Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/15/2005

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Grüß Gott, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Interfraktionell wurde vereinbart, die heutige Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt: ZP 1 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes - Drucksache 15/5656 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dieter Grasedieck, Gesine Multhaupt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Grietje Bettin, Monika Lazar, Volker Beck ({1}), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Für ein integriertes EU-Bildungsrahmen- programm - Mobilität und Austausch für ein zusammen- wachsendes, innovatives und wettbewerbsfähiges Europa - Drucksache 15/5675 - ZP 3 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hans-Ulrich Krüger, Florian Pronold, Ingrid Arndt-Brauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abge- ordneten Jutta Krüger-Jacob, Christine Scheel, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Europäische Finanzmärkte - Integration durch Wettbewerb und Vielfalt voranbringen - Drucksache 15/5679 - b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Michael Meister, Heinz Seiffert, Leo Dautzenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Volker Wissing, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP: Europäische Finanzmärkte - Integration durch Wettbewerb und Vielfalt voranbringen - Drucksache 15/5677 ZP 4 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierung der Versorgung sowie zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften ({2}) - Drucksache 15/5672 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({3}) Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Von der Frist für die Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Weiterhin wurde vereinbart, die heutige Fragestunde auf eine Stunde zu beschränken sowie die Tagesordnungspunkte 4 - Verbraucherpolitischer Bericht und 6 - Zukunftschancen für Jugendliche - zu tauschen. Außerdem soll Tagesordnungspunkt 7 - EU-Waffenembargo gegenüber China - abgesetzt werden. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung eines Gesetzentwurfs zur Änderung des Arzneimittelgesetzes zu erweitern und diesen jetzt gleich als Zusatzpunkt 1 ohne Aussprache aufzurufen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 1 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes - Drucksache 15/5656 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({4}) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/5656 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es Redetext Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Fragestunde - Drucksache 15/5660 Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf. Die Fragen 1 und 2 der Kollegin Gitta Connemann werden schriftlich beantwortet. Deshalb rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Die Fragen beantwortet Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hans Georg Wagner. Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch auf: Warum hat der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Peter Struck, anlässlich des 50. Jahrestages der Bundeswehr auch ehemalige Angehörige der im spanischen Bürgerkrieg eingesetzten Legion Condor eingeladen - vergleiche die „Welt“ vom 7. Juni 2005 - und wie viele eingeladene Gäste waren ehemalige Angehörige der Wehrmacht?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Frau Präsidentin! Liebe Kollegin Lötzsch, am 7. Juni 2005 begann mit einer Auftaktveranstaltung der offizielle Jubiläumszeitraum zum 50. Geburtstag der Bundeswehr. Zu dieser Veranstaltung wurden durch den Bundesminister der Verteidigung, Dr. Peter Struck, 1 123 Repräsentanten aus Staat und Gesellschaft eingeladen, darunter selbstverständlich auch die ehemaligen Generalinspekteure der Bundeswehr. Der inzwischen 97-jährige General a. D. Heinz Trettner gehört zu den Gründervätern der Bundeswehr. Er wurde, wie alle Offiziere der Bundeswehr mit Vordienstzeiten in der Wehrmacht vom Dienstgrad Oberst an aufwärts, durch den so genannten Personalgutachterausschuss auf seine persönliche Eignung geprüft. Damit besteht für das Bundesministerium der Verteidigung keine Veranlassung, an der Integrität dieser Personengruppe zu zweifeln. Es ist eine Selbstverständlichkeit, eine Persönlichkeit, die sich um den Aufbau unseres freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates in besonderer Weise verdient gemacht hat, zu einer solchen Feier einzuladen. Die Frage nach der Anzahl eingeladener Gäste, die ehemals Angehörige der Wehrmacht waren, kann nicht beantwortet werden, da die Vita der Eingeladenen nicht eigens abgeprüft wurde. Es ist davon auszugehen, dass ein Großteil der vor 1931 in Deutschland geborenen männlichen Bevölkerung - in welcher Form auch immer - Angehöriger der Wehrmacht war.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen, bitte.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, wurden vom Bundesminister der Verteidigung auch Menschen eingeladen, die in den alliierten Armeen oder bei den spanischen Interbrigadisten gegen den Faschismus und die Wehrmacht gekämpft haben und, wenn ja, wie viele?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Das ist mir im Einzelnen nicht bekannt. Unabhängig davon haben wir natürlich auch Offiziere der ehemaligen Nationalen Volksarmee der DDR eingeladen, ({0}) sofern sie zu dem eingeladenen Kreis gehören durften. Hier ist keine Unterscheidung getroffen worden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich habe aber nicht nach den Offizieren der Nationalen Volksarmee gefragt. Herr Staatssekretär, Sie wissen wahrscheinlich genauso gut wie ich, dass der Bundeskanzler anlässlich des 60. Jahrestages der Landung der Alliierten in der Normandie in seiner Begleitung auch ehemalige Wehrmachtsangehörige hatte und dass Menschen, die aufseiten der französischen Résistance gekämpft haben, von der französischen Regierung eingeladen werden mussten, weil sie im Tross des Bundeskanzlers nicht eingeladen waren. Haben Sie keinen Anlass gesehen, aus diesen Erfahrungen des vergangenen Jahres zu lernen und Menschen, die gegen die faschistische Wehrmacht gekämpft haben, offiziell einzuladen?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Wir haben dies nicht zum Kriterium gemacht. Wie der Herr Bundeskanzler seine Delegation zusammenstellt, ist Sache des Bundeskanzlers. Wir haben das nicht zu kritisieren. Wir selber haben nach bestem Wissen und Gewissen die Einladungen zusammengestellt. Das trifft auch für diejenigen zu, die eingeladen worden sind. Insofern haben wir da souverän gehandelt. Wir waren nicht der Auffassung, man sollte zusätzliche Einladungen aussprechen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Eine Zusatzfrage des Kollegen Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, haben Sie die gleichen Kenntnisse wie ich, dass beim Aufbau der Nationalen Volksarmee ebenfalls ehemalige Soldaten der deutschen Wehrmacht dabei waren? ({0})

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Das ist nicht auszuschließen, Herr Kollege Koppelin; denn solche waren sowohl bei uns dabei als auch auf der Seite der ehemaligen DDR.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe die Frage 4 der Kollegin Petra Pau auf: Welchen Umfang hatten bundesweit Personalveränderungen in der Bundeswehr an den Standorten seit 1994 und wie viele Arbeitsplätze wurden aufgrund des jeweiligen nachfolgenden Stationierungskonzeptes - bitte nach Ländern aufschlüsseln - neu geschaffen?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Frau Kollegin Pau, im April des Jahres 1994 beschäftigte die Bundeswehr insgesamt rund 174 800 zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Wehrverwaltung des Bundes befand sich zu dieser Zeit in dem Anfang der 90er-Jahre begonnenen Prozess der personellen Umsetzung der Strukturveränderungen im Rahmen der Anpassung an die neuen Streitkräftestrukturen und des Aufbaus einer Wehrverwaltung in den neuen Bundesländern. Mitte 2000 wurden die Strukturveränderungen durch die Maßnahmen im Rahmen der Neuausrichtung der Bundeswehr und Ende 2003 mit den neuen Entscheidungen zur Transformation der Bundeswehr fortgesetzt. In diesem Rahmen soll der zivile Bereich der Bundeswehr bis zum Ende des Jahres 2010 auf 75 000 Haushaltsstellen und Dienstposten bzw. Arbeitsplätze reduziert werden. Da Auszubildende, Beamte auf Widerruf und Teilzeitbeschäftigte keine oder keine ganze Haushaltsstelle in Anspruch nehmen, können mit der Zielgröße von 75 000 Haushaltsstellen voraussichtlich über 80 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt werden. Derzeit sind rund 122 000 zivile Beschäftigte bei der Bundeswehr tätig. Dies bedeutet eine weitere Reduzierung des gesamten Personalbestandes im zivilen Bereich um bis zu 40 000 Menschen. Diese personelle Entwicklung beruht auf organisatorischen Maßnahmen mit entsprechenden Arbeitsplatz- und Dienstpostenanpassungen. Die Reduzierung wird sozial verträglich und ohne betriebsbedingte Kündigungen erfolgen. Ein Anstieg beim Zivilpersonal der Bundeswehr erfolgte nur in Berlin und Sachsen-Anhalt, nämlich um 570 bzw. 306 Personen. Eine Darstellung der Entwicklung des Personalbestandes in den Bundesländern im Zeitraum von 1994 bis 2005 kann zur Verfügung gestellt werden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen, bitte.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Diese Übersicht würde ich gern erhalten. Ich hätte eine Nachfrage: Gibt es einen Überblick, wie viele Arbeitsplätze - bei all den Abbaumaßnahmen, die Sie beschrieben haben - neu entstanden sind, beispielsweise durch die Stationierung des Eurofighters in

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Eine solche Übersicht gibt es nicht, da die im Rahmen der Konversion weggefallenen Dienstposten bei der Bundeswehr durch Ländermaßnahmen ersetzt werden müssen. Sie wissen, Konversion ist Sache der Bundesländer. Man müsste bei den einzelnen Bundesländern abfragen, wie groß der Nettozuwachs an zivilen Arbeitsplätzen gewesen ist. Diese Zahlen sind uns nicht bekannt.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Danke schön. Dann würde ich gern, wie gesagt, die angekündigte Übersicht nachträglich erhalten.

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Diese bekommen Sie.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Keine weiteren Zusatzfragen? Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen, Herr Staatssekretär. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf. Die Fragen beantwortet Herr Parlamentarischer Staatssekretär Ulrich Kasparick. Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Michael Kretschmer auf: Wann ist mit der Ausschreibung des von der Bundesregierung angekündigten Programms „Inno-Profile“, die laut Aussage des Bundesministeriums für Bildung und Forschung noch vor der Sommerpause 2005 erfolgen soll, zu rechnen?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Herr Kollege Kretschmer, Sie fragen danach, wann das neue Programm für Ostdeutschland, das wir ausschreiben, im Bundesanzeiger veröffentlicht werden wird. Das wird am 17. Juni der Fall sein. Es wird vom Verfahren her wieder so sein wie bei den anderen Projekten auch: Man kann zunächst eine Projektskizze einreichen; das ist bis zum 8. September möglich.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen, bitte.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Sie hatten angekündigt, dass die Anträge schon vor der Sommerpause gestellt werden können. Wann ist damit zu rechnen, dass die ersten Anträge bewilligt werden und tatsächlich mit der Arbeit begonnen werden kann?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Ich hatte Ihnen die Daten genannt. Die Ausschreibung wird am 17. Juni 2005 im Bundesanzeiger veröffentlicht. Die Projektskizzen können bis zum 8. September 2005 eingereicht werden. Von unserer Seite aus sind alle Vorbereitungen dafür getroffen worden, dass zügig gearbeitet werden kann.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gibt es für dieses Programm einen Projektträger und wenn ja, wer ist das?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Wir werden die Außenstelle der PTJ Jülich hier in Berlin damit beauftragen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Es gibt keine weiteren Fragen mehr dazu. Damit sind wir auch am Ende dieses Geschäftsbereichs. Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf. Die Frage 6 des Kollegen Dr. Egon Jüttner wird schriftlich beantwortet. Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Die Fragen beantwortet Herr Staatsminister Hans Martin Bury. Die Frage 7 des Kollegen Dr. Egon Jüttner wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Deshalb rufe ich jetzt die Frage 8 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch auf: Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass USGeheimdienste Menschen in Länder entführen, in denen unter Folter Geständnisse erpresst werden, wie zum Beispiel den deutschen Staatsbürger Khaled el-Masri - vergleiche „Neues Deutschland“ vom 7. Juni 2005 -, und wenn ja, was hat die Bundesregierung gegen dieses Vorgehen der US-Geheimdienste unternommen?

Not found (Gast)

Frau Kollegin Lötzsch, in dem von Ihnen angesprochenen Fall hat die Staatsanwaltschaft München ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt wegen Verschleppung eingeleitet. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Im Zusammenhang mit diesem Verfahren hat die bayerische Justiz ein Rechtshilfeersuchen an die US-Regierung gestellt. Die Bundesregierung unterstützt dieses Rechtshilfeersuchen. Weitere Fälle mit deutschen Staatsangehörigen sind der Bundesregierung nicht bekannt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen, bitte.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatsminister, was hat die Bundesregierung über das, was Sie gerade beschrieben haben, hinaus unternommen, um die Folter von deutschen Staatsbürgern durch amerikanische Geheimdienste zu unterbinden? Gibt es zwischen beiden Ländern Regelungen bezüglich dieser Frage?

Not found (Gast)

Frau Kollegin Lötzsch, ich habe Ihnen eben in meiner Antwort dargelegt, dass mir weitere Fälle mit deutschen Staatsangehörigen nicht bekannt sind, sodass ich die Unterstellung in Ihrer Frage zurückweisen muss. Zum konkreten Fall, nach dem Sie gefragt haben: Die Bundesregierung hat die US-Regierung um Aufklärung der Vorwürfe gebeten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Vielen Dank. - Wie hat die Regierung der Vereinigten Staaten auf das Ersuchen, aufzuklären, reagiert?

Not found (Gast)

Frau Kollegin Lötzsch, die Kontakte mit der US-Regierung waren vertraulicher Natur und lassen eine öffentliche Erörterung nicht zu. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Wir sind damit auch am Ende dieses Geschäftsbereichs. Vielen Dank, Herr Staatsminister, für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit auf. Die Fragen beantwortet Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gerd Andres. Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Volkmar Uwe Vogel auf: Trifft es zu, dass zum Transport von diskontinuierlich anfallendem regenerativen Strom die Transportkapazitäten durch den Neubau von 380-Kilovolt-Hochspannungsleitungen erhöht werden und deswegen Schneisen von etwa 75 m Breite bei einem Flächenverbrauch von circa 1 200 ha über den Kamm des Thüringer Waldes geschlagen werden sollen, und wenn ja, hält die Bundesregierung dies für ökologisch sinnvoll?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Frau Präsidentin, ich würde die Fragen 9 und 10 gerne gemeinsam beantworten, wenn Herr Vogel einverstanden ist.

Volkmar Uwe Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003650, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, das bin ich.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Dann rufe ich zusätzlich die Frage 10 auf: Welche Alternativen zu dieser Trassenführung prüfen die Bundesregierung bzw. die beteiligten Einrichtungen?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

In der dena-Studie „Energiewirtschaftliche Planung für die Netzintegration von Windenergie in Deutschland an Land und Offshore“ vom Februar 2005 wurde das Konzept zur Netzintegration von Windkraftanlagen in das elektrische Versorgungssystem vorgelegt. Die für den Zeitraum 2007 bis 2010 erforderlichen Netzverstärkungen bzw. Netzausbaumaßnahmen sehen eine neue, 140 Kilometer lange 380-Kilovolt-Leitung von Vieselbach nach Redwitz vor. Aussagen zur Trassenführung sowie zur Technologie des Leitungsbaus und zum Flächenverbrauch können von der Bundesregierung nicht getroffen werden. Die Frage 10 beantworte ich wie folgt: Über die Trassenführung von Hochspannungsleitungen wird im Rahmen der Planungs- und Genehmigungsverfahren entschieden. Diese Verfahren liegen in der Zuständigkeit der Bundesländer. Antragsteller für solche Leitungen sind die jeweiligen Netzbetreiber.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie haben jetzt vier Zusatzfragen.

Volkmar Uwe Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003650, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, besonders in Bezug auf Frage 9 habe ich eine Zusatzfrage: Gelten für den Transport von erneuerbaren Energien andere Umweltverträglichkeitskriterien bei den notwendigen Untersuchungen als zum Beispiel in dem Fall, in dem es um die Errichtung von Schienentrassen durch den Thüringer Wald ging? Das betrifft ja gerade auch die Kammlagen des Thüringer Waldes.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Das ist mir nicht bekannt. Die Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich glaube aber, nicht.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Bitte.

Volkmar Uwe Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003650, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke. - Eine weitere Frage in diese Richtung. Halten Sie bzw. die Bundesregierung es für das ökologische Gleichgewicht der Kammlagen des Thüringer Waldes für sinnvoll, solche Schneisen oder Trassen zu schlagen, oder ist unter Umständen die Errichtung von Tunnelbauwerken, wie es auch bei anderen Bahn- und Verkehrsträgern gemacht wird, ökologisch sinnvoller? ({0})

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über die ökologische Situation der Kammlagen des Thüringer Waldes vor. ({0}) - Mir liegen keine vor. Einen Vergleich zwischen Stromleitungen, Autobahnen oder Schifffahrtskanälen will ich hier nicht anstellen. Ich finde, ich habe Ihre Fragen ordentlich beantwortet. Die letzte Frage kann ich nicht beantworten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie haben noch zwei Zusatzfragen.

Volkmar Uwe Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003650, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie sprachen davon, dass die Trassenführung und auch mögliche Alternativen einzig und allein in der Verantwortung der Länder bzw. der zuständigen Einrichtungen liegen. Trotz alledem haben Sie die Möglichkeit, hier Einfluss zu nehmen. Haben Sie diese Möglichkeit unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit, sprich: der Nutzung möglicher Synergieeffekte, geprüft und haben Sie Empfehlungen ausgesprochen?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich weiß von keiner Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Ich habe Ihnen auf Ihre Frage 10 geantwortet, dass über mögliche Trassen in den Bundesländern entschieden wird. Die Netzbetreiber entscheiden. Sie müssen das beantragen. Die Landesregierung ist für die Trassenführung zuständig. Wo wir ansonsten was wie beeinflussen, weiß ich nicht. Damit ist Ihre Frage ordentlich und korrekt beantwortet.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Noch eine Zusatzfrage?

Volkmar Uwe Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003650, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, danke.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Dann hat der Kollege Grund eine Zusatzfrage.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, die Notwendigkeit für den Neubau der 380 000-Volt-Leitung ergibt sich aus dem Energieaufkommen von Windkraftanlagen in Norddeutschland und dem Verbrauch in Süddeutschland bzw. einer möglichen Speicherung, weil Energie aus Windkraft nicht kontinuierlich entsteht und eine Speicherung in Wasserkraftanlagen nötig ist. Mich interessieren nun die Kosten. Geht die Bundesregierung davon aus, dass die Kosten für eine 380 000-Volt-Leitung, die sicherlich im zwei- oder dreistelligen Millionenbereich liegen werden - allein in Thüringen geht es um eine Trasse von 140 Kilometern -, auch die Kosten beinhalten, die nach dem ehemaligen Energieeinspeisungsgesetz, heute EEG, für den Aufkauf einer Kilowattstunde aufgewendet werden müssen, oder werden diese Kosten für die Ableitung der Energie noch zusätzlich auf den Verbraucher umgelegt werden?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Wie die Betreiber den Bau einer Trasse oder einer Leitung finanzieren, weiß ich nicht. Das ist deren Angelegenheit. ({0}) - Ich gehe von nichts aus. Ich habe Ihnen doch gesagt: Ob eine Trasse gebaut wird, ist zunächst Angelegenheit der Betreiber; sie müssen das finanzieren. Ob sie eine Trasse aus Atomkraft, aus Wasserkraft, Windkraft oder dem, was sie sonst an Geschäften betreiben, finanzieren, entzieht sich meiner Kenntnis. ({1}) Ich finde, ich habe Ihre Frage beantwortet. Aber Sie können gerne noch einmal fragen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe die Frage 11 der Kollegin Petra Pau auf: Auf welcher Rechtsgrundlage versuchen Arbeitsgemeinschaften im Zusammenhang mit der Hartz-IV-Gesetzgebung, Arbeitslosengeld-II-Empfänger dazu zu verpflichten, Eingliederungsvereinbarungen zu unterschreiben, die es ihnen verbieten, zeitlich und räumlich ihren Wohnort zu verlassen, und wo ist dies genau geregelt?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Der Bundesregierung ist nicht bekannt, dass die Arbeitsgemeinschaften versuchen, Empfänger von Arbeitslosengeld II dazu zu verpflichten, Eingliederungsvereinbarungen zu unterschreiben, die es ihnen verbieten, zeitlich und räumlich ihren Wohnort zu verlassen. Auch die aus einer Vielzahl von Besuchen in den Arbeitsgemeinschaften gewonnenen Informationen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit über die Arbeitsweise der Arbeitsgemeinschaften lassen ein derartiges Verfahren nicht erkennen. Eine solche Vorgehensweise würde auch nicht der Rechtslage entsprechen. Im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende findet eine umfassende Unterstützung der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen mit dem Ziel der Integration in Arbeit statt. Insbesondere benennt die Arbeitsgemeinschaft bzw. der zugelassene kommunale Träger jedem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen einen persönlichen Ansprechpartner, der ihn bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt umfassend unterstützt. Zu diesem Zweck wird mit dem persönlichen Ansprechpartner eine Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen, die das Sozialrechtsverhältnis zwischen dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und den Trägern der Grundsicherung konkretisiert. Sie enthält verbindliche Aussagen zum Fördern und Fordern des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, legt also beiderseitige Rechte und Pflichten fest. Die Umsetzung der Integrationsanstrengung erfordert es, dass der erwerbstätige Hilfebedürftige in der Regel jeden Werktag für den persönlichen Ansprechpartner erreichbar ist. Aus diesem Grund enthält die Eingliederungsvereinbarung unter anderem die Verpflichtung des Arbeitslosengeld-II-Empfängers, werktäglich für den zuständigen SGB-II-Leistungsträger persönlich an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort erreichbar zu sein und sich nur nach Absprache und mit Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereiches aufzuhalten. Die Grundlagen für die angesprochenen Pflichten finden sich in den Mitwirkungsobliegenheiten des ArbeitslosengeldII-Empfängers nach § 2 SGB II.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen, bitte.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Danke. - Herr Staatssekretär, finden Sie nicht auch, dass sich in Ihrer Antwort ein Widerspruch befand, da Sie im ersten Teil ausführten, dass es eine solche Verpflichtung nach dem Gesetz nicht gibt, Sie aber gleichzeitig wörtlich die Eingliederungsvereinbarung zitierten, die mir auch von einem Arbeitsuchenden übermittelt wurde, nämlich dass er sich schriftlich verpflichten sollte, sich nur nach Absprache und mit Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufzuhalten - Ortsabwesenheit?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Nein.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Dann wüsste ich gern, wo es im Gesetz geregelt ist, dass es eine solche Verpflichtung gibt, und wie die Einhaltung dieser Verpflichtung kontrolliert wird.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich habe Ihnen die Obliegenheitspflicht nach § 2 mitgeteilt. Dieser § 2 macht es notwendig, dass derjenige, der gefördert werden soll, werktäglich für den persönlichen Fallmanager erreichbar und ansprechbar ist. Ich will Ihnen gleich dazu sagen: Ich halte das auch für völlig richtig, damit wir uns überhaupt nicht missverstehen. Insofern habe ich auch keinen Widerspruch gesehen, Frau Kollegin: § 2 SGB II, Obliegenheitspflichten des Hilfebedürftigen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Fragen 12 und 13 der Kollegin Dr. Maria Flachsbarth werden schriftlich beantwortet. Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereiches. Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung auf. Die Fragen 14 und 15 der Kollegin Dr. Herta DäublerGmelin werden schriftlich beantwortet, ebenso die Fragen 16 und 17 des Kollegen Dr. Hans Georg Faust. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf. Die Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Fragen beantwortet Frau Parlamentarische Staatssekretärin Angelika Mertens. Die Frage 18 des Kollegen Klaus Hofbauer und die Fragen 19 und 20 des Kollegen Henry Nitzsche werden schriftlich beantwortet. Die Fragen 21 und 22 des Kollegen Jörg Tauss werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 23 des Kollegen Hellmut Königshaus auf: Trifft es zu, dass das von der Deutschen Bahn AG vorgesehene neue Verkehrskonzept für den Raum Berlin nicht nur in Abweichung vom bisher mit dem Land Berlin vereinbarten „Pilzkonzept“ die Streichung der Verkehrshalte am Bahnhof Zoo und am Ostbahnhof vorsieht, sondern zudem die Verlagerung der Ost-West-Fernverbindungen von der Stadtbahn auf den neuen Nord-Süd-Tunnel, und wenn ja, welche zusätzlichen Zugbewegungen sind dann auf der Anhalter Bahn - bitte aufgliedern: vor und nach einer Inbetriebnahme der Dresdner Bahn - zu erwarten?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Herr Kollege Königshaus, die Deutsche Bahn AG hat mitgeteilt, dass sie nach wie vor zu dem „Pilzkonzept“ steht.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen, bitte.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wie erklärt sich die Bundesregierung dann anders lautende Presseberichte?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Wir schreiben diese Presseberichte nicht. Daher müssten Sie vielleicht bei der Zeitung nachfragen oder andere Quellen in Anspruch nehmen. Ich kann Ihnen nur das sagen, was uns die Bahn mitgeteilt hat. Soweit ich die Presse verfolgt habe, hat auch der Berliner Senat das bestätigt.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass der Senat kritisiert hat, dass Bahnchef Mehdorn ein solches Konzept in Aussicht gestellt habe?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Davon weiß ich nichts.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe die Frage 24 des Kollegen Hellmut Königshaus auf: Welche Informationen liegen der Bundesregierung über mögliche Auswirkungen der zusätzlichen Zugbewegungen hinsichtlich der zu erwartenden Lärmimmissionen an der Anhalter Bahn vor und wo genau werden die maßgeblichen Grenzwerte, etwa die für die Nachtzeit maßgeblichen 60 dB, dann überschritten?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Das ist eine ganz kurze Antwort: Keine.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke schön.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Hans-Michael Goldmann auf: Ist es nach Auffassung der Bundesregierung zutreffend, dass auch künftig nach der Annahme der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf Bundestagsdrucksache 15/5514 am 2. Juni 2005 durch den Deutschen Bundestag keine rechtliche Handhabe besteht, bei festgestellten Alkoholfahrten ausländischer Schiffsoffiziere ein vorläufiges Fahrverbot auszusprechen, und falls nein, worin wird hierfür die Rechtsgrundlage gesehen?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Lieber Kollege Goldmann, die Antwort ist Nein. Wie in der Plenardebatte von der Bundesregierung ausgeführt, können die Behörden der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes bzw. die Wasserschutzpolizeibehörden der Länder im Rahmen der Vereinbarung über die Ausübung der schifffahrtspolizeilichen Vollzugsaufgaben auf den Seeschifffahrtsstraßen im Rahmen der Gefahrenabwehr nach § 3 Abs. 1 des Seeaufgabengesetzes in Verbindung mit § 55 der Seeschifffahrtsstraßen-Ordnung gegenüber ausländischen Schiffsoffizieren ein sofort vollziehbares Fahrverbot aussprechen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen bitte, Kollege Goldmann.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlichen Dank für die Antwort, Frau Staatssekretärin. Sie ist aber falsch. Sie können das gerne mit Experten erörtern. Ich will noch einmal nachfragen. Es geht darum, dass einem betrunkenen ausländischen Kapitän nicht der Seeführerschein entzogen werden kann. Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie der Auffassung sind, dass nach dem Seeaufgabengesetz einem ausländischen Kapitän die Fahrerlaubnis entzogen werden kann, wie es auch im Straßenverkehr gegebenenfalls möglich ist? Kann diese Maßnahme sofort vollzogen werden?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Ja, im Rahmen der Gefahrenabwehr.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Darüber werden wir uns nicht einigen. Es ist nach meiner Auffassung verkehrt. Ich habe noch eine Zusatzfrage, Frau Staatssekretärin. Wenn das der Fall ist, frage ich Sie: Warum haben Sie das nicht in den Beschluss aufgenommen, den wir im Deutschen Bundestag diskutiert haben? Warum haben Sie in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf verwiesen, dass zur Klärung dieses Sachverhalts weitere Regelungen notwendig sind?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Der Beschluss ist nicht von der Bundesregierung, sondern vom Bundestag gefasst worden. Wir haben diese Beschlussfassung begrüßt. Aber vielleicht trägt die Beantwortung der nächsten Frage zur Klärung bei. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Dann rufe ich die Frage 26 des Kollegen HansMichael Goldmann auf: Ist es nach Auffassung der Bundesregierung zutreffend, dass nur durch eine Änderung des Seesicherheits-Untersuchungs-Gesetzes oder des Seeaufgabengesetzes eine rechtliche Grundlage geschaffen werden könnte, um vorläufige Fahrverbote gegen ausländische Schiffsoffiziere aussprechen zu können, und wenn ja, warum hat die Bundesregierung noch keinen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Die Bundesregierung prüft auf der Grundlage des genannten Beschlusses des Deutschen Bundestages, inwieweit durch Änderung des Seeaufgabengesetzes über das Fahrverbot nach § 31 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 1 des Seesicherheits-Untersuchungs-Gesetzes hinaus bei folgenlosen Trunkenheitsfahrten den Schifffahrtspolizeibehörden die Befugnis eingeräumt werden soll, ein Fahrverbot als Nebenfolge einer Bußgeldentscheidung zu verhängen. Die Bundesregierung prüft ferner die Möglichkeit, im Seeverkehr in Anlehnung an entsprechende Regelungen im Bereich der Binnenschifffahrt vorläufige Maßnahmen wie die vorläufige Sicherstellung von Fahrerlaubnissen im Rahmen des völkerrechtlich Zulässigen einzuführen. Diese Maßnahmen sollen auch für Schiffsoffiziere gelten, die nicht deutsche Staatsangehörige sind.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen, bitte.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Geschätzte Frau Staatssekretärin, stimmen Sie mit mir überein, dass Sie meine Kritik eben bestätigt haben? Sie haben nämlich sehr richtig den Unterschied angeführt, der sich aus dem Begriff „folgenlos“ zwischen dem Seeverkehr und dem Straßenverkehr ergibt. Im Klartext bedeutet das, dass das, was im Straßenverkehr erlaubt ist - nämlich einem betrunkenen Autofahrer den Führerschein zu entziehen, obwohl er folgenlos durch die Gegend gefahren ist -, im Schiffsverkehr nicht zulässig ist. Sie müssen jetzt zu einer Regelung kommen, die den Entzug der Fahrerlaubnis ermöglicht, wenn ein Kapitän oder ein anderes Mitglied der Führungsmannschaft betrunken seinen Dienst verrichtet.

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Herr Goldmann, wenn Sie den Antrag gründlich gelesen haben - davon gehe ich aus -, ({0}) dann wissen Sie, dass es uns nicht nur um ein Sanktionsinstrument, sondern auch um ein Präventionsinstrument geht. Insofern müssen auch folgenlose Trunkenheitsfahrten sanktioniert werden können. Das sieht der Beschluss vor und wir prüfen, inwiefern eine entsprechende Regelung möglich ist. Ich glaube aber, dass unsere Auffassungen nicht auseinander liegen. In der geltenden Fassung des SUG geht es um Trunkenheitsfahrten, bei denen etwas passiert bzw. der Betrunkene erwischt wird. Uns allen liegt sicherlich an einer präventiven Regelung, damit auch folgenlose Trunkenheitsfahrten geahndet werden können.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das ist richtig. Unsere Positionen weichen nur deshalb voneinander ab, weil das SUG durch Sie geändert und damit diese Möglichkeit genommen worden ist. Wann gedenken Sie, den Rechtsrahmen so abzustecken, dass auch bei der folgenlosen Trunkenheitsfahrt entweder durch eine Änderung des SUG oder des Seeaufgabengesetzes die Sanktionsmöglichkeit des Sofortvollzugs gegenüber dem ausländischen Kapitän besteht?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Wir sind schon dabei. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Richtig, Herr Kollege, Sie haben keine Zusatzfrage mehr, tut mir Leid.

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Aber wir gehen im Guten auseinander. Wir können noch telefonieren, Herr Goldmann. ({0}) - Darin bin ich mir nicht so sicher.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Frage 27 des Kollegen Michael Kretschmer wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Beantwortung der Fragen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Fragen 28 und 29 des Kollegen Bernhard Kaster werden schriftlich beantwortet, ebenso wie die Fragen 30 und 31 des Kollegen Hartmut Koschyk. Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Ich unterbreche die Sitzung bis zum Beginn der Plenardebatte um 14 Uhr. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 a und 2 b sowie Zusatzpunkt 2 auf: 2 a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Sechzehnter Bericht nach § 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zur Überprüfung der Bedarfssätze, Freibeträge sowie Vomhundertsätze und Höchstbeträge nach § 21 Abs. 2 - Drucksache 15/4995 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Katherina Reiche, Dr. Maria Böhmer, Thomas Rachel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU Konsequenzen aus dem Studiengebührenurteil für die Bildungs- und Hochschulfinanzierung des Bundes - Drucksachen 15/4931, 15/5592 Berichterstattung: Abgeordnete Ute Berg Katherina Reiche Monika Lazar Ulrike Flach ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dieter Grasedieck, Gesine Multhaupt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Grietje Bettin, Monika Lazar, Volker Beck ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Für ein integriertes EU-Bildungsrahmenprogramm - Mobilität und Austausch für ein zusammenwachsendes, innovatives und wettbewerbsfähiges Europa - Drucksache 15/5675 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Edelgard Bulmahn. ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Es ist ungefähr zwei Monate her, dass wir hier im Bundestag über den unsäglichen Schlingerkurs der CDU/CSU in Sachen BAföG diskutiert haben. ({0}) Es ist mir eine ausgesprochene Freude, Ihnen heute noch einmal schwarz auf weiß Zahl um Zahl belegen zu können, welch erfreuliche Entwicklung das von uns reformierte BAföG genommen hat. ({1}) Bei unserer Regierungsübernahme, liebe Kolleginnen und Kollegen, fanden wir eine wirklich katastrophale Situation vor. ({2}) - Wenn Sie darüber lachen, Herr Mayer, ist das erschreckend. Wenn Sie, meine Herren und Damen, es lächerlich finden, dass unter Ihrer Regierungsverantwortung die Zahl der Studienanfänger dramatisch zurückgegangen war, und zwar insbesondere aus Familien mit niedrigem Einkommen, dann sitzen Sie hier am falschen Platz, Herr Mayer. ({3}) Wenn das typisch ist für die CDU/CSU, dann kann ich nur sagen: Gnade Gott! ({4}) Wir haben eine katastrophale Situation vorgefunden, weil Sie das BAföG wirklich systematisch in Grund und Boden gewirtschaftet haben. ({5}) Das haben wir alle hier erlebt. Sie haben das BAföG über viele Jahre gekürzt und die Mittel für andere Dinge eingesetzt. ({6}) Das hatte Konsequenzen. Ich sage es noch einmal ausdrücklich: Die Zahl der Studienanfänger - besonders aus einkommensschwächeren Familien - war dramatisch zurückgegangen, und zwar gerade in den Bereichen Ingenieurwissenschaften und Naturwissenschaften, wo wir dringend Nachwuchs brauchen. Wir haben deshalb, als wir 1998 gewählt wurden und die Bundesregierung stellten, gesagt: Da müssen wir wirklich umkehren. Wir brauchen einen Kurswechsel. Wir müssen jungen Leuten wieder bessere Bildungsund Studienmöglichkeiten schaffen. ({7}) Deshalb haben wir das BAföG grundlegend verbessert. Wir haben eine grundlegende Reform durchgeführt, die Ergebnisse zeigt, wie wir heute schwarz auf weiß nachweisen können. Wir haben ein zweites, mir ebenfalls ganz wichtiges Ziel erreicht: Wir haben das Vertrauen der Familien und der jungen Leute in diese Unterstützung der Studienfinanzierung, in diese Förderung wieder zurückgewonnen. Sie vertrauen wieder darauf, dass sie Hilfe bekommen, dass sie finanzielle Förderung erhalten. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, auf den ich stolz bin. Daraus will ich gar keinen Hehl machen. Im Berichtsraum 2002/2003 - darüber reden wir konnte der Kreis der Geförderten nochmals um 23 Prozent ausgeweitet werden. ({8}) Er liegt nunmehr bei mehr als einer halben Million im Jahresdurchschnitt. Das bedeutet einen Zuwachs von fast 50 Prozent seit 1998. Es zeigt, dass es uns wirklich gelungen ist, Familien zu überzeugen und Jugendliche an ein Studium heranzuführen und für ein Studium zu gewinnen, ({9}) die vorher schon aufgegeben hatten und gesagt haben: Ein Studium kann ich mir einfach nicht leisten. Das wieder gewonnene Vertrauen in die staatliche Ausbildungsförderung schlägt sich in einem deutlichen Anstieg der Studienanfängerzahlen nieder. 1998 begannen knapp 260 000 junge Menschen ein Studium; im letzten Jahr waren es rund 340 000. Mit 37,5 Prozent lag die Studienanfängerquote im Jahr 2004 damit so hoch wie nie zuvor. Aus der 17. Sozialerhebung wissen wir, dass mehr als zwei Drittel aller BAföG-Geförderten nach eigenen Angaben ohne BAföG nicht hätten studieren können. ({10}) Anders gesagt: Diese Jugendlichen - zwei Drittel aller BAföG-Empfänger - hätten keine Chance auf ein Studium gehabt, wenn wir nicht eine grundlegende Reform des BAföG durchgeführt hätten. ({11}) Ich freue mich ganz besonders, dass gerade Kinder aus den so genannten - wie es soziologisch so schön heißt - bildungsfernen Schichten vermehrt ein Studium aufnehmen. Der Anteil der Studierenden, deren Väter über einen Hauptschulabschluss verfügen, hat sich im Zeitraum von 2000 bis 2003 um 5 Prozentpunkte erhöht. ({12}) Die Verbesserung der Chancengleichheit in der Bildung ist also kein frommer Wunsch geblieben, sondern ist ein konkretes Ergebnis unserer Politik. ({13}) Insbesondere die mit der BAföG-Reform geschaffene Garantie, dass auch bei einer Vollförderung, also bei einer Höchstförderung, keiner mehr als 10 000 Euro vom Staatsdarlehen zurückzahlen muss - das BAföG wird ja zur Hälfte als Zuschuss gezahlt und zur Hälfte als Darlehen gewährt -, hat ganz offensichtlich erheblich zur Akzeptanz des Förderungsinstruments BAföG beigetragen. Gleichzeitig allerdings - das sehe ich mit großer Sorge - hat der Anteil der Studierenden aus Familien mit einem mittleren Einkommen abgenommen. Das heißt also, dass es auch Familien mit einem mittleren Einkommen nicht leicht fällt, die Kosten für ein Studium aufzubringen. Das gilt besonders, wenn mehrere Kinder studieren. Hier bleibt das BAföG in seiner gegenwärtigen Struktur als Sozialleistung für diese Familien das wichtigste Instrument der Unterstützung. ({14}) Umso unverständlicher ist es mir da, wie die Opposition - CDU/CSU und auch die FDP - es verantworten will, die von ihr entfesselte Diskussion über Studiengebühren nun auch noch mit der Forderung zu verknüpfen, das BAföG abzuschaffen; ({15}) denn nichts anderes ist es, wenn man darüber diskutiert, ob man das BAföG auf Vollkredit umstellt. Das ist nichts anderes als eine Abschaffung des BAföG. ({16}) Wenn man Jugendlichen zumutet, ihr Studium voll mit Krediten zu finanzieren, dann stehen sie am Ende vor einem Schuldenberg von mindestens 50 000 bis 60 000 Euro. ({17}) Da kann ich Ihnen nur sagen: Wenn einige Ihrer Kollegen dann auch noch sagen, man würde die Erhebung von Studiengebühren sozialverträglich abfedern, ({18}) dann finde ich, dass das wirklich unehrlich ist. Diese Haltung gegenüber den jungen Leuten kann ich eigentlich gar nicht beschreiben. ({19}) Wenn sie am Ende ihres Studiums 50 000, 60 000 oder sogar 90 000 Euro - so viel ist es bei einer Vollförderung - Schulden hätten, ({20}) dann würden alle Erfolge, die wir in den letzten Jahren erreicht haben, wieder zunichte gemacht. ({21}) Deshalb sage ich hier an dieser Stelle noch einmal ganz klar und unmissverständlich: Das BAföG mit seiner jetzigen Struktur - zur Hälfte als Zuschuss und nur zur Hälfte als Kredit sowie mit der Schuldenobergrenze von 10 000 Euro - wird mit dieser Bundesregierung erhalten bleiben. ({22}) Die Sozialdemokratische Partei und Bündnis 90/Die Grünen - für die kann ich das auch sagen - werden daran nicht rütteln lassen. Im Übrigen haben wir zwar Erfolg: Wir sind jetzt mit 37,5 Prozent endlich ein ganzes Stück näher an unserem Ziel, dass 40 Prozent eines Jahrgangs ein Studium aufnehmen. Wir liegen damit aber immer noch unter dem OECD-Durchschnitt von 51 Prozent. Wir alle wissen doch, dass wir nicht weniger sehr gut qualifizierte junge Menschen brauchen, sondern dass wir mehr qualifizierte junge Menschen brauchen, wenn wir unsere Zukunftschancen wahren wollen und wenn vor allem die jungen Menschen ihre Zukunftschancen wahren wollen. ({23}) Ohne eine gute Qualifikation geht es nicht; das ist die wichtigste Voraussetzung dafür, dass man ein selbstbestimmtes Leben führen kann. Das galt für meine Generation genauso, wie es für die jungen Menschen heute gilt. Deshalb sage ich noch einmal ausdrücklich: Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, Sie sind auf dem falschen Weg. Mit der Einführung von Studiengebühren kann man Studienbedingungen nicht verbessern. Vielmehr laden Sie jungen Leuten da etwas auf, was sie nicht tragen können. ({24}) Sie sagen, Sie hätten mit nachlaufenden Studiengebühren ein sozialverträgliches Instrument. Das ist aber nichts anderes als ein Riesenkredit. Das ist wirklich eine Verhöhnung der jungen Leute. ({25}) Dass inzwischen auch Ihre Länderkollegen gemerkt haben, dass man so etwas nicht mal einfach so beschließen kann und sich das alles irgendwie von alleine löst, kann man daran sehen, dass die KMK seit gut einem Jahr immer noch nicht zu einem Ergebnis gekommen ist. Von Ihnen wird zwar immer wieder gesagt: „Ja, wir führen Studiengebühren ein“, aber niemand von Ihnen hat bisher wirklich ein umfassendes Stipendiensystem auf den Tisch gelegt. ({26}) Kredite sind keine Stipendien. Wenn Sie immer wieder anderes behaupten, dann ist das - das sage ich Ihnen ganz ausdrücklich - eine Verhöhnung der Leute. ({27}) Kein einziges CDU-regiertes Bundesland hat bisher ein Stipendienprogramm auf den Tisch gelegt. Sie sind bisher alle Antworten schuldig geblieben - das muss ich Ihnen leider ausdrücklich sagen -, ({28}) obwohl das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt hat: Es ist die Aufgabe der Länder, die Studiengebühren einführen wollen, dafür Sorge zu tragen, dass die Sozialverträglichkeit gewahrt bleibt. ({29}) Kredite gewährleisten Sozialverträglichkeit nicht. ({30}) - Wenn Sie sagen, das sei dummes Zeug, dann möchte ich von Ihnen einmal wissen, wie Sie einem Menschen mit einem normalen Einkommen erklären wollen, dass 90 000 Euro Schulden - über diese Summe reden wir - ({31}) - Zinseszinsrechnung beherrschen Sie nicht. Das weiß ich, Herr Rachel; das habe ich schon bei vielen Debatten bemerkt. ({32}) Sie sollten noch einmal einen Grundkurs Mathematik belegen. Sie müssen das für ein zehnsemestriges Studium wirklich einmal durchrechnen. Sagen Sie den jungen Menschen und den Familien, wie sie das finanzieren sollen! Für diese Bundesregierung und die sie tragende Koalition kann ich nur sagen: Wir werden auch in Zukunft gewährleisten - dafür stehen wir -, ({33}) dass junge Menschen Bildungschancen unabhängig von ihrer familiären Herkunft haben und wahrnehmen können. Wir haben auch schon viel dafür getan - dass wissen Sie -, dass unser Bildungssystem besser wird. Ich bedauere, dass wir die Exzellenzinitiative nicht schon vor einem Jahr starten konnten; ({34}) das hätte ich mir sehr gewünscht. Seit einem Jahr diskutieren wir darüber. Auch diese Initiative ist ein wichtiger Schritt, um die Studienbedingungen deutlich zu verbessern. Die BAföG-Reform war ein Erfolg und auch die Exzellenzinitiative wird ein Erfolg werden. Vielen Dank. ({35})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Thomas Rachel, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Rachel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002754, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Vorlage des Sechzehnten BAföG-Berichts will die Bundesregierung zum Anlass nehmen, sich kurz vor ihrer Niederlage bei der Bundestagswahl ihrer angeblichen Leistungen zu rühmen. ({0}) Die Realität sieht allerdings völlig anders aus. Die Erhöhung der BAföG-Beträge im Jahr 2001 hat dazu geführt - das will ich zunächst einräumen -, dass das Ausgabenvolumen im Bereich der Ausbildungsförderung gestiegen ist. Dies darf allerdings nicht davon ablenken, dass darüber hinaus nichts passiert ist. Es ist nicht zu einer Anpassung der Fördersätze gekommen, obwohl die Lebenshaltungskosten gestiegen sind. ({1}) Der Beirat für Ausbildungsförderung, den Sie selbst eingesetzt haben, hat klar gesagt, dass es aufgrund der fehlenden Anhebung von Bedarfssätzen und Freibeträgen seit 2001 „zu einer schleichenden Aushöhlung des Ausbildungsförderungssystems kommt“. ({2}) Dies ist die Realität der Politik, die Sie als rot-grüne Bundesregierung zu verantworten haben, meine Damen und Herren! ({3}) Der Beirat hatte bereits vor Jahren eine Anhebung der Bedarfssätze und Freibeträge um 3,5 und 4,5 Prozent gefordert. Das haben Sie hinten im BAföG-Bericht versteckt, damit es niemand sieht. Insofern gibt es für Sie keinen Anlass, Lorbeeren zu ernten. Ich finde es peinlich, dass Sie zu dieser Forderung des Beirats nichts gesagt haben.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss?

