale Klimaent-
wicklung
- Drucksachen 15/3740, 15/5809 -
c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zum Jahresgutachten 2003
„Welt im Wandel - Energiewende zur Nachhaltigkeit“ des Wissenschaftlichen Beirats der
Bundesregierung „Globale Umweltveränderungen“
- Drucksache 15/4155 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Joachim Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir kommen nun zu einem weiteren Kapitel rotgrünen Versagens, der Energiepolitik.
({0})
- Die Wahrheit muss auch heute Morgen noch einmal
gesagt werden.
1998 sind Sie mit der vollmundigen Ankündigung einer Energiewende angetreten.
({1})
Was ist außer Verbalakrobatik daraus geworden? Nicht
viel!
({2})
Beim Thema Energie - das müssen wir allerdings einräumen - haben Sie sich wesentlich eleganter aus der
Affäre gezogen als in anderen Politikbereichen. Ihr
Scheitern ist nicht so offensichtlich, deswegen aber nicht
weniger
({3})
eklatant und nicht minder fulminant. In anderen Feldern,
etwa der Arbeitsmarktpolitik, haben sich der Wirtschaftsminister und der Bundeskanzler Ziele gesetzt. Sie
wollten die Arbeitslosigkeit halbieren. Was daraus geworden ist, sehen wir jeden Monat bei den Zahlen aus
Nürnberg.
In der Energiepolitik haben Sie aus weiser Voraussicht und in Erwartung Ihres Scheiterns erst gar kein
Programm auf- und vorgelegt. In sieben Jahren RotGrün gab und gibt es kein Energieprogramm, in dem
Ziele und die Instrumente zur Erreichung derselben niedergelegt sind. Ihr Vorgänger, Herr Clement, der Herr
Müller, räumt mittlerweile auch öffentlich und freimütig
ein, man habe ein Energieprogramm einmal in der
Schublade gehabt, das aber überhaupt nicht mit den Realitäten in Einklang zu bringen gewesen sei; die Instrumente und Aktivitäten, die entwickelt worden seien, hätten auch überhaupt nicht zueinander gepasst, weshalb
man in weiser Voraussicht darauf verzichtet habe, dieses
Energieprogramm überhaupt vorzulegen.
Statt also mit einem konsistenten Energieprogramm
seine Hausaufgaben zu machen und dieses Programm
dann auch abzuarbeiten, kamen in sieben Jahren leider
vor allem nur ideologiegetriebenes Stückwerk und Hickhack: Einzelaktionen, die nicht zueinander passen, Politik mit Scheuklappen, gepaart mit einem großen Schuss
an Volksverdummung und Volksverhetzung, was insbesondere der Part von Herrn Trittin war und ist.
Wo steht Deutschland heute, 2005,
({4})
energiepolitisch in Europa und in der Welt? Wir haben
mittlerweile wieder die höchsten Energiepreise in Europa. Allein in den energieintensiven Branchen sind akut
600 000 Arbeitsplätze gefährdet. Ich nenne als Stichwort
die Alu-Hütten in Nordrhein-Westfalen und Hamburg;
das ist ja täglich nachzulesen.
Ihre selbst gesteckten Klimaziele wurden klar verfehlt. Das, was erreicht wurde, wurde teuer erkauft.
Viele strukturelle Probleme in der Energiewirtschaft,
beispielsweise die hohe Einfuhrabhängigkeit, wurden
von Ihnen nicht wirkungsvoll angegangen. Investitionsstau und Planungsunsicherheit herrschen in weiten Bereichen der Energiewirtschaft. Entscheidungen über Milliardeninvestitionen in die Netze und in die Erneuerung
des Kraftwerksparks - allein 40 000 Megawatt sind eigentlich bis 2020 zu erneuern ({5})
hätten angesichts der Planungsvorlaufzeiten bzw. des
Prozedere, das wir in Deutschland haben, heute eigentlich schon getroffen werden müssen. Das ist aber nicht
der Fall.
Energiepolitik, meine Damen und Herren, sollte eigentlich zuvörderst Standortpolitik sein. Das ist eigentlich ein selbstverständlicher Leitsatz, dem Sie aber nicht
gefolgt sind. Wir brauchen wettbewerbsfähige Energiepreise im europäischen Kontext für Wirtschaft und Verbraucher, damit wir für Wachstum sorgen und Arbeitsplätze schaffen,
({6})
damit wir die Konsumentensouveränität erhalten und
stärken und damit wir die Nachfrage ankurbeln. Was ist
bei den Strompreisen passiert? 2 Milliarden Euro betrugen die staatlich administrierten Abgaben und Belastungen bei Ihrem Regierungsantritt 1998. Was ist heute
daraus geworden? Sie belasten heute mit über 12 Milliarden Euro Wirtschaft und Verbraucher und schädigen
damit die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes nachhaltig. Die Steuer- und Abgabenlast der privaten Haushalte
im Strombereich beträgt statt 25 Prozent im Jahr 1998
heute 40 Prozent.
Auch die Maßnahmen für mehr Wettbewerb, die vor
Ihrer Regierungsübernahme schon durch die schwarzgelbe Bundesregierung initiiert wurden und anfangs
durchaus Wirkung gezeigt haben - es wurden nämlich
Liberalisierungs- und Rationalisierungseffekte in einer
Größenordnung von 7,5 Milliarden Euro erzielt -, haben
Sie nicht weiter konsequent fortgeführt. Vielmehr haben
Sie die Dinge treiben lassen.
({7})
Im Gegenteil: Sie haben diese Rationalisierungseffekte
durch die Einführung staatlicher Abgaben überkompensiert.
Das Energiewirtschaftsgesetz, das jetzt novelliert
wird, haben Sie nicht zum 1. Juli letzten Jahres, wie von
der EU gefordert, novelliert. Wertvolle Zeit ist verstrichen. Erst durch unser Engagement im Vermittlungsausschuss
({8})
ist es gelungen, insbesondere den Wettbewerbsgedanken
zu etablieren. Im Gasbereich sind Sie auf halber Strecke
stehen geblieben.
({9})
Das Entry-Exit-Modell stand zwar auf der Agenda, war
aber im Gesetz nicht drin. Wesentliche Stellgrößen, wie
Netznutzungsentgelte im Bereich der Regelenergien, haben Sie nicht angepackt. Erst im Vermittlungsverfahren
ist es gelungen, einen Kompromiss herbeizuführen und
dem Wettbewerbsgedanken neue Triebkraft zu verschaffen.
Lassen Sie mich auch noch etwas zum Klimaschutz
sagen. Sie haben sich auch hier große Ziele vorgenommen. In Ihrer Koalitionsvereinbarung von 1998 haben
Sie das Ziel vorgegeben, den CO2-Ausstoß bis 2005 gegenüber 1990 um 25 Prozent zu reduzieren. Was haben
Sie erreicht? 19 Prozent. Dabei waren 1998 schon
13 Prozent durch die Kohl-Regierung erfüllt.
({10})
Das heißt, trotz kostspieliger Anstrengungen in Form
von Ökosteuer, EEG, Emissionshandel und KWK-G
- all das sind Instrumente, die Sie eingeführt haben - haben Sie Ihre Klimaschutzziele, bezogen auf die absoluten Zahlen, nicht erreicht. Und wie haben Sie das, was
Sie erreicht haben, erreicht? Zu hohen oder gar höchsten
Kosten. Vor allem die erneuerbaren Energien sind nämlich heute noch nicht wettbewerbsfähig, weder wirtschaftlich in Bezug auf Stromerzeugung noch bezüglich
ihrer Klimaschutzwirkung.
Lassen Sie mich das an dem Beispiel der Vermeidungskosten deutlich machen. Das ist ein objektiver
Maßstab. Bei der Windenergie müssen mindestens
70 Euro eingesetzt werden, um eine Reduktion von
1 Tonne CO2 zu erreichen, bei der Photovoltaik gar
500 Euro. Durch die Steigerung des Wirkungsgrades von
Kraftwerken oder durch Maßnahmen im Gebäudebereich - auf die dort vorhandenen Potenziale werde ich
gleich noch eingehen ({11})
können wir mit dem Einsatz von 5 bis 10 Euro den CO2Ausstoß um 1 Tonne reduzieren. Das heißt, wenn Klimaschutz wirklich das Gebot der Stunde ist, dann müssen
wir ihn heute mit den Instrumenten betreiben, die wirksam und vor allem kosteneffizient sind. Das Gegenteil
dessen haben Sie gemacht.
Wir werden eine andere Klimapolitik machen. Wir
wollen Vorfahrt für Arbeit und Arbeitsplätze, Arbeit
durch Wachstum. Bei der Schaffung von Wachstum
spielt die Energie eine große Rolle. Wir wollen keine
Denkverbote bei der Energieforschung, eine marktwirtschaftliche Rückbesinnung und vor allem einen nachhaltigen, diversifizierten Energiemix, in dem alle Energieträger ihren Platz haben und ihre spezifischen Vorteile
genutzt werden können. Das gilt für die fossilen Energien, die, wie beispielsweise die Braunkohle, in
Deutschland verfügbar sind, Versorgungssicherheit garantieren und deren Abbau wirtschaftlich ist. In der Forschung müssen wir uns für die CO2-Reduktion - Stichwort: CO2-freie Kraftwerke - einsetzen. Das gilt auch
mit Blick auf die Abgase.
Auch die erneuerbaren Energien sind Bestandteil des
Energiemix. Die erneuerbaren Energien spielen eine zunehmend wichtige, aber keine alleinige Rolle für den
Energiemix in Deutschland. Bis die erneuerbaren Energien wettbewerbsfähig sind und bis beispielsweise die
CO2-Reduktion bei den fossilen Energien technisch
möglich und wirtschaftlich umsetzbar ist, brauchen wir
eine Brücke in die Zukunft. Diese Brücke in die Zukunft
bildet für uns die Kernenergie. Um sie zu beschreiten,
werden wir die Laufzeiten der Kernenergieanlagen, am
spezifischen Sicherheitsniveau orientiert, verlängern.
Damit werden wir auch volkswirtschaftliche Potenziale
für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands heben können.
({12})
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen; Sie haben Ihre Redezeit bereits deutlich überschritten.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.
Wir werden darüber hinaus einen weiteren Schwerpunkt im Bereich der energetischen Sanierung setzen.
Herr Kollege, keinen weiteren Schwerpunkt! Sie
müssen zum Schluss kommen; Sie haben Ihre Redezeit
deutlichst überschritten.
({0})
Bei Ihnen; da macht es nichts aus.
Wir werden einen Schwerpunkt im Bereich der energetischen Sanierung setzen. Damit schaffen wir eine
Energiepolitik aus einem Guss, die Voraussetzung für
Wirtschaftswachstum und damit auch für die Schaffung
von Arbeitsplätzen ist.
Vielen Dank.
({0})
Herr Kollege Pfeiffer, Sie haben in Ihrer Rede dem
Bundesminister Trittin „Volksverdummung und Volksverhetzung“ vorgeworfen. Ich rüge diese Ausdrucksweise schärfstens; denn wir sollten uns nicht angewöhnen, Kollegen Straftaten vorzuwerfen.
({0})
Ich erteile das Wort dem Bundesminister Wolfgang
Clement.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Union
fragt in ihrem Antrag, der dem Hohen Haus vorliegt,
nach dem energiepolitischen Konzept der Bundesregierung. Herr Kollege Pfeiffer hat das gerade auf seine
Weise noch einmal deutlich zu machen versucht. Ich antworte ihm, dass sich das Energiekonzept der Bundesregierung dadurch auszeichnet, dass es zukunftsfähig ist
und den Unternehmen Planungssicherheit bietet; das
werde ich gleich darstellen.
({0})
Nachdem ich seine Rede aufmerksam verfolgt habe,
muss ich sagen: Das Energiekonzept der Union zeichnet
sich dadurch aus, dass es keines gibt.
({1})
Ich meine, Sie sollten Ihre Energie lieber auf die Entwicklung eines solchen Energiekonzeptes konzentrieren.
Das, was Sie mit Ihrem Antrag, den ich studiert habe,
dargelegt haben und was eben hier öffentlich erörtert
worden ist, habe ich, ehrlich gesagt, als Energieverschwendung empfunden.
({2})
Das Energiekonzept der Bundesregierung bedeutet
- das ist bekannt - einen ausgewogenen Energiemix, zu
dem die Kernenergie auf die Dauer, wie es vereinbart ist,
nicht mehr gehört. Das ist einer der Unterschiede zwischen uns, über den wir uns auseinander setzen werden.
Die Bilanz der Energiepolitik, die wir vorlegen können,
ist meines Erachtens positiv. Der beste Beweis ist die
Tatsache, dass die Energieversorgungsunternehmen unmittelbar nach der Verabschiedung des EnWG, des Energiewirtschaftsgesetzes, erklärt haben, dass sie Investitionen
in einer Größenordnung von rund 19 Milliarden Euro
vornehmen werden.
({3})
Erst gestern las ich eine Meldung von Vattenfall, dass
es seine Investitionen noch einmal um 1 Milliarde Euro
erhöhen wird. Ich frage mich wirklich, wie Sie allen
Ernstes in Ihrem Antrag schreiben können, durch das,
was wir täten, insbesondere durch das EnWG, würden
Investitionen verhindert und Arbeitsplätze gefährdet.
Wenn wir einigermaßen vernünftig miteinander umgehen wollten, müssten Sie einen solchen Antrag sofort zurückziehen.
({4})
Das entspricht doch wirklich nicht dem, was wir vereinbart und woran wir gemeinsam gewirkt haben.
Ich frage mich gelegentlich - das mag altersbedingt
sein -, wozu die Auseinandersetzungen, die Sie mit Behauptungen führen, die nichts mehr mit der Realität zu
tun haben, dienen sollen.
({5})
Sie haben gerade dem Energiewirtschaftsgesetz zugestimmt, mit dem Investitionen in Netze und Anlagen in
Höhe von vielen Milliarden Euro ermöglicht werden.
Wir haben meines Erachtens die Weichen in Richtung
Energiemix richtig gestellt. Dazu gehören hocheffiziente und klimaverträgliche fossile Energien. Dazu gehört auch das CO2-arme Kraftwerk. Die Experten erwarten, dass es bis zum Jahr 2020 fast CO2-freie Kraftwerke
gibt. Das erste Pilotkraftwerk dieser Art wird jetzt vermutlich - Vattenfall hat es so angekündigt - in Deutschland errichtet. Es soll im Jahr 2008 fertig gestellt sein.
Um es Ihnen klar und deutlich zu sagen: Aus meiner
Sicht ist das die Antwort, die die Bundesrepublik
Deutschland auf die Frage nach der Kernenergie geben
sollte.
({6})
Diese Antwort ist richtig, weil die neuen Kraftwerke klimaverträglich sind.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schauerte?
Nein. Ich bitte um Verständnis.
({0})
Zum anderen gehört zu einem zukunftsfähigen Energiemix, dass wir im Rahmen einer vernünftigen Gesamtstrategie die technologische Weiterentwicklung auf dem
Gebiet der erneuerbaren Energien vorantreiben. Wir
haben uns das Ziel gesetzt, bis 2020 einen Anteil von
20 Prozent der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung zu erreichen. Wir haben fast 10 Prozent erreicht.
Wir werden wahrscheinlich schon vor dem Jahr 2015 einen Anteil von 20 Prozent erreichen. Dass eine höhere
Menge an aus regenerativen Energieträgern erzeugtem
Strom zusätzlich in das Netz integriert werden kann, hat
die DENA-Netzstudie gezeigt. Erforderlich sind aber Investitionen in den Netzausbau. Wir brauchen außerdem
ein Erzeugungsmanagement - über das wir weiter zu
diskutieren haben -, damit es nicht zu Ausfällen im
Netz, beispielsweise aufgrund der Schwankungen bei
der Stromerzeugung aus Windkraft, kommt.
Die Kernenergie gehört für uns nicht zum Energiemix. Das habe ich schon deutlich gemacht.
Der dritte Eckpfeiler unserer Energiepolitik ist die
Energieeffizienz. Wenn man über diese Frage ernsthaft
diskutieren will, Herr Kollege Pfeiffer, muss man die
Tatsache beachten, dass der hohe Ölpreis natürlich auch
mit Energieeffizienz und Energienachfrage zu tun hat.
Die zurzeit hohe Nachfrage der USA und Chinas nach
Energie trägt maßgeblich zu den unerträglich hohen Ölpreisen bei. Es ist ganz unzweifelhaft, dass in den USA
und China wesentlich mehr getan werden muss, um die
Energieeffizienz zu steigern und um Energie einzusparen.
({1})
Gerade an die USA muss man appellieren, in einer solchen Zeit endlich die notwendigen Raffineriekapazitäten
aufzubauen. Die geringen Kapazitäten sind nämlich einer der wesentlichen Gründe, warum die USA die europäischen Märkte leer kaufen und warum die Situation
am Ölmarkt so angespannt ist.
({2})
Der Bundeskanzler war es, der angeregt hat, über den
Ölpreis auf dem G-8-Gipfel in Gleneagles zu sprechen.
Das wird auch geschehen. Der Bundeskanzler ist übrigens auch derjenige, der die Beziehungen zu Russland
so entwickelt hat, dass es eine absolut sichere und vor allen Dingen ausbaufähige Energiepartnerschaft gibt - das
gilt für die Partnerschaft mit Russland insgesamt -, die
für unsere Energieversorgung von außerordentlicher Bedeutung ist und die wir pflegen müssen.
({3})
Schließlich müssen wir mit der Strategie „Weg vom
Öl“ weitermachen. Ich habe wenig von Ihnen gehört,
wie Sie mit der Ölpreissituation umgehen wollen. Wir
werden aus meiner Sicht den Anteil alternativer Kraftstoffe steigern müssen. Der Anteil der Biokraftstoffe
liegt zurzeit bei 1,8 Prozent. Wir werden hier wie auch
bei der Energieeinsparung als eines von ganz wenigen
Ländern das europäische Ziel erreichen. Wir werden mit
einiger Sicherheit im Jahre 2005 einen Anteil von
2 Prozent erreichen. Im Jahr 2010 wird der Anteil der
Biokraftstoffe bei über 5 Prozent liegen. Die deutsche
Automobilindustrie geht davon aus, dass dieser Anteil
bis 2020 bei einer Größenordnung von 10 Prozent liegt.
Das ist wichtig für die Landwirtschaft wie auch für die
Sicherstellung der Energieversorgung in unserem Land.
Um es kurz und knapp zu sagen, Herr Kollege
Pfeiffer: Wir sichern die Energieversorgung am zuverlässigsten, wenn wir Investitionen in unseren Standort
attraktiv machen.
({4})
- Herr Kollege, ich war gerade in Ihrem Wahlkreis. Es
hat mir dort unten ausgesprochen gut gefallen. Ich habe
aber von Ihnen nichts zur Energiepolitik gehört.
({5})
- Ich war in Ihrem Wahlkreis. Mir ist gesagt worden, Sie
seien dort nicht gesehen worden.
({6})
Ich hatte dort ausgesprochen nette Gesprächspartner.
Deshalb bitte ich um Entschuldigung für meine Bemerkung.
Attraktiv heißt jedenfalls erstklassige und stabile
Rahmenbedingungen sowie Anreize für Investitionen in
Kraftwerke und in Leitungen. Dazu haben wir mit dem
Energiewirtschaftsgesetz einen großen Schritt getan.
Ich sage ganz offen: Ich bin allen Beteiligten - auch
denen von Ihrer Seite -, die daran mitgewirkt haben,
sehr dankbar dafür, dass wir einen Kompromiss zustande
gebracht haben, sodass der Entwurf eines Energiewirtschaftsgesetzes noch verabschiedet werden konnte. Das
ist von großer Bedeutung.
Noch ein Wort zur Aluminiumindustrie. Sie sollten
zur Kenntnis nehmen, dass die Aluminiumindustrie in
ganz Europa unter Druck ist. Das ist kein deutsches Problem. Es ist auch nicht mit der Ökosteuer zu begründen.
Ich hätte gerne von Ihnen gehört, was Sie, wenn Sie die
Ökosteuer abschaffen wollen, stattdessen tun wollen;
aber lassen wir das jetzt.
Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass beispielsweise
Norsk Hydro, das Unternehmen, mit dem die Aluminiumindustrie hier viel zu tun hat, auch in Norwegen
zwei Hütten stilllegt. Wir reden hier über ein Problem,
das uns am Standort Deutschland insgesamt sehr beschäftigt. Wir werden alles tun, um die jetzigen Standorte, soweit es irgendwie geht, zu erhalten. Wir sind mit
allen beteiligten Unternehmen sowohl auf der Stromversorgungsseite als auch auf der Seite der Aluminiumindustrie im Gespräch. Ich meine, dass es - um es klar
zu sagen - im Interesse von RWE und Vattenfall sein
sollte - dabei geht es um die Standorte in NordrheinWestfalen, Hamburg und Stade -, die Aluminiumindustrie als Kunden in unserem Land zu halten. Das sollte, so
schwierig das im Moment angesichts der Preissituation
ist, das Interesse der Stromversorgungsunternehmen
sein. Aber auch die Aluminiumindustrie sollte abschlusswillig sein. Sie darf die Verantwortung nicht auf
die Politik verlagern. Da wäre sie nicht richtig.
Deshalb führen wir, wie gesagt, Gespräche mit den
beteiligten EVUs und der Aluminiumindustrie - und
dies übrigens zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen der Wirtschaftsminister der Länder, die auf diesem
Sektor tätig sind. Wir versuchen, diese Gespräche zu
moderieren. Wir hoffen, dass wir im Interesse unseres
Wirtschaftsstandortes Lösungen finden. Wir möchten,
dass die Aluminiumindustrie wie alle stromintensiven
Industrien in Deutschland und in Europa bleiben kann.
Um über das zu reden, was wirklich ist, muss ich darauf hinweisen, dass Norsk Hydro zurzeit in Katar ein
neues Aluminiumwerk baut. Es wird direkt auf einer
Erdgasblase gebaut. Ich möchte einmal irgendeinen
Standort in Europa sehen - außer in Russland -, auf dem
man das konkurrenzfähig machen kann. Lassen Sie also
die Tassen im Schrank und lassen Sie uns über die wirklichen Fakten und nicht über oberflächliche Vorwürfe reden!
({7})
Kurz und gut, klimaverträgliche fossile Energien plus
eine Gesamtstrategie für die erneuerbaren Energien,
mehr Energieeffizienz auch im Sinne einer höheren Unabhängigkeit vom Öl und erstklassige Rahmenbedingungen für die Energiebranche, darum geht es. Das versuchen wir herzustellen.
Wenn wir in diesem Zusammenhang über die Wirtschaftlichkeit sprechen, dann gehört dazu auch, dass den
Unternehmen die Möglichkeit eröffnet wird, ihre
Reduktionsverpflichtungen aus dem Emissionshandel möglichst kostengünstig und flexibel zu erfüllen, indem sie auch ihre im Ausland erzielten Minderungen angerechnet bekommen. Dazu hat die Bundesregierung
einen Entwurf vorgelegt; ich nehme an, mein Kollege
Trittin wird dazu etwas sagen. Ich bitte Sie, diesem Entwurf zuzustimmen. Sie sagen, dass die Maßnahmen der
Clean Development Mechanism und des Joint Implementation vollkommen fehlen. Der Gesetzentwurf ist da.
Stimmen Sie ihm zu! Dann haben wir eine weitere Entlastung der Energieindustrie.
({8})
Unterschätzen Sie das nicht! Das sage ich nicht aus polemischen Gründen. Ein ganz wichtiger Gesichtspunkt in
unseren Gesprächen mit der Aluminiumindustrie ist,
dass wir längerfristig eine Perspektive für den Umgang
mit dem Emissionshandel bieten können. Auch dort sind
die Preise durch Spekulationen inzwischen ziemlich
hoch.
Machen Sie den Weg frei, sodass wir die Möglichkeiten des Joint Implementation und die Instrumente, die im
Kioto-Protokoll vorgesehen sind, nutzen können! Dann
haben Sie einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, die
Energiepreise in den Griff zu bekommen.
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Ich erteile das Wort Kollegin Gudrun Kopp, FDPFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Herr Minister Clement, in der heutigen Energiedebatte müssen wir festhalten, dass Sie in der zurückliegenden Legislaturperiode den Kampf um die richtige
Energiepolitik, das heißt um Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitsplätze und die Entlastung von Verbrauchern,
schlicht verloren haben.
({0})
Denn die richtige Energiepolitik hat auch eine wichtige
Sozialkomponente.
Wie das zusammenhängt, möchte ich Ihnen kurz darstellen. Die Strompreise für Endverbraucher, also für
Haushalte und Gewerbe, liegen nach Auskunft der Bundesregierung - dies ist in einer Drucksache nachzulesen in allen Abnahmebereichen an der Spitze Europas. Ein
Beispiel eines mittelständischen Maschinenbauers in
Deutschland: Er musste im Jahr 2003 eine Stromrechnung von im Durchschnitt circa 9 100 Euro bezahlen
und sein Kollege in Schweden eine Stromrechnung von
nicht einmal der Hälfte, nämlich von 4 083 Euro.
({1})
Das ist ein Standortnachteil, den Sie mit Ihrer rot-grünen
Energiepolitik in den zurückliegenden Jahren verursacht
haben. An dieser Bilanz kommen Sie auch am heutigen
Morgen nicht vorbei.
({2})
Wir wissen, dass die Strompreise inzwischen zu
41 Prozent durch staatliche Belastungen verursacht
werden. Ich nenne die Fakten: die Stromsteuer, die Belastungen durch das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz und
das Erneuerbare-Energien-Gesetz.
({3})
- Die Mehrwertsteuer ist natürlich ebenso dabei wie die
Konzessionsabgaben.
Die Belastungen auf den Energiepreisen haben sich
seit Ihrem Regierungsantritt versechsfacht, Herr Kollege
Hempelmann.
({4})
Auch das gehört zu der Bilanz Ihrer Energiepolitik.
({5})
Über 7 Milliarden Euro betragen die Zusatzkosten
({6})
für die Zwangseinspeisung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, wenn man diese mit den Strompreisen an
der Leipziger Börse vergleicht.
Herr Minister Clement, Sie sagen, wir müssen über
das Erzeugungsmanagement, beispielsweise über die
Zwangsverpflichtung, Strom aus Windenergieanlagen
einzuspeisen, reden. Nein, Sie hätten längst handeln
müssen. Die Zwangsverpflichtung belastet den Energiestandort Deutschland, und zwar ganz erheblich.
({7})
Wirtschaftlichkeit, günstige Preise und Versorgungssicherheit sind während Ihrer Regierungszeit aus dem
Lot geraten. Wir wissen sehr wohl, Herr Minister
Clement, dass durch die Aufsplittung der Zuständigkeiten für die Energiepolitik zwischen Wirtschaftsministerium einerseits und Umweltministerium andererseits
manche Turbulenzen entstanden sind. Diesen Turbulenzen mussten Sie viel zu häufig hilflos zusehen.
Was will die FDP-Bundestagsfraktion?
({8})
Wir waren die erste und sind bislang auch die einzige
Bundestagsfraktion, die ein rundum schlüssiges Energiekonzept vorgelegt hat.
({9})
Ich möchte Ihnen daher erklären, worum es uns geht.
Wir möchten, dass Markt und Wettbewerb wieder Raum
greifen, dass Vernunft zurückkehrt und Ideologie sich
nicht ausbreiten kann. Wir legen Wert auf einen Energiemix, um Abhängigkeiten zu vermeiden. Wir wollen
einen ausgewogenen Energiemix, der nicht politisch bestimmt wird, sondern sich nach Markt- und Wettbewerbsgegebenheiten richtet.
In unserem energiepolitischen Programm sind die fossilen Energien genauso wie die erneuerbaren Energien
vorgesehen. Die erneuerbaren Energien dürfen nicht
weiter überfördert werden, sondern müssen sich im
Wettbewerb bewähren. Es darf nicht sein, dass sie Überförderung zulasten der Steuerzahler und der Stromkunden genießen.
({10})
- Ganz richtig, Herr Kollege Tauss.
Sie haben die Laufzeiten der Kernkraftwerke
zwangsweise beschlossen.
({11})
Uns ist wichtig, dass daran nicht so einfach festgehalten
wird. Ich nenne Ihnen dafür ein Beispiel. Wenn die Laufzeiten der bestehenden Kernkraftwerke ausgenutzt würden ({12})
technisch und sicherheitstechnisch sind im Schnitt
40 Jahre vorgesehen -, dann könnten wir 500 Millionen
Tonnen CO2 einsparen.
({13})
Wir könnten damit enorme volkswirtschaftliche Gewinne erzielen. Auch dieser Punkt muss hier einmal genannt werden.
Das Energiewirtschaftsgesetz haben wir inzwischen
gemeinsam im Vermittlungsverfahren auf den Weg gebracht. Mir liegt daran, zu sagen: Auch wir wollten ein
Zeichen dafür setzen, dass ein Rahmenprogramm und
Rechtssicherheit für die Energieunternehmen in
Deutschland gegeben werden und sie nicht länger auf die
nötigen Beschlüsse warten müssen. Ich bin ganz besonders froh darüber, dass es uns im Rahmen des Vermittlungsverfahrens auch gelungen ist, die bürokratischen
Lasten, nämlich über 130 Berichts- und Veröffentlichungspflichten, um 75 Prozent zu senken. Das war sehr
gut.
Wir möchten einen Neustart. In Nordrhein-Westfalen
haben wir, CDU und FDP, ihn bereits eingeleitet. Bei der
Subventionierung der Steinkohle haben wir Fakten geschaffen. Auch beim Thema Windenergie sind wir vorangegangen und haben Abstandsflächen zur Wohnbebauung eingezogen,
({14})
nämlich 1 500 Meter, weil es uns in erster Linie um die
Menschen und nicht um Ideologie geht.
({15})
Wir legen Wert auf Forschung und Entwicklung, und
zwar in allen Bereichen. Wir möchten keine Denk- und
Forschungsverbote. Deshalb verfolgen wir auch das
Ziel, in der Fusionsforschung voranzukommen. Wie Sie
wissen, wird in Frankreich von hoch qualifizierten Wissenschaftlern der erste ITER-Forschungsreaktor gebaut.
Wir möchten, dass sich daran auch deutsche Wissenschaftler beteiligen und das Know-how, das sie haben,
einbringen können.
Ich glaube, dass ab morgen, nachdem sich auch RotGrün zur Vertrauensfrage geäußert hat, neue Zeiten anbrechen - nicht nur neue energiepolitische Zeiten, sondern auch ein Neustart,
({16})
der im Interesse unseres Landes, seiner Menschen, der
Schaffung von Arbeitsplätzen und eines besseren Wirtschaftens in Deutschland dringend notwendig ist.
Vielen Dank.
({17})
Ich erteile der Kollegin Michaele Hustedt, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Herr Pfeiffer, wenn Sie sagen, wir hätten keine Energiewende durchgesetzt und wir hätten kein Energiekonzept, kann ich nur mit den Worten von Minister Clement
antworten: Wir haben den Emissionshandel durchgesetzt
und das KWK-Gesetz für Energieeffizienz verabschiedet, wir sind mit dem EEG mit Siebenmeilenstiefeln den
Weg ins Solarzeitalter gegangen, wir haben mit dem
CO2-Sanierungsprogramm zur Energieeinsparung im
Gebäudebereich einen ordentlichen Schritt getan und wir
haben mit dem Energiewirtschaftsgesetz einen wettbewerblichen Rahmen gesetzt. So viele Aktivitäten, um
eine Energiewende durchzuführen, gab es in einer Legislaturperiode noch nie.
({0})
Das Ergebnis ist, dass die Stromkonzerne zugesagt haben, 20 Milliarden Euro zu investieren; das ist das größte
Investitionsprogramm, das in der Bundesrepublik zurzeit
geplant ist.
({1})
Wir haben unser Konzept umgesetzt. Sie allerdings
haben gar keines. Sie selbst sagen, dass Sie Ihr Konzept
im Jahre 2007 - man höre: im Jahre 2007 - vorlegen
wollen. Wofür haben Sie eigentlich Ihre Oppositionszeit
genutzt?
({2})
Warum haben Sie nicht schon seit langem ein gemeinsames Konzept erarbeitet, das Sie jetzt vorlegen könnten,
damit der Wähler weiß, was von Ihnen zu erwarten ist?
({3})
Sie sind sich nicht einig. Beim Thema erneuerbare
Energien zum Beispiel vertreten Sie unterschiedliche
Auffassungen. Die Positionen von Herrn Lamp und
Herrn Pfeiffer stehen sich diametral gegenüber.
({4})
Ich sage Ihnen: Unter der Überschrift „Angleichung
der Instrumente“ spekulieren Sie auf die Abschaffung
des EEG, sagen es aber nicht offen. Wenn man dann genau hinsieht, was Sie in Nordrhein-Westfalen tun, stellt
man fest, dass Sie dort, zum Beispiel durch das Abstandsgebot, eine Windkraftinvestitionsverhinderungspolitik betreiben. Das ist die Realität.
({5})
Daher fordere ich Sie auf: Lassen Sie, was die junge
Branche der erneuerbaren Energien betrifft, die Katze
aus dem Sack. Sagen Sie vor und nicht erst nach der
Wahl, ob die erneuerbaren Energien bei Ihnen eine
Chance haben.
({6})
Beim Thema Verlängerung der Laufzeiten der
Atomkraftwerke verhalten Sie sich eindeutiger. Dazu
muss ich sagen: Laufzeitverlängerungen führen erstens
dazu, dass das Investitionsprogramm, das jetzt auf den
Weg gebracht werden soll, gefährdet wird. Zweitens
erhöhen sie die Sicherheitsgefahren; denn Kraftwerke
werden, je länger sie in Betrieb sind - vor allem in der
Endphase -, immer unsicherer. Drittens gefährden sie
die Integration der erneuerbaren Energien ins Netz; denn
Atomkraftwerke sind am unflexibelsten; der von ihnen
produzierte Strom kann am wenigsten mit den erneuerbaren Energien gemixt werden. Viertens gefährden sie
die Versorgungssicherheit.
Frankreich hat aktuell angekündigt, keinen Strom
mehr nach Deutschland liefern zu können; denn dort
müssen Atomkraftwerke in absehbarer Zeit wahrscheinlich wieder vom Netz genommen werden, weil die Kühlung wegen der großen Hitze nicht mehr organisiert werden kann. Das ist ein Fakt. Deswegen sage ich Ihnen:
Eine Kombination aus Energieeinsparung, Energieeffizienz, erneuerbaren Energien und Atomausstieg ist eine
bessere Klimaschutz- und eine bessere ökonomische
Strategie als das, was Sie hier vorlegen.
({7})
Mir liegt am Herzen, noch etwas zur Debatte über die
Kosten zu sagen; denn die Art und Weise, wie sie - insbesondere von der CDU/CSU - geführt wird, ist verlogen bis zum Abwinken. Sie sprechen von staatlichen
Auflagen, aber die Konzessionsabgabe wollen Sie nicht
abschaffen; jedenfalls habe ich nichts Derartiges gehört.
Sie schimpfen über die Ökosteuer, aber Frau Merkel hat
auf der VDEW-Jahrestagung klipp und klar gesagt: Die
Ökosteuer wird beibehalten, wir brauchen sie zur Gegenfinanzierung der Renten. Ich sage Ihnen eines: Ihre
Strategie, die sozialen Sicherungssysteme verstärkt
durch Mehrwertsteuer, also durch indirekte Steuern zu
finanzieren, ist genau die Strategie, die wir mit der Ökosteuer eingeschlagen haben. Der Unterschied liegt nur
darin, ob das über die Mehrwertsteuer oder eine Ökosteuer erfolgen soll. Nebenbei gesagt: Eine Erhöhung
der Mehrwertsteuer um 3 bis 4 Prozentpunkte würde natürlich auch die Energiepreise erhöhen.
({8})
Also lassen Sie die Kirche bitte im Dorf.
Zum nächsten Punkt, zur Förderung der erneuerbaren Energien: Was denn nun? Entweder Sie wollen die
Förderung der erneuerbaren Energien - dann wird das
auch weiterhin etwas kosten - oder Sie wollen sie nicht.
Damit bin ich wieder beim Thema: Lassen Sie bitte die
Katze aus dem Sack, und zwar vor der Wahl und nicht
hinterher!
({9})
Es geht nicht nur um die heute entstehenden Kosten,
sondern es geht auch um die Kosten in der Zukunft.
Wenn Sie sich die Entwicklung des Ölpreises anschauen - dieses Thema kommt in Ihren Gedanken noch
nicht einmal vor, weder im Antrag noch in Ihren Reden;
da hat Minister Clement Recht -, müssen Sie doch feststellen: Da droht ein Problem für die wirtschaftliche Entwicklung. Denn wenn der Förderhöhepunkt einmal überschritten ist - ob das nun in den nächsten Jahren ist oder
erst in zehn Jahren -, wird der Ölpreis gegebenenfalls
nicht mehr bei 60 Dollar pro Barrel liegen, was die wirtschaftliche Entwicklung schon jetzt gefährdet, sondern
bei 100 oder 200 Dollar pro Barrel. Was sind Ihre Antworten auf diese Frage?
({10})
Nichts! Gar nichts! Wir haben unsere Antworten auf den
Tisch gelegt.
({11})
Abschließend möchte ich mich noch ganz herzlich
bedanken.
({12})
- Herr Schauerte, die Anzeige blinkt schon; deswegen
lassen Sie mich das noch kurz sagen. - Sie wissen, dies
ist meine letzte Rede im Bundestag; ich werde nicht
mehr kandidieren. Ich möchte mich bei allen Kollegen
aller Parteien ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit
bedanken. Ich weiß, dass es für alle Mitglieder des Umweltausschusses nicht immer einfach ist, in diesen harten
Zeiten ihre Anliegen durchzusetzen. Ich wünsche mir,
dass die Kollegen aller Parteien da in Zukunft noch enger zusammenarbeiten. Ich danke auch den Kollegen im
Wirtschaftsausschuss, insbesondere natürlich den energiepolitischen Sprechern. Ich glaube, es war immer eine
gute Zusammenarbeit. Es war nicht immer bierernst, wir
haben auch mal zusammen gelacht. Gerade im Wirtschaftsausschuss ging es manchmal ganz lustig zu.
({13})
Ich wünsche Ihnen allen eine gute Zukunft.
({14})
Ich wünsche Ihnen einen fairen Wahlkampf und ich
wünsche, dass die richtige Politik gewinnt.
Danke schön.
({15})
Ich erteile das Wort Kollegen Peter Paziorek, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute debattieren wir auch über das Jahresgutachten des
Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung „Globale Umweltveränderungen“, und zwar zu dem Thema
„Welt im Wandel - Energiewende zur Nachhaltigkeit“.
Im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte
ich zunächst den Sachverständigen für dieses Gutachten
ausdrücklich danken.
({0})
Mit vielen Handlungsempfehlungen des Sachverständigenrats über eine in sich schlüssige und konsistente Umwelt- und Energiepolitik stimmen wir überein, auch
wenn wir nicht alle Ziele im Detail teilen. Ich will bewusst die Übereinstimmungen aufzählen: zum Beispiel
die Erhöhung der Energieproduktivität, der Ausbau der
erneuerbaren Energien, die Beseitigung der globalen
Energiearmut, die Verbesserung der Entwicklungszusammenarbeit oder die Erhöhung der Anstrengungen im
Bereich Forschung und Entwicklung.
Frau Hustedt, Sie haben gerade die erneuerbaren
Energien angesprochen. Ich hatte gesagt, dass wir mit
den Forderungen des Sachverständigenrats übereinstimmen. Auf Ihre politischen Vorwürfe bezogen auf die angebliche Bandbreite der Meinungen in der Union sage
ich Ihnen ganz deutlich: Sie werden niemanden in meiner Fraktion finden, der nicht zu dem Ziel steht, den Anteil der erneuerbaren Energien in Deutschland bis zum
Jahr 2010 auf 12,5 Prozent zu erhöhen.
({1})
Warum leugnen Sie das? Wir waren immer dafür.
Wenn Sie als Beispiel anführen, dass in NordrheinWestfalen durch die neue Koalition von CDU und FDP
jetzt ein Erlass in Vorbereitung ist, der die Windradansiedlung erschwert, muss ich Ihnen für die CDU/CSUBundestagsfraktion klar und deutlich sagen: Erneuerbare
Energien sind mehr als Windenergie. Es gibt auch andere Bereiche, die wir fördern wollen.
({2})
Diese Konzentration auf die Windenergie ist fachlich
und sachlich falsch.
Ich sage den Anhängern der Windenergie aber auch:
Wir werden uns im Bereich Offshore - Nordsee, Ostsee nicht von der Diskussion verabschieden.
({3})
Wir werden uns auch nicht von der Diskussion darüber
verabschieden, wie bestehende Windparks repowered
- das ist der Fachausdruck -, also erneuert werden können. Aber wir müssen neue Akzente setzen; in den Bereichen Biomasse, Geothermie und Solar gibt es noch
Chancen. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis! Es war
Ihre Abschlussrede; daher tut es mir Leid, dass ich Ihnen
in diesem Punkt so massiv widersprechen muss. Aber
hier haben Sie ein Zerrbild einer Position wiedergegeben, die es bei uns glücklicherweise so nicht gibt.
({4})
Ich muss in diesem Zusammenhang einen Punkt erwähnen, in dem wir nicht mit dem Sachverständigenrat
übereinstimmen. Es geht um die Forderung, weltweit bis
zum Jahre 2050 aus der Nutzung der Kernenergie auszusteigen. Ich glaube, in dieser Form kann man den Anspruch nicht erheben. Ich sage hier für unsere Fraktion
ganz deutlich: Das, was gerade auch von einigen Vorrednern aufgebaut worden ist, ist völlig falsch. Es geht hier
nicht um eine so genannte Renaissance der Kernenergie
und den Neubau von Kernkraftwerken. Es geht um die
Frage, ob die Laufzeit der aus unserer Sicht sicheren
Kernkraftwerke verlängert werden kann, um es im Rahmen eines Energiekonzeptes zu schaffen, einerseits den
Energie- und Strompreis endlich unter Kontrolle zu bekommen und andererseits gleichzeitig Chancen für erneuerbare Energien zu entwickeln. Das wäre ein interessanter Aspekt.
Sie können ja gar nicht an eine inhaltliche Verbindung
zwischen der Verlängerung der Laufzeit der Kernkraftwerke und den erneuerbaren Energien denken, weil Sie
per se für einen kurzfristigen Atomausstieg sind.
Unser Ansatz ist ganzheitlich; er ist richtig. Mit unserem Antrag verbinden wir für eine Übergangszeit - Kollege Pfeiffer hat von der „Brücke“ gesprochen - die Vorteile der Nutzung der friedlichen Kernenergie mit der
Ausgestaltung eines neuen Energiemixes. Das ist ein
Weg in die Zukunft; er ist attraktiv und modern. Sie gehen ihn aus ideologischen Gründen nicht.
({5})
Auf eines muss aus unserer Sicht noch hingewiesen
werden: Wir haben uns in diesem Hause immer gemeinsam zu einer anspruchsvollen internationalen Klimaschutzpolitik bekannt. Wir als Union haben jetzt einen
Antrag eingebracht, mit dem wir bewusst die Fortsetzung von Kioto, nämlich Kioto plus, fordern. Stehen Sie
im rot-grünen Regierungslager wirklich geschlossen zu
dieser Haltung? Mit Erlaubnis des Präsidenten will ich
einen Presseartikel aus dem „Tagesspiegel“ vom 25. Juni
2005 zitieren. Dort heißt es:
Doch nun
- also kurz vor den Verhandlungen in Schottland scheint ausgerechnet den Deutschen, die bei Verhandlungen zum Schutz des Klimas stets eine wichtige Rolle gespielt haben, der Atem auszugehen. In
Kreisen der britischen G-8-Präsidentschaft gibt es
wegen des Zerwürfnisses zwischen Blair und Bundeskanzler Schröder um die EU-Finanzen leichte
Zweifel an den Deutschen. Dazu kommt, dass der
deutsche Sherpa, Wirtschaftsstaatssekretär Bernd
Pfaffenbach, nach dem gescheiterten EU-Gipfel
zwar eine „konstruktive Rolle“ beim G-8-Gipfel
versprochen hat. Allerdings hat er offenbar einen
Vorschlag Frankreichs nicht unterstützt, das von der
EU bereits beschlossene langfristige Klimaschutzziel - die Erde darf sich nicht mehr als zwei Grad
im Vergleich zur Zeit vor der Industrialisierung erwärmen - in das Gipfelpapier einzuarbeiten.
Das sagt ein Staatssekretär der deutschen Regierung.
In der Zeitung heißt es weiter - das will ich abschließend zitieren -:
Eine Stellungnahme aus dem Wirtschaftsministerium ist dazu allerdings nicht zu erhalten.
Bis jetzt haben wir dazu auch keine Stellungnahme des
Umweltministeriums erhalten. Wo ist denn hier die abgestimmte Meinung zur internationalen Klimaschutzpolitik bei Rot-Grün?
({6})
- Der Herr Bundeswirtschaftsminister ruft dazwischen.
Vielleicht hat er ja noch die Möglichkeit, einige Sätze
dazu zu sagen.
Herr Minister Trittin, Sie werden hier gleich noch reden. Die Fragen der Opposition lauten: Stimmt es, dass
Deutschland im Vorfeld des Gipfels beim Klimaschutz
bremst? Gibt es in der rot-grünen Bundesregierung unterschiedliche Vorstellungen zur internationalen Klimaschutzpolitik?
({7})
Herr Minister Trittin, warum haben Sie die seit langem
angekündigte Neufassung des Klimaschutzprogramms
aus dem Jahre 2000 noch nicht vorgelegt?
Ich weiß, was Sie gleich sagen werden. Sie werden
sagen, dass Sie das Klimaschutzprogramm in der Kabinettsitzung am 6. Juli 2005 verabschieden werden. Hier
geht es Ihnen genauso wie bei der Vorlage Ihres Konzeptes zur Endlagersuche: Jetzt, da politisch das Ende der
Legislaturperiode zu erkennen ist, dürfen Sie wieder mit
Vorschlägen, zum Beispiel zur Endlagerpolitik, herauskommen. Jetzt auf einmal dürfen Sie auch ein Klimaschutzprogramm vorlegen, das Sie schon seit Anfang
dieses Jahres angekündigt haben. Aber so können wir international im Vorfeld einer wichtigen Konferenz keine
Glaubwürdigkeit erreichen. Deshalb müssen wir wissen,
was Sie in dieser Frage überhaupt wollen.
({8})
Ein Hinweis von uns: Mit einer solchen Bilanz brauchen Sie, Herr Minister, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der rot-grünen Koalition, nicht in den Wahlkampf zu
ziehen. Unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes
sind all die hehren Ziele, die Sie in der Koalitionsvereinbarung festgelegt haben, nicht erreicht worden.
Unsere Aufgabe ist es - das kann man nicht so vom
Tisch wischen, wie es der Wirtschaftsminister getan hat -,
den Spagat zu bewältigen, den Energiemix in Deutschland neu auszurichten und die dadurch entstehende Kostenbelastung - in der Tat kostet die Anfangsförderung
der erneuerbaren Energien Geld und belastet den Preis so zu gestalten, dass wir auch kurzfristig in der Industriestruktur unseres Landes keine Einbrüche haben. Vor
dieser spannenden Aufgabe stehen wir.
Es stimmt natürlich, dass auch andere Kriterien dafür
ausschlaggebend sind, eine Standortverlagerung vorzunehmen. Aber darauf, dass der Energiepreis in Deutschland im Vergleich zu den europäischen Nachbarn im
Grunde genommen zu hoch ist und dass vor allen Dingen Mittelständler, die vor Ort riesige Probleme haben
und zu Recht über den hohen Industriepreis stöhnen,
aber darauf nicht so öffentlichkeitswirksam hinweisen
können wie große Anbieter im Energie- und Industriebereich, haben Sie in den letzten Monaten keine positive
Antwort geben können. Diesen Vorwurf müssen wir Ihnen machen.
({9})
Wir brauchen deshalb ein Klimaschutzprogramm und
ein energiepolitisches Gesamtkonzept, das diese
Punkte zusammenfasst. Aktuell brauchen wir zum Beispiel ganz schnell eine neue Härtefallregelung, gerade
für den mittelständischen Bereich. Aber wir brauchen
auch die belastbare Perspektive, wie es in der Klimaschutz- und Energiepolitik weitergeht. Die Bilanz, die
Sie vorlegen, ist negativ.
Ich komme zu der Antwort auf unsere Große Anfrage
- das ist mein abschließender Gedanke - zur augenblicklichen Klimaschutzpolitik. Auf unsere Frage 62, in der
wir nach dem zusätzlichen Ausstoß von CO2 in Deutschland durch den Ausstieg aus der Kernenergie gefragt haben, antworten Sie - das will ich abschließend zitieren -:
Im marktwirtschaftlich organisierten Energiesektor
liegt die Entscheidung, ob, wann und in welchem
Umfang Ersatzinvestitionen für stillgelegte Kernkraftwerke … getätigt werden, bei den Unternehmen. Da diese Entscheidungen noch nicht getroffen
sind, kann die Frage nicht beantwortet werden.
Sie steigen aus der Kernenergie aus und sagen nicht, wie
eine CO2-Reduktion in Deutschland bewältigt werden
soll.
({10})
Daran sieht man doch, dass Sie die Augen vor den Problemen, die wir lösen müssen, verschließen.
Herzlichen Dank.
({11})
Ich erteile das Wort Kollegen Rolf Hempelmann,
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Pfeiffer - Pfeiffer mit
drei f -, anscheinend hat es auf einem der vielen Sommerfeste auch Feuerzangenbowle gegeben. Anders kann
ich mir das, was Sie heute vom Stapel gelassen haben,
nicht erklären. Wir arbeiten ja seit Jahren im Wirtschaftsausschuss zusammen. Ich glaube, so weit kann
man sich von der Realität nicht mehr entfernen, wie Sie
das gerade in Ihrem Beitrag gemacht haben.
({0})
Zu der Forderung, ein Energieprogramm vorzulegen, die Sie immer gestellt haben, der Sie aber selber in
Ihrer Regierungszeit über die gesamten 90er-Jahre hinweg nicht nachgekommen sind, ist zu sagen, dass in Zeiten einer liberalisierten Energiewirtschaft die Zeit der
Programme mehr oder weniger vorbei ist. Wir können
doch keine Energieprogramme auflegen und dann erwarten, dass sie sozusagen von Dritten abgearbeitet werden.
Was wir entwickeln können - darüber ist hier heute gesprochen worden -, sind Konzepte. Diese können wir
dann überzeugend abarbeiten.
Wir haben in dieser Legislaturperiode beispielsweise
eine Energieagenda abgearbeitet, und zwar mit großem
Erfolg, mit großer positiver öffentlicher Resonanz. Nehmen wir nur das EEG, das Sie gerade wieder gescholten
haben. Gleichzeitig versuchen Sie aber, in Nebensätzen
immer einzuflechten, dass Sie natürlich zu den erneuerbaren Energien stehen
({1})
- das nehme ich Ihnen persönlich auch ab, Herr Paziorek und dass Sie einen Anteil der erneuerbaren Energien von
12,5 Prozent im Jahre 2010 erreichen wollen. Wenn
dann aber einige in Ihrer Fraktion, wenn auch nicht Sie
persönlich, die erneuerbaren Energien diffamieren, indem sie so tun, als könne die Bedeutung der erneuerbaren Energien ausschließlich an ihrem Beitrag zur Senkung der CO2-Emissionen gemessen werden, dann ist
völlig klar, dass viele von Ihnen die erneuerbaren Energien nicht wirklich wollen. Sie müssen sie aber schon
deswegen wollen, weil die fossilen Ressourcen irgendwann zu Ende gehen. Wir müssen heute handeln, um
morgen vorbereitet zu sein.
({2})
Wir haben das EEG novelliert. Wir haben dabei die
zum Teil berechtigten Kritikpunkte aufgenommen und
insbesondere dafür gesorgt, dass die Kosteneffizienz
des EEG gesteigert worden ist. Da ist immer noch Luft
und da gibt es immer noch Verbesserungsmöglichkeiten;
das will ich überhaupt nicht in Abrede stellen. Auch bei
der Windenergie wird man sich sicherlich weiter darüber
verständigen müssen, wie man die Netzintegration von
Windenergie verbessert, um auch die ökonomischen Effekte, von denen Sie gesprochen haben, zu erzielen.
({3})
Das ist in Ordnung so. Sie sollten aber auch anerkennen,
dass wir auf diesem Weg schon erheblich weitergekommen sind. Die Degression der Förderung gerade der
Windenergie ist deutlich verschärft worden. Das wird
von der Windbranche nicht nur mit einem lachenden
Auge gesehen; sie ist vielmehr ganz erheblich unter Effizienzdruck geraten. Das ist auch richtig so.
Der von Ihnen geforderte Schwerpunktwechsel in
Richtung der Bioenergien ist vorgenommen worden.
Wir haben Ankündigungen von Investitionen in Biogasund Biomassekraftwerke. Das ist auf die veränderten
Förderbedingungen in diesem Bereich zurückzuführen.
Gerade Ihre Klientel, die Landwirte, hat das sehr begrüßt.
({4})
Ich glaube, dass man auch das der Ehrlichkeit halber offen ansprechen sollte.
({5})
Wir haben also das EEG durchaus erfolgreich weiterentwickelt, was arbeitsmarktpolitische Effekte hatte und zu
Ankündigungen von Investitionen führte.
Genauso verhält es sich mit dem Emissionshandel.
Es ist richtig, dass der erste Entwurf, der damals vom federführenden Ministerium vorgelegt worden ist, auch bei
uns zum Teil kritisch gesehen wurde. Wir haben ihn aber
weiterentwickelt und dafür gesorgt, dass durch den
Emissionshandel der Energiemix nicht gefährdet, sondern befördert wird. Wir haben in diesem Bereich aufgrund unserer Regelungen Ankündigungen aus der Energiewirtschaft, dass es umfangreiche Investitionen in
Gaskraftwerke, in Braunkohlekraftwerke und in Steinkohlekraftwerke geben wird. Das ist gut so. Das schafft
Wertschöpfung in Deutschland. Das schafft Unabhängigkeit, jedenfalls in dem Umfang, den wir als vom
Energieimport abhängiges Land erreichen können. Ich
denke, das ist zu würdigen. Diese Investitionen schaffen
auch Arbeitsplätze. Insofern haben wir ein Instrument
geschaffen, das erfolgreich für Beschäftigung und für Investitionen am Standort Deutschland sorgt.
Gleichzeitig hatten wir auf die energieintensiven
Industrien zu achten. Wir haben zahlreiche Ausnahmeund Sonderregelungen für diejenigen geschaffen, die
Strom sozusagen als Rohstoff für ihre Produktion benutzen. Das ist von denen anerkannt worden.
Richtig ist auch, dass wir, wenn wir in die zweite
Handelsperiode gehen, dieses Instrument überprüfen
müssen. Natürlich zeigt sich, dass, wenn Zertifikate kostenlos vergeben werden, die aber, wie es sein muss,
werthaltig in die Bilanzen eingestellt werden, das am
Ende zu Preiserhöhungen führt, zum Beispiel für die Industrie. Darüber werden wir nachdenken müssen. Wir
müssen überlegen, ob wir diesen Mechanismus möglicherweise in einer zweiten Handelsperiode verändern
müssen. Aber klar ist: Wir haben beide im Auge gehabt,
sowohl die Industrie als auch die Energiewirtschaft.
Genauso sieht es beim Energiewirtschaftsgesetz aus.
Schon der erste Entwurf, der vom Bundestag verabschiedet worden ist, ist von allen Akteuren - sowohl von der
Verbraucherseite als auch von der Energiewirtschaft als ein vernünftiger Kompromiss gelobt worden. Wir
haben das dann im Vermittlungsausschuss weiterentwickelt. Herr Dr. Pfeiffer, man sollte doch nicht versuchen,
dort mit uns gemeinsam zu Lösungen zu kommen, und
sagen, es sei ein vernünftiges Verhandlungsklima gewesen,
({6})
und sich anschließend hier hinstellen und so tun, als
habe dieses Gesetz nur durch Sie - wahrscheinlich auch
noch durch Sie persönlich - zu einem vernünftigen Ergebnis geführt. Das ist doch unglaubwürdig. Tun Sie
einfach einmal Folgendes: Loben Sie uns ab und zu! Das
steigert Ihre persönliche Glaubwürdigkeit.
({7})
Auch dieses Energiewirtschaftsgesetz sorgt nicht nur
dafür, dass wir mehr Wettbewerb haben und dass es
Preissenkungsspielräume geben wird - ich sage ganz
klar: sie sind sehr begrenzt durch eine Kostensteigerung
am anderen Ende, etwa bei den Primärenergiekosten -,
sondern es sorgt auch für mehr Investitionen. Diese sind
von der gesamten betroffenen Wirtschaft angekündigt.
Es handelt sich um zahlreiche Investitionen in die Netze.
Insgesamt kann man also zu unserer Energiepolitik
sagen: Es gibt große Akzeptanz in der Bevölkerung. Darum sollten Sie sich auch einmal bei Ihrer Atompolitik
kümmern. Es gibt große wirtschaftliche Effekte, gerade
auch in der Energiewirtschaft selbst.
Was die Industrie angeht, so haben wir durch entsprechende Sonderregelungen dafür gesorgt, dass auch in
unserem Hochlohn- und Hochpreisland Industrie weiter
möglich ist. Trotzdem ist dies eine Daueraufgabe, an der
wir weiter arbeiten müssen. Sie sind herzlich eingeladen,
daran mitzuwirken.
Vielen Dank.
({8})
Ich erteile das Wort Bundesminister Jürgen Trittin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/
CSU hat in ihrem Antrag die Vorlage eines energiepolitischen Konzepts gefordert. Ich kann Ihnen nur einen Rat
geben, der unter Juristen üblich ist:
({0})
Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung.
Alle Eckpunkte der energiepolitischen Konzeption
dieser Koalition sind bereits im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden. Dabei handelt es sich um das Gesetz
zum Atomausstieg, das Erneuerbare-Energien-Gesetz,
das Gesetz zur Einführung des Emissionshandels und
das Energiewirtschaftsgesetz. Diese politischen Rahmenbedingungen - der Kollege Clement hat darauf hingewiesen - haben dazu geführt, dass nach zehn Jahren
weit gehender Abstinenz bei Investitionen im Energiesektor, sieht man einmal von den erneuerbaren Energien
ab, in Deutschland wieder in neue Kraftwerke, in Energie, in Leitungen investiert wird.
Sie haben ein Bild gezeichnet, das der Realität nicht
entspricht. RWE investiert allein 5,6 Milliarden Euro,
die STEAG investiert 3,6 Milliarden Euro. Die Investitionen fließen in neue, hochmoderne Kraftwerkstechnologie. Sie aber versuchen, ein Bild zu zeichnen, als würden in Deutschland die Lichter ausgehen.
Nein, meine Damen und Herren, wenn wir ernsthaft
über die von Ihnen genannten Probleme reden wollen,
dann sollten wir darüber reden, warum in Deutschland
die Netzdurchleitungskosten im Verhältnis zur Europäischen Union 40 Prozent über dem Durchschnitt liegen. Wenn Sie jetzt mehr Marktwirtschaft in den Netzen
fordern, dann sollten Sie das in den Verhandlungen zum
Energiewirtschaftsgesetz erzielte Ergebnis zur Kenntnis
nehmen. Es war der Wunsch Ihrer Länderchefs, dass die
Anreizregulierung nicht unmittelbar wirkt, sondern stattdessen erst eine Verordnung erlassen werden muss.
Was heißt das?
({1})
Das heißt: mehr Bürokratie. Das heißt vor allen Dingen
aber auch, lieber Herr Pfeiffer: Die Anreizregulierung
kommt ein bis zwei Jahre später. Damit wird die Senkung der zu hohen Netzkosten erst ein bis zwei Jahre
später wirksam. Das war Ihr Verdienst im Vermittlungsverfahren. Jetzt aber vergießen Sie Krokodilstränen darüber, dass die Preise zu hoch sind. Dabei haben Sie selber dafür gesorgt, dass die Netzpreise nicht so schnell
sinken, wie wir es wollten.
({2})
Ich bin gerne bereit, dem Kollegen Paziorek abzunehmen, dass auch er möchte, dass es noch ein bisschen
erneuerbare Energien gibt. Sie haben aber schon mit
Ihrer Koalitionsvereinbarung in Nordrhein-Westfalen
bewiesen, Herr Paziorek, dass das nichts taugt. Die Koalitionsvereinbarung in NRW sieht nicht nur die Abstandsregel, sondern auch die Änderung des Bundesbaugesetzes vor. Danach werden Sie in diesem Land kein
Repowering und keinen Ausbau von Energieanlagen
- das gilt übrigens auch für Biomasseanlagen - mehr
durchführen können.
Die FDP in Ihrer Koalition sagt auch genau, wo es
langgehen soll: Wir wollen nicht mehr, dass die erneuerbaren Energien weiter wachsen. Das ist die Realpolitik,
wenn CDU und FDP regieren,
({3})
und Sie dürfen das umweltpolitische Feigenblatt dazu
liefern. Das ist das Problem.
({4})
Wenn wir über Pragmatismus in diesem Lande reden,
dann tun Sie so, als wollten Sie nur ein paar Laufzeiten
verlängern.
({5})
Sie verschweigen dabei zwei Punkte: Die Verlängerung
der Laufzeiten vergrößert den Umfang eines Problems,
nämlich die Menge des einzulagernden Atommülls.
({6})
Die letzten Gebote, die ich aus Ihren Reihen, den Reihen
der Union und der FDP, gehört habe, lauteten: Laufzeitverlängerung auf 60 Jahre. Dies bedeutet eine Verdoppelung der Atommüllmenge, die eingelagert werden muss.
So sieht Ihre nachhaltige Energiepolitik aus!
Das ist aber noch nicht das Ende der Fahnenstange. In
dem von Ihnen produzierten Papier zur Endlagerpolitik
wird der Frage nachgegangen,
({7})
wie man in Gorleben weiter enteignen kann, obwohl es
noch nicht einmal eine atomrechtliche Genehmigung
gibt.
({8})
Enteignen müssen Sie nur, wenn Sie solche zusätzlichen
Mengen von Atommüll dorthin schaffen. Das heißt, Sie
haben in Ihrem eigenen Konzept zur Endlagerung zugegeben, worum es Ihnen bei der Diskussion um Laufzeitverlängerung wirklich geht: auch und gerade um eine
Renaissance von, den Wiedereinstieg in und den Neubau
von Atomanlagen. Verstecken Sie sich an dieser Stelle
nicht so feige, meine Damen und Herren!
({9})
Dann sagen Sie uns auch, bei welchen technischen
Meisterwerken Sie die Laufzeit verlängern wollen. Es
handelt sich um ganz konkrete Kraftwerke wie Brunsbüttel und Biblis.
({10})
Diese beiden Kraftwerke haben auf jeder unserer Störfalllisten einen Stammplatz. Wenn Sie das Atomgesetz
ändern, dann verhindern Sie, dass diese Kraftwerke wie
vorgesehen endlich vom Netz gehen.
({11})
Eine Schlussbemerkung zu einem Punkt, auf den Frau
Hustedt bereits hingewiesen hat: Frau Merkel hat selber
gesagt, sie wolle an der Ökosteuer festhalten. Hören Sie
also auf, hier solche Reden zu halten! Ich will Sie nur
ganz diskret auf das von Herrn Paziorek schon angesprochene Klimaschutzprogramm hinweisen. Deutschland
ist nicht nur der größte Einsparer von Treibhausgasen in
der Europäischen Union - zwei Drittel sind allein hier
erwirtschaftet worden -,
({12})
Deutschland ist auch das einzige Land in ganz Europa,
in dem die Verkehrsemissionen sinken, während sie in
allen anderen Ländern steigen. Allein im Verkehrsbereich haben wir - übrigens dank der Ökosteuer - 15 Millionen Tonnen CO2 eingespart.
({13})
Meine Damen und Herren, dies belegt, dass sich
Energiepolitik in Zeiten steigender Ölpreise und wachsender Nachfrage nach Rohstoffen nur auf mehr Energieeffizienz, mehr Energieeinsparung und den Ausbau
erneuerbarer Energien konzentrieren kann. All dies wollen Sie zugunsten einer Energiepolitik rückgängig machen, die nichts anderes als „Vorwärts, zurück in die
70er-Jahre“ heißt.
({14})
Das ist das Gegenteil von Zukunftsbewältigung.
({15})
Ich erteile das Wort Kollegen Kurt-Dieter Grill, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Trittin, zu Ihrer Rede fällt mir eigentlich nur eines
ein: Lautstärke ersetzt nicht die richtigen Argumente.
({0})
Wenn Sie meinen, in dieser Art und Weise über Energiepolitik und Standortfragen in Deutschland diskutieren zu
müssen, dann ist das Ihre Wahl.
Dass der Kollege Pfeiffer mit dem, was er vorhin zu
der Art, wie Sie Politik machen, geäußert hat, nicht ganz
Unrecht hat, beweise ich an einem Beispiel: Sie haben
hier gerade vorgetragen, dass in unserem Papier irgendetwas über Enteignung stehe, und damit wohl gemeint,
dass dies die Vorbereitung des Ganzen sei, 60 Jahre, und
was Sie wahrscheinlich draußen im Wahlkampf noch
erzählen werden. Sie haben aber in Ihrem jetzt
vorliegenden Gesetzentwurf - dazu hat eine Zeitung in
Niedersachsen geschrieben, dieses Gesetz sei für die
Endlagerung bestimmt, weil es diesen Bundestag gar
nicht mehr erreichen wird, also eine reine Showveranstaltung ist - mit denselben Ziffern wie Angela Merkel
Enteignungsparagraphen für dieses Land vorgeschlagen.
Sie schreiben also die Enteignungsparagraphen in Ihren
Gesetzentwurf.
({1})
Nun können Sie selber von dieser Stelle aus sagen, ob
Ihre Enteignung eine andere ist als unsere Enteignung.
({2})
Sie haben damals von einer Lex Bernstorff gesprochen.
Nun frage ich Sie: Wozu brauchen Sie eine Enteignung?
Im Übrigen reicht das Volumen des Salzstockes Gorleben in dem Teil, der nicht enteignet werden muss, weil
die Rechte vorliegen - das wissen Sie genau so gut wie
ich -, für die Mengen, über die Sie hier diskutieren, allemal aus.
Nun wende ich mich der Energiepolitik insgesamt zu.
Hier war von Energieeffizienz und von „weg vom Öl“
die Rede, Herr Minister Clement. Was Sie heute vorgetragen haben, war weder eine schlüssige Konzeption im
Sinne von „weg vom Öl“ noch hat es den darüber liegenden problematischen Teil der Rohstoffpolitik auch nur
ansatzweise erwähnt, nämlich die Frage, wie dieses
Land in dieser Situation überhaupt zu einer Sicherung
seiner Energieversorgung kommt und was Versorgungssicherheit bedeutet.
Hier an diesem Pult haben Frau Hustedt und andere
Vertreter von Rot-Grün noch zu Beginn Ihrer Regierungszeit eine Vision von Gaskraftwerken vorgestellt,
als ob es nur der Gaskraftwerke bedürfte, um die bestehenden Kernkraftwerke und Kohlekraftwerke im Sinne
Ihrer Klimapolitik zu ersetzen. Bis heute ist kein einziges angekündigtes Kraftwerk gebaut worden. Deswegen
glauben wir nicht, dass Sie eine Strategie hatten; das beweise ich Ihnen anhand der Papiere des Nachhaltigkeitsrates. Wir reden heute über die Situation nach immerhin
sieben Jahren Ihrer Regierungsverantwortung. Sie haben
bisher kein Offshorewindkraftwerk gebaut, sodass man
es hätte testen können.
({3})
Sie haben das CO2-freie Kohlekraftwerk in der EnqueteKommission abgelehnt. Jetzt geben Sie, die Vertreter
von Rot-Grün, mit einem 35-Megawatt-Kraftwerk an,
das eine private Firma baut.
({4})
Sie, lieber Herr Clement, erklären Deutschland zu einer kernenergiefreien Zone. Das stimmt schlicht und
einfach nicht. Soll ich Ihnen die Zahlen zum ITER, zum
Komplex Lubmin vortragen? Soll ich Ihnen sagen, mit
wie vielen hundert Millionen Deutschland sich an der
Kernfusionsforschung beteiligt?
({5})
Ihre Projekte sind nicht kernenergiefrei und Sie verschweigen der Bevölkerung genau dieses Faktum. Ganz
abgesehen davon gibt es ja durchaus Signale, dass diese
Bundesregierung nicht aufschreien würde, wenn sich die
deutschen EVUs am französischen EPR in Flamanville
beteiligten.
({6})
Ich denke, wir dürfen im Zusammenhang mit Energiepreisen nicht allein über Aluminiumwerke diskutieren. Die Energiepreise haben nicht nur einen Aspekt, der
die energieintensive Industrie betrifft. Vielmehr bewirken sie auch eine Abschöpfung der Kaufkraft. Durch
hohe Energiepreise und durch die 40-prozentige Verteuerung der staatlichen Abgaben auf Energie während Ihrer Regierungszeit wurden Kaufkraft und damit auch
Wachstumskräfte abgeschöpft.
({7})
Im Übrigen will ich auch deutlich sagen, dass Sie an
keiner Stelle den Beweis für die Behauptung antreten
konnten, wir wollten ein Ende der erneuerbaren Energien. Ich will Ihnen einen Satz, den ich persönlich mit
verfasst habe und den ich deshalb hier mit Nachdruck
vortrage, noch einmal vorlesen, damit Sie ihn verinnerlichen können:
CDU und CSU sind davon überzeugt, dass die
Kernenergie als Brücke in den zukunftsfähigen
Energiemix mit einem wachsenden Anteil erneuerbarer Energien fungieren kann.
({8})
Genau das ist der Punkt, meine Damen und Herren, und
nicht das, was Sie die Bevölkerung glauben machen
wollen.
Die von Ihnen hier zitierten Investitionen in Höhe von
20 Milliarden tragen nun weiß Gott nicht dazu bei, die
Kernenergie zu ersetzen. Sie haben bis heute kein Papier
vorgelegt, dem man entnehmen könnte, wie die
20 000 Megawatt Energie, die in Deutschland durch
Kernkraft produziert werden, ersetzt werden sollen. Im
Übrigen steht in dem Vertrag, den Sie, Herr Trittin, mit
unterschrieben haben, dass die deutschen Kernkraftwerke gemäß einem hohen internationalen Sicherheitsstandard gebaut worden sind und betrieben werden. Sie
haben zwar großspurig angekündigt, Sie würden eine
neue Risikobewertung vornehmen, aber bis heute liegt
sie nicht vor. Sie haben in diesem Vertrag, den man auch
ganz anders nennen könnte als Ausstiegsvertrag, bestätigt, dass Gorleben eignungsfähig ist. In Ihrer Regierungszeit wurden die Pilotkonditionierungsanlage in
Gorleben und das Endlager Konrad genehmigt. Wo ist
also das Problem? Was werfen Sie uns eigentlich vor?
Diese Fragen müssen Sie sich gefallen lassen. Alles
das, was Sie noch 1998/99 in diesem Hause kritisiert
hatten, haben Sie hinterher genutzt. Ich fasse das in dem
Satz zusammen, den wir ab dem 19. September in
Deutschland sicher wieder hören werden: grüner Castor guter Castor, schwarzer Castor - schlechter Castor. Das
ist das, was wir mit Ihnen erleben werden.
({9})
Nun will ich Ihnen noch einige Zitate aus dem Papier
des Nachhaltigkeitsrates vortragen. Es heißt dort:
… dabei wird in dieser Empfehlung vornehmlich
auf bislang vernachlässigte Felder abgehoben:
1. Maßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz
im Bereich der Energienutzung, des Verkehrs und
des Materialeinsatzes.
2. Entwicklung einer Strategie, um Klimaschutz
und Wettbewerbsfähigkeit, gegebenenfalls auch unabhängig von internationalen Vereinbarungen, zu
verbinden.
Das sagt der Nachhaltigkeitsrat. Dann kommt er zu entscheidenden Bemerkungen und damit zu genau dem
Punkt, über den wir heute diskutieren. Er spricht von der
Notwendigkeit einer konsistenten Strategie. Der Rat
schreibt:
Das letzte, gegenwärtig noch gültige Energieprogramm aus dem Jahr 1996 und auch der Energiedialog 2000 haben letztlich nicht zu einem neuen
Energiekonzept geführt. … Die genannten Handlungsfelder der Energiepolitik sind bislang noch
nicht unter eine neue einheitliche Strategie und eine
durchdachte Entwicklung von Energienutzung und
-umwandlung gestellt worden. Das Credo der Bundesregierung, die Versorgung mit einem „ausgewogenen Energiemix“ bereitstellen zu wollen, bei dem
die Anforderungen kostengünstige Energiedienstleistungen … berücksichtigt werden, ist noch unausgefüllt geblieben. …
Diese
- Ihre Maßnahmen sind einzeln stets erklärbar … Durch fehlende Orientierung entwickeln sich jedoch Ergebnisse, die
nicht zielkongruent, teilweise widersprüchlich, zumindest aber ohne ausreichende Begründung bleiben und hier - beispielhaft - aufgeführt sind.
Das ist die Realität Ihrer Energiepolitik.
({10})
Der Nachhaltigkeitsrat schreibt weiter:
Ein schlüssiges Konzept zur Vermeidung der zusätzlichen CO2-Emissionen durch den Wegfall der
Kernkraftkapazitäten ist gegenwärtig nicht sichtbar.
Sie haben sieben Jahre Zeit gehabt, ein entsprechendes Konzept vorzulegen. Aber das Einzige, was wir in
der Hand haben, ist ein Bericht des ehemaligen Bundeswirtschaftsministers Müller, in dem steht, dass ein CO2freier Ausstieg aus der Kernenergie dieses Land
250 Milliarden Euro kosten wird. Das heißt, Ihre Politik
verteuert den Standort Deutschland und kostet Arbeitsplätze und Wachstum. Wenn wir im Übrigen das Wachstum hätten, von dem Sie träumen und das dieses Land
braucht, dann hätten wir heute mehr CO2-Emissionen
und nicht weniger. Das ist das Ergebnis rot-grüner Politik nach sieben Jahren.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat der Kollege Michael Müller von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir finden es richtig, dass die Energiepolitik in das Zentrum
des Wahlkampfes rückt; denn nirgendwo sonst sind die
Unterschiede so klar wie auf diesem Feld. Es geht nämlich nicht, wie Sie behaupten, um „kein Konzept oder ein
Konzept“, sondern um die Frage, ob man endlich auf die
erkennbaren, unbestrittenen Zukunftsherausforderungen
mit einer Neuordnung der Energiepolitik reagiert oder
ob man an alten, überholten Strukturen festhält. Das ist
die Grundauseinandersetzung.
({0})
Wenn man die Situation betrachtet, dann stellt man
fest: Die Opposition steht beispielhaft für ein antiquiertes Denken in der Energiepolitik, das vor allem zunehmend größere Kapazitäten und mehr Wachstum in der
Energieversorgung kennt, das aber nicht den entscheidenden Weg sucht, Energieeinsparungen, Effizienzsteigerungen und die Solarenergie mit aller Kraft voranzubringen. Das ist der Unterschied. Diesen werden wir
auch im Wahlkampf herausstellen; denn hier geht es um
die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
({1})
Für uns ist völlig klar: Eine moderne Energiepolitik
darf nicht mehr in der alten Logik der grenzenlosen Nutzung von Energieressourcen stehen. Vielmehr muss sie
in der Logik der Sicherung der notwendigen Leistungen
durch zunehmend geringeren Energieeinsatz stehen. Das
ist eine ganz andere Philosophie als diejenige, die Sie
vertreten. In Ihren Papieren heißt es, dass Sie ein Bündnis aus Atomkraft und erneuerbaren Energieträgern
wollen. Ich stelle fest, dass dieses Bündnis real nicht
möglich ist; denn die Atomkraft ist auf einen zunehmend
Michael Müller ({2})
höheren, und zwar sehr extensiven, Energieverbrauch
ausgerichtet. Sonst rechnet sie sich wirtschaftlich nicht.
({3})
- Herr Paziorek, Sie haben die Logik noch immer nicht
begriffen. Ich verstehe Sie wirklich nicht. Die EnqueteKommission schreibt mit Zustimmung der CDU/CSU in
ihrem Bericht: Eine Energiepolitik, die glaubt, die Klimaprobleme mit der Atomkraft zu lösen, geht ins Leere.
({4})
Aber hier sagen Sie das genaue Gegenteil. Das passt
doch nicht zusammen.
({5})
In dem Bericht der Enquete-Kommission steht völlig
zu Recht: Die entscheidende Frage ist, wie man so
schnell und so umfassend wie möglich die Sparpotenziale mobilisieren kann.
({6})
Wie wollen Sie aber mit einer Energietechnik, die im
Grunde genommen über einen Wirkungsgrad von etwa
30 Prozent nicht hinauskommt, dieses Problem lösen?
({7})
Ihre Philosophie kreist um den Austausch von Energieträgern. Darum geht es aber nicht. Vielmehr geht es um
eine andere Grundlogik in der Energiepolitik. Das haben
Sie bis heute nicht begriffen.
({8})
Auch wenn Sie noch so viel mit dem Kopf schütteln:
Es geht einfach nicht an, über Nachhaltigkeit zwar zu
sprechen, aber im Grunde genommen die alte Strategie
weiterhin zu verfolgen. Immer wenn es darauf ankam,
haben Sie an den alten Strukturen festgehalten. Sie reden
über erneuerbare Energien und wenn es ernst wird, blockieren Sie. Genau das und nichts anderes ist es, was wir
überall erleben.
({9})
Die Neuordnung der Energieversorgung ist kein
Selbstzweck. Auch wir wissen, dass das zum Teil mit
Umstrukturierungen und höheren Kosten verbunden ist.
Das ist richtig; wir streiten das überhaupt nicht ab. Aber
was ist denn die Alternative? Die Alternative ist, weiter
an einem Energiesystem festzuhalten, von dem wir wissen, dass es nicht zukunftsfähig ist. Es ist leider so: Innovationen kosten Geld. Aber Innovationen zahlen sich
auch aus. Mittelfristig ist es immer besser, auf die Erneuerung des Energiesystems zu setzen, als unter Zwang
Kraftakte vorzunehmen, die uns alle, auch finanziell,
überfordern. Diesen Weg wollen wir nicht.
