Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts
- Drucksachen 15/3917, 15/4068 ({0})
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({1})
- Drucksache 15/5268 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann
bb)Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 15/5269 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Volker Kröning
Otto Fricke
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
({3})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dagmar
Wöhrl, Karl-Josef Laumann, Dr. Joachim
Pfeiffer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Klaren und funktionsfähigen Ordnungsrahmen für die Strom- und Gasmärkte schaffen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Rainer Brüderle, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für mehr Wettbewerb und Transparenz in
der Energiewirtschaft durch klare ordnungspolitische Vorgaben
- Drucksachen 15/3998, 15/4037, 15/5268 Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister Wolfgang Clement das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich begrüße Sie zur Beratung der Neuregelung
des Energiewirtschaftsrechts. Ich komme gerade - nach
einem 18-stündigen Flug - direkt aus Japan zurück, nur
um diesen wichtigen Gesetzentwurf mit Ihnen zu beraten
({0})
und um anschließend natürlich noch mit Herrn Laumann
zusammenzusitzen. Das wird er nie wieder gutmachen
können.
({1})
Mit der Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts,
die innerhalb der Koalition und auch im Bundesrat - dort
sind von allen Seiten verschiedene Anregungen eingegangen - außerordentlich intensiv beraten worden ist,
wird die Strom- und Gasversorgung in Deutschland einen völlig neuen Rechtsrahmen erhalten. Wir haben im
Kabinett auch die Verordnungen über den Netzzugang
und die Netzentgelte für Strom und Gas verabschiedet,
die jetzt dem Bundesrat zugehen werden. Dann liegt
Redetext
alles auf dem Tisch, was zur Neuregelung dieses außerordentlich wichtigen Sektors wichtig ist.
Die Strom- und Gasnetzbetreiber in Deutschland werden künftig einer staatlichen Aufsicht unterliegen, die
durch die bisherige Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post in Bonn wahrgenommen wird.
Diese Regulierungsbehörde hat in den letzten Jahren
umfangreiche Erfahrungen bei der Liberalisierung des
Kommunikationsmarktes gewonnen. Wir sind überzeugt, dass uns diese Erfahrungen sowohl im Bereich
der Strom- und Gasmärkte als auch in anderen Bereichen, zum Beispiel bei der Eisenbahn, zugute kommen
werden. Folgerichtig wollen wir auch den Namen dieser
Behörde ändern. Sie wird zukünftig Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post
und Eisenbahn heißen.
Die Aufsicht über alle netzgebundenen Infrastrukturen unter einem Dach zu bündeln führt zu Synergien und
ist ganz im Sinne einer leistungsfähigen und schlanken
Regulierung. Zugleich stärken wir durch diese Struktur
die Rolle der neuen Bundesnetzagentur auf europäischer
Ebene, da ihre Vertreter in den unterschiedlichen Regulierungsgremien mit einer Stimme sprechen können.
({2})
Angesichts der unübersehbaren Erfolge der Regulierungsbehörde in den Bereichen Post und Telekommunikation sind wir zuversichtlich, dass sie ihre neuen Aufgaben mit ähnlichem Erfolg wird meistern können. Für
den Aufbaustab „Energieregulierung“ jedenfalls sind inzwischen qualifizierte und hoch motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewonnen worden, die sich jetzt
auf ihre neuen Aufgaben vorbereiten, die sie offiziell natürlich erst nach Verabschiedung dieses Gesetzes wahrnehmen können. Deshalb warten sie wie alle Beteiligten
im Land darauf, dass ihnen der Gesetz- und Verordnungsgeber das erforderliche Handwerkszeug zur Verfügung stellt.
Mit diesem neuen Gesetz wollen wir sicherstellen,
dass alle Strom- und Gaskunden einen effizienten und
diskriminierungsfreien Zugang zu den Netzen erhalten.
Wir wollen die Rechte der Verbraucher nachhaltig stärken, indem wir ihnen vielfältige Möglichkeiten an die
Hand geben, sich gegen Missstände zur Wehr zu setzen.
Die Tätigkeit der Bundesnetzagentur wird auch dazu
führen, dass das Verhalten der Netzbetreiber durchschaubarer und transparenter wird. Das wird dem Wettbewerb auf dem Strom- und Gasmarkt zusätzliche Impulse geben.
Unser Ziel ist, dem Wirtschaftsstandort Deutschland
im europäischen Vergleich dauerhaft wettbewerbsfähige Strom- und Gaspreise zu sichern. Wir sind überzeugt, dass wir dies mit unserem Entwurf, der wirklich
außerordentlich intensive Beratungen und auch Veränderungen erfahren hat, erreichen können. Dass dies - das
will ich gleich hinzufügen - nicht zulasten der in
Deutschland bekanntlich hohen Versorgungssicherheit
und Zuverlässigkeit der Netze gehen darf - wir wollen
ja, wenn irgend möglich, keine Blackouts in Deutschland -, steht außer Frage. Dabei ist klar, dass die Sicherheit der Versorgung auch ihren Preis hat. Vor diesem
Hintergrund ist es aus meiner Sicht richtig und klug, die
Verantwortung dafür auch künftig in den Händen der
Netzbetreiber zu lassen. Die dazu im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen sind eine klare Absage an Vorstellungen, dem Staat gewissermaßen Instrumente zur
Investitionslenkung an die Hand zu geben. Das wollen
wir nicht. Unser Ziel ist: So viel Regulierung wie nötig
und so viel Liberalisierung, das heißt: offener Wettbewerb, wie möglich.
({3})
Mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf, für den
ich Sie um Ihre Zustimmung bitte, liegt ein Regulierungskonzept auf dem Tisch, das wir passgenau auf die
besonderen deutschen Verhältnisse - wir haben, anders
als in anderen europäischen Industrienationen, weit über
1 000 Netzbetreiber - zugeschnitten haben. Die klaren
Vorgaben zur Entflechtung sind die Basis der künftigen Regulierung. Sie werden maßgeblich dazu beitragen, dass der Wettbewerb um Strom und Gas nicht durch
eine Diskriminierung von Konkurrenten bei der Nutzung
der Netze behindert werden kann. Organisatorische und
personelle Vorgaben werden diese Neutralität des Netzbetriebs verstärken. So müssen die Unternehmen künftig
für den Netzbereich gesonderte Konten führen. Dies
wird Quersubventionierungen verhindern und eine kosteneffiziente Überprüfung der Netzentgelte durch die
Regulierungsbehörde erleichtern.
Die Vorgaben zur Entflechtung stellen die Unternehmen vor einige Herausforderungen und sind, jedenfalls
zunächst, auch mit Kosten verbunden. Deshalb ist es
wichtig, dass wir die Gestaltungsspielräume nutzen, die
wir in Brüssel insbesondere für die kleineren und mittleren Netzbetreiber durchgesetzt haben. Die steuerneutrale
Entflechtung wird den Netzbetreibern helfen, bestmögliche Strukturen zu finden, ohne ökonomische Nachteile
in Kauf nehmen zu müssen.
Die Vorgaben zur Entflechtung sind ein Eckpfeiler
des gesamten Regulierungskonzepts. Unser Entwurf orientiert sich dabei, um das noch einmal zu sagen, an den
Brüsseler Mindestvorgaben und schöpft die rechtlichen
Gestaltungsspielräume, die uns die Europäische Union
belässt, für kleinere und mittlere Netzbetreiber voll aus.
Zum Kernbereich der Novelle zählt die künftige
Regulierung der Netzentgelte, die wir, wie Sie alle
wissen, innerhalb der Koalition außerordentlich intensiv
erörtert haben. Danach ist klar, dass die Bundesnetzagentur grünes Licht erhält, ein für Deutschland geeignetes Modell für die Anreizregulierung zu erarbeiten,
und zwar binnen Jahresfrist. Dieses Modell kann sie spätestens zwei Jahre nach In-Kraft-Treten des Gesetzes eigenständig umsetzen, so schlagen wir vor. Dies ist ein
ausgesprochen ehrgeiziger Zeitplan. Aber das ist notwendig, weil alle Marktteilnehmer so rasch wie möglich
stabile Vorgaben benötigen.
Bei der Anreizregulierung werden den Netzbetreibern
Preisobergrenzen gesetzt. Diese Obergrenzen treten an
die Stelle einer permanenten Kostenkontrolle. Bei sachgerechter Verteilung von Chancen und Risiken erhalten
die Betreiber auf diese Weise marktwirtschaftliche Anreize, um die Effizienz der Versorgung zu steigern. Wir
sind überzeugt, dass diese Anreizregulierung einen Modernisierungsruck im Denken und Handeln der gesamten
Branche auslösen kann, und setzen darauf, dass sie dies
auch auslösen wird. Das ist gut für den gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland.
In der Übergangsphase bis zum In-Kraft-Treten der
Anreizregulierung müssen sich die Netzbetreiber, die
ihre Entgelte anheben wollen, einer Ex-ante-Überprüfung, also einer vorausgehenden Überprüfung, stellen.
Wir gewährleisten damit, dass die Nutzer der Netze
keine Entgeltanhebungen akzeptieren müssen, die nicht
gerechtfertigt sind.
Für die Erarbeitung des Anreizregulierungsmodells
ist es wichtig, dass die Bundesnetzagentur den Dialog
mit allen Marktteilnehmern sucht und auch die Wissenschaft einbindet. Ich will damit sagen, dass wir mit diesem Projekt am Beginn eines sehr bedeutungsvollen Prozesses stehen, den wir nur bestehen werden, wenn sich
alle Beteiligten konstruktiv beteiligen.
Die Weichen für sinkende Netzentgelte sind gestellt.
Es wird einen Wettbewerb in den Netzen geben, wie wir
ihn bisher nicht hatten. Dieser Wettbewerb wird unzweifelhaft zu sinkenden Netzentgelten führen. Ich will mich
allerdings nicht an Spekulationen darüber beteiligen, in
welcher Höhe wir mit sinkenden Netzentgelten rechnen
können.
Eines müssen wir immer im Auge behalten: Unsere
Volkswirtschaft braucht nicht nur preisgünstige Energie.
Sie braucht auch Energie, die beim Kunden, bei den Verbrauchern genauso wie bei den Unternehmen, jederzeit
in der gewohnten Qualität ankommt. Substanzerhaltung
und angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals
sind dabei nicht nur zentrale Voraussetzungen für die Attraktivität der Netze für Investitionen, sie haben auch
eine immense Bedeutung für die Qualität der Netze. Um
es noch einmal zu sagen: Wir sollten die Fehler anderer
Länder nicht wiederholen und das Risiko von Blackouts
bei uns nicht erhöhen. Dieses Risiko sollten wir so gering wie möglich halten. Wir sind davon überzeugt, dass
wir das auch schaffen.
({4})
Der heute vorliegende Gesetzentwurf belegt, dass
sich der Deutsche Bundestag ausgesprochen konstruktiv
und intensiv mit den im ersten Durchgang des Gesetzgebungsverfahrens von den Ländern erhobenen Forderungen auseinander gesetzt hat. Eine Reihe von wichtigen
Anliegen des Bundesrates ist vollständig übernommen
worden. Ich denke zum Beispiel an die Überprüfung der
Erhöhung von Netzentgelten und an die verbindliche
Einführung der Anreizregulierung. Ich hoffe, dass das
eine gute Ausgangsbasis ist, um sich in diesem sehr
komplexen Gesetzgebungsverfahren mit dem Bundesrat
zügig verständigen zu können. Es wäre gut, wenn wir
das schafften.
Ich habe auch auf die Notwendigkeit von Investitionen und auf die Planungssicherheit, die wir mit diesem
Gesetz schaffen, hingewiesen. Mir ist wichtig, auch darauf hinzuweisen, dass wir nach allem, was wir vonseiten
der Versorgungsunternehmen wissen, allein bis 2010 mit
Investitionen in der Größenordnung von etwa 19 Milliarden Euro rechnen können. Bis 2010 sollen 9,7 Milliarden Euro in Kraftwerke und 9,3 Milliarden Euro in die
Stromnetze investiert werden. Soweit mir bekannt ist, ist
das das größte Investitionsprogramm, das in Deutschland zur Stunde auf den Weg gebracht wird.
({5})
Ich begrüße es, dass der Vorstandsvorsitzende von
RWE, Herr Roels, gestern auf der RWE-Hauptversammlung erklärt hat, sein Unternehmen plane weiterhin Milliardeninvestitionen im Inland. Ich zitiere ihn wörtlich:
Deutschland ist für uns nach wie vor die erste Adresse,
wenn es um Investitionen geht. Sein Unternehmen plane
in Deutschland und auch in anderen Staaten, insbesondere in Großbritannien, bis 2009 Investitionen in der
Größenordnung von 20 Milliarden Euro.
Ich begrüße auch, dass der Vorstandsvorsitzende von
EnBW, Herr Professor Claassen, erklärt hat, dass sein
Unternehmen ebenfalls Milliardeninvestitionen plane,
und zwar in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Soweit ich das zur Stunde erkennen kann, sind in
Baden-Württemberg zwei Kraftwerke geplant, über deren Standorte innerhalb der kommenden zwei Jahre entschieden werden soll.
Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg spielen als Standorte der Kraftwerksindustrie übrigens eine
sehr zentrale Rolle. In Nordrhein-Westfalen sind ein
hochmoderner Braunkohledoppelblock mit einer optimierten Anlagentechnik und einer Leistung von
2 100 MW, zwei Steinkohlekraftwerke mit zusammen
rund 1 600 MW und zwei Gaskraftwerke mit rund
1 200 MW geplant. Diese Planungen sind uns bisher bekannt. Das gehört in den Gesamtrahmen der Investitionen, für die wir die rechtlichen und planerischen Grundlagen schaffen müssen. Wir sind davon überzeugt, dass
uns dies mit diesem Gesetzentwurf, für den wir um Ihre
Zustimmung bitten, auf eine sehr vernünftige Weise gelingen wird.
Unser Ziel ist, dass der neue Ordnungsrahmen zum
1. Juli dieses Jahres in Kraft treten kann. Soweit ich das
sehe, haben sich die Beteiligten inzwischen darauf eingestellt. Der Erwartungsdruck ist groß. Insbesondere für die
Investitionen brauchen wir stabile Rahmenbedingungen.