Thomas Rachel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002754, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das will ich uns allen ersparen. ({0}) Statt sich um Ihre Aufgaben zu kümmern, prügeln Sie in Sachen Studiengebühren auf die Union ein. Frau Bulmahn, Sie haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Sie haben die Schlappe vor dem Bundesverfassungsgericht erlitten. Sie haben es bis heute nicht für nötig befunden, ein zukunftsweisendes Konzept zur Studienfinanzierung vorzulegen. Wir als Unionsfraktion haben einen Antrag eingebracht, der schlüssig und ausgewogen ist. Es ist realitätsfern, die Unterfinanzierung der Hochschulen nicht zur Kenntnis zu nehmen. Zurzeit fehlen den deutschen Hochschulen nämlich 3 bis 4 Milliarden Euro. Ihre Antwort auf das Fehlen der Mittel ist gewesen, zusätzlich noch die Hochschulbaumittel zu kürzen. Ich halte dies für unverantwortlich. ({1}) In Deutschland sind die privaten Ausgaben für Bildung sehr niedrig. Die privaten Ausgaben im tertiären Bildungsbereich haben in den USA einen Anteil von 1,8 Prozent am Bruttoinlandsprodukt, in Deutschland liegt die Quote nur bei 0,1 Prozent. Wenn die Hochschulen ihre hervorragende Position in Forschung und Lehre erhalten und ausbauen wollen, brauchen wir höhere private Bildungsausgaben. Dazu gehören auch - nicht nur, aber auch - Studiengebühren, jedenfalls dann - das machen wir zur Voraussetzung -, wenn die Hochschulen sie selber wollen. Nicht die Politik soll ihre Einführung vorgeben, sondern die Hochschulen sollen die Möglichkeit bekommen, sie einzuführen. ({2}) Auch der Sachverständigenrat und die Experten, die den von Ihnen in Auftrag gegebenen „Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands“ erarbeiten, haben Ihnen übrigens deutlich ins Stammbuch geschrieben, dass es richtig ist, den Hochschulen die Möglichkeit zu geben, Studiengebühren einzuführen, wenn sie es wollen. Ihre Ideologie aber macht Sie blind. Hören Sie auf den Rat Ihrer eigenen Fachleute! ({3}) Gesamtgesellschaftlich gesehen wird das auch immer mehr zu einer Frage der sozialen Gerechtigkeit. Wie sollen wir es denn begründen, dass alle Familien, egal auf welcher sozialen Stufe sie stehen, Gebühren für die Betreuung der Kinder in Kindergärten und ihre vorschulische Ausbildung zahlen müssen, gleichzeitig aber für eine Weiterqualifizierung in Form eines Studiums, von der nachher nur ein kleiner Teil der jungen Leute profitiert, keine Eigenbeiträge verlangt werden? Dies ist gerade auch angesichts der Tatsache problematisch, dass heute das IAB noch einmal klar erklärt hat, dass Akademiker, also Menschen mit Hochschulabschluss, wesentlich bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Insofern ist es also verantwortbar, dass sich in einer Situation, wo wir Kindergartenbeiträge von allen Eltern erheben, auch die Studierenden, die nachher bessere Berufschancen haben, mit einem verantwortbaren Betrag an der Studienfinanzierung beteiligen. ({4}) Nach unserer Auffassung sind allerdings Bedingungen zu erfüllen. Damit Studiengebühren den Effekt, den wir wünschen, erzielen können, ist es erforderlich, dass die Einnahmen aus den Studiengebühren zweckgebunden den Hochschulen für die Verbesserung von Lehre und Studienbedingungen zur Verfügung gestellt werden; denn die Studierenden müssen auch merken können, dass sich an ihrer Alma Mater, an ihrer Fachhochschule oder Hochschule, etwas verbessert, zum Beispiel im Bereich der Betreuung in Form von zusätzlichen Tutorien und durch eine verbesserte Ausstattung der Hochschulen. Das ist ein konkreter Ansatz, um die Studienbedingungen für die Studenten zu verbessern. Meine Damen und Herren, die OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“ hat deutlich gemacht, dass trotz Studiengebühren beispielsweise in Australien und Kanada deutlich mehr Kinder aus Nicht-Akademiker-Familien als in der Bundesrepublik studieren. Dies zeigt, dass vernünftig abgewogene Studiengebühren ein gutes Instrument sein können. Wir möchten, dass die Gebühren sozial verträglich ausgestaltet werden. ({5}) Das kann dadurch geschehen, dass entweder nachlaufende Studiengebühren eingeführt werden, oder dadurch, dass nach Abschluss des Studiums ein verzinsliches Darlehen in Abhängigkeit vom Einkommen zurückgezahlt wird. ({6}) Hierbei muss es allerdings eine Obergrenze geben. ({7}) Wir sind der Meinung, dass ein Höchstwert bei den Studiengebühren von 500 Euro pro Semester akzeptabel ist; denn Qualität darf auch etwas kosten. Bei einem zehnsemestrigen Studium, Frau Bulmahn - hören Sie gut zu -, entsteht damit für einen Studierenden eine Darlehensschuld von 5 000 Euro. ({8}) Wenn Sie stattdessen Beträge von 60 000 oder 90 000 Euro in die Welt setzen, dann handelt es sich um nichts anderes als um eine plumpe Fälschung und Irreführung der Öffentlichkeit, die ich in aller Form zurückweise. Es geht in der Realität um 5 000 Euro! ({9}) Auch diese 5 000 Euro soll der Student erst dann zurückzahlen, wenn er tatsächlich einen richtigen Beruf, also keinen Minijob, gefunden hat, aus dem er ein entsprechendes Einkommen erzielt, sodass er in der Lage ist, den Betrag von 5 000 Euro zurückzuzahlen. Dies ist sozial verträglich und angemessen. Wir akzeptieren auch nicht, dass Sie auf die Angebote der Kreditanstalt für Wiederaufbau, die sich ja um vernünftige Möglichkeiten der Finanzierung von Studium und Lebenshaltung in Form von Kreditangeboten bemüht -

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, schauen Sie bitte einmal auf die Uhr! Ihre Redezeit ist überschritten.

Thomas Rachel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002754, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne. - Wir wünschen uns, dass Sie auf diese Angebote konstruktiv zugehen und sie nicht einfach von der Hand weisen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, ich wäre sehr dankbar, wenn Sie auch die Konsequenzen daraus ziehen würden.

Thomas Rachel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002754, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mache ich gerne. - Die Union diskutiert, die Regierung blockiert. Dies werden wir im September beenden. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Grietje Bettin, Bündnis 90/ Die Grünen.

Grietje Bettin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003439, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Union - so hört man von Frau Merkel - will die Bildungspolitik zum Wahlkampfthema machen. Daran ist zunächst einmal nichts auszusetzen. ({0}) In der heutigen Debatte können wir sehen, für welche Bildungspolitik die Union wirklich steht. ({1}) Es wird sich wieder einmal zeigen, dass Chancengleichheit für sie ein Fremdwort ist. Ich beginne einmal mit dem Thema BAföG. Wir, die rot-grüne Koalition, haben die Ausbildungsförderung zwischen 2000 und 2005 um mehr als 50 Prozent gesteigert. Wir haben die Förderbedingungen erleichtert und für die Rückzahlung eine Obergrenze von 10 000 Euro gesetzt. Das bedeutet, heute bekommen mehr Studierende BAföG und der Schuldenberg am Ende des Studiums bleibt überschaubar. Derzeit erhält jeder vierte Studierende in der Regelstudienzeit eine Förderung. Mehr als zwei Drittel der BAföG-Geförderten sind auch darauf angewiesen und hätten nach eigenen Angaben - Ministerin Bulmahn hat es schon gesagt - ohne BAföG gar nicht angefangen zu studieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, schauen wir einmal zurück: Was war vorher, als Union und FDP regiert haben? Ganz klar: Unter Schwarz-Gelb wurde das BAföG total gegen die Wand gefahren. Die Förderquote ging massiv zurück. Am Ende der Regierungszeit waren es kaum noch 16 Prozent der Studierenden, die überhaupt BAföG bekommen haben. ({2}) - Das war Kohl, genau. ({3}) Ganz klar auch: Unter Schwarz-Gelb wird Studieren zu einem echten Armutsrisiko. ({4}) Ihr Ziel ist es, flächendeckend Studiengebühren einzuführen, und zwar fast ohne soziale Absicherung. Sie wollen das BAföG entweder abschaffen oder zulasten der Studierenden ohne reiche Eltern umbauen. Das Ende vom Lied: Ein begabter junger Mensch aus ärmeren Verhältnissen könnte in Deutschland nicht mehr studieren, ohne schon beim Berufseinstieg pleite zu sein; so viele Schulden würden Sie ihm bis zum Ende seines Studiums aufhalsen. Das Ergebnis Ihrer Hochschulpolitik heißt auf den Punkt gebracht: Studieren nur noch für Reiche. Dabei geht es doch gerade darum, mehr Menschen den Zugang zu einem Studium zu ermöglichen. Die Nachfrage nach akademisch ausgebildeten Menschen in Deutschland steigt. Eine gute Ausbildung ist für alle jungen Menschen der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit und damit auch der beste Schutz zur Sicherung unserer Zukunftsfähigkeit. ({5}) Nun zum Antrag der Koalition zum Bildungsrahmenprogramm der EU ein paar Worte. Was will dieser Antrag? Er unterstützt die Bemühungen der EU, ihre ehrgeizigen Pläne in der Bildungspolitik umzusetzen. Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, durch mehr Austausch von Lehrenden und Lernenden die europäische Integration voranzutreiben und die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, wie es auch die Lissabon-Strategie vorsieht. Das ist ein gutes und wichtiges Zukunftsprogramm. Auch wenn es etwas kosten wird: Das Geld ist sehr gut angelegt. Die Bildungspolitik auf nationaler Ebene muss hier natürlich nachlegen, damit diese Programme optimal laufen können. Wir müssen die Bildung in allen Lebensphasen stärken. Die finanziellen Mittel hierfür wollen wir aus einem konsequenten Subventionsabbau, vor allem aus der Eigenheimzulage, aufbringen. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, den so notwendigen Subventionsabbau haben Sie aus purer Machtstrategie mit Ihrer Blockadepolitik bislang verhindert. Jetzt wollen Sie mit dem Geld scheinbar Steuersenkungen finanzieren. Deshalb ist es besonders heuchlerisch und geradezu absurd, ({7}) dass Sie kürzlich von der Bundesregierung ein staatlich gefördertes Bildungssparen und die Einführung eines Erwachsenen-BAföG gefordert haben. Wie wollen Sie denn das finanzieren - aus Ihren Steuersenkungen? Aus Ihrer steuersubventionierten Kopfpauschale? Die Wahrheit ist doch: Sie wollen keinen Cent zusätzlich für Bildung ausgeben. ({8}) Frau Merkels Bildungspolitik - das steht fest - ist radikaler Bildungsabbau. Der letzte Beweis hierfür ist, was Frau Kollegin Professorin Dr. Böhmer für die Union klargestellt hat: Das Bundesbildungsministerium soll abgeschafft werden. Falls Schwarz-Gelb an die Macht käme, würde die Bildungspolitik des Bundes stillgelegt. Sie wollen sich aus der Verantwortung stehlen und die Bildung komplett den Ländern überlassen. Viele von denen haben schon jetzt größte Mühe, den staatlichen Bildungsauftrag überhaupt zu erfüllen. ({9}) Ich sage Ihnen eines: Mit bildungspolitischen Lippenbekenntnissen führen Sie die Wählerinnen und Wähler nicht hinters Licht. Kahlschlag lautet die bildungspolitische Devise von Schwarz-Gelb. Das werden wir im bevorstehenden Wahlkampf auch deutlich machen. ({10}) Wir werden mit aller Macht dafür kämpfen, dass der Bildung und Ausbildung junger Menschen weiterhin die nötige Aufmerksamkeit geschenkt und dafür der nötige Teil vom Haushaltskuchen abgegeben wird. Diese Ausgaben werden sich bezahlt machen. Danke schön. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Hellmut Königshaus, FDP-Fraktion.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie merken es: Rot-Grün und die Ministerin sind mir auf die Stimme geschlagen. Ich hoffe, ich kann mich trotzdem verständlich machen. ({0}) Ich muss wirklich sagen: Die Chuzpe, die wir hier gerade wieder erlebt haben, ist schon bemerkenswert. Eine offenbar sehr erfolgreiche Koalition hat sich hier eben wieder vorgestellt - so, als wären Sie nicht kurz vor dem Zusammenbrechen. ({1}) Sie reden über die Zeit der berühmten Vorgängerregierung - angeblich hat sie versagt -, anstatt über Ihre Zeit zu sprechen. ({2}) Begreifen Sie es doch endlich: Die Vorgängerregierung war die erste rot-grüne Regierung - nicht die Regierung Kohl - und in deren Regierungszeit haben Sie versagt. ({3}) Das können wir gerade im Zusammenhang mit dem BAföG wunderbar erkennen: Seit 2001 haben Sie die BAföG-Sätze und die Freibetragsgrenzen nicht mehr angepasst; das ist doch das Problem. ({4}) In dieser Zeit sind die Lebenshaltungskosten gestiegen - ich will nicht wiederholen, was der Kollege Rachel hier gesagt hat - und deshalb können wir uns, wenn wir in diesem Bereich nicht mehr Geld auszugeben vermögen, nur damit behelfen, dass wir uns auf die wirklich Bedürftigen konzentrieren ({5}) und die Mittel effektiver zu verwenden versuchen. ({6}) Das bedeutet in erster Linie angemessene, also höhere Bedarfssätze und vor allem kürzere Studienzeiten. Das Problem ist, dass die Studienbedingungen hier es nicht ermöglichen - auch das haben Sie ganz wesentlich zu verantworten -, zügig zu studieren. ({7}) Deshalb muss es bei uns wieder zu Verhältnissen kommen, die es möglich machen, kürzer zu studieren. Das bedeutet natürlich: weniger jobben und auch das Unterbinden von Parkstudien und Ähnlichem. Damit sind wir bei der Frage der Hochschulfinanzierung. Aber bevor ich darauf zu sprechen komme, möchte ich hier eine weitere Chuzpe von Ihnen ansprechen. Heute Morgen wurde uns Ihr Antrag zum EU-Bildungsrahmenprogramm vorgelegt. Die verantwortliche Ministerin sagt zu diesem Bereich überhaupt nichts. Auch Sie haben dazu bisher nichts gesagt. ({8}) - Ja. - Dieses Papier umfasst acht Seiten. Angesichts der knappen Zeit konnte man es nicht einmal richtig durchlesen. ({9}) Nun soll es hier behandelt und anschließend soll darüber abgestimmt werden. Das ist wirklich eine Frechheit. ({10}) Das entspricht Ihrer Arbeitsweise. Dadurch sind Ihre handwerklichen Fehler zustande gekommen, weswegen Sie früher immer nachbessern mussten. Was Sie schreiben, klingt alles ganz gut. ({11}) Es kann aber auch sein, dass darin irgendwelche Finten stecken. Wir können dem heute nicht zustimmen, weil wir gar nicht wissen, welche Probleme mit der Annahme dieses Antrages verbunden sind. Zurück zur Hochschulfinanzierung. Wir müssen für mehr Steuerung sorgen und auch das Eigeninteresse der Studierenden aktivieren, damit sie schneller und konzentrierter studieren, und wir müssen die Bedingungen dafür schaffen, dass sie es auch tun können. Wie ich schon gesagt habe, darf es keine Scheinstudenten zulasten der Allgemeinheit mehr geben; diese Studenten belasten natürlich auch diejenigen, die tatsächlich studieren. Wer sich nur deshalb an einer Universität einschreibt, weil er so preiswerter mit der S-Bahn fahren kann oder preiswerter krankenversichert ist, der darf das System nicht belasten. Studienentgelte sind ein wunderbares Mittel, um dieses Eigeninteresse zu aktivieren. Das bringt für die Zukunft - nachlaufende - Belastungen mit sich. Geld soll nur bei denjenigen eingetrieben werden, die tatsächlich bessere wirtschaftliche Verhältnisse erreicht haben. Sie tun ja so, als ob Sie es hier mit Barbaren zu tun hätten. Es geht um einen Betrag von maximal 5 000 Euro. Der Kollege Rachel hat das eben schon dargestellt. Deshalb ist es geradezu lächerlich, solche Horrorgemälde zu zeichnen. ({12}) Was wir allerdings brauchen, ist in der Tat, dass diese Mittel bei den Hochschulen bleiben. ({13}) - Was heißt „Wie?“ Es ist klar, dass Sie es nicht wissen. Wir werden es Ihnen demnächst vormachen. ({14}) Wir müssen sicherstellen, dass das Geld tatsächlich an den Hochschulen eingesetzt wird. ({15}) - Genau, wie in Baden-Württemberg. Danke schön für den Hinweis. ({16}) Es muss weniger Bürokratie geben und die Stellung der Studierenden als Nachfragemacht muss gestärkt werden. Nur so wird das Interesse der Universitäten geweckt, sich für die Belange der Studierenden wirklich einzusetzen. Zu dem Ansatz der KfW für Studienkredite brauche ich nichts zu sagen. Das begrüßen wir sehr. Wir loben ausdrücklich die Bundesregierung, dass sie das zulässt, was ja nicht selbstverständlich ist. Insgesamt ist es ein guter Ansatz. Noch eine letzte Bemerkung, Frau Präsidentin. Der Antrag der Union enthält richtige Ansätze. Wir haben keinen Zweifel daran, dass das Niveau der Hochschulbaufinanzierung wieder angehoben werden muss. Wir sind froh, dass Sie von Ihrer Radikalposition, nämlich der Abschaffung des HRG, abgerückt sind. Sie hätten eigentlich unseren Antrag, den wir zu diesem Punkt eingebracht hatten, übernehmen können.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum Schluss. Wir vermissen aber ein klares Bekenntnis zum BAföG. Deshalb können wir Ihrem Antrag in dieser Form nicht zustimmen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir müssen uns daher in diesem Punkt enthalten. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und Ihnen, Frau Präsidentin, für Ihre Geduld. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin Abgeordnete der PDS. Wir als PDS lehnen Studiengebühren ab. ({0}) Dafür gibt es soziale und wissenschaftspolitische Gründe. Die sozialen Gründe liegen klar auf der Hand: Studiengebühren sind unsozial. Sie belasten finanzschwache Eltern härter als finanzstarke. Nach den Vorstellungen von CDU und CSU sollen alle Studierenden 500 Euro pro Semester zahlen, egal ob sie Söhne oder Töchter von Bankvorständen oder Briefträgern sind. Das ist ungerecht. ({1}) Sie geben zwar vor, eine sozialverträgliche Lösung anzustreben. Doch es gibt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom Januar aus keinem CDU- oder CSU-geführten Land einen wirklich sozialverträglichen Vorschlag. ({2}) - Sie haben Recht, Herr Tauss. - Sie haben den Eindruck erweckt, Sie hätten Ihre Vorschläge schon in der Schublade und würden sie nach dem Urteil sofort aus der Tasche ziehen. Ich finde es erschreckend und verantwortungslos, dass CDU und CSU Studiengebühren offensichtlich ohne eine einzige sozialverträgliche Sicherung durchpeitschen wollen. ({3}) Es gibt auch wissenschaftspolitische Gründe gegen Studiengebühren. Die OECD hat eine schöne Übersicht über die Studienanfängerquote für ausgewählte Länder vorgelegt: Neuseeland liegt mit 75,8 Prozent auf Platz eins und Deutschland nur auf Platz 23. Polen liegt auf Platz vier und Ungarn auf Platz acht. Wir dürfen also den Zugang zu Bildung nicht durch Studiengebühren verengen, sondern wir müssen den Zugang zum Studium weiter öffnen. Das ist das Gebot der Stunde. ({4}) In unserem Land studieren nicht zu viele junge Menschen, sondern zu wenige. Hinzu kommt, dass sich die wenigen Studierenden noch weniger Studienplätze teilen müssen. Nun argumentiert die CDU/CSU, dass die Studiengebühren zur Verbesserung der Lehre verwendet werden könnten. Damit treffen Sie zunächst den Nerv vieler Studierenden, die mit den Studienbedingungen nicht zufrieden sind. Doch es ist in Anbetracht der überschuldeten Länderhaushalte völlig klar, dass die Universitäten auch mit Studiengebühren nicht mehr Geld in die Kassen bekämen. Es wäre ein Nullsummenspiel. Denn die Studiengebühren würden mit den Landeszuschüssen verrechnet werden. Es ist kein Luxus, wenn wir ein studiengebührenfreies Studium fordern. Im Gegenteil: Die Länder mit den besten Bildungsvoraussetzungen für die nächste Generation werden langfristig ihren Lebensstandard sichern können. Ich finde es schon erstaunlich, wie sich alle Parteien um den Niedriglohnsektor streiten und chinesische Verhältnisse anstreben. ({5}) Wir als PDS sind die Ausnahme. Wir legen den Schwerpunkt auf den Hochlohnsektor. Wir müssen hier in Deutschland in den Hochlohnsektor investieren. Dort liegen die Produktivitäts- und Wertschöpfungsreserven der Zukunft oder - für CDU/CSU-Ohren verständlicher formuliert -: Studiengebühren sind Gift für den Standort Deutschland. ({6}) Dass die Niedriglohnpolitik gescheitert ist, sehen wir tagtäglich im Osten unseres Landes. Gerade im Osten brauchen wir eine Kehrtwende um 180 Grad. Gerade dort brauchen wir mehr Studierende, mehr hochqualifizierte Absolventen und mehr Wissenschaft und Forschung. ({7}) - Wenn Sie eine Frage haben, melden Sie sich doch zu einer Zwischenfrage! Abschließend möchte ich meiner Freude darüber Ausdruck verleihen, dass allein die Ankündigung der Gründung einer größeren Linkspartei in Deutschland dazu geführt hat, dass in allen anderen Parteien über linkes Gedankengut in Wahlprogrammen nachgedacht wird. ({8}) Es wäre gut, wenn das auch über den Wahltag hinaus reichen würde. Vielen Dank. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ute Berg, SPDFraktion. ({0})

Ute Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003504, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen mehr Studierende und wir wollen, dass mehr junge Menschen aus finanziell schwachen Elternhäusern studieren. ({0}) - Das ist gut so. Aber das prägt sich Ihnen anscheinend nicht ein. Behalten Sie es auch! - Das erreichen wir nur, wenn wir den Studierwilligen den Weg nicht durch hohe Kosten verbauen. ({1}) Unsere Überzeugung lautet daher kurz und knapp: Wir setzen weiterhin auf das BAföG und auf ein gebührenfreies Erststudium. ({2}) Eine Neukomposition der Studienfinanzierung, wie die Union sie vorhat, ist aus unserer Sicht nichts anderes als eine Symphonie des Grauens. ({3}) Die CDU/CSU will das BAföG abschaffen und stattdessen ein Kreditsystem installieren. Das heißt, die Studierenden, die von Hause aus zu wenig Geld zum Studieren haben, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, müssen einen Kredit aufnehmen. ({4}) Bei einem monatlichen Kredit von 650 Euro über vier Jahre müsste ein Studierender - das sind noch einmal die Zahlen der Ministerin - am Ende mehr als 47 000 Euro zurückzahlen - und das nur im besten Fall, nämlich bei einem extrem niedrigen Zinssatz von - ich nenne Ihnen diesen genau - 5,1 Prozent; Sie können das nachrechnen. ({5}) Schon damit wäre die Belastung fünfmal höher als die, die sich durch das heutige BAföG ergibt. Aber das ist noch nicht alles: Oben drauf kämen dann noch die Schulden durch Studiengebühren; denn diese sind in Ihrer Modellrechnung noch gar nicht enthalten. Führen wir uns doch lieber einmal vor Augen, was durch das BAföG erreicht wurde. ({6}) - Es stört wahnsinnig, wenn Sie permanent Gegenreden halten. Das haben wir bei Ihnen auch nicht gemacht. Sie sollten ein bisschen leiser sein. ({7}) Jeder Vierte der knapp 2 Millionen Studierenden in Deutschland erhält in der Regelstudienzeit BAföG. Ohne diese Finanzspritze könnten die meisten der Geförderten nicht studieren. Das hat die letzte Untersuchung des Deutschen Studentenwerks gezeigt. Der BAföG-Bericht macht zudem deutlich: Das Bildungspotenzial aus finanzkräftigen, bildungsnahen Familien haben wir weitgehend ausgeschöpft. Aber es finden immer noch zu wenige Kinder aus einkommensschwachen, bildungsfernen Familien den Weg an die Hochschule. Es sind genau 11 Prozent. ({8}) Das liegt zum einen daran, dass viele dieser Kinder gar nicht erst bis zum Abitur kommen. Hier spielen Auswahlmechanismen im Schulsystem eine Rolle, auf die wir natürlich nicht mit hochschulpolitischen Maßnahmen einwirken können. Aber diejenigen, die es bis zur Hochschulreife schaffen, können wir hochschulpolitisch unterstützen. ({9}) Für diese Gruppe ist die finanzielle Unterstützung ein ganz ausschlaggebendes Kriterium dafür, ein Studium aufzunehmen. Die HIS-Studie vom März dieses Jahres wurde eben schon mehrfach zitiert; da können Sie dies ganz deutlich nachlesen. Wer das BAföG abschaffen und es durch Kredite oder Darlehen ersetzen will, der hält diese jungen Menschen von einem Studium ab. Wir wollen genau das Gegenteil. Deshalb hat die rot-grüne Bundesregierung das BAföG seit 1998 enorm aufgestockt; die entsprechenden Zahlen haben Sie eben gehört. ({10}) Diese Bundesregierung hat die Bedarfssätze erhöht, ({11}) den Empfängerkreis erweitert und die Rückzahlung auf maximal 10 000 Euro begrenzt. Es kamen gerade von der Opposition Zurufe, dass die Sätze nicht weiter angehoben wurden. Diese Kritik mag teilweise berechtigt sein. Aber wenn Sie gleichzeitig fordern, das BAföG abzuschaffen, dann ist das geradezu lächerlich. ({12}) - Sie nennen etwas BAföG, was gar kein BAföG ist, Herr Rachel.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss?

Ute Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003504, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gerne. ({0})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Berg, da Herr Rachel vermutlich wusste, wie unbequem meine Frage sein würde, und sie abgelehnt hat, möchte ich Sie an dieser Stelle zu den Bedarfssätzen fragen und nur darauf aufmerksam machen, dass in Ihrer Auflistung möglicherweise untergegangen ist - danach frage ich Sie -, dass wir es waren, die dafür gesorgt haben, dass das Kindergeld nicht mehr auf das BAföG angerechnet wird, und dass das einer der ganz entscheidenden Reformschritte war. Könnten Sie uns zu diesem Thema noch ein paar Erläuterungen geben? ({0})

Ute Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003504, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann nur bestätigen, was Sie gesagt haben. ({0}) - Ich bestätige, was Herr Tauss gesagt hat. Mehr will ich dazu eigentlich gar nicht ausführen. ({1}) Unsere Reform hat einen regelrechten Run auf die Hochschulen ausgelöst. Die Studienanfängerquote ist von 28 Prozent im Jahr 1998 auf gut 37 Prozent eines Jahrgangs angestiegen. Sie wollen das jetzt durch eine große Umstrukturierung zunichte machen. Nach Ihrer vollmundigen Ankündigung im Januar, jetzt im Eilverfahren Studiengebühren einzuführen, wurde allerdings schnell klar, dass die Union kein Konzept hat, wie das sozial abgefedert werden kann. ({2}) Nach einem großen Tusch zum Auftakt machte sich schnell Ratlosigkeit breit, wie es denn nach der Ouvertüre weitergehen soll. Ihre Sinfonie ist bis heute eine unvollendete. In der Musik tut das dem Werk keinen Abbruch, aber in der Politik kann man mit solchen Bruchstücken nichts anfangen. ({3}) Es ist wirklich absurd, dass Sie in Ihrer Einfallslosigkeit nun von der Bundesregierung fordern, Ihnen ein Konzept für die Einführung von Studiengebühren zu entwerfen. ({4}) Das steht in völligem Widerspruch zu dem Verhalten Ihrer Parteifreunde in den Ländern, allen voran Roland Koch; denn die tun wirklich alles dafür, den Bund hochschulpolitisch komplett auszubremsen, und zwar so lange, bis sich gar nichts mehr bewegt. Sehr geehrte Damen und Herren von der Union, es ist unsere Pflicht, für alle jungen Menschen gleiche Chancen in der Berufsausbildung zu schaffen, und zwar mithilfe einer individuellen Ausbildungsförderung. Das BAföG abzuschaffen hieße, dass sich der Staat von dieser zentralen sozialen und bildungspolitischen Verantwortung verabschieden würde.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, auch Sie müssen zum Ende kommen.

Ute Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003504, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Ende. - Die Einführung von Studiengebühren würde die Situation zusätzlich dramatisch verschärfen. Das kann nicht in unserem Interesse sein. Wir wollen gleiche Chancen sowie mehr Bildung und Qualifikation für alle. Deshalb brauchen wir das BAföG. Es ist aus sozial- und bildungspolitischer sowie aus ökonomischer Sicht notwendig. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Vera Dominke, CDU/CSUFraktion. ({0})

Vera Dominke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003518, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute über einen Bericht zur Überprüfung der Bedarfssätze, Freibeträge, Vomhundertsätze und Höchstbeträge nach § 21 BAföG. Nicht ohne Grund ist in § 35 BAföG die regelmäßige Erstellung dieses Berichts vorgeschrieben. Intention des Gesetzgebers war es nämlich, durch diese Berichtspflicht sicherzustellen, dass die Ausbildungsförderung in ihrer Höhe nicht von den allgemeinen Lebenshaltungskosten abgekoppelt wird. ({0}) Schließlich sollen diese Leistungen - das wissen alle ausreichen, damit junge Menschen in der Ausbildung von diesem Geld leben können, wenn sie es denn von Haus aus nicht haben. Die Leistungen des BAföG dienen von ihrer Idee her der staatlichen Herstellung von Chancengerechtigkeit. Bildung und Ausbildung sollen allen jungen Menschen offen stehen und Geldnot darf keine Barriere für Bildungschancen sein. ({1}) Wir lesen nun in diesem Bericht, dass die vorgelegten Daten als solche eine Notwendigkeit der Anpassung der Leistungsparameter begründen. Einen Absatz davor steht genau das Gleiche mit Bezug auf den letzten Bericht aus dem Jahre 2003. Aber nichts ist passiert. ({2}) Das Fazit dieser Feststellungen hätte - wenn wir an die Intention des Gesetzgebers denken - lauten müssen, das BAföG schon im Jahr 2003 und auch 2005 entsprechend anzupassen. ({3}) Aber nichts ist passiert. Stattdessen ruht sich die Bundesbildungsministerin auf der BAföG-Reform des Jahres 2001 aus, die damals bekanntlich auch von der CDU/CSU-Fraktion mitgetragen wurde. ({4}) Das ist also nicht allein Ihre Reform; vielmehr haben wir alle sie mitgetragen. ({5}) Einmal ist etwas Gutes gemacht worden, das dann für alle Ewigkeit ausreichen muss. Gut, dass die Ewigkeit bald zu Ende ist; ({6}) denn das, Frau Ministerin, ist dürftig. Die Leidtragenden sind die jungen Menschen, die auf diese staatliche Unterstützung angewiesen sind. Diese Unterstützung reicht nun nicht mehr aus, da Sie das Leistungsniveau vor Jahren eingefroren haben. Die meisten Studierenden müssen jobben, um sich ihren Lebensunterhalt zu sichern. Das ist nicht im Sinne des Erfinders. ({7}) Frau Ministerin, am stärksten sind übrigens diejenigen betroffen, die aus sozial schwächeren Schichten kommen. Wenn Sie sich also hier hinstellen und darüber jubeln, dass Sie die Zahl der BAföG-Empfänger erhöht haben, ({8}) so ist das von peinlicher Vordergründigkeit. ({9}) Wenn Sie diese gestiegene Zahl von Leistungsempfängern dann auch noch am ausgestreckten Arm verhungern lassen, ({10}) indem Sie ihnen die notwendigen Leistungsanpassungen verweigern, ({11}) dann ist das ein Trauerspiel und eine traurige Nichtleistungsbilanz. ({12}) Sie begründen die Stagnation des Leistungsniveaus damit, dass das nötige Geld fehlt. Damit haben Sie Recht; denn diese Bundesregierung hat die Bundesfinanzen heruntergewirtschaftet. ({13}) Aber gerade in dieser Situation - wo Sie merken, dass Sie es nicht können - müssten Sie doch froh und dankbar sein, dass die Opposition jetzt Vorschläge auf den Tisch legt und Ihnen Gespräche darüber anbietet, wie die Ausbildungsförderung auf eine Basis gestellt werden kann, um für die jungen Menschen wieder Bildungschancengerechtigkeit zu schaffen. Warum verweigern Sie jegliches Nachdenken darüber? Ihr lautstarkes Gezeter - das durften wir auch heute wieder erleben -, die CDU wolle das BAföG abschaffen, durchschaut inzwischen jeder als billige Wahlkampfpanikmache. ({14}) In unserem Antrag geht es uns darum, im Zusammenhang mit den Überlegungen zu Studiengebühren, die wir übrigens gründlich und nicht, wie Sie, im Hopplahoppverfahren anstellen, ({15}) auch die Ausbildungsförderung wieder auf gesunde Füße zu stellen und sie in ein Studienfinanzierungssystem einzubinden, das die Bedarfe der jungen Menschen wirklich abdeckt. ({16}) Frau Ministerin, dem englischen Philosophen Herbert Spencer wird der Ausspruch zugeschrieben: Das große Ziel der Bildung ist nicht Wissen, sondern Handeln. In diesem Sinne haben Sie das Bildungsziel - nicht nur beim BAföG - verfehlt. ({17})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Ernst Dieter Rossmann, SPD-Fraktion.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Drei Redner der Opposition haben ihre Auffassung zum BAföG zum Ausdruck gebracht. Aber ich weiß nicht, ob Sie sich mit der großen BAföG-Reform schmücken wollen, die diese Ministerin und diese Regierung eingeleitet haben, oder ob Sie sich von ihr distanzieren wollen. ({0}) Sie ist unzweifelhaft etwas Positives. Aber Kritik und Lobpreisung, das geht nicht. Eine der Stellungnahmen, die wir bisher gehört haben, war ehrlich: die der FDP. Die FDP hat erstens gesagt, dass sie Änderungen beim BAföG will. Sie will die Gewährung der Leistungen insbesondere auf diejenigen, die in materieller Hinsicht schlechter gestellt sind, konzentrieren. Das heißt, Sie wollen die Leistungen, die andere Gruppen bekommen, kürzen. Das ist eine klare Ansage. Wir dagegen sagen: Das ist nicht unsere Auffassung vom BAföG. ({1}) Das BAföG muss zu einer Stärkung derjenigen führen, die wenig Geld haben, und bis in die Mittelschicht hineinreichen; denn in beiden Bereichen wollen wir Studierende gewinnen und für beide Bereiche, auch für die Kinderreichen, ist eine ausreichende materielle Grundlage wichtig. Aber die klare Ansage der FDP werden wir den Studierenden gern erzählen. Wir werden ihnen überall sagen, dass die FDP die Förderung der Mittelschicht, deren Rückgang sie einmal kritisiert hat, jetzt vollkommen abschaffen will. Diese klare Aussage möchte ich ausdrücklich würdigen. Sie, Herr Königshaus, haben zweitens gesagt, dass Sie der CDU/CSU in Bezug auf das BAföG nicht trauen und ihrem Antrag deshalb nicht zustimmen. Eine klare und ehrliche Ansage! Das hat Herr Königshaus gesagt. ({2}) Was sagt das über die CDU/CSU aus? Es sagt, dass eines klar ist: Die CDU/CSU will das BAföG in der jetzigen Form nicht, ({3}) obwohl genau die jetzige Form Verbesserungen gebracht hat: in Bezug auf die Zahl der Geförderten; in Bezug auf die Zahl der Studierenden; in Bezug auf die Zahl derjenigen, die eine Vollförderung bekommen; in Bezug auf die Zahl derjenigen, die sich einen Auslandsaufenthalt während des Studiums leisten können. Die CDU/ CSU will das BAföG in dieser Form nicht erhalten. ({4}) - Das hat Frau Schavan gesagt, das hat Ihr Staatssekretär in Niedersachsen gesagt, das wird in Brandenburg von der CDU so gesagt und dazu gibt es auch in Hamburg sehr konkrete Vorhaben. Es ist das Gleiche wie mit den Studiengebühren: 1998 hat Herr Stoiber noch verkündet, Sie wollten keine Studiengebühren - 2002 war das auf einmal anders. ({5}) Das werden wir Ihnen in Bezug auf das BAföG nicht durchgehen lassen. ({6}) Sie müssen jetzt schon bekennen, was Sie in Bezug auf das BAföG wollen, und zwar - das ist klar -: Ihnen fließt zu viel Geld ins BAföG und es wird Ihrer Meinung nach an der falschen Stelle eingesetzt. Stattdessen wollen Sie es einsetzen, um Studienkredite zu finanzieren - für alle. Es ist genau wie bei Ihrer Kopfpauschale, bei der Sie auch denken, Sie könnten die Krankenschwester wie den Chefarzt heranziehen. ({7}) So ist es auch hier: Sie wollen die Niedrigverdienenden belasten und das allen, also auch den Bestverdienenden, als Förderung zukommen lassen. Wir sind klar dagegen; das hat unsere Ministerin deutlich gemacht. Es gibt zwei Eckdaten in Bezug auf das BAföG, zu denen Sie sich jetzt äußern könnten. Sie könnten jetzt sagen: Selbstverständlich garantieren wir den Studierenden, dass 50 Prozent der Zuwendungen in Form eines Zuschusses bleiben; das ist das Entscheidende beim BAföG. Das könnten Sie jetzt hier sagen. Das wäre eine klare Aussage, eine klare Perspektive. Es wäre im Sinne der Reform, die auch Sie damals begrüßt und mitgetragen haben. Sie könnten zum Zweiten sagen: Wir gehen nicht über eine Darlehensschuld von 10 000 Euro hinaus. Das wären zwei klare Ansagen, mit denen Sie sagen würden: Wir stehen zum BAföG. - Sie sagen es nicht. Sie wollen es nicht. ({8}) Frau Seib, wenn Sie jetzt mehr sagen wollen als die zwei Vorredner aus Ihrer Fraktion, dann wären Sie mutig, dann wären Sie so mutig, wie es der CSU-Vorsitzende von der hoffnungsvollen Regierungsmehrheit der Zukunft erwartet: jetzt klar zu sagen, was man will. ({9}) Weil Sie es nicht sagen, sollen Sie eines sicher wissen: Wir werden es überall bekannt machen, wir werden es allen Studierenden, allen Familien sagen - in den Mittelschichten, bei den Arbeitern, bei den Angestellten -: Wählt CDU, CSU und FDP, dann müsst ihr viel mehr Geld dafür bezahlen, dass eure Kinder studieren. An den Hochschulen dürfen sie dann Studiengebühren zahlen und später werden sie durch das Zurückzahlen großer Darlehenssummen belastet ({10}) im Übrigen auch dafür, um mitzufinanzieren, was diejenigen bekommen sollen, die es gar nicht nötig haben. Das werden wir bekannt machen. Das wissen im Übrigen auch schon viele Studierende und das weiß man an den Hochschulen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Deswegen ist dieses eine gute Stunde. Es ist die Stunde der Wahrheit für Sie. Es ist eine Stunde, in der wir eine Wahlauseinandersetzung vorbereiten

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, ich darf Sie noch einmal ernsthaft mahnen.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- und wir sind sicher: Die gewinnen wir. Danke. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Marion Seib, CDU/CSUFraktion.

