Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/13/2005

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b so- wie die Zusatzpunkte 8 und 9 auf: 28 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassung der Freibetragsregelungen für erwerbsfähige Hilfebedürftige ({0}) - Drucksache 15/5446 ({1}) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({2}) Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Niebel, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Hinzuverdienstmöglichkeiten zum Arbeitslosengeld II im Interesse einer Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt verbessern - Drucksache 15/5271 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({3}) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Haushaltsausschuss ZP 8 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes - Drucksache 15/5445 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({4}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ZP 9 Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, Veronika Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Sozialdumping durch osteuropäische Billigarbeiter - Drucksache 15/5168 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Klaus Brandner, SPD-Fraktion, das Wort.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestern hat der Bundestag mit überwältigender Mehrheit den Vertrag über eine europäische Verfassung verabschiedet. In der Debatte waren wir uns darüber einig, dass Europa viele Vorteile mit sich bringt. Wir haben gerade den 8. Mai würdig begangen, an dem wir uns daran erinnert haben, dass wir in Europa über 60 Jahre ohne Krieg verbracht haben. Wir wollen jetzt auch über die wirtschaftlichen Aspekte reden, von denen viele Mitgliedstaaten, insbesondere auch Deutschland, profitieren. Wir sind Exportweltmeister. Unsere Exporte gehen zu 75 Prozent in die Europäische Union. Angesichts der hohen wirtschaftlichen und auch gesellschaftlichen Bedeutung muss Europa von uns allen weiterhin als Chance genutzt werden. Doch der Wandel und die Veränderungen, die mit dem größeren Europa einhergehen, laufen nicht immer ganz reibungslos ab. Viele Menschen erleben Bedrohungen und haben Ängste. Gerade in Grenzgebieten haben die Menschen mit Blick auf osteuropäische Billigarbeiter Angst um ihren Arbeitsplatz. Viele, die als Fleischer oder Fliesenleger arbeiten, sahen in den letzten Monaten ihren Arbeitsplatz durch illegale Praktiken bedroht oder haben ihn sogar verloren. Redetext Dies müssen wir abwenden. Deshalb gilt, dass das Zusammenleben in Europa Spielregeln braucht. Eine dieser Spielregeln ist: faire Löhne und faire Arbeitsbedingungen. ({0}) Darum diskutieren wir heute über die Änderung des Entsendegesetzes. Mit den neuen Regelungen schaffen wir erstens die Möglichkeit, Sozial- und Lohndumping einzudämmen, und zweitens schaffen wir die Rahmenbedingungen dafür, dass ein fairer Wettbewerb in Europa gesichert bleibt. Hierbei dürfen ausländische Unternehmen nicht benachteiligt werden. Sie dürfen aber auch nicht, wie bisher, aufgrund fehlender Regelungen durch Lohn- und Sozialdumping Arbeitsplätze in unserem Land gefährden. Dass man sich durch unfairen Wettbewerb Vorteile verschafft, muss in diesem Land ausgeschlossen werden. ({1}) Deshalb wollen wir mit der Änderung des Entsendegesetzes auch ausländische Arbeitgeber verpflichten, Mindestlöhne zu zahlen und Mindestarbeitsbedingungen wie Entlohnung von Überstunden, Urlaubsdauer, Urlaubsgeld usw. zu gewährleisten. Bislang galt das Entsendegesetz für die Baubereiche. Es ist bedauerlich - das will ich hier klar sagen -, dass die Ausweitung auf andere Bereiche erst jetzt erfolgt. Wir hätten dies schon 1996 erreichen können. ({2}) Damals hat die SPD genau das gefordert und einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht. ({3}) Meine Damen und Herren, schauen Sie sich den derzeitigen Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen an, wo insbesondere die sozialen Missstände beklagt werden. Dabei sind allerdings diejenigen unglaubwürdig, die sich gegen eine Ergänzung des Entsendegesetzes ausgesprochen und damit eine bessere Bekämpfung von Missbrauch, der zu unfairen Arbeitsbedingungen führt, verhindert haben. Auch das muss heute gesagt werden. ({4}) Faktisch schaffen wir mit der Ausweitung des Entsendegesetzes zunächst einheitliche Rahmenbedingungen für alle Branchen. Zukünftig soll es den Tarifvertragsparteien überlassen bleiben, selbst Regelungen für die jeweiligen Branchen zu treffen und durch ein bundesweites Tarifgefüge sicherzustellen, dass keine Niedrigstlöhne mehr gezahlt werden und unfaire Wettbewerbsbedingungen gar nicht erst entstehen können. Ich sage ganz bewusst: Das ist eine Regelung im Rahmen der Tarifautonomie. Alle, die nichts von einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn halten, sollten daran erinnert werden, dass es darum geht, die Tarifautonomie zu stärken und dafür zu sorgen, dass im Rahmen dieser Tarifautonomie bundesweite Regelungen erlassen werden können und die gesetzliche Festlegung eines allgemeinen Mindestlohnes gar nicht erst nötig wird. ({5}) Wir, meine Damen und Herren, werden die Situation im Auge behalten. Wir werden die Verantwortung wahrnehmen und, wenn es sein muss, natürlich auch über einen erweiterten Spielraum reden. In der Union ist man durch die Zustände, die wir in der Fleischwarenindustrie erlebt haben, wach geworden. Herr Stoiber erklärte, nachdem die Probleme in der Fleischindustrie deutlich wurden, ganz schnell, man müsse sich ernsthaft Gedanken über einen gesetzlichen Mindestlohn machen. Das veranlasste Frau Merkel kurz darauf dazu, öffentlich festzustellen, dass ein gesetzlicher Mindestlohn mit der Union nicht zu machen sei. Herr Pofalla hat diese Haltung bestätigt, während Herr Laumann sagte, einer solchen Diskussion stehe er sehr aufgeschlossen gegenüber, und Herr Weiß von der CDA sagte, ein staatlicher Mindestlohn stelle eine diskussionswürdige Alternative dar. Nun wollen wir nicht gesetzlich einen allgemeinen Mindestlohn festlegen. Wir wollen als ersten Schritt ein Entsendegesetz, das zulässt, dass im Rahmen der Tarifautonomie faire Bedingungen durch die Tarifvertragsparteien für jede Branche separat geregelt werden. Jede Branche soll feststellen, welche Verdiensthöhe in ihrem Bereich notwendig und richtig ist. Wenn die Union, wie führende Politiker von ihr sagen, aufgeschlossen über das Thema sprechen will, dann hat sie heute die Möglichkeit, das unter Beweis zu stellen. Ihre Vertreter sollten also nicht nur die Lippen spitzen, sondern auch pfeifen und mithelfen, dass Regelungen, die für faire Bedingungen am Arbeitsmarkt sorgen, erlassen werden können. ({6}) Meine Damen und Herren, über die Frage der Wirkungen des gesetzlichen Mindestlohns im Baubereich wird viel gestritten. Wer kann eigentlich besser Auskunft über die Wirkungen eines solchen Gesetzes, das seit 1996 in Kraft ist, geben als die Bauindustrie selbst? Natürlich kann ich durch ein Entsendegesetz, das die Möglichkeit zur Festlegung eines Mindestlohns gibt, nicht den Strukturwandel verhindern. Das ist auch nicht die Aufgabe. Der Strukturwandel ist aber auch nicht behindert worden. Das stellt die Bauindustrie selbst in aktuellen Stellungnahmen fest. Sie sagt darüber hinaus, der tarifliche Mindestlohn hat nicht preistreibend gewirkt, es kam zu keiner Verdrängung inländischer Baunachfrage. Das jedenfalls steht in der jüngsten Stellungnahme der deutschen Bauindustrie, die auch Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, mit Sicherheit zugegangen sein wird. Insofern sind Aussagen, die das Entsendegesetz oder gesetzliche Mindestlöhne verteufeln, Schall und Rauch. Wer das verteufelt, will nicht, dass für faire ArbeitsplatzKlaus Brandner bedingungen in Deutschland gesorgt wird, will nicht, dass es ein Regelwerk gibt, das die Bereitschaft der Menschen, Ja zu Europa zu sagen, erhöht. Sie werden nämlich nur dann Ja zu Europa sagen, wenn sie wissen, dass es in Europa fair und korrekt zugeht. ({7}) Fest steht, das Entsendegesetz ist ein Element, um Arbeits- und Wettbewerbsbedingungen innerhalb der Wirtschaft fair zu gestalten. Es kommt bei der Umsetzung darauf an, dass alle mithelfen: die Sozialpartner, die öffentlichen Hände und all diejenigen, die Überwachungs-, Kontroll- und Gestaltungsaufgaben wahrnehmen. Die Bundesregierung geht gegen schwarze Schafe und diejenigen, die die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit missbrauchen, konsequent vor. ({8}) Der Bundeskanzler hat eine Taskforce eingerichtet. Der Staatssekretär Andres, der gleich noch reden wird, wird - ich bin davon überzeugt - über einige Erfolge ihrer Tätigkeit berichten. Die Taskforce zeigt: Es darf nicht nur Sanktionen geben, sondern wir müssen auch weiter an einer effizienten Kontrolle arbeiten. Dazu muss zum Beispiel die Meldepflicht ausländischer Arbeitgeber angepasst und durch elektronische Kommunikationswege verbessert werden. Es kommt darauf an, dass Bund und Länder in dieser Frage noch enger zusammenarbeiten als bisher; denn wir sind davon überzeugt, dass ein präventiver Ansatz den Menschen am ehesten hilft, eine wirksame Kontrolle im Bereich des Entsendegesetzes und des Missbrauchs von Niederlassungsfreiheit zu erreichen. Ich will aber auch sagen, meine Damen und Herren, dass nicht die ganze Fleisch- und Schlachthofbranche in Verruf gebracht werden darf. Wer dieses Thema nur zum Verteufeln nutzt, der dient der Sache nicht. Bei schwarzen Schafen wurden gravierende Missstände aufgedeckt. Aber es gibt eine große Zahl von Unternehmen, die bereit sind, einen Ehrenkodex und ein Markenzeichen für Qualitätsprodukte auszuarbeiten, das dafür steht, dass die Qualitätsprodukte unter fairen Bedingungen hergestellt und bearbeitet worden sind. ({9}) Dieser Initiative müssen wir Unterstützung verleihen. Auch ein Großunternehmen aus meinem Wahlkreis, das Unternehmen Tönnies, ist bereit, einen solchen runden Tisch mit zu organisieren, weil es darum geht, Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze in Deutschland zu erhalten, und das zu fairen Bedingungen. Dahinter steckt doch auch, dass es um Investitionen am Standort Deutschland geht. Es geht darum, dass die hier vorhandene Arbeit zu menschenwürdigen Bedingungen geleistet wird. Dazu müssen die entsprechenden Organisationsformen hergestellt werden. Ein solcher runder Tisch kann dazu dienen, letztlich sicherzustellen, dass Betriebsräte üblich sind, dass Tarifverträge üblich sind und dass die Einhaltung von gesetzlichen Mindeststandards nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist. ({10}) Ich hoffe, meine Damen und Herren, dass die Union mit ihrem Zickzackkurs aufhört. Sie hat das ja bei dem zweiten Thema, das wir zum Schluss positiverweise einheitlich geregelt haben, gezeigt. Ich will damit ganz klar auf die Zuverdienstregelung zu sprechen kommen. Wir hätten eine Zuverdienstregelung natürlich schon längst haben können; denn Rot-Grün hatte einen Gesetzentwurf eingebracht, der einen höheren Zuverdienst vorsah, damit sich auch die Aufnahme einer geringer bezahlten Arbeit lohnt. Im Verfahren hat die Union eingelenkt. Das begrüße ich sehr. Wir legen heute eine Regelung vor, die transparent ist, die einen echten Anreiz bietet, auch Arbeit in Teilzeit oder mit einer geringeren Bezahlung aufzunehmen, und damit den Weg in den ersten Arbeitsmarkt eröffnet. Ich begrüße dies sehr und freue mich, dass die Union mit ihrem Zickzackkurs Schluss gemacht hat. Es kommt jetzt darauf an, dass wir den Prozess insgesamt voranbringen. Wir konnten gestern Konjunktursignale zur Kenntnis nehmen: Im ersten Quartal 2005 haben wir seit vier Jahren das erste Mal wieder ein Wachstum, mit dem wir in Europa Spitzenreiter und eben nicht Schlusslicht sind. ({11}) Wir werden gleich hören, dass Sie das alles wieder kleinreden. Das ist völlig klar; das kennen wir schon. ({12}) Aber es ist in dieser Zeit doch wichtig, deutlich zu machen: Hier bewegt sich was! Reden Sie doch nicht immer schlecht, sondern helfen Sie mit, wie Sie das auch in anderen Bereichen in der Vergangenheit getan haben! Die Opposition kann zeigen, dass sie durch die Zustimmung zu beiden Gesetzentwürfen, zum Zuverdienst und zum Entsendegesetz, ein gutes Signal für Deutschland und für den Arbeitsmarkt setzt. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Karl-Josef Laumann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Tagesordnungspunkt umfasst ja zwei Gesetzgebungsvorhaben der Regierung: Der eine Teil sind die Hinzuverdienstregelungen bei Hartz IV, die wir für sinnvoll halten, die wir in einem gemeinsamen Gesetzentwurf eingebracht haben und die ich teilweise persönlich ausgehandelt habe. Der andere Teil ist das Entsendegesetz. Ich glaube, dass dieses Entsendegesetz überhastet entstanden ist. ({0}) Ich bin fest davon überzeugt, dass es in vielen Bereichen gegen die soziale Partnerschaft gerichtet ist, etwa dadurch, dass der Bundesminister auf dem Wege der Verordnung auf Antrag nur einer Tarifvertragspartei einen entsprechenden Prozess in Gang setzen kann. Zu dem Gesetzentwurf zu den geänderten Hinzuverdiensten möchte ich sagen: Man kann immer darüber streiten, ob die Freibeträge, die gewährt werden, so richtig sind oder ob sie höher oder niedriger sein sollten. Das möchte ich einmal dahingestellt lassen. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass das Arbeiten in einem regulären Job auf dem so genannten ersten Arbeitsmarkt attraktiver sein muss als zum Beispiel ein 1-Euro-Job, der immer im zweiten Arbeitsmarkt angesiedelt ist. Ein regulärer Job für einen Empfänger von Arbeitslosengeld II muss auch so attraktiv sein, dass der Betreffende lieber arbeitet, als endlose Runden in geförderten Maßnahmen zu drehen. Nichts qualifiziert aus meiner Sicht für den Arbeitsmarkt so gründlich, wie das Arbeiten im ersten Arbeitsmarkt, auch wenn es nur wenige Stunden in der Woche sind. Ich glaube, dass die bisherigen Regelungen, nämlich nicht nur - wie es früher der Fall war - mit einem Freibetrag zu arbeiten, sondern auch mit Zuverdiensten in prozentualer Höhe, zwar im Prinzip gut und hinsichtlich der Anreizwirkung richtig waren, aber im Bereich der Jobs bis zu einem Verdienst von 400 Euro gegenüber dem Bereich der 1-Euro-Jobs schlicht und ergreifend unattraktiv waren. Ich meine, dass wir hier eine vernünftige Lösung gefunden haben. Ich bin auch sehr froh, dass wir eine Lösung gefunden haben, mit der im Regelfall die Zuverdienstmöglichkeiten der größeren Bedarfsgemeinschaften, also der Bedarfsgemeinschaften mit Kindern, gegenüber den Zuverdienstmöglichkeiten von Leuten, die keine Kinder haben, verbessert wurden. Dadurch wird das Lohnabstandsgebot besser gewahrt. Wir sollten nicht nur sehen, dass wir das Gesetz zügig verabschieden, sondern wir sollten vor allen Dingen dafür sorgen, dass die Bundesagentur für Arbeit in der Lage ist, diese Änderungen zügig zu administrieren. ({1}) Mir macht schon ein wenig Sorgen, dass unter Umständen, wie man hören kann, die Regelungen erst zum 1. Januar des nächsten Jahres in Kraft treten. Wir sollten im Interesse der Menschen zusehen, dass diese Regelungen spätestens zum 1. August oder 1. September umgesetzt werden. Der Entwurf eines Entsendegesetzes hat sicherlich eine ehrenwerte Zielrichtung, nämlich Sozialdumping zu verhindern. Bevor wir aber einen solchen weit reichenden Schritt tun, müssen wir uns doch fragen, welche Erkenntnisse die Bundesregierung in den einzelnen Branchen hat, dass sie jetzt zu diesem gesetzlichen Mittel greifen will. Wir von der Union haben eine Große Anfrage gestellt, in der wir wissen wollten: Wie ist die Situation in den einzelnen Branchen? Welche Erkenntnisse haben Sie? Welche Zahlen liegen vor? Diese Große Anfrage ist bis heute nicht beantwortet. Sie sollte aus unserer Sicht im Übrigen eine Vorbereitung auf die Diskussion sein, wie wir mit diesen Problemen umgehen. Ich habe den Eindruck, dass dieses Gesetz für die Menschen, die Angst haben - auch wir sehen, dass es Branchen gibt, wo die Situation nicht einfach und nicht in Ordnung ist -, ein Symbol sein soll: Wir haben euer Problem erkannt und jetzt führen wir ein Instrument ein, mit dem wir euch helfen. - Aber wenn dieses Instrument nicht funktioniert, wenn die Leute sehen, dass trotz der beschlossenen Maßnahmen ihre Situation überhaupt nicht verändert wird, dann bewirken Sie in einem äußerst sensiblen Bereich bei Menschen, die es auf unserem Arbeitsmarkt oft nicht sehr einfach haben, eine große Enttäuschung. ({2}) Ich will ganz klar sagen: Die Situation der Menschen in den Schlachtbetrieben ändern Sie mit dem Gesetzentwurf, den Sie heute vorlegen, überhaupt nicht; ({3}) denn diejenigen aus Osteuropa, die in den Schlachtbetrieben arbeiten, kommen zunächst einmal als Selbstständige. ({4}) Ob diese nun alle, Herr Kollege Niebel, Scheinselbstständige sind, möchte ich bezweifeln. In NordrheinWestfalen wurden in den letzten Monaten in allen großen Schlachtbetrieben Kontrollen in einem erheblichen Umfang durchgeführt. Natürlich ist es zu Beanstandungen gekommen. Aber es gab auch ganz viele Fälle, in denen die Situation nicht zu beanstanden war. Auch das muss man sagen. Sie werden dieses Problem mit den Selbstständigen aus Osteuropa, die Aufträge beispielsweise in deutschen Schlachthöfen übernehmen, über ein Entsendegesetz nicht lösen können. ({5}) Das Problem hängt damit zusammen, dass es in Europa eine Dienstleistungsfreiheit gibt, die diese Selbstständigen nach dem EU-Beitritt nutzen können. ({6}) Obwohl der Bundesrat die Bundesregierung dazu aufgefordert hat, ist diese Dienstleistungsfreiheit nicht wie die Arbeitnehmerfreizügigkeit für einen ÜbergangszeitKarl-Josef Laumann raum eingeschränkt worden. Darin liegt das Problem. In dem EU-Vertrag mit Bulgarien und Rumänien hat die Bundesregierung eine Fußnote durchgesetzt, dass wir unseren Arbeitsmarkt relativ rasch für diese Menschen öffnen wollen. Das zeigt, dass Sie genau das Gegenteil von dem tun, was Sie den Menschen vorzutäuschen versuchen. Da kann man doch einfach nicht mitmachen. ({7}) Nehmen wir ein anderes Beispiel, eine andere Branche, in der es zurzeit Schwierigkeiten gibt: Das sind die Fliesen- bzw. Plattenleger. Zum Beispiel in der Handwerkskammer Münster - ich komme von dort - haben die Anmeldezahlen in dieser Branche um 85 Prozent zugenommen. Die Menschen, die jetzt in diesem Bereich ein Gewerbe anmelden, sind fast ausschließlich aus Osteuropa. Wenn diese ihre Dienstleistung als selbstständige Fliesenleger bei uns anbieten, dies aber zu Quadratmeterpreisen, mit denen man einen deutschen Fliesenleger weder nach Tarif noch im Hinblick auf das Urlaubsgeld und die Sozialversicherung, wie es bei uns der Fall ist, bezahlen kann, dann lösen Sie dieses Problem nicht über den Gesetzentwurf, den Sie heute vorgelegt haben. ({8}) Sie lösen das Problem damit nicht und sollten dies auch den Menschen nicht vorgaukeln. Es ist doch verrückt, den Leuten zu sagen: Mit diesen Mindestlöhnen können wir eure Situation ändern. Dieses Parlament trägt die Verantwortung dafür, dass diese Situation bei den Fliesenlegern entstehen konnte, indem wir den Meisterzwang beseitigt haben ({9}) und damit die europäische Richtlinie über die berufliche Qualifikation nicht mehr greift. Das ist die Wahrheit. ({10}) Sie waren aus ideologischen Gründen dafür, den Meisterbrief abzuschaffen. Sie haben es zum Schlimmen verändert. Wollen Sie den Fliesenlegern helfen? Das kann der Bundestag in einem Tag machen. Dann müssen Sie den Meisterzwang für diesen Bereich wiederherstellen. Dann können Sie zumindest verhindern, ({11}) dass sich Menschen, die nicht schon heute im Ausland selbstständig sind, in diesem Bereich selbstständig machen. Das wäre die einzige Möglichkeit, um dieser Branche zu helfen. ({12}) Oder sagen Sie: „Wir wollen diesen Wettbewerb“? Dann muss man aber auch dazu stehen. Nur, ich bin gespannt, wie wir Wettbewerb im gehobenen Dienstleistungsbereich herstellen wollen, wo wir etwa bei Notaren noch Gebietsschutz haben und wo im Hinblick auf die Dienstleistungsfreiheit in Europa gar nichts passieren kann. Ich sehe die Probleme, die das Dienstleistungshandwerk hier hat; aber mit dem vorliegenden Gesetzentwurf lösen Sie diese nicht. Sie machen Versprechungen Menschen gegenüber, die sehr gefährdet sind, weil es aufgrund der europäischen Erweiterung um ihre Existenz geht. Sie verstehen Ihre Politik nicht mehr, die ihnen am Ende nicht hilft. Eine solche Politik ist meiner Meinung nach unverantwortlich. ({13}) Natürlich muss es, auch was die Löhne ausländischer Arbeitnehmer, die in Deutschland arbeiten, angeht, Spielregeln geben. Es ist wahr, dass es Bereiche gibt, in denen die Tarifvertragsbindung zwar auf dem Papier steht, aber in der Realität sehr zu wünschen übrig lässt. Dass es ganz klar ist: Auch für die CDU/CSU ist Lohndumping nicht in Ordnung; dagegen muss man vorgehen. ({14}) Es ist für uns nicht in Ordnung - das sage ich hier ganz deutlich -, wenn wir teilweise Strukturen haben, in denen einzelne Unternehmer die Höhe der Löhne in ihren Betrieben allein festsetzen können. Das ist nicht das Spiel, wie wir Koalitionsfreiheit verstehen. Schon Leo XIII. - der Mann war von 1878 bis 1903 Papst der römisch-katholischen Kirche - hat gesagt: ({15}) Es ist nicht in Ordnung, wenn Unternehmen einseitig Löhne festlegen können. - Das ist ein wesentlicher Bestandteil der christlichen Soziallehre, die in meiner Partei und in keiner anderen in Deutschland ihren Schutzpatron hat. ({16}) Deswegen sage ich Ihnen: Es ist ganz normal, Allgemeinverbindlicherklärungen von Tarifverträgen abzugeben. Es gibt in Deutschland über 450 allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge. ({17}) Die meisten kommen im Übrigen aus der Zeit, in der die Union regiert hat. Dies war immer ein ganz normales Instrument der Politik. Aber man muss sich dieses Instrument Branche für Branche anschauen. Man muss genau abwägen: Kann man damit Probleme lösen oder muss man andere Instrumente in die Hand nehmen, um die Probleme zu lösen? ({18}) Ich habe neben anderen ein großes Problem mit Ihrem Vorschlag, der in der Anwendung demnächst im Grunde folgendermaßen funktionieren soll: Eine Tarifvertragspartei einer Branche sagt: Wir sind der Meinung, dass in unserem Bereich keine Ordnung herrscht. Dann muss zwar der Bundesminister mit der anderen Tarifvertragspartei reden; aber im Grunde kann er durch eine Verordnung am Parlament und der anderen Tarifvertragspartei vorbei entscheiden, was er in diesem Bereich will. Das ist nicht unsere Vorstellung. Unsere Vorstellung ist vielmehr - das haben wir auch nach 1998, als Sie dieses Gesetz verändert haben, sehr deutlich gesagt -: Wir sind der Meinung, dass sich die Tarifvertragsparteien einer Branche über die Frage verständigen müssen, ob Unordnung in ihrem Bereich besteht, und dann der Politik sagen müssen: Wir beantragen eine Allgemeinverbindlichkeit. Aus unserer Sicht kann der Bundesminister dann nach einem Prüfungsprozess entscheiden; denn ich glaube, dass die Sozialpartnerschaft in den Branchen eine wichtige Voraussetzung für die Tarifautonomie ist, die sich im Grundsatz bewährt hat. Wir, die Politik, sollten uns nicht danach sehnen, die unteren Löhne festzusetzen. Hinter der Frage, ob wir das besser als die Tarifvertragsparteien könnten, mache ich ein ganz großes Fragezeichen. ({19}) Sie werden die Tarifautonomie dann stärken, wenn Sie es zumindest dabei belassen, dass sich beide Tarifvertragsparteien über diese Frage verständigen müssen. Schönen Dank. ({20})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort der Kollegin Thea Dückert, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor ungefähr einem Monat, am 8. April, konnten wir in der „FAZ“ lesen, dass Herr Stoiber bei einem Besuch in Brüssel erklärte, dass man sich „ernsthaft über einen gesetzlichen Mindestlohn Gedanken machen muss“. Herr Laumann hat dem zugestimmt und applaudiert. ({0}) Er hat, wie auch Herr Stoiber, darauf hingewiesen, dass wir in verschiedenen Branchen so etwas wie Mindestlöhne haben müssen, um genau dies in Deutschland zu vermeiden. Die Ausweitung des Entsendegesetzes ist ein Mittel - eines von vielen denkbaren, unterschiedlichen Mitteln -, um genau das, was von Ihnen beklagt wird, aufzugreifen, dem etwas entgegenzusetzen und das zu tun, was Herr Laumann gerade eingefordert hat: sich unter Berücksichtigung der Branchen auf die Autonomie der Tarifvertragsparteien zu beziehen, um in einzelnen Branchen Mindestlöhne einzuziehen, um Lohndumping und Sozialdumping in Deutschland zu verhindern. ({1}) Nur zwei Wochen später, vielleicht sogar noch eher, hat sich die Union von den Ausführungen von Herrn Laumann und Herrn Stoiber distanziert, ganz nach dem Motto: Was schert mich mein Geschwätz von gestern. ({2}) Sie haben wieder einen Beweis dafür geliefert, dass die Unionsparteien die Parteien der Unberechenbarkeit und des Populismus sind. ({3}) Ihre populistischen Versprechen haben Halbwertszeiten von zwei Wochen. ({4}) In der Tat gilt es, Armutslöhne in Deutschland wirkungsvoll zu bekämpfen; das ist überhaupt keine Frage. Auch gilt es, jede mögliche Chance dazu zu nutzen. Aber was schlagen Sie vor? Sie mäkeln am Entsendegesetz herum. Herr Laumann sagt: Wir müssen noch ein bisschen prüfen. Er fragt: Wie ist das in Deutschland überhaupt? Dabei hat das Entsendegesetz seinen Praxistest schon bestanden. ({5}) Was schlagen Sie vor, außer dass Sie an den Vorschlägen, die wir gemacht haben, herummäkeln? ({6}) Sie schlagen zum Beispiel eine Abschottungspolitik gegenüber Europa vor. Herr Laumann, Sie haben dieser Abschottungspolitik mit Hinweisen auf Rumänien und Bulgarien wieder das Wort geredet. - Wie ich sehe, nicken Sie. ({7}) Gleichzeitig haben Sie im Zusammenhang mit der Problematik mit den Fliesenlegern wieder einmal das Hohelied auf das alte Zunftwesen gesungen. ({8}) Auch Sie, Herr Laumann, wissen, dass dieses Zunftwesen und diese Form der Handwerksordnung, die wir zum Glück modernisiert haben, in keinem unserer europäischen Nachbarländer existieren. ({9}) In genau diesem europäischen Kontext, in den wir einsteigen wollen, um ein soziales und offenes Europa zu schaffen, sind solche Formen von Sonderregelungen und Abschottung, wie Sie sie betreiben wollen, kontraproduktiv. ({10}) Was Sie hinsichtlich der Lohnentwicklung in Europa wollen - das hat Herr Pofalla in den letzten Wochen gesagt und das ist auch von Frau Merkel gesagt worden -, ist die Möglichkeit eines Niedriglohnsektors. Sie wollen eine Abschottung und Sie wollen einen Niedriglohnsektor; das ist Ihre Antwort.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Dückert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brandner?

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sofort, Herr Brandner, nachdem ich meinen Gedanken zu Ende geführt habe. - Es geht darum, dass genau die flächendeckenden Niedriglöhne, die Sie vorschlagen, das Gegenteil von einem Kampf gegen Armutslöhne in Deutschland bedeuten. Das, meine Damen und Herren, machen wir nicht mit und deswegen schlagen wir Maßnahmen wie das Entsendegesetz vor. Herr Brandner.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Dückert, Sie haben gerade berichtet, dass die Union sich gegenüber Europa abschotten will. Ist Ihnen die Aussage von ihrem ehemaligen europapolitischen Sprecher Peter Hintze bekannt? Er hat gesagt, der Vorschlag der EU-Kommission, für die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach der EU-Erweiterung bis zu sieben Jahre als Übergangsfrist vorzusehen, sei zu zögerlich - wörtlich -: Solch lange Fristen sind weder politisch noch wirtschaftlich gerechtfertigt. So zu lesen in einer Presseerklärung der CDU/CSUBundestagsfraktion. Wie erklären Sie sich das?

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist relativ schwierig, sich die ständigen Positionsveränderungen innerhalb der Union zu erklären, ({0}) außer vielleicht damit, dass es sich auch hier um tagespolitische, um populistische Äußerungen handelt - wie in diesem ganzen Bereich - nach dem Motto „Was schert mich mein Geschwätz von gestern?“. ({1}) Sie wollen Abschottungspolitik und Sie werfen uns vor, dass das Entsendegesetz ein Arbeitsvernichtungsprogramm sei; Sie verweisen dabei auf das Baugewerbe. Herr Laumann, Sie wissen sehr genau, was die Probleme im Baugewerbe sind: Natürlich sind durch den Strukturwandel Arbeitsplätze verloren gegangen, aber doch mit Sicherheit nicht als Folge des Entsendegesetzes; das wissen Sie. Sie haben selber die unsägliche, unsinnige Politik der Subventionierung im Bausektor in den 90er-Jahren zu verantworten, die Aufblähung des Sektors, auf die natürlich Strukturveränderungen und auch Schrumpfungsprozesse folgen mussten. Das sind die Ursachen für die schwierige Entwicklung im Bausektor. Deswegen hat der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, Michael Knipper, mit Recht darauf hingewiesen, dass in der Bauindustrie ohne die Mindestlöhne des Entsendegesetzes mehr als 650 000 Arbeitsplätze verloren gegangen wären. Ein anderer Punkt: Sie beklagen, dass das Entsendegesetz nicht verhindern könnte, dass sich beispielsweise im Fleischereigewerbe und in anderen Bereichen illegale Machenschaften, Scheinselbstständigkeit und Lohndumping durchsetzen. Sie haben Recht, Herr Laumann: Das kann das Entsendegesetz nicht regeln, weil hier gesetzeswidriges Handeln vorliegt, weil es sich hier um die Umgehung von Gesetzen handelt, um Schwarzarbeit, um Scheinselbstständigkeit. Die kann man nicht mit Gesetzen austreiben, sondern nur durch Kontrolle, zum Beispiel durch Kontrolle durch die Zollbehörden, durch Kontrolle in den Betrieben und durch internationale Zusammenarbeit. Ganz sicher reicht dafür kein Entsendegesetz. Aber es läuft ins Leere, wenn Sie gerade dieses dem Entsendegesetz vorwerfen. Meine Damen und Herren, es geht darum, in vielen Branchen unterschiedliche Möglichkeiten zu ergreifen, Lohndumping zu verhindern. Wir brauchen dieses, aber wir müssen dabei gleichzeitig auf die Kraft der Tarifvertragsparteien setzen, auf die Tarifautonomie. Deswegen ist es sinnvoll, mit dem Entsendegesetz, aber auch mit anderen Möglichkeiten branchenbezogene Mindestlöhne durchzusetzen, zum Beispiel durch eine Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen. Das Entsendegesetz ist das eine. Dieser Schritt muss auch in anderen Branchen folgen. Ich möchte ganz zum Schluss noch zu einem anderen Gesetz etwas sagen, über das wir hier sprechen - auch ein Beweis für die Wendefähigkeit, vielleicht sogar einmal für die Lernfähigkeit der Union -: Es geht um die Zuverdienstregelung. Ich bin ungeheuer froh, dass es heute gelingt, die Zuverdienstregelung für die Langzeitarbeitslosen zu verbessern. Es war ein wirklich schwarzer Fleck am Hartz-Gesetz, dass die Union uns gezwungen hat, die Zuverdienstmöglichkeiten gegenüber der alten Gesetzeslage so zu verschlechtern, wie wir es dann machen mussten, um die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe überhaupt hinzubekommen. Sie haben hier gelernt. Ich möchte trotzdem noch einmal sagen: Gemäß Ihrem Ansatz durften die Menschen, die bis 400 Euro verdienen, keinen Cent dazuverdienen. Wir haben heute ein Gesetz eingebracht, durch das genau dies für kleine Zuverdienste extrem verbessert wird. Ich bin froh darüber, weil es in diesem Land ganz viele Leute gibt, die zwar aktiv sind und Eigeninitiative ergreifen, die es aber aufgrund der engen Arbeitsmarktsituation sehr schwer haben, in den ersten Arbeitsmarkt zurückzukommen. Diesen Menschen können wir ihren Zuverdienst nicht madig machen. Wir können ihnen nicht jeden Cent abnehmen, sondern wir müssen sie in ihrer Eigeninitiative unterstützen. ({2}) Deswegen ist es richtig, dass wir hier einfache pauschalierte Regelungen und eine Möglichkeit geschaffen haben, gerade bei Tätigkeiten in Teilzeit und bei ersten Schritten in den ersten Arbeitsmarkt Unterstützung zu bieten. Dies ist besser als die 1-Euro-Jobs; sie sind diesen überlegen. Ich begrüße das sehr und freue mich, dass Sie hier mit im Boot sind. Es hat lange gedauert. Den Betroffenen hat das übrigens einiges gekostet. Das finde ich sehr schade. Ab dem 1. Januar 2005 haben einige der Betroffenen auf Zuverdienst verzichten müssen. Das, was Sie da ausgebremst haben, hat den Menschen geschadet. Jetzt sind Sie auf dem richtigen Weg. Es ist gut, dass Sie hier mitkommen. Danke schön. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Dirk Niebel, FDP-Fraktion.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die rot-grüne Bundesregierung bereitet mit diesem Gesetzgebungsverfahren den Weg für die Enttäuschung vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland. Sie suggerieren den Menschen, die Angst um ihre Arbeitsplätze haben, einen Lösungsweg und im Endeffekt streuen Sie ihnen doch nur Sand in die Augen. ({0}) Wenn wir uns anschauen, welche Situation wir vorgefunden haben - ich nehme einmal die Fleisch verarbeitenden Betriebe -, müssen wir feststellen ({1}) - Herr Brandner, nun lernen Sie doch mal ein bisschen dazu, ich habe ja noch gar nicht richtig angefangen und Sie blöken schon wieder dazwischen; vielleicht kann ich Ihnen hier ja noch etwas erklären -: ({2}) Viele Selbstständige aus osteuropäischen Ländern sind hier tätig. Wir stellen aber auch fest, dass nicht alle vorher in ihren Herkunftsländern tatsächlich selbstständig gewesen sind. Wenn ich mich jetzt zurückerinnere, wie diese Bundesregierung die angeblichen Scheinselbstständigen in Deutschland drangsaliert und verfolgt hat, dann erwarte ich von Ihnen in allererster Linie, dass Sie den Missbrauch einschränken, dass Sie überprüfen, wer tatsächlich selbstständig ist, und dass Sie gegen diejenigen vorgehen, die rechtsmissbräuchlich in diesen Betrieben arbeiten. ({3}) Selbst, wenn Sie das dann gemacht und herausgefunden haben, dass nur noch richtige Selbstständige dort tätig sind, greift das Entsendegesetz - das hat der Kollege Laumann bereits angesprochen - überhaupt nicht. Das greift nämlich nur bei Angestellten. Also können Sie auch hier keine Lösung herbeiführen. Sie tun aber so, als ob den Menschen in den Betrieben geholfen würde. Das ist schäbig. ({4}) Mindestlöhne, seien sie tariflich oder staatlich festgelegt, sichern und schaffen keinen einzigen Arbeitsplatz; sie vernichten Arbeitsplätze in der regulären Wirtschaft. ({5}) Mindestlöhne in anderen Ländern haben eine komplett andere Funktion als Mindestlöhne in Deutschland. ({6}) In anderen Ländern, in denen es Mindestlöhne gibt, besteht der Zweck darin, ein Mindesteinkommen zu sichern, damit es nicht zur Armut kommen kann. Exakt dieser Zweck wird in der Bundesrepublik durch die sozialen Sicherungssystemen verfolgt, nämlich durch das Arbeitslosengeld II und die Sozialhilfe. Mindestlöhne, wie Sie sie diskutieren, setzen einen Mindestpreis für eine bestimmte Leistung fest. Wenn diese Leistung im Wettbewerb den Preis allerdings nicht wert ist, dann wird sie zumindest in der regulären Wirtschaft nicht mehr nachgefragt und die Menschen werden aus dem Arbeitsmarkt faktisch ausgeschlossen. ({7}) Aus diesem Grund setzen wir als FDP-Bundestagsfraktion auf Lohnzuschüsse statt auf Mindestlöhne. Ich bin sehr froh, dass wir auf unserem Bundesparteitag am letzten Wochenende beschlossen haben, ein Bürgergeld einzuführen, durch das die steuerfinanzierten Sozialtransfers mit dem Steuersystem zusammengeführt werden, ({8}) damit hier ein geregelter Niedriglohnsektor geschaffen werden kann, der auch Menschen mit geringerer Qualifikation die Möglichkeit gibt, ihren Lebensunterhalt wenigstens teilweise wieder durch eigene Arbeit zu verdienen. ({9}) Denn eines ist doch völlig klar: In einer arbeitsteiligen Gesellschaft wie der unsrigen ist Massenarbeitslosigkeit eine der größten Freiheitsberaubungen, die es gibt. Deswegen müssen wir dagegen angehen, dass Menschen immer weiter aus dem Erwerbsprozess gedrängt werden. Was ist denn der Grund oder zumindest ein wichtiger Grund für die hohe Sockelarbeitslosigkeit gerade im geringqualifizierten Bereich? Das sind die starken Sockellohnerhöhungen der vergangenen Jahrzehnte, ({10}) die, Frau Kramme, gut gemeint, aber schlecht gemacht waren. Die unteren Tariflohngruppen wurden überproportional angehoben. Damit sind die Menschen mit ihrem Gehalt aus der Produktivität herausgewachsen. Der Arbeitsmarkt wurde faktisch verschlossen. Die Menschen wurden zu 100 Prozent in die Transferleistungen überführt. Das ist menschenunwürdig und hat mit dem mündigen Bürger, wie wir ihn uns vorstellen, überhaupt nichts mehr zu tun. ({11}) Abschottungsprozesse werden auf Dauer nichts nützen. Man sollte vielmehr über flexible Übergangsfristen - auch im Rahmen der Dienstleistungsrichtlinie, die wir noch zu erwarten haben - nachdenken, die branchenspezifisch und regional unterschiedlich sind. Ich möchte auch auf den zweiten Entwurf, der hier vorliegt, eingehen. Ich erkenne an, dass Schwarz, Rot und Grün hier eine Verbesserung der Hinzuverdienstmöglichkeiten vorsehen. Ich habe - vielleicht können Sie sich noch daran erinnern - schon im Vermittlungsverfahren gefordert, dass wir bessere Hinzuverdienstmöglichkeiten erreichen. Natürlich muss derjenige, der arbeitet, mehr Geld übrig haben als derjenige, der nicht arbeitet. Natürlich muss man einen Anreiz schaffen, im ersten Arbeitsmarkt zu verdienen und nicht vorzugsweise im zweiten Arbeitsmarkt. Das passt übrigens ganz gut zusammen mit der vorhergehenden Position. Die Baubranche sagt nämlich im „Mannheimer Morgen“ von gestern - ich zitiere -: Bau beklagt Lohn-Dumping - Billig-Konkurrenz durch Ich-AGs und Ein-Euro-Jobs … wegen der Konkurrenz mit staatlich subventionierten Ich-AGs seien reguläre Bautarife häufig nicht mehr zu bezahlen. Missbraucht würden auch die Regelungen zum Einsatz von Ein-Euro-Jobbern. Langzeitarbeitslose würden inzwischen häufig von Kommunen und Krankenhäusern bei der Sanierung ihrer Gebäude eingesetzt. Dies sei jedoch nicht im Sinne des Gesetzgebers. Ich stimme dem zu. Das war nicht in unserem Sinne. Wenn wir jetzt aber eine Hinzuverdienstregelung, wie die von Ihnen vorgelegte, haben, behalten wir immer noch den höheren Anreiz, im zweiten Arbeitsmarkt tätig zu werden. Wer einen 2-Euro-Job 30 Stunden die Woche ausübt, wird 240 Euro netto mehr zur Verfügung haben. Wer den gleichen Nettobetrag im ersten Arbeitsmarkt zur Verfügung haben will, der muss schon einen 850-Euro-Job bekommen. Ich denke, hier ist die Anreizwirkung immer noch eine falsche. Deswegen hat die FDP-Bundestagsfraktion einen eigenen Vorschlag vorgelegt. Bis zu einem Verdienst von 600 Euro sollen 40 Prozent anrechnungsfrei bleiben, damit es sich tatsächlich lohnt, für sich selbst zu arbeiten und wieder in den Erwerbsprozess hineinzukommen. ({12}) - Ich verstehe, Frau Dückert, dass Sie traurig sind, weil die Grünen so etwas Ähnliches auch einmal wollten. ({13}) Aber Sie sind natürlich wieder einmal platt wie eine Flunder vor Ihrem Koalitionspartner umgefallen. Es tut mir furchtbar Leid. Wir werden uns bemühen, dass Ihnen dieses Leid in Zukunft nicht mehr entgegentritt. ({14}) Wir werden dafür sorgen, dass Sie wieder in Ruhe die klaren grünen Thesen, die es irgendwann einmal gegeben hat, vertreten können, und zwar in dem Moment, in dem wir die rot-grüne Bundesregierung abgelöst haben. ({15}) Ich danke Ihnen. ({16})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Gerd Andres.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren hier in verbundener Debatte zwei für den Arbeitsmarkt sehr wichtige Gesetze. Die neue Hinzuverdienstregelung wird stärkere Arbeitsanreize als bisher in allen Einkommensbereichen setzen, zugleich aber auch eine vereinfachte Lösung für den unteren Einkommensbereich bieten. Darüber hinaus enthält die Neuregelung große Transparenz für die Hilfebedürftigen und eine Kinderkomponente. Künftig wird es nur noch zwei Freibetragsstufen geben. Bis zu einem Bruttoeinkommen in Höhe von 800 Euro beträgt der prozentuale Freibetrag 20 Prozent des 100 Euro übersteigenden Einkommens. Das heißt übersetzt, 100 Euro darf man immer behalten. Der darüber hinausgehende Betrag wird zu 20 Prozent nicht angerechnet. Für Bruttoeinkommen über 800 Euro beträgt der zusätzliche prozentuale Freibetrag 10 Prozent. Das heißt zum Beispiel, bei einem 400-Euro-Minijob wird künftig Einkommen in Höhe von bis zu 160 Euro freigestellt. Jeder erwerbsfähige Hilfebedürftige kann künftig sehr einfach ausrechnen, wie viel er mehr in der Tasche hat, wenn er eine Arbeit aufnimmt, als wenn er nicht arbeitet. Der Gesetzentwurf sieht weiterhin vor, dass die Regelungen zum so genannten Einstiegsgeld geändert werden. Einstiegsgeld kann künftig auch dann gewährt werden, wenn die Hilfebedürftigkeit durch oder nach Aufnahme einer Beschäftigung entfällt. Damit wird ein weiterer möglicher Fehlanreiz beseitigt. Ich darf ganz ausdrücklich sagen: Dieser Gesetzentwurf ist durch gemeinsame Gespräche zwischen der Bundesregierung und der CDU/CSU zustande gekommen. Er beendet eine Regelung, die bürokratisch und unlogisch war und die uns im letzten Jahr im Vermittlungsverfahren durch die CDU/CSU aufgezwungen wurde. Die Union hat erklärt, der neuen Regelung im Bundesrat zuzustimmen. Herr Laumann, dafür bedanken wir uns sehr. Sie beseitigen mit der Zustimmung zu diesem Gesetz den Unfug, den Sie im letzten Jahr angerichtet haben. Herzlichen Glückwunsch dazu! ({0}) Sie behaupten etwas anderes; es gibt aber genügend, die dabei waren. Die FDP ist bei dieser Regelung entbehrlich; sie war es auch bei der alten. Man muss, wenn man sich den FDP-Antrag anschaut, wissen, dass der Vorschlag, der da gemacht wird, ziemlicher Unsinn ist. Jede Zuverdienstregelung muss nämlich die Balance halten: Sie soll einerseits Anreiz für zusätzliche Beschäftigung - raus aus dem Bezug von Transferleistungen - sein; sie darf andererseits nicht zementieren, dass man die Transferleistungen weiter bezieht und nebenbei ordentlich dazuverdient. ({1}) Wer sich die FDP-Regelung anschaut, der wird feststellen, dass sie einen saftigen Zuverdienst von bis zu 600 Euro einräumt. Er wird, wenn er ein bisschen Ahnung hat, weiter feststellen, dass man mit dieser Regelung die Zahl der Bedarfsgemeinschaften deutlich erhöhen würde. Herr Niebel, mein Vorschlag ist also: Machen Sie erst einmal ordentlich Ihre Hausaufgaben, bevor Sie irgendeinen Unsinn erklären! ({2}) Nun sind wir beim zweiten Thema. Dazu ist - das muss ich hier wirklich einmal sagen - auch ganz viel Unsinn erzählt worden. Ich möchte etwas zum Entsendegesetz sagen. Wir glauben, dass auch das Entsendegesetz dazu beitragen wird, Arbeit in Deutschland wieder attraktiver zu machen. Wir haben es erlebt: Dem einen geht der Gesetzentwurf nicht weit genug; auch die Große Anfrage der CDU/CSU zum Sozialdumping zeigt, wie stark die politischen Strömungen, die mehr Protektionismus und sogar Abschottung innerhalb Europas fordern, sind. Dem anderen geht der Entwurf viel zu weit, weil er ein Entsendegesetz mit einem gesetzlichen Mindestlohn verwechselt. Kritikern von beiden Seiten kann ich nur entgegnen: Wir liegen offenbar richtig schön in der goldenen Mitte. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz ist kein Mindestlohn, der generell den Wettbewerb ausschaltet. Ich sage ausdrücklich: In unserem Haus, im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, gibt es keine Überlegung, einen solchen allgemeinen Mindestlohn einzuführen. Lohnfindung ist und bleibt primär die Aufgabe der Tarifvertragsparteien, nicht die des Staates. Mit der Gesetzesänderung können in Zukunft die Tarifpartner aller Branchen eine bundesweit geltende tarifvertragliche Lohnuntergrenze vereinbaren. Damit haben sie die Möglichkeit, sicherzustellen, dass ausländische Arbeitgeber, die Arbeitnehmer zur Arbeit nach Deutschland entsenden, verpflichtet werden, ihnen den deutschen Mindestlohn zu zahlen. Bisher ist diese Regelung im Wesentlichen auf den Baubereich beschränkt. Sie soll jetzt auf alle Branchen ausgedehnt werden. Herr Laumann, ich bitte Sie, einen Moment zuzuhören. Wir oktroyieren niemandem etwas auf. Sie müssen wissen, dass auch bei der Allgemeinverbindlichkeitserklärung eine Tarifvertragspartei alleine einen Antrag stellen kann. ({3}) Sie haben hier wortreich - mit viel Geklingel - viel erklärt. Sie haben aber nicht erklärt, was Sie machen wollen. Ich habe sogar gelernt, dass auch Papst Leo XIII. gegen einseitige Lohnfestlegungen war. Donnerwetter, Herr Laumann! Sie haben mit keinem Wort gesagt, was Sie gerne machen würden. ({4}) Sie haben hier wunderbar etwas beklagt. Das war übrigens streckenweise überhaupt nicht haltbar. Ich weiß: Bei Ihnen sitzen die BDA und andere nicht nur nebenan, sondern auch im Nacken; Herr Göhner wird ja hier noch sprechen. ({5}) Mit diesem Entsendegesetz - damit das völlig klar ist - sind wir auf die Mithilfe der Tarifvertragsparteien angewiesen. Zum Tarifvertrag gehören immer zwei Parteien - Herr Laumann, auch dazu herzlichen Glückwunsch! -, die ihn bundesweit abschließen und die dafür sind, dass er einen Mindestlohn festlegt. Schon mit der Verabredung des Tarifvertrages macht man doch deutlich, dass man das eigentlich will. Deswegen sind all Ihre Vorhalte heiße Luft im Wahlkampfgeklingel. Ich sage Ihnen: Wir bringen dieses Entsendegesetz - einen schönen Gruß an Herrn Pofalla und andere jetzt ein. Es reicht nicht mehr, dass Herr Stoiber, Sie und andere vom Arbeitnehmerflügel schöne Sonntagsreden halten und im Bundesrat das Entsendegesetz kaputtmachen. Wir werden Sie jeden Tag und jede Woche vorführen. ({6}) Ich will etwas zu bestimmten Branchen sagen, weil auch dazu sehr viel Unsinn erzählt wird. Es gibt in Europa und damit auch in Deutschland Dienstleistungsfreiheit. Das bedeutet, dass Selbstständige, die hierher kommen, ihre Dienstleistungen anbieten dürfen. Sie dürfen das im Zweifelsfalle für 1 Euro die Stunde tun; daran kann sie niemand hindern. Genauso kann sich ein deutscher Selbstständiger so billig verkaufen, wie er Lust hat. Aber bestimmte Bedingungen müssen eingehalten werden. Sie können sich darauf verlassen, dass wir diese Bedingungen knochenhart durchsetzen; auch wenn Sie die Vorlage im Bundesrat liegen lassen. Zur Selbstständigkeit gehört nach europäischer Rechtsprechung so etwas wie eine Mindestform von Niederlassung. Es reicht nicht, wenn sich 32 polnische Menschen - ich habe nichts gegen diese Menschen - in einer Vorstadtwohnung anmelden und alle als Fliesenleger arbeiten wollen. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks und deutsche Behörden dürfen diesen Menschen nicht einfach ungeprüft die notwendigen Bescheinigungen und Zulassungen erteilen. Das kann nicht sein. Dagegen werden wir vorgehen, damit Sie das wissen. ({7}) Es muss sich um echte Selbstständige handeln. Wir werden das prüfen und entsprechend vorgehen. Zum Entsendegesetz will ich Ihnen Folgendes sagen: Ich glaube, dass es seine Wirkung für die Tarifvertragsparteien entfaltet, die das wollen. Das deutsche Gebäudereinigerhandwerk und das Gewerbe wollen diese Regelung nutzen. Davon sind zwischen 700 000 und 800 000 Menschen betroffen. ({8}) Auch die deutsche Landwirtschaft will von dieser Regelung profitieren. Sie alle haben kein Problem damit, dass man dies einseitig beantragen kann. Sie aber, Herr Laumann, machen deswegen viel Wind. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines Tarifvertrages wird gegen den erklärten Willen der Bauwirtschaft, der Bauindustrie und der Gewerkschaften von der BDA und anderen massiv sabotiert, weil sie diese Regelung aus ordnungspolitischen Gründen nicht wollen. Die Wirtschaft und die Gewerkschaften wollten sie, aber BDA und andere haben sie verhindert. Deswegen sage ich Ihnen - das gilt auch aus anderen Gründen; Herr Göhner, Sie können hier anschließend reden und dürfen all Ihre Positionen darstellen; das ist völlig klar -: ({9}) Wir machen das Entsendegesetz. Damit steht der Bundesrat vor der Nagelprobe. Ich sage noch einmal: Hier geht es nicht um Sonntagsreden vor Wahlkämpfen, sondern hier sind Bekenntnisse gefragt. ({10}) Ich könnte Ihnen hierzu noch viel erzählen. Deswegen brauchen wir für die Beantwortung Ihrer Großen Anfrage noch etwas Zeit, Herr Laumann. ({11}) - Passen Sie auf: Wir müssen eine ganze Reihe Daten erheben. Dafür brauchen wir die Mitwirkung der Länder. Damit Sie eines wissen: Für den kommenden Dienstag haben wir die versammelte deutsche Fleischwirtschaft eingeladen. Ich führe viele Gespräche mit vielen Betroffenen. Wir werden auch dafür sorgen, dass Teile der Landwirtschaft - das haben wir schon verabredet -, landwirtschaftliche Helfer und Facharbeiter, möglicherweise auch Saisonarbeiter in diese Regelung aufgenommen werden. Wir können das nur da machen, wo dies die Tarifvertragsparteien wollen. Da, wo sie das nicht wollen, geht es nicht. Ich sage ganz ruhig und gelassen, Herr Laumann: In 13 europäischen Ländern gibt es einen gesetzlichen Mindestlohn. Wer keinen gesetzlichen Mindestlohn will, der muss guten Willens sein und mithelfen, dass in Deutschland Lohndumping nicht flächendeckend um sich greift. Das wäre eine Benachteiligung für die betroffenen Arbeitnehmer und ehrliche Arbeitgeber, die sich mit vernünftigen Wettbewerbsbedingungen auseinander setzen. Eine Regelung nützt also beiden. ({12}) Wer Lohndumping nicht will, der muss uns helfen, mit allen Mitteln und Möglichkeiten gegen illegale Praktiken vorzugehen - das werden wir tun -, und der muss bereit sein, mit den Tarifvertragsparteien Verabredungen zu treffen, die wir mit dem Entsendegesetz für alle verbindlich regeln können. Diese würden dann auch für Arbeitgeber aus Europa gelten, die mit ihrem Personal hierher kommen. Das ist auch in anderen europäischen Ländern so. Also, Herr Laumann: weniger Nebelkerzen werfen, weniger Wahlkampfreden, sondern bei der Umsetzung handfest mithelfen, damit wir diese Missstände abstellen. Schönen Dank. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Alexander Dobrindt, CDU/CSU-Fraktion.