({10})
Die Ausgangssituation ist klar: Unser heutiges Energiesystem wird zu Dreivierteln von etwa 1,2 Milliarden
Menschen genutzt. Schon jetzt überfordern wir mit diesem Energiesystem die natürliche Tragfähigkeit unseres
Planeten. Was passiert aber - das wird in wenigen Jahrzehnten so sein -, wenn diese Energieressourcen von
3 bis 4 Milliarden Menschen unter industriellen Bedingungen genutzt werden? Sagen wir dann: „Ihr dürft das
nicht“? Oder werden wir unserer Verantwortung gerecht,
indem wir zeigen, dass es auch eine andere, eine effiziente Energieversorgung gibt - nämlich die Versorgung
unter anderem mit Solarenergie -, die auf die ganze Welt
übertragbar ist? Wir sind immer für den zweiten Weg,
denn es ist der richtige.
({11})
Langfristig ist das Ganze für die Welt nicht nur eine ökonomische Frage, sondern auch eine Frage von friedenspolitischer Bedeutung.
Man muss auch Folgendes sehen: Es geht nicht an,
bei jeder Gelegenheit über Klimaänderungen zu reden
und das Ziel, dass die globale Erwärmung um nicht mehr
als 2 Grad Celsius steigen soll, festzulegen - wir müssen
uns schon ziemlich anstrengen, um dieses Ziel zu erreichen -, dann aber, wenn es um konkrete Einsparungen
geht, zu sagen: Nein, das würde uns so sehr belasten,
dass wir es nicht wollen. - Wir müssen uns hier entscheiden. Sie kommen nicht darum herum, eine Entscheidung
zu treffen. Wenn es zu keiner gemeinsamen Entscheidung kommt, dann werden wir natürlich klarstellen, wer
dafür die Verantwortung trägt.
({12})
Politik muss mehr sein als die Reaktion auf Krisen.
Politik muss sich vor allem dadurch auszeichnen, dass
sie erkennbaren Gefahren früh genug vorgreift und Weichen anders stellt. Das tun wir in der Energiepolitik. Wir
haben nicht etwa kein Konzept, sondern wir haben ein
anderes Konzept als Sie. Ich glaube, es ist das richtige
Konzept. Darum geht es.
({13})
Ich möchte auch noch auf die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien zu sprechen
kommen. Vor dem Hintergrund der Unsicherheiten in
der Nachfrage nach Energie sind im letzten Jahrhundert
große Kapazitäten mit entsprechend hohen Reserveleistungen geschaffen worden. Die Energiepolitik der Zukunft kann auf die Bedarfe sehr viel flexibler reagieren.
Ich bin zutiefst überzeugt: Diejenige Volkswirtschaft,
die effiziente bzw. solare Technologien im großen Stil
anbietet, wird auch die Märkte der Zukunft bestimmen.
({14})
Michael Müller ({15})
Das ist ein ökonomisch brisantes Feld. Ich sage Ihnen: Wir befinden uns in einem Wettbewerb mit anderen
Ländern um die Vorreiterrolle. Auch hier ist das Bild
klar: Aufseiten der Opposition sitzen die Bremser, aufseiten der Koalition gibt es Abgeordnete, die mutig
Schritte nach vorn machen. Wir wollen diese Schritte
nach vorn machen; denn das wird eine neue und lange
Phase ökonomischer Stabilität nach sich ziehen. Wir
wollen Vorreiter bei der ökologischen Modernisierung
der Energie- und Ressourcenbasis in der Welt werden.
Es lohnt sich, dort an der Spitze zu stehen. Dies wäre
eine Leistung, auf die wir stolz sein könnten.
({16})
Wir wissen, dass dieser Umbau nicht leicht ist. Wir
wissen, dass er natürlich auch etwas kostet. Aber wir
versprechen, alles zu tun, ihn sozial- und wirtschaftsverträglich durchzuführen. Das heißt, dieser Umbau wird
sich sowohl sozial, nämlich in einer höheren Beschäftigung, als auch zum Vorteil der Wirtschaft auswirken. Es
ist klar: Energiesparen und Solarenergie sind auch Jobmotoren. Wir wollen diese Jobmotoren. Wir wollen
mehr Beschäftigung in diesen Bereichen.
({17})
Wir wollen keinen Rückfall in alte Strukturen.
Wir stehen für diesen Richtungswechsel. Sie wollen
an alten Strukturen festhalten. Die Verlängerung der
Laufzeiten von Atomkraftwerken macht nur einen Sinn,
wenn Sie zur alten Atomtechnologie zurückwollen.
({18})
Sie müssten aber wissen, dass Sie schnell an Grenzen
stoßen, nicht nur in Bezug auf die Entsorgung, sondern
auch hinsichtlich der Verfügbarkeit von Uran.
Die Atomtechnologie hat in den 70er-Jahren unser
Land tief gespalten. Wir haben diese Spaltung überwunden. Die Bürger müssen wissen: Wer zur Atomtechnologie zurück will, wird dieses Land erneut spalten. Wir
wollen das nicht.
({19})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/4844 mit
dem Titel „Energiepolitik für mehr Wachstum und Beschäftigung“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion abgelehnt.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/4155 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 z sowie
Zusatzpunkte 2 a bis 2 j auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 22 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Neuorganisation der Bundesfinanzverwaltung
- Drucksache 15/5567 ({0})
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1})
- Drucksache 15/5852 Berichterstattung:
Abgeordnete Bernd Scheelen
Leo Dautzenberg
Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/5852,
den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Strafgesetzbuchs ({2})
- Drucksache 15/5653 ({3})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({4})
- Drucksache 15/5856 Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Simm
Daniela Raab
Jörg van Essen
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/5856, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 22 c. Der
Finanzausschuss hat in seiner Beschlussempfehlung den
Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes mit einbezogen, über den jetzt ebenfalls
abgestimmt werden soll. Sind Sie damit einverstanden?
- Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe also Tagesordnungspunkt 22 c auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes
- Drucksache 15/5444 ({5})
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes
- Drucksachen 15/5558, 15/5812 ({6})
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({7})
- Drucksache 15/5863 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Frechen
Peter Rzepka
bb)Bericht des Haushaltsausschusses ({8}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 15/5864 Berichterstattung:
Abgeornete Steffen Kampeter
Walter Schöler
Otto Fricke
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/5863, die genannten Gesetzentwürfe zusammenzuführen und als Entwurf eines
Zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes und zur Änderung des Einkommensteuergesetzes in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der FDP-Fraktion bei Enthaltung der CDU/CSUFraktion angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen
Stimmenverhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 d:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Conterganstiftung für behinderte Menschen ({9})
- Drucksache 15/5654 ({10})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
({11})
- Drucksache 15/5851 Berichterstattung:
Abgeordnete Marlene Rupprecht ({12})
Antje Blumenthal
Ina Lenke
Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/5851, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 e:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 10. November und 19. Dezember 2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik
Österreich über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zur polizeilichen Gefahrenabwehr und in strafrechtlichen Angelegenheiten
- Drucksache 15/5568 ({13})
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({14})
- Drucksache 15/5843 Berichterstattung:
Abgeordnete Frank Hofmann ({15})
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Silke Stokar von Neuforn
Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/5843, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die zustimmen
wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 f:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 25. August 2004 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Republik Aserbaidschan
zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf
dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und
vom Vermögen
- Drucksache 15/5518 ({16})
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({17})
- Drucksache 15/5833 Berichterstattung:
Abgeordnete Lydia Westrich
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/5833, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 g:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Straffung der Umweltstatistik
- Drucksache 15/5538 ({18})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({19})
- Drucksache 15/5848 Berichterstattung:
Abgeordnete Petra Bierwirth
Dr. Maria Flachsbarth
Winfried Hermann
Birgit Homburger
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/5848, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Fraktionen von CDU/CSU und FDP angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, möge
sich bitte erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis
angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 h:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Düngemittelgesetzes und
des Saatgutverkehrsgesetzes
- Drucksache 15/5655 ({20})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({21})
- Drucksache 15/5835 Berichterstattung:
Abgeordnete Gustav Herzog
Helmut Heiderich
Friedrich Ostendorff
Dr. Christel Happach-Kasan
Der Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/5835, den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der CDU/CSU und der FDP angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen
Stimmenverhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 i:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Siebten Buches Sozialgesetzbuch
- Drucksache 15/5669 ({22})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung
({23})
- Drucksache 15/5850 Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Dreßen
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/5850, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist in zweiter Lesung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 j:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Energieeinsparungsgesetzes
- Drucksachen 15/5226, 15/5539 ({24})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
({25})
- Drucksache 15/5849 Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Groneberg
Thomas Dörflinger
Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 15/5849, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 k:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen ({26}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Thomas Dörflinger, Hubert
Deittert, Dirk Fischer ({27}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Energieeffizienz in Gebäuden steigern - Unbürokratische Energieausweise entwickeln
- Drucksachen 15/4506, 15/5849 Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Groneberg
Thomas Dörflinger
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags auf
Drucksache 15/4506. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU- und
der FDP-Fraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 l:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Finanzausgleichsgesetzes
- Drucksache 15/4739 ({28})
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({29})
- Drucksache 15/5615 Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Schild
Georg Fahrenschon
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/5615, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion und
der FDP-Fraktion abgelehnt. Damit entfällt nach unserer
Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 22 m:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus ({30}) zu dem Antrag der Abgeordneten Renate
Gradistanac, Annette Faße, Bettina Hagedorn,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Undine Kurth ({31}), Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck
({32}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Familienurlaub in Deutschland zukunftsfähig
gestalten
- Drucksachen 15/5685, 15/5862 Berichterstattung:
Abgeordneter Wilhelm Josef Sebastian
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
15/5685 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU- und
FDP-Fraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 n:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({33})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Marlene
Rupprecht ({34}), Kerstin Griese, Rita
Streb-Hesse, weiterer Abgeordneter und der
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Ekin Deligöz, Jutta Dümpe-Krüger, Irmingard
Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Die Zukunft unseres Landes sichern - Ein
kindergerechtes Deutschland schaffen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Marlene
Rupprecht ({35}), Angelika Graf ({36}), Kerstin Griese, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ekin Deligöz, Jutta Dümpe-Krüger,
Volker Beck ({37}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Kinderrechte in Deutschland stärken - Erklärung zur UN-Kinderrechtskonvention
zurücknehmen
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Ingrid Fischbach, Maria Eichhorn,
Dr. Maria Böhmer, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Nationaler Aktionsplan für ein kindergerechtes Deutschland 2005 bis 2010
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Nationaler Aktionsplan für ein kindergerechtes Deutschland 2005 bis 2010
- Drucksachen 15/5341, 15/4724, 15/5348,
15/4970, 15/5806 Berichterstattung:
Abgeordnete. Marlene Rupprecht ({38})
Ingrid Fischbach
Ekin Deligöz
Klaus Haupt
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung in Kenntnis der genannten Unterrichtung die Annahme des Antrags der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache
15/5341 mit dem Titel „Die Zukunft unseres Landes
sichern - Ein kindergerechtes Deutschland schaffen“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss in Kenntnis der genannten Unterrichtung
die Annahme des Antrags der Fraktionen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/4724
mit dem Titel „Kinderrechte in Deutschland stärken Erklärung zur UN-Kinderrechtskonvention zurücknehmen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion und Enthaltung der
CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung in Kenntnis der genannten Unterrichtung die Ablehnung des Entschließungsantrags der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/5348 zu dieser Unterrichtung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Wir stimmen nun ab über den Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/5868. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
CDU/CSU-Fraktion bei Zustimmung der FDP-Fraktion
abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 22 o:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung ({39})
- zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Die Erfolge in der Politik für behinderte
Menschen nutzen - Teilhabe und Selbstbestimmung weiter stärken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Antje
Blumenthal, Hubert Hüppe, Andreas Storm,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Teilhabe von Menschen mit Behinderungen
am öffentlichen Leben konsequent sichern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Antje
Blumenthal, Hubert Hüppe, Andreas Storm,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Sexuelle Übergriffe gegen Menschen mit Behinderung wirksam unterbinden und
Hilfsangebote für Betroffene verbessern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Daniel Bahr
({40}), Dr. Karl Addicks, Rainer Brüderle,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Diskriminierung von Menschen mit Behinderung beim Fahrkarten- und Ticketkauf
verhindern - Teilhabe ermöglichen
- Drucksachen 15/5463, 15/4927, 15/4928,
15/5460, 15/5842 Berichterstattung:
Abgeordnete Silvia Schmidt ({41})
Der Ausschuss hat in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/5842 den Antrag der Fraktion der FDP
auf Drucksache 15/5460 mit einbezogen, über den ebenfalls beschlossen werden soll. Der Bericht der Bundesregierung auf Drucksache 15/4575 über die Lage behinderter Menschen und die Entwicklung ihrer Teilhabe ist
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
- abweichend von der Tagesordnung - nicht Bestandteil
der Beschlussempfehlung. Sind Sie mit diesen Änderungen einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Annahme des Antrags der Fraktionen
der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/5463 mit dem Titel „Die Erfolge in der Politik
für behinderte Menschen nutzen - Teilhabe und Selbstbestimmung weiter stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 15/4927 mit dem Titel
„Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am öffentlichen Leben konsequent sichern“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/
CSU- und FDP-Fraktion angenommen.
Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 15/4928 mit dem Titel
„Sexuelle Übergriffe gegen Menschen mit Behinderung
wirksam unterbinden und Hilfsangebote für Betroffene
verbessern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU- und
FDP-Fraktion angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/5460 mit dem
Titel „Diskriminierung von Menschen mit Behinderung
beim Fahrkarten- und Ticketkauf verhindern - Teilhabe
ermöglichen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU- und
FDP-Fraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 p:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen ({42}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht zum Ausbau der Schienenwege 2004
- Drucksachen 15/4621, 15/5780 Berichterstattung:
Abgeordneter Eduard Lintner
Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis des Berichts
auf Drucksache 15/4621 eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen von CDU/CSU- und FDP-Fraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 q:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung ({43}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Geplanter Handel mit Eizellen
Entschließung des Europäischen Parlaments
zu dem Handel mit menschlichen Eizellen
({44})
- Drucksachen 15/5513 Nr. 1.1, 15/5750 Berichterstattung:
Abgeordneter Hubert Hüppe
Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig
angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 r:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft ({45})
zu dem Antrag der Abgeordneten Holger Ortel,
Sören Bartol, Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Cornelia Behm, Undine Kurth
({46}), Volker Beck ({47}), weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Die Situation der Fischerei durch nachhaltige
Bewirtschaftung verbessern
- Drucksachen 15/5587, 15/5760 Berichterstattung:
Abgeordnete Holger Ortel
Gitta Connemann
Cornelia Behm
Dr. Christel Happach-Kasan
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 15/5587 anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 s:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({48})
zu dem Antrag der Bundesregierung
Einwilligung gemäß § 12 Abs. 3 des Hochschulbauförderungsgesetzes in die Verwendung von
Bundesmitteln für die Gemeinschaftsaufgabe
Hochschulbau für die gemeinsame
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Forschungsförderung nach Art. 91 b des
Grundgesetzes
- Drucksachen 15/5170, 15/5651 Berichterstattung:
Abgeordnete Carsten Schneider
Klaus-Peter Willsch
Anna Lührmann
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 15/5170 anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 t:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen ({49})
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission
Weiterentwicklung der Luftfahrtaußenpolitik der Gemeinschaft
KOM ({50}) 79 endg.; Ratsdok. 7214/05
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat
Ein Rahmen für den Ausbau der Luftverkehrsbeziehungen mit der Russischen Föderation
KOM ({51}) 77 endg.; Ratsdok. 7369/05
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission
Eine Zivilluftfahrtpolitik der Gemeinschaft
gegenüber der Volksrepublik China - Stärkung der Zusammenarbeit und Öffnung der
Märkte
KOM ({52}) 78 endg.; Ratsdok. 7378/05
- Drucksachen 15/5297 Nr. 2.25, Nr. 2.34,
Nr. 2.35, 15/5751 Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Friedrich ({53})
Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtungen durch die Bundesregierung über die Mitteilungen
der EU-Kommission eine Entschließung anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 u:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({54}) zu der
Verordnung der Bundesregierung
Verordnung über die Verwertung von Abfällen auf Deponien über Tage und zur Änderung
der Gewerbeabfallverordnung
- Drucksachen 15/5542, 15/5634 Nr. 2.5, 15/5748 Berichterstattung:
Abgeordnete Petra Bierwirth
Werner Wittlich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Birgit Homburger
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, der Verordnung auf Drucksache 15/5542 in der
Ausschussfassung zuzustimmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU-Fraktion
bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 v:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
({55})
- zu der Verordnung der Bundesregierung
Achtundsechzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
- zu der Verordnung der Bundesregierung
Einhundertvierte Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur
Außenwirtschaftsverordnung - Drucksachen 15/5529, 15/5634 Nr. 2.1, 15/5530,
15/5634 Nr. 2.2, 15/5753 Berichterstattung:
Abgeordneter Erich G. Fritz
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, die Aufhebung der Verordnungen auf den
Drucksachen 15/5529 und 15/5530 nicht zu verlangen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 w:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({56}) zu der
Verordnung der Bundesregierung
Erste Verordnung zur Änderung der Altfahrzeug-Verordnung
- Drucksachen 15/5541, 15/5634 Nr. 2.4, 15/5787 Berichterstattung:
Abgeordnete Gerd Friedrich Bollmann
Werner Wittlich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Birgit Homburger
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, der Verordnung auf Drucksache 15/5541 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 x:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({57}) zu der
Verordnung der Bundesregierung
Vierte Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung
- Drucksachen 15/5540, 15/5634 Nr. 2.3, 15/5788 Berichterstattung:
Abgeordnete Gerd Friedrich Bollmann
Werner Wittlich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Birgit Homburger
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, der Verordnung auf Drucksache 15/5540 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 y:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Angelika Brunkhorst, Dr. Christel HappachKasan, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Landwirtschaftliche Verwertung von Klärschlamm sachgerecht handhaben
- Drucksache 15/5590 Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der FDP-Fraktion
und Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt.
Jetzt haben wir das Alphabet gleich durch. Wir kommen nun zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 22 z:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({58})
Sammelübersicht 216 zu Petitionen
- Drucksache 15/5739 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 216 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 za:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({59})
Sammelübersicht 217 zu Petitionen
- Drucksache 15/5740 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 217 ist ebenfalls einstimmig
angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 zb:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({60})
Sammelübersicht 218 zu Petitionen
- Drucksache 15/5741 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 218 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 zc:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({61})
Sammelübersicht 219 zu Petitionen
- Drucksache 15/5742 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 219 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 zd:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({62})
Sammelübersicht 220 zu Petitionen
- Drucksache 15/5743 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 220 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/
CSU- und FDP-Fraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 ze:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({63})
Sammelübersicht 221 zu Petitionen
- Drucksache 15/5744 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 221 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU-Fraktion bei
Gegenstimmen der FDP-Fraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 zf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({64})
Sammelübersicht 222 zu Petitionen
- Drucksache 15/5745 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 222 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU-Fraktion
bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion angenommen.
Wir kommen jetzt zu Zusatzpunkt 2 a:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Angelika Brunkhorst, Birgit Homburger, Michael
Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Wärmebereich für den Klimaschutz erschließen - Erneuerbare Energien marktwirtschaftlich einbeziehen
- Drucksache 15/5731 Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der FDP-Fraktion
und der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt.
Zusatzpunkt 2 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung ({65}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Katherina Reiche, Hubert
Hüppe, Thomas Rachel, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Gentests in Medizin, Arbeitsleben und Versicherungen
- Drucksachen 15/543, 15/5866 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Wolfgang Wodarg
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/543 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.
Zusatzpunkt 2 c:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({66}) zu der
Verordnung der Bundesregierung
Erste Verordnung zur Änderung der Biomasseverordnung
- Drucksachen 15/5666, 15/5761 Nr. 2.1, 15/5867 Berichterstattung:
Abgeordnete Marco Bülow
Franz Obermeier
Dr. Antje Vogel-Sperl
Angelika Brunkhorst
Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf Drucksache 15/5666 zuzustimmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU-Fraktion
bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion angenommen.
Zusatzpunkt 2 d:
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD,
der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN und der FDP
Gegen Gewalt und Vertreibungen in Simbabwe - Die Afrikanische Union muss handeln
- Drucksache 15/5830 Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Wir kommen nun zu weiteren Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Zusatzpunkt 2 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({67})
Sammelübersicht 223 zu Petitionen
- Drucksache 15/5836 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 223 ist einstimmig angenommen.
Zusatzpunkt 2 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({68})
Sammelübersicht 224 zu Petitionen
- Drucksache 15/5837 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 224 ist einstimmig angenommen.
Zusatzpunkt 2 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({69})
Sammelübersicht 225 zu Petitionen
- Drucksache 15/5838 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 225 ist einstimmig angenommen.
Zusatzpunkt 2 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({70})
Sammelübersicht 226 zu Petitionen
- Drucksache 15/5839 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 226 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSUund der FDP-Fraktion angenommen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Zusatzpunkt 2 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({71})
Sammelübersicht 227 zu Petitionen
- Drucksache 15/5840 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 227 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU-Fraktion gegen
die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen.
Zusatzpunkt 2 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({72})
Sammelübersicht 228 zu Petitionen
- Drucksache 15/5841 -
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer ent-
hält sich? - Sammelübersicht 228 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion gegen
die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Ich rufe die Zusatzpunkte 3 a bis 3 c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beschleunigung der Umsetzung von öffentlich-privaten Partnerschaften und zur
Verbesserung gesetzlicher Rahmenbedingungen für öffentlich-private Partnerschaften
- Drucksache 15/5668 ({73})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({74})
- Drucksache 15/5859 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Michael Fuchs
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
({75}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Otto Fricke, Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Privatisierung und öffentlich-private Partner-
schaften
- Drucksachen 15/2601, 15/5859 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Michael Fuchs
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen ({76}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr. Klaus W. Lippold ({77}), Hartmut Schauerte, Christian Freiherr von
Stetten, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Wachstumsstrategie für Deutschland: Public
Private Partnership weiterentwickeln und
nunmehr realisieren - Infrastruktur optimieren, Investitionsstau auflösen
- Drucksachen 15/5676, 15/5861 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Margrit Wetzel
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Als ersten Redner rufe ich den Kollegen Dr. Michael
Bürsch von der SPD-Fraktion auf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Ich stelle am heutigen Tag
mit Freude fest, dass wir uns beim Thema öffentlich-private Partnerschaften und ihre Förderung weitgehend einig sind. Auf jeden Fall sind wir uns in der Zielsetzung
einig, dass diese Partnerschaften in Deutschland gefördert werden sollen. Auch über die Maßnahmen, um die
es jetzt geht, sind wir uns im Wesentlichen einig. Diese
Zustimmung kommt nicht nur von allen Fraktionen des
Parlaments, sondern auch von wichtigen Verbänden wie
dem BDI und der Deutschen Industrie- und Handelskammer. Wir sind mit diesem Projekt in diesen schwierigen Zeiten auf einem guten Wege.
Lassen Sie mich zum Grundverständnis von öffentlich-privaten Partnerschaften Folgendes sagen - denn
ich muss feststellen, dass dieses Grundverständnis noch
nicht überall vorhanden ist -: Im Kern geht es um eine
neue Aufgaben- und Risikoverteilung zwischen öffentlicher Hand und Privatwirtschaft. Es gibt grundsätzlich
zwei Möglichkeiten, wie man öffentliche Aufgaben
wahrnehmen und Infrastruktur bauen und betreiben
kann: rein öffentlich oder rein privat. Mit den öffentlichprivaten Partnerschaften gehen wir einen dritten Weg.
An dieser Stelle sage ich an die Adresse der FDP: Wir
haben auch Ihren Antrag mit Interesse gelesen. Einige
Aspekte halten wir durchaus für richtig. An einer Stelle
sind wir allerdings anderer Meinung als Sie; denn in
Ihrem Antrag setzen Sie eine deutliche Priorität bei Privatisierungen. Für uns sind die öffentlich-privaten Partnerschaften dann eine Möglichkeit, wenn ein Wirtschaftlichkeitsvergleich zu dem Ergebnis kommt, dass
sie tatsächlich der günstigere, der effizientere und auch
von den Zahlen her beste Weg sind. Das ist in England
bis jetzt bekanntlich schon in 20 Prozent der Fälle so.
Dieses Ziel sollten wir auch für Deutschland anstreben.
Aber ich sage sehr deutlich: Die Koalition setzt ein deutliches Zeichen für öffentlich-private Partnerschaften,
wenn sie denn infrage kommen.
({0})
Wir halten Privatisierungen - auch angesichts der Ergebnisse, zu denen es zum Beispiel in England zur Zeit von
„Maggie“ Thatcher gekommen ist - nicht für den Königsweg.
Lassen Sie mich noch ein paar Worte zur Einordnung
unseres Gesetzentwurfes sagen - denn das ist von Verbänden und anderen außerhalb des Parlaments kritisch
angemerkt worden -: Der DIHK schreibt, dass sich die
Diskussion über ÖPP nicht nur auf die Beseitigung
rechtlicher Hemmnisse beschränken darf. Erforderlich
ist eine offene Auseinandersetzung darüber, welche politischen Rahmenbedingungen nötig sind. An der Stelle
stimme ich dem DIHK vollkommen zu: Wir brauchen in
Deutschland einen Bewusstseinswandel, die Bereitschaft
dazu, sich diesen öffentlich-privaten Partnerschaften
wirklich zu öffnen. Die Bereitschaft, das in aller Sorgfalt
und Offenheit zu prüfen, muss auf öffentlicher, aber
auch auf privater Seite vorhanden sein.
Was wir hier vorlegen, ist, wenn man so will, solides
Handwerk. Wir haben uns einige Punkte vorgenommen,
denen in der Tat in Deutschland rechtliche Hemmnisse
entgegenstehen. Diese wollen wir mit diesem Gesetzeswerk beseitigen. Wir sind uns alle einig, dass wir noch
einiges auf der Agenda haben; da kann ich auch ganz
zwanglos aus dem Antrag der CDU/CSU zitieren. Natürlich sind wir auch für ein bundesweit einheitliches Verfahren für den Wirtschaftlichkeitsvergleich. Wir sind
auch dafür, dass standardisierte Vertragsstrukturen entwickelt und die Ausschreibungs- und Vergabebedingungen standardisiert werden. Auch privates Kapital zum
Abbau des öffentlichen Investitionsstaus wollen wir
akquirieren.
({1})
Insbesondere sind wir uns mit der CDU/CSU und
auch der FDP darüber einig, dass der Mittelstand bei
den öffentlich-privaten Partnerschaften eine herausragende Rolle spielen soll. Weil der Mittelstand 70 Prozent
unserer Wirtschaft ausmacht, brauchen wir natürlich Angebote, die auch für die Mittelstandswirtschaft geeignet
sind; darüber sind wir uns einig. Ich kann insofern aus
dem Katalog, den die CDU/CSU vorgelegt hat, etliches
unterschreiben. Wir werden daraus, wenn wir an diesem
Thema weiterarbeiten wollen, die entsprechenden Agendapunkte herausfiltern. Ich stelle mir vor, dass wir dieses
in den nächsten Monaten bzw. in den nächsten Jahren in
Ruhe weiterentwickeln.
Wir brauchen in der Tat einen Bewusstseinswandel
auf der öffentlichen und der privaten Seite - vielleicht
auch noch bei den Haushältern - dahin gehend, dass die
Bundeshaushaltsordnung kein heiliger Katechismus
ist. Ich habe manchmal den Eindruck, dass es absolut
verboten ist, an die Bundeshaushaltsordnung überhaupt
Hand anzulegen. Aber wir wollen ja nur eine kleine Ausnahme schaffen, nämlich die Veräußerung von öffentlichem Eigentum dann erlauben, wenn die Aufgaben des
Bundes auf diese Weise nachweislich wirtschaftlicher
erfüllt werden können. Wir wollen eine minimale Öffnung. Das ist das, was im 21. Jahrhundert, meine ich, der
moderne Weg ist. Da braucht niemand zu befürchten,
dass damit ein zusätzlicher Kreditrahmen eröffnet wird
oder dass es negative Auswirkungen auf die Haushaltslage hat.
Ich komme zum Schluss und danke denen, die an diesem Werk mitgearbeitet haben und weiter mitarbeiten
wollen, sehr herzlich. Ich glaube, dass wir gemeinsam
einen Weg finden können, dieses wichtige Werk fraktionsübergreifend voranzubringen. Ich werbe sehr dafür,
dieses gemeinsam zu tun und vielleicht auch im Bundesrat, bei den Ländern, über dieses Werk Einigkeit zu
erzielen. Das bringt uns voran und das ist ein erster
wichtiger Schritt, um bei den öffentlich-privaten Partnerschaften voranzukommen.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat der Kollege Dr. Klaus Lippold von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich knüpfe an das
an, was der Kollege Dr. Bürsch gerade gesagt hat: dass
wir die Dinge gemeinschaftlich vorantreiben sollen. Ich
halte das für richtig, Herr Kollege Bürsch. Aber Sie hätten dies ja realisieren können, nachdem Sie dieses schon
während der letzten Sitzung angesprochen haben und ich
darauf gesagt habe, dass wir zu konstruktiver Zusammenarbeit bereit sind. Wir hätten hier und heute einen
gemeinschaftlichen Entwurf verabschieden können
und hätten dieses Vorhaben nicht weiter verschieben
müssen.
Ich sage das - das ist besonders wichtig - deshalb,
weil Sie davon gesprochen haben, dass jetzt die „Ruhe
der nächsten Monate“ kommt. Ich sehe keine „Ruhe der
nächsten Monate“, Herr Bürsch: Wir haben eine Arbeitslosigkeit auf Rekordniveau, wir haben eine Jugendarbeitslosigkeit, die überhaupt nicht mehr zu überbieten
ist, wir haben einen Rekord an Unternehmenspleiten.
({0})
Wir haben ein Haushaltsloch, das in der deutschen Geschichte einen Rekord darstellt, und das, obgleich wir
zurzeit noch nicht einmal eine Sondersituation wie die
Wiedervereinigung zu bewältigen haben. Das heißt, wir
stehen unter der rot-grünen Koalition vor einer katastrophalen Entwicklung. Und Sie sagen, wir können das in
Ruhe in den nächsten Monaten angehen! Nein, das muss
jetzt, also umgehend passieren, sonst kommen wir angesichts des katastrophalen Versagens der Bundesregierung nicht weiter.
({1})
Dr. Klaus W. Lippold ({2})
Ich will auch noch einmal sehr deutlich machen: Ich
glaube, dass - was Sie auch angesprochen haben - die
Frage der Privatisierung nach wie vor ganz zentral ist.
Ich meine, dass dort, wo sinnvoll privatisiert werden
kann, die Privatisierung auch als Instrument genutzt
werden muss, weil wir damit entscheidend weiterkommen. Vor diesem Hintergrund ist die öffentlich-private
Partnerschaft ein weiteres Instrument, das ich ebenfalls
positiv bewerte. Es ist jedoch kein Allheilmittel, um das
noch einmal ganz deutlich hinzuzufügen.
({3})
Mit diesem Mittel können wir unter Umständen aber das
bewerkstelligen, was der Staat, die Länder und die Kommunen ansonsten nicht könnten.
Herr Dr. Bürsch, man muss sehen, dass das katastrophale Versagen der Regierung natürlich auch dazu
geführt hat, dass die anderen staatlichen Ebenen in der
Republik - Länder und kommunale Gebietskörperschaften - nicht über die Investitionsmittel verfügen,
über die sie verfügen könnten, wenn Sie eine konsequente Wachstumspolitik betrieben hätten.
({4})
Das haben Sie nicht getan. Deshalb sind wir der Meinung, dass die Chancen für Public Private Partnership
verbessert werden müssen. Vor diesem Hintergrund ist
der vorliegende Gesetzentwurf ein Schritt in die richtige
Richtung. Sie haben gerade schon angesprochen, dass er
weiter verbessert werden muss. Hätten Sie unsere Vorschläge direkt aufgegriffen, dann müsste das nicht erst in
Zukunft geschehen.
({5})
Ich sage noch einmal ganz deutlich: Es gibt in den
Passagen zum Vergaberecht Mängel. Die Mittelstandsproblematik ist absolut unzureichend berücksichtigt, um
nicht deutlich von völlig vernachlässigt zu sprechen. Das
können wir so nicht durchgehen lassen. Der nächste
Punkt ist: Trotz der schlechten Erfahrungen mit der
LKW-Maut ist Controlling in diesem Gesetzentwurf
kein Thema. Auch das kann nicht sein. Ich meine, deshalb werden wir hier sofort weiterarbeiten müssen.
({6})
Auch auf dem defizitären Feld der Verkehrsinfrastruktur - Ausbau des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes, um weitere Projekte im Straßenbau
realisieren zu können, und Ausgestaltung der
Verkehrswegeinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft als
eine Managementgesellschaft - ist bei Ihnen Fehlanzeige; hier tut sich bei Ihnen nichts. Ich bin dafür, dass
wir dies alles möglichst bald ändern.
Weil die Situation in der Bundesrepublik so katastrophal ist, Herr Bürsch, werden wir im Gegensatz zu Ihnen
nicht kleinkariert handeln, sondern den Gesetzentwurf
passieren lassen. Das ist aus unserer Sicht auch ein Zeichen an die Länder für die weiteren Beratungen. Deshalb
bitte ich ganz einfach, das ernst zu nehmen. Wie gesagt:
Wenn wir unsere Möglichkeiten total ausschöpfen würden, wäre eine Chance auf Vermehrung der Beschäftigung nicht gegeben.
Ich bedaure nochmals, dass Sie nicht willens und in
der Lage waren, mit uns so konstruktiv zusammenzuarbeiten, wie das im ersten Durchgang hier diskutiert worden ist.
({7})
Wir jedenfalls werden bei unserer Linie bleiben. Was für
Wachstum und Beschäftigung spricht, werden wir
akzeptieren und vorantreiben. Deshalb lassen wir diesen
Gesetzentwurf trotz großer Bedenken passieren.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Anja Margarete Hajduk
vom Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Es ist sicherlich notwendig und
wichtig, unseren Staat Deutschland weiter zu modernisieren sowie ihn effizienter und mit Sicherheit teilweise
auch schlanker zu machen. Dies ist jedenfalls die Position von Bündnis 90/Die Grünen.
Wir sind durchaus für Wettbewerb, wenn öffentliche
Aufgaben dadurch besser erledigt werden können, als
wenn der Staat das alleine macht.
({0})
In vielen Bereichen ist es sinnvoll, wenn sich der Staat
eher auf eine Gewährleisterrolle beschränkt; das will ich
hier ganz deutlich sagen. Der Staat muss die Erfüllung
der öffentlichen Aufgaben sicherstellen, die konkrete Erbringung der Leistungen kann man aber auch auf Unternehmen übertragen.
Wir haben heute und in dieser Wahlperiode überhaupt
eine ganze Menge für den Wettbewerb erreicht. Bei den
netzgebundenen Infrastrukturen sorgen wir mit dem
Energiewirtschaftsgesetz und dem Telekommunikationsgesetz wirklich für mehr Wettbewerb. Auch ÖPP meint
nichts anderes: Der Staat soll einen bestimmten Teil der
öffentlichen Aufgaben definieren, aber in einem wettbewerblichen Verfahren die Aufgabe selbst auf Private
übertragen.
Wir Grünen wollen auch gerne bei der Bahn weiterkommen. Hier geht es um die Trennung des Schienenweges und des Bahnbetriebs.
({1})
Eine Privatisierung von Netz und dem früheren Monopolisten in einem Unternehmen dagegen führte eher zu
neuen Verkrustungen.
({2})
- Das hat im engeren Sinne nichts mit ÖPP zu tun. Ich
will nur im Zusammenhang mit dem Wettbewerb dieses
sehr heiße Thema trotzdem ansprechen.
Da der FDP-Kollege hier dazwischenruft, will ich
noch etwas anderes sagen: Wir sind gegen ein einseitiges
Primat der Privatisierung. Diese Tendenz ist bei Ihnen
stark ausgeprägt.
({3})
Dagegen spricht auch die Erfahrung. Das muss nicht
sein. Insofern gibt es auch beim Thema ÖPP Differenzen, wenn auch keine grundsätzlichen.
Die Effizienzgewinne durch die Einbeziehung von
Privaten sind das entscheidende Kriterium für ÖPP; das
hat auch der Kollege Dr. Bürsch deutlich gemacht. In einer Zeit, in der der Bedarf an der Modernisierung der öffentlichen Infrastruktur - das betrifft nicht nur den Straßenbau, sondern zum Beispiel auch öffentliche Gebäude
und Schulen - sehr hoch ist, aber die Finanzierungsmöglichkeiten der öffentlichen Hand beschränkt sind, ermöglicht es ÖPP, die Kooperation zwischen Staat und Privatwirtschaft zu fördern. Ich sage aber auch: Eine verdeckte
Erhöhung von Schulden durch ÖPP, wenn man sie nur
als eine privatrechtliche Konstruktion nutzt und anwendet, sollten wir aus haushaltsrechtlichen Gründen vermeiden. Es kommt dabei sehr auf den Einzelfall an; das
finde ich wichtig.
({4})
Unter der Begrifflichkeit ÖPP werden oft unterschiedliche Dinge gefasst. Ich unterstelle niemandem Böses,
sondern formuliere das als einen Anspruch, hier sorgsam
abzuwägen, Herr Fuchs.
({5})
Für Bündnis 90/Die Grünen, aber auch für die anderen kommt es entscheidend darauf an, Chancen und Risiken zwischen Staat und Privaten fair zu teilen. Deswegen passen wir eine Reihe von rechtlichen Regelungen
im Bereich des Vergabe-, Gebühren-, Haushalts- und
Steuerrechts an, damit sie öffentlich-privaten Partnerschaften nicht entgegenstehen. Uns war wichtig, von
einer generellen Öffnung von geschlossenen Immobilienfonds für ÖPP-Projekte aus Gründen des Anlegerschutzes abzusehen. Vor dem Hintergrund der Anträge
von Union und Bündnis 90/Die Grünen ist hier eine
kleine Differenz festzustellen. Einen anderen Weg zur
Finanzierung von ÖPP öffnen wir hingegen: Offene Immobilienfonds können bis zu 10 Prozent die Finanzierung des Nießbrauchsrechts von ÖPP-Projekten nutzen.
Ich möchte zum Abschluss noch etwas sagen, Herr
Dr. Lippold, weil Sie kritisiert haben, dass wir nicht vollends zusammenkommen konnten, obgleich in der ersten
Lesung und auch in der Tendenz der Diskussion Gemeinsamkeiten deutlich wurden. Das ist auch ein Problem der knappen Zeit gewesen. Sie selber haben gesagt,
dass wir hier weiterkommen müssen und wir uns in einer
schwierigen Situation befinden. Sie haben das ein bisschen drastischer formuliert und uns dabei angegriffen.
Auf einen Gegenangriff verzichte ich selbstverständlich;
ich möchte nur sagen: Eine Anhörung - dazu wären wir
bereit gewesen - war in der Tat nicht verabredet. Zudem
hatten wir für die Einbeziehung Ihrer Anliegen, um diese
mit unseren Positionen zu vereinbaren, in einer ausführlichen Diskussion keine Zeit.
Sie haben eine sehr starke Ausweitung der Fernstraßenbauprivatisierung vorgeschlagen. Da sind wir eben
nicht zu 100 Prozent d’accord.
({6})
Das ist aber nur ein Teil des ganzen Reigens. Ursächlich
war nicht mangelnder Wille unsererseits, fair mit Ihnen
umzugehen; vielmehr gab es bei den Akzenten, die Sie
setzen wollten - das betraf auch das Steuerrecht -,
schlicht Differenzen. Ich finde es gut, dass Sie mit Blick
auf den Bundesrat dennoch weiterkommen wollen. Deswegen beschließen wir hier - ich hoffe, ohne Gegenstimmen von Ihrer Seite - unser Gesetz. Den weiteren
Beratungen im Bundesrat sehen wir hoffnungsvoll entgegen.
Ich danke Ihnen.
({7})
Das Wort hat der Kollege Horst Friedrich von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Genau da, liebe Kollegin Hajduk, ist das Problem: Sie
möchten ÖPP nach Ihren Kriterien definieren. Sie vergessen dabei, dass ÖPP nur funktioniert, wenn es insgesamt ein gesellschaftliches Klima gibt, in dem überhaupt
akzeptiert wird, dass sich Private stärker beteiligen. Dieses Klima müssen Sie aber zunächst schaffen; denn das,
was Sie wollen, ist auch jetzt schon möglich, nämlich
mit Gesetzen, die im Übrigen aus den Jahren 1993 und
1994 stammen und die damals gegen Ihre Stimmen verabschiedet wurden. Mit dem, was Sie jetzt vorgelegt haben, schaffen Sie bestenfalls eine Arbeitsgrundlage für
die beiden Leuchttürme - in Rostock und bei der
Horst Friedrich ({0})
Querung der Trave in Lübeck -, die zwei Unternehmer
gesetzt haben. Das ist das, was hier drinsteht.
Das, was Sie machen und wie Sie es machen, ist allerdings einer parlamentarischen Beratung von Gesetzen
nicht angemessen; denn Sie treiben das im Schweinsgalopp voran. Die Opposition wird im Prinzip nicht beteiligt, es gibt kaum Chancen, sich einzubringen, und Sie
haben offensichtlich noch nicht einmal Ihren Koalitionspartner so informiert, dass er weiß, wie er in den Ausschüssen abstimmen muss.
Sie führen hier neue Rechtsbegriffe ein und verwenden diese zum Teil sogar noch unterschiedlich. Sie reden
im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen von „öffentlichen Auftraggebern“, in der Vergabeverordnung
hingegen auf einmal von „staatlichen Auftraggebern“.
Das mag ein Flüchtigkeitsfehler sein, aber man müsste
die Begriffe zumindest definieren.
Tatsächlich neu ist allerdings, dass Sie neben den
schon bekannten Begriffen „offene Verfahren“, „nicht
offene Verfahren“ und „Verhandlungsverfahren“ in der
Vergabeverordnung den so genannten wettbewerblichen
Dialog einführen - einen Begriff, den es in Deutschland
im Vergaberecht noch gar nicht gibt. Derartiges ist in der
EU zwar angedacht, aber noch keineswegs umgesetzt.
Es ist auch nicht verpflichtend, dies umzusetzen; tatsächlich weiß niemand, was „wettbewerblicher Dialog“
heißt.
Dies führt uns zu der Frage: Wer schützt denn den
Mittelstand? Denn die Konsequenz Ihrer Gesetzesvorgaben ist, dass der Auftraggeber aus dem wettbewerblichen Dialog heraus - nach Zustimmung der anderen
Vorschläge - berechtigt sein soll, technische Lösungen
und innovative Ansätze mit anderen zu erarbeiten. Das
kann es aus meiner Sicht nicht sein.
({1})
Die hoch innovativen Mittelstandsfirmen, die konsequente Vorschläge machen, dann aber vielleicht nicht in
der Lage sind, die Finanzierung zu realisieren, liefern die
Technik, aber ein anderer produziert und benutzt diese
Firmen als Subunternehmer. Das kann aus unserer Sicht
nicht sein. Deswegen wäre es gut gewesen, diesen Begriff überhaupt einmal zu definieren und deutlich zu machen, was das Ganze soll.
In der Summe sagen wir: Was Sie vorlegen, ist im
Grunde nicht falsch; es geht uns aber nicht weit genug.
Sicherlich ist das nicht das richtige Zeichen: Sie wollen
ÖPP ausschließlich dann nutzen, wenn der Staat bei der
Finanzierung nicht mehr weiter weiß und ein Loch gestopft werden muss. Genau das kann es nicht sein. Das
ist ein völlig falsches Signal. Deswegen werden wir uns
bei der weiteren Beratung enthalten. Sollte es am
18. September Neuwahlen geben, dann muss dieses Gesetz als allererstes auf den Prüfstand und dann muss das
Thema richtig angefasst werden, hoffentlich unter anderen Mehrheitsverhältnissen.
Danke sehr.
({2})
Das Wort hat der Kollege Klaus Brandner von der
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Ich freue mich auch, dass wir trotz
der schwierigen Debattenlage vor Beginn eines Wahlkampfes - Dr. Lippold hat einen kleinen Beitrag dazu
am Anfang seiner Rede geliefert ({0})
über den vorliegenden Gesetzentwurf so sachlich und
konstruktiv debattieren können, wie es dem Thema angemessen ist. Ich hoffe nur, dass sich dieser Wille zum
Konsens von heute auch auf die Beratungen des Bundesrates am 8. Juli erstrecken wird. Dann nämlich hätten
wir alle einen wichtigen Beitrag zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland geleistet.
Im Übrigen muss ich Ihnen klar sagen, Herr
Dr. Lippold: Wir warten nicht ab, wir sitzen auch nicht
aus, sondern wir haben schnell gearbeitet und sehr früh
dazu eine Arbeitsgruppe installiert. Wir haben mit Praktikern geredet und insofern ein Gesetz vorgelegt, das anwendungstauglich ist. Wir hoffen wirklich, dass es im
Bundesrat recht bald Zustimmung erfahren wird, damit
der Segen dieses Gesetzes von allen am Wirtschaftsstandort Deutschland genutzt werden kann.
Über die Einzelheiten des Gesetzes ist von meinen
Vorrednerinnen und Vorrednern schon ausführlich gesprochen worden. Ich möchte auf einen Aspekt zu sprechen kommen, der in der öffentlichen Debatte bisher, so
meine ich, zu kurz gekommen ist. Das Konzept ÖPP
geht weit über die Frage neuer Finanzierungsmodelle öffentlicher Leistungen hinaus. Es handelt sich auch nicht
allein um eine neue öffentlich-private Form des Entwerfens, des Bauens und des Betreibens bisher in Eigenrealisierung des Staates erbrachter Leistungen. ÖPP kann
zu einem Effizienztreiber und Modernisierungsmotor für
Staat und Gesellschaft schlechthin werden. Allein die
Lebenszyklusbetrachtung und der Wirtschaftlichkeitsvergleich werden eine Debatte über den besten und kostengünstigsten Weg öffentlicher Leistungserstellung erzwingen. Darauf werden zukünftig nicht nur die
Finanzminister und die Kämmerer, sondern auch die
Steuerzahler und die Öffentlichkeit bestehen müssen.
Richtig ist: Es gibt keinen Automatismus zugunsten
von ÖPP. Richtig ist aber auch: Es darf keinen Automatismus mehr für die Eigenrealisierung durch die öffentliche Hand geben. Beide Beschaffungsvarianten sind zu
hinterfragen; beide haben sich im Wettbewerb zu legitimieren. Ich gehe davon aus, dass in Zukunft jede öffentliche Investition mit einem Volumen von mehr als
5 Millionen Euro darauf überprüft werden wird, ob eine
ÖPP-Variante nicht besser und kostengünstiger wäre.
Allein eine solche Debatte wird zu einem Modernisierungsschub in den Verwaltungen führen, der unserem
Land gut tun wird.
Wir alle wissen, dass bei herkömmlichen Bauvorhaben des Staates Kosten- und Zeitüberschreitungen an der
Tagesordnung sind. Bei öffentlich-privaten Partnerschaften sind Kosten- und Zeitüberschreitungen dagegen die
Ausnahme. Wir wissen aus anderen Ländern, dass mit
ÖPP gegenüber der Eigenrealisierung des Staates eine
durchschnittliche Kostenunterschreitung von bis zu
20 Prozent möglich ist. Auch bei den - wenigen - ÖPP,
die zurzeit in Deutschland verwirklicht werden, verzeichnen wir Kostenvorteile von bis zu 19 Prozent; dies
belegen zum Beispiel die Schulprojekte im Landkreis
Offenbach. Auch in meinem Wahlkreis Gütersloh gibt es
solche Projekte. Insofern gibt es schon diese „Leuchttürme“, für die wir werbend tätig werden sollten und denen wir durch die Verabschiedung des ÖPP-Gesetzes
eine noch schnellere Verwirklichung ermöglichen.
Mithilfe von ÖPP können und sollen sich der Staat
und die öffentliche Hand auf die Vorgaben und die Kontrolle der von den politischen Gremien gewünschten
Projekte zurückziehen. Damit wird der Weg auch für ein
modernes Staatsverständnis geebnet. Der Staat sieht sich
nicht mehr in der Verantwortung, öffentliche Leistungen
selbst zu erstellen; er sieht sich vielmehr in der Verantwortung, öffentliche Leistungen für die Bürgerinnen und
Bürger in ausreichender Qualität und Quantität zu gewährleisten.
Rolf Böhme, der frühere Oberbürgermeister von Freiburg, hat neulich in einem Zeitungsbeitrag dazu geschrieben:
Die Entwicklung zu einer Gewährleistungsgemeinde, die nicht mehr selbst über ihre Ämter plant,
ausführt und bewirtschaftet, sondern nur noch die
Inhalte bestimmt und ihre Gewährleistung gegenüber der Bürgerschaft überwacht, ist vorgezeichnet.
Die ÖPP-Modelle würden daher nicht nur Investitionen
im öffentlichen Bereich, sondern auch Innovationen für
die Struktur der öffentlichen Verwaltung insgesamt auslösen. Dieser Prozess wird sich langsam vollziehen, aber
ÖPP ist ein erster Schritt in die richtige Richtung; damit
wird der richtige Weg eingeschlagen. So weit Rolf
Böhme, der sich sehr engagiert mit diesem Themenkomplex befasst hat.
Wir verabschieden heute das erste ÖPP-Gesetz in
Deutschland. Es wird mit Sicherheit nicht das letzte sein.
Nach wie vor ungelöst ist die Umsatzsteuerdiskriminierung von ÖPP gegenüber der Eigenrealisierung durch
die öffentliche Hand. Schnelle und einfache Lösungen,
wie sie in anderen Ländern mit so genannten Umsatzsteuerrefundsystemen möglich sind, sind in unserem föderalen System nicht realisierbar.
Wir haben mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nur
einen ersten Einstieg in eine ÖPP-freundliche Ausgestaltung des Investmentgesetzes geschafft. Die Frage der
Beimischung von ÖPP-Projektgesellschaften in Portfolios offener Immobilienfonds und die Schaffung von
ÖPP-Infrastrukturfonds müssen wir in Zukunft angehen.
Wir müssen wahrscheinlich auch das Dienstrecht noch
einmal genauer betrachten. Des Weiteren werden wir die
Ausweitung des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes auf Bundesautobahnen zu thematisieren haben.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Mit dem ÖPP-Beschleunigungsgesetz, das wir heute
in diesem Hohen Hause noch verabschieden können,
werden wir einen wichtigen Schritt in die ÖPP-Zukunft
Deutschlands tun. Dafür haben sich die Mühe und die
Anstrengungen der vergangenen Monate gelohnt. Ich
hoffe, dass der Gesetzentwurf in diesem Hohen Hause
breite Zustimmung finden wird.
Danke sehr.
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr. Michael Fuchs von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber
Kollege Brandner, Sie haben das Ganze heute sehr
staatstragend vorgetragen. Allerdings wäre es mir viel
lieber gewesen, wenn Sie dieses staatstragende Verhalten schon eher hinbekommen hätten; dann hätten wir
vielleicht die Punkte, die wir zwar gemeinsam diskutiert
haben, die uns aber trennen, auch noch in diesen Gesetzentwurf aufnehmen können. Genau dies wäre unsere
Aufgabe gewesen. Es tut mir Leid; ich weiß, dass Sie,
Herr Bürsch, viel Herzblut hineingesteckt haben, um
dies hinzubekommen. Aber es ist eben nicht so weit. Ich
werde gleich noch die Punkte aufzählen, warum es nicht
der Fall ist.
Zuerst mache ich deutlich, warum ÖPP für uns so
wichtig ist: Wir haben einen riesigen Investitionsstau in
unserem Land. Dieser Investitionsstau ist Ihr Investitionsstau.
({0})
Er kommt schlicht und ergreifend daher, dass der Bundeshaushalt ein strukturelles Defizit von über 60 Milliarden Euro ausweist. Das ist der Erfolg Ihrer Politik: ein
strukturelles Defizit von über 60 Milliarden Euro. Sie
werden in diesem Jahr die Maastricht-Kriterien zum
vierten Mal verfehlen.
({1})
- Ich weiß, dass Ihnen das weh tut. - Sie haben in den
letzten Jahren eine Strukturpolitik gemacht, die dazu geführt hat, dass die Investitionen in Deutschland ständig
weiter zurückgegangen sind.
({2})
Ein weiterer Indikator für die Schieflage des Bundeshaushalts ist die Tatsache, dass 2005 erstmals die Sozial-,
Versorgungs-, Zins- und Personalausgaben in Höhe von
207 Milliarden Euro die Einnahmen um über 20 Milliarden Euro übersteigen werden. Nach der letzten Korrektur, die Herr Eichel vornehmen musste, werden die
Einnahmen in diesem Jahr nur 187 Milliarden Euro betragen.
Schauen Sie einmal nach, was Sie aus Investitionen
gemacht haben! Sie werden feststellen, dass die Investitionsquote von 12,5 Prozent im Jahre 1998 auf heute
8,3 Prozent abgesackt ist. Alle Ihre Haushalte sind nicht
mehr verfassungsgemäß. Die Investitionen, die letztendlich Arbeitsplätze in Deutschland bedeuten, haben Sie
kaputtgemacht; dies sage ich ganz deutlich.
({3})
Herr Brandner, ich sage Ihnen dies an einem Tag, an
dem Sie alle wirklich mit Asche auf dem Haupt in diesem Haus sitzen müssten: 4,7 Millionen Arbeitslose im
arbeitsstärksten Monat Juni! Diese Zahl wurde heute in
Nürnberg verkündet.
({4})
- 471 000 mehr als im Juni letzten Jahres. Das ist die
Folge Ihrer Politik, die Folge der Tatsache, dass wir in
diesem Land keine Investitionen mehr haben, weil sich
die Unternehmen nicht zu investieren trauen und weil
Sie staatliche Investitionen derart erschwert haben. Genau das ist das Problem und das sollten wir hier ganz
deutlich benennen.
({5})
Deswegen halte ich es für richtig, dass wir heute hier
gemeinsam ÖPP nach vorne bringen wollen. Nun wird
ÖPP nicht das gesamte Problem lösen.
({6})
Wir sollten uns auch davor hüten, zu glauben, dass wir
- für mich ist es eine Second-best-Lösung - mit dieser
Second-best-Lösung Privatisierungen verhindern könnten. Wir brauchen genauso die Privatisierungen. An diesem Thema sollten wir dran bleiben.
({7})
Ich freue mich dennoch, dass wir gemeinsam - vor allen Dingen mit Ihnen, Kollege Bürsch - nach Lösungen
gesucht haben. Allerdings will ich auch die Punkte ansprechen, die wir nicht gemeinsam hinbekommen haben.
Wir werden mit dem ÖPP-Gesetz leben können, aber wir
werden es so schnell wie möglich - das wird nach dem
18. September ziemlich zügig gehen - reformieren müssen, weil es uns zu viele großvolumige Projekte fördert.
Deswegen hatten wir auch eine Revisionsklausel verlangt, um nachprüfen zu können, ob wir nicht unter Umständen mehr Großprojekte fördern und den Mittelstand
außen vor lassen. Unsere Aufgabe muss es sein, in diesem Hause dafür zu sorgen, dass gerade der Mittelstand
gefördert wird, weil dort, wie Sie wissen, die meisten
Arbeitsplätze entstehen.
Zugleich werden wir uns dafür einsetzen, dass die
Potenziale des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes - auch wieder so ein wunderschönes Wort - für ÖPP
besser ausgenutzt werden. Ich weiß, Frau Kollegin
Hajduk, dass dies nicht unbedingt Ihre Vorstellung ist.
Ich weiß auch, dass Sie gerade da blockiert haben und
dass dies wahrscheinlich die Klippe war, weswegen wir
nicht zueinander gefunden haben, Herr Bürsch.
({8})
Dieses Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz
muss besser eingebaut werden. Es kann nicht sein, dass
wir da nur über so genannte Ingenieurbauten sprechen.
Es muss auch für gesamte Autobahnen gelten. Ich denke
hier zum Beispiel an die A 20, die dringend notwendige
Küstenautobahn. Könnten wir sie über ÖPP finanzieren,
dann sollten wir es auch tun.
({9})
Wir lehnen auch ganz massiv die geplante Veräußerung unbeweglichen Vermögens dann ab, wenn das Vermögen immer noch zur Aufgabenerfüllung des Bundes
benötigt wird.
Art. 4 Abs. 2 Ihres Gesetzentwurfs hat aber den
Nachteil, dass kurzfristige Veräußerungserlöse erzielt
und zur Haushaltsfinanzierung verwandt werden können. Wir brauchen aber keine zusätzlichen Schattenhaushalte und auch keine Ausweitung des Kreditrahmens auf
diese Art. Wir haben schon viel zu hohe inakzeptable
verdeckte Kreditaufnahmen. Wenn wir jetzt immobiles
Vermögen des Bundes, der Länder und der Kommunen
verkaufen, das in einem Sale-and-lease-back-Verfahren
anschließend wieder zurückgemietet wird, verschieben
wir wieder einmal die Verantwortung in die Zukunft, gemäß dem Motto „Was kümmern mich meine Schulden
von morgen?“
({10})
Ich will es anders ausdrücken: Sie machen damit Politik
nach dem Motto „Kinder haften für ihre Eltern“. Das
machen wir nicht mehr mit. Auf die Verschiebung von
Aufgaben in die Zukunft zulasten einer anderen Generation sollten wir verzichten. Das haben wir lange genug
gemacht.
({11})
Ich glaube, in diesem Punkt muss das Gesetz geändert
werden. Wir werden das so bald wie möglich tun.
Vielen Dank.
({12})
Ich schließe die Aussprache. Es liegen einige Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung vor, die ich zu
Protokoll nehme.
({0})
- Einige Kollegen aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen haben eine Erklärung abgegeben.1)
({1})
Zusatzpunkt 3 a: Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Beschleunigung der Um-
setzung von öffentlich-privaten Partnerschaften und zur
Verbesserung gesetzlicher Rahmenbedingungen für öf-
fentlich-private Partnerschaften, Drucksache 15/5668.
Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt
unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/5859, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Ent-
haltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthal-
tung von CDU/CSU- und FDP-Fraktion angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Zusatzpunkt 3 b: Unter Buchstabe b seiner Beschluss-
empfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/2601
mit dem Titel „Privatisierung und öffentlich-private
Partnerschaften“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen von FDP- und CDU/
CSU-Fraktion angenommen.
Zusatzpunkt 3 c: Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf
Drucksache 15/5861 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Wachstumsstrategie für
Deutschland: Public Private Partnership weiterentwi-
ckeln und nunmehr realisieren - Infrastruktur optimie-
ren, Investitionsstau auflösen“. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/5676 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegen-
stimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen von CDU/CSU- und FDP-Fraktion angenom-
men.
1) Anlage 3
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 d auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({2})
- zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Zusammenleben auf der Basis gemeinsamer
Grundwerte
- zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Bosbach, Hartmut Koschyk, Kristina Köhler
({3}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Politischen Islamismus bekämpfen - Verfassungstreue Muslime unterstützen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Max
Stadler, Klaus Haupt, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Kulturelle Vielfalt - Universelle Werte Neue Wege zu einer rationalen Integrationspolitik
- Drucksachen 15/4394, 15/4260, 15/4401,
15/5238 Berichterstattung:
Abgeordnete Rüdiger Veit
Kristina Köhler ({4})
Dr. Max Stadler
b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer gemeinsamen Datei der deutschen Sicherheitsbehörden zur Beobachtung
und Bekämpfung des islamistischen Extremismus und Terrorismus ({5})
- Drucksache 15/4413 ({6})
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({7})
- Drucksache 15/5239 Berichterstattung:
Abgeordnete Frank Hofmann ({8})
Dr. Ole Schröder
Dr. Max Stadler
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas
Strobl ({9}), weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Eidesleistung bei
Einbürgerungen
- Drucksache 15/5020 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({10})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes über die Eidesleistung
bei Einbürgerungen
- Drucksache 15/5225 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({11})
Rechtsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Rüdiger Veit von der SPD-Fraktion
das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten
heute unter diesem Tagesordnungspunkt über drei Themen, die inhaltlich nur sehr bedingt etwas miteinander
zu tun haben - so ist es nun einmal -, und wir werden
dazu getrennt Stellung nehmen müssen. Ich beginne mit
dem vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Antiterrordatei, den sich die
CDU/CSU-Fraktion zu Eigen gemacht hat. Wir sind der
Auffassung, dass dieser Gesetzentwurf als unausgegoren
und fachlich unzureichend abzulehnen ist. Er wird ja bezeichnenderweise im Bundesrat noch nicht einmal von
allen unionsgeführten Bundesländern unterstützt.
Wir haben völlige Einigkeit in der Zielsetzung: Wirksame Terrorbekämpfung, und zwar jedweden Terrors,
egal von wem und wo er ausgeübt wird, bedarf einer
möglichst guten Zusammenarbeit aller Sicherheitsbehörden - national und international -, natürlich mithilfe der
elektronischen Datenverarbeitung. Der Parlamentarische
Staatssekretär Fritz Rudolf Körper und mein Kollege
Frank Hofmann haben bereits in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs am 17. Februar dieses Jahres deutlich gemacht, dass er gerade dazu nicht geeignet ist, und
zwar nicht nur, weil er sich unverständlicherweise lediglich auf islamistischen Terrorismus und Extremismus beschränkt, sondern auch, weil er sich um die notwendigen
flankierenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen
nicht kümmert.
Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU,
haben zudem geglaubt, uns von der Koalition und dem
Bundesinnenminister in Fragen der wirksamen Terrorbekämpfung Nachhilfe geben zu müssen. Aber es ist umgekehrt: Seit dem Dezember 2004 arbeiten in BerlinTreptow 37 verschiedene Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder in einem gemeinsamen Zentrum zur
Bekämpfung des Terrors intensiv zusammen. Davon haben wir uns von der SPD-Arbeitsgruppe „Innenpolitik“
einen Eindruck verschafft. Auch Sie von der Union sollen dort gewesen sein und waren wohl einigermaßen angetan.
Gestützt auf diese Erfahrungen hat das BMI nunmehr
einen eigenen Gesetzentwurf vorbereitet. Er dient dem
Erreichen der Ziele einer wirksamen Terrorismusabwehr
und eines verbesserten Austausches der wirklich relevanten Daten. Vom Grundsatz her handelt es sich dabei
um eine so genannte Indexdatei, die nur die Analysen im
Volltext darstellt, um Datenfriedhöfe zu vermeiden. Aufgrund der nunmehr möglicherweise vorzeitig zu Ende
gehenden Legislaturperiode wird es wohl aber nicht
mehr möglich sein, diesen Gesetzentwurf zu verabschieden. Sie sehen aber: Wir waren und wir sind tätig.
Ich komme zum zweiten Thema. Nach den inhaltsgleichen Gesetzentwürfen sowohl des Bundesrates als
auch der CDU/CSU-Fraktion soll eine Verpflichtung zur
Eidesleistung bei Einbürgerungen nach dem Staatsbürgerschaftsrecht gesetzlich neu geregelt werden.
({0})
- Genau. - Schon der Begründung des Gesetzentwurfs
der Union kann man entnehmen, dass es einer zusätzlichen gesetzlichen Regelung nicht bedarf. Einerseits
schwebt Ihnen vor, die Bedeutung der Einbürgerung
durch die Schaffung eines feierlichen Rahmens hervorzuheben. Dagegen ist nichts zu sagen. Einige Einbürgerungsbehörden praktizieren schon die Aushändigung der
entsprechenden Urkunden im Rahmen einer Feierstunde.
Solche löblichen Beispiele könnte man durchaus befördern, wenn man die ohnehin zur Änderung anstehenden
allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Staatsangehörigkeitsrecht entsprechend ergänzte.
({1})
Zum andern versprechen Sie sich von einer Eidesleistung wohl eine bessere Bindung des Einzubürgernden an
die staatliche Gemeinschaft in der Bundesrepublik
Deutschland. Sie verkennen dabei aber völlig, dass
schon die bestehende so genannte Loyalitätserklärung
der Betreffenden gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des
Staatsangehörigkeitsgesetzes als Einbürgerungsvoraussetzung wesentlich weiter geht als die von Ihnen vorgeschlagene Eidesformel.
Gegen Ihren Vorstoß einer - wie gesagt: unnötigen gesetzlichen Regelung muss aber auch eingewandt werden, dass nach deutschem Recht und unserer langjährigen Tradition eine Eidesleistung ausschließlich von
Amtsträgern verlangt wird, während sie uns beim „einfachen“ Staatsbürger völlig fremd ist. Wenn man einmal
daran denkt, dass der Landtag des Freistaates Bayern bekanntlich im Jahr 1949 unser Grundgesetz abgelehnt hat,
müsste man mit der gleichen Logik, wie sie Ihrem Gesetzentwurf zugrunde liegt, alle bayerischen Staatsbürger zur sofortigen Eidesleistung auf unsere bundesdeutsche Verfassung antreten lassen.
({2})
Ich komme zum dritten Thema, das wir unter dem
Oberbegriff „Integration“ hier und in den Ausschüssen
behandelt haben. Der Titel „Politischen Islamismus bekämpfen - Verfassungstreue Muslime unterstützen“ des
CDU/CSU-Antrags zeigt bereits, dass die Union einen
viel zu engen Teilaspekt beleuchtet. Außerdem wandelt
sie - beabsichtigt oder unbeabsichtigt - auf dem sehr
schmalen Grat von durchaus berechtigten Anliegen einerseits und der stets vorhandenen Gefahr andererseits,
gegenüber allen Anhängern des Islams in Deutschland
unterschwellig fremdenfeindliche Gefühle in der Bevölkerung anzusprechen.
Statt der gut sieben Seiten Text hätte Ihrerseits folgende Feststellung ausgereicht: Volksverhetzung, verfassungsfeindlicher Extremismus und Straftaten werden in
Deutschland auch dann nicht toleriert, wenn der Täter
versucht, sie mit religiösen Motiven zu begründen. So
besagt es das Gesetz, so handeln unsere Sicherheitsbehörden und so urteilen unsere Gerichte. Darüber sind wir
uns alle hier eigentlich einig.
({3})
Schließlich waren es, wenn ich daran erinnern darf,
die rot-grüne Bundesregierung und die sie tragende Koalition, die dafür Sorge getragen haben, dass die religiösen Tarnvereine verboten werden können und dass gegen ihre Anhänger konsequent vorgegangen werden
kann.
Der FDP-Antrag „Kulturelle Vielfalt - Universelle
Werte - Neue Wege zu einer rationalen Integrationspolitik“ enthält insbesondere in den Punkten 14 und 15 aus
meiner Sicht nachhaltig zu begrüßende Feststellungen
und Forderungen, auf die ich im Zusammenhang auch
mit Ihren Ausführungen, Herr Kollege Dr. Stadler, in der
ersten Lesung gern zurückkommen werde. Gleichwohl
bitte ich um Verständnis, wenn ich Ihnen hier und heute
den Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „Zusammenleben auf der Basis gemeinsamer
Grundwerte“ zur Verabschiedung empfehle.
Mit dem von uns auf den Weg gebrachten Zuwanderungsgesetz bekennt sich unser Staat nach jahrzehntelangen Versäumnissen zu seiner Mitverantwortung für
die Integration von Zuwanderern. Wir, gerade die Innenpolitiker der Koalition, können auf dieses Gesetz und im
Übrigen auch auf die Staatsbürgerschaftsreform des
Jahres 1999 stolz sein, auch wenn leider viele, zum Teil
sehr schmerzhafte Kompromisse und Abstriche in Bezug
auf unsere Vorstellungen im Gesetzgebungsverfahren
der CDU/CSU und ihrer Mehrheit im Bundesrat geschuldet waren.
Nach unseren Vorstellungen ist Integration ein Prozess, der sowohl von den Zugewanderten oder Zuwandernden als auch von den Menschen der aufnehmenden
Gesellschaft wechselseitig Anerkennung, ein Aufeinanderzugehen und die Übernahme von Verantwortung mit
dem Ziel der Achtung und des im Grundgesetz beschriebenen Wertesystems verlangt.
({4})
Selbstverständlich gehört hierzu auch die Bekämpfung
von Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit. Sie
ist dabei gesellschaftlich und politisch unabdingbar.
({5})
Ziel der Integration ist die gleichberechtigte Teilhabe am ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Leben. Dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe aller staatlichen Ebenen und nicht staatlichen
Organisationen, die gemeinsam mit der Bevölkerung zu
erfüllen ist. Unser Ziel ist die gleichberechtigte Teilhabe
der Migranten und ihrer Familien. Der vielleicht wichtigste Schlüssel hierzu ist die Vermittlung ausreichender
Sprachkenntnisse. Wir haben die Koordinierung dieser
Aufgabe beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
zusammengefasst. Für alle Migrantengruppen stehen
dort Haushaltsmittel in Höhe von 208 Millionen Euro
jährlich zur Verfügung.
Auch wir von Bündnis 90/Die Grünen und SPD hätten gern nicht nur die Ansprüche von Neuzuwanderern
begründet, sondern auch für alle bereits bei uns lebenden
ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger noch mehr
Angebote gemacht. Aber Sie von der anderen Seite des
Hauses haben sich bei der Beratung des Zuwanderungsgesetzes auch mit entsprechenden Forderungen geradezu
überschlagen. Sie wollten dabei vergessen machen, dass
die verstärkten gegenwärtigen Anstrengungen aus den
jahrzehntelangen Versäumnissen Ihrer Regierungszeit
resultieren. Sie müssen sich außerdem mit dem Widerspruch auseinander setzen, dass Sie hier zwar mehr fordern, dass andererseits gerade unionsgeführte Bundesländer ihre Haushaltsmittel - beispielsweise bei der
Ausländersozialberatung - auf null gesetzt haben.
({6})
Unter unserer Verantwortung wird der Bund seiner
Verantwortung jedenfalls mehr als gerecht. Das belegen
übrigens auch die jüngsten Zahlen des Bundesamtes für
Migration und Flüchtlinge. Ich kann hier sagen, dass
sich dies wesentlich besser entwickelt hat, als wir geglaubt haben. Nach heutigem Stand sind 3 842 Integrationskurse für zusammen 117 232 Teilnehmer bewilligt.
Von diesen 117 232 Teilnehmern leben bereits fast
80 000 länger in Deutschland. Wir sind ursprünglich von
50 000 pro Jahr ausgegangen. Diese Zahl ist also bereits
nach einem halben Jahr mehr als deutlich überschritten.
Für uns ist im Übrigen selbstverständlich: Religion ist
Teil der Kultur. Jeder hat in Deutschland das Recht, im
Rahmen unserer Verfassung entsprechend seinem Glauben zu leben und seinen Glauben auszuüben. Aber wir
lehnen es ab - wie Sie es in Ihrem Antrag getan haben -,
die Zahlen und die Ereignisse zu dramatisieren.
Meine Redezeit läuft ab. Wie versprochen, möchte
ich noch auf die Punkte 14 und 15 des FDP-Antrags und
auf Herrn Kollegen Dr. Stadler eingehen. Mindestens
zwei Baustellen werden wohl dann, wenn die Legislaturperiode jetzt vorzeitig zu Ende geht, leider nicht abgeschlossen werden können; auch sie haben mit Integration
zu tun.
Zum einen meine ich unsere gemeinsamen Bestrebungen, alle diejenigen straffrei zu stellen, die aus rein
humanitären Gründen den illegal in Deutschland sich
aufhaltenden Menschen Hilfe leisten, namentlich also
Ärzte, Krankenschwestern, Sozialarbeiter, Kirchenvertreter, Lehrer und Vertreter ähnlicher Berufsgruppen.
({7})
Zum anderen meine ich eine so genannte Altfall- oder
Bleiberechtsregelung, die wir trotz entsprechender Bemühungen im Zuwanderungsgesetz leider nicht verankern konnten.
Herr Kollege Veit, ich bin sehr großzügig, aber auch
das hat seine Grenzen.
Ich bin sofort am Ende. - Ich jedenfalls kann es bis
zum heutigen Tage niemandem erklären, dass wir einerseits die zu niedrige Geburtenrate in Deutschland beklagen und uns um die Integration von Neuzuwanderern
Gedanken machen, dafür Geld ausgeben, andererseits
aber Familien mit in Deutschland geborenen und hier
aufgewachsenen Kindern, die bestens integriert sind, des
Landes verweisen oder verweisen wollen.
In diesem Zusammenhang bin ich froh über den Vorstoß des Innensenators von Berlin auf der letzten Innenministerkonferenz und auch - das will ich hier ausdrücklich
sagen - über die Unterstützung durch Bundesminister
Otto Schily. Ich habe kein Verständnis für die Innenminister der CDU- und CSU-regierten Länder, die ihrer
christlichen Gesinnung nun gar nicht entsprochen haben
und diesen Vorstoß in, wie ich finde, völlig unvernünftiger Weise ausgebremst haben.
({0})
Meine Damen und Herren, wir werden daran in der
nächsten Legislaturperiode - ich hoffe, mit noch breiteren Mehrheiten - weiter arbeiten müssen.
Ich bedanke mich.
({1})
Das Wort hat der Kollege Hartmut Koschyk von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Niemand, Herr Veit, kann doch ernsthaft bestreiten, dass
Fragen der Zuwanderung und Fragen der inneren Sicherheit zu den größten Herausforderungen der deutschen Innenpolitik gehören. Im Gegensatz zu Ihnen, lieber Kollege Veit, legen wir hierbei einen ganzheitlichen Ansatz
zugrunde. Für uns besteht zwischen Zuwanderung nach
Deutschland und innerer Sicherheit ein untrennbarer Zusammenhang.
({0})
Angesichts der aktuellen Herausforderungen durch
den islamistischen Terrorismus, von denen auch Bundesinnenminister Schily zu Recht immer wieder in sehr
drastischen Worten spricht, stellt sich dieser Zusammenhang heute mehr denn je. Wer das leugnet, Herr Veit, der
verweigert den Blick auf die Wirklichkeit.
({1})
Wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, dass
sich aus mangelnder Integration und wachsenden Parallelgesellschaften auch religiöser Fundamentalismus und
islamistischer Extremismus speisen. Hiergegen gilt es
frühzeitig anzugehen. Es hilft nichts, den Blick an den
Fakten vorbei zu lenken.
({2})
Ohne eine Gleichsetzung vorzunehmen, sage ich: Es
ist eine Tatsache, dass der extremistische und politische
Islamismus seine vermeintliche Legitimation letztlich
aus dem Islam herleitet.
({3})
Das mag zu Unrecht geschehen, aber es geschieht. Deshalb müssen wir bei der Bekämpfung von politischem
Islamismus und islamistischem Extremismus auf verfassungstreue Muslime in Deutschland setzen.
Sicherlich müssen wir dort ansetzen, wo die Deutungshoheit bezüglich des Islam liegt. Wir müssen erkennen: Sie liegt nicht bei der Politik. Unsere Aufgabe
als Politik ist es, eindeutig und unmissverständlich klarzustellen, was in unserem freiheitlichen demokratischen
Rechts- und Verfassungsstaat die Anforderungen an diejenigen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Deutschland
sind, die sich zum Islam bekennen. Dabei beziehe ich
ausdrücklich die Grundlagen unserer abendländischen
Wert- und Gesellschaftsordnung sowie unser christlich-jüdisches Menschenbild ein; denn darauf gründet
sich unser Grundgesetz.
({4})
Hierzu zählen die Anerkennung der Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Trennung von Staat und
Kirche, aber auch die Achtung der Religionsfreiheit und
der Würde des anderen. Der notwendige interreligiöse
Dialog muss deshalb auf einer klaren Grundlage geführt
werden. Es kann nicht hingenommen werden, wenn
Menschen anderen Glaubens von Muslimen als Ungläubige diffamiert und damit in ihren religiösen Gefühlen
verletzt werden.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz,
Kardinal Lehmann, hat dies deutlich gemacht, als er
jüngst ausführte, dass im Dialog mit dem Islam die gegenseitige Anerkennung von Grundrechten gewährleistet sein müsse. Zu Recht hat Kardinal Lehmann diesbezüglich auch skeptisch geäußert, dass der Islam sehr
stark kämpferische, sieghafte Elemente fast absolut
setzt. Gerade deshalb darf sich die Politik nicht einen
verklärenden Blick auf die Herausforderungen des Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Religion in Deutschland leisten. Der Vorsitzende des Rates
der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof
Huber, hat es auf den Punkt gebracht, als er kritisierte
- ich darf das zitieren -: Manche hingen
noch einer idealisierenden Multi-Kulti-Stimmung
nach, obwohl offenkundig geworden ist, dass interreligiöse Schummelei nicht mehr funktioniert …
So zu Recht der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof
Huber.
({5})
Genau diese Mahnungen, Herr Kollege Winkler, spiegeln sich in unserem Antrag wider. Ihm liegt eben ein
unvoreingenommener Blick auf die Realität zugrunde,
der weder dramatisiert noch beschönigt. Deshalb sind
die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen sachgemäß
und dienen der effektiven Bekämpfung des politischen
Islamismus, der leider traurige Realität in unserem Land
ist. Auch dürfen wir uns nicht einer falschen Toleranz
hingeben. Hier möchte ich
Toleranz ist deshalb nicht zu verwechseln mit
Gleichgültigkeit, auch nicht mit Ignoranz. Toleranz
fordert meinen Respekt vor dem Anderssein des anderen, aber sie fordert auch den Respekt des anderen vor meiner Haltung und Lebensweise. Nur so
wird sich Toleranz letzten Endes nicht als Schwäche, sondern als zivilisatorische Stärke erweisen.
Darum geht es: Toleranz muss sich als zivilisatorische
Stärke erweisen.
({0})
Deshalb betrachten wir auch die Herausforderungen des
politischen Islamismus nicht eindimensional; vielmehr
müssen wir die Probleme umfassend angehen.
So wie die Bekämpfung des politischen und extremistischen Islamismus in Deutschland eben nicht ohne die
Unterstützung, auch die deutliche Unterstützung, verfassungstreuer Muslime denkbar ist, so gehört für uns zur
Lösung von Integrationsproblemen auch die Unterstützung erfolgreicher Integration. Wir meinen, am Ende erfolgreicher Integration kann die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit an den einbürgerungswilligen
Ausländer stehen. Wir meinen, dass die derzeitige Praxis
der Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit diesem wichtigen Ereignis in keiner Weise gerecht wird.
({1})
Deshalb wollen wir - darum geht es in dem zweiten
Antrag, den wir hier heute zur Abstimmung stellen -,
dass mit einem feierlichen Eid bei der Einbürgerung dem
Einbürgerungsereignis ein würdevoller Rahmen verliehen wird und der zukünftige Staatsbürger auch die Gelegenheit hat, sich eindeutig zu unserer Wert- und Verfassungsordnung zu bekennen.