Marion Seib (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist natürlich sehr schön, wenn ich auf solch eine emotionale Rede antworten darf. Ich möchte das zunächst einmal ganz sachlich tun. ({0}) Zuerst einmal: Ihr rot-grünes Projekt ist offensichtlich am Ende ({1}) und jetzt lassen Sie den Motor noch einmal im Leerlauf aufheulen. Ihren Antrag zur integrierten EU-Bildungsförderung, der heute auch hier zu bereden wäre, nur einen Tag vor der Debatte einzubringen, das ist schon verdammt schlechter parlamentarischer Stil. ({2}) Dabei ist die Frage nach einem umfassenden EU-Bildungsrahmenprogramm ein zu wichtiger Punkt - und Sie hätten sieben Jahre Zeit gehabt -, als dass er jetzt taktischen Spielereien geopfert werden sollte. ({3}) Ein derartiges Hereinquetschen hat die Sache nicht verdient. Sie agieren heute wieder wie üblich: Sie fangen alles Mögliche an, bringen aber nichts zu Ende, sondern machen gleich die nächste Baustelle auf; und das auch noch mit falschen Behauptungen. ({4}) So wichtig einzelne Punkte aus Ihrem Antrag auch sein mögen - der Antrag kommt zur Unzeit. Offensichtlich befinden Sie sich mental bereits in der Opposition. Es ist jetzt keine Zeit, neue Forderungen zu stellen. Wir brauchen jetzt einen ordentlichen Haushaltsplan gerade auch für den Bereich Bildung und Forschung. ({5}) Wir brauchen diese Bilanz, damit wir wissen, wo überhaupt noch welche Spielräume existieren. Wir wissen aber schon jetzt: Diese Bilanz wird katastrophal sein. Sie ruhen sich auf den welken Lorbeeren der BAföGNovellierung von 2001 aus. ({6}) Der vorliegende BAföG-Bericht bejubelt einerseits die steigenden Zahlen der geförderten Studierenden, andererseits stellt er kleinlaut fest, dass die Bundesregierung von der notwendigen Erhöhung der Bedarfssätze seit 2003 abgesehen hat. Ich zitiere jetzt: Aufgrund der starken Belastung der öffentlichen Haushalte durch die allgemeine wirtschaftliche Lage, die erheblichen Steuermindereinnahmen sowie die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt hat die Bundesregierung seinerzeit von Anpassungsmaßnahmen abgesehen. Diese angespannte Lage bemerken nicht nur die BAföG-Empfänger, sondern jeder einzelne Bundesbürger spürt sie. Diese angespannte Lage gibt es auch in den Länderhaushalten. Leidtragende sind hier die Universitäten und ganz besonders die Studenten, die unter großen Arbeitsgruppen, lückenhaften Bibliotheksbeständen und veralteten Gerätschaften zu leiden haben. ({7}) Bei einer Gesamtverschuldung der öffentlichen Hand von 1,4 Billionen Euro ist der finanzielle Gestaltungsspielraum für die Bildungs- und Forschungspolitik denkbar gering. ({8}) Solche Zeiten mit beengten Gestaltungsspielräumen verlangen natürlich nach neuen Lösungen. Selbst im Bericht der Bundesregierung zur technologischen Leistungsfähigkeit fordern die Sachverständigen vehement die Einführung von Studiengebühren. ({9}) Vor diesen Forderungen hat Rot-Grün in den vergangenen Jahren konsequent die Augen verschlossen. ({10}) Mehr noch: Durch Ihre unverantwortliche Panikmache verunsichern Sie die Studierenden, Abiturienten und Eltern. ({11}) Noch einmal zur Klarstellung: ({12}) Die CDU/CSU tritt für verträgliche Studiengebühren ein, die eine konkrete Verbesserung der Lehre und damit ein schnelleres und effizienteres Studium ermöglichen und einen früheren Eintritt ins Erwerbsleben zur Folge haben. ({13}) Damit sind auch finanziell schwache Studierende eingebunden und werden auch Familien aus den mittleren Einkommensschichten berücksichtigt, die viel zu häufig aus dem Katalog der BAföG-Bezieher herausfallen. ({14}) Gleichzeitig müssen diejenigen, die finanziell leistungsfähig sind, zur Finanzierung der Hochschule beitragen. ({15}) Ebenso wird einer Fehlentwicklung entgegengesteuert. Bisher tragen Nichtakademiker durch ihre Steuern bis zu 90 Prozent der Ausbildungskosten für Akademiker. ({16}) Die Kosten der Hochschulbildung übernehmen also Millionen von Steuerzahlern, die nie eine Hochschule besucht haben, während der Ertrag den Hochschulabsolventen zugute kommt. ({17}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, Studienbeiträge können nur ein erster Schritt hin zu einem effizienteren und besseren Studium in Deutschland sein. Auch im Bereich der Ausbildungsförderung müssen wir weiter vorausdenken; denn trotz BAföG arbeiten neun von zehn Studenten während des Studiums. ({18}) Auf dieses Arbeitseinkommen sind die meisten Studenten angewiesen. Häufig führt dies zu langen Studienzeiten und sogar zum Studienabbruch. Aufgrund solcher Faktoren liegt nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft die Rendite eines Studiums in Deutschland im Durchschnitt nur bei 9 Prozent. ({19}) Zum Vergleich: In Frankreich und in den Vereinigten Staaten beträgt sie 15 Prozent und in Großbritannien 17 Prozent. Deswegen tritt die CDU/CSU für eine Weiterentwicklung des BAföG ein. ({20}) Zusätzlich zum BAföG brauchen wir ein Konzept. Wir brauchen auch Bildungskredite und das Bildungssparen. Glauben Sie denn allen Ernstes, dass Akademiker mit ihren Gehältern einen Kredit von 5 000 Euro nicht stemmen können? ({21}) Diese können sie über viele Jahre - bis zu zwei Jahrzehnte lang - zurückzahlen. Sie halten unsere akademisch ausgebildete Bevölkerung wirklich für reichlich unfähig. ({22}) Die Kreditanstalt für Wiederaufbau hat bereits den ersten Schritt getan und bietet ab Oktober einen Studienkredit an. Die Deutsche Bank will mit einem ähnlichen Angebot nachziehen und die Genossenschaftsbanken können bereits heute Sofortangebote machen. Dieser gordische Knoten ist bereits durchgeschlagen. Jetzt kommt es auf die Weiterentwicklung einer modernen Studienfinanzierung an. Legen Sie Ihre ideologischen Scheuklappen ab und arbeiten Sie daran mit! Herzlichen Dank. ({23})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur Überweisung von Tagesordnungspunkt 2 a. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 15/4995 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Es sieht so aus, als könnten wir das einvernehmlich tun. - Dann ist das so beschlossen. Zum Tagesordnungspunkt 2 b liegt die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 15/5592 zum Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel vor: „Konsequenzen aus dem Studiengebührenurteil für die Bildungs- und Hochschulfinanzierung des Bundes“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf der Drucksache 15/4931 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dann ist die Beschlussempfehlung mit Mehrheit angenommen. Wir kommen zum Zusatzpunkt 2: Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/5675 mit dem Titel „Für ein integriertes EU-Bildungsrahmenprogramm Mobilität und Austausch für ein zusammenwachsendes, innovatives und wettbewerbsfähiges Europa“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Antrag ist mit der Mehrheit des Hauses angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas Strobl ({0}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes zur Korrektur der Grundmandatsklausel ({1}) - Drucksache 15/4718 ({2}) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({3}) - Drucksache 15/5664 Berichterstattung: Abgeordnete Barbara Wittig Thomas Strobl ({4}) Silke Stokar von Neuforn Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich gerne eine Delegation des griechischen Parlaments auf der Besuchertribüne begrüßen. Wir freuen uns, dass Sie hier sind, und wünschen Ihnen einen schönen Aufenthalt in Berlin. ({5}) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Dr. Dieter Wiefelspütz für die SPD-Fraktion.

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden heute über einen Gesetzentwurf der Unionsfraktionen mit dem Ziel, die Zahl der Grundmandate von drei auf fünf anzuheben. Ich will gleich vorab sagen, dass wir diesem Begehren nicht zustimmen werden. Wir haben darüber an anderen Stellen ausreichend gesprochen. Die Argumente sind relativ einfach zu gewichten. Wir haben die Grundmandatsklausel nach der Wiedervereinigung Deutschlands nicht verändert. Diese Tatsache ist in den 90er-Jahren Gegenstand eines Wahlprüfungsverfahrens gewesen. 1996/97 hat es dazu eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes gegeben, die den Fachleuten unter den Parlamentariern bekannt ist. Ich zitiere eine Entscheidung aus dem 95. Band, in dem das Gericht ausgeführt hat, es sei von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber nach der Vergrößerung des Wahlgebietes durch die Wiedervereinigung Deutschlands die Anzahl der Grundmandate nicht erhöht hat. Das ist eine überzeugende Ableitung, die das Verfassungsgericht vorgenommen hat. Dem ist heute von der Sache her nichts hinzuzufügen. Verfassungsrechtlich ist es keinesfalls geboten, die Grundmandatsregelung zu ändern. Ich räume ein: Es wird verfassungsrechtlich zulässig sein, weil der Gesetzgeber an dieser Stelle einen weiten Ermessensspielraum hat. Gleichwohl sage ich: Wir vonseiten der SPD-Bundestagsfraktion wollen bei der bisherigen Regelung bleiben, weil jede Veränderung der Grundmandatsklausel es Parteien, die in der Region stark sind, erschweren würde, in das Parlament zu kommen. Es ist nicht zu erkennen, welchen Sinn es machen sollte, das regional starken Parteien durch eine Änderung der Grundmandatsklausel zu erschweren. Es gibt - dies zum Schluss - noch einen ganz wichtigen Punkt, der gegen diesen Gesetzentwurf spricht: Im Gesetzentwurf steht, dass das Gesetz - wenn man hier eine Mehrheit hätte - zum 1. Juli dieses Jahres in Kraft treten sollte. Nun wissen wir alle, dass möglicherweise schon sehr bald vorgezogene Bundestagswahlen stattfinden. Vor diesem Hintergrund ist es nach meiner festen Überzeugung nicht darstellbar, dass wir solch einen Gesetzentwurf jetzt mit Mehrheit verabschieden. Das hätte nicht nur ein Geschmäckle, sondern eher den Geruch von Manipulation. Ich betone: Das ist sicher nicht die Absicht der Antragsteller gewesen, weil man diese Entwicklung natürlich nicht voraussehen konnte. Nach wie vor steht das aber so im Entwurf; auch deshalb ist dieses Ansinnen nicht zu akzeptieren. Man wird sicherlich in der nächsten Wahlperiode erneut über dieses Thema zu reden haben. Ich glaube, die überwiegenden Gründe sprechen dafür, dass der Gesetzgeber von seinem Ermessen dahin gehend Gebrauch macht, es bei der Grundmandatsklausel, die wir jetzt im Bundeswahlgesetz haben, zu belassen. Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Präsidium bedankt sich für die mustergültige Unterschreitung der Redezeit, was so selten vorkommt, dass das nicht unkommentiert geschehen sollte. ({0}) - Diese Nebenwirkung war weder beabsichtigt noch würde sie zu einer erneuten Belobigung führen. Jetzt hat das Wort der Kollege Thomas Strobl für die CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach dem an Leidenschaft kaum zu übertreffenden Vortrag des Kollegen Dr. Wiefelspütz ({0}) möchte ich unseren Gesetzentwurf gerne begründen. Eine Partei kommt nur in den Deutschen Bundestag, wenn sie entweder mehr als 5 Prozent der Stimmen erhält oder drei Direktmandate erringt. Diese Sperrklauseln - darüber haben wir, so glaube ich, einen ganz großen Konsens hier im Hause - haben sich grundsätzlich bewährt, weil sie einer Zersplitterung der Parteienlandschaft entgegenwirken. Allerdings besteht seit der deutschen Einheit eine aus unserer Sicht bedenkliche Diskrepanz zwischen der Fünfprozentklausel und der so genannten Grundmandatsklausel, die, wie gesagt, den Einzug einer Partei dann ermöglicht, wenn sie drei Direktmandate in Deutschland erzielt. Ich will einige wenige Zahlen nennen: Bei der Wahl 1998 konnten die drei Direktmandate mit 180 000 Stimmen erzielt werden. Um über die Fünfprozenthürde zu kommen, waren mehr als 2,3 Millionen Stimmen erforderlich. Dies ist eine gewaltige Diskrepanz. Anders gesagt: Um drei Direktmandate zu erzielen, bedarf es 0,6 Prozent der Stimmen, um die Fünfprozenthürde zu überwinden, sind logischerweise 5 Prozent erforderlich. Die Proportionierung zwischen Grundmandatsklausel und Fünfprozentklausel stammt aus der Zeit vor der Einheit Deutschlands. Mit der Wiedervereinigung hat sich die Anzahl der Wahlberechtigten um ein knappes Drittel erhöht. Ebenso stieg die Anzahl der Wahlkreise deutlich an. In der alten Bundesrepublik gab es 248 Wahlkreise. Die Zahl stieg nach der Wiedervereinigung auf 328 an und wurde dann durch die Verkleinerung des Deutschen Bundestages zur letzten Bundestagswahl auf 299 gesenkt, ist aber immer noch deutlich größer - 51 Abgeordnete - als vor der deutschen Wiedervereinigung. Die Zahl der Grundmandate blieb jedoch unverändert; es sind immer noch drei. Damit klaffen Grundmandatsklausel und Fünfprozenthürde unserer Auffassung nach unverhältnismäßig auseinander bzw. - anders ausgedrückt - die Fünfprozentklausel kann durch die Grundmandatsklausel leicht unterlaufen werden. Daher ist eine Anpassung der Zahl der Grundmandate an die vor der Wiedervereinigung geltenden Verhältnisse nach unserer Auffassung richtig. Die Rechtsextremisten haben übrigens die Möglichkeit erkannt, verehrter Kollege Dr. Wiefelspütz, an der Fünfprozentklausel vorbei in den Bundestag einzuziehen. ({1}) Die NPD hat mit Blick auf die Bundestagswahl einen Strategiewechsel vorgenommen. ({2}) Ich zitiere aus der Zeitung „Die Welt“ vom 30. Mai dieses Jahres: Thomas Strobl ({3}) Die NPD will bei der vorgezogenen Bundestagswahl über Direktmandate ins Parlament einziehen. Die Rechtsextremisten peilen nicht mehr das Überspringen der Fünfprozenthürde an. „Wir konzentrieren uns auf den Erfolg durch drei Direktmandate“, sagte der stellvertretende Parteivorsitzende … Wir möchten auch politisch nicht, dass drei Wahlkreise gewonnen werden und dann plötzlich 40 bis 50 extremistische Abgeordnete für eine Partei im Deutschen Bundestag sitzen, deren Wahlergebnis bei etwa 4 Prozent liegt. Das wollen wir nicht. ({4}) Wir wollen nicht, dass Parteien des rechten Randes - oder auch des linken, Herr Ströbele - Einzug in den Deutschen Bundestag halten. Sie müssen sich einmal bewusst machen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD und den Grünen, um welche politischen Parteien es sich dabei handelt. Das sind schließlich keine Bürgerrechtsbewegungen; wir reden über extremistische, verfassungsfeindliche und populistische Parteien des rechten und linken Randes. Deswegen halten wir es für geboten, die Anzahl der erforderlichen Grundmandate anzuheben, um die Diskrepanz in den Proportionen, bezogen auf die Fünfprozentsperrklausel, zu verringern. ({5}) Wohlgemerkt: Es geht uns nicht um eine grundsätzliche Änderung oder gar um die Abschaffung der bewährten Regelungen. Wir sind völlig davon überzeugt, dass die Regelungen im Grundsatz richtig sind. Wir wollen lediglich eine Anpassung an die Verhältnisse im größer gewordenen, wiedervereinigten Deutschland. Nicht mehr, aber auch nicht weniger ist der Inhalt unseres Gesetzentwurfs. Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Josef - ({0}) - Damit werden wir fertig. - Das Wort hat der Kollege Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Strobl, Sie wollen die Zahl der Grundmandate von drei auf fünf erhöhen. Eine Partei soll erst dann entsprechend ihrem Stimmenverhältnis in den Deutschen Bundestag einziehen können, wenn sie mindestens fünf Mandate erringt. Sie haben in diesem Zusammenhang eine Reihe von Zahlen genannt. Zum Beispiel haben Sie angegeben, dass die Zahl der Wahlberechtigten um 29 Prozent gestiegen sei, wodurch eine höhere Zahl von Grundmandaten erforderlich werde. Ich sage Ihnen - Ströbele sagt Strobl -: ({0}) Das ist keine rein rechnerische Aufgabe; es ist keine Frage der Mathematik, sondern der Demokratie. ({1}) Die Demokratie hängt nicht von solchen Zahlen ab. Die vielen Väter und wenigen Mütter des Grundgesetzes haben sich bei der bestehenden „Nicht-Regelung“ etwas gedacht. Sie sind gar nicht davon ausgegangen, dass sich die erforderlichen Stimmenzahlen zur Überwindung von Grundmandats- und Fünfprozentklausel entsprechen müssen, Sie haben schlicht einen eigenen, anderen Weg zur Berücksichtigung der Wählerstimmen einer Partei im Deutschen Bundestag zugelassen. Daran reden Sie vorbei. Die Zahl der Mandate spielt dabei keine Rolle. ({2}) Deshalb zielt, wenn ich es richtig sehe, Ihr Antrag auf Änderung des § 6 des Bundeswahlgesetzes ({3}) auf eine politische Auseinandersetzung. Sie haben das auch angedeutet: Sie wollen nicht, dass kleinere Parteien, die beispielsweise mit 4,9 Prozent knapp an der Fünfprozenthürde scheitern, durch das Erringen von drei Grundmandaten in den Deutschen Bundestag kommen. Der Stimmenanteil einer solchen Partei soll also keine Berücksichtigung finden. Sie versprechen sich als große Partei davon eine komfortablere Mehrheit, möglicherweise sogar die absolute Mehrheit im Deutschen Bundestag. Dieses Ansinnen einer großen Partei kann man durchaus verstehen. Aber Sie sollten sagen, dass das der eigentliche Hintergrund ist. Es geht also nicht um Forderungen nach demokratischer Repräsentation. Sonst müsste man auch darüber nachdenken, ob die demokratische Legitimation überhaupt noch ausreichend ist, wenn beispielsweise „nur“ 70 Prozent, 50 Prozent oder sogar weniger der Bevölkerung zur Wahl gehen und die im Bundestag vertretene Mehrheit vielleicht nur durch ein Drittel der Wahlbürger - manchmal ist es noch weniger - legitimiert ist. Ich bin der Meinung, das ist auch dann der Fall; denn das ist nicht alleine eine Frage der Zahlen. Dieser Regelung liegt nämlich ein ganz anderer Ansatz zugrunde, nämlich der - insofern hat das sehr wohl etwas mit dem Grundgesetz zu tun -, dass eine Partei, auch wenn sie an der Fünfprozenthürde scheitert, gleichwohl eine Legitimation erringen kann, in den Bundestag zu kommen. Sie wissen ja, dass die Fünfprozentklausel bei uns umstritten ist. Die Grünen sind immer dafür gewesen, diese Hürde zu senken, weil sie stets gesagt haben: Das ist zu hoch, man sollte sich mit einer niederen Hürde begnügen. Aber das ist heute nicht Gegenstand der Diskussion. Die Grundüberlegung für diese andere Legitimation ist: Wenn eine Partei in einigen Wahlkreisen so stark ist, dass sie die Mehrheit der dortigen Bevölkerung repräsentiert, dann soll die Partei insgesamt Berücksichtigung finden; denn dann vertritt diese Partei so wichtige politische Inhalte, dass diese auch im Bundestag zur Sprache kommen sollten. Dieser Weg ist richtig, und zwar unabhängig davon, wie groß die Bevölkerung ist und wie hoch die Zahl der Wählerstimmen für die Grundmandate - egal, ob drei, vier oder fünf - ist. Wenn eine Partei drei Grundmandate erringt, zeigt dies, dass die entsprechende Partei in bestimmten Teilen der Bevölkerung hinreichend stark verankert ist. Nach dem, was der Wählerwille ihr an Stimmen und dementsprechend an Sitzen zubilligt, ist sie deshalb im Bundestag vertreten. Wir setzen uns deshalb für den Erhalt der drei Grundmandate ein. Wir plädieren aber eher für eine Senkung der Fünfprozenthürde; denn ich glaube nicht, dass unsere Demokratie gefährdet wäre, wenn noch eine weitere Partei - die zwar nicht von 5 Prozent der Wähler gewählt worden ist, die aber drei Grundmandate errungen hat - im Deutschen Bundestag vertreten wäre. Ihre Intention ist nicht unsere. Deshalb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab. Wir meinen, dass wir damit der Demokratie und den unterschiedlichen Ansätzen der demokratischen Wahl nur Gutes antun. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Jörg van Essen, FDP-Fraktion.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP-Bundestagsfraktion teilt die Auffassung, die vonseiten der SPD-Fraktion und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vertreten wird. ({0}) - Das ist so. Manchmal gibt es offensichtlich Gründe, die dazu führen, dass man selbst bei dieser Koalition zu einer gleichen Auffassung kommt. Wenn Sie meine Argumente hören, wird es Ihnen vielleicht sogar einleuchten, warum das so ist. Herr Kollege Strobl, es hat mich sehr überrascht, dass Sie hier auf das Stimmenvolumen hingewiesen haben, das notwendig ist, um 5 Prozent der Stimmen auf der einen Seite und drei Grundmandate auf der anderen Seite zu erreichen. Wie Sie wissen, hat sich das Bundesverfassungsgericht mit diesen unterschiedlichen Stimmenvolumen befasst und eindeutig festgestellt, dass das verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Das ist eine ganz wichtige Aussage, die ich deshalb an den Anfang meiner Überlegungen stelle. Natürlich hat es seit der deutschen Wiedervereinigung Veränderungen gegeben; das weiß ich ebenfalls. Aber ich bin der Auffassung, dass schon die geltende Hürde außerordentlich hoch ist. Dass sie so hoch ist, zeigt sich auch in diesem Hause. Wir haben insgesamt vier Fraktionen, von denen es meiner eigenen nicht gelungen ist, ein solches Mandat zu erringen, obwohl die Partei offensichtlich Gewicht hat und entsprechende Hürden wie die Fünfprozentklausel überschreiten konnte.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege van Essen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Strobl?

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Selbstverständlich gern.

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bedanke mich, Herr Kollege van Essen. - Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Wir haben nie behauptet, die derzeitige Regelung sei verfassungsrechtlich nicht in Ordnung. Sie haben völlig Recht. Das Bundesverfassungsgericht hat sich dazu geäußert und dem Gesetzgeber einen - ich sage es jetzt einmal mit meinen Worten - sehr weiten Ermessensspielraum zugewiesen. Das heißt aber auch, dass wir als Gesetzgeber durchaus die Möglichkeit hätten, die Zahl der Grundmandate auf fünf anzuheben. Weder ist also die derzeitige Lage verfassungswidrig, noch ist unser Antrag mit der Verfassung nicht in Einklang zu bringen; wir als Abgeordnete haben ein gesetzgeberisches Ermessen und in diesem Rahmen eine politische Entscheidung zu fällen. Ich frage, ob Sie das zur Kenntnis nehmen, damit wir nicht aneinander vorbei diskutieren.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich hatte nicht das Gefühl, dass wir aneinander vorbei diskutieren. Mir war nur aufgefallen, dass Sie besonders intensiv auf diese Diskrepanz hingewiesen haben und deshalb bei Zuhörern der Eindruck entstehen konnte: Das kann doch rechtlich nicht stimmen. Es gab eine Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht und diese Überprüfung hat klar und eindeutig ergeben, dass diese Diskrepanz verfassungsmäßig ist. Sie haben allerdings Recht mit der Feststellung - und das gestehe ich Ihnen ganz selbstverständlich zu -, dass wir ein gesetzgeberisches Ermessen haben. Ich versuche im Augenblick zu begründen, warum wir der Meinung sind, dass wir von diesem gesetzgeberischen Ermessen nicht Gebrauch machen sollten. Wir meinen, es sei klug, das nicht zu tun. Jetzt würde ich gern in meinen Ausführungen fortfahren. Tatsache ist: Wenn eine politische Gruppierung irgendwo drei Grundmandate erzielt - insbesondere auch gegen die großen Parteien, die normalerweise in den Wahlkreisen die Direktmandate erringen -, dann zeigt das, dass sie ein gewisses politisches Gewicht hat. Für uns ist das ein ganz wichtiger qualifizierter Minderheitenschutz. Demokratie lebt auch davon, dass Minderheiten sich im Parlament wiederfinden können, wenn sie ein gewisses Gewicht erreicht haben. Die Vergangenheit und die bisherige Praxis in der Bundesrepublik Deutschland zeigen, dass diese Grundmandatsklausel offensichtlich notwendig war. Sie hat beispielsweise bei der PDS dazu geführt, dass sie 1998 wegen dieser Klausel in einer größeren Stärke in den Bundestag einziehen und sich hier artikulieren konnte. Bei der letzten Wahl ist das nicht gelungen. Deshalb gehört es zum Spiel der Demokratie, auch den Kräften, die in einzelnen Wahlkreisen offensichtlich so viele Menschen für sich begeistern können, dass sie die Mehrheit der Erststimmen in mindestens drei Wahlkreisen bekommen, die demokratische Mitgestaltungsmöglichkeit zu geben. Das können auch Parteien des politischen Randes sein. Dann müssen wir uns politisch mit ihnen auseinander setzen. Bei meiner letzten Bemerkung geht es, wie auch beim Kollegen Wiefelspütz, um die Frage des Stils; uns Freien Demokraten ist das ganz besonders wichtig. Man kann eine solche Änderung nicht unmittelbar vor einer Bundestagswahl vornehmen, insbesondere dann nicht, wenn verschiedene Gruppierungen darauf hoffen, über diesen Weg in den Bundestag zu kommen. ({0}) Das wäre, wie ich finde, schlechter Stil. Das ist Ihnen nicht vorzuwerfen, weil Sie die neueren Entwicklungen zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht ahnen konnten. Dennoch: Auch deshalb sollte man Ihrem Entwurf heute nicht zustimmen. Herzlichen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat die Kollegin Petra Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeswahlgesetz sieht zwei Wege vor, über die eine Partei in den Bundestag einziehen kann. Entweder sie überwindet mit den Zweitstimmen die Fünfprozenthürde oder mindestens drei Kandidaten dieser Partei gewinnen dank der so genannten Erststimmen ihre Wahlkreise direkt. Das Letztere nennt man Grundmandatsklausel. CDU und CSU wollen sie ändern. Geht es nach ihrem Willen, müssten künftig mindestens fünf Direktmandate errungen werden, das heißt, in fünf Wahlkreisen müsste die jeweilige Kandidatin oder der jeweilige Kandidat die Mehrheit der abgegebenen Wählerstimmen auf sich vereinigen, damit die so erfolgreiche Partei Mitglied des Bundestages werden kann. Diesen Vorschlag lehnt die PDS erwartungsgemäß ab. Gesine Lötzsch und ich haben jetzt fast drei Jahre lang als direkt gewählte Abgeordnete hier im Bundestag gearbeitet. Alle Versuche, unsere Rechte als direkt gewählte Abgeordnete zu stärken und unsere Arbeitsbedingungen zu verbessern, sind an der Mehrheit des Bundestages gescheitert. Die Logik, die in diesen Debatten immer wieder gegen uns ins Feld geführt wurde, ist ganz übersichtlich: Wir zwei seien keine Fraktion und dürften daher auch nicht die gleichen Rechte wie der direkt gewählte Abgeordnete Ströbele oder der direkt gewählte Abgeordnete Strobl für uns beanspruchen. Auch diese Logik kippt übrigens in ihr Gegenteil, wenn Sie einmal die Sicht des direkt gewählten Abgeordneten oder aber die Sicht der Wählerinnen und Wähler, die uns mit Mehrheit in diesen Bundestag geschickt haben, einnehmen; denn eigentlich sind diese Wählerinnen und Wähler die Benachteiligten. Sie werden zweitklassig behandelt und sie würden erneut benachteiligt, wenn Sie sich nun mit Ihrem Antrag durchsetzten und die Grundmandatsklausel auf fünf direkt gewählte Abgeordnete angehoben würde. Dies zeigt: Es geht der CDU/CSU nicht um Recht, sondern doch eher um Ungestörtheit in Zukunft. Das kann man natürlich nicht in die Begründung eines Gesetzentwurfs schreiben. Also hat die CDU/CSU gemeint, sie wolle aus der Weimarer Republik Lehren ziehen und verhindern, dass links- und rechtsextremistische Splitterparteien über die Grundmandatsklausel - Sie nennen sie in Ihrem Gesetzesentwurf „Trojanisches Pferd“ - in den Bundestag gelangen. Ich finde das absurd. Seit 1990 hat nur eine Partei von der Grundmandatsklausel profitiert: Das war 1994 die PDS. Es gab seither keine andere Partei und es gibt derzeit auch keine andere Partei, die drei oder mehr Grundmandate gewinnen könnte und die Fünfprozenthürde mehr oder weniger knapp verfehlt. Es geht Ihnen also in Wahrheit darum, den Wählerinnen und Wählern der PDS zu schaden. ({0}) Ich finde, das zeugt von wenig Souveränität, noch dazu kurz vor einer Wahl, die Sie ja gewinnen wollen, wenn ich das alles richtig verstehe. Dass die PDS im Bundestag das nicht unwidersprochen lassen kann, versteht sich. Wir werden aber diesen Versuch von CDU/CSU, Wählerstimmen konkurrierender Parteien kleinzurechnen, nicht hier in diesem Raum belassen. Vor allem aber wird die PDS nun erst recht um mindestens fünf Bundestagswahlkreise kämpfen und gewinnen. Zum Schluss: Sie hätten es in der Hand gehabt, in dieser knappen Zeit, die uns als 15. Bundestag noch verbleibt, über wichtigere Fragen wie Arbeitsmarktpolitik oder die Rechte von Kindern und Jugendlichen zu sprechen - schade eigentlich.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Pau, um Missverständnisse bei den Zuhörern auszuschließen, muss ich nun doch darauf hinweisen, dass es nach unserer Verfassung und nach der Geschäftsordnung des Bundestages ganz sicher keine unterschiedlichen Rechte für jeweils direkt gewählte Abgeordnete mit oder ohne Fraktionszugehörigkeit gibt. ({0}) Mit Blick auf Redezeiten gibt es ganz gewiss eine Privilegierung von nicht Fraktionen angehörenden direkt gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages. ({1}) Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion. ({2})

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Die Debatte, die wir am heutigen Tag führen, könnte angesichts der mit großer Wahrscheinlichkeit bevorstehenden Bundestagswahl am 18. September nicht aktueller sein. Ich möchte an dieser Stelle gleich zu Beginn eines festhalten: Dieser Gesetzentwurf ist von uns zu einem Zeitpunkt eingebracht worden, als noch überhaupt nicht absehbar war, dass es möglicherweise am 18. September Neuwahlen geben wird. ({0}) Es geht bei dieser Debatte zum einen darum, wie gerecht und wie pragmatisch unser Bundeswahlgesetz ist. Es geht aber vor allem auch darum, inwiefern die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit, die Chancengleichheit der politischen Parteien und der gleiche Erfolgswert von Stimmen zu wahren sind. Ich muss schon sagen, ich bringe der Haltung der FDP eine gewisse Verwunderung entgegen. Sie wissen doch, dass der PDS 1994 258 000 Erststimmen gereicht haben, um vier Direktwahlkreise zu gewinnen. Der Erfolgswert einer FDP-Stimme lag damit bei nur einem Zehntel des Erfolgswerts einer PDS-Stimme. ({1}) Offenbar müssen wir als Unionsfraktion im Vorgriff auf die spätere schwarz-gelbe Koalition ihre Interessen schon mit vertreten. ({2}) Es geht um die entscheidende Frage, ob die beiden Sperrklauseln im Bundeswahlgesetz - daraus ergibt sich, welche Parteien in den Bundestag einziehen -, nämlich die 5-Prozent-Klausel und die Drei-GrundmandateKlausel, noch gleichberechtigt sind - vor dem Hintergrund, dass beispielsweise bei der Bundestagswahl 1998 bereits 180 000 Erststimmen ausgereicht haben, um drei Wahlkreise direkt zu gewinnen, hingegen über 2,3 Millionen Zweitstimmen erforderlich waren, um über die 5-Prozent-Klausel zu kommen, vor allem auch vor dem Hintergrund, dass in allen Wahlkämpfen von allen Parteien behauptet wird, die Zweitstimme sei die entscheidende Stimme, die Zweitstimme sei die Kanzlerstimme. Es ist offenbar doch nicht so. Der Erfolgswert einer Erststimme ist wesentlich höher als der einer Zweitstimme. Deswegen gilt es, entsprechende Änderungen vorzunehmen. Lieber Kollege Ströbele, es geht nicht darum, dass die Union einen Machtanspruch verteidigen will oder unliebsame Parteien sozusagen aus dem Parlament drängen will, es geht auch nicht darum, dass wir Parteien, die nur 4,9 Prozent der Zweitstimmen erreichen, den Einzug in den Bundestag verwehren wollen, es geht um die interessante Frage, ob eine Splitterpartei - ich sage das ganz bewusst -, die gerade mal drei Wahlkreise direkt erringt, wirklich eine Partei von besonderer politischer Kraft ist, wie es das Bundesverfassungsgericht in dem Urteil vom 10. April 1997 formuliert hat. ({3}) In Deutschland gibt es derzeit 299 Wahlkreise. Drei Wahlkreise sind also ungefähr 1 Prozent der Wahlkreise. Ich persönlich gehe nicht davon aus, dass eine Partei, die nur 1 Prozent der Wahlkreise in Deutschland direkt gewinnt, eine Partei von besonderer politischer Bedeutung ist. ({4}) Das ist die grundsätzliche Frage, die wir uns stellen müssen. Ich bin mit dem Bundesverfassungsgericht selbstverständlich der Auffassung, dass die heute geltende Regelung verfassungsgemäß ist. Es geht auch gar nicht darum, erst verfassungsgemäße Zustände zu schaffen. Nach Auffassung der Union geht es darum, dem Gleichheitsgrundsatz größere Bedeutung beizumessen und ihm, gerade was den Erfolgswert der Wählerstimmen, aber auch die Gleichbehandlung der Parteien insgesamt anbelangt, stärker Geltung zu verschaffen. ({5}) Deshalb ist eine Anpassung der Drei-GrundmandateKlausel unbedingt erforderlich; statt drei sollten es fünf Grundmandate sein. Das gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass es natürlich auch um die Wahrung der Funktionsfähigkeit des Parlaments geht. Uns allen sind die schrecklichen Vorkommnisse in der Weimarer Republik in bester Erinnerung - in Anführungszeichen -, als das Parlament häufig nicht mehr handlungsfähig war. Auch beim Parlament in seiner jetzigen Verfassung ist fraglich, ob die Funktionsfähigkeit noch gegeben ist. Stephan Mayer ({6}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann Sie nur auffordern, unseren Gesetzentwurf zu unterstützen, und hoffe auf Ihre Zustimmung. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU zur Änderung des Bundeswahlgesetzes zur Korrektur der Grundmandatsklausel auf Drucksache 15/4718. Der Innenausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/5664, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? ({0}) Der Gesetzentwurf ist ganz ohne Zweifel mit Mehrheit angenommen. ({1}) Zur Geschäftsordnung hat sich der Kollege Küster zu Wort gemeldet. Er erhält selbstverständlich das Wort.

Dr. Uwe Küster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist schön, Herr Präsident. - Weil das unsicher ist, beantrage ich, dass die Stimmen richtig schön ausgezählt werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das können wir gerne tun, zumal wir eine übersichtliche Besetzung haben. ({0}) - Es besteht doch gar kein Grund zur Aufregung. ({1}) - Nein, nein. Wir haben doch hier im Unterschied zu Hammelsprüngen, bei denen die Feststellung der tatsächlichen Mehrheitsverhältnisse etwas komplizierter ist, eine überschaubare Besetzung. Wir haben jetzt gerade noch einmal nachgezählt. Unter Berücksichtigung auch mancher Flügeladjutanten, die sich nicht gleich im Blickfeld befanden, ergibt sich als tatsächliches Mehrheitsverhältnis: 19 Ja-Stimmen zu 22 Nein-Stimmen. Damit müsste eigentlich jede weitergehende Ambition des Geschäftsführers der SPD-Fraktion erledigt sein. ({2}) - Da der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD mit der Feststellung des amtierenden Präsidenten, dass sich nach genauem Nachzählen eine Mehrheit für die Ablehnung ergeben hat, nicht einverstanden ist, beziehe ich mich gerne auf die von ihm vermutete Unstimmigkeit im Präsidium und lasse das Stärkeverhältnis durch Hammelsprung feststellen. ({3}) Wir werden also die Sitzung für einige Minuten unterbrechen und dann den gewünschten Hammelsprung durchführen. Es gibt dazu ja in dieser Legislaturperiode nicht mehr ganz so viele Gelegenheiten. Der Hammelsprung gehört offenkundig zu den Aktivitäten, die man sich von Zeit zu Zeit gönnen muss. Um den Hammelsprung durchführen zu können, müssen alle Mitglieder des Hauses den Saal verlassen und sich in der bekannten Weise dieser eindrucksvollen Zeremonie im Foyer aussetzen. Ich unterbreche die Sitzung. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Die Schriftführer geben mir das Zeichen, dass die Türen besetzt sind und dass wir mit der Durchführung des Hammelsprungs beginnen können. Ich eröffne hiermit die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer an den Türen, mir einmal zu signalisieren, ob sich noch Kollegen in der Lobby aufhalten. - Ich mache darauf aufmerksam, dass wir in zwei Minuten die Abstimmung abschließen werden. Darauf sollten sich bitte sowohl die Fraktionen als auch die Schriftführer einstellen. Ich bitte nun die Schriftführer, die Türen zu schließen und das Abstimmungsergebnis festzustellen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der Abstimmung über den Gesetzentwurf in zweiter Lesung bekannt. Mit Ja haben gestimmt 157 Mitglieder des Hauses, mit Nein 268. ({0}) Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt. Nach unserer Geschäftsordnung entfällt somit die weitere Beratung. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, die wieder in ihre Ausschüsse wollen und müssen, den Plenarsaal möglichst zügig zu verlassen, damit ich den nächsten Tagesordnungspunkt nicht nur aufrufen kann, sondern wir über das Thema auch unter angemessenen Bedingungen verhandeln können. Inzwischen sind auch wieder hinreichend Sitzplätze für alle vorhanden, ({1}) von denen ich Gebrauch zu machen bitte, weil dies die Übersicht in der Debatte enorm fördert. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 6 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({2}) zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Aufbruch und Perspektiven - Zukunftschancen für Jugendliche in Deutschland stärken - Drucksachen 15/5255, 15/5394 Berichterstattung: Abgeordneter Wolfgang Meckelburg Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Junge gut ausgebildete Menschen sind die Zukunft unseres Landes. Nur so schaffen wir die Basis für den Erhalt der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. Vieles wurde erreicht, aber die Herausforderungen in einer alternden Gesellschaft bleiben groß. Wir brauchen und haben einen umfassenden Ansatz. Dieser reicht von verbesserten Betreuungsangeboten für Kleinkinder, dem Auf- und Ausbau von Ganztagsschulen bis hin zum Ausbildungspakt und den Arbeitsmarktreformen der letzten Jahre. Der Umbau der Bundesagentur zu einem modernen Dienstleister am Arbeitsmarkt stärkt insbesondere die Vermittlung. Für die jungen erwerbsfähigen, hilfebedürftigen Menschen unter 25 steht mittlerweile ein Personalschlüssel von 1 : 75 zur Verfügung. Die Zeiten, in denen sich ein Vermittler um 300 bis 400 junge Menschen kümmern musste, gehören der Vergangenheit an. ({0}) Wir haben das Ziel, die Dauer der Jugendarbeitslosigkeit bis zum Jahresende auf unter drei Monate zu reduzieren, vor Augen; das werden wir auch erreichen. Ich füge hinzu: Die beste Zeit ist natürlich die Zeit ohne Arbeitslosigkeit. Aber drei Monate sind in vielen Fällen die ganz normale Sucharbeitslosigkeit. Sie sehen: Die Maßnahmen der Bundesregierung wirken. Von März bis Mai dieses Jahres ist die absolute Zahl arbeitsloser junger Menschen um mehr als 96 000 gesunken. Das ist mit Abstand der größte Rückgang seit 1997. Deshalb werden wir unsere Politik, die der Jugend Vorrang und Vorfahrt einräumt, konsequent fortsetzen. ({1}) Junge Menschen brauchen beim Einstieg in das Berufsleben eine echte Chance. Die mit dem Ausbildungspakt bereits im ersten Jahr erzielten Erfolge zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Die Wirtschaft hat im letzten Jahr zugesagt, 30 000 neue Ausbildungsplätze einzuwerben, konnte diese Zahl allerdings mit 59 000 Plätzen übertreffen und fast verdoppeln. Mit dem Sonderprogramm zur Einstiegsqualifizierung Jugendlicher, mit dem wir den Ausbildungspakt durch einen Zuschuss des Bundes zur monatlichen Vergütung und die Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge flankieren, konnten wir bereits im ersten Anlauf 17 000 jungen Menschen eine Chance im Betrieb geben. Die ersten Erkenntnisse aus der Begleitforschung stimmen optimistisch, dass diese Brücke in Berufsbildung und Berufsausbildung in vielen Fällen in einen Ausbildungsvertrag mündet. Im Idealfall kann deshalb die nachfolgende Ausbildung verkürzt werden. Auch in diesem Jahr bedarf es des gleichen Engagements aller, um allen Schulabsolventen, die eine Ausbildung suchen, eine Chance zu geben. Deshalb appelliere ich an alle Arbeitgeber: Gebt jungen Menschen eine Perspektive und bildet aus! ({2}) Nur so erhalten die Betriebe die Fachkräfte von morgen und nur so kann Deutschland seinen Vorteil im internationalen Wettbewerb, den das duale System bietet, konsequent nutzen. Dass wir auf dem richtigen Weg sind, hat zuletzt auch der Tag des Ausbildungsplatzes am 30. Mai gezeigt. An diesem Tag haben die Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit bundesweit über 14 000 Ausbildungsplätze eingeworben. In Industrie, Handel und Handwerk sind bereits jetzt fast 20 000 neue Ausbildungsverträge registriert. Um Betrieben, die allein nicht ausbilden können, Hilfestellung zu geben, wird mit dem Programm „Jobstarter“, für das 100 Millionen Euro zur Verfügung stehen, insbesondere durch die Förderung von Ausbildungsverbünden ein nachhaltiger Beitrag zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze geleistet. Mit der unveränderten Fortführung des Bund/Länder-Ausbildungsprogramms Ost mit 14 000 Plätzen begegnen wir der nach wie vor schwierigen Situation in den neuen Ländern. Gemeinsam werden wir den Ausbildungspakt auch in diesem Jahr zum Erfolg führen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Rahmen der Arbeitsförderung stehen in diesem Jahr für junge Menschen rund 4,8 Milliarden Euro zur Verfügung. Im Durchschnitt des Jahres 2004 haben davon 587 000 Jugendliche profitiert. Schwerpunktmäßig werden damit Berufsvorbereitungs- und Ausbildungsmaßnahmen für benachteiligte und behinderte junge Menschen finanziert. Die Bundesagentur für Arbeit leistet damit einen erheblichen Beitrag zur Umsetzung des Ausbildungspaktes, aber auch zur Bewältigung der zweiten Schwelle, des Übergangs von der Schule in die Ausbildung. Sie wird ihre ausbildungsfördernden Maßnahmen, wie zugesagt, auf dem Niveau des Jahres 2003 fortsetzen. Aber ich füge hinzu: Ohne eine bessere Förderung, die bereits in der Schule beginnen muss, werden wir die Probleme nicht nachhaltig lösen können. Rund ein Viertel der arbeitslosen Jugendlichen, die Leistungen der Grundsicherung erhalten, haben keinen Schulabschluss. Die Bundesagentur für Arbeit und die Träger der Grundsicherung leisten durch ihre aktive Arbeitsförderung mehr, als ihnen nach der grundgesetzlichen Aufgabenzuordnung zukommt. Sie finanzieren berufsvorbereitende Maßnahmen einschließlich des Nachholens des Hauptschulabschlusses, praxisnaher Qualifizierung, Eingliederungszuschüssen und, als letzte Möglichkeit, der Beschäftigung in Arbeitsgelegenheiten oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Diese Anstrengungen bedürfen der Unterstützung vieler vor Ort, um zu nachhaltiger Beschäftigung zu führen. Hier kann jeder seinen Beitrag leisten. Der Pakt für die Jugend darf nicht an unterschiedlichen Vorstellungen über die richtigen Verwaltungszuständigkeiten scheitern. ({3}) Gemeinsam sollten wir allen jungen Menschen eine Chance auf Ausbildung oder Arbeit geben. Herzlichen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun Kollege Dr. Andreas Scheuer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Andreas Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003625, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute über Aufbruch und Perspektiven der jungen Generation in unserem Land. Wenn man sich als arbeitsloser Jugendlicher auf der Homepage der Bundesregierung informieren möchte, um den Aufbruch und die Perspektiven mit klaren politischen Plänen und Entscheidungen der Politik nachvollziehen zu können, klickt man auf das 20-Punkte-Programm der Bundesregierung. Dann muss man sich über einzelne Punkte wie beispielsweise das CO2-Gebäudesanierungsprogramm vorarbeiten, um schließlich zu dem Unterunterpunkt „Bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt“ zu kommen. Dann wieder ein kleiner Spiegelstrich: Zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit setzt eine erhöhte Vermittlungsaktivität für unter 25-Jährige ein. Außerdem sollen Ausbildungsverbünde in Ostdeutschland gefördert werden. Aus, vorbei, nicht mehr! Jetzt will ich wirklich nicht allzu ironisch sein, aber dass arbeitslose Jugendliche bei diesem „handfesten“ Programmpunkt vor Begeisterung mit Mut und Zuversicht vom Hocker springen, das bezweifle ich. Deshalb komme ich auf die Entwicklungen der letzten Monate zu sprechen: In der ersten Lesung dieses Antrags von Rot-Grün am 14. April 2005 habe ich in meiner Rede die richtige Prognose abgegeben: Die Bürgerinnen und Bürger von NRW, vor allem auch die junge Generation, die junge Bürgerschaft, hat Zukunft, hat den Wechsel und hat damit die Union gewählt. Damals habe ich noch wildesten Protest auf Ihrer Seite gehört. Heute kommt fast kein Zwischenruf - also ergeben Sie sich in Ihr Schicksal. Ganz interessant ist auch, dass bei dieser Debatte vonseiten der Grünen nicht einmal die Mitglieder des zuständigen Jugendausschusses anwesend sind - auch eine interessante Variante, über Jugend und die junge Generation zu reden. ({0}) - Gut, Herr Ströbele, es heißt „Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend“. ({1}) Die Wahl in NRW hat die politische Landschaft in diesem Lande verändert: Die Wählerinnen und Wähler, die Jugendlichen, haben Rot-Grün die rote Karte gezeigt; das rot-grüne Experiment wurde auf Landesebene endgültig abgewählt und steht auch im Bund vor dem Aus. Wenn man Ihr Verhalten jetzt beim vorletzten Tagesordnungspunkt sieht, dann wird deutlich, dass Sie schon bei eigenen Anträgen Ihre Mehrheit anzweifeln auch eine interessante Variante hier im Parlament. Schon die Ankündigung von Neuwahlen durch Müntefering und Schröder hat eine Aufbruchstimmung in unserem Land und bei der jungen Generation ausgelöst. Auch wenn der Bundeskanzler nicht seine mit gewissen Schwierigkeiten behaftete Politik durchbringen will, bitten wir ihn aus vollem Herzen, wenigstens Neuwahlen in Deutschland umzusetzen, damit wir die Signale im September 2005 auf Zukunft stellen können. Ich kann