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der EU-Osterweiterung entsteht, ohne dass dies heute von allen Menschen bewusst wahrgenommen worden ist, eines der regional größten Wohlstandsgefälle. ({0}) Dies findet sich mitten in der Europäischen Union. An keiner anderen Ländergrenze innerhalb Europas macht sich dieses Wohlstandsgefälle so deutlich bemerkbar. Dass daraus ganz besondere Probleme entstehen, ist, so glaube ich, leicht nachvollziehbar. Dass sich diese Probleme auch in einer besonderen Weise in der Arbeitswelt widerspiegeln - nicht nur da, aber zu einem großen Teil -, ist zum einen vorhersehbar, zum anderen deutlich bei den beschriebenen Problembereichen, zum Beispiel beim Fleischergewerbe und bei den Fliesenlegern, erkennbar geworden. Es werden - da bin ich mir sicher weitere Branchen folgen. Wir diskutieren hier im Deutschen Bundestag in aller Regel sehr ausgiebig über die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen. Zu Recht macht man sich Gedanken darüber, wie in einer globalisierten Welt die internationale Konkurrenzfähigkeit aufrechterhalten werden kann. Das Problem aber, das wir heute diskutieren, besteht in der Konkurrenzfähigkeit unserer Arbeitnehmer und der kleinen Handwerker gegenüber den Wettbewerbern aus dem osteuropäischen Raum. ({1}) Die Unternehmer leben heute - einfach dargestellt zum Teil von einer Mischkalkulation von günstigen Produktionsstätten und von teureren Produktionsstätten. Der Arbeitnehmer hat diese Möglichkeit nicht. Die Mobilität ist ihm nicht gegeben. Den Konkurrenzkampf über die Preisschraube vor Ort kann er natürlich auch nicht gewinnen. Dass beide Mechanismen in einem Zusammenhang stehen, ist klar. Unsere Aufgabe ist es, die Waage zu halten. Wir müssen die Abwanderung der Unternehmen nach Osten genauso zu verhindern versuchen wie den Einsatz der Billiglohnkräfte, die die einheimischen Arbeitskräfte verdrängen. Die Antwort, die die Bundesregierung auf diese korrespondierende doppelte Problemstellung hat, ist die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen. Das Entsendegesetz löst dieses Problem mit Sicherheit nicht, das ganz offensichtlich auf Missbrauch beruht bzw. aus der Umgehung der Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit mithilfe der Dienstleistungsfreiheit resultiert. Damit wird nicht nur Lohndumping betrieben, sondern es werden auch Arbeitszeitregelungen und Standards der Arbeitsbedingungen unterlaufen. Das Entsendegesetz greift in vielen Fällen nicht. Es greift nicht bei Briefkastenfirmen und Scheinselbstständigen, wie Sie bei den Fliesenlegern bereits erkannt haben; sie haben ihre freie Preisgestaltung. Das Entsendegesetz greift nicht, weil Sie durch Mindestlöhne Abwanderungsprozesse der Unternehmen in den Osten beschleunigen. Das Entsendegesetz greift nicht, weil Sie durch Mindestlöhne die Schwarzarbeit stärken, und das Entsendegesetz mit den Mindestlöhnen greift schon gar nicht, weil Sie damit Ihre eigenen Initiativen, nämlich mit den Hartz-Gesetzen die Beschäftigungschancen im Niedriglohnbereich zu verbessern, zunichte machen, weil Sie den Niedriglohnsektor entscheidend schwächen. ({2}) Die Erfahrungen aus der Bauwirtschaft, die hier schon mehrmals angesprochen worden sind, zeigen die Auswirkungen des Entsendegesetzes nur zu einem geringen Teil, und zwar deshalb, weil wir es in der Bauwirtschaft mit immobilen Gütern zu tun haben. Wenn Sie hier ein Haus bauen wollen, dann müssen Sie die Arbeitskräfte auch hier zur Verfügung stellen und tätig werden lassen, einmal abgesehen vom Fertighaus, das Sie sich schon heute in Teilen günstig in Polen besorgen können. Trotz dieser Besonderheit in der Baubranche, mit immobilen Gütern zu arbeiten, ist seit der Einführung des Entsendegesetzes die Zahl der ausländischen Entsendearbeiter über die Jahre gleich geblieben. Die Schattenwirtschaft hingegen hat in diesem Bereich deutlich zugenommen. ({3}) Zusätzlich wird das Entsendegesetz in hohem Maße unterlaufen, weil die Zahl der geleisteten Stunden höher ist als die, die offiziell vereinbart werden, und letztlich die wirklich gezahlte Entgeltsumme nicht ausreichend kontrolliert werden kann. Weil diese Probleme des Entsendegesetzes allen bekannt sind, wäre es die erste Aufgabe der Bundesregierung gewesen, einen Bericht vorzulegen, in dem steht, wo heute Lohndumping stattfindet, um welche Branchen es sich bislang handelt, welche regionalen Besonderheiten dabei auftreten, wo Verdrängungseffekte entstehen und wo EU-Recht missbraucht und umgangen wird. ({4}) Noch viel wichtiger ist, wo denn zukünftig mit Lohndumping zu rechnen ist. Es wäre nämlich sinnvoller, wenn sich die Bundesregierung im Vorfeld mit den Problemen auseinander setzen und tragfähige Konzepte entwickeln würde, anstatt zu diskutieren zu beginnen, wenn Tausende von neuen Arbeitslosen auf der Straße stehen. ({5}) Erst wenn ein solcher fundierter Lohndumpingbericht vorliegt, können wir darüber reden, ob es neben dem Baugewerbe sensible Branchen gibt, für die eine Ausweitung des Entsendegesetzes sinnvoll sein kann. Wir verlangen von der Bundesregierung, dass sie sich der Wurzel des Problems stellt. Meine Damen und Herren, Sie brauchen uns nicht immer mit irgendwelchen Abschottungstheorien zu kommen: Hauptursache für all die entstehenden Verdrängungswettbewerbe am deutschen Arbeitsmarkt sind die fehlerhaften Verhandlungen der Bundesregierung bei der EU-Osterweiterung. ({6}) Sie haben die Arbeitnehmerfreizügigkeit eingeschränkt, aber auf die Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit verzichtet. Darin liegt das ursächliche Problem. Sie haben keine Übergangsfristen bei der Dienstleistungsfreiheit verhandelt. Dass dies möglich gewesen wäre, haben uns andere Länder - beispielsweise Österreich - bewiesen. Obwohl Ihnen dies bekannt ist, haben Sie den gleichen Fehler in der Beitrittsakte für Rumänien und Bulgarien wiederholt. Sie haben auch hier die Dienstleistungsfreiheit nicht eingeschränkt. Damit sind Sie für weiteres massives Lohndumping verantwortlich, das auf die Arbeitnehmer in diesem Land zukommen wird. Wir fordern Sie deswegen auf: Verhandeln Sie an dieser Stelle nach! Bekämpfen Sie die Ursachen und versuchen Sie nicht, mit Notoperationen die Auswirkungen Ihrer eigenen fehlerhaften Politik zu vertuschen! Danke schön. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Kollegin Petra Pau das Wort.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden über Hartz IV, konkret über die Freibeträge, die Empfängerinnen und Empfängern von Arbeitslosengeld II gewährt werden, wenn sie einen Minijob haben. Die Freibeträge sollen angehoben und die Regeln ihrer Anwendung vereinfacht werden. Ich stelle für die PDS fest: Die vorgeschlagene Regelung ist besser als die bisherige, aber sie ist nicht gut. ({0}) Denn sie bricht nicht mit der Logik von Hartz IV; sie gestaltet sie nur aus. Sie lindert ein Gesetz, das dennoch - und zwar für Millionen Betroffene - in die falsche Richtung weist. Lindern ist zunächst einmal nichts Schlechtes. Die PDS unterbreitet in diesem Sinne seit Monaten zwei Vorschläge: Gleichen Sie das Arbeitslosengeld II Ost an das Arbeitslosengeld II West an und heben Sie beide auf 414 Euro monatlich an! ({1}) Für die Ost-West-Differenz gibt es keinen sachlichen Grund. Sie entspringt Mauern in politischen Köpfen, die längst verschwunden sein sollten. ({2}) Für die Anhebung des Arbeitslosengeldes II auf 414 Euro gibt es gute Gründe. Das belegen Berechnungen von Sozialverbänden über minimale Alltagskosten. Lindern kann auch noch andere Formen annehmen. Rot-Rot in Berlin - konkret: Kultursenator Flierl - hat gemeinsam mit den Berliner Kultureinrichtungen ein 3-Euro-Ticket eingeführt, sodass auch Hartz-IV-Betroffene wieder Zugang zum Theater, zum Konzert oder zur Oper haben. ({3}) Rot-Rot in Berlin hat auch - anders als in der Uckermark und in weiteren Regionen - eine Wohngeldregelung vereinbart, sodass nicht obendrein unzählige Hartz-IV-Betroffene umziehen müssen. Aber Lindern ist nicht Heilen. Deshalb mache ich eine andere Rechnung auf als der Wirtschaftsminister. Sie müssten diese Rechnung eigentlich kennen; denn Harald Wolf, Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen in Berlin, und Helmut Holter, Arbeitsminister in Mecklenburg-Vorpommern, haben sie schon mehrfach in die Debatte eingebracht. Die Frage lautet schlicht: Warum ist es nicht möglich, die Bundes- und Landesmittel, die für den Lebensunterhalt, das Wohnen und die materielle Absicherung von Hartz-IV-Betroffenen sowie für 1- bzw. 2-Euro-Jobs und für die Qualifizierung der Betroffenen eingesetzt werden, zusammenzuführen? Würde man das tun, dann könnte man - öffentlich gefördert - reguläre Arbeitsplätze schaffen, die den Betroffenen ihre Würde wiedergeben und den gesellschaftlichen Bedürfnissen entsprechen. Das wäre allerdings etwas anderes als Hartz IV. ({4}) Alle mir bekannten Berechnungen ergeben: Es ginge, allein es fehlt der Wille, und zwar der von Rot-Grün; der Wille der Opposition zur Rechten fehlt sowieso. Ich wiederhole: Hartz IV ist ein schlechtes Gesetz. Denn es entsorgt ein gesellschaftliches Problem - die Massenarbeitslosigkeit - bei den Betroffenen. Deshalb halte ich an die Adresse der SPD gewandt noch einmal fest: Kapitalismuskritik ist sicherlich gut für einen Vereinsabend. Aber von einer Regierungspartei wird mehr erwartet. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Kollegin Anette Kramme, SPD-Fraktion, das Wort.

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Niebel, Sie stolzieren zwar mittlerweile wie King’s Majesty durch diese Räumlichkeiten. ({0}) Aber Ihre Politik ist dadurch keineswegs aufrichtiger und besser geworden. ({1}) Lassen Sie mich ein wenig auf die Geschichte der Europäischen Union eingehen. Folgende zwei Aspekte waren der Grund für die Schaffung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft: Friedenssicherung durch wirtschaftliche Verflechtung einerseits und Schaffung von Prosperität durch wirtschaftliche Verflechtung andererseits. Daraus konnte nur eines resultieren, nämlich ein Binnenmarkt, der freien Warenverkehr, freien Kapitalverkehr und die Freiheiten einräumt, die uns momentan so große Probleme bereiten, nämlich die Niederlassungsfreiheit, die Dienstleistungsfreiheit und die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Allen Staaten, die nach 1957 der EU beigetreten sind, sind diese Rechte gewährt worden. So haben auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, den neuen Beitrittsstaaten in den Europaabkommen in den 90er-Jahren uneingeschränkt Niederlassungsfreiheit gewährt: zum Beispiel Polen ab 1994, Tschechien ab 1995 und den baltischen Staaten ab 1998. Herr Laumann und Herr Niebel, Ihr Erinnerungsvermögen scheint insoweit miserabel zu sein. Mit dem Beitritt im Jahre 2004 sind dann auch Dienstleistungsfreiheit und Arbeitnehmerfreizügigkeit eingeräumt worden, allerdings mit erheblichen Beschränkungen. Gestatten Sie mir, dass ich an dieser Stelle den herausragenden Verhandlungserfolg des Bundeskanzlers hervorhebe. ({2}) Am Brüsseler Verhandlungstisch haben wir uns mit Österreich in einer Situation der politischen Isolation befunden. Es hat wenig Verständnis für Übergangsfristen gegeben. Irland und Großbritannien haben immer wieder signalisiert, dass sie ihre Arbeitsmärkte sofort öffnen wollen. Aber es ist zäh verhandelt worden und damit haben wir schließlich Erfolg gehabt. Das war ein großer Erfolg. Ich möchte an dieser Stelle den Bundesgeschäftsführer des Bundesinnungsverbandes des Gebäudereiniger-Handwerkes zitieren: Nur dank der Zwei-plus-Drei-plus-Zwei-Regelungen, für die wir auch im Interesse unserer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer äußerst dankbar sind, konnte das - gemeint ist das Sozialdumping zum aktuellen Zeitpunkt noch verhindert werden. Leider ist zunehmend ein Missbrauch der eingeräumten Freiheiten zu beobachten. Durch die Presse ist das Beispiel der Schlachthöfe gegangen, in denen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für Stundenlöhne von 3 bis 5 Euro arbeiten. Es ist zu befürchten, dass es ähnliche Verhältnisse in anderen Branchen geben wird. Es besteht Handlungsbedarf. Aber die Koalition ist bereit, gegen den Missbrauch entschlossen vorzugehen. ({3}) Wir haben eine Taskforce eingerichtet. Das Entsendegesetz ist insoweit ein wichtiger Bestandteil. Es gibt drei Argumente für das Entsendegesetz. Erstens. Wir wollen den Schutz der Wanderarbeitnehmer. Wir wollen, dass ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland zu akzeptablen Stundenlöhnen arbeiten. Zweitens. Wir wollen gleiche Wettbewerbsbedingungen, und das unter zwei Gesichtspunkten: Wir wollen, dass inländische Arbeitnehmer im Vergleich zu Kollegen aus der Rest-EU bestehen können und dass inländische Betriebe im Vergleich zur europäischen Konkurrenz nicht nur existieren, sondern erfolgreich bestehen können. Die Baubranche hat uns aufgezeigt: Ein ruinöser Wettbewerb ist nicht durchzustehen. Unzählige Arbeitnehmer haben unnütz ihre Arbeitsplätze verloren. Unzählige seriöse Betriebe sind Pleite gegangen. Dieser Skandal sollte hinreichend Lehrstück dafür sein, dass Schutzregelungen erforderlich sind. Drittens. Durch die Änderung des Entsendegesetzes schließen wir gleichzeitig eine Schutzlücke im deutschen Arbeitsrecht. Hintergrund ist Folgendes: Mindestbedingungen für Arbeitnehmer aus anderen EU-Staaten können wir nur dann festlegen, wenn die Regelung auch für inländische Arbeitnehmer gilt. Das Verbot der Ausländerdiskriminierung wandelt sich an dieser Stelle in eine Begünstigung der Inländer um. Wir haben die große Chance, erstmals generell Mindestlöhne festzusetzen. Die SPD hat mit Franz Müntefering an der Spitze bereits im letzten Sommer Vorschläge über Mindestlöhne aufgegriffen. Hintergrund ist Hartz IV. Sie haben uns im Vermittlungsausschuss aufgezwungen - wir mussten es mit verabschieden -, dass Arbeitnehmer, die Arbeitslosengeld II beziehen, künftig bereit sein müssen, jede bezahlte Tätigkeit, unabhängig von Arbeits- und Lohnkonditionen, anzunehmen. ({4}) Wir wollten das nicht. Zur derzeitigen Situation gehört aber auch Folgendes: Die Schutzregelungen im deutschen Recht sind insgesamt unzureichend. § 138 Abs. 2 BGB setzt ein auffälliges Missverhältnis zwischen Arbeitsleistung und Verdienst voraus. Die Vergütungsvereinbarung muss unter Ausnutzung einer Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder einer erheblichen Willensschwäche zustande gekommen sein. Das BAG konkretisiert: Lohnwucher liegt erst dann vor, wenn weniger als zwei Drittel des Tariflohns bzw. des ortsüblichen Lohns gezahlt wird. In der Bundesrepublik gibt es demzufolge einen ausgeprägten Niedriglohnbereich. 7,8 Millionen Vollzeitarbeitnehmer verdienen weniger als 75 Prozent des Durchschnittseinkommens. 12 Prozent der Vollzeitarbeitnehmer verdienen sogar weniger als 50 Prozent des Durchschnitts. Die Erfahrungen mit dem Entsendegesetz sind positiv. Das sagen sowohl die IG Bau als auch der Arbeitgeberverband. Ich zitiere Michael Knipper: Ohne dieses Gesetz wären weitere 250 000 Jobs weggefallen. 18 von 25 Staaten in der EU haben Mindestlohngesetze. Von der OECD stammt die Aussage: Zwischen der Existenz von Mindestlöhnen und der Beschäftigungshöhe in traditionellen Niedriglohnbranchen besteht kein nachvollziehbarer Zusammenhang. Die Hans-Böckler-Stiftung berichtet: Neuere Untersuchungen aus den USA und mehreren europäischen Ländern bestätigen die OECD. Wir zählen auf Angela Merkel. Am 11. April 2005 hat sie im „Handelsblatt“ Folgendes gesagt: Wenn jetzt andere Branchen, wie aktuell die fleischverarbeitende Industrie, mit ähnlichen Problemen wie die Baubranche konfrontiert werden, muss die Politik die vorhandenen Möglichkeiten prüfen, die Probleme zu lösen. Wir setzen ausnahmsweise auf Jürgen Rüttgers. Er hat gesagt, das Entsendegesetz sei ein „geeignetes Mittel, Auswüchse zu verhindern“. ({5}) Meine sehr geehrten Damen und Herren der Opposition, ich fordere Sie auf: Tun Sie etwas gegen Lohndumping! Tun Sie etwas gegen Schwarzarbeit! Unterstützen Sie uns im Bundestag und Bundesrat! ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Reinhard Göhner, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Gesetzentwurf ist gut gemeint. Lohn- und Sozialdumping zu verhindern ist eine vernünftige Zielsetzung. Aber was wird dieser Gesetzentwurf tatsächlich bewirken? Die Wahrheit ist: Der Gesetzentwurf gibt keine Antwort auf diese Frage; er gibt nicht einmal eine Antwort auf die Frage, Herr Andres, für wen er gelten soll. Sie sind der Auffassung, dass das die Tarifvertragsparteien entscheiden sollen. ({0}) Dieser Gesetzentwurf regelt das aber nicht so. Nach diesem Gesetzentwurf soll der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit eine Ermächtigung erhalten, per Rechtsverordnung für alle Branchen Tariflöhne zu gesetzlichen Mindestlöhnen zu erklären. Das ist ein Blankoscheck. Bisher hat uns keiner gesagt, für welche Branche das tatsächlich gelten soll. Das heißt, die Frage, wen dieses Gesetz betrifft, bleibt völlig unbeantwortet. Jenseits aller sozialpolitischen und ökonomischen Fragen will ich zunächst einmal sagen: Wir Abgeordneten, der Gesetzgeber, sollten dann, wenn wir eine solche Ermächtigung ausstellen, schon wissen, wer davon betroffen sein kann. ({1}) Das Grundgesetz verlangt für solche Rechtsverordnungsermächtigungen deshalb eine hinreichende Bestimmtheit. Unzulässig sind also unbestimmte, unbegrenzte Ermächtigungen. Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 2000 zum jetzigen Entsendegesetz entschieden, dass die Verordnungsermächtigung, die auf die Bauwirtschaft begrenzt ist, noch den Bestimmtheitserfordernissen von Art. 80 GG genüge, weil - ich zitiere auszugsweise klar festgelegt ist, welche Tarifverträge mit welchem regelungsunterworfenen Personenkreis durch Rechtsverordnung auf Außenseiter erstreckt werden können, sodass für den Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes hinreichend klar vorhersehbar gewesen ist, welchen Inhalt eine spätere Rechtsverordnung haben wird. Nach dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf ist genau das überhaupt nicht mehr vorhersehbar. Der regelungsunterworfene Personenkreis ist völlig unbestimmt. ({2}) Nun tragen Sie hier vor, das solle nur für Branchen mit bundesweiten Tarifvertragsstrukturen gelten. Im bestehenden Entsendegesetz wie in Ihrem Gesetzentwurf steht davon kein Wort. Das ergibt sich auch aus keiner anderen Rechtsvorschrift, insbesondere auch nicht aus Europarecht. Wenn das Ihre politische Absicht ist, dann sagen Sie doch bitte wenigstens, in welchen Branchen, in denen es heute bundesweite Tarifvertragsstrukturen gibt, Sie von dieser Verordnungsermächtigung Gebrauch machen wollen, damit wir jedenfalls ungefähr erahnen können, wen Sie eigentlich mit dieser Regelung treffen wollen. Zurzeit gibt es bundesweite Tarifvertragsstrukturen bei Banken, bei Versicherungen, in der Druckindustrie, in der Entsorgungswirtschaft und in der Papierverarbeitung. Wollen Sie denn ernsthaft in diesen Branchen per Rechtsverordnung gesetzliche Tariflöhne schaffen? Für Entsendearbeitnehmer würden Sie damit nichts bewirken. Sie würden nur nicht tarifgebundene deutsche Unternehmen in Tarifbindungen zwingen. Wollen Sie das? ({3}) Wenn Sie das wollen, dann sagen Sie das und sagen Sie gefälligst, für welche Branchen Sie das anwenden wollen! ({4}) In einer Branche gibt es bundesweite Tarifverträge, die Sie bei dem von Ihnen vorgesehenen Weg außer Kraft setzen würden, nämlich in der Zeitarbeitsbranche. Ihnen geht es um die Gebäudereiniger. Das ist ein Bereich, über den Sie mit uns reden können, was die Ausdehnung des Entsendegesetzes angeht. Bei den Gebäudereinigern gibt es einen bundesweiten Tarifvertrag, den Sie dann außer Kraft setzen würden. Wollen Sie das? Wollen Sie diese Tarifkonkurrenzen eröffnen? Das hätten Sie klären müssen, bevor Sie einen solchen Gesetzentwurf vorlegen. ({5}) Es gibt in Deutschland aus guten Gründen nur zwei Branchen, in denen für allgemein verbindlich erklärte bundesweite Tarifverträge bestehen, die Bauwirtschaft und die Gebäudereiniger. Tarifautonomie kennt auch negative Koalitionsfreiheit, das heißt die Entscheidung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, nicht tarifgebunden zu sein. Dass in der Gebäudereinigerbranche, in der das für alle deutschen Unternehmen gilt, die Frage aufgeworfen wird: „Warum dann nicht auch für unsere europäischen Wettbewerber?“, ist völlig in Ordnung. Aber prinzipiell muss es nach unserer Überzeugung für eine temporär beschränkte, also befristete, Ausweitung des Entsendegesetzes drei Voraussetzungen geben: Erstens müssen einzelne Branchen konkret benannt werden und darf nicht eine Blankoermächtigung für alle erteilt werden. Zweitens müssen beide Tarifparteien dies wollen; es reicht nicht, wenn, wie nach Ihrem Gesetzentwurf vorgesehen, nur eine Tarifpartei das will. Drittens müssen Fakten auf dem Tisch liegen, die zeigen, dass in dieser Branche Missbräuche nicht schon mit dem bestehenden Recht abgestellt werden können. Letzteres ist ein wichtiger Punkt. In dieser Debatte wird völlig übersehen, dass das Entsendegesetz bereits heute weitgehend für weite Bereiche des Arbeitsrechts, zum Beispiel den ganzen Arbeitsschutz und weite Bereiche des Sozialrechts für alle Branchen gilt. Es gibt nur ein Vollzugsdefizit. Alle bisher bekannt gewordenen Missbrauchsfälle - alle, die die Bundesregierung benannt hat, alle, die in der Öffentlichkeit benannt worden sind - sind bereits nach heutigem Recht, nämlich durch Anwendung des bestehenden Entsendegesetzes, zu unterbinden. ({6}) Es gibt Vollzugsdefizite. Das Gesetz über die Arbeitnehmerüberlassung gilt selbstverständlich auch für Unternehmen aus Polen, die hier Werkverträge übernehmen. Ich erwarte selbstverständlich, dass das Recht, das für deutsche Unternehmen gilt, genauso auch auf diese polnischen Unternehmen angewandt wird. Da haben die zuständigen Vollzugsbehörden jahrelang geschlafen. Jetzt sind Missstände bekannt geworden. Aber Sie können sie alle abstellen. Alle Fälle, in denen illegale Arbeitnehmerüberlassung erfolgte, in denen das Arbeitszeitgesetz, das für jeden Entsendearbeitnehmer gilt, missbraucht wurde, in denen es Schwarzarbeit gegeben hat, in denen Scheinselbstständigkeit vorlag, also alle diese Fälle des illegalen Verhaltens, zum Beispiel polnischer Unternehmen in Deutschland, können nach dem heute geltenden Entsendegesetz unterbunden werden. Sie müssen es nur vollziehen. Bevor Sie neue gesetzliche Regelungen schaffen, sollten Sie sich fragen: Wie können wir mit dem geltenden Recht die Missbrauchsfälle abstellen? ({7}) Da Sie bislang - ich wiederhole das - nicht einen Fall dargelegt haben, in dem man den Missbrauch mit dem geltenden Recht nicht abstellen kann, frage ich einmal: Was soll der neue Gesetzentwurf, bei dem Sie uns nicht einmal sagen, für wen die Regelungen gelten sollen? ({8}) Sie können mit uns über die Ausdehnung des Entsendegesetzes auf Gebäudereiniger reden. Sie können mit uns über die Frage reden, wie die Allgemeinverbindlichkeit ausgedehnt werden kann. Es gibt aus guten Gründen zwei Branchen und nicht mehr. Ich glaube nicht daran, dass in diesem Bereich weiterer Regelungsbedarf besteht. Wenn er aber von Ihnen begründet wird, indem Sie sagen, dass ansonsten Missbräuche nicht abgestellt werden können, dann können wir darüber reden. Aber Sie werden uns nicht überzeugen können, Ihnen einen Blankoscheck, den Sie hier verlangen, auszustellen. Einen solchen Persilschein erhalten Sie von uns nicht. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 15/5446 ({0}) zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit und zur Mitberatung an den Finanzausschuss, den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, den Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung sowie an den Haushaltsausschuss gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. Die Vorlagen auf Drucksachen 15/5271 und 15/5445 sollen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 sowie die Zusatzpunkte 10 bis 12 auf: 25 Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Andreas Pinkwart, Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Vereinfachung des deutschen Steuerrechts - Drucksachen 15/501, 15/1548 Präsident Wolfgang Thierse ZP 10 Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Unternehmensnachfolge - Drucksache 15/5448 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Michael Meister, Heinz Seiffert, Otto Bernhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Herausforderungen der Globalisierung annehmen, Unternehmensteuern modernisieren, Staatsfinanzen durch mehr Wachstum sichern - Drucksache 15/5450 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({2}) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Haushaltsausschuss ZP 12 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Steuervereinfachung im Vollzug - Vorteil für Bürger, Betriebe und Verwaltung - Drucksache 15/5466 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({3}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion der FDP zehn Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Volker Wissing, FDP-Fraktion, das Wort.

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 118 Gesetze, 87 Rechtsverordnungen, 3 235 Schreiben des Bundesfinanzministeriums - so sehen die Eckdaten eines Steuersystems aus, das weltweit berühmt ist, aber nicht etwa für seine Effizienz, sondern dafür, dass es kompliziert und umständlich ist. ({0}) Die Menschen verstehen unser Steuersystem nicht mehr. Selbst Experten tun sich immer schwerer. Das ist ein Alarmsignal. Da reicht es nicht aus, wenn die Bundesregierung erklärt, sie habe seit ihrem Amtsantritt konsequent an der Modernisierung und Vereinfachung des Steuersystems gearbeitet. Meine Damen und Herren, wenn Sie das Ziel der Vereinfachung jemals vor Augen gehabt haben sollten, haben Sie es wirklich verfehlt. ({1}) Es ist doch geradezu rührend, wie Rot-Grün versucht, mit der Nagelschere Ordnung in den steuerpolitischen Dschungel zu bringen. Wir brauchen mehr als Kosmetik. Unser Steuersystem muss radikal vereinfacht werden. Die Steuersätze müssen herunter und Subventionen müssen konsequent abgebaut werden. ({2}) Wir brauchen eine klare Reform unseres Steuersystems hin zu einem einfachen und transparenten System. Das wäre ein Befreiungsschlag für unser Land und der beste Beitrag zu mehr Steuerehrlichkeit. ({3}) Rot-Grün fehlt offenbar die Kraft zu entschlossenen Reformen. Sie verschicken lieber Schreiben und schrauben an kleinen Rädchen herum, statt einen mutigen Neuanfang zu wagen, beispielsweise einen solchen Neuanfang, wie wir ihn von der FDP mit unserem Steuerkonzept vorgeschlagen haben. Ihre Antwort auf die Große Anfrage der FDP-Fraktion ist ein einziger finanzpolitischer Offenbarungseid. Es ist sozusagen die gehisste weiße Fahne eines Bundesfinanzministeriums, das mit dem Ändern von Gesetzen und Verordnungen nicht mehr hinterherkommt. Allein im Einkommensteuergesetz haben Sie über 100 Paragraphen gleich mehrfach geändert. Kaum war eine Änderung in Kraft, kam schon wieder die nächste, weil Sie sich geirrt hatten. Experimentierfreude ist eine durchaus positive Eigenschaft; Schüler können damit viele Erfahrungen sammeln. Aber Experimentierfreude ist nicht die beste Grundlage, um ein Steuersystem effizient zu gestalten. ({4}) Wie sollen sich denn Unternehmen in Deutschland auf klare Rahmenbedingungen einstellen, wenn Sie die Gesetze immer wieder ändern? Statt Investoren zu beschimpfen, sollten Sie lieber Ihre Hausaufgaben machen und für ein gerechtes Steuersystem sorgen. Das aber bleiben Sie seit Jahren schuldig. Ihren für heute groß angekündigten Antrag zur Körperschaftsteuer- und Erbschaftsteuerreform haben Sie auf die Schnelle auch wieder vertagt. ({5}) Weder aus der Sicht der Unternehmen noch aus der Sicht der Bürgerinnen und Bürger ist unser Steuersystem gerecht. Sie sollten einmal die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fragen, was sie empfinden, wenn sie ihre Lohnabrechnung anschauen. Die Menschen in unserem Land fühlen sich doch regelrecht abgegrast. ({6}) Die hohe Steuerbelastung ist schon schlimm genug, aber dass man auch noch auf so komplizierte Art und Weise zur Kasse gebeten wird, dafür kann man von den Betroffenen kein Verständnis mehr erwarten. Sie haben es in Ihrer Antwort selbst dargelegt: 17 Seiten Formulare muss ein durchschnittlicher Arbeitnehmerhaushalt ausfüllen, um den Wissensdurst der Finanzbehörden zu stillen. ({7}) - Das haben Sie geantwortet. - Ein umsatz-, gewerbeund körperschaftsteuerpflichtiges Unternehmen, das zudem noch eine Investitionszulage beantragen möchte, muss sich durch mehr als 50 Seiten quälen. Das gilt für Großunternehmen mit eigener Steuerabteilung genauso wie für kleine und mittelständische Unternehmerinnen und Unternehmer. ({8}) Meine Damen und Herren, viele Unternehmen in Deutschland treffen ihre Investitionsentscheidungen längst nicht mehr nach den Regeln des Marktes, sondern nach der Steuergesetzgebung. So kann eine Gesellschaft nicht erfolgreich sein. ({9}) Ihre Formularlawine belastet auch die Finanzbehörden, die alle Angaben nicht nur einsammeln, sondern auch kontrollieren und auswerten müssen. Auf 185 Formulare kommt die Bundesregierung und das ist nur eine grobe Schätzung. In der Antwort auf unsere Anfrage schreiben Sie selbst, dass Sie die Gesamtzahl der Formulare nicht kennen. ({10}) - Dass das für Sie klar ist, Herr Schild, wundert mich nicht. Aber für mich ist eines klar, nämlich dass Sie den Überblick verloren haben. ({11}) Niemand liebt Steuern und niemand in Deutschland oder auch anderswo wird Steuern jemals lieben. Aber die Bürgerinnen und Bürger sind bereit, sie zu akzeptieren, wenn die Steuersätze niedrig sind, wenn das System gerecht und transparent ist. Nichts von alledem ist bei uns noch erfüllt. Wer ein System nicht versteht, der kann es nicht aus Überzeugung mittragen. Steuerehrlichkeit ist untrennbar mit einem einfachen und gerechten Steuersystem mit niedrigen Steuern verbunden. ({12}) Die Antwort der Bundesregierung, Herr Poß, zeigt überdeutlich, welche Auswüchse unser Steuersystem angenommen hat. Ich kann Sie nur auffordern: Wenn Sie etwas Gutes für dieses Land tun wollen, dann stellen Sie schnellstmöglich Ihren Steuerreparaturbetrieb ein. Was wir jetzt brauchen, sind Reformen und kein Stillstand. Ich fordere Sie auf: Sagen Sie Ja zu einem einfachen und gerechten Steuersystem mit niedrigen Steuern, Transparenz und Verständlichkeit, damit die Bürger wieder wissen, wofür sie Steuern zahlen! Sagen Sie Ja zum Steuerkonzept der FDP! ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Reinhard Schultz, SPDFraktion. ({0})