Mit der Eidesleistung wird nämlich die dauerhafte
Bindung an unser Land, seine Verfassungs- und Werteordnung unterstrichen. Deshalb ist es unzweifelhaft, dass
derjenige, der deutscher Staatsbürger werden will, auch
durch eine solche Eidesleistung die verfassungsmäßige
Ordnung unseres Grundgesetzes in ihrer umfassenden
Bedeutung klar anerkennt. Ich verstehe gar nicht, warum
Sie sich gegen einen solchen förmlichen Akt einer Eidesleistung bei der Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit wehren.
({2})
- Das hat er nicht sehr überzeugend darlegen können.
({3})
- Ach, Sie sehen Eidesleistung als Formalismus?
({4})
Lieber Herr Kollege Hacker, ich finde, die Verleihung
der deutschen Staatsangehörigkeit an jemanden, der als
Ausländer diese erwerben will, mit einer Eidesleistung
zu verbinden, ist alles andere als bloßer Formalismus.
({5})
Zu unserem ganzheitlichen Ansatz in diesem Zusammenhang zählt neben der Bekämpfung der Ursachen von
Fundamentalismus, Extremismus und Terrorismus auch,
dass der Staat über die notwendigen Instrumente verfügen muss, um seine Bürger effektiv zu schützen. Eines
dieser Instrumente ist die vom Land Niedersachsen und
anderen Bundesländern über den Bundesrat, aber auch
von uns im Bundestag vorgeschlagene Antiterrordatei.
Sie haben die Einrichtung einer solchen Datei bislang
abgelehnt. Bundesinnenminister Schily hat zwar immer
wieder Unzulänglichkeiten des niedersächsischen Unionsentwurfes kritisiert; aber jetzt hat er nach langen Mühen endlich einen eigenen Gesetzentwurf zu dieser Problematik vorgelegt. Das ist zwar ein Schritt in die
richtige Richtung; aber wie so oft genügen die Anforderungen des Bundesinnenministers nicht der Praxis. So
beinhaltet der Vorschlag, dass es sich um eine geschlossene Datei handelt. In Wirklichkeit handelt es sich aber
nur um eine Reihe von zeitlich befristeten Projektdateien. Diese Zersplitterung wichtiger Informationen, auf
die unsere Sicherheitsbehörden angewiesen sind, in
mehrere Dateien ist völlig unsachgemäß und wird auch
durch die Errichtung einer Indexdatei nicht aufgefangen.
Wir meinen, es bedarf hier einer umfassenden
Volltextdatei, um den raschen Informationsfluss von den
Sicherheitsbehörden an wichtige politische Entscheidungsstellen zu gewährleisten.
Der Bundesinnenminister hat auch bei der Innenministerkonferenz deutlich gemacht, dass der Entwurf, den
er vorgelegt hat, zwischen den Ressorts abgestimmt ist.
Das ist bei dieser Bundesregierung schon ein großer
Fortschritt. Aber wir haben den Eindruck, dass er möglicherweise noch nicht mit dem grünen Koalitionspartner
abgestimmt ist. Wir sind gerne bereit - es ist gut, dass
die Innenministerkonferenz das beschlossen hat -, eine
Arbeitsgruppe einzusetzen, damit an diesem Thema weitergearbeitet wird, auch wenn es zu einer vorzeitigen
Auflösung des Bundestages kommt. Wir halten eine solche Datei für wichtig und unverzichtbar und wir sind
gerne bereit, mit Ihnen gemeinsam nach Lösungen für
bessere Informationsmöglichkeiten der Sicherheitsbehörden in unserem Land zu suchen.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Josef Winkler, Bündnis 90/
Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich gehe ganz kurz auf die Frage der Eidesleistung bei der Einbürgerung ein. Herr Kollege Koschyk,
Sie waren es doch, der im Vermittlungsverfahren zum
Zuwanderungsgesetz dafür gesorgt hat, dass ein Antrag
von der Union eingebracht wurde, mit dem die Reform
des Staatsbürgerschaftsrechtes, die wir 1999 vorgenommen haben, in einem wesentlichen Punkt zurückgedreht
werden sollte, indem nicht mehr die Kinder, sondern erst
die Enkelkinder von Migranten sich einbürgern lassen
können.
({0})
Sie bauen hier einen gewissen Popanz auf: Erst wollen
Sie die Einbürgerung so schwer wie möglich machen;
wenn aber Einbürgerung verlangt wird, dann wollen Sie
auch noch den Eid einführen, weil sich der Eingebürgerte sonst nicht an unsere Grundwerte und unsere Verfassung halte.
Das sehen wir anders. Wir haben da mehr Zutrauen zu
unseren Migrantinnen und Migranten, vor allem zu denen, die unsere deutsche Staatsbürgerschaft annehmen
und sich dazu bekennen wollen. Wir wollen, dass diese
Urkunde nicht mehr in den Hinterzimmern der Rathäuser ausgehändigt wird, sondern feierlich. Da sind wir dabei. Aber die Eidesleistung ist überflüssig.
({1})
Zum Thema Integration. Bei diesem Thema werden
heute mehrere Punkte zusammengefasst debattiert. Meiner Meinung nach reduzieren Sie in Ihrem Antrag zum
Thema Integration die Debatte einseitig auf die Bekämpfung des Islamismus. Das ist auch in Ihrem Redebeitrag
deutlich geworden.
Wir haben da einen etwas anderen Blickwinkel. Wir
bekennen uns zu einer Kultur der gegenseitigen Respektierung. Man sollte auch von diesem Pult aus noch
einmal sagen: Zuwanderer und Flüchtlinge haben in der
Vergangenheit viel Positives zur Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland beigetragen. Wir erkennen dies
an und wollen es weiter fördern.
({2})
- Sie bestreiten das heute nicht. Aber gestern im Innenausschuss hat der Kollege Grindel eindeutig gesagt, dass
Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland sich
dadurch auszeichne, dass - das hat er ohne irgendwelche
Einschränkungen gesagt - eine Zuwanderung in die Sozialsysteme stattgefunden habe.
({3})
So reden Sie im Ausschuss. Im Plenum sind Sie dann
vielleicht etwas konzilianter; das will ich noch zugestehen.
({4})
- Das ist seine Sache, wenn er anderes zu tun hat und
sich dieser Debatte im Plenum nicht stellt.
Die Bekenntnisse der Union, wie wichtig ihr das
Thema Integration ist, erweisen sich als leere Worthülsen, und das in schöner Regelmäßigkeit. Der Kollege
Veit hat das eben angesprochen. Die Vorkommnisse auf
der Innenministerkonferenz in der letzten Woche haben noch einmal deutlich gezeigt, dass Sie, wenn es
wirklich einmal hart auf hart kommt und eine Bevölkerungsgruppe hier integriert werden soll, indem ihr ein
dauerhaftes Bleiberecht gewährt wird, das ablehnen und
es bei der Kettenduldung belassen wollen, dass Sie kein
Bleiberecht für Kinder und Jugendliche, die hier integriert sind, wollen. Der Bundesinnenminister hat einen
sehr guten Vorschlag unterbreitet, der sich an der humanitären und an der christlichen Ausrichtung unseres
Grundgesetzes orientiert und besagt: Wir wollen integrieren. Aber die Innenminister aller unionsregierten
Bundesländer haben diesen Vorschlag abgelehnt. Ich
halte dies für einen Skandal.
({5})
Weil Sie vorhin Kardinal Lehmann und Bischof
Huber zitiert haben, möchte ich sagen: Ihre Haltung
widerspricht genau dem, was die evangelische Kirche
beschlossen hat und was die Deutsche Bischofskonferenz in verschiedenen Stellungnahmen schon gefordert
hat. Wenn Sie hier einzelne Äußerungen der Eminenzen
aus dem Zusammenhang reißen und sich auf die Fahne
schreiben wollen, dann sollten Sie auch einmal die Kritik der katholischen und der evangelischen Kirche an
Ihrer Integrations- und Ausländerpolitik zur Kenntnis
nehmen und in praktisches Handeln umsetzen.
({6})
Nun zum Thema Zwangsheirat. Ich will gleich Ihrem Vorwurf entgegentreten, wir würden dieses Thema
unter dem Deckmantel der multikulturellen Identität
nicht offensiv angehen. Dem ist nicht so. Die Innenministerkonferenz hat vorgeschlagen, dass man Zwangsehen dadurch verhindern solle, dass man die Altersgrenze für den Ehegattennachzug auf 21 Jahre
heraufsetzt. Die Intention ist natürlich lobenswert. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht in einem gleich
gelagerten Fall vor einigen Jahren eindeutig entschieden,
dass Wartezeiten beim Ehegattennachzug verfassungswidrig sind. Insofern kann meine Fraktion diesen Vorschlag nicht unterstützen.
({7})
Dieser Vorschlag hätte auch gar nicht den Erfolg, den
man sich davon verspricht. Denn die Frauen würden in
ihrem Heimatland warten und dann eben mit 21 Jahren
nachziehen. Mir erschließt sich nicht, worin da der integrationspolitische Fortschritt sein soll. Keine einzige
Zwangsheirat wird dadurch verhindert werden können.
({8})
Wir brauchen andere Maßnahmen, nämlich niedrigschwellige Integrationsangebote und einen Opferschutz,
der mit Nachdruck ausgebaut werden muss und nicht,
wie es in vielen unionsregierten Bundesländern der Fall
ist, abgebaut wird. Wir brauchen außerdem eine Stärkung der Rechte der Opfer und eine langfristig angelegte
Präventionsarbeit, und zwar innerhalb und außerhalb der
Migranten-Communities.
Schließlich benötigen Zwangsverheiratete ein eigenständiges Aufenthaltsrecht, um ihrer Situation entfliehen
zu können. Frauen mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus müssen sich ohne Furcht vor Abschiebung aus einer
Zwangsehe befreien können. Wurden Frauen ins Ausland zwangsverheiratet, dann - so ist die bisherige Regelung - konnten sie, wenn sie länger als sechs Monate im
Ausland waren, nicht mehr zurückkehren. Unser konkreter Vorschlag ist, diese Regelung zu ändern. Auch wenn
die Frauen sich länger im Ausland aufgehalten haben,
sollten sie ein eigenständiges Recht auf Rückkehr nach
Deutschland haben. Diese Frist muss weg. Das wäre eine
sinnvolle Regelung gegen die Zwangsheirat. Aber wo ist
da die Union?
({9})
Ich will zum Schluss betonen: Integration erfordert
von allen Seiten kontinuierliches Engagement, Kompromissbereitschaft und Geduld. Natürlich gibt es keine Toleranz gegenüber Menschen, die Verbrechen unter dem
Deckmantel irgendwelcher Ehrgefühle begehen. Es ist
aber falsch, Menschen den Willen zur Integration generell abzusprechen. Wer dies tut, bewirkt das Gegenteil
dessen, was er zu erreichen vorgibt.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fast auf den Tag genau vor einem Jahr, nämlich am
1. Juli 2004, fand in diesem Hohen Haus die große abschließende Debatte über das neue Zuwanderungsgesetz statt. Ich erwähne dies, weil man daran sieht, wie
schnelllebig unsere Zeit ist. Mittlerweile stehen längst
andere Themen im Vordergrund der politischen Auseinandersetzung. Es wird im bevorstehenden Wahlkampf
entscheidend darum gehen, wer die besseren Konzepte
hat, mit denen der Abbau von Arbeitsplätzen in Deutschland verhindert werden kann und mit denen neue Arbeitsplätze in Deutschland entstehen können.
Anscheinend ist bei manchen im letzten Jahr der genaue Inhalt des gemeinsam beschlossenen Zuwanderungsgesetzes in Vergessenheit geraten. Ich darf daran
erinnern, dass gerade wegen der hohen Arbeitslosigkeit
in Deutschland die Regelungen zur Zuwanderung sehr
eng gefasst worden sind. Es gilt beispielsweise der Vorrang für Inländer bei der Bewerbung auf freie Arbeitsplätze und es gilt im Zuwanderungsgesetz das Verbot
von Dumpinglöhnen. Dennoch hat Bayerns Innenminister Günther Beckstein in der letzten Woche vor massenhafter Zuwanderung, wie er sich ausgedrückt hat, gewarnt. Er kann damit jedenfalls nicht das von der FDP
mitgetragene Zuwanderungsgesetz gemeint haben; denn
dieses Gesetz verhindert ja gerade eine umfängliche Zuwanderung in unser Land.
({0})
Ich meine, wir sollten trotz des Wahlkampfes um eine
sorgfältige Wortwahl bemüht sein.
({1})
Diese Debatte gibt aber auch Anlass, auf Folgendes
hinzuweisen - es wäre eigentlich besser, sich mit diesem
Herrn ansonsten nicht zu befassen -: Völlig unerträglich
ist die Art und Weise, wie Oskar Lafontaine bei diesen
Themen im Trüben zu fischen versucht.
({2})
Anstatt Ängste in der Bevölkerung zu instrumentalisieren, sollten wir uns gemeinsam darauf konzentrieren,
endlich die ungelösten Probleme der Integration von Zuwanderern zu lösen. Aus Zeitgründen kann ich aus dem
Bündel von Anträgen nur zu diesem Thema noch sprechen.
Die FDP hat auf Initiative unseres Kollegen Klaus
Haupt im November 2004 ein umfangreiches Gesamtkonzept zur Integration vorgelegt. Ich fand es sehr fair,
dass uns die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung,
Marieluise Beck, in ihrem Jahresbericht 2005 ausdrücklich differenzierte Lösungsvorschläge attestiert hat.
({3})
Wir haben unser Konzept immer als einen Beitrag zur
Versachlichung der Debatte empfunden, legen aber auch
Wert darauf, dass es jetzt Schritt für Schritt umgesetzt
wird.
Unser Integrationskonzept enthält drei zentrale Aussagen, die wir aus der Verfassung ableiten:
Erstens. Das Grundgesetz sichert jedem Einzelnen die
persönliche Freiheit zu, gemäß den eigenen kulturellen
Wurzeln sein Leben zu gestalten.
Zweitens. Das Grundgesetz kennt aber auch Pflichten. Kulturelle Eigenheiten finden ihre Grenze in der
Wahrung der Rechte anderer. Deswegen finde ich zum
Beispiel die Initiative von Justizminister Ulrich Goll von
der FDP in Baden-Württemberg, Zwangsverheiratungen
als eigenen Tatbestand in das Strafgesetzbuch aufzunehmen und unter Strafe zu stellen, sehr richtig.
({4})
Wir halten es auch für richtig, wenn die Rechtsprechung
ein klares Signal gegen so genannte Ehrenmorde setzt,
die in Wahrheit natürlich unehrenhafte Morde sind.
({5})
Drittens. Ein weiteres Anliegen des Grundgesetzes ist
das Recht auf aktive Teilhabe an politischen Entscheidungen. Als Liberale verstehen wir daher nicht, warum
Menschen, die schon länger als fünf Jahre rechtmäßig in
Deutschland leben, in kommunalen Angelegenheiten,
also im eigenen unmittelbaren Lebensbereich, nicht mitbestimmen dürfen. Das muss dringend geändert werden.
({6})
Auch wir halten übrigens die Argumente der Innenministerkonferenz gegen ein Bleiberecht für Kinder und
Jugendliche, die schon lange in Deutschland leben, für
nicht stichhaltig. Wir meinen, die Innenministerkonferenz hat den alten Fehler gemacht, gerade denjenigen,
die schon integriert sind, eine Zukunftsperspektive zu
verweigern.
({7})
Dabei hätten wir ohnehin noch viel zu tun bei der Integration vieler anderer Ausländer.
In diesem Zusammenhang begrüße ich ausdrücklich
den Vorstoß der CDU/FDP-Landesregierung Niedersachsens, Sprachkurse verpflichtend auch für solche
Ausländer anzubieten, die schon längere Zeit in
Deutschland leben. Früher nannte man das etwas hochgestochen „nachholende Integration“. Dabei gilt das
Prinzip des Forderns und Förderns. Integration setzt Angebote durch unsere Gesellschaft voraus, verlangt aber
auch Anstrengungen von denjenigen, die in Deutschland
leben und hier bleiben wollen. Ich glaube, das ist selbstverständlich.
({8})
Die parlamentarische Arbeit bringt es mit sich, dass
über bestimmte Themen einmal im Jahr diskutiert wird
und dann wieder der Alltag einzieht. Ich glaube, bei der
zentral wichtigen Aufgabe der Integration können wir so
nicht verfahren. Deswegen schlägt die FDP die Einrichtung einer ständigen Berichterstattergruppe des Innenausschusses vor, um die Migrationsbeauftragte und alle,
die sich um dieses Thema bemühen, bei der Umsetzung
der Integrationskonzepte zu unterstützen.
Wir bitten Sie, dem realistischen und konkreten
15-Punkte-Programm der FDP „Kulturelle Vielfalt Universelle Werte - Neue Wege zu einer rationalen Integrationspolitik“ zuzustimmen und bei der Umsetzung
tatkräftig mitzuwirken.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin Ute Vogt.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich bin dem Kollegen Stadler außerordentlich dankbar, dass er gleich zu Beginn seiner Rede
daran erinnert hat, dass wir in der Tat hier im Haus bezüglich des Themas Integration schon ein bisschen weiter waren und mehr an Übereinstimmung gefunden hatten, als bei manchem Antrag, insbesondere aus der
Union, heute deutlich wird.
Ich gebe Ihnen Recht, Herr Kollege Koschyk, wenn
Sie darauf hinweisen, dass mangelnde Integration tatsächlich eine der Quellen ist, aus denen sich Fundamentalismus und Extremismus speisen können. Es ist auch
richtig, dass wir uns in unserem Land stärker als in früheren Jahrzehnten dazu bekennen müssen, Anforderungen an Integration zu stellen. Wir haben die Verpflichtung zur Integration gesetzlich verankert. Diese
Verpflichtung besteht sowohl für uns, die wir Integrationskurse anbieten, als auch für diejenigen, die in unser
Land kommen. Ich halte das für einen großen Fortschritt,
auf den wir stolz sein sollten, den wir aber auch offensiv
nach außen vermitteln müssen.
Wir müssen deutlich machen, dass bestimmte Dinge
wie beispielsweise die Zwangsheirat nicht geduldet werden. Wir müssen klar machen, dass wir dafür eintreten,
dass Mädchen an der Gesellschaft teilhaben können,
dass sie beim Sportunterricht und bei gesellschaftlichen
Veranstaltungen dabei sein können und dass wir Machogehabe in der Erziehung nicht gutheißen. Dass wir ihm
im Bildungswesen und in öffentlichen Äußerungen entgegentreten, halte ich für einen wichtigen Bestandteil
unserer Politik.
Die Zwangsheirat ist nach dem deutschen Gesetz
strafbar. Nach meiner persönlichen Auffassung können
wir durchaus darüber reden, ob wir nicht einen eigenen
Paragraphen ins Gesetz aufnehmen sollten, um unsere
Ablehnung der Zwangsheirat - gleichsam als ein
Signal - noch einmal zu verdeutlichen. Ich bin in dieser
Hinsicht diskussionsbereit.
({0})
Wir müssen uns bewusst machen, dass es beim
Thema Integration nicht nur darum geht, was wir an Gesetzen haben, sondern dass es jetzt vor allem darauf ankommt, die gemeinsam beschlossenen Gesetze auch tatsächlich anzuwenden. Ich sehe schon einen Unterschied
zwischen der Innenpolitik von Herrn Kanther und dem,
was wir in unserer Regierungszeit machen konnten und
machen können.
({1})
- Nein, können. Ich meine das, was wir bisher konnten
und weiterhin können werden. - Der Hauptunterschied
besteht darin, dass Sie immer versucht haben, mit
Bedrohungsszenarien zu arbeiten. Sie haben immer
wilde Geschichten hochgezogen und Anlässe gesucht,
um darauf hinzuweisen, welch schlimme Bedrohungen
und schwierige Situationen auf uns zukommen können.
Sie müssen nun aber zur Kenntnis nehmen, dass das, was
Sie zu Recht fordern, nämlich das Zurückdrängen der interreligiösen Tarnerei über Vereine, von unserer Bundesregierung vorangebracht worden ist. Sie war nämlich im
Gegensatz zu Ihnen in der Lage, das Vereinsverbot
durchzusetzen und damit die notwendigen Grundlagen
zu schaffen.
({2})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Abgeordneten Koschyk?
Ja.
Frau Staatssekretärin, stimmen Sie mir erstens zu,
dass der Bundesinnenminister zu Recht von der Bedrohung durch islamistisch gespeisten Terrorismus als von
der größten Bedrohung für die innere Sicherheit unseres
Landes spricht? Stimmen Sie mir zweitens zu, dass CDU
und CSU alle Maßnahmen im Zusammenhang mit den
Antiterrorpaketen I und II im Bundestag und im Bundesrat unterstützt haben und dass das, was der Bundesinnenminister jetzt noch an notwendigen Gesetzeserfordernissen unter dem Stichwort Antiterrorpaket III beschrieben
hat, auch inhaltlich von der Union unterstützt wird?
Sehr geehrter Herr Kollege Koschyk, selbstverständlich stimme ich Ihnen zu, dass der Herr Innenminister
mit seiner Beschreibung der Bedrohungslage vollkommen Recht hat.
({0})
Auch stimmt es, dass Sie die Gesetzentwürfe, die er vorgelegt hat, mitgetragen haben. Der entscheidende Unterschied ist aber, dass unser Innenminister nicht nur die
Bedrohungen benennt, sondern auch Lösungswege aufzeigt.
Bereits in Ihrer Regierungszeit war eine Vielzahl von
Themen in der Diskussion. Das Vereinsverbot, das Herr
Veit schon angeführt hat, ist ein Beispiel dafür; darüber
wurde auch in Ihrer Regierungszeit immer wieder diskutiert. Der Unterschied zum Kollegen Kanther ist allerdings, dass Otto Schily gehandelt und das, was notwendig war, auch durchgesetzt hat.
({1})
Das ist ein entscheidender Punkt, der unsere Regierung
so glaubwürdig macht und Ihnen so große Schwierigkeiten bereitet, beim Thema innere Sicherheit überhaupt
noch ein eigenes Profil zu entfalten.
An dieser Stelle möchte ich Ihnen den Erfolg des von
uns gemeinsam verabschiedeten Zuwanderungsgesetzes
vorhalten; denn ich glaube, dass es wirklich notwendig
ist, sich seiner Umsetzung zu widmen. Als wir das
Zuwanderungsgesetz beschlossen haben, hatten wir die
Erwartung, dass mehr neue Zuwanderer zu uns kommen
werden, die Integrationskurse benötigen, und dass die
Zahl der Bestandsausländer, die an ihnen teilnehmen
können, geringer sein wird.
Bis heute verlief die Entwicklung allerdings anders:
Etwa 20 000 neu Zugewanderte nehmen die Sprachund Integrationskurse in Anspruch. Dadurch, dass wir
die Entwicklung mit diesem Gesetz steuern, sind weniger Zuwanderer zu uns gekommen. Aber 72 000 Ausländer, die heute in Deutschland leben und schon vorher
hier gelebt haben, haben jetzt die Chance, an einem Integrationskurs teilzunehmen.
Was ich besonders wichtig finde, ist: Zwei Drittel davon sind Frauen. 64 Prozent der Teilnehmer sind Teilnehmerinnen. Das ist der Baustein dafür, dass die Kinder
auch zu Hause Unterstützung finden, dass die deutsche
Sprache daheim gelernt werden kann und dass man die
Integration so gestaltet, dass die Kleinen schon früh lernen können. Ich glaube, das ist ein wichtiger Schlüssel.
Das ist uns gelungen. Wir sollten nicht durch immer
mehr Aktionismus verdecken, was wir an diesem Punkt
tatsächlich schon erreicht haben, sondern uns darauf
konzentrieren, dafür zu werben, dass diese Angebote
auch weiterhin angenommen werden.
({2})
Im Rahmen der Sozialberatung werden inzwischen
530 hauptamtliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von
Beratungsstellen mit Bundesmitteln finanziert. Das sage
ich vor dem Hintergrund, dass wir hier eine Aufgabe
übernommen haben, aus der sich Länder wie BadenWürttemberg und Hessen völlig zurückgezogen haben.
({3})
Diese Länder haben ihre eigentlich originäre Pflicht und
Aufgabe, für Integration zu sorgen, nicht wahrgenommen. Jetzt entsteht an 660 Standorten ein bundesweites
Netz von Erstberatungsstellen. Statt sich immer nur zu
überlegen, welche Forderung Sie als Nächstes aufstellen
können, bitte ich Sie: Arbeiten Sie in den Ländern, in denen Sie die Regierung stellen, daran, dass dort die Aufgabe, die Integration zu verbessern, gelöst wird.
Ich wünsche mir, dass wir im Deutschen Bundestag
erkennen, dass es nicht immer darum geht, eine Entschließung nach der anderen, einen Gesetzentwurf nach
dem anderen und einen Antrag nach dem anderen zu verabschieden, sondern dass es unsere ureigene Aufgabe ist,
auch dafür zu sorgen, dass diese Gesetze ins Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger gelangen; denn nur
dann können sie tatsächlich ihre Wirkung entfalten.
({4})
Ich möchte noch ein Zweites ansprechen: ihren
Wunsch in Bezug auf die Antiterrordatei. Wir brauchen
gemeinsame Dateien von Polizei und Nachrichtendiensten; hier sind wir uns einig. Aber die Vorschläge, die Sie
in Ihrem Bundesratsentwurf machen, beschränken sich
auf den islamistischen Extremismus. Diese Perspektive
ist aus unserer Sicht viel zu eng. In unserem Entwurf, in
dem wir eine Indexdatei vorschlagen, nehmen wir den
gesamten internationalen Terrorismus in den Blick, und
zwar überall, wo er Bezüge zu Deutschland aufweist.
In dieser Indexdatei werden sämtliche Erkenntnisse
zu Personen aus diesem Bereich zusammengefasst. Vor
allem werden sie rasch auffindbar sein, weil nicht permanent der Volltext Arbeitsgrundlage ist, wobei ein Datenfriedhof erstellt würde; denn je mehr Text man sammelt, desto schwieriger werden die Zuordnungen. Mit
der Indexdatei wird das Ziel verfolgt, rasch zugreifen zu
können und den Zugriff dann, wenn es notwendig ist, zu
vertiefen. Also nicht blinde Vernetzung aller Daten, derer man überhaupt habhaft werden kann, sondern tatsächlich die Chance nutzen, vor allem schnell zu Informationen zu kommen!
Sie übersehen bei Ihrem Antrag auch, dass bei einer
Volltextdatei das Risiko besteht, dass wir bestimmte
Texte und Zuarbeit nicht mehr bekommen: Material, das
uns zum Beispiel von ausländischen Geheimdiensten an
Informationen und Nachrichten zugeliefert wird. Deshalb sollten wir gut bedenken, ob wir diesen Weg wirklich gehen - auf die Gefahr hin, dass Partnerdienste bestimmte Informationen nicht mehr an uns weitergeben,
weil sie aus Quellen- und Geheimhaltungsschutzgründen
nicht damit einverstanden sind, in diesem Bereich Volltexte zu liefern.
Ich denke, dass wir versuchen sollten, an dieser Stelle
zur Gemeinsamkeit, die in der Innenpolitik ja zuweilen
notwendig ist, zurückzufinden. Lassen Sie uns in der Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz die Chance nutzen, nicht nur überschwängliche Zusatzanträge zu produzieren, um so zu tun, als würde man immer noch ein
bisschen mehr an Sicherheit schaffen, indem man mehr
in eine Datei packt! Es ist viel effizienter, eine Indexdatei für raschen Zugriff zu organisieren als eine Superdatei, in der überhaupt nicht mehr zu übersehen ist, wo
sich alles sammelt.
Insofern hoffe ich, dass wir bei diesem Thema jenseits aller Wahlkampfauseinandersetzungen zusammenfinden. Ich glaube, dass die Themen innere Sicherheit
und Zuwanderung - Herr Stadler hat es erwähnt - von
manchen missbraucht und gerade im Wahlkampf
schlimm genutzt werden, um billigen Populismus zu
schüren. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir, die wir
in der Innenpolitik Verantwortung haben, wissen, was
wir für den Frieden im Land anrichten, wenn wir dieses
Thema missbrauchen, und welche Verantwortung wir
haben, bei diesem Thema in der gebotenen Sachlichkeit
und interessiert an praktischen Lösungen zusammenzuarbeiten. In diesem Sinne, so kann ich sagen, bin ich
dankbar, dass diese Debatte im Großen und Ganzen in
einer Sachlichkeit laufen konnte, wie ich sie mir manchmal auch in den Beratungen im Innenausschuss gewünscht hätte.
({5})
Danke schön. - Das Wort hat jetzt die Abgeordnete
Petra Pau.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Thema dieser Diskussion heißt „Integration“. Das
ist ein wichtiges Thema, ein überfälliges und auch ein
sehr komplexes Thema; jedenfalls ist das die Auffassung
der PDS im Bundestag. Laut Tagesordnung sind dafür
geschlagene 45 Minuten vorgesehen. Allein das spricht
Bände, wie ernst wir uns hier mit diesem Thema auseinander setzen.
({0})
Anders gesagt: Wir führen hier am voraussichtlichen
Ende dieser Legislaturperiode eine Kehrausdebatte.
Noch toller wird es, wenn man sich die einzelnen Anträge zu diesem Thema ansieht, insbesondere die der
CDU/CSU. Noch einmal: Die Überschrift heißt „Integration ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger“.
Was fällt der CDU/CSU dazu ein? Eine Warndatei, in
der die Daten verdächtiger Ausländer zentral erfasst
werden sollen; ein Eid, den Migrantinnen und Migranten
aufs deutsche Grundgesetz schwören sollen; eine Islamistendatei, mit der Extremisten und Terroristen enttarnt
werden sollen, kurzum: Der CDU/CSU fällt zum Thema
Integration offenbar nichts anderes ein als erfassen, verfolgen und kriminalisieren. An einer solchen Debatte
wird sich die PDS im Bundestag nicht beteiligen. Wir
wollen Integration. Ich denke, wir brauchen dazu kluge
Analysen, und wir wollen dafür gute Konzepte. Für giftige Wahlkampfschlachten, noch dazu auf dem Rücken
Betroffener, sind wir nicht zu haben.
({1})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Friedbert Pflüger.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Kollege Veit hat eben eine Unterstellung gemacht, die ich doch zurückweisen möchte: wir würden
bewusst oder unbewusst am Islam nur den engen Teilaspekt Islamismus betrachten und in Kauf nehmen, dass
mit unserer Kritik am Islamismus eine ganze Glaubensgemeinschaft diskreditiert wird.
Ich möchte für meine Fraktion ganz klar sagen - das
gilt auch für den Antrag über den Islamismus, den wir
eingebracht haben -: Wir unterscheiden sehr wohl und
ganz genau zwischen dem Islam als einer der großen Religionen der Welt und dem Islamismus als einer totalitären Religionsideologie, die Teile dieses Islam instrumentalisiert und gewalttätig wird.
({0})
Der Islam ist eine große Religion. Ich bin beim Wali
in Fes gewesen; das ist eine Art Gouverneur in Fes. Er
hat in seinem Wohnzimmer die Koransure 2/256 aufgehängt: Es soll kein Zwang herrschen in Glaubensdingen.
Er hat mir von der großen Zeit des Islam vor etwa
1 000 Jahren im Kalifat von Córdoba in Andalusien berichtet, wo es ein im Großen und Ganzen sehr fruchtbares Zusammenleben von Muslimen, Christen und Juden gab. Die Juden sprechen heute noch von der
Goldenen Diaspora dieser Zeit.
Wir wissen, dass es damals, als es in Mitteleuropa
etwa 95 Prozent Analphabeten gab, in den Ländern, in
denen der Islam herrschte, eine Schulpflicht gab und
dass man dort Krankenhäuser hatte. Die Mathematik,
vor allem die Algebra, kommt ganz wesentlich aus der
arabischen Welt. Man hat damals die großen Philosophen der Antike übersetzt und las sie. Privatmänner hatten große Bibliotheken. Ich glaube, niemand will dem Islam seine große Geschichte und zivilisatorische
Leistung, ja, auch einen Einfluss auf unsere europäische
abendländische Kultur absprechen.
Ist es aber nicht so, dass der Islam damals eher aufgeklärter erschien, als er sich heute vielfach gibt?
({1})
Ein führender islamischer Wissenschaftler, Mohammed
Arkoun, der Ideengeschichte des Islam in Paris lehrt,
sagt: Wenn die heutigen Muslime an die philosophische
Dimension des aufgeklärten arabischen Denkens, wie
sie im Mittelalter vorherrschend war, anknüpfen würden,
dann würden sie in die Kultur des Westens eintreten.
({2})
Es ist doch nicht irgendein Unionspolitiker, der jetzt
den Islamismus dämonisiert und sagt, das sei eine große
Gefahr, sondern es ist Annemarie Schimmel, der man
nun wirklich viel vorwerfen kann, aber bestimmt nicht,
dass sie den Islam per se in eine Ecke stellen will, die
sagt:
In einer Kultur, deren traditioneller Gruß salam
„Frieden“ heißt …, findet zurzeit eine erschreckende Verengung und Verhärtung dogmatischer
und legalistischer Positionen statt. … Wir stehen
weithin einem Ausdruck reiner Machtpolitik gegenüber, Ideologien, die sich des Islam als eines
Schlagwortes bedienen und mit seinen religiösen
Grundlagen kaum noch etwas gemein haben.
({3})
Das müssen wir doch zur Kenntnis nehmen. Natürlich
versteht die überwältigende Mehrheit der Muslime unter
dem Islam auch heute und auch in Deutschland eine Religion der Barmherzigkeit und sie sympathisiert nicht
mit dem Terror. Dass es weltweit das Phänomen des Islamismus und der Dschihadisten gibt, die den „heiligen
Krieg“ in die Städte der Ungläubigen tragen wollen, die
die Scharia, das islamische Recht, weltweit etablieren
wollen und ein weltweites Kalifat errichten wollen, kann
man aber doch nicht übersehen.
({4})
Ich glaube, das wird bei uns zu sehr übersehen und verdrängt.
Kofi Annan zum Beispiel - nicht George Bush - hat
am 12. März 2005 im Berliner „Tagesspiegel“ gesagt:
Nuklearterrorismus ist keine Science Fiction mehr. - Er
hat vor der Gefahr des biologischen Terrorismus gewarnt. Ich glaube, wir müssen es ernst nehmen, dass wir
in einer globalen Auseinandersetzung mit einem - das
kann man ja sagen - völlig verfehlten Verständnis vom
Islam stehen.
Wie ist das mit den Muslimen bei uns? Ich habe sehr
viele positive Erfahrungen gemacht. In der letzten Woche war ich bei einer Diskussion mit vielleicht 100 bis
150 Türken hier in Berlin in der Sehitlik-Moschee am
Columbiadamm in Neukölln. Dort haben wir eine sehr
gute und sehr vernünftige Diskussion geführt. Beim Fastenbrechen in Hannover, in meinem Wahlkreis, habe ich
großartige Leute kennen gelernt, die sich fantastisch für
unser Gemeinwesen und unseren Staat einsetzen. Aber
es gibt noch etwas anderes, was nicht irgendein Unionspolitiker, sondern Bischof Huber wie folgt anspricht:
Bei aller Dialogbereitschaft darf es keine Verharmlosung geben.
({5})
Man muss sich fragen, ob die Gefahren, die vom Islamismus ausgehen, bisher realistisch gesehen worden sind.
Das ist ein Zitat von Bischof Huber. Das sollten Sie ernst
nehmen und nicht jedes Mal, wenn wir vor dem Islamismus warnen, nur über Integration reden. Integration und
Dialog sind gut, aber es muss neben der ausgestreckten
Hand auch eine Faust, eine klare Absage an den politischen Islamismus in unserem Land geben.
({6})
Frau Kollegin Vogt, von uns werden keine Szenarien
hochgezogen, wie Sie gesagt haben, sondern Ehrenmorde, Zwangsverheiratung und Unterdrückung der
Frau sind auch in unseren Gesellschaften eine Realität,
wenige Meter von hier entfernt. Das sollten Sie nicht
verharmlosen.
({7})
- Die Kollegin Vogt hat eben gesagt, wenn wir über so
was sprächen, würden wir Bedrohungsszenarien hochziehen. - Es geht nicht um Bedrohungsszenarien, sondern um die Beschreibung der Realität in unserem Land.
({8})
Wenn Sie mir nicht glauben, dann glauben Sie vielleicht Ayaan Hirsi Ali, einer Muslimin aus Mogadischu.
Sie sagt:
Frauen im Islam werden unterdrückt.
({9})
Und diese Frauen sind überall. Und in liberalen Gesellschaften ignorieren wir sie, anstatt ihnen zu helfen.
({10})
Nehmen Sie doch solche Leute ernst! Helfen wir ihnen
genug? Ist es wahr, dass wir, wenn wir von Integration
sprechen, wirklich Integration meinen? Zur Integration
gehört auch ein klarer Standpunkt der eigenen Kultur.
Diese eigene Kultur sagt Ja zur Gleichberechtigung.
Das müssen wir klarer und deutlicher machen und solchen Frauen, wenn sie bedroht und angegriffen werden,
den Rücken stärken.
({11})
- Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so erregen. Wenn
Sie mir zustimmen, ist das doch gut. - Ich darf Ihnen sagen, was mich zum Beispiel in den letzten Wochen gestört hat. Wir alle miteinander haben uns zu Recht darüber aufgeregt, dass es in Guantanamo zu
Koranschändungen gekommen ist. Das hat weltweit
Empörung hervorgerufen. Diese Vorgänge werden untersucht und abgestellt. Ich vermisse manchmal die gleiche
Art der Empörung, wenn auf der Welt Bibeln geschändet
werden,
({12})
wenn Menschen inhaftiert werden, nur weil sie Christen
sind.
({13})
Darüber regen wir uns nicht genug auf. Deswegen finde
ich schon, dass wir dann, wenn wir über Religionsfreiheit und die Achtung der Würde einer anderen Religion
sprechen, ein bisschen über die Achtung unserer Werte
und unserer Religion sprechen müssen. Das tun wir zu
wenig.
({14})
Es ist ganz wichtig, dass wir den Muslimen in unserer
Gesellschaft deutlich machen, dass es uns allen, die wir
hier sitzen, bei all den Meinungsverschiedenheiten, die
wir haben, nicht um eine Frontstellung Christentum gegen Islam geht. Vielmehr muss es zu einer Frontstellung
dahin gehend kommen, dass die überwältigende Mehrheit der Christen, der Menschen, die bei uns leben, zusammen mit der überwältigenden Mehrheit der Muslime
die Aufgabe haben, den extremen Islamismus zu bekämpfen, und dass klar wird, dass die Islamisten, die
Gewalt, Hass und Intoleranz in unsere Gesellschaft hineintragen, am meisten den Muslimen selbst schaden,
indem sie mit ihren Gewaltakten und ihrer Intoleranz
dazu beitragen, dass der Islam unter Generalverdacht gerät.
Wir müssen klar machen, dass es die Islamisten sind,
die mit ihrem rückwärts gewandten Talibandenken in
Wahrheit den Muslimen und dem Islam im Ganzen den
Weg in die Moderne verstellen.
Herr Kollege, bitte denken Sie an Ihre Redezeit.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. - Die Talibanisierung, die wir in manchen Teilen der muslimischen Welt erleben, ist das, was die Muslime daran hindert, in die moderne Welt so einzutreten, wie sie das
eigentlich tun müssten.
Es ist sehr wichtig, dass wir bei allem, was uns unterscheidet, die gemeinsame Botschaft auch in diesem
Wahlkampf beherzigen, dass wir nichts verharmlosen
und nichts überdrehen, sondern dass wir die Dinge beim
Namen nennen. Das haben wir mit unserem Antrag getan.
({0})
Danke schön. - Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 15/5238. Der Ausschuss empfiehlt unter Nummer 1 seiner Beschlussempfehlung die
Annahme des Antrags der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen, Drucksache 15/4394, mit
dem Titel „Zusammenleben auf der Basis gemeinsamer
Grundwerte“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen.
Unter Nummer 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 15/4260 mit dem Titel „Politischen Islamismus bekämpfen - Verfassungstreue Muslime unterstützen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des
Ausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Auch diese Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die
Stimmen der CDU/CSU und bei Enthaltung der FDP angenommen worden.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nummer 3
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/4401 mit dem
Titel „Kulturelle Vielfalt - Universelle Werte - Neue
Wege zu einer rationalen Integrationspolitik“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der
CDU/CSU und der Abgeordneten Lötzsch und Pau, deren Abstimmungsverhalten ich eben nicht gesehen habe,
angenommen.
Frau Pau, wie haben Sie vorher abgestimmt?
({0})
Wir haben für die Beschlussempfehlung zur Ableh-
nung des Antrages der Union gestimmt.
Okay, also mit Ja. Danke schön.
Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesra-
tes auf Drucksache 15/4413 zur Errichtung einer ge-
meinsamen Datei der deutschen Sicherheitsbehörden zur
Beobachtung und Bekämpfung des islamistischen Extre-
mismus und Terrorismus. Der Ausschuss empfiehlt auf
Drucksache 15/5239, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera-
tung mit den Stimmen des Hauses bis auf die der CDU/
CSU abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Ge-
schäftsordnung die weitere Beratung.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/5020 und 15/5225 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Zusatzpunkte 4 a und 4 b auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Arbeit schaffen - Sozialen Zusammenhalt und
wirtschaftliche Dynamik im europäischen Bin-
nenmarkt für Dienstleistungen verbessern
- Drucksache 15/5832 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
({0}) zu der Unterrichtung durch die
Bundesregierung
Vermerk des Generalsekretariats des Rates
für die Gruppe „Wettbewerbsfähigkeit und
Wachstum“
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt
Ratsdok. 5161/05
- Drucksachen 15/5172 Nr. 1.10, 15/5865 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich keinen. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
die Abgeordnete Sigrid Skarpelis-Sperk.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die EUDienstleistungsrichtlinie, zu der wir heute eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und
Arbeit diskutieren und beschließen, ist keine Richtlinie
wie jede andere in der Geschichte der europäischen Gesetzgebung. Mit ihr hat der ausgeschiedene EU-Kommissar Frits Bolkestein seinen Nachfolgern das wohl brisanteste politische Projekt der EU-Kommission ins Rohr
geschoben. Wird dieser Entwurf Gesetz, dann heißt es
Abschied nehmen von der Idee eines gemeinsamen
europäischen Sozialstaatsmodells. Vor der Tür steht
dann ein Europa, das nur etwas mehr ist als eine Freihandelszone, nämlich eine große Wirtschaftszone.
Selten ist ein Vorschlag der Kommission bei Rechtsexperten, Gewerkschaften, kleinen und mittleren Unternehmen, den Sozialverbänden, den Krankenkassen, den
freien Berufen und den Kulturschaffenden auf so einhellige Ablehnung gestoßen. Nur die Großindustrie und der
Groß- und Außenhandel sind dafür, aber selbst die verlangen Änderungen.
Es war diese Richtlinie und die damit verbundene
Angst breiter Schichten vor dem sozialen und ökonomischen Abstieg, die in Frankreich, aber auch in den Niederlanden zu einem Nein zu der europäischen Verfassung geführt haben. Nach unserer Meinung war das ein
schwerer politischer Fehler.
({0})
Aber die Dickfelligkeit und Arroganz der Brüsseler Bürokratiespitzen waren daran weiß Gott nicht unschuldig.
Die EU-Kommission sagt, dass sie einen gemeinsamen Binnenmarkt für Dienstleistungen anstrebt und
alle bestehenden Hindernisse im grenzüberschreitenden
Dienstleistungsverkehr beseitigen will. Aber der Geltungsbereich der Richtlinie umfasst entgegen dem landläufigen Sprachgebrauch nicht nur Dienstleistungsunternehmen, sondern auch Produktionsunternehmen, soweit
sie Dienstleistungen erbringen oder über Leiharbeit und
Outsourcing einkaufen. Das heißt, große Teile des produzierenden Gewerbes, der Landwirtschaft und weiterer
Branchen können durch Outsourcing mit einem Federstrich in Dienstleistungen verwandelt werden, wie man
in der Fleischverarbeitung, der Bauwirtschaft und im
Metallbereich schon heute sehen kann.
Die Richtlinie erstreckt sich auch auf Tätigkeiten, die
nicht der Gewinnerzielung dienen und in Deutschland
im Wesentlichen von den Kommunen, der freien Wohlfahrtspflege oder sonstigen gemeinnützigen Trägern erbracht werden. Auch Bereiche, in denen der Staat direkt
oder indirekt Zuschüsse gewährt - das heißt, alle Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge wie Gesundheitsdienstleistungen, soziale und kommunale Dienste,
aber auch Kultur- und Weiterbildung -, sind von der
Richtlinie erfasst.
Worauf gründet sich die von mir schon erwähnte
breite Ablehnung in so vielen Teilen der Gesellschaft?
Erstens. Die Bolkestein-Richtlinie ist die komplexeste, komplizierteste und zu dem europäischen Recht
und erst recht zu der geplanten europäischen Verfassung
am stärksten in Widerspruch stehende Vorlage in der Geschichte der Europäischen Union.
({1})
Keine Regierung, auch unsere nicht, konnte bisher angeben, welche nationalen Gesetze und Verordnungen von
der Richtlinie betroffen sind und welche geändert werden müssen; die Bundesregierung hat ein Gutachten
dazu in Auftrag gegeben.
Zweitens. Der Vorschlag wendet sich radikal von dem
Bild Europas als einem gemeinsamen Wirtschafts- und
Sozialraum und damit von dem seit Gründung der EG
gültigen Konsens ab, dies auf dem Weg einer schrittweisen Harmonisierung des Rechts und der administrativen
Vorschriften zu erreichen.
Stattdessen setzt die Kommission auf die Idee eines
umfassenden mehrjährigen Prozesses der Deregulierung,
Liberalisierung und Privatisierung. Einige in der Kommission - ich beschuldige nicht die gesamte Kommission - erhoffen davon die Schleifung angemessener
Löhne, Arbeitsstandards und der hohen Sozial-, Umwelt- und Qualitätsstandards über einen so erzeugten europäischen Wettlauf nach unten. Sie erhoffen möglichst
geringe Unternehmensteuern und Auflagen, gleich welcher Art. Armutslöhne sind auf diesem Weg nicht ausgeschlossen, vielleicht sogar geplant. Alle staatlichen Vorschriften - egal, ob überholt oder notwendig - sollen
möglichst verschwinden, so der ausgeschiedene Kommissar Frits Bolkestein.
({2})
- Das hat Herr Bolkestein offen gesagt, liebe Frau Kollegin. Das kann man nachlesen.
({3})
- Zum Bundeskanzler kommen wir noch.
Die Kommission greift tief und umfassend wie nie in
die nationale Souveränität der Mitgliedstaaten ein.
Gegen den Wortlaut der EG-Verträge setzt sie sich über
die ausschließlichen Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten
- zum Beispiel für Kultur und Gesundheit - hinweg.
Darüber hinaus verlangt sie in den Art. 14 und 15 der
Richtlinie, dass neue Gesetze und Vorschriften faktisch
nur noch unter Prüfvorbehalt oder mit Zustimmung der
Brüsseler Bürokratie beschlossen werden dürfen. Einspruchsmöglichkeiten bzw. geregelte Einspruchsverfahren werden dagegen in dieser Richtlinie nicht behandelt.
Eklatant sichtbar wird der Eingriff in die nationale Souveränität durch den weitgehenden Wegfall der Kontrollrechte des heimischen Staates gegenüber ausländischen
Unternehmen, die auf seinem Boden tätig werden.
Die Kommission will dies durch die Einführung des
Herkunftslandprinzips erreichen. Das bedeutet praktisch, dass zum Beispiel auf deutschem Boden parallel
25 verschiedene Rechtssysteme in 20 Sprachen gültig
sein und in Konkurrenz treten werden.
({4})
Von Betrieb zu Betrieb, von Person zu Person und je
nach Dienstleistung ist dann das Recht je nach Herkunftsland des Unternehmens verschieden.
({5})
- Doch, dies ist richtig, Herr Kollege. Wenn Sie bei den
Anhörungen dabei gewesen wären, hätten Sie es von den
entsprechenden Rechtsprofessoren auch erläutert bekommen.
({6})
Eine solche Situation hat es in der Geschichte noch
nicht gegeben: Selbst beim Turmbau zu Babel hat es nur
eine babylonische Sprachverwirrung durch die Arbeiter
aus vielen Völkern gegeben; aber auch dort galt das
Recht des Königreiches Babylon.
Absehbare Folgen dieser 25 parallelen Rechtssysteme auf dem Boden des jeweiligen Landes werden eine
weitgehende Intransparenz für alle Teilnehmer am Wirtschaftsprozess und vor allem für diejenigen, die die
Dienstleistungen in Anspruch nehmen, eine allgemeine
Rechtsunsicherheit, welches Recht anzuwenden ist, und
Unwägbarkeiten in der Rechtsprechung sein, weil zum
Beispiel deutsche Richter von heute auf morgen nach
25 Rechtssystemen Recht sprechen müssen. Es droht
eine babylonische Rechtsverwirrung in Europa.
({7})
Dies wird nicht zu mehr Wachstum, Dynamik und Beschäftigung, sondern zu mehr Chaos führen.
Ich kann und will die Fülle der Rechtsprobleme hier
nicht schildern; Sie können sie in den Protokollen der
Anhörungen in den sechs Ausschüssen des Bundestages,
geäußert von verschiedenen Rechtsprofessoren, nachlesen.
Schlimm ist aber auch, dass nach diesen Regeln deutsche Unternehmen benachteiligt werden, weil sie gegebenenfalls strengere Vorschriften befolgen müssten,
während ausländische Unternehmen nach den Regeln ihres Heimatlandes vorgehen könnten. Dies würde zu dem
Ergebnis führen, dass sich deutsche Unternehmen benachteiligt fühlen und offen mit Ausflaggung drohen
werden. Sie würden sagen: Wenn ich es woanders mit
leichter einzuhaltenden Vorschriften zu tun habe, dann
verlege ich halt meinen Firmensitz zum Beispiel nach
Riga oder Gibraltar, um von den einschlägigen deutschen Belastungen befreit zu sein.
Die Verlagerung wesentlicher Teile der öffentlichen
Kontrolle der ausländischen Betriebe durch die Heimatländer führt zu einer weiteren Benachteiligung der heimischen Betriebe. Wie soll auch eine Behörde in Krakau, Riga oder Palermo den Willen oder die Möglichkeit
haben, ihren Firmen im fernen Ausland auf die Finger zu
schauen? Da wird es nach dem Motto gehen: Der Zar ist
groß und Moskau ist weit; schauen wir mal nicht so genau hin.
Dies bedeutet, dass die soziale Dimension Europas
auf der Strecke bleibt. Es bedeutet auch, dass sich die
Richtlinie gegen das Gleichheitsgebot der europäischen
Verfassung und der Mitgliedstaaten richtet; denn der
Grundsatz der Gleichbehandlung wird unter Berufung
auf die Dienstleistungsfreiheit offen missachtet. In
Art. 50 Abs. 3 des EG-Vertrages wird verbindlich festgelegt, dass die Person, die ihre Dienstleistung in einem
anderen Land erbringt, dies „unter denselben Bedingungen“ tun muss, die der betreffende Staat „seinen eigenen
Staatsangehörigen auferlegt“.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es hat lange
gebraucht, bis sich die deutsche Öffentlichkeit mit dieser
Richtlinie befasst hat.
({8})
Kritiker wurden abgetan. Erst das Machtwort von Bundeskanzler Schröder und Präsident Chirac gegen Lohnund Sozialdumping und deren Forderung nach einer
grundlegenden Überarbeitung der Richtlinie hat die
deutsche Öffentlichkeit aufhorchen lassen.
({9})
Aber eine umfassende Analyse und Diskussion der
Richtlinie hat es bisher in Deutschland im Gegensatz zu
Frankreich und Belgien nicht gegeben.
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten verlangen mit unserem Koalitionspartner, dass die Kommission ihre Hausaufgaben macht: Sie muss die Richtlinie zurückziehen, grundlegend überarbeiten und dabei
von Widersprüchen befreien und sodann einen ordentlichen Entwurf vorlegen, der die Fülle der Bedenken aufgreift. Wir sind nämlich für und nicht gegen eine Dienstleistungsrichtlinie, Herr Kollege, aber für eine völlig
andere,
({10})
und zwar für eine Richtlinie, die sozial vom Kopf auf die
Füße gestellt wird, damit sie für die Menschen und für
die Masse der Unternehmen akzeptabel wird.
Die EU-Kommission muss einsehen, dass ein Binnenmarkt für Waren nicht dasselbe ist wie ein Markt für
Dienstleistungen; denn der Mensch ist keine Ware wie
jede andere, wenn die Würde des Menschen geachtet
werden soll.
({11})
Kartoffelchips, Autos und Cassislikör sind nicht dasselbe wie die Leistungen einer Krankenschwester, eines
Bauarbeiters, eines Mechanikers, eines Softwareingenieurs oder einer Reinigungskraft und sie müssen rechtlich anders behandelt werden.
({12})
Es darf auf keinen Fall zu Sozialdumping oder zu einem
Dumping bei der Entlohnung und den Arbeitsbedingungen kommen und die fundamentalen Rechte der Arbeitnehmer dürfen auf keinen Fall durch eine Richtlinie beeinträchtigt werden.
Wir sind für einen zügigen Abbau bürokratischer EUHemmnisse und wir sind gegen zusätzliche bürokratische Strukturen. Aber, meine Damen und Herren, die
Fundamente für ein gemeinsames Haus Europa dürfen
nicht von der EU-Kommission mit der Begründung des
Abbaus von Hindernissen mit der vorgelegten Dienstleistungsrichtlinie politisch in die Luft gesprengt werden.
Frau Kollegin, wissen Sie, dass die Zeit abgelaufen
ist?
Ich komme zu meinem letzten Satz. - Deshalb müssen wir in Europa weiter den mühsamen Weg der systematischen Harmonisierung des Binnenmarktes bei
gleichzeitiger ökonomischer Harmonisierung und sozialem Fortschritt gehen. Solange viele Menschen glauben,
Europa sei weniger und nicht mehr -
Frau Kollegin, das war aber ein Satz.
({0})
Das ist meine letzte Rede.
Dann schließen Sie Ihren letzten Satz ab.
Solange viele Menschen glauben, Europa sei weniger
und nicht mehr Wohlstand, weniger und nicht mehr soziale Gerechtigkeit, werden sie sich diesem Europa zunehmend verweigern. Es ist unser aller Verantwortung,
gemeinsam ein anderes, ein soziales Europa nicht nur als
Leitbild zu malen, sondern Stück für Stück umzusetzen.
({0})
Liebe Frau Kollegin Skarpelis-Sperk, wenn es - was
wir ja alle nicht so ganz genau wissen - Ihre letzte Rede
war, dann möchte ich Ihnen für Ihre Arbeit danken und
Ihnen für Ihre Zukunft alles Gute wünschen. Natürlich
wollte ich Sie in Ihrer letzten Rede nicht unterbrechen,
aber das hängt ja nun über uns allen.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Reinhard Göhner.
({1})
Frau Präsidentin! Es tut mir gerade angesichts dieser
möglicherweise letzten Rede der Frau Kollegin etwas
Leid, meine Damen und Herren, dass ich sagen muss:
Sie haben zu der Richtlinie ein Horrorgemälde gezeichnet, das nun gar nichts mit der Realität zu tun hat.
({0})
Von einem echten Binnenmarkt für Dienstleistungen würden allein in Deutschland Millionen Unternehmen profitieren. Schon jetzt werden 70 Prozent
der Arbeitsplätze in der EU dem Dienstleistungssektor zugerechnet. Der von der Kommission gemachte Vorschlag für eine Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt ist der logisch richtige
und konsequente Schritt, diese Ziele zu erreichen.
Das ist nicht meine Meinung, sondern die des amtierenden Bundeskanzlers und das glatte Gegenteil von dem,
was Sie, Frau Skarpelis-Skerp, hier vorgetragen haben,
und das glatte, extreme Gegenteil von dem, was Sie mit
dem Entschließungsantrag hier heute zur Abstimmung
stellen.
({1})
Logisch richtig und ein konsequenter Schritt sei diese
Richtlinie, sagt der Bundeskanzler. Sie sagen: Es ist alles
Unfug. - Wenn der Bundeskanzler für morgen früh noch
eine Begründung dafür braucht, dass die Koalition seiner
Politik nicht mehr folgt - Ihre Rede ist ein Beleg dafür.
({2})
Der Entschließungsantrag, den die Koalition hier zur
Abstimmung stellt, ist ein Beleg dafür, dass sie der Bundesregierung nicht mehr folgt.
({3})
Frau Skarpelis-Sperk - das sage ich jetzt wirklich so,
wie ich es meine -: parlamentarisches Kompliment dafür, dass Sie die Position der Bundesregierung, jedenfalls die der Koalition, ins Gegenteil verkehren.
({4})
Das ist eine beachtliche Leistung. Sie waren schon immer gegen die Agenda 2010 sowie gegen die Politik des
Bundeskanzlers und des Bundeswirtschaftsministers.
({5})
Aber Sie müssen sich darüber im Klaren sein, was Sie
wollen: Wollen Sie dem Antrag von Rot-Grün mit der
vernichtenden Bewertung des Richtlinienentwurfs oder
der positiven Haltung der Bundesregierung gegenüber
diesem Entwurf folgen?
Wir sind uns ja darin einig, dass der von der EUKommission vorgelegte Entwurf einer Dienstleistungsrichtlinie viele problematische Seiten aufweist.
({6})
Korrekturen sind sicherlich notwendig. Aber was Sie mit
Ihrem Antrag vorlegen und was Sie vorgetragen haben,
ist - das muss ich deutlich sagen - von einer peinlichen
Einseitigkeit, und zwar ohne jede Rücksicht auf die wirtschaftlichen Fakten und den tatsächlichen Inhalt der
Dienstleistungsrichtlinie.
({7})
Uns geht es um
die zügige Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie
der Europäischen Union, die eine Liberalisierung,
eine Öffnung des Dienstleistungsmarktes in der
Union beabsichtigt - mit dem Herkunftslandprinzip
und allem, was dazugehört - einer deutlichen Begrenzung der Regulierungen … Und es kommt darauf an, … diese Dienstleistungsrichtlinie zu unterstützen, ihre Durchsetzung zu unterstützen.
Das ist nicht meine Meinung, sondern ein wörtliches Zitat aus einem Vortrag von Bundeswirtschaftsminister
Clement vor wenigen Wochen in München. Das ist die
Auffassung der Bundesregierung. Ich könnte Ihnen noch
eine Reihe ähnlicher Zitate - ich habe alles dabei - vortragen. Frau Skarpelis-Sperk, was Sie hier vorgetragen
haben und was die Koalition heute zur Abstimmung
stellt, ist aber das Gegenteil dessen, was die Bundesregierung noch vor wenigen Wochen in Brüssel in dieser
Sache öffentlich vertreten hat.
({8})
Die Öffnung der europäischen Dienstleistungsmärkte bietet auch nach unserer Überzeugung tatsächlich große Chancen für mehr Wachstum und Arbeitsplätze in Deutschland. Darin stimmen wir dem
Bundeskanzler und dem Bundeswirtschaftsminister zu
und deshalb nicht Ihrem Antrag. Die hochmoderne und
leistungsfähige deutsche Dienstleistungsbranche kann
und wird von der Marktöffnung profitieren. Wir sind
Weltmeister beim Export von Waren. Wir können auch
einen Spitzenplatz im Handel mit Dienstleistungen einnehmen. Dazu muss die Richtlinie allerdings so gestaltet
werden, dass deutsche Unternehmen tatsächlich die
Chance erhalten, deutlich leichter als bisher Aufträge in
anderen europäischen Ländern wahrzunehmen.
Das Herkunftslandprinzip wird dabei helfen, öffentlich-rechtliche Genehmigungshindernisse in anderen europäischen Ländern abzubauen. Freilich kann das Herkunftslandprinzip nicht unbegrenzt gelten; darin sind wir
uns völlig einig. Entgegen Ihren Behauptungen sieht das
der Richtlinienentwurf auch nicht vor. Er nimmt zum
Beispiel alle Angelegenheiten aus, die der Entsenderichtlinie unterliegen.
Dies bedeutet, dass alle in der Entsenderichtlinie
genannten materiellen Arbeitsbedingungen am Arbeitsort weiterhin auf entsandte Arbeitnehmer anzuwenden sind.
({9})
- Frau Skarpelis-Sperk, das war wieder ein Zitat von
Clement. Seien Sie etwas vorsichtiger! Ich habe noch
mehr davon auf Lager. Das ist wiederum die Auffassung
der Bundesregierung.
Was wir in der Richtlinie klarstellen müssen - das
muss entsprechend geändert werden -, ist, dass auch die
Kontrolle und das Verwaltungsverfahren zur Durchsetzung der auf der Entsenderichtlinie beruhenden Rechtsakte, zum Beispiel der deutschen Arbeitsgesetze, den
Behörden am Arbeitsort obliegen und nicht dem Herkunftslandprinzip unterliegen. Darin sind wir uns völlig
einig.
({10})
Zusammen mit der Bundesregierung und im Gegensatz zu dem Antrag von SPD und Grünen halten wir das
Herkunftslandprinzip im Grundsatz für vernünftig. Allerdings muss der Anwendungsbereich an vielen Stellen eingeschränkt werden.
({11})
Die Daseinsvorsorge, die staatliche Gesundheitsversorgung, der Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die staatliche Kulturförderung, Zeitarbeit, all das
muss in der Tat vom Herkunftslandprinzip ausgenommen bleiben. Übrigens gilt das auch für die Steuerung
der Arbeitsmigration; das muss auf nationaler Ebene
möglich bleiben. Das ist übrigens ein Punkt, der in Ihrem Antrag bemerkenswerterweise fehlt. Sie wollen offenbar, dass ausgerechnet dort das Herkunftslandprinzip
gilt. Wir wollen aber weiterhin eine nationale Steuerung.
({12})
Heute wollten Sie eigentlich - das war Ihre ursprüngliche Absicht - einen Entwurf eines Gesetz zur Änderung des Entsendegesetzes verabschieden. Das sollte
der erste Stein sein, mit dem Sie der Dienstleistungsfreiheit entgegenwirken wollten. Davon haben Sie zu Recht
Abstand genommen. Noch am Dienstag dieser Woche
hieß es, am kommenden Donnerstag solle dieser Gesetzentwurf verabschiedet werden. Aber bereits nach der
Sachverständigenanhörung am letzten Montag war klar:
Ihr Gesetzentwurf war gesetzestechnisch und handwerklich schlecht gemacht; die vorgegebenen Zielsetzungen
würden damit nicht erreicht. Er war verfassungsrechtlich
riskant und umstritten.
Die Sachverständigenanhörung hat eindeutig ergeben:
Sie wollten in einer rechtswidrigen Weise über das Entsendegesetz tarifliche Mindestlöhne auch in Branchen
erlassen, in denen gar keine Entsendearbeitnehmer tätig
sind. Sie wollten mit der beabsichtigten Ausdehnung des
Entsendegesetzes auf alle Branchen im Grunde genommen einen verkappten tariflichen Mindestlohn für alle.
Genau das - das haben Sie erkannt - geht nicht.
Sie haben vorgetragen, Sie stellten die entsprechende
Vorlage heute nicht zur Abstimmung, weil der Bundesrat
nicht zustimme. Das ist natürlich ein Vorwand:
Erstens. Sie hätten diese Vorlage leicht zustimmungsfrei ausgestalten können.
Zweitens. Ich habe Ihnen hier namens der CDU/CSUFraktion bei der ersten Lesung zum Entsendegesetz ausdrücklich angeboten, gemeinsam über eine begrenzte
und konkrete Ausdehnung dieses Gesetzes nachzudenken. Als Beispiel habe ich Ihnen die Gebäudereinigerbranche genannt, in Bezug auf die auch wir uns das vorstellen können, aber eben nicht in der von Ihnen
gewollten Form: mit einem Blankoscheck für die Ausdehnung auf alle Branchen.
In der Sachverständigenanhörung am Montag ist das
sehr deutlich geworden, als es um das Hotel- und Gaststättengewerbe ging. Sie wollten die Anwendung des
Entsendegesetzes auf diese Branche ausdehnen. Tatsächlich gibt es in dieser Branche - das blieb unwidersprochen - überhaupt keine Entsendearbeitnehmer. Alle
Sachverständigen in dieser Anhörung - es gab keine einzige Gegenstimme - haben gesagt: Nein, es geht nicht,
die Anwendung des Entsendegesetzes auf eine Branche
auszudehnen, in der es gar keine Entsendearbeitnehmer
gibt, um auf diese Weise tarifliche Mindestlöhne für alle
zu schaffen.
Fazit: Sie wollten mit dem Entsendegesetz tarifliche
Mindestlöhne in allen Branchen - also auch in Branchen, in denen es gar keine Entsendearbeitnehmer gibt einführen und damit die Dienstleistungsfreiheit begrenzen, Beispiel Hotel- und Gaststättengewerbe. Sie
mussten einsehen, dass Ihre eigentliche Absicht - ich
wiederhole: die Ausdehnung auf alle Branchen - nicht
geht. Ihr Gesetzentwurf war ein Schnellschuss genauso
wie Ihr heutiger Antrag.
Man muss über die Missstände, die es bei der Inanspruchnahme der Dienstleistungsfreiheit derzeit gibt,
sehr wohl reden. Ich will Ihnen einmal ganz klar sagen:
Alle uns bisher bekannt gewordenen Missbrauchsfälle
und - wie wir einer Antwort der Bundesregierung auf
eine von uns gestellte Anfrage entnehmen - auch alle der
Bundesregierung bekannten Missbrauchsfälle beim Einsatz von Entsendearbeitnehmern, zum Beispiel in der
Fleischindustrie oder bei Fliesenlegern, sind bereits nach
geltendem Recht zu unterbinden.
Wir haben es in Deutschland mit einem Vollzugsdefizit zu tun. Frau Skarpelis-Sperk hat vorhin mit dem Hinweis darauf, dass es solche Missbräuche heutzutage
gebe, den Finger in die Wunde gelegt: Nach dem bestehenden Entsendegesetz gilt weitgehend das deutsche Arbeitsrecht, zum Beispiel das Arbeitszeitgesetz, sämtliche
Arbeitsschutzgesetze - das ist ganz selbstverständlich und das Gesetz über die Zeitarbeit.
Wenn polnische Unternehmen oder Unternehmen aus
anderen europäischen Ländern in Deutschland Zeitarbeitsverhältnisse eingehen - also Arbeitnehmer verleihen -, ohne dafür im Besitz der notwendigen Genehmigung der Agentur für Arbeit zu sein, dann ist das nach
dem bestehenden Entsendegesetz eindeutig und ohne jeden Zweifel rechtswidrig und kann und muss unterbunden werden.
Wir erwarten, dass diejenigen Anforderungen, die
nach unserem Arbeitsrecht für deutsche Unternehmen
gelten, ganz selbstverständlich auch von Werkvertragsunternehmen eingehalten werden, die Entsendearbeitnehmer aus ihrem Land hier in Deutschland einstellen,
und das ohne Wenn und Aber. Doch dazu braucht man
kein neues Gesetz und auch keine Einschränkung der
künftigen Dienstleistungsrichtlinie; denn das ist bereits
vorgesehen. Das jetzige Vollzugsdefizit macht deutlich:
Das Ganze ist eine Frage der Kontrolle und der Durchsetzung.
({13})
Frau Skarpelis-Sperk, wir sind uns darin einig, dass es
- auch wenn in Zukunft eine neue Dienstleistungsrichtlinie gilt - dabei bleiben muss, dass die deutschen Behörden die Einhaltung des geltenden Rechts - Beispiel Zeitarbeitsgesetz - hier überprüfen müssen. Bei der
Kontrolle und beim Verwaltungsverfahren sollte das
Herkunftslandprinzip also nicht gelten. Eine solche Forderung gegenüber der Europäischen Union ist aber nur
dann glaubwürdig, wenn wir wenigstens in unserem eigenen Land entsprechend handeln, und das haben wir
eine erhebliche Zeit lang nicht getan. Neue Gesetze zu
fordern, das geht allerdings in die falsche Richtung; wir
wenden nicht einmal das bestehende Recht an.
Wir müssen auf etwas aufpassen - das will ich zum
Schluss sagen -: Wir sind ein exportabhängiges Land.
Unsere Wirtschaft lebt vom Export. Unsere Arbeitsplätze hängen davon ab. Wir müssen uns vor einer neuen
Diskussion des Protektionismus hüten. Deshalb ist es im
Grundsatz sehr wohl richtig, den Binnenmarkt auch für
den Bereich der Dienstleistungen zu öffnen. Da unterstützen wir die Bundesregierung auch in Zukunft, selbst
wenn Sie sich davon abgewandt haben.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Werner Schulz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege
Göhner, wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind auch
Sie der Meinung, dass der von der Kommission mit dem
Ziel der Harmonisierung vorgelegte Entwurf der Dienstleistungsrichtlinie über das Ziel hinausschießt - das haben wir an sich im Ausschuss bzw. bei den Anhörungen
im Deutschen Bundestag festgestellt -; denn mit diesem
Entwurf soll praktisch auf einen Schlag der Binnenmarkt
Werner Schulz ({0})
für Dienstleistungen hergestellt werden, sollen vor allem
Hindernisse für Niederlassung und grenzüberschreitende
Tätigkeit von EU-Dienstleistern beseitigt werden.
Das soll hauptsächlich durch den Abbau von Genehmigungserfordernissen und durch die Einführung des
umfassenden Herkunftslandprinzips erreicht werden.
Danach soll ein Dienstleister nur den Gesetzen des Landes unterliegen, in dem er niedergelassen ist, auch wenn
er Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat erbringt. Eine Verpflichtung, im Zielland geltende Anforderungen zu erfüllen, soll es nur für wenige Ausnahmen
geben. Der Herkunftsstaat ist gemäß dem Entwurf sogar
für die Kontrolle des Dienstleisters im Zielland verantwortlich.
Damit vollzieht die Kommission einen Richtungswechsel; Sie entfernt sich von dem Ziel der schrittweisen
Annäherung durch Mindeststandards. Das zwingt die
Mitgliedstaaten in einen Standortwettbewerb, bei dem
sich - das ist zu befürchten - das niedrigste Niveau
durchsetzt.
({1})
Wir sind durchaus für eine zügige Harmonisierung
bei den Dienstleistungen - das haben wir auch immer
wieder betont -, aber bitte schön mit dem notwendigen
Augenmaß. Es sei daran erinnert, dass der Entwurf etwa
in Frankreich im Vorfeld der Volksabstimmung zu großer Empörung geführt hat. Das sollte sich die Kommission zu Herzen nehmen. Die Einschätzung von Binnenmarktkommissar McCreevy, das Verfahren um die
Dienstleistungsrichtlinie werde durch das französische
Plebiszit nicht berührt, ist trügerisch. Gerade nach den
Abstimmungen über den Verfassungsentwurf in Frankreich und den Niederlanden muss die Kommission die
Dienstleistungsrichtlinie zurücknehmen, um weiteren
Schaden zu vermeiden.
Vor allem die umfassende Anwendung des Herkunftslandprinzips ist nicht akzeptabel. Hierdurch drohen
Rechtsverwirrung und ein Absinken des Qualitäts- und
Verbraucherschutzniveaus.
({2})
Auch das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, das
momentan im Binnenmarktausschuss des Europaparlaments diskutiert wird, ist nicht geeignet. Es ist mehr oder
weniger bedeutungsgleich mit dem Herkunftslandprinzip.
Diskussionswürdig erscheint eine Anwendung des
Herkunftslandprinzips allein für die Aufnahme der Tätigkeit, also bei den beruflichen Qualifikationen von
Dienstleistern. Hier könnten die zu Recht kritisierten bürokratischen Hürden abgebaut werden. Die Sicherstellung der Dienstleistungsqualität müsste dann in den Zielländern mit den dort bestehenden Rechtsvorschriften
erfolgen. Auch für bereits harmonisierte Dienstleistungssektoren ist die Anwendung des Herkunftslandprinzips in bestimmten Fällen möglich, dann nämlich,
wenn bereits ein demokratisches Abstimmungsverfahren
im Europäischen Parlament durchlaufen wurde.
Grüne und SPD haben im Ausschuss einen besonders
in diesen Tagen, aber auch sonst bedeutsamen gemeinsamen Entschließungsantrag vorgelegt. In diesem ist festgehalten, dass wir für Dienstleistungsfreiheit im Binnenmarkt eintreten. Der jetzige Entwurf der Richtlinie
ist aber trotz aller kosmetischen Veränderungen nicht akzeptabel. Viele Auswirkungen der Richtlinie, vor allem
in den Bereichen von Wirtschaft und Arbeit, Verbraucherschutz oder Umwelt, sind überhaupt noch nicht abschätzbar.
Die Vollendung des Binnenmarkts im Dienstleistungsbereich und der unbestritten notwendige Abbau bürokratischer Hemmnisse dürfen nicht zum Einfallstor für
Lohn- und Sozialdumping werden.
({3})
Der unregulierte Wettbewerb darf auch nicht zur Bedrohung der sozialstaatlichen Systeme in den Mitgliedstaaten führen. Die EU-Kommission soll die Dienstleistungsrichtlinie zurückziehen, grundlegend überarbeiten
und eine geänderte Fassung vorlegen.
Die Debatte um die Dienstleistungsrichtlinie mag in
den Ohren mancher überzogen klingen; sie ist aber
symptomatisch für die Situation der Europäischen
Union. Das Unbehagen über „die da in Brüssel“, über
die Abgehobenheit der Eurokraten und über die geringe
Transparenz vieler Vorgänge der EU sollte ernst genommen werden.
({4})
Die Menschen wollen ein gemeinsames Europa. Sie
wollen kein Europa der bürokratischen Auswüchse und
kein Europa des schrankenlosen Wettbewerbs. Sie wollen ein Europa, das seine Zukunft friedlich, zum Nutzen
aller Europäer und mit sozialer Verantwortung gestaltet.
({5})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gudrun Kopp.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und
Damen! Wir, die Mitglieder der FDP-Bundestagsfraktion, sind zutiefst davon überzeugt, dass Deutschland
und Europa Wettbewerb im Dienstleistungssektor brauchen.
({0})
Es geht nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von RotGrün, um zügellosen Wettbewerb, sondern um faire Bedingungen für den Wettbewerb, und zwar einen geregelten Wettbewerb.
({1})
Da bitte ich Sie, hier kein Horrorgemälde zu malen, liebe
Kollegin Skarpelis-Sperk.
({2})
Um einen Abschied vom europäischen Sozialstaat, wie
hier gerade gesagt wurde, geht es natürlich nicht.
Ich erinnere mich, dass auf einer Veranstaltung in
Herford Herr Bundeswirtschaftsminister Clement vor
dem Deutschen Schaustellerbund nach Vorstellung dieser Dienstleistungsrichtlinie in seiner Rede die Opposition, CDU/CSU und FDP, aufforderte, sie möge doch für
die Dienstleistungsrichtlinie votieren und die darin enthaltenen Chancen sehen, nämlich die Chancen für den
Markt, für Arbeitsplätze, aber auch für die Menschen im
gemeinsamen Europa.
({3})
Das fand ich sehr bemerkenswert. Wir müssen aber leider zur Kenntnis nehmen, dass Herr Clement auch in
diesem Punkt von der SPD-Fraktion ziemlich allein gelassen wird.
({4})
Es kann nicht sein, dass der Dienstleistungssektor, der
in vielen anderen Mitgliedstaaten etwa 70 Prozent des
Bruttoinlandsproduktes ausmacht, in Deutschland, das ja
Exportweltmeister ist, nur gerade 12 Prozent hierzu beiträgt. Wir haben natürlich allen Grund, weitere Schritte
zur Liberalisierung und zur Deregulierung zu unternehmen.
({5})
Von daher ist die in der Dienstleistungsrichtlinie vorgesehene Liberalisierung vom Grundsatz her wirklich zu
begrüßen.
Ich sage noch einmal an die Adresse der Kollegen, die
immer auf dem Herkunftslandprinzip herumreiten und
es abschaffen möchten: Es gibt heute schon rechtliche
Regelungen, um illegale Arbeitnehmerüberlassung,
Scheinselbstständigkeit und andere Missbräuche, die
eben schon genannt wurden, zu unterbinden. In der Tat
ist hier der Vollzug defizitär. Das heißt, es müsste kontrolliert und entsprechend sanktioniert werden. Das hat
aber mit dem Herkunftslandprinzip überhaupt nichts zu
tun. Das möchte ich noch einmal sehr deutlich sagen.
({6})
Auch wir wissen, dass die im Entwurf vorliegende
Richtlinie nachgebessert werden muss.
({7})
Auch uns gefällt sie nicht hundertprozentig. Wir sind natürlich für Entbürokratisierung, Verfahrensvereinfachung, Anerkennung von Dokumenten in allen 25 Mitgliedsländern. All das ist positiv. Zugleich sagen wir
ganz deutlich, dass die öffentliche Kontrolle und die
Sanktionsmöglichkeiten nach wie vor dem jeweiligen
Nationalstaat obliegen sollten.
({8})
Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, auf den wir unbedingt
achten müssen.
Es kann auch sein, dass wir an der einen oder anderen
Stelle mit Übergangsfristen arbeiten müssen, bis eine
Angleichung bzw. Harmonisierung beim Austausch von
Arbeitnehmern erreicht wird, um kein Mitgliedsland zu
überfordern. Wir haben allerdings den Weg nach vorne
zu gehen und nicht zurück. Wir sind ein freies, ein international geprägtes Land, das vom Export lebt. Wir profitieren davon. Da wäre Abschottung wirklich der falsche
Weg.
({9})
Lassen Sie mich zum Ende sagen: Wer bestimmt eigentlich, welche Standards die richtigen sind? Wer sagt
eigentlich, wo ein Sozialdumping EU-weit beginnt und
inwiefern die Standards, auch Qualitätsstandards, gegeben sind?
({10})
Wir haben eigene; aber die Frage ist, ob es möglich ist,
im EU-Konzert der 25 zu Standards und Qualitäten zu
kommen, zu denen wir alle Ja sagen können, statt nach
dem Motto zu verfahren: Am deutschen Wesen soll Europa genesen.
({11})
Liebe Kollegen, lassen Sie die Kollegin bitte zum
Schluss kommen - und Sie tun das bitte auch.
Ja, ich tue es auch. - Ich halte es für sehr arrogant,
wenn dieser Anspruch erhoben wird.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Pau.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es gibt den Entwurf einer Dienstleistungsrichtlinie der
EU. Sie soll ermöglichen, dass Unternehmen, Firmen,
Mittelständler ihre Dienstleistungen EU-weit anbieten
und realisieren können. Das ist gut für Europa, das ist
gut für den Wettbewerb und das ist gut für die Bürger.
Das verspricht jedenfalls der Titel, das behaupten die
Befürworter dieser Richtlinie und das suggerieren leider
auch fast alle Medien.