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Wählen Sie für die Bundesregierung den Slogan „Wir machen den Weg frei“. ({0}) Jugendliche Bürgerinnen und Bürger sehen das. Ich habe gerade eine Besuchergruppe, eine zehnte Klasse, betreut. Wenn man mit ihnen spricht, dann spürt man die Sorgen dieser jungen Generation. Nun werden wir, die Opposition, immer dafür kritisiert, dass wir über die nicht allzu rosige Grundstimmung in Deutschland reden. Aber das ist die Realität und wir sind nicht im Deutschen Bundestag, um ein Wunschkonzert aufzuführen, sondern um Perspektiven und Aufbruch wirklich zu vermitteln. Dazu fehlt Ihnen die Kraft, meine Damen und Herren von Rot-Grün. Auf die Fragen „Wo liegt eure Zukunft?“, „Welche Ausbildung wollt ihr machen?“ hat diese zehnte Klasse Antworten gegeben, bei denen man spüren konnte, dass zu den prägenden Erfahrungen dieser Jugendlichen auch diese nicht allzu rosige Grundstimmung, die wir momentan haben, gehört. ({1}) Am Ende von sieben Jahren rot-grüner Regierungsverantwortung versuchen Sie mit Ihrem Antrag „Aufbruch und Perspektiven - Zukunftschancen für Jugendliche in Deutschland stärken“, die Wogen zu glätten, um noch einmal um letztes Vertrauen bei den Jugendlichen zu werben. Mit diesem Antrag erreichen Sie genau das Gegenteil. Hier tritt eine kraftlose, ideenlose und perspektivlose Politik zutage: mit viel Schönreden, viel Prosa, aber nichts Konkretem. Umso peinlicher ist es, dass Kollegen im zuständigen Jugendausschuss mit einem Augenzwinkern hinter vorgehaltener Hand bestätigen, dass dieser Antrag nix G’scheites ist, wie man es auf gut Bayerisch ausdrückt. ({2}) Meine Damen und Herren von Rot-Grün, ich frage Sie: Welche Chancen wollen Sie in den Tagen, in denen Ihr Kanzler um Ihr Misstrauen ringt, vermitteln und um welches Vertrauen wollen Sie werben? 600 000 arbeitslosen Jugendlichen wird dies nichts helfen. Heute, da die Entwicklung wissenschaftlich und technisch weitergeht und immer schneller fortschreitet, müsste die junge Generation mit diesen Chancen, Perspektiven und Herausforderungen, die durch viele Zukunftstechnologien auf die Zukunft ausgerichtet sind, eigentlich arbeiten können. Das Plus des Standortes Deutschland war immer, dass wir das, was wir teurer waren, auch ein wenig schneller, flexibler und besser als die anderen waren. Das war immer unser Standortvorteil. Sie schließen die junge Generation von dieser Palette an Möglichkeiten aus, weil Ihre Politik zukunftsfeindlich ist und weil Sie einen Antrag nur um des Antrags willen hier einbringen. Er ist ein Sammelsurium von bekannten Behauptungen, Absichtserklärungen und jüngsten Abkommen. Er wird auf nur wenige Worte reduziert: Die Agenda 2010 wirkt, ihr werdet alle gerettet. Nein, die junge Generation braucht mehr: mehr an Perspektiven, mehr an Chancen, mehr an Aufschwung und somit auch ein Mehr an Beschäftigung. ({3}) In Ihrem Antrag steht: Der Deutsche Bundestag begrüßt und stellt fest, dass: … die Bundesregierung mit der Agenda 2010 die Voraussetzungen für mehr Wachstum und Beschäftigung geschaffen und somit die Reformen am Arbeitsmarkt in ein Gesamtkonzept eingebettet hat; … Das ist ein schöner Satz. Wenn ich mir die Zahlen der Jugendarbeitslosigkeit anschaue, weiß ich aber nicht, ob Sie die momentane Situation in Deutschland damit richtig einschätzen. Sehr geehrte Damen und Herren von Rot-Grün, Sie widersprechen sich am laufenden Band. Der Arbeit suchende Jugendliche kann sich bei Ihnen derzeit gerade nicht zwischen Heuschrecken und Lohnerhöhungen entscheiden. Er brauchte erst einmal einen Aufschwung, um in Arbeit zu kommen. Herr Staatssekretär, Sie beweisen das ja: Hier danken Sie den Unternehmern und denen, die ausbilden, und auf der anderen Seite frotzelt Ihr Fraktionsvorsitzender gegen genau diese, die die Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen wollen, und bezeichnet sie als Heuschrecken. ({4}) Vertrauen werden Sie so nicht gewinnen. Der Arbeitsmarkt sieht nicht nur für den Schulabgänger ohne abgeschlossene Schul- und Berufsausbildung, sondern mittlerweile auch für den Jungakademiker, der sich als Dauerpraktikant verdingt, nicht rosig aus. Dies sind die Realitäten der jungen Generation. Mit Ihrer technologiefeindlichen Politik treiben Sie die gut Ausgebildeten aus dem Land. Die entscheidenden Zukunftsmärkte werden mit jungen Deutschen erschlossen, aber leider nicht mehr in Deutschland, sondern dort, wo dieses Potenzial mit offenen Armen empfangen und nicht durch eine übermäßige Bürokratie gegängelt wird. Ich erinnere nur an die heutige Beratung im Ausschuss, wo es um das Antidiskriminierungsgesetz ging. Ihr Kollege Schartau spricht von einem pauschalen Jugendwahn am Arbeitsmarkt. Das geht an der Realität vorbei. Die Arbeitslosigkeit betrifft alle Generationen und Bildungsschichten. Eines bestätigen diese Äußerungen aber: Immer, wenn Sie mit Ihrer Allheilwaffe nicht weiterkommen, gibt es einen, der dem anderen nichts gönnt: die Jungen den Alten nicht, die Unternehmer den Arbeitern nicht usw. Sie betreiben immer eine Politik mit Gegensätzen. Das ist der falsche Weg. Wir werden herausarbeiten müssen, dass wir in Deutschland keine Ansammlung von Ich-AGs, die Sie befürworten, sondern eine Wir-AG Deutschland brauchen, um Deutschland mit einem gesellschaftspolitischen Kraftakt wieder fit zu machen und damit die Abstiegsfahrt unseres Landes nach sieben Jahren Rot-Grün ins Gegenteil zu verkehren. ({5}) Tatsache ist, dass immer weniger Jugendliche Gelegenheit erhalten, auf dem Arbeitsmarkt Tritt zu fassen. ({6}) Herr Staatssekretär, darüber dürfen auch keine Warteschleifen bei der Berufsvorbereitung hinwegtäuschen. Es ist viel geschehen, aber es gibt immer noch Warteschleifen. Das kann uns nicht zufrieden stellen. Der eine Teil scheitert an der von Ausbildungsbetrieben zunehmend beklagten mangelnden Ausbildungsfähigkeit, der andere Teil an den Fesseln des Arbeitsmarktes. Bündnisse wie der Pakt für Arbeit leisten einen wichtigen Beitrag, einem Teil der Jugendlichen Perspektiven und Chancen zu geben. Den ausbildenden Betrieben sei an dieser Stelle ausdrücklich Dank gesagt. Ich bestärke sie in ihren Bemühungen, Jugendliche auszubilden. ({7}) Ich denke, die Vertreter des Mittelstandes als Rückgrat der Berufsausbildung würden unter besseren wirtschaftlichen Verhältnissen gern mehr ausbilden. Sehr geehrte Damen und Herren von Rot-Grün, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass in Insolvenz befindliche Unternehmen auch unter Androhung von Zwang nicht ausbilden werden und können. ({8}) Die wirtschaftliche Lage muss sich bessern. Damit werden auch Perspektiven eröffnet. Ein künftiges Fördern und Fordern macht nur Sinn, wenn arbeitsmarktpolitische Maßnahmen mit wirtschaftspolitischen Veränderungen einhergehen und Synergien bilden. Erst dann wird es möglich sein, den Arbeitsuchenden aller Generationen ein Angebot für Beschäftigung zu machen. Das jetzt festgelegte Verhältnis von 1 : 75 bei der Arbeitsvermittlung ist zwar ein guter Anfang. Aber ein guter Verwalter wird dadurch noch nicht sofort zu einem guten Vermittler. Protokolle von Arbeitslosen aus dem Internet - ich kann Ihnen das gerne zur Verfügung stellen -, die ein Beratungsgespräch wiedergeben, vermitteln den Eindruck, man sei im falschen Film. Das, was in den Protokollen steht, ist teilweise dramatisch. ({9}) Ein junger Akademiker, der das Protokoll eines Beratungsgesprächs im Internet zur Verfügung gestellt hat, kommt zu dem Schluss: Ich kümmere mich besser selber um einen Job, weil ich von euch nicht vermittelt werde. - Es darf nicht sein, dass sich unter den Arbeitslosen eine Stimmung der Perspektivlosigkeit breit macht. Quantität ist also nicht gleich Qualität. Wir müssen Verschiedenes anpacken. Frau Bundesministerin Bulmahn hat bei der ersten Lesung und auch vorhin gesagt: Wer über Jugend und Zukunft spricht, muss vor allem auch zuhören können. Man muss als Politiker aber auch dorthin gehen, wo man sich nicht öffentlichkeitswirksam präsentieren kann, zu den Brennpunkten. Die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben in der Debatte zur Großen Anfrage „Jugend in Deutschland“ das Thema Zukunftschancen auf die Tagesordnung gebracht. Von Ihnen hat keiner ein Konzept zur Jugendpolitik vorgelegt. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat dazu eine entsprechende Anfrage eingebracht. Die Antwort auf diese Große Anfrage enthält sehr viele Allgemeinplätze. Wir haben nicht danach gefragt, wie das SPD-Parteiprogramm aussieht, sondern was Sie für Perspektiven eröffnen wollen. Das wird in Ihrer Antwort auf die Große Anfrage „Jugend in Deutschland“ wirklich nicht klar. Sie brauchen auch keinen Gegensatz zwischen Regierung und Opposition aufzumachen, wenn Sie darüber diskutieren, wie man die Chancen erhalten will. Regierung und Opposition in diesem Haus unterscheiden sich darin, dass wir Chancen ausbauen wollen. Diese Perspektive und diese Hoffnung fehlt der jungen Generation bei Ihrer Politik. Die junge Generation kennt diesen Unterschied genau. Vor der Bundestagswahl werden wir ein Angebot machen, um Deutschland wieder fit zu machen. Wir stehen für Eigenverantwortung statt Verstaatlichung, für Entscheidungsfreiraum statt Bevormundung, für Werte statt Beliebigkeit, für Strukturreformen statt Hemmnisse und für Aufstieg statt eines weiteren Abstiegs mit Rot-Grün. Herzlichen Dank. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Anna Lührmann, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Anna Lührmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003585, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Jugendlichen eine Perspektive zu geben heißt, ihnen einen Zugang zum Arbeitsmarkt zu verschaffen. Trotz einiger eben beschriebener Erfolge sind in Deutschland noch immer etwa 570 000 Jugendliche ohne Job. Das sind 570 000 Jugendliche zu viel. Woran liegt es, dass wir dieses Problem noch immer nicht in den Griff bekommen? ({0}) Dazu hat gestern das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung aus Nürnberg eine Studie vorgelegt. Aus dieser Studie geht klar hervor: Je höher die Qualifikation der Menschen ist, umso geringer ist ihr Risiko, keinen Job zu bekommen. Besonders bei Jugendlichen ist dies das Problem. Fast die Hälfte aller arbeitslosen Jugendlichen hat keine abgeschlossene Berufsausbildung. Das heißt, Bildung ist der Schlüssel für den Zugang zum Arbeitsmarkt. ({1}) Bildung fängt schon in der Schule an. Deutsche Schulen qualifizieren vor allen Dingen Kinder aus sozial schwachen Familien momentan nicht ausreichend für den Arbeitsmarkt. ({2}) In der Schulpolitik braucht es daher vernünftige pädagogische Konzepte, mehr Zeit und auch mehr Mittel. Die Bundesregierung hat das erkannt; denn mit dem Ganztagsschulprogramm stellen wir 4 Milliarden Euro für mehr Zeit für die Bildung zur Verfügung. Die Union hingegen blockiert an allen Ecken und Enden. Dazu drei Beispiele: Erstens. Mein Heimatland Hessen hat bisher erst 10 Prozent der ihm zur Verfügung stehenden Mittel für Ganztagsschulen abgerufen. ({3}) Zweites Beispiel: Eigenheimzulage. Wenn Sie der Abschaffung der Eigenheimzulage schon jetzt zugestimmt hätten, anstatt zu sagen, Sie wollten eventuell irgendwann einmal die Eigenheimzulage - am besten zur Entlastung der Spitzenverdiener - abschaffen, dann hätten die Länder jetzt 2 Milliarden Euro mehr zur Verfügung und könnten damit 160 000 dringend benötigte Lehrerstellen schaffen. Das nenne ich Mauern auf Kosten der Zukunft von Jugendlichen. ({4}) Noch ein drittes Beispiel, auch wieder aus meinem Heimatland Hessen, weil man daran schön sehen kann, was eine absolute Mehrheit der CDU alles anrichten kann: Die Hessische Landesregierung hat kürzlich beschlossen, das Erbacher Schloss zu kaufen. Der Kaufpreis beträgt 13,3 Millionen Euro, was Sie vielleicht als Schnäppchen bezeichnen. ({5}) Das Erbacher Schloss zeichnet sich vor allen Dingen durch seinen Prunksaal von europäischer Bedeutung mit kolossalen und abnormalen Hirschgeweihen aus, ein ganz wichtiger Punkt. Es ist ganz klar: Die Union steht für Hirschgeweihe und Beton statt für Zukunft, meine Damen und Herren. ({6}) Nach der Schule - wie wir eine bessere Schulpolitik machen, habe ich eben erläutert - muss den Jugendlichen ein Ausbildungsplatz angeboten werden. Deswegen hat die Bundesregierung mit der Wirtschaft einen Pakt für Ausbildung abgeschlossen. Die Bundesregierung hat ihren Teil der Abmachung eingehalten. Statt die Ausbildungsplatzumlage einzuführen, ({7}) fördert der Staat derzeit über 17 000 Jugendliche mit Einstiegsqualifizierungsprogrammen. Dieses Jahr will sie für Ausbildung das Programm „Jobstarter“ in Höhe von 100 Millionen Euro auflegen. Das tut sie, weil die Wirtschaft ihren Teil der Abmachung nicht umfassend einhält. Es fehlen nämlich immer noch 170 000 Ausbildungsplätze in Deutschland. ({8}) Allerdings kommt der Mittelstand seiner Verpflichtung nach. Vor Ort gibt es ganz viele engagierte kleine und mittlere Unternehmen, die alles tun, um ihren Jugendlichen eine Perspektive zu geben, und die ihrer Verantwortung gerecht werden. ({9}) Wer hingegen wie die Unternehmensverbände ständig nach weniger Staat und weniger Steuern ruft, gleichzeitig aber keine Verantwortung für die Gesellschaft und für die Jugendlichen übernehmen will, der lässt die Jugendlichen im Regen stehen. ({10}) Alle Teile der Gesellschaft müssen ihre Verantwortung für Jugendliche übernehmen, die Politik, aber auch die Wirtschaft, wo sie kann. Eine Zukunftsperspektive eröffnen wir Jugendlichen vor allen Dingen durch ein klares Konzept mit einer klaren Prioritätensetzung für Bildung und Forschung und nicht für Hirschgeweihe und Beton. ({11}) Deswegen hoffe ich, dass auch nach der Neuwahl Bundesmittel nicht für unsinnige Dinge wie das Erbacher Schloss, sondern, wie wir es vorhaben, für Ganztagsschulen ausgegeben werden. Vielen Dank. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaus Haupt, FDPFraktion.

Klaus Haupt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für Jugendliche sind Ausbildung und Arbeit mehr als nur Grundlage für ein wirtschaftlich unabhängiges Leben. Sie haben auch zentrale Bedeutung für die Identitätsfindung, die Selbstverwirklichung und die Selbstbestimmung. Die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ist eine der wichtigsten Aufgaben der Politik. Eine Gesellschaft kann es sich nicht leisten, dass jungen Menschen der Einstieg in das Arbeitsleben verwehrt bleibt und deren kreatives Potenzial und Arbeitskraft brachliegen. ({0}) Die FDP will Beschäftigung und Ausbildung im ersten Arbeitsmarkt. Aber wir wissen: Der Arbeits- und Ausbildungsmarkt sieht für Jugendliche finster aus. RotGrün hat mit Hartz IV nicht nur den Arbeitslosen, sondern auch den Jugendlichen viel versprochen: Jugendliche haben einen Anspruch auf Vermittlung einer Arbeits- oder Ausbildungsstelle. Laut Wirtschaftsminister Clement sollten alle Jugendliche ein Angebot bekommen, das die Chance bietet, in Ausbildung oder Arbeit integriert zu werden. Dennoch waren Ende Mai 2005 568 000 Jugendliche unter 25 Jahren ohne Stelle. ({1}) Die Bundesagentur für Arbeit will in diesem Jahr fast 7 Milliarden Euro für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ausgeben. Insgesamt 1 Million Euro will die Behörde 2005 für Fördermaßnahmen zugunsten von Frauen und Männern aufbringen, die jünger als 25 Jahre sind. Kein Jugendlicher soll bis Jahresende länger als drei Monate arbeitslos sein. Doch bei den Eingliederungsvereinbarungen hinkt die BA gnadenlos dem Zeitplan hinterher. Junge Menschen - vor allem Benachteiligte - brauchen Zugang zu Arbeit und Beschäftigung. Mehr als zwei Drittel der Betroffenen bringen keine Ausbildung mit; etwa ein Drittel hat nicht einmal einen Schulabschluss. Die Bundesagentur für Arbeit scheint jedoch mehr mit sich selbst und dem Umbau ihrer Verwaltung als mit den jungen Arbeitslosen beschäftigt zu sein. ({2}) Staatliche Beschäftigungsprogramme oder eine öffentliche Ausbildung über den Bedarf hinaus verschieben das Problem nur, statt es zu lösen. Denn nach dem Ende der Ausbildung werden viele Jugendliche erneut arbeitslos, wenn der Staat sie nicht übernehmen kann und es auf dem privaten Arbeitsmarkt keine Nachfrage nach ihrer Qualifikation gibt. Es ist nicht damit getan, immer nur mit heißer Nadel gestrickte rot-grüne Sofortprogramme für Jugendliche in die Welt zu setzen. Chancenlosigkeit und Perspektivlosigkeit bilden den Nährboden für rechts- und linksradikale Rattenfänger. Mich sorgt die Abwanderung gerade junger Hoffnungsträger in den neuen Bundesländern, die zur Vergreisung ganzer Regionen führt. Wir brauchen vielmehr einen grundlegenden Wandel hin zu Rahmenbedingungen, in denen die Jugendlichen Chancen haben, ihre Qualifikation, ihr Engagement, ihre Energie einbringen zu können. Ein wichtiger Schritt ist dabei das von meiner Partei vorgeschlagene einfache, dreigliedrige Steuersystem mit einem Steuersatz von 15, 25 und 35 Prozent. ({3}) - Ihr Lachen beweist, dass Sie die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge nicht erkennen. ({4}) Wir müssen dringend die Voraussetzungen bei den Jugendlichen selbst verbessern. Das geht nur mit einem Bildungssystem mit flexibleren Strukturen, kürzeren Ausbildungszeiten und höheren Qualitätsstandards. Sowohl Hochbegabte als auch Lern- und Leistungsschwache müssen gezielter als bisher gefördert werden. ({5}) Es ist höchste Zeit für einen Wechsel, damit die junge Generation in Deutschland wieder Perspektiven und Zukunftschancen bekommt. Danke. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Karin Roth, SPD-Fraktion.

Karin Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003618, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit dem Antrag der Koalition der SPD und des Bündnisses 90/ Die Grünen zu den Zukunftschancen für Jugendliche wollen wir die Verantwortung des Staates für Bildung und Beschäftigung der Jugendlichen dokumentieren. Denn wir wissen, dass Arbeitslosigkeit gerade bei jungen Menschen zum Verlust von Selbstvertrauen und Motivation führt. ({0}) Wir lassen die Jugendlichen eben nicht im Stich; vielmehr haben wir durch unsere Reformen im Bereich Ausbildung und Bildung dazu beigetragen, dass sich die Arbeitsmarktchancen der Jugendlichen verbessert haben. ({1}) Wir haben 100 000 Jugendlichen mit dem von uns eingeführten Rechtsanspruch auf Beschäftigung und Qualifizierung kurzfristig eine neue Chance gegeben. Die Zahl der jugendlichen Arbeitslosen ist inzwischen niedriger als noch zu Jahresbeginn. Es ist richtig, dass die Zahl immer noch zu hoch ist. Am Jahresende wird sich aber zeigen, ob die von uns eingeleiteten Maßnahmen von den Jugendlichen in Anspruch genommen werden. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten zum Beispiel auch eine Änderung des Berufsbildungsgesetzes durchgeführt. Diese Maßnahme war wichtig, um das duale Ausbildungssystem zu modernisieren und den internationalen Anforderungen und Standards anzupassen. Das ist für die Jugendlichen, die in diesem Bereich eine Ausbildung beginnen, sehr wichtig, weil sie nun davon ausgehen können, dass ihr Ausbildung den europäischen Anforderungen entspricht. Karin Roth ({2}) ({3}) Wir haben mit der Einführung der zweijährigen Berufsausbildung vor allen Dingen auch die Belange benachteiligter Jugendlicher berücksichtigt und gleichzeitig einen anerkannten Berufsabschluss für diese Personengruppe eingeführt. Auch das ist wichtig, wenn wir über das Thema „Modernisierung der Berufsausbildung“ reden. Natürlich ist es Besorgnis erregend, dass 45 Prozent der Jugendlichen, die arbeitslos sind, keinen Berufsabschluss haben. Das bereitet große Sorgen, die wir gemeinsam teilen. Deshalb müssen wir alles dafür tun, dass Jugendliche einen Ausbildungsplatz bekommen und so qualifiziert ausgebildet werden, dass sie ein Berufsabschlusszeugnis erhalten und nicht gering beschäftigt sind. Das ist aus meiner Sicht ein wichtiger Punkt. ({4}) An der Schwelle zwischen Schule und Arbeitsleben brauchen Jugendliche eine Perspektive. Diese geben wir ihnen. Deshalb sage ich an die Adresse der Wirtschaft: Die Ausbildungsplätze, die versprochen worden sind, damit Jugendliche zu Beginn ihres Arbeitslebens nicht arbeitslos sind, müssen nun zur Verfügung gestellt werden. Mich bedrückt es, dass zum Beispiel nach der neuesten IHK-Befragung 23 Prozent der Unternehmen weniger ausbilden. ({5}) Die Unternehmen haben im Rahmen des Ausbildungspaktes versprochen, genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Die Wirtschaft ist nun am Zug und muss ihre Verantwortung wahrnehmen, ({6}) und zwar nicht nur für die Jugendlichen, sondern auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Das ist notwendig. ({7}) Es geht also um die Zukunft der Jugendlichen insbesondere in den neuen Bundesländern. Dort muss etwas getan werden; darin sind wir uns einig. Die Bundesregierung hat den neuen Bundesländern 86 Millionen Euro für rund 14 000 Ausbildungsplätze im Bereich der betriebsnahen Ausbildung, aber auch der Verbundausbildung zur Verfügung gestellt. Nun werden wir noch einmal 17 Millionen Euro zur Verfügung stellen, und zwar nicht nur für die neuen Bundesländer, sondern auch für die strukturschwachen westdeutschen Bundesländer, damit Jugendliche einen Ausbildungsplatz erhalten. ({8}) Wir, das heißt die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen, nehmen das Thema Ausbildung also ernst. Dort, wo es nicht von allein funktioniert, handeln wir, zum Beispiel durch Sonderprogramme, damit die Jugendlichen nicht auf der Strecke bleiben. ({9}) Ich möchte in diesem Zusammenhang nur darauf hinweisen, dass die Berufsvorbereitungsmaßnahmen, insbesondere die Deutschkurse, aber auch die Hauptschulabschlusskurse, wichtige Elemente sind. Das alles könnte besser sein, wenn unser schulisches Ausbildungssystem besser wäre. Aber das bedeutet: Solange es nicht so ist, dürfen wir die Jugendlichen nicht im Regen stehen lassen und müssen solche Maßnahmen anbieten. Ich halte nichts davon, wenn bestritten wird, dass die Bundesagentur für Arbeit dafür zuständig ist, mit der Absicht, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 Prozent auf 5 Prozent zu reduzieren und die Fördermaßnahmen zu streichen, wie es Herr Stoiber vor kurzem in einem „Zeit“-Interview gesagt hat. Ich halte sehr viel mehr davon, den Jugendlichen solche Maßnahmen zu geben, damit sie zumindest die Chance haben, einen Ausbildungsplatz zu erhalten. Auf dem Rücken der Jugendlichen bei der Arbeitsmarktpolitik einzusparen halte ich für eine falsche Politik. Das sollten all diejenigen wissen, die meinen, die Vorschläge der Opposition seien die bessere Alternative. Ich meine, dass es für die Jugendlichen und ihre Zukunft verheerend wäre, wenn wir das zuließen, was in den Programmen von CDU/CSU und FDP vorgesehen ist. ({10}) Es ist doch klar: Sie sparen zulasten der Jugendlichen, auf Kosten ihrer Zukunftschancen. Deshalb sollten Sie bei diesem Thema kleine Brötchen backen. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit auf Drucksache 15/5394 zu dem Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Aufbruch und Perspektiven - Zukunftschancen für Jugendliche in Deutschland stärken“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/5255 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlussempfehlung ist mit der Mehrheit der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. ({0}) - Nun erfreuen sich beide Seiten noch einmal an den einstweilen obwaltenden Mehrheitsverhältnissen. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas Strobl ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Probleme mit der Türkei nicht ausblenden - Drucksachen 15/4496, 15/5665 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Lale Akgün Reinhard Grindel Silke Stokar von Neuforn Interfraktionell ist eine Debattenzeit von 45 Minuten vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Kollegin Dr. Akgün von der SPD-Fraktion.