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war ja ein kraftvoller Einstieg in die Debatte, Herr Wissing; das muss ich schon sagen. Die Kollegin Frechen wird im Einzelnen darstellen, was diese Bundesregierung auf dem Gebiet der Steuervereinfachung gerade für Arbeitnehmer bereits getan hat und welche praktischen Versuche - Stichwort Experimentierfreudigkeit - zum Beispiel das Land Nordrhein-Westfalen unternommen hat, um Arbeitnehmern, die nur eine Einkommensart haben, das Leben gegenüber dem Finanzamt einfacher zu machen. Hoch kompliziert ist es natürlich immer für diejenigen, die sämtliche Einkunftsarten ausschöpfen. Da muss man dann ein bisschen mehr ausfüllen und ein bisschen genauer hinschauen. Aber diese Leute bedienen sich in der Regel des Rates von Fachleuten und machen das nicht alleine; so sind sie letztendlich gut beraten. Mein Thema ist heute eigentlich mehr die Auseinandersetzung mit der Frage: Was kann man tun, um im internationalen, auch im europäischen Steuerwettbewerb den Standort Deutschland zu stärken und zu verhindern, dass es zu unnötigen und in großem Maße nicht hinnehmbaren Gewinnverlagerungen ins europäische oder außereuropäische Ausland kommt, und was kann man tun, damit insbesondere kleine und mittlere Unternehmen ihre Unternehmensnachfolge so geregelt bekommen, dass die Nachfolger nicht erst zur Bank gehen müssen, weil sie einen großen Teil dessen, was sie an Substanz geerbt haben, durch die Erbschaftsteuerbelastung wieder verlieren? ({0}) - Doch, darüber reden wir sehr gern. Herr Wissing, Sie haben eben gesagt, wir hätten dazu keine Anträge oder Gesetzentwürfe in den Bundestag eingebracht. Die Bundesregierung hat - die Koalition trägt das natürlich voll mit - in den Bundesrat zu beiden Feldern verabredungsgemäß Gesetzentwürfe eingebracht: auf der einen Seite einen Gesetzentwurf zum Thema Standortverbesserung, zu dem Komplex Senkung des Körperschaftsteuersatzes, und auf der anderen Seite einen Gesetzentwurf zum Thema Unternehmensnachfolge, Stichwort: Erbschaftsteuer. ({1}) - Wir hatten diesen Punkt auf der Tagesordnung, weil wir uns im Rahmen des üblichen Gegenstromverfahrens zwischen Bundestag und Bundesrat einen Zeitgewinn Reinhard Schultz ({2}) versprachen. Aber da der Bundesrat einer Fristverkürzung zugestimmt hat, ist eine schnelle Einbringung nicht mehr erforderlich. Wir werden auch so vor der Sommerpause dieses Gesetzgebungsvorhaben punktgenau abschließen. Ich verstehe deswegen Ihre Aufregung nicht. ({3}) Ich will etwas zur Sache selbst sagen. Zunächst einmal ist es wichtig, festzustellen, dass wir bei der Unternehmensteuerreform nicht bei null anfangen. Wir haben schon seit vielen Jahren sehr große Anstrengungen auf dem Gebiet der Steuerreform im Allgemeinen und auf dem Gebiet der Unternehmensteuerreform im Speziellen unternommen. Der Eingangssteuersatz wurde deutlich herabgesetzt und die Grundfreibeträge wurden heraufgesetzt. Das hat dazu geführt, dass 1 Million Steuerbürger überhaupt keine Steuern mehr zahlen müssen und mit dem Finanzamt so gut wie überhaupt nichts mehr zu tun haben. Durch den Progressionsverlauf zwischen dem Eingangssteuersatz von 15 Prozent und dem Spitzensteuersatz von 42 Prozent wurde die Steuerbelastung für alle, auch für mittlere Unternehmen, deutlich abgesenkt. Dadurch haben wir auch erreicht, dass die Personengesellschaften, die nach wie vor etwa 90 Prozent unserer Unternehmen ausmachen, deutlich entlastet worden sind. Verstärkt wird dieser Effekt noch dadurch, dass die Gewerbesteuer in einem großen Umfang von der Einkommensteuerschuld abgezogen werden kann. ({4}) Wir haben natürlich auch viel für die großen Körperschaften getan, indem wir die Definitivbesteuerung eingeführt haben. Was im Unternehmen bleibt, wird mit 25 Prozent besteuert, und lediglich das, was aus dem Unternehmen in Form von Dividenden oder Ausschüttungen herausgenommen wird, wird mit der Hälfte des persönlichen Einkommensteuersatzes besteuert. Das sind große Reformschritte gewesen. Trotzdem ist nicht zu verkennen, dass sich die Kulisse um uns herum in Europa, insbesondere nach der Osterweiterung der EU, deutlich verändert hat, was die Unternehmensteuersätze angeht. Natürlich haben wir kein Interesse daran, dass Unternehmen ihre Erträge oder sogar Unternehmen selbst aus Gründen der Steuervermeidung ins Ausland verlagern. Deswegen haben der Bundeskanzler und die Opposition beim Jobgipfel verabredet, dass es zu einer Absenkung des Körperschaftsteuersatzes von 25 auf 19 Prozent kommen soll. ({5}) Auch das haben wir verabredungsgemäß in den Bundesrat eingebracht. Wir werden uns damit in kurzer Zeit im Bundestag beschäftigen. Eine solche Absenkung wird dazu führen - davon sind wir fest überzeugt -, dass es Gewinnverlagerungen ins Ausland - zum Beispiel durch überhöhte Verrechnungspreise - nicht mehr in dem Maße wie bisher geben wird und dass Gewinne im eigenen Land realisiert werden. Das allein reicht angesichts der Einnahmesituation des Staates insgesamt natürlich für eine solide Gegenfinanzierung nicht aus. Wir haben uns über eine ausreichende Gegenfinanzierung Gedanken gemacht und haben geschaut, wo es noch Steuerschlupflöcher gibt. Die Bemessungsgrundlage für Unternehmen ist sehr breit geworden. Es wird zwar oft davon geredet, dass sie noch löcherig sei. Aber man muss feststellen, dass wir sehr viel auf diesem Gebiet getan haben. Es ist aber nicht mehr hinzunehmen, dass es nach wie vor Steuerstundungsmodelle und Fonds gibt, die ihre Existenzberechtigung eigentlich nur der Tatsache verdanken, dass sie zu Beginn ihrer Tätigkeit den Zeichnern solcher Fonds hohe Verluste zuweisen, die dann aber später Gewinne aus diesen Fonds, finanziert durch die Gemeinschaft der Steuerzahler, ungeschmälert einstreichen können. Das sind keine seriösen Geschäftsmodelle, sondern Modelle zulasten Dritter, nämlich der Allgemeinheit. ({6}) Wir werden deswegen solche Steuerstundungsmodelle nicht mehr zulassen. Wir gehen davon aus, dass sich dann diejenigen, die solche Fonds auflegen, Alternativen suchen müssen, die in erster Linie das Ziel haben, möglichst schnell eine reale Wertschöpfung und einen positiven Ertrag zu erreichen. Ansonsten werden Anleger solche Fonds künftig meiden. Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass es nicht unbedingt sinnvoll ist, die halbe Hollywoodproduktion aus deutschen Steuermitteln über solche Verlustzuweisungsmodelle zu finanzieren. Es ist auch nicht sinnvoll, Fonds für Windkraftanlagen durch die so genannte doppelte Dividende zu finanzieren, indem zum einen eine garantierte Mindestvergütung bei der Stromeinspeisung vorgesehen ist. ({7}) Über ein Steuerstundungsmodell soll dann zum zweiten Mal in die Kasse der Allgemeinheit gegriffen werden. ({8}) Es gibt Beispiele noch und nöcher, über die wir im weiteren Beratungsverfahren mit den Betroffenen diskutieren wollen. Wir schlagen vor, dass angesichts der Tatsache, dass eine Reihe von Unternehmen eine Vielzahl von Grundstücken und Immobilien zum Teil seit Jahrzehnten als stille Reserve ungenutzt bei sich bunkern, aber nicht zu aktivieren wagen, weil sie Angst vor dem Fiskus haben, in einem überschaubaren Zeitraum eine Lösung geschaffen werden muss, damit diese Unternehmen anderen diese Immobilien für wirtschaftliche Zwecke im Rahmen einer deutlich verminderten Steuerlast zur Verfügung stellen, sprich: damit sie sie verkaufen können. Wir erhoffen uns dadurch einen Einstieg in zusätzliche Reinhard Schultz ({9}) wirtschaftliche Aktivitäten, insbesondere in Regionen mit alten industriellen Kernen. Aber wir wissen auch, dass solche Ansätze missbrauchsanfällig sein können. Deswegen werden wir im weiteren Verfahren sehr darauf achten, dass dieser Gesetzgebungsvorschlag für sich betrachtet auf der einen Seite so wasserdicht ist, dass es keine Kreislaufgeschäfte in dem Sinne gibt, dass diese steuermindernd veräußerten Grundstücke hinterher auf Umwegen wieder bei dem Veräußerer landen. Auf der anderen Seite muss dies natürlich im Licht der noch nicht endgültig entschiedenen Diskussion über die REITs betrachtet werden; denn da bewegen sich zwei Dinge aufeinander zu, was gerade unter dem Gesichtspunkt der Steuerschonungsmodelle ein großes Maß an Aufmerksamkeit von uns Finanzpolitikern erfordert. Wir müssen uns darüber hinaus Gedanken darüber machen, ob nicht aus der Sphäre der Körperschaft- und Unternehmensteuer insgesamt ein zusätzlicher Deckungsbeitrag erwirtschaftet werden muss. Denn wenn man sich die Finanztableaus der vorliegenden Gesetze anschaut, dann sieht man, dass das Ergebnis für die Gemeinden in hohem Maße erfreulich, für die Länder gerade noch erträglich und für den Bund ziemlich schlecht ist. ({10}) Deswegen muss man ernsthaft darüber nachdenken, ob man nicht aus Gründen einer gewissen sozialen Balance und der Außenwirkung solcher steuerpolitischen Vorhaben die Besteuerung von Entnahmen bzw. der Dividendenausschüttung zumindest in dem Maße, wie man den Körperschaftsteuersatz senkt, erhöht. ({11}) Ich habe in dem Gesetzentwurf der CDU/CSU gelesen - was die Unternehmensnachfolge betrifft, bezieht sich ja in diesem Falle alles auf Bayern; Herr Faltlhauser ist ja anwesend -, dass zur Gegenfinanzierung der Ausfälle im Bereich der Erbschaftsteuer vorgeschlagen wird, die Besteuerung der Ausschüttung etwas zu erhöhen, nämlich als Bemessungsgrundlage 57 Prozent zugrunde zu legen. Da vermischen sich die Systeme sehr stark. Die Erbschaftsteuer ist ein System für sich, eine Ländersteuer. Der Vorschlag, das zu machen, kam im Wesentlichen von den Ländern, vor allem aus Bayern. Wir werden gerne dabei helfen, das so zu gestalten, dass es nicht zu einem Fass ohne Boden für die betroffenen Bundesländer wird. Aber die Frage der Herabsetzung der Körperschaftsteuer und die Frage der Besteuerung von Ausschüttungen und Dividenden ist etwas, was im Zusammenhang betrachtet werden muss. Dies muss auch im Hinblick darauf geschehen, wie der Normalbürger, der alles zu seinem persönlichen Steuersatz versteuern muss, darauf reagiert, dass wir im Steuerwettlauf der unterschiedlichen Länder in Europa gezwungen sind, nachzugeben, gleichzeitig bei den Eigentümern, die am Ende die Gewinne einstreichen, bei der Besteuerung aber so niedrig bleiben, als hätten wir den Körperschaftsteuersatz von 25 Prozent erhalten. Auch das muss man sich fragen. Da sind wir sehr sensibel; da befinden wir uns in einem sehr ernsten Prüfungsprozess. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin davon überzeugt, dass wir uns in einem weiteren Schritt - auch das ist verabredet - werden darüber unterhalten müssen, Personengesellschaften und Körperschaften gleich, also rechtsformneutral zu besteuern. Das kann man nicht über das Knie brechen. Das hat jeder - natürlich auch die Länder - anerkannt. Diese Forderung steht aber sowohl von unserer Seite als auch von Ihrer Seite im Raum. Dabei gibt es unterschiedliche Modelle, über die diskutiert wird. Eines kann ich Ihnen schon jetzt angesichts der aktuellen Steuerprognosen, nach denen sich alles sehr labil bewegt, aber im Bereich der Gewerbesteuer eigenartigerweise ein großes Maß an Stabilisierung eintritt, sagen: Diesen Zugewinn, den wir für die Gemeinden organisiert haben, werden wir im Rahmen einer rechtsformneutralen Unternehmensbesteuerung nicht gefährden. ({12}) Die Gewerbesteuer bleibt eine Scheibe innerhalb des Systems der Unternehmensbesteuerung. Vielen Dank. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Meister, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Schultz, es ist schon eine schwere Drohung gegenüber dem deutschen Volk, wenn Sie, nachdem am gestrigen Tag die Steuerschätzung veröffentlicht worden ist, bei den Steuergesetzen eine Punktlandung ankündigen. Wenn die Koalition nach dem gestrigen Tag eine Punktlandung ankündigt, ({0}) sage ich nur: Schlimmer kann es für die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr kommen. ({1}) Es ist ein absoluter Offenbarungseid, dass sich die Koalition aus SPD und Grünen heute in den Deutschen Bundestag traut, aber nicht in der Lage ist, die GesetzDr. Michael Meister entwürfe zur Körperschaft- und Erbschaftsteuer, die sie im Kabinett beschlossen hat, dem Deutschen Bundestag vorzulegen. ({2}) Sie reden zwar über Ihre Gesetzentwürfe, trauen sich aber nicht, sie vorzulegen. ({3}) Dieser Offenbarungseid ist nicht zu überbieten. ({4}) Nun könnte man das - wie Sie, Frau Scheel, es tun mit Formalien abtun und über Bundesrat und Bundestag sprechen. ({5}) Hier geht es allerdings um das Essenzielle unserer Politik, die Frage: Wie viel Vertrauen haben die Menschen in den Gesetzgeber? Mit dieser Vorgehensweise zerstören Sie massiv das Vertrauen der Investoren. ({6}) Dann wundern Sie sich, dass nicht in Deutschland investiert wird, ({7}) dass wir kein Wachstum haben und dass unsere Wirtschaft nicht in Fahrt kommt. ({8}) Lieber Herr Poß, die Vorsitzenden beider Unionsparteien sind ins Kanzleramt gekommen und haben dem Regierungschef die Hand gereicht, um gemeinsam darüber nachzudenken, wie wir in Deutschland mehr Beschäftigung und Wachstum zustande bekommen. ({9}) Dabei wurden Vereinbarungen zur Körperschaftsteuer und zur Erbschaftsteuer getroffen. Der Bundesfinanzminister hat, um einen Gesetzentwurf zur Körperschaftsteuer auf den Weg zu bringen, der sechs DIN-A4Seiten und neun Paragraphen umfasst, ({10}) sechs Wochen gebraucht. Meine Damen und Herren, ich frage mich: Warum haben wir vor dem Hintergrund der bedrückenden Arbeitslosigkeit in Deutschland einen Finanzminister, der nicht in der Lage ist, diese sechs Seiten in kürzerer Zeit aufzuschreiben? ({11}) - Lieber Herr Schultz, wir haben etwas aufgeschrieben. Unser Gesetzentwurf zur Erbschaftsteuer liegt Ihnen heute mit seriöser Gegenfinanzierung vor. ({12}) Sie sind zwar nicht in der Lage zu handeln, aber die Opposition ist in der Lage zu handeln. ({13}) Zu diesem Vorgang will ich Ihnen schlicht und ergreifend Folgendes sagen: Das, was am heutigen Tag geschieht, zeigt dreierlei: Erstens. Unsere Kritik an der unzureichenden Gegenfinanzierung Ihrer Gesetzentwürfe ist berechtigt. Sie wird von Frau Scheel von den Grünen und auch von Mitgliedern aus den Reihen der SPD geteilt. Ihre eigenen Koalitionskollegen haben erklärt, die Gegenfinanzierung von Herrn Eichel sei nicht seriös. ({14}) Es gibt keine Blockade der Union. Vielmehr ist im Finanzministerium unseriös gearbeitet worden. Das ist der Punkt. ({15}) Der zweite Punkt: Ihre Regierung ist nicht mehr handlungsfähig. Sie hat im Deutschen Bundestag keine eigene Mehrheit mehr. Dies dokumentieren Sie heute, indem Sie nicht in der Lage sind, Ihre Entwürfe zur Steuergesetzgebung vorzulegen. ({16}) Zum Dritten: Ich frage mich, wohin die SPD will. Sie haben einen Partei- und Fraktionsvorsitzenden, der an einem Strang zieht, und Sie haben einen Bundeskanzler, der an einem Strang zieht. Es ist zwar derselbe Strang, aber beide ziehen in die entgegengesetzte Richtung. ({17}) Wohin will die SPD? Wollen Sie mehr Investitionen am Standort oder weniger? Wollen Sie mehr Wachstum oder weniger? Wollen Sie mehr Beschäftigung oder weniger? Erklären Sie sich doch einmal! Aber vor dem 22. Mai haben Sie dazu keinen Mut, Herr Poß. ({18}) Sie sitzen nur da und schreien dazwischen, machen aber keinen Lösungsvorschlag. Das ist das Problem. ({19}) Herr Kollege Poß, da Sie für die Finanzpolitik der SPD verantwortlich sind, will ich Ihnen sagen: Sie haben überhaupt keine Linie. Sie haben überhaupt keine Vorstellung davon, wie sich die Finanzpolitik in Deutschland entwickeln soll. Sie haben jegliche Verlässlichkeit und jegliches Vertrauen verspielt. Eben hat sich der Kollege Schultz so wunderbar zum Thema Fonds geäußert. Das ist ein spannendes Thema. Mich würde interessieren - Frau Kollegin Scheel hat ja gleich das Wort -, ({20}) ob das Bündnis 90/Die Grünen der Meinung ist, dass die Förderung von Windparks und Windenergie abgeschafft werden soll. Auch würde mich interessieren, ob die Koalition einheitlich die Linie vertritt, dass diese Förderung abgeschafft werden soll. Das wäre eine klare und deutliche Positionierung. Wir sind gespannt, von Frau Scheel zu hören, ob sie das unterstützt, was Herr Schultz gerade vorgetragen hat. ({21}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, statt Gesetzentwürfen und klaren Ansagen legen Sie heute einen lapidaren Antrag vor, in dem Sie behaupten, Sie hätten das Steuerrecht gerechter und einfacher gemacht. ({22}) Gehen Sie doch einfach einmal in Ihre Wahlkreise und reden Sie einmal mit jemandem, der in einer Firma tätig ist, und fragen Sie ihn, ob er denn in der Lage ist, zu erkennen, wie einfach und gerecht Sie das deutsche Steuerrecht bei der Gesellschafterfremdfinanzierung - § 8 a KStG - gemacht haben! ({23}) Gehen Sie doch einmal in ein kleines Unternehmen und fragen Sie, ob die Einnahmen-Überschuss-Rechnung, für die Sie dieses tolle Formular vorgelegt haben, ein Beitrag ist, das deutsche Steuerrecht einfacher und gerechter zu machen. ({24}) Wenn Sie das dort hören, würde es mich wundern; zeigen Sie mir den Menschen, der das erklärt! Zeigen Sie mir einen Menschen, der sagt, Ihre rückwirkenden Eingriffe hätten das deutsche Steuerrecht einfacher und verlässlicher gemacht! Sie werden keinen finden. ({25}) Das ist doch Ihr Irrglaube: Sie leben auf einer Insel abseits der Realität, Sie haben keinen Bezug zur Realität. Sie haben nichts gerechter und einfacher gemacht, Sie haben es ungerechter und komplizierter gemacht. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. ({26}) Wir sind bereit, die notwendigen Reformen anzupacken, wir sind handlungsfähig. ({27}) Wir haben einen Gesetzentwurf zur erbschaftsteuerlichen Behandlung von Betriebsübergängen vorgelegt. Nach unserer Übergangsregelung soll die Erbschaftsteuerschuld gestundet werden und innerhalb von zehn Jahren in Jahresschritten abgegolten werden können. Diesen Gesetzentwurf haben wir mit einer seriösen Gegenfinanzierung ausgestattet. ({28}) Dies hilft dem Mittelstand, der das Rückgrat unserer Gesellschaft ist und hilft, Arbeitsplätze und Beschäftigung zu sichern. Deshalb geht es in die richtige Richtung und es wäre an der Zeit, dass Sie nicht dazwischenrufen, Herr Poß, sondern dass Sie sagen: Jawohl, das ist ein vernünftiger Vorschlag; wir haben das im Bundeskanzleramt gemeinsam verabredet und jetzt beschließen wir das, um Klarheit zu schaffen, um Vertrauen zu schaffen, um Berechenbarkeit zu schaffen. ({29}) Dann gibt Ihr Finanzminister Hans Eichel den wunderbaren Hinweis, unsere Gegenfinanzierung sei unseriös, man wolle hier dem Bund Geld abnehmen, um den Ländern etwas zu geben. ({30}) Die Erbschaftsteuer fließt den Ländern zu 100 Prozent zu. Zur Gegenfinanzierung bei der Einkommensteuer haben wir den Vorschlag gemacht, sie zu teilen: 42,5 Prozent bekommt der Bund, 42,5 Prozent die Länder, den Rest die Gemeinden. Und dann behauptet Herr Eichel, der mehr Geld bekommt, ihm würde etwas weggenommen. ({31}) Hat er denn nicht verstanden, wie die Einkommensteuer auf die verschiedenen Ebenen aufgeteilt wird? Hat Ihr Finanzminister nicht einmal diesen primitiven Gedanken im Kopf? ({32}) Da würde ich mir die Frage stellen, was an dieser Stelle eigentlich zu tun ist. Der Vorwurf, den Herr Eichel erhebt, ist unqualifiziert. ({33}) Er ist eines Finanzministers der Bundesrepublik Deutschland gar nicht würdig. ({34}) Ich will zu dem Gesetzentwurf sagen: Wir erleben oft in der Beratung, dass die Koalition, wenn sie etwas vorlegt, zwar Sachverständige zur Anhörung einlädt, aber der Sachverstand eigentlich gar nicht gefragt ist. ({35}) Wir haben die Absicht, eine Sachverständigenanhörung zu unserem Erbschaftsteuervorschlag durchzuführen. Wenn es aus dem Kreis der Sachverständigen sachverständige Vorschläge gibt, werden wir sie auch berücksichtigen und einarbeiten. Wir nehmen den Sachverstand in Deutschland ernst. ({36}) Deshalb wollen wir ein parlamentarisches Verfahren, das ernsthaft geführt wird und in dem Vorschläge ernsthaft geprüft werden. Ich will aber auch deutlich machen: Ein paar Punkte Körperschaftsteuer, die Erleichterung bei der Erbschaftsteuer, das sind Steuersatzänderungen, das sind Erleichterungen für den Mittelstand. Aber das ist doch keine Unternehmensteuerreform. ({37}) Bei einer Unternehmensteuerreform müssten wir uns mit der Gewerbesteuer beschäftigen, wir müssten Rechtsformneutralität herstellen. Denn 20 Prozent unserer Unternehmen sind Kapitalgesellschaften, 80 Prozent sind Personenunternehmen. Denen ist mit Veränderungen bei der Körperschaftsteuer überhaupt nicht geholfen. Unser Steuerrecht muss EU-tauglich gemacht werden. Kein Wort sagen Sie dazu. Es fehlt das Engagement der Bundesregierung, auf europäischer Ebene eine gemeinsame Bemessungsgrundlage anzustreben. ({38}) - Liebe Frau Hendricks, ich würde mir mehr Engagement wünschen. Bisher haben Sie bei der Gesellschafterfremdfinanzierung - ich habe das angesprochen - und bei anderen Themen immer die Position bezogen: Wir warten ab, was der EuGH urteilt. Und wenn der EuGH geurteilt hat, haben Sie darauf reagiert. Wir brauchen kein Reagieren, wir müssen agieren, ({39}) wir brauchen eine Strategie, wir müssen nach vorne gehen. Daran fehlt es dieser Bundesregierung. ({40}) Ich glaube, notwendig wäre nicht nur die Kraft, in der Steuergesetzgebung einen großen Wurf vorzulegen - wie wir mit dem Konzept 21 - und zu beschließen, sondern wir bräuchten dringend auch auf den anderen Reformbaustellen endlich eine mutige, entschlossene und kraftvolle Bundesregierung, um voranzukommen. Das vermissen wir und wir vermissen leider auch, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, überhaupt wissen, wohin Sie wollen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Meister, wenn Sie noch ein bisschen reden wollen, dann bleiben Sie da; denn Frau Parlamentarische Staatssekretärin, die Kollegin Hendricks, möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. ({0}) - Frau Abgeordnete Hendricks, ja.

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn Frau Hendricks so nett ist, mir eine Frage stellen zu wollen, dann werde ich dies selbstverständlich gestatten. Bitte sehr. ({0})

Dr. Barbara Hendricks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002672, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Meister, sind Sie bereit, mit mir gemeinsam zu sehen, dass die Bundesregierung alle Anstrengungen unternimmt, um in Europa zu einer einheitlichen Bemessungsgrundlage für die Besteuerung der international tätigen Unternehmen zu kommen? Sind Sie bereit, zu sehen, dass es die Bundesregierung war, die den ersten Vorschlag, der aus der Kommission - damals noch von dem Kommissar Frits Bolkestein - gekommen ist, aufgegriffen hat? ({0}) Sind Sie bereit, mit mir zu sehen, dass die letzte Zusammenkunft auf der Arbeitsebene hier in Berlin stattgefunden hat und dass mittlerweile 13 Länder unsere Initiative stützen? ({1}) Sind Sie bereit, mit mir zu sehen, dass wir alles darauf anlegen, im ersten Halbjahr 2007, wenn die Bundesregierung erneut den Ratsvorsitz hat, zu einem Abschluss zu kommen? Sind Sie bereit, mit mir zu sehen, dass wir diese Verabredung mit den Ländern getroffen haben, die vor und nach uns die Ratspräsidentschaft haben, nämlich mit Slowenien und Finnland? Sind Sie bereit, mit mir zu sehen, dass dies alles ist, was man zurzeit tun kann, und dass wir wirklich auf dem Weg sind, über diese 13 Länder hinauszukommen? Denn selbstverständlich werden irgendwann auch andere Länder, wie zum Beispiel Großbritannien, merken, dass man gerade vor dem Hintergrund der von Ihnen angesprochenen EuGH-Urteile nicht mehr ganz allein eine nationale Steuerpolitik machen kann. ({2})

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank für die Fragen, Frau Dr. Hendricks. Ich will zunächst einmal sagen, dass wir einig in dem Ziel sind - das will ich ausdrücklich unterstreichen -, dass wir dringend eine gemeinsame europäische Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer und im Prinzip für die gesamten Unternehmensteuern benötigen, ({0}) weil das sowohl den Unternehmen bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten helfen als auch viele Dinge im Steuerrecht erleichtern würde. ({1}) Ich bin ausdrücklich der Meinung, dass wir die Gedanken - die es an der einen oder anderen Stelle gibt -, dass deshalb auch die Steuersätze harmonisiert werden müssten, nicht teilen. Ich bin der Meinung, bei den Steuersätzen sollten wir Wettbewerb anstreben. ({2}) - Ich bin gefragt worden, zwar nicht von Ihnen, Frau Scheel, aber von Frau Hendricks, und ich bin jetzt dabei, zu antworten. ({3}) Ich bin ausdrücklich der Meinung, dass wir bei den Steuersätzen Wettbewerb brauchen, weil es auch bei der Leistung Wettbewerb gibt. Deshalb muss auch die Bepreisung über Steuersätze möglich sein. Ich bin nicht der Auffassung, Frau Hendricks, dass rechtzeitig und ausreichend etwas getan worden ist. Ich habe das Beispiel der Gesellschafterfremdfinanzierung eben genannt. Mittlerweile gibt es auch weitere Urteile, bei denen es um die Bemessungsgrundlage bei der Körperschaftsteuer geht. Sie selbst als Vertreterin des Finanzministeriums haben im Finanzausschuss immer wieder vorgetragen: Wir warten mal die Urteile des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg ab und dann versuchen wir, diese Urteile in das deutsche Steuerrecht einzubauen. Meine Ansage ist: Nein, das ist der falsche Weg. Wir müssen selbst versuchen, eine Idee dafür, wie eine Bemessungsgrundlage aussehen kann, in die Europäische Kommission einzuspeisen und dies dort mitzugestalten. ({4}) - Sie machen es leider zu spät und mit zu wenig Engagement. Wir brauchen hier mehr Tempo und mehr Geschwindigkeit, sonst werden wir einen solchen Tag, wie wir ihn gestern erlebt haben, immer wieder erleben; denn auf diesem Weg fließt das Steuersubstrat schneller ab, als wir als nationaler Gesetzgeber hinterherlaufen und korrigieren können. Danke schön. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort Kollegen Joachim Poß, SPD-Fraktion.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Lieber Kollege Meister, Sie hatten mich mehrfach angesprochen, deswegen will ich gerne darauf eingehen. ({0}) Sie haben das, was Sie ausgeführt haben, garniert mit der waghalsigen Behauptung, Sie hätten eine Linie in der Steuer- und Finanzpolitik. ({1}) Wer die Zeitungen seit dem 17. März 2005 aufmerksam gelesen hat, der konnte feststellen, ({2}) dass Sie jeden Tag in die Büsche abgetaucht sind. ({3}) Sie sind nur einmal konkret geworden, nämlich mit Hilfe des Kollegen Faltlhauser bei der Erbschaftsteuer, über deren Relevanz im Einzelnen noch zu diskutieren sein wird. ({4}) Schauen Sie sich doch nur die heutigen Agenturmeldungen an! Dort steht: Union uneins über Entgegenkommen in Sachen Erbschaftsteuer. ({5}) Ihr Generalsekretär Söder will zur Stabilisierung des Haushalts Sozialleistungen kürzen, er sagt aber nicht konkret, was er meint. ({6}) Herr Meister will auch in Leistungsgesetze einschneiden. ({7}) Er sagt aber nicht, welche Maßnahmen er dabei im Auge hat. Demgegenüber sagt Herr Böhmer, er könne keinen Vorschlag dazu machen, an welcher Stelle er in seinem Haushalt noch Einsparungen vornehmen könne. Er fügt hinzu, er wisse auch nicht, wo der Finanzminister noch kürzen solle. Mit diesen Beispielen will ich Folgendes deutlich machen: Wenn die Union behauptet, eine Linie in der Steuer-, Finanz- und Haushaltspolitik zu haben, so ist diese Behauptung abenteuerlich. Sie jedenfalls haben keine Linie. Es gibt nirgendwo so viele Widersprüche wie bei der CDU/CSU. ({8}) Sie sind nicht regierungsfähig. Das muss man ganz eindeutig feststellen. ({9}) Ministerpräsident Koch - auch das ist eine heutige Agenturmeldung - kündigt einen neuen Vorschlag zur Steuerreform an. ({10}) Das ist der dritte Steuerreformvorschlag in den letzten beiden Jahren. Der erste Vorschlag war das Bierdeckelkonzept von Herrn Merz. Der Bierdeckel ist verschwunden. ({11}) - Herr Merz ist auch verschwunden, er ist jetzt bekannterweise bei einem Hedgefonds tätig, den ich jetzt nicht charakterisieren will. ({12}) Dazu kann sich jeder selbst seine Gedanken machen. Ihr zweites Konzept war das gemeinsame Konzept 21 der Union, das eine Nettoentlastung in Höhe von über 10 Milliarden Euro bringen sollte. Das gilt jetzt nicht mehr. Herr Koch kündigt an: Es gibt keine Nettoentlastung mehr. Sie haben lange gebraucht, um zu diesen Erkenntnissen zu kommen. Angesichts dieser Meldungen behaupten Sie weiterhin, Sie hätten eine Linie? Meine Damen und Herren, Herr Kollege Meister, das, was Sie heute Morgen geboten haben, ist lächerlich. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Meister, wenn Sie wollen, können Sie darauf reagieren.

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Poß, Ihre Koalition ist dafür verantwortlich, dass dem öffentlichen Gemeinwesen gestern 66,8 Milliarden Euro entzogen wurden. ({0}) Sie macht die Opposition dafür verantwortlich und bringt nicht die Kraft auf - ich sage das zu Ihnen, Herr Poß, als stellvertretendem Fraktionsvorsitzenden der SPD -, dafür die Verantwortung zu übernehmen. Statt die Opposition zum Rücktritt aufzufordern, wäre es notwendig, Vorschläge zu machen, wie Sie diese Löcher stopfen wollen. ({1}) Sie sind in der Verantwortung, Sie haben zu regieren. Sie müssen Deutschland sagen, welche Korrekturen Sie vornehmen wollen. ({2}) Darüber hinaus will ich Ihnen sagen, was Ihr Bundesfinanzminister, der heute Morgen leider nicht hier sein kann, heute in der „Welt“ sagt: Das ist nicht die Finanzpolitik, die ich ursprünglich machen wollte. Hier stellt sich schon die Frage, welche Finanzpolitik gemacht werden müsste. Dazu erwarten wir im Haushaltsund im Steuerbereich Vorlagen. ({3}) Zur Union: Wir haben heute, auch wenn es Ihnen nicht gefällt, in Bezug auf die Erbschaftsteuer einen Gesetzentwurf mit voller Gegenfinanzierung vorgelegt. Wir haben zur Ertragsbesteuerung, zur Einkommensteuer, zur Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer in der letzten Sitzungswoche unser Konzept 21 behandelt. Das ist ein klares Konzept für die Steuerreform in Deutschland. ({4}) Es liegt nur an der von Ihnen nicht erteilten Zustimmung, dass dieses klare Konzept nicht umgesetzt worden ist. Wir haben ein klares Konzept. ({5}) Ihr Finanzminister verletzt seit drei Jahren die Maastricht-Kriterien und missachtet seit drei Jahren das Grundgesetz. Er erzählt uns seit drei Jahren, dass er keinen neuen Nachtragshaushalt macht, wenn die Steuerschätzung kommt. Am Jahresende plant er lediglich ein, wie groß die Verluste geworden sind. Wo ist die Kraft, gegenzusteuern? Warum gibt es keine Haushaltssperre? Warum gibt es nicht sofort einen Nachtragshaushalt? Warum begreifen Sie nicht, dass Sie nicht ständig zulasten künftiger Generationen weitere Schulden machen können? Wo ist Ihre Verantwortung, Herr Poß, für die junge Generation und für die künftigen Generationen? Zwischenrufe, Lachen und Beschimpfen der Opposition helfen nicht. Sie müssen Ihrer Verantwortung gerecht werden. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Kollegin Christine Scheel vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Meister, anscheinend ist Ihnen entgangen, dass die Steuerschätzung sowohl für den Bund als auch für die Länder und die Kommunen gilt. Nach der Steuerschätzung der Bund-Länder-Kommission werden wir bis zum Jahre 2009 56 Milliarden Euro mehr an Steuereinnahmen haben, aber eben nicht so viel, wie ursprünglich geschätzt wurde. In der Konsequenz heißt das: Es tut sich gegenüber den heutigen Einnahmen kein Loch auf, sondern lediglich der Aufwuchs der Einnahmen fällt in den nächsten Jahren geringer aus. Das ist etwas völlig anderes. Die Schuld dafür können Sie auch nicht der Bundesregierung in die Schuhe schieben, sondern hier muss die gesamtwirtschaftliche Situation betrachtet werden, die auch Grundlage der Schätzungen ist. Das wissen Sie sehr gut. Deswegen brauchen Sie hier auch keinen solchen Popanz aufzubauen. ({0}) Zu Ihren Überlegungen hinsichtlich des Verhaltens der deutschen Bundesregierung in Europa kann man nur sagen: Guten Morgen, Herr Dr. Meister. Anscheinend ist die Union aus dem Tiefschlaf erwacht. ({1}) Im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages haben wir bereits mehrmals darüber diskutiert, wie sich Deutschland auf europäischer Ebene im Hinblick auf die Unternehmensbesteuerung für die Zukunft positioniert. ({2}) Frau Dr. Hendricks hat es klipp und klar gesagt: Es geht um eine einheitliche Bemessungsgrundlage. Die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesregierung, insbesondere durch den Finanzminister, und die sie tragenden Fraktionen von Rot-Grün sind der Auffassung, dass es diese einheitliche Bemessungsgrundlage möglichst schnell geben soll. Es wurde alles getan, was aus nationaler Sicht getan werden konnte, um diesem Ziel näher zu kommen. Guten Morgen, Union! ({3}) Zu diesem Popanz, den Sie mit der aktuellen Diskussion zu diesen beiden Gesetzentwürfen aufbauen, kann ich Ihnen nur sagen: Ich bin sehr froh, dass der Bundesrat bzw. das Gremium, das über die Einhaltung der Fristen entscheidet, mit großer Weisheit eine Fristverkürzung beschlossen hat. Damit haben wir vom Verfahren her ein Optimum erreicht, indem wir jetzt beide Regierungsentwürfe von Rot-Grün schon im Bundesrat haben. ({4}) Die Stellungnahme des Bundesrates wird erstellt und der Finanzausschuss des Bundestages - das haben wir heute Morgen besprochen und gemeinsam mit allen Fraktionen vereinbart - kann am 15. Juni eine Anhörung zu diesem Sachverhalt durchführen. Damit können die abschließende Beratung im Finanzausschuss Ende Juni und die zweite und dritte Lesung hier im Bundestag am 1. Juli stattfinden. ({5}) Danach können die Beschlüsse des Bundestages dem Bundesrat zu seiner Sitzung im Juli zugeleitet werden. Das ist genau so, wie wir es immer gesagt haben und wie es sich der Bundeskanzler gewünscht hat. ({6}) Deswegen bitte ich Sie: Hören Sie auf, hier einen solchen Popanz aufzubauen, als ob es uns um Verzögerungen gehen würde. ({7}) In der Zeitung liest man jetzt: Front gegen rot-grünes Steuergesetz bröckelt! CDU-Finanzminister Stratthaus wirkt auf Union ein! Ich finde das sehr interessant. ({8}) Herr Stratthaus, der immerhin Finanzminister eines sehr großen, von der CDU regierten Bundeslandes ist, ist der Auffassung, dass wir diese Reformen jetzt dringend brauchen. Er sagt, wenn sie jetzt scheitern, wäre die Enttäuschung in der Wirtschaft ein weiterer Belastungsfaktor für die Stimmung in Deutschland. ({9}) Da kann ich nur sagen: Da hat Herr Stratthaus völlig Recht. ({10}) Deswegen ist es wichtig, dass wir hier vereinbaren, ({11}) ein Stück voranzukommen, und zwar sehr schnell. Hören Sie von der Union auf, Ihre schon ausgetretenen Pfade noch weiter auszulatschen. ({12}) Hören Sie mit diesen polemischen Auseinandersetzungen auf. ({13}) Gehen Sie mit uns auf die Fachebene. Der Jobgipfel ist ein Aufbruchsignal. ({14}) Letztendlich wollen wir alle, dass die Steuersätze im Unternehmensbereich mit Blick auf Europa gesenkt werden und auch Entlastungen für die kleinen und mittelständischen Unternehmen erreicht werden. Natürlich wollen auch wir keine Finanzlöcher. ({15}) So ist es - Frau Merkel ist jetzt gerade nicht anwesend vereinbart. Alle Seiten - ich sage das wirklich sehr ernst -, Rot-Grün und die Union, müssen jetzt an der Umsetzung dieser beiden Gesetzentwürfe konstruktiv arbeiten. ({16}) Fest steht: Wir sind für Finanzierungsvorschläge gesprächsbereit. ({17}) Die Union ist bis heute - genau das ist das Problem - dafür, die Steuersatzsenkungen umzusetzen, sagt aber, dass das, was an Finanzierungsvorschlägen vonseiten des Finanzministeriums vorliegt, im Kabinett von Rot-Grün verabschiedet, ({18}) nicht ausreichend ist. Sie selbst hat aber noch keinen einzigen Vorschlag gemacht. Ich finde, Folgendes gehört auch zur demokratischen Ordnung: Wenn man sich auf einem Gipfel an der Diskussion beteiligt - Herr Stoiber war da und mein bayerischer Freund Faltlhauser, der Finanzminister, sitzt auf der Bundesratsbank - und eine Vereinbarung trifft, dann kann man diese Vereinbarung nicht einseitig aufkündigen. Man kann nicht sagen: Für die unangenehmen Sachen sind die anderen zuständig und wenn uns das Ganze nicht passt, dann machen wir überhaupt keinen Vorschlag. - Vielmehr muss man konstruktiv mitarbeiten. ({19}) Ziel ist natürlich, dass wir in Richtung Rechtsformneutralität gehen. Das ist überhaupt keine Frage. Dazu gibt es auch einen Vorschlag von den Grünen. Herr Stoiber hat diesen Vorschlag der Grünen übrigens öffentlich als mehr oder weniger guten Vorschlag bezeichnet. ({20}) Er hat auch die Wortwahl übernommen. Inzwischen bin ich gespannt, was der Finanzminister sagen wird. In Fernsehsendungen hat sich der bayerische Ministerpräsident in dieser Frage eindeutig geäußert. ({21}) Fest steht aber auch, dass es keinen Sinn macht, ({22}) die Körperschaftsteuer zum jetzigen Zeitpunkt - das ist von Herrn Glos gesagt worden, der immerhin CSU-Landesgruppenchef ist, das ist von Herrn Dr. Meister und auch von Edmund Stoiber unterstrichen worden - nur auf 22 Prozent zu senken. ({23}) Sehr geehrte Damen und Herren von der Opposition, wenn man so etwas tut, dann muss man es richtig tun. ({24}) Wir brauchen auch für Investoren ein europapolitisches Signal. ({25}) Es macht keinen Sinn, in Holperschritten Steuersätze zu senken, die uns international keinen Schritt nach vorne bringen. ({26}) Wenn wir es machen, dann machen wir es gescheit. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. ({27}) Ich bitte Sie - das sage ich zum dritten Mal -, sich daran konstruktiv zu beteiligen. ({28})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Sie können Ihre Rede jetzt freiwillig beenden, aber Sie können sie nach Überschreiten der Redezeit nicht noch durch das Zulassen einer Frage verlängern.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist sehr schade; denn ich hätte gerne gehört, was Herr Kalb dazu zu sagen hat. Vielleicht hätte er für die Union einen Vorschlag gemacht, wie sich die Union die Finanzierung dieser Steuersenkung vorstellt. ({0}) Ich hoffe, wir kommen in der Auseinandersetzung wieder auf einen ruhigen Pfad und können die Polemik insgesamt beenden. ({1}) Dann können wir für das Land gemeinsam entscheiden, wohin wir wollen. Wir von Rot-Grün wissen, wohin wir wollen. Beteiligen Sie sich daran. Das wäre schön. Danke schön. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zu einer Kurzintervention erhält das Wort der Kollege Hans Michelbach für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nachdem Sie die Frage des Kollegen Bartholomäus Kalb nicht zugelassen haben, bitte ich Sie - ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Einen Augenblick, bitte. Gelegentlich empfehle ich vor unnötigen Zwischenrufen, einen Blick in die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zu werfen. Nach dieser ist es völlig unerheblich, ob es für eine Wortmeldung zu einer, wie es in der Geschäftsordnung heißt, Zwischenbemerkung einen unmittelbaren Anlass gibt, den der vorherige Redner geboten hat. Im Übrigen muss ich auch nicht darauf hinweisen, dass die meisten solcher Anlässe notfalls kunstvoll hergestellt werden. ({0}) Nun hat der Kollege Michelbach wieder das Wort.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, vielen Dank für diese Klarstellung der Geschäftsordnungslage. Das ist sehr erhellend. Sehr geehrte Frau Kollegin Scheel, trotz besseren Wissens haben Sie immer wieder die Behauptung aufgestellt, die Kosten von deutschen Investitionen im Ausland würden in Deutschland steuerlich begünstigt. Ich will Ihnen noch einmal deutlich machen, dass dies ökonomisch und steuerrechtlich grundsätzlich falsch ist. Wir haben Ihnen dies im Finanzausschuss mehrfach erklärt, Sie aber wiederholen diese falsche Behauptung immer wieder, hier und in Tageszeitungen. Dieser Steuerpopulismus schadet uns. Fakt ist: Viele Arbeitsplätze in Deutschland werden gerade bei der schwierigen Binnenkonjunktur dadurch gesichert, dass Märkte erschlossen und einfache Vorprodukte, die im Ausland gefertigt wurden, eingeführt und hier zu einem Gesamtprodukt zusammengefügt werden. Die Betriebe, die im Ausland Investitionen tätigen, erhalten keine Steuersubventionen. Im Gegenteil: Die Gewinne werden im Ausland voll versteuert. Der Ertrag, der zur Muttergesellschaft nach Deutschland kommt, wird mit 5 Prozent besteuert und dann erfolgt noch einmal beim Eigentümer eine Besteuerung nach dem Halbeinkünfteverfahren. Die Investitionen deutscher Unternehmen im Ausland werden also dreimal besteuert. Deswegen unterlassen Sie endlich Ihre falsche Behauptung. Sie heizen damit im Bereich des Steuerrechts dieselbe Stimmung an, die Herr Müntefering anzuheizen versucht. Sie können als Vorsitzende des Finanzausschusses nicht fortgesetzt falsche Behauptungen in die Öffentlichkeit tragen. ({0}) Das akzeptieren wir nicht. Selbst die SPD hat dafür im Finanzausschuss kein Verständnis mehr gehabt. Ich darf Sie bitten, keine Nebelkerzen mehr zu werfen, sondern zu einer seriösen Steuerpolitik zurückzukehren. Vielen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zur Erwiderung Frau Kollegin Scheel. ({0})