Ich meine, dass wir den Wünschen und Anliegen der
Länder schon weitgehend entgegengekommen sind. Die
Länder wollen überdies beim Vollzug der Regulierung
mehr beteiligt werden. Ich stehe dem prinzipiell offen
gegenüber. Allerdings sollten wir hinzufügen, dass dies
nur möglich ist, wenn die Bundeseinheitlichkeit der Regulierung nicht gefährdet wird. Ich sage dies in vollem
Ernst: In einer Zeit, in der die Föderalismuskommission
einen neuen Anlauf unternimmt, um eine klare Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern zu erreichen,
sollte es unser wichtigstes Anliegen sein, hier Einheitlichkeit - in diesem Fall kann es nur um Bundeseinheitlichkeit gehen - zu sichern.
({6})
Wir sollten jetzt zügig mit den Gesprächen beginnen.
Wir sind zu jeder Zeit für Gespräche offen; das gilt
natürlich auch für mich. Ich bin nicht sicher, ob es zu einem Vermittlungsverfahren kommen muss. Meiner
Meinung nach wäre es besser, wenn wir ohne Vermittlungsverfahren zu einem Ergebnis kommen könnten. In
jedem Fall aber gilt unser Angebot zu konstruktiver Zusammenarbeit. Wir sind dazu bereit. Wir bitten Sie, dem
Gesetzentwurf grünes Licht zu geben.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Ich erteile das Wort Kollegin Dagmar Wöhrl, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Verfahren zur Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes
nähert sich langsam, aber sicher dem Ende. Ich glaube,
das ist auch gut so. Die Energiewirtschaft und die Verbraucher brauchen endlich Klarheit; denn man sagt ja zu
Recht, dass dies das Grundgesetz der Energiewirtschaft
ist. Für uns war es unverständlich, warum man dies über
ein Jahr lang hat schludern lassen.
({0})
Diese Neuregelung sollte schon letztes Jahr umgesetzt werden. Wir sagen Ihnen zu, dass wir hier nicht
verzögern werden. Aufgrund der Zwistigkeiten zwischen Umweltministerium und Wirtschaftsministerium
ist es nicht zu einer schnellen Einigung gekommen. Wir
als Opposition werden aber alles dafür tun, damit das
Gesetz schnell verabschiedet werden kann, und haben
deswegen auch auf die Inanspruchnahme der uns zustehenden Fristen verzichtet.
Der Herr Minister hat bereits darauf hingewiesen,
dass hohe Investitionen getätigt werden sollen. Etwa
19 Milliarden Euro sollen bis zum Jahr 2010 investiert
werden, davon allein 9,3 Milliarden Euro in die Netze.
Eine Investitionssumme von 6 Milliarden Euro hängt
von der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs ab. Ich
hoffe, dass die Energieversorgungsunternehmen die Investitionen, die sie angekündigt haben, schnell tätigen
werden. Das ist wichtig für unsere Versorgungssicherheit
und auch für die Leistungsfähigkeit unserer Netze.
Sie haben wichtige Impulse von der Union und vom
Bundesrat aufgenommen; das war vernünftig. Trotzdem
sind diese Impulse im Hinblick auf mehr Wettbewerb
- es handelt sich ja schließlich um ein Wettbewerbsgesetz - noch nicht ausreichend. Wir brauchen einen
Rahmen für die Wettbewerbsordnung, mit dem wir eine
kostengünstige, sichere und umweltfreundliche Energieversorgung erreichen. Auf der anderen Seite brauchen
wir natürlich auch leistungsfähige Energienetze. Den
Ausgleich zu schaffen zwischen Wettbewerb auf der einen Seite und Versorgungssicherheit auf der anderen
Seite ist die Aufgabe dieses Gesetzes.
Unser Ziel ist es, eine Stärkung des Wettbewerbs herbeizuführen. Wir erhoffen uns natürlich auch niedrigere
Netzentgelte und damit auch niedrigere, wettbewerbsfähige Energiepreise. Das ist dringend notwendig.
({1})
Die Energiepreise in Deutschland sind, verglichen mit
ganz Europa, mit am höchsten. Gemessen an einem
Haushalt mit einem jährlichen Durchschnittsverbrauch
von 3 500 Kilowattstunden haben wir hinter Italien und
Dänemark die höchsten Energiepreise.
({2})
Gemessen an einem gewerblichen Kunden aus der Industrie mit einem jährlichen Durchschnittsverbrauch von
1,5 Millionen Kilowattstunden sind unsere Strompreise
hinter Italien die höchsten.
Wir brauchen uns nichts vorzumachen: Allein mit der
Energierechtsnovelle werden wir es nicht schaffen, die
Energiepreise zu senken, auch wenn dadurch Effizienzgewinne generiert werden. In den letzten Jahren hat der
Staat in diesem Bereich eine derart starke staatliche
Interventionspolitik betrieben, dass dies auch dann,
wenn es aufgrund dieses Gesetzes zu einer 10-prozentigen Senkung der Netzentgelte kommt, nicht ausgeglichen werden kann.
({3})
Über 40 Prozent des Strompreises sind durch staatliche
Abgaben und Belastungen bedingt. Die Kosten sind
heute sechsmal höher als zu unserer Regierungszeit. Das
ist die Hauptursache für das Ansteigen der Strompreise.
Es ist daher wichtig, dass wir stark darauf achten,
dass wir wettbewerbsfähige - ich betone: wettbewerbsfähige - Energiepreise haben. Wir haben viele energieintensive Unternehmen in unserem Land. Wir müssen alles
dafür tun, dass diese Unternehmen in unserem Land
bleiben, wenn sie nicht schon in andere Länder abgewandert sind, in denen die Energiepreise weit niedriger
sind.
({4})
Sie haben in dieser Woche davon gesprochen, die Familienpolitik ganz oben auf Ihre Agenda zu setzen. Ich
sage Ihnen eines: Das Wichtigste für Familien mit vielen
Kindern sind niedrige Energiepreise; denn die belasten
die Haushalte der Familien.
({5})
Wenn wir heute fragen, ob der vorliegende Gesetzentwurf für den notwendigen Wettbewerbsschub, den wir
uns erhoffen, ausreicht, dann müssen wir sagen: Es ist
richtig, dass Sie auf die Forderung der Union eingegangen sind, eine Ex-ante-Regelung einzuführen. Es ist
richtig, dass Sie auf unsere Forderung eingegangen sind,
eine Anreizregulierung auf den Weg zu bringen. Aber
leider sind einige Forderungen, die sehr wichtig sind,
immer noch nicht erfüllt worden. So lässt die Gasnetzregulierung noch eine Reihe von Fragen offen. Die Vorgaben der Entflechtung sind noch nicht auf das von der EU
geforderte Minimum zurückgeführt worden. Das führt
zu einer sehr starken Belastung vor allem der kleineren
und mittleren Stadtwerke in unseren Kommunen.
Schließlich haben Sie eine unsinnige Verschärfung
der Stromkennzeichnung auf den Weg gebracht, die
nicht mehr Verbraucherschutz bringt, sondern zu Verzerrungen und mehr Bürokratie führt. Sie wollen, dass in
Zukunft in jeder Rechnung, in jedem Angebot und in jedem Werbematerial der Anteil jedes einzelnen Energieträgers an dem Gesamtenergiemix aufgeführt ist. Hinzu
kommen Informationen über Umweltauswirkungen und
CO2-Emissionen in Gramm je Kilowattstunde, Angaben
über den radioaktiven Abfall in Milligramm je Kilowattstunde und Angaben über den Anteil des KWK-erzeugten Stroms.
({6})
- Sie klatschen, Frau Hustedt. Ich frage mich: Was soll
denn das? Der Verbraucher hat nichts davon und der Unternehmer wird dadurch mit immensen Kosten belastet.
Vor allem frage ich mich: Wer versteht denn überhaupt,
wie stark die Umwelt belastet wird, wenn er in seiner
Stromrechnung liest, dass soundso viel Gramm je Kilowattstunde an CO2-Emissionen anfallen?
({7})
Wenn man Ökostrom haben will, dann kann man ihn
schon jetzt bekommen. Ich erinnere auch an Helmut
Schmidt, der einmal vor 30 Jahren gesagt hat, er verstehe seine Stromrechnung nicht.
({8})
In Zukunft wird die Stromrechnung ein ökologisches
Kreuzworträtsel sein, für das Sie einen Berater brauchen.
({9})
Der beste Verbraucherschutz - das schreibe ich Ihnen ins
Stammbuch - sind niedrige Energiepreise. Das ist der
beste Verbraucherschutz, den wir den Verbrauchern vor
Ort geben können.
({10})
Nun haben wir eine neue Bundesbehörde, die natürlich finanziert werden muss.
({11})
- Gut, Sie erweitern die jetzige Regulierungsbehörde;
dagegen ist nichts zu sagen. - Diese Behörde muss natürlich finanziert werden; das ist eine Staatsaufgabe. Sie
aber wollen die Behörde nicht finanzieren, obwohl Sie
sie einrichten wollen. Sie wollen einen Regulierungsbeitrag erheben, den die Energieversorgungsunternehmen
bezahlen sollen. Meine Damen und Herren, wir müssen
uns doch über eines im Klaren sein: Das wird auf die
Strompreise umgelegt werden. Die Behörde wird keinen
Anreiz haben, wirklich effizient zu regulieren. Es wird
eine aufgeblähte Behörde werden.
({12})
Wahrscheinlich, Frau Hustedt, geht es auch noch um einen zusätzlichen Vizepräsidenten, der von Ihnen angedacht ist. Wahrscheinlich wollen Sie einem Parteimitglied einen Posten verschaffen, der auch noch finanziert
werden muss.
({13})
Ein ganz großer Mangel an dem vorliegenden Gesetzentwurf ist etwas, das sich wie ein roter Faden durch Ihre
ganze Gesetzgebung zieht. Bei jeder Vorlage zur Umsetzung einer EU-Richtlinie, die wir hier umsetzen müssen
- das ist in Ordnung; dagegen sagt keiner etwas -, gehen
Sie über die Vorgaben der EU hinaus. Damit belasten Sie
die Menschen vor Ort und die Unternehmen, wodurch es
zu Wettbewerbsverzerrungen kommt. Das ist ein Wust
an Bürokratie.
Des Weiteren führen Sie ein Verbandsklagerecht mit
einer Vorteilsabschöpfung und immense Berichtspflichten ein. Zukünftig wird es an die 100 Berichtspflichten
geben. Die meisten davon haben keinen erkennbaren
Sinn. Sie erfordern aber einen zusätzlichen Aufwand
und Millioneninvestitionen in dreistelliger Höhe, um die
technischen Voraussetzungen für die Erfüllung der Berichtspflichten zu schaffen. Dass wir diesem Vorhaben
nicht zustimmen, muss ich wohl nicht extra erwähnen.
({14})
Sie haben in Ihren Gesetzentwurf auch die vorrangige Einspeisung von Biogas aufgenommen. Wie auch
immer man zu Biogas steht, es steht außer Frage, dass es
sinnvoll ist. Aber es geht bei dem Gesetzentwurf um das
Energiewirtschaftsgesetz, das heißt um ein Wettbewerbsgesetz. Insofern ist der diskriminierungsfreie Zugang das oberste Ziel. Warum wollen Sie in dem Gesetz,
das wir endlich auf den Weg gebracht haben, schon wieder eine Ausnahme machen?
({15})
Wenn die vorrangige Einspeisung von Biogas beabsichtigt ist, dann ist sie nicht in diesem Gesetz zu regeln,
sondern dann muss sie im Zusammenhang mit dem Energieeinspeisungsgesetz diskutiert und gegebenenfalls
darin geregelt werden. Anderenfalls würde die gesamte
Zielsetzung, die mit diesem Gesetzentwurf verfolgt
wird, von vornherein konterkariert.
({16})
Eine wichtige Frage im Vermittlungsverfahren werden die Bund/Länder-Kompetenzen sein. In den Ländern ist bereits jetzt Sachverstand in Form der Preis- und
Kartellbehörden vorhanden. Ich bin sicher, dass wir uns
in dieser Frage einigen werden. Wichtig ist aber, dass
wir insgesamt zu einer kostengünstigen Regulierung
kommen. Ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist, die kleinen
und mittelgroßen Stadtwerke Belastungen auszusetzen,
die nicht in der EU-Richtlinie vorgesehen sind. Ich
denke dabei an das Gleichbehandlungsprogramm, das
sie durchführen müssen, und an den Gleichbehandlungsbeauftragten, den sie in diesem Zusammenhang einsetzen müssen. An dieser Stelle sehe ich Diskussionsbedarf; denn gerade die kleinen und mittleren Stadtwerke
- vor allem diejenigen mit weniger als 100 000 Kunden würden so mit einem zusätzlichen Bürokratieaufwand
belastet.
Zusammenfassend ist festzuhalten: Sie sind uns entgegengekommen; das ist positiv und vernünftig. Es wird
zu einem Vermittlungsverfahren kommen. Ich gehe davon aus, dass wir offen in die Beratungen gehen werden.
Wir wollen auch zugunsten der Investitionssicherheit in
vielen Bereichen, dass das Gesetz schnell umgesetzt
wird, und hoffen auf eine gute und konstruktive Zusammenarbeit im Vermittlungsverfahren.
Vielen Dank.
({17})
Ich erteile das Wort Kollegin Michaele Hustedt von
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über ein sehr großes
Reformprojekt dieser Legislaturperiode. Die Energiewirtschaft bildet das Rückgrat der gesamten Industriewirtschaft, für die wir in ordnungspolitischer Hinsicht
eine völlig neue Basis schaffen. Das erfolgt zwar erst ein
Jahr später, als in der EU-Richtlinie vorgesehen, aber damit befinden wir uns in der Gesellschaft vieler anderer
Staaten; etwa zehn Länder haben die Richtlinie bislang
noch nicht umgesetzt.
Ein viel wichtigerer Grund dafür aber ist, dass wir das
einzige Land sind, das den großen Sprung, den Paradigmenwechsel vom verhandelten zum regulierten Netzzugang, noch vollziehen muss. Wir sind das einzige
Land in der Europäischen Union, das noch keine Wettbewerbsbehörde als fairen Schiedsrichter im Markt geschaffen hat. Dass es in Deutschland zu einer mehrjährigen Verzögerung hinsichtlich eines echten Wettbewerbs
gekommen ist, ist Ihnen zuzurechnen. Sie haben auf den
verhandelten Netzzugang gesetzt, statt von vornherein
festzustellen, dass dieser Weg nicht erfolgreich sein
kann.
({0})
Ich glaube, dass wir nun einen Riesensprung machen.
Wir haben gleichzeitig die Unbundling-Richtlinie umgesetzt. Das müssen andere Länder erst noch tun. Das
heißt, wir werden uns in der Frage eines ambitionierten
Regulierungssystems, in der wir bisher Schlusslicht waren, direkt an die Spitze der europäischen Wettbewerbspolitik setzen. Ich finde, das ist ein großer Verdienst. Das
sollten wir heute feiern.