Dr. Lale Akgün (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003492, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel „Probleme mit der Türkei nicht ausblenden“ verfolgt uns schon eine ganze Weile. Der Antragstext hat sich zwischenzeitlich nicht geändert, wohl aber der Sachstand zu den angesprochenen Themen. ({0}) Von daher kann ich sehr gut verstehen, dass sich die Kollegen und Kolleginnen der FDP in den Ausschüssen der Stimme enthalten haben mit der Begründung, Ihr Antrag sei durch den Zeitablauf nicht mehr auf dem aktuellsten Stand. Bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung standen einige Dinge in Ihrem Text, die schlicht falsch sind. Dies gilt insbesondere für das Thema Staatsangehörigkeit. Sie behaupten in Ihrem Antrag, türkischstämmige Deutsche würden sich mithilfe der türkischen Regierung heimlich und illegal eine zweite Staatsangehörigkeit aneignen. Dies ist und bleibt Unsinn. ({1}) Ich bin bei der ersten Lesung des Antrages bereits ausführlich auf den juristischen Sachverhalt eingegangen, lieber Kollege Koschyk. Ich muss es heute leider noch einmal tun, damit ganz klar wird, wovon wir hier eigentlich reden. Richtig ist: Es gibt keine rechtsmissbräuchliche Wiedereinbürgerung. ({2}) Jede und jeder Deutsche hat das Recht, jede Staatsangehörigkeit jedes Staates anzunehmen. Wichtig für die, die dies tun, ist die Rechtsfolge, die sich für die deutsche Staatsangehörigkeit daraus ergibt. ({3}) Die Annahme einer ausländischen Staatsangehörigkeit hat nach § 25 des Staatsangehörigkeitsgesetzes den automatischen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit zur Folge. Diese Regelung oder die Ausnahme von der vorher geltenden Inlandsklausel gilt seit dem 1. Januar 2000, also seit In-Kraft-Treten des von uns initiierten Staatsangehörigkeitsrechts. Viele der jetzt Betroffenen haben die Wiedereinbürgerung schon lange vor dem 1. Januar 2000 beantragt, taten dies also in dem guten Glauben, dadurch würden sich keine rechtlichen Nachteile ergeben. Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen von der CDU/CSU-Fraktion, verwechseln leider die Rechtsfolge und den Tatbestand des Rechtsmissbrauchs, weil sich der Ausdruck Rechtsmissbrauch dazu benutzen lässt, Menschen in die Nähe krimineller Handlungen zu bringen und die Türkei als Staat rechtsstaatlich zu diskreditieren. ({4}) Sie unterstellen uns aus reinem Wahlkampfopportunismus, wir würden Probleme ignorieren. Nein, es wurde und wird gehandelt. Als erste Landesregierung hat die SPD-geführte Landesregierung in Nordrhein-Westfalen vor den Landtagswahlen reagiert und alle ehemaligen türkischen Staatsbürger, die seit dem 1. Januar 2000 deutsche Staatsbürger geworden waren, befragt, ob sie zwischenzeitlich eine ausländische Staatsangehörigkeit angenommen hätten. 5 000 Befragte haben daraufhin geantwortet, sie hätten die türkische Staatsangehörigkeit wieder erworben, wodurch sie die deutsche Staatsangehörigkeit verloren haben. Das war die eine Seite der Medaille, nämlich Klarheit in die Zahlen zu bringen. Die andere Seite der Medaille betrifft jedoch diejenigen, die jetzt nicht mehr Deutsche sind. Auch da ist die SPD im Bund und in einigen Ländern vorangegangen, um die Betroffenen dabei zu unterstützen, wieder einen sicheren Aufenthalts- und Staatsangehörigkeitsstatus zu erhalten, und um ihnen aufzuzeigen, wie sie ihre eigene Rechtsunsicherheit beenden können, wie sie eine Aufenthaltserlaubnis, eine Niederlassungserlaubnis und eine erneute Einbürgerung in die deutsche Staatsangehörigkeit erreichen können. Im zweiten Punkt Ihres Antrages geht es um eine Zahl von circa 300 bis 400 Personen, die der türkische Staat ausgebürgert hat, in der Regel wegen Nichtableistung des Wehrdienstes. Ich habe auch hierzu bereits beim letzten Mal betont, dass wir uns völlig einig darin sind, dass wir diese Art von Ausbürgerung nicht gutheißen. Sie wissen so gut wie wir, dass zur Lösung des Problems bereits Konsultationen zwischen der deutschen und der türkischen Regierung stattfinden und man versucht, hier eine Lösung zu finden. Unser Bundesinnenminister Otto Schily hat das Thema gut im Griff. Sie dürfen ganz ruhig auf ihn vertrauen, so wie wir es auch tun. Die eigentliche Absicht Ihres Antrages ist jedoch ganz klar: Sie haben zu dem Zeitpunkt, als Sie den Antrag stellten - drei Tage vor dem Europäischen Rat im Dezember 2004 -, versucht, auch noch die ausgefallensten Argumentationen zu bedienen, um die Beitrittsfähigkeit der Türkei zu verneinen. Das zeigt sich auch daran, dass Sie in den Begründungen des Antrags versucht haben, Ihr gesamtes Sammelsurium an Argumenten gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen noch nachträglich unterzubringen. Sie haben nämlich in der Zwischenzeit gemerkt, dass die ursprünglich im Antrag angesprochenen Themen reine bilaterale und innenpolitische Themen sind, die mit der Beitrittsfrage gar nichts zu tun haben. Als Europapolitikerin muss ich mich jedoch mit Ihrer Haltung zum EU-Beitritt der Türkei grundsätzlich auseinander setzen. Der Europäische Rat im Dezember hat einstimmig und zu Recht die Aufnahme von ergebnisoffenen Beitrittsverhandlungen beschlossen, mit dem Ziel der Vollmitgliedschaft, wenn sich im Laufe dieser langwierigen Verhandlungen zeigt, dass alle Seiten ihre Hausaufgaben gemacht haben. Ihr so genanntes Konzept, Verhandlungen zu beginnen, als einzig mögliches Ziel aber eine „privilegierte Partnerschaft“ zu akzeptieren, ist unsinnig und widersprüchlich. ({5}) Es macht keinen Sinn, Beitrittsverhandlungen zu führen, von denen feststeht, dass sie nicht zum Beitritt führen sollen. Ich sage aber auch ganz deutlich, dass ich das Modell der „privilegierten Partnerschaft“ ablehne. Ihr Kollege Wissmann hat in den letzten Tagen dankenswerterweise konkretisiert, was Sie sich unter „privilegierter Partnerschaft“ vorstellen: den Ausbau von Wirtschaftsbeziehungen, den Aufbau einer umfassenden Freihandelszone und den Ausbau der Sicherheitspartnerschaft. Das heißt im Klartext: Es soll eine wirtschaftliche und militärische Verflechtung der Türkei mit der EU geben, aber keine Rechte und Pflichten für die Türkei, wenn es um die Verwirklichung der inneren Einheit Europas, der institutionellen Strukturen sowie der Menschenrechtsund Sozialcharta geht. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, das ist nicht das Europa, das wir uns vorstellen. Es wäre ein Europa ohne gemeinsame Werte, nur die Verwirklichung einer reinen Freihandelszone, die wir ja gerade nicht wollen. Wir sollten diesen Aspekt nicht vernachlässigen, nachdem gerade in Frankreich und den Niederlanden die Referenden zur europäischen Verfassung mit einem Nein endeten, das von vielen damit begründet wurde, dass Europa zu sehr den freien und gemeinsamen Markt betont, aber keine ausreichende gemeinsame Grundlage für den sozialen Ausgleich schafft. Dies ändern wir nicht, indem wir die wirtschaftliche Freihandelszone ausbauen, die politischen Gemeinsamkeiten aber an den Rand drängen. Deshalb ist die Türkeipolitik dieser Bundesregierung nach wie vor richtig. ({6}) Die EU muss ihre Hausaufgaben machen, ({7}) muss die finanzielle Vorausschau bis 2014 und dann ab 2014 beschließen. Sie muss die Inhalte des Verfassungsvertrages so weit implementieren, dass ihre Strukturen handlungsfähig bleiben. Spätestens im Jahr 2013 muss sie die Strukturen ihrer künftigen Agrarpolitik neu festlegen. Die Türkei wird den Weg der Reformen, innen- wie wirtschaftspolitisch, konsequent weitergehen müssen. Wenn im Laufe dieser langen Periode die Beitrittsgespräche erfolgreich abgeschlossen werden, ist es vollkommen richtig, dass die Türkei mit allen Rechten und Pflichten Vollmitglied wird. Eine Ablehnung dieser langfristig angelegten Politik aus populistischen und wahltaktischen Gründen weise ich zurück. ({8}) Im Übrigen polemisieren Sie nicht nur gegen die Türkei, sondern auch gegen die bereits zugesagten Beitritte von Rumänien und Bulgarien, denen alle Staats- und Regierungschefs der EU zugestimmt haben. Sie meinen, die Gunst der Stunde nutzen zu können, um das Nein der Verfassungsreferenden für Ihre Zwecke zu missbrauchen. Ich versuche, mich ganz sachlich mit Ihrem Antrag auseinander zu setzen und ihn Punkt für Punkt abzuarbeiten. Ich möchte hier aber auch in aller Deutlichkeit festhalten: Ihnen geht es nicht um die Inhalte, Ihnen geht es darum, mit dem Thema Türkei und Türken eine Projektionsfläche für gesellschaftliche Ängste aller Art zu schaffen. Wie ein türkisches Sprichwort sagt: Ihnen geht es nicht darum, Weintrauben zu essen, Ihnen geht es darum, den Winzer zu verprügeln. ({9}) Ich finde es schäbig, dass Sie sich die Schwächsten der Gesellschaft als Sündenböcke ausgesucht haben. Haben Sie doch endlich den Mut, offen zu sagen, worum es Ihnen eigentlich geht! Vielen Dank. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Hartmut Koschyk, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Rede der Kollegin Akgün hat gezeigt, wie wichtig unser Antrag ist. Er hat zum einen deutlich gemacht, wie RotGrün mit dem Rechtsproblem und mit dem politischen Problem illegaler Doppelstaatler in unserem Land glaubt umgehen zu können. Er wirft zum anderen ein bezeichnendes Licht auf die Politik der Bundesregierung zum EU-Beitritt der Türkei. Ich sage Ihnen ganz offen, Frau Kollegin Akgün: Das Ja zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei im Dezember 2004, forciert durch die rot-grüne Bundesregierung, war eine große politische Fehlentscheidung für Europa. ({0}) Rot-Grün hat eine Schicksalsfrage für unser Land entschieden, ohne in aller Klarheit bestehende Probleme in der Türkei und mit der Türkei benannt, geschweige denn gelöst zu haben. Warnungen der Politik - ich nenne nur Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing -, der Wissenschaft, aber auch der beiden großen Kirchen in unserem Land hat Rot-Grün ignoriert ({1}) und sich gegenüber Mahnungen und Fakten arrogant abweisend gezeigt. Wie sehr die Staatsmänner in Europa beim Thema Türkeipolitik jetzt, nach den Referenden in Frankreich und den Niederlanden, kalte Füße bekommen, zeigt die Tatsache, dass im Entwurf des Ratskommuniqués zum anstehenden EU-Gipfel am Wochenende das Thema überhaupt keine Erwähnung mehr findet. ({2}) Bei der Lösung der Problematik der illegalen Doppelstaatler hat sich die Bundesregierung in der Sache und auch gegenüber dem türkischen Staat alles andere als selbstbewusst verhalten, was die Vertretung berechtigter deutscher Interessen anbelangt. Auch die von Ihnen, Frau Kollegin Akgün, gerade propagierten Lösungsvorschläge halte ich nach wie vor für falsch. Weder die Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit noch Sonderregelungen für türkischstämmige Deutsche, die wegen der Wiedererlangung der türkischen Staatsangehörigkeit ihre deutsche Staatsangehörigkeit verloren haben, wären das richtige Zeichen. ({3}) Der türkische Staat hat den eingebürgerten türkischstämmigen Deutschen in Kenntnis und unter Missachtung unseres Staatsangehörigkeitsrechts die türkische Staatsangehörigkeit wieder zuerkannt. Darüber können und dürfen wir nicht einfach hinwegsehen. ({4}) Zudem ist es beschämend und bezeichnend, dass die Bundesregierung erst auf Druck der CDU/CSU überhaupt bereit war, von der Türkei die Herausgabe der Listen mit den Namen der illegalen Doppelstaatler zu verlangen. Es ist auch nicht hinnehmbar, dass sich der türkische Staat weigert, der Bundesregierung, konkret dem Bundesinnenminister, die Listen mit den Namen der illegalen Doppelstaatler herauszugeben. ({5}) Minister Schily war übrigens auch in einer anderen wichtigen Angelegenheit gegenüber der türkischen Seite völlig erfolglos. Es ging darum, die unakzeptable türkische Rechtspraxis zu unterbinden, missliebigen türkischen Staatsbürgern, die im Ausland straffällig geworden sind, die türkische Staatsbürgerschaft einfach zu entziehen, damit sie im Falle einer geplanten Abschiebung nicht in die Türkei zurückgenommen werden müssen. Es ist doch unannehmbar, dass Deutschland auf diesen türkischen Straftätern sitzen bleibt, ({6}) während sich die Türkei ihrer kurzerhand mittels Ausbürgerung entledigt. ({7}) Wenn Sie den Berliner Innensenator einmal gefragt hätten, welche schweren Straftaten diejenigen begangen haben, die die Türkei ausbürgert und die deshalb nicht in die Türkei abgeschoben werden können, dann wüssten Sie, wie gravierend dieses Problem in Wirklichkeit ist. Schily hat es angesprochen - das wollen wir honorieren -, aber er hat in dieser Frage gegenüber seinem türkischen Amtskollegen Aksu überhaupt nichts erreicht. ({8}) Dies zeigt, welchen Einfluss die rot-grüne Bundesregierung auf die türkische Regierung hat, nämlich null Einfluss. Auch sind wir der festen Überzeugung, dass die Bundesregierung mit der Tabuisierung und Verschleppung dieses Themas den türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern in Deutschland, die von dieser Problematik betroffen sind, keinen Gefallen tut. Es mag im ersten Moment zwar unbequem erschienen sein, dass wir mit unserem Parlamentsantrag auf diese Problematik hingewiesen haben, aber eine Tabuisierung und Verschleppung dieses Themas hat zur Folge, dass es nicht gelöst wird und dass in der Bevölkerung Vorbehalte aufgebaut werden. In einem Punkt können Sie sich sicher sein: Die Bevölkerung in Deutschland will nicht, dass Menschen in Deutschland an Wahlen teilnehmen, die überhaupt nicht dazu berechtigt sind, in Deutschland an Wahlen teilzunehmen. ({9}) Deshalb muss dieses Problem gelöst werden. Es macht keinen Sinn, dass wir jetzt, wie von Ihnen teilweise propagiert, ein einfaches Verwaltungsverfahren zur Wiedererlangung der deutschen Staatsangehörigkeit anbieten. In diesen Fällen kann es kein privilegiertes Verfahren geben. Dass Sie sich von Rot-Grün in dieser Frage auch deshalb schwer tun, weil viele von Ihnen nach wie vor als Regelfall die doppelte Staatsangehörigkeit propagieren, ist natürlich klar. Auch der Aufruf der Grünen vor der Landtagswahl in NRW an die von dieser Frage betroffenen Menschen zeigt, dass Sie in dieser Frage dem nachtrauern, was wir durch unsere Unterschriftensammlungen verhindert haben, nämlich dass die doppelte Staatsangehörigkeit so, wie Sie das ursprünglich wollten, zur Regel wird. ({10}) Wir meinen, wir müssen alles dafür tun, dass sich neue deutsche Staatsbürger durch die Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit voll zu unserem Staat und zu seiner Verfassungs- und Rechtsordnung bekennen. Die Einbürgerung muss Ausdruck einer innerlichen Zuwendung zu Deutschland und nicht nur ein oberflächliches Ritual sein. Daher treten wir für eine Eidesleistung bei der Einbürgerung ein. Wir fordern vom zukünftigen deutschen Staatsbürger ein eindeutiges Bekenntnis zur Werte- und Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Mit der Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft erwirbt der einbürgerungswillige Ausländer kein bloßes Privilegienpaket für seinen Aufenthalt in Deutschland. Vielmehr muss es um eine dauerhafte Bindung an unser Land, seine Werteordnung, seine Kultur, aber auch seine Menschen gehen. Deshalb kann eine feierliche Eidesleistung bei der Einbürgerung eine erfolgreich absolvierte Integration unterstreichen. ({11}) Ich will ein Beispiel nennen: Von mangelndem Integrationswillen zeugt zum Beispiel, wenn sich wie jetzt türkische Organisationen gegen den Bundestag und seine inzwischen überparteilich eingenommene Haltung zur Armenienfrage wenden. Für den nächsten Sonntag ruft nämlich die von den 200 000 in Berlin lebenden Türken wohl am meisten gelesene türkische Zeitung „Hürriyet“ zu einer Großdemonstration gegen einen Antrag aller Fraktionen im Deutschen Bundestag auf, in dem wir einvernehmlich gemeinsam den Genozid an den Armeniern verurteilen wollen. Zu dieser Demonstration werden 50 000 Personen erwartet. Wörtlich heißt es in dem „Hürriyet“-Aufruf: Wir werden uns den machtpolitischen Interessen von heute nicht beugen. Die Demonstration steht unter dem Motto: „Schnapp dir deine Fahne und mach mit“. Schnapp dir eine Fahne und mach mit - es wäre ein gutes Zeichen für den Integrationswillen der türkischen Gemeinde in Berlin und in Deutschland, wenn „Hürriyet“ seine Leser unter diesem Motto zur Akzeptanz der Verfassungs- und Rechtsordnung Deutschlands ({12}) und seiner Symbole, aber auch zu einem sachgemäßen Umgang mit der Armenienfrage aufrufen würde. Herzlichen Dank. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Josef Winkler, Bündnis 90/Die Grünen.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal muss gesagt werden, dass es nicht nur um ein Problem geht, von dem türkische Staatsbürger betroffen sind. Das ist Ihnen, meine Damen und Herren von der Union, ja völlig entgangen. ({0}) Es ist ja so, dass sich langsam, aber sicher viele türkische Organisationen, aber auch Mitbürgerinnen und Mitbürger von Ihnen kriminalisiert fühlen, und zwar in Gänze. Sie haben das ja auch eben wieder gezeigt. Sie vermischen hier Sachverhalte, die nichts miteinander zu tun haben. ({1}) - Das Ausbürgern von Kriminellen durch die türkische Regierung und das Verlieren der Staatsbürgerschaft durch eigenes Verschulden, indem man eine andere Staatsbürgerschaft annimmt, haben überhaupt nichts miteinander zu tun. Sie aber vermischen es. Das lehnen wir ab. ({2}) Betroffen sind zum Beispiel auch Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion oder auch jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, die aufgrund einer zwischenzeitlichen Niederlassung in Israel die israelische Staatsangehörigkeit erworben haben. Ich gebe gerne zu - das ist aber kein großer Akt von Enthüllungspolitik, Herr Kollege Koschyk -, dass die Grünen schon immer der Meinung waren, dass die generelle Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit ein integrativer Akt ist. Damit will ich aber überhaupt nicht entschuldigen, dass - was Sie zu Recht thematisieren - die türkische Regierung hier rechtswidrige Informationen an deutsche Staatsbürger aus der Türkei verteilt und sie über Jahre hinweg zur doppelten Staatsbürgerschaft ermuntert hat. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Wenn Sie uns Grünen vorwerfen, wir wollten quasi durch die Hintertür illegal die doppelte Staatsbürgerschaft einführen, dann kann ich nur sagen: So nicht! Wir sind zwar weiterhin dafür, dass sie eingeführt wird, aber das muss auf legalem Wege geschehen. ({3}) Unabhängig davon sollte man einmal sachlich überlegen, dass es eine Übergangsregelung für diejenigen Migranten geben sollte, die vor dem In-Kraft-Treten des neuen Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000 ihren Antrag auf Wiedererwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit gestellt hatten und diese Staatsangehörigkeit erst nach dem In-Kraft-Treten erhalten haben; auch diese Fälle gibt es. Meine Damen und Herren, ich kann hier nur an die Bundesländer - die wie immer durch Abwesenheit glänzen - appellieren, dem föderalen Durcheinander bei der Umsetzung des § 38 des Aufenthaltsgesetzes ein Ende zu bereiten ({4}) und im Interesse der Betroffenen zu agieren. Hier muss schnell Rechtsklarheit geschaffen werden. Wir brauchen eine Vereinbarung der Länder zur pragmatischen und unbürokratischen Handhabung der Voraussetzungen des § 38 des Aufenthaltsgesetzes und des Assoziationsrechts in Bezug auf die Türkei. Hier ist nach dem Grundsatz zu verfahren, dass der aufenthaltsrechtliche Status vor der Einbürgerung - in den allermeisten Fällen also ein unbefristetes Aufenthaltsrecht - wieder erteilt wird, sodass die Betroffenen schnellstmöglich wieder eingebürgert werden können. ({5}) Das ist im Übrigen in einigen Bundesländern - wie Berlin und Schleswig-Holstein, und auch ein schon damals unionsregiertes ist dabei, nämlich Hessen - bereits so vorgesehen. Zu kritisieren sind hingegen die Regelungen in Baden-Württemberg - die wohl dem entsprechen, was Sie anstreben, Herr Kollege Koschyk -, wo auch die FDP mitregiert: Dort werden die Migranten, die eine Wiedereinbürgerung anstreben, rechtlich so behandelt, als ob sie neu nach Deutschland eingereist seien. Es ist einfach nicht nachvollziehbar, dass Menschen, die schon einmal, und zwar unter Umständen vor vielen Jahren, ein Einbürgerungsverfahren erfolgreich absolviert haben, jetzt wieder bei Adam und Eva anfangen sollen, dass quasi überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wird, dass sie über Jahre gute deutsche Staatsbürger waren. Aber nach diesen Regelungen müssen sie, da sie diesen Fehler begangen haben - obwohl es bei den allermeisten gar kein Vorsatz war; schließlich werfen Sie ja der türkischen Regierung vor, dass sie falsche Informationen erteilt hat, und machen die Vorwürfe nicht diesen Bürgern -, auf Null zurück. Das lehnen wir ab. ({6}) - Es geht nicht um die Delikthaftigkeit dieser Sache, Herr Kollege Koschyk, sondern darum, dass Sie viele einzelne Menschen über einen Kamm scheren. Das tun wir nicht. Es ist integrationspolitischer Nonsens, wenn Menschen, die mit ihrer Einbürgerung schon vor Jahren gezeigt hatten, dass sie in unserer Gesellschaft, in Deutschland, angekommen sind, jetzt rechtlich wieder als Ausländer behandelt werden und unter Umständen sogar noch schlechter gestellt werden sollen, als sie es vor ihrer Einbürgerung waren. Ich denke, es ist klar, dass es hier ein Problem gibt. Wir bestreiten das nicht; da gibt es auch keine Tabuisierung, wie Sie eben hier behauptet haben. Der Innenminister hat in dieser Hinsicht bereits verhandelt und wir wussten um dieses Problem auch schon, bevor Sie uns darauf hingewiesen haben. Wir haben schon vorher dagegen protestiert; das wissen Sie ganz genau. Deshalb verwahre ich mich gegen Ihre Vorhalte. Wir - das kann ich für meine Fraktion und für die Fraktion der SPD sagen - wollen diese unsere Mitbürger, die da einen Fehler gemacht haben, wieder zurückhaben. Herzlich willkommen zurück in Deutschland! Dass die Union das ablehnt, ist für mich eine Schande. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler von der FDP-Fraktion.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion wird sich bei dem Antrag der CDU/CSU, über den wir gerade debattieren, der Stimme enthalten. ({0}) Wir wollen damit zum Ausdruck bringen, dass in diesem Antrag durchaus berechtigte Fragen thematisiert werden, etwa die wirklich nicht akzeptable Praxis der Türkei, ({1}) eigene Staatsbürger auszubürgern, wenn sie im Ausland straffällig geworden sind. Das sehen wir genauso wie die CDU/CSU. ({2}) Wir können diesem Antrag aber nicht zur Gänze zustimmen, weil er zum Teil überholt ist: Er bezieht sich auf die Aufnahmeentscheidung der Europäischen Union vom 17. Dezember 2004; insoweit ist er einfach durch den Zeitablauf überholt. Wir wollen diesem Antrag aber auch deswegen nicht zustimmen, weil wir glauben, dass einige innenpolitische Fragen, die von der CDU/CSU hier zur Debatte gestellt werden, die gesamte Dimension des Problems des Beitritts der Türkei zur Europäischen Union nicht erfassen. Dieser Antrag ist nicht geeignet, eine neue Debatte über den EU-Beitritt der Türkei zu initiieren. ({3}) Ich verweise auf die klare Haltung der FDP zu diesem Thema: Wir sind für wirklich ergebnisoffene Verhandlungen über den EU-Beitritt der Türkei. Diese werden sich voraussichtlich über einen längeren Zeitraum hinziehen, und wenn sie abgeschlossen sind, wird entschieden. Das Ergebnis lässt sich heute nicht vorwegnehmen. ({4}) Natürlich ist es legitim - die CDU/CSU macht dies -, in der Zwischenzeit einzelne Probleme zu diskutieren. Durch die von SPD, Grünen und FDP gemeinsam getragene Reform des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000 ist eine wirklich schwierige Situation entstanden. Damals ist vor allem auf Wunsch der CDU/CSU an dem Grundsatz festgehalten worden, dass jeder nur eine einzige Staatsangehörigkeit haben soll ({5}) und dass die doppelte Staatsangehörigkeit prinzipiell verboten ist. ({6}) Daraus erwachsen nun praktische Probleme; denn damals ist folgende Regelung geschaffen worden: Deutsche Staatsangehörige, die ihren Wohnsitz im Inland haben und zusätzlich eine ausländische Staatsangehörigkeit erwerben, verlieren mit diesem Erwerb automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit. Der Grund für diese Regelung war natürlich folgender - daran muss man sich einmal erinnern -: Es sollte verhindert werden, dass es entgegen der mit diesem Gesetz verbundenen Intention zu doppelten Staatsangehörigkeiten kommt. Die normale Sanktion bei diesem Regelverstoß - der Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit - konnte nicht im Gesetz verankert werden, da ein solches Vorgehen durch Art. 16 des Grundgesetzes verboten ist. Diese Regelung im Grundgesetz soll deutsche Staatsangehörige vor Rechtsverlusten schützen. Aus genau diesem Grund haben wir eine viel weiter gehende Regelung geschaffen, nämlich die „Fallbeilregelung“, die vorsieht, dass die deutsche Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit automatisch verloren geht. Es ist etwas paradox, dass eine Schutzvorschrift - Art. 16 des Grundgesetzes - zu einer eigentlich weiter gehenden Regelung geführt hat. Ich wage zu bezweifeln, dass dies der Weisheit letzter Schluss war; ({7}) wir sehen nämlich, dass diese Regelung den unterschiedlichen Fällen, um die es geht, nicht gerecht wird. Beispielsweise haben Personen vor In-Kraft-Treten der Neuregelung die türkische Staatsangehörigkeit aus privaten Gründen beantragt, ohne dass eine Stichtagsregelung vorgegeben war. Es ist nicht so, dass diese Menschen ausgebürgert werden - dieser Gedanke kommt in vielen Briefen an uns zum Ausdruck -; vielmehr haben sie die deutsche Staatsangehörigkeit schon per Gesetz verloren. Aus diesem Grund wäre es klüger, eine Regelung zu finden, die den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit bei Erwerb einer ausländischen zwar weiterhin grundsätzlich vorsieht, diesen Verlust aber erst mit einer feststellenden Verwaltungsentscheidung in Kraft setzt. Die Rechtsnachteile treffen ja nicht nur einzelne Personen; vielmehr wirkt sich die dadurch entstehende Rechtsunklarheit auf unser gesamtes Gemeinwesen nachteilig aus. Schließlich weiß man nicht genau, wer wahlberechtigt ist und wer nicht, woran viele andere Rechtsfolgen anknüpfen. Angesichts dessen müsste die notwendige Klarheit durch die Entscheidung einer Verwaltung hergestellt werden. ({8}) Damit wird in keiner Weise akzeptiert, dass manche der Betroffenen die geltende Rechtslage bewusst umgehen wollten. Das verkennen wir nicht. Eine solche Haltung wird von uns nicht akzeptiert. Ich sage zum Schluss aus rein praktischen Erwägungen: Die Menschen, über die wir hier reden, wohnen schon jahrelang in Deutschland. Wäre es anders, hätten sie die deutsche Staatsangehörigkeit nicht erwerben können. Diese Menschen werden weiterhin - vielleicht ihr Leben lang - in Deutschland wohnen. Unsere Politik macht doch nur dann einen Sinn, wenn wir ihnen unabhängig von der Schuldfrage die Möglichkeit geben, die deutsche Staatsangehörigkeit wieder zu erwerben. Dies ist aber - ich sage dies in aller Deutlichkeit - nur im Rahmen der geltenden Vorschriften möglich. Ich möchte deshalb in dieser Debatte die Gelegenheit nutzen, an alle Betroffenen zu appellieren, ihre türkische Staatsangehörigkeit wieder aufzugeben; denn anders geht es nicht. Unsere Behörden sollten dann die neue Einbürgerung wirklich schnell durchführen. ({9}) Dies ist die einzig sinnvolle und praxisgerechte Lösung des Problems. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will zwei Vorbemerkungen machen. Erstens. Ich halte den Antrag der CDU/CSU, in dem ein innenpolitisches Thema behandelt wird, für ein absolut ungeeignetes Mittel, die EU-Tauglichkeit der Türkei infrage zu stellen. ({0}) Zweitens. Ich fand es sehr wohltuend, wie Herr Stadler mit der Frage der doppelten Staatsangehörigkeit und der damit verbundenen Problematik umgegangen ist. Ich will in Erinnerung rufen, dass im Jahre 1999 ein Ergebnis des damaligen Gesetzgebungsverfahrens zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts die Einführung der Inlandsklausel war, womit der Regelfall der doppelten Staatsangehörigkeit weggefallen ist. Lieber Herr Koschyk, ich sage es ganz unumwunden: Ich finde es nicht gut, auf welch einseitige Weise Sie mit der Frage der doppelten Staatsangehörigkeit umgehen. Ich möchte mir an dieser Stelle den Hinweis erlauben, dass der überwiegende Teil der Menschen, die als Aussiedler zu uns kommen, die doppelte Staatsangehörigkeit haben. Das ist bis heute so. ({1}) Ich sage ganz deutlich: Sie sollten sich nicht in dieser polemischen Art und Weise mit diesem Thema befassen. Denn das hilft den ausländischen Mitbürgern in unserem Lande nicht. ({2}) Zur Frage der Bewältigung aktueller und künftiger Sicherheitsrisiken im Rahmen des islamistischen Extremismus kann ich im Wesentlichen auf Debattenbeiträge aus dem vergangenen Jahr verweisen. Dass sich durch den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union diese Risiken verstärken würden, ist eine infame Unterstellung. ({3}) Das Gegenteil ist richtig: Der Beitritt einer säkular verfassten Türkei zur Wertegemeinschaft der Europäischen Union wäre nach meinem Dafürhalten ein klares Signal an die islamische Welt, das die geistig-politische Auseinandersetzung mit dem Islamismus wesentlich unterstützen könnte. Allerdings müssen die Ängste der Menschen in Deutschland und in anderen europäischen Staaten berücksichtigt werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Körper, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koschyk?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte, Herr Koschyk.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär Körper, wie bewerten Sie die massiv vorgetragenen Bedenken des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, aber auch des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz im Hinblick auf islamistische Bestrebungen in Deutschland, was eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU anbelangt?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Ich habe mich in dieser Debatte bei meinen Ausführungen sehr stark auf folgende Punkte konzentriert: auf die Problematik der türkischen Staatsangehörigkeit, auf die Gefahr des islamistischen Extremismus und die damit verbundenen Sicherheitsrisiken sowie auf den Gesichtspunkt, dass der Beitritt einer säkular verfassten Türkei zur Wertegemeinschaft der Europäischen Union ein klares Signal sein könnte, mit der die von mir erwähnte Auseinandersetzung unterstützt würde. Es ist wichtig, dass wir das in dieser zum Teil emotional geführten Debatte festhalten und diesbezüglich unseren Beitrag leisten. Darum bitte ich Sie. Ich denke, dass auch diejenigen, die Sie hier erwähnt und zitiert haben, dies so sehen, wie ich es tue. Meine Damen und Herren, die Menschen dürfen von der Politik eine nüchterne Analyse und entschlossenes Handeln erwarten. Davon lassen wir uns leiten, was die Zusammenarbeit mit der Türkei auf den einzelnen Problemfeldern angeht. Die Bundesregierung hat - das sage ich im Hinblick auf Ihren Redebeitrag - die Problematik des Wiedererwerbs der türkischen Staatsangehörigkeit durch hier ansässige, eingebürgerte Deutsche türkischer Herkunft frühzeitig erkannt und ist dem mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln entgegengetreten. Mit dem Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes vom 15. Juli 1999 ist erstmalig der noch vor der Reform mögliche und folgenlose Rückerwerb der früheren Staatsangehörigkeit unterbunden worden; das habe ich vorhin erwähnt. Durch die Streichung der so genannten Inlandsklausel verlieren seit dem 1. Januar 2000 auch in Deutschland lebende Deutsche mit dem Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit automatisch ihre deutsche Staatsangehörigkeit und sind wieder Ausländer, in der Regel zunächst ohne Aufenthaltsrecht. Über diese Rechtsfolgen wurden alle seit In-Kraft-Treten dieses Gesetzes neu eingebürgerten Deutschen informiert. Als der Bundesregierung die Verschleierungspraxis türkischer Registerbehörden bekannt wurde, hat sie sofort gehandelt. Die türkische Regierung hat sich kooperativ verhalten und bereits im März 2004 die einschlägigen Runderlasse ihrer Vorgängerregierungen aufgehoben und die darauf beruhende Praxis bei den Registerauszügen abgestellt. Auch hat sie die Anzahl der seit 2000 Rückeingebürgerten mitgeteilt. An dieser Stelle muss auch klargestellt werden, dass der Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit und der Wiedererwerb der früheren Staatsangehörigkeit an sich nicht rechtsmissbräuchlich sind. Es steht jedem Deutschen frei, eine andere Staatsangehörigkeit zu erwerben. Es sollte ihm jedoch klar sein, dass damit kraft Gesetzes automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit verloren geht, wenn er nicht zuvor eine behördliche Beibehaltungsgenehmigung erhalten hat. Hat jedoch ein türkischer Familienvater - ich finde es wichtig, dass wir da ein Stück differenzieren - für sich und seine gesamte Familie wieder türkische Pässe erworben, kann nicht automatisch unterstellt werden, dass sich auch Ehefrau und Kinder der rechtlichen Konsequenzen dieses Schrittes bewusst waren. Auch den Personen, Herr Koschyk, die bereits vor dem 1. Januar 2000, als dies noch folgenlos war, einen Antrag auf Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit gestellt hatten, deren Einbürgerung von türkischer Seite aber erst nach dem Wegfall der Inlandsklausel erfolgte, ist der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nicht vorzuwerfen. Bei dem Gespräch zwischen den Ministern Schily und Aksu am 11. April 2005 in Berlin wurde deutlich gemacht, dass eine gesetzliche Amnestieregelung, die von türkischer Seite gefordert wurde, nicht infrage kommt. Denn sachgerechte Lösungen sind bereits nach dem derzeit geltenden deutschen Recht möglich. Die mit dem Zuwanderungsgesetz eingeführten Regelungen in § 38 des Aufenthaltsgesetzes sind jedoch nicht als Sonderregelungen für den hier betroffenen Personenkreis türkischer Herkunft geschaffen worden, sondern verhelfen allen ehemaligen Deutschen, die - aus welchem Grund auch immer - ihre deutsche Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes verloren oder auf sie verzichtet haben, zu einem Aufenthaltstitel. Bei den Türken gilt zudem die Besonderheit des Beschlusses des zwischen der EG und der Türkei bestehenden Assoziationsrates. Ob anschließend eine erneute deutsche Einbürgerung möglich ist, richtet sich für alle nach den aktuellen, allgemeinen Einbürgerungsvoraussetzungen, die insbesondere ausreichende deutsche Sprachkenntnisse, der veränderten Sicherheitslage angepasste Vorkehrungen gegen Extremisten und die erneute Aufgabe der zwischenzeitlich erworbenen fremden Staatsangehörigkeit vorsehen. Zwar hat Innenminister Aksu in dem Gespräch mit Minister Schily eine Übergabe der Daten der Betroffenen an deutsche Behörden mit Hinweis auf den Datenschutz abgelehnt; wir bemühen uns aber weiter, diese Personendaten zu bekommen. Die türkische Seite hat sich bereit erklärt, mit der Bundesregierung über ein bilaterales Abkommen zum Austausch von Einbürgerungsmitteilungen zu verhandeln - ich denke, das ist auch wichtig -, das den deutschen Anforderungen besser gerecht wird als das von Ihnen angesprochene Abkommen. Einen entsprechenden Entwurf wird Minister Schily in Kürze dem türkischen Innenminister unterbreiten. Die Bundesregierung setzt weiterhin auf die Kooperation der türkischen Regierung und wird auch auf Fachebene die Gespräche mit der Türkei fortsetzen. Auch in der Frage der Ausbürgerungen türkischer Staatsangehöriger wegen nicht abgeleisteten Wehrdienstes steht die Bundesregierung seit längerem im Gespräch mit der türkischen Regierung. Sie hat dabei wiederholt und unmissverständlich klargestellt, dass diese Praxis für die deutsche Seite inakzeptabel ist, soweit die Rückführung von Personen, die sich unberechtigt in Deutschland aufhalten, hierdurch unmöglich gemacht wird. Ich denke, diese Position ist klar. Es wurde zugesagt, dieses Problem in der Türkei durch einen Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der Ausbürgerungsvorschrift, der dem türkischen Parlament bereits zugeleitet worden ist, zu lösen. Meine Damen und Herren, Sie sehen also, dass der Weg der Kooperation und des Dialogs zwischen uns und der Türkei nicht fruchtlos ist. Er ist zielorientiert und wird gute Ergebnisse bringen. In diesem Sinne bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Ralf Göbel von der CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Ralf Göbel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003535, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor ziemlich genau fünf Monaten haben wir uns hier in erster Lesung mit dem vorliegenden Antrag unserer Fraktion beschäftigt. Zwischenzeitlich ist eine Entscheidung auf EU-Ebene erfolgt; da gebe ich Herrn Stadler Recht. Der Inhalt des Antrags ist deswegen aber nicht unrichtig geworden; denn alle drei im Antrag genannten Punkte stellen nach wie vor Probleme dar, die uns in Deutschland beschäftigen. ({0}) Deswegen ist es richtig, dass wir heute noch einmal über dieses Thema diskutieren. Wenn man sich den Verlauf der letzten Debatte vor Augen führt, kann man erkennen, dass sich einige Redner heute ähnlich verhalten haben. Es wird nämlich weniger auf den Inhalt eingegangen. Vielmehr wird versucht, den Antrag so zu deuten, als werde darin gegen die Türkei polemisiert, oder gar, wie es der Kollege Winkler gemacht hat, als werde die türkische Bevölkerung damit kriminalisiert. ({1}) Ich kann dazu nur sagen: Es ist im politischen Wettstreit nicht fair, ({2}) wenn man die Argumente anderer, die im Übrigen auch von der Bundesregierung als Problem anerkannt werden, benutzt, um in der Bevölkerung den Eindruck zu erwecken, hier werde ein Volk kriminalisiert. Die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland hat es satt, dass ein Problem jedes Mal, wenn es offen angesprochen wird, auf irgendeine Art und Weise ins Hinterstübchen befördert wird und nicht mehr debattiert werden soll. Das wollen die Leute in unserem Land nicht mehr. ({3}) Deswegen müssen wir uns mit diesen Punkten noch einmal sehr intensiv beschäftigen. Die Bundesregierung hat ja eingestanden, dass es sich hier tatsächlich um Probleme handelt. Die Frau Parlamentarische Staatssekretärin Voigt hat - nicht zu Ihrer Freude - auf die Frage des Kollegen Strobl ({4}) bestätigt, dass das, was wir in den ersten beiden Punkten unseres Antrags benannt haben, tatsächlich Probleme sind und dass sie auch der Bundesregierung Sorge bereiten; denn sie war damals noch weit von einer Lösung entfernt. Ich frage jetzt: Sind wir der Lösung inzwischen näher gekommen? In der Bundesrepublik Deutschland gibt es etwa 50 000 Menschen, die deutsche Staatsbürger waren und vom Verlust ihrer Staatsbürgerschaft betroffen sind. In Nordrhein-Westfalen wurde darauf in Flugblättern, die man in deutscher, in russischer und in türkischer Sprache verteilt hat, hingewiesen. Diese Flugblätter waren nicht ganz ideologiefrei. Auch hätte man sich gewünscht, dass, da es sich um deutsche Staatsangehörige handelt, die deutsche Sprache ausreichend gewesen wäre. Aber die Frage ist - hier setzt meine Kritik an -: Wie erfährt man überhaupt, wer die Betroffenen sind? Die Einzige, die in der Lage gewesen wäre, uns exakt darüber zu informieren, wer betroffen ist, wäre die türkische Regierung gewesen. ({5}) Aber die türkische Regierung hat sich hinter datenschutzrechtlichen Regelungen verschanzt und uns diese Information bislang verweigert. Das ist noch immer Stand der Dinge. Meine jüngste Auskunft vom rheinland-pfälzischen Innenminister ist, dass man in einem sehr aufwendigen Verwaltungsverfahren die Register durchschauen, jeden einzelnen Fall betrachten, auf jeden Einzelnen zugehen und ein großes Verwaltungsverfahren einleiten müsste. Da hätte ich mir von unserem Partner Türkei mehr Entgegenkommen erwartet, als es derzeit der Fall ist. ({6}) Ich bin sehr gespannt, wie die von Ihnen, Herr Körper, genannten Abkommen aussehen werden und ob dieses Problem einer effektiven Lösung zugeführt wird oder ob man wieder im Rahmen von Aktionen, Flugblättern und Ähnlichem daran arbeiten muss, dass die Betroffenen selbst auf uns zukommen. Im Übrigen ist diese Situation auch für die Betroffenen nicht besonders glücklich: Sie sind in Deutschland, wissen gegebenenfalls nicht, dass sie keine deutschen Staatsbürger mehr sind, nehmen eventuell an Wahlen teil und haben einen Rechtsstatus, der ihnen hier Schwierigkeiten bereiten kann. Ich glaube, es gehört zur Pflicht einer Regierung - vielleicht auch zur Pflicht der Regierung, die die Betroffenen dazu animiert hat, ihre ehemalige Staatsangehörigkeit wieder anzunehmen -, diese Menschen in die Lage zu versetzen, in Deutschland oder in der Türkei - je nachdem, wie sie sich entscheiden wieder einen ordentlichen staatsbürgerlichen Status zu erlangen. ({7}) Deswegen ist es wichtig, dass wir die Bundesregierung nach wie vor fragen: Wie ist der Stand der Dinge? Wie weit seid ihr gekommen? Was können wir den Menschen, die hier sind, anbieten? ({8}) Das ist der Inhalt unseres Antrages, den ich zu begründen hatte. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Carl Eduard von Bismarck von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Carl Eduard Bismarck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003723, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über eine Reihe von anhaltenden Problemen mit der Türkei, die große Zweifel an der Bereitschaft der Bundesregierung aufwerfen, strittige Punkte in unserem bilateralen Verhältnis gegenüber unseren türkischen Freunden offen und ehrlich anzusprechen und sie auch zu klären. Dies scheint mir aber vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte über eine mögliche EU-Mitgliedschaft der Türkei von herausragender Bedeutung zu sein. Denn in unserer Bevölkerung und in ganz Europa herrschen große Sorgen und Ängste vor einer Überdehnung und damit einer Überforderung der EU durch eine Erweiterungspolitik nach dem Prinzip „Augen zu und durch“. ({0}) Wir lösen keine Probleme, indem wir sie ignorieren. ({1}) Übrigens verbessern wir durch eine solche VogelStrauß-Politik auch nicht die Chancen einer wirklichen Annäherung zwischen der Türkei und der EU. Die in Frankreich und in den Niederlanden gescheiterten Referenden über den europäischen Verfassungsvertrag haben die Gefahren einer derartigen Europapolitik offen gelegt. In beiden Ländern wurde doch in Wahrheit nicht der Verfassungsvertrag abgelehnt, den wir in diesem Haus aus gutem Grund mit überwältigender Mehrheit ratifiziert haben. Vielmehr haben die Franzosen und die Niederländer gegen eine Europapolitik gestimmt, die ihre Befürchtungen ignoriert. ({2}) Wir werden die Bürgerinnen und Bürger nicht für Europa begeistern können, wenn wir, gerade auch mit Blick auf die Türkei, Probleme und berechtigte Zweifel ignorieren. Erlauben Sie mir hierzu aus europapolitischer Sicht einige Anmerkungen. Morgen tritt in Brüssel der Europäische Rat zusammen. Man darf gespannt sein, was uns der Bundeskanzler zu diesem Thema vortragen wird. Wie jedenfalls in den letzten Tagen zu hören ist, werden die Schlussfolgerungen des Gipfels das Thema Türkei mit dem Mantel des Schweigens bedecken, obwohl die Verhandlungen mit der Türkei am 3. Oktober dieses Jahres eröffnet werden sollen. ({3}) Ich werte dies als eines von vielen Zeichen, dass in Europa ein Umdenkungsprozess stattfindet. Die Beitrittseuphorie ist einer sachlicheren Debatte gewichen, und das ist auch so gut. ({4}) Niemand in diesem Haus bestreitet, dass die Türkei eine europäische Perspektive hat. Diskutiert wird nur, wie wir diese Perspektive konkretisieren. CDU und CSU haben sich stets dafür ausgesprochen, einen realistischen Weg zu wählen, einen Weg, der den Interessen der Türkei, aber vor allem auch den Interessen der EU gerecht wird. Wir wollen der Türkei nicht die Tür vor der Nase zuschlagen; aber wir wollen eben auch die vielfältigen Probleme einer Vollmitgliedschaft der Türkei nicht leugnen. ({5}) Für uns ist klar: Wir halten eine privilegierte Partnerschaft für den besten Weg zur Anbindung der Türkei an die EU. Wie diese Debatte zeigt, ist die Türkei auf zahlreichen Politikfeldern beileibe noch nicht europareif. ({6}) Lassen Sie uns deshalb auf die Stimme des Realismus hören und Abstand nehmen von Beitrittsszenarien, die weder der aktuellen Lage in der Türkei noch den Interessen der EU entsprechen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege von Bismarck, ich gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. ({0}) Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Innenaus- schusses auf Drucksache 15/5665 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Probleme mit der Türkei nicht ausblenden“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/4496 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Frak- tion angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({1}) - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Manfred Helmut Zöllmer, Michael Müller ({2}), Waltraud Wolff ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Dr. Reinhard Loske, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN zu der Unterrich- tung durch die Bundesregierung Verbraucherpolitischer Bericht 2004 - zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- rung Verbraucherpolitischer Bericht 2004 - Drucksachen 15/4865, 15/4499, 15/5611 - Berichterstattung: Abgeordnete Manfred Helmut Zöllmer Ulrike Höfken b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({4}) - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Sören Bartol, Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiterer AbgeordVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms neter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Volker Beck ({5}), Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zu der Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung Eine neue Ernährungsbewegung für Deutschland - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP zu der Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung Eine neue Ernährungsbewegung für Deutschland - zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula Heinen, Julia Klöckner, Peter H. Carstensen ({6}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Über-, Fehl- und Mangelernährung wirksam bekämpfen - Drucksachen 15/3323, 15/3324, 15/3310, 15/3987 Berichterstattung: Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm Ulrike Höfken Zum Verbraucherpolitischen Bericht liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Sie wissen ja, dass es sich hier um eine Berliner Stunde handelt, deren Berechnungsbasis in dieser Legislaturperiode eine Stunde à 62 Minuten ist; die Berliner Stunde ist also etwas länger als die Zeitstunde. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Bundesministerin Renate Künast das Wort.

Renate Künast (Minister:in)