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Michelbach, Sie sind doch jemand, der immer wieder fordert, dass wir Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften gleichbehandeln sollen. Sie sind jemand, der fordert, genau wie Herr Dr. Meister das heute getan hat, was ich übrigens richtig finde, dass wir, was die Unternehmensbesteuerung anbelangt, zu einer rechtsformneutralen Lösung kommen sollten. Können Sie mir bitte einmal erklären, warum Personengesellschaften eine andere Regelung haben, was steuerliChristine Scheel che Abzugsfähigkeiten für Kosten im Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen anbelangt, als das bei den Körperschaften der Fall ist? ({0}) Wir haben bei den Körperschaften die Situation, dass es steuerfreie Einnahmen gibt, auf der anderen Seite aber ein steuerliches Abzugsverbot für Kosten im Zusammenhang mit diesen steuerfreien Einnahmen so nicht existiert. Unser Ziel ist eine Gleichbehandlung von Personengesellschaften und Körperschaften. Wir müssen uns gemeinsam überlegen, wie wir diesem Ziel näher kommen. Jedenfalls kann es nicht sein, dass man sich - die Entwicklung hat in den letzten Jahren zugenommen - über Abzugsmöglichkeiten in Deutschland steuerlich auf Kosten derjenigen, die hier Steuern zahlen, saniert. ({1}) Die Konsequenz ist nämlich, dass die Verlagerung von Arbeitsplätzen steuerlich indirekt subventioniert wird. Das ist der Punkt. Dafür bedarf es einer Lösung. Ich bitte Sie, zu bedenken, dass es für Personengesellschaften und für Körperschaften eine gemeinsame Zielrichtung gibt. Personengesellschaften können das nämlich nicht. International operierende Unternehmen aber können das. Ich weiß, dass wir eine europataugliche Regelung brauchen. Das ist richtig. ({2}) Es gibt Vorschläge, die nicht europarechtswidrig sind, über die wir im Verfahren diskutieren werden. Danke schön. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Staatsminister für Finanzen des Freistaats Bayern, Professor Faltlhauser. ({0}) Dr. Kurt Faltlhauser, Staatsminister ({1}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich bin ich ja für 9 Uhr hierher bestellt worden. ({2}) Die Absetzung der Einbringung des Gesetzes scheint mir ein bemerkenswerter Vorgang zu sein. ({3}) Ich habe den Eindruck, Schröder laufen die Truppen von den Fahnen. Wie will denn die Bundesregierung Deutschland energisch voranbringen, wenn sie bei einem Projekt, das sie inhaltlich und zeitlich selbst für bedeutend hält, nicht einmal einen Gesetzentwurf im Bundestag einbringen kann? ({4}) Ich glaube, dieser Vormittag zeigt in diesem Punkt die Handlungsunfähigkeit. ({5}) Ich will mit Blick auf die FDP festhalten: Selbstverständlich muss klar sein, dass sich die Steuerpolitik - das gilt aktuell wie auch für die nächsten Jahre - vorrangig der Aufgabe widmen muss, Vereinfachungen zu erreichen, damit das Steuersystem wieder verständlich wird und im Ergebnis auch wirksam sein kann. ({6}) Ich stelle fest, dass die Bundesregierung keine Vorarbeiten für eine große Steuerreform getroffen hat, Herr Poß. ({7}) Die Opposition hat dies sehr wohl getan. In diesem Haus liegt ein einstimmig beschlossener Entwurf der CDU/ CSU vor, der das gesamte Einkommensteuerrecht bis ins Detail abdeckt. ({8}) Er muss zwar noch um die Komplexität der Unternehmensteuerreform ergänzt werden, aber - dies hat Herr Koch heute in der Presse angekündigt - wir werden in diesem Jahr rechtzeitig vor den Wahlen ein Gesamtkonzept vorlegen. Dabei handelt es sich nicht um ein völlig neues, sondern um ein ausgearbeitetes Konzept. Ich hätte mir gewünscht, dass die Bundesregierung ein solches Konzept vorgelegt hätte. Das ist ihre Aufgabe. ({9}) Beim Jobgipfel wurde hinsichtlich der Vorschläge zur Steuersenkung - die wir ausdrücklich begrüßen, Frau Hendricks - die volle Gegenfinanzierung klar vereinbart. Damit ist eine belastbare Gegenfinanzierung gemeint. Gegenfinanzierung heißt nicht, dass irgendwelche Steuerentlastungen auf Pump vorgenommen werden. Dies ist heute nicht mehr vertretbar. Eine volle Gegenfinanzierung bedeutet: keine virtuellen Einnahmen, keine Einnahmen nach dem Prinzip Hoffnung. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf Nordrhein-Westfalen zu sprechen kommen. NordrheinWestfalen wird nach der jüngsten Steuerschätzung im nächsten Jahr wohl zusätzliche Einnahmeausfälle in Höhe von 1,5 Milliarden Euro zu verkraften haben. Wie soll die dortige Regierung - sicherlich eine andere als jetzt - dann noch zusätzlich Löcher stopfen können, die Staatsminister Dr. Kurt Faltlhauser ({10}) sich aus irgendwelchen virtuellen Einnahmen ergeben, wie es nach den Vorstellungen der Bundesregierung notwendig wäre? Insofern muss die Gegenfinanzierung solide sein. Wir haben doch beim Amnestiegesetz bereits entsprechende Erfahrungen gemacht, meine Damen und Herren von der Regierungsseite. Zunächst hatte man auf 20 Milliarden Euro gehofft. Im Gesetz selber ging man dann noch von 5 Milliarden Euro aus. Im Ergebnis sind es dann 1,2 Milliarden Euro geworden. Aus dieser Erfahrung muss man doch lernen. Es geht doch nicht an, auch weiterhin von solchen Hoffnungen auszugehen, ({11}) wie es im Gesetzentwurf der Bundesregierung der Fall ist. Darin heißt es: Durch die Senkung des Körperschaftsteuersatzes wird bei vorsichtiger Schätzung - ich betone: bei vorsichtiger Schätzung. davon ausgegangen, dass zunächst 6,5 Milliarden Euro zukünftig wieder der deutschen Besteuerung unterworfen werden, da sich eine Gewinnverschiebung in ein anderes EU-Land vielfach steuerlich nicht mehr lohnt. Hieraus ergeben sich Mehreinnahmen von 2,2 Milliarden Euro. ({12}) Das ist doch eine Illusion. Sie können doch nicht glauben, dass Unternehmen in Massen zur Besteuerung in dieses Land zurückkehren, in dem gleichzeitig die Gewinnerwirtschaftung durch die Unternehmen verteufelt wird und eine rüde Kapitalismusdebatte stattfindet. Dahin kehrt kein einziger Unternehmer zurück. ({13}) Das Vertrauen in dieses Land ist zerstört. Deshalb werden die Unternehmer nicht zurückkehren. Insofern ist die Annahme, dass zusätzliche Einnahmen in Höhe von 2,2 Milliarden Euro anfallen werden, in höchstem Maße illusionär.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Dr. Kurt Faltlhauser, Staatsminister ({0}): Nein. - Auf der Grundlage dieser virtuellen Einnahmen können Sie mit uns keine seriöse Vereinbarung schließen. ({1}) - Auch wenn Sie so laut schreien, retten Sie NordrheinWestfalen nicht mehr, Herr Poß. ({2}) Ich habe den Eindruck, das ist ein Hilferuf nach außen. ({3}) Sie machen bis zum übernächsten Sonntag nichts mehr gut. ({4}) Lassen Sie mich etwas zu der Möglichkeit der Verlustverrechnung anmerken, deren Beschränkung Sie auf 50 Prozent anheben wollen. Wir haben bereits im Vermittlungsausschuss deutlich gemacht: Der Sinn des Jobgipfels liegt doch in der Schaffung von Arbeitsplätzen. Mit dieser Erhöhung der Mindestbesteuerung vernichten Sie aber Arbeitsplätze. Das ist die Realität. Das ist das Gegenteil von dem, was wir wollen. ({5}) Auch die Hebung der stillen Reserven bei Unternehmensimmobilien, um die es in der Debatte um REITs geht, ist kompliziert genug. Aber davon Steuermehreinnahmen in Höhe von 700 Millionen Euro oder mehr zu erwarten, ist doch, halten zu Gnaden, windig. So etwas können wir doch nicht ernsthaft diskutieren wollen. ({6}) Ich bin bis zur Hälfte mit der Finanzierung - also 2,5 Milliarden Euro - einverstanden. Alles, was darüber liegt - bis zu den 5,2 Milliarden Euro -, ist ein unseriöser Ansatz. Sie brauchen auch nicht mit dem ausgestreckten Finger auf die Opposition zu zeigen. Es ist doch Ihre Aufgabe, seriöse Vorschläge zu machen. Das ist die Aufgabe der Regierung. Lassen Sie mich noch etwas zum Erbschaftsteuergesetz sagen. Pro Jahr stehen etwa 70 000 Unternehmen an der Schwelle zu einem Generationenwechsel. 10 000 davon hören dabei auf zu existieren. Richtig ist zwar, dass es schon heute eine Stundungsregelung gibt. Aber diese ist für einen Vergleich völlig ungeeignet; denn die Voraussetzungen für eine Stundung sind restriktiv und durch die Rechtsprechung noch restriktiver geworden. Die kann kein Unternehmen erfüllen. Wer das zum Maßstab für den zukünftigen Erfolg des Gesetzes nimmt, hat keine Ahnung. ({7}) Die Praxis wird beweisen, dass die von uns vorgeschlagene Regelung tatsächlich greift und Arbeitsplätze erhält. Gott sei Dank hat die Bundesregierung das erkannt und einen - abgesehen von zwei Abweichungen - wortgleichen Gesetzentwurf vorgelegt. Aber das Gesetz steht nur auf einem Bein. Es kann doch nicht angehen, dass eine Regierung ein großes Gesetzeswerk ohne Gegenfinanzierung verabschiedet. Das hat es noch nie gegeben. Wohin sind Sie denn gekommen, Frau Hendricks? Das geht doch nicht. Wenn Sie einen Gesetzentwurf vorlegen, müssen Sie auch für eine entsprechende Gegenfinanzierung sorgen. Wir haben das getan. ({8}) Staatsminister Dr. Kurt Faltlhauser ({9}) Zur Gegenfinanzierung will ich noch eines sagen: Frau Hendricks, wenn wir mit einer Gegenfinanzierung in einer Größenordnung von 2,5 Milliarden Euro einverstanden sind, dann kommen Sie auf eine Senkung des Körperschaftsteuersatzes auf 22 Prozent. - Frau Hendricks, Sie irren nicht nur in der Politik, sondern nun sogar auch hier herum. ({10}) Wenn Sie also von einer Gegenfinanzierung in Höhe von 2,5 Milliarden Euro ausgehen, dann können Sie den Körperschaftsteuersatz auf 22 Prozent senken. Das heißt nicht, dass das unser Ziel ist. Aber bis dahin reicht es. Darüber hinaus muss die Bundesregierung zusätzliche Vorschläge vorlegen. Es ist dann logisch, dass man das auf die Besteuerung der Dividenden umlegt. Herr Solms, es ist aber keine Erhöhung, sondern eine Anpassung der Dividendenbesteuerung an eine Senkung der Körperschaftsteuer.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Minister, darf die von Ihnen angesprochene Kollegin Hendricks eine Zwischenfrage stellen? Dr. Kurt Faltlhauser, Staatsminister ({0}): Aber sehr gerne, Frau Kollegin. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Dr. Barbara Hendricks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002672, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Faltlhauser, darf ich Ihnen die Frage zurückgeben? - Sie haben mich gerade mehr oder weniger rhetorisch gefragt, wohin wir gekommen seien, und gesagt, das habe es noch nie gegeben, dass eine Regierung einen Steuergesetzentwurf ohne Gegenfinanzierung vorgelegt habe. Darf ich Sie daran erinnern, dass erstens jede Nettoentlastung notwendigerweise ohne Gegenfinanzierung stattfinden muss und dass zweitens diese Bundesregierung Nettoentlastungen in einer Größenordnung von 56 Milliarden Euro für Familien, Arbeitnehmer und mittelständische Unternehmen durchgesetzt hat? Darf ich Sie im Übrigen daran erinnern, dass es gerade Ihre Seite - nicht zuletzt Frau Merkel - war, die uns immer dann, wenn wir eine Gegenfinanzierung angemahnt haben, das Wort von „rechter Tasche, linker Tasche“ vorgehalten hat? ({0}) Dr. Kurt Faltlhauser, Staatsminister ({1}): Frau Kollegin, zum Thema Gegenfinanzierung zwei Antworten: Erstens. Ich habe gestern und heute in den Zeitungen gelesen, dass Herr Eichel behauptet: Die Löcher, die nun im Haushalt entstanden sind, sind nicht zuletzt deshalb da, weil die Opposition im Bundesrat nicht bereit ist, den Abbau bestimmter Subventionen mitzutragen. ({2}) Er sagt weiter: Das Erste und das Wichtigste ist dabei die Abschaffung der Eigenheimzulage. - Der Regierung fehlen nach unserer Schätzung 10 Milliarden bis 15 Milliarden Euro. Wenn man die Eigenheimzulage abschafft, dann hat man im ersten Jahr 200 Millionen Euro und im zweiten Jahr 1,5 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung. Damit wollen Sie diesen Riesenkrater füllen? Was soll das? Eine derartige Schauveranstaltung von Herrn Eichel ist unglaublich. ({3}) Zweitens. Frau Kollegin, das, was Sie zur Nettoentlastung sagen, ist zwar richtig. Aber eine solche war nicht angekündigt. Auf dem Jobgipfel ist gemeinsam vom Bundeskanzler und den beiden Parteivorsitzenden vereinbart worden, dass es eine volle und belastbare Gegenfinanzierung gibt. ({4}) Dazu haben Sie nichts vorgelegt. Sie hätten ja sagen können: Ich will diese Erbschaftsteuerregelung nicht. Aber die Bundesregierung hat sie beschlossen. Offenbar gibt es in Ihren Reihen - die entsprechenden Leute sind nicht anwesend - ein Murren. Das ist der eigentliche Grund, warum Sie dafür gesorgt haben, dass die Debatte über die Körperschaftsteuer abgesetzt wird. Das, was Sie aufführen, ist eine erbärmliche Veranstaltung. ({5}) Frau Kollegin Hendricks, um Sie zu trösten, möchte ich noch etwas zu dem Wunderfinanzierungsvorschlag von Frau Scheel sagen. Hier bin ich nämlich völlig Ihrer Meinung. Sie haben der Vorsitzenden des Finanzausschusses ein ausgezeichnetes zweiseitiges Papier zugeschickt. ({6}) Dieses Papier entspricht völlig meiner Auffassung. Da heißt es: Die Vorstellung von Frau Scheel verfälscht und verkürzt die tatsächliche Rechtslage. ({7}) Außerdem heißt es: Die Umsetzung des Absetzungsverbots scheitert aber regelmäßig daran, dass es praktisch nicht möglich ist, die nicht abziehbaren Betriebsausgaben den Beteiligungserträgen direkt zuzuordnen. Dann heißt es: Nicht zuletzt hätte eine Verschärfung des Betriebsausgabenabzugsverbotes zudem nachteilige standortpolitische Wirkungen. - Sehr wahr, Bundesregierung! Ich fordere Sie auf: Einigen Sie in dieser Koalition sich endlich auf wichtige steuerpolitische Maßnahmen. ({8}) Sie haben völlig unterschiedliche Auffassungen. Sie selbst versagen und geben dem Bundesrat die Schuld. Es kommt auch vor, dass der eine Koalitionspartner etwas völlig anderes als der andere sagt. Dieses Doppelspiel muss endlich aufhören. ({9}) Staatsminister Dr. Kurt Faltlhauser ({10}) Ich glaube, dass der Jobgipfel und die entsprechenden Steuersenkungsvorhaben eine Chance sind. Diese Chance muss aber entschlossen und auch korrekt genutzt werden. Frau Hendricks, ich glaube, dass die Bundesregierung hier noch viele Hausaufgaben machen muss. Wir sind zwar konstruktiv eingestellt, aber wir sind nicht diejenigen, die für Sie die Arbeit erledigen. Sie sind gewählt worden, um konkrete Vorschläge zu machen. Machen Sie sie endlich! ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Carl-Ludwig Thiele für die FDP-Fraktion.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Am 17. März hat der Bundeskanzler hier, im Plenum des Deutschen Bundestages, eine Regierungserklärung abgegeben ({0}) und am Nachmittag fand im Kanzleramt der Jobgipfel statt. Dort hat der Bundeskanzler nach Abstimmung mit den Grünen erklärt, dass die Körperschaftsteuer gesenkt und der Betriebsübergang für Familienunternehmen erleichtert werden soll. Das Kabinett hat dann mit den Stimmen der grünen Minister einen solchen Gesetzentwurf beschlossen. Heute, knapp zwei Monate später, sollte dieser Gesetzentwurf hier im Deutschen Bundestag debattiert werden. Ich muss fragen - ein Großteil der Debatte dreht sich um genau diese Entwürfe -: Warum debattieren wir über diese Entwürfe hier eigentlich nicht ordentlich? Warum liegen diese Entwürfe hier nicht vor? ({1}) Das hat einen ganz simplen Grund: Am Dienstag fingen die Grünen an, dem Kanzler auf der Nase herumzutanzen. Die Fraktion der Grünen hat sich geweigert, diesen Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag einzubringen. Darum wurde die heutige Debatte abgesetzt. ({2}) Das zeigt: Die rot-grüne Koalition ist überhaupt nicht mehr handlungsfähig. Parallel zeigt die Steuerschätzung vom gestrigen Tage, dass die gesamte Politik von Rot-Grün ein einziges Chaos, eine einzige Konfusion darstellt. ({3}) Unser Finanzminister hieß einmal „der eiserne Hans“. ({4}) In seinen Hochzeiten erklärte er: Im Jahr 2005 werden wir keine Neuverschuldung mehr haben und ab dem Jahr 2006 wird der Staatshaushalt Überschüsse produzieren. Nun zeigt die Steuerschätzung, dass es in den nächsten Jahren ein Steuerloch in Höhe von 68 Milliarden Euro geben wird. Das ist das Ergebnis einer gescheiterten Politik. Über dieses Ergebnis kann man nicht hinwegtäuschen, indem man sagt: Im ersten Quartal gab es ein Wachstum von 1 Prozent. Darüber freuen auch wir uns. Aber die Regierung ist von 1,7 Prozent ausgegangen und auch dieser Wert ist nicht erreicht worden. ({5}) In neun Tagen ist Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Die letzte rot-grüne Landesregierung, die es in Deutschland als Auslaufmodell überhaupt noch gibt, steht auf dem Prüfstand. Es sind schwierige Zeiten für Rot-Grün. Ich erinnere mich noch an früher: Gerade in der SPD galt in schwierigen Zeiten immer, Solidarität mit seinen Partnern zu üben. Jetzt erleben wir, wie sich die Grünen vor der Landtagswahl in NRW gegenüber ihrem Koalitionspartner SPD in unglaublicher Weise profilieren. Der Kabinettsentwurf wird von den Fraktionen nicht übernommen und die Vorsitzende des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, Frau Scheel - derzeit zieht sie dem Verfolgen der Debatte das Telefonieren vor -, ({6}) hat erklärt, dass es in der nächsten Sitzungswoche nur einen Gesetzentwurf der Regierung und keinen der Koalitionsfraktionen geben wird. Heute haben wir die vorläufige Tagesordnung für die nächste Sitzungswoche erhalten und auf dieser Tagesordnung steht ein solcher Koalitionsentwurf nicht; darauf steht nur die Debatte über die beiden Regierungsentwürfe. Wenn das in der nächsten Sitzungswoche aber das Einzige ist, über das wir uns in dem Zusammenhang unterhalten, frage ich mich: Warum haben wir das dann nicht heute schon behandelt? ({7}) Warum konnte dann heute nicht zumindest über die Regierungsentwürfe förmlich diskutiert werden? - Das ist ein abenteuerliches Verhalten. Das zeigt: Solidarität ist eine Sekundärtugend - so wurde sie von Lafontaine einmal bezeichnet - und diese Sekundärtugend ist den Grünen fremd. Sie zeigen Solidarität nicht einmal gegenüber dem Koalitionspartner SPD. Das führt dazu, dass die SPD die Grünen öffentlich beschimpft und sagt, die Grünen sollten aufhören, Pfeile aufs eigene Lager zu schicken. Ein solcher Koalitionspartner ist kein Partner, mit dem man verantwortungsvoll Politikmodelle, über die wir ja diskutieren können, verfolgen kann. Wer in einer solchen Form zeigt, dass er überhaupt keine Rücksicht auf den Partner nimmt, der hat Vertrauen verspielt. Ich wünsche mir, dass wir zu einer Einigung in diesem Bereich kommen. Die FDP steht dafür bereit. Gerade bei der Erbschaftsteuer geht es um das Modell, das die FDP als einzige Partei ins Wahlprogramm geschrieben hat. Einen Punkt verstehe ich an der Stelle allerdings nicht. Wie lässt sich dann, wenn der Betriebsübergang erleichtert werden soll, eine Grenze von 100 Millionen Euro rechtfertigen? Wir halten sie für verfassungswidrig. Es wird ja gesagt, die Arbeitsplätze stünden im Vordergrund. Bei Kapitalgesellschaften ist es so: Wenn ein Aktionär verstirbt, wird das Depot bewertet, ein Wert festgelegt und die entsprechende Summe gezahlt. Die Aktiengesellschaft verliert keinen Cent Kapital. Das ist im Mittelstand anders.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme sofort zum Ende, Herr Präsident. - Wir brauchen aber eine Stärkung des Mittelstands, weil dort die Arbeitsplätze sind. Es macht keinen Sinn, zu sagen: „Bei 100 Millionen Euro, also wenn ein Unternehmen besonders erfolgreich ist, gilt das nicht mehr“; denn diese Firmen haben genau dieselben Probleme. Insofern appelliere ich an die Union, diese Grenze zu überprüfen. Herzlichen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile der Kollegin Gabriele Frechen, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Gabriele Frechen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003529, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Dr. Wissing, ich bin Ihnen ausgesprochen dankbar dafür, dass Sie Ihren Regierungsentwurf, den Sie zurückgezogen haben, noch einmal erwähnt haben. ({0}) - Ihren Gesetzentwurf, Entschuldigung. Sie werden aber auch ab 2006 keine Regierungsentwürfe machen, auch wenn sich Herr Thiele hier gerade als neuer Koalitionspartner - statt der Grünen - angebiedert hat. ({1}) Ich habe so die Möglichkeit, noch einmal klipp und klar zu sagen, was die Sachverständigen von Ihrer Steuerpolitik halten. Die kamen übereinstimmend zu dem Ergebnis: Nach Ihrem Entwurf gibt es eklatante Verschiebungen von unten nach oben. In den unteren Einkommensbereichen nehmen die Belastungen zu und in den oberen Bereichen nehmen die Entlastungen zu. Das ist Ihre Politik, was Steuern anbelangt. Soziale Gerechtigkeit - Fehlanzeige. ({2}) Auf Ihre Große Anfrage, die heute auf der Tagesordnung steht - auch wenn es ungewöhnlich ist, möchte ich über das sprechen, was auf der Tagesordnung steht -, komme ich gern zurück. Die Bundesregierung hat Ihnen geantwortet: niedrigere Steuersätze, weniger Ausnahmen und kein Reformschritt ohne Vereinfachung. Die Bundesregierung wird ihre Steuerpolitik auch in Zukunft an diesen bewährten Maximen ausrichten. ({3}) Diese Auffassung teilt die SPD-Bundestagsfraktion voll und ganz. - Ich habe gewusst, dass an der Stelle ein Zwischenruf kommt. Ich werden Ihnen das nachweisen, Herr Dr. Wissing. Erste Maxime: niedrigere Steuersätze. Zu Ihrer Zeit musste jeder und jede Steuerpflichtige vom ersten steuerpflichtigen Euro an - wir hatten damals noch die D-Mark; aber die Kolleginnen und Kollegen können insoweit, denke ich, folgen - 25,9 Cent Einkommensteuer bezahlen. Heute sind es noch 15 Cent. Wir haben den Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent sowie den Körperschaftsteuersatz auf 25 Prozent gesenkt. Die Planung für die nächste Zeit sieht eine Senkung auf 19 Prozent vor. Das ist in Europa wettbewerbsfähig. ({4}) Herr Dr. Meister, Sie haben eben angemerkt, dass die Personengesellschaften nichts von der Senkung des Körperschaftsteuersatzes hätten. Da gebe ich Ihnen Recht. Aber was ist denn mit der Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer? So etwas hat es zu Ihrer Zeit nie gegeben. Für Personengesellschaften ist doch die Gewerbesteuer heute überhaupt kein Thema mehr. ({5}) Sie sehen also, die erste Maxime wurde voll erfüllt. Zweite Maxime: weniger Ausnahmen. Jetzt könnte ich natürlich das von Ihnen blockierte Steuervergünstigungsabbaugesetz anführen oder die Eigenheimzulage. Das ist aber, wie ich denke, schon zu oft getan worden. Ich gehe noch ein bisschen weiter in die Vergangenheit zurück. Erinnern Sie sich noch an das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002? ({6}) Darin enthalten waren: Begrenzung der Verlustverrechnung, Streichung der Abzugsfähigkeit von Verlusten aus ausländischen Betriebsstätten in DBA-Staaten, Beseitigung des Missbrauchs beim Zwei-Konten-Modell, Abzugsverbot von Schmier- und Bestechungsgeldern im Ausland. Das sind nur vier von 70 Ausnahmen, die mit diesem Gesetz wirksam beseitigt wurden. Das Finanzamt Bad Homburg, ein Finanzamt mit zugegebenermaßen überdurchschnittlich vielen gut verdienenden Menschen, musste noch 1997 3,1 Millionen Euro mehr an Einkommensteuer auszahlen, als es eingenommen hatte. Im Jahr 2001 dagegen betrug die veranlagte Einkommensteuer 128,3 Millionen Euro und in 2002 181,9 Millionen Euro. ({7}) Also war auch die zweite Maxime erfolgreich. ({8}) Dritte Maxime: Vereinfachung. Wer hätte nicht gerne ein Steuerrecht, das einfach und gleichzeitig gerecht ist und dem Staat die Einnahmen bringt, die er zur Erfüllung seiner Aufgaben braucht? ({9}) Aber keines der konkurrierenden Modelle - das haben die Landesfinanzminister festgestellt; ich erinnere an die Diskussion von vor drei Wochen - erfüllt diese Bedingungen. Ein Modell ist nämlich entweder einfach oder gerecht. Beides geht nicht. Die Folge der Umsetzung eines der Reformmodelle wäre, dass eine Umverteilung von unten nach oben vorgenommen würde. Das gilt übrigens auch für das Modell, das sich die Union auf die Fahnen geschrieben hat und mit dem im Moment Herr Rüttgers versucht, den Menschen in Nordrhein-Westfalen Sand in die Augen zu streuen. ({10}) Die Vereinfachung besteht nämlich unter anderem darin, dass Sie die Pendlerpauschalen sowie die Steuerbefreiung für Sonn- und Feiertagsarbeit und für Nachtzuschläge streichen wollen. Auf dieser Basis wollen Sie die Steuersätze senken. Wenn Sie noch mehr Beispiele brauchen, empfehle ich Ihnen, meine Rede von vor drei Wochen durchzulesen. Bergmannsprämie, Wohngeld und Mutterschaftsgeld habe ich da erwähnt. Es gibt aber noch einen weiteren Ansatzpunkt für Vereinfachung, nämlich die Steuervereinfachung im Vollzug, so wie es in unserem Antrag steht: Steuervereinfachung betreiben, ohne dabei die Gerechtigkeit aus den Augen zu verlieren. Die Frage, die sich stellt und auf die wir in Nordrhein-Westfalen eine Antwort gefunden haben, ({11}) lautet: Wie machen wir es einfacher für den Steuerpflichtigen? Dafür ist die Höhe des Steuersatzes weniger erheblich. Entscheidend ist das Verfahren. Dienstleistungen, Bürgerorientierung, Härte gegenüber Steuerhinterziehern zeigen und zuvorkommend gegenüber Steuerehrlichen sein - das sind die Dinge, auf die es ankommt. ({12}) Der SPD-Finanzminister Jochen Dieckmann hat die vereinfachte Steuererklärung in Nordrhein-Westfalen zusammen mit Finanzbeamtinnen und Finanzbeamten entwickelt, erprobt und auf alle Finanzämter in NRW ausgeweitet. Ich will meinen Rat aus der letzten Sitzungswoche wiederholen: Besuchen Sie doch endlich eines der dieses Verfahren anwendenden Finanzämter, zum Beispiel in Bochum, Geldern oder Herne. Ein Zufriedenheitsgrad von 96 Prozent der betroffenen Steuerpflichtigen spricht für Jochen Dieckmann. ({13}) Zwei von drei Steuerpflichtigen können damit ihre Steuerklärung auf einem einzigen Blatt Papier abgeben. Wer Kinder hat, braucht zwei Blätter. Für mehr als die Hälfte der Steuerpflichtigen wird damit die Steuererklärung deutlich einfacher und der Gerechtigkeitsanspruch wird nicht angetastet. Da wundert es nicht, dass die Finanzminister aller Länder, also auch Herr Faltlhauser, beschlossen haben, diese Form ab 2005 in allen Bundesländern zuzulassen. Sie sehen, die von Ministerpräsident Peer Steinbrück geführte Landesregierung hält nicht so viel von Steuerutopien, die von Vereinfachung sprechen und Umverteilung meinen. Sein „Bierdeckel“ hat DIN-A4-Format, aber er hat den großen Vorteil, dass es ihn wirklich gibt, und zwar in ganz großer Zahl. ({14}) Wir stimmen überein, dass die Vereinfachungen im Steuerrecht weitergehen müssen, sowohl in der materiellen als auch in der praxisorientierten Anwendung. ({15}) Die Weiterverarbeitung der elektronischen Steuererklärung zur elektronischen Steuerkarte ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg; die Abgabe der Lohn- und Umsatzsteuervoranmeldungen auf elektronischem Weg war ein weiterer. Seit der Einführung von Elster-Lohn sind 35 Millionen elektronische Steuerbescheinigungen übermittelt worden. Jede Lohnbuchhalterin und jeder Auszubildende im Betrieb kann Ihnen sagen, was das an Bürokratieabbau bedeutet. ({16}) Die einheitliche Wirtschaftsidentifikationsnummer soll ein weiterer Baustein sein. Ich gehe davon aus, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Thema ist Ihnen ebenfalls noch bekannt. Eine bundeseinheitliche Wirtschaftsnummer, die die Steuernummer ersetzt und die die Betriebsnummer bei Krankenkassen und Arbeitsagentur sowie die Beitragskontonummer bei der Berufsgenossenschaft und den Kammern ersetzen könnte, klingt bei dem Nummernsalat, den wir in den Betrieben haben, fast wie eine Vision. Es ist aber keine. Dieser Punkt nahm, wie im Protokoll nachzulesen, breiten Raum in der Ausschusserörterung zum Steueränderungsgesetz 2003 ein. Das Ergebnis kennen Sie; es war wie immer: Sie haben Nein gesagt. Stattdessen fragen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, unter Nr. 34 Ihrer Großen Anfrage - man höre! -: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Abschaffung ganzer Steuergesetze das Steuerrecht vereinfacht? Ich finde die Frage echt toll. Ich hoffe nur, dass im Innen- und Rechtsausschuss niemand auf die Idee kommt, Strafgesetze abzuschaffen, um die Bürokratie zu vereinfachen. ({17}) Natürlich führt die Abschaffung von ganzen Gesetzen grundsätzlich zu Vereinfachung, Bürokratieabbau und Einsparungen in der Verwaltung, ({18}) aber nur, wenn man sie ersatzlos streicht, Frau Homburger. Zum ersatzlosen Streichen gehört auch, dass man sich im Klaren ist, was dann passiert, und dass man das den Menschen auch sagt. ({19}) Diese Diskussion hatten wir vor drei Wochen zu dem Bierdeckelkonzept von der CDU/CSU, das auch nicht konkret geworden ist. Ich gebe zu, dass ich ziemlich gespannt war, was sich hinter dem Titel „Herausforderungen der Globalisierung annehmen, Unternehmensteuern modernisieren, Staatsfinanzen durch mehr Wachstum sichern“ verbirgt. Sie hatten - so war in der Presse zu lesen - erwartet, dass unsere Entwürfe zur Umsetzung der Ergebnisse aus dem Jobgipfel diese Woche debattiert werden; sie werden erst nächste Woche debattiert. Also haben Sie ganz schnell ein Papier auf den Weg gebracht. Ich halte es für richtig, dass wir einen Entwurf vorlegen, in dem sich alle Mitglieder der Koalitionsfraktionen wiederfinden, hinter dem alle stehen. Wenn es Differenzen oder Unstimmigkeiten gibt, dann lösen wir sie vorher. Sie wählen einen anderen Weg: Sie haben die Erbschaftsteueränderung aus Bayern ins Konzept 21 übernommen und jetzt eingebracht. Was lese ich heute Morgen im „Handelsblatt“? Bei den Unions-Finanzministern, die gestern zur Finanzministerkonferenz von Bund und Ländern zusammenkamen, wächst das Unbehagen gegen die Erbschaftsteuerreform. ({20}) Also bitte: Wir streiten vorher, Sie streiten hinterher. Wir streiten überhaupt nicht darüber, ob es sinnvoll ist, die Unternehmensnachfolge steuerlich zu erleichtern. Aber wir können sehr wohl über die Gegenfinanzierung streiten. Wir wollen auch nicht darüber streiten, ob man über eine Erhöhung der Dividendenbesteuerung reden kann. Aber wir sollten darüber reden, ob sich eine Entlastung der kleinen und mittelständischen Unternehmen, der Familienunternehmen bei der Erbschaftsteuer nicht innerhalb der Ländersteuern gegenfinanzieren lässt. Die Erbschaftsteuer ist eine Ländersteuer. Deshalb ist es sinnvoll, dass sich die Länderkammer vorrangig damit befasst. Was bei dem Papier, über das Sie heute debattieren wollen, herausgekommen ist, spricht Bände: ({21}) ein dreiseitiger Schnellschuss mit den üblichen Textbausteinen in Floskelform. Ganz am Ende wird die Bundesregierung in vier Spiegelstrichen aufgefordert, ein Konzept für niedrigere Steuersätze vorzulegen, eine rechtsformneutrale Unternehmensbesteuerung darin einzubetten, ({22}) Einsparvorschläge für die Senkung der Steuersätze vorzulegen und die Kapitalismuskritik zu unterlassen. ({23}) Das ist alles, liebe Kolleginnen und Kollegen. Nach meiner Einschätzung klappt die Zusammenarbeit im Finanzausschuss ganz gut. ({24}) - Ich habe ihn gelesen, auch wenn es mir manchmal schwer fällt, das zu lesen, was Sie zu Papier bringen. ({25}) Angesichts dieses Papiers frage ich mich - sicherlich nicht nur ich, sondern auch die Menschen draußen im Land -: Ist es Oppositionspolitikern eigentlich verboten, mitzuwirken, eigene Vorschläge zu machen oder Konzepte zu entwickeln? Für mich ist Ihr Antrag ein Fetzen Papier, der nur Floskeln enthält.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, bevor Sie nun vollends in Begeisterung ausbrechen, möchte ich Sie auf Ihre abgelaufene Redezeit aufmerksam machen.

Gabriele Frechen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003529, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Eine letzte Bemerkung. In der „Westdeutschen Zeitung“ vom 16. April ist zu lesen: Merkels liebstes Konzept: Konzepte einfordern. Ob Körperschaftsteuer oder Lohndumping: Die Union vollzieht eine ordnungspolitische Wende nach der anderen. Ist das Taktik oder Unvermögen? Egal was es ist, liebe Kolleginnen und Kollegen: Auf jeden Fall ist es zu wenig. Ich danke Ihnen. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Hartmut Schauerte, CDU/CSU-Fraktion.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Frechen, da Sie für die gegenwärtig notwendigen Maßnahmen kein Konzept haben - die Koalition ist in diesem Punkt völlig zerstritten; ich komme darauf noch zurück -, beschäftigen Sie sich mit der Vergangenheit, mit lang zurückliegenden Dingen, die - wie wir heute wissen - nicht wirklich geholfen haben; denn die wirtschaftliche und finanzpolitische Situation ist nach wie vor katastrophal. ({0}) Die Steuerschätzung - auch in diesem Punkt ist Ihr Verhalten interessant - weist ein zusätzliches Defizit in den nächsten vier Jahren in Höhe von 66 Milliarden Euro aus. ({1}) Sie haben sich also für den Zeitraum von vier Jahren um 66 Milliarden Euro verschätzt. Sie sagen dazu, es liege nicht an der Bundesregierung, sondern an den Schätzern. ({2}) Entschuldigung! Wo sind wir denn hier? Auf welcher Basis wird denn geschätzt? Es wird auf Basis der Rahmendaten, die die Bundesregierung vorgibt, geschätzt. Dazu gehören die Daten der Bundesregierung hinsichtlich des Arbeitsmarktes und des Wachstums. ({3}) Da sich die Bundesregierung schon seit Jahren jedes Mal katastrophal verschätzt, stelle ich heute die Frage: Ist das nur Pech oder ist das Absicht? ({4}) Meine Antwort ist: Sie verschätzen sich planmäßig, um behaupten zu können, Sie hätten verfassungsmäßige Haushalte. ({5}) Anschließend beschweren Sie sich bei den Schätzern, dass Sie Ihre Zahlen korrigieren müssen. ({6}) Diese Art und Weise, mit den Zahlen umzugehen, ist absolut unseriös. Herr Poß, dass Sie sich so aufregen, zeigt, dass Sie wissen, wie unseriös Sie arbeiten. ({7}) Zweite Bemerkung: Sie legen heute - Sie regieren doch seit sechseinhalb Jahren - einen Antrag zur Steuervereinfachung vor. Was Sie selber machen können, hätten Sie nicht in Ihren Antrag aufnehmen, sondern einfach nur umsetzen müssen. ({8}) Was Sie von anderen in diesem Antrag verlangen, ist Unsinn. Sie können mit diesem Antrag nichts erreichen. Er lenkt nur von Ihrer momentanen Schwäche und von der Tatsache ab, dass Sie nicht mehr wissen, wie es weitergehen soll. Ich komme zu meiner dritten Bemerkung. Was sind Jobgipfel eigentlich noch wert? Früher gab es einmal den „Basta“-Kanzler. ({9}) Der war auch nichts wert. Dann wurde ein Jobgipfel durchgeführt. Die Regierung hat zugesagt, dass sie etwas macht. ({10}) Die Opposition hat zugesagt, dass sie mitwirkt. ({11}) Wir legen heute unseren Gesetzentwurf vor. Aber weil Sie immer noch nicht wissen, was Sie wollen, legen Sie keinen eigenen Gesetzentwurf vor. ({12}) In diesem Zusammenhang gibt es zwei sehr wichtige Entwicklungen. Eine Entwicklung findet bei den Grünen statt. Die Grünen haben uns bestätigt, dass das, was die Bundesregierung bisher vorgelegt hat, völlig unseriös und nicht finanzierbar ist. Die Grünen sind der Meinung, man könne das nicht vorlegen, weil es nicht seriös gegenfinanziert ist. ({13}) Das ist die Entwicklung bei den Grünen. Die SPD hat den Gesetzentwurf ebenfalls nicht vorlegen wollen - jetzt wird es spannend -, weil in der SPD Tag für Tag der Druck wächst, dieses Programm nicht zu verwirklichen. ({14}) Sie stehen auch inhaltlich zunehmend nicht mehr dahinter. Ich äußere hier die große Sorge, dass in der SPD die totale Konfusion eintreten wird, wenn sie in NordrheinWestfalen - was vermutlich passiert - ihre Mehrheit verliert ({15}) und sich die Münteferings mit ihrer Kapitalismuskritik bei diesem Gesetzgebungsvorhaben durchsetzen werden. ({16}) Ich habe die Sorge, dass der Kanzler seine Zusage, die er der Oppositionsführung gemacht hat, nicht durchsetzen kann. Sie sind auf dem besten Wege, diese negative Entwicklung voranzutreiben. ({17}) Nun eine vierte Bemerkung, Thema „Erbschaftsteuer und Kapitalismuskritik“. Im Zusammenhang mit der Erbschaftsteuer wäre es zum Beispiel eine wirklich vernünftige Maßnahme, den Verkaufsdruck und den Abwanderungsdruck von mittelständischen Unternehmern und Unternehmen im Falle des Erbübergangs so zu verringern, ({18}) dass die von Ihnen so kritisierten Hedgefonds deutlich weniger Aufgaben in Deutschland bekommen. ({19}) Das ist eine wirklich praktikable Maßnahme, mit der Arbeitsplätze erhalten werden, was ja unser oberstes Gebot ist. Ich weiß, was bei Ihnen in der Fraktion los ist. Bei diesem Thema haben Sie noch keinen inneren Frieden geschlossen. Die Zahl derer, die dieses Thema kritisieren und sich damit nicht auseinander setzen wollen, wächst stündlich. Ich garantiere: Es wird in den nächsten Wochen - es dauert drei Wochen, bis wir uns wieder mit diesem Thema beschäftigen können, ({20}) und nicht eine Woche, Frau Frechen; diese drei Wochen sind wieder verloren -, also nach der Landtagswahl, aus Ihrer Fraktion eine Serie von Meldungen dazu geben, dass man sich mit diesem Thema nicht mehr beschäftigen will. Ich warne vor dieser Korrektur. Dann haben Sie sich endgültig blamiert und dem Standort Deutschland und dem Fortbestand von Arbeitsplätzen und Unternehmen in unserem Land schweren Schaden zugefügt. Eine letzte Bemerkung: Ich bitte darum, dass wir im Zusammenhang mit der Körperschaftsteuerreform nicht immer nur auf die 19 und die 25 Prozent schielen. Die Unternehmensteuerbelastung in Deutschland ist nach wie vor größer denn 40 Prozent. ({21}) - Natürlich. Haben Sie noch nie etwas von der Gewerbesteuer und vom Solizuschlag gehört? Können Sie nicht rechnen? Rechnen Sie doch einmal: 25 plus 14 plus 3 ergibt eine Steuerbelastung von 42 Prozent. ({22}) Das ist die Unternehmensbelastung in Deutschland. ({23}) Wichtig und interessant, Frau Frechen, ist: Wegen der hohen Gewerbesteuer - ({24}) - Die war bis 1998 sehr hoch, weil wir, als wir sie 1997 senken wollten, von Herrn Lafontaine und weiteren Ministerpräsidenten Ihrer Partei, ({25}) zum Beispiel von dem jetzigen Finanzminister Eichel, daran gehindert worden sind, eine große Steuerreform durchzusetzen. ({26}) Die ist hier im Bundestag verabschiedet und von Ihnen gestoppt worden. Sie haben den deutschen Unternehmen, der deutschen Wirtschaft und den deutschen Arbeitnehmern fünf Jahre verspätet Steuersenkungen geliefert. Wir hätten das fünf Jahre vorher haben können, nämlich beginnend ab 1997. ({27}) Das haben Sie verhindert; das ist schlimm. Noch einmal zurück.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zurück, Herr Kollege Schauerte, heißt in diesem Fall, zum zügigen Ende zu kommen.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- Ja, Herr Präsident. - Die Belastung liegt nach wie vor bei über 40 Prozent. Das ist im europäischen Maßstab immer noch entschieden zu hoch. Ich hoffe, dass Sie beim Wahlergebnis in Nordrhein-Westfalen auch wegen der Höhe der Steuerbelastung eine ganz niedrige Quote zu erwarten haben. Herzlichen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/5448, 15/5450 und 15/5466 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offen- sichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so be- schlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b auf: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der projektbezogenen Mechanismen nach dem Protokoll von Kioto zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen vom 11. Dezember 1997 und zur Umsetzung der Richtlinie 2004/101/EG - Drucksache 15/5447 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger, Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Mehr Klimaschutz zu geringeren Kosten durch nationale Projekte ermöglichen - Drucksache 15/4948 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Ulrich Kelber für die SPD-Fraktion. ({1})

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute beginnt der Deutsche Bundestag einen Gesetzgebungsprozess, mit dem im Rahmen des europäischen Treibhausgasemissionshandels weitere Optionen zum Klimaschutz ermöglicht werden sollen. Das ist eine gute Nachricht, besonders für diejenigen deutschen Unternehmen, die am Emissionshandel teilnehmen; denn zusätzliche Optionen wirken natürlich kostendämpfend. Ganz konkret: Die im Gesetzentwurf vorgesehene Einführung der projektbezogenen Mechanismen des Emissionshandels, Clean Development Mechanism und Joint Implementation, werden helfen, den Börsenpreis für Emissionszertifikate zu senken. Wir liegen in diesem Gesetzgebungsprozess übrigens voll im Zeitplan, auch wenn die Opposition im Vorfeld ritualisiert etwas anderes behauptet hat. Ich hoffe, dass Sie das heute ein Stück weit korrigieren. ({0}) - Man muss nur nach Brüssel schauen, Frau Homburger, um festzustellen: Noch kein einziges anderes Land der Europäischen Union hat dort die nationale Umsetzung gemeldet und in diesen Ländern gibt es keinen Bremsklotz Bundesrat mit einer CDU/CSU-Mehrheit. Dieses neue Gesetz wird es deutschen Unternehmen - beginnend in diesem Jahr - ermöglichen, Emissionsberechtigungen auch durch Maßnahmen in Entwicklungsländern zu erwerben - Stichwort: Clean Development Mechanism -, und ab 2008 sind Maßnahmen in Industriestaaten durch Joint Implementation möglich. Der Gesetzentwurf zeigt, dass es - trotz anders lautender Behauptungen der Opposition im Vorfeld der Beratungen; Sie haben ja Forderungen gestellt, die gar nicht europäisches Recht betreffen - tatsächlich um eine Einszu-eins-Umsetzung der europäischen Richtlinie in nationales Recht geht. Wir wollen kleinen und mittelständischen Unternehmen die Option der projektbezogenen Mechanismen eröffnen. Als einen möglichen Weg hat die Kreditanstalt für Wiederaufbau, die Bank des Bundes, einen Klimaschutzfonds aufgelegt. Hier können sich auch kleine und mittelständische Unternehmen beteiligen; denn man benötigt kein eigenes technisches oder juristisches Know-how, um sich über den Klimaschutzfonds an Projekten im Ausland zu beteiligen. Der Klimaschutzfonds investiert das Geld seiner Anteilseigner in solche Projekte. Die gewonnenen Zertifikate gibt der Fonds dann an seine Eigner aus. Einfacher geht es nicht. Zuletzt rechnete die Bank mit Kosten von 5 Euro pro Zertifikat für eine Tonne CO2-Emissionen. Dieser Preis ist deutlich geringer, als es die aktuellen Börsenpreise sind. Clean Development Mechanism und Joint Implementation haben jeweils ihre eigenen Chancen und Grenzen. Diese muss man benennen. Vor allem hinsichtlich des Clean Development Mechanism ist die Einbindung der Entwicklungs- und Schwellenländer in den Klimaschutz eine große Chance. Wenn man dabei auf die Nutzung von Senken verzichtet, wie es die Europäische Union entschieden hat - hier ist sie mit der Koalition einer Meinung -, kann ein echter Technologietransfer in die Entwicklungs- und Schwellenländer stattfinden. Das könnte ein Baustein für eine Strategie sein, die Entwicklungs- und Schwellenländer davon zu überzeugen, selber konkrete Klimaschutzziele zu übernehmen und damit der Bush-Administration in den USA den wichtigsten Vorwand zu nehmen, sich nicht am internationalen Klimaschutz zu beteiligen. Es gibt aber auch Grenzen für die projektbezogenen Mechanismen. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass die Europäische Union nicht ihre gesamten Klimaschutzanstrengungen durch Maßnahmen außerhalb der Europäischen Union erfüllen sollte. Dann ginge nämlich die Innovationskraft verloren, in Europa selbst neue Technologien zu entwickeln. Genau diese Technologien sind es aber, die unserer Industrie Wettbewerbsvorteile auf den Weltmärkten erschaffen ({1}) und sogar, wenn wir auf Deutschland schauen, in anderen Staaten der Europäischen Union. Außerdem würde die Glaubwürdigkeit der Industriestaaten leiden, wenn wir nicht zu Hause beweisen würden, dass Wohlstand und Klimaschutz zusammengehören und sich nicht widersprechen. ({2}) Deswegen muss die EU den Einsatz der projektbezogenen Mechanismen auf einen bestimmten Anteil der zu erbringenden Emissionsminderungen begrenzen. Dieser Anteil sollte möglichst in der ganzen EU einheitlich sein. Positive Folge einer solchen gemeinsamen europäischen Regelung ist: Staaten wie Deutschland, die bereits einen Großteil ihrer Emissionsminderungen erbracht haben, können für ihre restlichen Maßnahmen relativ unbegrenzt auf die projektbezogenen Mechanismen zurückgreifen. Staaten wie zum Beispiel Italien, die noch weit vom verbindlich eingegangenen Klimaschutzziel entfernt sind, müssten dagegen einen Großteil der Emissionsminderungen im eigenen Land erbringen und auch das ist unsere Hoffnung - auf deutsche Technologien, die wir als Schrittmachernation entwickelt haben, zurückgreifen. Im Gesetzentwurf ist die Frage der Begrenzung der projektbezogenen Mechanismen noch nicht geregelt. Darüber werden wir sicherlich im Rahmen der Fachberatungen sprechen müssen. Der offenen Beratung über Änderungen im Gesetzentwurf stehen wir positiv gegenüber. Dazu zählt auch die Frage der Zulässigkeit nationaler Projekte im Rahmen von Joint Implementation. Darum geht es ja im Antrag der FDP, über den wir heute auch beraten. Ich habe Sympathie für diesen Vorschlag, da er durchaus Potenzial für Vereinfachungen bietet. Im Rahmen der EU ist darüber schon diskutiert worden. Die EU hat beschlossen, über diese Frage in näherer Zukunft zu entscheiden. Allerdings tendiere ich auch hier zu einer europaweit einheitlichen Lösung. Das wäre das Beste für unsere Unternehmen, insbesondere für die Unternehmen, die europaweit agieren; denn bei einer rein nationalen Umsetzung kämen weitere Probleme zu den ohnehin vorhandenen Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung nationaler Projekte hinzu. Man müsste nicht nur auf die Doppelzählung achten, sondern, wenn wir nur national umsetzen, müssten wir neben dem EUEmissionshandel auch ein Gutschriftensystem schaffen. Daher möchte ich vonseiten der SPD-Fraktion ein Angebot zum Antrag der FDP-Fraktion machen: Lassen Sie uns diese Probleme in Kürze in einem überfraktionellen Expertengespräch behandeln - wir sind ja auch von der Kreditanstalt für Wiederaufbau angesprochen worden -, damit wir schauen können, ob wir zu einer einheitlichen, einvernehmlichen Lösung kommen. Zusammenfassend: Die projektbezogenen Mechanismen sind die richtige Ergänzung zu den schon umgesetzten Teilen des Emissionshandels. Wir sollten den heute beginnenden Gesetzesprozess daher zügig abschließen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Marie-Luise Dött, CDU/CSU-Fraktion.

Marie Luise Dött (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003070, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muss mich schon sehr wundern: Vor exakt drei Wochen noch hat Herr Kelber die Plenardebatte um die Umsetzung der EU-Verbindungsrichtlinie als Wahlkampfgetöse der Union abgetan. Dabei handelt es sich um ein bedeutendes Thema: Durch die Verbindungsrichtlinie wird eine Brücke zwischen dem Emissionshandel und den internationalen Klimaschutzbemühungen gebaut. Es wird Zeit, dass diese Instrumente ineinander greifen und sich sinnvoll ergänzen können. Deswegen haben wir vor drei Wochen die Bundesregierung aufgefordert, die entsprechende Gesetzgebung möglichst schnell vorzulegen und auf den Weg zu bringen. In der Plenardebatte hierzu hat sich die SPD-Fraktion leider jeglicher inhaltlichen Aussage zum Thema verweigert. Vielleicht waren Sie einfach noch nicht so weit. Das Versprechen des SPD-Vertreters in der Debatte vor drei Wochen, man könne seine Positionen hierzu auf seiner Internetseite nachlesen, war jedenfalls eine leere Floskel. Ich habe dort nachgesehen, Herr Kelber: Zur Umsetzung der Verbindungsrichtlinie und dem Projekt-Mechanismen-Gesetz findet sich auf Ihrer Homepage gar nichts - keine einzige Position oder Pressemitteilung.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kelber?

Marie Luise Dött (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003070, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, in diesem Falle nicht. Heute scheint sich die Haltung der SPD-Fraktion um 180 Grad gedreht zu haben: Sie sind unserer Forderung nachgekommen und haben zusammen mit den Grünen einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Verbindungsrichtlinie vorgelegt. Dazu war heute auch ein Redebeitrag der SPD zu hören. Beides begrüße ich ausdrücklich. Der Gesetzentwurf ist taufrisch: Gerade einen Tag liegt er dem Bundestag vor. Eine inhaltliche Stellungnahme abzugeben wäre aufgrund der kurzfristigen Vorlage nicht angebracht. Die Komplexität des Themas gebietet es, sich ausführlicher als nur einen Tag mit dem Entwurf auseinander zu setzen. Ich möchte mich daher auf grundsätzliche Erwägungen beschränken. Zum einen werden wir Sie auch in diesem Gesetzgebungsverfahren immer wieder dazu anhalten, saubere gesetzgeberische Arbeit zu leisten; es ist unsere Aufgabe als Opposition, darauf zu achten. Die Vergangenheit lehrt uns, wie wichtig dieser Aspekt ist: Unklare Definitionen und Verweisungen, wie sie zum Beispiel im Zuteilungsgesetz enthalten sind, sollten nicht noch einmal passieren. Ich erinnere hier nur an die Optionsregel, die zwar Arbeitsplätze bei der Anwaltschaft und den Gerichten schafft, in Sachen Rechtsklarheit aber glatt ein Fehlgriff ist. Zum anderen werden wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion darauf achten, dass die Anerkennung der Zertifikate möglichst hier in Deutschland gebunden wird, damit keine Ausweichbewegungen ins Ausland stattfinden. Natürlich besteht die Gefahr, dass die Zertifikate vor allem in den Mitgliedstaaten umgetauscht werden, die die schlankesten und effizientesten Systeme anbieten; die Zertifikate können ja problemlos in Deutschland verwendet werden, egal wo sie umgetauscht wurden. Ein solcher Trend würde sich zuungunsten der kleinen und mittelständischen Unternehmen auswirken, die nicht europaweit aufgestellt sind. Große Firmen haben einen oder mehrere Sitze im europäischen Ausland und können den Umtausch dort vornehmen. Unternehmen, die nur in Deutschland ansässig sind, sind allerdings an das hiesige System gebunden. Um solche Umgehungsbewegungen gar nicht erst aufkommen zu lassen, gibt es verschiedenste Möglichkeiten: Erstens. In Deutschland dürfen die Kosten des Anerkennungsverfahrens nicht höher werden als in den anderen Mitgliedstaaten. Das bedeutet auch, dass die behördlichen Kosten nicht eins zu eins auf den Antragsteller umgewälzt werden können. Zweitens. Die Genehmigungskriterien müssen sich eng an die europäische Richtlinie anlehnen und europaweit harmonisiert werden. Damit meine ich, dass von zusätzlichen Anforderungen, die weder nach europäischem noch nach internationalem Recht vorgesehen sind, abgesehen werden muss. Drittens. Das Verfahren darf nicht zu aufwendig und langwierig sein. Das bedeutet, dass vor allem mit Parallel- und Vorregistrierungsverfahren zurückhaltend umgegangen werden sollte. Wenn in dem Gesetzentwurf diesen Punkten Beachtung geschenkt wird, dann haben wir die gute Gelegenheit, die Anerkennung von internationalen Zertifikaten in Deutschland reibungslos zu gestalten. Damit würden wir den internationalen Klimaschutz nach Deutschland holen und fest verankern. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Da die Kollegin Dött ihre Redezeit in vorbildlicher Weise unterboten hat, gebe ich jetzt dem Kollegen Kelber die Gelegenheit zu einer kurzen Kurzintervention, auf die sie gegebenenfalls, wenn nötig, reagieren kann. Bitte schön.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. - In der Debatte vor drei Wochen zum gleichen Thema habe allerdings auch ich meine Redezeit unterschritten, und zwar um 16 Minuten und 40 Sekunden. Wir haben damals keine ausführliche Auseinandersetzung geführt, da nicht einmal 1 Prozent der CDU/CSU-Fraktion bei der Debatte über ihren eigenen Antrag anwesend war. Der Vorwurf an mich lautete ja, dass ich gesagt hätte, die Positionen der SPD könne man erhalten, und dass Sie sie heute Morgen auf meiner Website nicht gefunden haben. Ich werde natürlich noch mal mit meinem Webmaster über die Übersichtlichkeit reden, aber ich finde, ein Link auf der ersten Seite ist relativ übersichtlich. Sie hätten dort die Reden zum Thema vom 15. April 2005 - ich gebe Sie Ihnen nachher markiert -, vom 24. September 2004, vom 28. Mai 2004 und vom 16. Januar 2004 finden können. Ich habe heute Morgen dann einfach aufgehört, sie auszudrucken. Am Ende der Debatte gebe ich sie Ihnen gerne. Dann können Sie sich noch einmal überzeugen. Ich bin auch immer gerne bereit, meine Website zu erläutern. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dem Kollegen Küster wird jetzt vielleicht einleuchten, warum seine Anmeldung einer dringlichen Kurzintervention bei mir nicht sofort auf spontane Zustimmung gestoßen ist. Nun erteile ich dem Bundesminister Jürgen Trittin das Wort.

Jürgen Trittin (Minister:in)

Politiker ID: 11003246

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Dött, ich finde, Sie sollten keine Kontroversen führen, wo es keine gibt. ({0}) Wir alle sind dafür, dass Klimaschutz effizient und kostengünstig betrieben wird. Was wir heute vorlegen, ist ein weiteres Instrument dafür, diese Kosten zu optimieren. Was das betriebswirtschaftlich bedeutet, kann man an Folgendem erkennen: Die niedersächsischen Unternehmensverbände haben das in 50 Anlagen, die am Emissionshandel teilnehmen, untersucht und dabei festgestellt, dass es mit den heutigen Techniken in diesen Anlagen ein Minderungspotenzial für Treibhausgase von 25 Prozent gibt. Dies würde pro Tonne deutlich unter 10 Euro kosten. Damit läge man unter dem Preis, der zurzeit an der Strombörse im Rahmen des Emissionshandels gezahlt werden muss. Das zeigt doch, dass wir alle gemeinsam aufhören sollten, Klimaschutz als eine Last zu betrachten. Wir sollten stattdessen dazu übergehen, Klimaschutz als eine Chance zu betrachten, Kosten einzusparen und unsere Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. ({1}) Dafür gibt uns das, was wir heute hier vorgelegt haben - das Gesetz zu Joint Implementation und zum Clean Development Mechanism -, ein weiteres Instrument in die Hand. Indem Unternehmen in klimafreundliche Techniken im Ausland investieren, können sie ihre Emissionsminderungen dort erbringen, und zwar häufig zu geringeren Kosten als hier. Die Voraussetzung ist klar - sie sind übrigens auch international vereinbart; das steht schon im Protokoll, das Sie ja mit ratifiziert haben -: Es muss sich dabei um zusätzliche Emissionsminderungen handeln; es darf also nicht einfach eine Fortschreibung im Sinne von Business as usual sein. Wir haben - übrigens auch international - zum Beispiel Atomprojekte ausgeschlossen, weil wir dann den Klimaschutz mit unglaublichen Mengen strahlender Altlasten erkaufen müssten. Auch dies wollten wir alle nicht. Der Gewinn dieser flexiblen Instrumente ist ein dreifacher: Es werden Treibhausgase vermieden, die Unternehmen sparen Kosten und Entwicklungsländer profitieren - das ist für den Zusammenhang von Umwelt und Entwicklung von zentraler Bedeutung - von den Investitionen in moderne Technologien. Das ermöglicht Ländern wie China, Indien oder Brasilien, vielleicht eine andere Entwicklung zu durchlaufen, als wir es getan haben. Sie gehen vielleicht nicht den Umweg über eine ineffiziente, hochgradig Treibhausgase emittierende Industrialisierung, sondern nutzen gleich effiziente, Ressourcen sparende und klimaschonende Technologien. Genau darüber - deshalb passt der Gesetzentwurf heute sehr gut in die Debatte - werden wir ab Montag im Wahlkreis des Kollegen Kelber, in Bonn, mit Vertretern von über 170 Ländern diskutieren. Wir werden die Frage aufwerfen, was nach Kioto, also nach 2012, kommen soll. Wenn wir über Clean Development Mechanism sprechen, müssen wir uns über eines besonders im Klaren sein: Das, was wir heute verabschieden, ist auch ein Faustpfand dafür, dass der Klimaschutzprozess über das Jahr 2012 hinaus weitergeht. Wir müssen verhindern, dass die globale Erwärmung um mehr als 2 Grad steigt. Darüber waren sich alle Europäer einig. Sie haben beim Frühjahrsgipfel gemeinsam festgestellt, dass die Industrieländer bis zum Jahre 2020 zwischen 15 und 30 Prozent ihrer CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 einsparen müssen, um die schadhafte Erwärmung zu vermeiden. Aus diesem Grunde muss der Prozess nach 2012 weitergehen. Warum ist CDM, sind die Maßnahmen zur sauberen Entwicklung etwas Besonderes? Wenn der Klimaschutzprozess nicht fortgesetzt wird, dann gibt es auch keinen Anlass mehr für Investitionen in moderne Technologien. Das gilt gerade für die Entwicklungsländer. Deswegen ist das Signal von heute gerade mit Blick auf das, was wir gemeinsam tun wollen - wir haben die Beschlüsse immer in einem breiten Konsens gefasst -, so wichtig. Wir wollen dafür sorgen, dass die Bundesrepublik Deutschland eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz einnimmt. Der heute eingebrachte Gesetzentwurf enthält die richtigen Instrumente, zum Nutzen des Weltklimas, zum Nutzen der hiesigen Unternehmen und auch zum Nutzen der Entwicklungsländer. ({2}) Eigentlich war ich am Ende meiner Rede, aber dann könnte Frau Dött keine Frage mehr stellen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich würde das der Kollegin Dött wegen der eingesparten Redezeit noch zubilligen, wenn Sie damit einverstanden sind.