Die PDS hat immer dagegen gesprochen; denn die
EU-Dienstleistungsrichtlinie ist eine gezielte Katastrophe. Sie führt zu Sozial-, Lohn- und Umweltdumping.
Das muss verhindert werden und dagegen kämpfen zahlreiche Initiativen seit langem.
({0})
Nun gibt es einen gemeinsamen Antrag der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen. Punkt I dieses Antrages
mündet in dem Satz:
Die EU-Kommission wird aufgefordert, die EUDienstleistungsrichtlinie zurückzuziehen, grundlegend zu überarbeiten und einen geänderten Entwurf
vorzulegen.
Das unterstützt die PDS im Bundestag ganz ausdrücklich. Aber ich habe ein paar nahe liegende Fragen: Warum kommt der Antrag der SPD und der Grünen jetzt erst jetzt?
({1})
Warum konnte es auf EU-Ebene überhaupt zu einer solchen Richtlinie kommen?
Und ich habe noch eine dritte Frage. Die EU-Dienstleistungsrichtlinie befördert Niedrig-, ja sie befördert
Dumpinglöhne. Das lehnt die PDS aus sozialen und aus
wirtschaftlichen Gründen ab.
({2})
Deshalb hätten wir heute sogar dem rot-grünen Entsendegesetz zugestimmt. Auch das sollte der zunehmenden Ausbeutung einen Riegel vorschieben - keinen ausreichenden, aber immerhin. Aber Rot-Grün hat das
Entsendegesetz von der Tagesordnung genommen, sehr
zur Freude der CDU/CSU.
Genau das, liebe Kolleginnen und Kollegen, entwertet Ihren Appell an die EU. Denn dort, wo Sie konkret
entscheiden könnten, versagt Rot-Grün. Stattdessen erfinden Sie, auch mit dieser Entschließung, ein Versprechen nach dem anderen für die Zeit nach der Wahl. Nach
der Wahl wird wohl die CDU/CSU Tabula rasa machen.
Noch aber hätte Rot-Grün Mehrheiten, um dagegen Pfeiler zu setzen. Genau das tun Sie jedoch nicht. Sie versprechen, kneifen aber, wenn es ernst wird.
({3})
Dasselbe Spiel erleben wir übrigens derzeit im Streit
um Hartz IV. Es ist ein grundsätzlich falsches und ungerechtes Gesetz. Wir werden es ändern, sagt die SPD, allerdings erst nach der Wahl. Aber nach Lage der Dinge
werden Sie nach der Wahl überhaupt nichts mehr ändern
können. Also ändern Sie doch jetzt! Noch haben Sie
Mehrheiten; noch haben Sie drei Stimmen im Plus.
Wenn es um gute Lösungen für die Betroffenen geht,
dann haben Sie sogar noch zwei PDS-Stimmen dazu.
({4})
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 15/5832 mit dem Titel „Arbeit schaffen -
Sozialen Zusammenhalt und wirtschaftliche Dynamik
im europäischen Binnenmarkt für Dienstleistungen ver-
bessern“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen
von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Abgeordneten
Lötzsch und Pau gegen die Stimmen von CDU/CSU und
FDP angenommen worden.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft
und Arbeit auf Drucksache 15/5865 zu der Unterrich-
tung durch die Bundesregierung über einen „Vorschlag
für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des
Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt“. Der Aus-
schuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine
Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 c auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({0})
- zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2003 - Vorlage der Haushalts- und Vermögensrechnung des Bundes
({1}) - zu der der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
2004 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung ({2})
- Drucksachen 15/2884, 15/4200, 15/5781 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Gerhard Rübenkönig
b) Beratung des Antrags des Bundesministeriums
der Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2004 - Vorlage der Haushaltsund Vermögensrechnung des Bundes ({3}) -
- Drucksache 15/5206 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({4})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dietrich
Austermann, Dr. Michael Meister, Steffen
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Kampeter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Verschuldungsspirale stoppen - Nachtragshaushalt und Haushaltssicherungsgesetz
umgehend vorlegen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Andreas
Pinkwart, Jürgen Koppelin, Otto Fricke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Prekärer Haushaltslage entgegentreten Nachtragshaushalt und Haushaltssicherungsgesetz vorlegen
- Drucksachen 15/5331, 15/5477, 15/5746 Berichterstattung:
Abgeordnete Walter Schöler
Steffen Kampeter
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Gerhard Rübenkönig.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Entlastung der Bundesregierung ist auf den ersten
Blick ein Routinevorgang, der in der Öffentlichkeit wenig
zur Kenntnis genommen wird. Dies ist bedauerlich; denn
es geht um die wirtschaftliche und ordnungsgemäße Verwendung der Einnahmen und Ausgaben des Bundes. Wir
reden hier immerhin über 256,7 Milliarden Euro, die der
Bund im Jahr 2003 ausgegeben hat.
Der RPA hat sich unter meinem Vorsitz in fünf Sitzungen sehr ausführlich mit den Bemerkungen des Bundesrechnungshofes über das Haushaltsjahr 2003 auseinander gesetzt. Dies gilt auch für die Feststellungen zur
Haushalts- und Vermögensrechnung des Bundes, zur
finanzwirtschaftlichen Entwicklung und zu den strukturellen Problemen des Bundeshaushalts. Die Bemerkungen 2004 zeigen leider, dass betriebswirtschaftliches
Denken und Handeln immer noch nicht flächendeckend
zu bestimmenden Faktoren und Grundlagen exekutiven
Handelns geworden sind.
Nach den Berechnungen des Bundesrechnungshofes
belaufen sich die einmaligen Ausgabenminderungen und
Einnahmesteigerungen, die in den 57 Bemerkungen beschrieben werden, auf knapp 2,4 Milliarden Euro, zuzüglich eines jährlich realisierbaren Potenzials von
800 Millionen Euro. Dies ist eine Größenordnung, die
sich im Rahmen dessen bewegt, was in den letzten Jahren, auch zu Zeiten anderer Regierungen, festgestellt
wurde.
Ein fachlicher Schwerpunkt des Bundesrechnungshofes in den Bemerkungen 2004 ist die Einhaltung des
europäischen Vergaberechts. Hier hat es in der Vergangenheit unter allen Regierungen erhebliche Fehler gegeben. Ich werbe deshalb mit Nachdruck für die von der
Kollegin Brigitte Schulte - sie hat sich im Rechnungsprüfungsausschuss besonders dafür eingesetzt - beantragte und im Rechnungsprüfungsausschuss fraktionsübergreifend beschlossene Aufforderung an die
Regierung zur Vereinfachung dieser EU-Richtlinie.
Wie in der Vergangenheit konnten über weite Bereiche einvernehmliche Beschlüsse gefasst werden. Ich bin
davon überzeugt, dass wir mit den Beschlüssen des
Rechnungsprüfungsausschusses sachgerechte Antworten
gefunden und Positionen formuliert haben, zumal ihnen
immer ausgiebige Beratungen der jeweiligen Berichterstatter mit den Ministerien und mit dem Bundesrechnungshof vorausgingen.
In den Bemerkungen 2004 des Bundesrechnungshofes wird - wie schon in den Vorjahren - die dramatische
Finanzlage des Bundes hervorgehoben. In der Tat ist die
Haushalts- und Verschuldungssituation des Bundes
und der Länder sehr angespannt. Die Gründe liegen
nicht nur in der enttäuschenden wirtschaftlichen Entwicklung, sondern auch in den strukturellen Fehlentwicklungen, die zum Teil weit in die Vergangenheit zurückreichen.
Lassen Sie mich nur kurz einige wenige ausführen.
Zu nennen ist zum einen der hohe Anteil der Sozialausgaben und der Zinsausgaben. Auf sie entfallen im Haushaltsjahr 2004 etwa 62 Prozent der Gesamtausgaben des
Bundeshaushalts und 86 Prozent der Steuereinnahmen
des Bundes. Dagegen ist der Anteil der für Investitionen
verwendeten Haushaltsmittel rückläufig. Er beträgt nur
noch 10 Prozent der Gesamtausgaben bzw. 13 Prozent
der Steuereinnahmen.
Zu nennen sind ferner die Zinsbelastungen und die
zukünftigen Belastungen durch die Beamtenpensionen,
die finanziellen Aufwendungen für die deutsche Einheit
sowie die Globalisierung mit ihrer ökonomischen Konkurrenz und ihrem Steuerwettbewerb.
Völlig unbefriedigend ist auch die Neuverschuldung
des Jahres 2003. Sie ist weit höher ausgefallen, als eingeplant und erhofft. Die Regierung und die Koalitionsfraktionen haben sie ausschließlich wegen der sehr
schwierigen ökonomischen Rahmenbedingungen, also
wegen der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, akzeptiert.
Unbestritten besteht ein massiver Handlungsdruck,
den Haushalt zu konsolidieren. Die Neuverschuldung
muss gravierend zurückgeführt werden. Wir müssen eine
breite gesellschaftliche Aufgabenkritik führen und die
staatlichen Leistungen auf die wesentlichen und zukunftsfähigen Aufgabenfelder konzentrieren. Nur, so
richtig dieser Satz ist, so zutreffend ist leider auch die
Feststellung, dass es bisher keine Fraktion geschafft hat,
dieser Herausforderung zu entsprechen, deren Bewältigung eigentlich dringend notwendig ist. Zu verlockend
- das sage ich in aller Deutlichkeit - war immer wieder
das Schielen auf Wahltermine, die Wählerklientel und
Mehrheiten. Zu stark waren der politische Gegendruck
und die Angst vor der eigenen Courage; das sage ich
selbstkritisch auch gegenüber meiner eigenen Fraktion.
Auch Ihre angekündigte Ablehnung der Haushaltsentlastung ist unter dieser Rubrik zu subsumieren. Der
Haushalt und seine Ausführung waren das unter den
sachwaltenden Umständen, den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der Verweigerung von Bundesrat
und Vermittlungsausschuss beim Abbau von Subventionen und Steuervergünstigungen Mögliche und Machbare.
({0})
Aber es ist selbstverständlich Ihr legitimes Recht, eine
andere Bewertung vorzunehmen und der Regierung die
Haushaltsentlastung zu verweigern.
Lassen Sie mich noch zwei Bemerkungen zu den Anträgen, die Sie heute erneut vorlegen, machen. Das sind
die Anträge auf den Drucksachen 15/5331 und 15/5477.
Hierzu brauche ich keine großen Ausführungen zu machen. Die Regierung hat am 2. Juni in diesem Hause
dazu Stellung genommen. Wir werden diese beiden Anträge ablehnen, nicht deswegen, weil wir die Zustandsbeschreibungen nicht teilen, sondern deswegen, weil Sie
konkrete Maßnahmen dazu, wie die Haushaltssituation
nachhaltig verbessert werden kann, schuldig bleiben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, da ich mich entschieden habe, bei der möglicherweise im Herbst stattfindenden Neuwahl nicht wieder für den Bundestag zu
kandidieren, erlaube ich mir, ein paar persönliche und
grundsätzliche Bemerkungen zu machen. Es ist, egal
welche Parteien die kommende Bundestagswahl gewinnen werden, für unsere Zukunft unerlässlich
({1})
- wenn Sie zuhören würden, würden Sie etwas Positives
aus meinen Ausführungen ziehen -,
({2})
dass es gelingt, die strukturellen Belastungen des Haushalts aufzufangen und auszugleichen. Dies kann nur mittel- und langfristig gelingen und ist zwingend notwendig, wenn wir die staatliche Handlungsfähigkeit und die
gesellschaftliche Zustimmung zu unserer Demokratie
nicht verlieren wollen.
Nach meiner festen Überzeugung werden wir dazu
auf der Ausgabenseite an deutlichen Einschnitten bei
den Subventionen und an Einschnitten bei den Steuervergünstigungen nicht vorbeikommen. Ebenso wenig
werden wir aber darauf verzichten können, die Einnahmeseite des Staates zu sichern. Denn nur dann, wenn es
gelingt, unsere fachpolitischen Sichtweisen zugunsten
einer gesamtgesellschaftlichen Handlungsverantwortung
zusammenzuführen, ist die Handlungsfähigkeit des Staates gewährleistet. Ich bin mir sicher, dass die Menschen
eine solche Politik unterstützen würden, wenn sie denn
sozial gerecht und ausgewogen ist. Vor diesem Hintergrund scheint mir auch der Vorschlag des Präsidenten
des Bundesrechnungshofes richtig zu sein, über eine verfassungsrechtliche Regelung zur Kreditbegrenzung mit
wirklichem Biss nachzudenken.
Für die vom Bundesrechnungshof in der Vergangenheit geleistete Arbeit darf ich mich beim Präsidenten des
Bundesrechnungshofs, Herrn Professor Dr. Dieter
Engels, der heute hier vom Vizepräsidenten, unserem
ehemaligen Kollegen Norbert Hauser, vertreten wird
- ich begrüße ihn ganz herzlich -, und bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern herzlich bedanken. Der
Bundesrechnungshof hat seine Leistungsfähigkeit und
Beratungskompetenz immer wieder eindrucksvoll vorgeführt.
Bei meinen Kolleginnen und Kollegen aus dem Rechnungsprüfungsausschuss, insbesondere bei meinem Vertreter, Hans-Joachim Fuchtel, möchte ich mich für die
konsensorientierte und vertrauensvolle Kooperation, die
immer gewährte Fairness und Kollegialität auch über die
Fraktionsgrenzen hinweg bedanken.
Dank schulde ich ebenfalls den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern des Sekretariats des Rechnungsprüfungsausschusses für die stets gute Zusammenarbeit, die Unterstützung und den weit über das übliche Maß hinausgehenden Einsatz.
Zuletzt gestatten Sie mir Folgendes: Vor dem Hintergrund, dass es wahrscheinlich bald zur Neuwahl kommt
und ich hier nicht mehr reden kann, möchte ich mich bei
Ihnen allen und ganz besonders bei Ihnen, Frau Präsidentin, ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit bedanken.
Danke schön.
({3})
Das mag ich nicht unerwidert lassen, lieber Herr
Rübenkönig. Auch ich möchte mich bei Ihnen für Ihre
Arbeit bedanken. Sie haben gesagt, alles steht unter dem
Wenn, das wir alle morgen vor uns haben. Von Ihnen
weiß ich allerdings, dass Sie an einen schönen Ort zurückkehren: Kassel und der Bergpark warten auf Sie.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Fuchtel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung ist ein wenig verschoben worden. Deswegen
sind die Mitglieder der Haushaltsgruppe gerade bei der
Frau Vorsitzenden und bereiten sich auf
({0})
die Haushaltspolitik vor. Insoweit bitte ich um Verständnis, dass sie hier nicht anwesend sein können.
Das erste Wort bei der Entlastungsdebatte gehört natürlich dem Bundesrechnungshof. Wir schließen uns
dem Dank, der durch den Vorsitzenden des Rechnungsprüfungsausschusses ausgesprochen wurde, an. Der
Bundesrechnungshof gehört sicher zu den Institutionen,
um die wir im internationalen Rahmen nach wie vor beneidet werden.
({1})
Der Umgang unter Demokraten gebietet es, Gerd
Rübenkönig mit Respekt und Anerkennung für die faire,
menschlich immer sehr souveräne und gute Zusammenarbeit zu danken. Ich wünsche dir, lieber Gerd, alles
Gute für die Zukunft.
({2})
Da wir Schwaben Lob gern etwas verpacken, sage
ich: Gerd, es hätte statt deiner auch etwas Schlimmeres
kommen können.
Leider gilt dies nicht für den Bundeshaushalt. Um die
Bundesfinanzen ist es objektiv schlimm bestellt. In diesem Jahr fressen erstmals die Zuschüsse zu den sozialen
Sicherungssystemen, die Personalausgaben und die Zinsen mit insgesamt 188,6 Milliarden Euro die gesamten
Steuereinnahmen in Höhe von 187,2 Milliarden Euro
auf. Alles andere muss weitgehend auf Pump finanziert
werden. Das ist keine Haushaltsmisere, das ist eine
Haushaltskatastrophe.
({3})
Ich bin mir gar nicht so sicher, ob es die Öffentlichkeit wirklich vollständig wahrgenommen hat: Die Lage
ist noch schlechter als die Stimmung. Noch nie hat ein
Präsident des Bundesrechnungshofes öffentlich formulieren müssen - ich zitiere -:
Wir machen Schulden in Rekordhöhe, ohne finanzpolitische Spielräume zurückzugewinnen. Mit
38 Milliarden Euro an Zinsausgaben ist der Bundeshaushalt längst in die Schuldenfalle geraten.
Demjenigen, dem das nicht genügt, möchte ich noch
ein Zitat aus dem „Spiegel“ vorhalten. Dort hat es unlängst von einem Parteifreund der SPD geheißen, dass
ihm sogar schwindelig werde, wenn er an den Haushalt
denke, der hier praktiziert werde. Es ist fast nicht auszudenken, Herr Staatssekretär, wenn zum Beispiel die
Zinslast durch eine Zinserhöhung noch einmal belastet
würde. Bereits im Jahr 2003 hätte eine Zinserhöhung um
1 Prozent zur Folge gehabt, dass wir 8 Milliarden Euro
mehr hätten schultern müssen. In der Zwischenzeit ist
die Lage noch schlechter geworden. Ein halbes Prozent
würde ausreichen, um den gesamten Titel für den Bundesfernstraßenbau auf null zurückzuführen. So dramatisch ist die Situation.
Heute wurden sie zwar nicht erwähnt, aber oftmals ist
das der Fall. Deshalb sage ich: Hören Sie auf mit den
Storys über Vorbelastungen, wie sie der Staatssekretär
Diller gern erzählt! Die Vorbelastungen kannten Sie vorher. Trotzdem haben Sie dem deutschen Volk versprochen, die Nettoneuverschuldung bis zum Jahre 2006 auf
null zu senken. Von dieser Politik ist nichts übrig geblieben.
Meine Damen und Herren, auch Subventionsabbau
ist ein Wort, von dem heute nichts zu hören war. Vielleicht hat der Kollege versucht, mit sehr guter Stimmung
durch diese Veranstaltung zu kommen. Aber dazu muss
ich noch etwas sagen: Es heißt immer, Sie hätten aufgrund unserer Blockade im Bundesrat nicht handeln
können. Dazu möchte ich feststellen: Rot-Grün selbst
zeichnet verantwortlich für den größten Subventionsaufbau in der jüngeren Geschichte unseres Landes. Ganz
nebenbei hat der Bundeskanzler auf einer Veranstaltung,
dem so genannten Steinkohlentag, versprochen, die
Kohlehilfe noch einmal um 17 Milliarden Euro zu erhöhen und sie bis 2012 fortzuführen. Das belastet uns zusätzlich.
({4})
Eines ist klar: Im Vermittlungsausschuss haben wir in
den Jahren 2003 und 2004 sehr viele Ihrer Entscheidungen mitgetragen. Mehr als zwei Drittel aller vorgesehenen Maßnahmen haben wir als Opposition unterstützt.
Das mittelfristige Einsparvolumen betrug 16,5 Milliarden Euro. Davon haben wir immerhin Maßnahmen in
Höhe von mehr als 10 Milliarden Euro mitgetragen. Eine
solche Opposition hätten wir uns von 1996 bis 1998 gewünscht.
({5})
Aber damals war es ganz anders.
Eines ist allerdings auch zutreffend: Wir waren angesichts der derzeitigen Lage nicht bereit, die Eigenheimzulage zu opfern, und zwar aus zwei Gründen: Erstens
ist sie für Familien nach wie vor etwas Gutes. Zweitens
wäre es angesichts Ihrer Haushaltspolitik, die wie ein
Fass ohne Boden erscheint, der falsche Weg gewesen,
dem guten Geld noch weiteres hinterher zu werfen.
({6})
Dafür lassen wir uns vorläufig auch gerne von Ihnen beschimpfen. Die junge Generation wird uns allerdings
danken, dass wir in diesem Punkt beharrlich geblieben
sind.
({7})
Ob nun 10 oder 16 Milliarden Euro eingespart werden,
darauf kommt es angesichts eines strukturellen Defizits
von 60 Milliarden Euro jährlich nicht mehr an.
Auf der einen Seite ist überall dort, wo es haushaltspolitisch wehtut - bei der Rente, dem Arbeitsmarkt und
den Zinsausgaben -, Aufwuchs zu verzeichnen. Das
möchte ich gar nicht im Einzelnen vortragen; denn das
kann man überall nachlesen. Dann wird man sehen:
Überall dort, wo es wehtut, bestehen strukturelle Defizite, die sich weiter vergrößern, ohne dass sich diese
Schere schließt. Das ist unser Problem.
Auf der anderen Seite brechen auf der Einnahmebzw. der Investitionsseite, wo es uns auch wehtut, die
Steuereinnahmen und die investiven Ausgaben weg. Angesichts solcher Zahlen müssten Sie von Rot-Grün eigentlich blass werden. Von wegen Nachhaltigkeit!
({8})
Nach uns die Sintflut, das ist Ihr haushaltspolitisches
Motto.
({9})
Hören Sie mit Ihren Ablenkungsstorys auf. Wer
Typen wie Richard Kimble von der Saar zum Bundesfinanzminister beruft,
({10})
wer mit einer Politik der ruhigen Hand auf besseres
Wetter wartet, statt zu handeln, und wer Versprechungen
macht statt Strukturreformen durchzuführen, der
schleicht auch im Ernstfall nur um den Schuldenberg herum wie die Katze um den heißen Brei. So muss man das
sehen. Das ist die Wahrheit.
Jetzt ist strukturelles Handeln gefragt. Die Schuldenspirale muss gestoppt werden.
({11})
Die Nachtragshaushalte müssen frühzeitig vorgelegt und
zur Korrektur eingesetzt werden. Das ist die Antwort der
Opposition auf die Haushaltskatastrophe von Rot-Grün.
Lieber Herr Diller, Sie wollen heute ernsthaft eine
Entlastung für 2003 und legen den Abschluss 2004 zur
Beratung vor. Die CDU/CSU konnte Sie schon 2002
nicht entlasten. Mein Kollege Konrad Fromme hat damals überzeugende Gründe dafür vorgetragen, vor allem
die Verfassungswidrigkeit des Haushalts 2002. Sie haben 2003 nichts, aber auch gar nichts dazu gelernt; denn
dieser Haushalt ist wieder verfassungswidrig. Wenn man
sich anschaut, was Sie tun, um den Haushalt auszugleichen, dann stellt man fest, dass Ihr Vorgehen mit der
Verschleuderung von Bundesvermögen einhergeht. Das
können wir nicht akzeptieren. Vor allem können wir
nicht akzeptieren,
({12})
dass 2003, als man in einem frühen Stadium gesehen hat,
dass der Haushalt aus dem Ruder läuft, nicht zu den
klassischen Instrumenten der Haushaltspolitik gegriffen
wurde, nämlich der Haushaltssperre und dem Nachtragshaushalt.
({13})
Das haben Sie versäumt.
({14})
Hier haben Sie fachlich versagt.
({15})
Minister Eichel kommt einem deswegen nicht wie ein
Steuermann auf der Haushaltsbrücke vor, sondern wie
ein Buchhalter, der sich hinter dem Schreibtisch verkrochen hat. Das ist Versagen in höchster Potenz; anders
kann man das gar nicht nennen. Dafür tragen Sie die
Verantwortung. Nun haben Sie wiederum einen verfassungswidrigen Haushalt fabriziert; schlimmer geht es
gar nicht.
({16})
- Richtig, wenn man es viermal tut, sollte man langsam
merken, Herr Kollege, dass es so ist. Wir haben deswegen das Bundesverfassungsgericht bemühen müssen.
Wir von der Union reichen Ihnen für ein solch miserables Verfassungsverständnis nicht die Hand. Deswegen
werden wir die Entlastung ablehnen.
Sie versuchen mit Tricks, mit Restkreditermächtigungen, die Sie aufgetürmt haben, über die Runden zu kommen. Formal ist das korrekt, aber letztlich haben Sie mit
dieser Politik der Unsolidität Vorschub geleistet. So
nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün!
Wir haben eine miserable finanzwirtschaftliche Entwicklung. Wir haben viele noch nicht genannte Probleme in Europa, die sehr viele Risiken darstellen und
über die in Deutschland gar nicht gesprochen wird. Wir
haben hier erleben müssen, wie das Tafelsilber Stück für
Stück verscherbelt wird. Insgesamt sind in den letzten
Jahren - das sage ich einmal pauschal - Anteilsveräußerungen, Forderungsverkäufe und Aktienplatzierungen
mit einem Volumen von 42,2 Milliarden Euro vorgenommen worden. Und mit wem haben Sie das Geschäft
gemacht? Ganz überwiegend mit Investitionsbanken und
Beteiligungsgesellschaften, die Sie ansonsten „Heuschrecken“ zu nennen pflegen.
({17})
Das ist Glaubwürdigkeit à la Rot-Grün. Das ist Glaubwürdigkeit à la Schröder, à la Müntefering, à la Fischer,
aber das ist keine richtige Glaubwürdigkeit.
Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal in die Verlegenheit komme, zum Schluss einer Rede auf den „Spiegel“
zu verweisen und mich mit ihm in Übereinstimmung zu
befinden.
({18})
Sie hätten heute allen Grund, der Regierung durch
Nichtzustimmung zu ihrer Entlastung das Misstrauen
auszusprechen. Entweder tun Sie es auch heute oder Sie
lassen es morgen bleiben. Ansonsten verfahren Sie nach
dem Motto „Business as usual“ und vollführen morgen
die Sondernummer. Das ist Glaubwürdigkeit à la RotGrün; das ist nicht unsere Politik. Das tut dem Staat
nicht gut. Wer mehr darüber lesen will, kann das gerne
tun: im „Spiegel“, Ausgabe 26, Seite 22 f. Was dort
steht, ist zutreffend; dem ist nichts hinzuzufügen.
In diesem Sinne können wir Ihnen keine Entlastung
zusichern. Wir bitten dafür um Verständnis; denn wir
wollen eine bessere Haushaltspolitik machen.
({19})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Franziska
Eichstädt-Bohlig.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Als Erstes möchte auch ich mich ganz herzlich beim Rechnungshof für seine Bemerkungen bedanken. Ich fand es sehr korrekt, dass der Kollege
Rübenkönig diese Arbeit auch selbstkritisch bewertet
hat. Ich glaube, es ist sehr wichtig, die Dinge hier nicht
schönzureden, sondern ehrlich darzustellen, welche Probleme wir haben. Ich wünsche dem Kollegen
Rübenkönig alles Gute für den weiteren Weg. Ich bin
ganz sicher, dass es auch außerhalb des Parlaments ein
gutes Leben gibt, auch ein politisches.
({0})
Als Zweites möchte ich ein Stück weit auf den Kollegen Fuchtel eingehen. Zunächst habe ich gedacht, dass
wir es endlich schaffen, hier eine Debatte so zu führen,
wie ich es mir schon für die letzten Jahre gewünscht
habe. Ich dachte, der ewige Schlagabtausch - ihr seid die
Bösen, die alles falsch machen, und wir sind die Guten,
die die Patentrezepte haben und wissen, wie alles besser
gemacht wird - sei jetzt vorbei.
({1})
Ich glaube, dieser Schlagabtausch ist sowohl angesichts
der gegenwärtigen Haushaltslage als auch angesichts der
geschichtlichen Entwicklung der Verschuldung nicht angemessen.
Ich werbe dafür, dass wir endlich alle so ehrlich sind
- genau das war die Qualität des Beitrags des Kollegen
Rübenkönig -, zu sagen, dass wir alle für die Entwicklung der Haushaltslage mit verantwortlich sind und dass
sich dieses Problem über Jahre entwickelt hat.
({2})
Seit den 70er-Jahren hatten wir keinen Haushalt ohne
Neuverschuldung mehr. Der Schuldenberg ist immer
weiter angewachsen, besonders dramatisch nach der
deutschen Wiedervereinigung. Das sage ich nicht mit einer Schuldzuweisung, sondern das ist ein objektives Problem. Insofern appelliere ich an uns alle, endlich mit diesem Schlagabtausch und diesem Pingpongspiel
aufzuhören und unsere gemeinsame Verantwortung hier
- wer auch immer wann wie regiert - und auf der Ebene
des Bundesrats ernst zu nehmen.
Zurzeit wird viel an Rot-Grün kritisiert. Die Kritik
geht in die Richtung, dass dem Bürger zu viel weggenommen worden sei. Sie muss aber auch in die andere
Richtung gehen, nämlich dass viele Reformen nicht weit
genug gegriffen haben. Insofern müssen wir uns aufseiten der Koalition dieser Debatte stellen. Auf der anderen
Seite können Sie sich aber nicht der Tatsache entziehen,
dass gerade die Opposition und der Bundesrat permanent
den Lafontaine gemacht haben, indem sie ganz wichtige
Entscheidungen, die wir hier getroffen haben, blockiert
haben.
({3})
Ich nenne die Eigenheimzulage, das Steuervergünstigungsabbaugesetz usw. Ihr Problem ist, dass Sie bis zur
Stunde blockiert haben und jetzt zum ersten Mal ins
Grübeln kommen, ob Sie weiter blockieren sollen, da Sie
vielleicht sogar selbst regieren wollen.
Ich nenne noch ein aktuelles Beispiel für diese Blockade, nämlich das Versorgungsnachhaltigkeitsgesetz, bei dem es darum geht, die Beamtenpensionen anzupassen. Was macht der Bundesrat? Er blockiert wieder
erst einmal, obwohl er ganz genau weiß, dass die Pensionslasten nicht so sehr den Bund, sondern die Länder
und Kommunen drücken und dass wir auch diese Maßnahmen ergreifen müssen, um unsere Haushalte auf der
Ebene von Bund, Ländern und Kommunen Schritt für
Schritt wieder in Ordnung zu bringen.
({4})
Deswegen sage ich ganz klar: Erstens. Es muss endlich zu einem konsequenten Abbau aller überflüssigen
und zukunftsschädlichen Subventionen kommen.
({5})
Was Sie eben zur Eigenheimzulage gesagt haben, Kollege Fuchtel, war wirklich scheinheilig.
Zweitens. In Richtung der FDP sage ich - der Kollege
Merz hat seinen „Bierdeckel“ mittlerweile hoffentlich in
den Mülleimer geschmissen -: Versprechen Sie nicht
weitere Steuersenkungen! Steuervereinfachungen sind
in Ordnung, sie müssen aber solide gegenfinanziert werden. Alles andere ist Betrug am Wähler und am Bürger
und trägt nicht zur Lösung des Verschuldungsproblems
bei.
({6})
In Richtung der PDS und der neuen SED möchte ich
sagen:
({7})
Machen Sie keine falschen Versprechungen, die Sie
nicht einhalten können, indem Sie sagen, man könne den
Reichen praktisch unendlich viel wegnehmen und es den
Armen geben.
({8})
Das sind falsche Versprechungen; solche Versprechungen kann man nicht machen.
({9})
Wir wissen es. In den 90er-Jahren hatten wir ja die Vermögensteuer. Das Geld, das dadurch hereinkommt, löst
die Probleme, die wir haben, nicht.
({10})
In diesem Zusammenhang nenne ich auch die Erhöhung der Erbschaftsteuer. Meinetwegen sollen die Länder das in die Hand nehmen, auch eine Erhöhung der
Grundsteuer. Wer aber verspricht, dass man mit diesen
Steuern, die insgesamt - wenn es hoch kommt; ich
glaube aber nicht daran - vielleicht ein Volumen von
5 Milliarden Euro umfassen, das strukturelle Defizit auf
den Ebenen Bund, Länder und Kommunen allein aus
2004 in Höhe von insgesamt 80 Milliarden ausgleichen
kann, der lügt sich und dem Bürger etwas in die Tasche.
Das dürfen wir alle gemeinsam nicht machen.
({11})
Von daher möchte ich noch eine letzte Bitte aussprechen. Ich unterstütze die Forderung, dass wir eine Kreditbegrenzung brauchen. Wir müssen aber auch anders
an die Haushaltsaufstellung herangehen. Die Haushalte
auf Basis von Wachstumsprognosen und Prognosen über
die Steuereinnahmen aufzustellen, halte ich für strukturell falsch. Es muss auf solide Zahlen zurückgegriffen
werden, das heißt Zahlen, die einen Durchschnitt aus den
vergangenen Jahren bilden und nicht auf Kaffeesatzleserei beruhen, wie es offenbar seit Jahr und Tag Methode
ist. Auch da gibt es viel zu tun.
In diesem Sinne wünsche ich mir, dass nicht ständig
Streit um die Haushalte geführt wird, sondern dass hier,
wie auch immer die Konstellationen sind, alle Parlamentarier konstruktiv zusammenarbeiten. Ich hätte mir gewünscht, dies wäre noch in dieser Legislaturperiode
möglich gewesen. Das wird nun leider nicht der Fall
sein. Ich wünsche mir, dass dies in der nächsten Legislaturperiode konstruktiver angegangen wird, und zwar
ohne gegenseitige Barrieren und Blockaden.
({12})
Auch Ihnen, liebe Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig,
möchte ich für den Fall der Fälle im Namen des ganzen
Hauses einen Vorratsdank für Ihre Arbeit aussprechen
und alles Gute wünschen.
({0})
- Der Applaus war einstimmig.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jürgen Koppelin.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will es kurz machen. Ich hoffe, in drei Minuten meinen Beitrag beendet zu haben, damit wir danach sofort
zur Abstimmung kommen können.
Wir sprechen über die Entlastung der Bundesregierung und natürlich auch über das Thema Nachtragshaushalte.
Ich will mit dem beginnen, was die Kollegin
Eichstädt-Bohlig gesagt hat. Den letzten Teil ihrer Rede
kann ich voll unterstützen: Wir sollten auch in der Zukunft, wer auch immer wo auf welchen Stühlen sitzt, zusammenarbeiten. Was ich allerdings nicht akzeptieren
kann, liebe Kollegin, ist, dass Sie immer mit Blick auf
die FDP erklären, das, was wir im Zusammenhang mit
der Steuerreform vorgeschlagen haben, sei unsolide. Ich
bin gerne bereit, mich mit Ihnen zusammenzusetzen und
Ihnen noch einmal alles zu erklären. Sie sind uns die
Antwort schuldig geblieben - Sie hatten im Haushaltsausschuss Gelegenheit, darauf zu antworten -, warum
Sie alle Anträge der FDP zu diesem Haushaltsjahr - Sie
kennen die Zahl; es waren 437 ({0})
mit einem Einsparvolumen von 12,7 Milliarden Euro abgelehnt haben.
({1})
Sie haben hier um Zusammenarbeit gebeten. Ich frage
mich: Wo war denn Ihr Angebot zur Zusammenarbeit?
Da Sie wissen, dass die Stimmen von FDP und Union im
Bundesrat in der Mehrheit sind, müssen Sie auf diese
Parteien zugehen, um beim Haushalt zusammenzuarbeiten.
({2})
Dazu waren Sie nicht in der Lage.
Der Bundesminister der Finanzen hat einen Bericht
zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen herausgegeben. Darin stehen unglaublich viele Wahrheiten.
Das Traurige ist, dass Sie sich nicht danach richten. Ein
Beispiel - Zitat -:
Konsolidierung bedeutet in der Regel, gegen den
Widerstand organisierter Gruppeninteressen und
Besitzstandswahrer angehen zu müssen.
({3})
Dazu waren Sie niemals in der Lage. Das ist das Problem.
({4})
Herr Kollege Koppelin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, natürlich.
Herr Kollege Koppelin, wir sind ja beide Mitglied des
Haushaltsausschusses. Sie haben erklärt, dass Sie bereit
gewesen wären, in großem Umfang Einsparungen mitzutragen. Wissen Sie, dass insbesondere in den vergangenen Jahren das bereinigte Ausgabenwachstum im
Schnitt bei nur 1 Prozent lag? Das heißt, wir haben wirklich massiv gespart. Wir hatten eine Steigerung des Gesamtplafonds unterhalb der Inflationsgrenze. Unser Problem war, dass uns die Steuereinnahmen weggebrochen
sind.
({0})
Herr Kollege Koppelin, stimmen Sie mit mir überein,
dass gerade die Maßnahmen, die 2003 unter dem Begriff
Steuervergünstigungsabbaugesetz
({1})
zusammengefasst wurden, mit einem Volumen von
25,7 Milliarden Euro für die öffentlichen Haushalte - ein
sehr großer Brocken dieser Einnahmen war für den Bundeshaushalt vorgesehen; ich nenne hier nur exemplarisch
die Einnahmen aus dem Wegfall der Eigenheimzulage -,
({2})
im Bundesrat von den Regierungen der Länder, an denen
Sie noch beteiligt sind, blockiert wurden?
({3})
Lieber Herr Carsten Schneider! Erstens. Ich merke
den großen Einfluss, den du in deiner Fraktion hast. Als
du deine Frage gestellt hast, sind auf einmal alle ruhig
geworden.
({0})
Dafür bin ich schon einmal sehr dankbar.
Zweitens. Normalerweise bin ich auch für Zwischenfragen dankbar, weil sie meine Redezeit verlängern.
Aber nun merke ich, dass sich eure Geschäftsführerin
bemüht, ihre Truppen zusammenzutrommeln.
({1})
Ich habe zum Schluss meiner Rede noch einen Tipp.
Kollege Tauss kann sich wieder beruhigen.
({2})
Kommen wir jetzt zu den Steuermindereinnahmen.
({3})
Es ist tatsächlich so, wie der Kollege Schneider gesagt
hat. Aber wer trägt dafür die Verantwortung? Es ist eure
Gesetzgebung. Ihr habt regiert. Steuermindereinnahmen
gab es, weil ihr die Wirtschaft und speziell den Mittelstand drangsaliert habt.
({4})
Ihr wolltet die Milchkuh schlachten, statt sie zu füttern.
Das ist doch das Problem gewesen.
({5})
Ich glaube, eure Politik - darüber werden wir morgen
abstimmen - ist das Ergebnis dieser Haushalte gewesen.
Ich will nicht verkennen, dass auch wir Verantwortung für den hohen Schuldenstand hatten.
({6})
Aber Hans Eichel hat einmal ganz anders angefangen.
({7})
- Frau Präsidentin, könnten Sie für etwas Ruhe bei den
Krakeelern sorgen? Ich komme sonst mit meiner Redezeit nicht hin.
Es ist immer so lebhaft, wenn so viele Abgeordnete
im Hause sind.
Ich will ein Beispiel eurer soliden Haushaltspolitik
nennen.
({0})
Das sage ich auch in Richtung der Grünen. Da werden
unsere Forderungen gegenüber Russland in Höhe von
7,35 Milliarden Euro - das war der Bestand ({1})
mal eben für 4,9 Milliarden Euro verkauft. Wer zahlt
wohl die Differenz? Der Steuerzahler. Das ist eure solide
Haushaltspolitik gewesen!
({2})
Außerdem schaltet die Bundesregierung teure Anzeigen,
jetzt, da jeder weiß, dass der Wahlkampf begonnen hat. Sie haben den Haushalt gegen die Wand gefahren und
morgen wollen Sie Fahrerflucht begehen. Das ist die
Lage.
({3})
Nun komme ich - das sage ich auch in Richtung der
Geschäftsführerin der SPD - zu dem versprochenen
Tipp: Ich habe in den Medien gelesen, dass Franz
Müntefering an die SPD appelliert hat, sich morgen bei
der Vertrauensfrage des Bundeskanzlers zu enthalten.
Sie könnten sich jetzt schon beim Finanzminister enthalten. Der hat es genauso verdient.
Herzlichen Dank.
({4})
Vielen Dank. - Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses auf der Drucksache 15/5781 zu dem
Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zur Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2003
und zu den Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
2004, Drucksachen 15/2884 und 15/4200. Wer stimmt
für Nr. 1 der Beschlussempfehlung, „Erteilung der Entlastung für das Haushaltsjahr 2003“? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen
worden.
Wer stimmt für Nr. 2 der Beschlussempfehlung, „Bemerkungen des Bundesrechnungshofs und die darin enthaltenen Aufforderungen an die Bundesregierung“? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Nr. 2 der Beschlussempfehlung ist einstimmig mit den Stimmen der vielen
anwesenden Abgeordneten angenommen worden.
({0})
- Biblisch heißt das: Herr, halt ein mit deinem Segen! -
Wir sind aber in der Abstimmung.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/5206 an den Haushaltsausschuss vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Haus-
haltsauschusses auf Drucksache 15/5746. Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh-
lung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/
CSU auf Drucksache 15/5331 mit dem Titel „Verschul-
dungsspirale stoppen - Nachtragshaushalt und Haus-
haltssicherungsgesetz umgehend vorlegen“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und
FDP.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf
Drucksache 15/5477 mit dem Titel „Prekärer Haushalts-
lage entgegentreten - Nachtragshaushalt und Haushalts-
sicherungsgesetz vorlegen“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen?
- Enthaltungen? - Diese Beschlussempfehlung ist eben-
falls angenommen mit den Stimmen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/
CSU und FDP.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin
Kortmann, Detlef Dzembritzki, Gabriele
Groneberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Thilo
Hoppe, Volker Beck ({1}), Alexander Bonde,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Millenniumsentwicklungsziele der Vereinten
Nationen bis 2015 beschleunigt verwirkli-
chen - Den deutschen Beitrag zur Zielerrei-
chung entschieden verstärken
- Drucksache 15/5831 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Christian Ruck, Dr. Ralf Brauksiepe, Hartwig
Fischer ({2}), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Vor dem G-8-Gipfel in Gleneagles und der
VN-Generalversammlung zu den Millenniums-
zielen - Millenniumsentwicklungsziele realis-
tisch umsetzen
- Drucksache 15/5579 -
c) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Dr. Conny Mayer ({3}), Dr. Christian Ruck,
Dr. Friedbert Pflüger, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Effektivität und Effizienz der Entwicklungszusammenarbeit der Vereinten Nationen
- Drucksache 15/4917 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist auch so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
die Frau Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Jahr 2005 ist
das Jahr der Entwicklungspolitik. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, all denjenigen in der Zivilgesellschaft zu
danken, die sich gemeinsam gegen globale Armut und
Ungerechtigkeit engagieren. Das gilt für die Initiative
„Deine Stimme gegen Armut“ wie auch für die Künstlerinnen und Künstler, die am Samstag mit dem großen
Live-8-Konzert in Berlin, aber auch weltweit ihre
Stimme erheben. Das gilt auch für das Engagement der
Kirchen. Sie alle zeigen, dass es eine Globalisierung der
Mitmenschlichkeit gibt. Das ist ein wunderbares Zeichen.
({0})
Bisher wird dieses Jahr 2005 seinen Herausforderungen gerecht. Die EU hat maßgeblich auch durch unseren
Einfluss den Stufenplan zur Steigerung der Mittel für die
Entwicklungszusammenarbeit auf 0,7 Prozent bis 2015
verabschiedet und die G-7-Finanzminister haben sich
darauf geeinigt, den ärmsten Entwicklungsländern ihre
multilateralen Schulden zu 100 Prozent zu erlassen und
bilateral dafür einzustehen. Damit haben wir bewiesen,
dass wir unsere Versprechen halten. Mit diesen Entscheidungen können wir dazu beitragen, dass Millionen von
Menschenleben gerettet werden und Millionen von Kindern eine Zukunft und Perspektiven haben. Das ist ein
wunderbares Ergebnis der Arbeit.
({1})
Diese strukturell und langfristig prägenden Entscheidungen waren nur möglich, weil Deutschland in der Entwicklungszusammenarbeit Führungsstärke gezeigt hat.
Das wiederum war nur möglich, weil wir konsequent
eine eigenständige Entwicklungspolitik verfolgen.
({2})
Wir haben die Instrumente der deutschen Entwicklungszusammenarbeit reformiert und ihr Profil geschärft. Wir
haben gleichzeitig den Einfluss in multilateralen Institutionen genutzt, um weltweit moderne Entwicklungspolitik und globale Strukturpolitik durchzusetzen. Ich
möchte an dieser Stelle beispielhaft 15 Bereiche nennen,
in denen durchgreifende Erfolge erzielt worden sind, die
es weiterzuentwickeln gilt.
Erstens ist der Stufenplan zur Steigerung der Official
Development Assistance auf 0,33 Prozent zum Jahr
2006, auf 0,51 Prozent zum Jahr 2010 und auf 0,7 Prozent für das Jahr 2015 zu nennen. Dabei handelt es sich
um eine der wichtigsten Strukturentscheidungen, die in
den vergangenen Jahrzehnten in der Entwicklungszusammenarbeit gefällt worden sind. Denn als diese Steigerung in den 70er-Jahren beschlossen worden ist,
wurde kein Zeitziel gesetzt. Jetzt haben wir ein Zeitziel,
das wir auch gemeinsam erreichen werden.
({3})
Das ist eine der wichtigsten Entscheidungen.
Zweitens haben wir die Entschuldung vorangebracht. Wir haben zunächst den im Jahr 1999 beschlossenen Schuldenerlass umgesetzt und ihn jetzt durch den
multilateralen Schuldenerlass ergänzt. Dies bedeutet,
dass die betroffenen Länder in den Jahren zwischen
1999 und 2004 ihre Ausgaben für Gesundheit und Bildung auf 8 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts steigern
konnten. Auch dies ist ein Erfolg.
({4})
Drittens haben wir die Politik der Weltbank verändert und dazu beigetragen, dass sie sich von den unsäglichen Strukturanpassungsprogrammen verabschiedet hat.
Wir haben sie auf die Einhaltung der Kernarbeitsnormen, auf die Bekämpfung von HIV/Aids und auf die
Förderung erneuerbarer Energien verpflichtet. Ein Erfolg, den wir fortsetzen wollen!
({5})
Viertens. Wir haben wichtige Schritte - ich nenne nur
die Initiative zur Beendigung der EU-Baumwollsubvention - in Richtung auf gerechtere Gestaltung der
Globalisierung vorangebracht. Dies werden wir bei der
Doha-Entwicklungsrunde auch in anderen Bereichen
einlösen, zum Beispiel durch die Beendigung der Agrarexportsubventionen, die einen unfairen Wettbewerb gegenüber den Entwicklungsländer bedeuten.
({6})
Fünftens haben wir Afrika zu unserem besonderen
Schwerpunkt gemacht. Wir fördern Afrika zurzeit bilateral und multilateral mit circa einem Drittel unserer gesamten Mittel. Wir setzen auf Friedenssicherung, auf
Stärkung der afrikanischen Eigenverantwortung im Rahmen von NEPAD, auf Armutsbekämpfung, auf Wasserversorgung und auf HIV/Aids-Bekämpfung.
Wenn ich darf, liebe Kolleginnen und Kollegen,
komme ich an dieser Stelle auf die Regierung in Simbabwe und den Diktator Mugabe zu sprechen.
({7})
Sie brechen seit vielen Jahren die Menschenrechte. Es ist
völlig unerträglich, wie die simbabwische Regierung
nun auch noch den Ärmsten der Armen im eigenen
Lande die Lebensgrundlage raubt.
({8})
Die Afrikanische Union und die afrikanischen Nachbarn
dürfen dies nicht länger hinnehmen. Ihnen kommt die
entscheidende Rolle bei der Einflussnahme auf dieses
Land und seine Regierung zu.
In diesem Zusammenhang noch eine wichtige Information: Wir haben seit Jahren die Entwicklungszusammenarbeit mit diesem Land eingestellt und fördern nur
noch Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen und
kirchliche Einrichtungen.
({9})
Sechstens. Wir haben die Versöhnung mit Namibia
vorangebracht. Diese Bundesregierung hatte den Mut,
für die Gräueltaten der deutschen Kolonialherren um
Vergebung zu bitten. Nun können wir gemeinsam den
Weg der Aussöhnung beschreiten; diesen Weg wollen
und werden wir fortsetzen.
({10})
Siebtens. Wir haben den Kampf gegen HIV/Aids zur
Priorität gemacht und die Mittel von vorgefundenen
20 Millionen Euro auf 300 Millionen Euro aufgestockt.
Wir haben achtens den Kampf gegen die weibliche
Genitalverstümmelung zu einer wichtigen Aufgabe unserer Zusammenarbeit gemacht. Sie können sich vorstellen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie bewegend es
war, dass wir in einem Land wie Benin erreicht haben,
dass nicht nur ein Gesetz gegen die Genitalverstümmelung verabschiedet wurde, sondern mittlerweile auch all
die, die diese Praktiken dort betrieben hatten, ihnen abgeschworen haben. Dies ist ein wunderbarer Erfolg für
Hunderttausende von Frauen. Auch dies wollen wir fortsetzen und weiterentwickeln.
({11})
Neuntens. Wir haben die erneuerbaren Energien und
eine Energiewende vorangebracht. Allein durch unsere
Entwicklungszusammenarbeit haben 41 Millionen Menschen in den Jahren 2003 und 2004 Zugang zu Strom erhalten. Dies ist konkrete Armutsbekämpfung.
({12})
Dagegen planen CDU und CSU, wie ich sagen muss, einen Rückfall in die veraltete und gefährliche Technologie der Atomkraft. Das sind Vorstellungen, die vielleicht
den Wünschen der Atomlobby entsprechen; sie sind aber
nicht vom Bewusstsein getragen, eine sichere und nachhaltige Energieversorgung zu gewährleisten.
({13})
Wir haben zehntens gezeigt - hier danke ich allen, die
sich daran beteiligt haben -, dass wir in schrecklichen
Situationen wie der Tsunami-Katastrophe schnell helfen können. Dank der internationalen Anstrengungen ist
es jedenfalls gelungen, dass nach der Flut keine Seuchen
weitere Menschenleben hinweggerafft haben. Es ist
wunderbar, wie sich die Bevölkerung beteiligt hat. Wir
werden diesen Wiederaufbau schon in diesem Jahr mit
125 Millionen Euro voranbringen und haben für die
nächsten Jahre insgesamt 500 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.
({14})
Elftens. In Afghanistan haben wir im Rahmen der
Entwicklungspolitik unseren Beitrag zur Friedenssicherung geleistet. Ich möchte darauf hinweisen, dass im gesamten Afghanistan weit über 100 000 Frauen und Kinder nachhaltig von Maßnahmen zur Gesundheit, zur
Alphabetisierung, zur Ernährung und zur Schaffung von
Einkommensmöglichkeiten profitieren. Das ist ein wunderbarer Erfolg für die Menschen in diesem Land. Wir
sind froh, dass wir ihn mit voranbringen können.
({15})
Zwölftens. Wir haben langfristige Aufgaben - manchen sind sie vielleicht schon gar nicht mehr präsent zur Friedenssicherung in Südosteuropa. Wir leisten dort
einen Beitrag zur Stabilisierung der Region. Aufgabe der
deutschen Entwicklungszusammenarbeit ist die Unterstützung hin zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. An
dieser Aufgabe müssen wir weiter arbeiten.
Dreizehntens. Wir haben den zivilen Friedensdienst
als Gemeinschaftsaufgabe zwischen kirchlichen Friedensdiensten und der Entwicklungszusammenarbeit aufgebaut und werden ihn in Zukunft weiter ausweiten.
Wenn Menschen vor Ort dazu beitragen können, Konflikte und Krisen zu verhindern, aus denen sich sonst
große Krisen und Konflikte entwickeln könnten, ist das
eine wunderbare Leistung, für die ich danke.
({16})
Vierzehntens. Wir haben neue Partner gewonnen. Wir
haben die Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen als wichtige Partner verstärkt; das geht in der
öffentlichen Diskussion manchmal unter. Die Mittel für
die Unterstützung der wunderbaren Arbeit der Nichtregierungsorganisationen haben wir von 1998 bis heute
um 20 Prozent erhöht. Das ist eine Anerkennung der Arbeit dieser Nichtregierungsorganisationen, die aus unserer Sicht ein Partner bei der gerechten Gestaltung der
Globalisierung sind.
({17})
Fünfzehntens. Wir haben die Entwicklungszusammenarbeit mit der Wirtschaft begonnen. Für Public-Private-Partnership-Projekte wurden von 1999 bis 2004
insgesamt 8,2 Milliarden Euro aufgebracht. Zwei Drittel
dieser Gelder sind private Gelder, ein Drittel öffentliche.
Wir haben also mit 1 Euro öffentlicher Gelder 2 Euro
private Gelder mobilisiert. Ich bin dankbar für diese Initiativen, die wir ausweiten und fortsetzen werden.
({18})
Aus allem, was ich bisher gesagt habe, ergibt sich,
dass die Aufgaben weiter bestehen und die Arbeiten fortgesetzt werden müssen. Wir haben uns für dieses Jahr
und bei den langfristigen Aufgaben auch für die kommenden Jahre viel vorgenommen. Es geht darum,
Entwicklungspolitik aus einem Guss durch Reformen
bei den deutschen Institutionen weiter voranzubringen,
den Stufenplan für die Steigerung der Entwicklungszusammenarbeit praktisch umzusetzen, die Millenniumsentwicklungsziele zu erreichen, die Runde der Welthandelsorganisation zu einem konkreten Ergebnis für die
Entwicklungsländer zu führen, innovative Finanzierungsinstrumente voranzubringen, die Aidsbekämpfung
auszubauen und die Aussöhnung mit Namibia fortzusetzen.
({19})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass es
ganz viel zu tun gibt und dass die Probleme in der Welt,
gerade was die globale Armut anlangt, belastend sind.
Aber wir haben Erfolge erreicht. Wir konnten allerdings
nur deshalb so erfolgreich sein, weil wir die Entwicklungspolitik ernst nehmen. Das zeigt sich am glaubwürdigsten darin, dass das BMZ ein eigenständiges Ministerium ist. Darum werden wir weltweit beneidet.
({20})
Für uns ist klar: Entwicklungspolitik ist zu wichtig,
als dass sie den Interessen anderer untergeordnet werden
dürfte. Deshalb stehen wir für die Eigenständigkeit des
Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung. Das haben wir in unserem SPD-Manifest
auch deutlich verankert.
Wir werden gemeinsam die Aufgaben der globalen
Armutsbekämpfung, der gerechten Gestaltung der Globalisierung und der Friedenssicherung voranbringen. Ich
bedanke mich bei allen, die dabei mitgeholfen haben und
auch in Zukunft mithelfen wollen.
Danke sehr.
({21})
Das Wort hat nun der Kollege Arnold Vaatz, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, das hörte sich ja bereits sehr stark nach einer
Abschlussbilanz an.
({0})
Ich habe nicht die Absicht, Ihre lobenden Worte über
Ihre eigene Arbeit allzu sehr zu verwässern.
({1})
Ich möchte aber einen Punkt ansprechen, der meines Erachtens für die Zukunft der deutschen Entwicklungszusammenarbeit von überragender Bedeutung ist. Wir werden in der nächsten Zeit vor enorme Herausforderungen
gestellt sein. Allein das Erreichen der Millenniumsziele
fordert unserem Haushalt enorme Aufwendungen ab. Es
ist fraglich, ob die von Ihnen genannten 15 Punkte tatsächlich hinreichend sind, um gegenüber anderen politischen Disziplinen zu begründen, warum wir so viel Geld
für die Entwicklungszusammenarbeit und die Armutsbekämpfung brauchen. Das ist meines Erachtens eine
wichtige Frage.
({2})
Wir stehen unmittelbar vor dem G-8-Gipfel im schottischen Gleneagles. Tony Blair hat die Hilfe für Afrika
zu einem Kernziel erklärt, um dessen Erreichung er sich
während seines Doppelvorsitzes bei EU und G 8 besonders kümmern will. In Gleneagles soll ein erster Schritt
zur Entschuldung etlicher afrikanischer Staaten gegangen werden. Ich glaube, wir alle sind uns einig, dass wir
Afrika Unterstützung von außen zukommen lassen müssen; denn die durchschnittliche Lebenserwartung liegt
dort bei 46 Jahren und rund die Hälfte der Afrikaner lebt
in absoluter Armut.
Die von Tony Blair eingesetzte Kommission hat für
Afrika einen zusätzlichen jährlichen Bedarf in Höhe von
insgesamt 25 Milliarden US-Dollar ermittelt. Dabei
muss man wissen, dass die augenblicklichen jährlichen
Zuwendungen an Afrika ungefähr 25 Milliarden USDollar betragen. Wollte man also den zusätzlichen Bedarf decken, dann entspräche das einer Verdoppelung
der jährlichen Summe bis 2015. An diesem Punkt sollten
wir einen Moment innehalten und uns darüber klar werden, dass wir, wenn wir zunehmend größere Summen für
die Entwicklungszusammenarbeit fordern - das ist
durchaus berechtigt -, gleichzeitig erklären müssen, wie
wir die Effizienz und die Nachhaltigkeit der Entwicklungszusammenarbeit langfristig garantieren wollen.
Wenn wir das unterlassen, dann führen wir die Entwicklungszusammenarbeit in eine Legitimationskrise. Das
darf nicht geschehen; denn das schadet den Ärmsten der
Armen.
({3})
Wir müssen in Deutschland dafür sorgen, dass sich
beispielsweise ALG-II-Empfänger oder arbeitsunfähige
Sozialhilfeempfänger mit unserer Entwicklungszusammenarbeit identifizieren können, dass auch sie unsere
Politik als eigenes Anliegen betrachten. Das ist die
Schwierigkeit in der nächsten Zeit; denn wir haben augenblicklich ein strukturelles Staatsdefizit in Höhe von
50 Milliarden Euro. Angesichts dessen ist das, was bisher zur Begründung einer konsistenten Entwicklungszusammenarbeit angeführt worden ist, unzureichend.
({4})
Das beginnt im Übrigen bei einfachen Sachen; auch
darauf muss man einmal hinweisen. Die entwicklungspolitische Community hat sich eine Sprache angewöhnt,
die der Mann auf der Straße gelegentlich gar nicht mehr
versteht. Wir müssen von dieser blutleeren Designersprache unbedingt wegkommen und stattdessen mit den
Bürgern über die Möglichkeiten und die Grenzen von
Entwicklungszusammenarbeit wesentlich klarer und verständlicher reden. Auch in dieser Hinsicht haben wir
meines Erachtens Nachholbedarf.
Ich möchte noch einmal auf das Thema Afrika zu
sprechen kommen. Frau Wieczorek-Zeul, Sie sind darauf besonders eingegangen; unter anderem haben Sie
auf die Situation in Simbabwe hingewiesen. Ich möchte
etwas hinzufügen. Für die Entwicklungspolitik ist, was
Simbabwe angeht, eigentlich Folgendes am relevantesten: In dieses Land ist aus Deutschland seit 1980 nahezu
1 Milliarde Euro geflossen.
({5})
Wir müssen erleben, dass die dortige Regierung diese
Entwicklungshilfe
({6})
seit etwa fünf Jahren mutwillig und provokativ in den
Sand setzt. Nun stellt sich die Frage: Wie geht man damit um? Frau Wieczorek-Zeul, Sie haben gesagt: Unter
diesen Umständen beenden wir die Zusammenarbeit; wir
fordern eine Veränderung der politischen Rahmenbedingungen. Sie haben also die richtigen Schlussfolgerungen
gezogen.
Was ich allerdings nicht verstehe, Frau
Wieczorek-Zeul, ist, dass Sie gleichzeitig eine Studie in
Auftrag gegeben haben. Diese Studie ist im Ministerium
im Mai ergänzt worden. Den Tenor dieser Studie enthält
ein 50-seitiger Bericht mit dem Titel: „Exploration von
Möglichkeiten der Entwicklungspolitik zum Umgang
mit dem ‚difficult partner‘ Simbabwe“. Man kann im
Übrigen nicht mehr „schwieriger Partner“ sagen; es
muss „difficult“ heißen. Dieser Tenor besagt, dass es
keine ausformulierte entwicklungspolitische Strategie
gegenüber Simbabwe gibt. Diese Studie rät zu pragmatischen Ansätzen, zu einem graduellen Umsteuern des bisher verfolgten Kurses und zur Strategie des Wandels
durch Annäherung.
({7})
Dazu kann ich nur sagen: Das ist genau der falsche
Weg. Ich halte es für wichtig, die Kernfragen dieses Themas schnörkellos zur Sprache zu bringen. Das bedeutet
eben nicht Wandel durch Annäherung oder Kapitulation
vor Autokraten, sondern zum Beispiel, die Nachbarstaaten aufzufordern, nicht länger stillzuhalten und sich
nicht dem Verdacht auszusetzen,
({8})
am Ende auch in anderen Ländern für dieselben gefährlichen Verhältnisse wie die, die augenblicklich nur in Simbabwe zu beobachten sind, verantwortlich zu sein. Auch
in denjenigen Regionen, wo gleichermaßen instabile
Verhältnisse vorherrschen, kann jederzeit das passieren,
was in Simbabwe eingetreten ist - dort wurde 1 Milliarde Euro in den Sand gesetzt -, wenn die dortigen Regierungen erklären, dass sie das, was in Simbabwe passiert, für normal halten.
Herr Kollege!
Herr Präsident, es gibt eine positive Botschaft, die ich
gern noch loswerden möchte. Wir haben gestern erfahren, dass unser Parlamentskollege Roy Bennett - er war in
Simbabwe über eine längere Zeit eingesperrt; ich hatte vor
einiger Zeit Gelegenheit, seine Familie zu besuchen - vorgestern freigekommen ist. Er hat mich über einen
Freund, David Coltart, gebeten, allen, die mit ihm solidarisch gewesen sind, seinen herzlichen Dank auszurichten. Er hat die Haftzeit gesund überstanden. Er hat aber
30 Kilogramm Körpergewicht verloren. Er sagt, dass er
seine Zeit in Freiheit dafür nutzen wird, um sich für
Menschenrechte und Stabilität in seinem Land einzusetzen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Thilo Hoppe,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Vaatz, ich glaube, das war schon ein leichtes Zurückrudern hinsichtlich Positionen, die Sie hier bisher
immer vertreten haben, auch bezüglich der Finanzierung. Aber damit wollte ich eigentlich gar nicht anfangen.
Diesmal möchte ich die Rede ganz anders, nämlich
mit einem Fingerschnippen beginnen - alle drei Sekunden stirbt auf dieser Welt ein Kind an Unterernährung,
an verseuchtem Wasser oder an einer vermeidbaren
Krankheit. Kennen Sie diesen TV-Werbespot mit dem
dreimaligen Schnippen? Ich finde diesen Spot sehr gut,
sehr beeindruckend. Ich finde besonders gut, dass so unterschiedliche Menschen wie Herbert Grönemeyer,
Lukas Podolski, Claudia Schiffer und Bischof Huber
mitschnippen.
Übermorgen ist der erste White Band Day, Tag der
weißen Bänder.
({0})
Viele Handgelenke bekommen ein weißes Band; das
wird auch zumindest bei drei Fraktionen zu sehen sein.
Das Brandenburger Tor, die Gedächtniskirche und weitere berühmte Bauwerke überall in der Welt bekommen
ein großes weißes Band. Übermorgen gibt es rund um
den Globus Konzerte: Das geht von Pink Floyd in London, Deep Purple in Philadelphia,
({1})
bis zu Green Day und den Toten Hosen in Berlin. Mit
weißen Bändern, mit Postkarten, mit viel Musik: eine
weltweite Demonstration für größere Anstrengungen zur
Erreichung der Millenniumsziele.
Ich finde es sehr gut, dass es bei dem Live-Aid-Konzert diesmal nicht wie beim ersten Mal allein um das
Sammeln von Spenden geht. Unter dem Motto „Deine
Stimme gegen Armut“ wird weltweit - in Deutschland
von VENRO, dem Dachverband der NGOs in der Entwicklungsszene - zu einem entwicklungspolitischen
Dreiklang aufgerufen. Es geht erstens um mehr Mittel
für die Entwicklungszusammenarbeit, es geht zweitens
um Entschuldung, und zwar Entschuldung, die noch
über das hinausgeht, was bei der G-8-Finanzministerkonferenz beschlossen wurde, und es geht drittens
- ganz wichtig - um mehr Gerechtigkeit; damit sind Reformen gemeint, Reformen im Welthandel und vor allem
auch Reformen in den Entwicklungsländern selbst.
Wir Grüne begrüßen die Live-Aid-Konzerte. Wir begrüßen die Aktionen am White Band Day und schließen
uns ausdrücklich diesen drei politischen Forderungen an.
({2})
Dieser entwicklungspolitische Dreiklang - mehr Entwicklungszusammenarbeit, mehr Entschuldung und
mehr Gerechtigkeit durch umfassende Reformen durchzieht den Antrag, den wir gemeinsam mit der SPD
zur heutigen Sitzung vorgelegt haben und beschließen
werden.
Wir befinden uns, wie Kofi Annan sagt, in einem
Schicksalsjahr der Vereinten Nationen. Drei große wichtige Konferenzen stehen an: in wenigen Tagen der G-8Gipfel in Gleneagles, im September die Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen und Ende des Jahres die Welthandelskonferenz in Hongkong.
Es ist eine wirklich historische Herausforderung. Entweder es gelingt, auf dem Weg zur Erreichung der Millenniumsziele jetzt wirklich noch einmal alle Kräfte zu
mobilisieren, kräftig zuzulegen und beherzte Reformen
anzupacken, oder es gelingt nicht; dann erweist sich die
internationale Gemeinschaft als unfähig, die Zahl der
Hungernden und extrem Armen bis 2015 zu halbieren,
die Ausbreitung von Aids zu stoppen und die globale
Umweltzerstörung einzudämmen. Dann drohen Frust
und Enttäuschung in Wut umzuschlagen. Dann nehmen
die Spannungen weltweit zu und der Raubbau an der Natur führt zu einem Kampf um die knapper werdenden
Ressourcen.
Auch Kofi Annan hat in seinem Bericht den entwicklungspolitischen Dreiklang benannt, auf dem unser Antrag
aufbaut. Der Generalsekretär folgt in seinen Empfehlungen
der Einschätzung nahezu aller Entwicklungsexperten, nämlich dass die Mittel für die weltweite Entwicklungszusammenarbeit in relativ kurzer Zeit mindestens verdoppelt werden müssen, wenn die Millenniumsziele bis
2015 wirklich erreicht werden sollen, dass wir eine umfassende Entschuldung brauchen und dass es nicht zuletzt auf Reformen ankommt, und zwar auf Reformen,
die auf mehr Gerechtigkeit und Effizienz zielen - in der
Entwicklungszusammenarbeit, in den Entwicklungsländern selbst und im Welthandelssystem.
All das wird in unserem Antrag entfaltet und konkretisiert: Erhöhung der ODA-Quote auf 0,51 Prozent bis
2010 und auf 0,7 Prozent bis 2015. Dazu hat sich diese
Regierung verpflichtet. Mit der konkreten Erhöhung des
Etats im Einzelplan 23 und des Etats des Auswärtigen
Amtes - ich erinnere an die Debatte zum Haushalt 2005 gehen wir bereits in die richtige Richtung.
({3})
Der Stufenplan zur Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels
muss nun strikt eingehalten werden.
({4})
Wir sagen auch, woher das Geld kommen soll: Umschichtungen im Haushalt, Ausweitung des Gewährleistungsrahmens für KfW-Kredite, Subventionsabbau, besonders bei den Exportsubventionen im Agrarbereich,
({5})
und schließlich innovative Finanzierungsinstrumente;
Stichworte: Kerosinsteuer und Tobin Tax.
Wir bekennen uns zur Entschuldung des Südens, an
der kein Weg vorbeigeht, und wir stehen für Reformpartnerschaften mit den Entwicklungsländern, für einen Dialog auf gleicher Augenhöhe mit reformorientierten Partnern zum Beispiel im Rahmen der NEPAD-Initiative. Im
Rahmen unserer Entwicklungszusammenarbeit werden
afrikanische Staaten darin unterstützt, funktionierende
staatliche Institutionen aufzubauen, ein solidarisches, sozial gestaffeltes Steuersystem einzuführen und Landreformen durchzuführen. All das sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass zusätzlich zur Verfügung gestellte
Gelder für Entwicklungszusammenarbeit nicht verpuffen, sondern nachhaltig der Erreichung der Millenniumsziele dienen. Natürlich geht es auch um mehr Fairness
auf dem Weltmarkt.
Liebe Kollegen von der Opposition, ganz besonders
von der FDP, bitte konstruieren Sie hier nicht einen Widerspruch zwischen Quantität und Qualität! Wir brauchen wirklich beides: mehr Geld für die Entwicklungszusammenarbeit und Reformen, die zu mehr Effizienz in
der konkreten Entwicklungszusammenarbeit führen.
({6})
- Das brauchen wir gleichzeitig.
({7})
Wir dürfen nicht das eine gegen das andere ausspielen.
Wer bestreitet, dass mehr Geld für die Ärmsten notwendig ist, und gleichzeitig die Entschuldung für falsch und
überflüssig hält, der folgt einer „Geiz ist geil“-Logik.
Und das ist angesichts der enormen globalen Herausforderungen brandgefährlich. Eine „Geiz ist geil“-Politik
würde uns über kurz oder lang alle ärmer machen.
({8})
Was wir brauchen, ist Großzügigkeit und vor allem
ernsthaftes, konsequentes und beharrliches Streben nach
Gerechtigkeit. Dafür lassen Sie uns heute stimmen und
morgen demonstrieren und übermorgen auf den Konzerten vielleicht auch gemeinsam singen.
Danke schön.
({9})
Zu einer Kurzintervention erhält das Wort die Abgeordnete Wieczorek-Zeul.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will ausdrücklich noch einmal das betonen - Herr Vaatz sprach das ja
an -, was ich vorhin gesagt habe. Die Linie unseres Ministeriums ist, dazu beizutragen, dass keinerlei staatliche
Entwicklungszusammenarbeit gegenüber Simbabwe geleistet wird. Diese Haltung vertreten wir auch innerhalb
der Gebergemeinschaft.
Ich lege darauf Wert, dass es unsere Regierung gewesen ist, die seit Jahren die offizielle Entwicklungszusammenarbeit gegenüber Mugabe und Simbabwe gestoppt
hat.
({0})
Die Zahlen, die Sie genannt haben - es ist wichtig, das
noch einmal zu betonen -, beziehen sich jedenfalls
mehrheitlich auf Jahre, in denen CDU/CSU und FDP regierten.
Ich will auch darauf hinweisen, dass wir kirchliche
Initiativen, Nichtregierungsorganisationen und das ZurVerfügung-Stellen von Nahrungsmittelhilfen unterstützen. Diese Linie vertrete ich; diese Linie vertritt mein
Haus. Ich glaube, dass jeder - dabei ist es egal, welche
Positionen die CDU/CSU oder die FDP früher in diesen
Fragen vertraten - diese mit vertreten kann. In dieser
Frage sollten wir also gemeinsam diese Position vertreten.
({1})
Zur Erwiderung Herr Kollege Vaatz.
Frau Ministerin, wir sind in dem Punkt überhaupt
nicht auseinander, dass demokratische Parteien gegenüber solchen Regimes so viel wie möglich zusammenwirken sollten. Das ist überhaupt keine Frage. Meine
Anmerkung bezog sich auf etwas anderes. Ich wollte lediglich hervorheben, dass wir sprechfähig sein müssen,
wenn wir Kontinuität von Entwicklungszusammenarbeit
erreichen wollen.
Im Übrigen möchte ich noch zu Ihrer Eingangsbemerkung sagen, dass es jeder Regierung widerfahren kann,
dass sich die Verhältnisse in einem Land, in dem sie Entwicklungshilfe leistet, später ändern.
Ich höre es ebenfalls mit Interesse, dass Sie, wie Sie
sagten, dort hauptsächlich Nichtregierungsorganisation,
Kirchen usw. unterstützen. Etwas anderes will ich Ihnen
auch gar nicht unterstellen. Probleme habe ich nur mit
der Studie, von der ich sprach. In ihr wird eine Reihe von
ganz konkreten Empfehlungen gegeben. Diese Empfehlungen sind leider, wie ich nach sorgfältiger Lektüre
feststellen musste - ich habe mich wirklich in die Sache
hineingekniet -, ausschließlich am grünen Tisch in
Deutschland entstanden. Es wurde überhaupt keine
Rücksprache mit der dortigen Opposition genommen.
({0})
Ich bedauere, feststellen zu müssen, dass somit die darin
gemachten Vorschläge kontraproduktiv sind.
Ich habe ferner erfahren, dass gerade in dieser Zeit ein
Referent Ihres Hauses - ich glaube, gestern ist er wiedergekommen - Simbabwe besucht hat. Im Allgemeinen ist
es ja so, dass sich offizielle Vertreter der Verwaltung mit
Vertretern von Regierungsstellen treffen. Mich würde
schon interessieren, ob er dort die Empfehlungen dieser
Studie befolgt hat, ob er die Politik „Wandel durch Annäherung“ betrieben hat oder ob er unsere Position als
Demokraten zu solchen Dingen klar gemacht und daran
auch keinen Zweifel gelassen hat.
Vielen Dank.
Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Markus
Löning für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Ministerin, Sie haben eine Schlussbilanz Ihrer Amtszeit gezogen. Ich
möchte zwei Dinge erwähnen, die ich an Ihrer Arbeit
ausdrücklich anerkenne. Das ist zum einen die Entschuldigung, die Sie in Namibia gegenüber den Herero vorgetragen haben. Das fand ich einen persönlich und politisch mutigen und richtigen Schritt. Dafür gebührt Ihnen
Anerkennung.
({0})
Der zweite Punkt betrifft den Sudan. In meinen Dank
möchte ich ausdrücklich auch die Staatsministerin
Müller einschließen. Sie haben Ihre Bekanntheit und Ihr
Amt genutzt, um das Augenmerk der Welt auf humanitäre Katastrophen zu richten. Das ist Ihre Aufgabe als
Ministerin; aber ich möchte trotzdem ausdrücklich anerkennen, dass Sie das getan haben.
({1})
Darüber hinaus gibt es aber leider nicht sehr viel anzuerkennen.
({2})
Das hat auch Ihre Rede hier wieder deutlich gemacht;
das muss man leider sagen. Sie verwechseln Armutsbekämpfung durch Wohlstandsmehrung, durch die Entwicklung von Marktwirtschaft mit einer Weltsozialpolitik. Das ist es, was Sie die letzten Jahre getrieben haben
und was Sie Weltstrukturpolitik nennen. Sie planen
nichts anderes als eine Umverteilung aus den reichen
Ländern des Nordens in die armen Länder des Südens.
Das reicht nicht.
Wenn wir Armut bekämpfen wollen, dann müssen wir
den Weg gehen, der sich als erfolgreich erwiesen hat. In
den Ländern, die erfolgreich gewesen sind, gab es immer
dasselbe Strickmuster: Die Entwicklung der Kräfte vor
Ort, die Entwicklung der Marktwirtschaft, die schrittweise Integration in die Weltmärkte - das ist es, was erfolgreich gewesen ist, und eben nicht die sinnlose Entschuldung oder das sinnlose Verteilen von Geld.
({3})
Ich sage das ausdrücklich vor dem Hintergrund der
jetzt geplanten Entschuldung. Frau Ministerin, Sie haben in einer ersten Runde verschiedene Länder entschuldet: Bolivien, Burkina Faso, Mosambik und andere. Alle
diese Länder sind jetzt höher verschuldet, als sie es vorher gewesen sind. Ich verstehe nicht, warum Sie da nicht
die Notbremse ziehen, sondern einfach weitermachen
auf diesem Weg, der ganz offensichtlich falsch ist.
({4})
Es ist anzuerkennen, wenn sich in Ruanda und Tansania
die Situation in einzelnen Bereichen verbessert hat. Aber
man kann doch nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, dass diese Länder jetzt mehr Schulden aufgenommen haben, als sie zum Zeitpunkt ihrer Entschuldung durch uns hatten!
Ich verstehe es nicht, wenn die Bundesregierung auf
dem G-8-Gipfel dem britischen Vorschlag zur Entschuldung folgen will. Ich verstehe es nicht, wenn man ein
Land wie Ruanda, das im Nachbarland Ostkongo einen
Krieg anfacht, entschuldet, Frau Ministerin. Ich verstehe
es nicht, wenn Sie hier so tun, als hätten Sie immer nur
mit gut regierten Ländern zusammengearbeitet. Das ist
mitnichten der Fall. Ihr hoher moralischer Anspruch an
dieser Stelle ist gescheitert.
({5})
Ähnliches gilt, wenn Sie hier mehr Geld für die Entwicklungshilfe einfordern. Ich wünschte mir, Sie würden
endlich einmal den Ländern die Entwicklungshilfe streichen, die ihre Schulden jetzt vorzeitig zurückzahlen wollen. Warum bekommt Nigeria weiterhin Entwicklungshilfe, wenn Nigeria selbst sagt, es sei in der Lage,
30 Milliarden US-Dollar vor Fälligkeit zurückzuzahlen?
Warum bekommt solch ein Land weiterhin deutsche Entwicklungshilfe?
({6})
Zusammenarbeit ja, aber doch kein Geld! Das gilt auch
für andere Öl exportierende Länder. Ich finde es, auch
moralisch, nicht in Ordnung, dass wir uns verschulden,
um diese Länder zu entschulden oder diesen Ländern
Entwicklungshilfe zu zahlen, Frau Ministerin.
({7})
Lassen Sie mich zum Schluss noch eine Bemerkung
machen. Ich hätte mir gewünscht, dass - das habe ich in
Ihrer Amtszeit am stärksten vermisst, Frau WieczorekZeul - Sie mehr dem Weg gefolgt wären, den Ihre
Staatssekretärin ab und zu, so auch in den letzten Tagen
wieder in der Zeitung, sehr gut aufgezeigt hat. Wo bleibt
das Einfordern der Verantwortung der afrikanischen
Partner, die nicht verantwortungsvoll mit unserem Geld
umgehen und die sich nicht verantwortungsvoll um ihre
Länder und um ihre Bürger kümmern? Frau Ministerin,
ich habe sehr vermisst, dass Sie sich hier entsprechend
positionieren und dies deutlicher einfordern. Stattdessen
wird die Entwicklungszusammenarbeit mit diesen Ländern fortgesetzt, stattdessen werden sie entschuldet. Das
kann nicht der richtige Weg sein.
({8})
Ich hätte mir gewünscht, dass Sie die Größe gehabt
hätten, das zu tun, was der Bundeskanzler getan hat, als
er Neuwahlen in Aussicht gestellt hat. Er hat damit deutlich gemacht, dass er gescheitert ist. Das gilt auch für die
Entwicklungspolitik dieser Bundesregierung.
Vielen Dank.
({9})
Ich muss darauf aufmerksam machen, dass ich Zwischenfragen nach Ablauf der Redezeit schwerlich zulassen kann. Das gilt auch für den Fall, dass sie kurz vor
Ablauf der Redezeit angemeldet werden. Jeder kann für
sich die Frage schlüssig beantworten, auf welche Redezeiten wir im Hause kämen, wenn sich die amtierenden
Präsidenten dazu hinreißen ließen, auch nach Abschluss
der Redezeit noch Zwischenfragen zuzulassen.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Detlef Dzembritzki,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Redezeit reicht im Grunde genommen nur für
eine Kurzintervention.