Politiker ID: 11003576

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben im Bereich Verbraucherschutz bzw. vorsorgender Verbraucherschutz bei den Lebensmitteln in den letzten Jahren, zum Teil auch mit Zustimmung der Opposition, eine Neuaufstellung vorgenommen. Sie lief nach dem Motto „Wissen, was drin ist“. Das war für uns selbstverständlich: dass die Verbraucher wissen, was in dem Produkt, das sie kaufen, drin ist. Heute stehe ich hier und kann in Richtung Opposition und gerade CDU/CSU ein lautes Bravo rufen; denn heute hat die Opposition ihr Glanzstück, ihr Meisterstück in Sachen Verbraucherpolitik vollbracht. Sie hat gerade im Vermittlungsausschuss, als es um das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch ging, gezeigt, was sie meint und was sie darunter versteht, wenn sie sagt: Wir wollen die Verbraucher informieren. Sie hat nämlich mal eben dafür gesorgt, dass in diesem Gesetz der Verbraucherinformationsteil gestrichen wurde. ({0}) Endlich wissen wir, was drin ist, wenn wir CDU „kaufen“. Ich verstehe eines nicht: Warum wollen Sie nicht, dass Verbraucherinnen und Verbraucher wissen, was drin ist? Warum wollen Sie nicht, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher die notwendigen Informationen haben, um richtige Entscheidungen - auch preisangemessene Entscheidungen - für sich und ihre Familien treffen zu können? Das ist das schnelle Ende der „neuen Ehrlichkeit“. Ich habe jetzt nicht mehr im Kopf, wann Angela Merkel diesen Satz sprach, sage aber: Eine erschreckend und beeindruckend kurze Halbwertszeit! Das ist der Beweis, dass es Ihnen überhaupt nicht um neue Ehrlichkeit geht, sondern um Desinformation. Sie wollen die Verbraucher allein stehen lassen. Das haben Sie bei Gentechnik gezeigt, das haben Sie bei den Health Claims gezeigt und das zeigen Sie bei Verbraucherpolitik allgemein. ({1}) Was ich daran beeindruckend finde: dass die CDU/CSU, die sich gerne als wirtschaftskompetente Partei zeigt, an dieser Stelle wieder einmal zeigt, dass sie nicht verstanden hat, wie Binnenkonjunktur eigentlich funktioniert. ({2}) - Na ja, es gibt ja Unternehmen, die selbst Sie kritisieren - trotz aller Abtauchversuche von Frau Merkel. Eine starke Binnenkonjunktur setzt immer voraus, dass die Verbraucher bei ihren Alltagsgeschäften in der Lage sind, eine verantwortbare Entscheidung zu treffen. Sie müssen ein Gefühl von Sicherheit bei der Entscheidung haben, Geld für ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Dienstleistung auszugeben. An dieser Stelle kann man die Verbraucherpolitik als Chance begreifen, die Konsumfreude zu animieren. Woher kommt es denn, dass wir derartig hohe Spareinlagen haben und dass gleichzeitig ungeheure Zurückhaltung besteht, Geld auszugeben? ({3}) Sie können erkennen, dass es auch in diesen wirtschaftlich schwachen Zeiten durchaus Unternehmen in Deutschland gibt, die mit einer guten und transparenten Information schwarze Zahlen schreiben. Schauen Sie sich allein den Bereich E-Commerce an. ({4}) Ich muss Ihnen sagen: Meine These ist, dass sich die CDU immer noch in der kleinen Welt des 19. Jahrhunderts befindet. ({5}) - Ja. Sie haben sich nämlich immer noch nicht mit den komplexen Strukturen der Alltagsverträge im 21. Jahrhundert beschäftigt. Sie empfehlen die Marktwirtschaft aus der Erhard-Zeit. ({6}) Diese Zeit gibt es aber gar nicht mehr. Die Zeit, in der sich das Geld und die Unternehmen lediglich im nationalen Rahmen bewegt haben, ist doch längst vorbei. Tatsache ist, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, im Wesentlichen in ihrem Land leben, während sich das Geld und die Produktion bewegen können. Genau in diesem Zusammenhang empfehlen Sie eine Wirtschaftspolitik aus den 60er- und 70er-Jahren. ({7}) - Ja, doch. Sie alle sitzen hier und tragen Kleidung, die irgendwo - ich weiß nicht, wo - hergestellt wurde. Insofern sollten eigentlich auch Sie einen Hauch von Bezug zu diesem Thema haben. Die Realität sieht so aus, dass wir eine immer größere Vielzahl von Produkten und Angeboten sowie eine immer größere Anzahl unterschiedlicher Vertrags- und Geschäftsstrukturen haben. Gleichzeitig müssen die Menschen ihr Leben immer mehr in Eigenverantwortung planen und organisieren. Deshalb geht es an dieser Stelle definitiv nicht nur um wirtschaftliche Freiheit, sondern auch um die Verantwortung der Wirtschaft. Verantwortung der Wirtschaft muss an dieser Stelle bedeuten, dass es Leitplanken gibt. Das ist das gute Recht der Verbraucherinnen und Verbraucher. ({8}) Es ist schon so: Das Leben im Jahre 2005 entspricht nicht dem Leben im Jahre 1960 und wir wissen, dass wir heute, 2005, die Probleme von heute lösen und uns aber auch auf die Probleme von übermorgen vorbereiten müssen. Die jungen Leute, die hier oben auf der Tribüne sitzen, fragen sich zum Beispiel, wie sie an das Standbein private Altersvorsorge herankommen. Wofür geben sie denn ihr Geld aus? ({9}) Sie haben dazu überhaupt nichts geboten außer der Freiheit der Versicherungsvermittler - mehr nicht. Es ging Ihnen um die Freiheit derer, die eine Provision haben wollen, und nicht um die Freiheit derer, die hier oben sitzen und sagen: Wenn ich für mein Alter Geld investiere, will ich dafür auch eine Leistung haben. ({10}) Das unterscheidet uns. Hier zeigen sich der tiefe Graben zwischen uns und unsere unterschiedlichen Richtungen. Angefangen bei den Lebensmitteln haben wir die Produktsicherheit erhöht. Auch beim Schutz vor unlauterem Wettbewerb haben wir Verbesserungen erreicht. Ich nenne nur die Stichworte Spam und Schlussverkaufsrecht. Im Bereich der Telekommunikation haben wir bei den 0190er-Nummern - ebenfalls gegen Ihren Widerstand - dafür gesorgt, dass die Verbraucher abgesichert sind. ({11}) - Mein Gott, jetzt, nach Jahren, sind auch Sie endlich so weit. Trotzdem darf ich darauf hinweisen, dass Sie eine Mauer sind, die verhindert hat, dass wir das bereits früher geregelt haben. An Ihre eigenen Aussagen sollten Sie sich schon noch erinnern. ({12}) Die 0190er-Nummern waren immer ein Vorteil für die schwarzen Schafe - vielleicht noch für Sexanbieter -, aber nicht für den Mittelstand und die Verbraucher. Weiterhin nenne ich: vertragliche Informationspflichten bei Finanzdienstleistungen, Patientenbeteiligung, Datenschutz und bessere Tarife bis hin zum Kinderhandy. Das alles sind tatsächlich Verbesserungen. ({13}) - Ja, die Konten der Leute. Jetzt kam wieder der berühmte Zwischenruf der Partei der Besserverdiener. Sie werden Ihr Image nie los. Wozu brauchen Sie das Bankgeheimnis denn? Sie brauchen es doch nicht für diejenigen, die nur 100 Euro auf dem Konto haben. Sie wollen das Bankgeheimnis für diejenigen erhalten, die 100 000 Euro oder 1 Million Euro auf ihrem Konto haben. Wir sind aber gegen Steuerhinterziehung. ({14}) Wir haben das Lebensmittel- und Futtermittelgesetz, das Sie 16 Jahre lang vor sich her geschoben haben, endlich geschaffen. Jetzt gibt es endlich eine durchgehende Kette vom Futtermittel bis hin zur Ladentheke. Wir schaffen damit für die Verbraucher mehr Sicherheit bei den Lebensmitteln, während Sie schon wieder sagen: Verbraucherinformationen können wegfallen. Ich weiß schon, dass Sie nachher sagen werden, Sie wollten ja Verbraucherinformation, sogar mehr als wir. Dabei werden Sie aber hinter Ihrem Rücken die Finger überkreuzen; denn danach werden Sie erklären: Das werden wir später machen, also in 100 Jahren, oder wir lassen es über Brüssel laufen. - Die Verbraucher wollen aber nicht 15 Jahre warten, bis diese Angelegenheit in Brüssel entschieden wird. Sie wollen schon heute Informationen über die Lebensmittel haben, die sie für ihr Geld kaufen. ({15}) Auch das Thema digitaler Verbraucherschutz ist wichtig. Nehmen wir zum Beispiel die RFID-Chips, mit denen Großhandelsunternehmen ihr Warenmanagement gestalten. Auch bei diesem Thema sind der Handel und die Wirtschaft längst weiter als die Opposition. Sie haben entschieden: Die Chips sind nur bis zur Kasse lesbar; denn danach geht es um das Recht der Verbraucher auf Datenschutz, sodass sie nach dem Kauf keine Informationen preisgeben. Das ist eine moderne Verbraucherschutzpolitik. Das entspricht meines Erachtens dem Grundgesetz, weil das Grundgesetz auch die Aufgabe hat, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Nicht nur bei der eigenen Existenz muss Verbraucherschutz so funktionieren, dass man sich eigenständig und informiert entscheiden kann. Ihre Verbraucherpolitik ist so ausgerichtet, dass Sie eigentlich das C aus Ihrem Namen streichen müssten. Ich sehe gerade, dass Frau Hasselfeldt leider nicht da ist. Sie hat hier neulich gesagt: Wer soll bewerten, was ethische Aspekte sind? Meine Damen und Herren, wenn selbst Sie mit dem C im Namen es nicht wissen, dann kann ich nur sagen: Gute Nacht! ({16}) Wir wissen, dass auch ethische Aspekte bei der verbraucherpolitischen Information eine Rolle spielen. Wir wissen, es geht um Freiheit, aber nicht nur um die Freiheit der Wirtschaft, sondern auch die Freiheit der Kunden, wählen und entscheiden zu können. Sie wollen wissen, was das richtige Produkt ist. ({17}) Es geht um Ehrlichkeit und Wahrheit. Es geht um eine Wirtschaft, die mit Verbraucherpolitik schwarze Zahlen schreiben wird. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Ursula Heinen von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ursula Heinen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin Künast, ich habe in einer Rede selten so viele nicht ganz richtige Tatsachen gehört wie heute in Ihrer Rede. ({0}) Ich möchte Ihnen das gerne einmal darlegen. Fangen wir mit dem Beispiel der 0190er-Nummern an, deren Verbot Sie sich plötzlich auf Ihre Fahnen schreiben. Ich weise noch einmal darauf hin: Wenn Sie öfter einmal in den Ausschuss gekommen wären - Sie sind nämlich, glaube ich, in dieser Legislaturperiode insgesamt nur zweimal im Ausschuss für Verbraucherschutz gewesen -, hätten Sie auch die Beratungen über dieses Gesetz mitbekommen. ({1}) Dann hätten Sie erfahren, dass es die CDU/CSU gemeinsam mit der FDP gewesen ist, die in der Frage der 0190er-Nummern Tempo gemacht hat. ({2}) Der zweite Punkt betrifft das Verbraucherinformationsgesetz. Dazu möchte ich etwas über den Hergang in der parlamentarischen Beratung sagen. Wir haben begonnen, über ein Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch zu sprechen. Sie haben es in erster Lesung eingebracht. Das war aufgrund einer europäischen Vorlage notwendig. Dazu haben wir richtigerweise nach der ersten Lesung eine Anhörung mit Vertretern von Verbänden im Ausschuss durchgeführt. Diese haben uns ihre Meinung dazu gesagt und wir haben das aufgenommen. Kurz bevor dieses Lebens- und Futtermittelgesetzbuch in die zweite und dritte Lesung kam - das war haarscharf -, wurde ein Abschnitt 11, Verbraucherinformation, in einer Nacht- und Nebelaktion aufgenommen. ({3}) - Ihr Zwischenruf ist völliger Quatsch; denn es ging im Bundesrat nur darum, zu regeln, wann die Öffentlichkeit in bestimmten Fällen informiert wird. Es ging nicht um die Verbraucherinformation. ({4}) Wir haben gesagt: So, wie das Thema Verbraucherinformation in das Gesetz eingebracht wurde, passt es schlicht und ergreifend nicht hinein. ({5}) Sie hätten Ihre Koalitionsvereinbarung umsetzen und ein eigenständiges Verbraucherinformationsgesetz vorlegen sollen, über das man dann in der Breite hätte diskutieren können. Sie aber fummeln es in irgendein Gesetz hinein, in das es absolut nicht hineinpasst. ({6}) Ich freue mich, ({7}) dass wir heute in dieser Debatte die Möglichkeit haben - insofern muss man den Verbraucherpolitischen Bericht loben -, darüber zu diskutieren, wie das Verbraucherbild von Rot-Grün auf der einen Seite und wie das Verbraucherbild der Union auf der anderen Seite aussieht. ({8}) Geht es um den selbstständigen Verbraucher, der durch politisches Handeln, durch Rahmenbedingungen oder auch Leitplanken, wie Sie es formuliert haben, in die Lage versetzt wird, eigenständig zu entscheiden, oder geht es darum - das ist die Politik, die Sie in den vergangenen sieben Jahren gemacht haben -, den Verbraucher zu bevormunden und ständig mit dem moralisch erhobenen Zeigefinger vor ihm zu stehen und ihm zu sagen, was er zu tun oder zu lassen hat? Ich möchte gerne ein kleines Beispiel aus der oberbergischen Stadt Hückeswagen zitieren, das, als schaue man durch ein Brennglas, zeigt, was Sie unter Verbraucherpolitik verstehen. Im April dieses Jahres hat der Bürgermeister der Stadt Hückeswagen von seiner belgischen Partnerstadt eine große Menge echter belgischer Schokolade geschenkt bekommen, ({9}) um diese an gemeinnützige Organisationen, an Kindergärten und Altenheime zu verschenken. Es war einfach eine schöne Idee, im Rahmen der Partnerschaftsbeziehung zwischen den beiden Städten so etwas zu machen. 400 Menschen haben so Schokolade bekommen, ({10}) vorwiegend Kinder und Senioren, die sozial etwas schwächer gestellt waren. Die Sache kam gut in Hückeswagen an, leider aber nicht in Berlin; denn diese schöne Aktion in Hückeswagen - ich bin sicher, Sie wissen noch nicht einmal, wo das ist - nahm das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft zum Anlass, dem Bürgermeister einen Brief zu schreiben. ({11}) Ich möchte gerne aus diesem Brief zitieren: Sehr geehrter Herr Bürgermeister, durch Zusendung eines Zeitungsartikels wurde ich über Ihre Aktion, zwei Zentner Süßwaren an Schulen und Kindergärten zu verschenken, informiert. ({12}) Sicher ist die Aktion bei den Kindern gut angekommen. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass eine derartige Aktion allen Bemühungen, Übergewicht bei Kindern vorzubeugen und eine ausgewogene Ernährung sicherzustellen, entgegenwirkt. Zum Schluss wird dem Herrn Bürgermeister auch noch gedroht: Auf die Frage, ob Süßigkeiten ohne Zustimmung der Erziehungsberechtigten in Kindergärten und Schulen verteilt werden sollten, möchte ich an dieser Stelle nicht näher eingehen. ({13}) Jetzt frage ich mich: Was geht eigentlich in den Köpfen der Beschäftigten in Ihrem Haus vor? Haben sie nichts Besseres und nichts Wichtigeres zu tun, ({14}) als einem Bürgermeister zu sagen, was er zu tun und zu lassen hat? ({15}) Dürfen Kinder keine Schokolade mehr essen? Also doch: gute Lebensmittel, schlechte Lebensmittel. Das, was Sie von Ausgewogenheit erzählen, ist kompletter Quatsch. Ihr Haus weist in diesem Schreiben noch darauf hin, Hückeswagen solle sich gefälligst an den Bewegungsprogrammen des Bundesministeriums beteiligen. ({16}) Ich kann Ihnen sagen: Die Grundschulen in Hückeswagen haben ganz erfolgreich an dem Landesprogramm „Schulen in Bewegung“ teilgenommen. Daher können die Kinder dort ab und zu auch einmal ein bisschen Schokolade essen. ({17}) Ich habe dieses Beispiel deshalb so ausführlich erzählt, weil es zeigt, wie Sie denken und was Sie vorhaben. Sie wollen nämlich die Leute nicht frei entscheiden lassen, sondern Sie wollen sie bevormunden; Sie wollen sie ständig in eine Ecke drängen. ({18}) Das finde ich unverschämt. Dieses Verbraucherbild wird es mit uns nicht geben und ist mit uns nicht zu machen. ({19}) Ich glaube ohnehin, dass Sie in die Geschichte dieser Republik als größte Ankündigungsministerin aller Zeiten eingehen. ({20}) Was haben Sie denn nicht alles angekündigt und nicht umgesetzt! ({21}) Wo waren Sie denn bei wichtigen Themen, zum Beispiel als es um die Energiepreise gegangen ist? Wo waren Sie, als es um Fahrgastrechte gegangen ist? Sie behaupten, Sie hätten sich ({22}) um die Handys und die Telekommunikation gekümmert. Es waren aber doch die anderen. Die Federführung lag doch beim Wirtschaftsausschuss und selbst in Ihren Fraktionen lag die Federführung bei den Wirtschaftspolitikern und nicht bei den Verbraucherpolitikern. ({23}) Es war doch so, dass Sie das Thema erst dann aufgegriffen haben, als Sie gemerkt haben, dass es pressewirksam ist. Ein weiteres Thema - darauf können Sie gleich antworten - sind die Schrottimmobilien. Sie haben im November groß angekündigt, was Sie alles tun wollen. Dass die Federführung beim Justizministerium liegt, hat Sie nicht interessiert. Sie haben Ihr Interview gegeben und gesagt, Sie tun etwas. Das wurde auch im Bericht angekündigt. Es ist aber nichts geschehen. Was machen Sie in diesem Bereich? Das interessiert mich wirklich. Ich komme zum Schluss. Die Wähler bekommen hoffentlich bald die Chance, darüber zu entscheiden, wer die bessere Verbraucherpolitik macht, wer sie ernster nimmt, wer sich intensiver kümmert, wer sie nicht bevormundet und ihnen die Freiheit lässt, selbst zu entscheiden, was sie tun und lassen wollen. Danke schön. ({24})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Manfred Zöllmer von der SPD-Fraktion.

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin Heinen, Sie haben versucht, die verbraucherpolitische Löwin zu geben. ({0}) Leider enden Sie dabei in politischer Hinsicht wieder als Bettvorleger. ({1}) Wenn wir hier über die richtigen Konzepte streiten, dann spielt die Verbraucherpolitik eine wichtige Rolle. Die Menschen im Lande sollen erfahren, wer der Anwalt ihrer Interessen ist und wer sie im Stich lässt, indem er ihre Rechte und Interessen ignoriert. Die Verbraucherpolitik ist in Deutschland unter dieser rot-grünen Bundesregierung ein essenzieller Bestandteil unseres politischen Handelns geworden. Der Bericht belegt dies eindrucksvoll. Dies ist eine Erfolgsgeschichte dieser Bundesregierung. ({2}) Wir sind den Weg von einem rein reagierenden Verbraucherschutz hin zu einer gestaltenden Verbraucherpolitik gegangen. Unser Ziel ist eine aktive Verbraucherpolitik, die auch eine wichtige Funktion im Wirtschaftssystem übernimmt. Verbraucherinnen und Verbraucher können und sollen selbst entscheiden, liebe Kollegin Heinen, und ihre Entscheidungen auch selbst verantworten. Aber sie können dies nur, wenn ihnen der Markt Transparenz und Informationen bietet, damit sie ihre Entscheidungen bewusst treffen können. Sie können dies nur, wenn sie nicht betrogen und über den Tisch gezogen werden. ({3}) Die Verbraucherinnen und Verbraucher benötigen deshalb gesetzlich verankerte Rechte, die sie wirksam durchsetzen können, damit sie auf gleicher Augenhöhe als Marktteilnehmer agieren können. ({4}) Unser Ziel ist es, das real existierende Ungleichgewicht zwischen organisierter Anbietermacht und individualisierter Nachfragemacht zu beseitigen. Paul A. Samuelson, ein bekannter amerikanischer Wirtschafts-Nobelpreisträger, hat es einmal so ausgedrückt: „Der liebe Gott hat uns zwei Augen gegeben, um Angebot und Nachfrage zu betrachten.“ Nur wer Beides im Blick hat, kann einen wirksamen Wettbewerb fördern und gestalten. Eine aktive Verbraucherpolitik ist deshalb für uns ein zentraler Bestandteil der Wirtschaftspolitik. Unternehmen, die den Verbraucherschutz nicht ernst nehmen, verlieren Marktanteile und Arbeitsplätze. ({5}) Lassen Sie mich jüngste Beispiele nennen. Kürzlich wurde in den USA von Marktforschern ermittelt, dass sich 39 Millionen Amerikaner vom Onlineshopping zurückgezogen haben, weil sie Angst vor „identity theft“ - also vor Identitätsdiebstahl - hatten. ({6}) In Deutschland sind 250 000 Jugendliche zwischen 15 und 20 Jahren überschuldet. Dabei spielt fast immer das Handy eine große Rolle. Deshalb bekommt es bei vielen Eltern ein zunehmend schlechtes Image. Viele telefonische Mehrwertdienste und Internetangebote wurden und werden zum Teil genutzt, um in dreister Weise Kunden zu betrügen und über den Tisch zu ziehen. Jeder kennt entsprechende Beispiele; die Medien waren voll davon. Dies bedroht seriöse Geschäftsmodelle und damit Arbeitsplätze in einem Zukunftsmarkt. Derartige Erscheinungen können und wollen wir nicht hinnehmen. ({7}) Deshalb haben wir in dieser Legislaturperiode viele Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht - das macht der Bericht auch deutlich -, sei es das Gesetz gegen den Missbrauch von Mehrwertdiensterufnummern, das novellierte UWG oder das Telekommunikationsgesetz. Dies wird auf sehr gute Art und Weise dokumentiert und dargestellt. Wir wollen einen Ausgleich zwischen Anbieter- und Nachfrageseite schaffen. Wir wollen die Verbraucherinnen und Verbraucher in ihren Rechten stärken. Wir wollen für Information und Transparenz sorgen, dabei aber die Wirtschaft nicht als Gegner, sondern als Mitstreiter - wo immer möglich - einbeziehen. Wir werden auf der anderen Seite nicht zulassen, dass aufgrund eines unzulänglichen Verbraucherschutzes Verbraucherinnen und Verbraucher abgezockt, gleichzeitig Geschäftsmodelle beschädigt und ökonomische Zukunftschancen vertan werden. Hier ist staatliches Handeln notwendig. Hier haben wir gehandelt. Das werden wir auch in Zukunft so machen. ({8}) Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie kommen ständig - das haben Ihre heutigen Reden wieder deutlich gemacht - mit den gleichen Standardargumenten. Das eine lautet - das verwendet insbesondere die FDP -: Ein freier Markt regelt sich alleine und trennt gewissermaßen automatisch die Spreu vom Weizen. Das andere lautet: Verbraucherschutz belastet die Wirtschaft und führt zu Überregulierung, mehr Bürokratie und Bevormundung. - Auch wenn Sie diese Argumente dauernd wiederholen, bleiben sie falsch. Der Staat ist in seiner gestaltenden Funktion dort gefordert, wo der Markt versagt. Es gibt viele Beispiele für Marktversagen. In Wirklichkeit sind Ihre Argumente nur vorgeschoben und inhaltslos. Sie wollen in Wahrheit keinen wirksamen Verbraucherschutz. Dies haben Sie an vielen Punkten deutlich gemacht. Das Auseinanderdriften von Wort und Tat bei Ihnen lässt sich an vielen Beispielen sehr gut belegen. Das Stichwort „Verbraucherinformationsgesetz“ ist ja hier schon gefallen. In der letzten Legislaturperiode haben wir den Entwurf eines Verbraucherinformationsgesetzes vorgelegt - liebe Frau Heinen, hören Sie zu! -, das umfassend regeln sollte. Aber Sie haben diesen Gesetzentwurf im Bundesrat abgelehnt. ({9}) Danach haben Sie uns permanent aufgefordert, in diesem Bereich endlich etwas zu tun. Wir haben dann etwas getan. Wir haben mit dem Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch einen neuen Anlauf unternommen. Das Ergebnis ist: Wieder wird es von der CDU/CSU abgelehnt, und zwar mit gänzlich fadenscheinigen Argumenten. Ich muss Ihrer Parteivorsitzenden einfach Recht geben: Das Defizit der CDU/CSU in der Verbraucherpolitik ist nicht zu leugnen. Ihr Hauptproblem ist aber: Es wird immer größer. Es gibt keine einzige vorwärts weisende Idee von Ihnen. Immer wenn es konkret wird, kneifen Sie. ({10}) Die FDP hat Bedenken gegen alles, was auch nur irgendwie nach Verbraucherschutz aussieht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Zöllmer, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Heinen?

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich erlaube eine Zwischenfrage.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte, Frau Heinen.

Ursula Heinen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kollege Zöllmer, könnten Sie dem Parlament bitte noch einmal erklären, von wem die ersten Initiativen kamen, beispielsweise im Bereich von Spam oder gegen den Missbrauch bei den 0190er-Nummern etwas zu unternehmen?

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ihr Problem ist: Sie sind zwar sehr groß im Ankündigen; aber im Ergebnis bleibt nichts übrig. Das gilt für alle von Ihnen hier genannten Fälle. ({0}) Das Interesse der FDP am Verbraucherschutz und an Verbraucherinformation ist gleich null. Frau Kopp, Sie haben das zum Beispiel im Zusammenhang mit den Zigaretten deutlich gemacht. Ihnen geht es nur um die wirtschaftlichen Interessen. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind Ihnen vollkommen gleichgültig. ({1}) Das ist ein verbraucherpolitischer Offenbarungseid. Was Sie von der Bundesregierung auf diesem Politikfeld präsentiert bekommen, ist eine moderne und aktive Verbraucherpolitik des 21. Jahrhunderts. Das dient den seriösen Unternehmen, sichert Märkte und Arbeitsplätze in Deutschland und nutzt den Verbraucherinnen und Verbrauchern. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Gudrun Kopp von der FDP-Fraktion.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Lieber Herr Kollege Zöllmer, nicht der Markt versagt, ({0}) sondern die rot-grüne Bundesregierung hat versagt und ist am Ende. ({1}) Zu dieser letzten Runde mit Frau Künast als Verbraucherministerin ({2}) kann ich Ihnen nur sagen: Sie veranstalten hier eine verbraucherpolitische Märchenstunde, die wirklich kaum noch zu ertragen ist. ({3}) Herr Kollege Zöllmer, es ist richtig, wenn Sie sagen: Unternehmen, die Verbraucherschutz nicht ernst nehmen, verlieren Marktanteile. Sehr richtig! Und weil das so ist, ist jedes seriöse Unternehmen - dazu zählt der überwiegende Teil der Unternehmen - von sich aus daran interessiert, Verbraucher zu informieren und zufrieden zu stellen, ({4}) damit es Marktanteile behalten und überhaupt existieren kann. ({5}) Das hat natürlich auch etwas mit der furchtbar desolaten Wirtschaftslage hier in Deutschland zu tun. Frau Ministerin Künast hat eben von der hohen, inzwischen zweistelligen Sparquote gesprochen. Gründe dafür sind die hohe Arbeitslosigkeit und die Unsicherheit der Menschen hinsichtlich ihrer Zukunft, was Bildung, Arbeitsplätze und wirtschaftliche Prosperität betrifft. Die Menschen glauben, sie haben null Chancen. Deshalb bin ich ziemlich sicher, dass wir dieses Desaster recht bald beenden werden. Sehr geehrte Frau Ministerin Künast, Sie haben sich in der zurückliegenden Legislaturperiode als wahre Aktionskünstlerin dargestellt. Ein paar Beispiele sind hier schon genannt worden; ich füge noch eines hinzu: Sie haben vor kurzem in einer Riesenaktion den staunenden Medien Listen mit über 1 000 Inhaltsstoffen präsentiert, die in Zigarettentabaken enthalten sind. ({6}) Das haben Sie als die Sensation verkauft. Auf die Frage nach der wissenschaftlichen Erprobung dieser Erkenntnisse und den Wirkungen dieser Inhaltsstoffe konnten Sie jedoch nur sagen: Das müssen wir jetzt erst einmal prüfen. - Das ist eine tolle Geschichte. Sie haben daraus eine Riesenshow gemacht, aber der Informationswert für den Verbraucher war gleich null. Es ist wirklich nichts anderes als eine große Mogelpackung, denn schließlich weiß jeder, dass Rauchen nicht nur gefährlich ist, sondern auch tödlich sein kann. Sie haben immer wieder Riesenlisten vorgelegt und dem Verbraucher zu sagen versucht, was er tun und wie er sich verhalten soll; Sie haben Landwirte gegängelt und gegeißelt; Sie haben Biolandwirte gegen konventionell wirtschaftende Landwirte auszuspielen versucht; Sie haben gegen Billigkäufe gewettert. Aber Sie haben beim Thema „Der Staat als Kostentreiber“ keine Aktion gestartet. Sie haben sich niemals wirklich eingemischt bei hohen Energiepreisen, die Arbeitsplätze kosten und Verbraucher und Firmen hoch belasten. ({7}) Sie haben immer mehr Bürokratielasten, die eben auch Kosten bedeuten, aufgebürdet und sich nicht auf das wirklich Notwendige beschränkt. Seien Sie versichert: Die meisten Verbraucher sind erwachsen und selbstbestimmt und wissen selber, was für sie gut und richtig ist. ({8}) Beim Thema Forschung ist vieles nachzuholen. Wenn ich daran denke, dass sie sogar für Werbeverbote gestritten haben, kann ich Ihnen nur sagen: Legale Produkte müssen auch beworben werden dürfen oder aber die Produkte haben vom Markt zu verschwinden. Den ersten Gesetzentwurf zum Verbraucherinformationsgesetz mussten Sie zurückziehen, weil Sie damit die Behörden der Städte, Gemeinden und Kreise enorm belastet hätten. ({9}) Die haben Ihnen den Garaus gemacht und haben sich bedankt für immer mehr Belastungen im Zusammenhang mit Informationen, die für die Verbraucher nur geringen Nährwert haben. Ich kann Ihnen nur sagen: Kümmern Sie sich in Zukunft vermehrt um Bürgerrechte! Kümmern Sie sich darum, dass die Bahn als Dienstleister ihre Kunden im Schadensfall oder im Beschwerdefall rechtsgleich behandelt! Kümmern Sie sich darum, dass Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft auch als Verbraucher gesehen werden! Kümmern Sie sich darum, dass Bürgerrechte wieder etwas gelten! Ich erwähne hier nur das Stichwort „gläsernes Bankkonto“ und denke dabei nicht an die Inhaber großer Konten. Es geht einfach darum: Wer guckt in die Konten? Wer darf sich hinter dem Rücken der Kontoinhaber Informationen verschaffen? Ich bin gegen einen Schnüffelstaat. Ich finde, das ist eine Verbraucherpolitik, die Verbraucher in höchstem Maße missachtet, anstatt ihre Interessen zu vertreten. ({10}) Mich beruhigt am heutigen Tag, dass viele Verbraucher Sie längst durchschaut haben und bei Ihrer nächsten Aktion gelassen bleiben; denn wir wissen: Das ist bald vorüber. Der September wird den Wechselwind bringen. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Gabriele Hiller-Ohm von der SPD-Fraktion.

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anders als bei der Opposition ist Verbraucherschutz bei der rot-grünen Bundesregierung in guten Händen. ({0}) Wir haben ein schlagkräftiges Verbraucherschutzministerium geschaffen. ({1}) Sie waren dazu nicht in der Lage. Wir haben wichtige Regelungen zur Stärkung der Verbraucherrechte auf den Weg gebracht. CDU und CSU hingegen lassen sich einseitig von Lobbyinteressen leiten und treten, wenn es zum Beschluss kommt, auf die Bremse. Entscheidungen des Bundestages werden mit Ihrer Mehrheit im Bundesrat dann wieder zurückgedreht. ({2}) So sieht es aus. Ich nenne zwei Beispiele aus dem Ernährungsbereich. Erstes Beispiel: nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben auf Lebensmitteln. Wir unterstützen auf EU-Ebene ein Verbot von irreführenden gesundheitsbezogenen Angaben auf Kinderlebensmitteln. ({3}) Aufdrucke wie „ohne Fett“ oder „mit wertvollen Vitaminen“ haben auf einer Tüte zuckriger Gummibärchen nichts zu suchen. ({4}) Diese Angaben suggerieren einen positiven Nährwertgehalt - irreführend, meine Damen und Herren; denn bei Naschzeug ist der hohe Zuckergehalt das Problem. Der verschwindet auch nicht durch den Zusatz von Vitaminen oder die Reduzierung von Fett. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sagen Nein zu unserem Vorschlag. Warum? Die Lobbygruppen der Ernährungsindustrie intervenierten und zeigten die rote Stoppkarte. Zweites Beispiel: das Präventionsgesetz. Mit dem Präventionsgesetz wollen wir die Vorbeugung von Krankheiten verbessern. Die Verbraucherzentrale bezeichnete den Gesetzentwurf übrigens als Meilenstein. Ein wichtiger Bereich ist die Prävention von Übergewicht bei Kindern. Die CDU/CSU-regierten Länder signalisierten lange Zeit Zustimmung. Als es dann jedoch zum Schwur kam: Blockade. Im Bereich der Finanzdienstleistungen sieht Ihre Politik nicht besser aus. Erstes Beispiel: Altersvorsorge. Wir wollen, dass die Menschen für das Alter besser vorsorgen. Mit der Reform des Alterseinkünftegesetzes haben wir 2004 die Weichen gestellt. Betriebliche Renten und Riester-Renten-Produkte wurden für Verbraucherinnen und Verbraucher attraktiver gemacht. ({5}) Gleichzeitig haben wir das Privileg der Steuerbefreiung von Kapitallebensversicherungen zusammengestrichen. Warum war das nötig? Kapitallebensversicherungen sind kein geeignetes Mittel zur Altersvorsorge. 70 Prozent der Verträge werden vorzeitig gekündigt. Durch die steuerliche Vergünstigung werden aber die viel wirksameren Riester-Produkte auf dem Markt benachteiligt. Das musste geändert werden. Und wieder einmal stießen wir auf Widerstand bei der Opposition. Warum? Kapitallebensversicherungen sind für Besserverdienende ein interessantes Instrument zur Vermeidung von Steuern. ({6}) Zweites Beispiel: Versicherungsvertragsrecht. In Deutschland sind viel zu viele Menschen falsch versichert. Dies liegt auch daran, dass sie nicht richtig beraten werden. Mit der Reform des Versicherungsvertragsrechtes wollen wir den Abschluss von Versicherungen transparenter machen. Unter anderem fordern wir ein Protokoll der Beratungsgespräche. Dadurch werden falsche Beratungen und unseriöse Angebote aufgedeckt. Die Position der Union ist hier sehr schwammig. Sie warten auf grünes Licht aus der Versicherungswirtschaft. Bedienung von Lobbyinteressen und Blockade wichtiger verbraucherpolitischer Projekte - so, meine Damen und Herren von der Opposition, machen Sie Politik. Wir machen das anders. Wir nehmen die Menschen ernst ({7}) und haben trotz des Widerstands der Union für die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland sehr viel auf den Weg gebracht. ({8}) Diese Politik setzen wir fort. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Marlene Mortler von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jahrelang hat Ministerin Künast den Agrarpolitischen Bericht für ihre verbraucherpolitischen Zwecke, für ihre Propaganda missbraucht. Heute liegt uns ein eigenständiger Verbraucherpolitischer Bericht vor. ({0}) Ich sage Ihnen eines: Es hat sich nichts geändert; denn Frau Ministerin ist ihrem Ruf als Verbrauchertäuschungsministerin gerecht geworden. ({1}) Mit diesem Bericht verbinde ich die große Hoffnung, dass es der letzte Bericht ist, den Sie abliefern. Deutschland braucht nicht nur einen Regierungswechsel; Deutschland braucht eine Änderung in der Verbraucherpolitik, ({2}) eine Politik, die Verbraucher wirklich und ehrlich informiert und nicht verdummt und nicht gängelt. ({3}) Amtliche Verbraucherpolitik heißt für uns: für Wahrheit und Klarheit sorgen ({4}) und jede amtliche Täuschung vermeiden. Was haben Sie getan? Sie haben in den Jahren Ihrer Amtszeit EU-Vorgaben im Inland ständig verschärft, haben dem Verbraucher/der Verbraucherin aber bewusst verschwiegen, dass Lebensmittel mit niedrigeren Standards aus dem EUBinnenmarkt ungehindert auf unsere deutschen Ladentheken kommen. ({5}) Diese nationalen Alleingänge werden im Bericht als nationale Ergänzungsregelungen umschrieben, ohne dass sie begründet werden. Warum verschleiern Sie, Frau Ministerin? Warum nennen Sie das Kind nicht beim Namen? Ich habe im Bericht nachgelesen. Auf Seite 13 steht: Im gemeinsamen Binnenmarkt sind europaweite Regelungen des Wettbewerbsrechts erforderlich. ... Abweichende nationale Regelungen … werden nach dem derzeitigen Stand ausgeschlossen … Warum dann nicht auch europaeinheitliche Standards in der Lebensmittelproduktion? Die Praxis zeigt doch, dass die Wirtschaft und die Landwirtschaft jederzeit bereit sind, Lebensmittel mit höheren Standards zu liefern, wenn der Markt und wenn der Verbraucher dies wünschen, ({6}) aber auf freiwilliger Basis und eigenverantwortlich, ohne Gängelung. Ministerin Künast hat in all den Jahren auf Gängelung gesetzt. Ich nenne das Beispiel: Verfütterungsverbot für tierische Fette. Das gilt nur in Deutschland. ({7}) Ich nenne das Beispiel: Pflicht zum BSE-Test bereits bei Rindern ab 24 Monaten, in allen anderen EU-Ländern erst ab 30 Monaten. ({8}) Das verursacht Kosten. Ich nenne das Beispiel „niedrigere Mykotoxingrenzwerte für Getreide und Getreideerzeugnisse“ oder das Beispiel „niedrige Rückstandsgrenzwerte für Pflanzenschutzmittel“. ({9}) All diese Werte sind in Deutschland wesentlich niedriger. ({10}) Man muss sich das einmal vorstellen: In Deutschland darf das Fleisch von heimischen Rindern, die älter als 24 Monate sind, nur dann auf den Teller, wenn diese Tiere entsprechend getestet worden sind. ({11}) Frau Ministerin sagt aber nicht, dass das Fleisch von französischen Rindern auf unseren Teller kommen darf, auch wenn dort, wie EU-weit, Tests erst für Tiere ab 30 Monaten vorgeschrieben sind. ({12}) Das ist Verbrauchertäuschung und hat nichts mit Verbraucherschutz zu tun. ({13}) Ministerin Künast propagiert einseitig Freilandhaltung von Legehennen. Sie sagt aber nicht, dass gerade diese Haltungsform eine stärkere Dioxinbelastung der Eier mit sich bringt. ({14}) In Wahrheit ist der Ökolandbau für Ministerin Künast nur Mittel zum Zweck gewesen, denn seit der Einführung des deutschen Biosiegels kommen immer mehr ausländische Ökoprodukte in unsere Ladenregale.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Mortler, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Künast?

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich müsste leider ({0}) - nein, ich kneife nicht - schon seit 18 Uhr zu einem wichtigen Termin im Büro sein. Ich bitte um Verständnis. Frau Künast hätte in den letzten Monaten zum Thema Ökolandbau längst Stellung nehmen können. Da war das Thema immer auf der Tagesordnung. Die Bundesregierung hat dazu bewusst geschwiegen, gerade zum deutschen Biosiegel. Das ist Fakt. Meine Damen und Herren, seitdem leiden die heimischen Ökobauern an geringeren Erlösen und der Verbraucher tappt immer noch im Dunkeln darüber, wo dieses Ökoprodukt, das das deutsche Biosiegel trägt, denn nun wirklich herkommt, weil die Kennzeichnung bezüglich der Herkunft nicht eindeutig geregelt ist. Gerade haben wir noch von Ministerin Künast gehört, dass es ihr darum geht, zu wissen, was drin ist. So viel zur Verbrauchertäuschung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Mortler, kommen Sie bitte zum Schluss.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Sicherheit heimischer Nahrungsmittel war noch nie so hoch wie heute. Das bestätigen auch seriöse Wissenschaftler. Trotzdem sind die Verbraucher und die Erzeuger immer wieder gegeneinander ausgespielt worden. ({0}) Die Produkte sind schlecht geredet worden, man hat Angst erzeugt und Panikmache betrieben und mit Stimmungsmache auch Wählerstimmen eingefangen. Ich bin aber sicher, der Wähler wird Ihnen das nicht mehr durchgehen lassen. Für die Union ist Verbraucherschutz ({1}) sehr wichtig, wir setzen aber auf Eigenverantwortung. Verbraucherschutz hört für uns dann auf, wenn er nur noch Geld kostet, aber nichts mehr bringt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Frau Kollegin Mortler.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Renate Künast das Wort.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Ich muss an dieser Stelle ganz kurz auf zwei Punkte eingehen: auf die internationalen Grenzwerte bezüglich Pestizideinsatz und auf das Thema Rinder. Erstens möchte ich klarstellen, dass wir uns in der Europäischen Union auf einem Weg der Harmonisierung befinden. In den nächsten Jahren soll es einheitliche Grenzwerte bezüglich erlaubter Rückstände aufgrund von Pestizidnutzung in Lebensmitteln geben. Ich sage ganz klar: Ich bin stolz darauf, dass bei all den Untersuchungen, die von NGOs durchgeführt werden und bei denen sie immer wieder - im Augenblick zum Beispiel bei Erdbeeren oder bei Paprika - Rückstände finden oder Überschreitungen der Rückstandshöchstwerte feststellen, landwirtschaftliche Produkte aus Deutschland nicht genannt werden. ({0}) Weil es den Markt für diese guten Produkte schon gibt, meine ich, es wäre falsch, jetzt vor einer europäischen Harmonisierung die Werte für die deutschen Produkte hochzusetzen. Das würde am Ende nämlich deren Absatz gefährden. Außerdem glaube ich, dass wir längst ein Qualitätsniveau erreicht haben, von dem andere noch träumen. ({1}) Zweitens habe ich den Eindruck, dass Sie aus BSE nichts gelernt haben. Unsere BSE-Politik, das systematische Bemühen um die Herstellung von Sicherheit, beruht, wenn ich sie einmal mit einer Hose vergleiche, darauf, quasi diese Hose mit Gürtel und Hosenträgern zu sichern. So haben wir zum einen klar definiert, was Risikomaterialien sind, die nicht verzehrt werden dürfen, und zum anderen klar geregelt, dass ab dem 24. Monat getestet wird. Im Ergebnis haben wir so relativ schnell Verbrauchervertrauen hergestellt. Wenn Sie, liebe Frau Mortler, am Rednerpult etwas behaupten, dann sollten Sie versuchen, wenigstens in der Tendenz, Ihre AusfühRenate Künast rungen auch mit einem Hauch Wahrheit zu versehen. Diese BSE-Politik ist eine Erfolgsgeschichte. Der Rindfleischmarkt ist ungefähr da, wo er auch vorher war, und die Rindfleischpreise sind seit Anfang des Jahres um 70 Cent pro Kilo gestiegen. Das ist die Erfolgsgeschichte. ({2}) Ich kann gar nicht glauben, dass ich an der Stelle den Verbraucherinnen und Verbrauchern sagen soll, dass wir jetzt die Standards senken, in der Hoffnung, dass sie dann immer noch einkaufen. Was Sie hier vorgeschlagen haben, ist für die bäuerlichen Betriebe ein Vernichtungsmodell. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Mortler, zur Erwiderung? - Bitte schön.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön. ({0}) - Man hat mir gesagt, dass ich auf alle Fälle auf diese Intervention zu antworten habe; deshalb antworte ich jetzt pflichtgemäß. Frau Ministerin, zum Thema Vernichtungsmaschinerie für die Landwirtschaft. ({1}) Ich finde es schon ungeheuerlich, wenn Sie das uns in die Schuhe schieben. Was haben Sie denn in den letzten sieben Jahren gemacht? Seit Ihrer Amtsübernahme hat sich der Strukturwandel in der Landwirtschaft noch beschleunigt. Sie sind auch nicht dafür verantwortlich, dass der Rindfleischpreis gestiegen ist. Dazu haben Sie mit Sicherheit nichts beigetragen. ({2}) Noch einmal zum Stichwort Verbrauchertäuschung. Meine Intention war, zum Ausdruck zu bringen, dass Sie immer wieder Ankündigungen gemacht haben, andererseits aber die Verbraucher immer wieder bewusst getäuscht haben. ({3}) Das versteht doch kein Mensch - ich wiederhole es -: Wenn ein Rind in Deutschland bereits mit 24 Monaten getestet werden muss, aber zum Beispiel in Frankreich erst mit 30 Monaten, Fleisch dieses französischen Rindes jedoch trotzdem auf den deutschen Teller darf, dann ist das ein Widerspruch, den Sie den Verbrauchern nie erklärt haben und auch nie erklären wollten. ({4}) Zu Ihrem Beispiel mit den Pestiziden, Frau Ministerin. Bereits vor Ihrer Zeit hat die Lebensmittelüberwachung und -kontrolle in Deutschland funktioniert. Das ist Fakt. Sie sprechen von Harmonisierung. Die Bemühungen um eine Harmonisierung im Bereich der Pestizide und in anderen Bereichen ziehen sich hin. Solange die Harmonisierung nicht wirklich erreicht ist, hat unsere Land- und Ernährungswirtschaft eklatante Nachteile. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Jella Teuchner von der SPD-Fraktion. ({0})

Jella Teuchner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002816, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Sehr geehrte Frau Kollegin Mortler, auch das, was Sie hier gesagt haben, stimmt - das muss man einfach einmal feststellen - zu 98 Prozent nicht. ({0}) - Viel Glück bei Ihrem Termin im Büro! Einen richtigen Halbsatz haben Sie gesagt, nämlich: Wir brauchen keinen Regierungswechsel. Das war der einzig richtige Beitrag in Ihrer Rede. ({1}) Mit unserem Verbraucherpolitischem Bericht belegen wir den hohen Stellenwert und die zentrale Bedeutung, die die Verbraucherpolitik in unserer politischen Arbeit hat. Er zeigt Problemfelder auf und beschreibt Ziele unserer verantwortlichen und zukunftsorientierten Politik. Dabei ist für uns ganz klar: Verbraucherinnen und Verbraucher wollen Informationen, gerade wenn es um Lebensmittel geht. Pestizide kann man nicht sehen, Acrylamid nicht schmecken. Verbraucher brauchen Vertrauen in die Lebensmittel. Dafür müssen wir die nötige Transparenz schaffen. Das ist unsere Aufgabe; die haben wir angepackt und packen sie weiterhin an. Wenn ich mir den Antrag der Union anschaue, dann stelle ich fest, dass dort zu diesem Thema überhaupt nichts steht. Im Gegenteil, Sie reden von Pseudoinformation, Bevormundung durch Beratungspflichten und einem Informationschaos. Dabei merken Sie noch nicht einmal, dass Sie an der Realität total vorbeischreiben: Sie schwadronieren von einer Vielzahl von Biolabeln. Haben Sie eigentlich schon bemerkt, dass wir mittlerweile ein funktionierendes, den Verbrauchern bekanntes und vom Handel akzeptiertes Biolabel haben? Das Biosiegel ist ein Erfolg, ob Sie das akzeptieren oder nicht. ({2}) In Ihrem Antrag steht aber auch rein gar nichts zum Verbraucherinformationsgesetz. Dabei sind Transparenz und Vertrauen ohne Information nicht möglich. Behörden sind eben keine Geheimgesellschaften. Die Menschen wollen wissen, was die Behörden bei ihren Kontrollen herausfinden. ({3}) Wenn es um Dinge geht, die die Menschen betreffen, dann sollten sie auch das Recht auf diese Information haben. Dank Ihrer Taktik und Ihrer Blockade haben sie es aber nicht. Sie werden es auch in Zukunft nicht haben, weil Sie, Union und FDP, dies einfach nicht wollen. Sie können noch so viele Sonntagsreden halten und Schaufensteranträge schreiben: Wenn es zum Schwur kommt, dann stimmen Sie mit Nein. Das war in der letzten Legislaturperiode so und das ist in dieser Legislaturperiode wieder so. Union und FDP sind dafür verantwortlich, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher von den Behörden keine Antwort erwarten können. Sie sagen den Verbraucherinnen und Verbrauchern, die Informationen über ihre Lebensmittel haben wollen, lapidar: Das geht dich nichts an. - Es geht sie aber sehr wohl etwas an. Vertrauen schafft man nur durch Transparenz, und zwar durch diejenige Transparenz, die wir im Lebensmittel- und Futtermittelgesetz verankern wollten. Union und FDP haben das wieder herausgestrichen. Das ist das Ergebnis des Vermittlungsausschusses. Sie, Union und FDP, wollen keine Transparenz. Sie werden nicht an Ihren Worten gemessen, sondern an Ihren Taten. Das, was Frau Mortler eben zum Besten gegeben hat, ist das beste Beispiel dafür. ({4}) Sonntagsreden sind etwas Nettes. Während der Woche lassen Sie die Verbraucherinnen und Verbraucher aber abblitzen. Sie haben die Verbraucherinformation wiederholt abgelehnt. Wenn man sich Ihr Schattenkabinett anschaut, dann sieht man, dass Sie vorhaben, sich von der Verbraucherpolitik ganz zu verabschieden: ({5}) Sie wollen den gesundheitlichen Verbraucherschutz dem Gesundheitsministerium und den rechtlichen Verbraucherschutz der Justiz unterordnen. Das sind drei Schritte zurück. Wir werden dafür sorgen, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher wissen, was sie von Ihnen zu erwarten haben: keine Informationsrechte, keine Unterstützung, einfach gar nichts. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Julia Klöckner von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Teuchner, Sie haben eben vom Schattenkabinett der Union gesprochen: Da wissen Sie mehr als wir. Die einzigen Schatten, die ich bisher sehe, sind auf der Regierungsbank. ({0}) - Zum Zeitunglesen: Vielleicht sollte man sich auch informieren. ({1}) - Das haben Sie getan. Wir werden uns darüber nachher gern unterhalten können. Vielleicht sind Sie einer Ente aufgesessen; aber das ist mir relativ gleich. Sehen wir einmal, was nach der Wahl kommt. Ich glaube, Sie werden dann ganz andere Dinge zu bewältigen haben. Ich möchte auf das Thema BSE-Tests zu sprechen kommen. Mit Blick auf unsere deutschen Produzenten möchte ich natürlich, dass vorwiegend deutsches Fleisch gekauft wird. Frau Künast wie auch Herr Ostendorff haben eben Zwischenrufe gemacht: Man soll gerade deshalb deutsches Fleisch kaufen, weil in Deutschland BSE-Tests für alle Rinder über 24 Monate bei der Schlachtung vorgeschrieben sind. Sie müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass das Fleisch der deutschen Bauern neben dem Fleisch aus Argentinien oder aus Frankreich liegt. In Frankreich sind BSE-Tests erst für alle Rinder über 30 Monate bei der Schlachtung vorgeschrieben. Dadurch kann es viel günstiger als das Fleisch aus Deutschland sein. Wir können uns das deutsche Fleisch sicherlich leisten; ({2}) aber es gibt außerhalb dieser „heiligen Hallen“ viele Bürgerinnen und Bürger, die es sich nicht leisten können und sich überlegen müssen, was sie kaufen. Angesichts dessen ist es - gerade als Partei der Besserverdienenden - sehr arrogant, zu sagen: Dann kaufen wir das deutsche Fleisch. ({3}) Frau Künast, Sie haben in der Debatte über den Verbraucherpolitischen Bericht 2004 ein Resümee dessen gezogen, was Sie in Ihrer Regierungszeit zum Verbraucherschutz gemacht haben. Dabei ist mir eines aufgefallen: Sie haben gar nichts zu den Energiepreisen gesagt. Wenn jemand von hohen Energiepreisen betroffen ist, dann sind es doch wohl alle privaten Haushalte, die kleinen wie die großen Familien. Mich wundert es schon, dass die Verbraucherministerin nichts zu den steigenden Energiepreisen gesagt hat. Stattdessen treten Sie, Frau Künast - das mag auch interessant sein -, für nachhaltiges Waschen ein. ({4}) Es herrscht also Stille im Ministerium zu den steigenden Energiepreisen. Ich kann mir schon vorstellen, warum Sie dazu nichts gesagt haben. Zum einen hat Minister Clement Ihnen verboten, sich dazu äußern. Zum anderen wissen Sie natürlich, dass der Bumerang zurückkommen kann. Innerhalb Ihrer Regierungszeit sind beispielsweise die Stromkosten aufgrund der staatlichen Belastungen von 2,2 Milliarden Euro um mehr als das Fünffache auf 12 Milliarden Euro gestiegen. Weil dies gegen die Interessen der Verbraucher ist, halten Sie bei diesem Thema den Mund und reden beispielsweise lieber über Schrottimmobilien. Es gibt noch ein zweites Kabinettstück. Schauen wir uns einmal das Werbeverbot für Zigaretten an. Die EU beschloss ein Werbeverbot für Zigaretten. Auf der einen Seite wetterte Minister Clement dagegen und zog sogar vor den Europäischen Gerichtshof. Auf der anderen Seite möchten Sie zeitgleich im nationalen Alleingang ein Werbeverbot erwirken. Es ist schon interessant, dass Sie sich alle Möglichkeiten offen lassen wollen. Es wäre aber schon gut, Sie würden Ihre Arbeit besser koordinieren. ({5}) Die Schwächen in der Koordinierung zeigen sich beim Thema Ernährung noch gravierender. Dazu haben wir heute nur relativ wenig von Ihnen gehört. Verbraucherschutzministerium und Gesundheitsministerium wissen nicht, wer die Zügel in die Hand nehmen soll. Es gibt teure Doppelstrukturen. Das Gesundheitsministerium legt ein Programm im Zusammenhang mit Ernährung für rund 2 Millionen Euro auf. Ihr Ministerium, Frau Künast, gibt wiederum 9 Millionen Euro für Aufklärungskampagnen und Wettbewerbe im Zusammenhang mit Übergewicht aus. Das Familienministerium wiederum legt ein Projekt „Qualitätssicherung in Beratung und ambulanter Therapie von Frauen und Mädchen mit Essstörungen“ auf. Das eine Ministerium lässt Broschüren drucken und das andere Ministerium hat ähnliche Broschüren schon einmal über die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung verteilen lassen. Trotzdem sagen Sie, Sie hätten nicht genug Geld. Dass Übergewicht und Fettleibigkeit ein Problem sind, sind wir uns ja einig. Wir brauchen einheitliche Strategien. Es muss auch ressortübergreifend zusammengearbeitet werden. Frau Ministerin Künast, es bringt nichts, wenn Sie mit PR-Kampagnen vorpreschen und alles an die große PR-Glocke hängen, wenn andere Ministerien ähnlich verfahren. Wir müssen bei der Ernährungsberatung und Ernährungsaufklärung in Deutschland unsere Aktivitäten endlich bündeln. Apropos Alleingang. Frau Künast, wir erinnern uns noch an Ihr Buch „Die Dickmacher“. Ich habe bis heute nicht verstanden, wie unter diesem Titel Ihr Konterfei auf den Buchdeckel gedruckt werden konnte. Ihr Buch hat eine Auflage von 30 000, aber es ist - mit Verlaub ein Rohrkrepierer geworden. Zu diesem Schluss kommt man, wenn man bei den Buchhandlungen und beim Verlag nachfragt. Die Fachleute auf dem Gebiet der Ernährung haben den Inhalt Ihres Buches angegriffen. Frau Künast, Sie sind eine Freundin des Bücherschreibens. Zurzeit suchen Sie einen Autor zum Thema Wein und Riesling. Dieses Thema macht sich ganz gut. Ich weiß, Stuart Pigott hat abgesagt. Aber es gibt noch eine gute Autorin in Köln. Sie stürzen sich immer auf Themen, die sich gut für PR eignen. Wir sind der Meinung, dass man die Gesundheitsaufklärung und die Ernährungsaufklärung ganzheitlicher sehen muss und dass man die Plattform etwas neu justieren muss. Es sollen hinsichtlich der Gewichtsprobleme nicht nur die Kinder und die Jugendlichen angesprochen werden, sondern auch die Erwachsenen. ({6}) Die Erwachsenen müssen mit gutem Beispiel vorangehen. ({7}) Ich möchte Sie zum Schluss noch bitten, nicht nur das Übergewicht im Fokus zu haben. Es gibt auch die Untergewichtigen sowie die Fehl- und Mangelernährten. In meine Sprechstunde kam eine Mutter, deren Tochter magersüchtig ist. Auch das Problem der Magersucht müssen wir neben dem Problem des Übergewichts bei Kindern im Auge behalten. Dieses ist ein psychosoziales und pädagogisches Problem, das eindeutig zu wenig beachtet wird. Ich weiß, dass man damit keine Wahlen gewinnen kann. Wir müssen uns aber dennoch darum kümmern. Wir brauchen nicht nur eine Bauernbefreiung, sondern auch eine Verbraucherbefreiung. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf Drucksache 15/5611 zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/ Die Grünen zum Verbraucherpolitischen Bericht 2004. Der Ausschuss empfiehlt in Kenntnis des Verbraucherpolitischen Berichts 2004 auf Drucksache 15/4499, den Entschließungsantrag auf Drucksache 15/4865 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion angenommen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/5678. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion und Enthaltung der FDP-Fraktion abgelehnt. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf Drucksache 15/3987. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Entschließungsantrages der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/3323 zu der Erklärung durch die Bundesregierung mit dem Titel „Eine neue Ernährungsbewegung für Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion angenommen. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Entschließungsantrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/3324 zu der genannten Erklärung durch die Bundesregierung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3987 die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/3310 mit dem Titel „Über-, Fehl- und Mangelernährung wirksam bekämpfen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist wiederum mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU-Fraktion und FDP-Fraktion angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung des Berichts des Petitionsausschusses ({0}) Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages im Jahr 2004 - Drucksache 15/5570 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Vorsitzende des Petitionsausschusses, Dr. Karlheinz Guttmacher von der FDP-Fraktion, das Wort.