({1})
Das war längst überfällig; denn wir haben in Deutschland die höchsten Energiekosten in Europa.
({2})
Wir können gerne über den staatlichen Anteil an den
Energiekosten reden. Herr Glos, ich biete Ihnen folgende
Wette an: Ich wette, dass Sie, falls Sie - das ist allerdings
unwahrscheinlich - in der nächsten Legislaturperiode regieren sollten,
({3})
die Ökosteuer nicht senken werden. Frau Wöhrl hat sich
bislang geweigert, diese Wette anzunehmen. Ich bin gespannt, ob Sie in diese Wette einschlagen.
Die Höhe der Förderung der erneuerbaren Energien
beträgt 0,5 Cent pro Kilowattstunde. Zum Vergleich: Die
Durchleitungsgebühren belaufen sich auf 7 Cent pro
Kilowattstunde. Wir stehen zur Förderung der erneuerbaren Energien. Das soll auch auf den Rechnungen
transparent gemacht werden; denn angesichts steigender
Energiepreise ist es dringend notwendig, Alternativen
aufzubauen. Ein Beispiel: Im Februar dieses Jahres waren die erneuerbaren Energien, insbesondere die Windenergie, an der Börse billiger als ein Mix aus fossilen
und atomaren Energien. Das hatte mit den hohen Preisen
für fossile Energieträger und mit dem Kälteeinbruch zu
tun. Das heißt, die Nutzung erneuerbarer Energien wird
langsam wirtschaftlich. Investitionen in diesen Bereich
sind also Zukunftsinvestitionen. Dazu stehen wir.
({4})
Auch nach Abzug der staatlichen Abgaben haben wir
bislang in Deutschland die höchsten Energiepreise europaweit. Wir haben außerdem europaweit die höchsten
Durchleitungspreise, und das bei gleichzeitig explodierenden Gewinnen der Stromkonzerne. Es ist also absolut
notwendig, dass hier gehandelt wird. Neutrale Netze
sind eine wichtige Voraussetzung für mehr Wettbewerb.
Die Hälfte der Kraftwerkskapazitäten muss ersetzt werden. Es wurde nun von der Wirtschaft angeboten,
20 Milliarden Euro zu investieren. Das begrüßen wir.
Aber neutrale Netze sind eine Voraussetzung dafür, dass
wir jeden einladen können, in Deutschland zu investieren, und zwar nicht nur die vier großen Stromkonzerne,
sondern auch ausländische und kleine Investoren. Die
Vielfalt der Akteure ist eine Voraussetzung für eine Vielfalt der Technologien in Deutschland. Wir wollen angesichts eines weltweit wachsenden Energieverbrauchs die
Investitionen nutzen, um Deutschland zu einem Schaufenster der Anlagetechnologie zu machen. Das ist unser
Ziel. Dafür brauchen wir neutrale Netze. Nur dann kann
jeder Investor seinen Strom zum Verbraucher transportieren.
({5})
Auch auf dem Gasmarkt ist eine Diversifizierung
notwendig. Wir dürfen uns nicht mehr nur auf wenige
Anbieter konzentrieren; denn Gas ist eine Energiequelle,
deren Bedeutung wächst und die als Primärenergie für
den Übergang absolut notwendig ist. Wir sorgen auf dem
Gasmarkt erstmalig für einen Einstieg in den Wettbewerb. Sie haben das mit der alten Verbändevereinbarung
versäumt. Wettbewerb ist eine Voraussetzung für Versorgungssicherheit. Hier sind wir einen entscheidenden
Schritt vorangekommen.
Ich freue mich, dass auch die CDU/CSU und die FDP
inzwischen einsehen, dass ein regulierter Netzzugang
und eine Wettbewerbsbehörde als fairer Schiedsrichter
auf dem Markt der richtige Weg sind. Sie sind auf diesen
Zug aufgesprungen, als wir ihn schon lange in Gang gesetzt hatten. Wenn Sie nun die Backen für noch mehr
Wettbewerb aufblasen, dann kann ich nur sagen: Wir
werden Sie im Bundesrat daran messen. Die Welle der
Lobbyisten rollt ja nun auf Sie zu. Ich bin gespannt, inwieweit Sie weiter gehende Forderungen für noch mehr
Wettbewerb, die ich durchaus unterstützen könnte, im
Bundesrat tatsächlich durchsetzen werden. Daran werden wir Sie jedenfalls messen.
({6})
Frau Wöhrl, Sie haben erneut angekündigt, dass Sie
eine Vorrangregelung zugunsten von Biogas bekämpfen
wollen. Ich sage Ihnen: Das Ziel muss sein, auch einen
diskriminierungsfreien Zugang für Strom aus Biogas zu
schaffen. Dafür ist eine Vorrangregelung notwendig.
Es geht hier nicht darum, eine Einspeisevergütung zu
zahlen. Es ist völlig klar: Die Kosten für die Einspeisung
von Biogas müssen vom Einspeiser getragen werden. Es
geht hier nicht um eine Subventionierung von umweltfreundlichem Biogas, sondern schlichtweg um die Regelung, dass Biogas auch dezentral, also vor Ort, eingespeist werden kann.
Frau Merkel hat einerseits auf der Grünen Woche gesagt: Die Bioenergie hat eine Zukunft; wir müssen sie
stärker fördern. Andererseits hat sie ihre Truppen in
Gang gesetzt, um gegen die mit der Bioenergie verbundenen Errungenschaften - Stichwort: der Landwirt als
Energiewirt von morgen - zu kämpfen. Daher muss ich
Sie schon fragen: Wofür stehen Sie? Sind Sie dafür oder
sind Sie dagegen? Sie müssen sich einmal entscheiden.
({7})
Sie haben hier angekündigt, die Verbraucherrechte
zu schleifen. Dazu sage ich Ihnen: Viel Spaß! Es gibt in
Deutschland inzwischen mehrere Bürgerinitiativen mit
Tausenden von Bürgern, die sich weigern, ihre Gasrechnung und ihre Stromrechnung zu bezahlen, weil sie
große Angst haben, dass sie von Stromkonzernen, die
quasi wie Monopole agieren, einfach nur abgezockt werden.
({8})
Ich wünsche Ihnen viel Spaß dabei, zu versuchen, die
Verbraucherrechte zu schleifen. Ich glaube nicht, dass
Sie dabei viel Zustimmung in der Bevölkerung bekommen.
Jeder Wettbewerbstheoretiker behauptet: Starke Verbraucherrechte sind auch ein Motor für mehr Wettbewerb; denn gerade der Kleinste ist der Schwächste auf
dem Markt. Wenn wir den Kleinsten schützen - der
beste Schutz ist ein starkes Verbraucherrecht -, zieht das
tatsächlich mehr Dynamik und mehr Wettbewerb auf
dem Markt nach sich und das ist gut so.
Ich möchte noch etwas zum Thema Transparenz sagen. Transparenz ist die absolute Voraussetzung dafür,
dass eine Wettbewerbsbehörde regulieren kann. Bislang
besteht nämlich das Problem, dass absolut undurchsichtig ist, was die Stromkonzerne in diesem Bereich vereinbaren. Die Preisaufsichten der Länder waren bislang völlig überfordert, wenn es darum ging, in die Bücher zu
schauen. Transparenz ist ein Bestandteil von Wettbewerb. Sie wollen die entsprechenden Berichtspflichten
- sie sind uns übrigens von der EU auferlegt - abbauen.
Das ist ein Hinweis darauf, dass Sie weniger Wettbewerb
wollen.
({9})
Der Bundesrat wird darüber demnächst verhandeln.
Wir sollten versuchen, auch hier miteinander darüber zu
sprechen. Ich glaube, das Bund/Länder-Problem wird
ein Thema sein. Ich gehe davon aus, dass wir in diesem
Bereich einen Kompromiss finden werden. Wie ich
weiß, ist man sich auf Bundesebene einig, dass es eine
bundeseinheitliche Regulierung geben muss und dass es
nicht 16 verschiedene Regulierungsansätze geben darf.
Ich weiß aber auch, dass die Landesregierungen beider
Seiten durchaus andere Interessen vertreten. Ich hoffe,
dass wir zusammenfinden werden.
Das „Handelsblatt“ schrieb direkt nach unserem Beschluss zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts:
Man kann nur hoffen, dass auch die unionsgeführte
Ländermehrheit im Bundesrat … ein einigermaßen
konsistentes Konzept nicht noch im Ringen um politische Punktsiege zerstört. Jeder Beitrag zum zügigen Abschluss des Verfahrens wird ein Beitrag
zur Stärkung der wirtschaftlichen Dynamik im
Lande sein.
Ich kann dem „Handelsblatt“ nur zustimmen.
({10})
Ich erteile das Wort Kollegin Gudrun Kopp, FDPFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Deutschland ist bei den Energiepreisen Spitzenreiter,
({0})
und zwar sowohl, was die privaten Endverbraucher, als
auch, was die Wirtschaftsunternehmen betrifft. Ich sage
in Richtung der rot-grünen Regierung und der sie tragenden Fraktionen: Das hat natürlich Ursachen. Sie brauchen sich heute Morgen wegen dieses Gesetzentwurfs,
der endlich auf dem Tisch liegt, gar nicht zu feiern.
Ich nenne nur ein paar Kenndaten: Auf jedem Bundesbürger lasten allein für Steuern und Abgaben auf
Energie 798 Euro. Die Ministererlaubnis für die Fusion
von Eon und Ruhrgas hatte zur Folge, dass auf dem
Energiemarkt in Deutschland eine Konzentration ersten
Ranges erfolgen konnte. Das heißt, wir sind von echten
Wettbewerbsstrukturen hier weit entfernt.
({1})
Sie haben dem Standort Deutschland ein regulierungsfreies Jahr beschert; es gab nämlich Differenzen
zwischen den beiden Ministern bzw. Ministerien - das
ist schon gesagt worden -; man hat sich lange nicht einigen können. Das hat dazu geführt, dass Netzbetreiber
und Versorger noch einmal kräftig zugreifen, also die
Verbraucher zur Kasse bitten konnten. Das, sehr geehrter
Herr Minister Clement, liegt auch in Ihrer Verantwortung.
Insofern haben wir allen Grund, dafür zu sorgen, dass
es künftig wenigstens im Netzbereich einen diskriminierungsfreien Zugang und damit Wettbewerb gibt. Wir
sind weit davon entfernt, den Wettbewerb dort gestaltet
zu haben. Insbesondere problematisch ist der Gasbereich; auf den komme ich gleich noch einmal zu sprechen. Es geht darum, gerade dieses natürliche Monopol
Netz zu öffnen.
Wir wissen, dass es eine Regulierung geben muss.
Wir hätten uns gewünscht, dass das Bundeskartellamt als
der Wettbewerbshüter Nummer eins in dem Bereich
hätte agieren können. Nun kommt es nicht so. Sie wollen
die Reg TP damit beauftragen. Um die Zielrichtung der
Regulierung noch genauer zu beschreiben, würden wir
uns wünschen, dass die Regulierungsbehörde künftig
„Wettbewerbsagentur Netze“ genannt werden könnte.
Dann wüsste man gleich, wohin die Reise gehen soll.
Wichtig ist uns als FDP-Bundestagsfraktion, dass die
neue Regulierungsbehörde politisch unabhängig agieren
kann, dass dort nicht eingegriffen wird.
({2})
Zur Finanzierung der Regulierung sage ich für die
Liberalen noch einmal ganz ausdrücklich: Die Regulierung ist eine staatliche Aufgabe. Sie müsste deshalb aus
dem Bundeshaushalt finanziert werden und dürfte nicht
per Umlage den Unternehmen und dann wieder den Verbrauchern auferlegt werden.
Sie haben unsere Anregung, den Regulierungsbeitrag
- das sind ja Kosten - wenigstens zu deckeln, leider
nicht aufgegriffen, was dazu führt, dass in der Regulierungsbehörde beliebig viel Personal eingestellt und die
Behörde so personell aufgebläht werden kann. Auf der
anderen Seite wird das Bundeskartellamt personell immer weiter ausgedünnt; ihm werden Gelder entzogen.
Das finden wir nicht richtig. Zumindest eine Deckelung
des Beitrags hätte also erfolgen müssen.
Wir hätten uns auch gewünscht, dass bei Missbräuchen Gewinnabschöpfungsmöglichkeiten gegeben wären, um so einen Finanzierungsbeitrag für die Regulierungsbehörde leisten zu können, wie das im Übrigen
auch beim Bundeskartellamt möglich ist.
({3})
Ich sagte eben schon: Dringend nachgebessert werden
muss im Gasbereich. Wenn Sie das einmal genau betrachten, stellen Sie fest, dass das Gesetz, gerade was
Gasregulierung, Zugang zu den Netzen betrifft, immer
noch unterbelichtet ist. Hier müssen wir nachbessern.
Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass in dem Bereich
Langfristlieferverträge mit Unternehmen über 30,
40 Jahre bestehen und dass diese Kapazitäten über viele
Jahrzehnte abgeschöpft, nicht mehr frei zugänglich sind.
Ich frage Sie: Wie wollen Sie angesichts dessen Wettbewerb in diesen Bereich bringen?
({4})
Es gibt im europäischen Ausland so genannte GasRelease-Projekte, über die wir nachdenken müssen. Ein
bestimmter Anteil von Gaslieferungen muss auch in Zukunft dem freien Markt zugänglich sein. Diesbezüglich
müssen wir noch einmal in dezidierte Verhandlungen
eintreten.
Zu diesem Gesetz ist zu kritisieren, dass Sie sachfremde Aspekte eingearbeitet haben, wie meine Kollegin
Wöhrl vorhin schon gesagt hat. Sie haben eine Vorrangregelung für Biogas und Kraft-Wärme-Kopplung aufgenommen. Wir sagen: Das hat in diesem Gesetz nichts zu
suchen. Das sind regulierungsfremde Bestandteile. Sie
sollten keinen Eingang in dieses Gesetz finden.
({5})
Bei den Regelzonen ist uns wichtig, dass es zu einer
Einheitlichkeit kommt. Bei der Komplexität des Themas
muss sehr viel mehr Transparenz gewährleistet werden,
als es durch dieses Gesetz möglich ist. Unseres Erachtens besteht eine Unterbelichtung bei den so genannten
Entflechtungsregelungen, also den Unbundling-Regelungen. Da sieht der Gesetzentwurf nach wie vor die so
genannte 100 000-Endkunden-Regelung vor. Entflochten werden müssen also Unternehmen ab einer Zahl von
100 000 Endkunden. Das scheint uns ein viel zu hoch
gegriffener Wert zu sein. Sie würden auf diese Weise nur
wenige Unternehmen zur Entflechtung zwingen, die für
mehr Transparenz und Wettbewerb nötig ist.