Jürgen Trittin (Minister:in)

Politiker ID: 11003246

Ja, gerne.

Marie Luise Dött (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003070, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, ich hätte auch eine Kurzintervention machen können.

Jürgen Trittin (Minister:in)

Politiker ID: 11003246

Auch darauf hätten Sie eine Antwort bekommen.

Marie Luise Dött (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003070, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da Sie uns als Opposition angesprochen haben, möchte ich ausführen: Gerade die Opposition hat sich immer für flexible Instrumente ausgesprochen - Sie erinnern sich bestimmt daran -; denn es ist der Umwelt egal, wo Treibhausgase eingespart werden. Diesen Satz, den Sie gerade verwendet haben, haben wir schon immer verwendet. Ich erinnere Sie aber gern an die von Ihnen ursprünglich vorgesehene Deckelung, die wir nie gewollt haben. Wir sind gern bereit, konstruktiv an der Umsetzung der EU-Verbindungsrichtlinie mitzuwirken. Die entscheidenden Punkte habe ich genannt. Ich will sie gern wiederholen: Erstens. In Deutschland dürfen die Kosten des Anerkennungsverfahrens nicht höher werden als in den anderen Mitgliedstaaten. Das bedeutet auch, dass die behördlichen Kosten nicht eins zu eins auf den Antragsteller abgewälzt werden können. Zweitens. Die Genehmigungskriterien müssen sich eng an die europäische Richtlinie anlehnen und europaweit harmonisiert sein. Damit meine ich, dass von zusätzlichen Anforderungen, die weder nach europäischem noch nach internationalem Recht vorgesehen sind, abgesehen werden muss. Drittens. Das Verfahren darf nicht zu aufwendig und langwierig sein. Das bedeutet, dass vor allem mit Parallel- und Vorregistrierungsverfahren zurückhaltend umgegangen werden muss. Vielen Dank.

Jürgen Trittin (Minister:in)

Politiker ID: 11003246

Liebe Frau Dött, ich glaube, wir können uns über viele Punkte verständigen. Sie sind auf die Frage der Deckelung eingegangen; dazu möchte ich zwei Bemerkungen machen. In wessen Interesse ist es eigentlich, dass es auch in Ländern der Europäischen Union einen bestimmten Anteil selbst erbrachter Klimaschutzmaßnahmen gibt? Sie haben völlig Recht: Für das Weltklima ist es egal, wo CO2 eingespart wird. ({0}) - Kurzfristig ist das egal. - Aber ist es eigentlich im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie, die ja unter dem Lob des ganzen Hauses im Bereich des Klimaschutzes viel Vorleistung erbracht hat, die investiert hat, wenn manche Länder die gesamten Kosten für den Klimaschutz komplett externalisieren, das heißt auf andere Bereiche übertragen können? An Ihrer Stelle würde ich noch einen Moment darüber nachdenken. Ich würde hier zu einer differenzierten Position neigen und halte den Ansatz, den wir mit der Kommission vereinbart haben, nämlich abzuwarten, bis 8 Prozent erreicht sind, und dann zu schauen, wie es weitergeht, für richtig, auch wenn sich zurzeit viele Entwicklungsländer sehr darüber freuen, dass Spanien zur Erreichung seiner Klimaschutzziele etwa eine halbe Milliarde Euro für CDMMaßnahmen vorgesehen hat. Ob das Geld allerdings fließen wird, weiß ich nicht. Zweite Bemerkung, zu Vergangenheit und Kontroversen: Sie haben von unklaren Definitionen gesprochen. Ich erinnere Sie daran, dass der Gesetzentwurf für das Zuteilungsgesetz, den das Bundesumweltministerium hier vorgelegt hat, eine Optionsregelung nicht enthalten hat. Woran ich mich nicht erinnere, ist, dass Sie das im parlamentarischen Verfahren heftig angegriffen hätten. Sie waren im Gegenteil der Auffassung, dass einem entsprechenden Wunsch des Bundesverbandes der Deutschen Industrie nachgekommen werden sollte. Insofern wäre ich jetzt ein bisschen vorsichtig. Ich greife aber Ihr Argument, dass das schwierig sei, gerne auf und verspreche Ihnen: Wir werden bei einem neuen Zuteilungsgesetz diese Regel jedenfalls nicht vorsehen. Wenn Sie als Parlament, als Hohes Haus, eine andere Auffassung dazu haben sollten, so hätten wir das dann natürlich zu exekutieren. Aber machen Sie uns nicht für Dinge verantwortlich, zu denen wir dezidiert eine andere Meinung gehabt haben. Vielen Dank, Frau Dött. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort der Kollegin Birgit Homburger, FDP-Fraktion.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute über einen Gesetzentwurf, der das zentrale Scharnier zwischen dem internationalen und dem nationalen Klimaschutz sein wird, nämlich über die Verbindung des Emissionshandels mit den flexiblen Instrumenten des Kioto-Protokolls. Hier - das haben Sie, Herr Trittin, in Ihrer Rede auch heute wieder gemacht - tragen Sie die marktwirtschaftlichen Instrumente seit neuestem wie eine Monstranz vor sich her, nämlich seit Sie nicht mehr anders können. Wenn man dann allerdings schaut, was Sie tatsächlich tun, kommt man zu dem Ergebnis, dass Sie bisher die Nutzung der marktwirtschaftlichen Mechanismen, der flexiblen Elemente des Kioto-Protokolls, die es möglich machen, auch im Ausland erzielte Emissionsminderungen im Inland angerechnet zu bekommen, verhindert haben. Mit diesem Gesetzentwurf geht es genauso weiter. ({0}) Das kann man an verschiedenen Beispielen deutlichen machen. Herr Kelber, Sie haben gesagt, noch kein anderes Land habe das national umgesetzt. Die anderen Länder haben auch nicht die gleichen Probleme wie wir. Sie wissen ganz genau, dass nach dem Kioto-Protokoll bereits seit Mitte 2000 die Möglichkeit besteht, Joint Implementation und CDM einzusetzen, diese flexiblen Mechanismen zu nutzen. Andere Länder tun das. Die haben längst die Voraussetzungen dafür geschaffen. Nur Deutschland tut das nicht. Deswegen sind wir so weit zurück und deswegen ist die Kritik der Opposition, dass man hier viel schneller hätte handeln müssen, wenn man tatsächlich etwas für den Klimaschutz tun will, eben doch richtig. ({1}) Ich freue mich, dass der Gesetzentwurf jetzt nach sieben Monaten endlich vorliegt. Das ist aber auch schon alles. Schauen wir einmal genauer hin! Der Minister hat gesagt, wir erreichen damit eine Reduktion der Treibhausgasemissionen bei gleichzeitiger Verminderung der Kosten für die Unternehmen und wir erreichen einen Technologietransfer in Entwicklungsländer. Was er vergessen hat, hinzuzufügen, ist, dass wir gleichzeitig Chancen für den Export von Technologien im Zusammenhang mit erneuerbaren Energien aus Deutschland in diese Länder eröffnen. All das ist damit verbunden. Wenn man sich die Richtlinie genau anschaut, dann stellt man fest, Herr Trittin, dass die Spielräume, die uns die Richtlinie in Deutschland lässt, mit dem Gesetzentwurf, den Sie heute vorgelegt haben, wieder nicht genutzt werden können. ({2}) - Nein, ich will es Ihnen gerne sagen. Herr Kelber, Sie selber haben die nationalen Aktivitäten angesprochen. Wir als FDP haben einen Antrag vorgelegt. Sie wissen - alle Experten sagen Ihnen das -: Wenn Deutschland Gast- und Investorland zugleich ist, dann braucht es keine weitere europarechtliche Grundlage. Lassen Sie uns doch diese riesigen Emissionsminderungspotenziale in Deutschland, die beispielsweise im Gebäudebestand liegen, um Himmels willen endlich nutzen, indem wir diese Mechanismen hier zulassen. Diese Forderung haben wir an Sie. Ich danke Ihnen, Herr Kelber, dass Sie bereit sind, mit uns darüber zu sprechen; der Minister ist es bisher nicht. ({3}) Joint-Implementation-Projekte sind ohne Möglichkeit der Verlängerung bis 2012 begrenzt. Das heißt, angesichts eines Entwicklungsvorlaufs, der dazu führt, dass eine Realisierung von heute ins Auge gefassten Projekten überhaupt erst in den Jahren 2009 oder 2010 möglich ist, bedeutet diese Befristung eine massive Behinderung von Investitionen in diesem Bereich. Ein anderes Beispiel: Herr Minister, Sie haben gerade so sehr betont, dass wir internationale Abkommen umsetzen. Warum um Himmels willen lassen Sie dann Senkenprojekte nicht zu? Das ist doch in Marrakesch vereinbart worden. ({4}) Nur noch ein Beispiel, Herr Präsident, dann komme ich zum Ende: Es sind Zustimmungsvoraussetzungen in einige Teile des Gesetzentwurfs hineingeschrieben worden. Wenn ich sehe, dass für eine CDM-Maßnahme in der guten deutschen Art und Weise, mit der wir vorgehen, eine UVP, also eine Umweltverträglichkeitsprüfung, im Ausland vorgeschrieben werden soll, ({5}) dann kann ich nur sagen: Eine bessere Idee, Projektträger abzuschrecken, hätte Ihnen beileibe nicht einfallen können, Herr Minister. ({6}) Abschließend: Wir brauchen einen Klimaschutzprozess, der über das Jahr 2012 hinausreicht. Wenn Sie auch andere Länder überzeugen wollen, beispielsweise die USA, dann wäre es gut, wenn die Umsetzung dies KiotoProtokolls funktionierte. Wir müssen die ökonomischen und ökologischen Vorteile nutzen. Mit dem Gesetzentwurf, den Sie heute vorgelegt haben, werden Sie dem in keiner Weise gerecht. Mit dem, was in diesem Entwurf an Bürokratie enthalten ist, bremsen Sie, statt den Klimaschutz zu fördern. Ich hoffe sehr, dass es uns in den Beratungen im Ausschuss und im Parlament gelingt, dies zu ändern, um diese Mechanismen mit einem guten Gesetz tatsächlich nutzen zu können. Vielen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Wilfried Schreck, SPDFraktion.

Wilfried Schreck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003627, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der letzten Debatte zum Thema Emissionshandel haben wir uns am 15. April mit der Forderung zur Umsetzung der EULinking-Directive, also der so genannten Verbindungsrichtlinie, auseinander gesetzt. Heute liegt uns der Entwurf zu einem Projekt-Mechanismus-Gesetz vor und wir können nun zum Inhalt kommen. Dazu aus meiner Sicht einige Gedanken: Der Emissionshandel ist durch die Verbindung ökologischer Forderungen und ökonomischer Anreizsysteme nach vorherrschender wissenschaftlicher Meinung die wirkungsvollste Methode des Klimaschutzes - wenn er denn funktioniert. Voraussetzung ist, dass die Regelwerke des europäischen Emissionshandelssystems in nationales Recht umgesetzt werden. Genau dabei sind wir im Moment. Wir komplettieren diese Umsetzung nach dem Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz und dem Gesetz zum Nationalen Allokationsplan mit dem Gesetz zur Einführung der so genannten projektbezogenen Mechanismen. Wir erfüllen damit auch eine Forderung der deutschen Wirtschaft. Das Gesetz bietet der Wirtschaft die Chance, anrechnungsfähige Klimaschutzmaßnahmen zunächst in Entwicklungsländern und ab 2008 auch in anderen Industriestaaten in Investitionsprojekten zu realisieren. Wie wir alle wissen, gibt es dazu schon eine umfangreiche Liste bei der Dena. Wir sollten uns also beeilen. Es könnte bald losgehen. Dabei ist eine breite Palette von technischen Lösungen denkbar. Ich möchte mich heute aufgrund der knapp bemessenen Redezeit auf einen der wichtigsten Bereiche konzentrieren. Energieerzeugungsanlagen auf Basis fossiler Rohstoffe, also Stein- und Braunkohle, Öl und Gas, werden, realistisch betrachtet, noch lange Zeit den Schwerpunkt der Stromerzeugung bilden, erst recht im globalen Maßstab. Klimaschutz ist ein globales Problem. Also lohnt es sich, sich mit dem großen Emissionspotenzial insbesondere der Kohle auseinander zu setzen. Gerade dieser große Anteil bietet große Chancen, mit neuer Technik hier in Deutschland, aber eben durch die Wirkung der projektbezogenen Mechanismen auch im Ausland große Beiträge zur Klimaverbesserung zu erbringen. Das wird hier in Deutschland einen Modernisierungsschub und damit einen Investitionsschub auslösen, den wir uns doch hoffentlich alle schnellstmöglich wünschen. ({0}) Genauso wichtig ist das auch im Ausland. Wenn wir es geschickt anstellen, bietet uns dieser Weg gewaltige Chancen in einem klassischen deutschen Kompetenzfeld, dem Maschinen- und Anlagenbau. Die Projekte in Deutschland führen in einem hohen Grad zu nationaler Wertschöpfung. Aber auch die durch das Gesetz initiierten Investitionen im Ausland bieten die Möglichkeit, deutsche Ingenieurleistungen und wichtige Komponenten zu exportieren. ({1}) Daran hängt eine große Zahl zukunftsfähiger Arbeitsplätze in unserem Land. Dies gilt natürlich neben dem konventionellen Kraftwerksanlagenbau auch für Solarund Windenergieanlagen. ({2}) Nicht umsonst sind wir auch da Weltmeister. Wenn ich die Betriebsrätekonferenz am Mittwoch hier in diesem Hause Revue passieren lasse, dann stelle ich fest, dass gerade die Kollegen aus dem Maschinen- und Anlagenbau große Erwartungen in unsere Aktivitäten setzen, um einen solchen Erneuerungsprozess in Gang setzen zu können. ({3}) Natürlich spielen bei diesem Modernisierungsprogramm auch Kosten und Effizienz eine große Rolle. Es lohnt nämlich nicht, aus bestehenden Anlagen mit viel Geld die letzten Prozentpunkte beim Wirkungsgrad herauszuquetschen. Die letzten Prozentpunkte sind immer die teuersten. Aber auch dieses Problem wird ein funktionierender Emissionshandel lösen; denn dann gilt nicht mehr „Klimaschutz - koste es, was es wolle“, vielmehr gilt, wo und wie er am wirkungsvollsten und am kostengünstigsten zu haben ist. Noch eine Bemerkung zu der so genannten Exportquote, also der Frage, wie viele Maßnahmen man außerhalb Deutschlands realisieren darf. Ich denke, wir sollten keinen Klimaschutzisolationismus beginnen und so tun, als wären wir auf der Insel der Glückseligen. Ebenso sollte - derzeit sind CO2-Senken noch ausgeschlossen zumindest die Möglichkeit von Projekten zum Beispiel zur Vermeidung von Bodenerosion bzw. Wüstenbildung zugelassen werden. Im Übrigen halte ich es für einen Nachteil, dass die Joint-Implementation-Maßnahmen erst ab 2008 möglich sein werden. Hier begrenzt uns in diesem Fall das geltende EU-Recht. Abschließend: Hinter dem Emissionshandel und hinter den projektbezogenen Maßnahmen steht eine gute Idee. Der Gesetzentwurf ist etwas komplex geraten. Vielleicht gelingt uns in der parlamentarischen Beratung, auch mit Unterstützung der Beteiligten, eine sinnvolle Verschlankung. Frau Homburger, mein Kollege Kelber hat Ihnen schon zugesagt, dass wir Ihren Antrag prüfen werden. ({4}) Auch ich halte ihn für sinnvoll. Insofern könnten wir auch auf diesem Feld zügig vorankommen. Ich wünsche uns eine zielführende und vor allem zügige Beratung. Vielen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Roland Dieckmann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Roland Dieckmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003724, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem heute hier vorliegenden Gesetzentwurf zur Ergänzungsrichtlinie für flexible Mechanismen debattieren wir nach dem Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz und dem Zuteilungsgesetz das dritte Gesetz zur Umsetzung des Emissionshandels in Deutschland. Durch die Nutzung der flexiblen Mechanismen des Kioto-Protokolls wird es den am Emissionshandel beteiligten Unternehmen ermöglicht, ihre Klimaschutzanstrengungen kosteneffizienter und flexibler zu gestalten. Hintergrund der flexiblen Mechanismen ist, dass es im Hinblick auf den ökologischen Effekt völlig egal ist, wo klimaschädliche Treibhausgase verursacht oder verringert werden. Deshalb ist es sinnvoll, Klimaschutzmaßnahmen dort durchzuführen, wo diese zu den geringsten Kosten möglich sind oder, ({0}) anders ausgedrückt, wo mit den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln eine möglichst große Menge klimaschädlicher Treibhausgase vermieden werden kann. Dies ist nun einmal vor allem in den Schwellenund Entwicklungsländern unserer Erde möglich. ({1}) Wir, die Union, haben die Bundesregierung wiederholt aufgefordert, hierfür endlich die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Zuletzt wurde im April dieses Jahres ein Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu diesem Thema im Plenum debattiert. Nun hat die rot-grüne Bundesregierung bzw. Sie, Herr Trittin, endlich einen Gesetzentwurf erarbeitet. Dabei ist die dafür erforderliche EU-Richtlinie bereits im Oktober letzten Jahres in Kraft getreten. Die Umsetzung hätte also viel schneller erfolgen können, ja müssen. ({2}) Hierdurch hätte nicht zuletzt ein erheblicher Beitrag zu mehr Planungssicherheit bei den betroffenen Unternehmen geleistet werden können. Die EU-Richtlinie selbst sieht im Gegensatz zu Ihrem ursprünglichen Gesetzentwurf keine Grenzwerte für die Anrechnung von Maßnahmen aus flexiblen Mechanismen vor. Ich halte dies auch für richtig und bin froh, dass die Europäische Union die restriktive Haltung des ursprünglichen Entwurfs nicht fortgeführt hat. ({3}) Auch der heute vorliegende Gesetzentwurf enthält keine Grenze für die Anrechnung der flexiblen Mechanismen. Damit widersprechen sowohl die Europäische Kommission als auch die Bundesregierung ganz klar der Auffassung, die die SPD-Bundestagsfraktion in der Debatte im November 2003 vertreten hat. ({4}) Damals haben Sie - das konnte ich nachlesen - nämlich noch gesagt, dass eine völlige Freigabe bei den flexiblen Mechanismen das Ende des Klimaschutzes bis 2012 wäre. Mit dieser Auffassung sind Sie inzwischen allein. Vielleicht haben Sie aber auch dazugelernt, was Sie ehren würde, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD. ({5}) Die Vorteile der flexiblen Mechanismen liegen auf der Hand: Sie schaffen mehr Kosteneffizienz und Flexibilität zur Erreichung von Klimaschutzzielen und senken den Preis der Zertifikate deutlich. Sie fördern den Technologietransfer in Schwellen- und Entwicklungsländer und erhöhen dadurch deren Umwelt-, Gesundheits- und Lebensstandards und sie verknüpfen ökologische, ökonomische und entwicklungspolitische Ziele. Die ChanRoland Dieckmann cen der flexiblen Mechanismen sind also enorm und dürfen deshalb auf keinen Fall ungenutzt bleiben. Zu viele Regelungen und Beschränkungen führen dazu, dass der Klimaschutz und der EU-Emissionshandel unnötig verteuert werden, was die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft aufs Spiel setzt und Tausende von Arbeitsplätzen gefährdet. Am Ende gibt es dann wieder nur Verlierer: die Umwelt, die Wirtschaft mit den Unternehmen und den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und die Entwicklungs- und Schwellenländer unserer Erde. ({6}) So weit darf es gar nicht erst kommen. Deshalb werden wir uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion in den weiteren Beratungen für eine schlanke, unbürokratische und einfache Regelung zur Anrechnung der flexiblen Mechanismen einsetzen. Mit Blick auf die Zeit möchte ich an dieser Stelle zum Ende kommen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Lieber Kollege Dieckmann, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Plenum des Deutschen Bundestages, verbunden mit allen guten Wünschen für die parlamentarische Arbeit. ({0}) Ich schließe die Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 15/5447 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- sicherheit und zur Mitberatung an den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit sowie an den Ausschuss für wirt- schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu über- weisen. Die Vorlage auf Drucksache 15/4948 soll an den Aus- schuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit überwiesen werden. Gibt es dazu anderweitige Vor- schläge? - Das ist dankenswerterweise nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis h auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katherina Reiche, Dr. Maria Böhmer, Thomas Rachel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Forschungs- und Innovationsförderung für die Arbeitsplätze der Zukunft - Drucksache 15/5016 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Katherina Reiche, Thomas Rachel, Dr. Maria Böhmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Lage der Forschung in Deutschland - Drucksachen 15/2528, 15/4793 - c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({2}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Ulrike Flach, Christoph Hartmann ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Die europäische Spallations-Neutronen- quelle in Deutschland fördern - zu dem Antrag der Abgeordneten Katherina Reiche, Thomas Rachel, Dr. Christoph Bergner, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU Sachgerechte Planungsentscheidungen zum Bau einer europäischen Spallations- Neutronenquelle ermöglichen - Drucksachen 15/472, 15/654, 15/5174 - Berichterstattung: Abgeordnete Andrea Wicklein Dr. Christoph Bergner Cornelia Pieper d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Katherina Reiche, Thomas Rachel, Dr. Maria Böhmer, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU Informatives Berichtswesen als Grundlage ei- ner guten Forschungs- und Technologiepolitik - Drucksachen 15/4497, 15/5101 - Berichterstattung: Abgeordnete Jörg Tauss Hans-Josef Fell e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Helge Braun, Vizepräsident Dr. Norbert Lammert Katherina Reiche, Thomas Rachel, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/CSU 7. EU-Forschungsrahmenprogramm wirksam ausgestalten - Drucksachen 15/3807, 15/4712 - Berichterstattung: Abgeordnete Ulrike Flach Helge Braun f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Helge Braun, Katherina Reiche, Thomas Rachel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Stärkung der klinischen Forschung in der Hochschulmedizin - Drucksache 15/5246 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({6}) Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Haushaltsausschuss g) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschland 2005 und Stellungnahme der Bundesregierung - Drucksache 15/5300 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({7}) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach, Daniel Bahr ({8}), Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Deutschland muss aufholen - 2006 bis 2016 Dekade der Innovationen - Drucksache 15/5360 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({9}) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 75 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann kann auch dies als vereinbart gelten. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst für die Bundesregierung der Bundesministerin Edelgard Bulmahn. ({10})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wirtschaftswachstum, sichere Arbeitsplätze, soziale Sicherheit, alles hängt von Bildung und Forschung sowie von unserer Leistungsfähigkeit und Stärke ab. Die Lage der Forschung in Deutschland ist gut. Das zeigt klar der jüngste Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit und bestätigte damit auch den Kurs der Bundesregierung. Deutsche Unternehmen gehören zu den innovativsten in Europa. ({0}) Wissenschaft und Forschung in Deutschland gehören zur Weltspitze. Die Produktion in forschungsintensiven Wirtschaftszweigen wächst deutlich schneller als in anderen Sektoren. Beim Export forschungsintensiver Güter haben deutsche Unternehmen mit 15,6 Prozent nach den USA den zweithöchsten Welthandelsanteil. ({1}) Im internationalen Vergleich spielt Deutschland bei der Forschungs- und Wissensintensität der Wirtschaft ganz vorne mit. Mit 277 weltmarktrelevanten Patenten auf je 1 Million Erwerbstätige unterstreichen wir dieses Potenzial und diese Leistungsfähigkeit. Damit liegen wir vor den USA, aber auch vor Großbritannien und Frankreich sowie deutlich über dem EU- und OECDDurchschnitt. Im 6. EU-Forschungsrahmenprogramm hat sich die deutsche Beteiligung nun auf rund 21 Prozent gesteigert. Als kleiner Vergleich: 1997 lagen wir nur bei 16 Prozent. ({2}) Auch das Ausland gibt laut aktueller Forsa-Studie dem Standort Deutschland gute Noten. Deutsche Produkte und Technologien zählen in vielen Branchen weltweit zur Spitzengruppe. Deutschland ist weltweit führend bei Zukunftstechnologien, wie zum Beispiel der Nanotechnologie, der Mikrosystemtechnik oder in bestimmten Bereichen der Biotechnologie. ({3}) Was hier auch einmal gesagt werden sollte: Die Gewinne deutscher Unternehmen wachsen stärker als die der USamerikanischen. Das zeigt diese internationale Studie ebenfalls. In ihrem wirtschaftspolitischen Deutschlandbericht hat die OECD im vergangenen Jahr bestätigt, dass Deutschland nach Großbritannien das attraktivste Zielland für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen von im Ausland tätigen US-amerikanischen Unternehmen ist. ({4}) So viel zur Realität. Das ist die Wirklichkeit, über die wir hier diskutieren sollten und die wir zur Kenntnis nehmen sollten. Gleichwohl zeigt der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit - auch das will ich klar sagen -, dass die Herausforderungen im internationalen Wettbewerb nicht abnehmen, sondern zunehmen; denn neben den bekannten forschungsstarken Ländern investieren inzwischen auch die so genannten Schwellenländer erheblich in Forschung und Entwicklung. Dazu gehören China und Indien. Aber auch unsere europäischen Nachbarländer wie Großbritannien und Frankreich investieren erheblich in Forschung und Entwicklung. Die Bundesregierung hat seit 1998 Bildung und Forschung konsequent gefördert und ihre Bedeutung klar herausgestellt. Wir haben hier massiv investiert. Wir haben diesem Bereich die notwendige Priorität eingeräumt und damit auch ein klares Signal an die Wirtschaft gegeben. Von 1998 bis 2003 haben Wirtschaft und Staat in Deutschland den Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt von 2,27 Prozent auf 2,51 Prozent erhöht. Das hört sich vielleicht gar nicht so viel an. Aber es sind Milliardenbeträge, die zusätzlich in Forschung und Entwicklung investiert worden sind. Damit haben wir mühsam aufgeholt, was in den 90er-Jahren von der damaligen CDU/CSU-geführten Bundesregierung verspielt worden ist und durch eine falsche Politik verloren gegangen ist. ({5}) Wir haben die Entwicklung umgekehrt. Wir haben hier einen klaren Schwerpunkt gesetzt. Wir haben das Geld, das wir dort zusätzlich investiert haben, eingesetzt, wo sich die Innovationskraft unseres Landes am besten entfalten kann, damit die Menschen in unserem Land ganz konkret von diesen Investitionen profitieren. Ich will die Schlüsseltechnologien nennen. Seit 1998 hat mein Ministerium die Projektfördermittel für Biotechnologie um rund 80 Prozent erhöht, und zwar mit klarem Erfolg; denn die Zahl der Biotechnologieunternehmen, insbesondere die der kleinen und mittleren, ist sehr stark gestiegen. Hier liegen wir inzwischen in Europa an der Spitze. Wir haben uns vom Importeur zum weltweit führenden Anbieter der ganzen Bandbreite optischer Technologien - Stichwort „Lasertechnologien“ entwickelt. Unsere Führungsposition in der Welt ist anerkannt. Auch die Nanotechnologie ist inzwischen zum Wachstumstreiber für viele aufstrebende Branchen, zum Beispiel für die Automobilbranche, für die Pharmaindustrie oder für den Bereich der optischen Technik, geworden. Hier liegen wir ebenfalls an der Weltspitze. Unsere Strategie ist klar: Wir fördern das, was Arbeitsplätze schafft. Es geht uns um die Wahrung und um die Schaffung von zukunftssicheren Arbeitsplätzen, damit die Menschen hier, in Deutschland, auch noch in fünf, in zehn und in 15 Jahren eine Lebensperspektive haben. ({6}) Weil wir wissen, dass dabei gerade kleinere und mittlere Unternehmen eine ganz wichtige Rolle spielen, haben wir mit ganz viel Engagement, mit ganz viel Kraft dafür gesorgt, dass sie in die Netzwerke der Spitzenforschung einbezogen werden. Da geht es um ein Volumen von rund 1,9 Milliarden Euro. Die Anzahl der kleinen und mittleren Unternehmen, die sich an dem Fachprogramm meines Ministeriums beteiligen, ist seit 1998 um mehr als zwei Drittel gestiegen. Die Schlüsselrolle junger Unternehmen bei der Erschließung neuer Märkte müssen wir weiterhin unterstützen. Das gilt insbesondere für die jungen Unternehmen in den neuen Ländern; denn da sind sie für die wirtschaftliche Entwicklung ganz besonders wichtig. In den neuen Bundesländern werden wir deshalb die überproportionale Förderung von Bildung und Forschung fortsetzen. Mit „Unternehmen Region“, der Gesamtstrategie des BMBF für Ostdeutschland, verfolgen wir in mehr als 100 regionalen Initiativen eine erfolgreiche, an den Regionen orientierte Innovationspolitik. ({7}) Die Steigerung der Lebensqualität der Menschen, zum Beispiel die Verbesserung ihrer Gesundheit, ist ein weiteres wichtiges Ziel, das wir mit der Forschungspolitik meines Hauses verfolgen. Die Angst vor Alzheimer oder Parkinson soll irgendwann der Vergangenheit angehören, weil Diagnosemöglichkeiten die Früherkennung erheblich verbessern und weil wir hoffentlich irgendwann ausgereifte Medikamente zur Therapie haben. Wir haben die Haushaltsmittel für Gesundheit und Medizin von 295,4 Millionen Euro im Jahre 1998 auf 405 Millionen Euro im Jahre 2005 gesteigert. Das ist im Übrigen eine Steigerung von 37,2 Prozent. Gefördert wird auch das, was zum nachhaltigen und schonenden Umgang mit den natürlichen Ressourcen beiträgt, damit unsere Umwelt schützt und gleichzeitig Arbeitsplätze schafft. Auch auf diesem Gebiet sind wir inzwischen anerkannt und weltweit führend. Das spielt für die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes ebenfalls eine ganz erhebliche Rolle. Programme und Geld allein schaffen noch keine Innovation. Die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Wir benötigen mehr denn je gut ausgebildete Menschen. Die Bundesregierung hat auch dazu die notwendigen Reformen auf den Weg gebracht. Endlich hat die Anzahl der jungen Menschen, die ein Studium aufgenommen haben, wieder zugenommen. ({8}) 1998 waren wir gegenüber allen anderen Ländern weit abgeschlagen: Damals lag die Studienanfängerquote bei 27,8 Prozent. Inzwischen sind es 37,5 Prozent. Ich sage ausdrücklich: Das ist ein gutes Zwischenergebnis; wir müssen das Ziel 40 Prozent im Auge behalten und auch erreichen. ({9}) Die BAföG-Reform hat dabei eine ganz wichtige Rolle gespielt. Deshalb werden wir den Weg, die Studienmöglichkeiten zu verbessern, konsequent weitergehen. Mit der Einführung international anerkannter Abschlüsse und mit der erweiterten Autonomie der Hochschulen, etwa bei der Auswahl der Studierenden, haben wir auch den Universitäten ein zusätzliches Mittel in die Hand gegeben und wir haben auch dafür Sorge getragen, dass die deutschen Universitäten an Attraktivität gewinnen, was man an der in den letzten Jahren deutlich gestiegenen Anzahl ausländischer Studierender sehen kann. Die Juniorprofessur bietet exzellenten jungen Köpfen die Chance, früh selbstständig zu forschen und zu lehren. Die Habilitation und das Lehrstuhlprinzip mit der starken Bindung der Doktoranden an einen Professor sind international längst unüblich. Eine ausführliche Darstellung im Zusammenhang mit der Stellung der Wirtschaftswissenschaften konnte man vor zwei Tagen im „Handelsblatt“ lesen. Es ist notwendig, dass auch dieser Weg, den wir hier so erfolgreich beschritten haben, konsequent weitergegangen wird. Ich bin davon überzeugt, dass die Hochschulen noch deutlich mehr Eigenständigkeit und Selbstständigkeit erhalten müssen. Dazu reicht es leider nicht aus, die Zahl der Vorschriften im Bundesrecht deutlich zu verringern - das haben wir getan -; vor allem müssen die Länder bereit sein, ihren Hochschulen die Eigenständigkeit und Selbstständigkeit zu geben, die sie so dringend brauchen. ({10}) Mit dem Pakt für Forschung und Innovation garantieren wir den Forschungsorganisationen bis 2010 einen jährlichen Mittelzuwachs von mindestens 3 Prozent. Sie erhalten damit Planungssicherheit und ein Plus von rund 150 Millionen Euro pro Jahr. Davon trägt der Bund allein über 100 Millionen Euro. Dieser Pakt wird durch die Exzellenzinitiative ergänzt, die außerordentlich wichtig ist, damit auch die Universitäten in unserem Land die Chance erhalten, die sie so dringend brauchen, damit sie sich weltweit ein Renommee erarbeiten können, damit sie sich zu forschungsstarken Spitzenuniversitäten entwickeln können und so auch mit den Universitäten weltweit konkurrieren können. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, ich finde es, gelinde gesagt, erstaunlich ({11}) - ich fand es erstaunlich; ich kann auch sagen: Ich habe mich über die Gedankenakrobatik, die Sie dort vollführt haben, etwas gewundert -, dass Sie in Ihrem Antrag fordern, die Zuweisungen an die Forschungsorganisationen zwischen 2005 und 2010 verlässlich und angemessen zu erhöhen, und zwar genau so, wie wir das im Pakt für Forschung vereinbart haben. Beide Programme - das wissen Sie - liegen unterschriftsreif auf dem Tisch.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Ministerin, ich darf nur - Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Ich komme zum Ende. - Beide Programme sind von den Fachministern der Bund/Länder-Kommission bereits beschlossen worden. Genau dem verweigern die Unions-Ministerpräsidenten ihre Unterschrift. ({0}) Mit Ihrer Blockadepolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, fügen Sie dem Land wirklich großen Schaden zu. Albert Einstein hat einmal gesagt: Wir müssen unser Bestes tun. Das ist unsere heilige menschliche Verantwortung. Diese Verantwortung macht vor Ministerpräsidenten genauso wenig Halt wie vor Parlamentariern. Vielen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Katherina Reiche, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Katherina Reiche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003209, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir müssen um so vieles besser sein, wie wir teurer sind. - So Horst Köhler am 15. März dieses Jahres in seiner Grundsatzrede zu Wirtschaft und Gesellschaft. Frau Bulmahn, ich stimme Ihnen ausdrücklich darin zu, dass Forschung, Entwicklung und Wirtschaftswachstum in einem signifikanten positiven Zusammenhang stehen, weshalb alle Anstrengungen darauf gerichtet werden müssen, sie zu befördern. Deutschland hat ohne Zweifel Potenzial. Das sagt in der Tat auch der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit. Nanotechnik, Optik, Medizintechnik sind ein Beleg dafür. Aber oftmals klemmt der Innovationsreißverschluss. Er klemmt, weil Rot-Grün in vielen Feldern auf der Fortschrittsbremse steht. Aus dem Kanzler der Innovation ist längst ein Kanzler der Illusion geworden. Was Frau Bulmahn bisher vorgelegt hat, ist gescheitert, entweder vor dem Bundesverfassungsgericht oder am berechtigten Widerstand der Länder ({0}) oder an fehlenden Mitteln oder in Ermangelung einer Strategie. Erfolg lässt sich eben nicht herbeireden oder herbeirechnen; ({1}) Erfolg ist ein Ergebnis von echter Leistung. Egal ob Sie den Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit vorstellen oder Fragen beantworten: Sie rechnen sich die Zahlen schön, Sie picken einzelne Ergebnisse heraus, so wie sie Ihnen passen, und erwecken damit den Eindruck, als hätten Sie den Überblick verloren, oder spielen bewusst falsch. ({2}) Ihren Aufwuchs klauben Sie zusammen, indem Sie Mittel für Ganztagsschulen oder die Sanierung von baufälligen Gebäuden als Forschungsmittel deklarieren. Die Wahrheit ist aber, dass die Gesamtausgaben des Bundes für Forschung und Entwicklung sinken, und das seit mehreren Jahren: im Jahr 2001 um 1,6 Prozent, im Jahr 2003 um 0,7 Prozent und im vergangenen Jahr um noch einmal 3,4 Prozent. Das sind Kennzahlen einer Abwärtsspirale und nicht eines Aufschwungs. ({3}) Hans Eichel will Ihnen 2006 500 Millionen bis 700 Millionen Euro aus Ihrem Forschungshaushalt herausschneiden. Ich bin wirklich gespannt, ob Sie sich im Interesse der Hochschulen und der Forschung in diesem Land gegen ihn durchsetzen können. Wenn sie ehrlich wären, müssten Sie auch zugeben, dass Sie das 3-Prozent-Ziel von Lissabon bis 2010 nicht erreichen werden. Da hilft auch nicht der gebetsmühlenartig vorgetragene Verweis auf die Eigenheimzulage. Sie haben keinen weiteren Vorschlag gemacht, wie der Kraftakt bewältigt werden soll. Anstatt Kinder und Familien gegen den Rest der Gesellschaft auszuspielen, sollten Sie lieber an Vergangenheitssubventionen wie die Steinkohleförderung gehen. ({4}) Immer mehr Unternehmen verlagern ihre Forschung und Entwicklung ins Ausland. Beim letzten Innovationscheck der „Wirtschaftswoche“ bekam der Forschungsstandort Deutschland nur noch die Note 3,7. Das ist zu wenig für ein Land wie Deutschland. ({5}) Als Ergebnis von sieben Jahren Rot-Grün kann festgehalten werden: fast 5 Millionen Arbeitslose und 40 000 Insolvenzen pro Jahr. Auch der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit zieht eine beängstigende Bilanz. Aus diesem resümiere ich jetzt, Frau Ministerin: Deutschlands aktuelle Platzierung ist bei fast allen Kennzahlen schlechter als noch Anfang der 90er-Jahre. Das ist die Wahrheit. So steht es im Bericht. ({6}) Ich mache Ihnen heute fünf Vorschläge und biete Ihnen an, gemeinsam dafür zu arbeiten, dass Forschung und Innovation wieder zu mehr Wachstum in diesem Land führen: Erstens. Wir sollten die Hochschulen gemeinsam stärken. Sie haben vollkommen korrekt gesagt, dass die Hochschulen die Basis für unser Forschungssystem sind. Ja, sie sind in der Tat der Humus für Innovationen in unserem Land. Sie aber haben den Boden ausgelaugt und jahrelang nicht gedüngt. Sie haben die Hochschulmittel zwischen 1998 und 2003 um 2 Prozent gekürzt. Die Hochschulbauförderung ist von 1,1 Milliarden auf 860 Millionen gesunken. Das Exzellenzprogramm kann ein Erfolg werden, Frau Ministerin, wenn es auf eine verfassungsmäßig einwandfreie Grundlage gestellt wird. Zur Wahrheit gehört aber eben auch, zu sagen, dass es keinen Cent mehr gibt. Was Sie heute bei der Hochschulbauförderung streichen, verkaufen Sie morgen als Exzellenzförderung. Das ist linke Tasche, rechte Tasche und am Ende gibt es keinen Cent mehr. ({7}) Wagen Sie mit uns einen Einstieg in die Vollkostenfinanzierung! Wir halten zudem den Geist Humboldts wach, wenn Forschung und Hochschule wieder mehr miteinander verzahnt werden. Sie weisen auch zu Recht auf die Verantwortung der Länder hin, wenn es darum geht, den Hochschulen wieder mehr Freiheiten zu geben. Aber in dem Moment, wo Sie den Zeigefinger auf die Länder richten, zeigen drei Finger auf Sie selbst. Auch Sie sollten überlegen, wo der Bund weitergehen kann. Zweitens. Deutschland muss wieder zum Gravitationszentrum für junge Wissenschaftler aus aller Welt werden. ({8}) Wir haben einen großen Kongress mit 500 Jungwissenschaftlern aus dem In- und Ausland durchgeführt. Deutschland ist nicht unattraktiv, aber andere Nationen entfalten eine sehr viel stärkere Dynamik und Anziehungskraft. BAT und Professorenbesoldung müssen langfristig durch flexible Vergütungssysteme ersetzt werden. ({9}) Die Juniorprofessur war gut gedacht, jedoch schlecht gemacht. Sie ist eben kein Tenure-Track-System, aber das brauchen wir. Drittens. Deutschland braucht international konkurrenzfähige Förderinstrumente. Im internationalen Umfeld beobachten wir eine starke Präferenz für indirekte Finanzierungshilfen für Forschung und Entwicklung. In 18 OECD-Ländern gibt es mittlerweile eine steuerliche Forschungsförderung. Wir schlagen hier und heute erneut eine solche Forschungsprämie vor, gemäß der Unternehmen, die mit Forschungseinrichtungen und Hochschulen zusammenarbeiten, belohnt werden. ({10}) Viertens. Deutschland braucht eine Nationale Akademie der Wissenschaften. Was uns in Deutschland fehlt, ist ein geistiges Zentrum einer innovativen Gesellschaft. Es muss nicht Sache der Politik sein, eine solche Akademie zu errichten. Aber das Gutachten des Wissenschaftsrates liegt jetzt seit über einem Jahr auf dem Tisch. Das Thema muss wieder auf die Tagesordnung. Vorschlag Nummer fünf: Wir brauchen ein strategisches Forschungs- und Innovationsministerium. Manchmal hat man den Eindruck, dass Ihr Haus, Frau Bulmahn, in den letzten Jahren zu einer Mischung aus PR-Agentur und Schulministerium geworden ist. Der Direktor des Albert-Einstein-Instituts, Professor Nicolai, hat es im Einstein-Jahr dann auch auf den Punkt gebracht: Hinter der glänzenden Fassade wird genau die Physik, die Einstein betrieb, demontiert. Das Geld für die Riesen-PR-Kampagne im Einstein-Jahr hätten Sie möglicherweise besser für die Einrichtung eines Einstein-Lehrstuhls ausgegeben. ({11}) Die Energieforschung ist auf vier Ministerien aufgeteilt, die sich gegenseitig blockieren. Wir haben nach wie vor kein komplettes Energieforschungsprogramm. Die Innovationsförderung für den Mittelstand, derentwegen Sie gerade Ihr Haus gelobt haben, wird zwischen BMBF und BMWA zerrieben. ({12}) Der Grünen Gentechnik geht es schlecht. Sie fördern, Frau Künast blockiert. Ebenso sieht es im Bereich Life Science aus. Frau Bulmahn, ich weiß nicht, ob Sie die Kraft haben, alle Ministerien zu überzeugen, dass Innovation nicht etwas ist, was in Ihrem Haus betrieben wird, sondern alle angeht. Manchmal können einem da Zweifel kommen. Ein strategisches Innovationsministerium ist mehr als nur eine Forschungsverwaltung. Es bedeutet nicht nur ein Klein-Klein von Projekten und Programmen, sondern es ist ein Impulsgeber einer innovativen Gesellschaft. Setzen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, gemeinsam mit uns die Vorschläge um, auch die, die ich nicht erwähnen konnte, die aber in den Anträgen zusammengefasst sind. Vielleicht gelingt es dann wenigstens, das Jahr 1 nach dem Jahr der Innovation zu einem solchen zu machen. Vielen Dank. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans-Josef Fell, Bündnis 90/Die Grünen.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Forschung und Innovation für eine starke Wirtschaft ist das berechtigte Anliegen aller Fraktionen in diesem Hause. Sie, meine Damen und Herren von der Union und der FDP, behaupten seit Jahren unentwegt, dass Deutschland wirtschaftliches Schlusslicht in Europa sei. ({0}) Sie reden den Standort unentwegt schlecht, so wie es auch Frau Reiche gerade wieder getan hat. ({1}) Doch Deutschland ist - das müssen Sie endlich einmal begreifen - die stärkste Wirtschaftsnation in Europa und eine der stärksten in der Welt. ({2}) Ja, Deutschland hat sogar die Kraft, dieses hohe Niveau weiter zu steigern. So lag das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes im ersten Quartal dieses Jahres um 1,0 Prozent höher als im Vorquartal. Damit hat Deutschland nicht nur absolut, sondern sogar prozentual die stärkste wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung in der Eurozone; so die neuesten Zahlen von Eurostat. Im Wesentlichen bestätigt wird die starke Wirtschaftsnation auch durch den der heutigen Debatte zugrunde liegenden Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschland 2005. So heißt es in der Zusammenfassung des Berichtes: Das Durchsetzungsvermögen der exportierenden Industrie ist aktuell uneingeschränkt hoch, sie bricht auf den Weltmärkten alle Rekorde. Auch zur Forschung gibt die Zusammenfassung eine eindrucksvolle positive Bewertung. Frau Ministerin Bulmahn hat dies deutlich gemacht. Aber weiter heißt es in diesem Bericht auch: Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie haben in Deutschland seit einigen Jahren auch in den öffentlichen Haushalten wieder einen leicht höheren Stellenwert bekommen. Vielfach gelingt es in anderen Staaten jedoch erheblich schneller, die Budgets gezielt auf mehr Investitionen zur Verbesserung der technologischen Leistungsfähigkeit auszurichten. Diese Mahnung, meine Damen und Herren von der Union, sollten Sie sich viel ernsthafter zu Herzen nehmen. Die rot-grüne Parlamentsmehrheit und die Bundesregierung haben seit Jahren mit mehr Mitteln für Bildung und Forschung für einen höheren Standard als unter der alten Regierung gesorgt. Frau Bulmahn hat das deutlich gemacht. ({3}) Jedoch die gerade für unsere Hochschulen und Forschungseinrichtungen weiteren notwendigen Erhöhungen der Ausgaben blockieren Sie in unverantwortlicher Weise. Allein durch die von Ihnen verursachte Verzögerung des Paktes für Forschung entgehen den institutionell geförderten Forschungseinrichtungen schon in diesem Jahr gut 150 Millionen Euro.180 Millionen Euro für die Juniorprofessur stehen wegen Ihrer Blockade nicht zur Verfügung. ({4}) Die Exzellenzinitiative haben Ihre Ministerpräsidenten schon wieder gestoppt. Damit fehlen den Hochschulen allein in diesem Jahr 380 Millionen Euro. Mit Ihrer Blockade der Abschaffung der Eigenheimzulage verhindern Sie notwendige Finanzierungen im Hochschulbau oder verschiedene Forschungsprojekte, beispielsweise für erneuerbare Energien, im Umweltministerium. ({5}) Meine Damen und Herren von der Union, es ist unerträglich, wie Sie Forschung, Bildung und Innovation in Deutschland zunehmend schädigen. ({6}) Sogar die ansonsten sehr zurückhaltenden Forscher und Hochschullehrer haben dies bereits in aller Deutlichkeit kritisiert. Am 18. Februar haben Wissenschaftsrat, DFG und Hochschulrektorenkonferenz gemeinsam angemahnt: Wir halten es für untragbar, dass die Realisierung von „Pakt“ und „Exzellenzinitiative“ im Zuge der Föderalismusdebatte zum Spielball wissenschaftsfremder Interessen geworden ist. ({7}) Seitdem sind schon wieder drei Monate verstrichen, in denen Sie von der Union hier zwar mit Krokodilstränen das Abwandern von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bedauern, zu wenig Aufwuchs bei den Forschungsmitteln beklagen und Deutschland als Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort schlecht reden. Aber Ihre Handlungen intendieren genau dies. ({8}) Statt Ihre Blockade gegen Bildung und Forschung endlich aufzugeben, legen Sie heute eine Reihe von Anträgen vor, in denen Sie dann auch noch behaupten, innovativ zu sein. Aber das ist doch nur ein Bauchladen voller alter Ladenhüter, die Sie schon immer gebracht haben; nichts Neues ist enthalten. ({9}) Ich muss an dieser Stelle einen dringlichen Appell an die Forscher und an die Hochschulen richten. Auch wenn sich diese bereits einige Male deutlich gegen die bildungs- und forschungsfeindliche Politik der Union geäußert haben: Die Proteste aus diesem Bereich sind offensichtlich immer noch nicht ausreichend. ({10}) Angesichts des Ausfalls von Steuermitteln droht im kommenden Jahr erstmals ein Rückgang der Mittel für Bildung und Forschung. ({11}) Auch der vom Kanzler versprochene Zuwachs für die Forschungsgemeinschaft von jährlich 3 Prozent ist möglicherweise akut gefährdet. ({12}) Helfen kann hier nur ein bundesweiter Proteststurm von Forschern, Hochschullehrern, Studenten, der Wirtschaft, ja, der gesamten Gesellschaft, damit die Ministerpräsidenten der unionsregierten Länder endlich wachgerüttelt werden ({13}) und einem Subventionsabbau nicht nur bei der Eigenheimzulage, sondern auch an anderen Stellen zustimmen. ({14}) Ansonsten, meine Damen und Herren von der Union, bekommen wir wieder Verhältnisse in Deutschland wie unter dem ehemaligen so genannten Zukunftsminister Rüttgers. Unter dessen Verantwortung im Zeitraum von 1992 bis 1998 ist der Anteil der Ausgaben für Bildung und Forschung im Haushalt von 4,7 Prozent auf 3,2 Prozent radikal zusammengestrichen worden. ({15})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Gesellschaft muss wissen, auf wen sie sich einlässt, wenn sie die wirklichen Forschungs- und Bildungsfeinde der Union wählt. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Flach, FDPFraktion.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Fell, ich habe das Gefühl, die Gesellschaft weiß im Augenblick nicht so recht, was sie von dieser Debatte überhaupt halten soll. Die eine Seite sagt so und die andere Seite sagt so. ({0}) Ich ziehe es aus diesem Grunde vor, an dieser Stelle jemanden zu zitieren, der nicht zu unserem erlauchten Kreis gehört. Herr Bullinger hat treffend gesagt: „Ohne die Automobilindustrie kann man Deutschland kaum noch als Hightechland bezeichnen.“ Herr Bullinger ist sicherlich unverdächtig, für eine Partei zu sprechen. Er ist der technologische Chefberater der Bundesregierung. Frau Bulmahn, ich muss mich also fragen, inwieweit Sie überhaupt noch in der Lage sind, die Situation realistisch zu beurteilen. ({1}) Ich muss auch fragen, inwieweit Sie noch in der Lage sind, über diese für unser Land grundlegenden Fakten zu diskutieren. ({2}) Es gibt inzwischen Dutzende von Berichten, die davor warnen, dass unser Forschungsstandort von der Grundsubstanz lebt, dass wir im Wettbewerb zurückfallen und dass das gesunde Fundament unterhöhlt wird. Frau Bulmahn, niemand erwartet von Ihnen - ich schon gar nicht -, dass Sie wie Moses das Meer für uns teilen und dass Sie die internationalen Globalisierungswinde, die um uns wehen, aufhalten. Wir erwarten aber natürlich von Ihnen, dass Sie unser Land in diesem Bereich seefest machen. ({3}) Aber das Manko liegt in Ihrer Haushaltspolitik. Wir erwarten deswegen von Ihnen eine verlässliche Haushaltspolitik. Herr Fell, ich bin entsetzt, dass Sie davon sprechen, der Kanzler denke jetzt darüber nach, seine Versprechen nicht einzuhalten, die er gegenüber der Wissenschaft gemacht hat. ({4}) Wir erwarten natürlich auch mutige Reformen unserer zum Teil wirklich altbackenen Strukturen. Seit Jahren gibt Deutschland zu wenig für Forschung und Entwicklung aus. Dem Ziel, 3 Prozent des BIP für diesen Bereich auszugeben, haben wir uns in den letzten Jahren nicht sonderlich erfolgreich genähert. Der Anteil liegt bei 2,5 Prozent. ({5}) Wenn das BIP jetzt steigt, müssen wir sogar noch ein wenig Geld mehr in die Hand nehmen. Wir sind nicht nur auf finanziellem, sondern auch auf politischem Gebiet nicht viel weiter gekommen. Denken Sie an die Entrümpelung des HRG, Frau Bulmahn! Denken Sie an den Wissenschaftstarifvertrag und an die Exzellenzinitiative, die wirklich nur schleppend vorankommt! ({6}) Liebe Frau Bulmahn, Sie leisten sich Spiegelfechtereien mit den Ländern. Das Geschrei von Herrn Tauss unterstreicht das. ({7}) Ich muss einmal eine Analogie zum wirklichen Leben ziehen. Nach nunmehr sechs Jahren Amtszeit leben Sie mit den Bundesländern zusammen wie ein altes Ehepaar. Jeden Morgen überlegen Sie sich, wie man dem anderen einen Stein in den Weg legen kann. Darunter leidet dieser Standort. ({8}) - Lieber Herr Tauss, ich kann Sie beruhigen. Ich feiere heute Silberne Hochzeit und führe eine gute Ehe. ({9}) Der Pakt für Forschung, die Exzellenzinitiative und die Finanzierung des Bologna-Prozesses sind inzwischen Symbole der Politikunfähigkeit von Bund und Ländern geworden. Darauf sollten wir alle in diesem Hause nicht besonders stolz sein. Der ewige Kleinkrieg erfreut zwar die Medien; er hat aber lange verdeckt, dass viele Akteure den Forschungsstandort verlassen haben. Wir haben hier immer wieder darüber diskutiert. Frau Ministerin, die offene Bilanz Ihrer Regierungszeit ergibt unter dem Strich vor allen Dingen eines: Sie kämpfen verzweifelt gegen die internationale Technologiekonkurrenz. Das ist ganz bestimmt ehrenhaft, hat aber ausgesprochen geringen Erfolg. ({10}) In der Elektrotechnik werden wir von Asien überholt. In der Informationstechnologie haben wir zwar aufgeholt, sind aber nicht mehr Technologieführer. ({11}) In der Mikroelektronik sehen nur 16 Prozent der Experten Deutschland als Innovator. In der Nanotechnologie sind wir nach wie vor Spitze in der Grundlagenforschung. ({12}) - Selbstverständlich. - Aber wir füllen nicht die Lücke zwischen der Grundlagenforschung und dem Produkt. In der Stammzellforschung und in der Pharmaforschung haben wir die Marktführerschaft verloren. ({13}) Wir sind selbst bei der Automatisierung dabei, den preiswerten Anbietern aus den asiatischen Bereichen Raum zu geben und unseren Spitzenplatz zu verlieren. ({14}) Betrachten Sie den Antrag zur ESS: Die Engländer sind gerade dabei, dieses wirklich hochinnovative Projekt abzugreifen. Es ist aus Deutschland verschwunden, weil Sie an dieser Stelle nicht in der Lage waren, Herrn Eichel oder auch andere in diesem Lande, die Sie hätten unterstützen können, dazu zu überreden, dass man dieses Projekt auf die Schiene bringt. Also hat es wieder einmal die europäische Konkurrenz übernommen. Unter dem Strich ist eines klar: Der Wettbewerb ist knallhart und wird natürlich durch die aufstrebenden Nationen China und Indien sowie in Osteuropa noch härter. Andere Länder fördern ihre Forschung und Entwicklung deutlich entschlossener, konsequenter, abgestimmter und strategisch klarer ausgerichtet. ({15}) Frau Bulmahn, ich frage Sie ganz im Ernst: Wie beabsichtigen Sie in den verbleibenden anderthalb Jahren, auf die industriepolitische Herausforderung unserer europäischen Partner zu reagieren? Dazu höre ich von Ihnen keine Antwort. Wir haben es mit Frankreich zu tun, das allein im Raumfahrtbereich das Zigfache von dem ausgibt, was wir ausgeben. Wir haben es mit Italien und Belgien zu tun, die uns natürlich überholen. Ich höre von der Bundesregierung keine Antwort auf diese großen europäischen Herausforderungen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn wir dazu eine wirklich maßgebliche Debatte führen könnten. ({16}) Ihr Haushalt ist schon heute Makulatur; Herr Fell hat es eben erwähnt. Ich bin gespannt, ob diese düsteren Voraussagen auch zutreffen werden. Wenn man zu den Hochschulen und den Wissenschaftlern geht, erkennt man überall, dass dies auch draußen angekommen ist. Optimismus greift eben leider nicht um sich, so wie Sie es eben dargestellt haben. ({17}) Lassen Sie mich etwas zu dem sagen, dass man in der Bundesregierung versucht, dies rhetorisch glänzend zu heilen. Der Kanzler hat vor wenigen Tagen erneut von dem Gründerfonds gesprochen. Jetzt bekommen wir plötzlich die Entsperrungsmitteilung unserer Haushaltsexperten auf den Tisch, dass dieses große Gründerfondsprojekt auf die Schiene gestellt wird. Das, was durch die Medien gegangen ist, umfasst knappe 5 Millionen Euro in diesem und knappe 20 Millionen im nächsten Jahr. Sie glauben doch wohl nicht, dass ich, als ich dies auf dem VDI-Kongress vor wenigen Tagen den dort Versammelten mitteilte, Begeisterung geerntet habe. Gelächter, Frau Bulmahn! Das sind kleine Trippelschrittchen, mit denen wir diesem Standort leider nicht weiterhelfen werden und über die wir vor allen Dingen in den Medien in dem Sinne lesen werden, dass etwas getan werden soll, aber noch nicht in der Realität umgesetzt ist.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss?