Lieber Markus Löning, was Sie gesagt haben, war
schon hart. Es ist bedenklich, wenn der Versuch unternommen wird, auf billige und populistische Weise den
Eindruck zu erwecken, als wenn die finanziellen Probleme unseres Landes im direkten Zusammenhang mit
der weltweiten Entwicklungszusammenarbeit stehen
würden.
({0})
So hoch die materiellen Herausforderungen sind, die
wir mit den Millenniumszielen eingegangen sind, so
hoch sind auch die ideellen Herausforderungen. Wir
müssen nämlich in unserer Bevölkerung ein Bewusstsein
für die notwendige Verantwortung, die wir in dieser Welt
tragen, heranbilden.
({1})
Ihre Rede und Ihre Argumentation - ich gebe zu, dass
Ihre Redezeit nur sehr kurz war - lassen jegliche Differenzierung vermissen. Sie sind überhaupt nicht bereit,
zur Kenntnis zu nehmen, dass die Strukturveränderungen gerade im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit maßgeblich dazu beigetragen haben, dass die
Effektivität dieser Zusammenarbeit größer geworden ist.
Ich möchte auch noch kurz auf eine Bemerkung von
Herrn Vaatz eingehen. Herr Kollege, Sie müssen sich
einmal das Vergnügen machen, Ihre Rede nachzulesen.
({2})
Mich hat Folgendes amüsiert: Auf der einen Seite sprechen Sie zum Beispiel von der Community und von der
Designersprache. Auf der anderen Seite beklagen Sie
sich, dass uns die Öffentlichkeit nicht mehr versteht.
({3})
- Ich wollte ihn provozieren, eine Antwort zu geben, indem ich diese Widersprüchlichkeit aufzeige.
Sie zitieren ferner Studien über Simbabwe. Sie nennen aber die Quelle nicht. Damit erwecken Sie den Eindruck, dass diese Studien von der Regierung oder von
der Koalition stammen. Diese Darstellung hilft uns in
der Diskussion überhaupt nicht weiter.
({4})
Anscheinend wollen Sie den Eindruck erwecken, dass
wir nicht entschieden genug das gemeinsame Projekt
von uns Parlamentariern unterstützen, mit dem wir die
oppositionellen Kräfte in Simbabwe stärken wollen, die
die Demokratie retten, die Humanität durchsetzen wollen und die unserer Unterstützung bedürfen.
Wir waren doch gemeinsam der festen Überzeugung
- das ist nur ein Beispiel -, dass wir unsere Stiftung unterstützen müssen, die versucht, sich in einer schwierigen Situation vor Ort zu behaupten. Ich finde es schäbig,
wenn der Eindruck erweckt wird, als fühle sich die Regierung dafür nicht verantwortlich. Wir müssen der Verantwortung, die wir haben, gerecht werden.
Vielen Dank.
({5})
Herr Kollege Dzembritzki, der einzige, der sich hier
anständig verhält, ist der amtierende Präsident, der in
dieser Debatte grundsätzlich jede Überschreitung der
Redezeit klaglos hinnimmt.
({0})
Nun erteile ich dem Kollegen Christian Ruck das
Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zunächst in der vermutlich letzten entwicklungspolitischen Debatte in dieser Legislaturperiode
meinen herzlichen Dank für die gute und kollegiale Zusammenarbeit im AWZ und die vielen kompetenten Ratschläge, die wir von den Durchführungsorganisationen
und sogar aus dem BMZ erhalten haben, und alles Gute
für alle diejenigen, die freiwillig oder unfreiwillig ausscheiden und vielleicht mit uns in Kontakt bleiben wollen!
Die entwicklungspolitische Bilanz der Bundesregierung - da teile ich das, was Herr Löning gesagt hat - fällt
allerdings weniger freundlich aus. Rot-Grün hat vor sieben Jahren die entwicklungspolitische Bilanz mit großen
Versprechen eröffnet und hohe Erwartungen geweckt.
Trotz der Selbstbeweihräucherung der Ministerin muss
man nach sieben Jahren konstatieren, dass es sieben magere Jahre für die Entwicklungspolitik waren, dass Versprechen gebrochen und Erwartungen enttäuscht wurden.
Finanziell ging es bergab und nicht bergauf. Die
ODA-Quote kann nur noch durch die Entschuldungspolitik eingehalten werden. Aber auch die Entschuldung
steht vor ihrem Scheitern; da gebe ich Herrn Löning
vollkommen Recht. Die Entschuldungspolitik gegenüber
dem Irak ist nichts anderes als ein entwicklungspolitischer Etikettenschwindel.
({0})
Da Sie von Ihrem Stufenplan, das 0,7-Prozent-Ziel
zu erreichen, gesprochen haben, sage ich Ihnen: Auch
wir halten an dem Ziel fest, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe auszugeben. Aber
wie Sie mit Ihrem Stufenplan umgehen, ist nichts anderes als das Ausstellen eines ungedeckten Schecks auf die
Zukunft und Ihre Nachfolger. Der einzig seriöse Finanzierungsvorschlag, zumindest 0,33 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungspolitik auszugeben, kommt von uns. Diesen hätten Sie sich ruhig an
Ihre Fahnen heften können.
Die deutsche bilaterale EZ befindet sich am Rande
der Handlungsunfähigkeit. Die Konzentration, die Sie
vornehmen wollten, ist misslungen, und zwar sowohl
sektoral als auch regional. Sie haben neue Themen eingeführt; das ist im Prinzip richtig. Aber Sie haben
Schlüsselsektoren der Armutsbekämpfung, wie zum
Beispiel die ländliche Entwicklung, Bildung und Ausbildung sowie den Ressourcenschutz, in den Keller gefahren. Frau Ministerin, ich finde es sehr traurig, dass Sie
die überfraktionellen, einstimmig angenommenen Anträge des AWZ, die an Sie herangetragen wurden, so abtropfen ließen, als ginge Sie das alles nichts an.
({1})
Auch konzeptionell sind Sie nicht weitergekommen.
Es gibt nach wie vor kein Islamkonzept. Es gibt nach
wie vor kein schlüssiges Konzept zu Lateinamerika und
auch in Afrika - das haben wir heute gehört - treten wir
auf der Stelle. Die Arbeitsteilung zwischen dem BMZ,
den Durchführungsorganisationen, Stiftungen und Kirchen ist verbesserungswürdig. Das gilt noch viel mehr
für die Zusammenarbeit zwischen den Ressorts. Alle
Ressorts haben ihre internationale Abteilung hochgefahren; aber die Zusammenarbeit zwischen diesen Abteilungen war noch nie so schlecht wie unter Ihrer Regierung.
({2})
Das schadet vor allem dem BMZ.
Im Hinblick auf den Welthandel haben Sie eine
durchaus richtige Initiative gestartet: die Baumwollinitiative. Die Wahrheit ist aber, dass die Karawane weitergezogen ist und Sie bis jetzt nichts Substanzielles für die
Armen erreicht haben. Es geht ja nicht nur um die Länder, sondern um die Armen in den Ländern. Da ist bisher
nichts Substanzielles rübergekommen.
Wir bedauern besonders, dass Sie bereit sind, die
Flaggschiffe der deutschen Entwicklungspolitik, nämlich die finanzielle Zusammenarbeit und die technische Zusammenarbeit, auf dem Altar des Internationalismus zu opfern. Das ist in weiten Teilen verlorenes
Geld. Die internationale Szene ist zersplittert. Die EUEntwicklungspolitik ist zum Teil peinlich und die UN
sind kraftlos; das geht auch aus der Anfrage unserer Kollegin Conny Mayer hervor. Auch hier sind Sie keinen
Schritt weitergekommen.
({3})
Meine Damen und Herren von der Koalition, vor diesem Hintergrund ist Ihr Antrag zu den Millennium-Development-Zielen nicht zielführend. Es geht vieles in die
falsche Richtung, zum Beispiel die Budgetfinanzierung,
die Sie plötzlich massiv fordern. Viele Schlüsselfragen,
zum Beispiel die Eigenverantwortung der Empfänger,
sind nicht angesprochen worden. Das gilt auch für
Afrika. Afrika ist ein reicher Kontinent: reich an Bodenschätzen, reich an menschlichen Talenten, aber leider
arm an Good Governance.
({4})
Die fehlende Eigenverantwortung ist der eigentliche
Grund, warum Afrika nicht vorankommt.
({5})
Sie fragen auch gar nicht mehr nach dem Umsetzungsplan für die MDGs, der uns seit drei Jahren versprochen wurde. Es ist klar: Auch Sie rechnen nicht
mehr mit diesem Umsetzungsplan; denn nur 1 Prozent
der Ressourcen des BMZ werden für diesen Umsetzungsplan verwandt. Wir haben es hier mit potemkinschen Dörfern zu tun.
Wir wollen uns im Falle eines Regierungswechsels
auf die Schlüsselsektoren konzentrieren. Wir wollen
zwischen Good Governance - mit einem Zuschlag - und
Bad Governance - wo wir uns neue Dinge einfallen lassen müssen - unterscheiden.
({6})
- Stellen Sie mir eine Zwischenfrage, Frau Kortmann!
Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar. Dann kann ich Ihnen
das erklären.
({7})
Wir wollen eine klare internationale Arbeitsteilung,
zum Beispiel auch mit der EU. Wir wollen eine lückenlose Verzahnung von Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik.
Wir wollen in Krisen viel schneller reagieren können.
Zum Beispiel hat es fünf Monate vom Tsunami bis zur
ersten Haushaltsvorlage für Aufbauarbeit gedauert. Das
ist doch einfach antiquiert. Da kann man nicht davon
sprechen, eine erfolgreiche Tsunamipolitik gemacht zu
haben.
Wir wollen auch eine strategische Zusammenarbeit
zwischen Außen- und Entwicklungspolitik. Entwicklungspolitik ist jedenfalls für uns wichtiger als je zuvor:
aus christlicher Verantwortung, als Gefahrenabwehr,
aber auch zur Stärkung unserer Position und unseres Ansehens in der Welt, auch zur Sicherung von Arbeitsplätzen. Der Erfolg wird sich nur dann einstellen, auch für
die MDGs, wenn wir Eigenverantwortung besser stimulieren, wenn wir negative politische Strukturen überwinden,
Herr Kollege!
- wenn wir das internationale Chaos in der Entwicklungspolitik endlich ordnen. Sie sind daran gescheitert.
Wir wollen und werden für einen neuen Aufschwung
sorgen.
Danke.
({0})
Das Wort erhält nun die Kollegin Karin Kortmann,
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Lieber Herr Ruck, Sie
sind immer wieder für Überraschungen gut. Wir haben
fünf Jahre gewartet, bis Sie sich in irgendeiner Form zu
den von den Vereinten Nationen verabschiedeten Millenniumszielen äußern. Fünf Jahre haben Sie für Ihren Plan
benötigt. Heute legen Sie einen Antrag vor, in dem Sie
zum ersten Mal zu den MDGs Stellung beziehen.
({0})
Ein Fünfjahresplan - ich gratuliere Ihnen dazu, dass Sie
es geschafft haben.
({1})
Nächster Punkt: Ich mache mir Sorgen darüber, dass
Sie glauben, in diesem Schneckentempo regieren zu
können.
({2})
Dann können wir nicht bis zum Jahre 2015 die Bilanz
über die MDGs erstellen, sondern dann werden wir uns
wahrscheinlich erst im nächsten Jahrhundert wieder treffen,
({3})
um zu gucken, ob Sie endlich zu Papieren gekommen
sind.
({4})
Den Antrag zu lesen, kann ich nur jedem empfehlen.
Zunächst schreiben Sie über eine Seite den Sachs-Bericht ab, um dann zu sagen, wir müssten stärker auf den
Bereich Good Governance Acht geben. Wunderbar! Ich
unterstütze alles, was in Ihrem Antrag steht.
({5})
Erstaunlich ist nur, dass Sie dazu ganze Textbausteine
aus dem „BMZ-Spezial“ abschreiben, das die Ministerin
verabschiedet hat.
({6})
- Es macht mir echt Freude. Leider habe ich heute nicht
so viel Zeit. Es war nicht umgekehrt. Sie sind seit 1998
im BMZ nicht mehr federführend. Sie müssen nachschauen, wann das Ganze veröffentlicht worden ist.
({7})
Dann kommen wir auf andere Zeiten. Geben Sie ruhig
zu, dass Ihre Referenten nicht ganz so sauber arbeiten
und sich gerne dieser Papiere bedienen!
Sie bedienen sich ebenfalls der Geschäftsführer mit
CDU-Parteibuch, die in den staatlichen Vorfeldorganisationen tätig sind.
({8})
- Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen wollen, Herr
Ruck, stehen Sie bitte auf! Das verlängert meine Redezeit.
({9})
Es ist in Ordnung, wenn Sie sich dieser Geschäftsführer bedienen, keine Frage.
({10})
Bedenklich wird es nur, wenn Sie nach Cadenabbia ins
Ferienhäuschen von Konrad Adenauer fahren und dann
dabei nicht mehr herauskommt als „man müsste“, „man
könnte“, „man sollte“, wenn also kein konkreter Vorschlag da ist, den Sie als Schattenminister - so sind Sie
ja vorletzte Woche betitelt worden - umsetzen wollen.
({11})
Ich habe Ihnen in der vorletzten Woche gesagt: Es ist
schlecht, Schattenminister zu sein; denn die Sonne geht
einmal unter und dann ist kein Schatten mehr da und
auch kein Minister.
({12})
Gestern Abend haben Sie, Herr Ruck, etwas viel
Schöneres gesagt: Sie seien der Tarzan des Bundestages.
({13})
Das fand ich viel angemessener. Denn wenn man sich
von einer Liane zur anderen schwingt, verliert man
schnell die Bodenhaftung. Das scheint mir im EZ-Bereich der Fall zu sein.
({14})
Jetzt komme ich auf einen ernsten Punkt zu sprechen
- man kann sich zwar auf diese Weise unterhalten, man
kann es aber auch lassen -: Wir alle wissen, dass die Debatte über den multilateralen Schuldenerlass im Jahre
1999 in Köln von Bundeskanzler Gerhard Schröder eröffnet worden ist. In der Tat können wir uns über viele
Aspekte unterhalten, die nicht ordnungsgemäß bzw. anders als von uns geplant verlaufen sind. Aber nennen Sie
mir einmal allen Ernstes eine Alternative zu dem, was
wir getan haben. Wir haben einen länderspezifischen,
partizipativen und partnerschaftlichen Ansatz gewählt
und die zivilgesellschaftlichen Kräfte, diejenigen, die in
der Regierungsverantwortung stehen, und diejenigen,
die parlamentarische Verantwortung haben, einbezogen,
um mit ihnen gemeinsam voranzukommen.
Herr Löning, Sie sagen, es gehe nicht, dass von den
Reichen zu den Armen umverteilt wird. Natürlich handelt es sich um eine Verteilungspolitik, die - das ist das
achte Ziel der Millennium Development Goals - zum
Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft beitragen soll. Wie bitte rechtfertigen Sie, dass Sie, was die
Ticketabgabe oder die Kerosinsteuer betrifft, nach wie
vor behaupten, es sei nicht zu verantworten, dass 3 oder
5 Euro pro Ticket für die Entwicklungszusammenarbeit
ausgegeben werden?
({15})
- Nein.
({16})
- Nein, das war ein Rechenbeispiel. Wir gehen von
3 oder 5 Euro aus. Sie haben gesagt, das sei nicht verantwortbar. Damit negieren Sie die MDGs. Ich gebe Ihnen
gerne diese Karte mit, damit Sie das zu Hause nachlesen
können; denn unter EZ verkaufen Sie Ihren reinen
Marktklientelismus, indem Sie sagen, dass große Länder
wie Indien oder China, die tatsächlich Entwicklungschancen haben, keine Entwicklungsgelder mehr
bekommen dürfen.
Frau Kollegin.
Ich komme sofort zum Ende.
Wie schön.
({0})
Sie wissen, wie fragil diese Staaten sind und wie viel
Unterstützung sie brauchen. Deswegen würde ich mich
wirklich freuen, wenn Sie sich alle der Kampagne
„Deine Stimme zählt“ anschließen und wir ein großes
Netzwerk gegen Armut bilden würden. - Herr Präsident,
Ihnen überreiche ich ein weißes Band „Deine Stimme
gegen Armut“, Herrn Löning die MDGs. Ich freue mich,
dass wir auf kompetente Weise weiter regieren werden.
({0})
Was alles in diesem Hohen Hause innerhalb und außerhalb der Redezeiten möglich ist, ist immer wieder
Anlass zum Erstaunen. Ich will auch darauf hinweisen,
Frau Kollegin Kortmann, dass mir die Planstelle eines
Tarzans in einer Stellenbeschreibung des Deutschen
Bundestages bisher nicht geläufig war. Ich erwarte mit
Spannung entsprechende Initiativen zu Beginn der
nächsten Legislaturperiode.
({0})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Klaus-Jürgen Hedrich für die CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Wenn ich das so persönlich sagen darf:
Liebe Karin, du hast mir eine ganz neue Facette meines
Freundes Christian Ruck eröffnet. Der Frage mit dem
Tarzan sollte man noch einmal nachgehen.
Die Ministerin hat zu Beginn ihrer heutigen Rede darauf verwiesen, dass die Entwicklungspolitik in diesem
Jahr und auch in den letzten Tagen erfreulicherweise besondere Aufmerksamkeit genossen hat. Wenn man zum
Beispiel die deutsche Presse verfolgt hat, so konnte man
vorgestern in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ lesen, dass Ihre Parlamentarische Staatssekretärin in einem
Interview Bedenken gegen Blairs Afrikapolitik geäußert hat.
({0})
Ich kann mich ihrer Aussage in diesem Zusammenhang
nur anschließen. Frau Eid hat - ich gehe davon aus: im
Namen der Bundesregierung - gesagt: Wenn wir allein
doppelt so viel Geld auf den Tisch legen, lösen wir die
Probleme nicht.
({1})
Ich glaube, das ist der entscheidende Punkt. Es geht
wirklich darum, ob es uns gelingt, die politischen Strukturen in unseren Partnerländern zu verändern.
Heute empfehle ich Ihnen, einen interessanten Essay
in der „Welt“ mit der Überschrift „Vom Stamme
WaBenzi“ zu lesen, in dem auf die korrupten Strukturen
nicht zuletzt in Afrika - man kann sie allerdings auf
viele andere Länder übertragen - hingewiesen wird.
Dort steht folgende nette Formulierung über die Zeit seit
der Unabhängigkeit in Afrika:
Im selben Moment, als der „Wind der Veränderung“ über Afrika wehte, produzierte Mercedes den
Pullman 600, einen sechstürigen Riesen. Für Afrikas Leittiere war es Liebe auf den ersten Blick.
Solche Dinge können Sie Tag für Tag verfolgen.
Wir müssen einfach feststellen, dass es uns in vielen
Ländern nicht gelungen ist, die politischen Strukturen
nachhaltig zu verändern. Wir waren zum Beispiel über
eine erste im Großen und Ganzen demokratische Wahl in
Äthiopien erfreut. Aber wenn Sie die „Neue Zürcher
Zeitung“ in den letzten Tagen verfolgt haben, konnten
Sie Überschriften lesen wie „Verhaftungswelle in Äthiopien“ usw.
({2})
Vor diesem Hintergrund kann man in der Tat festhalten: Das, was Markus Löning angesprochen hat, kann
ich hier voll unterstreichen - ich sage das in aller
Deutlichkeit -: Die Entschuldungsinitiativen waren im
wahrsten Sinne des Wortes ein echter Flop.
({3})
Sie waren deshalb ein echter Flop, weil wir, internationale Organisationen, besonders internationale Finanzinstitutionen, aber auch EU und andere, nicht in der Lage
waren - das ist jetzt kein persönlicher Vorwurf an die
Ministerin oder an die Bundesregierung oder an
Deutschland alleine -, dafür zu sorgen, dass die Entschuldung wirklich zum Nutzen der Menschen in diesen
Ländern erfolgte. Insbesondere waren wir nicht in der
Lage, zu verhindern, dass diese Länder sich wieder verschuldet haben,
({4})
was ausschließlich den Reichen und den Cliquen in diesen Ländern zugute gekommen ist. Hier müssen wir
doch gemeinsam nüchtern festhalten, dass das ein Versagen der internationalen EZ gewesen ist.
({5})
Daraus müssen wir meines Erachtens Konsequenzen
ziehen. Die entscheidende Konsequenz, die ich persönlich und die wir daraus ziehen, ist: Wir brauchen in den
nächsten Jahren, ganz egal wer das Land regiert - es
wäre allerdings besser, wenn wir regieren würden -,
({6})
eine Kurskorrektur in dem Sinne, dass wir uns wirklich darauf konzentrieren, die Strukturen in unseren Partnerländern zu beeinflussen. In diesem Zusammenhang
kommt zum Beispiel den politischen Stiftungen eine
ganz entscheidende Aufgabe zu. Das Deutsche Institut
für Entwicklungspolitik etwa verweist auf die ganz entscheidende Bedeutung der politischen Parteien. Wenn
Sie verfolgen, wie heute in Lateinamerika die institutionelle Demokratie zu einer so genannten partizipativen
Demokratie ausgehöhlt wird - dass politische Parteien
bewusst ausgeschaltet werden, dass die Rechtsstaatlichkeit ausgehöhlt wird, indem die Rechtsprechung nicht
mehr gewährleistet wird -, dann können Sie feststellen,
dass es im Interesse der Menschen liegen muss, dass wir
die politischen Strukturen wieder so aufbauen, dass
wirklich alle Menschen an einer Entwicklung partizipieren können.
Herr Präsident, wenn Sie das noch gestatten? - Nein?
Dann darf ich aber noch eine Schlussbemerkung machen?
Wenn es schnell geht.
Gut. Bei den anderen waren Sie aber großzügig.
Ich darf mit dem Hinweis schließen: Ich glaube, die
Entwicklungspolitik muss gegenüber unseren Partnerländern ehrlicher werden. Ich möchte aus eigener, persönlicher Erfahrung sagen: Wir dürfen zum Beispiel
nicht bloß einen Unterabteilungsleiter in die Regierungsverhandlungen mit dem Hinweis schicken, er solle gegenüber seinem Gesprächspartner einmal Rechtsstaatlichkeit, Demokratie usw. ansprechen, während wir uns
gleichzeitig - ich weiß, wovon ich rede; da ist auch ein
Schuss Selbstkritik drin - auf großen Banketts internationaler Treffen gegenseitig bestätigen, was für nette
Menschen wir eigentlich sind. Nein, wir müssen die
Dinge deutlich beim Namen nennen und hier sind eine
Reihe von Punkten angesprochen worden. Wir müssen
zum Beispiel Herrn Mbeki
Herr Kollege, für weitere Beispiele ist jetzt wirklich
keine Zeit.
- und Herrn Lula in die Verpflichtung nehmen, dass
sie ihre Nachbarn,
({0})
die Diktatoren und Menschenrechtsverletzer sind, zur
Ordnung rufen, sonst wird sich auf dieser Erde nichts ändern.
({1})
Herr Kollege Hedrich, die angekündigte Schlussbemerkung muss nicht notwendigerweise die Dauer der
Redezeit erreichen.
Nun hat die Ministerin zu einer Erklärung zur Aussprache nach § 30 GO um das Wort gebeten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich
einfach gegen Ihren Vorwurf verwahren. Herr Hedrich,
Sie wissen es besser. Die Entschuldungsinitiative ist
mit der Verpflichtung der Länder verkoppelt, eigene Armutsbekämpfungspläne und -konzepte vorzulegen und
damit in Bildung und Gesundheit zu investieren.
({0})
Das zeigen ja auch die Zahlen.
Ich halte es nun wirklich für unakzeptabel, dass die
Vorgängerregierung, an der Sie beteiligt waren, einen
bilateralen Schuldenerlass ohne Konditionen durchgeführt hat
({1})
und Sie sich hier hinstellen und uns vorwerfen, dass wir
Konditionen für die Entschuldung und damit zur Armutsbekämpfung durchgesetzt haben.
({2})
Ich sage Ihnen: Das ist wirklich unakzeptabel.
Nehmen Sie doch einfach zur Kenntnis: Die Entschuldungsinitiative wirkt,
({3})
sie holt Menschen aus der Armut, sie hilft Kindern und
sie trägt dazu bei, dass weniger Kinder und Frauen sterben. Das ist gut und das sollten wir alle gemeinsam verfolgen.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
auf der Drucksache 15/5831 mit dem Titel „Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen bis
2015 beschleunigt verwirklichen - Den deutschen Beitrag zur Zielerreichung entschieden verstärken“. Wer
stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich der Stimme? - Der Antrag ist mit der Mehrheit des Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 8 b. Hier geht es um die Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 15/5579 mit dem Titel „Vor dem G-8-Gipfel
in Gleneagles und der VN-Generalversammlung zu den
Millenniumszielen - Millenniumsentwicklungsziele realistisch umsetzen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der
Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Dirk Niebel, Gudrun Kopp, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Vorfahrt für Arbeit - Neue Chancen für Arbeitsplätze und Investitionen durch weniger
Funktionärsrechte
- Drucksache 15/5458 Hierfür ist nach einer interfraktionellen Vereinbarung
eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die FDP fünf Minuten erhalten soll. - Dazu höre ich keinen Widerspruch.
Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Rekordarbeitslosigkeit, Miniwachstum, Rekordverschuldung,
Rente nach Kassenlage - die Schlussbilanz von GrünRot ist verheerend. Das grün-rote Projekt ist an ideologischen Scheuklappen, an Unentschlossenheit, an Zauderei und an der Wirklichkeit gescheitert.
({0})
Die sieben grün-roten Jahre waren magere Jahre. Es
wird Zeit, durch eine bessere Politik wieder fettere Jahre
in Deutschland zu ermöglichen.
({1})
Wir wollen Vorfahrt für Arbeit und die Grundachsen
der Wirtschaftspolitik wieder richtig justieren. Ein
Kernthema wird das Aufbrechen der verkrusteten Strukturen am Arbeitsmarkt sein. Wir wollen gesetzliche
Öffnungsklauseln für betriebliche Bündnisse für Arbeit
und wir wollen den Flächentarifvertrag in den Wettbewerb mit betrieblichen Lösungen stellen. Das Tarifkartell aus Arbeitgebern und Gewerkschaften muss endlich
geöffnet werden.
({2})
Das gibt Belegschaften und Unternehmensleitungen die
Möglichkeit, maßgeschneiderte Lösungen für ihren Betrieb zu finden. Was für Porsche und Daimler-Chrysler
vielleicht ertragbar ist, ist es für viele mittelständische
Zulieferbetriebe noch lange nicht.
({3})
Die Beteiligten vor Ort wissen in der Regel am besten,
was gut für ihren Betrieb und für ihre Arbeitsplätze ist
und wie sie zu sichern und zu vermehren sind. Wir sagen: Wenn 75 Prozent der Mitarbeiter eines Betriebes in
freier und geheimer Abstimmung Abweichungen vom
Tarifvertrag wollen - die Juristen nennen dies das Günstigkeitsprinzip -, müssen sie das Recht haben, ihren eigenen Weg zu gehen.
({4})
Wir haben in den letzten Tagen erlebt, wie sich der
DGB-Chef, Herr Sommer, geradezu erdreistete, für den
Fall, dass der Gesetzgeber diese Regelung mit einer anderen Mehrheit beschließen sollte, mit einem Häuserkampf zu drohen. Es ist schon ein tolles Stück, auf unliebsame Entscheidungen des Parlaments mit der
Drohung eines Häuserkampfs zu antworten. Es muss
klar sein: Regiert wird dieses Land vom Parlament, das
sich aus den gewählten Vertretern des Volkes zusammensetzt, und nicht von Herrn Sommer vom DGB.
({5})
Ich kann an die modernen Verbandsvertreter nur appellieren, diesen Weg der Öffnung, der Flexibilisierung und
auch der Stärkung der Mitarbeiterrechte im Betrieb zulasten von Funktionärsrechten mitzugehen; sonst laufen
ihnen weiterhin die Mitglieder weg. Der DGB verliert
jedes Jahr 400 000 bis 500 000 Mitglieder. Das ist eine
Abstimmung mit den Füßen.
Es hat sich auch gezeigt, dass der Sonderweg der
deutschen paritätischen Mitbestimmung, den kein anderes Land der Europäischen Union mitgegangen ist, ein
falscher Weg war. Ich kann mich gut daran erinnern, wie
seinerzeit - das war in meiner Studien- und Jugendzeit ein „dritter Weg“ progagiert wurde; doch der Glaube, ein
Mittelweg zwischen Kapitalismus und Sozialismus sei
möglich, hat sich als Illusion erwiesen. Die Praxis zeigt
nicht nur in konkreten Fällen wie bei Mannesmann, wo
eben nicht nur der damalige Vorstandsvorsitzende, sondern auch der damalige Gewerkschaftschef auf der Anklagebank saß, dass dieser Weg dazu führt, dass Kompromisse zu früh geschlossen werden und die klare
Ausrichtung der Betriebe auf neue Herausforderungen
nicht erfolgt.
Deshalb wäre es konsequent und richtig, auf eine
Drittelparität zu setzen, anstatt den Standort mit einer
Politik zu schwächen, in deren Zuge sich die Führungsspitzen zunehmend umorientieren oder ausländische
Rechtsformen wählen - inzwischen ist es möglich, ein
deutsches Unternehmen nach einer englischen Limited
zu gründen, die keine Mitbestimmung vorsieht -, um
handlungsfähig zu bleiben.
Wir sehen es exemplarisch bei Verdi-Chef Bsirske: Er
ist stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Lufthansa und hat nach dem Aktiengesetz das Wohl des Unternehmens und seiner Mitarbeiter zu mehren. Gleichzeitig vereint er in seiner Person den Streikführer gegen
das Unternehmen, dessen Interessen er wahrnehmen
soll. Diese Kollisionen in der Unternehmensverfassung
müssen korrigiert werden.
({6})
Das gilt auch für die Bankenvertreter in der alten
Deutschland AG, die sich vielfach genauso in Interessenskollisionen befinden: Depotstimmrecht, Kreditgeber, Anteilseigner. Deshalb habe ich immer gesagt:
Wenn eine Bank an einem Unternehmen einen maßgeblichen Anteil hält, dann darf es bei wichtigen Kreditentscheidungen nicht mitstimmen, so wie es in Frankreich
die Rechtslage ist. Wir müssen in der Tat Interessenkollisionen verhindern und die Aufsichtsräte - auch von Größenordnung und Ausstattung her - handlungsfähiger machen, damit sie als Gegengewicht zu den Vorständen ihre
Aufgabe entsprechend wahrnehmen können.
Wenn wir nicht die Kraft haben, dies zu korrigieren,
werden Unternehmenszentralen ihren Sitz zunehmend
woandershin verlegen. Es zeigt sich: Wenn Arbeitsplätze
abgebaut werden, sind zuerst die verlängerten Werkbänke und nicht die Standorte der Holdings, der Headquarters und der Führungssitze an der Reihe.
Herr Kollege, auch Sie schauen gelegentlich auf die
Uhr?
Nur.
({0})
Dann muss ich das schon fast für Sturheit halten.
Herr Präsident, durch Ihre Großzügigkeit haben Sie
das Parlament entwaffnet. Ich möchte den Gedanken
noch abschließen.
Herr Breuer von der Deutschen Bank wurde in der
„Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ befragt:
Wenn die Deutsche Bank mit einer ausländischen Bank
zusammengeht: Wo wird sie ihren Sitz haben? Die Antwort lautete: Mit Sicherheit nicht in Deutschland, und
zwar aus zwei Gründen: wegen der Besteuerung in
Deutschland und wegen der deutschen paritätischen Mitbestimmung. - Wir sollten deshalb die Kraft haben, die
Weichen so zu stellen, dass die Arbeitsplätze in Deutschland, wo wir sie dringend brauchen, erhalten, vermehrt
und ausgebaut werden.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Klaus Brandner für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Es ist schon bemerkenswert, Herr
Brüderle, welche arbeitsmarktpolitischen Vorstellungen
die FDP hat: Um mehr Arbeitsplätze zu schaffen, muss
man die Arbeitnehmerrechte ordentlich beschneiden,
den Gewerkschaften endlich den Boden unter den Füßen
wegziehen und schon haben wir wieder Vollbeschäftigung. Einfach genial.
({0})
Bei den Maßnahmen, die Sie vorschlagen, ist die Stoßrichtung klar. Vorrangig sollen die Gewerkschaften geschwächt werden. Aber es geht um weit mehr. Ziel ist es,
die sozialen Schutzrechte der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer einzukassieren:
({1})
Arbeitnehmer als Freiwild, weniger Entgelt, länger arbeiten, heuern und feuern nach Lust und Laune. Das ist
das Credo, welches lautet: Marktwirtschaft pur statt sozialer Marktwirtschaft, für die die SPD und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land stehen.
({2})
Sie, meine Damen und Herren, betrachten die Interessenvertretungen als Wirtschaftsgüter. Sie schreiben sie
einfach als Wirtschaftsgüter ab. Für uns sind sie unverzichtbarer Bestandteil eines Sozialstaats.
({3})
Damit nicht genug: Sie wollen nicht nur die seit Jahrzehnten bewährte Mitbestimmung in Unternehmen abschaffen, Sie wollen auch unser Tarifvertragssystem
zerstören. Ich muss klar und deutlich sagen, dass wir als
Sozialdemokraten diesen Plänen mit aller Entschiedenheit entgegentreten werden. Für uns ist sozialer Friede
ein hohes Gut. Nur wenn sich die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer nicht täglich mit existenziellen Sorgen auseinander setzen müssen, ist ein friedvolles Miteinander möglich.
({4})
- Wissen Sie, welchen Schuldenstand Sie hinterlassen
haben? Sie waren am längsten an der Regierung. Sie
wissen doch, was zu dieser Zeit war: die höchsten Steuern, die höchsten Abgaben und der höchste Schuldenstand. Da sollten Sie ein bisschen ruhiger sein und nicht
so auf den Busch hauen, junger Mann. Sonst melden Sie
sich zu Wort! Dann dürfen Sie eine Frage stellen.
({5})
Für uns gilt jedenfalls, dass Tarifverträge die existenzielle Grundlage für Millionen von Menschen und ihre
Familien sichern. Tarifverträge sind Eckpfeiler unserer
Rechts- und Wirtschaftsordnung und daran halten wir
fest.
({6})
Die Arbeitswelt als eines der wichtigsten Felder menschlichen Zusammenlebens kann in einem demokratischen
Rechtsstaat kein ordnungsfreier Raum sein. Diese Ordnungsaufgabe hat der Staat weitgehend den Tarifvertragsparteien überlassen. Der Tarifvertrag ist Ausdruck
dieser Ordnungsmacht. Er schützt nicht nur die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern auch die Unternehmen;
({7})
denn die Friedenspflicht schafft Kalkulations- und Produktionssicherheit für Unternehmen. Deutschland gehört
weltweit zu den Ländern mit den geringsten Arbeitsausfällen durch Arbeitskämpfe. Um es deutlich zu sagen:
von nichts kommt nichts!
({8})
Unser dringendstes Problem bleibt die bedrückende Arbeitslosigkeit. Wir alle wissen, dass es dagegen kein Patentrezept gibt.
({9})
- Schreien Sie doch nicht so herum. Sie wissen doch,
dass wir 1998 die höchste Arbeitslosigkeit hatten. Nun
tun Sie so, als wäre die Arbeitslosigkeit jetzt auf dem
höchsten Stand.
({10})
Es stimmt, dass nur die Unternehmen Arbeitsplätze
schaffen können. Ich weiß aber aus vielen Gesprächen
und aus eigenem Erleben - ich sage bewusst: auch aus
eigenem Hinzutun -, dass es oft gerade die Gewerkschaften waren, die mit viel Engagement und Ideen geholfen haben, Unternehmen zu retten und wieder fit zu
machen. So beweisen unter anderem die Vereinbarungen
bei Siemens, Daimler-Chrysler, Karstadt-Quelle, Opel,
Telekom und Volkswagen, dass die Gewerkschaften Zukunftssicherung für Unternehmen und Arbeitsplätze betreiben. Moderne und kraftvolle Gewerkschaften tragen
maßgeblich dazu bei, dass die gesellschaftliche und wirtschaftliche Erneuerung unseres Landes gelingen kann.
Das geschieht im Übrigen nicht nur in Großunternehmen, sondern auch und ganz besonders in kleinen Unternehmen. Bei mir beispielsweise, im Kreis Gütersloh,
sind in über 40 Unternehmen Standortsicherungsvereinbarungen auf der Grundlage von Tarifverträgen entstanden. Das ist Ausdruck einer lebendigen Tarifautonomie,
die sich der Beschäftigungssicherung widmet und die
nur mit starken und handlungsfähigen Gewerkschaften
möglich ist.
({11})
Man muss sich die Forderungen der FDP wirklich
einmal ansehen: Abschaffung der paritätischen Mitbestimmung, Abschaffung von Flächentarifverträgen, Einschränkung des Günstigkeitsprinzips. Mit tariflichen
Öffnungsklauseln soll die Tarifautonomie unterlaufen
oder gar aufgehoben werden. Sie verdrängen, dass bereits in 75 Prozent der Betriebe - schauen Sie sich dazu
die heutigen Tickermeldungen an - tarifliche Öffnungsklauseln angewendet werden. Noch einmal zum Mitschreiben: bei 75 Prozent der Unternehmen!
({12})
Wie viel mehr an Flexibilität wollen Sie eigentlich noch?
({13})
Herr Brüderle, warum haben Sie nicht den Mut aufgebracht, deutlich zu sagen, worum es der FDP wirklich
geht? Ich muss das für Sie übernehmen und in diesem
Zusammenhang Ihren Vorsitzenden Guido Westerwelle
zitieren, der die Gewerkschaften vor kurzem mehrfach
als „wahre Plage in Deutschland“ und „Verräter der Arbeitnehmerinteressen“ bezeichnet hat.
({14})
Ich halte eine solche Aussage eines Parteivorsitzenden
einer liberalen Partei für einen Skandal.
({15})
Es geht Ihnen um die Abschaffung der Gewerkschaftsfunktionäre - das ist klar geworden - und um die Verschiebung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse zulasten der Beschäftigten. Das ist für Sozialdemokraten
nicht hinnehmbar. Deshalb werden Sie in diesem Punkt
unseren entschiedenen Widerstand erleben.
({16})
Was sagt die CDU/CSU zu den Forderungen ihres
Bündnispartners? Wir werden sicherlich gleich in der
Rede von Herrn Strebl hören, dass auch die CDU/CSU
für starke Gewerkschaften ist.
({17})
Ich gehe davon aus, dass Sie die positiven Erfahrungen
loben werden. Aber ich denke in diesem Zusammenhang
auch daran, was Herr Merz, der seit dem 22. Mai wieder
häufiger hier im Parlament zu sehen ist, gerade über die
Gewerkschaften schon alles gesagt und was er ihnen zugemutet hat. Ich erinnere mich noch gut an seinen
Spruch, als es darum ging, dass man die Gewerkschaften
entmachten will: Wenn man einen Sumpf trockenlegen
will, dann darf man nicht die Frösche fragen. - Das ist
eine ähnliche Diffamierung, wie sie die FDP durch ihren
Vorsitzenden geäußert hat. Es wäre schön, Herr Strebl,
wenn Sie dazu Position beziehen würden: Wenn Sie mit
den Gewerkschaften zusammenarbeiten wollen, sollten
Sie das heute auch klarstellen.
({18})
Um herauszufinden, was die CDU/CSU wirklich will,
lohnt sich im Übrigen ein Blick in ihr Zehn-Punkte-Papier vom Februar dieses Jahres. Der Kündigungsschutz
soll erst in Betrieben mit mehr als 20 Arbeitnehmern gelten, und zwar erst nach einer Probezeit von drei Jahren.
Die Tarifautonomie wird nur noch als Floskel hochgehalten. Der Rechtsanspruch auf Teilzeit soll fallen. Die
derzeitigen Steuerentlastungen für Sonn-, Feiertags- und
Nachtzuschläge sind wie die Pendlerpauschale zum
Spielball für neue Steuerkonzepte geworden, wie Ministerpräsident Stoiber vor kurzem verkündete.
Ich bin sehr froh, dass wir heute noch einmal die Gelegenheit haben, die Unterschiede zwischen der CDU/
CSU und der FDP einerseits und der SPD andererseits
aufzuzeigen. „Vorfahrt für Arbeit“ heißt für Sie: Beschneidung von Arbeitnehmerrechten. „Vorfahrt für Arbeit“ heißt für uns: besseres Nutzen der Potenziale der
Mitarbeiter. Mitarbeiter sind nicht nur Kostenfaktoren.
Sie sind vor allem Menschen und die wichtigste Ressource in den Unternehmen.
({19})
Haben Sie schon einmal etwas von einer Win-Win-Situation gehört, meine Damen und Herren von der Opposition? Für mich sind das Strategien mit den Beschäftigten und nicht gegen sie. Das Leitbild unserer
Wirtschaftspolitik ist ein modernes Menschenbild, das
sich an der Teilhabe und der Mitwirkung ausrichtet. Ich
will das an zwei Beispielen zeigen: der Mitbestimmung
und der Tarifautonomie.
Meine Damen und Herren von der Opposition, für uns
ist die Mitbestimmung ein Standortvorteil, der uns besonders positiv von anderen Standorten abgrenzt. Herr
Brüderle hat eben mit seinen großen Worten deutlich
machen wollen, wie nationale und auch internationale
Unternehmen den Standort Deutschland meiden. Gerade
in diesen Tagen wurde die Studie „Kennzeichen D:
Standort-Analyse 2004 - Attraktivität Deutschlands als
Investitionsstandort“ der Unternehmensberatung Ernst
& Young vorgestellt.
({20})
Von Weltuntergangsstimmung kann darin keine Rede
sein. Ich bin deshalb darüber betrübt, dass man nicht zur
Kenntnis nimmt, dass Deutschland der zweitbeliebteste
Standort für Direktinvestitionen innerhalb der EU ist.
Gemessen an der Höhe der Direktinvestitionen liegt
Deutschland weltweit auf dem fünften Platz - und das
alles trotz Gewerkschaften und Mitbestimmung! Ich
würde sagen: gerade wegen der Mitbestimmung.
({21})
Mitbestimmung steht für Selbstverantwortung, Innovation und Kreativität des Menschen. Mitbestimmung
hat vor allem auch ökonomische Vorteile für die Unternehmen. Wir haben innerhalb der EU die geringste Zahl
von Streiktagen. Das ist gut für den Standort Deutschland.
Meine Damen und Herren, wir wollen nicht, dass Betriebsräte zu Bittstellern werden. Für uns sind Betriebsräte Partner. Wir stehen für den aufrechten Gang von
Menschen, die sich engagieren. Deshalb wollen wir auch
starke Gewerkschaften, deshalb wollen wir mit unserer
Politik Bedingungen schaffen, durch die die Arbeitnehmerrechte erhalten bleiben, deshalb haben wir das Betriebsverfassungsgesetz gestärkt und deshalb haben wir
auf europäischer Ebene dafür gesorgt, dass die Europäische Aktiengesellschaft möglich ist und die Mitbestimmung erhalten bleibt.
({22})
Des Weiteren haben wir dafür gesorgt, dass das
Arbeitnehmer-Entsendegesetz eingebracht wird. Wir
wollen Mindeststandards in Deutschland sichern. Sie
von der Opposition haben noch eine Chance, mitzumachen und Ihre vollmundigen Worte zur Bekämpfung von
Lohndumping endlich in die Tat umzusetzen.
Lassen Sie mich zum Schluss aufzeigen, wie unterschiedlich die Strategien für mehr Arbeitsplätze sind:
Die Senkung der Arbeitskosten ist sicherlich eine der
großen politischen Herausforderungen, um im Wettbewerb mit China, Indien, Bulgarien und anderen bestehen
zu können. Wir haben ja schließlich etwas zu verteidigen, nämlich unsere Position als Exportweltmeister.
Aber die Kosten sind nur eine Seite der Medaille. Das
Lohnniveau von Tschechien oder Weißrussland kann
nicht unser Ziel sein. Mindestens genau so wichtig und
nach vorne schauend ist es, Strategien zu entwickeln, mit
denen unsere technologische Leistungsfähigkeit weiter
gestärkt wird. Ich sage bewusst „weiter gestärkt wird“,
denn in vielen Bereichen ist unser Technologievorsprung
ganz hervorragend.
Deshalb, meine Damen und Herren, mein Appell an
Sie: Kommen Sie in der modernen Wirtschaftswelt an,
unterliegen Sie nicht der Illusion, dass man nur durch
Kostensenkung seine Position verbessern könne. Es ist
eine Illusion, zu glauben, ein Pferd werde schneller laufen, wenn man ihm weniger Hafer gibt. Diese alte Bauernregel sollten Sie zur Kenntnis nehmen.
({23})
Werfen Sie Ihre alten Feindbilder über Bord und betreiben Sie eine Politik, bei der Teilhabe und Mitbestimmung erhalten bleiben.
({24})
Nächster Redner ist der Kollege Strebl, CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Kollege Brandner, zu Ihrem Hinweis auf
die Gewerkschaften im Zusammenhang mit den Äußerungen des Kollegen Brüderle muss ich Folgendes sagen: Die Kanzlerkandidatin Frau Merkel und der bayerische Ministerpräsident Stoiber haben sich immer zu den
Gewerkschaften bekannt. Deshalb suchen vor allen Dingen auch die DGB-Gewerkschaften das Gespräch mit
beiden. Dies ist ein Beweis dafür, dass wir, die beiden
großen Volksparteien CDU und CSU, hier eine intensive
und sachliche Auseinandersetzung um die Zukunft unseres Landes führen.
Man braucht kein Arbeitsmarktexperte zu sein, werte
Damen und Herren, um zu erkennen, dass sich der
Arbeitsmarkt in Deutschland in einer der schwierigsten
Situationen seit Kriegsende befindet. Fünf Millionen
Menschen sind offiziell ohne Job. Realistischerweise
sind es mehr; aber durch gesetzestechnische Maßnahmen haben Sie es fertig gebracht, dass es nur fünf Millionen sind. Besonders dramatisch ist die Lage bei der
Jugendarbeitslosigkeit. Im Vergleich zum Mai 2004 ist
die Zahl jugendlicher Arbeitsloser um 111 000 gestiegen. Das Statistische Bundesamt gibt die Jugendarbeitslosigkeit nach internationaler Zählweise für April sogar
mit 17,3 Prozent an. Das heißt, im April waren faktisch
eine Million Jugendliche arbeitslos. Das ist Ihre Politik
der letzten sieben Jahre gewesen.
({0})
Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
Deutschland heißt dies konkret: Täglich müssen neue
Belegschaften mit Stellenstreichungen zurechtkommen,
täglich droht die Verlagerung von Betriebsteilen, täglich
drohen neue Unternehmensinsolvenzen. Tag für Tag
müssen die Arbeitslosen hilflos zusehen, dass die Bundesregierung ihre Vermittlungsarbeit immer noch nicht
verbessert hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Bundesregierung hat sieben Jahre lang die Chance gehabt,
unser Land voranzubringen, zu gestalten und die Probleme anzugehen. Es waren sieben verlorene Jahre.
({1})
Stattdessen hat diese Bundesregierung resigniert. Es gab
keine durchgreifenden Reformen, sondern nur Flickschusterei und rot-grüne Ideologie.
({2})
In diesem Sinne ist auch die morgen von Kanzler
Schröder zu stellende Vertrauensfrage ein Spiegelbild
seiner Amtszeit.
({3})
Rot-Grün, Herr Kollege Brandner, hat vor den Problemen kapituliert und die Flucht in Neuwahlen angetreten.
Damit hat sich Rot-Grün selber aufgegeben.
({4})
Die Folgen sind schwerwiegend. Allein in den letzten
vier Jahren gingen 1,4 Millionen Arbeitsplätze verloren.
Seit Schröders Amtsantritt ging die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um 2,6 Prozent zurück. Das heißt im Klartext: Fast 700 000 Steuer- und
Beitragszahler sind in dieser Zeit verloren gegangen.
Wie Sie wissen, hat das Auswirkungen auf den gesamten
Sozialversicherungsbereich: auf Kranken-, Pflege- und
Rentenversicherung. Ich erinnere mich noch an die
Worte von Bundeskanzler Gerhard Schröder, der 1998 in
seiner ersten Regierungserklärung sagte, er wolle sich
am Abbau der Arbeitslosigkeit messen lassen und wenn
der Abbau nicht gelinge, habe Rot-Grün es nicht verdient, wiedergewählt zu werden.
Er sagte aber auch: Wir machen nicht alles anders,
aber vieles besser. - Das Ergebnis sieht man nach sieben
Jahren rot-grüner Bundesregierung. Keine einzige Regelung, die Rot-Grün initiiert hat, konnte etwas zum Abbau
der Arbeitslosigkeit beitragen, waren die Namen auch
noch so schön. Ich erinnere an die 1-Euro-Jobs, an die
Personal-Service-Agenturen oder an den Jobfloater. Wer
denkt heute noch daran?
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit diesen
Dingen wollten Sie die Arbeitslosigkeit bekämpfen und
Arbeitsplätze schaffen.
({6})
Genau das ist der sozialdemokratische Rumpelstilzcheneffekt: Man sucht einen anderen Namen für ein altes
Problem.
Man hat den Eindruck, die Aufgabe von Rot-Grün bestand darin, Werbebroschüren zu erstellen, statt zu regieren. Es geht aber genau darum, eine effiziente Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik zu betreiben. Deshalb
sagen wir: Stopp! Dazu ist am 18. September - sollte
sich dies morgen ergeben - ein neuer Bundestag zu wählen.
Werte Kollegen von Rot-Grün, da Politik die Gestaltung von Gegenwart und Zukunft bedeutet, reichen
Pragmatismus und Tagespolitik allein nicht aus. Die immer komplizierter werdenden Vorgänge in einer hochtechnisierten Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft
werden für den Einzelnen immer weniger durchschaubar. Dadurch wächst die Angst der Menschen vor der
Zukunft. Der Einzelne erwartet von der Politik schlüssige Antworten für die Bewältigung der Probleme. Das
wird von Rot-Grün nicht gewährleistet.
Wir müssen weg von oberflächlichen Kataloganpreisungen arbeitsmarktpolitischer Ziele.
({7})
Schließlich müssen wir neue Arbeitsplätze schaffen und
die vorhandenen Arbeitsplätze sichern. Das kann nur gelingen, wenn soziale Verantwortung und soziale Sicherheit Hand in Hand gehen. Angesichts der dramatischen
Situation sind einseitige Rechts- und Leistungskürzungen meines Erachtens und nach Meinung von CDU/CSU
nicht das Patentrezept.
({8})
Tatsache ist, dass die Unternehmen in Deutschland an
zu viel Bürokratie, an zu hohen Steuerbelastungen und
an einer schwindenden Kapitaldecke leiden. Gerade für
den Mittelstand sind die Auswirkungen der rot-grünen
Politik verheerend.
({9})
- Herr Kollege Brandner, lassen Sie sich sagen: Ludwig
Erhard, der Vater der sozialen Marktwirtschaft, nannte
für eine funktionierende soziale Marktwirtschaft drei
elementare Voraussetzungen: Freiheit, Wettbewerb,
Wachstum. Leider müssen wir feststellen, dass nach sieben Jahren Schröder-Regierung keine dieser Voraussetzungen mehr wirklich gegeben ist.
({10})
Beispiel Freiheit. Von Freiheit kann keine Rede mehr
sein. Es hat sich ein Wust an Verordnungen und Gesetzen angesammelt. Bürokratieabbau sucht man bei Ihrer
Politik vergebens. Allein für den Mittelstand könnte ich
hier 14 Statistiken aufzählen, ich nenne nur drei Beispiele:
({11})
die vierteljährliche Produktionserhebung, die Dienstleistungsstatistik und die Erhebung der Investitionen für den
Umweltschutz.
({12})
Diese Statistiken kosten wertvolle Arbeitszeit und teures
Geld. Unternehmen werden für ihre Produktivität noch
drangsaliert und bestraft.
Beispiel Wettbewerb. Gerade die EU-Osterweiterung und die zunehmende Globalisierung haben die
Wettbewerbsbedingungen verzerrt. Dies macht sich in
unserem Land besonders bemerkbar, denn die Kluft zwischen den Arbeitskosten der Unternehmen und den Nettoeinkommen der Arbeitnehmer ist zu groß. Gerade die
Arbeitskosten sind in den letzten Jahren enorm gestiegen.
Hinzu kommen überhöhte Energiekosten als Folge
rot-grüner Ideologie,
({13})
Belastungen durch Zuwanderung, Steuerbelastungen
und erhöhte Transportkosten.
Beispiel Wachstum. Die aktuelle Wachstumsrate von
1,4 Prozent ist geradezu lächerlich im Vergleich zum
weltweiten Wachstum von 5 Prozent. Das ist eine
Schande für Deutschland, die wir der rot-grünen Bundesregierung zu verdanken haben.
({14})
Meine Damen und Herren, für uns hat die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit höchste Priorität.
({15})
Noch ein Wort an die Kolleginnen und Kollegen von
der FDP. Einzelne Maßnahmen in den Bereichen Arbeitsmarkt und Tarifrecht, wie Sie sie in Ihrem Antrag
vorschlagen, reichen nicht aus. Wir brauchen vielmehr
umfassende strukturelle Änderungen. Investitionen müssen in Deutschland erleichtert werden. Das wirtschaftliche Klima und das Vertrauen in den Standort Deutschland müssen verbessert werden. Das Wachstum muss
gestärkt werden. Der Dienstleistungssektor muss gefördert werden; denn gerade für Geringqualifizierte ist dieser ein gutes Arbeitsfeld.
CDU/CSU haben auf dem so genannten Jobgipfel am
17. März dieses Jahres 32 Vorschläge eingebracht. Einen
Teil davon wollte der Kanzler aufgreifen, wie zum Beispiel: keine Gefährdung von Betrieben durch Erbschaftsteuer auf Betriebsvermögen, eine verbesserte Gewerbesteueranrechnung, ein geringerer Körperschaftsteuersatz
- 19 statt 25 Prozent sind möglich, wenn das aufkommensneutral gestaltet wird - oder Entbürokratisierung
und schnellere Planung bei Großprojekten. Dies alles haben CDU/CSU vorgeschlagen und der Kanzler hat versprochen, es aufzugreifen. Aber bis dato ist nichts passiert. Das ist wieder die Politik der ruhigen Hand. Die
Umsetzung scheiterte wie so vieles bei dieser Bundesregierung.
Deutschland hat vor allem ein großes Problem: die
Unsicherheit. Unsicherheit geht wegen Ihrer Politik im
Land um. Ehemals starke Wirtschaftsbereiche straucheln
angesichts der schlechten Konjunktur. Herr Kollege
Brandner, daher wollen wir, dass die Menschen wissen,
wo es langgeht. Wir wollen eine ehrliche Bestandsaufnahme bekommen. Mehr Wahrhaftigkeit in der Politik,
das verlangen die Menschen in der Bundesrepublik
Deutschland. Wir wollen, dass das Arbeitsrecht entrümpelt und entbürokratisiert wird, dass das Steuerrecht vereinfacht, gerechter und transparent wird und dass die Sozialsysteme an die Herausforderungen der Zukunft
angepasst werden. Ich sage dazu: das neue soziale Denken. Dies sind die Voraussetzungen, damit wieder mehr
Arbeitsplätze entstehen.
Eine leistungsstarke Gesellschaft ist eine soziale Gesellschaft. Ich sage auch: Mit Sozialabbau kann
Deutschland nicht zukunftsfähig gemacht werden. Dazu
wird die CDU/CSU nicht die Hand reichen; denn nur mit
einer flexiblen sozialen Marktwirtschaft kann unser
Land den Anschluss an die Weltwirtschaft zurückerobern und vom Schlusslicht zum Leuchtturm, vom
Bremser zum Zugpferd in der EU werden.
Herzlichen Dank.
({16})
Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes erhält der
Kollege Markus Kurth, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Strebl, Sie haben zwar
über alles Mögliche geredet, aber keinen Satz über den
eigentlichen Anlass dieser Debatte verloren, nämlich
den FDP-Antrag, der auf die Abschaffung der Mitbestimmung und die Zerschlagung der Tarifautonomie
durch Öffnungsklauseln abzielt. Wahrscheinlich sagen
Sie aus gutem Grund nichts dazu. Ich mutmaße, dass Sie
als Mitglied der Sozialausschüsse der CDU, wenn Sie
Ihrer Überzeugung gefolgt wären, hätten sagen müssen,
dass dieser Antrag blanker Unsinn ist.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte einmal
mit einer guten Nachricht beginnen. Nach einer vorgestern veröffentlichten Studie der Unternehmensberatung
Ernst & Young ist Deutschland aus Sicht international
tätiger Unternehmen der attraktivste Standort in Westeuropa. Das hat eine Umfrage unter knapp 700 international tätigen Unternehmen ergeben. Diese Unternehmen
haben ihre Entscheidung für Deutschland gut begründet.
Sie entscheiden sich für Deutschland aufgrund unserer
hervorragenden Infrastruktur, der Leistungsfähigkeit unserer Forschung und Entwicklung sowie der guten Ausbildung unserer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
({1})
Für diese Unternehmen, die einem harten internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind und daher ebenso hart
kalkulierte Investitionsentscheidungen treffen müssen,
sind Standortbedingungen wie der soziale Frieden in einem Land, die geringe Zahl der Streiktage, Lebensqualität und Rechtssicherheit wichtige Standortfaktoren. Natürlich wären diese Unternehmer keine Unternehmer,
wenn sie nicht die hohen Arbeitskosten als hinderlich
bezeichnen und über das Arbeitsrecht jammern würden.
Aber diese Faktoren spielen bei Investitionsentscheidungen - das sieht man an dieser Umfrage - nur eine untergeordnete Rolle. Sichere, weil regulierte Arbeitsbeziehungen sind hier weitaus entscheidender.
({2})
Ich frage die Kollegen von der FDP-Fraktion, ob Sie
wirklich immer wieder alle drei Monate mit Ihrem alten
Leierkasten und der Melodie von der vermeintlich anachronistischen Mitbestimmung kommen müssen und ob
Sie immer wieder die Platte von der mangelnden Flexibilität und der Überregulierung auflegen müssen. Wenn
es im Deutschen Bundestag einen Preis für das Anzetteln
überflüssiger Debatten und für das Wiederholen von Debatten gäbe, dann würden Sie ihn gewinnen.
({3})
Auch hier weisen wir Ihren Angriff auf die Tarifautonomie und auf die Mitbestimmung entschieden zurück.
Im möglicherweise - wir wissen es ja noch nicht - anstehenden Bundestagswahlkampf werden wir dann auch
Gelegenheit haben, den Bürgerinnen und Bürgern und
den Beschäftigten Ihre Konzepte vorzulegen und sie mit
denen der Bündnisgrünen zu vergleichen. Wer die Unternehmensmitbestimmung und den Flächentarifvertrag
faktisch abschaffen will und wer Gewerkschaften als die
wahre Plage in Deutschland bezeichnet, der führt nichts
anderes im Schilde, als die Menschen ihrer Interessenvertretung zu berauben, um dann das Lohnniveau ohne
jeden Widerstand nach unten drücken zu können.
({4})
Wirklich grotesk ist auch, dass Sie ständig behaupten,
ein niedriges Lohnniveau führe zu besseren Entwicklungschancen von Unternehmen. Ich rede zum Beispiel mit Handwerkern. Sie sagen mir: Wer gute Leistungen will, der muss auch vernünftig bezahlen. Sie wollen
für drei Sterne schmausen, aber den Koch wie einen Bulettenbrater bezahlen. Das kann nicht funktionieren.
({5})
Abschließend möchte ich noch zu bedenken geben,
dass gerade in den Zeiten, in denen sich die Arbeitswelt
drastisch wandelt, in denen unternehmerische Umstrukturierungen anstehen - es stimmt, dabei gehen Arbeitsplätze verloren -, die Mitbestimmung ein wichtiges Instrument ist, um die damit verbundenen Prozesse
sozialverträglich und mit der Akzeptanz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gestalten. In Zeiten der
Globalisierung und des zunehmenden Verlusts von
staatlichen, aber auch von betrieblichen Handlungsspielräumen muss es uns doch darum gehen, den Stellenwert
von Instrumenten kooperativer Steuerung zu erhalten
und auszubauen. Für die Menschen in unserem Land ist
doch gerade die Globalisierung, die sie als ungezügelt
und unkontrollierbar empfinden, die Bedrohung. Die
Mitbestimmung bietet unter anderem mit Instrumenten
kooperativer Steuerung die Möglichkeit, negative Folgewirkungen aufzufangen.
Wer wie die FDP auf diese Entwicklung mit einem
forcierten Abbau von Arbeitnehmerrechten reagieren
will und Steuerungsmöglichkeiten einfach abschaffen
will, der kann die Menschen in diesen Umstrukturierungsprozessen nicht mitnehmen. Wir sehen es vollständig anders: Wir wollen die Menschen beteiligen. Dazu
setzen wir auf die bewährten Instrumente. Wir können
darüber reden, sie weiterzuentwickeln. Wir wollen sie
zur Substanz und zum Fundament unserer Volkswirtschaft machen.
Vielen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 15/5458 mit dem Titel
„Vorfahrt für Arbeit - Neue Chancen für Arbeitsplätze
und Investitionen durch weniger Funktionärsrechte“.
Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit großer Mehrheit
abgelehnt.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b
auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Sechsundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des
Abgeordnetengesetzes
- Drucksache 15/5671 ({0})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({1})
- Drucksache 15/5846 Berichterstattung:
Abgeordnete Wilhelm Schmidt ({2})
Peter Altmaier
Volker Beck ({3})
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({4}) zu
dem Antrag der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages - Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages
- Drucksachen 15/5698, 15/5846 Berichterstattung:
Abgeordnete Wilhelm Schmidt ({5})
Peter Altmaier
Volker Beck ({6})
Zum Gesetzentwurf zur Änderung des Abgeordnetengesetzes liegt ein Entschließungsantrag der FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu stelle
ich Einvernehmen fest. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Ich erteile das Wort zunächst dem Kollegen Wilhelm Schmidt für die SPDFraktion.
({7})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Ähnlich wie bei der Offenlegung von Managergehältern, die wir in diesem Hause
heute Morgen beschlossen haben, haben wir in der Koalition in den hinter uns liegenden Monaten die Regelung der Belange der Abgeordneten, also unsere eigenen
Belange, nicht nur sehr ernsthaft bearbeitet, sondern
auch zu einem Abschluss gebracht. Ich hätte nicht erleben mögen, was passiert wäre, auch draußen in der Öffentlichkeit, wenn wir nach sechsmonatigen Debatten,
öffentlich und hinter den Kulissen, hierbei nicht zu einem Ergebnis gekommen wären. Wir sind es. Wir stellen
es Ihnen heute vor und bitten alle im Hause, dem zuzustimmen.
({0})
Ich richte diesen Appell gleich an dieser Stelle noch einmal an die Oppositionsfraktionen, obwohl wir Signale
dafür haben, dass sie dazu offensichtlich nicht in der
Lage sind. Das bedauere ich.
({1})
Wir decken damit einen Regelungsbedarf, von dem
vielleicht vor zwei, drei oder fünf Jahren noch niemand
so recht geglaubt hätte, dass er besteht. Da sind nicht nur
die Fälle Laurenz Meyer, Hermann-Josef Arentz und einige in der SPD-Fraktion in Niedersachsen oder anderswo zu nennen.
Wilhelm Schmidt ({2})
({3})
Das Entscheidende ist: Wir alle spüren, dass wir unabhängig von diesen Einzelfällen die gesellschaftspolitische Entwicklung auf diesem Sektor und auch die damit
verbundene Erwartungshaltung registrieren und aufnehmen sollten. Es ist doch nicht so, als wenn es zum Abgeordnetenmandat nicht auch Veränderungen im Bewusstsein der Öffentlichkeit oder bei uns selbst gäbe. Wir
tragen dieser Entwicklung Rechnung.
Ich finde, dass wir jetzt durchaus mit Recht Regelungen finden, mit denen Transparenz über die Tatsache
hergestellt und vertieft wird, dass Abgeordnete auch Nebentätigkeiten wahrnehmen. Wir stellen in unserem Gesetzentwurf allerdings fest, dass im Mittelpunkt der Tätigkeit eines Abgeordneten die Ausübung des Mandats
zu stehen hat.
({4})
Dass Abgeordnete daneben andere Tätigkeiten wahrnehmen dürfen, ist ihnen vom Verfassungsgericht schon
1975 zugebilligt worden.
Wir sollten aber bekräftigen - das ist das Entscheidende -, dass der Mittelpunkt die Tätigkeit im Parlament
und in den Wahlkreisen ist. Das sollten wir gemeinsam
auch zu beherzigen versuchen. Die Bürgerinnen und
Bürger draußen haben ein Anrecht darauf, dass diese
Reihenfolge gewahrt wird. Damit räumen wir ein, dass
dies an der einen oder anderen Stelle bisher vielleicht
nicht ganz so deutlich geregelt gewesen ist, wie wir uns
das inzwischen vorstellen.
Ein weiterer Punkt ist, dass wir alle Tätigkeiten, die
ein Abgeordneter wahrnimmt, für meldepflichtig halten.
Der Bundestagspräsident soll über alles Bescheid wissen, und zwar nicht deswegen, weil wir so etwas wie öffentliche Transparenz haben wollen, damit sich die Menschen draußen im Lande irgendwo vielleicht neiderfüllt
über das Abgeordnetendasein auslassen können - vielleicht auch einige Medien, die das in den vergangenen
Monaten in genussvoller Weise immer wieder praktiziert
haben -, sondern deswegen, weil klargestellt werden
muss, ob Interessenkonflikte eintreten können.
Der Ausgangspunkt für allen Regelungsbedarf ist
also: Es muss erkennbar werden, ob ein Abgeordneter
durch die Nebentätigkeit Interessenkonflikten unterliegen kann. Es geht nicht um andere Dinge wie das Bedienen von Neidgefühlen oder ähnliche Geschichten. Auch
das ist schon heute Morgen bei der Debatte über die Offenlegung der Managergehälter mit Recht gesagt worden.
Das Entscheidende ist: Das alles darf nicht sanktionslos bleiben. Dass Abgeordnete eine Nebentätigkeit
wahrnehmen, die vielleicht noch nicht einmal durch Arbeit unterlegt ist, und dafür Geld beziehen, ist für unsere
Begriffe unmöglich. Wir stellen deswegen fest: Bezahlung ohne Gegenleistung darf es schon gar nicht geben.
({5})
Wir stellen außerdem fest: Wenn denn schon Nebentätigkeit und Bezahlung, dann in angemessener Form, aber
auch so, dass es transparent ist, dass es bekannt wird,
dass damit auch klar wird, der Abgeordnete könnte etwas tun, weil er vielleicht irgendwelche Interessen bedient, die möglicherweise mit seiner Abgeordnetentätigkeit in Konflikt stehen. Das ist genau der Hintergrund.
Für den Fall, dass Abgeordnete dem nicht nachkommen, führen wir zusätzlich ein Sanktionensystem ein,
zu dem wir stehen. Wir finden, dass das, was bisher im
Bundestag galt, nämlich vage Regelungen, aber ohne
jede Folge, zu Ende sein muss.
({6})
Wir haben deswegen auch ein Ordnungswidrigkeitenrecht bis hin zur Rückzahlungspflicht eingebaut.
Damit haben wir, glaube ich, eine gute Regelung getroffen.
Ich will aber auch - das will ich hinzufügen; es ist
nämlich wahrscheinlich meine letzte Rede vor diesem
Hohen Haus - betonen, meine Damen und Herren, liebe
Kolleginnen und Kollegen, dass es mir schon Sorge
macht, wie insbesondere in der Medienöffentlichkeit
nicht selten mit dem Status und der Arbeit der Abgeordneten umgegangen wird. Wir wollen dies nicht dadurch
bedienen, dass wir jetzt alles verschärfen, sondern wir
wollen dem eine Grenze setzen, indem wir unsere eigenen Pflichten betonen. Wir machen damit klar, dass Abgeordnete nicht der Spielball der Medien in diesem
Lande sein wollen und dürfen, und bitten gleichzeitig
darum: Respektieren Sie uns auf der Grundlage unserer
Arbeit, die wir hier im Hause und draußen in den Wahlkreisen leisten!
({7})
Es gibt, wie ich finde, nichts Schlimmeres, als wenn mit
Pauschalverurteilungen auf der Grundlage von Einzelfällen der gesamte Stand der Abgeordneten erst einmal
fröhlich niedergemacht wird. Das ist leider oft so geschehen. Das hat diesem Lande, wie ich finde, nicht gut
getan.
({8})
Darum appelliere ich an uns alle:
Erstens. Lassen Sie uns saubere und klare Regelungen
treffen! Dafür bieten wir Ihnen mit dem vorliegenden
Gesetz und den vorgeschlagenen Verhaltensregeln eine
gute Grundlage.
Zweitens. Lassen Sie uns alle gemeinsam, indem wir
das auf den Weg bringen, dafür sorgen, dass die Bedeutung des Status der Abgeordneten in diesem Lande zur
Geltung kommt und auch entsprechend wahrgenommen
wird; das halten wir ja alle für wichtig!
Vielen Dank.
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Norbert Röttgen
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In dieser Debatte wie auch in den nachfolgenden
Abstimmungen geht es um die Rechtstellung von Parlamentariern, von Mitgliedern des Deutschen Bundestages. Es sollen Anzeige- und Veröffentlichungspflichten,
Sanktionsmöglichkeiten und ein Ordnungsrecht gegen
Abgeordnete begründet werden. Allein wenn man sich
vor Augen führt, worum es geht, wird einem klar, dass in
dieser Debatte und den nachfolgenden Abstimmungen
grundsätzliche und wichtige Fragen des Parlamentarismus und des Parlamentsverständnisses berührt werden.
Ich möchte erneut an dieser Stelle festhalten: Unsere
Fraktion, die CDU/CSU-Fraktion, hält die geltenden Regelungen nicht für ausreichend. Das haben wir immer
betont. Wir waren es auch, die gesagt haben, dass eine
vernünftige Regelung gefunden werden muss, die vom
Hause getragen wird. Es geht aber eben um angemessene Regelungen, die sich durchaus in dem Spannungsfeld bewegen, das Sie, Herr Kollege Schmidt, beschrieben haben. Wenn man da so herangeht, sieht man auch,
dass sich diese Diskussion in ihrem Verlauf geändert hat:
von einer hysterischen, von Parteitaktik geprägten Debatte ganz zu Beginn des Jahres hin zu einer sehr sachorientierten, auch die komplizierten Diskussionen, die in
der Rechtstellungskommission geführt wurden, aufnehmenden Debatte.
Im Zentrum stand immer die Abwägung, wie wir Berufstätigkeit neben dem parlamentarischen Mandat bewerten. Hier tut sich ein Spannungsfeld auf, das deutlich macht, wie kompliziert die Fragen werden, wenn
man nicht versucht, sie parteitaktisch zu beantworten
oder aus ihnen einen kleinen parteitaktischen Vorteil zu
ziehen, sondern sich der Verantwortung, die wir alle tragen, gegenüber dem Parlament und dem Parlamentarismus stellt.
In dem Gesetzentwurf und in den Verhaltensregelungsvorschlägen der Koalition wird Berufstätigkeit neben der parlamentarischen Tätigkeit insbesondere als
Gefahr für die Unabhängigkeit von Abgeordneten angesehen. Sie wird als Gefährdungstatbestand wahrgenommen, den man kontrollieren muss.
({0})
Unsere Fraktion ist der Auffassung, dass mindestens so
sehr oder sogar noch mehr die Berufsfähigkeit eines Abgeordneten neben und außerhalb des Parlamentes, also
die Frage, ob er auch ohne politisches Mandat in der
Lage ist, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, eine Rolle
dabei spielt, wie unabhängig man in der Politik ist und
als wie unabhängig Politik wahrgenommen wird.
({1})
Es gibt nicht nur die Abhängigkeit - ({2})
- Ich will das doch nur betonen. Ich suche gar nicht den
Widerspruch.
({3})
Ich will nur verdeutlichen, wo die Schwierigkeiten liegen.
Es gibt sowohl die Gefahr der Abhängigkeit in der
Politik als auch die Gefahr der Abhängigkeit von der Politik.
({4})
Darum wäre, glaube ich, das Wissen um die Ausbildung
eines Abgeordneten mindestens genauso interessant
wie das um seine Einkünfte. Sind die Abgeordneten in
der Lage, außerhalb des Mandates einen Beruf auszuüben,
({5})
oder sind sie abhängig davon, in der Politik Geld zu verdienen? Ich glaube, dass das die Bürger sehr interessiert
und dass es angesichts der nebulösen Berufsangaben bei
manchen Kollegen interessant wäre, Näheres zu erfahren.
Der Grund, dass wir heute nicht gemeinsam über die
Verhaltensregeln abstimmen können, ist, dass die Koalition - das ist mein Vorwurf an sie - mit einer Tradition
gebrochen hat. Die Tradition dieses Hauses war nämlich,
dass wir über diese Fragen des Parlamentarismus nicht
danach entscheiden, wer gerade zufällig die Mehrheit im
Hause hat und sich gegenüber der Minderheit durchsetzen kann. In der Vergangenheit war es gute Tradition,
über diese Fragen betreffend das Parlament auf der
Grundlage eines breiten Konsenses im Hause zu entscheiden.
({6})
Wir haben lange daran gearbeitet, aber wir haben die
Probleme noch nicht zur Entscheidungsreife gebracht.
Nun haben Sie in der aktuellen politischen Situation die
Entscheidung getroffen: Wir wollen jetzt unsere Vorschläge einbringen. Wir glauben, wir können daraus parteipolitisch etwas machen. Wir sind in Bedrängnis; also
suchen wir den parteipolitischen Vorteil und kalkulieren
diesen Traditionsbruch. Wir sind bereit, den Konsens,
den Kompromiss im Hause aufzugeben.
Das ist Ihre politische Entscheidung.
({7})
Vor diesem Hintergrund haben Sie die Konsenssuche abgebrochen. Sie sind auf keinen einzigen Vorschlag, den
wir gemacht haben, mehr eingegangen, sondern machen
nun in der Hektik der politischen Situation Vorschläge
und schlagen eine Neuregelung vor.
Dass das sachwidrig ist, beweist Ihr Vorschlag selber;
denn in Kraft treten soll diese Regelung nicht ab sofort
- was möglich wäre -, sondern erst in der nächsten Legislaturperiode.
({8})
Sie selber wissen aber, dass Sie mit einer Geschäftsordnung für diesen Bundestag den nächsten Bundestag
überhaupt nicht binden können, sondern in der neuen
Legislaturperiode eine neue Entscheidung getroffen werden muss. Daran zeigt sich, dass Ihr Vorgehen parteipolitisch motiviert ist. Ich glaube, der Preis, den Sie zu zahlen bereit sind, ist zu hoch.
({9})
Ich will in der Kürze der Zeit zwei Argumente bringen, die verdeutlichen, dass die Sache nicht reif ist. Wir
sind dafür, dass geregelt wird: Wenn ein Abgeordneter
eine Leistung erhält, dann muss er dafür eine Gegenleistung erbringen. Das ist das normale Verständnis aller
Menschen: Eine Gegenleistung muss auch verdient werden.
({10})
Das ist aber nicht der Vorschlag der Koalition. Sie sagen:
Leistung darf nur bei angemessener Gegenleistung entgegengenommen werden. Nun frage ich Sie: Wer bestimmt diesen Angemessenheitsmaßstab dort, wo es ihn
nicht gibt? Das ist ein offenes Problem aus der Diskussion der Rechtstellungskommission. Sie können diese
Frage auch nicht beantworten. Sie berührt die Frage des
Verständnisses der Funktion des Parlamentspräsidenten.
Sind wir der Auffassung, der Parlamentspräsident ist im
Wesentlichen ein Kollege, ein hervorgehobener, ein Primus inter Pares, oder ist er für uns ein Vorgesetzter, der
dem Einzelnen sagt, was angemessen, gerade noch angemessen oder nicht mehr angemessen ist?
({11})
Das sind ganz grundsätzliche Fragen, die Sie in der Sache nicht geklärt haben, bei denen Sie aber jetzt nach außen so tun, als sei das geklärt.
Eine letzte Bemerkung. Die Stufenregelung, die Sie
bei den Einkünften vorschlagen - Sie sind davon weggekommen, dass die Einkünfte präzise angegeben werden
sollen -, erreicht ihr Ziel nicht. Sie erreichen mit diesem
Vorschlag keinen Gewinn an Transparenz für die Bürger;
denn die Bürger können aus der Eingruppierung in die
Stufen nichts erkennen. Hinzu kommt, dass diese Stufenregelung verfassungsrechtlich problematisch ist. Das
wissen auch Sie. Aber Sie ignorieren die verfassungsrechtlichen Bedenken.
({12})
Darum kündige ich für unsere Fraktion an: Wir werden in der nächsten Legislaturperiode versuchen, erneut
einen Konsens zu erreichen. Wir werden den Faden wieder aufnehmen und versuchen, einen Kompromiss zu erzielen. Wir werden eine Initiative ergreifen, um ein auf
Transparenz und Offenheit ausgerichtetes Abgeordnetengesetz und entsprechende Verhaltensregeln zu realisieren. Aber wir werden das verfassungskonform gestalten, so, dass die Bürger wirklich etwas davon haben und
dass Gefahren für die Unabhängigkeit von Abgeordneten erkannt werden. Ein wirksames Abgeordnetenrecht
und nicht ein parteipolitisch günstiges Abgeordnetenrecht wollen wir.
({13})
Wir wollen die Verantwortung für das Parlament wahrnehmen.
Eine allerletzte Bemerkung. Mit Ihnen, Herr Kollege
Schmidt, hätte unsere Fraktion eine solche Regelung erreichen können.
({14})
Dass diese nicht erreicht worden ist, bedauern wir in der
Sache. Wir wollen in der für Sie vielleicht letzten Debatte damit gleichzeitig unsere Wertschätzung Ihrer Person gegenüber gerne zum Ausdruck bringen.
Besten Dank.
({15})
Das Wort hat nun der Kollege Volker Beck,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Kollege Röttgen, ich muss Ihre Vorwürfe, was
sowohl das Verfahren als auch den Inhalt angeht, zurückweisen. Wir hatten die Diskussion über die Nebeneinkünfte von Abgeordneten zur Jahreswende. Wir haben sechs Monate in unterschiedlichen Gremien dieses
Hauses - in der Geschäftsführerrunde, in der Rechtstellungskommission, im Geschäftsordnungsausschuss unter Heranziehung von Verfassungsrechtlern über diese
Frage intensiv diskutiert. Wir haben wirklich versucht,
mit Ihnen zusammen zu einer Reform zu kommen.