({6})
Wir plädieren dafür, auf eine Marge von etwa
25 000 Endkunden herunterzugehen, um so den Markt
besser zu liberalisieren.
({7})
Damit würde dem Wettbewerb Vorrang eingeräumt.
Wir finden es sehr gut, was zur Anreizregulierung
vorgelegt wurde: Innerhalb von zwölf Monaten soll ein
Anreizsystem geschaffen werden, was zugleich ein lernendes System ist. Dieses Ziel ist ehrgeizig und zugleich
unterstützenswert.
Im Gesetz ist aber nach wie vor als Kalkulationsmethode für die Abschreibung die Nettosubstanzerhaltung vorgesehen. Wir dagegen plädieren für die Verankerung der Realkapitalerhaltung. Das bedeutet, dass bei
der Kapitalbeschaffung die Anschaffungskosten zugrunde gelegt werden. Das würde mehr Transparenz
schaffen und dadurch würde die Möglichkeit eingeschränkt, Gewinne zu verstecken, was bei Zugrundelegung der Kalkulationsmethode Nettosubstanzerhaltung
eher möglich wäre. Darauf sollten wir achten. Deshalb
sollten wir an der Stelle nachverhandeln.
Auf die Berichtspflichten wurde schon eingegangen,
es handelt sich um etwa 100 Pflichtberichte. Wir wissen,
dass Berichte für das Monitoring während der Regulierungsphasen notwendig sind. Aber den Wust von
100 Pflichtberichten müssen wir unbedingt noch einmal
durchleuchten, durchforsten und schauen, auf welche
wir verzichten können. Ich denke dabei insbesondere an
solche, die aufgrund der EU-Beschleunigungsrichtlinien
nicht zwingend vorgeschrieben sind.
Wir finden es sehr gut und unterstützen es, dass jetzt
das Mess- und Zählwesen liberalisiert werden soll. Wir
wünschen uns hier aber keinen Aufschub, der sich ja
durch die Anlaufzeit von fünf Jahren ergibt, sondern wir
möchten, dass das Mess- und Zählwesen, sobald es
rechtlich möglich ist, liberalisiert wird. Das geht schneller als im Gesetzentwurf dargelegt.
Das Verbandsklagerecht zum Beispiel für die im
vzbv zusammengeschlossenen Verbraucherverbände
lehnen wir Liberale ab. Wir sind der Ansicht, dass ein
gut arbeitender unabhängiger Regulierer, der für einen
diskriminierungsfreien Netzzugang sorgt, den besten
Verbraucherschutz darstellt. Wir brauchen nicht noch ein
zusätzliches Verbandsklagerecht, was zu einer Verschleppung des nötigen Liberalisierungsverfahrens führen kann. Wir bitten also, auch diesen Punkt noch einmal
zu überdenken.
Priorität hat für uns eine bundeseinheitliche Zuständigkeit bei der Regulierung. Wir müssen aufpassen, dass
es hier nicht zu Mischzuständigkeiten kommt. Ich weiß
natürlich, dass es einige Länder gerne sähen, wenn sie
hier in irgendeiner Weise beteiligt würden. Wir müssen
sehen, was sich in dem Fall bei den Verhandlungen ergibt und welche Möglichkeiten es gibt, hier zu einer
Einigung zu kommen. Die Marschrichtung muss aber
lauten: Schaffung von Wettbewerb und nicht Behinderung von Wettbewerb. Wir wollen diskriminierungsfreien Zugang und möglichst auch in diesem Bereich
niedrigere Preise. Der Standort Deutschland hat es nötig,
sich zukünftig im Industrie- und Energiebereich besser
aufzustellen.
Vielen Dank.
({8})
Ich erteile das Wort Kollegen Rolf Hempelmann,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
- Nein, natürlich SPD-Fraktion.
Verehrter Herr Präsident, Sie sehen, die Angebote
kommen sofort, aber ich weiß, wo ich zu Hause bin.
({0})
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe
Kollegen! Wir sprechen heute über nichts weniger als
über ein neues Grundgesetz für die Energiewirtschaft
und Energiepolitik.
({1})
Mit dem neuen Energiewirtschaftsrecht sehen wir einen
doppelten Paradigmenwechsel vor. Insofern ist, wie ich
denke, diese Begrifflichkeit durchaus gerechtfertigt.
Auf der einen Seite errichten wir eine Regulierungsbehörde, die zukünftig Bundesnetzagentur heißen soll.
Damit begeben wir uns in den Geleitzug der Europäischen Union, wo es schon seit Jahren Regulierungsbehörden gibt, die über den Wettbewerb wachen.
Dass wir das erst jetzt tun, hat - das ist, glaube ich,
deutlich geworden - etwas damit zu tun, dass dies der
breite Wunsch der Energiewirtschaft, aber auch der Politik, und zwar nicht nur der regierenden Fraktionen, sondern auch ihrer Vorgänger in der Regierung, gewesen ist.
Ich glaube, dass es gut ist, dass wir dieses regulierte System jetzt einführen, weil es uns nämlich ermöglicht, im
Chor der europäischen Mitgliedstaaten sehr deutlich zu
machen, dass wir uns damit sozusagen an die Spitze der
Bewegung setzen. Denn in allen anderen Punkten der
Marktöffnung sind wir in Deutschland erheblich weiter
als die meisten anderen europäischen Mitgliedstaaten.
Darüber hinaus wird binnen zwölf Monaten eine
Anreizregulierung eingeführt werden, ein System, das
bisher nur sehr wenige Mitgliedstaaten eingerichtet haben und bei dem wir von Fehlern anderer lernen können,
die wir Gott sei Dank nicht wiederholen müssen.
Ich denke, dass angesichts dieses doppelten Paradigmenwechsels, dieses doppelten Betretens von Neuland
auch deutlich wird: Eine solche Operation braucht Zeit.
Wir haben uns diese Zeit genommen und einen Dialog
auch mit den Marktteilnehmern geführt. Hier geht Qualität vor Geschwindigkeit. Deswegen glaube ich, dass wir
hier und heute etwas Gutes auf den Tisch gelegt haben.
({2})
Ziel dieses neuen Energiewirtschaftsgesetzes ist insbesondere die Verbesserung des Wettbewerbs bei den
leitungsgebundenen Energien, also bei Strom und Gas.
Das bedeutet vor allem einen diskriminierungsfreien Zugang Dritter zu den Strom- und Gasnetzen. Damit verbunden ist in der Folge die Erwartung sinkender Netznutzungsentgelte.
Ich unterstreiche ausdrücklich, was auch Minister
Clement hier schon gesagt hat: Wir dürfen die Erwartungen aber nicht überstrapazieren. Wir setzen darauf, dass
die Entgelte und in der Tendenz letztendlich auch die
Endverbraucherpreise sinken werden. Aber klar ist
ebenso: Es gibt eine ganze Menge anderer Faktoren, die
auf die Strom- und Gaspreise einwirken,
({3})
zum Beispiel die Kosten von Primärenergien. Wir wissen, dass gerade in letzter Zeit die Bezugspreise für Importkohle und Gas deutlich gestiegen sind. Insofern
muss man mit den Erwartungen der Bevölkerung ehrlich
umgehen.
Ziel ist nicht - auch das ist hier schon deutlich geworden - die Preissenkung sozusagen um jeden Preis; es ist
kein Preisdumping geplant. Wir wollen die Beibehaltung, ja die Fortentwicklung der in Deutschland hohen
Netzqualität. Diese ist Bestandteil der Versorgungsqualität. Versorgungssicherheit zeichnet sich nicht nur durch
das Vorhandensein von Kohle, Gas und anderen Primärenergien, die der Verstromung dienen, aus, sondern eben
auch durch eine hohe Qualität der Netze. Das funktioniert nur über Investitionen und diese werden nur getätigt, wenn sie rentierlich sind.
Meine Damen und Herren, die Erwartungen, die wir
an dieses Gesetz knüpfen, sind also hoch. Einige davon
werden - das ist von Minister Clement hier ebenfalls
schon berichtet worden - offenbar schon sehr frühzeitig
erfüllt. Jedenfalls sind Investitionen, die wir uns erhoffen, zum großen Teil schon von wichtigen Marktakteuren angekündigt worden; sie werden allein bis 2010
fast 10 Milliarden Euro in die Netze bringen. Das führt
auch zu einem ausgesprochen hohen Beschäftigungseffekt.
Ich will an dieser Stelle, durchaus mit einem gewissen
Stolz, sagen, dass wir ähnliche Investitionsankündigungen auch für den Bereich der Kraftwerke haben und
dass dies nicht ausschließlich mit dem Energiewirtschaftsgesetz zu tun hat, sondern auch mit gesetzgeberischen Aktivitäten, die wir im letzten Jahr vollzogen
haben, insbesondere mit dem Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz und mit dem Nationalen Allokationsplan.
Offenbar sind uns hier Rahmenbedingungen gelungen,
die auch Investitionen in den Kraftwerkssektor rentierlich erscheinen lassen.
Um das Ganze rund zu machen: Auch im Bereich der
erneuerbaren Energien sind umfängliche Investitionen
angekündigt worden. In meinem Wahlkreis, in Essen,
gab es kürzlich eine Veranstaltung, in der die Ankündigungen von Investitionen in diesem Bereich im Mittelpunkt standen. Offenbar ist es der Koalition also mit
dem EEG, mit dem Emissionshandelsgesetz und jetzt mit
dem Energiewirtschaftsgesetz gelungen, einen Rahmen
zu schaffen, der Wettbewerb, aber eben auch Investitionen ermöglicht.
({4})
Schon in den Beratungen des Wirtschaftsausschusses
ist deutlich geworden, dass wir in den meisten Fragen
nicht sehr weit auseinander liegen. Die CDU/CSU macht
in dem grundsätzlichen Teil ihres Antrags, der ebenfalls
heute zur Abstimmung steht, deutlich, dass es auch ihr
um die Zielsetzungen geht, die bei uns im Mittelpunkt
gestanden haben. Das heißt hinsichtlich des Energiewirtschaftsgesetzes insbesondere, dass es neben der Wettbewerbsfähigkeit eben auch um die Wirtschaftlichkeit und
die Versorgungssicherheit geht.
Die Debatte im Wirtschaftsausschuss war ausgesprochen konstruktiv. Ich denke, es ist eine verzeihliche
Sünde, wenn dieser Stil in öffentlicher Debatte nicht immer durchgehalten werden kann. Frau Wöhrl, Sie haben
Ihr Lob gelegentlich versteckt. Der Anteil Ihrer Rede,
der sich mit Tadel beschäftigt hat, war - für uns ungünstig - höher. Trotzdem hoffe ich, dass wir bei den Beratungen im Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag
und Bundesrat - wenn es denn notwendig sein sollte, ihn
einzurichten - letztendlich zu guten Ergebnissen kommen werden. Unsere Gesprächsbereitschaft haben wir
genauso erklärt, wie Sie das für Ihre Seite getan haben.
Wir sind dafür dankbar, dass Sie einer Fristverkürzung zugestimmt haben. So können wir möglichst
schnell in die Verhandlungen eintreten. Gleichzeitig sage
ich: Die Tatsache, dass wir ein wenig Zeit gebraucht haben, hat etwas mit der Komplexität der Materie zu tun.
Wir haben hier einen Bereich zu regeln, in dem über
1 000 Netzbetreiber und natürlich auch die Verbraucherinnen und Verbraucher ihre berechtigten Interessen haben. In diesem Bereich hatten wir sehr viel mehr zu tun
als andere Mitgliedstaaten. Ich nenne insbesondere die
Einrichtung des Regulierers. Die Zeit, die bisher investiert worden ist, ist also keine vertane Zeit gewesen.
Zu den einzelnen Instrumenten will ich relativ wenig
sagen, weil dazu schon vieles gesagt worden ist. Ein
Kernbestandteil ist die Entflechtung des Netzbetriebs
von den anderen Bereichen - das sind die Bereiche Produktion und Vertrieb - vertikal integrierter Energieversorgungsunternehmen. Ich denke, das ist eine wichtige
Voraussetzung für Wettbewerb. Damit ist der Regulierer
in der Lage, eine Wettbewerbskontrolle durchzuführen.
Für Ausnahmeregelungen, die wir für kleinere Unternehmen formuliert haben - das sind Unternehmen mit
weniger als 100 000 angeschlossenen Kunden - und die
wir für angemessen halten, haben wir schon in Brüssel
gekämpft. Wichtig ist, dass es uns gelungen ist, den gesamten Vorgang steuerneutral zu halten. Auf die Unternehmen kommen also keine zusätzlichen Kosten zu.
Es gibt darüber hinaus - damit haben wir dringenden
Wünschen des Bundesrates entsprochen - eine Ex-postKontrolle, also eine nachträgliche Kontrolle, aller zwischenzeitlich stattgefundenen Entgelterhöhungen. Das
war auch ein Wunsch der Verbraucherverbände, dem wir
auf diese Art und Weise entsprochen haben.
({5})
Genauso wichtig ist, dass es eine Ex-ante-Kontrolle,
also eine Vorabkontrolle, aller Entgelterhöhungen geben
wird, die ab In-Kraft-Treten des Gesetzes vorgenommen
werden. Das ist ein wichtiger Baustein, um sozusagen
eine Brücke in Richtung Anreizregulierung zu bauen.
Ich kann mir vorstellen, dass so mancher Netzbetreiber
zweimal nachdenkt, ob er in diesem Zeitraum tatsächlich
Entgelterhöhungen durchführen will.
Als drittes wichtiges Instrument haben wir die
Anreizregulierung. Es ist deutlich geworden, dass wir
Anreize zur Kostensenkung geben wollen, die letztlich
in sinkende Netzentgelte mündet. Dabei sollen besonders effiziente Unternehmen überdurchschnittliche Renditen erwirtschaften können. Es handelt sich also um ein
sehr marktwirtschaftliches Instrument. Wir wollen außerdem über vorgegebene Qualitätsstandards sicherstellen, dass nicht die gleichen Fehler wie in anderen
Mitgliedstaaten gemacht werden. Wir wollen Netzsicherheit und die dafür notwendigen Investitionen ermöglichen. Auch dazu geben wir die notwendigen Anreize.
({6})
Im Gasbereich - eben ist angemahnt worden, hier
müsse man mehr tun - haben wir den größten Schritt
nach vorne gemacht. Wir gehen von einem entfernungsabhängigen, also von einem transaktionsabhängigen,
System zu einem so genannten Entry-Exit-System über.