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Kollege Tauss darf heute leider nicht reden. ({0}) Deswegen möchte ihm diese Gelegenheit geben. - Herr Tauss.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der Kollege Tauss hat eigentlich keine Probleme zu reden. In unserer Arbeitsgruppe - Sie haben keine Arbeitsgruppe; Sie müssen sich mit einer Person abwechseln - haben wir genügend qualifizierte Leute, die reden können. Trotz des ganzen Gejammers, das Sie anstimmen, ist es in vielen Bereichen eine zutreffende Beschreibung. In Baden-Württemberg, in dem Land, in dem Sie mitregieren, wurde gerade gesagt, dass die Förderung von Einbauküchen und Vorgartenzwergen durch die Eigenheimzulage ein wichtigerer Punkt sei als die Förderung von Bildung und Wissenschaft. Was tun Sie in BadenWürttemberg - ich betone: Sie konkret -, um diese Blockade von mehr als 600 Millionen Euro im nächsten und 60 Millionen Euro in diesem Jahr - zusammen mit der CDU/CSU verhindern Sie durch Ihre Politik, dass Hunderte von Millionen an die Universitäten fließen - aufzulösen?

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Erst einmal zur Klarstellung - damit Sie ganz beruhigt sind -: Selbstverständlich hat die FDP-Fraktion eine Arbeitsgruppe, ({0}) mit der wir auch sehr intensiv arbeiten, wie Sie alle wissen, wenn Sie unsere Anträge lesen. Auch heute liegt Ihnen ja wieder einer vor. Das ist das Erste. Das Zweite. Herr Tauss, falls Ihre Frage die Aufforderung an mich sein sollte, ({1}) das nächste Mal für die Landesliste von BadenWürttemberg zu kandidieren, kann ich dies als Nordrhein-Westfälin entschieden zurückweisen. Ich bin und bleibe Nordrhein-Westfälin. ({2}) Das Dritte. Lieber Herr Tauss - darüber haben wir schon oft diskutiert -, ({3}) Sie kennen meine persönliche Meinung, dass die Eigenheimzulage in die Mottenkiste gehört. ({4}) Das wissen Sie und das ist nichts Neues. Allerdings diskutieren wir über dieses Thema nun bereits seit einem Jahr. Die Bundesregierung ist diejenige, die längst hätte reagieren müssen. ({5}) Ich frage mich: Gibt es für Sie eigentlich nur die Eigenheimzulage und keine andere Subvention, an die Sie herangehen könnten? ({6}) Wie sieht Ihr Haushalt überhaupt aus? Sie „verdummdeudeln“ die Leute, indem Sie ständig von einem einzigen Subventionspaket reden, ({7}) und Sie haben offensichtlich nicht genug haushalterische Fantasie, um das Ganze anders zu gestalten. ({8}) Sie wissen, dass das nicht funktioniert. Insofern ist das nichts als ein rhetorischer Gag, ({9}) der immer wieder gut funktioniert, der den Leuten im Lande - das muss ich Ihnen sagen - aber nicht helfen wird. ({10}) Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass die FDPFraktion in den letzten Jahren - übrigens als einzige Fraktion - immer wieder dafür gesorgt hat, dass entsprechende Sparvorschläge auf dem Tisch lagen. Ich habe unser dickes Büchlein heute nicht dabei; nächstes Mal bringe ich es wieder mit. Auch wissen Sie, dass wir im Augenblick in Nordrhein-Westfalen heftig über eine Kürzung der Subventionen für die Steinkohle diskutieren. ({11}) Gerade Sie rasten dabei völlig aus. ({12}) Bei der FDP haben wir es also mit einer Fraktion zu tun, die haushalterisch ausgesprochen ausgefeilte Vorschläge vorlegt. Wir sind bereit, dieses Geld in Forschung und Entwicklung zu stecken. Genau das werden wir 2006 tun. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, herzlichen Glückwunsch zu Ihrem 25-jährigen Ehejubiläum am heutigen Tag. ({0}) Das Wort hat die Kollegin Martina Eickhoff, SPDFraktion. ({1})

Martina Eickhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003711, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Innovation und Forschung sind unverzichtbare Bausteine für die wirtschaftliche Entwicklung unserer Gesellschaft. Diesem Leitsatz hat die rot-grüne Bundesregierung in den vergangenen Jahren Taten folgen lassen. Das zeigen die heute gehörten Ausführungen der Bundesministerin für Bildung und Forschung. Nochmals sei gesagt: Zwischen 1998 und 2003 sind die Ausgaben des Bundes für Forschung und Entwicklung um 1 Milliarde Euro auf rund 9 Milliarden Euro gestiegen. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in Deutschland insgesamt sind von 44,6 Milliarden Euro im Jahr 1998 auf 53,3 Milliarden Euro im Jahr 2003 gestiegen. Das ist ein beachtlicher Zuwachs von mehr als 19 Prozent. ({0}) Nach den USA hat Deutschland mit 15,6 Prozent den zweithöchsten Weltmarktanteil bei forschungsintensiven Gütern. Bescheinigt wird dies zum Beispiel durch den „Wirtschaftsbericht Deutschland“ der OECD. Die SPD-Fraktion ist sich bewusst, dass der Wohlstand unserer Gesellschaft auf Produktinnovationen basiert. Unsere Forschungspolitik wird die Menschen zu Innovationen befähigen. Nachweislich besteht in Deutschland ein positiver Zusammenhang zwischen Forschungsinvestitionen und Wirtschaftswachstum. Darstellen lässt sich das am Beispiel der Nanotechnologie. Ich zitiere aus der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU mit dem Titel „Lage der Forschung in Deutschland“: Die Forschung zur Nanotechnologie in Deutschland wird von deutschen Firmenvertretern als weltweit führend eingestuft … Die Mittel für die Förderung von Forschungsvorhaben im Bereich Nanotechnologie wurden seit 1998 um 440 % auf 125 Mio. € im Jahr 2004 gesteigert. Ich wiederhole: um 440 Prozent. ({1}) Mit Unterstützung der vom BMBF initiierten und geförderten Kompetenzzentren der Nanotechnologie wurden ab 1998 ca. 40 neue Firmen gegründet … Der von der CDU/CSU-Fraktion eingebrachte Antrag „Forschungs- und Innovationsförderung für die Arbeitsplätze der Zukunft“ ist ein bunter Strauß von Forderungen, ein wenig tief gehender Rundumschlag, der der angesprochenen Bedeutung der Innovationspolitik nicht gerecht wird. Aber gut, in wenigen Tagen ist Wahl in Nordrhein-Westfalen. Einige Details: Sowohl im Antrag der CDU/CSU-Fraktion als auch im FDP-Antrag wird das Thema Energieforschung angesprochen. Meine Damen und Herren der Opposition, zu Recht weisen Sie darauf hin, dass besonders der Energiesektor eine enorme Wirkung auf die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes hat und deshalb immens wichtig ist. Dass dieses Thema für die Regierungskoalition nicht neu ist, wissen Sie. Bekanntermaßen haben SPD und Bündnis 90/Die Grünen zum Jahreswechsel einen Antrag formuliert und beschlossen, der da heißt: „Nationales Energieforschungsprogramm vorlegen“. Einige Stichpunkte aus diesem Antrag lauten: Steigerung der Energieeffizienz, gezielte Förderung von erneuerbaren Energien sowie Entwicklung klimaschonender Techniken zur Stromerzeugung aus fossilen Energieträgern. ({2}) Wir streben einen Mix an, der die Potenziale der unterschiedlichen Energieträger angemessen berücksichtigt, Effizienzsteigerung erreicht sowie Versorgungssicherheit gewährleistet. Die Bundesregierung wird ein neues Energieforschungsprogramm vorlegen, das von der Grundlagenforschung bis zur anwendungsnahen Forschung reicht. Die genannten Stichworte tauchen hier wieder auf. Konkrete Forschungsfelder werden unter anderem: Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energien, Kraftwerkstechnologien, Brennstoffzellen und Energieeinsparungstechnologien. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Erfolge der Energieforschung lassen sich jedoch schon heute benennen. Das gilt für den Bereich der erneuerbaren Energien, deren Anteil am Primärenergieverbrauch aufgrund entsprechender Entwicklungen stetig steigt. Das technologische Potenzial der erneuerbaren Energien und die damit verbundenen Exportchancen sind anerkennenswert und bemerkenswert. ({3}) Aber auch bei den fossilen Energieträgern zeigt sich der Erfolg von Forschungsprojekten: Moderne Kraftwerkstechnologien können entscheidenden Einfluss auf die Energieversorgung der Zukunft und den globalen Umweltschutz nehmen. Darauf hat Ende 2003 unter anderem der von der Bundesregierung eingesetzte Rat für Nachhaltige Entwicklung hingewiesen. Im Weltdurchschnitt pendelt sich der Wirkungsgrad aller Kohlekraftwerke zurzeit bei 31 Prozent ein. In Deutschland liegen wir durchschnittlich bei einem Wirkungsgrad von 38 Prozent. Wir erreichen Spitzenwerte von 45 Prozent. Damit sind wir weltweit führend. Wirkungsgrade von 55 Prozent werden in den kommenden zehn Jahren angestrebt. ({4}) Länder wie China und Russland liegen mit 23 Prozent weit zurück. Das heißt, wir stehen bei der Kraftwerkstechnologie an erster Stelle. Neben der effizienteren Nutzung vorhandener Energien geht es auch um CO2-Reduktionstechniken. Zum Klimaschutz könnte ein CleanCoal-Kraftwerk enorm beitragen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen an diesen wenigen Beispielen: Die Innovationspolitik dieser Bundesregierung wirkt. Unsere Forschungsförderung regt zu sinnvollen Neuerungen an. Ein Beispiel für weniger brauchbare Innovationen war übrigens in dieser Woche auf der Webseite von „Spiegel online“ zu lesen. Die Schlagzeile hieß „Anti-Lachkrampf-Mittel - US-Firma erfindet Krankheit zur Arznei“. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Maria Böhmer, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es schon bemerkenswert, wie heute von Regierungsseite und auch vonseiten der Regierungskoalition die Realität ausgeblendet wird. Seit gestern wissen wir: Die Bundesregierung steht finanziell am Abgrund. ({0}) Die Steuerschätzung hat deutlich gemacht: Es ist mit einem Minus von mehr als 40 Milliarden Euro zu rechnen. ({1}) Das bedeutet, dass Ihre Planungen, Frau Bulmahn, wie ein Kartenhaus zusammenbrechen werden. Das ist eine Katastrophenmeldung für Bildung und Forschung in unserem Land. ({2}) Der Bundesfinanzminister hat schon vor einiger Zeit - wohl wissend offensichtlich - angekündigt, dass drastische Kürzungen im Bereich Ihres Haushalts vorzunehmen wären. Es ist die Rede gewesen von 1 Milliarde Euro. ({3}) - 1 Milliarde Euro, die dann fehlen wird. Das heißt, hier werden Hoffnungen und Planungen in den Sand gesetzt. Das ist so nicht haltbar. Ich halte es auch für absurd, dass immer wieder - auch heute - versprochen wird, dass es zu höheren Investitionen für Bildung und Forschung kommt. ({4}) Der Kollege Fell hat immerhin angedeutet, womit zu rechnen ist. Diese Ehrlichkeit rechne ich ihm hoch an. Ansonsten muss ich Ihnen sagen: Es fehlt Ihnen an Geld. Mit ungedeckten Schecks ist hier niemandem gedient. ({5}) - Lieber Herr Tauss, ereifern Sie sich weiterhin. Es macht jede Debatte munter, wenn Sie so dabei sind. Das gilt auch für das Versprechen, das Sie mantraartig wiederholen und das richtig ist, dass nämlich die Investitionen für Forschung und Entwicklung bis 2010 auf 3 Prozent des Bruttosozialprodukts zu steigern sind. Dieser Weg muss gegangen werden. Stellen wir uns aber einmal vor, was das für Sie bedeutet: Wenn Sie dieses Ziel erreichen wollten, dann müssten Sie ab jetzt eine Steigerungsrate von sage und schreibe 9 Prozent vorlegen. Diese Steigerungsrate ist angesichts der finanziellen Verhältnisse, die Sie zu verantworten haben, doch völlig illusorisch. ({6}) Im Übrigen: Da Sie vorhin behauptet haben, zu unserer Zeit wären die Dinge so viel schlechter gewesen, ({7}) muss ich Ihnen sagen: Sie weisen heute einen Anteil der Investitionen am Bruttosozialprodukt von 2,51 Prozent aus. Wir haben es eben von der Ministerin gehört. Zu unserer Regierungszeit waren es 2,9 Prozent. ({8}) - Das ist Fakt. ({9}) Ich will Ihnen auch noch einmal sehr deutlich sagen, dass die Mittel von staatlicher Seite zurückgefahren worden sind: 1995 betrug der Anteil der staatlichen Mittel 38 Prozent, heute sind es ganze 31 Prozent. ({10}) Die Leistungen, die im FuE-Bereich dafür sorgen, dass Deutschland mit 2,51 Prozent gerade noch über die Runden kommt, sind die Leistungen der Wirtschaft und nichts anderes. ({11}) Angesichts dieser riesigen Haushaltslöcher frage ich Sie auch, Frau Ministerin: Wie wollen Sie den Pakt für Forschung und die Exzellenzinitiative noch finanzieren? Woher nehmen Sie die Mittel? ({12}) Oder wird das alles jetzt Makulatur? Sie wissen: Wir stehen zum Pakt für Forschung und Innovation. ({13}) Wir sind für die Stärkung der außeruniversitären Forschung; denn sie braucht verlässliche Steigerungen. ({14}) Wir sind auch für die Stärkung der universitären Forschung. Ich sage Ihnen aber deutlich - da können Sie noch so laut schreien -: Man muss es richtig machen. ({15}) Bei dem Weg, den Sie einschlagen wollten, denke ich immer noch an „Brain-up“ und an den Wettbewerb der Spitzenuniversitäten. Der erste Vorschlag für diesen Wettbewerb grenzte ja schon an Lächerlichkeit. Das ist in Verhandlungen mühsam auf den Weg gebracht worden. Man kann Elite nicht verordnen, sondern man muss für die Elite günstige Rahmenbedingungen bis hin zur Übernahme der vollständigen Kosten für Forschungsprojekte schaffen. In dieser Situation werfen Sie uns Blockade vor und legen Sie sich ständig quer. Das ist doch die Wahrheit. ({16}) Gehen Sie auf unsere Vorschläge ein, dann können wir in Kürze abschließen und die Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen werden endlich, so Sie es finanzieren können, die finanziellen Mittel haben. ({17}) Das Trauerspiel verfolgen wir auch bei der Föderalismusdebatte. Das ist der nächste Akt, auf den wir genau schauen werden. Ihr Parteivorsitzender hat endlich eine Einsicht gehabt. Er hat nämlich den Föderalismus in Bildungsfragen akzeptiert. Frau Bulmahn, was haben Sie getan? Sie hatten nichts Eiligeres zu tun, als wieder dagegen zu gehen und wieder deutlich zu machen, dass Sie auch weiter in die Schulpolitik hineinregieren wollen. ({18}) Sie haben eine Pressekonferenz zum Thema Ganztagsschulen einberufen. Sie wissen genau: Schulpolitik ist Ländersache. Dies soll auch in Zukunft so bleiben; denn unsere Länder sind die Besseren. ({19}) Die von Ihnen so viel gepriesene Innovationsoffensive hat keinen messbaren Ertrag gebracht. Da können Sie hier noch so viel vorrechnen. Woran liegt das? Einerseits ist Deutschland in der Grundlagenforschung hervorragend. Wir haben in unserem Land exzellente Forscher. Man muss sich aber immer wieder fragen, wie lange viele noch in unserem Land bleiben werden. Deutschland verfügt über Unternehmen, die innovationsbereit und offen sind für neue Ideen und Techniken. Aber viele hervorragende Forschungsergebnisse bleiben in den Labors und finden keine Anwendung. Das ist der Punkt, an dem wir arbeiten müssen. Wir müssen aus der Grundlagenforschung über die Entwicklung in die Anwendung kommen. ({20}) Nicht nur das Ausland darf aber von dem profitieren, was in Deutschland erforscht worden ist. Die Anwendung sollte primär in Deutschland stattfinden. Dafür müssen wir die Rahmenbedingungen setzen. ({21}) Ich will Ihnen die Antwort mit den Worten von Peter Gruss, dem Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, geben. Er hat gesagt: Das virtuelle Staffelholz zwischen den Forschungseinrichtungen und innovativer Wirtschaft darf … nicht zu Boden fallen. Ich glaube, wir sind gut beraten, uns dem Vorschlag der Max-Planck-Gesellschaft zuzuwenden. Sie schlägt die Schaffung von Innovationsfonds vor. Mit diesen Innovationsfonds kann die Brücke zwischen Forschung und Wirtschaft geschlagen werden. Wir stehen hinter dieser Idee, wir sind dafür, dass diese strukturelle Lücke schnellstens geschlossen wird. Wir fordern Sie auf: Machen Sie mit! Tun Sie etwas dafür, dass Forschungsergebnisse auch zu entwicklungsfähigen Produkten werden, damit die Chancen wachsen, in unserem Land zu Arbeitsplätzen und Wachstum zu kommen. ({22}) Man darf an dieser Stelle eines nicht unerwähnt lassen: Die Diskrepanz zwischen Reden und Handeln ist bei Ihnen immer wieder riesig. ({23}) Das wird an keinem Beispiel so deutlich wie an dem der Grünen Gentechnologie. ({24}) Sie müssen verantworten, dass die Chancen für Deutschland verloren zu gehen drohen. Rund um den Globus werden auf 70 Millionen Hektar gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut, in Deutschland gerade einmal auf 673 Hektar. Das weltweite Marktpotenzial wird auf 500 Milliarden Dollar geschätzt. Schauen Sie sich vor Ort, dort, wo die Industrie in diesem Bereich forscht und Arbeiter auf Arbeitsplätze hoffen, um. Gehen Sie einmal zur BASF. Dort werden bis zum Jahr 2010 700 Millionen Euro in den Ausbau der Pflanzenbiotechnologie investiert. Ich sage: möglichst in Deutschland!

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die IG BCE und der Betriebsrat der BASF kämpfen mit Vehemenz dafür, dass endlich die Grüne Gentechnologie eine Chance erhält. Wir werden im Vermittlungsausschuss alles daransetzen, dass die Fehler, die Sie im Gentechnikgesetz gemacht haben, beseitigt werden, damit Deutschland wieder eine Chance hat. Wir werden alles daransetzen, an das anzuknüpfen, was zu unserer Zeit galt: Deutschland war der größte Technologielieferant Europas. Es ist Zeit für eine neue Bundesregierung, damit dieser Weg wieder beschritten wird. Dafür werden wir kämpfen. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Reinhard Loske, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Reinhard Loske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003176, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Böhmer, es ist schon ein wenig abenteuerlich. Einige Ihrer Argumentationen habe ich durchaus verfolgt. ({0}) Ein Argument ist mir besonders aufgefallen. Bis jetzt haben Sie bei jeder Debatte behauptet, die Forscherinnen und Forscher liefen aus Deutschland weg, alles sei ganz furchtbar. Braindrain war Ihr Stichwort. Jetzt haben Sie offenbar gemerkt, dass Sie, wenn Sie den Standort Deutschland immer so schlechtreden, wie Sie es in der Vergangenheit getan haben, die Argumentation leicht ändern müssen. Jetzt heißt es: Wer weiß, wie lange die Forscherinnen und Forscher noch bleiben? Die Realität ist eine ganz andere: Sie kehren zurück, und zwar wegen unserer Politik und der Rahmenbedingungen, die wir setzen. ({1}) Ein Zweites können wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Das sind Ihre Zahlen. Sie müssen schon bei der Wahrheit bleiben. ({2}) 1998 lag der Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt bei knapp 2,3 Prozent, heute liegt er bei 2,5 Prozent, das ist ein deutlicher Aufwuchs. Diese Ansicht könnten Sie möglicherweise teilen. Ihre These ist, der öffentliche Anteil sei zurückgegangen. Auch diese These stimmt nicht; denn der Anteil des Bundes ist zwischen 1998 und heute von 8,2 auf knapp 9 Milliarden Euro gestiegen. Sie sagen hier also die Unwahrheit und das können wir nicht akzeptieren. ({3}) Jetzt zu Frau Flach. Ich hoffe - ich nehme an, das hat auch die Frau Präsidentin so gemeint -, wir haben vorhin nicht über Ihre Ehe gesprochen. ({4}) Da ich auch Ihren Mann kenne, gehe ich eigentlich fest davon aus, dass Sie sich nicht morgens darüber Gedanken machen, wie man dem Partner Steine in den Weg rollen kann. Vielleicht beschreibt das Beispiel das Verhalten der Länder ganz gut, aber ganz sicher nicht Ihre Ehe. ({5}) Die CDU hat die These vertreten: Früher war alles besser. Dazu komme ich gleich noch. Sie haben die These vertreten: Andere sind durchweg besser. Dass wir besser werden müssen, darüber besteht Einvernehmen. Auch darüber, dass die Skandinavier mehr Mittel für Forschung und Technologie bereitstellen als wir, besteht Einvernehmen. Betrachten wir dazu einmal die nüchternen Zahlen: Der Anteil der Forschungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt beträgt bei uns 2,5 Prozent. In Amerika beträgt er 2,6 Prozent, ist also nur geringfügig höher. Im Vereinigten Königreich liegt er bei 1,9 Prozent, in Frankreich bei 2,3 Prozent. Sie sollten uns also nicht ständig so schlechtreden. Wir müssen besser werden, aber wir sind nicht schlecht. Das möchte ich noch einmal betonen. ({6}) Das sehen wir auch alle, unabhängig von der Parteizugehörigkeit. Ein Argument finde ich besonders heuchlerisch und verlogen, auch wenn es auf der Metaebene natürlich stimmt, nämlich das Argument: Es ist zu wenig Geld da. Ja, das stimmt. Warum aber ist zu wenig Geld da? ({7}) Es ist zu wenig Geld da, weil Sie systematisch den Pakt für Forschung und Innovation blockieren, weil Sie systematisch die Exzellenzinitiative blockieren, weil Sie dem Abbau aller möglichen Subventionen nicht zustimmen. Das war nicht nur bei der Eigenheimzulage so, sondern auch beim Agrardiesel und anderen Subventionen. Sie sprechen hier also mit gespaltener Zunge und sind nicht glaubwürdig. Das muss man ganz klar sagen. ({8}) Jetzt zu zwei Forschungsfeldern, bei denen gewaltige Unterschiede zwischen uns bestehen. Hier nenne ich zum einen das Thema Biotechnologie. Für uns ist wichtig, das Thema Biotechnologie wesentlich weiter auszudehnen. Zur Biotechnologie gehören für uns auch Themen wie Biokatalyse, Bionik, Bioenergien, Biorohstoffe usw. Mit Ihrer Verengung des Themas auf Grüne Gentechnik springen Sie viel zu kurz und weisen in die völlig falsche Richtung. Es gibt Felder, in denen wir Weltspitze sind, zum Beispiel bei der Weißen Biotechnologie; das ist die Biotechnologie, die in industriellen Prozessen außerhalb des menschlichen Körpers und innerhalb der Fabriken stattfindet. Hier sind wir heute schon Weltspitze ({9}) und diese Position an der Weltspitze wollen wir durch die Setzung entsprechender Rahmen, beispielsweise durch das BMBF, weiter ausbauen. Hierdurch werden wir unsere Position an der Weltspitze halten. ({10}) Unterstützen Sie das und blockieren Sie das nicht dauernd! Das machen Sie nämlich gerade bei der Novelle des Gentechnikgesetzes. Die Vereinfachung, die wir uns im Bereich der Weißen Biotechnologie, also im geschlossenen System, vorgenommen haben, versuchen Sie gerade wieder zurückzunehmen. Ihre sonstigen Vorstellungen im Vermittlungsausschuss sind wahnsinnig: Erstens. Bezüglich der Haftung für Schäden durch gentechnisch veränderte Pflanzen wollen Sie beispielsweise, dass nicht der Verursacher haftet, sondern dass im Prinzip der Betroffene den Schaden trägt. Sie wollen die Gewinne privatisieren und die Verluste sozialisieren. Das machen wir ganz eindeutig nicht mit. ({11}) Zweitens wollen Sie das Standortregister wieder schließen. Sie wollen, dass die Leute keinen Einblick haben. Auch das ist unakzeptabel. Wir sind für Transparenz. Drittens. Völlig inakzeptabel ist, dass Sie den Schutz ökologisch sensibler Gebiete komplett kippen wollen. - Hier bestehen zwischen uns gewaltige Unterschiede. Das ist erkennbar. Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen: Sie fordern immer wieder ein konsistentes Energieforschungsprogramm ein. ({12}) Wir sind da dran. Das ist jedoch schwierig. Sie jedoch setzen völlig einseitig auf Atomenergie bzw. Fusionsenergie. Aber das ist die Energie der Vergangenheit und nicht die Energie der Zukunft. Ich will Ihnen dazu einmal einige Zahlen nennen. Seit den 50er-Jahren sind 80 Prozent der gesamten öffentlichen Energieforschungsmittel innerhalb der OECD in Kernspaltung und Kernfusion geflossen. Gedeckt werden dadurch nur noch 7 Prozent des Weltenergiebedarfs. Ich fordere Sie daher auf: Kommen Sie weg von Ihrer einseitigen Fixierung auf Atomenergie und Kernfusion! Gehen Sie mit uns den Weg der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz. Dann sind Sie auf der richtigen Seite. Danke schön. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Marion Seib, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Marion Seib (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bereitschaft der Wirtschaft zu Innovationen am Standort Deutschland hat zwar zugenommen. Unsicherheit über die mittelfristigen Absatz- und Wachstumsaussichten begrenzt jedoch das finanzielle Engagement bei Investitionen in Forschung und Entwicklung, in hoch qualifiziertes Personal und in Sachanlagen. Und: Vielfach gelingt es in anderen Staaten jedoch erheblich schneller, die Budgets gezielt auf mehr Investitionen zur Verbesserung der technologischen Leistungsfähigkeit auszurichten. Diese zwei Zitate aus dem Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit 2005 der Bundesregierung bringen es tatsächlich auf den Punkt. Kurzum: Unsere Ausgaben für Forschung und Entwicklung stehen hinter der internationalen Entwicklung deutlich zurück. Das Forschungs- und Innovationsgeschehen ist in anderen Ländern weitaus dynamischer. China hat seine Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen allein seit Mitte der 90er-Jahre vervierfacht und sich mit FuE-Ausgaben von 72 Milliarden US-Dollar auf Rang drei der forschungsreichen Länder katapultiert. Die trübe Entwicklung zeigt sich auch im gestern veröffentlichten Wettbewerbsindex des International Institute for Management Development in Lausanne; das konnte man in der „FAZ“ nachlesen. Im Vergleich von 60 Staaten ist Deutschland mittlerweile auf den 23. Platz abgerutscht. Vor einigen Jahren befand sich unser Land noch auf Platz 13. Klarer kann sich das rot-grüne Regierungsversagen nicht ausdrücken. ({0}) Forschungs- und Innovationsförderung für die Arbeitsplätze der Zukunft - wenn wir dieses Thema diskutieren, so stehen wir in Deutschland vor einem Dilemma. Wir benötigen ganz dringend Arbeitsplätze, vor allem aber in den Spitzentechnologien, um unsere Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt aufrechterhalten zu können. Der materielle Wohlstand unserer Volkswirtschaft wird in Zukunft maßgeblich davon abhängen, wie viele junge Menschen in Wissenschaft und Forschung tätig sind und wie viele Spitzenleistungen erbracht werden können; denn nur in den wachstumsstarken Bereichen der Spitzentechnologien können langfristig Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Bundesregierung bietet bisher keinen Ausweg aus diesem Konflikt. Sie steuert vielmehr unentwegt einen Zickzackkurs. Im vergangenen Jahr der Technik erlebten wir ein wahres Feuerwerk an verbalen Worthülsen in Sachen Innovation und Fortschritt. In diesem Jahr vertreibt Rot-Grün durch Kapitalismusdiskussionen innovative und risikofreudige Unternehmer ins Ausland. Was nutzt es, wenn der Bundeskanzler Mitte April gemeinsam mit der KfW und einigen Großunternehmen einen Innovationsfonds für junge Unternehmer in Höhe von 140 Millionen Euro ins Leben ruft und Herr Müntefering zur gleichen Zeit wenige Stunden später auf die kapitalistischen Heuschrecken einprügelt? ({1}) Was fehlt, ist eine klare Linie der Bundesregierung. Es fehlt die Botschaft, dass Spitzentechnologieunternehmen in Deutschland ohne Wenn und Aber willkommen sind. ({2}) Der Bundesregierung fehlen der Mut und die Entschlossenheit, auf die Herausforderungen der globalisierten Wirtschaft angemessen zu reagieren und damit auf die Wissensgesellschaft einzugehen. Die bereits erwähnte Studie aus der Schweiz fasst dies mit den folgenden Worten zusammen: Deutschland muss die Reform des Steuersystems, die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen, die Entwicklung und Anwendung einer umfassenden Innovationsstrategie und die Verbesserung des Ausbildungswesens in Angriff nehmen. Besser hätten auch wir das nicht formulieren können. Zwei Beispiele für das widersprüchliche zaghafte Verhalten der Bundesregierung sind besondert markant. Im Bereich der Biotechnologie stolpert die Regierungskoalition hin und her. Einerseits unterstützt sie die so genannte Weiße Gentechnik vollmundig, andererseits brandmarkt sie die Grüne Gentechnik als Teufelszeug. Einen Schlingerkurs fährt die Regierung ebenso in Sachen Energieforschung. Auch wenn Herr Trittin noch so laut Hurra schreit, wenn ein Atomkraftwerk vom Netz geht: Deutschland fehlt ein konsistentes neues Energieforschungsprogramm, das alle technologischen Optionen untersucht und offen hält. Bemerkenswert ist das Themenpapier aus dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit mit dem Titel „Atomkraft: Wiedergeburt eines Auslaufmodells?“. Hier heißt es zum Beispiel lapidar: Der nationale Strom-Mix verändert sich wie seit den Siebziger und Achtziger … nicht mehr. Damals veränderten Atomkraftwerke die Struktur der Stromerzeugung; jetzt sind es die unerschöpflichen Energien aus Wind, Sonne, Wasser, Biomasse und Erdwärme. Wirklichkeitsferner geht es nicht mehr. Außer blumigen Worten fehlt jeder konkrete Hinweis, Herr Kollege Fell, darauf, wie die Kernenergie kurz- und mittelfristig durch alternative Energien in Deutschland ersetzt werden kann. ({3}) Zu einer zukunftsgerichteten Forschungs- und Innovationsförderung gehört auch eine preiswerte und von äußeren Einflüssen weitgehend unabhängige Energieversorgung. In der Antwort auf unsere Große Anfrage zur Lage der Forschung in Deutschland schreibt die Bundesregierung: Die Verbindungen zwischen FuE, Innovation und Arbeitsplatzschaffung sind in einer arbeitsteiligen Volkswirtschaft vielschichtig und komplex. Da hat die Bundesregierung Recht, doch sie lässt dieser Erkenntnis keine Taten folgen. Ihre Aktionen sind kurzatmig und oft nicht richtig durchdacht. Auf der einen Seite fördert sie junge Unternehmen mit Innovationsfonds, auf der anderen Seite will sie genau diesen Unternehmen mit einem übertriebenen Antidiskriminierungsgesetz das Leben schwer machen. ({4}) Forschungs- und Innovationsförderung ist langfristige Zukunftsplanung. Die heutigen Weichenstellungen werden sich erst langfristig auswirken. Deswegen müssen wir die Technologien mit Innovationspotenzial rechtzeitig identifizieren und unterstützen. In unserem Antrag haben wir einige Bereiche, natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit, genannt. Jetzt kommt es darauf an, eine optimale Verzahnung von Finanzmitteln, Wissenschaft und Wirtschaft zu fördern, damit gut bezahlte Arbeitsplätze der Zukunft in Deutschland entstehen und auch mit exzellent ausgebildeten Fachkräften besetzt werden können. Die geschätzten Steuerausfälle in Höhe von 67 Milliarden Euro zeigen deutlich, dass der Spielraum der öffentlichen Hand in den nächsten Jahren gering bleibt. Umso wichtiger ist es, die Hebelwirkung der Förderprogramme zu optimieren und ständig zu evaluieren. Mit gutem Beispiel geht hier Bayern mit seiner Politik der Clusterbildung voran. In den letzten zehn Jahren hat Bayern zum Beispiel durch den Einsatz von mehr als 3 Milliarden Euro aus Privatisierungserlösen Schlüsseltechnologien wie Life Science, Informations- und Kommunikationstechnologie oder Mechatronik gezielt gestärkt und damit den Boden für leistungsfähige Wirtschafts- und Wissenschaftscluster bereitet. Mit der konsequenten Verzahnung von Finanzmitteln, Wissenschaft und Wirtschaft kann es uns gelingen, innovative Spitzentechnologien dauerhaft in Deutschland zu etablieren, unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu erhöhen und damit unseren Sozialstaat zu erhalten. Diese Chance müssen wir alle nutzen. Besten Dank. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Andrea Wicklein, SPD-Fraktion. ({0})

Andrea Wicklein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003659, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der springende Punkt auch bei dieser Debatte ist, dass die Reden und die Taten der Union einfach nicht zusammenpassen. ({0}) Die Vorschläge der Union in den vorliegenden Anträgen für Bildung und Forschung sind marginal, bunt zusammengewürfelt und lassen keine wirklich ehrliche Strategie erkennen. Zum Beispiel fordern Sie in Ihren Anträgen mehr Geld für optische Technologie und für die Nanotechnologie. Wussten Sie eigentlich, dass die Mittel für die Nanotechnologie von 1998 bis 2003 um sage und schreibe 440 Prozent ({1}) und die für Biotechnologie um 80 Prozent erhöht wurden? ({2}) Sie fordern weiter, die deutsche und die europäische Luft- und Raumfahrt zu unterstützen. Festzustellen ist: Auch dank der Bundesförderung ist Europa die Nummer eins in der Luftfahrtindustrie. ({3}) - So ist es. - Der neue Airbus A380 soll bereits im ersten Anlauf allein in Deutschland 4 000 Arbeitsplätze schaffen, viele davon in der mittelständischen Wirtschaft. ({4}) Sie wissen, dass selbst aus Ihrer Sicht die Strategie der rot-grünen Bundesregierung für mehr Forschung und Innovation richtig und notwendig ist. Doch Ihre Mehrheit im Bundesrat nutzen Sie lediglich, um zu blockieren und um zu verhindern. Sehr überrascht hat mich auch Ihr Antrag zur reibungslosen Umsetzung des Bologna-Prozesses in Deutschland, den wir gestern hier debattiert haben. Ich kann mir nicht verkneifen, Ihnen daran Ihre Widersprüchlichkeit heute nochmals deutlich zu machen. Ich freue mich sehr, dass Sie den Umsetzungsprozess in Deutschland als mustergültig für andere Länder hervorheben. Umso weniger verstehe ich dann, dass Sie den hessischen und den bayerischen Ministerpräsidenten offensichtlich nicht daran hindern können, sich regelmäßig als Bremsklötze zu betätigen, ({5}) wollen diese doch mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht den Bund gerade daran hindern, den Bologna-Prozess zu beschleunigen. Aus meiner Sicht ist das alles schizophren. ({6}) Auch ist es grandios, dass Sie sich im selben Antrag darüber besorgt zeigen, dass die Bundesmittel für den Hochschulbau gekürzt werden könnten. Wir haben heute wieder Ihre diesbezüglichen Befürchtungen gehört. ({7}) Ist nicht auch das eine unzulässige Einmischung des Bundes in die Länderkompetenz? Vielleicht gibt es auch hinsichtlich des Hochschulbaus demnächst eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht durch einen Ihrer Ministerpräsidenten. ({8}) In der Union gibt es auf breiter Front Widersprüche zwischen Fordern und Handeln, Herr Rachel. In den Anträgen fordern Sie mehr Geld. Gleichzeitig lehnen Sie im Bundesrat Vorschläge ab, die mehr Geld bedeuten, und beharren dort auf der Eigenheimzulage. ({9}) Das Verhalten der Union ist insgesamt wenig vertrauenswürdig, wenig durchschaubar und aus meiner Sicht unehrlich. In den Beratungen zum Haushalt 2005 zum Beispiel haben Sie in Anträgen zum Thema Bildung und Forschung auf der einen Seite Kürzungen in Höhe von 100 Millionen Euro und auf der anderen Seite Mehrausgaben in Höhe von 400 Millionen Euro vorgesehen. Das sind unterm Strich 300 Millionen Euro mehr. Vorschläge zur Gegenfinanzierung blieben allerdings aus. Interessant ist auch, wo Sie sparen wollen: bei Ganztagsschulen, bei der Chancengleichheit von Frauen und - man höre und staune - auch bei der Umsetzung des BolognaProzesses. Lassen Sie mich ein weiteres treffendes Beispiel dafür anführen, was Sie mit Ihrer Politik beabsichtigen: Sie wollten allein bei der Arbeitsforschung um 18 Millionen Euro kürzen. Dabei stehen wir gerade in der Arbeitswelt vor riesigen Herausforderungen. Innovationen sind Menschenwerk. Menschen denken, forschen und gestalten. Daher genügt es nicht, nur neue Technologien zu entwickeln. Wir müssen vielmehr der wertvollsten betrieblichen Ressource - den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern - eine größere Beachtung widmen. ({10}) Wir brauchen gerade hierfür neue Konzepte und Ideen. Im Mittelpunkt unserer Politik stehen die Menschen. Ihre Ideen und Potenziale sind entscheidend für die Innovationsfähigkeit der Volkswirtschaft. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unter Rot-Grün haben wir in Forschung und Entwicklung Beachtliches geleistet. Das ist unstrittig. Wir sind gut aufgestellt und brauchen den internationalen Vergleich nicht zu scheuen. ({11}) Die Ausgaben des Bundes für Forschung und Entwicklung sind - das haben wir heute schon mehrfach gehört seit 1998 um 1 Milliarde Euro auf über 9 Milliarden Euro gestiegen. Im Übrigen ist auch unser Engagement im Rahmen der europäischen Forschungsförderung an dieser Stelle herauszustellen. Schon beim laufenden 6. EU-Forschungsrahmenprogramm geht jeder fünfte Euro nach Deutschland. Unsere Wissenschaftler sind an 80 Prozent der ausgewählten Vorhaben beteiligt. Wir liegen damit auf Platz eins. ({12}) Derzeit legen wir gerade den Grundstein dafür, dass wir auch im 7. EU-Forschungsrahmenprogramm diesen erfolgreichen Weg fortsetzen, indem wir uns jetzt aktiv in den Entstehungsprozess einbringen. Dennoch sind wir von unserem gemeinsamen Ziel, die Ausgaben für Bildung und Forschung bis 2010 auf 3 Prozent zu steigern, noch weit entfernt. Darin sind wir uns einig. Doch Sie von der Union hindern uns permanent daran, dass wir bei Forschung und Innovation noch etwas drauflegen können. ({13}) Langsam müsste es Ihnen peinlich sein, die Hochschulen und Forscher in unserem Land im Stich zu lassen, ({14}) genauso wie übrigens die Unternehmen, die gut ausgebildete Fachkräfte und innovatives Wissen brauchen. Albert Einstein sagte einmal: „Es lässt sich schwer sagen, was Wahrheit ist, aber manchmal ist es leicht, etwas Falsches zu erkennen.“ Denken Sie einmal darüber nach und beenden Sie Ihre Blockaden im Interesse der Studierenden, der Forscher und Wissenschaftler in unserem Land! Machen Sie den Weg für mehr Innovationen in Bildung und Forschung und damit für mehr Wachstum und Beschäftigung frei! Vielen Dank. ({15})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Helge Braun, CDU/ CSU-Fraktion.