Es ist ganz offensichtlich, dass es in diesem Haus unterschiedliche Haltungen zu dieser Thematik gibt. Im
Antrag der FDP wird davon gesprochen, die heutige
Rechtslage sei ausreichend. Ich gestehe zwar zu, dass
Sie zu dieser Frage eine andere Haltung haben. Aber ich
habe bis heute noch nicht verstanden, welche Haltung
Sie eigentlich einnehmen.
({0})
Sie halten ein bisschen mehr Transparenz für notwendig.
Aber Sie haben kein Konzept für die Verhaltensregeln
vorgelegt, in denen nach unserer gesetzlichen Regelung
die wesentlichen Pflichten und die Veröffentlichungsmodalitäten, die jetzt neu geschaffen werden, niedergelegt
Volker Beck ({1})
sind. Mit dem Abgeordnetengesetz ermächtigen wir uns
im Wesentlichen selber, diese Pflichten im Detail im
Rahmen der Verhaltensregeln zu konkretisieren.
Ich kann nicht erkennen, wie Sie mehr Transparenz
über das heute bestehende Recht hinaus herstellen wollen. Ich habe nur verstanden, dass Sie damit einverstanden sind, dass zu Unrecht erlangte Vermögensvorteile an
den Bundestagspräsidenten abgeführt werden müssen.
Aber dann hört es mit der Gemeinsamkeit schon auf.
Nach der Diskussion, die wir um die Jahreswende
hatten und die dem Ansehen des Hohen Hauses bei den
Menschen draußen enorm geschadet hat, sind wir in der
Pflicht, die Unabhängigkeit des Mandates durch Transparenz zu sichern.
({2})
Es ist nicht anrüchig, wenn jemand neben dem Mandat
Geld verdient. Er soll es aber sagen und der Bürger soll
es erfahren. Ende der Durchsage. Wer sein Geld wert ist,
der braucht das Licht der Öffentlichkeit nicht zu fürchten. Denn wir schützen die Abgeordneten sowie ihr Lebens- und Arbeitsumfeld mit der stufenweisen Veröffentlichung.
({3})
Nicht die absoluten Zahlen, wie sich das viele von uns
gewünscht hätten, sondern nur drei Stufen werden veröffentlicht.
({4})
Daran können die Bürgerinnen und Bürger ablesen, welche ökonomische Bedeutung die Wahrnehmung des
Mandates für den Abgeordneten hat und welche ökonomische Bedeutung die Tätigkeit neben dem Mandat für
ihn hat. Daraus können sich die Bürgerinnen und Bürger
je nach Einzelfall - es wird ja auch veröffentlicht, woher
die Einnahmen des Abgeordneten kommen - ein Bild
darüber machen, ob in bestimmten Debatten die Meinung dieses Abgeordneten womöglich durch seine wirtschaftliche Tätigkeit beeinflusst ist oder ob sein Handeln
im Wesentlichen dem Auftrag seiner Wählerinnen und
Wähler entspricht. Es können Nachfragen gestellt werden, die der Abgeordnete beantworten darf.
Ich stelle für unsere Fraktion klar: Niemand will die
Nebentätigkeit von Abgeordneten als Freiberufler, als
Unternehmer oder im Rahmen eines Autorenvertrages
ins schiefe Licht rücken. Das ist völlig okay. Deshalb
müssen diese Tätigkeiten nicht verheimlicht werden.
Man muss auch nicht so tun, als ob diese Tätigkeiten etwas Anrüchiges seien, was niemand erfahren dürfe.
Ich denke, wir sollten darüber eine ehrliche Debatte
führen. Wir sollten den Bürgern sagen, was wir nebenher
tun. Wir müssen womöglich manchmal auch die Frage
beantworten, wofür wir noch Zeit haben. Ich finde, die
Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf,
dies zu erfahren. Sie schicken uns in dieses Parlament
und beauftragen uns, nach bestem Wissen und Gewissen
das Beste für unser Land zu tun. Sie erwarten natürlich
auch, dass wir im Wesentlichen unsere gesamte Kraft für
das Mandat aufwenden, um dem Wählerauftrag zu entsprechen.
({5})
- Das müssen Sie schon aushalten. - Ich bin der Auffassung, dass das Mandat in der Tat im Mittelpunkt der Tätigkeit des Abgeordneten stehen sollte.
({6})
Da bin ich in bester Gesellschaft mit dem Bundesverfassungsgericht.
Herr Kollege Beck, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Fricke?
Mit Vergnügen.
Herr Kollege Beck, Sie haben gerade die Äußerung
gemacht, dass der Bürger wissen muss, wie viel Zeit der
Abgeordnete für sein Mandat verwendet.
({0})
Heißt das, dass eine Familienmutter oder ein Familienvater, die bzw. der schlicht mehr Zeit für seine Kinder
aufbringt als jemand, der keine Kinder hat, Ihrer Meinung nach ein schlechterer Abgeordneter ist?
({1})
Herr Beck, sind Sie der Meinung, dass die Frage der Zeit
die Frage der Qualität ersetzt?
Herr Kollege Fricke, das will ich Ihnen gerne beantworten.
({0})
An diesem Punkt geht es nicht um Quantität, sondern um
Qualität,
({1})
darum, ob im Mittelpunkt der Tätigkeit des Abgeordneten tatsächlich sein Mandat steht.
({2})
- Gestehen Sie mir zu, dass jetzt überwiegend ich das
Wort zur Beantwortung der Zwischenfrage Ihres Kollegen habe, Frau Laurischk.
Ich bin der Meinung, dass im Mittelpunkt die Tätigkeit des Abgeordneten stehen muss, es daneben weitere
Volker Beck ({3})
Tätigkeiten geben kann und dass seine privaten Verpflichtungen außer Frage stehen. Ein guter Familienvater bzw. eine gute Familienmutter ist sicher ein Ausweis
von Verantwortlichkeit und Vorbildlichkeit, was das
Mandat eher ziert, als dass es zum Nachteil gereicht.
({4})
- Bleiben Sie bitte bis zum Ende der Beantwortung stehen!
Ich finde schon, dass sich die Bürgerinnen und Bürger
ein Bild darüber machen sollen, wie viel Zeit Abgeordnete für ihr Mandat verwenden. Mir ist im Ausschuss
schon passiert, dass mir Abgeordnete sagten: Am
Montag einer Sitzungswoche ist mit mir keine Ausschussanhörung zu vereinbaren, weil ich irgendwann ja
auch Geld verdienen muss. - Diese Nebentätigkeitsabgeordneten sind mir ein Dorn im Auge,
({5})
weil sie die parlamentarische Beratung und die Qualität
der Arbeit dieses Hauses beeinträchtigen. Wenn sich die
Bürgerinnen und Bürger von dem Handeln der Abgeordneten ein Bild machen können, dann ist dies kein Schaden für dieses Haus und diese Demokratie, sondern ein
Gewinn.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat nun der Kollege Jörg van Essen, FDPFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Beck, dass Ihnen Kollegen, die einen Beruf
haben, ein Dorn im Auge sind, dafür habe ich bei Ihrem
beruflichen Vorleben, das, wenn ich richtig gelesen
habe, im Wesentlichen aus einem nicht abgeschlossenen
Studium besteht, Verständnis.
({0})
Genau damit ist nämlich der Finger in die Wunde gelegt. Kollege Röttgen hat zu Recht darauf hingewiesen,
dass die größte Bedrohung für die Unabhängigkeit eines
Abgeordneten die Frage seiner Berufsfähigkeit ist. Wer
nämlich nichts anderes als Politik gelernt hat, wer direkt
nach dem abgebrochenen Studium in die Politik gegangen ist, wird sich an das Mandat klammern. Er wird alles
mitmachen, was ihm insbesondere von der Fraktionsführung zugemutet wird.
({1})
Genau das ist der Abgeordnete, den wir nicht brauchen.
Wir sehen die beruflichen Erfahrungen der Kollegen
als Chance. Wir sehen die beruflichen Erfahrungen der
Kollegen als Bereicherung der Debatte im Deutschen
Bundestag. Deshalb sind wir sehr froh, dass wir von allen Fraktionen den höchsten Anteil an Handwerkern,
den höchsten Anteil an Selbstständigen und den höchsten Anteil an Freiberuflern haben.
({2})
Wir lassen auch diejenigen, die den Mittelstand vertreten, in den parlamentarischen Beratungen zu Worte kommen und bringen damit deren Erfahrungen in die Debatte
mit ein.
({3})
Fast alle derjenigen Kollegen, die aus diesem Bereich
kommen, haben gesagt: Offenlegungspflichten führen
dazu, dass wir unserer wirtschaftlichen Tätigkeit - denn
wir haben auch eine soziale Verantwortung gegenüber
unseren Mitarbeitern - nicht gerecht werden können,
weil unsere Konkurrenten ablesen können, wie unsere
wirtschaftliche Situation ist. Damit haben wir erhebliche
wirtschaftliche Nachteile. - Ich erinnere daran, dass das
auch die soziale Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern, die von diesen Kolleginnen und Kollegen beschäftigt werden, berührt.
({4})
Wir sind offen in die Beratungen gegangen. Wir haben das auch deutlich gemacht. Wir haben gesagt, dass
wir die Regeln, die wir haben, grundsätzlich gut finden.
Wir haben mit eigenen Beiträgen, zum Beispiel beim
Sanktionenrecht, deutlich gemacht, dass wir durchaus
sehen, wo nachgebessert werden kann.
Was Sie ursprünglich vorgeschlagen haben, wird
nicht einmal den Mindeststandards eines rechtlich
durchgreifenden Verfahrens gerecht. Beispielsweise hat
der Aspekt der Verjährung bei Ihnen überhaupt keine
Rolle gespielt. Auch das hat deutlich gemacht, dass zutrifft, was der Kollege Röttgen gesagt hat: dass Sie populistisch etwas erreichen wollen, aber keine Lösung, die
einer rechtlichen Nachprüfung standhält.
Den wesentlichen Grund, weshalb wir nicht zustimmen können, hat Professor Waldhoff in einem wirklich
beeindruckenden Gutachten deutlich gemacht.
({5})
Ihr Sachverständiger, Professor Meyer, hat gesagt, Abgeordnete könnten sich in ihrem Amtsverhältnis nicht
auf Grundrechte berufen.
({6})
Sie haben deutlich gemacht, dass Sie dessen Meinung
nicht teilen, aber bis heute nicht klar gemacht, wie Sie
die verfassungsrechtlichen Bedenken von Professor
Waldhoff widerlegen wollen. Er hat uns gesagt - das ist
auch die Auffassung meiner Fraktion -, dass unüberwindbare verfassungsrechtliche Hindernisse insbesonJörg van Essen
dere aus dem informationellen Selbstbestimmungsrecht,
aber auch aus Art. 12, sowohl hinsichtlich der Abgeordneten wie auch dritter Personen, etwa steuerlich gemeinsam veranlagter Ehegatten und Geschäftspartner, dagegen sprechen, diese Offenlegungsregeln so umzusetzen,
wie Sie es tun.
Es gibt bei uns eine Bereitschaft zur Transparenz. Sie
ist in der Politik wichtig. Aber es gibt bei uns keine Bereitschaft, Grundrechte von Abgeordneten nicht zu wahren.
({7})
Diese Grenze haben wir gesehen. Deshalb können und
werden wir nicht zustimmen.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Erika Simm, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe meinen vorbereiteten Redetext beiseite gelegt
und will mich, um nicht endlos immer dieselben Dinge
zu wiederholen - was schon in der ersten Lesung gesagt
worden ist, was der Inhalt des Gesetzes ist -, darauf beschränken, auf ein paar Dinge einzugehen, die hier gesagt worden sind.
Herr Röttgen hat sich zwar dagegen verwahrt, aber
letztlich hat er doch einen Widerspruch zu uns aufgebaut, indem er die Notwendigkeit der Berufsfähigkeit
des Abgeordneten betont hat. Herr Röttgen, da sind wir
uns völlig einig. Gerade wenn man so lange hier ist, wie
ich das bin, lernt man im Laufe der Zeit, welchen Unterschied es macht, ob jemand mit einer gestandenen Berufserfahrung oder sozusagen als Lernender in jeder Beziehung hier anfängt. Wer beruflichen Erfolg und eine
gewisse Vororientierung mitbringt, hat auch ein gewisses Selbstbewusstsein, was die Sachentscheidungen angeht. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Da sind
wir uns einig. Das kann eigentlich niemand vernünftigerweise anders sehen. Natürlich sollen auch junge Abgeordnete in den Bundestag. Bei der Diskussion sollte
aber bedacht werden, unter welchen Voraussetzungen sie
hier schwerste Entscheidungen zu treffen haben.
Sie haben uns vorgeworfen, wir hätten die Konsenssuche abgebrochen.
({0})
Ich sehe das nicht so.
({1})
Wir haben lange miteinander diskutiert. Der Prozess hat
sich auch dadurch ein Stück weit in die Länge gezogen,
dass wir den Eindruck hatten - ich denke, er war gar
nicht so falsch, aber er hat sich dann nicht bestätigt -,
dass bei Teilen Ihrer Seite die Bereitschaft vorhanden
sei, zu einer gemeinsamen Regelung zu kommen.
Faktum ist, dass wir unter Zeitdruck geraten sind und
vor dem möglicherweise alsbald drohenden Ende der
Legislaturperiode zu einem Ergebnis kommen wollten.
Ich meine, das ist in der Sache auch berechtigt. Die Kollegen, die sich jetzt um ein Bundestagsmandat bewerben, sollen wissen, unter welchen rechtlichen Voraussetzungen und mit welchen rechtlichen Verpflichtungen sie
das tun. Deshalb halte ich es für sachlich vertretbar, dass
wir den Beratungsprozess beschleunigt haben. Von daher
mag nach außen hin ein gewisser Zeitdruck entstanden
sein. Aber ich denke, es war noch ein geordneter Beratungsprozess.
Dafür bedanke ich mich als Vorsitzende des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ausdrücklich, insbesondere bei den Kollegen der
Opposition, die zum Beispiel durch ihren Fristverzicht
und durch ihre Bereitschaft, eine Sondersitzung durchzuführen, die heutige zweite und dritte Lesung der beiden Gesetzentwürfe ermöglicht haben.
Herr van Essen, ich bin nicht der Meinung, dass unsere Regelungen verfassungsrechtlich nicht in Ordnung
seien. Faktum ist ganz schlicht und einfach: Wir haben
es in der Rechtstellungskommission mit zwei Sachverständigen zu tun gehabt, die sehr unterschiedliche
Rechtspositionen vertreten haben, sodass sich nun jede
Seite sozusagen auf „ihren“ Sachverständigen berufen
kann. Das ist unter Juristen nicht selten der Fall; das wissen wir.
Ich denke, hier müssen wir selbst eine Entscheidung
treffen, wie wir es auch sonst als Politiker und Abgeordnete tun.
({2})
Letztlich müssen wir entscheiden, wie weit wir uns in
unsere Karten schauen lassen wollen, ob wir bereit sind,
unsere Verhältnisse teilweise bis ins Persönliche gehend
offen zu legen, und wo wir, von den persönlichen Bedürfnissen ausgehend, die Grenze ziehen und sagen:
Diese Sphäre ist grundgesetzlich geschützt.
Ich denke, das ist uns mit diesen beiden Gesetzentwürfen gelungen. Wir haben vernünftig und richtig entschieden. Mit unserer Entscheidung kann jede Seite leben: sowohl die Bürger, die ein Informationsinteresse
haben, als auch die Abgeordneten, denen einige Offenlegungspflichten zugemutet werden.
({3})
Bevor meine Redezeit abgelaufen ist, möchte ich
mich gerne bei Ihnen bedanken. Es könnte sein, dass
dies meine letzte Rede in diesem Hause war. Daher
möchte ich, insbesondere aus Anlass dieses Gesetzgebungsverfahrens, die Gelegenheit wahrnehmen, mich
ganz herzlich - sowohl grundsätzlich als auch in diesem
Zusammenhang - zu bedanken für die durchaus kontroverse Diskussion und die dennoch kollegiale Zusammenarbeit, die es uns ermöglicht hat, heute die abschließende Beratung durchzuführen. Ich wünsche Ihnen für
Ihr weiteres politisches Leben, aber auch für die Entscheidungen, die Sie treffen werden, weiterhin alles
Gute.
({4})
Das Wort hat Dr. Gesine Lötzsch.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und
Herren! Ich bin Abgeordnete der PDS.
Der vorliegende Gesetzentwurf schafft mitnichten
den gläsernen Abgeordneten. Er ist eher so etwas wie ein
Milchglasgesetzentwurf. Die Abgeordneten sollen ihre
monatlichen Einkünfte in drei Einkommensstufen veröffentlichen: Die erste Stufe betrifft Einkommen von
1 000 Euro bis 3 500 Euro monatlich, die zweite Stufe
Einkommen bis 7 000 Euro monatlich und die dritte
Stufe Einkommen über 7 000 Euro monatlich.
Ein Beispiel: Wenn diese Regelung für Vorstände von
börsennotierten Unternehmen gelten würde, dann käme
Herr Ackermann mit einem Gehalt von über
10 Millionen Euro in die dritte Stufe: Einkünfte über
7 000 Euro. Wir sind uns doch hoffentlich alle einig: In
diesem Haus lässt sich niemand für 7 000 Euro bestechen. Herr Pfahls von der CDU hat diese Latte bei
seinen Gefälligkeiten im Rahmen der Panzerexportgeschäfte schon vor Jahren, als er noch Rüstungsstaatssekretär war, viel höher gelegt.
Aber warum in die Vergangenheit sehen?
({0})
Ich habe gelesen, dass der Abgeordnete Riesenhuber von
der CDU in acht Aufsichtsräten sitzt: Beim Pharmakonzern Altana bekommt er 75 000 Euro, bei Vodafone
60 000 Euro und bei Henkel rund 50 000 Euro im Jahr.
Auch er kommt diesem Gesetzentwurf zufolge in die
dritte Stufe: Einkünfte über 7 000 Euro.
({1})
Warum kann man diese Angaben nicht eins zu eins im
Handbuch des Deutschen Bundestages und im Internet
veröffentlichen?
({2})
Wenn es zum Beispiel um den Anteil der Pharmaindustrie an der Finanzierung der Gesundheitsreform geht,
wäre es doch gut, wenn die Öffentlichkeit wüsste, wie
sich Herr Riesenhuber, Abgeordneter und Aufsichtsrat
beim Pharmakonzern Altana, verhält.
Meine Damen und Herren, eigentlich hätten Sie sich,
was Sie häufig und gerne tun, ein bisschen an den USA
orientieren können. In der Steuererklärung von Senatorin
Hillary Clinton kann man zum Beispiel nachlesen, dass
ihr Ehemann Bill für seine Rede in Baden-Baden
250 000 Dollar bekommen hat. Das ist kein Geheimnis:
Jeder amerikanische Politiker muss seine Steuererklärung veröffentlichen. Warum sollte das nicht auch bei
uns gehen?
({3})
Meine Kollegin Petra Pau und ich haben alle unsere Einkünfte veröffentlicht. Wir haben abgeschlossene Studien, wir haben Berufserfahrung. Wir haben trotzdem
keine Nebenjobs und wir werden auch in Zukunft keine
Nebenjobs annehmen. Denn wir sind der Meinung, dass
ein Bundestagsabgeordneter - im Landtag mag das vielleicht anders sein - seine ganze Kraft braucht, um die
Regierung zu kontrollieren und den Auftrag seiner Wähler zu erfüllen. Wer meint, dass er auch als Minijobber
den Wählerauftrag erfüllen kann, sollte das seinen Wählerinnen und Wählern vor der Wahl recht deutlich sagen
und mit den Reaktionen leben.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Ramsauer, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, man sollte in dieser Debatte noch einmal an
den Ausgangspunkt erinnern, warum wir uns seit einem
halben Jahr mit dieser Materie befassen: Auslöser war
das Verhalten von mehreren Landtagsabgeordneten in
Niedersachsen und in Nordrhein-Westfalen - deren Verhalten wäre schon nach den Regeln, die wir bisher beim
Deutschen Bundestag haben, nicht möglich gewesen und das Fehlverhalten eines SPD-Bundestagsabgeordneten, der hinreichend abgestraft worden ist: Er musste
sein Mandat niederlegen.
Es stimmt nicht, was der Kollege Wilhelm Schmidt
gesagt hat: dass wir bisher kein Sanktionssystem gehabt
hätten. Deswegen muss man an dieser Stelle sagen, dass
wir schon bisher ein sehr weitgehendes Regelinstrument
in den Fragen der Nebentätigkeiten und der Anzeige von
Nebeneinkünften hatten. Im Übrigen - daran sei auch
noch einmal erinnert - haben wir erst vor knapp drei Jahren die Regeln dramatisch verschärft, im Zusammenhang mit der Hunzinger-Affäre, die nicht von irgendeinem Oppositionspolitiker ausgelöst worden war, sondern
von einem grünen Bundestagsabgeordneten und einem
SPD-Bundesminister.
({0})
Das waren doch nicht wir, es waren Rot und Grün, die
die Hunzinger-Affäre ausgelöst haben, die auch zu
Rücktritten geführt hat.
({1})
Aber wo man etwas verbessern kann, wollen wir nicht
im Wege stehen. Deswegen haben wir uns in den letzten
Monaten konstruktiv daran beteiligt, zu noch besseren
Regeln zu kommen. Ich möchte für meine Fraktion noch
einmal sagen: Ich bin froh um jeden, der neben dem
Mandat auch noch den Kontakt zum Beruf hält. Ich sage
das deshalb, weil gerade wir in der CDU/CSU-Fraktion
eine Reihe von ganz jungen Abgeordneten haben. Wenn
wir denen die Möglichkeit verbauen würden, noch neben
dem Mandat im Deutschen Bundestag beruflich tätig zu
sein, würden wir diesen jungen Abgeordneten ein riesiges Stück Lebensperspektive wegnehmen, was wir nicht
wollen und was wir nicht können.
({2})
Für mich waren bei irgendwelchen Neuregelungen
immer drei Kriterien wichtig: erstens die rechtlichen
Schranken einer Neuregelung, zweitens die Frage, ob die
Neuregelung ehrlich ist und mehr Transparenz bringt,
und drittens die Frage, ob sie auch praktizierbar ist.
Zum ersten Kriterium, zu den rechtlichen Schranken,
möchte ich ein Wort aufgreifen, das der rechtsberatende
Professor Meyer, der für Rot-Grün tätig war, uns immer
gesagt hat
({3})
und was jetzt die Grundlage dieser Neuregelung geworden ist: dass Abgeordnete grundrechtslose Staatsfunktionäre sein sollen. Ich sehe mich nicht als grundrechtslosen Staatsfunktionär und keiner in meiner Fraktion
will sich so sehen. Aber Sie sehen sich offensichtlich so
und das ist die Grundlage dieser Neuregelung.
({4})
Ich wehre mich auch dagegen, dass in dieser Weise in
die Rechte Dritter eingegriffen wird. Denn das, was
durch die Veröffentlichungsregeln an minimaler, scheinbarer zusätzlicher Transparenz gewonnen wird, rechtfertigt noch lange nicht derart massive Eingriffe in das
Recht Dritter auf informationelle Selbstbestimmung.
({5})
Ich fand es auch entlarvend und beschämend, dass auf
entsprechende Fragen in der Rechtstellungskommission
von Ihnen - von SPD und Grünen und Ihren Beratern die Antwort kam: Wenn jemand in einer Personengesellschaft nicht will, dass sein Name in der Nähe dessen eines Abgeordneten steht und in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen wird, dann
könne man ja eine solche Familiengesellschaft, einen
Familienbetrieb, eine Personengesellschaft auflösen,
oder wenn ein Ehepartner dies nicht will, könne er sich
ja scheiden lassen. Das steht zweimal in den Protokollen
der Rechtsstellungskommission.
({6})
Bei einem solchen Verständnis ist man weit in Absurdistan und der Spaß hört auf.
({7})
- Kollege Schmidt, Sie wissen, dass es genau so war. Sie
schütteln wahrheitswidrig den Kopf. Es war genau so
und ist in den Protokollen entsprechend nachzulesen.
Zum zweiten Kriterium. Diese Neuregelungen sind
unehrlich, weil sie nur Scheinaktivitäten gegenüber
der Öffentlichkeit darstellen und kein bisschen zusätzliche Transparenz induzieren. Diese Klassen- bzw. Kategorieeinteilung ist völlig irreführend und ohne jede Aussagekraft. Was soll das über irgendwelche
Abhängigkeiten aussagen? Prägungen und Interessengeneigtheiten kommen überwiegend aus ganz anderen Bereichen: dem Beruf, der Erziehung, der Familie, den Traditionen und vor allen Dingen auch den Ehrenämtern,
die mit einer Bezahlung von irgendwelchen Honoraren
oder Gehältern nun wirklich überhaupt nichts zu tun haben. Das hat in vielen Fällen bis jetzt schon dazu geführt, dass manche ihre Ehrenämter niedergelegt haben.
Wir singen hier das Hohelied der Ehrenämter und dann
vergällen Sie sie unseren Kolleginnen und Kollegen,
weil jeder damit in den Verdacht gerückt wird, dass er
durch das Ehrenamt derartig interessengeneigt ist, dass
er im Parlament nicht mehr unabhängig abstimmt.
({8})
Wer Abgeordnete will, die keine Prägungen mehr haben, der muss sich einen geklonten Retortenparlamentarier schaffen, der vom Hörsaal direkt in den Plenarsaal
wechselt und dort wieder unter Quarantäne gestellt wird,
damit er ja keinen praktischen Bezug mehr zum realen
Leben hat. Diesen wollen wir doch alle miteinander
nicht.
({9})
Zum dritten Kriterium, der Frage, ob es praktikabel
ist. Wir haben in der Rechtsstellungskommission eine
Fülle von Fragen im Hinblick auf die Praktikabilität
nicht zu Ende diskutiert. Es ist nicht zu Ende diskutiert
worden, welches Einkommen angegeben werden soll.
Meine einfache Frage an SPD und Grüne sowie an den
Rechtsberater lautet: Welches Einkommen soll
beispielsweise ein Landwirt angeben? Ein Landwirt hat
nicht einmal nach dem Erntedankfest des laufenden Jahres Sicherheit darüber, welches Einkommen er hat. Er
weiß es selbst dann noch nicht.
Dann hat es geheißen, die Einkommensteuererklärung
solle man hilfsweise heranziehen.
({10})
- Frau Präsidentin, könnten Sie diese heulende Meute
bitte mal zur Ruhe bringen, damit sie aufmerksam ist?
({11})
Herr Kollege Ramsauer, ich wollte Sie eigentlich auf
die Zeit aufmerksam machen. Sie haben überzogen.
({0})
Ich bin auch gleich am Schluss meiner Argumentation.
Nein, Sie müssen wirklich zum Schluss kommen,
Herr Ramsauer.
Eine Einkommensteuererklärung hilfsweise heranzuziehen, ist deshalb unsinnig, weil die letzte rechtskräftige, nicht angefochtene und nicht mehr vorläufige Erklärung womöglich zehn bis 15 Jahre alt sein kann.
Welchen Informationswert soll das dann noch haben?
({0})
- Doch, da sieht man mal wieder die mangelnde Sachkenntnis bei Ihnen. - Was ist etwa mit einem Unternehmer, der seinem Unternehmen nichts entnimmt? Ich
könnte noch vieles mehr anführen.
Herr Kollege Ramsauer.
Meine Damen und Herren, Sie spannen unzählige
neue Fallstricke für unsere Kolleginnen und Kollegen
auf, wenn dieses Regelwerk in Kraft tritt. Es ist kein guter, sondern ein miserabler Gesetzentwurf. Es ist keine,
wie der Kollege Schmidt gesagt hat, klare und saubere
Neuregelung. Deshalb können wir diesen beiden Paketen auf gar keinen Fall zustimmen.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Abgeordnetengesetzes, Drucksache 15/5671. Dazu liegt mir
eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 Abs. 1 der
Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vor, und
zwar von den Kollegen Friedrich Merz
({0})
und Marco Wanderwitz.1)
Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/5846, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der FDP, einigen Gegenstimmen aus der CDU/CSU und Enthaltungen
von Kollegen der CDU/CSU angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in der dritten Beratung mit demselben
Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung angenommen.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 15/5869. Wer stimmt
für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit
den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der CDU/
CSU, Gegenstimmen der FDP und einigen Gegenstimmen aus der Union abgelehnt.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf Drucksache 15/5846 zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit
dem Titel „Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages - Verhaltensregeln für Mitglieder des
Deutschen Bundestages“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 15/5698 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas
Strobl ({1}), weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Ent-
1) Anlage 4
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
wurfs eines Gesetzes über die Warndatei
({2})
- Drucksache 15/5333 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({3})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Clemens Binninger, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren!
({0})
Bei dem Thema Warndatei, über das wir heute sprechen,
geht es um eine wirkungsvolle Maßnahme zur
Bekämpfung schwerwiegender Verbrechen. Es geht
um die Bekämpfung des Menschenhandels, der Zwangsprostitution und der illegalen Schleusung in großem
Ausmaß. Bei all diesen Deliktsformen machen sich organisierte Tätergruppen das Nichthandeln einer Regierung, schlechte Gesetze und schlechte Erlasse in hohem
Maße zunutze, indem sie die Delikte unmittelbar begehen und so in diesem Land in einem hohen Maße kriminelle Energie verbreiten.
Angesichts dessen, was diese Bundesregierung zur
Bekämpfung dieser Delikte bisher getan hat, muss man
sagen: Das ist erschreckend wenig. Ganz im Gegenteil:
Sie hat mit einer schlechten Erlasslage, der Verweigerung von sinnvollen Maßnahmen und anderen Dingen
sogar eher dazu beigetragen, dass die Zahl dieser Delikte
zunimmt. Das ist keine verantwortliche Sicherheitspolitik. Das ist zum Nachteil der Sicherheit unseres Landes
und verantwortungslos.
({1})
Um ins Detail zu gehen, muss man mit der Erlasslage
von Außenminister Fischer beginnen. Er hat dazu beigetragen, dass Touristenvisa quasi nicht mehr geprüft
wurden oder die Prüfung so lasch war, dass jeder, der
hierher kommen wollte, ins Land gelangen konnte. Damit verbunden sind eine hohe Kriminalitätsrate, eine
enorme Anzahl von illegal Eingeschleusten und - das
sind die Opfer - eine beträchtliche Zahl von jungen
Frauen, die zur Prostitution gezwungen wurden. Diese
grüne Erlasslage war ein Weckruf für die organisierte
Kriminalität.
({2})
- Herr Kollege Montag, da Sie dazwischenrufen, muss
ich Ihnen sagen: Alle Sicherheitsbehörden dieses Landes
beschreiben dieses Phänomen genau so und bestätigen
einen Zusammenhang zwischen grüner Erlasslage und
den Auswirkungen in diesen Kriminalitätsfeldern.
({3})
Hinzu kommt, dass alle sinnvollen Anregungen zur
Einrichtung einer Warndatei abgebügelt wurden.
Ich will einige Beispiele nennen: Da meldet sich die
Botschaft aus Minsk, Weißrussland, und sagt: Wir brauchen dringend eine Datei, um erkennen zu können, wo
Personen immer wieder als Einlader auftreten, die offensichtlich keine Touristen im Blick haben, sondern ganz
andere Dinge erreichen wollen. Wir können diese Personen aber nicht erfassen, weil es uns verboten wird, eine
Datei zu führen. - Dann sagt die Botschaft in Minsk in
einem wirklichen Hilfeschrei: Wenn wir das nicht dürfen, dann fragen wir uns, warum wir uns überhaupt Visastellen leisten. - Was haben Sie nach diesem Hilferuf
der Botschaft aus Minsk getan? Nichts.
Der Botschafter aus Bangkok schreibt, er könne Sicherheitsbehörden bei Anfragen nach so genannten Vieleinladern, die immer wieder junge Frauen unter dem
Vorwand einladen, Tänzerinnen, Künstlerinnen oder
wen auch immer beschäftigen zu wollen, diese dann aber
hier zur Prostitution zwingen, keine Hinweise geben,
weil er keinen Überblick habe, da er diese Personen
nicht speichern dürfe und gar nicht erkennen könne, wer
als Schleuser und Vieleinlader agiere. Der Botschafter
aus Bangkok schreibt an das Außenministerium: Wenn
wir keine Datei bekommen, dann wäre es besser, wir
würden die Visapflicht aufheben. - Was haben Sie getan? Nichts.
Die gleichen Hilferufe gibt es aus dem Generalkonsulat in Sankt Petersburg und aus den Botschaften in Kiew
und in Moskau. Das Ergebnis sind fünf Jahre Nichtstun,
eine Mischung aus Ideologie, Arroganz und Ignoranz,
mit der Sie die Sicherheitsinteressen unseres Landes,
aber auch der jungen Menschen, die hier herkommen
wollen, mit Füßen getreten haben. Das ist die Bilanz Ihrer Einreisepolitik und Ihrer Verhinderungspolitik.
({4})
Jetzt haben wir im Aufenthaltsgesetz eine Bestimmung, die Sie Visadatei nennen. Die ist an und für sich
nicht schlecht.
({5})
- Das bestreite ich nicht. Kollege Montag, Sie kennen
mich. Wenn ich etwas zugeben kann, dann tue ich das.
({6})
Aber ernsthaft zu sagen, dass diese Visadatei das Problem lösen würde, ist wirklich grüne Selbsthypnose. Mit
dieser Visadatei darf eine Botschaft lediglich in ihrem eigenen Bereich die Einlader speichern. Sie ist aber nicht
mit anderen Botschaften vernetzt, geschweige denn, dass
Sicherheitsbehörden eine Abfrage machen dürften. Es
handelt sich quasi um einen isolierten elektronischen
Zettelkasten einer Botschaft, ohne Möglichkeit für die
Polizei in Deutschland, ohne Möglichkeit für die Ausländerbehörden, ohne Möglichkeit für andere Botschaften, abzugleichen, wo immer wieder dieselben Personen
als Einlader auftreten. Die Datei ist ein Placebo. Sie ist
wirkungslos. Deshalb bringen wir unseren eigenen Antrag zur Errichtung einer Warndatei ein.
Was wir damit bezwecken wollen, ist im Prinzip ganz
einfach. Wir sagen: Wir werden diese Kriminalitätsformen nur dann wirkungsvoll bekämpfen und den Kampf
gegen dieses Verbrechen nur dann gewinnen können,
wenn wir in der Lage sind, die Erkenntnisse und die Informationen, die vor Ort in einer Botschaft gewonnen
werden, weil immer dieselben Firmen und Personen als
Einlader auftreten - nahezu im Vierwochentakt -,
schnell allen beteiligten Stellen zur Verfügung zu stellen,
und zwar den Sicherheitsbehörden in Deutschland genauso wie allen anderen Botschaften im Ausland. Denn
eines ist doch klar: Wenn eine Person, ein Straftäter oder
eine Organisation das Gefühl hat oder merkt, dass sie erkannt wird, dann weicht sie als Einlader natürlich auf
eine andere Botschaft aus. Dort aber weiß man nichts
von ihr, weil die Datenbank nicht vorhanden ist, und sie
kann ungestört ihrem Treiben weiter frönen.
Deshalb ist diese Einladerdatei, die in Ihrem Aufenthaltsgesetz enthalten ist, überhaupt nicht wirksam. Deshalb brauchen wir eine Warndatei. Wir wissen - Staatssekretär Körper wird sicher gleich stark darauf
abheben -, dass auf europäischer Ebene die Dinge vorangetrieben werden. Wir sagen aber: Wir können nicht
länger zuwarten. Es macht Sinn, hinterher die beiden Instrumente zusammenzuführen, aber man sollte nicht länger warten. Sicherheitspolitik macht man entweder ganz
oder gar nicht. Sie, meine Damen und Herren von RotGrün, haben sich offensichtlich für „gar nicht“ entschieden.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
beim Bundesminister des Innern, Fritz Rudolf Körper.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich für den Vorabapplaus
({0})
und will gleich einmal einen Hinweis machen. Das, was
von der CDU/CSU-Fraktion vorgelegt worden ist, ist
eine alte Geschichte.
({1})
Es ist nichts Neues. Am allerschönsten ist, lieber Herr
Binninger: Bereits im Jahre 1998 haben Sie versucht, einen solchen Antrag vorzulegen. Sie haben es noch nicht
einmal geschafft, ihn in den parlamentarischen Beratungsgang zu bekommen, geschweige denn dafür eine
Mehrheit zu erreichen.
({2})
Das zeigt, dass Ihr Ansatz ein völlig falscher ist.
({3})
Das sage ich noch einmal ganz deutlich und das erkläre
ich Ihnen auch. Das haben Sie in der vorletzten Legislaturperiode vorgelegt und es ist seinerzeit mit der breiten
Mehrheit des Hauses - übrigens mit den Stimmen der
FDP - abgelehnt worden.
({4})
Wer sich mit diesem Vorschlag näher befasst, muss auch
zum dritten Mal zu einer Ablehnung kommen.
({5})
- Das denke ich, weil der von Ihnen gewählte nationale
Ansatz im Grunde genommen falsch ist.
Ich habe erhebliche Zweifel, ob eine isolierte nationale Lösung, wie Sie sie propagieren, ihr Ziel erreichen
kann. Ich meine nämlich, dass dieses Ziel nicht erreicht
werden kann.
({6})
Das heißt nicht, dass die Bundesregierung in diesen Fällen nicht gehandelt hat. Sie hat bereits mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz Maßnahmen eingeführt, die
der verbesserten Bekämpfung der illegalen Einreise und
des Visummissbrauchs dienen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Umgestaltung der Visadatei des Ausländerzentralregisters zu einer personenbezogenen Visaerteilungsdatei, in der alle Visumanträge einer Person
und alle hierzu ergangenen Entscheidungen in einem
Datensatz gespeichert werden.
({7})
Außerdem werden neben der Tatsache des Vorhandenseins einer Verpflichtungserklärung und der Angabe,
wo sich diese befindet, bei Vorlage gefälschter Dokumente auch Angaben zu diesen gespeichert.
Ergänzend zu dem Maßnahmenkatalog ist im Zuwanderungsgesetz die Rechtsgrundlage für die Schaffung
von lokalen Einladerdateien in den Auslandsvertretungen geschaffen worden, in die unter anderem das Vorliegen einer Verpflichtungserklärung sowie Name und Anschrift der Referenzpersonen aufgenommen werden.
Dabei können wir insbesondere vor dem Hintergrund der
Schengener Zusammenarbeit nicht bei den bereits erfolgten Maßnahmen stehen bleiben. Wie Sie wissen,
können die Auslandsvertretungen der Schengen-Staaten
Visa für kurzfristige Aufenthalte erteilen. Diese Schengen-Visa sind im Bereich aller Schengen-Staaten gültig
und berechtigen zur Einreise in alle Schengen-Staaten.
Ein Drittausländer kann also etwa mit einem italienischen Schengen-Visum nach Deutschland einreisen und
umgekehrt. Das zeigt deutlich, dass eine isolierte nationale Warndatei diese Probleme nicht lösen kann.
Die Bundesregierung hat sich daher unmittelbar nach
den Anschlägen des 11. September 2001 für eine europäische Lösung eingesetzt, die auch hier angesprochen
worden ist. Der nicht zuletzt aufgrund dieser Forderungen Ende letzten Jahres vorgelegte Entwurf der Europäischen Kommission für das europäische Visainformationssystem sieht daher neben der Speicherung der
Daten der Visumantragsteller unter anderem ausdrücklich die Speicherung von Einladerdateien vor. Ich gebe
zu, dass dieser Entwurf noch hinter den Schlussfolgerungen des Rates der Justiz- und Innenminister der Europäischen Union vom Februar 2004 zurückbleibt und noch
weiter bearbeitet werden muss. Es sind noch einige Ergänzungen notwendig, um das Visainformationssystem
auch zu einer Warndatei auszubauen. Daher setzt sich
die Bundesregierung in den gegenwärtigen Verhandlungen zum Visainformationssystem aktiv dafür ein, den
Umfang der zu speichernden Daten auszuweiten, um
Vieleinlader- und Missbrauchsfälle auch schengenweit
erkennbar zu machen und eine eigenständige Recherche
nach diesen Daten zu ermöglichen. Dieser Ansatz ist
richtig. Wir werden ihn auch weiterhin verfolgen und
wir lassen uns von Ihnen erst recht keine Handlungsunfähigkeit nachweisen.
({8})
Wir haben in der richtigen Art und Weise gehandelt und
das werden wir auch weiterhin tun - vielleicht viel länger, als es Ihnen recht ist.
Schönen Dank.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz, FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Illegale Einreise, Menschenhandel und Schleuserkriminalität im derzeitigen Umfang sind aus unserer Sicht
- mittlerweile ist es allgemein bekannt - vor allen Dingen auf den so genannten Fischer-Erlass und seine Folgen in den Jahren 1999 bis 2004 zurückzuführen.
({0})
Ich möchte jetzt gar nicht dem Untersuchungsausschuss
vorgreifen,
({1})
der Gott sei Dank noch weiter tagen darf. Vielen Dank
an das Bundesverfassungsgericht und herzliches Beileid
zu Ihrer völlig verkehrten Einschätzung!
({2})
Aber das Parlament muss aus meiner Sicht hier Konsequenzen ziehen. Unabhängig von Neuwahlen sollten wir
uns heute damit beschäftigen. Ganz klar ist für die FDP,
dass wir hier notwendige Maßnahmen einleiten müssen.
Die rot-grüne Visavergabepraxis zog Menschenrechtsverletzungen nach sich, die uns als Bürgerrechtspartei
({3})
wirklich über die Hutschnur gehen. Wir verurteilen dies
aufs Schärfste. An dieser Stelle erinnere ich an Frau
Höhn, die den berühmten Satz sagte: Frauen, insbesondere Prostituierte, befinden sich häufig in einer viel
schlimmeren Situation, wenn sie illegal hier sind, als
wenn sie ein gültiges Visum besitzen. An die Adresse
der Grünen kann ich dazu nur sagen, dass es gut ist, dass
sie nicht mehr Ministerin ist.
({4})
Ich weiß nur nicht, ob es mit meinem Verständnis von
Bürgerrechten vereinbar ist, wenn sie demnächst Kollegin werden sollte. Mal sehen, was passiert.
Eine wichtige Konsequenz für uns ist die Überlegung,
eine internationale Warndatei, eine europäische Lösung in Angriff zu nehmen. Nach dem, was wir wissen,
wird dies allgemein erst zum 1. Januar 2008 umgesetzt
werden.
({5})
Weil es bis dahin noch eine lange Zeit ist, glauben wir,
dass man schon heute handeln sollte. Angesichts der
Quantität und Qualität der hier in Rede stehenden Problematik könnte die Einrichtung einer nationalen Datei
durchaus helfen.
({6})
- Ich weiß, dass Sie sich freuen. Das ist mein Abschiedsgeschenk an die Union zur Sommerpause.
({7})
Allerdings sehen wir dies nicht kritiklos - machen Sie
sich keine Sorgen -; anderenfalls stünde ich nicht hier.
({8})
Wir sehen Einzelheiten Ihres Gesetzentwurfs kritisch.
So wollen Sie den Personenkreis, über den dort Angaben
gespeichert werden sollen, sehr weit fassen. Wenn Personen im Rahmen des Visaverfahrens mit gefälschtem
Datum oder gefälschten Unterlagen einreisen, gehören
Informationen über sie sicherlich in eine solche Datei.
Wir sind aber dagegen, dass Angaben über einen Einlader, der hier für die Bonität eines Eingeladenen garantiert, schon dann in eine solche Datei gehören, wenn der
Antrag falsch ausgefüllt worden ist,
({9})
oder dass Angaben über jemanden, der eingeladen hat, in
eine solche Datei gehören, wenn der Eingeladene sein
Vertrauen missbraucht. Darüber werden wir jedenfalls
reden müssen.
({10})
Im Übrigen sind wir erst recht dagegen, dass Angaben
über solche Leute fünf Jahre lang in einer solchen Datei
gespeichert sind. Von daher werden wir Ihren Gesetzentwurf kritisch begleiten. Aber wir halten ihn für eine
mögliche richtige Richtung.
Vielen Dank.
({11})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Silke Stokar,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Beim
Redebeitrag von Herrn Binninger ist deutlich geworden,
worum es heute Abend gehen soll: Sie versuchen hier
ganz nebenbei, mit falschen Unterstellungen eine VisaAuschuss-Debatte zu führen.
Ich gehe in der Geschichte der Warndatei noch ein
Stück weiter zurück, als es bisher gemacht wurde. Bereits in der 13. Wahlperiode scheiterte Ihr damaliger
Bundesinnenminister Kanther - sein weiteres Schicksal
ist hier allgemein bekannt - mit dem ersten Entwurf einer Warndatei an seinem eigenen Justizressort. Ich gehe
in diese Zeit zurück,
({0})
weil nach einer Aussage des Vizepräsidenten des BKA
zur Wahrheit gehört, dass es in jener Zeit, als Herr
Kanther Bundesinnenminister war, nach der Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes die höchsten Zahlen
im Bereich der Schleuserkriminalität und auch im Bereich der Prostitution aus der Ukraine gab.
({1})
Meine Damen und Herren, Sie haben sicherlich auch
schon gemerkt, dass Ihre Propaganda mit diesen falschen Zahlen überhaupt nicht mehr verfängt.
({2})
Sie sprechen hier dennoch ein Thema an, mit dem
sich Rot-Grün seit 1980 durchgängig befasst hat.
({3})
Diejenigen, die diese Geschichte ein bisschen mit verfolgt haben, wissen, dass wir nicht nur damals im Zuwanderungsgesetz die Zusage gemacht haben, eine Visadatei einzurichten, sondern dass darüber hinaus genau
diese Einrichtung im Terrorismusbekämpfungsgesetz,
nämlich in den Sicherheitsgesetzen von Rot-Grün, verankert worden ist. All das verschweigen Sie hier. Sie tun
so, als wäre in diesem Bereich nicht gehandelt worden.
Es gibt einen Unterschied zwischen den Vorschlägen
von Rot-Grün und dem, worauf sich Schwarz-Gelb jetzt
ganz offensichtlich verständigen kann. Ich möchte die
FDP-Fraktion einfach bitten, die Einwände des damaligen Bundesbeauftragten für den Datenschutz,
Dr. Joachim Jacob, gegen eine zentrale Einladerdatei,
in der Millionen von Datensätzen gespeichert werden, zu
berücksichtigen. Er hat damals Kritik an einer solchen
zentralen Einladerdatei geübt, in die Angaben über jeden
aufgenommen werden, der irgendjemanden einlädt, der
den Wunsch hat, Deutschland zu besuchen. Das würde
bedeuten: Jeder, der einen Nichtdeutschen in seinem
Hause zu Gast hat, ist verdächtig.
({4})
Wenn Sie diesen Weg mitgehen wollen
({5})
- danke schön, FDP -, dann haben Sie schon jetzt Ihren
Anspruch als Bürgerrechtspartei aufgegeben.
({6})
Es steht völlig außer Frage, dass illegale Einreise und
Visaerschleichung bekämpft werden müssen. Deswegen
ist die Einrichtung einer Ortsdatei, mit der an den jeweiligen Auslandsvertretungen vernünftig gearbeitet wird,
richtig. Es ist aber nicht richtig, dass wir auf europäischer Ebene in einem luftleeren Raum auf irgendetwas
warten. Wir haben neben dem Schengen-Informationssystem längst ein funktionierendes Visainformationssystem.
({7})
Visa 1 arbeitet seit vielen Jahren; Visa 2 ist der Ausbau
zu einer weiteren Vernetzung. Insofern stimmen auch
Ihre Zahlen nicht. Sie sollten zumindest auch die
europäischen Berichte lesen; ich habe das getan. Die
EU-Kommission hat inzwischen einen Entwurf für eine
Verordnung vorgelegt, die 2006, also nicht irgendwann,
in Kraft treten soll.
({8})
Meine Damen und Herren, Rot-Grün war in diesem
Bereich nicht untätig.
({9})
Wir haben das gemacht, was geeignet, erforderlich und
nach datenschutzrechtlichen Gegebenheiten verhältnismäßig ist. So wollen wir auch weitermachen.
({10})
Über ein europäisches Visainformationssystem wird die
Sicherheit im gesamten Schengen-Raum gewährleistet;
das hat Rot-Grün zugesagt. An Ihren innenpolitischen
Beiträgen merkt man immer, dass Europa an Ihnen gänzlich vorbeigeht.
({11})
Wir werden auf europäischer Ebene in dieser Richtung
verhandeln. Ihr Antrag geht in eine völlig falsche Richtung. Ihre Vorschläge bedeuten Datensammelwut ohne
Sicherheitsgewinn. Das ist reiner Populismus und so etwas machen wir nicht mit.
Danke schön.
({12})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Zeitlmann, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die Vorredner haben die Situation im Zusammenhang mit der Warndatei schon deutlich beschrieben.
Es gibt alte Anträge der Union, die bisher immer abgelehnt wurden. Ich erinnere mich an eine Debatte in diesem Hause, in der der Bundesinnenminister gemahnt hat
- wohl mehr in die Richtung seiner Fraktion -, der Ansatz, man könne den Visamissbrauch über eine Datei bekämpfen, müsse zumindest geprüft werden. Da gab es
ziemliche Unruhe in seinen eigenen Reihen.
Es kann doch überhaupt keinen Zweifel daran geben,
Herr Staatssekretär Körper, dass man sich nach dem
Missbrauch, der jetzt durch den Untersuchungsausschuss so deutlich geworden ist, nicht darauf hinausreden kann. Wir haben nach dem 11. September 2001 eine
europäische Initiative auf den Weg gebracht, die irgendwann zu Ergebnissen führen soll. - Sie selber haben erklärt, im Februar 2004 habe es den letzten Austausch gegeben. Nun schreiben wir schon 2005. Einem vor Ort
arbeitenden Vertreter einer Ausländerbehörde oder einer
Polizeibehörde zu sagen: „Auf nationaler Ebene treffen
wir, obwohl wir es könnten, keine Entscheidungen, weil
irgendwann eine europäische Regelung kommt“, scheint
mir wenig überzeugend zu sein.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie
scheinen sich - das ist jedenfalls mein Eindruck - sofort
aufzuregen, wenn es um die Einrichtung einer Datei
geht. Sie würden wahrscheinlich viele Straftaten eher
straffrei stellen, bevor Sie eine neue Datei einrichten.
Man sollte aber bedenken, worum es im Kern geht. Nach
§ 2 unseres Gesetzentwurfs ist die Speicherung der Daten in der Warndatei bei Personen zulässig, die Visa erschleichen, gefälschte Dokumente vorlegen, falsche Angaben machen oder die wegen einer Straftat verurteilt
sind. Kein vernünftiger und denkender Mensch kann etwas dagegen haben, dass die Daten solcher Personen für
alle am Visaverfahren Beteiligten erkennbar registriert
werden. Frau Kollegin Piltz, ich teile Ihre Auffassung,
dass bestimmte Vorschriften des § 3 unseres Gesetzentwurfs im Einzelfall durchaus diskussionswürdig sind.
({1})
- Wenn es Sie beruhigt, dann bin ich konziliant.
Gehen wir einmal von einem konkreten Einzelfall
aus. Wenn ich einen Ukrainer oder einen Weißrussen
einlade, der anschließend in Deutschland einen Asylantrag stellt, dann ist es für mich nicht sonderlich beschwerlich, wenn meine Daten als Einladender - das
sieht § 3 vor - gespeichert werden. Man muss doch verstehen, dass es durchaus berechtigt ist, Daten zu speichern, wenn hundertmal eingeladen und anschließend
ein Asylantrag gestellt wird. Beim ersten Mal mag noch
eine kurze Löschungsfrist gelten. Wenn aber jemand
pausenlos einlädt und gefälschte Unterlagen vorlegt und
anschließend jedes Mal ein Asylantrag gestellt wird,
dann wird deutlich - spätestens ab dem zehnten Mal -,
dass es sich um etwas Organisiertes handeln muss. Wir
sollten der deutschen Öffentlichkeit klar machen: In diesem Haus gibt es politisch Handelnde, die unseren staatlichen Organen die benötigten Informationen nicht geben wollen. Das ist der Kernpunkt. Dabei komme ich
mir so vor, als ob ich einen Polizisten, der einen Gangster verfolgen soll, auf das Fahrrad verweisen und ihm sagen müsste: Strampel schön, dann wirst du es schon
schaffen.
Wenn man die Errichtung einer solchen Warndatei sowieso irgendwann einmal auf europäischer Ebene regeln
will, dann kann man schon jetzt vernünftige nationale
Regelungen verabschieden. Diese können später vernetzt werden. Aber ich bleibe dabei: In diesem Haus gibt
es Menschen, für die Datenerfassung das oberste
Schreckgespenst ist. Es ist wirklich absurd: Die Datei
nach dem Aufenthaltsgesetz, die vor Ort in Kiew - oder
wo auch immer - geführt wird, hilft natürlich nicht weiter, wenn jemand in der Ausländerbehörde in Buxtehude
bei der fünfzehnten Anfrage der gleichen Person wissen
muss, ob die vorherigen vierzehn Anträge missbräuchlich gestellt worden sind oder nicht.
Man kann unseren Gesetzentwurf sicherlich in Nuancen ändern. Aber man kann nicht leugnen, dass es Missbrauch gibt, den wir auf nationaler Ebene bekämpfen
müssen. Ich stehe dazu, dass wir eine europäische Regelung anstreben sollten. Aber bis dahin nichts zu tun und
auf einen großen Wurf auf europäischer Ebene zu warten
ist nach meinem Dafürhalten der falsche Weg. Deswegen plädiere ich mit Nachdruck dafür, unseren Gesetzentwurf zu prüfen und nicht von vornherein zu verdammen.
({2})
- Beim Einbringen dieses Gesetzentwurfs war nicht absehbar, dass der Innenausschuss dank Ihrer Entscheidung, die Sie morgen zu treffen haben, vorläufig nicht
mehr tagen wird. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen.
Wenn ich mir Ihre Aktivitäten in den letzten Tagen
anschaue, die angeblich auf Basis einer nicht mehr vorhandenen Handlungsfähigkeit der Regierung beruhten,
und daran denke, welche Gesetze Sie gerade heute
durchgepaukt haben, wie zum Beispiel das geänderte
Abgeordnetengesetz, dann muss ich sagen, dass Sie vielleicht auch eine Idee für eine schnelle Regelung betreffend Sicherheit und Missbrauchsbekämpfung bei der
Visaerteilung hätten haben können.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Michael Hartmann, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Schleuserkriminalität, Menschenhandel und
Zwangsprostitution sind widerliche und verwerfliche
Straftaten, keine Frage. Sie gehen oft einher - wir wissen
das - mit Visamissbrauch, mit Visaerschleichungen und
mit Visafälschungen. Auch deshalb muss der Staat sie
mit all seinen Mitteln hart und konsequent bekämpfen.
Der Aufbau einer Warndatei kann dabei eines von mehreren probaten Mitteln sein, wenn das Ganze richtig gemacht wird und wenn Datenschutz und rechtsstaatliche
Liberalität dabei gewährleistet bleiben. Genau deshalb
ist der Vorschlag der Union aus unserer Sicht untauglich.
Ich möchte das hier gern im Lichte der heutigen Debatte
begründen:
Erstens. Nach unserem gemeinsamen Willen - Herr
Zeitlmann, da hat auch Ihr Lavieren eben nichts mehr
genützt - werden wir diese Legislaturperiode infolge des
morgigen Beschlusses beenden. Jetzt sind wir in der ersten Lesung dieses Entwurfs. Was soll eigentlich daraus
werden, wenn das, was wir gemeinsam wollen, ab morgen Realität ist? Wenn Ihnen dieses Thema wirklich so
wichtig ist - es sollte uns allen wichtig sein -: War es
klug und richtig, das jetzt, am vorletzten Tag, auf die Tagesordnung des Plenums zu setzen?
({0})
- Man kann Vorlagen auf die Tagesordnung setzen und
man kann sie auch von der Tagesordnung herunternehmen. Herr Binninger, Sie werden staunen. - Wollen Sie
tatsächlich etwas bewirken oder wollen Sie mit Blick auf
den kommenden Wahlkampf einfach nur Fensterreden
halten? Ich bin jedenfalls der Meinung, dass dieses
Thema zu wichtig und zu ernst ist, als dass man es hier
als Spielmaterial behandeln darf.
({1})
Zweitens. Der Versuch, den 2. Untersuchungsausschuss schon jetzt, während er noch tagt, zu bewerten
- in den Worten von Herrn Binninger ist das sehr deutlich geworden; darüber freuen Sie sich wie die Kinder;
nach Ihrem Wunsch soll dieser Ausschuss noch weiter
tagen -, ist ungut. Herr Binninger, wenn Sie schon wissen, was erst noch festgestellt werden muss, dann hätten
wir den Ausschuss beenden können. Also: entweder so
oder so, meine Damen und Herren.
Drittens. Dadurch, dass Sie dieses Gesetz hier erneut
auf die Tagesordnung bringen, verhalten Sie sich absprachewidrig. Wir haben uns bei den Verhandlungen über
das Zuwanderungsgesetz nämlich geeinigt, dass Sie Ihre
Initiativen zurückstellen,
({2})
weil wir gemeinsam auf eine europäische Initiative
warten wollen.
({3})
Auch nach unserem Willen soll es eine Warndatei geben;
sinnvoll ist ein Einsatz dieser Datei unserer Meinung
nach aber nur im Schengen-Raum. Alles andere ist nämlich kriminaltechnisch sinnlos. Wie Sie wissen, gibt es
Initiativen des Bundesinnenministers, auf die der Staatssekretär zum Teil bereits hingewiesen hat. Beispielsweise gibt es Bestrebungen, ein Visainformationssystem
einzurichten - ich erinnere an all die Ziele, die wir gemeinsam zu erreichen versuchen -,
({4})
und dieses System soll bis Ende 2006 angewandt werden.
Ihr nationales Modell könnte nicht früher angewendet
werden und würde uns wegen der damit verbundenen
Begrenzung - Herr Kollege Binninger, wir wissen es
doch beide durch den Untersuchungsausschuss - rein gar
Michael Hartmann ({5})
nichts nützen. Deshalb ist nur ein Datenabgleich im
Schengen-Raum sinnvoll und deshalb muss es - hören
Sie zu; vielleicht ist das für Sie ganz interessant - eine
Antragsteller- und Einladerdatei geben. Eine Warndatei
ist sinnvoll. Das Visashopping muss bekämpft werden.
({6})
Bundesinnenminister Schily hat übrigens bereits einen
Brief in diesem Sinne an Frattini gerichtet, der Ihnen
ebenfalls bekannt sein dürfte.
({7})
Neu und originell ist Ihr Vorschlag ohnehin nicht. Es ist
der dritte Aufguss. Der schmeckt wirklich nicht mehr.
({8})
Wir sollten deshalb versuchen, das zu bewerten vor dem
wahren Hintergrund, vor dem Sie das betreiben, und vor
allem vor dem Hintergrund dessen, was Sie anstreben.
Frau Piltz hat freundlicherweise schon eine kleine
Morgengabe der FDP avisiert, eine halbe, ein Viertel
oder ein Achtel Zustimmung - so klar ist mir das nicht
geworden - zu dem, was Sie jetzt wieder eingebracht haben, was Sie 1997 eingebracht haben und was innerhalb
der Regierung abgelehnt wurde, was Sie 1999 vorgelegt
haben und wieder abgelehnt wurde. Sie haben keine
wahren Partner für das, was Sie wollen.
Aus der Debatte, die 2000 geführt wurde, will ich jemanden zitieren, der unverdächtig ist, sozialdemokratisches Gedankengut besonders zu forcieren, nämlich
Guido Westerwelle. Frau Piltz, Herr Westerwelle hat am
11. Mai 2000 gesagt:
Sie haben einen außergewöhnlich schlechten Vorschlag gemacht. Er war in der alten Legislaturperiode schlecht und seine Umsetzung ist deswegen
damals vom Bundesjustizministerium und vom
Bundesdatenschutzbeauftragten verhindert worden. Sie wird auch hier, soweit ich das sehe, von allen Fraktionen, mit Ausnahme der CDU/CSU-Fraktion, verhindert werden und das ist gut so. Sie sind
mit diesem Entwurf ziemlich alleine.
Herr Westerwelle hat weiter gesagt:
Sie müssen endlich in der modernisierten, globalisierten Welt ankommen. Sie können mit solchen
wirtschaftsfeindlichen Gesetzesinitiativen keinen
Hund mehr hinterm Ofen hervorlocken.
Wo er Recht hat, hat er Recht.
({9})
- Warten wir doch einmal ab, wie das Spiel weitergeht!
Sie sehen: Erstens. Für Ihre Initiative gibt es keinen
Resonanzboden. Zweitens. Der Bundesinnenminister
Otto Schily hat gehandelt, wird weiter handeln, wird das
europäisch Notwendige durchsetzen.
({10})
Ihr Problem ist: Sie haben keine Themen in der Innenpolitik, weil wir das Richtige und Notwendige schon machen.
({11})
Das haben wir bisher getan und das werden wir auch
weiter tun.
({12})
Es gibt keinen Änderungsbedarf in der Innenpolitik und
es gibt keinen Änderungsbedarf in der Bundespolitik
überhaupt.
Vielen Dank.
({13})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 15/5333 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Joachim Stünker, Christine Lambrecht,
Hermann Bachmaier, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten
Jerzy Montag, Volker Beck ({0}), Irmingard
Schewe-Gerigk, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Novellierung der forensischen DNA-Analyse
- Drucksache 15/5674 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2})
- Drucksache 15/5857 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Stünker
Jerzy Montag
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({3}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Jörg van Essen,
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Gisela Piltz, Rainer Funke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
DNA-Reihentests auf sichere Rechtsgrundlage stellen
- Drucksachen 15/4695, 15/5857 Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Stünker
Jerzy Montag
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär der Justiz, Alfred
Hartenbach.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die DNA-Analyse ist ein bewährtes und äußerst erfolgreiches Ermittlungsinstrument. Wir haben in
Deutschland schon heute eine hohe Aufklärungsquote,
die wir zu einem nicht geringen Teil der DNA-Analyse
verdanken. Das gilt gerade für Kapitalverbrechen wie
Mord und Totschlag mit einer Aufklärungsquote von
96 Prozent und für Sexualdelikte mit einer Aufklärungsquote von 83 Prozent. Gerade in diesen Fällen können
die Täter häufig aufgrund der genetischen Spuren überführt werden.
Mit unserem Gesetzentwurf werden wir das Instrumentarium der DNA-Analyse weiter verbessern. Wir
werden Rechtsunsicherheiten, die in der Praxis aufgetreten sind, beseitigen und den Ermittlungsbehörden klare
und übersichtliche Regelungen an die Hand geben. Dazu
gehören ein sachlich abgestuftes System der Richtervorbehalte, aber auch die Erweiterung des Einsatzspektrums
der DNA-Analyse.
Wir werden heute die parlamentarischen Beratungen
mit großer Mehrheit für unseren Entwurf abschließen
können. Ich begrüße es sehr, auch deshalb, weil sich die
Opposition hier einmal ihrer Verantwortung stellt
({0})
- einmal! - und sich pragmatisch verhält. An Ihrem Abstimmungsverhalten will ich Sie heute messen, lieber
Norbert Geis, besser nicht an Ihren Reden.
({1})
Was bringen die neuen Regelungen? Erstens. Wir
werden den Richtervorbehalt für die molekulargenetische Untersuchung von Spuren streichen und damit der
Praxis die Arbeit erleichtern.
Zweitens. Auch bei der Einwilligung der betroffenen
Personen wird keine gerichtliche Entscheidung mehr erforderlich sein. Außerdem wurde das bisher von den Gerichten sehr unterschiedlich gehandhabt. Auch hier werden wir für Rechtsklarheit und Rechtssicherheit sorgen.
Drittens. Wir schaffen eine gesetzliche Regelung für
Reihengentests auf der Basis einer freiwilligen Mitwirkung der betroffenen Personen nach einer vorherigen
richterlichen Anordnung. Auch hier waren in der Praxis
immer wieder Unsicherheiten und Zweifel aufgetreten.
Wir brauchen die Reihengentests für die Fälle, in denen
die Ermittler anders nicht weiterkommen, und müssen
deshalb auch eine tragfähige Rechtsgrundlage dafür bereitstellen. Klar muss indes auch sein: Wer sich einem
solchen freiwilligen Test verweigert, darf nicht schon alleine und automatisch deswegen als Beschuldigter eingestuft werden. - Jetzt erwarte ich euren Beifall, Leute.
({2})
- Gut gemacht, sehr schön. Man muss ja ab und zu einmal die eigenen Leute aufwecken.
Viertens. Schon heute kann bei jeder Straftat eine
DNA-Analyse vorgenommen werden. Es dürfen Spuren
am Tatort analysiert werden und es darf die DNA des
Beschuldigten untersucht werden. Nicht ganz so einfach
ist es, wenn es darum geht, ob das DNA-Identifizierungsmuster eines Beschuldigten abgespeichert werden
darf, damit es Polizei und Staatsanwaltschaft auch für
zukünftige Verfahren zur Verfügung steht. Wir werden
hier die Möglichkeiten für die Ermittlungsbehörden
maßvoll erweitern. Die Speicherung ist zukünftig auch
bei Beschuldigten zulässig, die wiederholt Straftaten
- auch von jeweils nicht erheblicher Bedeutung - begangen haben oder diese voraussichtlich begehen werden.
Damit bleiben der einfache Ladendieb und der
Schwarzfahrer bei der Speicherung außen vor. Aber wir
tragen kriminologischen Erkenntnissen Rechnung. Die
sagen uns, dass in massiver Weise vorgehende Sexualstraftäter ihre kriminelle Karriere oftmals mit einem
Streifzug quer durch das Strafgesetzbuch begonnen haben. Insoweit gleichen wir das Recht der DNA-Analyse
an die Praxis der erkennungsdienstlichen Behandlung
an. Denn beim Ladendieb oder Schwarzfahrer wird in aller Regel auch kein Fingerabdruck genommen. Nur in
insgesamt circa 12 Prozent aller Ermittlungsverfahren
wird diese daktyloskopische Ermittlungsmethode angewandt.
Ich weiß, dieser Gesetzentwurf geht der Union nicht
weit genug. Sie fordern immer noch die Gleichstellung
von DNA-Analyse und daktyloskopischem Fingerabdruck. Damit hatte die Union nicht einmal in dem von
ihr dominierten Bundesrat Erfolg. Sie wissen genau,
dass eine schwarz-gelbe Regierung hier genauso wenig
etwas zustande bringen würde wie anderswo in der
Rechtspolitik, weil Sie meilenweit auseinander liegen
und nicht handlungsfähig wären.
({3})
Es ist schön, meine lieben Kollegen von der CDU/CSU,
dass Sie aus Ihrer eigenen Not nunmehr eine Tugend
machen und diesem Gesetz zustimmen.
Jetzt liegt es am Bundesrat, den erfolgreichen Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens nicht zu torpedieren. Angesichts der heutigen Beschlüsse der Justizministerkonferenz sage ich jedoch sehr eindringlich: Sie
- Komma -, die Länder, brauchen dieses Gesetz.
({4})
- Nein, das Komma habe ich deinetwegen diktiert, damit
du einmal etwas zu lachen hast. - Sie brauchen dieses Gesetz, denn die Polizei und die Justiz müssen damit arbeiten. Deshalb rufe ich den Justizministerinnen und -ministern zu
({5})
- der Länder, natürlich -: Reizen Sie nicht zu hoch!
Noch einmal solch ein Entgegenkommen wie beim
Lauschangriff erscheint mir eher unwahrscheinlich. Was
dann im nächsten Jahr sein wird, das wissen nicht einmal
die Götter.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Dr. Jürgen Gehb, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach
den fulminanten Lesebeiträgen vom Kollegen
Hartenbach steht so ein bescheidener Mensch wie ich
immer mit zittrigen Knien an diesem Pult. Am Anfang
musste der Kollege Hartenbach ja fast um Beifall betteln, am Ende hat er in seinem Redemanuskript sogar die
Kommata mit vorgelesen.
Wer hätte am Anfang des Jahres gedacht, dass wir
heute, am 30. Juni, die vermutlich letzte rechtspolitische
Debatte in dieser Legislaturperiode führen würden?
({0})
Nun will ich heute nicht Bilanz ziehen. Auch sie wird
kommen und sie wird auch auf dem Gebiet der Rechtspolitik jämmerlich ausfallen. Aber heute wollen wir uns
mit der forensischen DNA-Analyse beschäftigen. Deren
Verlauf und Debatte steht beispielhaft - um es lateinisch
zu sagen: pars pro toto ({1})
für Ihre übrigen rechtspolitischen Maßnahmen. Es ist
einmal wieder eine Last-Minute-Aktion.
({2})
Ähnlich wie bei den Themen Graffiti und der nachträglichen Sicherungsverwahrung wird jahrelang - nicht
wahr, Herr Montag - unsere Auffassung verteufelt, um
dann ganz zum Schluss schnell auf den Zug aufzuspringen,
({3})
wobei trotzdem hinter den guten Lösungen zurückgeblieben wird.
Der DNA-Analyse, Herr Staatssekretär, werden wir
heute in der Tat zustimmen, aber nicht, weil wir das
mental vollkommen schätzen würden. Mich rief gestern
ein Journalist an und war ganz verwundert, dass wir zustimmen wollen.
({4})
Dem habe ich erklärt: Warum sollen wir einer halbguten
Lösung die Zustimmung verweigern, wenn sie immer
noch besser ist als das, was wir im Moment haben?
({5})
Dennoch werden wir die optimale Lösung nicht aus dem
Auge verlieren. Kein Polizist, kein Staatsanwalt, kein
Opfer, kein Angehöriger eines Opfers könnte es verstehen, wenn wir ihm jetzt diesen Spatz in der Hand verweigern wollten, weil wir auf die Taube auf dem Dach
schauen.
({6})
Meine Damen und Herren, ein paar Einzelheiten. Den
Richtervorbehalt für die Überprüfung anonymen Materials, den Sie erst vor wenigen Jahren gegen jede Vernunft eingebracht haben - wir haben uns hier wie so
häufig, Herr Montag, gestritten -, heben Sie endlich auf,
weil kein Richter dieser Welt wüsste, unter welchen Vorbehalt er eine Untersuchung von anonym gefundenem
Material stellen sollte. Das ist ja der Grundrechtsschutz
pro anonymis. Das wäre vollkommen abwegig. Zu Recht
wird das nach langen Jahren geändert; es ist ein Luxus,
den wir uns nicht mehr leisten können.
Dafür führen Sie jetzt den Richtervorbehalt bei Massentests wieder ein, obwohl das freiwillig geschieht.
Auch dazu wieder etwas Lateinisches: Volenti non fit iniuria. Dem Freiwilligen geschieht doch gar kein Unrecht.
Was soll, wenn sich jemand freiwillig speichern lässt,
ein Richter anordnen? Welcher Vorbehalt soll da Sinn
machen?
Schließlich zur DNA-Informationsspeicherung.
Diese wiederum machen Sie jetzt von Tatbestandsmerkmalen abhängig, die mir erst einmal jemand erklären
muss.
({7})
Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: bei einer erheblichen Vortat.
({8})
Herr Montag hat das hier immer vollmundig betont. Nun
sagt er: Wiederholte nicht erhebliche Vortaten könnten
bei der Gesamtschau einer erheblichen Vortat gleichgestellt werden.
({9})
Das wird jetzt noch mit einer Prognoseentscheidung des
Richters gepaart, ob diese Person in Zukunft vielleicht
noch 24-mal schwarzfahren wird.
({10})
So ein Unfug.
Da ist unsere Regel doch ganz einfach: Der genetische Fingerabdruck soll dem klassischen gleichgestellt
werden. Sie selber, Herr Staatssekretär, lieber Alfred, haben eben gesagt, dass wir nur in 12 Prozent aller Fälle
erkennungsdienstliche Maßnahmen haben. Wir wollen
doch nicht von jedem Ladendieb den Fingerabdruck
nehmen.
({11})
Das geschieht auch jetzt nicht. Da gibt es doch gar keinen Unterschied.
Wie eine Monstranz trägt man immer die schreckliche
Vision vom gläsernen Menschen vor sich her. Aber diese
DNA-Analyse gibt doch keine Aufschlüsse über irgendwelche Erbkrankheiten oder schlechte Veranlagungen,
sondern dient lediglich der Identifikation. Jede Blutprobe bei einer Trunkenheitsfahrt könnte bei böswilliger
Ausnutzung der forensischen Mediziner zu viel schlimmeren Dingen missbraucht werden. Also malen Sie doch
nicht immer eine solche Horrorvision an die Wand!
({12})
- Da bin ich sprachlos. Das ist selten bei mir. Sich einen
so intelligenten Zwischenruf von einem so intelligenten
Abgeordneten - ausgerechnet von Ihnen den Begriff Genetik - anhören zu müssen, das ist schon wirklich
schmerzensgeldbewehrt.
({13})
Lieber Herr Staatssekretär, zum Schluss noch eine
versöhnliche Note. Wir wollen eine suboptimale Lösung
nicht verhindern; denn sie ist immer noch besser als das,
was vorher war. Wir werden aber dennoch nicht müde
werden, dafür zu kämpfen, dass sich die besseren Regelungen durchsetzen werden. Sie wissen ja: Das Bessere
ist der Feind des Guten.
({14})
- Herr Stünker, Sie haben nachher Gelegenheit, darauf
zu antworten. Es wird für Sie aber schwierig werden;
denn Sie können Ihr vorgeschriebenes Redemanuskript
nicht benutzen, wenn Sie auf meine Äußerungen sinnvoll replizieren wollen.
({15})
Fazit ist: Wir möchten heute einem Gesetz den Weg
öffnen, von dem wir wissen, dass es dem wissenschaftlichen Quantensprung in der Verbrechensbekämpfung, geradezu dem Glücksfall in der Verbrechensbekämpfung
ein bisschen zum Erfolg verhilft. Die Angehörigen von
Opfern schwerer Straftaten werden dies begrüßen. Man
darf aber auch nicht vergessen, dass zu Unrecht Beschuldigte durch diese Maßnahme exkulpiert werden können.
Ich weiß, dass es einigen mehr um den Täterschutz als
um den Opferschutz geht.
({16})
Daher will ich auch sagen: Diese Methode dient nicht
nur dazu, Täter zu überführen, sondern auch dazu, unschuldig Verdächtige zu entlasten.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({17})
Nächster Redner ist der Kollege Jerzy Montag, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Kollege Gehb, wieder einmal haben Sie mit
Ihrem Beitrag ein Wechselbad der Gefühle bei mir ausgelöst. Ich freue mich immer, wenn Sie frei reden. Das
belustigt, das erfrischt und erfreut uns alle. Bei einem
Satz dachte ich: Jetzt hat er es verstanden.
({0})
Beim nächsten Satz dachte ich: Jetzt fällt alles wieder
zusammen. Ich werde also versuchen, es Ihnen noch einmal zu erklären.
Wir haben vor zwei Jahren mit der Reform hinsichtlich der DNA-Analyse im Strafprozess begonnen.
({1})
Denn wir haben vor zwei Jahren die DNA-Analyse im
Strafverfahren ausgeweitet, indem wir sie einerseits zur
Bestimmung des Geschlechts erlaubt haben und indem
wir sie andererseits bei allen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ermöglicht haben.
Wir haben aber gleichzeitig den Richtervorbehalt,
die richterliche Überprüfung dieses wichtigen Eingriffs
in das informationelle Selbstbestimmungsrecht ausgeweitet, indem wir im Gesetz festgehalten haben, welche
konkreten Prüfungsschritte der Richter zu unternehmen
hat, wenn er eine solche Analyse und Speicherung der
Daten anordnet.
Nach zwei Jahren setzen wir die Reform in der richtigen Weise fort. Herr Gehb, Sie haben völlig Recht
- auch der Herr Staatssekretär Hartenbach hat dies betont; ich schließe mich im Namen der Grünen dieser
Position ausdrücklich an -: Die DNA-Analyse und die
Speicherung der digitalisierten Merkmale, die zur Aufklärung zukünftiger Straftaten genutzt werden können,
sind ein modernes, effektives und zielsicheres Werkzeug
in den Händen der Ermittlungsbehörden. Dieses Mittel
ist geeignet, sowohl Schuldige zu überführen als auch
Unschuldige in Verdachtssituationen zu entlasten.
Aber auch wenn man erkennt, dass es sich um ein
sehr effektives und modernes Instrument in den Händen
der Polizei handelt, darf man nicht vergessen, dass es
nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und nach unserer festen Überzeugung immer noch
ein tief greifender Eingriff in das informationelle
Selbstbestimmungsrecht ist.
({2})
Deswegen muss es bei allem Fortschritt und bei aller
Modernität rechtsstaatlich begrenzt und in rechtsstaatlichen Grenzen eingeführt werden. Eine dieser Grenzen
ist, dass es grundsätzlich beim Richtervorbehalt bleiben
muss. Deswegen verbietet sich jede populistische Forderung nach einer Gleichstellung des genetischen Fingerabdrucks mit dem herkömmlichen Fingerabdruck.
({3})
Eine Gleichstellung würde nichts anderes bedeuten, als
dass man auf den Richtervorbehalt verzichten würde.
Das wollen wir nicht und das werden wir auch nicht tun,
weil es nicht verfassungsgemäß wäre.
Wir wollen allerdings in den Fällen, in denen die Beschuldigten in eine solche Speicherung einwilligen - da
haben Sie Recht -, keine richterliche Überprüfung. Man
braucht sie auch nicht bei einer Hausdurchsuchung und
einer Beschlagnahme, wenn eine Einwilligung des Beschuldigten erfolgt.
Herr Kollege Gehb, es ist aber ein Unterschied, ob Sie
so etwas bei einem Beschuldigten machen oder ob Sie
ein Massenscreening, eine Reihenuntersuchung, durchführen, in die alle Betroffenen, und zwar Hunderte und
manchmal sogar Tausende, einbezogen werden. Wir
meinen allerdings - und ich bin froh, dass Sie dem Gesetzentwurf trotz Ihres verbalen Widerspruchs zustimmen -, dass wir da einen Richtervorbehalt brauchen.
({4})
Deswegen haben wir ihn hier auch eingeführt. Wir haben
ganz klar geregelt, nach welchen Kriterien eine Reihenuntersuchung zu geschehen hat. Ich glaube, die Praxis
wird uns dankbar sein, dass wir das geregelt haben, weil
damit die Rechte und die Pflichten aller Betroffenen geklärt sind.