Das ist ein System, bei dem es nur noch um die Festlegung eines Einspeise- und eines Ausspeisepunktes geht.
Es ist ein ausgesprochen einfaches System, das von allen
Seiten, gerade auch von Verbrauchern und Händlern, gelobt wird.
Deswegen glaube ich, dass wir auch auf diesem Gebiet wichtige Voraussetzungen für mehr Wettbewerb geschaffen haben.
Wir werden eine schrittweise Liberalisierung des
Mess- und Zählwesens haben. „Schrittweise“ heißt aber
nicht: verschieben auf den Sankt-Nimmerleins-Tag; in
einem Jahr wird das Zählwesen liberalisiert sein. Beim
Messwesen braucht man etwas mehr Zeit, weil es wichtige technische Voraussetzungen zu schaffen gibt. Dafür
braucht man Zeit. In diesem Bereich ist aber Musik. Da
ist auch für die Verbraucher eine Menge zu holen.
({7})
Ein wichtiger Punkt, gerade für diejenigen, die in Industrieregionen leben, ist die verursachergerechte Verteilung der Netzentgelte. Das wird zu Entlastungen bei
ganz besonders stromintensiven Unternehmen führen;
aber nicht etwa, weil wir um jeden Preis Härtefallregelungen einrichten, sondern weil es honoriert wird, wenn
diese Unternehmen zum Beispiel Verträge schließen, bei
denen sie zulassen, dass ihr Strom abgeschaltet wird,
wenn das Angebot an Strom geringer ist als die Nachfrage. Das führt zu Netzentlastungen aller anderen Netzteilnehmer. Das kann man honorieren; das kann man bezahlen. Deswegen sind in einem solchen Fall niedrigere
Netzentgelte angemessen.
Ich will deutlich machen: Mit diesem Energiewirtschaftsgesetz, mit der Einrichtung der Regulierungsbehörde, der Bundesnetzagentur, begibt sich Deutschland, was das Thema Marktöffnung bei Strom und Gas
angeht, eindeutig in die Spitzenreiterrolle, jedenfalls in
die Spitzengruppe innerhalb der Europäischen Union.
Ich glaube, wir sind uns darin einig, dass wir in den letzten Jahren in dem Bereich Marktöffnung - wir hatten auf
diesem Gebiet von Anfang an 100 Prozent Öffnung durchaus vorbildliche Arbeit geleistet haben. Wir hatten
aber noch keinen Regulierer. Das gab den anderen die
Möglichkeit, wenn wir mehr Wettbewerb anmahnen
wollten, immer wieder auf uns zu zeigen und zu sagen:
Schafft ihr doch bitte erst einmal den Regulierer.
Das ist jetzt vorbei. Wir können jetzt gegenüber anderen Ländern - Sie wissen, von welchen Ländern ich vornehmlich spreche; sie sind unsere Hauptwettbewerber sehr deutlich machen, dass wir von ihnen weitere Marktöffnungsschritte erwarten. Das kommt unseren Unternehmen zugute, die dann auch in diesen Ländern am
Wettbewerb teilnehmen können, zugunsten von Arbeitsplätzen auch in Deutschland.
({8})
Zum Schluss: Dies ist keine abschließende Debatte,
die Debatte wird im Bundesrat weitergehen. Angebote
für einen konstruktiven Dialog wurden schon gemacht.
Ich hoffe in der Tat auf eine sehr baldige Einigung zwischen Bundestag und Bundesrat. Die Fristverkürzung
wird uns dabei helfen. Es wird darauf ankommen, dass
das Angebot, dass der Geist konstruktiver Zusammenarbeit tatsächlich durchgehalten wird.
({9})
Wir sollten uns jedes Populismus enthalten und letztlich
versuchen, die Probleme, die unterschiedlichen Auffassungen, die noch vorhanden sind, zu beseitigen.
Was das Thema Länderkompetenzen angeht, gilt
das, was Minister Clement gesagt hat: Wir erwarten eine
bundeseinheitliche Regulierung. Mit „wir“ meine ich
auch die Verbraucher. Alle Marktteilnehmer erwarten
das.
({10})
Wenn es von Länderseite Vorschläge gibt, wie man dieses Ziel unter Einbeziehung der Länder und Abgabe von
Teilkompetenzen an die Länder erreichen kann, sind wir
offen für das Gespräch.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({11})
Ich erteile das Wort Kollegen Joachim Pfeiffer, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister Clement, wir haben es selbstverständlich gerne gehört, dass Sie eingangs betonten,
wie wichtig die Energiepreise für Wachstum und Beschäftigung sind und dass wir ein Interesse an wettbewerbsfähigen Energiepreisen haben. Wir brauchen im
europäischen Kontext nämlich wettbewerbsfähige
Energiepreise für Wirtschaft und Verbraucher: für die
Wirtschaft, damit die Arbeitsplätze und die Investitionen
hier im Land bleiben, und für den Verbraucher, damit er
seine Konsumentensouveränität erhält und durch die
Nachfrage die Binnenkonjunktur antreiben kann.
Allerdings muss man schon feststellen, dass Ihre Politik - wir wollen keine selektive Wahrnehmung betreiben in den letzten sechs Jahren nicht gerade darauf angelegt
war, die Wettbewerbsfähigkeit der Energiepreise zu fördern. Es wurden die Primärenergiepreise angesprochen,
die in der Tat gestiegen sind und wahrscheinlich weiter
steigen werden. Aber der entscheidende und größte Faktor für die Beeinflussung der Energiepreise am Standort
Deutschland sind die staatlich verursachten und administrierten Abgaben und Belastungen,
({0})
die durch Sie, durch diese Bundesregierung, seit 1998
eingeführt wurden. Die staatlich administrierten Belastungen betrugen 1998 knapp über 2 Milliarden Euro pro
Jahr. Bezogen auf das Jahr 2004 reden wir heute von
staatlichen Belastungen in Höhe von deutlich mehr als
12 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist eine Versechsfachung der staatlichen Belastungen mit einer direkten
Auswirkung auf den Energiepreis über die Ökosteuer,
die Förderung der erneuerbaren Energien und die KraftWärme-Kopplung sowie über andere Dinge mehr. Das
ist die Wahrheit.
({1})
Das beeinflusst die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und den Verbraucher.
Wenn Sie über die Liberalisierung sprechen, dann
sollten Sie schon bei der Wahrheit bleiben. 1998 wurde
die Liberalisierung auf den Weg gebracht, Herr Kollege
Hempelmann. Damals saß die SPD noch im Schützengraben und hat versucht, mit einer Verfassungsklage
zum kommunalen Monopol die Staats- und Planwirtschaft in diesen Bereichen festzuschreiben. Ich freue
mich, dass wir heute alle in dieser Runde der Meinung
sind, dass wir die Wettbewerbsförderung brauchen. Nur,
wir müssen auch da bei der Wahrheit bleiben. 1998 war
die Lage noch eine andere.
Wir haben Liberalisierungs- und Rationalisierungseffekte in der Größenordnung von 7,5 Milliarden Euro pro
Jahr erzielt. Diese Liberalisierungs- und Rationalisierungseffekte haben dazu geführt, dass von 1998 bis 2001
die Energiepreise und damit auch die Belastung für die
Wirtschaft und die Verbraucher zurückgegangen sind.
Erst durch die Überkompensierung und den Ausgleich
durch staatliche Abgaben wurde dieser Liberalisierungsfortschritt wieder zunichte gemacht.
Gleichwohl - damit komme ich zum heutigen Thema geht es beim Energiewirtschaftsgesetz natürlich darum,
den Wettbewerb weiter zu fördern. Die durch die Liberalisierung anfänglich durchaus erkennbare Dynamik ist
nämlich sehr schnell zum Erlahmen gekommen. Die
Zahl der Marktakteure, die, was zum Beispiel den
Strombereich anbelangt, hinzugekommen sind und sich
dort engagiert haben, ist rückläufig. Im Gasbereich ist
die Liberalisierung nie so richtig in Gang gekommen,
was sich an der Zahl der Marktakteure ablesen lässt.
Wenn man einmal schaut, wer im Gasbereich den Versorger gewechselt hat, dann stellt man fest, dass gerade
einmal 1 Prozent der Verbraucher den Versorger gewechselt hat. Damit ist klar, dass die wettbewerbliche
Situation nicht zum Besten steht.
Deshalb müssen wir heute im Hinblick auf das Energiewirtschaftsgesetz zu Fortschritten kommen. Es ist
nämlich in der Tat richtig, dass wir mit dem Energiewirtschaftsgesetz in Form der Energiepreise eine wichtige
Stellgröße für die Wettbewerbsfähigkeit in der Hand haben. Die Netznutzungsentgelte machen beispielsweise
bei den Strompreisen ungefähr 30 Prozent im Haushalt
aus. Das heißt, das ist durchaus ein Hebel, den wir justieren und an dem wir ansetzen können.
Was ist aus unserer Sicht zu tun? Wo stehen wir
heute? Wir müssen die Liberalisierung - denn sie ist
zum Erlahmen gekommen - aus eigenem Interesse, aus
eigenem Antrieb betreiben. Wir müssen darüber hinaus
- auch das ist angesprochen worden - die EU-Beschleunigungsrichtlinien umsetzen, um die europäische Harmonisierung voranzutreiben.
({2})
Deshalb freue ich mich, dass wir heute einen großen
Schritt auf diesem Weg vorangekommen sind. Wenn
man einmal den Referentenentwurf betrachtet - Herr
Kollege Hempelmann, Sie haben dies in zarten Worten
angesprochen -, den das Haus Clement im Mai letzten
Jahres vorgelegt hat, dann stellt man fest, dass der reichlich wenig mit dem zu tun hatte, was jetzt vorliegt. Er
war nicht gerade wettbewerbsfreundlich, sondern stellte
mehr oder weniger eine Festschreibung des Status quo,
eine Festschreibung der Verbändevereinbarung dar.
Dank der Union im Bundesrat, aber auch im Bundestag und der Diskussion, die uns alle erfreulicherweise
weitergebracht hat, ist es so weit gekommen, dass wir einen Paradigmenwechsel einleiten und, was die Netznutzungsentgelte anbelangt, zu einem marktorientierten Regulierungssystem übergehen, womit wir substanzielle
Fortschritte für den Wettbewerb erzielt haben. Das will
ich durchaus an dieser Stelle goutieren.
({3})
Wesentliche Fortschritte wurden durch die Ex-anteGenehmigung - das wurde bereits erwähnt - erreicht.
Ich verstehe allerdings immer noch nicht ganz, Herr
Bundesminister Clement - darüber haben wir auch im
Ausschuss diskutiert -, warum die Ex-ante-Genehmigung sich nur auf den Strombereich beschränkt und nicht
auch für den Gasbereich gilt.
Auch im Bereich der Anreizregulierung wurden Fortschritte erzielt. Die Frage, wie die zuständige Stelle später heißen wird - der Name Bundesnetzagentur geht auf
jeden Fall in die richtige Richtung, weil Regulierung und
staatliche Administrierung nicht der richtige Weg sind,
da es ja um Wettbewerbsförderung geht -, ist nicht so
wichtig; viel wichtiger ist es, diese Stelle mit dem notwendigen Instrumentarium auszustatten, damit im Netzbereich der Als-ob-Wettbewerb initiiert werden kann.
Ebenso wurden Fortschritte bei der Frage, welche
Kalkulationsprinzipien als Grundlage für diese Anreizregulierung dienen, erzielt. Es ist die Frage heiß diskutiert worden, dass die Nettosubstanzerhaltung gewissen
Gestaltungsspielraum bei der Kostenkalkulation eröffnet
und ob damit auch die Gefahr des Missbrauchs besteht.
Die jetzigen Vorschläge, die insbesondere zu den Tagesneuwerten gemacht werden, führen auf jeden Fall zu
mehr Transparenz.
Ebenso besteht bei der jetzt von Ihnen vorgeschlagenen Saldierung der kumulierten Abschreibung, die sicher förderlich ist, mehr Transparenz. Im weiteren Verfahren wird man aber noch einmal darüber sprechen und
abwägen müssen, inwieweit diese nicht einen sehr weitgehenden Eingriff in die unternehmerische Freiheit darstellen. Wir werden auch darüber reden müssen, ob wir
beispielsweise mit der Realkapitalerhaltung - diese stellt
eine Alternative dar - besser fahren. All diese Fragen
sind noch zu klären und entsprechende Festlegungen
sind zu treffen.
Es gibt aber nicht nur Fortschritte, sondern auch zahlreiche Punkte, bei denen noch Nachbesserungsbedarf
besteht. Wir als Union werden einer Energierechtsnovelle nur zustimmen, wenn neben dem Wettbewerb
bei Strom und Gas auch die Versorgungssicherheit garantiert wird. Diese Kriterien erfüllt der Koalitionsentwurf nicht. Von Frau Kopp wurde bereits angesprochen,
dass insbesondere im Gasbereich noch Handlungsbedarf
besteht.
Sie schlagen zwar ein Entry-Exit-Modell vor - das ist
in der Tat ein großer Fortschritt -, das auch börsentauglich sein soll - die Börsentauglichkeit ist die Messlatte,
die wir im Gasbereich an die Regulierung und an die
Wettbewerbsförderung anlegen müssen -; dadurch aber,
dass gleichzeitig wieder Teilnetze mit vielen nichttarifären Handelshemmnissen gebildet werden können, kommen wir im Ergebnis dazu, dass die Börsentauglichkeit
ausgehebelt ist und wiederum nur Punkt-zu-Punkt-Modelle bestehen. Hierüber werden wir auf jeden Fall noch
zu reden haben; denn hier sehen wir eindeutig Nachbesserungsbedarf.
Ebenso müssen wir über die Frage der Regelenergiekosten sprechen. Die Regelenergiekosten beeinflussen
die Netznutzungsentgelte zu rund 40 Prozent und stellen
damit eine der stärksten Stellgrößen bei den Netznutzungsentgelten dar. Die von Ihnen vorgeschlagenen Regelungen in den §§ 24 und 123 im Gesetz und die Regelungen in der Stromnetzverordnung sind ein erster
Schritt zu einem funktionierenden Markt.
Aber in einigen Bereichen, beispielsweise bei der regelzonenübergreifenden Saldierung, der gemeinsamen
Ausschreibung für die vier Regelzonen und der Schaffung der Marktgängigkeit eines so genannten Stundenreservenmarktes, also des Intraday-Handels, gibt es noch
einiges zu tun.