Dr. Karlheinz Guttmacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Rund 230 000 Bürgerinnen und Bürger haben sich im Berichtsjahr 2004 an den Petitionsausschuss gewandt. Dies ist eine beachtliche Steigerung gegenüber den Vorjahren. Sie macht deutlich, welches Vertrauen dieser Ausschuss in der Bevölkerung hat. In fünf Minuten eine angemessene Bewertung der Arbeit des Petitionsausschusses vorzunehmen ist für mich als Vorsitzenden unmöglich. Deswegen verweise ich an dieser Stelle auf den schriftlichen Bericht, der dem Bundestag vorliegt und den die Bürgerinnen und Bürger im Internet nachlesen oder aber beim Sekretariat des Petitionsausschusses anfordern können. Bei allem Verständnis für die Zwänge der derzeitigen parlamentarischen Situation: Ich finde, das Parlament sollte sich künftig auch hier im Plenum für die Sorgen und Nöte der Bürger wieder mehr Zeit nehmen. ({0}) Festzuhalten bleibt jedenfalls: Der Petitionsausschuss ist der politische Seismograph der Nation. Die großen Themen in der Politik spiegeln sich auch in der Arbeit des Petitionsausschusses wider. Allein im Gesundheitsbereich war bei den Neueingaben eine Steigerung um fast 150 Prozent auf mehr als 4 000 Einzelpetitionen zu verzeichnen. Aber auch zum Beispiel bei Themen im Zusammenhang mit der gesetzlichen Rentenversicherung oder dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz gab es beachtliche Zuwächse. Aus der Bandbreite der Eingaben möchte ich einen Einzelfall herausgreifen: Es hat mich besonders gefreut, dass im Berichtsjahr 2004 Bürger, die Hilfsgüter in Krisengebiete transportieren, aufgrund einer Änderung des Mautgesetzes von der Autobahnmaut befreit wurden. Dies war vorher nur für professionell arbeitende Hilfsorganisationen vorgesehen. Die Arbeit des Petitionsausschusses, so meine ich, hat dazu beigetragen, dass bürgerschaftliches Engagement jetzt in angemessener Weise durch den Staat unterstützt wird. Das zeigt, dass ein Bürgerbrief eine Gesetzesänderung herbeiführen kann. Der Petitionsausschuss nimmt jede Eingabe ernst, nicht nur solche, die von einer Reihe von Unterschriften begleitet werden. In 19 Sitzungen hat sich der Petitionsausschuss dem enormen Arbeitsanfall gestellt und entsprechend den Zuwächsen beim Posteingang erheblich mehr Petitionen abschließend behandelt als in den Jahren zuvor. Allein die Zahl der Beschlussempfehlungen an das Plenum konnte um 40 Prozent gesteigert werden. Dies war nur durch eine gute fraktionsübergreifende Arbeit der Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss möglich. Sie hat dazu geführt, dass in circa 90 Prozent der Fälle ein einheitliches Votum gefunden werden konnte. Hierfür möchte ich allen Kolleginnen und Kollegen aus den Fraktionen meinen allerherzlichsten Dank sagen. Ich möchte mich aber auch bei dem Ausschussdienst sehr herzlich bedanken, ohne den diese Arbeit nicht hätte bewältigt werden können. ({1}) Ich kann nur hoffen, dass die dort vorhandenen Ressourcen zumindest erhalten bleiben. Wir haben uns im Petitionsausschuss gerade in letzter Zeit mehr Aufgaben gestellt. Dazu ist es erforderlich, dass wir im Ausschussdienst personell gut besetzt sind. Wer den Sumpf trockenlegen will, darf damit nicht die Frösche beauftragen; wir kennen diesen alten Spruch. Mit dem Petitionsausschuss haben wir ein effizientes Instrument, Bürgerbeschwerden nachzugehen. Beauftragte der Bundesregierung können diese Arbeit nicht in gleicher Weise erfüllen; denn sie sind Teil der Exekutive, ihnen fehlt die Unabhängigkeit eines parlamentarischen Gremiums. Es sei gestattet, noch einen kurzen Blick in die Zukunft zu werfen. Der Petitionsausschuss stellt sich den Herausforderungen moderner Medien. Ab dem 1. September 2005 wird es für die Bürgerinnen und Bürger möglich sein, sich mit einer E-Mail an den Petitionsausschuss zu wenden. Zugleich wagen wir den Einstieg in das Zeitalter des elektronischen Parlaments. Als zusätzliches Angebot wird es möglich sein, Petitionen ins Internet zu stellen und öffentlich darüber zu diskutieren. Damit werden wir noch bürgerfreundlicher; denn der Zugang zum Petitionsausschuss wird noch einfacher. So stärken wir Elemente der direkten Demokratie. Zum Schluss noch eine persönliche Bemerkung: Dies ist der letzte Bericht, den ich als Vorsitzender des Petitionsausschusses zu verantworten habe. Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen, die mir die Arbeit im Petitionsausschuss sehr leicht gemacht haben. ({2}) Das Plenum bitte ich, den Ausschuss ernst zu nehmen, auch dann, wenn wir nicht gerade eine Debatte zum Jahresbericht führen. Allen Bürgerinnen und Bürgern rufe ich zu: Haben Sie weiter Vertrauen in die Arbeit unseres Ausschusses, auch dann, wenn wir Ihnen möglicherweise in Einzelfällen nicht helfen können! Vielen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Uwe Göllner von der SPDFraktion.

Uwe Göllner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002943, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein altes deutsches Sprichwort will uns weismachen, dass der Prophet im eigenen Land nichts gilt. Im letzten Berichtsjahr war der Herr Vorsitzende in unserem Auftrag in Québec, wo sich die Vorsitzenden der Ombudsräte, die Ombudsleute und die Vorsitzenden der Petitionsausschüsse trafen. Dort ist ihm wiederholt gesagt worden, dass unser System der parlamentarischen Petitionsarbeit als vorbildlich gilt. Also gilt der Prophet außerhalb des eigenen Landes wohl eine ganze Menge. Dass dieses Sprichwort nur sehr eingeschränkt Geltung hat, zeigt sich daran, dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes den Petitionsausschuss seit seinem Bestehen im Jahr 1949 ausgesprochen ernst nehmen, dass sie ihn annehmen und sich mit ihren Sorgen und Nöten an ihn wenden. Das verdeutlicht allein die Zahl der Eingaben, die im letzten Jahr an den Petitionsausschuss herangetragen wurden: Es waren 17 999 Eingaben. Auch wenn sich dahinter viel mehr Bürgerinnen und Bürger verbergen - der Vorsitzende hat darauf hingewiesen -, ist diese Zahl beachtlich. Als jemand, der schon ein paar Jahre Mitglied des Petitionsausschusses ist - ich glaube, ich bin seit sechs Jahren dabei; das ist für den Petitionsausschuss schon eine ungewöhnlich lange Zeit -, will ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschussdienstes herzlich danken. Die Mitarbeiter meines Büros sagen mir, dass sie immer dann, wenn es notwendig ist, vom Sekretariat angemessen bedient werden, sodass es mir möglich ist, denjenigen, die sich an mich wenden, immer sachgerecht und gut informiert zu antworten. Ich möchte ein paar Zahlen - die man fast seismographisch nennen kann - anführen, die dem Bericht zugrunde liegen: Es gab 17 999 Eingaben; dahinter stehen 50 000 Bürgerinnen und Bürger. Das sind 15 Prozent mehr als im vorigen Berichtsjahr. Dabei muss man aber auch sehen, dass es immerhin 18 Prozent weniger waren als zehn Jahre zuvor. Die Entwicklung verläuft also in einem ständigen Auf und Ab. In den ersten Regierungsjahren der rot-grünen Koalition hatten wir sogar einen Stand erreicht, der vor dem Stand der Wendezeit lag, also vor dem von 1990. Das werte ich natürlich als Zeichen der guten Politik, die wir gemacht haben und mit der die Bürgerinnen und Bürger zufrieden waren. ({0}) Eine letzte interessante Zahl aus dieser Statistik möchte ich noch nennen: Knapp 10 Prozent aller Eingaben erfüllten nicht die verfassungsmäßigen Voraussetzungen einer Petition. Dennoch sind sie angenommen worden. Sie sind eine Art Stimmungsbarometer für das, was die Menschen in unserem Lande bedrückt, für ihre Nöte, Anregungen und Hoffnungen. Diese sollten wir ernst nehmen; denn ich glaube, aus dem Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern über das Petitionswesen kann man eine ganze Menge lernen. Das hat zum Beispiel bei mir dazu geführt, dass ich schon so lange Mitglied des Petitionsausschusses bin; denn dadurch kommt es zu einer gewissen Verwurzelung, die man als Abgeordneter sehr leicht zu verlieren geneigt ist. Wie vital der Petitionsausschuss seiner Arbeit im letzten Jahr nachgekommen ist, zeigt sich an folgenden Fakten: den Ortsterminen, der Teilnahme an Messen, der engen Zusammenarbeit mit den Beauftragten der Petitionsausschüsse der Landtage, den Delegationsreisen unserer Mitglieder nach Bulgarien, Rumänien, Tschechien und Kanada, unserer Teilnahme an internationalen Tagungen des Petitionswesens und den Empfängen ausländischer Delegationen hier in Berlin, die aus Usbekistan, aus China, aus vielen afrikanischen Staaten, aus der Ukraine, den Niederlanden, Ägypten, Jordanien, Kuwait und vom Balkan kamen. Ich will Ihnen von einer Petition erzählen, die aus meinem Wahlkreis kommt und an der man sieht, dass man auch als Wahlkreisabgeordneter durchaus etwas davon haben kann: Von der Umgehung einer Autobahn, die mit einer Ortsumgehung verbunden wurde, war ein Kleingartenverein tangiert, der in seiner 60-jährigen Geschichte schon dreimal durch öffentliche Planungen verlegt worden war. Daraufhin wandte man sich an mich. Ich habe dem Verein empfohlen, eine Petition an den Deutschen Bundestag zu richten, weil der Bundesverkehrsminister an dieser Umgehungsstraße auf bestehender Rechtsgrundlage Lärmschutz und Spritzschutz angebracht hatte und nicht bereit gewesen war, zugunsten des Vereins von diesen Vorschriften insoweit abzurücken, dass das Vereinsleben an diesem Ort hätte weitergeführt werden können. Im Wege der Petition ist es dann gelungen, dies durchzusetzen, und das hat auch nur relativ kurze Zeit, weniger als ein halbes Jahr, gedauert. Die Bürgerinnen und Bürger haben den Petitionsausschuss als etwas erlebt, was ihnen weiterhilft. Ich glaube, wir alle sind gut beraten, wenn wir, obwohl es in den nächsten Monaten ja etwas zugespitzt zugehen wird, miteinander so umgehen, dass diejenigen, die den Herbst „überleben“, auch im 16. Deutschen Bundestag so angenehm zusammenarbeiten, wie das im Petitionsausschuss in den letzten Jahren möglich war. Danke schön. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Günter Baumann von der CDU/CSU-Fraktion.

Günter Baumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Grundrecht nach Art. 17 Grundgesetz, Petitionen an den Deutschen Bundestag zu richten, kommt, denke ich, in der heutigen Zeit eine besondere Bedeutung zu. Ich bedauere es deshalb sehr, dass wir in diesem Jahr nur 30 Prozent der Zeit, die wir im letzten Jahr hatten, zur Verfügung haben, um darüber sprechen zu können. Dass heute Abend nicht gerade die attraktivste Sitzungszeit ist, sehen wir ja auch an der Teilnehmerzahl. Meine Vorredner sagten bereits: fast 18 000 Petitionen im Jahr 2004, mit denen sich Bürger mit Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag, den Ort der Gesetzgebung, gewandt haben. Das ist ein deutlicher Anstieg gegenüber dem Vorjahr. Auch diesmal ist der Anteil der Bürgerinnen und Bürger aus den neuen Bundesländern prozentual wieder am höchsten. Gerade in den neuen Bundesländern gibt es, auch 15 Jahre nach der deutschen Einheit, leider immer noch zahlreiche besondere Problemfelder, die aus Sicht der Petenten noch nicht befriedigend gelöst werden konnten. Die gewachsene Zahl der Petitionen hat dem Ausschussdienst wieder besonders viel abverlangt. Deshalb möchte ich an dieser Stelle wie meine Vorredner den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschussdienstes für ihre fleißige und sachkompetente Arbeit ganz herzlich danken. ({0}) Ich möchte mich aber auch bei allen Kolleginnen und Kollegen des Ausschusses bedanken, die über Fraktionsgrenzen hinweg weitgehend gut zusammenarbeiten. Wir haben gemeinsam eine ganze Reihe von Petitionen für unsere Bürger bearbeiten und klären können. Ein besonderer Dank gilt auch unserem Ausschussvorsitzenden, Karlheinz Guttmacher, der mit hoher Sachkompetenz die Ausschusssitzungen geleitet hat. ({1}) Nur durch das kollegiale Miteinander war es möglich, unzähligen Bürgern in unserem Lande zu helfen oder zumindest weitestgehend entgegenzukommen. Ich bedaure, dass sich in den letzten Wochen das Klima im Ausschuss etwas verschlechtert hat. Wir haben zum Beispiel bei Petitionen zum SED-Unrecht keine gemeinsame Linie mehr gefunden. Ich hätte mir das gewünscht, gerade weil wir morgen den 17. Juni begehen. Selbst Kompromissangebote oder kleinere Zeichen, die wir hätten setzen können, waren nicht möglich. Ich denke, wir haben hier das Petitionsrecht nicht mehr voll genutzt. In den beiden letzten Sitzungen hat die rot-grüne Ausschussmehrheit in Abkehr von bisherigen Zeitplänen Entscheidungen über drei Initiativen herbeigeführt, mit denen sich der Ausschussdienst und auch wir Abgeordneten seit Ende letzten Jahres beschäftigt haben. Die CDU/CSU-Fraktion hat die Vorschläge ernsthaft geprüft und sich entschieden, sinnvolle Änderungen gemeinsam mit der Regierungskoalition mitzutragen. Meine Fraktion hat dem Verfahren der Einreichung von E-MailPetitionen ab 1. September 2005 zugestimmt. Ich denke, angesichts der steigenden Zahl von privaten Internetanschlüssen und der Weiterentwicklung der technischen Ausstattung vieler Haushalte haben wir hier eine vernünftige Sache beschlossen. Der Ausschuss hat hierfür ein zuverlässiges Verfahren ausgearbeitet; auch dafür ganz herzlichen Dank. Unsere Forderungen nach hinreichender Sicherheit sind dabei zuverlässig erfüllt worden. Auch einem Modellversuch, Petitionen im Internet unterzeichnen zu können, haben wir heute zugestimmt. Dagegen haben wir im Hinblick auf die Privilegierung von Massenpetitionen, die die Koalition heute gegen uns durchgesetzt hat, schwerwiegende Bedenken: Wir befürchten nicht vertretbaren verwaltungstechnischen Aufwand. Art. 17 Grundgesetz ist ein Grundrecht für jedermann, also für jeden einzelnen Bürger; er stärkt die Teilhabe des Einzelnen. Ein Anhörungsrecht für Massenpetitionen, zum Beispiel ab 50 000 Unterschriften, gibt, denke ich, einen falschen Anschein besonderer Bürgernähe. ({2}) Tatsächlich werden dadurch Millionen von Bürgern, die es organisatorisch niemals schaffen, eine solche MassenGünter Baumann petition einzureichen, vor den Kopf gestoßen und faktisch benachteiligt. ({3}) Meine Vermutung - in Anführungsstrichen - lautet: Diese Veränderung wird im nächsten Deutschen Bundestag bestimmt keinen Bestand haben. Der Petitionsausschuss sollte sich aus meiner Sicht intensiver mit dem Beauftragtenunwesen beschäftigen, welches in der letzten Zeit ziemliche Ausmaße angenommen hat. Angesichts einer kaum überschaubaren Zahl öffentlicher und privatwirtschaftlicher Schlichtungsstellen, Ombudseinrichtungen und spezieller Beauftragter in unserem Lande ist es für die Bürger immer schwieriger, zu entscheiden, an welche Adresse sie sich mit ihren Begehren wenden und wo sie am sinnvollsten Hilfe erhalten können. Die CDU/CSU-Fraktion betrachtet die Entwicklung des Beauftragtenwesens im Bereich der Bundesregierung und deren organisatorische und stellenmäßige Ausstattung sehr kritisch. Während es in den letzten Jahren im Bereich vieler Ausschüsse zu einem Stellenabbau gekommen ist - auch beim Petitionsausschuss musste man das zur Kenntnis nehmen -, gibt es beim Beauftragtenwesen einen beträchtlichen Stellenaufwuchs. Ich denke, die Bedeutung des Art. 17 Grundgesetz - ich habe es mehrmals gesagt - und die parlamentarische Bearbeitung von Bitten und Beschwerden sollten im Mittelpunkt stehen. Mit all unseren Möglichkeiten sollten wir dafür sorgen, dass es in unserem Land zu keiner Untergrabung unserer parlamentarischen Arbeit im Petitionsausschuss durch das Beauftragtenwesen kommt. ({4}) Mein Resümee: Der Petitionsausschuss als Gremium des Deutschen Bundestages kann die Probleme der Bürger immer noch am besten parteiübergreifend lösen. Leider gibt es einige Fälle, bei denen wir in der letzten Zeit keinen Konsens gefunden haben. Als Beispiel möchte ich nennen, dass es nicht möglich war, die Ungleichbehandlung der Alleinerziehenden, die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz erhalten, und der Alleinerziehenden, die einen Unterhaltsanspruch nach BGB haben, zu beseitigen. Das ist bedauerlich, weil das für die Alleinerziehenden, die Leistungen nach dem UVG erhalten, eine Ungleichbehandlung bedeutet; sie werden benachteiligt. Dafür gibt es eigentlich keine Rechtfertigung. Das ist eine widersprüchliche Familienpolitik. Ich denke, das ist ein Schlag ins Gesicht von allein erziehenden Müttern. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. ({5}) Zum Abschluss noch ein positives Beispiel: Mehrere Jahre lang haben wir gemeinsam gegen die Regierung und die Deutsche Post darum gekämpft, dass nach über zehn Jahren wieder ein Postleitzahlenbuch aufgelegt wird. Wir haben den Erfolg jetzt mit allen Mitteln erreicht. Ich denke, in den nächsten Wochen werden wir das neue Buch in den Händen halten. Wir können damit vielen Bürgern helfen, die keinen Internetanschluss und keine Möglichkeit haben, diese Zahlen irgendwoher zu erhalten. Es gibt bald ein neues Buch. Ich denke, das letzte positive Beispiel zeigt eindeutig: Der Petitionsausschuss kann den Bürgern im Land helfen. In vielen Fällen gelingt das. Er ist ein Mittel, das Vertrauen in die Demokratie zu stärken. Wir sollten diesen Dienst am Bürger in unserer Gesellschaft auch in Zukunft mit gleichem Einsatz fortsetzen. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Josef Winkler, Bündnis 90/Die Grünen.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Keine Skandale, relativ wenig Gezänk, kein Hollywood, sondern eine solide und erfolgreiche Arbeit - das ist der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages, und zwar parteiübergreifend. ({0}) Damit das so ist, braucht man einen sehr guten Ausschussvorsitzenden. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bei Ihnen persönlich bedanken, Herr Dr. Guttmacher. Ich bedanke mich im Namen meiner Fraktion sehr herzlich für die gute Zusammenarbeit. ({1}) Mein ganz besonderer Dank gilt natürlich auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ausschussdienst unter der Leitung von Dr. Rakenius für ihre fleißige und kompetente Zuarbeit. Auch bei den allermeisten Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen kann ich mich für die gute und sachliche Zusammenarbeit im Sinne der Bürger bedanken. Einen Wermutstropfen - Herr Kollege Baumann, Sie haben eben schon damit angefangen, etwas Wasser in den Wein zu gießen - muss ich am Ende meiner Rede allerdings doch noch aufgreifen. Die Hauptverantwortlichen für diesen großen Erfolg des Petitionsrechts und auch des Petitionsausschusses sind natürlich unsere Bürgerinnen und Bürger. Die Zahl wurde bereits genannt: Es waren knapp 18 000 Petitionen. Unter vielen Petitionen stehen natürlich mehrere Unterschriften, manchmal sogar viele Tausend, Herr Baumann. Wir behandeln sie natürlich alle gleich gut und gleich ordentlich. ({2}) Bei jeder zweiten Petition konnte etwas für den Petenten erreicht werden; das ist ausdrücklich zu begrüßen. Ich begrüße es auch, dass die Bürgerinnen und Bürger das Recht, das sie haben, so nutzen, wie sie es möchten: manchmal alleine, manchmal mit mehreren, manchmal getragen durch eine Organisation und manchmal durch Privatpersonen. Es ist ausdrücklich nicht festgelegt, dass eine Beteiligung von Verbänden untersagt ist. Wir sind also ein Magnet für gute Ideen, für Reformund Verbesserungsvorschläge der Bürgerinnen und Bürger. Damit die Anziehungskraft dieses Magneten Petitionsrecht noch größer wird, haben wir die Weiterentwicklung des Petitionsrechts mit Unterstützung der FDP auf den Weg gebracht. Teilweise hat uns auch die Union unterstützt, aber in den meisten Fällen haben wir gegen den Widerstand der Union gehandelt. ({3}) Es stimmt nicht, Herr Kollege Baumann, dass Sie den Vorschlag, Petitionen per E-Mail zuzulassen, unterstützt haben. Im Protokoll des Ausschusses können Sie nachlesen - ich nehme an, hier ist Ihnen ein bedauerlicher Irrtum unterlaufen -, dass die Unionsfraktionen gegen die Zulassung von E-Mail-Petitionen gestimmt haben. Das ist auch Teil meiner Abschlussbemerkung. Darin gehe ich auf eine Pressemitteilung ein, die Sie heute übers Netz geschickt haben. Wir haben die Vorgaben unseres Koalitionsvertrages erfüllt, teilweise - das betone ich noch einmal - mit Unterstützung der Opposition. Wir haben die Stärkung von Massenpetitionen durchgesetzt. Wir haben die doch etwas antiquierte Auslegung des Petitionsrechts, wonach eine Petition unbedingt eigenhändig unterzeichnet sein muss, im Zeitalter von E-Mail und Internet geändert. Man darf im Internet auch die Petition eines anderen unterstützen. All das ist modern. Ich finde es etwas lachhaft, dass sich die Union dem verschlossen hat. ({4}) Ich komme nun zu einer Meldung, die 18.05 Uhr von der Deutschen Presse-Agentur verbreitet wurde. Die glatte Unwahrheit, durch die sich diese Meldung auszeichnet, verbuche ich jetzt einmal als Irrtum Ihrerseits. Darin steht, dass Sie die Einführung von E-Mail-Petitionen unterstützt haben. Allerdings ist es schon relativ heftig, was Sie uns vorwerfen. Darüber habe ich mich geärgert. Deswegen muss ich das hier jetzt ausbreiten. ({5}) - Lassen Sie mich das erst ausführen. Sie können ja hinterher eine Kurzintervention machen. Ich werde Sie dafür ausreichend beschimpfen, Herr Kollege Baumann. Der erste Punkt ist: Sie werfen Rot-Grün vor, dass wir dem Petitionsrecht einen Bärendienst erwiesen hätten. Der zweite Punkt: Mit diesem Beschluss würde das Petitionsgrundrecht für die einzelnen Bürger entwertet. Dazu muss ich in aller Kürze, weil sich meine Redezeit dem Ende nähert, etwas sagen. Sie als Unionsfraktionen betrachten die Arbeit im Petitionsausschuss offensichtlich als Strafe - das muss im Protokoll des Deutschen Bundestages einmal vermerkt werden -; denn viele Ihrer Landesgruppen ziehen im Halbjahres- oder Jahrestakt ihre Mitglieder zurück, weil die Arbeit angeblich unzumutbar und zu hart sei. ({6}) - Die Begründung können Sie ja gleich noch nennen. Dadurch kommt es zu erheblichen Zeitverzögerungen. In Wirklichkeit schränken Sie das Petitionsrecht des einzelnen Bürgers täglich ein, weil Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen aus dem Petitionsausschuss abziehen. ({7}) Das führte in etlichen Fällen zu monatelangen Verzögerungen. Das muss hier einmal gesagt werden. Ich denke, Sie sollten diese Art des Umgangs mit dem Petitionsrecht einstellen. Hören Sie auf, uns, weil wir das Petitionsrecht erweitern und etwas intelligenter gestalten wollen, indem wir auf die modernen Medien eingehen, vorzuwerfen, dass wir das Petitionsrecht einschränken. Wir haben neue Möglichkeiten geschaffen und keine einzige abgeschafft. Es tut mir Leid, dass ich das in dieser Form sagen muss. Aber Sie waren es, der über den Ticker eine solche Pressemitteilung herausgeschickt hat. Herzlichen Dank. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun hat sich der Kollege Baumann, wie ausdrücklich erwünscht, für eine Kurzintervention zu Wort gemeldet. Dabei mache ich den Kollegen Winkler darauf aufmerksam, dass die Ankündigung von Beschimpfungen eigentlich zu präventiven Ordnungsrufen führen müsste, worauf ich nur aus ausgeprägter persönlicher Sympathie verzichte. ({0}) Bitte schön, Herr Kollege Baumann.

Günter Baumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Kollege Winkler, wir haben im Petitionsausschuss fast drei Jahre gut und sachlich zusammengearbeitet. Vor etwa drei Wochen kam eine etwas andere Stimmung auf. Warum das bei Ihnen so ist, mag dahingestellt sein. ({0}) Dadurch kam es zu einer Reihe unsachlicher Diskussionen. Es ist nachzulesen, dass ich im Obleutegespräch der Möglichkeit, eine Petition per E-Mail einzureichen, eindeutig zugestimmt habe. Im Ausschuss haben Sie vor der Abstimmung eine unsachliche Diskussion begonnen. Daraufhin haben wir uns der Stimme enthalten, aber wir haben nicht dagegen gestimmt. Sie haben in den darauf folgenden Tagen eine falsche Pressemitteilung gestreut. - Es müsste im Protokoll nachlesbar sein. Ich bitte Sie, doch zur Sachlichkeit zurückzukehren. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Winkler.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident, auch für die unterbliebene Ermahnung. - Herr Kollege Baumann, wir können uns darüber streiten. Dann werden wir das Protokoll halt im nächsten Jahresbericht nachreichen. Ich unterstreiche, dass wir lange und gut zusammengearbeitet haben, aber in diesem Fall - das muss ich sagen - hat die Union anders abgestimmt. Zumindest haben Sie nicht zugestimmt, ({0}) was Sie eben in Ihrer Rede gesagt haben. Ich habe das Protokoll nicht nachgelesen, aber ich habe ja gesehen, dass Sie dagegen gestimmt haben. ({1}) Wenn das als Enthaltung gewertet worden sein sollte, dann ist es gut. Jedenfalls haben Sie nicht zugestimmt. Eine Enthaltung ist doch wohl eine recht schwache Form der Zustimmung, oder, Herr Baumann? Wer hier eiert, das ist eine ganz andere Frage. Wir von der Koalition haben klar im Koalitionsvertrag gesagt, dass wir das Petitionsrecht erweitern wollen und die Bürger mehr Möglichkeiten haben sollen. Das haben wir beschlossen. Ich bleibe dabei: Die Union hat nicht zugestimmt. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun hat das Wort der Kollege Dr. Karl Addicks für die FDP-Fraktion.

Dr. Karl Addicks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003713, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor kurzem hat der Petitionsausschuss seinen Jahresbericht an den Herrn Bundestagspräsidenten übergeben. Mehr als 15 000 Einzelpetitionen wurden im Jahr 2004 abschließend bearbeitet, eine gewaltige Zahl, die im Vergleich zu den Vorjahren noch deutlich zugenommen hat. Darin spiegeln sich auch die hausgemachten Wirtschaftsprobleme wider, die auch und vor allem auf die Sozialgesetzgebung durchschlagen und die diese Bundesregierung zu verantworten hat. Im Gegensatz zur Bundesregierung hat der Ausschussdienst eine hervorragende Arbeit geleistet; ich sage es an dieser Stelle noch einmal. Dafür möchte ich allen Ausschussdienstmitarbeitern ganz herzlich danken. Deutschland hat mit dem Art. 17 des Grundgesetzes die Voraussetzung für ein bestens funktionierendes Petitionswesen. Darauf kann man auch schon einmal stolz sein. Uns allen erscheint es zwar als selbstverständlich, doch nicht überall auf der Welt genießen die Menschen solch ein Grundrecht, das auch wirklich etwas bewirken kann und schon vieles bewirkt hat. Das sollten wir erkennen und wir sollten darauf achten, dieses Recht zu nutzen, zu pflegen und auch zu erweitern. Das Petitionsrecht bietet den Bürgern wahrlich eine Möglichkeit mitzuwirken, den Gesetzgeber aufmerksam zu machen, ja, ihm auch einmal auf die Finger zu klopfen. Dies umso mehr, als wir ein Plebiszit in unserer Verfassung nicht haben. Leider konnten wir Liberale uns bisher mit unserem Wunsch nach mehr plebiszitären Elementen nicht durchsetzen. Nicht ganz zufrieden sind wir mit der Gestaltung des Petitionsrechts im europäischen Verfassungsvertrag. Ich meine das jetzt nicht als generelle Kritik; aber gerade ein geeintes Europa müsste für die Probleme seines Souveräns mehr Gehör zeigen können, als dies gegenwärtig der Fall ist. Aber wir wollen das positiv sehen. Das ist eine Chance für Europa, sich weiter zu entwickeln. Bei der konkreten Arbeit als Abgeordneter im Petitionsausschuss ist man dann gut, wenn man sich in die Lage der Leute versetzen kann, deren Anliegen man als Berichterstatter bearbeitet. Das haben wir im Ausschuss wohl alle getan. Dennoch sind wir nicht immer einer Meinung gewesen. Das liegt in der Natur der Sache. Aber wir konnten doch häufig etwas bewirken, konnten Ungerechtigkeit abschaffen, konnten die Eingaben der Petenten aufgreifen und die Resultate in die Gesetzgebung einbringen. Ein Wort an meine Landsleute von der Saar: Das Saarland hat mit Baden-Württemberg bundesweit die wenigsten Eingaben. Machen Sie ruhig häufiger Gebrauch von Ihrem Petitionsrecht, auch was die Bergschäden betrifft! ({0}) Das Ziel bleibt natürlich eine Änderung des Bundesberggesetzes, sprich: Der Bergbau unter bewohntem Gebiet muss endlich aufhören. Ich beziehe mich da auf eine Petition aus meinem Wahlkreis, die leider keinen Erfolg hatte. Allerdings ruht unsere Hoffnung hier auf einer anderen Bundesregierung. ({1}) Vielen Dank noch an meine Kollegen vom Petitionsausschuss für die im Großen und Ganzen doch gute und einvernehmliche Zusammenarbeit. Vielen Dank für Ihrer aller Aufmerksamkeit. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriele LösekrugMöller für die SPD-Fraktion.

Gabriele Lösekrug-Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003482, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich stelle mir Folgendes vor: Wir behandeln den Jahresbericht 2005. Es ist Donnerstag, 10 Uhr, und wir haben hinreichend Zeit, ({0}) darüber zu reden, was unsere Arbeit so bedeutsam macht. Ich lege mein ganzes Vertrauen in jene Mehrheit - ich glaube zu wissen, wie die Mehrheit beschaffen sein wird; die jetzige wird nämlich bestehen bleiben -, dass wir das endlich einmal hinbekommen. Dieses Vorwort wollte ich meiner kurzen Rede vorausschicken. Als Nächstes schließe ich mich meinen Vorrednern an und danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Petitionsausschusses. Wir haben gut und zuverlässig zusammengearbeitet. Das ist sicherlich einen großen Dank wert. ({1}) Es wurde schon hinreichend dargestellt, dass im Jahr 2004 mehr Petitionen eingegangen sind und von uns bearbeitet wurden als in den Vorjahren. Ich denke, es ist völlig klar: In einer Gesellschaft, die sich in einem so starken Wandel befindet wie unsere und in der so viele Reformen erforderlich sind, müssen das Parlament und die Bürgerinnen und Bürger in einen stärkeren Dialog eintreten. Das schlägt sich auch in der Zahl der Petitionen nieder. Für uns ist jede Petition gleich wichtig. Das galt in der Vergangenheit; das trifft heute zu und das wird auch künftig der Fall sein, lieber Herr Kollege Baumann. Uns erscheint kein Anliegen zu groß oder zu klein, keine Bitte zu laut oder zu leise und keine Beschwerde zu kompliziert, erst recht nicht zu einfach. Das haben wir unter Beweis gestellt. Dass wir uns dabei bei Ministerien und Behörden nicht gerade Sympathien verschaffen oder unsere Beliebtheit steigern, ist logisch. Wir knüpfen oftmals an einen Leidensweg von Bürgern und Bürgerinnen an, die mit ihrem Wunsch nicht durchdringen konnten und mit ihrem Anliegen keinen Erfolg hatten. Aber wir nehmen diesen Weg gerne auf uns. Wir freuen uns wie alle über jeden Erfolg und sind meines Erachtens auch in scheinbar hoffnungslosen Angelegenheiten sehr hartnäckig. Deshalb leisten wir gute Arbeit. Ich will nur ein Beispiel nennen. Wir haben es geschafft, einer gehörlosen jungen Frau eine angemessene Ausbildung zukommen zu lassen, indem wir uns dafür eingesetzt haben, dass ihr ein Gebärdendolmetscher zur Seite gestellt wurde. Soviel zum Thema „laute und leise Bitten“. Es ließen sich noch zahlreiche weitere Beispiele anführen. Aber wir stoßen auch in manchen Fällen an unsere Grenzen. Ich glaube, darin stimmen wir überein, Herr Dr. Addicks. Zum Beispiel konnten wir es einer Chinesin - eine praktizierende Falun-Gong-Anhängerin nicht ermöglichen, in Deutschland zu bleiben. Solche Fälle betrüben uns. Ich denke, wir werden in Zukunft viel tun müssen, damit wir auch in solchen Einzelfällen, bezogen auf bestimme Fragestellungen, mehr helfen können, als es zurzeit der Fall ist. Sind wir ein parlamentarischer Leuchtturm oder ein Ventil, um Dampf abzulassen? Letzteres Bild wurde von Adenauer herangezogen. Ich gebe zu, dass ich mich lieber als Leuchtturm als ein Ventil sehe; denn als Leuchtturm habe ich den Überblick und biete Orientierung. ({2}) Orientierung haben wir auch in Bezug auf die Modernisierung des Petitionswesens gegeben, wie bereits angeklungen ist. Wir von Rot-Grün haben, um endlich auf die Höhe der Zeit zu kommen, drei Änderungen in Gang gebracht. Wir haben - auch mit großer fachlicher Unterstützung des Ausschussdienstes - unsere Verfahrensgrundsätze geändert. Ich will das an dieser Stelle nicht im Einzelnen erläutern. Ich halte alle drei Änderungen für richtungweisend und sinnvoll. Dass der Opposition dann aber in entscheidenden Fragen der Mut fehlte, ist nicht neu; das kennen wir schon aus anderen Zusammenhängen. Für uns heißt das, dass wir in der Ausweitung des Petitionsrechts das Internet ab 1. September in einer angemessenen Weise nutzen können. Ich finde das Klasse und bin sehr stolz darauf. Das gebe ich zu. ({3}) Ich will abschließend festhalten, dass wir zwar vieles in Übereinstimmung geregelt haben, aber nicht alles. Wenn ich in die Vergangenheit zurückblicke, dann möchte ich - das meine ich ehrlich - unserem derzeitigen Vorsitzenden großen Respekt zollen und Dank sagen. Er hat das schwierige Handling immer zum Wohle von Petenten hinbekommen. Ich meine, sein heute angeführtes Beispiel, dass jemand, der einen Sumpf trocken legen will, nicht die Frösche beauftragen dürfe, zeigt, wie liebenswert er auch Kritik formulieren kann. Ich sehe das mit den Fröschen aber etwas anders. Ich glaube nicht, dass alle grün sind; ich kenne auch sehr viele rote Frösche. Ich bin überzeugt davon: Genauso wie es in der Vergangenheit schwarze und gelbe Frösche gab, wird es in Zukunft bei den Beauftragten bunt sein. Hier lernen wir alle den Unterschied zwischen den Ämtern, die eine Regierung zu vergeben hat, und dem, was das Parlament tut. Ich bin ganz optimistisch: Wir, der Petitionsausschuss, bleiben sicherlich gut und nahe an den Bürgerinnen und Bürgern. Ich komme zum Schluss. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, ich glaube, es bleibt so: Ein Ja ist ein Ja, ein Nein ist ein Nein und eine Enthaltung bleibt eine Enthaltung, egal was man später sagt. (Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/CSU]: Das hätten wir ohne Sie nicht gewusst! Danke für die Belehrung! - Herr Kauder, den Eindruck hatte ich ebenfalls. Deshalb schien es mir geboten zu sein, darauf hinzuweisen: Keine Kante an einer Enthaltung macht daraus ein Ja. Vielen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat der Kollege Holger Haibach für die CDU/CSU-Fraktion.