Prof. Dr. Helge Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003510, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute eine Rede von der Bundesministerin für Bildung und Forschung gehört, ({0}) in der sie die ganze Zeit den Status quo beschrieben und die Zahlen, die diesen Status quo bestimmen, schöngeredet hat. ({1}) Wir haben während der gesamten Rede der Bundesministerin nicht einen einzigen Vorschlag gehört, wie sich die Forschungslandschaft in Deutschland in den kommenden Jahren unter den Herausforderungen, vor denen wir stehen, weiterentwickeln soll. Das ist kein Signal des Aufbruchs im Bereich Forschung und Bildung. ({2}) Es geht hier aber nicht um das Bund-Länder-Verhältnis, sondern darum, dass der Bund erst einmal seine originären Kompetenzen im Bereich der Forschung nutzt, um Strukturen und Rahmenbedingungen zu schaffen, die ernsthaft dazu beitragen, dass Deutschland besser wird. Da heute offenbar der Tag der Familienvergleiche ist, würde ich das Verhältnis zwischen Bund und Ländern eher als eines zwischen zwei kleinen Kindern beschreiben. Dabei hat der Bund als eines der beiden kleinen Kinder ständig Interesse genau an dem Spielzeug, das der andere hat, während alle Spielzeuge, die er selber in der Hand hat, automatisch uninteressant sind. Deshalb sage ich: Frau Bundesforschungsministerin, beschäftigen Sie sich genau mit den Aufgaben, die Sie selber haben, und lassen Sie den Ländern ihre Kompetenz und Verantwortung, für die sie zuständig sind! ({3}) Das, was uns im Bund fehlt, ist eine strategische Ausrichtung der Forschungspolitik im Ganzen. Heute wäre anderthalb Jahre vor der nächsten Bundestagswahl die letzte Chance gewesen, eine entsprechende Strategie deutlich zu machen. ({4}) Die entscheidende Frage ist: Wie können wir die Karrierewege von Forschern in Deutschland so organisieren, dass sie ihre Exzellenz ununterbrochen in Deutschland ausüben können? Sie haben die Juniorprofessur angesprochen. Aber auf unserem Nachwuchswissenschaftlerkongress wurde deutlich, dass es gerade an dem Punkt, an dem dieses Instrument aufhört, große Probleme gibt; denn wir haben nicht wie in Amerika ein Tenure-TrackSystem oder Ähnliches. Junge Forscher in Deutschland können realistischerweise nicht sagen: Wer exzellent ist, der kann auch auf Dauer seinen Weg in der Wissenschaft gehen. Immer wieder müssen Projekte beendet werden, obwohl sie Exzellenz zeigen, weil die Mechanismen, die wir in der deutschen Forschungslandschaft vorhalten, nicht ausreichen. ({5}) Sie nennen immer wieder Beispiele. Aber genau diese Forschungspolitik in Beispielen ist ein Zeichen des angesprochenen strategischen Mangels. Der Hinweis darauf, dass es in Deutschland 150 Studenten mit Heisenberg-Stipendien gibt, kann doch nicht die Antwort auf ein im gesamten Forschungsraum bestehendes Problem sein. Wenn man mit jungen Forschern redet, dann stellt man zwar fest, dass diese schon einmal jemanden auf einem Kongress kennen gelernt haben, der in den Genuss solcher Instrumente gekommen ist. Aber die vielen kleinen einzelnen Mosaiksteine führen teilweise dazu, dass unser gesamtes Forschungssystem undurchschaubar wird. Von einem strategischen Gesamtaufbau der Karrierewege junger Forscher in Deutschland kann nicht die Rede sein. Der zweite Komplex, in dem eine solche Gesamtstrategie fehlt, ist der Bereich der Innovationen - von der Idee über die Grundlagenforschung zur anwendungsorientierten Forschung bis hin zu Patent und Produkt. Wir haben in den letzten Jahren enorme Anstrengungen in Deutschland unternommen, um die Zahl der Patente, die im Bereich der Hochschule erarbeitet werden, zu erhöhen. Nun sind wir in der Situation, dass uns Venture Capital, Kapital für Unternehmensgründungen, in erheblichem Maße fehlt. Wenn man sieht, in welchem Maße die Bundesregierung bereit ist, in diesem Bereich Gelder zur Verfügung zu stellen oder Mechanismen zu etablieren, die für Kapital sorgen, dann muss man sagen: Sicherlich gibt es in der deutschen Forschungslandschaft einzelne Initiativen, die dem Ansatz gerecht werden. Aber wir sind weit davon entfernt, flächendeckend alle marktfähigen Innovationen auf den Markt zu bringen. Auch hier fehlt eine grundsätzliche Strategie in der Forschungspolitik der Bundesregierung. ({6}) Der dritte Punkt, bei dem eine Strategie fehlt, ist die gezielte Forschungsförderung in Deutschland. Das abrupte Beenden der Kernforschung in Deutschland und die Behinderung der Grünen Gentechnologie wurden bereits als Beispiele genannt. Aber auch die Tatsache, dass wir teilweise Schlüsseltechnologien viel zu spät fördern und die Förderung neuer Ideen, die zuerst attraktiv erscheinen, zu einem Zeitpunkt, zu dem sie sich gerade beginnen, richtig zu entwickeln, wieder einstellen, ist ein Zeichen dafür, dass wir uns - statt Exzellenz zu fördern und uns in der politischen Gestaltung ein Stück zurückzunehmen - politische Spielbälle zuspielen und uns immer wieder zu stark in die Wissenschaftsfreiheit einmischen. Das Beispiel, dass Frau Künast in der Ressortforschung einzelnen Forschern sogar die Forschung verbietet, ist nur die Spitze des Eisbergs. Wir beraten heute auch den Antrag der CDU/CSU zum 7. EU-Forschungsrahmenprogramm. Die CDU/ CSU will mit diesem Antrag - sie ist die erste Fraktion gewesen, die dies angegangen ist - deutlich machen, dass Entbürokratisierung und klarere Strukturen ein notwendiger Schritt in diesem Forschungsraum sind. Ich habe neulich einen jungen Forscher kennen gelernt. Als ich ihn fragte, was er macht - wir reden immer von exzellenten jungen Forschern -, hat er geantwortet: Würde ich meine Tätigkeit realistisch bezeichnen, müsste ich mich „Antragsforscher“ nennen. Aufgrund der Tatsache, dass er es einmal geschafft hat, einen Forschungsantrag im Rahmen des 6. EU-Forschungsrahmenprogramms genehmigt zu bekommen, hat er von seiner Hochschule nämlich den Auftrag bekommen, nichts anderes mehr zu machen, als Anträge zu stellen; denn allein die Fähigkeit, solche Anträge zu stellen, stellt schon eine Ausnahmequalifikation dar. Das muss sich im 7. EU-Forschungsrahmenprogramm dringend ändern. ({7}) Die Kritikfähigkeit der Bundesregierung in diesem Haus leidet immer wieder. Heute Morgen war ich eigentlich guter Dinge, als ich die von Wissenschaftsrat, Deutscher Forschungsgemeinschaft und BMBF gemeinsam herausgegebene Presseerklärung „Sorgenkind klinische Forschung“ las. Natürlich sehen wir uns im Bereich der klinischen Forschung großen Herausforderungen gegenüber. In der Gesundheitsforschung - mit diesem Bereich sind zentrale Interessen unseres Landes verbunden - arbeiten immer mehr Mediziner. Am Montag der letzten Woche fand in Deutschland eine große Demonstration statt; junge Ärzte sind auf die Straße gegangen, um kundzutun: Wir wollen keine Feierabendforschung betreiben. Deutschland wird nicht konkurrenzfähig, wenn Ärzte mit einer regulären Arbeitszeit von 42 Stunden pro Woche - hinzu kommen zehn Überstunden pro Woche, zum Beispiel durch die Patientenversorgung nach Dienstschluss - erst am Feierabend ins Labor gehen. ({8}) Wir brauchen endlich wieder eine Forschungspolitik, die die strategischen Aufgaben dieses Landes auch wirklich bewältigt. Diese Bundesregierung hat heute erneut die Chance verpasst, dazu konstruktive Vorschläge zu machen. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Ulla Burchardt von der SPD-Fraktion.

Ulla Burchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000306, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Opposition wollte diese Debatte, um eine Bilanz der Forschungs- und Innovationspolitik zu ziehen. ({0}) Sie bemühte diverse Vergleiche. Als letzte Rednerin in dieser Debatte greife ich diesen Ball gern auf. Die beeindruckende Bilanz rot-grüner Forschungsund Innovationspolitik liegt Ihnen nicht nur in gedruckter Fassung vor - ich verweise auf die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Union und auf den Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit -; vielmehr haben diese Bilanz heute auch Frau Ministerin, meine Kolleginnen und die beiden grünen Kollegen sehr deutlich unterstrichen. ({1}) Wer sich heute zu Gemüte geführt hat, was die Oppositionsfraktionen hier geboten haben, der hat festgestellt: Das waren im Wesentlichen Mäkelei, Schwarzmalerei und Herumjammern. Man kann wirklich den Eindruck haben: Sie verwechseln eine Plenardebatte mit einem Casting für eine Show „Wer ist die beste Jammertruppe im ganzen Land?“. ({2}) Kommen wir zur Bewertung Ihrer Konzepte. ({3}) Dazu ist bereits etliches gesagt worden. Ihre Konzepte bestechen durch drei Merkmale: Erstens. Angesichts der Widersprüchlichkeit Ihrer Forderungen sind Sie von der selbst aufgelegten Messlatte einer konsistenten Forschungs- und Innovationspolitik weit entfernt. Mit dem Hinweis auf die Finanzdebatte heute Morgen möchte ich an einem Beispiel klar machen, was überhaupt nicht zusammenpasst: Sie fordern einerseits viel mehr Geld für Forschung und auf der anderen Seite versprechen Sie im ganzen Land Steuersenkungen in Milliardenhöhe. Ich wiederhole: Das ist von einer konsistenten Forschungs- und Innovationspolitik weit entfernt. ({4}) Sie fordern Fortschritte in der Forschungs- und Innovationspolitik; gleichzeitig sind Sie die personifizierte Blockade, und zwar nicht nur hier im Bundestag, sondern auch in den Ländern. Das haben die Kolleginnen, die vor mir gesprochen haben, sehr deutlich dargestellt. Zweitens. Das, was notwendigerweise und sinnvollerweise zu tun ist - man beachte Ihre Anträge und manche Ihrer Vorschläge, die heute vorgetragen wurden; das setzt sich aus den Textbausteinen der letzten zwei Jahre zusammen -, haben die rot-grüne Koalition und die Forschungsministerin bereits in Angriff genommen. Auch dazu wurden diverse Beispiele genannt. Ich verweise nur auf die Forderung - sie wird in beiden Anträgen gestellt -, regionale Cluster zu fördern. Gehen Sie doch einmal durchs Land und schauen Sie sich um! Wenn Sie das getan haben, dann stellen Sie fest, dass die Förderung regionaler Cluster schon lange Wirklichkeit ist. ({5}) Das dritte Merkmal - das scheint mir nun wirklich das Bemerkenswerteste zu sein; da muss man schon nach der Innovationsfähigkeit Ihrer Politikkonzepte fragen - ist ein Manko. In Ihren Vorstellungen und Vorschlägen kommt der Mensch als zentrale Quelle für technologische, organisatorische und soziale Innovation nicht vor; er spielt keine wesentliche Rolle. Das ist der zentrale Unterschied zwischen Oppositionsvorstellung und Regierungspolitik. Für uns steht der Mensch im Mittelpunkt. Deswegen setzen wir auf die strategische Verzahnung von Bildungs-, Forschungs- und Innovationsförderung. Deswegen sind wir auch erfolgreich. ({6}) Ich komme gern zu den Vergleichen. Frau Reiche hat gesagt, man könne nur echte Leistung messen. Vergleichen wir also einmal die Politik der Forschungsministerin der rot-grünen Bundesregierung mit der Forschungspolitik der Regierungen bis 1998! Wenn man Ihre Benchmarks nimmt, bleiben sie weit hinter dem zurück, was nach Ihrer Vorstellung eine fähige Forschungspolitik ist. Das Problem ist: Sie haben uns im Forschungs- und Innovationssystem eine Erblast hinterlassen, die angesichts der zeitlichen Reichweite von Investitions- und Modernisierungsbedarfen nach wie vor - das ist doch die Wahrheit - schwer auf diesem Land liegt. ({7}) Darum können Sie sich nicht herumdrücken nach dem Motto - den Eindruck hat man bei allen Rednern der Union gehabt -: Ich bin damals noch nicht dabei gewesen. Sie haben die Forschungsausgaben kontinuierlich gesenkt. Frau Böhmer, die Zahl von 2,9 Prozent bezog sich auf die Jahre 1982/83, also auf die Zeit, als Sie gerade an die Regierung gekommen waren. ({8}) Alle Forschungsminister, die es bei Ihnen gegeben hat, haben die notwendigen, vom Wissenschaftsrat auch damals schon empfohlenen Strukturreformen im Forschungssystem systematisch ausgesessen. Sie sind damals völlig überhöhte Verpflichtungen für Nuklearforschung und Raumfahrt eingegangen und haben die wirklichen Zukunftstechnologien ausgebremst. ({9}) Von strategischer Forschungsförderung in Ihrem praktischen Regierungshandeln - auch die FDP war damals dabei; vielleicht ist Ihnen das im Nachhinein peinlich ist bei über 10 000 Einzelprojekten keine Spur. Herzlichen Glückwunsch, dass Sie endlich den wissenschaftlichen Nachwuchs entdeckt haben! Der kam nämlich in den 16 Jahren Ihrer Bildungs- und Forschungspolitik überhaupt nicht vor. ({10}) Wir sind für lebenslanges Lernen. Es wäre ganz prima, wenn auch Sie dem Rechnung trügen. Der absolute Skandal lag darin, dass Sie bei der Verteilung von Fördermitteln 16 Jahre systematisch parteipolitische Klientelpolitik und systematisch auch eine Benachteiligung SPD-geführter Länder betrieben haben. ({11}) Auch unter einem Minister Rüttgers ist NordrheinWestfalen systematisch benachteiligt worden. Wenn Herr Rüttgers heute von Heimatliebe spricht, dann ist das angesichts dessen, was er für dieses Land oder besser gegen dieses Land getan hat, purer Zynismus. ({12}) Er ist sich auch nicht zu schade, den Forschungs- und Innovationsstandort schlechtzureden. Aus gegebenem Anlass dazu noch ein paar Fakten: ({13}) NRW ist Exportmeister und exportiert mehr Waren und Dienstleistungen als Hessen, Niedersachsen, SchleswigHolstein, Sachsen und Berlin zusammen. NRW ist Gründerland. Über alle Branchen hinweg werden in Nordrhein-Westfalen mehr Unternehmen pro Einwohner gegründet als beispielsweise in Baden-Württemberg. ({14}) - Ich sage das, damit Sie ein bisschen über das Land erfahren, Frau Reiche. - NRW ist Investorenland. Mehr als 30 Prozent aller Auslandsinvestitionen gehen direkt dorthin. Den Rest teilen sich die anderen 15 Bundesländer. Dass heute in Nordrhein-Westfalen Kohle mit Köpfen, mit dem Know-how und der Kreativität der Menschen gemacht wird, ist der klugen und weitsichtigen Politik sozialdemokratisch geführter Landesregierungen zu verdanken, ({15}) die damit zu Beginn des Strukturwandels angefangen haben. ({16}) Dort gibt es heute mit 57 Hochschulen die dichteste Hochschullandschaft in ganz Europa. In NordrheinWestfalen sind 59 der 264 Sonderforschungsbereiche angesiedelt. ({17}) In Nordrhein-Westfalen sind Clusterbildung, Vernetzung von Hochschulen, Forschung und Wirtschaft, Wirklichkeit geworden. Bei uns sind die Pro-Kopf-Ausgaben für Bildung und Wissen stärker gestiegen als in jedem anderen Bundesland. ({18}) Wir haben den Weg zur Selbstständigkeit von Schulen und Hochschulen verordnet. ({19}) Ich komme noch einmal auf Herrn Rüttgers zurück. Dass seine damaligen Äußerungen zu Studiengebühren völlig konträr zu denen sind, die er jetzt macht, ist kein Wunder. In Nordrhein-Westfalen ist die „Rolle Rüttgers“ mittlerweile eine stehende Redewendung. Was alle wissen sollten - auch Sie; vielleicht ist es Ihnen entgangen -, ist Folgendes: Herr Rüttgers hat jetzt im Wahlkampf ein Zukunftsprogramm vorgestellt. ({20}) - Wenn Sie das gut finden, ist Ihnen vielleicht noch nicht aufgefallen, dass Forschung in diesem Zukunftsprogramm überhaupt nicht vorkommt. ({21})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.

Ulla Burchardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000306, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wer die Forschung in dem Programm vergisst, mit dem er regieren will, der ist nicht nur ein Standortrisiko; der hat die Zukunft lange hinter sich. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 27 a: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/5016 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 27 c: Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 15/5174. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/472 mit dem Titel: „Die Europäische Spallations-Neutronenquelle in Deutschland fördern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der FDP und der CDU/ CSU angenommen. Noch Tagesordnungspunkt 27 c: Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/654 mit dem Titel: „Sachgerechte Planungsentscheidungen zum Bau einer Europäischen Spallations-Neutronenquelle ermöglichen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 27 d: Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 15/5101 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/ CSU mit dem Titel: „Informatives Berichtswesen als Grundlage einer guten Forschungs- und Technologiepolitik“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/4497 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der CDU/ CSU und der FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 27 e: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 15/4712 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel: „7. EU-Forschungsrahmenprogramm wirksam ausgestalten“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/3807 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der CDU/CSU und Enthaltung der FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 27 f bis 27 h: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/5246, 15/5300 und 15/5360 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 13 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP Äußerungen des Bundesministers der Finanzen zu Haushaltsrisiken für den Bundeshaushalt 2005 und zur Mehrwertsteuer Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Andreas Pinkwart, FDP-Fraktion.

Andreas Pinkwart (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003610, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die ernüchternden Zahlen, die uns gestern die Steuerschätzer vorgetragen haben, und die Reaktion des Bundesfinanzministers, der bereits im Vorfeld vor dem Hintergrund der desaströsen Finanzlage des Bundes eine Mehrwertsteuerdebatte entfacht hat, machen deutlich, dass Rot-Grün zunehmend einem Komafall gleicht. ({0}) Rot-Grün bewegt nichts mehr, was Wachstum und Beschäftigung fördern könnte, und schafft es nicht, die Krankheit an der Wurzel zu packen. So ist die Beratung der Pläne, die eigentlich den Standort Deutschland wieder nach vorne bringen sollten und deren Umsetzung vom Bundeskanzler hier vor einigen Wochen angekündigt wurde, heute von der Tagesordnung abgesetzt worden. Das heißt, hier fehlt es an Kraft, etwas für mehr Investitionen und Arbeitsplätze zu tun. Von dieser Seite ist eben kein Aufschwung für Deutschland zu erwarten. ({1}) Rot-Grün fehlt aber auch längst die Kraft, die Schuldenproblematik durch wirksame Konsolidierungsanstrengungen in den Griff zu bekommen. Der Haushalt für dieses Jahr sieht eine Nettoneuverschuldung von 22 Milliarden Euro vor. ({2}) Aufgrund der Steuerschätzung und aufgrund der anderen Haushaltsrisiken, die noch nicht einmal in Abrede gestellt werden, wissen wir, dass wir mit einer Neuverschuldung von annähernd 40 Milliarden Euro rechnen müssen. Addiert man den Vermögensverzehr, der für dieses Jahr geplant ist, hinzu, dann kommen wir in diesem Haushalt auf ein Defizit von insgesamt nahezu 60 Milliarden Euro. Meine Damen und Herren, das ist die Bilanz Ihrer verfehlten Haushalts-, Finanz-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der letzten Jahre. ({3}) Der Bundesfinanzminister wird vor dem Hintergrund dieser desaströsen Bilanz zunehmend zu einer Art Illusionskünstler, der nicht müde wird, seinen Haushalt und seine Berichte immer wieder neu schönzufärben und schönzureden; so auch seine Reaktion auf die neuesten Zahlen. Es ist immer wieder das gleiche Spiel: Die Einnahmen werden seit Jahren überschätzt, die Ausgaben seit Jahren unterschätzt. ({4}) Beides ist eine Illusion, beides geht nicht auf, und das in Serie. Wer trägt die Lasten dieser verfehlten Politik? Sie haben dadurch in den letzten Jahren 200 Milliarden Euro neue Schulden aufgetürmt und zusätzlich 60 Milliarden Euro Vermögenswerte aufgelöst. Das ist eine Politik zulasten der zukünftigen Generationen. Es ist in hohem Maße eine unsoziale Politik, die Sie hier betreiben. ({5}) Es ist nicht erkennbar, auch nicht nach dem Bericht, den wir vorhin im Haushaltsausschuss bekommen haben ({6}) - nein, das sind leider Ihre Zahlen -, ({7}) dass Sie hier eine verantwortliche Politik betreiben. Denn auf Ihren Haushalt kommt - Sie haben sich ja gerade so stark für Bildung und Innovation ausgesprochen im nächsten und in den Folgejahren folgende Situation zu: Nach der neuen Schätzung fehlen Ihnen weitere 40 Milliarden Euro für die Folgejahre. Die Ausgaben sollen in der mittelfristigen Finanzplanung nur um ein viertel Prozent steigen. Das sind Ihre Pläne. Wenn Sie das ernst meinten, müssten Sie aber schon jetzt Vorschläge vorlegen, die eine Ausgabensenkung von jährlich mindestens 4 Prozent zum Gegenstand hätten. ({8}) Das heißt, Sie müssen jetzt umsteuern ({9}) oder Sie werden Ihrer Verantwortung nicht mehr gerecht. Wir fordern deshalb, dass Sie einen Kassensturz machen, endlich dem Deutschen Bundestag und der deutschen Öffentlichkeit ehrlich die Haushaltslage darstellen und nicht immer wieder eine Verschleierung vortragen und sich hinter Schätzungen verstecken, für die Sie selbst die Prognosedaten geliefert haben, für die Sie also selbst verantwortlich sind. Ein ehrlicher Kassensturz, Offenlegung aller Risiken in den Ausgabenbereichen, Vorlage eines Nachtragshaushaltes, der deutlich macht, dass Sie umsteuern wollen, und in Verbindung damit ein Haushaltssicherungsgesetz! Wir haben Ihnen als FDP den Weg gewiesen. Wir haben schon bei den Haushaltsberatungen 2005 ein „Sparbuch“ über 12,5 Milliarden Euro vorgelegt. Dieses könnten Sie umsetzen. Wir haben ein Subventionsabbaubegrenzungsgesetz in den Deutschen Bundestag eingebracht. ({10}) - Subventionsbegrenzungsgesetz. - Sie können ihm zustimmen; es liegt vor. Voriges Jahr haben Sie es abgelehnt. Außerdem haben wir einen Gesetzentwurf für einen nationalen Stabilitätspakt eingebracht, um die Maastricht-Kriterien ins Grundgesetz zu schreiben. Meine Damen und Herren, Sie haben die Chance, auf den Pfad einer vernünftigen Haushalts- und Finanzpolitik zurückzufinden. Wenn Sie die Kraft dazu nicht mehr finden - bisher haben Sie sie nicht gezeigt -, dann sollten Sie Ihre Stühle räumen und es anderen überlassen, für das Land das Notwendige zu tun. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Karl Diller. ({0})

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushaltsausschuss hat sich mit dem Ergebnis der Steuerschätzungen gerade zwei Stunden lang sehr intensiv und, wie ich finde, in einer parteiübergreifend sehr sachlichen Debatte auseinander gesetzt. In der Tat, die Steuerschätzungen sind für Bund und Länder schlechter, als die Steuerschätzer uns noch im November für dieses Jahr prognostizierten: für den Bund 3,5 Milliarden Euro, für die Länder 2,5 Milliarden Euro. Erfreulich ist, dass sich die Steuerschätzer im November bei der Steuerschätzung hinsichtlich der Gemeinden in einem positiven Sinn getäuscht haben. Die Gemeinden haben nämlich 800 Millionen Euro mehr an Einnahmen in diesem Jahr zu erwarten. Die Steuerschätzer haben im November nicht das Steueraufkommen für 2006 geschätzt. Diese Prognose wird erst im Mai aufgestellt. Deswegen müssen wir die Steuerschätzung vom Mai dieses Jahres mit der vom Mai des letzten Jahres vergleichen. Daraus ergibt sich, dass der Bund nächstes Jahr 10 Milliarden und die Länder knapp 7 Milliarden Euro weniger zu erwarten haben. Die Gemeinden haben erfreulicherweise noch einmal 400 Millionen Euro mehr an Einnahmen zu erwarten als im vergangenen Jahr geschätzt. Die Gründe für diese Entwicklung sind, dass das nominale Bruttoinlandsprodukt weniger stark wächst als damals unterstellt. ({0}) In diesem Jahr beträgt das Wachstum statt 2,7 Prozent nur 1,6 Prozent. In den nächsten Jahren wird es ebenfalls geringer ausfallen. Daraus ergeben sich die bereits erwähnten Mindereinnahmen bei den Steuern. ({1}) Was die Steuerschätzer in ihre Schätzungen übrigens nicht mehr einbezogen haben, war eine Zahl, die das Statistische Bundesamt gestern mitteilen konnte. ({2}) Wir haben im ersten Quartal dieses Jahres gegenüber dem letzten Quartal des vorigen Jahres ({3}) ein Wirtschaftswachstum in Höhe von 1 Prozent. Damit waren wir Spitze in Europa. Im nationalen Vergleich war es das höchste Wachstum seit vier Jahren. ({4}) - Diese Zahl ergibt sich aus dem Vergleich des ersten Quartals dieses Jahres mit dem Vorquartal. Sie bezieht sich also nicht auf das ganze Jahr, mein lieber Herr Professor. Das müsste ein Professor eigentlich wissen. ({5}) Wir haben deswegen die Hoffnung, dass die Prognosen der Steuerschätzer für dieses und für das nächste Jahr im unteren Bereich absolut sicher sind und wir keine weiteren Einbrüche mehr haben werden. Auf der Ausgabenseite gibt es Belastungen, die sich dadurch ergeben, dass wir Neuland betreten, nämlich die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe, die wir gemeinsam beschlossen haben. In diesem Bereich gibt es überhaupt keine Erfahrungswerte. Wir haben aber mittlerweile die Erkenntnis gewonnen, dass es eine nicht unerhebliche Mehrbelastung in einer Milliardengrößenordnung zu verkraften gilt. Die Frage ist: Ist diese Mehrbelastung die typische Folge einer Strukturreform - sehr oft ist es der Fall, dass man nach einer Strukturreform zunächst mehr Geld in die Hand nehmen muss, bevor sich mittel- und langfristig Einspareffekte einstellen - oder ist es die Folge dessen, dass sich Menschen in diesem System befinden, die eigentlich dort nicht hineingehören? Ich nenne beispielsweise arbeitsunfähige Sozialhilfeempfänger, die von den Kommunen in die Finanzzuständigkeit des Bundes verschoben worden sind. Es gibt auch noch andere Fälle von Beziehern, die eigentlich nicht in dieses System hineingehören. Lassen Sie uns noch auf die Ernsthaftigkeit der Debatte in der Vergangenheit rekurrieren. Die FDP hat bei den Beratungen zum Bundeshaushalt für dieses Jahr Anträge gestellt und Kürzungsvorschläge in Milliardengrößenordnung gemacht. Aber bei näherem Betrachten beinhalteten diese Vorschläge einen Gesetzesbruch bzw. einen Rechtsbruch. ({6}) Denn die Kürzung der Arbeitslosenhilfe um einen Milliardenbetrag hätte bedeutet, dass den Menschen der Anspruch, den sie für Dezember 2004 hatten und der am 1. Januar gebucht wurde, verweigert worden wäre. ({7}) Sie wollten zweitens den Bundeszuschuss an die BA kürzen. Sie wollten außerdem tiefe Einschnitte in mehrstelliger Millionenhöhe in einem Bereich vornehmen, über den wir gerade diskutiert haben: bei der Forschungsförderung und -entwicklung. Sie wollten bei der Forschungszusammenarbeit kürzen. ({8}) Sie wollten bei den Unternehmungsgründungen kürzen. ({9}) Sie wollten bei den innovativen Wachstumsträgern und bei den Existenzgründungen kürzen. ({10}) Wir dagegen wollen in diesem Jahr für Bildung und Forschung, für Ausbildung und Weiterbildung 30 Prozent mehr ausgeben als Sie in Ihrer Regierungszeit. ({11}) Auch die CDU/CSU soll betrachtet werden. Im Jahre 2003 haben Sie es vorgezogen, keinen einzigen Antrag im Hinblick auf den Haushalt 2004 zu stellen. ({12}) Das zeigte Ihre Ratlosigkeit. ({13}) Im Jahre 2004 haben Sie im Hinblick auf den Haushalt 2005 Anträge in Milliardenhöhe gestellt, die folgendes Qualitätsmerkmal hatten: Sie waren rechtswidrig. Sie wären ein Vertragsbruch gewesen. Den Zuschuss für die Steinkohle von heute auf morgen auf null zu setzen ({14}) oder um eine Milliardengrößenordnung zu kürzen stellt den Bruch eines Vertrages dar, den übrigens noch die Kohl-Regierung abgeschlossen hat und den wir bedienen müssen. ({15}) Der Gipfel der Unverschämtheiten war Ihr Vorschlag, 12 Prozent aller flexibilisierten Mittel zu kürzen. Das hätte nämlich bedeutet, dass wir von heute auf morgen Tausende von Beamtinnen und Beamten nicht mehr hätten bezahlen können. ({16}) Das wäre ein klarer Rechtsbruch gewesen. ({17}) Bei der Befragung der Haushaltsdirektoren des Bundesrechnungshofes und des Bundesverfassungsgerichts, was diese 12-prozentige Kürzung der flexibilisierten Mittel für sie bedeuten würde, haben diese mit der Schulter gezuckt. Beim Bundesrechnungshof wären plötzlich Stellen nicht mehr bezahlbar gewesen. ({18}) Beim Bundesverfassungsgericht hätten wir einen ganzen Senat einsparen müssen und damit hätte Ihre Klage gegen den Haushalt überhaupt nicht bearbeitet werden können. So logisch sind Ihre Anträge. ({19}) Sie fordern ein Haushaltssanierungskonzept. ({20}) Als ersten Beitrag zu dieser Debatte würde ich folgenden Vorschlag machen: Ziehen Sie Ihre Anträge zu Steuersenkungen, ({21}) zur Abschaffung der Gewerbesteuer sofort zurück! ({22}) Denn das reißt ein Loch von 20 Milliarden Euro im Jahr in die Etats des Gesamtstaates. Das ist nicht zu bezahlen. ({23}) Der Union empfehle ich, den in ihrem Antrag „Pakt für Deutschland“ gemachten Vorschlag, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf 5 Prozent zu senken, sofort zurückzuziehen. ({24}) Denn das reißt in die Bundesagentur für Arbeit ein Loch von 11 Milliarden Euro. Sie könnte keine Weiterbildungs- und Fortbildungsförderung und auch keine Hilfe zur Existenzgründung mehr bezahlen. ({25}) Sie müsste zusätzlich das halbe Personal entlassen. Wenn Sie das nicht wollten, müssten Sie die fehlenden Einnahmen dem Bundeshaushalt entnehmen. Dann gäbe es zwar eine Senkung des Beitragssatzes, aber wir hätten im Bundeshaushalt zusätzlich ein 11-Milliarden-EuroProblem. ({26}) Ich könnte das fortsetzen, was Ihre Vorschläge angeht. Ich will auf Folgendes hinweisen: Die SPD hat Ihnen den Vorschlag gemacht, ({27}) einen Pakt für die Finanzen zu schließen. ({28}) Dazu liegen Ihnen Vorschläge vor. Steuerhinterziehung ist energisch zu bekämpfen. ({29}) Administrative Missstände in der Zusammenarbeit der Länder untereinander und mit dem Bund im Rahmen der Finanzverwaltung sind zu überwinden. Wir haben den Ländern vorgeschlagen, ihre gesamte Finanzverwaltung durch den Bund übernehmen zu lassen, damit die bestehenden Missstände endlich beseitigt werden. ({30}) Dann sollten sich Ihre beiden Fraktionen endlich dazu entschließen, Subventionen nicht nur auf der Ausgabenseite zu kürzen. Da waren wir sehr erfolgreich - denn wir konnten dies allein beschließen -, ({31}) indem wir in der Zwischenzeit die Hälfte aller Subventionen gekürzt haben. Wir sind bei den Subventionen auf der Ausgabenseite von 11 Milliarden auf 5,9 Milliarden Euro heruntergekommen, weil Sie dagegen nichts unternehmen konnten. ({32}) Aber unserem Vorschlag, die Subventionen auch auf der Einnahmenseite zu kürzen, haben Sie bisher immer widersprochen, weil Sie Ihre Klientel, die davon betroffen wäre, schützen wollen. Das können wir uns nicht weiter erlauben. ({33})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Steffen Kampeter, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeshaushalt im Jahre 2005 hat bei Gesamtausgaben von 254 Milliarden Euro eine strukturelle Unterdeckung in einer Größenordnung von 60 Milliarden Euro. Der für den Haushalt zuständige Staatssekretär stellt sich hier hin ({0}) und kritisiert die Vorschläge von CDU/CSU und FDP, durch die das strukturelle Defizit von 60 Milliarden Euro verringert werden könnte, ({1}) macht selbst aber keinen einzigen Vorschlag zur Verbesserung der gegenwärtigen Situation. ({2}) Das zeigt - ebenso wie die Abwesenheit nahezu der gesamten Arbeitsgruppe Haushalt der SPD-Fraktion, die offenbar die Wahrheit kennt -, ({3}) dass die Regierung mit ihrem finanzpolitischen Latein vollständig am Ende ist. ({4}) Wenn jeder vierte im Bundeshaushalt eingeplante Euro nicht durch dauerhafte Steuereinnahmen finanziert ist, dann ist das ein finanzpolitischer Offenbarungseid. ({5}) Wenn gleichzeitig auch der letzte noch vorhandene Vermögenswert mobilisiert wird, den man in der Zukunft vielleicht noch sinnvoll hätte verwenden können, dann ist das die umfassendste Plünderung der Zukunftschancen der nachfolgenden Generationen und Politiker. ({6}) Die Steuerschätzung, die den Anlass für diese Debatte liefert, leidet seit Jahren unter den falschen Vorgaben der Bundesregierung. ({7}) Die Bundesregierung zwingt die Steuerschätzer durch überhöhte Wachstumsangaben, die Einnahmesituationen des Bundes, der Länder und der Kommunen zu beschönigen. Gleichzeitig legt sie Haushalte vor, die - wie beispielsweise der gegenwärtige Bundeshaushalt - allein im Bereich der Arbeitsmarktpolitik unter einer Unterdeckung in Höhe von 11 Milliarden Euro leiden, und gaukelt den Menschen bei der Verabschiedung des Haushalts vor, alles wäre in Ordnung. An dieser Situation sind nicht, wie ich es in diesen Tagen in der Zeitung lese, die Steuerschätzer schuld. Daran ist vielmehr die Regierung schuld, die vorsätzlich falsche Angaben macht, mit denen sie uns alle in die Irre führen will. ({8}) Die Regierung kennt auf alle Haushaltsprobleme nur eine Antwort: Steuererhöhungen, Steuererhöhungen, Steuererhöhungen. Erst kürzlich haben Sie die Tabaksteuer erhöht. Wir haben davor gewarnt, so vorzugehen, wie Sie es getan haben, waren aber im Grundsatz nicht dagegen. Wir haben Ihnen allerdings gesagt: Die von Ihnen geplante Anhebung der Steuersätze wird zu geringeren Einnahmen führen. Das Ergebnis der in dieser Woche durchgeführten Steuerschätzung ist, dass die Steuerschätzer - anstatt, wie angekündigt, Mehreinnahmen auszuweisen - die Einnahmen aus der Tabaksteuer um 2 Milliarden Euro nach unten korrigiert haben. ({9}) Die Tatsache, dass das Haushaltsloch des Bundes in diesem Jahr 3,5 Milliarden Euro beträgt, macht deutlich, dass es handwerkliche Schlampigkeiten waren, die zu der gegenwärtigen Haushaltssituation geführt haben. ({10}) Sie werden nie begreifen, dass hohe Steuersätze nicht zwangsläufig hohe Steuereinnahmen bedeuten. Sie werden nie begreifen, dass die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land nicht begeistert sind, Steuern zu zahlen. Sie haben noch nie begriffen, dass Steuerpolitik nicht nur Gesellschafts-, sondern auch Wirtschaftspolitik ist ({11}) und dass es in der Steuerpolitik ein ehernes Gesetz ist, dass Senkungen der Steuersätze und Befreiungen der Bürger ihre Leistungsbereitschaft erhöhen und zu Mehreinnahmen im Haushalt führen können. ({12}) Wann werden Sie das endlich einmal begreifen? ({13}) Sie fordern uns auf, unsere Gesetzentwürfe zur Senkung der Steuersätze in bestimmten Bereichen, die Sie verzerrt wiedergegeben haben, zurückzuziehen. Ihr Kabinett hat gerade einen, wie ich finde, richtigen Gesetzentwurf zur Senkung des Körperschaftsteuersatzes beschlossen, weil offensichtlich auch Sie der Meinung sind, dass zu hohe Steuersätze in Deutschland ein Bremsklotz für Wachstum und Beschäftigung sind und unsere Haushalte eher ruinieren. Wenn wir diese Initiative auch für den Mittelstand nutzbar machen, für eine Steuerentlastung der Jobbringer, der kleinen und mittelständischen Unternehmen sorgen und dieses Vorhaben auch noch solide finanzieren könnten, dann hätten wir endlich einmal einen positiven Beitrag zur Verbesserung der Situation in unserem Land geleistet, anstatt uns einfach nur gegenseitig zu beschimpfen, ohne aber Vorschläge in den Deutschen Bundestag einzubringen. ({14}) Es ist - darauf möchte ich hinweisen - eine Mär, dass die Union im Bundesrat Einsparungen bzw. den Abbau von Subventionen blockiert habe. ({15}) Wir haben bei dem in den Koch/Steinbrück-Vorschlägen vorgesehenen Subventionsabbau mitgemacht und nur zwei Vorschlägen, die wir nicht für richtig halten, nicht zugestimmt: der vollständigen Streichung der Eigenheimzulage und der Kürzung der Kilometerpauschale. Ich will Ihnen sagen: Damit stehen wir nicht allein. Fragen Sie einmal die Sozialdemokraten in Hessen, was sie zur Kürzung der Eigenheimzulage sagen. Da hier eben bereits nordrhein-westfälischer Wahlkampf gemacht wurde, frage ich Sie: Wollen Sie den Bürgerinnen und Bürgern in einem solchen Flächenland zum gegenwärtigen Zeitpunkt tatsächlich - vor dem Hintergrund eines Spritpreises pro Liter Super in Höhe von 1,20 Euro bis 1,25 Euro - auch noch die Kilometerpauschale kürzen oder streichen? ({16}) Die Art und Weise, in der Sie argumentieren, ist unsolide und unseriös. Das können wir Ihnen nicht durchgehen lassen. ({17}) Das Letzte, worauf ich hinweisen möchte, ist Folgendes: Herr Kollege Diller -

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Sie haben keinen letzten Punkt mehr, weil Sie keine Zeit mehr haben. ({0})

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Anzeige blinkt doch erst!

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Sie haben keine Zeit mehr.

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Konsolidierung, verbunden mit wachstumsfördernden Strukturreformen, größere Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt,

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Kampeter, Sie sind im Minus!

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

niedrigere Steuersätze und ein produktiver Finanzmarkt erzeugen Wachstum und konstante Steuereinnahmen. Diesen Satz von Theo Waigel sollten Sie endlich einmal beherzigen. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk, Bündnis 90/ Die Grünen.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kampeter, ich will mit der ruhigeren Tonlage weitermachen, mit der Sie auch begonnen haben. ({0}) Sie haben von struktureller Unterdeckung des Haushalts gesprochen. Das finde ich gut, das hat mich fast hoffnungsvoll gestimmt. Wenn Sie von struktureller Unterdeckung des Haushalts reden, erwecken Sie den Eindruck ernsthafter Analysefähigkeit. Doch die Union reagiert darauf entweder mit Steuersenkungsvorschlägen ({1}) oder mit Kritik an der Minderveranschlagung bei Ausgaben im Haushalt; das waren Ihre Vorschläge. Sie polemisieren immer gegen Steuererhöhungen. Sie haben ein Konzept, nach dem Sie die Steuern massiv senken wollen, doch umgekehrt haben Sie eine Klage beim Verfassungsgericht eingereicht, in der Sie uns den Vorwurf machen, wir würden die Ausgaben im Haushalt nicht ehrlich benennen. Gleichzeitig wollen Sie ebendiese Ausgaben, nämlich im Arbeitsmarktbereich, weiter absenken. Das passt nicht zusammen. Das zeigt, dass Sie Angst haben, einen eigenen, belastbaren Kurs einzuschlagen. ({2}) Ich möchte jetzt etwas zum Thema „Union und Steuern“ sagen. Sie sprechen von katastrophalen Steuerausfällen. Das ist unglaubwürdig, weil Sie nicht die Kraft zu wirklichem Subventionsabbau im Steuerbereich haben. ({3}) Das haben Sie hier gerade noch einmal ganz deutlich unterstrichen: 2- und 4-Prozent-Schritte bei Koch/ Steinbrück, das geht gerade eben noch, aber an die richtig großen Steuersubventionstatbestände heranzugehen haben Sie nicht die Kraft; das wollen wir hier einmal festhalten. ({4}) Jetzt komme ich einmal dazu, was die Union mit ihrem Programm vorschlägt - Herr Meister hat sich da der Öffentlichkeit gegenüber hervorgetan -: dass man bei den Ausgaben kürzen müsse. Herr Meister hat davon gesprochen, 5 Milliarden Euro im Haushalt einzusparen; das sind ungefähr 2 Prozent der Ausgaben. Im Jahr 2004, im letzten Jahr, hat diese rot-grüne Regierung die Ausgaben im Vergleich zum Jahr 2003 um 2 Prozent, um ebendiese 5 Milliarden Euro, zurückgeführt - trotz einer wahrlich nicht einfachen wirtschaftlichen Situation. Das will ich Ihnen einmal sagen, weil Sie immer davon reden, wir würden so viel ausgeben. ({5}) Ich möchte von Ihnen wissen, was Sie vorschlagen, damit wir im Haushalt 2005 zusätzlich 5 Milliarden Euro einsparen. Inflationsbereinigt haben wir die Ausgaben wieder gesenkt. ({6}) Auf Ihre Vorschläge trifft das nicht zu. Ich will Ihnen einmal sagen, was Herr Meister vorschlägt - das muss man einmal so ehrlich analysieren -: 5 Milliarden Euro sind 2 Prozent. Er sagt ausdrücklich: überall ein bisschen. Ein Anteil von 2 Prozent bei der Rente entspricht 1,5 Milliarden Euro. Das heißt: Im Durchschnitt verliert jeder Rentner beim Vorschlag der Union 100 Euro. ({7}) Vertreten Sie das nach außen! Dann sind Sie ehrlich. Oder Sie wollen die Rentner mit dem vollständigen Kassenbeitrag zur Krankenversicherung belasten; das entspricht derselben Größenordnung. Herr Meister spricht von Klarheit und Wahrheit und Sie verlangen das auch. ({8}) Dann sagen Sie doch ganz klar, dass Ihnen die Nullrunde bei den Rentnern nicht reicht, ({9}) dass Sie 1,5 bis 1,7 Milliarden Euro zusätzlich sparen wollen. Wenn Sie diesen Vorschlag nach außen vertreten, dann kommt in Ihre eigene Debatte mehr Ehrlichkeit; das möchte ich hier einmal deutlich festhalten. ({10}) Ich will jetzt etwas zur Analyse sagen, warum wir diese Haushaltssituation haben und was wir tun sollen; danach fragen Sie ja. ({11}) Ich finde, dass wir in den letzten Jahren eine sehr restriktive Ausgabenpolitik geplant und im Haushaltsvollzug auch eingehalten haben - bis auf den Bereich Arbeitsmarkt, wo wir bislang gescheitert sind. Wir sind bis jetzt an unseren Zielsetzungen beim Arbeitsmarkt gescheitert; das gebe ich auch zu. Man sieht auch an dieser Steuerschätzung, dass wir zum Beispiel im Bereich der Lohnsteuerentwicklung im laufenden Jahr einen großen Einnahmeverlust haben werden. Im Ausgabenbereich, auch in der Sozialversicherung, werden wir zusätzlich schwere Belastungen haben. ({12}) Ich sage deswegen: Wir müssen die Lösung - auch für die Haushaltsprobleme - im Bereich des Arbeitsmarktes und dort insbesondere der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung suchen. ({13}) Dazu hat diese Regierung schon eine Menge Reformprozesse auf den Weg gebracht. Darin liegt auch eine langfristige Lösung der Probleme bei den öffentlichen Finanzen. Ihre Polemik - hier nehme ich die Union noch schärfer ins Blickfeld, die die Ausgaben mithilfe der Rasenmähermethode, also pauschal um einen bestimmten Prozentsatz, senken will - entbehrt jeder Konkretion. Wenn man Ihnen das mit der Rente hier sagt, dann erschrecken Sie mächtig. Das passt auch nicht mit dem zusammen, was Herr Storm hier gestern vertreten hat. Tschüs. ({14})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Otto Fricke, FDP-Fraktion.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! ({0}) - Ja, natürlich komme ich wieder mit dem dicken Buch, Herr Diller, dazu aber später. - Wenn man sich anschaut, wie der Haushalt gegenwärtig aussieht, dann kann man ihn eigentlich nur mit einem schönen Wort beschreiben, das da heißt: Die Lage ist hoffnungslos. Wenn man die Koalition hört, dann heißt es noch: Aber sie ist nicht ernst. Faktisch ist es umgekehrt: Die Lage ist ernst, sehr ernst, sie ist aber nicht hoffnungslos. ({1}) Ich werde auch begründen, warum. Zu der Frage, warum sie nicht hoffnungslos ist, haben Sie hier fast nichts gesagt, außer der Tatsache, man wolle beim Arbeitsmarkt ein bisschen tun. Wenn man hier jetzt eine Liste der Haushaltsrisiken aufstellen wollte, in der steht, was alles passiert, dann würde sie beinhalten: Hartz IV, Zuschüsse zu den Krankenkassen, ERP-Vermögen, Bundesbankgewinn, Steuerschätzungen, Postpensionen aller Art, Rentenfragen, Pflegeversicherungsprobleme usw. Sie haben keinen einzigen Bereich, in dem Sie sagen können, dass Sie irgendwo Licht am Ende des Tunnels sehen. ({2}) Ich glaube, bei Ihnen ist es sogar so weit, dass Sie noch gar nicht wissen, in welche Richtung Sie im Tunnel überhaupt gehen. ({3}) - Ja, ich habe wirklich das Gefühl. Jetzt komme ich zu der Frage, ob man denn Hoffnung haben kann. ({4}) Herr Diller sagt da wieder: Ihre Vorschläge von der Opposition, die Sie gemacht haben, sind alle nichts. - Herr Diller, ich sage auch noch einmal Ihren Koalitionären: Man muss Mut haben. ({5}) Hören Sie, was der Verfassungsgerichtspräsident sagt. Er sagt: Ich erwarte vom Parlament mutigere Entscheidungen. - Darum dreht es sich beim Haushalt. Der dokumentierbare Mut fehlt. ({6}) Diese 450 Seiten unseres „Liberalen Sparbuchs 2005“, das ich Ihnen hier zeige, mögen falsch und nicht in Ordnung sein, aber sie sind ein Versuch. Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendeine Fraktion, etwa als Sie in der Opposition waren, irgendwelche Kürzungsvorschläge, außer beim Jäger 90, gemacht hat. Sie haben stattdessen immer nur erhöht. Wir als FDP - die CDU/ CSU etwas weniger; vielleicht wird sie demnächst aber etwas mutiger - haben das gemacht. Was ist übrigens das Ergebnis? Hier liegt dann auch unsere Verantwortung gegenüber dem Bürger. ({7}) Es ist nicht so, dass man sagt, es sei gut, dass die Vorschläge gemacht werden. Nein, man versucht, es kleinzureden. Seien wir alle ehrlich: Das Hauptproblem, das wir als Haushälter haben, ist doch ein anderes. Wir haben heute auch im Ausschuss darüber gesprochen und da wundere ich mich wirklich nicht, dass so wenige Haushälter der SPD da sind. Es ist doch ganz einfach so, dass wir gegenüber früher folgendes Ergebnis haben: Als Haushälter entscheiden wir doch nicht mehr wirklich darüber, ob unser Haushalt ins Defizit rutscht. Das Defizit entsteht durch Leistungsgesetze, die uns die Sozial- und Arbeitsmarktpolitiker unserer eigenen Fraktionen - meine muss ich dabei ausdrücklich ausnehmen - vorlegen. Ich weiß gar nicht, wo sich Herr Diller jetzt hinbewegt hat. ({8}) - Ah, er sitzt da vorne. - Jetzt kommt Herr Diller und sagt, unsere Vorschläge seien schlecht. Ich nenne nur ein kleines Beispiel, nämlich den Steuerzuschuss an die Krankenkassen. In diesem Jahr gehen 2,5 Milliarden Euro an die Krankenkassen. Die CDU/CSU hat brav mitgeholfen, die SPD hat sich nicht dagegen gewehrt. Die Gesundheitsministerin hat sogar gelächelt und sich gefreut, während der Finanzminister - das möchte ich ausdrücklich sagen - wirklich in die Tischkante gebissen und gesagt hat, er sei ein solidarischer Minister und er tue das. ({9}) Jetzt stellen Sie aufgrund der Klauseln, die Sie selbst eingefügt haben, fest, dass Sie das am liebsten rückgängig machen wollen. Als wir aber den Antrag hier gestellt und gesagt haben, dass wir das genau so machen sollten, um einzusparen, da war das unsozial. ({10}) Nachher kommen Sie immer wieder zu dem Ergebnis, dass die Vorschläge, die auf den ersten Blick kurzfristig unsozial sind, das sind, was der Haushalt sein sollte, nämlich langfristig verantwortungsvoll. Denn jeder Euro, den Sie an Neuverschuldung aufnehmen - Sie tragen die Verantwortung -, ist ein Euro, den wir und unsere Kinder und Kindeskinder irgendwann einmal über Steuern zurückzahlen müssen. Das müssen Sie den Bürgern sagen. Jeder neue Euro Schulden heißt: Ihr zahlt später höhere Steuern. Hier nehmen wir als Politiker - das will ich für die FDP ausdrücklich sagen - eine Verantwortung wahr. Wir haben sie übrigens auch durch die Verfassungsklage wahrgenommen. ({11}) - Sie steht nicht dazu im Widerspruch. ({12}) Das Gericht urteilt unabhängig vom Verhalten der Opposition über den eigentlichen Gesetzentwurf und dessen Verfassungsmäßigkeit. Dabei ist egal, was dagegen oder dafür beantragt wird. ({13}) Es ist eine objektive Kontrolle. Ich wäre froh - und ich glaube, das gilt, wenn wir ehrlich sind, für uns alle -, wenn das Verfassungsgericht uns Haushaltspolitiker manchmal in die Schranken weisen würde. Wir Politiker haben immer wieder einen Fehler gemacht, von dem wir uns als FDP mit diesem Buch nun getrennt haben: Wir haben den Bürgern immer wieder mehr versprochen, als möglich war. Wir müssen die Bürger mitnehmen, wir müssen ihnen sagen, dass wir über unsere Verhältnisse leben. Wir müssen überall sparen, jeder muss seinen eigenen Gürtel enger schnallen, um überhaupt auf die Füße zu kommen. Zum Schluss: Der Bundeskanzler hat einmal gesagt, ({14}) woran man ihn messen soll. Er hat das klar und deutlich gesagt. Ich frage Sie daher: Wollen Sie nicht ehrlicherweise zugeben, dass der Bundeskanzler, wenn man ihn an den Haushaltszahlen und Wirtschaftsdaten misst, die Messlatte nicht nur unterschreitet, sondern darunter durchtaucht? Das ist das Ergebnis Ihrer Haushaltspolitik, das liegt in Ihrer Verantwortung. Herzlichen Dank. ({15})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Petra Merkel, SPD-Fraktion.