Die Vorschläge im Bereich des Mess- und Zählwesens gehen in die richtige Richtung, aber sie werden
noch ein wenig zögerlich angegangen.
Zur Finanzierung der Behörde wurde schon gesagt,
dass wir die von Ihnen vorgeschlagene Umlage ablehnen. Auch halten wir es für sinnvoll, bei Sicherstellung
einer bundeseinheitlichen Regulierung - hier sind wir
uns in diesem Hause, wenn ich das richtig verstanden
habe, einig - zu einer sinnvollen Aufteilung zwischen
Bund und Ländern zu kommen; denn auch in den Ländern ist Know-how vorhanden. Hier können wir, was
Rechtswege und andere Bereiche anbelangt, eine Optimierung erzielen.
Ich will noch einen Punkt ansprechen, den wir nicht
ganz außen vor lassen sollten und der bisher nur gestreift
wurde: die Auswirkungen des Unbundling auf die
Stadtwerke und auf die vielfältige Struktur, die auch
kleinere Unternehmen beinhaltet. Denn es geht nicht nur
um die großen vier Netzgesellschaften und Energieversorgungsunternehmen, sondern vor allem auch um die
vielen kleinen Stadtwerke und andere Unternehmen.
Die Anzahl der betroffenen Stadtwerke beläuft sich
im Strombereich auf eine Größenordnung von 750 bis
800, im Gasbereich auf 650. Hier gibt es also eine erkleckliche Zahl von Wettbewerbern und Betroffenen.
Daher ist sehr wohl abzuwägen, inwieweit wir beim Unbundling die Vorteile der Entflechtung, die zweifelsohne
vorhanden sind und die wir alle nutzen wollen, überkompensieren bzw. inwieweit die Gefahr besteht, dass
die Kosten der Zerschlagung der Synergieeffekte, insbesondere für kleine Unternehmen, die Vorteile der Wettbewerbsförderung an anderer Stelle überkompensieren.
Deshalb sagen wir: Hier darf es, um auch im europäischen Kontext wettbewerbsfähig zu bleiben, kein Hinausgehen über die EU-Richtlinie geben.
({4})
- Sie gehen zum Beispiel beim Gleichbehandlungsprogramm darüber hinaus.
({5})
- Doch; schauen Sie sich das mal an.
({6})
- Das steht da noch drin; aber wir können Ihnen gerne
eine Lesehilfe geben. Daran soll es nicht scheitern.
({7})
- Sie haben zwar einige Elemente gestrichen, aber andere hinzugefügt. Darüber werden wir uns im weiteren
Verfahren auf jeden Fall zu unterhalten haben.
Auch die Frage der Überbürokratisierung wurde angesprochen. Bis zu 130 Informations- und Berichtspflichten gehen zu weit. Ebenso schießen Sie, was die
Stromkennzeichnung und die Verbandsklage anbelangt,
weit über das Ziel hinaus.
Kollege Pfeiffer, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.
Ich darf sagen: Wir sind auf dem zur Schaffung von
mehr Wettbewerb notwendigen Weg gemeinsam und
konstruktiv ein gutes Stück vorangekommen. Aber wir
können Ihrem Gesetzentwurf aus den genannten Gründen heute noch nicht zustimmen. Eines will ich an dieser
Stelle allerdings mit aller Deutlichkeit feststellen: Wir
haben Ihr Vorhaben an keiner Stelle, weder inhaltlich
noch im Verfahren, aufgehalten. Vielmehr konnten Sie
sich bisher nicht einigen. Aber lassen wir es, wie es ist.
Jetzt sind wir auf jeden Fall bereit, auf die Fristen des
Bundesrates zu verzichten, um im Rahmen eines Vermittlungsverfahrens möglichst schnell zu einem Ergebnis zu kommen. Unser gemeinsames Ziel muss sein, das
Energiewirtschaftsgesetz im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, des Energiestandortes Deutschland und der Planungssicherheit für die
Energiewirtschaft zum 1. Juli dieses Jahres in Kraft zu
setzen. Wir sind dazu bereit. Gehen Sie den Weg in
Richtung Wettbewerb, den Sie gemeinsam mit uns eingeschlagen haben, weiter. Dann werden wir zu einem
Ergebnis kommen und zum 1. Juli dieses Jahres ein
Energiewirtschaftsgesetz haben.
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile Bundesminister Jürgen Trittin das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat
vollenden wir heute ein Vorhaben, für das Grüne
- Michaele Hustedt ist hier namentlich zu nennen - seit
geraumer Zeit streiten: die Schaffung von mehr Wettbewerb auf den Energiemärkten. Wettbewerb, auch und
gerade im Bereich des Betriebs von Netzen, ist deswegen nötig, weil Monopole in Netzen den Wettbewerb in
der Stromerzeugung unterbinden können.
Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. In den letzten Monaten hat ein Anbieter seine Strompreise vor dem Hintergrund steigender Ölpreise mit Verweis auf diese Regeln munter erhöht. Man muss wissen, dass dieser
Anbieter seinen Strom zu 100 Prozent aus heimischer
Braunkohle und Kernenergie bezieht, von den steigenden Rohstoffkosten also überhaupt nicht betroffen war.
Die Realisierung und Durchsetzung solcher Strompreiserhöhungen ist nur möglich, solange in den Netzen faktisch kein Wettbewerb herrscht. Dieses haben wir mit
dieser Novelle angegangen. Ich glaube, dass wir hier in
der Tat auf einem Weg sind, der langfristig zu Senkungen der Kosten führen kann.
Als wir über dieses Gesetz beraten haben, ist versucht
worden, noch einmal schnell Kasse zu machen. Die Regel, hier auch all die Erhöhungen zu überprüfen, die angekündigt und gemacht worden sind, war, glaube ich, die
richtige politische Antwort.
Es wäre schön gewesen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, wenn es heute bei dem gemeinsamen Grundverständnis, das ich aus allem herausgehört
habe, geblieben wäre. Stattdessen bewegen Sie sich in,
wie ich finde, eigentümlichen Widersprüchen: Auf der
einen Seite beklagt Herr Pfeiffer die steuerlichen Belastungen in diesem Bereich. Mit seinem nächsten Argument kommt er aber wie Frau Wöhrl zu dem Ergebnis,
es sei verkehrt, dass diejenigen, deren Marktzutritt über
die Regulierungsbehörde, über die Wettbewerbsbehörde,
geregelt wird, für die Kosten dieser Behörde aufkommen. Ja was heißt das? Sie verlangen, dass diese Behörde nicht von den Verursachern bezahlt wird, sondern
aus Steuermitteln.
({0})
Was ist das für eine Logik? Ihnen, Frau Wöhrl, geht die
Anreizregulierung im Gasbereich nicht weit genug.
Gleichzeitig haben Sie sich dagegen ausgesprochen,
dass Biogas künftig vorrangig einen Anspruch auf Einspeisung haben soll. Das ist etwas ganz anderes als eine
Kosten- und Einspeiseregelung wie im EEG: Das ist genau dieses Stück mehr Wettbewerb.
({1})
Deswegen glaube ich, liebe Frau Wöhrl: Es wird mit der
Einspeisung von Biogas sein wie mit dem ErneuerbareEnergien-Gesetz: Erst hat Bayern munter dagegen gestimmt, aber jetzt sind die Bayern diejenigen, die in ganz
großem Stil von dieser Entwicklung profitieren.
({2})
Was wir mit diesem Gesetz auf den Weg gebracht haben, ist ein Signal, einen Zustand zu überwinden, der
dieses Land sehr lange geprägt hat. Wir haben, wenn
man von der hervorragenden Entwicklung im Bereich
der erneuerbaren Energien absieht,
({3})
in Deutschland seit über zehn Jahren faktisch eine sehr
große Zurückhaltung - um nicht zu sagen: einen Attentismus - bei Investitionen in den Kraftwerksbau. Wir
können uns das langfristig nicht leisten. Wir alle wissen:
Bis zum Jahre 2020 müssen wir in Deutschland neue
Kraftwerke in der Leistungsgrößenordnung von ungefähr 40 000 Megawatt bauen. Das, was wir hier mit dem
Energiewirtschaftsgesetz und - Herr Hempelmann hat
darauf hingewiesen - mit den Regeln des Emissionshandels auf den Weg gebracht haben, hat Deutschland wieder zu einem Ort für Investitionen in moderne, hoch
effiziente, klimafreundliche Kraftwerke gemacht.
({4})
Das, lieber Herr Goldmann, wird offensichtlich nicht
nur von heimischen Anbietern erkannt. Sie haben auf die
Modernisierung des Braunkohlekraftwerks in Grevenbroich verwiesen. Schauen Sie sich einmal an, wer hier
investiert. Wer baut in Hürth-Knapsack? Ein ausländisches Unternehmen investiert hier. Wer investiert außerhalb des eigenen Versorgungsgebietes - ein für Deutschland ungewöhnlicher Vorgang? Die EnBW ist es, die den
Mut hat, mitten im tradierten Versorgungsgebiet von
RWE ein Kraftwerk zu bauen. Für diese neuen Investitionen in die Netze und in neue Kraftwerke in einer Größenordnung von 10 Milliarden Euro - die Hälfte davon
übrigens in Nordrhein-Westfalen - und für dieses Stück
Wachstum tragen wir mit diesem Gesetz ein Stück Verantwortung. Deswegen ist es ein guter Tag.
({5})
Ich erteile das Wort Kollegen Rolf Bietmann, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Mit der Verabschiedung des Energiewirtschaftsgesetzes treten wir in die zweite Phase der Liberalisierung der Energiewirtschaft ein. Das Ziel, das mit dem zu
novellierenden Gesetz verfolgt wird, ist die längst überfällige Schaffung eines funktionierenden Wettbewerbs
bei den leitungsgebundenen Energien.
Herr Minister Trittin, ich habe von Ihnen soeben
gerne gehört, dass gerade Sie sich zum Wettbewerb und
zur Senkung der Kosten bekennen. Wenn Sie dies wirklich tun, dann schaffen Sie die Voraussetzungen für
Wettbewerb auch dadurch, dass Sie die staatlichen Belastungen durch Steuern und Abgaben auf Strom endlich
reduzieren, damit der Wahnsinn der ständig anwachsenden staatlichen Belastungen gestoppt wird!
({0})
Sie haben gesagt, staatliche Regulierung müsse von
den Verursachern bezahlt werden. Man muss sich das in
der Praxis einmal vorstellen: Eine neue Behörde wird
eingerichtet, mit 180 neuen Planstellen ausgerüstet und
dem Bundeswirtschaftsministerium zugewiesen. Die
Kosten für die behördliche Regulierung sollen aber die
Unternehmen und zum Schluss wieder die Verbraucher
tragen. Trotzdem steht dieser Minister hier und spricht
von einer Senkung der Kosten. Das ist in sich doch nicht
schlüssig und in hohem Maße unehrlich.
({1})
Es ist doch das Kernproblem rot-grüner Energiepolitik, dass sich die Minister Clement und Trittin nicht auf
ein energiepolitisches Konzept einigen können. Damit
bleiben elementare Fragen für die zukunftsfähige Ausrichtung des Energiesektors unbeantwortet. Herr Trittin,
so richtig es ist, erneuerbare Energien zu fördern, so
falsch ist es, in diesen erneuerbaren Energien das Allheilmittel für die Sicherung der Zukunftsfähigkeit unserer Energieversorgung zu sehen.
({2})
Spätestens seit der Dena-Studie über Windkraft wissen
wir, dass Windkraft bei CO2-Vermeidungskosten von
42 bis 77 Euro je Tonne in 2015 weit davon entfernt ist,
marktgerechte Preise zu garantieren.
Als ebenso konzeptionslos erweist sich Ihr vorzeitiger
Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie.
Ich sage es hier noch einmal: Wer den vorzeitigen Ausstieg aus der Kernenergie erklärt, ohne die Frage zu beantworten, wie der jährliche Anteil an der Stromerzeugung in Deutschland in Höhe von 28 Prozent ersetzt
werden soll, der schadet dem Standort Deutschland.
({3})
Angesichts dieser erkennbaren energiepolitischen
Fehlentwicklungen kommt der Diskussion über das
EnWG und seinen Verordnungen natürlich eine hohe
Bedeutung zu. Wir brauchen ein Regelwerk, in dem inhaltlich klare Vorgaben formuliert und keine neuen bürokratischen Hemmnisse aufgebaut werden. Diesem Anspruch werden Sie mit Ihrem jetzt vorliegenden Entwurf
bei kritischer Prüfung nicht gerecht. Der Gesetzentwurf
lebt erkennbar von dem guten Glauben an die Kompetenz der Behörde, hier also der Regulierungsbehörde.
Auf normative Vorgaben wird gesetzestechnisch weitgehend verzichtet. Stattdessen arbeiten Sie in Ihrem Entwurf mit einer ungeheuren Vielzahl unbestimmter
Rechtsbegriffe, die der Interpretation der Behörden und
der Gerichte bedürfen. Ich sage schon heute: Die Gerichte werden wieder einmal Ersatzgesetzgeber für das
Wirtschaftsrecht. Rechtsicherheit wird so jedenfalls
nicht geschaffen. Lassen Sie mich das an einigen Beispielen verdeutlichen:
Erstens. Die deutschen Unternehmen warten derzeit
auf klare Vorgaben für die Gründung von Netzgesellschaften. Die vom europäischen Recht geforderte operationelle Entflechtung zwischen Netz und Produktion
wird gemäß § 8 Abs. 2 des Gesetzentwurfs über den
Weg der personellen Trennung definiert. Nach dem Entwurf müssen Personen - ich zitiere jetzt einmal -, die die
Befugnisse zu Entscheidungen besitzen, die für die Gewährleistung eines diskriminierungsfreien Netzzugangs
wesentlich sind, den betrieblichen Einrichtungen des
Netzbetreibers angehören.
Nun fragt sich natürlich jeder in den Unternehmen:
Um welche „wesentliche Personen“ handelt es sich dabei? Ungeschickter kann man nicht formulieren. Für
mich ist auch fraglich, warum wir hier über die EURichtlinie hinausgehen, die ganz klar von „Personen mit
Leitungsfunktionen“ spricht.
Zweitens. Der Gesetzgeber verzichtet auf eine normative Fixierung der von uns allen gewünschten Anreizregulierung. Die Einführung der Anreizregulierung bedeutet einen grundlegenden Systemwechsel bei der
Kalkulation der Netzentgelte. Der Gesetzgeber überlässt
aber die Entwicklung der Anreizregulierung der Regulierungsbehörde und läuft damit Gefahr, einen Kernbereich gesetzgeberischer Regelungskompetenz einem behördlichen Experimentierfeld zu überlassen. Für mich ist
es jedenfalls politisch unverzichtbar, über die zu entwickelnde Anreizregulierung zumindest im Wege der Verordnung normativ zu entscheiden. Die Politik darf sich
im Glauben an die Weisheit einer Regulierungsbehörde
nicht aus der Verantwortung stehlen.