Wir haben - da gebe ich Ihnen unumwunden Recht eine Sache rückgängig gemacht, die im Jahre 2001 aus
mir nicht ganz nachvollziehbaren Gründen eingeführt
worden ist. Der Richtervorbehalt bei der Untersuchung
anonymer Spuren geht deswegen ins Leere, weil sich die
Grundrechtsschutzfrage im Nichts verliert, solange man
keinen konkreten Beschuldigten hat. Aber sehen Sie, wir
sind in der Lage, auf einen gemeinsamen Nenner zu
kommen. Dies ist bei Ihnen schwer, aber nicht unmöglich. Dafür danke ich Ihnen.
Alles in allem finde ich, dass dieses Gesetz gelungen
ist, nicht zuletzt deswegen, weil Sie, meine Damen und
Herren von der Union, ihm zustimmen. Ich kann an
dieser Stelle nur die Warnung wiederholen, die auch
Staatssekretär Hartenbach geäußert hat: Heute haben
sich die Landesjustizministerinnen und -minister gegen
die grundlegenden Regelungen in diesem Gesetzentwurf
gestellt. Einerseits wollen sie die gesetzliche Regelung
der Reihengentests nicht; andererseits wollen sie die
vollständige Gleichstellung mit dem herkömmlichen
Fingerabdruck doch.
Ich bitte Sie - damit schließe ich -, dass Sie an diejenige Mehrheit im Bundesrat, die auf Ihre Stimme hört,
appellieren, damit das Gesetz, das hier mit sehr großer
Mehrheit zustande kommt, nicht im Bundesrat scheitert.
Danke schön.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael
Terwiesche, FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Staatssekretär Hartenbach, lassen Sie mich
kurz auf einen Satz von Ihnen eingehen. Sie haben eben
in Ihrer Rede die Handlungsfähigkeit einer zukünftigen
bürgerlichen Koalition im Bereich der Strafverfolgung
mit den Worten bezweifelt, dass es hier wahrscheinlich
keine Handlungsfähigkeit geben werde. Dass das möglich sein wird, werden wir Ihnen ab Oktober demonstrieren.
({0})
- Herr Montag, immer schön mit der Ruhe.
Ich stelle für die FDP-Fraktion fest, dass die DNAAnalyse im Strafverfahren ein Erfolgsmodell ist und
heute zur Bekämpfung der Kriminalität leider unverzichtbar ist. Denn jeder Täter muss damit rechnen, dass
er früher oder später aufgrund einer DNA-Analyse überführt wird. Aus Sicht der FDP ist es daher legitim, darüber nachzudenken, ob es angezeigt ist, eine Erweiterung der DNA-Analyse vorzunehmen. Denn in allen
Diskussionen zu diesem Thema hat die FDP deutlich
darauf hingewiesen, dass sich die Vorschläge zur Erweiterung der DNA-Analyse im Rahmen dessen halten müssen, was verfassungsrechtlich zulässig ist,
({1})
und zwar aus folgendem Grund - Herr Montag, Sie haben es eben schon betont -: Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass
die Feststellung, die Speicherung und die künftige Verwendung des DNA-Identifizierungsmusters in das vom
Grundgesetz verbürgte Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung eingreifen.
({2})
Zu Recht sieht daher die Strafprozessordnung hohe Hürden für die Speicherung genetischer Daten vor. Deswegen sagt das Bundesverfassungsgericht, dass bislang
nur Daten von denjenigen Personen erfasst werden dürfen, die eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen haben.
Die Koalition schlägt nun in ihrem Gesetzentwurf
vor, dass auch die Speicherung von Wiederholungstaten zuzulassen ist, wenn sich aus der Gesamtschau der
Taten eine erhebliche Bedeutung für die Strafbarkeit ergibt. Diese Aufnahme von Wiederholungsstraftaten geht
uns zu weit.
({3})
Wenn man sich den Wortlaut genau anschaut - sehen Sie
sich das bitte einmal an -, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass damit auch Bagatellstraftaten umfasst werden, wenn sie wiederholt begangen werden. Herr Staatssekretär Hartenbach, darunter fallen, wenn man den
Wortlaut ernst nimmt, auch die von Ihnen erwähnten einfachen Ladendiebstähle. Das wollen wir als FDP nicht.
Ich sage das ganz deutlich.
({4})
Meine Damen und Herren, der Wortlaut sieht eine
derartige Begrenzung ausdrücklich nicht vor.
({5})
- Unrechtsgehalt kann auch durch die Wiederholung der
Straftaten begründet werden; erstes Semester Strafrecht.
({6})
- Erstes Semester. Bitte aufpassen im Studium!
({7})
Es ist damit mehr als fraglich, ob eine solch weitgehende Regelung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
entspricht. Denn dieser Grundsatz - ich habe es eben
ausgeführt - muss aufgrund der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichtes gewahrt werden.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich darauf hinweisen, dass nach herrschender Meinung
„Straftaten von erheblicher Bedeutung“ bereits im Bereich der mittleren Kriminalität beginnen. Ich zitiere die
Begründung zu § 2 Abs. 1 des BKA-Gesetzes:
Nach Lage des Einzelfalles können auch Eigentums- oder Vermögensdelikte mittlerer Kriminalität
die genannten Voraussetzungen erfüllen, … wenn
es sich um Straftaten mit Seriencharakter und entsprechend erheblichem ({8})Schaden … handelt.
Im Hinblick auf diese gesetzliche Normierung vertreten
wir die Meinung, dass ein Großteil dessen, was mit der
gesetzlichen Neuregelung gewollt ist, bereits durch das
geltende Recht abgedeckt ist. Das heißt auf Deutsch: Die
jetzige Neuregelung ist in diesem Bereich nicht notwendig.
Meine Damen und Herren, alle diese Fragen, die uns
sehr wichtig sind, müssen in einer Anhörung sorgfältig
erörtert werden. Ein solches geordnetes parlamentarisches Verfahren ist im Hinblick auf die möglicherweise
vorgezogene Neuwahl des Bundestages nicht mehr möglich. Ich erkläre daher für die FDP klar und deutlich,
dass eine Gesetzesinitiative von solch großer Bedeutung
nicht im Schnellverfahren durch die Gremien gepeitscht
werden kann. Wir dürfen hier keinen Schnellschuss aus
der Hüfte zulassen. Wir werden daher dem Gesetzentwurf der Koalition heute nicht zustimmen können.
Aber ich möchte darauf hinweisen, dass dieser Gesetzentwurf durchaus auch positive Elemente enthält.
Wir begrüßen ausdrücklich, dass künftig der Richtervorbehalt für die molekulargenetische Untersuchung
von anonymen Tatortspuren gestrichen wird. Die Entnahme von Körperzellen durch den Staatsanwalt und die
Polizei ist daher auch bei Gefahr im Verzug zulässig.
Wir begrüßen diese Gesetzesänderung ausdrücklich.
Zuletzt möchte ich die gesetzliche Regelung der so
genannten DNA-Reihentests positiv hervorheben. Wir
als FDP-Bundestagsfraktion haben bereits seit längerer
Zeit eine sichere Rechtsgrundlage gefordert. Denn es
geht im Strafprozess auch um den Grundsatz der Rechtssicherheit, und zwar aus folgendem Grund: Mit der
Durchführung einer solchen DNA-Reihentestanalyse
wird ein nicht unerheblicher Druck erzeugt, sich der
Teilnahme nicht zu entziehen. Das ist von Ihnen, Herr
Montag, eben schon richtigerweise dargelegt worden.
Herr Kollege, ich muss Sie ein bisschen an die Zeit
erinnern.
Ja, ich komme gleich zum Schluss.
({0})
Es ist meine erste Rede.
Herr Kollege, wenn jeder Kollege im Deutschen Bundestag seine Redezeit verdoppeln würde, würde es ein
bisschen viel.
Frau Präsidentin, ich komme gleich zum Schluss.
Der frühere, gesetzlich nicht geregelte Zustand war
aus unserer Sicht unerträglich. Daher haben wir bereits
zu Beginn des Jahres einen entsprechenden Antrag vorgelegt, in dem wir konkrete Forderungen aufgestellt haben: die Forderung nach einer richterlichen Anordnung;
die Forderung, dass zu löschen ist, wenn die Daten für
das Anlassstrafverfahren nicht mehr notwendig sind.
Dies ist auch im Gesetzentwurf enthalten.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen: Für die FDP-Fraktion enthält dieser Gesetzentwurf sowohl positive als auch negative Elemente. Wir
werden uns daher der Stimme enthalten.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Herr Kollege Terwiesche, Sie haben selber schon darauf hingewiesen: Sie sind für den Kollegen Pinkwart
nachgerückt. Es war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen recht herzlich und wünsche
Ihnen noch viele Reden in diesem Hohen Hause, aber
mit der herzlichen Bitte verbunden, sich dann an die Redezeit zu halten. Herzlichen Glückwunsch!
({0})
Das Wort hat der Kollege Joachim Stünker, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dem jungen Kollegen von der FDP-Fraktion kann ich
nur sagen: Gut gebrüllt, Löwe. Es würde Spaß machen,
mit Ihnen Rechtspolitik zu betreiben. Bleiben Sie also
hier. Sollte ich Ihnen heute allerdings etwas Böses wünschen, wäre dies, dass Sie in der nächsten Legislaturperiode zusammen mit Ihrem Kollegen Gehb in einer
Koalition Rechtspolitik machen müssen.
({0})
Wie Sie das auf die Reihe kriegen wollen, kann ich mir
nämlich nicht vorstellen.
({1})
- Ja, Sie helfen dann und die FDP fällt wieder um; das
kennen wir ja schon.
({2})
Das Zweite ist: Es ist schon darauf hingewiesen worden - nun komme ich zum Thema Umfallen -, dass sich
die Justizministerkonferenz heute in Dortmund massiv
gegen den Gesetzentwurf, wie wir ihn vorgelegt haben,
ausgesprochen hat. Ich frage mich, wie das in den Ländern möglich ist, in denen die FDP den Justizminister
stellt. Das ist, wenn ich das richtig sehe, in BadenWürttemberg und Rheinland-Pfalz noch immer der Fall.
Wie Sie von der Rechtsstaatspartei FDP dort eine solche
Lösung mittragen können, kriege ich nicht zusammen.
Das tut mir Leid.
({3})
Lieber Herr Kollege Gehb, Sie sind ja vielsprachig
und haben von Last-Minute-Aktionen gesprochen. Allerdings habe ich in diesen Tagen wirklich den Eindruck
- seien Sie mir nicht böse, aber das ist langsam schon ein
bisschen skurril -, dass nur die CDU/CSU-Fraktion
Last-Minute-Aktionen macht. Verzweifelt verabschieden Sie gemeinsam mit uns noch all die Gesetzentwürfe,
von denen Sie genau wissen, dass Sie sie mit einem
möglichen Koalitionspartner FDP nicht auf die Reihe
kriegen würden. Genau das ist der Hintergrund.
({4})
Nun noch etwas anderes: Beim vorletzten Tagesordnungspunkt, über den wir diskutiert haben - unserer Debatte über die Offenlegung der Nebentätigkeiten von
Bundestagsabgeordneten -, hat das informationelle
Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen aus Art. 2 des
Grundgesetzes eine große Rolle gespielt. Herr Kollege
Gehb, ich hätte mir gewünscht, dass Sie die Sensibilität,
die die Redner aus Ihren Reihen bei diesem Thema eindrucksvoll bewiesen haben, auch hinsichtlich des informationellen Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen,
wenn es um die einzelnen Mitglieder der Zivilgesellschaft geht, an den Tag gelegt hätten und dass Sie aufhören, die Ordnung der Freiheit - das ist für Sie ja mittlerweile schon ein Begriff geworden - immer nur
ökonomisch, letztlich aber nicht im Sinne der Zivilgesellschaft zu definieren.
({5})
Lassen Sie mich, da zum vorliegenden Gesetzentwurf
das meiste schon gesagt worden ist, noch etwas zur
Gleichstellung mit dem so genannten normalen Fingerabdruck, den jeder kennt, sagen. Ich habe ein bisschen
den Eindruck, dass all diejenigen den Gesetzentwurf,
den sie bekämpfen und den wir heute verabschieden
wollen, nicht richtig oder nicht zu Ende gelesen haben.
Wie ist das denn mit dem ganz normalen biologischen
Fingerabdruck, den wir kennen? Zu dieser Frage haben
wir uns eine Auskunft des Bundeskriminalamts eingeholt. Nun wissen wir, dass die Polizei bei 12,7 Prozent
aller Tatverdächtigen in der Bundesrepublik Deutschland anordnet, diesen Abdruck zu nehmen. Wenn es sich
also um 12,7 Prozent handelt, bedeutet das, dass bei allen straftatverdächtigen Personen eine Prognoseentscheidung getroffen wird, ob dieser Fingerabdruck notwendig ist oder nicht.
({6})
Diese Prognoseentscheidung - das kann man in einzelnen Handbüchern nachlesen - lernt ein Polizist in der
Ausbildung. Die Maßnahme muss zulässig, notwendig
und verhältnismäßig sein. Hier spielen Überlegungen
eine Rolle, ob es sich um gewerbs- oder gewohnheitsmäßige Täter handelt, ob Rückfallgefahr besteht, wie oft ein
Täter bereits polizeilich in Erscheinung getreten ist und
wie schwer die zugrunde liegende Straftat war.
({7})
Somit ist ersichtlich, dass diese Anordnung nicht in jedem Fall und nicht bei jedem Ersttäter erfolgt.
({8})
Wenn wir die Prognoseentscheidung angesichts der
Gewichtigkeit des Eingriffes in die DNA-Struktur per
Gesetz regeln - mehr haben wir nicht getan - und die
wiederholte Begehung einfacher Straftaten mit einer erheblichen Straftat gleichstellen, dann haben wir im Ergebnis nichts anderes getan - denken Sie einmal darüber
nach -, als diese Regelung umzusetzen. Das Einzige,
was uns dabei noch unterscheidet - darum verstehe ich
die Justizminister der Länder nicht mehr -, ist: Wir sagen, dass es im Regelfall bei der richterlichen Anordnung bleiben muss. Dazu kann ich nur sagen: So viel
Rechtsstaat muss sein und so viel Rechtsstaat muss bleiben.
({9})
Das können Sie ja wohl nicht ernsthaft anders wollen.
Von daher kann ich nur hoffen, dass die Länder die Regelung, die wir hier gemeinsam verabschieden werden,
nicht wieder im Bundesrat blockieren; denn das wäre
schlecht für Deutschland.
Schönen Dank.
({10})
Das Wort hat der Kollege Norbert Geis, CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! In der Tat, Herr Montag, wir werden Herrn
Stünker zustimmen. Das ist, wenn ich die Reihen überblicke, auch Ihr Glück; denn sonst hätten Sie heute eine
Niederlage zu erwarten.
({0})
Aber das wäre ja vielleicht mit Blick auf morgen gar
nicht so schlecht.
Wir stimmen alle darin überein, dass die DNA-Analyse ein exzellentes Mittel zur Identifizierung des Täters
für die Strafverfolgung und für die Verbrechensbekämpfung ist. Durch die revolutionären wissenschaftlichen
Forschungen der letzten Jahre ist es gelungen, schon aus
kleinsten Partikelchen die Identität herauszulesen. Wenn
eine entsprechende Speicherung erfolgt ist, ist es auch
sehr schnell möglich, den Täter auszumachen. Das war
beispielsweise im Fall Moshammer so; da ist es ja ganz
schnell gelungen, den Täter festzustellen, wenngleich
dessen Identitätsmuster noch nicht gespeichert war.
({1})
- Gut, das ist ja noch besser; dann stimmt meine Annahme ganz und gar.
({2})
Das Beispiel Moshammer zeigt, dass wir ganz schnell
zu einer Feststellung des Täters kommen können, und
das ist wichtig für eine effektive Strafverfolgung: Der
Prozess kann schneller beginnen und das Urteil kann
nach einem Zeitraum gesprochen werden, in dem die
Bevölkerung noch Kenntnis von der Tat hat. Das ist wiederum wichtig für das Ansehen der Strafjustiz. Es ist
aber auch wichtig für die allgemeine präventive Abschreckungswirkung des Strafrechtes.
Zugleich ist es von großer Bedeutung für den potenziellen Täter selbst; das ist heute überhaupt noch nicht
vorgetragen worden. Denn in dem Augenblick, wo der
Täter annehmen muss, dass er irgendeine Spur hinterlässt - und das muss er immer annehmen; wahrscheinlich ist es völlig ausgeschlossen, den Tatort ohne eine
Spur zu verlassen -, und wenn er weiß, dass sein Identitätsmuster gespeichert ist, dann muss er eigentlich davon
ausgehen, dass er entdeckt werden wird. Der Täter kümmert sich nicht um Normen, die im Strafgesetzbuch stehen. Für ihn ist allein von entscheidender Bedeutung:
Werde ich entdeckt? Das Entdeckungsrisiko hält ihn
vielleicht davon ab, ein Verbrechen zu begehen. Deswegen sind die DNA-Analyse und eine größtmögliche Anzahl von Speicherungen in der Zentraldatei ein hervorragendes Verbrechensbekämpfungsmittel. Es hält davon
ab, ein Verbrechen zu begehen. Es hat eine große präventive Bedeutung, die man meines Erachtens nicht
übersehen darf: Wenn der Täter Gefahr läuft, seine Tat
gewissermaßen im Scheinwerferlicht zu begehen, dann
wird er sie vielleicht unterlassen, wenn er noch einigermaßen bei Verstand ist.
Nun stellt sich die Frage, warum es in diesem Gesetzentwurf immer noch so hohe Hürden gibt. Es ist schon
vorgetragen worden: aus Furcht vor der völligen Durchleuchtung des Probanden, aus Angst davor, es könne
zum gläsernen Menschen kommen. Diese Furcht ist
aber nicht begründet;
({3})
denn wir haben inzwischen ganz klare technische Möglichkeiten, um lediglich die Identifizierungsmerkmale
herauszufiltern und in Form einer simplen Zahlenreihe
zu speichern. Aus dieser Zahlenreihe einen Rückschluss
zu ziehen auf die Erbanlagen des Betroffenen oder potenzielle Krankheiten ist völlig unmöglich. Deswegen ist
der genetische Fingerabdruck nichts anderes als der traditionelle Fingerabdruck, der daktyloskopische Fingerabdruck, wie es fachmännisch heißt.
({4})
Aus diesem Grund haben wir kein Verständnis dafür
- das können wir auch nicht haben -, dass Sie angesichts
der Tatsache, dass dies eines unserer besten Verbrechensbekämpfungsmittel überhaupt ist, so zögerlich damit umgehen. Das muss ich auch der FDP vorwerfen.
Das Verfassungsgericht hat sein Urteil zu einem Zeitpunkt gefällt, als die Sicherheit, dass nur eine simple
Zahlenreihe gespeichert wird, noch nicht gegeben war.
({5})
- Nein, diese Sicherheit war noch nicht in dem Umfang
gegeben. - Wenn diese Sicherheit nicht gegeben wäre,
dann müsste ich Ihnen Recht geben, dann wäre dies
wirklich ein tiefer Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Da aber der genetische Fingerabdruck nach meiner festen Überzeugung kein größerer Eingriff ist als der traditionelle Fingerabdruck,
({6})
kann ich Ihr Verhalten und Ihre Argumentation nicht
verstehen. Das Lichtbild, das bei erkennungsdienstlichen
Maßnahmen traditioneller Art gemacht wird, sagt viel
mehr über den Charakter aus als der genetische Fingerabdruck.
({7})
Deswegen meine ich, dass es von entscheidender Bedeutung ist, die Möglichkeiten, die die DNA-Analyse
zur Verbrechensbekämpfung bietet, eines Tages besser
auszuschöpfen, als dies derzeit und auch nach dieser Gesetzesvorlage der Fall ist.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Ich komme zum Ende. - Wir haben drei Schritte gemacht: 1997 haben wir die DNA-Analyse eingeführt.
2002 haben wir sie erweitert. Jetzt werden wir sie nochmals erweitern; deswegen stimmen wir auch zu. Ich
denke, in einem letzten, vierten Schritt werden wir die
Gleichstellung erreichen, die die JUMIKO heute gefordert hat. Das ist unser Ziel.
Danke schön.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
eingebrachten Gesetzentwurf zur Novellierung der forensischen DNA-Analyse, Drucksache 15/5674. Zu
dieser Abstimmung liegen mir mehrere Erklärungen
nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor, und zwar von
den Kolleginnen und Kollegen Gisela Piltz, Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Sibylle Laurischk, Daniel
Bahr ({0}), Michael Kauch, Markus Löning und
Max Stadler.1)
Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/5857, den
Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU
bei einigen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen aus
der FDP angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit demselben Ergebnis wie in zweiter Beratung angenommen.
Tagesordnungspunkt 12 b: Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses auf Drucksache 15/5857 zu dem
Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „DNA-Reihentests auf sichere Rechtsgrundlage stellen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 15/4695
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/
Die Grünen und CDU/CSU bei Gegenstimmen der FDP
angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({1}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Michael
Kretschmer, Ernst Hinsken, Dr. Peter Ramsauer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Mineralölsteuerentwicklung und Tanktouris-
mus
- Drucksachen 15/4387, 15/5612 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ingrid Arndt-Brauer
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
1) Anlagen 5 und 6
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Peter Ramsauer, CDU/CSU-Fraktion.
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Kolleginnen und Kollegen! Der Tanktourismus ist ein
mustergültiges Beispiel dafür, wohin es führt und zu
welchen ökonomischen Deformationen es kommt, wenn
grüne ideologische Verbohrtheit zur Grundlage von Politik gemacht wird.
({0})
Man muss sich schon der Folgen bewusst sein, die
man mit seiner Politik herbeiführt. Mir liegt ein handgeschriebener Hilferuf eines Tankstellenbetreibers vor, der
für sich spricht und den ich Ihnen nicht vorenthalten
möchte. Die Vertreterin der Bundesregierung - gerade
kommt die Frau Staatssekretärin beim Bundesfinanzministerium herein - sollte sich das ganz genau anhören.
Hier heißt es:
Der Tanktourismus wird immer dramatischer. So
kann es nicht weitergehen. Die heimischen Tankstellen gehen kaputt und niemand kümmert sich darum. 20 bis 25 Cent pro Liter ist der Sprit in Österreich billiger. Wir haben seit dem 1. Januar 2003
80 Prozent und mehr an Kunden verloren. So darf
und kann es einfach nicht weitergehen. Deshalb
meine Bitte an die CDU/CSU: Lasst uns nicht im
Stich!
Angesichts dieses Briefes - er steht stellvertretend für
eine Vielzahl von mittelständischen Existenzen - ist es
mehr als zynisch, dass eine SPD-Bundestagsabgeordnete
aus Bayern gesagt hat, sie könne das Gejammere nicht
mehr hören. Sie hat hinzugefügt: Diese Diskussion ist
kleinkariert. - Wer diese Entwicklung so charakterisiert,
geht mit dem Schicksal der Menschen in verantwortungsloser Weise um.
({1})
Es ist auch nicht gerade glaubwürdig, dass nachgewiesenermaßen eine Reihe von SPD- und Grünen-Kommunalpolitikern, beispielsweise in meinem Wahlkreis,
dadurch Steuerflucht betreiben, dass sie nach Salzburg,
nach Österreich zum Tanken herüberfahren. Liebe Frau
Staatssekretärin Hendricks, Sie sollten sich einmal mit
dieser Art von Steuerflucht Ihrer Koalitionsfreunde auseinander setzen.
({2})
Die Preisdifferenz liegt bei Superbenzin bei 20 bis
25 Cent pro Liter. Wir als CDU/CSU warnen seit vielen
Jahren vor dieser Entwicklung. In der ersten Zeit hat uns
die Bundesregierung nicht folgen wollen. Dann ist das
eingetreten, was ich in 15 Jahren Parlamentsmitgliedschaft noch nicht erlebt habe: Die Bundesregierung hat
Stück für Stück die Folgen ihrer verheerenden Vernichtungspolitik zugegeben. Es ist uns bei all unseren parlamentarischen Initiativen zugestanden worden: Jawohl,
es geht ein riesiges Volumen an Tankumsatz verloren.
({3})
Jawohl, es ist richtig, dass nicht nur Tankumsatz verloren geht, sondern damit einhergehend auch der Umsatz
in den Tankshops.
Es kommt noch schlimmer: Je größer die Preisdifferenz geworden ist, desto mehr ist die Kaufkraft im Einzelhandelsbereich abgeflossen. Ganze Kaufkraftströme
werden seit Jahren umgelenkt,
({4})
sodass sich nicht nur der traditionelle deutsche grenznahe Einzelhandel, sondern auch die Großhandelsformen des Einzelhandels bis in den Nonfoodbereich hinein
laut darüber beklagen. Jawohl - so hat diese Bundesregierung gesagt -, wir wissen, dass wir Existenzen vernichtet haben und vernichten. Jawohl - so hat sie erklärt -,
wir wissen, dass damit der Verlust Zehntausender von
Arbeitsplätzen einhergeht. Jawohl, wir wissen, dass inzwischen Milliarden an Steuergeldern - Körperschaftsteuer, Einkommensteuer, Gewerbesteuer und Umsatzsteuer - verloren gehen. Auf unsere Frage „Warum
ändert ihr nichts?“ kam immer die Antwort: weil wir aus
ideologischer Überzeugung an der Ökosteuer festhalten.
({5})
Wir als Opposition haben alle parlamentarischen Mittel, die eine Opposition hat, restlos ausgeschöpft.
({6})
Das antworte ich auch immer den Petenten, die sich hilferufend an uns wenden. Wenn man alles ausschöpft und
eine Regierung sich so verbohrt jeder Änderung verweigert, dann liegt die Schuld an diesem Vernichtungsfeldzug eindeutig bei der Bundesregierung und bei der rotgrünen Koalition.
({7})
Ich mache Ihnen den Vorwurf und klage Sie an: Ihnen ist
das wirtschaftliche und soziale Schicksal der betroffenen
Arbeitnehmer und Unternehmer vollkommen egal.
({8})
- Frau Präsidentin, schon wieder diese heulende rotgrüne Meute! Ein solches Durcheinander! Es wäre wirklich lohnend, sie zur Ruhe zu bringen, um mir die Möglichkeit des Weiterredens zu eröffnen.
({9})
Das wirtschaftliche Schicksal ist Ihnen egal. Wenn
Sie jetzt mit irgendwelchen Änderungsvorschlägen kommen, dann ist das nichts anderes als ein ganz billiges
Wahlkampfmanöver. Was den Vorschlag von Wirtschaftsminister Clement betrifft, jetzt Gegenmaßnahmen zu ergreifen, den er vor acht Tagen in Furth im
Wald gemacht hat, so musste er kurze Zeit später einräumen, dass dieser mit Brüssel nicht abgestimmt war.
Herr Kollege Ramsauer, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
({0})
Frau Hendricks, Sie haben selbst bestätigt, dass eine
solche Initiative im Bundesfinanzministerium nicht geplant ist.
({0})
Im Übrigen findet sich selbst auf der Homepage des
Wirtschaftsministeriums kein einziger Hinweis.
Herr Kollege Ramsauer, ich sage es Ihnen noch einmal: Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Diese Ersatzmaßnahmen dürfen den Blick auf das
Grundübel nicht verstellen. Das Grundübel heißt Ökosteuer. Diese Ökosteuer gehört weg. Dann ist das Grundübel beseitigt und viele Existenzen sind gerettet.
Vielen herzlichen Dank.
({0})
Ich bitte die Staatssekretärin auf der Regierungsbank,
sich mit ihren Äußerungen zurückzuhalten.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer, SPDFraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir
sollten versuchen, die ganze Diskussion ein wenig sachlicher zu führen.
({0})
Das fällt sehr schwer bei diesem Antrag; denn er ist eigentlich relativ nichtssagend.
({1})
- Herr Ramsauer, ich sage es Ihnen gleich. Ich möchte
gerne zu dem Antrag reden.
In diesem Antrag werden Apokalypsen aufgebaut.
({2})
Es wird davon geredet, die Mineralölsteuerentwicklung
sei durch die Ökosteuer so gravierend gewesen, dass
1 000 Tankstellen und 5 000 Beschäftigte in ihrer Existenz bedroht seien. Das steht hier als Behauptung drin.
Einen Beleg dafür gibt es nicht. Sie sagen ganz klar, die
Ökosteuer müsse weg. Ich habe bei Ihnen vermisst
- vielleicht habe ich es auch nur überhört -, was Sie den
Rentnern im Gegenzug als Gegenfinanzierung anbieten.
Es gibt doch da ein kleines Problem. Es sind schließlich
einige Milliarden, die über diesen Umweg - das wissen
wir alle - in die Rentenkasse überführt werden. Dazu haben Sie nichts gesagt, aber vielleicht kommt das noch.
Stattdessen haben Sie von einem Vernichtungsfeldzug
gesprochen; ich halte diesen Ausdruck eigentlich für
sehr unparlamentarisch, aber ich kenne die Regeln nicht
so genau. Ich denke, ein Vernichtungsfeldzug ist etwas
anderes, als wenn man Leuten ermöglicht, im benachbarten Ausland einzukaufen.
({3})
Ich möchte Sie ausdrücklich darauf hinweisen, dass die
Tankstellen nicht gerade Billigläden sind. Wer dort billig
tankt, kann nicht gleichzeitig billig einkaufen; da ist es
relativ teuer.
({4})
Es wird keiner zum Einkaufen an die Tankstelle fahren.
Man nimmt vielleicht etwas mit - das gebe ich gerne
zu -, aber ansonsten ist das Blödsinn.
({5})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Scheuer?
Ja.
Erstens. Frau Kollegin, wissen Sie, was sich überhaupt hinter dem Modell, das Bundeswirtschaftsminister
Clement in Furth im Wald vor acht Tagen vorgestellt hat,
verbirgt?
Zweitens. Wissen Sie, dass bei einer zweistufigen
Ökosteuerreduzierung - es gibt dazu ein Gutachten der
Uni Leipzig - der Steuerrückfluss so hoch ist, dass durch
Steuerflucht verursachte Verluste im Bundeshaushalt
ausgeglichen werden?
({0})
Was Ihren Zwischenruf angeht, Herr Kollege, dass die
Österreicher auch bei uns einkaufen: Wenn Sie so üble
Theorien über irgendwelche Läden aufstellen, die etwas
teurer verkaufen als andere, dann sollten Sie zur Kenntnis nehmen, dass sich die Zeiten schon lange geändert
haben und die Österreicher für die Einkäufe deutscher
Touristen einen sehr guten Markt bieten.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir auf diese beiden Fragen - hinsichtlich des Gutachtens der Uni Leipzig und des Modells zum Tanktourismus - eine Antwort
geben könnten. Das Finanzministerium weiß nichts von
dieser Ankündigung. Was das Wirtschaftsministerium
angeht, so hat gestern der Staatssekretär Andres eine lapidare Auskunft gegeben.
Herr Kollege, ich glaube, Sie haben Ihre Zwischenfrage gestellt.
Danke, Frau Präsidentin. - Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie das Modell noch einmal kurz beleuchten
würden.
Das Modell haben Sie nicht näher angesprochen.
Wahrscheinlich kam es für Sie auch recht überraschend.
Es ist Ihnen auch nicht eingefallen.
Unser Wirtschaftsminister hatte vor - das ist richtig -,
für die Grenzregionen Lösungsmöglichkeiten anzubieten, die EU-tauglich sind. Das ist sein gutes Recht und
vielleicht sogar seine Pflicht in diesem Job. Das Modell
funktioniert jedoch bisher nirgendwo auf der Welt. Es ist
noch eine Idee und es wird ausgiebig geprüft.
({0})
- Moment! Es gibt aber nirgendwo auf der Welt ein solches Stiftungsmodell, bei dem sich die Mineralölkonzerne verpflichten, einen Fonds aufzulegen und
diejenigen, die in den Grenzregionen tanken, quasi zu
bezuschussen. Das gibt es noch nicht. Das muss geprüft
werden und es wird auch geprüft. Ich denke, darüber
müssen wir heute nicht reden; denn das ist nicht die
Grundlage Ihres Antrags.
Zum nächsten Punkt: Hier wurde ausgeführt, dass die
ganze Kaufkraft abfließt, weil die Leute dort einkaufen,
wo sie tanken. Ich behaupte hingegen, dass normalerweise niemand an der Tankstelle seinen Großeinkauf
macht. Das ist doch irrwitzig, weil die Tankstellen normalerweise nicht zu den Billigläden gehören.
({1})
- Das ist meine Lebenserfahrung. Wenn Sie eine andere
haben, dann komme ich gerne auf Ihren Antrag zurück.
Ich denke, Sie können sich wieder setzen.
({2})
Wir waren dabei, über die Abschaffung oder die Senkung der Ökosteuer zu diskutieren. Ich weiß nicht, ob
Sie die Standpunkte der Vorsitzenden der Ihnen freundschaftlich verbundenen Partei kennen.
({3})
Sie hat sich eindeutig gegen die Abschaffung der Ökosteuer ausgesprochen. Herr Seiffert ist zurückgerudert.
Herr Hinsken hält die Senkung immer noch für die sauberste Lösung; er sagt aber mit keinem Wort, wie er das
dadurch entstehende Loch in der Rentenkasse stopfen
will.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Dr. Addicks?
Nein, ich möchte jetzt fortfahren,
({0})
sonst werde ich heute nicht mehr fertig.
Ich denke, wir haben eben Populismus erlebt. Diesen
Populismus hätte man noch toppen können, indem man
erwähnt hätte, was Sie wirklich vorhaben, statt dies zu
verschweigen. Sie haben vor, die Mehrwertsteuer zu
erhöhen. Bedenken Sie bitte, was das für die Bürgerinnen und Bürger bedeutet, die bei uns einkaufen, tanken
und ihr Leben bestreiten! Ich denke, das ist viel gravierender als das, was zurzeit in den Grenzregionen passiert.
({1})
Wir haben europäische Erfahrungen mit dem Problem abgestufter Preise beim Tanken. Das italienische
Modell läuft bekanntlich 2006 aus. Weil es von NichtEU-Ländern umzingelt war, galt für Italien eine Sonderregelung. Des Weiteren gibt es ein französisches Modell,
das unterschiedliche Bezuschussungspreise vorsieht.
Aber auch diese sind nicht grenzlandbezogen, sondern
verfolgen ganz andere Intentionen, die eher in Richtung
Wirtschaftsförderung gehen.
Ich komme aus der Region Münsterland an der
Grenze zu den Niederlanden. Dort kommen die Niederländer zu uns, um Superbenzin zu tanken, das am vergangenen Dienstag bei uns 1,239 Euro und in den
Niederlanden 1,385 Euro kostete. Die Niederländer sind
also zu uns gekommen.
({2})
Vielleicht haben sie auch bei uns eingekauft. Ich weiß es
nicht.
({3})
Die Deutschen sind wiederum in die Niederlande gefahren, um Diesel zu tanken. Der Dieselkraftstoff kostete
bei uns 1,089 Euro und in den Niederlanden 1,009 Euro.
Es gibt also einen regen Grenzverkehr in beide Richtungen.
Ich habe mir sagen lassen, dass im Vergleich zu
Österreich der Preisunterschied beim Sprit ungefähr bei
7 bis 8 Cent liegt. Für 7 bis 8 Cent kann man sicherlich
mal eben über die Grenze fahren. Aber dass auch weiter
von der Grenze entfernt liegende Regionen zum Tanken
aufgesucht werden, wie Sie Ihrem Antrag schreiben,
lohnt sich ab einer bestimmten Entfernung nicht mehr.
({4})
Ich denke, das ist wirklich Blödsinn. Wir fahren aus vielen Gründen -
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Hinsken?
({0})
Ja, okay, er steht ja schon.
({0})
Verehrte Frau Kollegin Arndt-Brauer, wann waren Sie
denn zum letzten Mal an der Grenze zu einem der osteuropäischen Staaten, die neu in die EU gekommen sind,
bzw. an der österreichischen Grenze? Das interessiert
mich besonders.
Außerdem bitte ich Sie, auf die Frage meines Kollegen Scheuer einzugehen, der Sie nach dem Chipkartenmodell gefragt hat. Wer hat denn nun Recht, Clement
oder Eichel? Ist Ihnen bekannt, ob sich die beiden auf einen Nenner zubewegt haben oder ob sie als Vertreter der
Bundesregierung unterschiedlicher Meinung sind?
({0})
Das Clement-Modell ist nicht Grundlage Ihres Antrags; aber natürlich können Sie mich dazu fragen. Ich
sage Ihnen jetzt noch einmal, dass es sich hier um eine
Idee des Wirtschaftsministers handelt, die im Finanzministerium geprüft wird.
({0})
- Er hat sie in der letzten Woche geäußert. Nach meiner
Auffassung sollte man dies schon prüfen. Es gibt nämlich eine ganze Menge Prüfenswertes: Machen die Mineralölkonzerne mit? Haben sie ein Interesse daran? Soweit ich weiß, ist es den Mineralölkonzernen völlig egal,
wie die Spritpreise in den Grenzregionen variieren; da
wird immer eine Mischkalkulation gemacht. Es muss
also geprüft werden, ob diese Idee überhaupt durchsetzbar ist.
Dann muss auch folgender Fall geprüft werden: Ich
habe mein Büro in der Grenzstadt, wohne aber 30 Kilometer entfernt. Bekomme ich dann als Büromieterin verbilligten Treibstoff oder bekomme ich ihn aufgrund meines Wohnsitzes nicht? All diese Fragen müssen geklärt
werden. Dafür muss man sich Zeit lassen. Es können
keine Schnellschüsse sein.
({1})
Ich bitte Sie, noch eines zu bedenken: Wenn wir dieses Modell umsetzen, müssen wir ebenso dafür sorgen,
dass auch andere Produkte nicht so stark im Preis
schwanken. Würden Sie jetzt nach Dänemark fahren und
dort eine Schachtel Zigaretten kaufen, müssten Sie umgerechnet acht Euro bezahlen. Wie begründen Sie das
denn? Sagen Sie dann auch, die Dänen dürften nicht
mehr nach Deutschland kommen und billigen Alkohol
und billige Zigaretten kaufen? Auch dies müssten wir regeln.
Wir haben in der EU Gott sei Dank keine Grenzen
mehr; wir können hin und her fahren und einkaufen, wo
wir wollen. Dies sollte beibehalten werden, weil es ein
Wert an sich ist.
({2})
Herr Kollege Hinsken, Sie haben keine Zwischenfrage mehr. - Bitte, Frau Kollegin.
Ich habe mich nach den aktuellen Preisen an der
Grenze zu Österreich erkundigt. Es hieß, dort gebe es
beim Spritpreis eine Differenz von 7 bis 8 Cent. Das ist
das Aktuellste, was ich bekommen konnte.
({0})
- Das müssen Sie jetzt so akzeptieren.
Ihr Antrag gibt aber wesentlich weniger her als das,
was Sie von mir als Information einfordern. Sie hätten
also einen Antrag stellen müssen, in dem Sie fordern,
das Stiftungsmodell nach Clement sofort einzuführen.
Darüber hätten wir dann ausgiebig reden können. Das
haben Sie aber nicht gefordert.
({1})
Sie haben gefordert, „Maßnahmen gegen die im europäischen Vergleich viel zu hohe Energiebesteuerung in
Deutschland zu ergreifen“. Das ist „alles oder nichts“.
({2})
Sie haben es ein bisschen deutlicher gesagt: Ökosteuer abschaffen! Ich frage mich, warum Sie das nicht
in Ihr Parteiprogramm oder Ihr Wahlprogramm schreiben. Dann käme ganz Europa zu uns zum Tanken. Aber
den Rentnern müssten Sie natürlich erklären, wovon sie
leben sollen. Dazu sagen Sie gar nichts. Als Opposition
machen Sie sich das hier sehr einfach, muss ich schon
sagen.
In Ihrer zweiten Forderung verlangen Sie, „den enormen Steuerabfluss durch den von ihr verursachten Tanktourismus in die Nachbarstaaten durch entschiedenes
und rasches Handeln auf EU-Ebene einzudämmen“. Sie
werfen uns vor, dass wir uns für eine EU-weite einheitliche Regelung einsetzten, fordern eine solche aber von
uns ein. Sie wissen selbst, dass wir dies auf EU-Ebene
nicht rasch umsetzen können, wenn die anderen Mitgliedstaaten daran kein Interesse haben.
Ich habe Ihnen eben erklärt, dass es ein Hin und Her
beim Wareneinkauf gibt und dass rege hin und her gefahren wird. Dies ist zwar schlecht für die Umwelt; aber
das haben Sie nicht bemängelt, das halten Sie wohl für
okay. Nach Ihrer Behauptung fahren die alle unheimlich
weit. Ich behaupte, dass das nicht so ist. Wohnte ich in
Berlin, führe ich zum Tanken nicht nach Polen. Ich
glaube, Sie werden auch kaum einen finden, der dies tut.
({3})
Wir müssen uns hier schon ein bisschen an dem orientieren, was wirklich feststeht.
Dann fordern Sie von uns - das ist die einzige Forderung, die ich unterstütze -, „die Harmonisierung der Mineralölsteuer in Europa voranzutreiben“. Da sind wir auf
dem Weg. Das versucht unser Minister Eichel immer
wieder. Sie wissen, dass eines unserer Ziele ist, Preise
und Löhne zu harmonisieren. Auch da sind wir auf einem guten Weg.
Ansonsten möchte ich Sie einfach bitten, solche
populistischen Anträge zu unterlassen.
({4})
- Ich habe die Rede von Herrn Ramsauer verstanden.
Wenn man von Vernichtungsfeldzug redet, Herr
Hinsken, ist das der reine Populismus. Niemand hat vor,
irgendwelche Existenzen gezielt zu vernichten.
({5})
Aber das unterstellen Sie hier. Wir haben es hier mit einer Wettbewerbssituation zu tun, wie es sie auch innerhalb von Städten und innerhalb von Tankstellenketten
gibt. Das akzeptieren Sie doch auch.
({6})
Dort gibt es teilweise Preissprünge von 4 Cent an einem
Tag von morgens bis abends. Da sagen Sie doch auch
nicht, der Preis müsse festgelegt werden, sondern akzeptieren das als Wettbewerbssituation. Diese Wettbewerbssituation gibt es auch grenzübergreifend. Damit leben
wir auch bei anderen Gütern, damit leben wir gut und
damit werden wir auch in Zukunft gut leben können.
({7})
Ich bin mir ganz sicher, dass es in Wirklichkeit Ihre
letzte Maßnahme wäre, die Ökosteuer abzuschaffen.
Deswegen sollten Sie das hier auch nicht von uns verlangen.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Unruhe in
den Reihen der Kollegen ohne Kritik an der Präsidentin
ertragen haben.
({0}) [SPD]: Der
arme, kleine Ramsauer konnte sich gar nicht
mehr helfen! - Florian Pronold [SPD]:
Weichei!)
Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Volker
Wissing, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Arndt-Brauer, natürlich haben wir Wettbewerb. Dagegen ist auch gar nichts einzuwenden. Nur
sorgt Rot-Grün dafür, dass die Deutschen den Wettbewerb im Vergleich zu den europäischen Nachbarn immer
verlieren. Das ist das Problem.
({0})
Sie haben Deutschland mobil gemacht: Die Arbeitsplätze gehen ins Ausland, die Investitionen gehen ins
Ausland und zum Tanken fährt man jetzt auch ins Ausland.
({1})
Und was fällt Ihnen ein? - Nichts fällt Ihnen als Lösung
ein. Herr Clement schlägt mehr Bürokratie vor. Immer
wenn bei Rot-Grün ein Problem auftaucht, steht am
Ende entweder eine neue Behörde oder ein schönes bürokratisches Konzept.
({2})
Bei Ihnen steht am Ende immer eine falsche Lösung.
Clements Lösungsvorschlag für den Tanktourismus ist
wirklich kein Konzept. Da will die Bundesregierung allen Ernstes den Autobesitzern in den Grenzregionen mithilfe von Chipkarten den verbilligten Bezug von Benzin
ermöglichen.
({3})
Dann führen Sie doch auch für das verbilligte Einkaufen
von Zigaretten die Chipkarte ein.
Ich sage Ihnen: Das ist allenfalls eine drittklassige
Lösung.
({4})
Diese Vorschläge sind Ausdruck der Reformunfähigkeit
von Rot-Grün. Was wir brauchen, sind niedrige, konkurrenzfähige Steuersätze, damit wir im internationalen
Wettbewerb wieder bestehen können. Dazu hört man
nichts von Ihnen.
({5})
Man hört nichts von Ihnen, Frau Kollegin Andreae, außer der Forderung, die Steuersätze innerhalb der EU zu
harmonisieren.
({6})
Sie hätten es am liebsten, wenn auch alle anderen die
Steuern erhöhten.
Die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine
Anfrage der Opposition stimmt einen schon nachdenklich: Anzahl der grenznahen Tankstellen - die Bundesregierung hat keine Ahnung; Arbeitsplätze bei den Tankstellen - das weiß doch diese Bundesregierung nicht;
Schließung von Tankstellen in Grenzregionen - auch
darüber liegen der Bundesregierung keine statistischen
Angaben vor. Der Kopf der Bundesregierung steckt fest
im Sand. Nichts sehen, nichts wissen, nichts machen das ist Ihr Motto, meine Damen und Herren. Wenn der
Liter Benzin in Polen 33 Cent, in Tschechien 28 Cent
und in Österreich 24 Cent billiger ist,
({7})
dann ist das nicht Ausdruck eines ruinösen Steuerwettbewerbs, nein,
({8})
das ist die Folge Ihrer ideologiegeprägten Energiepolitik.
({9})
Das ist die Ursache des Problems. Sie haben das Problem verursacht und sind nicht in der Lage, mit dem Problem zurechtzukommen.
({10})
Meine Kollegen von den Grünen, die Bürgerinnen
und Bürger in Deutschland haben nicht vergessen, dass
Sie als Preis für den Liter Benzin 5 DM gefordert haben.
Sie nähern sich diesem Ziel mit Konsequenz, ganz
gleich, wie viele Arbeitsplätze es kostet.
({11})
Meine Damen und Herren, die Arbeitslosen in
Deutschland brauchen keine rot-grünen Konzepte mehr
und keine Flickschusterei von Rot-Grün. Wir brauchen
jetzt eine Politik, die Arbeitsplätze schafft, Arbeitsplätze
schafft, Arbeitsplätze schafft. Darum geht es in dieser
Republik.
({12})
Sie sind dazu nicht in der Lage; deswegen müssen das
andere machen.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Kerstin Andreae.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist unglaublich, wie wenig Sie anerkennen
wollen - das halte ich für Ideologie -, dass die Ökosteuer, so wie wir sie konzipiert haben und so wie sie
heute ist, ein Erfolg ist. Ich will Ihnen das an zwei Punkten deutlich machen. Die Ökosteuer hat einen eindeutigen klimapolitischen Erfolg gezeitigt. Das mag zwar der
FDP nicht wichtig sein. Aber uns Grünen ist das sehr
wichtig.
({0})
Es gibt eine klare Trendwende bei den verkehrsbedingten CO2-Emissionen. Das ist ein Erfolg in der Klimapolitik.
({1})
Nun komme ich auf die von Ihnen erwähnten
1 000 Tankstellen und 5 000 Arbeitsplätze zu sprechen.
({2})
Wissen Sie, wie hoch heute der Rentenversicherungsbeitrag wäre, wenn wir die Ökosteuereinnahmen nicht hätten?
({3})
Er läge bei 21,2 Prozent. Tatsächlich liegt er bei
19,5 Prozent. Ich möchte gern einmal sehen, was los
wäre, wenn die von Ihnen erwähnten Tankstellenbesitzer
einen Rentenversicherungsbeitrag von 21,2 Prozent zahlen müssten.
({4})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kalb?
Ja.
Bitte, Herr Kalb.
Frau Kollegin, wären Sie zumindest bereit, die Dinge
einigermaßen sachlich zu betrachten und zur Kenntnis
nehmen,
({0})
dass im BMF-Bericht vom April dieses Jahres festgestellt wird, dass genau in den Bereichen, in denen die
Steuersätze drastisch gestiegen sind, nämlich bei der
Mineralöl- bzw. der Ökosteuer und der Tabaksteuer, die
Einnahmen drastisch zurückgegangen sind und weit hinter den Erwartungen zurückbleiben, weil sich die Deutschen, die ja jetzt nicht um so viel weniger rauchen und
tanken, im Ausland bedienen?
Meines Wissens reden wir heute nicht über den Zigarettentourismus.
({0})
Ich erkläre es Ihnen noch einmal: Die Einnahmen aus
der Ökosteuer dienen der Senkung der Lohnnebenkosten; das ist klar miteinander verknüpft. Arbeit billiger
und Energie teurer zu machen, das ist ein grünes Konzept, das hier gewirkt hat. Es hat sowohl einen klimapolitischen als auch einen arbeitsmarktpolitischen Effekt;
dazu stehe ich. Dieses Projekt ist richtig.
Im Übrigen habe ich nicht mitbekommen, dass die
Union auch nur angedeutet hätte, dass sie die Ökosteuer
zurückfahren will. Ich bin mir sehr sicher, dass Sie,
wenn Sie an die Regierung kommen, das auch nicht tun
werden. Auch wenn Sie mir heute etwas anderes weismachen wollen, glaube ich Ihnen nicht. Die Ökosteuer
ist auf jeden Fall ein Erfolgskonzept, das sicherlich fortgesetzt wird.
({1})
Ich möchte noch einen anderen Punkt ansprechen.
Unter ordnungspolitischen Aspekten ist die Überlegung, grenznahe Gebiete in irgendeiner Form zu subventionieren, irre; denn man hätte dann den Effekt, dass man
sich quasi ständig im grenznahen Bereich befände. Der
grenznahe Bereich würde sich in die Mitte Deutschlands
verschieben.
({2})
Welchen bürokratischen Aufwand das zur Folge hätte!
Das hieße, dass Sie administrieren müssten. Ob Chip,
Stiftung oder ein anderes Modell - das müssten Sie irgendwann einmal darlegen -,
({3})
die Folge wäre auf jeden Fall immer, dass sich die Grenzen verschieben würden. Das ist doch logisch. Jedes Modell zur Einrichtung einer Sonderzone bedeutet nämlich,
dass in den an diese Zone grenzenden Gebieten die gleiche Diskussion von vorne beginnt. Ein solches Modell
ist in ordnungspolitischer Hinsicht absoluter Unfug;
denn es bedeutet zum Beispiel - das muss man sich einmal vorstellen -, dass ein Tankstellenbesitzer darüber
nachdenken muss, ob er sein Geschäft 200 oder
300 Meter verlagern soll, um in den Genuss der Chips
oder der ausgestellten Gutscheine der Nutzer, die sich in
der Sonderzone konzentrieren, zu kommen. Es wäre
dann überlegenswert, ob die Kosten für eine solche Betriebsverlagerung steuerlich absetzbar sein sollten - das
wäre hochinteressant - oder ob der Abzug der Kosten für
den Umzug vom Abzug für den Bezug von verbilligtem
Benzin nicht steuerlich absetzbar sein sollte. Auch dafür
werden Sie sich sicherlich noch ein Modell ausdenken.
Das Skurrile ist, dass Sie in Ihrem Antrag letztlich
nichts vorschlagen, außer dass man die Harmonisierung
auf europäischer Ebene vorantreiben müsste.
({4})
Unsere Maßnahmen jedenfalls greifen und haben Erfolg.
Ich gebe Ihnen übrigens völlig Recht, dass eine Harmonisierung im Bereich der Kerosinbesteuerung auf europäischer Ebene dringend notwendig ist. Wenn Sie hier
mitmachten, wäre das wunderbar.
({5})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Otto Bernhardt.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Der Grund, weshalb wir uns heute mit dem
Tanktourismus beschäftigen, liegt in dem Umstand, dass
wir in Deutschland deutlich höhere Benzin- und Dieselpreise als in allen vergleichbaren Ländern der EU haben.
({0})
Als Sie die Ökosteuer eingeführt haben - ich habe damals dazu gesprochen -, habe ich sehr deutlich gesagt:
Wir haben im Grundsatz nichts gegen eine Ökosteuer;
aber sie muss europaeinheitlich eingeführt werden und
sie darf nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung - dazu ist
es mittlerweile gekommen - führen.
({1})
Ich sage Ihnen sehr deutlich: Diese Steuer mag in einigen Bereichen des Umweltschutzes - die Kollegin hat
es eben gesagt - etwas gebracht haben.
({2})
Aber sie hat Zehntausende von Arbeitsplätzen vernichtet.
({3})
Das ist für uns der gewichtigere Punkt.
Sie haben Recht: Wir brauchen die Ökosteuereinnahmen heute für die Rentenversicherung. Wenn die Arbeitsplätze in Deutschland allerdings nicht vernichtet
worden wären, dann hätten wir mehr Beitragszahler,
mehr Beiträge und dann würden wir heute nicht über
dieses Thema diskutieren.
({4})
Als Ordnungspolitiker sage ich - das habe ich schon
beim letzten Mal gesagt -: Benzinscheine an der Grenze
usw. sind keine Lösung. Ich warne davor; schließlich
wollen wir Bürokratie abbauen. Unser Antrag enthält
nichts, was in diese Richtung geht. Wir fordern vielmehr: Macht etwas, damit die Benzinpreise in Deutschland nicht so hoch sind! Macht etwas, damit die Vereinheitlichung auf EU-Ebene schneller vorankommt! Das
sind die Ansatzpunkte in unserem Antrag.
Wir müssen nun einmal zur Kenntnis nehmen - die
Zahlen, die wir nennen, stammen von den Verbänden -,
dass mehrere hundert Tankstellen in den Grenzregionen
schon geschlossen haben, dass viele hundert vor dem
Aus stehen und dass es um ein paar tausend Arbeitsplätze geht.
Wir haben uns mit diesem Thema am 1. Juni im
Finanzausschuss beschäftigt. Da ist uns klar gesagt worden: Die Bundesregierung sieht keinen Handlungsbedarf Thema beendet. Als der Wirtschaftsminister ein paar
Tage später sagte: „Doch, da ist Handlungsbedarf“ und
etwas vorschlug, was ich hier nicht würdigen möchte
- das Presseecho war vernichtend; aber darum geht es
mir nicht -, fühlte ich mich ziemlich auf den Arm genommen. Während der Finanzminister „Es besteht kein
Handlungsbedarf“ gesagt hat, hat der Wirtschaftsminister ein Modell angeboten.
({5})
Zumindest aus der Sicht eines Teils der Bundesregierung
muss also doch Handlungsbedarf bestehen. Das stimmt
uns natürlich nachdenklich: War das vielleicht nur Wahlkampf,
({6})
weil der Minister begriffen hat, dass es da ein Problem
gibt, zu dem er sich äußern sollte?
Ich habe die Staatssekretärin im Ausschuss gefragt:
Wie beurteilt eigentlich das Finanzministerium den Vorschlag des Wirtschaftsministeriums? Die diplomatische
Antwort lautete: Wir prüfen diesen Vorschlag. - Okay!
Das heißt, der Finanzminister hält von diesem Vorschlag
nichts. Prüfen muss er natürlich.
({7})
Auf der einen Seite müssen wir die Probleme der Betroffenen in diesem Hause wirklich ernst nehmen. Wir
haben hier von einem Brief gehört; wir wissen, was dort
los ist. Ich wiederhole: Wir müssen die Dinge hier in diesem Hause ernst nehmen. Auf der anderen Seite dürfen
wir nichts versprechen, was wir nicht halten können. Wir
wollen nicht mehr Bürokratie. Sie fragen natürlich völlig
zu Recht, wo die Grenze für die Sonderzone sein soll:
Bei 30 Kilometern, 40 Kilometern oder 50 Kilometern?
({8})
Ich kann nur darum bitten, unserem Antrag zuzustimmen, denn er zeigt den einzig richtigen Weg auf: die Beschleunigung der Harmonisierung in Europa. Die neue
Bundesregierung wird sich dafür mit Sicherheit einsetzen; denn wir nehmen das Schicksal der Betroffenen
sehr ernst.
({9})
Danke schön. - Ich schließe die Aussprache zu diesem Punkt.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 15/5612 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/
CSU mit dem Titel „Mineralölsteuerentwicklung und
Tanktourismus“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
auf Drucksache 15/4387 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.
({0})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich
Kelber, Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker, Ulrike
Mehl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Reinhard
Loske, Michaele Hustedt, Winfried Hermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Industrielle Arbeitsplätze sichern, Energieeffizienz steigern - Eine deutsche Initiative für ein
europäisches Top-Runner-Programm
- Drucksache 15/5469 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich keinen. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Ulrich Kelber.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die vorherige Debatte ist wirklich spannend abgelaufen. Herr Ramsauer und Herr Hinsken haben sich
hier hingestellt und mit einer Lautstärke, die eigentlich
nur mir mit meinem Resonanzkörper zustehen würde,
gebrüllt, welche Steuern alle gesenkt werden müssen.
Am Ende kam dann der Abgesandte von Frau Merkel
und sagte: Es geht eigentlich nur um die Harmonisierung. Wir senken gar nicht. Das geht alles nicht. - Das
war superinteressant. Daran sieht man, wie man sich auf
Ihre Anträge verlassen kann.
Wir versuchen, das bei den Anträgen, die wir heute
stellen, ein bisschen anders zu machen. Ich finde es gut,
dass wir es noch vor der anzustrebenden Neuwahl schaffen, eine Debatte über unseren Top-Runner-Antrag zu
führen. Vielleicht eine gute Nachricht vornweg: Das
Thema ist hochaktuell. Das EU-Parlament hat die Berichterstattung angenommen, nach der innerhalb der
Öko-Design-Richtlinie der Top-Runner-Ansatz gewählt
werden soll. Der Bericht stammt übrigens von einer
deutschen Sozialdemokratin. In anderen EU-Mitgliedstaaten warten die sozialdemokratischen Fraktionen darauf, dass wir heute die deutsche Initiative für einen europäischen Top-Runner-Ansatz beschließen, und werden
jeweils ähnliche Anträge einbringen.
({0})
Das Ziel von Top Runner kann man ganz einfach beschreiben: In Zukunft soll das jeweils energieeffizienteste Gerät einer Art den Standard setzen. Den müssen
die anderen nach einigen Jahren erreichen. Man weiß ja:
Diese Technologie ist vorhanden; das kann jeder erreichen.
Wir wollen damit eine neue Dynamik für eine höhere
Energieeffizienz entfalten. Damit führen wir ein hoch
wirksames wettbewerbliches Instrument gegen die Verschwendung von Energie ein, statt mit dem Ordnungsrecht zu arbeiten, wie es ansonsten im Rahmen der ÖkoDesign-Richtlinie angedacht war. Es geht um eine einfache Sache: Lassen wir doch die pfiffigen Ingenieure für
den Klimaschutz arbeiten!
({1})
Die Experten schätzen, dass wir etwa 25 Prozent unserer Klimaschutzverpflichtungen allein mit dem TopRunner-Ansatz erfüllen könnten, wenn wir im Bereich
der Konsumgeräte - Wärmepumpen, Klimaanlagen, also
Geräte, die einen hohen Energiebedarf haben, deren Verbreitung zunimmt, die einem schnellen Austausch unterliegen - in Zukunft mit einem Best-Ansatz statt mit einem Durchschnittsansatz arbeiten.
Der Klimaschutz kann sich wegen einer anstehenden
Neuwahl keine Pause leisten. Für Energieeffizienz zu
sorgen ist ein ganz wichtiger Bestandteil von Energiepolitik. Wir haben heute sehr viele Wahlkampfreden gehört. Da müssen Sie mir erlauben, auch einmal über die
Unterschiede in der Energiepolitik zu sprechen. CDU
und CSU haben sich bisher nicht in vielen Bereichen
festgelegt, aber in der Energiepolitik - ich sehe Herrn
Pfeiffer an - haben wir ganz klare Unterschiede.
Auf der einen Seite steht eine Opposition, die zurück
will zu der hochgefährlichen Dinosauriertechnologie
Atomenergie, die die Förderung der erneuerbaren Energien reduzieren will und die - das war eine Aussage von
Frau Merkel vor etwa eineinhalb Wochen - die Schrittmacherrolle Deutschlands im Klimaschutz aufgeben
will. Diese drei Punkte kennzeichnen Ihre Energiepolitik.
Auf der anderen Seite steht die Energiepolitik der
Koalition mit einem klaren energiewirtschaftlichen Konzept, mit einer Förderung der erneuerbaren Energien
- weltweit anerkannt -, die uns quasi von null in nur
fünf Jahren zur Weltmarktführerschaft gebracht hat und
bereits dafür sorgt, dass 70 Millionen Tonnen CO2 pro
Jahr in Deutschland nicht mehr emittiert werden, mit
einer Erhöhung der Effizienz in der Energieerzeugung
- Kraft-Wärme-Kopplung; die neuen Kraftwerke Hürth
und Hagen, aber auch die neuen Braunkohlekraftwerke;
das ist eine Technologie, die wir weltweit verkaufen
können ({2})
und mit einer Erhöhung der Effizienz der Energienutzung mit der Energieeinsparverordnung, mit dem Energiepass und jetzt mit Top Runner.
Wir wollen von einer Erhöhung der Energieeffizienz
pro Jahr von knapp über 1 Prozent wieder auf eine Rate
von etwa 3 Prozent kommen, um unsere klimapolitischen Ziele zu erreichen, aber auch um wirtschaftspolitisch etwas zu erreichen. Die Situation heute ist, dass die
Umweltverbände, die Gewerkschaften und die mittelständische Wirtschaft unseren Ansatz Top Runner unterstützen, weil er unbürokratisch ist und weil man in dem
Land, das diese Systematik eingeführt hat, nämlich Japan 1998, sieht, welche wettbewerblichen Vorteile damit
verbunden sind. Schon heute sind die japanischen Konsumgeräte im Schnitt um 10 Prozent energieeffizienter
als die europäischen. Um einmal ein Beispiel zu nennen:
Jetzt hat eine große japanische Firma einen Kühlschrank
angekündigt, der um den Faktor sieben energieeffizienter ist als die Geräte, die die Europäer anbieten. Wer,
glauben Sie, wird sich auf dem Weltmarkt durchsetzen?
Das ist doch ganz eindeutig.
Auch woanders gibt es riesige Potenziale: Bei PC mit
gleicher Leistung gibt es heute Unterschiede von
83 Prozent bezüglich der Energieeffizienz, bei Wärmepumpen von 63 Prozent, bei DVD-Rekordern von
58 Prozent. Schauen Sie einmal in einem Testbericht
nach, wie viel Watt Drucker, die ausgeschaltet sind, allein dann noch ziehen, wenn nur der Stecker steckt; ich
rede jetzt gar nicht vom Stand-by-Modus. Um den Faktor 40 bis 50 unterscheiden sich hier die Geräte. Hier
einzugreifen ist ganz wichtig.
({3})
Nämlich nur der, der die energieeffizientesten Geräte anbietet, setzt sich am Weltmarkt durch. Der Grund hierfür
sind die steigenden Energiepreise, die durch die zusätzliche Nachfrage von Schwellenländern wie Indien und
China sowie durch die Anforderungen an den Klimaschutz hervorgerufen werden.
Etwas anderes ist auch klar: Billige Geräte mit Nullachtfünfzehn-Technologie, die Energie verschwenden,
können überall auf der Welt hergestellt werden. Mit den
woanders gezahlten Stundenlöhnen können wir nicht
mithalten. Wenn wir aber durchsetzen können, dass
weltweit nur die energieeffizientesten Geräte verwendet
werden, dann werden Geräte mit moderner Technologie
nachgefragt. Die Produktion solcher Geräte können wir
in Deutschland halten, wenn wir wie bisher weiterhin
mit Innovationen auf dem Weltmarkt auftreten. Das
heißt, Energieeffizienz sichert und schafft Arbeitsplätze
in Deutschland.
({4})
Das gilt insbesondere für unsere Premiummarken in
diesen Bereichen, sei es im Bereich der weißen Ware,
der Haushaltsware, oder bei Autos. Unsere Premiummarken sind besser verarbeitet und effizienter als Nullachtfünfzehn-Produkte. Das heißt, gerade wir Deutschen
haben ein Interesse daran, dass es einen europäischen
Top-Runner-Ansatz gibt. Das schafft nämlich Arbeitsplätze bei Herstellern von Premiumprodukten hier in
Deutschland. Deswegen bitte ich auch um die Zustimmung aller Fraktionen zu diesem Antrag. Das liegt im
deutschen Interesse und im Interesse des Umweltschutzes.
Vielen Dank.
({5})
Jetzt hat der Kollege Joachim Pfeiffer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Zunächst möchte ich sagen, dass Ihr Vorschlag,
Herr Kelber, sich mit dem Thema Energieeffizienz auseinander zu setzen, in der Tat absolut richtig ist und in
die richtige Richtung weist. Dieses Thema haben wir leider in den vergangenen Jahren vernachlässigt. Man hat
es zwar häufig im Mund geführt, aber nicht richtig umgesetzt. In der Tat lassen sich das CO2-Problem und die
Frage der Energieversorgung nicht nur über die Angebotsseite lösen, sondern wir müssen auch nach Lösungsmöglichkeiten auf der Nachfrageseite suchen. Insofern
geht Ihr Vorschlag, sich der Energieeffizienz zu widmen,
absolut in die richtige Richtung.
Jetzt möchte ich aber doch das eine oder andere, was
Sie angesprochen haben, aufgreifen, weil Sie es zumindest aus meiner Sicht etwas durcheinander gebracht haben. So sagten Sie, wir würden uns gegen die Fortführung von Klimaschutzmaßnahmen aussprechen. Das
trifft mit Sicherheit auf Frau Merkel nicht zu. Sie hat im
Übrigen, um auch das einmal deutlich zu machen, das
Kioto-Protokoll entscheidend mitverhandelt. Ich glaube
aber, wir alle in diesem Hause wissen, dass wir mit dem
Kioto-Protokoll allein nicht reüssieren werden. Ich
nenne einfach einmal die Zahlen für das Treibhausgas
CO2. Durch Energieerzeugung bedingt haben wir heute
CO2-Emissionen in Höhe von 25 Milliarden Tonnen pro
Jahr; dazu kommen noch einmal 10 Milliarden, die anthropogen verursacht sind. Wir haben also 35 Milliarden
Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr.
Wenn wir jetzt den Klimaschutz wirklich ernst nehmen, dürfen wir Maßnahmen nicht auf die Zukunft verschieben, sondern wir müssen heute Klimaschutz möglichst effizient betreiben. In diesem Punkt sind wir
offensichtlich gleicher Meinung; das freut mich. Allerdings betreiben wir bisher den Klimaschutz nicht möglichst effizient. Laut Kioto-Protokoll - Sie kennen die
Zahlen genauso gut wie ich, Herr Kelber - soll die EU
350 Millionen Tonnen im Zeitraum von 1990 bis 2012
einsparen. Das heißt, in 22 Jahren sparen wir 350 Millionen Tonnen ein. Ich will nicht behaupten, dass das nichts
wäre, aber durch diese Maßnahme werden wir das weltweite Klimaproblem nicht lösen. Demgegenüber hatte
nämlich China allein im Jahr 2002 CO2-Emissionen von
700 Millionen Tonnen. Das, was wir durch das KiotoProtokoll in Europa in 22 Jahren einsparen, entspricht
also quasi dem Ausstoß von China in einem halben Jahr.
Das sind die Realitäten; das ist Fakt.
({0})
Jetzt geht es aber darum: Wie gehen wir die Dinge
an? Auf der einen Seite müssen wir uns um die Angebotsseite kümmern. Sie haben, wenn wir das einmal
ganz nüchtern, rational und nicht ideologisch betrachten,
Klimaschutzmaßnahmen getroffen, auch durch den Ausbau der erneuerbaren Energien, die aber nicht die effizientesten sind. Natürlich ist dadurch eine Wirkung
erzielt worden. Sie haben sich 1998 in Ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, den CO2-Ausstoß bis 2005 gegenüber 1990 um 25 Prozent zu reduzieren. Erreicht sind
heute 19 Prozent. 1998 waren es bereits 13 Prozent; das
heißt, 6 Prozent sind dazugekommen.
Aber wie sind sie dazugekommen? Mengenmäßig ist
das Ziel natürlich nicht erreicht; hinzu kommt, dass
diese Art der CO2-Vermeidung nicht besonders effektiv
ist. Die Vermeidungskosten beispielsweise durch die
Windenergie betragen für die Angebotsseite zwischen
50 Euro je Tonne im untersten Bereich und 110 Euro je
Tonne. Die Vermeidungskosten durch die Photovoltaik
betragen heute - ich rede vom Jahr 2005; in ein paar Jahren ist das hoffentlich anders - 500 Euro je Tonne.
Wir treten im Gegensatz dazu für einen nachhaltigen
diversifizierten Energiemix ein.
({1})
Das haben Sie vorhin angesprochen und das ist unser
Ansatz. Wir lassen uns hier nicht in die Ecke stellen. Wir
sind nicht von gestern oder gar von vorgestern. Ich
denke, das sollten wir deutlich machen, heute hier und
auch im bevorstehenden Wahlkampf. Bei diesem Energiemix nutzen wir nicht nur die erneuerbaren Energien,
sondern durch eine Verlängerung der Laufzeit der Kraftwerke auch die Kernkraft als Brücke in die Zukunft, um
den CO2-Ausstoß wie vorgesehen zu reduzieren.
Wie wollen Sie das machen? Sie haben bisher nie dargelegt - weder heute Morgen, als wir über das
Energieprogramm diskutiert haben, noch in den letzten
sieben Jahren -, wie Sie das CO2-Problem auf der Angebots- oder auf der Nachfrageseite mit Ihrem Ansatz angehen wollen.
({2})
Ihre Politik ist an dieser Stelle leider nur Stückwerk und
kein Gesamtkonzept.
({3})
- Ich will mich jetzt gar nicht mit Ihnen streiten. Lassen
Sie mich - ich habe Sie vorhin auch ausreden lassen meinen Gedankengang darzulegen versuchen.
Wir wollen das CO2-Problem auf der Angebotsseite
- ich gehe nachher noch im Einzelnen auf die Nachfrageseite und den Top-Runner-Ansatz ein - durch einen
nachhaltigen diversifizierten Energiemix lösen, bei dem
alle Energiearten eine Rolle spielen, auch die fossilen.
Wir wollen beispielsweise - da sind wir zumindest mit
dem Wirtschaftsministerium einig; beim Umweltministerium bin ich mir nicht so sicher - im Bereich der
Kohle, der Braunkohle oder Steinkohle, verstärkt daran
forschen, eine CO2-Abscheidung, eine CO2-Trennung zu
erreichen und diese technisch umzusetzen, damit wir
wirtschaftlich sein können. - Damit will ich die Angebotsseite abschließen.
Im Zusammenhang mit der Nachfrageseite haben Sie
das Thema Geräte angesprochen. Viel wichtiger sind
zum Beispiel - da können Sie bei uns ein Gesamtkonzept erkennen: nachhaltiger Energiemix auf der einen
Seite, Schwerpunkt bei der Nachfrage auf der anderen
Seite - Anreizprogramme, zum Beispiel in Bezug auf
den Gebäudebestand. Dadurch können wir schon mit
CO2-Vermeidungskosten in Höhe von 5 bis 10 Euro je
Tonne - also nicht 50 oder 500 Euro - etwas erreichen.
Darüber haben wir in den letzten sieben Jahren zwar
schon geredet, aber wir haben leider nichts umgesetzt.
Das wird ein Punkt sein, den wir angehen.
Das heißt, wir können sowohl wirtschaftliche Ziele
erreichen, indem wir die Wettbewerbsfähigkeit der Energiepreise im europäischen Kontext erhöhen und Wirtschaft und Verbraucher entsprechend entlasten. Durch
die Wettbewerbsfähigkeit würden Wachstum und damit
Arbeit geschaffen; das war auch schon beim vorherigen
Tagesordnungspunkt ein Thema. Auf der anderen Seite
können wir auch die Umweltziele effizient erreichen.
Das müsste auch in Ihrem Interesse sein.
({4})
Lassen Sie mich noch auf das Thema Top-RunnerAnsatz eingehen. Sie haben auf die EU verwiesen und
die Nutzung der Potenziale angesprochen. Da sind wir,
glaube ich, was die Richtung angeht, gleicher Meinung.
Das Grünbuch der EU schätzt, dass wir im EU-Raum auf
der Nachfrageseite ungefähr 20 Prozent des gegenwärtigen Energiebedarfs einsparen können, wenn wir das effizienter angehen als heute. Das ist ungefähr der gegenwärtige Energieverbrauch von Deutschland und
Finnland zusammen und entspricht 60 Milliarden Euro
pro Jahr. Das sind die Potenziale, die man in der Tat auf
der Nachfrageseite heben kann.
Ich habe Ihnen gerade gesagt, wie wir diese Potenziale heben wollen, was das Thema Gebäude anbelangt.
Es stellt sich aber auch die Frage, wie man diese Potenziale bei Haushaltsgeräten und bei elektronischen Geräten heben kann. Dazu gehört auch das Thema Stand-by,
über das seit 20 Jahren gesprochen wird. Es wird aber
wenig getan, um dieses Problem zu lösen.
Ob der Top-Runner-Ansatz richtig ist, vermag ich
abschließend nicht zu beurteilen. Ich stelle dazu einige
Fragen. Ihre Redner können mir vielleicht die eine oder
andere Frage noch beantworten. Ich bin einmal gespannt
auf den Diskurs.
Eine Frage ist - Herr Kelber, Sie haben es vorhin angesprochen -, inwieweit dieser Ansatz EU-konform umsetzbar ist. Wir haben die Ökodesign-Richtlinie, die Effizienz-Richtlinie und die Energie-Richtlinie. Es gibt also
unterschiedliche Instrumente. Wenn diese wirklich aufeinander abgestimmt sind, sind sie sinnvoll. Ich habe bis
jetzt aber noch nicht feststellen können, dass diese Instrumente kumulativ wirken. Sie gehen vielmehr ineinander über. Wenn es so ist, wie Sie es gerade dargestellt haben, dann mag es in die richtige Richtung gehen.
Es stellt sich außerdem die Frage - diese Frage hat
Herr Staffelt aus dem Wirtschaftsministerium offenbar
aufgeworfen; zumindest liegt mir ein Schreiben des
Herrn Adamowitsch vor -, wie es sich mit der WTOKonsistenz verhält. Wenn ich es richtig verstanden
habe, wollen Sie keinen nationalen Alleingang, sondern
Sie wollen diese Punkte im europäischen Kontext regeln. Das ist zwar ein richtiger Ansatz. Aber ich stelle
schon die Frage - ich habe deutlich gemacht, dass mir
dieses Thema wichtig ist -, ob Energieeffizienz das alleinige Kriterium ist. Wir müssen schon darauf achten, ob
nicht auch andere Fragen noch eine Rolle spielen und
wie die Energieeffizienz einzuordnen ist. Das geht aus
dem Antrag nicht eindeutig hervor.
({5})
- Ich bin ja deshalb hier, um von Ihnen Nachhilfe zu bekommen. Es ist schön, wenn ich intelligenter von dannen
gehe, als ich gekommen bin. Sie sehen, ich bin noch
lernfähig.
Auch die sicherheitsrelevanten und umweltpolitischen Aspekte müssen wir mit einbeziehen. In dem
Grünbuch wird die Frage aufgeworfen, ob hier die
grundlegenden marktwirtschaftlichen und wettbewerblichen Prämissen entsprechend berücksichtigt werden. Ich
beziehe mich, wie gesagt, auf das aktuelle Grünbuch der
EU, in dem diese Fragen aufgeworfen werden.
Ich sehe, dass meine Redezeit langsam zu Ende geht.
Ich habe einige Fragen gestellt. Wir sind uns in der
grundlegenden Richtung einig, nämlich dass wir die
Nachfrageseite engagiert angehen müssen. Ich sehe darin ein mögliches Instrument. Aufgrund zahlreicher noch
offener Fragen können wir dem heute mit Sicherheit
noch nicht zustimmen. Wir können aber klar signalisieren, dass wir bereit sind, diesen Weg entsprechend gemeinsam weiter zu beschreiten und ein mögliches Instrument daraus zu entwickeln.
Ich möchte aber noch einmal darauf hinweisen, dass
es nicht nur mit einem Instrument getan ist. Ich habe
schon versucht, diese Position auch auf Ihre Bemerkung
hin, Herr Kelber, deutlich zu machen. Man muss vielmehr eine Energiepolitik aus einem Guss entwickeln.
Diese gab es in den letzten sieben Jahren nicht. Es gab
nur Stückwerk; es gab Instrumente, die zum Teil gut gemeint waren, deren Wirkungen aber verheerend waren.
Denn diese Instrumente haben weder die umweltpolitischen Anforderungen erfüllt noch waren sie energie- und
kosteneffizient. Das Ergebnis ist - dieses konnten wir
schon heute Morgen in der Debatte feststellen; wie es
ausschaut, ist es in dieser Legislaturperiode die letzte
Debatte zu diesem Thema -, dass Rot-Grün auch in der
Energiepolitik versagt hat.
({6})
- Das ist so. Ich habe versucht, die Probleme sachlich
darzulegen. Sie können meine Einwände ja widerlegen.
Ich habe die Zahlen genannt. Sollten die von mir genannten Zahlen nicht stimmen, dann lasse ich mich gern
eines Besseren belehren. Aber da sie stimmen, muss ich
diese Schlussfolgerung leider ziehen.
Wir werden uns dann - vielleicht nicht Sie, Herr
Schmidt, aber die meisten von uns - in der neuen Legislaturperiode wiedersehen. Dann können wir über die
besseren Instrumente streiten, vielleicht in umgekehrter
Funktion. Schauen wir einmal.
({7})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Reinhard Loske.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zu dem sachlichen Vortrag von Herrn Pfeiffer und auf
seine Fragen vielleicht einige Antworten, sofern ich das
kann. Zum Ersten haben Sie darüber geklagt, dass das
25-Prozent-Ziel im Jahr 2005 verfehlt worden sei und
wir eine Minderung der Emissionen um nur 19 Prozent
erreicht hätten. Es wirkt etwas paradox, dass Sie das monieren - so würde ich einmal sagen -, weil Sie alle Gesetze, die wir beschlossen haben, angefangen beim
Emissionshandel über die Ökosteuer, das Kraft-WärmeKopplungsgesetz bis hin zum Erneuerbare-Energien-Gesetz, abgelehnt haben, weil sie Ihnen zu weit gingen. Für
eines sollten Sie sich schon entscheiden. Das passt eindeutig nicht zusammen.
({0})
Zum Zweiten zur Atomkraftdebatte. Auch ich will
versuchen, sachlich und nüchtern darauf einzugehen.
Wollen Sie gleich eine Zwischenfrage von Herrn
Pfeiffer zulassen?
Ich habe doch gerade erst angefangen. Lassen Sie
mich noch ein bisschen reden! Vielleicht später.