Petra Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003591, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin froh, dass die Atmosphäre etwas ruhiger geworden ist. Auch im Ausschuss haben wir in Ruhe diskutiert. Das finde ich bei diesem Thema wirklich wichtig; denn die Situation ist ernst und wir nehmen sie auch ernst. Es ist richtig, was Herr Fricke gesagt hat: Die Situation ist nicht hoffnungslos. Herr Fricke, Sie haben Ihr Buch hoch gehalten, schlagen Sie doch einmal eine beliebige Seite auf. Sie werden sicher einen Volltreffer landen; denn Sie haben auf jeder Seite um 1 000 Euro gekürzt. Wenn Sie auf 440 Seiten um jeweils 1 000 Euro kürzen, kommt etwas heraus. ({0}) Ich gebe ja zu, dass Sie sich Mühe geben. Das ist doch schon etwas. ({1}) Vielleicht hätten Sie sich aber schon am Anfang der Legislaturperiode Mühe geben müssen, als es wirklich um den drastischen Abbau von Subventionen ging. ({2}) Wo waren Sie, als es um das Steuervergünstigungsabbaugesetz - ein Wortungetüm, hinter dem drastischer Subventionsabbau steckt - ging? Damals haben wir uns nahezu mit jedem und jeder im Land angelegt. Ich kann mich noch sehr gut erinnern: Damals sind Sie abgetaucht, damals wollten Sie nicht mitmachen. Sie schreien bei jedem Punkt, wir sollen Subventionen abbauen, aber damals haben Sie nicht mitgemacht. Ich kann mich noch gut an die Gespräche erinnern, die ich darüber mit meinem Blumenhändler an der Ecke geführt habe. Wir haben darüber gefightet, dass wir die Mehrwertsteuer von für ihn 7 auf 16 Prozent erhöhen wollten. Er sagte: Wie können Sie das machen? Dann müssen wir entlassen. Das ist dramatisch. - Das war im November. ({3}) Wir haben das weiterverfolgt und gesagt: Wir müssen jetzt rangehen und alle gleichermaßen runtersetzen. ({4}) Wir dürfen zum Subventionsabbau nicht nur ein Lippenbekenntnis ablegen, sondern müssen ihn wirklich machen. Wissen Sie, welches Ergebnis es gab? Anfang Januar hatten wir das Gesetz zwar nicht umgesetzt, aber die Blumen waren teurer. Als ich fragte, wie kommt das eigentlich, antwortete mein Blumenhändler: Mehrwertsteuererhöhung. Ich sagte, das kann doch gar nicht sein, wir haben sie doch gar nicht erhöht. Der Großhandel hat die Preise erhöht. ({5}) Vor diesem Hintergrund muss ich sagen, wir müssen schneller arbeiten, schneller herangehen und manchmal mutiger springen. Wir dürfen nicht so kleinmütig wie in der Vergangenheit sein. ({6}) Der Subventionsabbau wäre uns nicht leicht gefallen, aber wir hätten den Etat insgesamt um 42 Milliarden Euro entlastet. ({7}) Nach langen Kämpfen im Vermittlungsausschuss konnten wir die Subventionen um 11 Milliarden Euro kürzen. Unser Ziel waren aber 42 Milliarden Euro. Sie sind weggetaucht, weil Sie sich nicht mit ihrer eigenen Klientel anlegen wollten. ({8}) So kommen wir aber nicht weiter. Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Ich bin sicher, ihre Umsetzung wäre möglich. ({9}) - Herr Kampeter, niemand hat ein Patentrezept. Keiner kennt den Königsweg. ({10}) Wir aber haben eine Möglichkeit vorgeschlagen. Sie jedoch haben nicht eingeschlagen, sondern sind weggetaucht. ({11}) Ich finde es gut, dass die SPD heute noch einmal einen Vorstoß zum Abschluss eines Finanzpakts gemacht hat. Hier müssen wir schauen, was bei Steuerhinterziehung, beim Abbau von Steuervergünstigungen - unser Konzept dazu liegt immer noch auf dem Tisch -, bei der Erbschaftsbesteuerung und was bei den Föderalismusstrukturen passiert. ({12}) Wir dürfen nicht nur darüber reden, sondern wir müssen da rangehen. Wenn heute einer in diese Diskussion reinzappt, schlägt er die Hände über dem Kopf zusammen. Wir müssen doch weiterkommen und ich denke, dazu gibt es auch eine Möglichkeit; denn jeder sieht, dass wir die Probleme lösen müssen und nicht nur darüber reden dürfen. Wir haben auch eine Menge gemacht. Es ist nicht so, dass wir untätig gewesen sind. Das gilt beispielsweise für die Stabilisierung der Sozialsysteme. Auch das ist nicht einfach gewesen. Wir haben die Sozialversicherungsbeiträge so stabilisiert, dass sie nicht angehoben worden sind. Da ging es um 4 bis 5 Prozent. Das war eine unglaubliche Leistung. Bei den Krankenkassenbeiträgen ist eine Senkung erfolgt und die Rentenbeiträge sind auf 19,5 Prozent stabilisiert worden und nicht auf 21 oder 22 Prozent gewachsen. ({13}) Wir haben also die Begleitkosten von Arbeit stabil gehalten bzw. gesenkt. Wir wissen alle, dass wir noch mehr machen müssen. Das Gesundheitssystem ist noch nicht so stabil, wie wir es brauchen. Deswegen stellt sich auch die Frage nach einer Bürgerversicherung, nach neuen Systemen, um unser System im Vergleich zu anderen europäischen Ländern zu verbessern. Die Bürgerversicherung ist eine Antwort auf die Fragen zum Gesundheitssystem. Meine persönliche Auffassung ist, dass wir in dieser Form - alle sind beteiligt und alle müssen mit einzahlen - auch an die Rente herangehen müssen. Diesen Vorschlag müssen wir weiter ausbauen. Wir haben weit reichende Reformen auf dem Arbeitsmarkt auf den Weg gebracht. Das fiel uns allen nicht leicht, aber wir haben es geschafft. Auch durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe haben wir eines geschafft: Wir haben den Kommunen durch den Wegfall der Sozialhilfe Luft verschafft; denn über 90 Prozent der Sozialhilfeempfänger sind aus der Sozialhilfe herausgefallen

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, auch Sie müssen zum Ende kommen.

Petra Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003591, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- und beziehen jetzt Arbeitslosengeld II. Das schafft den Kommunen genau wie die Gemeindefinanzierung Spielraum. ({0}) Ich kann nur den Gemeinderäten und Stadtvätern raten:

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist überschritten.

Petra Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003591, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Schauen Sie nach, was Sie dadurch alles gewonnen haben, und investieren Sie in die kleinen und mittelständischen Betriebe und die Handwerker. ({0}) Machen Sie Ihre eigenen Aufträge. Schönen Dank und schöne Pfingsten. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Bartholomäus Kalb, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein bisschen zur Szenerie: Im Juni 2003 stand in der „Passauer Neuen Presse“: Schröder lehnt höhere Steuern ab. Ende des Jahres 2004 bzw. Anfang dieses Jahres sagte Müntefering im „Handelsblatt“: Mindestens in dieser Legislaturperiode wird es keinen Ansatz geben, Steuern zu erhöhen. ({0}) Jetzt will Eichel die Mehrwertsteuer erhöhen, nicht zuletzt ausgelöst durch das Papier von Frau Hajduk, ({1}) die jedoch heute nichts, aber auch gar nichts dazu gesagt hat. ({2}) Es wäre doch sehr interessant gewesen. Minister Eichel hat gestern in der Pressekonferenz noch einmal begründet, warum er eine Mehrwertsteuererhöhung für notwendig hält. Er führt aus, dass die Steuerlastquote so dramatisch gesunken sei, dass dies so nicht bleiben könne. Die Steuerlastquote jedoch ist nur ein statistischer Durchschnittswert. Hier muss die Frage gestellt werden: Wer trägt bei uns im Lande überhaupt noch die Steuerlast? Das sind die vielen Leistungserbringer, die immer geringer werdende Zahl der Erwerbstätigen, die die komplette Steuer- und Abgabenlast zu tragen haben. ({3}) Das alles ist Ausfluss der katastrophalen wirtschaftlichen Lage, in der wir uns befinden. Wir haben heute früh über die Steuerreformen und die Vorschläge diskutiert. Von einigen ist eine strukturelle Reform des Steuerrechts angemahnt worden. Aber 90 verschiedene steuerrechtsändernde Gesetze, die Sie in sechs Jahren auf den Weg gebracht haben, haben doch nicht zur Vereinfachung und zu mehr Durchsichtigkeit und Nachvollziehbarkeit des Steuerrechts geführt, sondern zu einer Verkomplizierung in einem bisher nicht für möglich gehaltenen Ausmaß. ({4}) Der Kollege Kampeter hat schon darauf hingewiesen: Sie haben sich darauf gestützt, Steuern zu erhöhen. Sie brauchen sich nur den BMF-Bericht für den Monat April und die Einnahmenentwicklung der letzten Jahre bei den Verbrauchsteuern anzuschauen. Sie werden dann merken, dass die Einnahmen in den Bereichen Mineralölsteuer, Tabaksteuer, Ökosteuer, Energiesteuer und Stromsteuer nicht gestiegen, sondern gesunken sind. Dies müsste man zumindest doch berücksichtigen. Der Haushalt gerät immer stärker aus den Fugen. Ich will doch darauf hinweisen, wie weit Sie jeweils von der Wirklichkeit entfernt sind. Im Jahre 2002 haben Sie für den Haushalt eine Neuverschuldung von 21 Milliarden Euro eingeplant, abgeschlossen haben Sie ihn mit 31,9 Milliarden Euro; 2003 waren 18,9 Milliarden Euro geplant, abgeschlossen wurde mit 38,6 Milliarden Euro Neuverschuldung; 2004 waren 29,3 Milliarden Euro eingeplant, abgeschlossen haben Sie mit 39,5 Milliarden Euro Neuverschuldung, und zwar nur wegen der statistischen Tricks. Wir sind schon gespannt, wie am Ende dieses Jahres die Zahl aussehen wird. Dazu sind hier schon Angaben gemacht worden. Sie selber widersprechen heute nicht mehr. Als Kollege Austermann die Defizite, die im Zusammenhang mit den Hartz-IV-Gesetzen entstehen würden, mit 5 Milliarden Euro beziffert hat, gab es hier noch große Empörung und Gelächter. Heute sagen Koalitionsvertreter und Regierung übereinstimmend, die Differenz könnte ungefähr 6,5 bis 9 Milliarden Euro ausmachen. Sie haben jedoch keine Antwort auf diese Fragen. Stattdessen kündigen Sie gleichzeitig an, dass Sie mehr Investitionen tätigen wollen. Letztes Jahr haben Sie dem Haushalt in der Bewirtschaftung 2,4 Milliarden Euro an Investitionen zur Deckung anderer Ausgaben entzogen. Die Investitionsquote liegt heute weit unter 9 Prozent und wird auch in diesem Jahr weit unter 9 Prozent liegen. Es handelt sich in diesem Land um eine klassische Desinvestition. Das heißt, neben die explizite Verschuldung tritt auch noch die implizite Verschuldung, weil wir auch bei der Infrastruktur der nachfolgenden Generation die Lasten übertragen. Mich hat das, was der Herr Staatssekretär gesagt hat, etwas empört. Es heißt immer: Wenn die Opposition Vorschläge macht, dann sind sie sozial ungerecht und dann müssten verschiedene Dinge genauer benannt werden. - Ich kann nur sagen: Die Zeit ist vorbei, in der wir uns diese Spielchen leisten können. Wir können uns keine grünen Spielwiesen mehr leisten wie Antidiskriminierungsgesetz und Widerstand gegen die Planungsrechtsvereinfachung. ({5}) Wir können es uns auch nicht mehr leisten, jeweils mit dem Finger auf die anderen zu zeigen, sondern wir müssen - das ist die Verantwortung von uns Bundespolitikern - auch Vorschläge machen, wie wir auf der Ausgabenseite für alle staatlichen und kommunalen Ebenen Entlastungen erreichen, weil uns sonst die öffentlichen Haushalte irgendwann völlig um die Ohren fliegen. Ich danke Ihnen. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es Klasse, wenn Sie mir immer so schöne Vorgaben machen und mir sagen, wozu ich hier sprechen soll. Aber keine Sorge: Das weiß ich selbst immer noch am besten. ({0}) Die FDP hat heute diese Aktuelle Stunde im Verbund mit dem Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen beantragt. Es ist völlig klar, um welche Themen es eigentlich geht. ({1}) In diesem Kontext hat sie so getan, als ob wir dann, wenn die FDP an die Regierung käme, in Deutschland keine Probleme mehr hätten, weder im Haushalt noch in verschiedensten strukturellen Zusammenhängen, was soziale Sicherungssysteme anbelangt. ({2}) Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Es wäre eine Katastrophe, wenn das, was Sie in den letzten Jahren und Monaten vorgeschlagen haben, Realität werden würde. ({3}) Ich sage Ihnen, warum. Sie haben uns zwar Ihr liberales Sparbuch vorgestellt, was Sie immer mit sich herumtragen. ({4}) Auf der anderen Seite haben Sie einen Gesetzentwurf zur Steuerreform vorgelegt, ihn dann aber zwischenzeitlich wieder zurückgezogen, ({5}) weil er inhaltlich überhaupt nicht mehr aktuell ist, nicht finanzierbar ist und Sie dafür keine Unterstützung aus den von Ihnen mitregierten Ländern bekommen. Das ist doch die Wahrheit. ({6}) Deswegen: Hören Sie auf, immer solche Luftschlösser aufzubauen. Das Gleiche gilt übrigens für Ihre Bürgerversicherung. Von der wissen Sie auch, dass sie nicht finanzierbar ist. ({7}) Wir haben das letzte Mal gesehen, was wir von Ihrem wunderbaren Vorschlag, beim Subventionsabbau die Rasenmähermethode anzuwenden, gehabt haben. Wir hatten nämlich das letzte Mal das Problem, dass wir bei den Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur plötzlich Einbrüche gehabt haben, die sich sehr negativ auf den Bundesverkehrswegeplan ausgewirkt haben. ({8}) Die Konsequenz war, dass jetzt Finanzierungen aufgebaut worden sind, um die örtliche Bauwirtschaft zu stärken und das zu tun, was letztendlich im Zusammenhang mit Investitionen in diesem Sektor notwendig ist. Das heißt, alles das, was Sie vorschlagen, passt hinten und vorne nicht zusammen. Das sind nur ein paar Fragmente und viele Prosatexte, aber in Wirklichkeit ist nur Luft dahinter. ({9}) Die Union hat ein Steuerkonzept vorgelegt und gesagt: Das ist die Zukunft für die Nation, die Steuererklärung passt auf einen Bierdeckel. ({10}) Dann konnten wir hier feststellen, dass das Steuerkonzept weg war, der Bierdeckel weg war und Herr Merz weg war. Dann gab es einen neuen Vorschlag, der „Steuerkonzept 21“ hieß. Heute ist in den Tickermeldungen nachzulesen, dass Herr Koch, bekanntlich Ministerpräsident in Hessen und CDU-Mitglied, ({11}) einen neuen Vorschlag gemacht hat, weil das, was die Union in Sachen Steuer vorgeschlagen habe, nichts gewesen sei. Wie der neue Vorschlag aber genau aussehen soll, darüber müsse man noch reden und Überlegungen anstellen. Das heißt: viel Prosatext, viele Ankündigungen, aber nichts dahinter. ({12}) Dann gibt es immer noch die Überlegungen zur Kopfpauschale. Aber auch die ist nicht finanzierbar. ({13}) Das heißt konkret: Sie haben alle paar Monate einen neuen Vorschlag, der im Widerspruch zum vorhergehenden Vorschlag steht, und was danach kommt, weiß man auch nicht. Dann gute Nacht, schöne Welt. Ich möchte nicht, dass wir mit einer solchen Beliebigkeit konfrontiert werden ({14}) und dass dann auch noch der Anspruch erhoben wird, regierungstauglich zu sein. Sie sind nicht regierungstauglich, weil Sie nicht einmal eine klare Position zwischen CDU und CSU hinbekommen, geschweige denn mit der FDP. Es gelingt Ihnen nicht, eine klare Linie zu irgendeinem Thema im Zusammenhang mit der Steuer-, Finanzund Abgabenpolitik zu finden. ({15}) Ich muss abschließend sagen, dass das gelungen ist, was der Bund aus eigener Kraft leisten kann, nämlich die Finanzhilfen des Bundes zu reduzieren. ({16}) Die Finanzhilfen des Bundes sind in einer Größenordnung von rund 50 Prozent zurückgefahren worden. Wir haben die Ausgaben des Bundes seit 1990 von 15,2 Prozent auf mittlerweile 11,4 Prozent reduziert. Wir haben die niedrigste Staatsquote seit der Wiedervereinigung, meine Damen und Herren von der FDP. Von wegen: Staatsquote runter. Hören Sie auf, immer einen solchen Unsinn zu erzählen, wir hätten eine exorbitant hohe Staatsquote und das sei das Problem für die Bundesrepublik Deutschland! ({17}) Wir sind der Auffassung, dass die Dinge gut vorangehen. Wir haben einen Rückgang der Schwarzarbeit. Das ist sehr positiv. Wir haben einen Rückgang des Umsatzsteuerbetrugs. Vor einem Jahr betrug die Größenordnung 18 Milliarden Euro, heute liegt sie bei 15 Milliarden Euro, was immer noch schlimm genug ist, aber wir sind hier am Ball. Es geht darum, die Steuern vernünftig einzuziehen. ({18}) Wir wollen keine Steuererhöhungsdebatten führen, sondern die Bodenhaftung behalten und keine Luftnummern abziehen. Danke schön. ({19})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Norbert Barthle, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Scheel, zum Thema Haushaltsrisiken und Mehrwertsteuer haben wir leider nicht viel von Ihnen gehört. ({0}) Dafür gab es eine kräftige Beschimpfung der Opposition. ({1}) Das scheint die Strategie der Regierung zu sein. Man muss leider feststellen, dass solche Debatten in diesem Hause regelmäßig wiederkehren. Man kommt sich schon fast wie am Silvesterabend bei „Dinner for one“ vor: The same procedure as every year. Wir erleben immer wieder, dass Herr Clement den Jahreswirtschaftsbericht, den er vorgelegt hat, im folgenden Jahr wieder korrigieren muss. Zuerst erzählt er uns: Die Welt ist wunderbar. Wir erleben Wachstum; jetzt geht es aufwärts. - Im Jahr darauf muss er sich selbst korrigieren. Finanzminister Eichel bietet uns dasselbe Schauspiel. Erst sagt er uns, die Steuereinnahmen würden wieder zunehmen, wir würden die Maastricht-Kriterien einhalten und die Neuverschuldung werde niedriger ausfallen als im Vorjahr. ({2}) Dann muss auch er sich Jahr für Jahr korrigieren. Es ist immer wieder dasselbe Prozedere. Wir Haushälter sagen ja, der Haushalt sei das Schicksalsbuch der Nation. ({3}) Das ist es auch tatsächlich. Aber unter dieser Regierung und diesem Finanzminister ist daraus ein Märchenbuch geworden. Das ist das eigentlich Schlimme an dieser Entwicklung. Leider hat dieses Vorgehen schon ein Stück weit System. Immer dann, wenn wichtige Wahlen vor der Tür stehen, erleben wir eine seltsam verfälschte Wahrnehmung der Dinge. Ich will in diesem Zusammenhang daran erinnern, wie es seinerzeit bei der Bundestagswahl 2002 war. Die Menschen draußen im Lande vergessen das ja sehr schnell. Im September 2002 hat Herr Eichel festgestellt: Wir sind auf dem Weg zu einem Bundeshaushalt ohne Neuverschuldung. Er sagte noch im Juli: „Mit uns wird es keine Kehrtwende zurück in den Verschuldungsstaat geben; wir machen keine neuen Schulden“ und so weiter und so fort. ({4}) Der Höhepunkt war dann das Wahlplakat mit der Aufschrift: „Stoiber heißt: Neue Schulden - Armer Staat. Schröder heißt: Solide Finanzen - Aktiver Staat.“ ({5}) Eigentlich müsste Ihnen angesichts dieses Plakats die Schamesröte ins Gesicht steigen. ({6}) Ich würde mir wünschen, dass Herr Müntefering und Herr Schröder einen Canossagang zu Herrn Stoiber unternehmen, um sich für dieses Plakat zu entschuldigen, denn die Wirklichkeit sieht doch ganz anders aus. Wie sieht denn die Pro-Kopf-Verschuldung aus? In Bayern beträgt die Verschuldung 3 012 Euro pro Kopf, in Baden-Württemberg etwas über 4 000 Euro und in Nordrhein-Westfalen 7 244 Euro. Das ist die Wahrheit, die Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen sollten. ({7}) Wenn wir schon beim Thema Neuverschuldung sind: Wir müssen Jahr für Jahr eine Neuverschuldung von annähernd 40 Milliarden Euro in Kauf nehmen. Ich habe einmal ausgerechnet, was das bezogen auf diese Aktuelle Stunde bedeutet. Justament in dieser einen Stunde machen wir neue Schulden in einem Volumen von 9 576 000 Euro. ({8}) - Das dürfen Sie zu Hause gerne ausrechnen. Ich halte es für erschreckend, dass solche Angaben permanent mit humorigen Bemerkungen weggesteckt werden. Lassen Sie uns etwas sachlicher werden. Frau Kollegin Hajduk, ich durfte vor wenigen Tagen in der „Stuttgarter Zeitung“ ein Zitat von Ihnen nachlesen, das ich hoffentlich richtig wiedergebe: „Man muss zur Kenntnis nehmen, dass angesichts verfestigter Ausgabenstrukturen und schmaler gewordenen Einnahmeerwartungen verfassungsgemäße Haushalte auf Jahre nicht gesichert sind.“ Damit droht der Verstoß gegen Artikel 115 Grundgesetz zur Regel zu werden. Ich gebe Ihnen Recht, was die Aussage dieses Zitats anbelangt. Dem kann man nicht widersprechen; es ist so richtig. Nicht richtig ist aber, was Sie in diesem Zitat mitbehaupten. Sprachwissenschaftler nennen das Präsupposition. ({9}) Die Formulierung „angesichts verfestigter Ausgabenstrukturen“ stimmt nicht, Frau Kollegin, denn die Ausgabenstrukturen haben Sie verfestigt. Wir sind der Auffassung, dass man auch bei den konsumtiven Ausgaben ansetzen muss statt nur bei den Einnahmen. Das ist der große Unterschied. ({10}) Wenn ich Ihre Einlassungen heute früh im Haushaltsausschuss richtig verstanden habe, dann sind Sie sogar bereit, diesen Weg mitzugehen. ({11}) Aber ganz offensichtlich ist diese Koalition nicht dazu bereit; denn Sie geben mit dieser Äußerung die Auffassung der Mehrheitskoalition wieder. Das ist der entscheidende Punkt. In diesem Land fehlt es - wenn Probleme bestehen - an der Bereitschaft, ernsthaft zu sparen, statt nur die Einnahmen zu erhöhen. ({12}) Meine Redezeit ist leider abgelaufen. Danke. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Ortwin Runde, SPDFraktion.

Ortwin Runde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003619, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn man sich die Steuerschätzung ansieht, ({0}) dann stellt sich die Frage, welche Lehre daraus zu ziehen ist. Es gibt ein positives Signal, das sich auf die Gemeindefinanzen bzw. die Gewerbesteuer bezieht. ({1}) Dank gemeinsamer Anstrengungen ist es uns im Dezember 2003 im Vermittlungsausschuss nicht nur gelungen, diese Steuer zu stabilisieren, sondern auch dafür zu sorgen, dass die Gemeinden statt eines Gewerbesteueraufkommens in Höhe von 22 Milliarden Euro, wie es vor einigen Jahren der Fall war, mittlerweile etwa 28 Milliarden Euro verbuchen können. ({2}) Laut Steuerschätzung sind hier in diesem Jahr 0,8 Milliarden Euro und im nächsten Jahr 0,4 Milliarden Euro mehr zu erwarten. Eine positive Entwicklung! Das sollte man sich als Beispiel nehmen. Es geht auch darum, Besteuerungsgrundlagen zu festigen, Bemessungsgrundlagen zu verbreitern und Schlupflöcher zu schließen. Der Weg, den wir gemeinsam gegangen sind, ist vernünftig. ({3}) Es ist aber eine gefährliche Situation, dass der Bund im laufenden Jahr bei den Steuereinnahmen ein Minus von 3,5 Milliarden Euro und die Länder ein Minus von 2,5 Milliarden Euro zu verzeichnen haben. Herr Kampeter, es gibt ja einen interessanten Gegensatz. Wenn ich die Pressestimmen vernehme, dann stelle ich fest, dass alle Ländervertreter, insbesondere Herr Koch und Herr Stratthaus, sagen: Angesichts der gegenwärtigen Situation dürfen keine weiteren Steuersenkungen versprochen oder vorgenommen werden. Was haben Sie aus der Finanzsituation gelernt? Das bedeutet doch ganz klar, dass man mit dem Klammersack gepudert wäre, wenn man die Gewerbesteuer mit einem momentanen Aufkommen in Höhe von 28 Milliarden Euro infrage stellte. ({4}) Ich habe Herrn Faltlhauser heute Morgen ganz genau zugehört. Er hat gesagt, zum Herbst hin wolle die Union ein abgestimmtes Unternehmensteuerkonzept vorlegen. Ich bin gespannt, was mit der Gewerbesteuer geschehen soll. Ich kann Ihnen garantieren, dass es zum Herbst hin kein Konzept geben wird; denn die entscheidende Frage ist, wie Sie die Gewerbesteuer mit einem momentanen Aufkommen in Höhe von 28 Milliarden Euro auf die Körperschaftsteuer sowie auf die Lohn- und Einkommensteuer umlegen wollen. Ich möchte sehen, wie Sie das hinbekommen. ({5}) Diese Nummer wird noch viel tragischer als das, was wir bei der Kopfpauschale erlebt haben. ({6}) Hier wären Sie gut beraten, sich noch einmal mit den Ländern abzustimmen und zu schauen, was möglich ist. Das hat natürlich auch mit der Frage zu tun - hier habe ich heute Morgen ebenfalls genau zugehört -, ob man den Körperschaftsteuersatz senken soll, um deutsche Unternehmen im europäischen Vergleich wettbewerbsfähiger zu machen. Wir sind übereinstimmend der Auffassung, dass der Körperschaftsteuersatz von 25 auf 19 Prozent gesenkt werden muss. Das ist eine sinnvolle Maßnahme, die - so die Länderseite - voll gegenzufinanzieren ist. Aber so wie die Haushaltssituation nach der Steuerschätzung aussieht, ist eine volle Gegenfinanzierung ohne Inkaufnahme von Haushaltsrisiken erforderlich. Das wird die Herausforderung sein, vor der wir in den nächsten Wochen stehen. ({7}) Ein bisschen enttäuscht bin ich, dass Herr Faltlhauser in der Debatte über die Erbschaftsteuer, die ja Angelegenheit der Länder ist und ihre Haushalte betrifft, ({8}) keine Vorschläge für eine Gegenfinanzierung gemacht hat. ({9}) Ich weiß von den Länderkollegen, die ich ja alle aus der Vergangenheit kenne, dass darüber sehr kontrovers diskutiert wird. Diese sagen: Solche Einnahmeausfälle können wir uns eigentlich nicht leisten; so wünschenswert eine steuerliche Förderung von Unternehmensübergängen auch ist, müssen wir darauf achten, welche Einnahmeausfälle damit verbunden sind und ob unsere Gestaltungsspielräume eingeengt werden. Ich bin auf die weiteren Beratungen in den nächsten Wochen gespannt. ({10}) Wir können aus den Ergebnissen dieser Steuerschätzung lernen, dass es sinnvoll ist, im kooperativen Föderalismus bei der Festigung der Besteuerungsgrundlagen zusammenzuwirken. Wenn man das tut, kann man sich über die Absenkung von nominalen Steuersätzen unterhalten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege!

Ortwin Runde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003619, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Georg Fahrenschon, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Georg Fahrenschon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Debatte ist auf jeden Fall in einer Hinsicht spannend: Wir haben gerade den fünften Redner der Regierung bzw. der sie tragenden Koalition gehört; doch zum Thema hat bislang kein einziger einen Vorschlag gemacht. ({0}) Das zeigt wieder einmal, wer in dieser Republik Vorschläge macht und am politischen Prozess teilnimmt und wer die Verhältnisse einfach nur noch hinnimmt, weil er nicht mehr regierungsfähig ist. ({1}) Wenn wir uns mit dem Thema Mehrwertsteuererhöhung konkret auseinander setzen, dann können wir festhalten, dass die Vorschläge von Rot-Grün in Bezug auf eine Mehrwertsteuererhöhung ein Paradebeispiel dafür sind, wie man es nicht machen darf, weil so Verunsicherung in die Bevölkerung hineingetragen wird und genau das Gegenteil von Sicherheit und Kontinuität in der Steuer-, Finanz- und Wirtschaftspolitik ausgestrahlt wird. Von Anfang an, im Grunde seit Beginn der Amtszeit von Hans Eichel, spielt die Mehrwertsteuer eine zentrale Rolle. Bereits im ersten Regierungsjahr ging es darum, 30 Milliarden DM einzusparen. Schon damals stand eine Mehrwertsteuererhöhung auf der Tagesordnung. ({2}) Ein Jahr nach der Regierungsübernahme, genau gesagt: am 9. Oktober 2000, ging es darum, die Höhe der Ökosteuer zu reduzieren. Der Kanzler prüfte Alternativen zur Ökosteuer und brachte die Mehrwertsteuer in die Diskussion. Den Wechsel von der Ökosteuer zur Mehrwertsteuererhöhung könnte Schröder noch vor dem Jahresende ankündigen. Damit könne, so SPD-Strategen, der öffentliche Druck aus der nächsten Stufe der Ökosteuer-Erhöhung zum Januar 2001 genommen werden. Das stand in der „Welt“ vom 9. Oktober 2000. Die Mehrwertsteuerdebatte war damit eröffnet. Etwa sechs Monate später, am 2. März 2001, musste der Finanzminister Pläne zur Erhöhung der Mehrwertsteuer dementieren. Es hieß, die Finanzierung der Rentenkasse durch die Ökosteuer sei gesichert. Die Äußerungen des Ministers Hans Eichel seien, so sein Pressesprecher am Tag danach, überinterpretiert worden. Es hieß, Rot-Grün plane keine Mehrwertsteuererhöhung. Dann war Pause, weil das desaströse Finanzloch im Bundesetat vor der Bundestagswahl 2002 bewusst verschwiegen wurde - Kronzeuge ist Oswald Metzger -; sonst hätten Sie 2002 ebenfalls über eine Mehrwertsteuererhöhung debattiert. Nach der Bundestagswahl 2002 hat es bis zum 25. November 2002, also nur wenige Wochen, gedauert, bis die Mehrwertsteuer wieder ein Thema war. Der Finanzminister sagte in einem Interview mit dem „Focus“: Wenn wir unsere Vorschläge nicht durchsetzen können, denken wir über eine Änderung der Mehrwertsteuer nach. Im Oktober 2003 präsentierte der Finanzminister im Zusammenhang mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2003 - oh Wunder! - Ideen zur Mehrwertsteuererhöhung; denn er musste das erste Mal - um es auf Bayerisch zu sagen - die Hosen herunterlassen und einen Nachtragshaushalt in Höhe von 43,4 Milliarden Euro - das war Nachkriegsrekord - vorlegen. Da er Angst hatte, diesen Nachtragshaushalt über neue Schulden finanzieren zu müssen, hat er selber eine Mehrwertsteuererhöhung ins Gespräch gebracht. ({3}) Ein halbes Jahr später kam es dann zum Super-GAU - ich zitiere -: Gestern wurde in Koalitionskreisen bekannt, dass Kanzler Gerhard Schröder und der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering am Mittwoch vergangener Woche Pläne Eichels für eine Mehrwertsteuererhöhung um fünf Prozentpunkte in drastischer Weise zurückgewiesen haben. Hans Eichel wollte mit den Mehreinnahmen von jährlich 45 Milliarden Euro - er wollte sich die Arbeit leicht machen - einerseits die Lohnnebenkosten senken und andererseits den Etat sanieren. Fünf Monate später, im Oktober 2004, sagte der damalige Finanzminister des Landes Schleswig-Holstein: Wir verlassen die politische Debatte über das Sparen; wir schlagen lieber eine Erhöhung der Mehrwertsteuer vor. Aufgrund der von ihr von Anfang an betriebenen Politik ist diese Regierung mittlerweile ein Standortrisiko in Deutschland. ({4}) Angesichts des derzeitigen Zustands der deutschen Volkswirtschaft ist es, liebe Frau Hajduk, für die Binnenkonjunktur wirklich Gift, wieder einmal eine Mehrwertsteuererhöhung ins Spiel zu bringen. Es ist schon ein spannendes Bild, wie Sie jetzt hier ganz allein an der Spitze der grünen Bundestagsfraktion sitzen; Ihre eigenen Leute haben Sie nämlich im Stich gelassen. ({5}) In der Debatte um die Streichung von Steuersubventionen habe ich noch eine spannende Idee für Sie. ({6}) Sie sagen doch immer, wir müssten Steuersubventionen streichen. ({7}) Erwägen Sie doch einmal folgenden Gedanken, der zu Ihnen passen würde: Während die Mehrwertsteuer in Deutschland 16 Prozent beträgt, beträgt sie zum Beispiel in Schweden und in Dänemark 25 Prozent. Im Grunde ist das niedrige Mehrwertsteuerniveau bei uns im Vergleich zu Schweden und Dänemark eine Steuersubvention des Staates. ({8}) Es wäre doch ein toller Vorschlag - auf den warten wir jetzt noch -, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, um Steuersubventionen zu streichen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Georg Fahrenschon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Mehrwertsteuererhöhung wäre Gift für die Konjunktur. Lassen Sie die Finger davon und kehren Sie wieder zu einer vernünftigen Steuerpolitik zurück! Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Karin Roth, SPD-Fraktion. ({0})

Karin Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003618, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe eigentlich gedacht, die Aktuelle Stunde sei dazu da, dass wir ein Stück weit sachlich darüber diskutieren und vor allem nicht nur aus der Finanzsicht, sondern auch aus der wirtschaftspolitischen Sicht der Frage nachgehen, ({0}) wie wir die Entwicklung in Deutschland voranbringen. Wir müssen dabei die Steuereinnahmen - das hat der Staatssekretär schon gesagt - auch unter der Bedingung des wirtschaftlichen Wachstums sehen. Ich bin enttäuscht worden. Den Damen und vor allem den Herren der Opposition geht es offensichtlich nur darum, die Menschen in unserem Land zu verunsichern. Gerade der letzte Beitrag war ja eine Arie über die Mehrwertsteuererhöhung. ({1}) Ich darf darauf hinweisen, dass die letzte Mehrwertsteuererhöhung 1997 war und mit Ihren Stimmen im Bundestag beschlossen worden ist. ({2}) Deshalb sage ich Ihnen: Seien Sie vorsichtig! ({3}) - Wir haben damals zugestimmt. Wir waren dafür, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, weil wir den Rentenversicherungsbeitrag nicht erhöhen wollten. Das war die Argumentation. ({4}) Nun ist der Herr Barthle schon weg; wahrscheinlich war es so wichtig, dass er nicht mehr zuhören konnte. Karin Roth ({5}) ({6}) Herr Barthle hat gesagt, wir müssten an die Ausgaben richtig rangehen. Er hat leider vergessen zu sagen, wo. ({7}) Im Haushalt gibt es einen großen Posten, nämlich 80 Milliarden Euro, die wir im Rahmen der Steuerfinanzierung der Rente ausgeben. Möchte Herr Barthle bei diesen Ausgaben einsparen? Wenn er das möchte, dann - das hat meine Kollegin Hajduk schon angemerkt muss er den Rentnern sagen, dass er die Renten kürzen will. Sie müssen es den Menschen sagen. ({8}) Dazu sind Sie nicht in der Lage. Im entscheidenden Moment ducken Sie sich immer weg. ({9}) Das gilt für die CDU/CSU, für die FDP sowieso. ({10}) Wir sind auf dem richtigen Weg, wenn wir sagen - Ortwin Runde hat schon deutlich gemacht, wie schwer das ist, sowohl für die Länder als auch für den Bund -: Wir müssen die Staatsausgaben konsolidieren, ({11}) aber wir dürfen die Konjunktur nicht abbremsen - das ist wichtig -; denn die Konjunktur ist Voraussetzung für Wachstum und Beschäftigung sowie Steuereinnahmen. ({12}) Das Wissen um diese Logik ist bei Ihnen abhanden gekommen. Man sieht diesen Zusammenhang auch. Wir haben im ersten Vierteljahr zur Überraschung aller eine doppelt so hohe Wachstumsrate, als erwartet worden ist. Wir sind in der Eurozone jetzt vorn. ({13}) Kaum haben wir ein bisschen mehr Wachstum und Beschäftigung, ({14}) machen Sie jetzt Folgendes - das gilt vor allem für die FDP -: Sie reden es schlecht. ({15}) Wir brauchen eine andere Debatte. ({16}) Für uns ist wichtig, dass wir die Staatsfinanzen stabilisiert haben. Die Frage ist, was Sie machen, Herr Koppelin. Sie erzählen ständig über Subventionsabbau. Sie halten Ihr Gebetsbuch hoch. ({17}) Aber wenn es um die Fakten geht, dann - das ist die Wahrheit - rudern Sie zurück und sagen: Nein, das wollen wir nicht. Das ist ein Missverständnis. - Ich sage Ihnen: Wer sonntags über Steuersubventionen redet und sich montags nicht mehr daran erinnert, ({18}) der besitzt nicht die Fähigkeit zum Regieren. So sieht es aus. ({19}) Es geht Ihnen nur darum, im Steuerbereich etwas für Ihre Klientel zu tun, ({20}) aber umgekehrt sind Sie nicht bereit, Ihre Verantwortung im Bundesrat wahrzunehmen. ({21}) Der Bundesrat blockiert nämlich den Subventionsabbau. Das ist der entscheidende Punkt. Wir haben deutlich gemacht, was wir wollen. Sie haben aber die von uns unterbreiteten Vorschläge nicht Realität werden lassen. ({22}) Der Vorschlag der CDU/CSU, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 1,5 Prozentpunkte zu senken, würde dazu führen, dass im Haushalt der Bundesagentur für Arbeit 11 Milliarden Euro fehlen. Wenn Sie diesen Betrag über Steuereinnahmen gegenfinanzieren wollen, müssen Sie hier und heute sagen, wie Sie sich das konkret vorstellen. Sie können doch nicht auf der einen Seite Steuern senken, auf der anderen Seite aber Vorschläge unterbreiten, die dazu führen, dass noch weitere Staatsausgaben erforderlich werden. ({23}) Aus meiner Sicht weisen Ihre Forderungen in die falsche Richtung. Wir müssen die Investitionen stärken, wir müssen ({24}) die Verkehrsinfrastruktur ausbauen, also Dinge tun, die die Konjunktur ein Stück weit anregen. Karin Roth ({25}) ({26}) Damit sorgen wir für mehr Wachstum. So werden auch wieder mehr Steuereinnahmen kommen. Diese Logik legen wir zugrunde, nicht nur die einfache Logik des Sparens, das am Ende nichts bringt. ({27})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Peter Rzepka, CDU/CSUFraktion.

Peter Rzepka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Alle Jahre wieder das gleiche Bild. Steuerschätzung Mai 2002: 65 Milliarden Euro weniger, Steuerschätzung Mai 2003: 126 Milliarden Euro weniger, ({0}) Steuerschätzung Mai 2004: 61 Milliarden Euro weniger und Steuerschätzung Mai 2005: 66 Milliarden Euro weniger als ursprünglich angenommen und den Haushaltsplanungen zugrunde gelegt. ({1}) Wieder einmal werden die optimistischen Wachstumsprognosen dieser Bundesregierung in dramatischer Weise von der Realität widerlegt. Jedes Jahr aufs Neue werden im Bundeshaushalt leichtfertig die Einnahmen zu hoch und die Ausgaben zu niedrig angesetzt. Es rächt sich zunehmend, dass dieser Bundesregierung jegliche ordnungspolitische Orientierung fehlt. ({2}) Die aktuelle Diskussion um eine Erhöhung der Mehrwertsteuer passt in dieses Bild. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer wäre Gift für die Konjunktur und würde die binnenwirtschaftliche Entwicklung zusätzlich belasten. Gelingt es den Unternehmen, die Erhöhung auf die Konsumenten abzuwälzen, wird die Binnennachfrage weiter geschwächt. Kann die Steuererhöhung nicht an die Verbraucher weitergegeben werden, tragen die Unternehmen, vor allem der Einzelhandel und das Handwerk, die zusätzlichen Belastungen. Die Wachstumsund Beschäftigungskrise würde sich ausweiten, Schwarzarbeit weiter zunehmen, Steuer- und Beitragseinnahmen würden erneut zurückgehen. Sie erleben es gerade bei der Tabaksteuer - der Kollege Kampeter hatte schon darauf hingewiesen -: Steuererhöhungen können im Ergebnis zu Steuermindereinnahmen führen. ({3}) Deshalb ist es unverständlich, warum im Bundesfinanzministerium offenbar Pläne zur Erhöhung der Umsatzsteuer verfolgt werden. Es gibt nur eine denkbare Erklärung: Es ist die pure Verzweiflung des Bundesfinanzministers. Wir haben einen Bundesfinanzminister, der die Übersicht verloren hat, dessen Haushaltspläne Jahr um Jahr danebenliegen, der sich jedes Jahr mit Verstößen gegen das Grundgesetz und die Maastricht-Kriterien blamiert, der mit Tricks wie der Versilberung der Postpensionsverpflichtungen und dem Verkauf von Kreditforderungen versucht, über die wahre Haushaltslage zu täuschen. „Tricksen, täuschen, tarnen“ nennt das die „Süddeutsche Zeitung“ von heute. Der Minusminister braucht mehr Geld um fast jeden Preis, weil er es versäumt hat zu sparen und weil er kein steuerpolitisches Gesamtkonzept hat. Auch den Grünen fehlt der notwendige Sachverstand in der Steuerdebatte. Die Kollegin Hajduk will die Mehrwertsteuer gar um 2 Prozentpunkte anheben. Überdies wollen die Grünen zur Finanzierung der Körperschaftsteuersenkung die Exportwirtschaft mit 5 Milliarden Euro jährlich mehr belasten und legen damit die Axt an diesen sehr erfolgreichen Zweig der deutschen Volkswirtschaft. Auf Initiative der Grünen wurden die Gesetzentwürfe des Bundesfinanzministers zur Senkung der Körperschaftsteuer und der Erbschaftsteuer von der Tagesordnung der heutigen Sitzung genommen. „Wir haben grundsätzliche Bedenken mit beiden Gesetzentwürfen“, sagt der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen unter Verweis auf die neue Steuerschätzung. Der zuständige stellvertretende Fraktionschef der SPD wirft dem kleinen Koalitionspartner vor, der Opposition Steilvorlagen zu liefern, obwohl auch in der SPD-Fraktion die vom Bundeskanzler angekündigten Steuergesetze heftig umstritten sind. In dieser Situation stellt sich doch die Frage, ob dieser Finanzminister überhaupt noch irgendeinen wesentlichen Einfluss auf die Steuerpolitik dieser Regierungskoalition hat. ({4}) Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die Koalition nicht die Kraft haben wird, die Unternehmensteuern zu senken, und nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen die Mehrwertsteuer erhöht. ({5}) Die Haltung der Unionsfraktion ist demgegenüber ganz klar: Mit uns wird es keine zusätzliche Belastung der Bürger und Unternehmen zum Stopfen von Haushaltslöchern geben. Eine kurzfristige Konsolidierung der öffentlichen Finanzen muss auch über die Kürzung von Ausgaben erreicht werden. Was wir jetzt brauchen, sind ein Nachtragshaushalt und ein Haushaltssicherungsgesetz. Die Unionsfraktion fordert den Bundesfinanzminister auf, endlich eine Haushaltsplanung vorzulegen, die auf realistischen Wachstumsprognosen beruht. Der Konsolidierungsbedarf muss von einer soliden Basis aus berechnet werden. Alles deutet darauf hin, dass es zu Einschnitten kommen muss, auch in Leistungsgesetze. Der schrittweise Abbau von Subventionen, der ja mit dem Koch/Steinbrück-Papier bereits begonnen wurde, muss jetzt fortgesetzt werden. Es ist an der Zeit, dass der Bundesfinanzminister handelt, meine Damen und Herren. Ihnen wünsche ich frohe Pfingsten. Schönen Dank. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 1. Juni 2005, 13 Uhr, ein. Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch unseren Zuschauerinnen und Zuschauern auf der Tribüne ein schönes Pfingstfest. Die Sitzung ist geschlossen.