Holger Haibach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist mir eigentlich zu viel, die ganze Diskussion noch einmal aufzurollen. Aber was der Kollege Winkler über den Wechsel meiner Kolleginnen und Kollegen gesagt hat, ist erstens falsch und lässt zweitens eine andere Interpretation zu. Im Petitionsausschuss sind zehn Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU. Sieben davon sind seit Beginn der Legislaturperiode dabei. Aber Sie haben den Eindruck erweckt, als hätten wir gewechselt wie andere Leute täglich ihre Unterhosen. Bei uns sind natürlich einige Landesgruppen, zum Beispiel die Bayern, vertreten, die sehr viele Abgeordnete haben. Bei uns soll jeder in den Genuss kommen, im Petitionsausschuss zu arbeiten. ({0}) Denn das Petitionsrecht ist ein großes Recht und beileibe keine Selbstverständlichkeit. Welch hohes Gut das Petitionsrecht tatsächlich ist, habe ich in Palästina gelernt. Ich bin dort letztes Jahr gewesen und habe vor Vertretern der palästinensischen Regierung und des Legislativrates über die Arbeit und die Erfahrung mit dem deutschen Petitionsrecht gesprochen, weil man dort so etwas wie die Einrichtung eines Petitionsbüros plant. Dabei ist mir klar geworden - das ist mir auch deutlich gesagt worden; das ist schon angeklungen -, dass das deutsche Petitionsrecht sowie die Art und Weise, wie wir damit umgehen, Vorbildcharakter für viele haben. Wenn wir das Petitionsrecht, dieses hohe Gut, das keine Selbstverständlichkeit ist, weiterentwickeln wollen, dann müssen wir sehr vorsichtig sein und genau darauf achten, was wir bewirken, wenn wir Änderungen herbeiführen. ({1}) Jedenfalls scheint mir, dass in Deutschland vom Petitionsrecht sehr rege Gebrauch gemacht wird, einmal mehr, einmal weniger; das ist schon angeklungen. Ich finde es spannend, zu sehen, dass sich sehr viele Menschen für Dinge einsetzen, die nichts mit ihrem persönlichen Umfeld zu tun haben. Das reicht von Fragen betreffend das Umweltrecht bis hin zu Informationsfragen. Manche Petitionen beschäftigen sich beispielsweise mit Genitalverstümmelungen bei Frauen und Mädchen in Afrika oder mit der Aufarbeitung historischen Unrechts im damaligen Osmanischen Reich. Diese Petition ist immerhin von 45 000 Menschen aus ganz Europa unterstützt worden. Das zeigt aus meiner Sicht zweierlei: Zum einen stimmt das Gerede über die Ichbezogenheit unserer Gesellschaft zumindest nicht zu hundert Prozent. Zum anderen erfüllt der Petitionsausschuss neben seinem ursprünglichen Zweck noch eine andere Funktion, nämlich Fragen aufzuwerfen und Probleme anzusprechen, für die es woanders vielleicht kein Forum gibt. Weil wir diese zusätzliche Funktion offensichtlich haben, weil wir Vorbild für viele Einrichtungen ähnlicher Art sind und weil unser Ausschuss ganz offensichtlich den Ruf genießt - das habe ich zumindest im Ausland so vernommen -, nicht parteipolitisch, sondern in der Sache zu entscheiden, tun wir bei aller Notwendigkeit zur Veränderung und bei allem verständlichen Willen zur öffentlichen Darstellung gut daran, unsere Glaubwürdigkeit dadurch zu erhalten, dass wir das, was ich das „hohe Gut“ genannt habe, wirklich hochhalten und es nicht durch unbedachte Änderungen oder durch Parteipolitik diskreditieren. Bisher hatte ich meistens den Eindruck, dass dem auch so ist. Ich will nur hoffen, dass möglicherweise etwas stürmischere Zeiten diesen Eindruck nicht verwischen. Herzlichen Dank. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Sibylle Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion.

Sibylle Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003609, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie bitte folgenden Fall einfach einmal auf sich wirken. Sie bearbeiten eine Petition und stellen fest: Der Petent hat Recht. Da ist etwas passiert, was nicht in Ordnung ist. Ihr Votum lautet: Wir überweisen den Fall an die Bundesregierung zur Erwägung. Bei weiterem Nachschauen stellen Sie fest: Der Ausschussdienst hat Ähnliches wie Sie festgestellt und votiert auch, zur Erwägung zu überweisen. Auch die Berichterstatterin der Regierungskoalition - Frau Marks, Sie wissen, worum es geht ({0}) kommt nach einigen klärenden zusätzlichen Informationen zu der Erkenntnis: Jawohl, dem Petenten ist Unrecht geschehen, ihm muss geholfen werden. Das Votum: zur Erwägung an die Bundesregierung. Die Abstimmung im Petitionsausschuss - logischerweise einstimmig -: Die Petition soll der Bundesregierung zur Erwägung überwiesen werden. Fazit: Alle Prüfungen, sowohl die der Ausschussmitarbeiter als auch die aller Berichterstatter sowie aller Ausschussmitglieder, haben ergeben: Diesem Petenten muss geholfen werden. Die Regierung muss aufgefordert werden, Entsprechendes in die Wege zu leiten. Und dann passiert das Unfassbare: Die Regierung sieht keinen Handlungsbedarf. ({1}) - Herr Präsident, ich beantworte die Frage gern.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön. Wir machen gerade einen Modellversuch, ob Debatten notfalls auch ohne Beteiligung eines amtierenden Präsidenten funktionieren. ({0}) Bitte schön, Frau Kollegin.

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Frau Pfeiffer, Sie haben eben behauptet, mein Votum habe in diesem Fall gelautet, dass dem Petenten Unrecht widerfahren sei. Dem möchte ich in aller Deutlichkeit widersprechen. Ich habe in Übereinstimmung mit Ihnen dahin gehend votiert, dass der Fall dem entsprechenden Ministerium zur Erwägung überwiesen werden sollte. Das ist auch geschehen. Meine Frage: Wie kommen Sie angesichts der Antwort des Ministeriums zu der Feststellung, dass eine einstimmige Überweisung an das Ministerium automatisch dahin gehend zu interpretieren ist, dass dem Petenten Unrecht widerfahren ist?

Sibylle Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003609, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Weder noch; das ist nicht das Thema. Darin, liebe Kollegin Marks, besteht genau unsere Aufgabe: zu erkennen, welchen Petenten in der Sache - obwohl unter Umständen vom geltenden Recht gedeckt - Unrecht getan worden ist, zum Beispiel weil Angaben nicht stimmten, weil Behörden sich falsch verhalten haben, weil Ämter widersprochen haben, obwohl die Fristen eingehalten wurden. Unsere Aufgabe ist es, solches Unrecht - und zwar nicht im juristischen Sinne - zu erkennen und zu korrigieren. Ich denke, das ist eine schöne Aufgabe. ({0}) Ich komme zurück zu meinem Fall. Ich hatte ausgeführt, dass die Bundesregierung trotz allem also keinen Handlungsbedarf sieht. Das stimmt mich ziemlich traurig, weil in einem Fall, wie ich ihn eben näher erläutert habe, mir der Petent Leid tut. Obwohl alle feststellen, dass gehandelt werden muss, handelt die Bundesregierung nicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn das Ergebnis unserer Arbeit so aussieht, dass wir einstimmig der Meinung sind, etwas müsse abgestellt werden, aber trotzdem nichts getan wird, dann arbeiten wir so gut wie umsonst. Wenn das Ergebnis unserer Arbeit nicht anerkannt wird, dann können wir uns alle Diskussionen und die Bearbeitung der Akten sparen. Vielen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache und nutze gern die Gelegenheit, sicher im Namen des ganzen Hauses, allen Mitgliedern des Petitionsausschusses für eine Arbeit zu danken, die im Unterschied zu manchen anderen Aufgabenfeldern weniger auffällig, aber ganz besonders wichtig ist. ({0}) Das verdient gerade bei einer solchen Gelegenheit festgehalten zu werden. Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Klaus Brandner, Dr. Michael Bürsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Albert Schmidt ({2}), Anja Hajduk, Volker Beck ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Investitionskräfte stärken - Neue Impulse für Wachstum und Beschäftigung - zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Fischer ({4}), Dietrich Austermann, Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Notwendige Investitionen in die deutsche Verkehrsinfrastruktur bereitstellen - zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich ({5}), Joachim Günther ({6}), Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Infrastrukturinvestitionen erhöhen - Neue Wege bei Finanzierung und Betrieb der Bundesfernstraßen - Drucksachen 15/5340, 15/5325, 15/5338, 15/5650 Berichterstattung: Abgeordnete Uwe Beckmeyer Horst Friedrich ({7}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Diese benötigen wir nicht, weil die Kollegen Uwe Beckmeyer, Georg Brunnhuber, Renate Blank, Albert Schmidt und Horst Friedrich ihre Reden zu Protokoll geben.1) Somit muss ich die Aussprache nicht eröffnen und kann gleich zu den Beschlussempfehlungen kommen. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 15/5650 unter Nr. 1 die Annahme 1) Anlage 14 Vizepräsident Dr. Norbert Lammert des Antrags der Fraktionen der SPD und des Bündnis- ses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/5340 mit dem Titel „Investitionskräfte stärken - Neue Impulse für Wachstum und Beschäftigung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Das Erste war die Mehrheit, die Beschlussempfehlung ist angenommen. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/5325 mit dem Titel „Notwendige Investitionen in die deutsche Verkehrsinfrastruktur bereitstellen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch diese Beschluss- empfehlung ist mit Mehrheit angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 sei- ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf der Drucksache 15/5338 mit dem Titel „Infrastrukturinvestitionen erhöhen - Neue Wege bei Finanzierung und Betrieb der Bundesfernstra- ßen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Mit leichten Variationen im Abstimmungsverhalten ist diese Be- schlussempfehlung mit Mehrheit angenommen. Nun rufe ich die Zusatzpunkte 3 a und 3 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hans-Ulrich Krüger, Florian Pronold, Ingrid Arndt-Brauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Jutta Krüger-Jacob, Christine Scheel, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Europäische Finanzmärkte - Integration durch Wettbewerb und Vielfalt voranbringen - Drucksache 15/5679 - b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Michael Meister, Heinz Seiffert, Leo Dautzenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Volker Wissing, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP Europäische Finanzmärkte - Integration durch Wettbewerb und Vielfalt voranbringen - Drucksache 15/5677 Auch hier ist eine halbstündige Aussprache vorgesehen. - Dazu gibt es keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem Kollegen Hans-Ulrich Krüger für die SPD-Fraktion das Wort. ({8})

Dr. Hans Ulrich Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003575, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich danke für den Trost vorab, Herr Dautzenberg. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir mit unserem rot-grünen Antrag heute eine Magna Charta der europäischen Finanzmarktintegration beraten können. Dies hat Deutschland als größte Volkswirtschaft in Europa redlich verdient. Durch die Umsetzung des FSAP auf europäischer Ebene sind verbesserte Rahmenbedingungen geschaffen worden, welche die europäischen Finanzmärkte und den Finanzplatz Deutschland vorangebracht haben und weiter voranbringen werden. Gerade Deutschland ist einer der bedeutendsten Produktionsstandorte für Finanzdienstleistungen in Europa. Der heutige Antrag trägt entscheidend dazu bei, unser Gewicht bei unseren Partnern in der EU angemessen einzubringen. Die Integration der europäischen Finanzmärkte stärkt auch ganz besonders die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland, sie fördert Wirtschaftswachstum und führt letztlich auch zu mehr Arbeitsplätzen. Klar ist aber auch: Von einem mündigen und informierten Bürger kann bei der komplexen Vielfalt von Finanzprodukten nicht der gleiche Wissensstand erwartet werden wie bei einem Einkauf im Supermarkt. Unsere Aufgabe wird es daher sein, dafür zu sorgen, dass die Interessen der Finanzmarktakteure in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Somit gewährleisten wir mit unserem Antrag einen effektiven und leistungsfähigen Verbraucherschutz. Dies wird offenbar, wie ich den Zwischenrufen entnehme, ({0}) von den Fraktionen der FDP und der CDU/CSU so nicht mitgetragen. Ansonsten wären bestimmte Dinge nicht erklärbar. Im Einzelnen begrüßen wir im Basel-II-Prozess, dass es nach langwierigen Verhandlungen gelungen ist, einen tragfähigen Rahmen für die Eigenkapitalanforderungen international tätiger Banken zu schaffen. Auch die sehr ausgewogene Lösung zur bankenaufsichtsrechtlichen Behandlung von Krediten an die mittelständische Wirtschaft ist hier zu nennen. Nun kommt es im Wesentlichen darauf an, diese Verhandlungserfolge bei der EUUmsetzung zu sichern. Der Zugang der Bevölkerung und der Unternehmen zur Vielfalt der modernen Finanzdienstleistungen ist zu garantieren. Es bestehen hier auf EU-Ebene durchaus noch Schwierigkeiten beim grenzüberschreitenden elektronischen Vertrieb sowie bei der Zulassung der grenzüberschreitenden Kontoeröffnung durch das Internet. Hier muss durch die EU-weite Umsetzung der bereits vorhandenen Richtlinien eine Vereinfachung für die Verbraucher und letztlich auch für die Banken geschaffen werden. Beide Gruppen werden dieses Angebot dankend annehmen und sich entsprechend verhalten. Ein weiterer wichtiger Bereich, in dem die deutsche Finanzindustrie zu den Champions zählt, ist der der Erst- und Rückversicherungsunternehmen. Damit die Marktstellung dieser Unternehmen nicht gefährdet wird, gilt es, ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, zu sichern und zu fördern. ({1}) Im Hinblick auf die vorzuhaltenden Eigenmittel und anzuwendenden Berechnungsverfahren dürfen diese Unternehmen nicht überfordert werden. Gleiches gilt auch in Bezug auf unnötige bürokratische Hindernisse. Ausdrücklich begrüßen wir, dass die von der EU geplante Verschärfung der Solvenzvorschriften für Rückversicherungen für das Lebensrückversicherungsgeschäft kein Thema mehr ist. Zur Regulierung von Ratingagenturen hat der Deutsche Bundestag bereits im Jahr 2004 beschlossen, internationale Verhaltensregeln zu fördern. Erfreulich ist, dass die in dem Beschluss formulierten Forderungen bei der Arbeitsgruppe der Vereinigung der Wertpapieraufsichtsbehörden Gehör gefunden haben und im Entwurf eines Wohlverhaltenskodex für Ratingagenturen berücksichtigt sind. Wir werden in den kommenden Jahren sehr genau prüfen, wie die Entwicklung auf dem Ratingmarkt vorangeht, und gegebenenfalls auch Vorschläge für eine europäische Lösung unterbreiten. In der jüngeren Vergangenheit ist das eher kurzfristig angelegte Engagement einiger Hedgefonds zu Recht infrage gestellt worden. Wie die „Wirtschaftswoche“ aktuell titelt, drohen dem mit 1 000 Milliarden US-Dollar Eigenkapital ausgestatteten Markt der Hedgefonds Schieflagen, die das weltweite Finanzsystem ins Wanken bringen können. Das muss ein deutliches Warnsignal auch an die deutsche Politik sein. ({2}) Es ist deshalb notwendig, alles dafür zu tun, dass internationale Hedgefonds die gleiche Sicherheit bieten wie deutsche. Mit dem Investmentmodernisierungsgesetz ist es gelungen, moderne Bedingungen für Hedgefonds zu schaffen, ({3}) die für die europäische Regulierung von Hedgefonds wegweisend sein müssen. So gibt es bei uns strenge Zulassungsprüfungen und es wird eine ständige Aufsicht über das Management verlangt. Es bleibt daher darauf zu achten, dass es zu einem ausgewogenen Ausgleich zwischen Anlegerschutz und Entwicklungsmöglichkeiten für den Kapitalmarkt kommt. Hierbei muss allerdings zusätzlich über Transparenzgebote und Offenlegungspflichten diskutiert werden. Auch dieses Anliegen sollte von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition - so meine Bitte -, in Gänze mitgetragen werden, sodass ich Sie auffordern möchte: Ziehen Sie Ihren gleich lautenden Antrag zurück! ({4}) - Sie haben gleich die Möglichkeit, etwas dazu zu sagen. - Stimmen Sie unserem Antrag zu! Das ist konsequenter. Lassen Sie mich noch ein paar Worte zum Thema „Clearing and Settlement“ verlieren. Für uns ist es sehr wichtig, dass bestehende und funktionierende Marktstrukturen nicht durch Maßnahmen aufgrund vorgeschobener Wettbewerbsargumente in Mitleidenschaft gezogen werden und dass vor einem Tätigwerden der Kommission eine Kosten-Nutzen-Analyse erfolgt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie Sie wissen, ist mit Beschluss des Europäischen Parlaments vom 31. Mai 2004 das Lamfalussy-Verfahren auf die gesamte EU-Finanzmarktrechtsetzung ausgeweitet worden. Was wir mit unserem Antrag aufgreifen und angreifen, ist die nach wie vor mangelnde demokratische Legitimation der so genannten Level-3-Committees im Rahmen des Lamfalussy-Verfahrens. In Deutschland haben wir ein gutes Forum geschaffen, auf dem gemeinsame Aufsichtsstandards entwickelt werden. So muss die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen bezüglich ihrer Mitarbeit in den Level-3-Ausschüssen dem Bundesministerium der Finanzen berichten, welches wiederum dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages Bericht erstattet. Langfristig muss aber ein demokratisch legitimiertes System einer europäischen Finanzaufsicht etabliert werden, das Aufsichtskonvergenz garantiert. Der vorliegende Antrag ist mit allen vorgetragenen Grundsätzen und Überlegungen insgesamt ein würdiges Arbeitsprogramm für die EU-Finanzmarktintegration und die Rolle Deutschlands in diesem Prozess. Es ist daher schade, dass dieser Antrag von Rot-Grün nicht einstimmig von allen Fraktionen dieses Hauses verabschiedet werden kann. ({5}) Gleichwohl ist der Tag der Einbringung unseres Antrags ein guter Tag für Deutschland und, ich denke, auch ein guter Tag für Europa. Ich danke Ihnen. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat der Kollege Leo Dautzenberg, CDU/ CSU-Fraktion.

Leo Dautzenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003067, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Krüger, all das, was Sie vorgetragen haben, war in der Tat Inhalt unseres gemeinsamen Antrages. Aber gerade die kritischen Punkte, die dazu geführt haben, dass Ihre Partei und die Grünen ausgestiegen sind, haben Sie im Grunde genommen nicht erwähnt und erläutert. ({0}) Vielmehr haben Sie nur darauf abgestellt, was wir bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gemeinsam erarbeitet hatten. Dass wir heute über zwei unterschiedliche Anträge diskutieren, zeigt, wie kaputt die rot-grüne Koalition wirklich ist. Es herrschen Chaos, Konzeptionslosigkeit und Konfusion. ({1}) Das sieht man an der Entstehungsgeschichte der beiden vorliegenden Anträge. Lieber Herr Kollege Krüger, man kann das, was Sie zu den einzelnen Schwerpunkten unserer beiden Anträge vorgetragen haben, voll unterstützen. ({2}) Bis vor zwei Wochen gab es nämlich einen gemeinsamen Antrag der Fraktionen. Er beruhte insbesondere auch auf umfassenden Vorarbeiten der Union. Wir fühlen uns natürlich geehrt, wenn Sie in der Einleitung zu Ihrem Antrag davon sprechen, er stelle geradezu eine Magna Charta für den europäischen Finanzmarkt dar. Vielen Dank. ({3}) Sie aber haben die Umsetzung erschwert und sind von der eigenen Fraktion über den Tisch gezogen worden, ({4}) als es darum ging, die Bestimmungen zum Verbraucherschutz neu zu formulieren. ({5}) Wie war jetzt die zeitliche Abfolge? Unser Antrag „Europäische Finanzmärkte - Integration durch Wettbewerb und Vielfalt voranbringen“ stammt vom letzten Jahr. Am 16. Dezember 2004 gab es darüber im Plenum die erste Debatte. Trotz des inkompetenten Vortrages Ihres Kollegen Pronold waren wir bereit, gemeinsame Berichterstattergespräche zu führen, die man normalerweise nach dem Vortrag des Kollegen Pronold so nicht geführt hätte. Ziel der Berichterstattergespräche war es, gemeinsame Positionen des Deutschen Bundestages zum Wohle des Finanzplatzes Deutschland in einem integrierten Finanzplatz Europa zu formulieren; denn Finanzmarktgesetzgebung war für uns Volkswirtschaftler immer sehr bedeutend und ist nach unserer Auffassung nicht für den politischen Streit geeignet. Dieser Vorstellung haben wir in der Vergangenheit, wenn auch manchmal nach langem Ringen, immer entsprochen. Im Zusammenhang mit der Finanzmarktgesetzgebung will ich auch einmal die Mitarbeiter des Bundesfinanzministeriums und die Kollegen von SPD und Grünen loben, die dazu beigetragen haben, dass wir diesen gemeinsamen Status gehalten haben und in den letzten drei Jahren vorzeigbare Ergebnisse erzielt haben. Am 24. Mai, dem Tag der letzten Berichterstattergespräche, hatten wir uns auf einen Kompromiss geeinigt. Die Grundlagen für diesen gemeinsamen Status haben Kollege Krüger, Frau Krüger-Jacob, Kollege Wissing, meine Wenigkeit und Kollege Fahrenschon gemeinsam erarbeitet. Sie haben alle Punkte genannt. Schwerpunkte waren Basel II, die Bankenstruktur in Europa, Regelungen für das Retailbankengeschäft, Schaffung eines Rechtsrahmens für Zahlungsverkehr in einem einheitlichen Zahlungsraum, Solvency II für das Versicherungswesen, Regulierung der Ratingagenturen und der Hedgefonds, Clearing und Settlement, Bewertung des Lamfalussy-Verfahrens - dabei waren wir der Auffassung, dass der demokratische Prozess darin gestärkt werden muss und es nicht einzelnen Spezialisten, die durch nichts demokratisch legitimiert sind, überlassen werden darf, nachher Regulierungen vorzunehmen und eben auch die Zusammenarbeit zwischen Bundestag und Europäischem Parlament. Was ist aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, in der Zwischenzeit passiert? Die Finanzpolitiker von SPD und Grünen sind in der eigenen Fraktion niedergestimmt und bloßgestellt worden. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, Sie sind im Grunde fast schon zu bedauern, dass dies so geschehen ist. Zwei weitere Punkte möchte ich in diesem Zusammenhang noch festhalten: Erstens. Wir werden uns für die kommende Legislaturperiode merken, dass die Zusammenarbeit bei Finanzmarktthemen von Ihrer Seite unnötigerweise aufgekündigt worden ist. ({7}) Zweitens ist es schon ein Bubenstück, wenn man den gesamten Antrag, der überwiegend von uns konzipiert worden ist, übernimmt und nur bei den Themenbereichen Verbraucherschutz, Hedgefonds und Bankenstruktur Verschärfungen vornimmt. ({8}) Es ging darum, dass wir ein - das ging mit auf Ihre Formulierung zurück, Herr Krüger - angemessenes Verbraucherschutzniveau haben wollen, weil wir wissen, dass zwischen Anbieter und Nachfrager ein gesunder Interessenausgleich bestehen muss. Je höher der Verbraucherschutz angesiedelt wird, desto teurer wird er für den Verbraucher. Wenn Sie da so hohe Hürden aufbauen, schließen Sie von vornherein automatisch Produkte aus, die es für die Verbraucher sonst auf dem Markt gäbe. Nicht akzeptabel ist „hohes Verbraucherschutzniveau“. Ihre Verbraucherschützer mögen damit zufrieden gestellt worden sein; aber das kann an sich nur eine hohle Phrase sein. ({9}) Zweitens zur Konsolidierung des Bankenmarktes. Wir haben klar postuliert, dass unsere Bankenstruktur - das berühmte Dreisäulenmodell - in der Vergangenheit sehr positiv, auch international, auf unsere Volkswirtschaft gewirkt hat. Ebenso haben wir postuliert, dass sich die Politik, was die zukünftige Struktur anbelangt, hier sehr reserviert verhalten sollte. Nicht die Politik sollte hier maßgebend sein, sondern die Strukturen müssen sich bei den Banken selber und über die Eigentümer entwickeln. Als Bund haben wir in Bezug auf die Bankenstruktur vom rechtlichen Rahmen her auch nur die Möglichkeit, über § 40 KWG, wo es um den Schutz der Sparkassen von der Bezeichnung her geht, Einfluss zu nehmen. Sonst ist diese eine Säule, der öffentliche Bereich, zum größten Teil Länderrecht. Dieses Recht ist in den Bundesländern unterschiedlich ausgeprägt. Die Eigentümer der Institutionen sollten von sich aus über Strukturveränderungen befinden. Da sollte sich die Politik tunlichst nicht einmischen. Wenn Sie diese Position streichen, dann bekunden Sie damit, dass Sie doch politisch Einfluss auf die zukünftige Struktur nehmen wollen. Es ist für uns eine Grundsatzfrage, wenn solche Veränderungen in einem bisher gemeinsamen Papier vorgenommen werden sollen. Deshalb kann das von unserer Seite nicht gutgeheißen und mitgetragen werden. Dann fordern Sie, dass manche Produkte und manche Vorhaben im Bankenbereich einer stärkeren Aufsicht unterzogen werden. Wir haben die BaFin als Allfinanzaufsicht. ({10}) Sie ist geschaffen worden, um den gesamten Finanzmarkt Deutschlands - den Bankenbereich, den Versicherungsbereich, den Wertpapierbereich - zu beaufsichtigen. Was wollen Sie da - nach all den Diskussionen, die wir, gerade auch in Bezug auf die BaFin, geführt haben, bis hin zu Fachgesprächen mit Vertretern der Kreditwirtschaft und der BaFin, nach allem, was in dem Bereich schon erreicht worden ist - an Aufsicht noch toppen? Teilweise muss man eher feststellen, dass für die Entwicklung der Märkte schon zu viel Regulierung existiert. Der dritte Punkt betrifft die Hedgefonds. Mit Recht haben Sie darauf hingewiesen - deshalb kann ich das relativ kurz machen -, dass wir den Bereich der Hedgefonds mit dem Investmentmodernisierungsgesetz national rechtlich gut geregelt haben. Es war immer das Bestreben sowohl der Kreditwirtschaft, der Finanzmarktseite, als auch - durch konstruktives Handeln - des Bundesfinanzministeriums, hier eine gemeinsame Grundlage zu finden. Wenn jetzt wieder mehr Regulierung verlangt wird, dann wäre es sinnvoll, wenn der Herr Bundeskanzler sich dafür einsetzen würde, den Maßstab, den wir jetzt national gefunden haben, zumindest auch europaweit und sogar international einzuführen. Das muss unser allgemeines Anliegen sein und nicht mehr Regulierung auf nationaler Ebene, was Sie mit Ihren Änderungen erreichen wollen. Das wäre der falsche Weg. ({11}) - Doch, Ihr Antrag enthält die Forderung nach zusätzlichen Regulierungen in unserem Land; wir teilen diese Auffassung nicht. - Wir wären wirklich ein großes Stück weiter, wenn diese Produkte hier produziert würden. Wir sollten uns gemeinsam dafür einsetzen, dass unsere Basis auch die Basis auf europäischer und internationaler Ebene ist. ({12}) Da Sie von einer anderen Diskussion - Stichwort „Kapitalismuskritik“ - eingeholt worden sind: Wir sollten die Behinderungen in Deutschland nicht wiederum zum Maßstab machen. Man hat Vorgänge bei der Deutschen Börse AG zum Anlass genommen, Hedgefonds zu kritisieren. Es gab in manchen Bereichen Missstände. Diese Missstände müssen wir abstellen. Die Vorgänge bei der Deutschen Börse AG taugen aber gerade nicht als Beispiel für das stark kritisierte Wirken der Hedgefonds. Die Hedgefonds haben ihren negativen Einfluss dort gar nicht geltend gemacht; vielmehr war ihre Beteiligung normal. Empörender ist - das sollte uns Anlass zur Kritik geben -, dass der Aufsichtsrat - ihm gehören auch Gewerkschaftsvertreter an - Abfindungsverträge mit Vorstandsvorsitzenden, die keinem Maßstab standhalten, zu verantworten hat. Ich wiederhole: Gewerkschaftsvertreter haben daran mitgewirkt. Wenn Sie das in die Kapitalismuskritik einbeziehen, dann wären wir einen großen Schritt weiter. Ich komme zum Schluss. Mit dem Antrag, den wir gemeinsam mit der FDP vorgelegt haben, ist eine gute Grundlage für eine Magna Charta - so haben Sie es genannt - geschaffen. Sie haben das Ganze durch Ihre einseitigen, überzogenen Forderungen in Bezug auf Verbraucherschutz und Regulierung von Hedgefonds - Stichwort „Bankenstruktur“ - konterkariert. Deshalb können wir dem Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen nicht zustimmen; wir bleiben bei unserem Antrag. Es wäre für die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gut, ihren Finanzpolitikern zu folgen; denn sie waren auf dem richtigen Weg. Vielen Dank. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Jutta Krüger-Jacob, Bündnis 90/Die Grünen.

Jutta Krüger-Jacob (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003712, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gemäß dem Titel des vorliegenden Antrags muss es unser gemeinsames Ziel sein, Integration durch Wettbewerb und Vielfalt der europäischen Finanzmärkte voranzubringen. Wie ich Ihren Ausführungen entnehme, besteht hierüber noch immer Einigkeit, auch wenn die intensiven Bemühungen aller Mitwirkenden letztendlich nicht zu einem interfraktionellen Antrag geführt haben, was ich persönlich bedauere. ({0}) Nicht zuletzt wegen einer gemeinsamen Zielsetzung konnten gemäß dem 1999 verabschiedeten EU-Aktionsplan für Finanzdienstleistungen bislang mehr als zwei Drittel der Maßnahmen zur Integration der europäischen Finanzmärkte abgearbeitet werden. Auch mit der Umsetzung in nationales Recht liegen wir sehr gut im Zeitplan: Wir haben die Hälfte der Vorhaben hierzu im deutschen Recht implementiert; der Rest ist in Bearbeitung. Die europäischen Finanzmärkte zählen zu den führenden und leistungsfähigsten der Welt, auch wenn die rechtliche und tatsächliche Integration noch Divergenzen zeigt. Noch immer kann sich kaum ein Bürger vorstellen, eine nicht deutsche Lebens-, Unfall- oder Haftpflichtversicherung abzuschließen oder für seine Baufinanzierung ein ausländisches Produkt auszuwählen. Es wird unsere Aufgabe sein, diese Lücke durch Förderung von Transparenz zu schließen. Wir müssen den Implementierungsprozess vorantreiben, weitere Hemmnisse beseitigen, gesetzliche Regelungen vereinfachen und dabei den Anlegerschutz stärken. Die deutsche Finanzwirtschaft hat aufgrund der Größe der nationalen Volkswirtschaft, der modernen technischen Infrastruktur und der gut ausgebildeten Mitarbeiter beste Voraussetzungen, um neue Standards in Europa entscheidend mitzubestimmen. Der Finanzmarkt ist ein Schlüsselfaktor für Wachstum und Arbeitsplätze unserer Volkswirtschaft. Trotzdem besitzt Deutschland vor allem im Bereich der Finanzdienstleistungen noch Wachstumspotenzial: Das durchschnittliche Finanzvermögen pro Haushalt beträgt bei uns 37 000 Euro, während es in den Niederlanden bei 67 000 Euro und in Großbritannien bei 93 000 Euro liegt. ({1}) Angesichts der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland und der dadurch bedingten voraussichtlich zurückgehenden Leistungsfähigkeit der Sozialversicherungssysteme wird auch hier eine höhere individuelle Sparleistung nötig werden. Bedarf besteht ebenso für die Unternehmen, die den Wandel vollziehen müssen, weg vom klassischen Bankkredit hin zu einer stärker kapitalmarktorientierten Unternehmensfinanzierung. Die Marktkapitalisierung ist in Deutschland bei weitem nicht so fortgeschritten wie in anderen europäischen Ländern. Mit derzeit lediglich 39 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen wir zum Beispiel weit hinter Spanien mit 76 Prozent. Bei all unseren Bemühungen müssen wir stets auch die Interessen des einzelnen Bürgers im Auge behalten. Quasi jeder von uns ist vom Finanzmarkt betroffen, sei es als Arbeitnehmer, Aktionär, Bankkunde oder Versicherungsnehmer, sei es beim Aufbau von Vermögen für Investitionen oder die Altersvorsorge. Gemessen an der Bedeutung der Märkte für den einzelnen Bürger müssen wir ein hohes Verbraucherschutzniveau anstreben - ein Aspekt, den keine Fraktion unterschätzen sollte, da nur die Sicherheit aller Marktteilnehmer zur Stabilität des gesamten Finanzwesens führt. Aus diesem Grund müssen wir auch darauf hinwirken, europaweit einheitliche Aufsichtsstrukturen zu schaffen. Das heißt nicht unbedingt eine singuläre Aufsichtsbehörde; wichtiger sind harmonisierte, zusammenwirkende Aufsichtsstrukturen, wie wir sie bei den Finanzkonglomeraten durchgesetzt haben. Vor dem Hintergrund eines Anspruchs auf Sicherheit und Transparenz, dessen hohen Stellenwert die Diskussionen der letzten Wochen deutlich gemacht haben, ist für uns die Regulierung von Hedgefonds ein wichtiges Anliegen. Mit dem Investmentmodernisierungsgesetz haben wir Regelungen geschaffen, die wegweisend für eine europäische Regulierung sind. Wir müssen gerade angesichts der jüngsten Ereignisse und dem Finanzvolumen, das Hedgefonds zwischenzeitlich verwalten, darauf achten, dass für diese Fonds eine gemeinsame europäische Regulierung aufgebaut wird, und zwar im Einklang mit effizienten Entwicklungsmöglichkeiten für den Kapitalmarkt und den Anlegerschutz. Danke schön. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Volker Wissing für die FDP-Fraktion.

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass Rot-Grün heute den Antrag zu den europäischen Finanzmärkten gegen die Stimmen der Opposition in den Deutschen Bundestag einbringt, sagt viel über den Zustand der Regierungskoalition aus. ({0}) Seit Beginn der Kapitalismusdebatte wird der finanzpolitische Sachverstand von Rot-Grün immer mehr zurückgedrängt. Ich darf daran erinnern: Wir hatten ein abgestimmtes Papier. ({1}) Alle Fraktionen im Finanzausschuss waren sich einig, bis Ihre Verbraucherschützer über das Papier hergefallen sind. ({2}) Es ist doch geradezu bezeichnend, dass das Leitbild eines mündigen Verbrauchers, der sich selbstständig informieren und eigenverantwortlich entscheiden kann, in Ihrem Antrag nicht mehr vorkommt. Das Leitbild von SPD und Grünen ist doch offenbar nicht der mündige Verbraucher, sondern der von Rot-Grün bevormundete Verbraucher. Rot-grüner Verbraucherschutz gaukelt den Menschen eine Sicherheit vor, die es auf den Finanzmärkten nicht gibt. Ihr Verbraucherschutz ist kontraproduktiv. Sie haben den Hinweis gestrichen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger selbstständig informieren und eigenverantwortlich entscheiden müssen. Ich frage mich: Was haben Sie eigentlich für ein Bild von den Menschen in unserem Land? ({3}) Kein staatliches Handeln kann Eigenverantwortung und mündige Entscheidungen der Bürgerinnen und Bürger ersetzen. ({4}) Ich frage mich, wie lange es noch dauert, bis sich diese Erkenntnis bei Ihnen endlich durchsetzt. Für die FDP steht Verbraucherschutz - wie bei Ihnen - im Vordergrund. Aber er besteht für uns nicht darin, gebetsmühlenartig das Wort Verbraucherschutz zu wiederholen und in Anträge zu schreiben. Wer für die Verbraucher etwas tun möchte, muss sie offensiv informieren und auf Gefahren hinweisen. Auch an anderer Stelle sind Ihre Änderungen bemerkenswert. Es war unter den Finanzpolitikern aller Fraktionen Konsens, dass Konsolidierungsprozesse auf den Finanzmärkten - Herr Kollege Dautzenberg hat das Thema schon angesprochen - eine Voraussetzung für Wachstum und neue Arbeitsplätze sind. Wir waren uns auch einig, dass diese Prozesse von der Politik nicht behindert werden sollten. Auch diesen Satz kann ich in Ihrem Antrag nicht mehr finden. Was soll denn das für ein Signal sein? Planen Sie Interventionen à la Holzmann auf den europäischen Finanzmärkten? Wir sind gespannt, wie Sie Konsolidierungsprozesse in diesem Bereich aufhalten wollen. Mit einem neuen Staatsinterventionismus werden Sie keine Arbeitsplätze schaffen. Wachstum erreicht man mit dem Markt und nicht gegen den Markt. ({5}) Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von RotGrün, mag zwar zu der Heuschreckenrhetorik passen, die Sie in die politische Debatte gebracht haben. Er ist aber kein mutiger Schritt nach vorne. Er ist ein Schritt zurück. Er ist kein Schritt hin zu einem wettbewerbsfähigen Finanzplatz Europa. Deswegen haben nicht Sie, Herr Kollege Krüger, die Magna Charta eingebracht, sondern die CDU/CSU und die FDP. ({6}) Ihr Antrag ist Ausdruck rot-grünen Bedenkenträgertums. ({7}) - Wir haben die Menschen nicht vergessen. ({8}) Sie haben vergessen, dass die Menschen mündige Bürger sind und nicht von Ihnen bevormundet werden wollen. Unser Antrag ist besser. Wir haben die Nase vorn. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zum Schluss dieser Debatte erhält das Wort die Kollegin Gabriele Hiller-Ohm für die SPD-Fraktion. ({0})

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anträge der Opposition und der Koalition stimmen in weiten Teilen überein; das ist richtig. An einigen Punkten gehen die Forderungen an den europäischen Finanzmarkt jedoch deutlich auseinander. ({0}) Wir wollen im Gegensatz zur Opposition auf EUEbene ein hohes Verbraucherschutzniveau schaffen. ({1}) Wir werden auf keinen Fall zulassen, dass gute Standards in Deutschland dem Ziel eines gemeinsamen Finanzmarktes geopfert werden. ({2}) Warum ist eine gute Verbraucherpolitik in Europa wichtig? Erstens. Verbraucherschutz fördert den Wettbewerb. Er macht die Vorgänge auf dem Markt transparent und verständlicher. Unseriöse Anbieter haben dann deutlich geringere Chancen. Zweitens. Von einem gemeinsamen Finanzmarkt für die Menschen in Europa sind wir noch weit entfernt. Grenzüberschreitende Angebote werden nur zögerlich wahrgenommen. Warum? Es fehlt das Vertrauen. Wenn sich die Menschen darauf verlassen können, dass überall in der EU das gleiche hohe Verbraucherschutzniveau gilt, wird sich das Vertrauen in den gesamten Binnenmarkt zum Nutzen aller entwickeln. EU-weite Finanzdienstleistungen sind deshalb bei uns Verbraucherschutzpolitikerinnen und -politiker in den Fokus gerückt. Wir haben wichtige Pflöcke eingeschlagen, um Transparenz, Vergleichbarkeit und Informationsmöglichkeiten für Verbraucherinnen und Verbraucher zu verbessern. Ich nenne als Beispiele die Richtlinien zum Fernabsatz von Finanz- und Wertpapierdienstleistungen. ({3}) Hier wurden klare Verfahrensregeln und Informationspflichten europaweit eingeführt. Diesen Weg werden wir weiterverfolgen. Zum Thema Hedgefonds. Bundeskanzler Gerhard Schröder und Franz Müntefering haben es deutlich gemacht: Mächtige Spekulanten gefährden unsere soziale Marktordnung. ({4}) Hedgefonds spielen in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle. Über ihre Sonderrechte können sie mit wenig Eigenkapital große Summen an Fremdkapital bewegen. Weltweit verwalten mehr als 8 000 Hedgefonds etwa 1 Billion Dollar. Die Kapitalmenge von Hedgefonds nimmt schnell Größenordnungen an, mit denen die Fonds den gesamten Finanzmarkt beeinflussen und Unternehmen durch Aktienkäufe unterwandern können. Das passiert auch. Ich nenne ein Beispiel: Hedgefonds und andere Spekulanten haben sich in das deutsche Industrieunternehmen IWKA, ein gesundes Unternehmen mit rund 15 Prozent Kapitalrendite, eingekauft und den Vorstand zum Rücktritt gezwungen. ({5}) Geplant ist nun eine weitreichende Zerschlagung der Unternehmensstruktur, und dies, obwohl das Unternehmen Gewinn gemacht hat. Was dies für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedeutet, kann man sich sehr lebhaft vorstellen. Die große Gefahr ist die Intransparenz, mit der sich die Fonds auf dem Markt bewegen. Deshalb ist es richtig, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder die Offenlegungspflichten für Hedgefonds europaweit und international verschärfen will. ({6}) Konkret heißt dies, dass Meldepflichten bei der Aktienleihe und beim Erwerb wesentlicher Beteiligungen an Aktienunternehmen eingeführt werden sollen. Wir unterstützen dies mit unserem Antrag. In den USA, dem Land des „ungezügelten Kapitalismus“, ({7}) ist man da übrigens schon ein Stück weiter. Dort gibt es diese Meldepflichten bereits. Bei Hedgefonds sind also nicht die USA, sondern ist die EU der unregulierte Markt. Das, meine Damen und Herren, muss sich schnellstens ändern - im Interesse europäischer Unternehmen, europäischer Arbeitsplätze und des europäischen Finanzmarktes. Deshalb haben wir unseren Antrag eingebracht. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben die Chance, unserem Antrag zuzustimmen. Tun Sie es doch einfach! Tun Sie etwas für den Finanzplatz in Europa! ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Jetzt können wir einmal sehen, wer welchen Empfehlungen zum Abstimmungsverhalten folgt. Zusatzpunkt 3 a: Wir stimmen zunächst ab über den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 15/5679 mit dem Titel „Europäische Finanzmärkte - Integration durch Wettbewerb und Vielfalt voranbringen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Das Erste war die Mehrheit. Damit ist der Antrag angenommen. Zusatzpunkt 3 b: Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf Drucksache 15/5677 mit dem Titel „Europäische Finanzmärkte - Integration durch Wettbewerb und Vielfalt voranbringen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer enthält sich? - Wer stimmt dagegen? - Der Antrag ist abgelehnt. Ich rufe nun den Zusatzpunkt 4 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierung der Versorgung sowie zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften ({0}) - Drucksache 15/5672 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({1}) Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Hierzu war eine halbstündige Debatte vorgesehen. Die Kolleginnen und Kollegen Siegmund Ehrmann, Clemens Binninger, Hannelore Roedel, Silke Stokar von Neuforn und Dr. Max Stadler sowie für die Bundesregie- rung der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper geben ihre Reden zu Protokoll.1) Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 15/5672 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse und zusätzlich an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vor- schläge? Dies ist eine der letzten Gelegenheiten, Streit anzufangen. - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Über- weisung so beschlossen. 1) Anlage 15 Vizepräsident Dr. Norbert Lammert Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 16. Juni, 9 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen allen und auch den Gästen auf der Besuchertribüne noch einen schönen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.