Über die Atomkraft, den zusätzlichen Atommüll usw.
kann man auf verschiedenerlei Weise diskutieren. Herr
Pfeiffer, ich will jetzt ausschließlich wirtschaftlich argumentieren: Es ist so, dass in Deutschland das Fenster der
Möglichkeiten für neue Investitionen im Strombereich
in den nächsten 15, 20 Jahren sperrangelweit offen steht.
Viele Leute sitzen jetzt in den Startlöchern und wollen
mit neuen Technologien, mit modernen Gas- und Dampfturbinenkraftwerken, mit Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, mit Blockheizkraftwerken, mit Brennstoffzellen,
mit erneuerbaren Energien und mit moderner Kraftwerkstechnologie insgesamt, in diesen Bereich. Wenn
Sie die Laufzeit der Atomkraftwerke bis zum SanktNimmerleins-Tag verlängern und diese Leute gegen abgeschriebene Atomkraftwerke konkurrieren müssen, die
am goldenen Ende laufen, dann ist das das größte Investitionsverhinderungsprogramm, das Deutschland je erlebt hat. Das werden wir im Wahlkampf so sagen.
({0})
Das war das Zweite, was ich sagen wollte.
Zum Dritten. Herr Clement hat heute Morgen gesagt,
dass unsere Energiepolitik aus den drei „E“ besteht
- das fand ich ganz interessant -: den erneuerbaren
Energien, der Energieeffizienz und der Energieeinsparung. Wir müssen - darüber besteht auf der abstrakten
Ebene Einvernehmen - eine Art Zangenpolitik hinbekommen. Wir müssen sehen, dass wir durch eine effiziente Nutzung weniger Energie verbrauchen. Dann können wir den Anteil der erneuerbaren Energien viel
einfacher erhöhen. Es ist viel leichter, 20 oder 50 Prozent von weniger zu erreichen. Wenn uns der Energieverbrauch hingegen davonläuft, dann haben wir das
Problem, die erneuerbaren Energien in einer relevanten
Größenordnung einzusetzen.
Deswegen haben wir den vorliegenden Antrag eingebracht. Ich glaube in der Tat, dass man sagen kann:
Diese Koalition hat auf der Angebotsseite eine ganze
Menge getan. Wir haben das Erneuerbare-Energien-Gesetz beschlossen. Als wir an die Regierung kamen, lag
der Anteil der erneuerbaren Energien bei 5 bzw.
6 Prozent. Jetzt liegt er bei 10 Prozent. Er soll bis 2020
auf 20 Prozent erhöht werden. Das ist ein klarer Korridor, eine klare Wachstumsorientierung.
Wir haben beim Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz gesagt - dies stellt sich ein bisschen schwieriger dar -: Wir
wollen den Anteil des KWK-Stroms verdoppeln. Wir
haben dafür ein Gesetz und einen Monitoringmechanismus eingeführt. Dies müsste jetzt überprüft werden. Im
Moment ist das angesichts der komplexen Lage - so
sage ich einmal - schwierig. Daran muss aber weiter gearbeitet werden. Auch bei der Kraft-Wärme-Kopplung
muss es einen Aufwuchs geben.
Wir haben den Emissionshandel geregelt, indem wir
die Menge der CO2-Emissionen für die Industrie definieren. Wir haben das Energiewirtschaftsgesetz beschlossen, indem wir gesagt haben: Wir brauchen einen fairen
Wettbewerb und einen Schiedsrichter, der darauf schaut,
dass ein diskriminierungsfreier Netzzugang für alle
möglich ist. Das heißt, auf der Angebotsseite haben wir
eine ganze Menge guter Sachen gemacht. Schade, dass
Sie nicht zugestimmt haben! Das will ich hier nur einmal
festhalten.
({1})
Auf der Nutzungsseite - so würde ich sagen - ist insgesamt zu wenig getan worden. Im Wärmebereich ist
einiges geschehen. Wir haben das Altbausanierungsprogramm eingeführt. Es wird hoffentlich bald der Gebäudepass eingeführt. Wir haben als Grundlage das Energiespargesetz verabschiedet; aber da kann noch mehr
geschehen.
Wenig geschehen ist insgesamt - das muss man
sagen - im Strombereich. Wir haben die Stromsteuer
eingeführt und damit durchaus einen Anreiz zur
Stromeinsparung gegeben; das ist keine Frage. Der Antrag, den wir heute vorlegen, zielt genau darauf, dass
man, wie Uli Kelber gesagt hat, den Ingenieursverstand
darauf lenkt, auf der Nutzungsseite weniger Strom zu
verbrauchen. Da bestehen riesige Potenziale. Die sind
übrigens auch kostengünstig erschließbar. Die EU
schätzt, dass 30 Prozent des Stromverbrauchs kostengünstig erschlossen werden können, weil die Durchschnittskosten pro Kilowattstunde Strom, die bei einem
neuen Kraftwerk anfallen, höher liegen als die Durchschnittskosten für die Kilowattstunde, die gespart werden muss. Diese Potenziale wollen und müssen wir ausnutzen. Deswegen haben wir diesen Antrag gestellt.
Die Grundidee ist im Grunde genommen ganz einfach: Wir schreiben nicht im Detail bürokratisch vor, wie
hoch der Verbrauch sein soll, sondern sagen: Das jeweils
marktbeste Gerät setzt den Standard. Jeder Produzent
muss innerhalb eines bestimmten Zeitraums - das heißt
in drei bis fünf Jahren - diesen Standard erreichen; ansonsten verschwindet er vom Markt. Das wäre natürlich
eine sehr weitgehende Position. Ich wäre dafür. Aber zumindest soll er ein Label bekommen, dass er ein stromfressendes Gerät verkauft. Die Kunden können dann
autonom entscheiden, ob sie so ein Gerät noch kaufen
wollen. Ich gehe fest davon aus, dass, wenn man das mit
einer klaren Kennzeichnung kombiniert, die Kunden
darauf sehr stark achten werden, wie sie das schon heute
bei Elektrogeräten, zum Beispiel bei Fernsehgeräten,
Kühlschränken usw., machen.
Wir stehen bei diesem Thema nicht allein. Das antworte ich auf Ihre Frage - die kann ich jetzt nicht mehr
im Detail beantworten, weil meine Zeit zu Ende geht -,
ob unser Vorschlag EU-kompatibel ist. Es gibt im Moment - Kollege Kelber hat darüber gesprochen - die
Ökodesign-Richtlinie. Sie ist im Wesentlichen beschlossen. Es gibt darüber hinaus die EndenergieeffizienzRichtlinie. Darüber wird im Moment noch gestritten.
Das Parlament will, dass bis 2015 der Stromverbrauch in
der EU um 11,5 Prozent reduziert wird. Die Kommission
und der Rat sind da zurückhaltender. Aber beides geht in
die gleiche Richtung, sodass wir ganz klar sagen müssen: Stromeinsparung auf eine intelligente Art und
Weise, nämlich mit dem Top-Runner-Ansatz - es sollen
also nicht bürokratisch im Einzelnen Vorschriften vorgegeben werden, sondern es soll einen Wettbewerb um die
besten Standards geben -, verbirgt sich hinter der Idee,
mehr Ökologie mit weniger Bürokratie zu verbinden. Es
wäre gut, wenn Sie dem zustimmen würden.
Danke schön.
({2})
Jetzt hat die Kollegin Gudrun Kopp das Wort. - Sie
müssen heute auch mehrmals auftreten.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und
Damen! Energieeffizienz muss sich im Wettbewerb
entwickeln. Ich glaube, dass diese Lektion in dem vorliegenden Antrag nicht zum Vorschein kommt. Wo kommen wir hin, wenn wir marktwirtschaftliche Mechanismen außer Kraft setzen, bestimmte Vorgaben machen
und Unternehmen dann vorschreiben, auf welche Weise
sie ihre Produkte zu entwickeln haben!
({0})
Warum vertrauen Sie in diesem Fall nicht auf den Markt,
auf den Sachverstand der Ingenieure? Der beste Anreiz
für den Kauf durchdachter Technologien sind natürlich
Preise.
Wollen Sie dem Kollegen Kelber eine Zwischenfrage
erlauben?
Nein, ich möchte jetzt weiter vortragen.
Sie sagen, Sie würden einen bestimmten Standard
vorgeben. Nehmen wir einmal an, jemand stellt einen
Videorekorder her, zu dem eine besonders bedienungsfreundliche Fernbedienung gehört, die aber etwas mehr
Strom frisst. Wie wollen Sie, wenn Sie einen bestimmten
Standard vorgeben wollen, auf dieser Ebene differenzieren? Das ist sehr schwierig. Sie müssen sagen, welche
Funktionen und welchen Energieverbrauch bestimmte
Geräte haben und dies dann gegeneinander abwägen.
({0})
Wie gehen Sie zum Beispiel bei den Patenten vor?
Eine Firma entwickelt ein Superpatent, eine hervorragende Erfindung, wie Energieeinsparung in besonderer
Weise erfolgen kann. Wenn Sie sagen: „Das ist der Standard; das ist top“, dann heißt das natürlich, dass Sie anderen Firmen, die diesen Standard in kürzester Zeit übernehmen müssen, enorme Kosten aufbürden, indem sie
quasi Patentgebühren bezahlen müssen.
Ich sage Ihnen noch etwas: Wenn Sie diesen TopRunner-Ansatz marktwirtschaftlich formulieren, finde
ich das hervorragend; denn wir brauchen mehr Energieeffizienz. Aber dies darf auf gar keinen Fall zu mehr Bürokratie führen.
Herr Kelber, ich lese einmal aus Ihrem Antrag vor:
Gleichzeitig ist sicherzustellen, dass ein Hersteller
alle technischen, energetischen, sicherheitsrelevanten, funktionellen, wirtschaftlichen und umweltbezogenen Aspekte sowie die gesundheitlichen
Auswirkungen - z. B. Lärm, elektromagnetische
Felder - berücksichtigt, um letztlich das Optimum
für das Produkt zu finden.
Das ist ein riesiger Ansatz. Da wollen Sie vorgeben, welcher Standard künftig zu setzen ist. Ich finde diesen Ansatz hoch bürokratisch.
({1})
Ich finde nicht, dass dies ein wettbewerblicher Ansatz
ist. Ein Wettbewerb um die beste Effizienz zu den günstigsten Preisen wäre der richtige Ansatz.
({2})
Blicken Sie noch einmal auf die gesamte Energiepolitik! Ich erinnere Sie an den Effizienzverlust, den wir bei
der Nutzung der Windenergie de facto haben. Ich habe
gerade ein Beschwerdeschreiben von der Chemieindustrie in Sachsen-Anhalt auf dem Tisch liegen. Da wird geschildert, wie eine eigene KWK-Anlage auf dem Betriebsgelände aufgrund einer Einspeiseverpflichtung für
die Windenergie abgeschaltet werden muss und diesem
Unternehmen dadurch - weil Sie Vorgaben zum Erzeugungsmanagement machen - enorme Kosten entstehen.
({3})
Energie wirklich ideologiefrei und effizient herzustellen und zu vertreiben, das ist der Ansatz, aber nicht Vorgaben zu machen und staatlicherseits regulierend einzugreifen. Das hat mit Effizienz sehr wenig zu tun.
({4})
Insofern bitte ich Sie
Frau Kollegin.
- ich komme zum Schluss -, ein Modell, das wirklich
energieeffizient und kostengünstig ist, zu entwickeln und
es in einen Antrag zu gießen. Das wäre sinnvoll.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Axel Berg.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir am Ende
dieser Legislaturperiode noch einen wichtigen, zukunftsweisenden Antrag beraten, in dem es um eines der wichtigsten Themen geht, mit denen wir uns in den nächsten
Jahrzehnten beschäftigen müssen. Es geht um Effizienz,
diesmal aber nicht um Effizienz bei Arbeitsplätzen.
Ganz im Gegenteil: Es ist unerlässlich, dass wir mit
den Ressourcen unserer Erde sparsamer umgehen, ob
mit Wasser, mit Kohle, Öl oder Gas, mit Land, Natur
oder sauberer Luft. Die technologischen Entwicklungen
der letzten 200 Jahre und die damit verbundene unglaubliche Steigerung der Arbeitsproduktivität hat uns in Mitteleuropa auf der einen Seite zu Wachstum und Wohlstand verholfen. Auf der anderen Seite ist damit auch
eine eigentlich beschämende Verschwendung einhergegangen, beschämend deshalb, weil wir eine große Party
der Verschwendung auf Kosten der Armen und der Umwelt feiern.
Wir müssen uns endlich verstärkt mit der Effizienz
beschäftigen.
({0})
Denn allerorts wird augenscheinlich, dass man sich mit
der Verschwendungswirtschaft auch wirtschaftlich ins
Abseits begibt. Von den Umweltfolgen will ich gar nicht
sprechen, weil ich ganz gezielt auf die ökonomische
Notwendigkeit von Effizienz hinweisen möchte.
Das Zauberwort heißt Ressourcenproduktivität. Im
Grunde hätte man schon während der ersten Ölkrise in
den 70er-Jahren begreifen müssen, dass Öl viel zu wertvoll ist, um es ineffizient zu nutzen. Jetzt müssen wir reagieren; denn wir stehen bereits mit dem Rücken zur
Wand. Durch die rasante wirtschaftliche Entwicklung in
Asien und dem damit einhergehenden riesigen Energiehunger wurden dort inzwischen Rahmenbedingungen
geschaffen, die eine verbesserte Ressourceneffizienz erzwingen, seien es gesetzliche Grenzwerte für den Spritverbrauch von Autos oder genau dieser Top-Runner-Ansatz.
Durch das Top-Runner-Programm wird eine 100-prozentige Marktdurchdringung mit der jeweils energieeffizientesten Technologie erreicht. Wir schaffen damit
technischen Fortschritt und einen dynamischen Wettbewerb. Darüber hinaus können wir auf diese Weise mit
den Entwicklungen auf anderen Märkten mithalten. Der
Top-Runner passt übrigens geradezu prototypisch in die
Lissabon-Strategie, die anstrebt - ich zitiere -,
die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der
Welt zu machen - einem Wirtschaftsraum, der fähig
ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr
und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren
sozialen Zusammenhalt zu erzielen.
Um dies zu erreichen, müssen wir jetzt Entschlossenheit zeigen. Wir dürfen nicht aus Angst oder aufgrund
von Protektionismus mutige Schritte verweigern. Die
„Pfeiffer-CDU“ - so nenne ich sie einmal - flüchtet auf
die Nachfrageseite. Okay, das kann man so sehen. Aber
der Hebel ist der Preis. Warum wollen Sie dann ständig
billige Energie? Das passt, wie ich finde, überhaupt nicht
zusammen. Wir haben in Deutschland gerade vorgeführt
bekommen, wie sich der vermeintliche Schutz der deutschen Unternehmen ruck, zuck in sein Gegenteil verkehren kann. Stichwort: Rußfilter. Deutsche Autobauer
wehrten sich erfolgreich dagegen mit dem Ergebnis,
dass die französische Konkurrenz inzwischen das Geschäft macht.
Wir wollen in Deutschland mehr Arbeitsplätze. Das
erreichen wir aber nur, wenn wir an bestimmten Punkten
entschlossen neue Wege beschreiten.
({1})
Mit dem Top-Runner gewinnen wir qualifizierte Arbeitsplätze. Wir bringen unsere Unternehmen in eine chancenreiche Wettbewerbsposition. Wir bringen uns für den
Export in Stellung. Wir schöpfen riesige Energieeinsparpotenziale aus. Wir werden einen Innovationsschub erleben und - last, not least - machen wir natürlich auch
noch einen Riesensprung beim Umweltschutz. Wir
schaffen jetzt den politischen Rahmen - die Umsetzung
ist dann Aufgabe der Industrie.
Lassen Sie mich zum Schluss aus der „Süddeutschen
Zeitung“ von heute zitieren. Es gab ein Interview mit
Jeffrey Immelt, dem Chef des Industriegiganten GE, der
noch viel größer als Siemens ist. Die Frage von der
„Süddeutschen Zeitung“ war:
Herr Immelt, Sie verordnen Ihrem Unternehmen
neue, höhere Umweltstandards … Veruntreuen Sie
das Geld Ihrer Aktionäre?
Die Antwort von Immelt:
Nein. Investitionen in grüne Technologien sind ja
kein teueres Hobby entrückter Manager. Wir haben
mit der Initiative vor allem ein Ziel: Geld verdienen.
So macht man auch Politik, liebe CDU/CSU und liebe
FDP!
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 15/5469 mit dem Titel „Industrielle Arbeitsplätze sichern, Energieeffizienz steigern - Eine
deutsche Initiative für ein europäisches Top-Runner-Programm“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt
dagegen? ({0})
Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen
von CDU/CSU und FDP angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der projektbezogenen
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Mechanismen nach dem Protokoll von Kioto
zum Rahmenübereinkommen der Vereinten
Nationen über Klimaänderung vom 11. Dezember 1997 und zur Umsetzung der Richtlinie 2004/101/EG
- Drucksache 15/5447 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2})
- Drucksachen 15/5844, 15/5881 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrich Kelber
Marie-Luise Dött
Birgit Homburger
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP vor.
Die Kollegen Kelber, Groneberg, Lippold,
Obermeier, Loske und Homburger haben gebeten, ihre
Reden zu Protokoll geben zu dürfen.1) - Sie sind, glaube
ich, einverstanden. Dann verfahren wir auch so und
kommen gleich zur Abstimmung über den eben genann-
ten Gesetzentwurf. Der Ausschuss für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen; das sind die Druck-
sachen 15/5844 und 15/5881. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthal-
tungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera-
tung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung von CDU/CSU und FDP und kei-
ner Gegenstimme angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. - Ge-
genstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
in dritter Beratung mit dem eben festgestellten Stimm-
verhältnis angenommen worden.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der FDP auf
Drucksache 15/5870. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthal-
tungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stim-
men von CDU/CSU und FDP abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Übereinkommen der
Vereinten Nationen vom 15. November 2000
gegen die grenzüberschreitende organisierte
Kriminalität sowie zu den Zusatzprotokollen
1) Anlage 7
gegen den Menschenhandel und gegen die
Schleusung von Migranten
- Drucksache 15/5150 ({3})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({4})
- Drucksache 15/5855 Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Simm
Siegfried Kauder ({5})
Sibylle Laurischk
Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist auch so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach.
({6})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe
Kollegen! Ich freue mich, dass ihr noch so heiter seid;
ich lade euch alle nachher in die Parlamentarische Gesellschaft ein.
({0})
Die international organisierte Kriminalität hat erschreckende Dimensionen angenommen. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen werden damit inzwischen jährlich mehrere 100 Milliarden US-Dollar
umgesetzt. Täter und Hintermänner nutzen ganz bewusst
und ganz gezielt die Möglichkeiten einer globalisierten
Weltwirtschaft. Sie profitieren von offenen oder durchlässigen Grenzen, wenn sie Rauschgift, Waffen und gestohlene Autos schmuggeln, und sie wissen das Internet,
E-Mail und Mobiltelefone für ihre weltumspannenden
Machenschaften einzusetzen. Die Strafverfolgung wird
heute dagegen noch viel zu oft durch Staatsgrenzen gebremst oder sogar gestoppt. Die internationale Staatengemeinschaft muss deshalb in Zukunft noch enger zusammenarbeiten.
Die weltweit agierende organisierte Kriminalität ist
eine ernste Bedrohung für die internationale Sicherheit und Stabilität, wobei besonders die jungen, sich
auf dem Weg zur Demokratie befindlichen Staaten anfällig und betroffen sind. Aber auch die Auswirkungen auf
Deutschland sind enorm. Allein in Deutschland reden
wir von Schäden, die jährlich im Milliardenbereich liegen. So weist der Lagebericht des Bundeskriminalamtes
zur organisierten Kriminalität allein für das Jahr 2002 einen Schaden von mehr als 3 Milliarden Euro aus. In über
80 Prozent der Delikte der organisierten Kriminalität
waren grenzüberschreitende Bezüge festzustellen. Eine
effektive Bekämpfung dieser Art von Kriminalität ist nur
durch ein abgestimmtes internationales Vorgehen
möglich. Dafür hat sich diese Bundesregierung stets eingesetzt. Wir werden uns auf internationaler Ebene auch
weiterhin mit Nachdruck dafür einsetzen.
({1})
Mit dem Übereinkommen von Palermo und den dazugehörigen Protokollen gegen den Menschenhandel
und gegen die Schleusung von Migranten
({2})
- bei Palermo wird der Herr Heiderich wach ({3})
hat die internationale Staatengemeinschaft erstmals in
ihrer Geschichte ein umfassendes Vertragswerk zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität geschaffen. Unser nationales Recht erfüllt schon alle Bedingungen dieses Übereinkommens und seiner Zusatzprotokolle. Wir
stehen bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität international gut da.
({4})
Das ist nicht zuletzt ein Erfolg dieser Bundesregierung
und der Koalitionsfraktionen.
({5})
Durch das Prostitutionsgesetz haben wir die Position
der Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution
gestärkt,
({6})
indem wir ihnen Wege aus der Kriminalität in die Legalität aufgezeigt haben.
({7})
- Herr Kauder, außerdem haben wir mit dem 37. Strafrechtsänderungsgesetz die Definition des Menschenhandels im Strafgesetzbuch erweitert und die hierfür geltenden Strafvorschriften neu gefasst. Wir ermöglichen so
eine konsequente Strafverfolgung der Täter und einen
wirksamen Schutz für die Opfer.
Der entscheidende Mehrwert des Übereinkommens
und seiner Zusatzprotokolle, über die wir heute debattieren, besteht darin, dass zukünftig alle 147 Zeichnerstaaten der Vereinten Nationen die dort vorgesehenen Maßnahmen anwenden. Ich sage: anwenden müssen. Auf das
globalisierte Verbrechen müssen wir mit einer grenzüberschreitenden Kriminalitätsbekämpfung antworten.
Das Palermo-Übereinkommen enthält gemeinsame
Definitionen und schafft somit begriffliche Standards. Es
verpflichtet die Zeichnerstaaten, bestimmte Formen von
Kriminalität unter Strafe zu stellen, führt also zu einer
Harmonisierung des materiellen Strafrechts. Das
Übereinkommen verpflichtet seine Mitglieder, den Strafverfolgungsbehörden ein effektives Handwerkszeug zur
Aufklärung, aber auch zur Verhinderung von Straftaten
der organisierten Kriminalität zur Verfügung zu stellen.
Zugleich verpflichtet das Übereinkommen seine Mitglieder nachdrücklich zur größtmöglichen internationalen
Zusammenarbeit auf den Gebieten der Auslieferung und
der Rechtshilfe.
Mit dem Palermo-Übereinkommen und seinen Zusatzprotokollen steht ein äußerst wichtiges Rechtsinstrument der Völkergemeinschaft vor seiner nationalen Umsetzung. Ich bitte um Ihre Zustimmung zu dem Ihnen
vorliegenden Vertragsgesetz. Lassen Sie uns gemeinsam
ein Zeichen gegen die organisierte Kriminalität setzen.
Ich bedanke mich übrigens bei den Berichterstatterinnen und Berichterstattern für die ausgiebige und gute
Vorbereitung.
Wenn die Union, die CDU/CSU, etwas mittelstandsfreundlicher wäre und die Beratung zu unserem Mindestkapitalgesetz nicht durch eine wenig sinnvolle Verweisung auf eine Anhörung von der heutigen
Tagesordnung abgesetzt hätte, könnten Sie mir jetzt zu
meiner 50. Rede in dieser Legislaturperiode gratulieren.
So ist es nur meine 49. Rede.
({8})
Ich sage es ja immer: ein fleißiges Parlament.
({0})
- Die Regierung auch.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Siegfried Kauder.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Seit dem Jahr 1975 bemühen sich die Vereinten
Nationen um internationale Standards zur Bekämpfung
des organisierten Verbrechens. Die 8. Strafrechtskonferenz auf UN-Ebene fand im Jahr 1990 statt. Sie stand
wieder unter dem Thema: Bekämpfung des organisierten
Verbrechens. Es wurde heftig diskutiert, ob sich eine internationale Organisation in die innere Sicherheit der
Mitgliedstaaten einmischen solle.
Die Diskussion hielt bis zum Jahr 1998 an. Dann war
auf einmal dringender Handlungsbedarf angesagt. Die
UN setzte eine Ad-hoc-Kommission ein, die beauftragt
war, ein Übereinkommen zur internationalen Bekämpfung des organisierten Verbrechens aufzuarbeiten. Es
dauerte exakt zwei Jahre, bis dieses Übereinkommen
vorlag. Aber es blieb nicht bei diesem einen ÜbereinSiegfried Kauder ({0})
kommen zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens; es gab Zusatzprotokolle. So gab es ein Zusatzprotokoll zur Schleuserkriminalität. Wenn nun die
Meinung vorherrschen sollte, dieses Zusatzprotokoll sei
von irgendeinem fernen Staat in Südamerika oder sonst
wo entwickelt worden, dann irrt man sich. Dieses Zusatzprotokoll zur Schleuserkriminalität wurde von einem
Nachbarstaat initiiert, nämlich von Österreich. Österreich hatte schon 1998 erkannt, dass die Schleuserkriminalität zugenommen hat und dass man dieser Kriminalität mit allem, was einem zur Verfügung steht,
entgegentreten muss.
In diesem internationalen Klima verabschiedete man
in Deutschland am 3. März 2000 den so genannten
Volmer-Erlass, der inzwischen Fischer-Erlass heißt,
nachdem sich der Außenminister dazu bekannt hat, dass
er schuld ist.
({1})
Das läuft jeder internationalen Richtung entgegen.
({2})
Auf internationaler Ebene ist man sich einig gewesen,
dass Schleuserkriminalität und Menschenhandel bekämpft werden müssen. Wir in Deutschland hingegen
machen die Grenzen für Kriminalität auf.
({3})
- Den Einwand „Wer sagt das denn?“ und dass sich das
statistisch nicht belegen lasse, habe ich erwartet. Ich
empfehle denen, die es interessiert und die davon offensichtlich zu wenig Ahnung haben, das Vernehmungsprotokoll des Vizepräsidenten des Bundeskriminalamts,
Bernhard Falk, das dem Untersuchungsausschuss vorliegt, nachzulesen.
({4})
Schleuserkriminalität ist ein Kontrolldelikt. Kontrollieren Sie auf den Autobahnen eine Geschwindigkeitsüberschreitung nicht mehr, taucht dieses Delikt in der
Statistik mit null auf. Das heißt also, wenn die statistischen Fallzahlen für Schleuserkriminalität zurückgehen,
dann ist das kein deutliches Indiz dafür, dass es diese
Kriminalität nicht mehr gibt, sondern es zeigt, dass man
die Schleusen geöffnet hat und zu wenig kontrolliert.
({5})
Schauen wir uns einmal die Zusatzprotokolle zu dem
Übereinkommen, das heute zur Verabschiedung steht,
an. Art. 11 des Zusatzprotokolls zur Schleusungskriminalität wäre ein guter Fahrplan für den Außenminister
Joschka Fischer. Er brauchte ihn nur abzuschreiben und
könnte seine unsäglichen Erlasse in den Müll werfen. Da
heißt es unter Art. 11 Abs. 1, dass die Vertragsstaaten
aufgefordert sind, so weit wie möglich die Grenzkontrollen, die zur Verhütung und Aufdeckung der Schleusung
von Migranten erforderlich sind, zu verstärken. Sie sollen die Grenzkontrollen verstärken, nicht abbauen!
In Abs. 5 des Art. 11 heißt es, die Vertragsstaaten erwägen, Maßnahmen zu treffen, Schleusern die Einreise
zu verweigern oder ihre Visa für ungültig zu erklären. Es
heißt dort nicht, man solle legendierte Schleusungen zulassen, die Probleme nicht nur für Deutschland, sondern
auch für die anderen EU-Staaten geschaffen haben.
({6})
Es handelt sich also um einen klaren Verstoß nicht nur
gegen Schengen-Recht, sondern auch gegen den Inhalt
dieses internationalen Übereinkommens.
Schauen wir uns nun noch das Zusatzprotokoll über
den Menschenhandel an. Da heißt es Art. 9 Abs. 5:
Die Vertragsstaaten treffen gesetzgeberische oder
sonstige Maßnahmen, um auf der Nachfrageseite
dem Menschenhandel entgegenzuwirken.
Merken Sie etwas?
({7})
Es geht nicht nur darum, auf der Angebotsseite etwas
gegen Menschenhandel zu tun; es geht auch darum, auf
der Nachfrageseite Zwangsprostitution zu verhindern.
Es war nicht Rot-Grün, die hier Vorreiter waren. Wir, die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, haben einen ausformulierten Gesetzentwurf zur Freierstrafbarkeit vorgelegt.
Von Ihnen kam nur heiße Luft: Im Prinzip hätten wir
Recht, aber das sei alles viel zu kompliziert. Auf diesem
Stand sind Sie stehen geblieben; damit stellen Sie sich
gegen den Inhalt dieses Übereinkommens, das wir heute
einvernehmlich verabschieden.
({8})
Aber ich möchte Ihnen auch die Begründung der
Bundesregierung zu dieser Aufforderung, die Freier, die
Menschenhandel ausnützen, zu bestrafen, nicht vorenthalten. In der Begründung der Bundesregierung heißt es
dazu, das in Abs. 5 benannte Ziel, Menschenhandel auch
auf der Nachfrageseite zu bekämpfen, habe die Bundesregierung bereits im Aktionsplan „Bekämpfung von
Gewalt gegen Frauen“ als Ziel festgesetzt und dies
werde auch in der Fortschreibung Berücksichtigung finden.
({9})
Aktionspläne - das ist es, was Sie auflegen können. Ein
Gesetz ist gefragt und nicht ein Aktionsplan.
Art. 7 dieses Zusatzabkommens über Menschenhandel gibt uns etwas Weiteres vor, nämlich dass die Vertragsstaaten erwägen sollen, geeignete Maßnahmen zu
treffen, die es den Opfern des Menschenhandels gestatten, in geeigneten Fällen vorübergehend oder auf
Siegfried Kauder ({10})
Dauer im Hoheitsgebiet des ersuchten Staates zu bleiben.
({11})
- Herr Winkler, ich gebe Ihnen mit Ihrem „Aha!“ Recht:
Da sind wir in der Tat alle aufgerufen. Ich habe eigentlich Ihre Äußerung zu unserem Gesetzentwurf zur Freierstrafbarkeit so verstanden, dass da ein bisschen von Ihnen kommt.
Aber auch da möchte ich Ihnen die Begründung der
Bundesregierung nicht vorenthalten. Denn dazu heißt es,
die bestehenden deutschen ausländerrechtlichen
Regelungen ließen bereits jetzt einen Aufenthalt für
die Dauer des Strafverfahrens gegen Menschenhändler oder zur Stabilisierung des Opfers zu.
Das meint diese Vertragsvorschrift nicht: Es geht
nicht darum, die Opfer bis zum Abschluss des Strafverfahrens gegen die Menschenhändler hier zu lassen, sondern sich dafür einzusetzen, dass dies dauerhaft der Fall
ist. Genau das ist im deutschen Recht nicht umgesetzt.
({12})
Da sind alle aufgerufen mitzuarbeiten.
Dieses Übereinkommen erwähnt - das ist gut so nicht nur die Täterseite und die Seite der Gesetzgebung;
dieses Übereinkommen erwähnt auch das strafbare Verhalten aus der Sicht eines Opfers. Art. 6 des Zusatzprotokolls über Menschenhandel gibt jedem Vertragsstaat
auf, dafür Sorge zu tragen, dass Gerichtsverfahren im
Zusammenhang mit Menschenhandel nicht öffentlich
sind.
({13})
- „Mein Gott“ kann man dazu sagen, wenn man zu wenig Ahnung von den Befindlichkeiten von Opfern von
Straftaten hat. Ich will Ihnen auch hier nicht vorenthalten, was die Bundesregierung zur Umsetzung in deutsches Recht vorträgt: Das hätten wir ja alles schon. Die
nicht öffentliche Hauptverhandlung bei Opfern gebe es
schon. - Das ist schlicht und ergreifend falsch. Wer
§ 171 b GVG liest, der merkt sehr schnell, dass die Vernehmung des Opfers nicht öffentlich ist. Die Verlesung
der Anklageschrift, der nachfolgende Teil der Hauptverhandlung und die Urteilsbegründung sind öffentlich.
Auch das meint der Gesetzestext nicht. Deswegen sind
alle aufgerufen, an diesem Ziel des Übereinkommens
mitzuarbeiten, damit in der Tat im entsprechenden Strafverfahren das Opfer hinreichend geschützt wird, was
nun einmal heißt, nicht nur Verfahrensteile nicht öffentlich auszugestalten, sondern das gesamte Verfahren mit
Ausnahme der Verkündigung des Urteilstenors. Auch da
bitte ich Sie um Ihre Mithilfe.
Warum sage ich das alles? Herr Staatssekretär
Hartenbach stellt sich hier hin und sagt: Wir werden dieses Vertragsgesetz unterzeichnen und bitten, dass alle
zustimmen. Das heißt nichts anderes als: Im deutschen
Recht ist nicht mehr zu tun. Alle Voraussetzungen dieses
Vertragsgesetzes haben wir erfüllt. ({14})
Wissen Sie, Herr Staatssekretär, welche Botschaft von
dieser Äußerung ausgeht? Wir können uns gemächlich
im Lehnstuhl zurücklehnen. Es ist doch alles schon gerichtet. Nein, dieses Übereinkommen gibt uns Hausaufgaben auf. Wir sollen mitarbeiten, damit die internationale Kriminalität bekämpft werden kann.
Deswegen haben wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion dafür gesorgt, dass eine Unterrichtungspflicht
der Bundesregierung über die Konferenz der Vertragsstaaten, die in diesem Jahr stattfindet, in die Sitzungsprotokolle des Rechtsausschusses aufgenommen wird.
({15})
Wir möchten wissen, mit welcher Position die Bundesregierung das nationale Recht auf internationaler Ebene
vertritt.
({16})
Wir wollen auch wissen, welche Position andere Staaten
in dieser Frage vertreten, ob sie uns voraus sind oder ob
wir - wie von Österreich - von ihnen etwas lernen können. Ich wiederhole: Von diesem Land kam der Anstoß
zu dem Zusatzabkommen zur Schleuserkriminalität. Davon könnten wir etwas lernen.
({17})
Dessen unbeschadet werden wir dem Gesetzentwurf
zustimmen; wir werden aber an diesem Thema dranbleiben.
({18})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Irmingard
Schewe-Gerigk.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kauder, ich habe mir die Frage gestellt, warum wir
heute - kurz vor der morgen früh stattfindenden Vertrauensfrage - über ein Thema diskutieren, das eigentlich
klar ist und zu dem alles umgesetzt worden ist. Sie haben
die Antwort darauf gegeben: Es ging Ihnen wieder einmal um die Diffamierung des Außenministers. Dies ist
Ihnen aber nicht gelungen.
({0})
Über den vorliegenden Gesetzentwurf zum Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 15. November
2000 gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität mit seinen Zusatzprotokollen gegen Menschenhandel und Schleusung von Migranten zu sprechen, ist
mir heute in der vermeintlich vorletzten Rede in dieser
Legislaturperiode vor der Vertrauensfrage ein besonderes Vergnügen. Wir haben nämlich die Regelungen des
Übereinkommens in den vergangenen Jahren umfassend
im deutschen Recht verwirklicht und damit den Schutz
der Opfer entscheidend verbessert und die Verfolgung
der Täter erleichtert. Heute geht es deshalb nur noch um
die formale Ratifizierung.
Das Übereinkommen hat einige Neuerungen für die
Bekämpfung des Menschenhandels gebracht, über die
ich sehr froh bin. Der Staatssekretär hat schon darauf
hingewiesen: Es ging zunächst einmal um eine neue Definition des Menschenhandels, die seinen heutigen Ausprägungen weitaus besser entspricht. Der Begriff ist nun
nicht mehr auf die Ausbeutung in der Prostitution beschränkt. Menschenhandel ist heute der Handel von
Menschen zur Ausbeutung in all ihren Facetten: zur Arbeit, oft in Verhältnissen von Sklaverei und Leibeigenschaft - das hört sich zwar im 21. Jahrhundert etwas
merkwürdig an, aber es gibt sie immer noch -, zur Prostitution, zur Pornografie und sogar zur Entnahme von
Körperorganen. So haben wir die Definition Menschenhandel im Rahmen der Strafrechtsreform in das Strafgesetzbuch übernommen.
Das Übereinkommen nimmt noch eine andere wichtige Klarstellung vor. Es verdeutlicht, dass Schleusung
und Menschenhandel zwei unterschiedliche - wenn auch
oft ineinander greifende - Handlungen sind. Denn nicht
alle illegal außerhalb ihres Herkunftslandes arbeitenden
Menschen werden von Menschenhändlern dazu gezwungen, Herr Kauder. Wir befinden uns in einer Welt, in der
Geld, Waren und Dienstleistungen frei fließen können,
in der aber nicht alle Länder davon profitieren. Extremem Reichtum steht eine krasse Armut gegenüber, die
oft so unerträglich ist, dass sich Menschen freiwillig bereit erklären, ihre Arbeitskraft auf der wohlhabenden
Seite der Welt zu meist ausbeuterischen Bedingungen zu
verkaufen. Dabei geraten sie häufig in die Hände organisierter Schleuserkriminalität.
Diese Unterscheidung möchte ich Ihnen mitgeben,
Herr Kauder. Denn in den vergangenen Monaten schien
mir, Sie hätten das nicht richtig verstanden, wenn Sie
uns - wie auch heute wieder - im Zusammenhang mit
dem Visa-Untersuchungsausschuss gleich massenhafte,
nirgends nachweisbare Verbringung in die Prostitution
vorgeworfen haben.
({1})
Aber kommen wir zu dem, was wir getan haben. Gerade im Zusatzprotokoll geht es vor allem um den Schutz
der Opfer. Diesen Punkt halten wir Grünen neben der
Verbrechensbekämpfung für besonders wichtig. Auch
mit der Strafrechtsreform haben wir unter anderem die
Strafen für den Handel mit Kindern und den Anreiz für
die Opfer erhöht, gegen ihre Täter auszusagen.
({2})
Wir haben auch erweiterte Mitwirkungsrechte der
Opfer am Prozess vorgesehen. Im Zuwanderungsgesetz
wurde zudem die Möglichkeit geschaffen, den Betroffenen ein befristetes Aufenthaltsrecht zu gewähren. Denn
wir halten die Duldung mit ihren Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz für eine Form des Aufenthalts, die der Situation der Opfer von Menschenhandel
nicht gerecht wird.
({3})
- Genau, die Union war dagegen. - Denn die Opfer helfen dem Staat mit ihrer Aussage, die Täter zu ermitteln.
Mithilfe eines Runderlasses aus dem Wirtschaftsministerium haben wir außerdem dafür Sorge getragen,
dass die Frauen während ihres Aufenthalts einer Arbeit
nachgehen können. Wir haben den Opfern eine Bedenkfrist eingeräumt, in der sie sich ohne drohende Abschiebung von den oft traumatischen Bedingungen zumindest
ansatzweise erholen können, bevor sie sich für oder gegen eine Aussage entscheiden. Herr Kauder, Sie haben
gerade wieder darauf hingewiesen, dass in dem Zusatzprotokoll von einem Daueraufenthalt die Rede sei. Deshalb mache ich darauf aufmerksam, dass das Bundesland
Bayern noch nicht einmal diese vierwöchige Bedenkfrist
gewährt; dort werden die Opfer direkt in ein Flugzeug
gesetzt und abgeschoben. Sie aber verlangen hier ein
dauerhaftes Bleiberecht. Sie werfen einfach Nebelkerzen: Hier tun Sie das eine und dort sagen Sie das andere.
({4})
Wir haben uns im Bereich der Verhütung des Menschenhandels durch die Bekämpfung der Armut stark
engagiert und für Programme eingesetzt, die Frauen über
die Realität der Emigration aufklären und sie bei der Suche nach alternativen Einkommensmöglichkeiten unterstützen.
Das Übereinkommen enthält aber nicht nur Bestimmungen für den Bund, sondern auch für die Länder. In
vielen Ländern sind Sie ja gefragt. Manche Länder erfüllen diese Bestimmungen sehr gut, andere wie Bayern
- darauf habe ich gerade hingewiesen - behandeln die
Opfer nach wie vor wie Straftäterinnen und haben nur im
Sinn, wie sie die Frauen schnellstmöglich wieder loswerden können. Das sind oft die Länder, die sich am lautesten für Strafverschärfungen einsetzen. Dies ist zynisch und hilft den Opfern überhaupt nicht. Ich richte an
diese Länder die dringende Aufforderung, das Zusatzprotokoll zu lesen. Verstehen Sie, dass es zum Kampf
gegen den Menschenhandel vor allem einer Stärkung der
Opfer bedarf!
Ich danke Ihnen.
({5})
Ich danke auch. - Dies war die letzte Rednerin in der
Debatte, denn die Abgeordneten Laurischk und Simm
haben gebeten, ihre Reden zu Protokoll geben zu dürfen.
- Sie sind damit einverstanden.1)
Dann kommen wir zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem
Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 15. November 2000 gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität sowie zu den Zusatzprotokollen
gegen den Menschenhandel und gegen die Schleusung
von Migranten. Der Rechtsausschuss empfiehlt auf
Drucksache 15/5855, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Ich bitte Sie, sich jetzt zu erheben, wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. ({0})
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen.
Dies war kein beschleunigtes Abstimmungsverfahren.
Wir verfahren hier immer ganz korrekt nach unserer Geschäftsordnung. Da es sich um ein Vertragsgesetz handelt, gibt es nur eine zweite Lesung.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Errichtung einer Bundesanstalt
für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben ({1})
- Drucksache 15/5575 ({2})
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({3})
- Drucksache 15/5847 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Gerold Reichenbach
Ralf Göbel
Ernst Burgbacher
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({4})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 15/5853 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Susanne Jaffke
1) Anlage 8
Klaus Hagemann
Alexander Bonde
Hier haben - dies beschleunigt unser Verfahren
tatsächlich - die Abgeordneten Reichenbach, Göbel,
Stokar und Burgbacher sowie der Parlamentarische
Staatssekretär Körper gebeten, ihre Reden zu Protokoll
zu nehmen.2) Sind Sie damit einverstanden? - Dann verfahren wir so.
Ich komme zur Abstimmung. Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/5847, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen von SPD und Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien
({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Carl-Ludwig Thiele, Stephan Hilsberg, Franziska
Eichstädt-Bohlig, Werner Kuhn ({6}), Ulrich
Adam und weiterer Abgeordneter
Gelände um das Brandenburger Tor als Ort
des Erinnerns an die Berliner Mauer, des Gedenkens an ihre Opfer und der Freude über
die Überwindung der deutschen Teilung
- Drucksachen 15/4795, 15/5854 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckhardt Barthel ({7})
Ursula Sowa
Hans-Joachim Otto ({8})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich nicht; dann ist es so beschlossen.
Das Wort hat als erster Redner der Abgeordnete
Stephan Hilsberg.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die letzte Debatte des heutigen Tages, ange-
sichts der Erwartung der verkürzten Legislaturperiode
vermutlich eine der letzten Sachdebatten hier im Hohen
Hause, führt uns heraus aus diesem Plenarsaal und vor
2) Anlage 9
die Stufen des Reichstages. Wenn man über den Platz
zur Parlamentarischen Gesellschaft geht, dann quert man
einen etwa einen halben Meter breiten Streifen etwas
weißeren Gesteins. Die wenigsten wissen, was das ist.
Wenn man diesen Streifen weiter verfolgt in Richtung
Brandenburger Tor, dann wird er abgelöst durch einen
Streifen von zwei Katzenkopfsteinen, der quer durch
Berlin verläuft. Erst dann wird einem langsam deutlich:
Auf dieser Linie stand einmal die alte Berliner Mauer,
die die Stadt Berlin auf eine fürchterliche Art und Weise
geteilt hat. Dass diese Mauer 16 Jahre nachdem sie von
den Ostdeutschen in einer friedlichen Revolution freiheitlich geöffnet wurde, fast nicht mehr sichtbar wäre,
dass sie fast völlig aus dem Stadtbild von Berlin verschwunden wäre, hätte ich mir früher nicht vorstellen
können, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Es geht dabei auch um einen anderen Punkt. Es ist
eine Herausforderung, wie eine Stadt, wie ein Land mit
einem solchen Schandmal, wie es die Berliner Mauer ja
war - sie war ein Wundmal und ein Schandmal -, umgeht. Dass es schwierig ist, auf diese Frage eine Antwort
zu finden, ist völlig klar. Die Antwort kann aber nicht
ihre Verdrängung aus dem öffentlichen Bewusstsein und
ihre Zurückstufung auf ganz kleine Reste, die noch eine
gewisse Rolle spielen, sein, so als ob das schlechte Gewissen eine Rolle gespielt hätte.
Diese Überlegungen waren für die Initiatoren, zu denen auch ich mich zähle, Grund und Anlass für diesen
Gruppenantrag, der jetzt in zweiter und dritter Lesung
hier beraten wird. Sie haben gesagt: Dieses Defizit muss
man aufnehmen. Es war für mich eine große Freude, als
sich nach relativ kurzer Zeit herausstellte, dass sich diesem Antrag über 200 Mitglieder dieses Hauses - einige
von ihnen, wenn auch nicht sehr viele, darf ich herzlich
begrüßen - spontan anschlossen. Das zeigt, dass das
nicht nur mein Problem oder das Problem einiger weniger ist, sondern dass viele andere dieses Defizit ganz genauso sehen und deshalb sagen: Das kann so nicht bestehen bleiben.
Im November letzten Jahres haben wir den Antrag
eingebracht. In der Beschlussempfehlung, über die wir
jetzt abzustimmen haben, wird Ihnen vorgeschlagen,
dem Gruppenantrag insgesamt zuzustimmen. Es gab
einen Änderungsantrag der Union, der abgelehnt wurde.
Herr Nooke wird die näheren Beweggründe dazu bestimmt noch darstellen; das ist meine Sache nicht. Es
gab allerdings ein unterschiedliches Abstimmungsverhalten. Jede Partei hat ihre eigene Meinung dazu.
Entscheidend ist, dass dieser Gruppenantrag ein gemeinsames demokratisches Anliegen auf den Punkt gebracht hat. Dass der Bundestag dem Antrag heute zustimmen wird, finde ich sehr schön. Der Antrag macht
nicht viel her; er steht auf nur einer Seite, aber er hat es
in sich. Wir fordern in dem Antrag dazu auf, im Gelände
um das Brandenburger Tor herum einen zentralen Ort
- es geht nicht um eine zentrale Gedenkstätte - zu schaffen: zum Gedenken an die Mauer selbst, zum Gedenken
derer, die dort zu Tode gekommen sind, und natürlich
zum Gedenken an die Freude über die Überwindung dieser Mauer und der Teilung Deutschlands. Diese drei
Dinge gehören zusammen.
Was also war die Mauer? Sie war ein Schandmal und
ein Wundmal gleichermaßen. Sie war nicht nur das Symbol eines Nachkriegsdeutschlands, einer geteilten Stadt,
die wir uns eigentlich in Europa so nie hätten vorstellen
können. Sie war Realität, war Absurdität. Das Absurde
ist zur Normalität geworden. 28 Jahre bestand die
Mauer. Junge und ältere Menschen sind dort zu Tode gekommen, sie sind an Land oder im Wasser erschossen
worden, wenn sie bei Wind und Wetter die Flucht wagten. Obwohl sie die Gefahr kannten, sind sie das Risiko
eingegangen. Eltern mussten um ihre Kinder weinen,
Geschwister um ihre Brüder oder Schwestern. Das war
die Realität: eine Mauer, die Angst gemacht hat. Sie war
ein Zeichen der deutschen Teilung, ein Zeichen der europäischen Spaltung, ja, sie war ein Zeichen des ganzen
Kalten Krieges. Ein Zeichen der Angst, das war die
Berliner Mauer.
Dass sie von Leuten von unten aus eigener Kraft
überwunden wurde, die sich damit genauso wenig wie
mit der großen Politik - auch wenn hier bestimmte Rahmenbedingungen durchaus eine Rolle gespielt haben haben abfinden können und gesagt haben: „Schluss damit; wir geben uns damit nicht zufrieden“, das kann und
soll einen stolz machen. Ich finde, dass wir allen Grund
dazu haben.
({1})
Die entscheidende Frage ist aber: Wo in Berlin kann
man eigentlich dieses Stolzes gedenken? Man braucht
doch einen Ort, an dem das im öffentlichen Bewusstsein
ein Stück weit zum Ausdruck kommen kann. Es geht
nicht um einen Kranzabwurfplatz. Aber wo wird das
richtig deutlich? An der sehr schön gestalteten Gedenkstätte „Berliner Mauer“ in der Bernauer Straße, die unter
wissenschaftlichen Kriterien vorzüglich ist, kann man
das nicht machen. Am Checkpoint Charlie wird ebenfalls versucht, dieses Defizit zu beheben, wenn auch ein
Stück weit unter kommerziellen Gesichtspunkten. Aber
ob das zulänglich ist, ist eine ganz andere Frage. Ich
habe dazu - genauso wie viele von uns - eine eigene
Meinung. In diesem Zusammenhang gibt es sicherlich
viele offene Fragen. Für meine Begriffe kann man es
hier allerdings ebenfalls nicht richtig. Wir brauchen aber
einen Ort, an dem dieses Stolzes gedacht werden kann.
Als ich mir diese Rede überlegt habe, gingen mir so
viele Gedanken und Erinnerungen durch den Kopf. Ich
habe mich gefragt, welche Bedeutung die Mauer - ich
bin schließlich mit ihr aufgewachsen; als sie 1961 gebaut
wurde, war ich fünf Jahre alt - für mich und meine Familie hatte. Wenn man die Gedenkstätte an der Bernauer
Straße besucht, kann man noch Fotos von damals sehen.
An der Bernauer Straße haben einmal Häuser gestanden,
die es heute nicht mehr gibt, genauso wie eine Kirche,
die weggesprengt wurde, damit ein freies Schussfeld
entstand und die Menschen erschossen werden konnten,
die die Mauer überwinden wollten. Auch das ist ein
Schandmal. Diese Bilder müssen irgendwo auftauchen.
Sie können sich sicherlich an das Bild erinnern, auf dem
ein Grenzer zu sehen ist, der seinen ganzen Mut
zusammengenommen hat und mit der Waffe in der Hand
über einen Stacheldrahtzaun springt. Das geht einem
nicht aus dem Kopf, wenn man es einmal gesehen hat.
Andere Bilder zeigen Häuser, die in den Augusttagen
1961 gerade zugemauert wurden, und Frauen, wie sie
den Tod in Kauf nehmend von einem Balkon im zweiten
Stock herunterspringen - manche sind auch zu Tode gekommen -, weil sie nicht eingemauert werden wollten.
Diese Bilder müssen irgendwo sichtbar werden.
Willy Brandt hat einmal gesagt: „Die Mauer steht gegen den Strom der Geschichte.“ Er hat Recht gehabt.
Dieser Satz stammt übrigens aus einer Rede, die er selber als eine seiner schwierigsten bezeichnet hat. Er hatte
nämlich die schwierige Aufgabe, Menschen, die in
einem Demonstrationszug aus Westberlin gegen die im
Bau befindliche Mauer anrannten, von unvernünftigen
Handlungen abzuhalten. Es sei sehr schwer gewesen, so
sagte Willy Brandt, die Gefühle dieser Menschen auf
den Punkt zu bringen. Er hat es geschafft, indem er ihnen
deutlich gemacht hat, dass diese Mauer keinen Bestand
haben wird, dass sie gegen den Strom der Geschichte
steht, dass dieser Strom sie wegspülen wird. Das ist wohl
wahr; das ist auch passiert. Das Leid der Menschen
muss aber zum Ausdruck kommen.
Ein Beispiel: Eine unserer Nachbarinnen in den 60erJahren war eine alte Frau; sie lebte alleine. Für sie war
der Schrebergarten ihr Ein und Alles. Nach der Mauerschließung hat man ihr gesagt: Du kannst gerne hier bleiben, so lange du willst, auch für immer; wenn du aber
den Schrebergarten gen Westen verlässt, dann kommst
du nicht mehr zurück. Was bedeutete das für diese Frau?
Was bedeutete es für die Menschen, die damals demonstriert haben? Welche Bedeutung hatte die Mauer für die
vielen Mauerflüchtlinge, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt
haben, um sie zu überwinden?
Ich finde, ihrer muss gedacht werden, und zwar nicht
nur trocken, sachlich und wissenschaftlich korrekt - das
alles ist natürlich sehr wichtig -, sondern auch emotionalisierend und packend. Hier müssen emotionale Antworten gegeben werden; denn die Menschen, die gegen die
Mauer waren, waren nicht nur einfach gegen dieses Gefängnissymbol, sondern auch gegen die Diktatur. Sie traten für Freiheit ein und haben das dokumentiert. Das
sind die Werte, auf denen unsere Demokratie beruht, die
die Demokratie leistungsfähig und handlungsfähig machen und die den Menschen einen Raum geben, in dem
sie kreativ und leistungsfähig sein können. Wir müssen
uns darüber im Klaren sein, dass das die wichtigsten und
wertvollsten Eigenschaften der Menschen sind, ohne die
wir unsere Probleme nicht lösen können. Das ist mit Demokratie untrennbar verbunden. Das haben die Leute gewollt, als sie gegen die Mauer aufgestanden sind.
({2})
- Ich finde, das ist diesen Beifall wert.
Wir machen es den Menschen heutzutage nicht ganz
einfach, sich mit Demokratie zu identifizieren. Sicherlich ist es so, dass viele Menschen von uns endgültige
Lösungen erwarten, die wir gar nicht liefern können.
Parteien liefern immer nur Teile von Lösungen. Sie sind
eine Reflexion auf das, was in der Gesellschaft diskutiert
wird. Es gibt zurzeit keine endgültigen Lösungen. Es
wird darum richtig gerungen. Es gibt Probleme ohne
Ende.
Umso wichtiger ist es, dass wir uns hier fraktionsübergreifend darüber im Klaren sind, dass diese Demokratie trotz ihrer Unzulänglichkeiten der Garant für Freiheit, für Unabhängigkeit, für Selbstständigkeit und für
Emanzipation ist. Demokratie ist ein viel besserer
Garant zur Lösung der Probleme, als es die Diktaturen, die zur Teilung Deutschlands geführt haben, je hätten sein können. Das gilt auch für die Zukunft.
({3})
Man soll sich nichts vormachen: Die Gefahr, dass
Kräfte wieder zur Geltung kommen, die ihr Heil in Lösungen von vorgestern, in mittelalterlichen Strukturen
suchen - sei es die NPD oder seien es Linksextremisten;
das alles gibt es -, ist nicht gebannt. Umso wichtiger ist
es, dass wir auch durch Zeichen deutlich machen, dass
Freiheit und Demokratie, Leistungsfähigkeit und Emanzipation zusammengehören, dass das mehrere Seiten ein
und derselben Medaille sind. Unter anderem darum geht
es bei diesem Mauerdenkmal. Gar keine Frage: Es ist
eine schwierige Aufgabe.
Ich darf mich für die große Unterstützung, die diese
Aufgabe hier gefunden hat, bedanken. Ganz besonders
möchte ich mich bei Frau Christina Weiss bedanken, die
heute leider nicht hier sein kann. Sie war für Anregungen sehr offen. Ich glaube, sie hat sie in ihr eigenes Konzept aufgenommen. Ich darf mich bei unseren Kulturpolitikern ganz herzlich bedanken, die die Probleme
jederzeit sehr konstruktiv und offen diskutiert haben.
Ich finde, es ist eine runde Sache geworden. Dass
über diesen Antrag heute Einigkeit besteht, ist eine Leistung. Einer der Vorzüge des Deutschen Bundestages ist,
dass man gerade in schwierigen Zeiten parteiübergreifend gestalten und artikulieren kann. Er braucht sich seiner Leistungen nicht zu schämen.
Ich darf mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken.
({4})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Günter Nooke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Kultur zuletzt“, das ist ein Schlagwort, das den Umstand, die Kulturpolitik sei das fünfte Rad am Wagen,
beschreiben sollte. Mir geht es wie Stephan Hilsberg:
Wir haben durch die zahlreichen Debatten im Bundestag
bewiesen, dass dies nicht zutrifft. So will ich es auch
heute positiv sehen: Der Deutsche Bundestag kann nicht
in diese besondere Sommerpause gehen, ohne dass in
der vorletzten parlamentarischen Debatte ein Thema aus
dem Ausschuss für Kultur und Medien behandelt wird.
({0})
Ich finde das angemessen. Noch wichtiger als die Kulturpolitik ist dem Deutschen Bundestag vor dieser Sommerpause nur noch seine Existenz, aber dazu morgen
mehr.
Unsere letzte Debatte über den Umgang mit unserer
Geschichte fand an einem historischen Datum statt,
nämlich am 18. März. Die friedliche Revolution vom
Herbst 1989 fand am 18. März 1990, also vor 15 Jahren,
in den Wahlen zur Volkskammer der DDR - das war die
einzige freie Wahl in der DDR überhaupt; daran sollte in
diesem Haus auch heute erinnert werden - ihren erfolgreichen Abschluss.
Der heutige Antrag betrifft die Teilung Deutschlands
nach dem Zweiten Weltkrieg, die sich in dieser Stadt
durch Mauer, Stacheldraht und Todesstreifen in besonders perfider Weise manifestierte. Es geht um das Erinnern an die Zeit der deutschen Teilung und an die Opfer
der Berliner Mauer. Wir sollten das nationale Erinnern
und Gedenken in diesem Hause in Zukunft aber nicht
von Gelegenheit zu Gelegenheit und von Ort zu Ort separat verhandeln. Aus diesem Grund bestand bei einigen
Kolleginnen und Kollegen ein Vorbehalt gegenüber dem
Gruppenantrag.
Inzwischen haben wir eine öffentliche Anhörung zu
diesem Antrag im Ausschuss für Kultur und Medien
durchgeführt. Der zuständige Senator in Berlin hat uns
bei dieser Gelegenheit ein Konzept vorgestellt, in das
das Anliegen dieses Antrages einfließen kann. Ich unterstütze das ausdrücklich. Die Einbindung in ein gemeinsam zu beratendes Gedenkstättenkonzept des Landes
Berlin und des Bundes ist richtig und notwendig. Anzumerken ist, dass es sich hierbei nur um einen Teil, nämlich um das so genannte Mauerkonzept, handelt.
In der Anhörung haben wir im Konsens festgestellt:
Uns ist an einer umfassenden Darstellung der Teilungsgeschichte Berlins und einer angemessenen Art und
Weise des Gedenkens an die Opfer gelegen. Dabei sollten wir nicht jeweils separate Entscheidungen auf verschiedenen politischen Ebenen herbeiführen, sondern für
ein tragfähiges Konzept streiten, in das die Bedürfnisse
und Anforderungen aller eingebunden werden können.
Nach der Anhörung sehe ich uns da auf dem richtigen
Weg. Deshalb sollten wir uns im Wissen um die Ergebnisse unserer Anhörung dem Anliegen des Gruppenantrags über die Fraktionen hinweg anschließen.
Mit dem Antrag verbinden sich möglicherweise unterschiedliche Auffassungen über die Gestaltung und die
Form eines Gedenkortes am Brandenburger Tor.
({1})
Die kulturpolitischen und im engeren Sinne gedenkstättenbezogenen Aspekte müssen mit den Erfordernissen
eines Ortes, der zu den zentralsten der Republik gehört,
in Einklang gebracht werden. Er hat eine vielfältige Geschichte und er ist aus sehr verschiedenen Gründen von
besonderer historischer Bedeutung. Ich bin davon überzeugt, dass viele Berlinerinnen und Berliner sowie die
meisten Touristen Stadtraum und Architektur erleben
wollen und nicht zuerst daran interessiert sind, dass die
gesamte Stadt mit Gedenktafeln zugestellt wird. Trotzdem kann man an diesem Ort sicherlich etwas tun.
({2})
Was hier wirklich gewollt ist, muss also noch geklärt
werden - das schaffen wir heute Abend nicht mehr -, natürlich auch gemeinsam mit dem Land Berlin. Die Frage
der Gestaltung ist in dem Antrag aus gutem Grund zurückhaltend - man könnte auch sagen: unklar - formuliert. Die Bilder, die Stephan Hilsberg gerade angesprochen hat, sind nicht vom Brandenburger Tor, sondern
von der Bernauer Straße. Deshalb ist die Aufwertung
der Bernauer Straße auch ein Punkt in dem Antrag. Es ist
nämlich gar nicht so einfach, das Brandenburger Tor mit
der Teilungsgeschichte zu verbinden.
Eine weitere Frage bedarf der Klärung, nämlich die
der Finanzierung. Darüber muss mit dem Land Berlin
im Rahmen des genannten Mauerkonzepts geredet werden. Wir sollten mit der heutigen Abstimmung nicht den
Eindruck erwecken, der Bund mache hier einen Alleingang. Wir sollten nicht hinter die in der öffentlichen Anhörung gewonnenen Erkenntnisse zurückgehen.
Aus diesem Grund haben wir uns als CDU/CSUFraktion im Ausschuss für Kultur und Medien dafür ausgesprochen, den Antrag mit einer entsprechenden Ergänzung zur Annahme zu empfehlen - leider erfolglos.
Doch ich will noch einmal zitieren, wie es in dem Änderungsantrag hieß:
Der Ausschuss betont, dass das Anliegen in Abstimmung mit dem Land Berlin in ein vom Land
Berlin vorzulegendes Konzept zur Darstellung der
Teilungsgeschichte in Berlin Eingang finden und
präzisiert werden soll. Fragen der Ausgestaltung
des Konzeptes wie der Finanzierung sind dabei
zwischen dem Bund und dem Land Berlin abschließend zu klären.
Der Mehrheit im Ausschuss für Kultur und Medien erschien dies selbstverständlich, also verzichtbar. Ich halte
diese Feststellung ebenfalls für selbstverständlich.
Erlauben Sie mir noch einen Einschub. Auch der
Antrag meiner Fraktion zum Gedenkort im MarieElisabeth-Lüders-Haus sollte in das Konzept von Berlin und Bund einbezogen werden. Es handelt sich um einen bestehenden authentischen Mauergedenkort in unserem eigenen Hause. Auch hier sollten wir als Parlament
keinen Alleingang unternehmen. Wir Abgeordnete sollten ein Interesse daran haben, dass dieser Gedenkraum
im Zuge der Übergabe der nördlichen Spreeuferpromenade an die Öffentlichkeit auch tatsächlich öffentlich zugänglich wird. Das war schon einmal für Mai vorgesehen. Aber hier baut eben der rot-rote Berliner Senat mit
seiner Verwaltung. Es dauert also noch etwas.
In diesem Raum sollte mit einem Totenbuch an die
Opfer der Mauer erinnert werden. Damit verbunden ist
eine würdige Gestaltung als Gedenkraum. - Dies war ein
Zusatz in der Sache. Dieser Antrag - ich weiß das - ist
heute nicht Gegenstand der Beschlussfassung.
({3})
Noch eine grundsätzliche Anmerkung. Der Staat ist in
der Verantwortung für das Gedenken, ist nicht Eigentümer des Gedenkens. Geschichte wird unter Historikern
und in der Gesellschaft immer umstritten bleiben. Mir ist
diese Feststellung wichtig. Wir sollten uns auch weiterhin darauf verständigen können.
Ich möchte abschließend betonen, dass der Konsens
im Ausschuss für Kultur und Medien, den wir in vielen
Fragen in der Sache erreicht haben - abgesehen von einer unrühmlichen und auch verletzenden Ausnahme
beim Erinnern -, immer ein wichtiges Signal für uns gewesen ist. Eine große Errungenschaft parlamentarischer
Diskussion ist nicht nur der Streit, sondern auch das konstruktive Gespräch und das Sich-Zusammenraufen. Wir
haben in den vergangenen Jahren im Ausschuss für Kultur und Medien über viele Themen gestritten und wir haben sogar um einzelne Formulierungen gerungen. Dabei
hatten wir immer vor Augen, für wen wir hier Politik
machen, für wen wir Gestaltungsräume eröffnen wollen.
Vielleicht gibt es keinen anderen Ausschuss im Parlament, dem die gemeinsame Nähe zum Gegenstand immer wichtiger war als die Formulierung möglichst großer Unterschiede.
({4})
- Der Satz kommt noch, Herr Kubatschka. - Für parteipolitische Profilierung mag dieser Ausschuss also nicht
geschaffen sein. Das ist keine Schwäche, sondern das ist
in einer funktionierenden Demokratie eine Stärke. Schon
aus diesem Grunde sollten wir uns auch nach der Sommerpause im Ausschuss für Kultur und Medien wieder
treffen.
Zum Schluss ein Zitat, nicht von Schiller oder Einstein, deren Jubeljahre wir ja schon begehen, sondern,
vorausschauend, ein Wort von Heinrich Heine, dessen
150. Todestag wir im Februar 2006 begehen und gedenken werden. In der „Harzreise“ heißt es:
Das ist schön bei uns Deutschen: Keiner ist so verrückt, dass er nicht einen noch Verrückteren fände,
der ihn versteht.
Vielleicht haben wir uns im Ausschuss für Kultur und
Medien deshalb immer so gut verstanden.
Danke schön.
({5})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Franziska
Eichstädt-Bohlig.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es hat schon etwas Eigenartiges, dass sich die voraussichtlich letzte Debatte in dieser Legislaturperiode diesem Thema und damit tatsächlich auch noch einmal ein
Stück weit Kultur- und Identitätsfragen letztlich nationaler Art widmet. Wahrscheinlich ist das gar nicht so
schlecht.
Zur Sache. Meiner Meinung nach ist das Anliegen
eigentlich ein ganz bescheidenes und ein ganz natürliches. Das Brandenburger Tor ist wieder restauriert, der
Pariser Platz ist jetzt wieder ein Stück weit zur guten
Stube geworden, zurzeit wird gerade westlich des Brandenburger Tores der Platz des 18. März neu gestaltet. Insofern stellt sich schon die Frage: Wo und wie klar sind
die Erinnerungszeichen gerade an diesem Ort, der
letztlich doch weltweit das Symbol des Kalten Krieges
war, für nicht nur die Mauer, sondern auch die deutsche
und europäische Teilung, den weltweiten Kalten Krieg
und die Unrechtsdiktatur der DDR? Das muss man, wie
ich glaube, schon eng zusammen sehen. Insofern ist der
Begriff „Mauer“ ein Symbol nicht nur für die Opfer,
sondern gerade auch für Diktatur und Kalten Krieg.
({0})
Weil ja eben Günter Nooke danach gefragt hat,
möchte ich deutlich betonen, dass es mir schon sehr
wichtig ist - Stephan Hilsberg hat ja eben geschildert,
dass es zwar kleine Zeichen der Erinnerung gibt, sie aber
so alle diskret angeordnet sind, dass sie fast nicht zu finden sind -, dass nicht ein abgegrenzter Gedenkort geschaffen wird - das ist zumindest meine Position -, sondern so etwas wie Denkzeichen, die die Menschen
darauf aufmerksam machen, was hier geschehen ist.
({1})
Wir wissen auch, dass es schwer ist, der Erwartung gerecht zu werden, dass dort zum einen der Teilung durch
die Mauer gedacht wird und zum anderen auch die
Freude der Überwindung dargestellt wird. Ich gestehe,
dass sowohl wir Initiatoren als auch alle anderen, die mit
uns darüber diskutiert haben, nicht genau wissen, wie
das gehen kann.
({2})
Vielleicht sollte man auch zwei Denkzeichen schaffen,
die dann irgendwie zueinander in Beziehung gebracht
werden. Wir wissen noch nicht, was wir konkret machen
wollen. Ich finde es auch gut, wenn das in einem Verfahren von Künstlern herausgearbeitet wird.
Ich glaube aber, das Anliegen als solches ist sehr
wichtig. Inzwischen erfahren wir da auch mehr Zustimmung. Damals gab es zwei Hauptbedenken:
Der eine Kritikpunkt lautete, das sei ja nur für Touristen. Darauf habe ich schon bei der ersten Lesung entgegnet, Touristen sind auch Menschen, die an diesem Ort
ihre Erinnerung suchen. Wenn sie aus Japan kommen,
sind für sie die Teilung der Welt und der Kalte Krieg
auch ein Stück ihrer Geschichte. Insofern sollen alle
Menschen, die an diesem Ort die Erinnerung suchen, wo
auch immer sie herkommen, das Recht dazu haben. Ich
finde es sehr wichtig, dass diesem Anspruch Genüge getan wird.
({3})
Der zweite Kritikpunkt beinhaltete die Sorge, der Ort
stehe zu sehr in Konkurrenz zum Holocaust-Mahnmal
auf der einen Seite und zur Gedenkstätte Bernauer
Straße auf der anderen Seite. Ich betone noch einmal:
Eine solche Konkurrenz ist nicht das Ziel. Es geht darum, am Pariser Platz und am Platz des 18. März für die
alltägliche Nutzung Denkzeichen zu setzen, die unserer
Erinnerung dienen.
({4})
Das wird auch gelingen, wenn man dieses Ziel in den
Vordergrund rückt. Es geht nicht um eine Konkurrenz.
Im Gegenteil, wir wollten deutlich machen, dass es uns
sehr wichtig ist, die Bernauer Straße als zentrale Gedenkstätte und Dokumentationszentrum weiter zu stärken und das von unserer Seite aus zu unterstützen.
Der Bund muss - im nächsten Kulturausschuss überlegen, was von seiner Seite getan werden kann, um
das Dokumentationszentrum an der Bernauer Straße zu
unterstützen. Auf der anderen Seite halte ich es für recht
und billig, wenn auch bei einem solchen Denkzeichen
wie am Brandenburger Tor der Bund den Hut aufhat und
Berlin sich um die berlinspezifischen Orte kümmert. Das
Brandenburger Tor ist nun einmal ein weltweit bekanntes Symbol.
Zum Schluss will ich auf das eingehen, was bei der
Anhörung als Wichtigstes herausgekommen ist. Das eine
war, die Freude über die Überwindung der deutschen
Teilung deutlich herauszuarbeiten, weil sie an keinem
anderen Ort so mitgedacht wird.
({5})
Das war eine sehr gute Anregung. Das andere war das,
was uns Marianne Birthler als Bundesbeauftragte mit auf
den Weg gegeben hat. Sie hat gesagt: Stellt an diesem
Ort nicht das Gedenken an die Opfer in den Mittelpunkt,
sondern den Zusammenhang von Diktatur, Teilung, Unfreiheit und Freiheit. Denn es geht nicht nur - auch wenn
das sehr wichtig ist; das hat Stephan Hilsberg herausgearbeitet - um die an der Mauer Gestorbenen, sondern es
geht auch um eine lange und harte Phase einer kommunistischen Diktatur. Insofern muss auch dieser Gesichtspunkt herausgestellt werden.
({6})
Ich glaube, es ist sehr gut, das am Brandenburger Tor zu
machen.
Nunmehr ist es so, dass auch Berlin eine Gesamtkonzeption ausgearbeitet hat, die inzwischen viel Anerkennung gefunden hat. Alle Ziele sind miteinander vereinbar. Wir bewegen uns also nicht in einem Raum mit
unvereinbaren Widersprüchen. In diesem Sinne wünsche
ich uns allen, dass das in Zukunft konkret umgesetzt
werden kann, was jetzt sinnvoll erdacht und erarbeitet
worden ist. Dazu wünsche ich uns breite Zustimmung.
({7})
Jetzt hat als letzter Redner in dieser Debatte der Abgeordnete Carl-Ludwig Thiele das Wort.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin! Sie haben es
schon angesprochen: Es ist der letzte Tagesordnungspunkt vor der morgigen Vertrauensfrage. Ich glaube, es
ist ein gutes Zeichen, dass hier trotz allen politischen
Streites, der notwendigerweise auch über die Fragen der
Zukunft unseres Landes geführt werden muss, ein Konsens der Demokraten besteht, dass dieses Anliegen eines
ist, welches uns alle in diesem Hause eint, und dass wir
dieses Thema alle als eine Aufgabe sehen, der wir uns
stellen müssen. Ich glaube, es ist auch ein Anliegen, das
dem Volk zeigt, dass wir uns in solchen national wichtigen Punkten nicht nur streiten, sondern durchaus Gemeinsamkeiten erkennen und uns entsprechend verhalten.
({0})
Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich in den drei
Minuten, die mir zur Verfügung stehen, das Thema nicht
abschließend behandeln kann.
({1})
- Herr Tauss, wenn Sie so nett wären, hätte ich nichts dagegen; aber warten Sie erst einmal.
({2})
Ich hätte aber drei Punkte, die ich herausstellen
möchte, weil sie mir besonders wichtig sind.
Der erste Punkt: Die Mauer, die Deutschland teilte,
war nicht nur eine Mauer, sondern sie war ein kompletter
Todesstreifen. Dieser Todesstreifen war unüberwindbar.
Junge Leute, die heute Mauerreste in Berlin sehen, fragen sich oft: Und da konnten die Menschen nicht drüberkommen? Diese Mauer konnte die Welt teilen? Insofern
ist es wichtig, dass außer der Mauer auch der Todesstreifen als Bestandteil der Unfreiheit eines Teiles unseres
Landes behandelt wird.
Der zweite Punkt - Sie hatten ihn schon angesprochen, Frau Eichstädt-Bohlig -: die Unfreiheit von Millionen Menschen. Hier möchte ich mich auf eine Stellungnahme von Frau Birthler in der Anhörung des
Ausschusses für Kultur und Medien beziehen. Ich zitiere:
Aber mir kommt in der Debatte häufig zu kurz, dass
es Millionen von Opfern der Mauer gab, nämlich
ein ganzes gefangen genommenes Volk, einschließlich der zivilgesellschaftlichen Schäden, die durch
40 Jahre Isolation entstanden sind, die menschli17448
chen Tragödien, auch in den Familien, die zerrissen
waren, auch wenn sie keine Opfer zu beklagen haben, also die Abschottung eines Volkes …
({3})
Der dritte Punkt. Freiheit ist notwendig. Wir gewöhnen uns an die Freiheit, weil wir sie als selbstverständlich erleben. Ich habe sie früher als Bürger der alten
Bundesrepublik immer erlebt. Aber die 28 Jahre Teilung
von 1961 bis 1989 zeigten, dass Freiheit nicht selbstverständlich ist. Die Bedeutung der Freiheit erschließt sich
häufig erst, wenn man die Unfreiheit erlebt hat und sie
erkennen kann. Erst daraus wird der Wert der Freiheit als
solcher deutlich.
Es ist daher wichtig, dass hier an die Unfreiheit erinnert wird. Es ist aus heutiger Sicht ein unvorstellbarer
Vorgang - auch Frau Birthler hat dies angesprochen -,
dass eine Partei, die SED, ein ganzes Volk im Grunde
genommen eingesperrt hat. Diese unwirkliche Vorstellung war 28 Jahre lang Wirklichkeit in unserem Land.
Auch darauf muss hingewiesen werden.
Ich bin froh, dass durch die Debatte über diesen
Antrag eine öffentliche Diskussion in Gang gekommen ist und dass schon einiges angestoßen wurde. Ich
freue mich, wenn es gelingt, dass die Passerelle vor
der U-Bahnstation Adlon möglicherweise als Ausstellungsraum zur Verfügung gestellt wird. Dort könnte man
auch die 180-Grad-Ausstellung zeigen. Es ist unsere
Aufgabe, Geschichte zu vermitteln.
Anlass für meine Überlegungen waren auch meine
Kinder. Ich habe mich gefragt, wie ich ihnen diese Zeit
der Teilung Deutschlands und der Welt erklären soll. Ich
habe sie erlebt. Aber wie sollen unsere Kinder das erfassen, was uns alle politisch prägte? Wie sollen wir entsprechende Zeichen setzen? Es ist daher richtig, dass inzwischen erkannt wurde, dass Zeichen gesetzt werden
müssen. Die Details können noch besprochen werden.
Aber wesentliche Punkte sind schon auf den Weg gebracht worden.
Abschließend möchte ich mich noch bei den Mitinitiatoren bedanken. Dass auch in dieser Wahlperiode über
alle Fraktionsgrenzen hinweg solche Gemeinsamkeiten
in einen Antrag eingebracht werden können, freut mich
und macht mich auch als Oppositionsabgeordneten einfach glücklich. Vielleicht macht es auch einige glücklich, die zurzeit in der Regierung sind.
Ich möchte noch den Mitgliedern des Kulturausschusses und seiner Vorsitzenden meinen Dank aussprechen,
die sich engagiert mit diesem Thema auseinander gesetzt
haben. Danken möchte ich auch der Frau Staatsministerin Weiss, die heute entschuldigt ist und mit der es viele
Gespräche gegeben hat.
Ich glaube, wir haben hier einen Diskussionsprozess
angestoßen, der nicht nur durch die Kreuze von Frau
Hildebrandt in Gang gesetzt wurde. Es handelt sich hier
nicht um eine Einzelaktion, sondern um eine Aktion aus
der Mitte des Hauses, getragen von der Mehrheit des
Deutschen Bundestages. Das sollte Anlass für alle sein,
auch in der nächsten Legislaturperiode den Bundestag in
dieses Thema weiter einzubeziehen. Denn hier muss nationale Identität sichtbar werden. Ich hoffe, das wird geschehen.
Herzlichen Dank.
({4})
Der Abgeordnete Werner Kuhn hat gebeten, seine
Rede zu Protokoll zu nehmen.1) Das machen wir mit Ihrer Zustimmung.
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf Drucksache 15/5854
zu dem Antrag der Abgeordneten Carl-Ludwig Thiele,
Stephan Hilsberg, Franziska Eichstädt-Bohlig, Werner
Kuhn, Ulrich Adam und weiterer Abgeordneter mit dem
Titel „Gelände um das Brandenburger Tor als Ort des Erinnerns an die Berliner Mauer, des Gedenkens an ihre
Opfer und der Freude über die Überwindung der deutschen Teilung“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
auf Drucksache 15/4795 anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gibt es Gegenstimmen
oder Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Bei so viel Einstimmigkeit kann ich als Präsidentin
sagen, dass es ein Stück Zauberregie ist, dass ich die
Chance hatte, bei dieser letzten Debatte zum Thema
Kulturpolitik und so viel Einigkeit die Sitzung zu leiten.
Ich möchte mich aus tiefster Überzeugung der Feststellung anschließen, dass es wichtig ist, dass der Kulturausschuss im nächsten Bundestag, wenn er denn zustande
kommt, bestehen bleibt.
({0})
Außerdem möchte ich Ihnen für eine wirklich gute
Debatte zu diesem Thema danken.
({1})
Ich glaube, bei solchen Debatten sieht man die Qualität
dieses Bundestages.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 1. Juli 2005, 10 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen an diesem doch etwas besonderen Vorabend einen schönen
Abend, soweit er schön sein kann, und dasselbe auch den
Besucherinnen und Besuchern auf den Tribünen.