Drittens. Für Industrieregionen wie Nordrhein-Westfalen sind klare Regelungen über Werksnetze unverzichtbar. Die gesetzliche Definition ist hier nicht ausreichend.
Viertens. Abzulehnen sind die im Gesetz vorgesehenen Verbandsklagerechte. Im Bereich des EnWG
besteht für ein Tätigwerden von Verbraucher- bzw. Wettbewerbsschützern überhaupt kein Bedürfnis. Hier
überwacht schließlich eine eigens zu diesem Zweck geschaffene Regulierungsbehörde die Einhaltung der
Marktregeln.
Fünftens. Die überzogenen Informations-, Dokumentations-, Berichts- und Auskunftspflichten führen zu
mehr Bürokratie und Verwaltungskosten und machen
keinen Sinn.
Sechstens. Die vorgesehene Finanzierung der Regulierungsbehörde durch die Netzbetreiber ist abzulehnen.
Siebtens. Die Kennzeichnungspflicht in Bezug auf
den Energieträgermix beim Strom geht ebenfalls deutlich über EU-Vorgaben hinaus. Auch sie führt zu unvertretbaren bürokratischen Belastungen.
Achtens. Wir brauchen klare Formulierungen für die
Entlastung energieintensiver Unternehmen.
({4})
Neuntens. Wir müssen die Vermutungsregel mit
Beweislastumkehr in § 21 Abs. 4 dieses Gesetzes auf
den Prüfstand stellen; denn es gibt überhaupt keinen
Grund, die Energiewirtschaft, die durch die Regulierungsbehörde überwacht wird, einem schärferen Regime
zu unterwerfen als Unternehmen, die der Kontrolle
durch die Kartellbehörde unterliegen.
Zehntens. Die Streichung der Saldierung kalkulatorischer Abschreibung ist mit Blick auf die laufenden Abschreibungszeiträume rechtlich hoch problematisch.
Man kann allenfalls darüber nachdenken, kalkulatorische Abschreibung bei Neuanlagen festzuschreiben.
Diese von mir aufgezeigten zehn Punkte verdeutlichen,
dass der Gesetzentwurf in der vorliegenden Form eben
noch nicht zustimmungsfähig ist. Es sind Änderungen in
gesetzestechnischer und inhaltlicher Art notwendig, um
ein für die deutsche Energiewirtschaft handhabbares Gesetz zu präsentieren. Weitere Fehlentwicklungen der
Energiewirtschaft können wir uns am Standort Deutschland nicht leisten. Der Schaden einer bislang weitgehend
konzeptionslosen Energiepolitik dieser Bundesregierung
ist schon groß genug. Darum lehnen wir den Gesetzentwurf in dieser Form ab.
Vielen Dank.
({5})
Ich erteile das Wort Kollegen Martin Dörmann, SPDFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
der Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes werden wir
ein neues Grundgesetz für die Energiewirtschaft verabschieden, das weit reichende Konsequenzen für alle Beteiligten haben wird. Gerade auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher bringt die Novelle entscheidende
Verbesserungen und einen echten Durchbruch. Haushaltskunden sind sowohl an einer preisgünstigen als
auch an einer sicheren und umweltverträglichen Versorgung mit Strom und Gas interessiert. Zur Verwirklichung dieses Dreiklangs haben wir in diesem Gesetz
gute Lösungen gefunden.
({0})
Die wichtigsten Fortschritte im Sinne der Verbraucherinteressen möchte ich stichwortartig zusammenfassen: Mit der Errichtung einer starken und unabhängigen
Regulierungsbehörde, der Bundesnetzagentur, wird erstmals eine wirkungsvolle Aufsicht über die Strom- und
Gasnetze hergestellt. Dies schafft endlich mehr Wettbewerb und Transparenz.
({1})
Alle Preiserhöhungen von Netzbetreibern kommen
auf den Prüfstand. Bereits vollzogene Preiserhöhungen
können bei Missbrauch revidiert werden. Alle neuen
Preiserhöhungswünsche werden sich einer Vorabprüfung
stellen müssen, die die Regulierungsbehörde vornimmt.
Hierdurch wird die Angemessenheit der Netznutzungsentgelte sichergestellt. Darüber hinaus wird bereits ein
Jahr nach In-Kraft-Treten des neuen Energiewirtschaftsgesetzes eine Anreizregulierung mit Preisobergrenzen
eingeführt, die sich an den Effizienzsteigerungen orientiert. Ich rechne fest damit, dass es im Zuge dieser Anreizregulierung zu sinkenden Netzentgelten zugunsten
der Kunden kommen wird; denn jetzt hat die Regulierungsbehörde endlich ein entscheidendes Instrument in
der Hand, um Spielräume für Preissenkungen tatsächlich
auszuschöpfen.
({2})
Gleichzeitig werden mit dem neuen Energiewirtschaftsgesetz die Voraussetzungen für die Beibehaltung
und Fortführung der in Deutschland hohen Versorgungsqualität geschaffen. Die Energiewirtschaft hat
bereits Investitionen in das Netz und in die Kraftwerke
in Höhe von 19 Milliarden Euro bis 2010 angekündigt.
Mit diesem Gesetz schaffen wir Planungssicherheit für
diese Investitionen und das ist gut für unsere Wirtschaft.
Wir liberalisieren zudem das Mess- und Zählwesen.
Das war längst überfällig. Das bisherige Monopol hat
dazu geführt, dass die Kunden zwangsläufig überhöhte
Preise zahlen mussten. Zukünftig können der Einbau,
der Betrieb und die Wartung von Netzeinrichtungen auf
Wunsch des betroffenen Kunden von einem Dritten
durchgeführt werden. Damit setzen wir auch in diesem
Bereich einen Wettbewerb in Gang, der in der Folge zu
spürbaren Kostenersparnissen bei den Haushaltskunden
führen wird.
({3})
Die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher
und ihre Stellung als Marktteilnehmer werden auch
durch andere Vorschriften gestärkt, beispielsweise bei
der Abwicklung eines Anbieterwechsels. Der Wechsel
eines Stromanbieters wird zukünftig nach standardisierten und möglichst einfachen Regeln durchgeführt werden können.
Aus Verbrauchersicht besonders zu begrüßen ist es,
dass ein Klagerecht auch für die Verbraucherverbände
vorgesehen ist.
({4})
Bei Gesetzesverstößen oder Zuwiderhandlungen gegen
Entscheidungen der Regulierungsbehörde sind sie berechtigt, Anträge auf Unterlassung und Schadensersatz
zu stellen. In Fällen, in denen missbräuchliches Verhalten eine Vielzahl von Verbrauchern geschädigt hat, haben Verbraucherverbände darüber hinaus die Möglichkeit, eine Vorteilsabschöpfung zu beantragen. Ein solch
umfangreiches Verbandsklagerecht ist ein wichtiges Instrument zur Durchsetzung der Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher.
({5})
Weitreichende Vorschriften zur Stromkennzeichnung stellen eine umfassende Information der Haushaltskunden sicher. Sie ermöglichen eine bewusste Produktwahl und verhindern irreführende Werbeaktionen
von Stromanbietern. Der Endverbraucher kann zukünftig
in der Anlage zu seiner Stromrechnung beispielsweise
den Anteil der einzelnen Energieträger und Informationen über die Umweltauswirkungen ablesen. Darüber hinaus schaffen wir Kostentransparenz. Die Rechnungen
enthalten auch eine Aufschlüsselung über einzelne Kostenbestandteile. Schließlich wird - das ist ganz besonders wichtig - im Gesetz ausdrücklich der Verbraucherschutz als Ziel festgeschrieben.
Zusammenfassend lässt sich also festhalten: Verbraucherrechte und Verbraucherinteressen werden durch das
neue Energiewirtschaftsgesetz entscheidend gestärkt.
({6})
Die Novelle bringt sowohl mehr Wettbewerb, mehr
Transparenz, mehr Effizienz und größere Spielräume als
auch Planungssicherheit für zusätzliche Investitionen
und Versorgungssicherheit. Deshalb wünsche ich mir
sehr, dass es gelingt, im Vermittlungsverfahren, das
heute von der Opposition angekündigt wurde, zu einer
Regelung zu finden. Ich denke, das wäre im Interesse der
Verbraucherinnen und Verbraucher.
Herzlichen Dank.
({7})
Ich erteile das Wort Kollegin Julia Klöckner, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Herren
Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie
uns noch einmal, wie mein Vorredner auch, den Blick
auf die Verbraucher lenken. Wir sind uns parteiübergreifend alle darüber einig, dass die Energiekosten in
Deutschland eindeutig zu hoch sind. Deutschland gehört
zu den Spitzenreitern in Europa. Mittlerweile haben sich
die Belastungen durch die Energiekosten für die Privathaushalte sozusagen zu einer zweiten Miete entwickelt.
({0})
Das darf nicht sein. Ich weiß, dass die Kollegen von den
Koalitionsfraktionen immer sehr unruhig werden, wenn
das erwähnt wird, weil dabei ein Fünkchen Wahrheit ans
Licht kommt.
Woher kommen denn die Energiebelastungen? Mein
Kollege Herr Pfeiffer hat es bereits angesprochen; er hat
es ausgerechnet. Diesmal sollten Sie nicht einfach dazwischenrufen; denn in der Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage wurde uns bestätigt,
dass seit dem Regierungswechsel die Belastungen durch
Stromkosten um ein Vielfaches gestiegen sind. Der
staatliche Anteil am Strompreis ist von 25 Prozent auf
40 Prozent gestiegen. Das ist Fakt.
Was mich bei dem ganzen Thema irritiert, ist die Aussage von Herrn Stiegler in einem Interview auf die
Frage, ob der private Verbraucher nicht durch die höheren Energiepreise belastet würde. Seine Antwort lautete:
„In privaten Haushalten spielen sie nicht die Rolle wie in
der Wirtschaft. Wir haben … dafür gesorgt, dass die
Wirtschaft Energie sparende Geräte vorgelegt hat.“ Das soll Verbraucherschutz sein, der familiengerecht
und sozial ist?
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Hustedt?
Ich würde gerne meine Rede beenden.
({0})
Frau Hustedt hat schließlich vorhin schon geredet.
({1})
Es ist doch Hohn, die Verbraucher darauf hinzuweisen, dass es Energie sparende Geräte gebe, mit denen der
Energieverbrauch und damit die Energiekosten gesenkt
werden könnten. Sie können nicht leugnen, dass ein Teil
der Belastungen - wenn auch nicht alle - staatlich hervorgerufen wurde.
Es ist auch Hohn, davon zu reden, dass sich die
Regierung der Verbraucher angenommen und zügig gearbeitet habe. In diesem Fall ist Zeit wirklich Geld. Der
Bundesrat hat im Unterschied zur Bundesregierung
extrem zügig gearbeitet. Das möchte ich an dieser Stelle
in Erinnerung rufen.
({2})
Ärgerlich ist, dass die Regierung ziemlich dreist die
Frist für das neue Gesetz am 1. Juli 2004 verstreichen
ließ und dass sie, nachdem der Bundesrat binnen fünf
Wochen im vergangenen September seine Empfehlungen für eine verbraucher- und umweltfreundlichere Verschärfung der Regulierung beschlossen hatte, weitere
sechs Monate brauchte, um sich zwischen Rot-Grün abzustimmen. Diese Verzögerungstaktik freut zwar die Aktionäre der Energiekonzerne, aber die Zeche zahlen die
Verbraucher und damit diejenigen, die sich nicht wehren
können.
({3})
Mich irritiert auch, dass die selbst ernannte Retterin
der Verbraucher, Frau Künast, kein einziges Wort dazu
geäußert hat. Sie sagt sehr viel zum Thema Schrottimmobilien und zum nachhaltigen Waschen.
({4})
In diesem Fall geht es aber um Grundbedürfnisse des
Verbrauchers, denen er sich nicht entziehen kann. Ich
würde es begrüßen, dass sich die Verbraucherministerin dazu äußert. Wo ist sie heute? Sie darf keine PR
machen und sie darf nach Ansicht des Ministers nichts
zu dem Thema sagen. Das ist sehr traurig.
({5})
Lassen Sie mich noch etwas zum Thema Regulierungsbehörde anmerken. Ich habe schon etwas Bauchschmerzen hinsichtlich der Ausgestaltung der Regulierungsbehörde, bei der vorsichtig vorzugehen ist. Denn es
ist klar, dass die durch eine Aufblähung der Behörde entstehenden Kosten auf die Verbraucher umgewälzt würden. Wenn der vorgesehene Regulierungsbeitrag auf die
Verbraucherinnen und Verbraucher umgelegt wird,
richte ich an uns alle parteiübergreifend die Bitte, diesen
Vorgang sensibel zu begleiten.
Das gilt auch für die Rabatte. Rabatte für die industriellen Großkunden, die energieintensiv arbeiten müssen, sind sehr wichtig. Aber es geht nicht an, dass die
den Großkunden gewährten Rabatte auf die Verbraucher
umgelegt werden. Auch dabei sind wir alle gefordert,
sensibel vorzugehen.
Ich komme zum Verbandsklagerecht. Nicht überall,
wo Verbraucherschutz draufsteht, ist auch Verbraucherschutz drin.
({6})
Weder die Klageflut von Verbänden vor den Gerichten,
die Kosten verursachen, noch die Bürokratie bei den
Stromrechnungen bedeuten Verbraucherschutz. Im Gegenteil: Bedenken Sie den Druck des Verbandsklagerechts auf die Verbraucherverbände vor Ort. Bei jeder
angedachten Preiserhöhung müsste der Klageweg beschritten werden.
({7})
Ich unterstütze die in unserem Antrag erhobene Forderung, dass die Regulierungsbehörde umfangreiche
Möglichkeiten für Sanktionen hin zur Abschöpfung ungerechtfertigt erlangter wirtschaftlicher Vorteile erhält
und dass die Überprüfung der Netzbetreiber durch die
Verbraucherverbände in die Wege geleitet werden kann.
Das ist ein richtiger und unbürokratischer Ansatz, der
keine Kosten verursacht, die wiederum die Verbraucher
tragen müssten.
({8})
Insofern freue ich mich, dass wir in vielen Punkten
den Forderungen des Bundesrates entgegengekommen
sind, um Wettbewerb und Verbraucherschutz zu gewährleisten.
Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen. Wenn
auf der Stromrechnung alles - wie Frau Wöhrl gesagt
hat: in Milligramm je Kilowattstunde - aufgelistet bzw.
- weil es nicht erwünscht ist oder weil es nicht möglich
ist, es auszuzeichnen - vom Energielieferanten unbestimmt weitergeben wird, damit der Verbraucher die
Kosten aufschlüsseln soll, dann kann ich dazu nur sagen:
Das ist blauer Dunst; das ist weiße Salbe. Denn der Verbraucher kann erstens die Stromrechnung nicht lesen
und zweitens nichts zuordnen. Drittens sind die Konzerne nicht verpflichtet, eine Aufschlüsselung vorzunehmen.
Ich würde mich freuen, wenn Sie sich mit uns für eine
verbrauchergerechte Regulierung einsetzten. Ich danke
Ihnen jedenfalls, dass Sie den Forderungen der Union
zumindest in einigen Punkten nachgekommen sind.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Tagesordnungspunkt 19 a: Wir kommen zur Ab-
stimmung über den von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Neurege-
lung des Energiewirtschaftsrechts, Drucksachen 15/3917
und 15/4068. Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 15/5268, den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent-
wurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der
zweiten Beratung angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/5279. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag
ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grü-
nen gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der
CDU/CSU-Fraktion abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 19 b: Unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/5268 emp-
fiehlt der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 15/3998 mit dem Titel „Klaren und funk-
tionsfähigen Ordnungsrahmen für die Strom- und Gas-
märkte schaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von
SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stim-
men der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der FDP auf Drucksache 15/4037 mit dem Titel
„Für mehr Wettbewerb und Transparenz in der Energie-
wirtschaft durch klare ordnungspolitische Vorgaben“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung
der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas Strobl
({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Gemeinsames Zentrum zur Terrorismusbekämpfung schaffen
- Drucksachen 15/3805, 15/5264 Berichterstattung:
Abgeordnete Frank Hofmann ({2})
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Max Stadler
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({3}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas Strobl
({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Einsatz der automatisierten Erfassung von
Kraftfahrzeugkennzeichen durch den Bundesgrenzschutz
- Drucksachen 15/3713, 15/5266 Berichterstattung:
Abgeordnete Frank Hofmann ({5})
Roland Gewalt
Gisela Piltz
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Ralf Göbel, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Die gestrige Großrazzia in Deutschland
und in Belgien hat uns erneut gezeigt, wie real die
Bedrohung durch Islamisten in der Bundesrepublik
Deutschland ist. Den beiden Hauptverdächtigen, die
festgenommen worden sind, einem Tunesier und einem
Ägypter, werden Geldwäsche und Steuerhinterziehung
vorgeworfen. Beide sollen islamistische Gruppen mit
Geldern im hohen sechsstelligen Bereich unterstützt haben. Beide haben sich legal in Deutschland aufgehalten.
Der Tunesier wurde bereits vorher in Tunesien wegen
eines Brandanschlags auf eine Schule und wegen eines
versuchten Attentats auf ein Flugzeug zu einer Haftstrafe
von elf Jahren verurteilt. In Deutschland hat er sich seinen Lebensunterhalt durch den Handel mit Altkleidern
verdient. Der Ägypter vertrieb in Deutschland Medien
mit Ansprachen bekannter Hassprediger. Er pflegte Kontakt mit Personen, gegen die wegen Mitgliedschaft in
einer terroristischen Vereinigung ermittelt wurde. Er
hatte über Mittelsmänner Kontakt zu den Attentätern des
11. September und zu einem Hintermann des Gott sei
Dank verhinderten Anschlags auf den Straßburger Weihnachtsmarkt.
Beide haben in Deutschland gelebt. Sie haben sich
hier in einem bürgerlichen Gewand aufgehalten. Sie haben Deutschland als Aktionsraum genutzt, um ihr Ziel,
islamistische Terroristen zu unterstützen, von hier aus zu
realisieren.
Diese Beispiele - viele weitere könnten hinzugefügt
werden - zeigen, dass in Deutschland größte Aufmerksamkeit geboten ist und dass es wichtig ist, dass wir in
der Bundesrepublik Deutschland unsere Sicherheitsbehörden so organisieren, dass eine effektive und eine effiziente Bekämpfung solcher Umtriebe möglich ist.
({0})
Die CDU/CSU-Fraktion hat mit dem Antrag vom
28. September des letzten Jahres - ich werde später noch
erklären, warum ich „letzten Jahres“ hinzugefügt habe den Vorschlag zur Schaffung eines gemeinsamen Zentrums zur Terrorismusbekämpfung gemacht. Damit
hat sie einen guten Vorschlag unterbreitet, wie eine solche Organisation gestaltet werden kann.
Wenn ich die Redebeiträge der Koalitionsfraktionen
aus der ersten Lesung dieses Antrags nachlese und mir
die Erörterung dieses Themas in der Sitzung des Innenausschusses in dieser Woche in Erinnerung rufe, dann ergibt sich für mich das gleiche Bild wie bei vielen anderen Debatten über Sicherheitspolitik: Die Anträge
werden überhaupt nicht gelesen;
({1})
vielmehr nimmt man reflexhaft eine Abwehrhaltung ein.
Man ist überhaupt nicht bereit, auf diese Dinge konstruktiv einzugehen. Auch deswegen will ich - auch für
diejenigen, die uns auf der Galerie zuhören - die wesentlichen Punkte unseres Vorschlags hier noch einmal in aller Kürze darstellen:
Wir wollen, dass alle 37 Behörden, die sich in dieser
Republik mit Terrorismusbekämpfung beschäftigen, in
einem gemeinsamen Zentrum arbeiten.
({2})
Wir wollen, dass eine zentrale Stelle für den Informationsaustausch und die Informationsanalyse eingerichtet
wird. Die beteiligten Behörden sollen nicht nebeneinander, sondern miteinander arbeiten.
({3})
Das ist das wesentliche Ziel. Dieses Zentrum soll rund
um die Uhr ein gemeinsames Lagebild zur Bekämpfung
des Terrorismus erstellen. Es soll Polizei und Nachrichtendienste bei ihren Ermittlungen unterstützen und bei
Einsätzen und Überwachungsmaßnahmen an der Koordination mitwirken.
Wir wollen sicherstellen, dass bei aktuellen Gefährdungslagen eine schnelle und effiziente Reaktion möglich ist.
Das von der Bundesregierung eingerichtete Terrorismusabwehrzentrum, das im Dezember des letzten Jahres der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, kann diese
Funktionen nicht vollständig erfüllen; damit sage ich
nicht, es könne sie gar nicht erfüllen. Wir haben es mit
dem organisatorischen Nebeneinander zweier Säulen,
der polizeilichen und der nachrichtendienstlichen, zu
tun. Diese beiden Säulen werden über sieben Gesprächskreise koordiniert. Man kann das Miteinander einfacher
haben, denke ich, und braucht keine sieben Koordinationskreise.
({4})
Es ist zuzugeben: Es ist ein Schritt in die richtige
Richtung, aber eben ein kleiner Schritt. Dass wir als Opposition das kritisieren, ist eigentlich klar.
Ich will noch jemanden zu Wort kommen lassen. Der
Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei hat sich in
der „Nordwest-Zeitung“ am 14. Dezember 2004, also
drei Jahre nach dem Anschlag in New York, zu dem Terrorzentrum wie folgt geäußert:
Das ist endlich ein Schritt nach vorn, aber es wurde
erneut eine Chance vergeben. Es wäre besser gewesen, für Polizei und Nachrichtendienste ein gemeinsames Lagezentrum einzurichten.
Das ist genau der Vorschlag, den wir in dieser Debatte
behandeln.
({5})
Wir brauchen bei diesem Thema keine Tippelschritte,
sondern wir müssen unseren Sicherheitsbehörden im
Rahmen des rechtlich Möglichen das Optimale zur Verfügung stellen. Ich nehme an, dass wir nachher noch etwas zum Trennungsgebot hören werden. Jeder, der das
Ganze ernsthaft betrachtet, weiß, dass das Trennungsgebot bei der Gestaltung, die wir vorgeschlagen haben,
nicht verletzt wird.
Ich will am Ende zu einem Punkt kommen, der die
Arbeit dieses Zentrums zumindest mittelbar betrifft. Es
geht um die Frage: Mit welcher Datenbasis arbeitet dieses Zentrum? Da bin ganz schnell bei der Debatte, die
wir hier in Februar dieses Jahres über die Antiterrordatei geführt haben. Für die Öffentlichkeit ist es sehr interessant, zu wissen, wie hier mit einem solchen Instrument umgegangen wird. Der Herr Parlamentarische
Staatssekretär Körper hat uns versprochen, dass diese
Datei in Kürze im Deutschen Bundestag behandelt wird.
Das war im Februar. Frau Kollegin Stokar hat auf eine
Zwischenfrage des Kollegen Schröder hier geantwortet:
Noch vor Ostern werden wir diesem Haus einen Vorschlag unterbreiten.
({6})
Jetzt komme ich dazu, warum ich vorhin „letzten Jahres“ dazugesagt habe. Sie hat bei der Angabe „Ostern“
vergessen, die Jahreszahl zu nennen. Ich glaube, dass
wir es uns in der Bundesrepublik Deutschland bei der
Bedrohungslage, die wir derzeit haben, nicht leisten können, noch Jahre zu warten, bis Sie sich endlich darüber
einig geworden sind, was Sie nun tatsächlich wollen.
({7})
Das ist ein sicherheitspolitisches Risiko. Das machen
wir nicht mit. Deswegen werden wir weiterhin unsere
guten Vorschläge hier zur Debatte stellen und mit Ihnen
auch streitig behandeln.
Danke schön für die Aufmerksamkeit.
({8})
Ich erteile Kollegin Cornelie Sonntag-Wolgast, SPDFraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Vorgestern hat sich in der Sitzung des Innenausschusses
etwas ganz Bemerkenswertes abgespielt. Der Kollege
Binninger - er sitzt hier in der zweiten Reihe - stellte
kurz fest, dass die Vorstellungen seiner Fraktion dem
ziemlich nahe kämen, was bei dem im Dezember eröffneten Terrorismusabwehrzentrum des BKA in BerlinTreptow realisiert werde. Sodann verlegte er sich auf
eine deftige Gerichtsschelte und geißelte die deutsche
Justiz, weil die drei wichtigsten Prozesse gegen mutmaßliche Terroristen vorerst gescheitert seien. Man fragt
sich, Herr Binninger: Warum eigentlich solche Ausweichmanöver? Die Antwort ist: Weil die Regierung,
während die Opposition noch kritisierte und lamentierte,
längst gehandelt hatte.
({0})
So fügt sich denn Ihr Antrag in die Reihe vergeblicher
Versuche ein, der rot-grünen Koalition die Kompetenz
für die innere Sicherheit abzusprechen. Das ist Ihnen
nicht gelungen und das wird Ihnen auch nicht gelingen.
Sie verbreiten Panik und wir schaffen Tatsachen.
({1})
Sie haben sich inzwischen selbst einen Eindruck von
der Einrichtung in Treptow machen können. Dort ist die
Startphase angelaufen. Die behördenübergreifende Zusammenarbeit wird gestärkt, selbstverständlich unter
Wahrung des Trennungsgebotes. Operative Maßnahmen
werden abgestimmt, Informationen gesammelt und verwertet, Kommunikationswege verkürzt; das ist dort in
der räumlichen Nähe möglich. In täglichen Lagebesprechungen wird die Gefährdung durch das islamistisch-terroristische Personenpotenzial analysiert.
Beteiligt sind neben dem BKA - das wissen Sie - das
Bundesamt für Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst, der BGS, das Zollkriminalamt, Vertreter der
Landeskriminalämter und der Landesämter für Verfassungsschutz sowie der Generalbundesanwalt. Die Bereitschaft der Länder, Informationen nicht nur abzusaugen, sondern auch einzubringen, wächst zwar langsam,
aber stetig.
Sie sehen: Der Aufbau läuft. Auch das Erstgeburtsrecht an einem solchen Konzept - darauf spielten Sie an haben Sie nicht; denn die Vorbereitungen des Ministeriums waren längst im Gange, als Sie im September vorigen Jahres Ihren Antrag formulierten.
Mit anderen Worten: Auch wenn der Idealzustand
noch nicht erreicht ist, die Bundesrepublik ist für den
Antiterrorkampf gut gerüstet.
({2})
Wir wollen bestmögliche Koordination und Kooperation
und einen engmaschigen Informationsverbund. Natürlich bleibt unsere Forderung bestehen, dem Bundeskriminalamt das notwendige Instrumentarium an die
Hand zu geben, einschließlich der Befugnis, präventiv
tätig zu werden, so wie es die Länder ihren Landeskriminalämtern einräumen und wie es auch jeder Dorfpolizist
darf.
({3})
Deshalb, liebe Kollegen, zwei Ratschläge zum
Schluss:
Bringen Sie erstens die Innenpolitik der Unionsfraktion im Bundestag einerseits und die der unionsgeführten
Länder andererseits weg vom ewigen Schlangenlinienfahren hin auf einen klaren Kurs.
({4})
Wenn der auf Profilierung ja sehr erpichte niedersächsische Ministerpräsident seinen bayerischen Kollegen wegen dessen Arbeit in der Föderalismuskommission geißeln zu müssen glaubt,
({5})
ist das seine Sache. Sehr viel besser wäre es, einen beherzten Wiedereinstieg in diese Debatte zu wagen; dann
könnte auch das Kompetenzgezerre bei der Terrorismusbekämpfung endlich beendet werden. Sonst bleiben Sie,
was Ihnen die „Süddeutsche Zeitung“ kürzlich einmal bescheinigte, nämlich Maulhelden der inneren Sicherheit.
({6})
Der zweite Appell: So ernst die Bedrohung durch den
internationalen und islamistischen Terrorismus zu nehmen ist - die Situation verlangt Tatkraft, Entschlussfähigkeit, einen hohen Ermittlungs- und Verfolgungsdruck,
zugleich aber das nötige Maß an Sachlichkeit und Gelassenheit. Was uns nicht gut tut, liebe Kolleginnen und
Kollegen, sind Versuche, die sicherheitspolitische Lage
so zu verzerren, dass die Menschen mit Horrorszenarien
faktisch in Angst und Schrecken versetzt werden. Das
trifft die Sache nicht. Ich würde Ihnen dringend raten, dieses bleiben zu lassen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({7})
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege
Binninger das Wort.
Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, Sie hatten mich angesprochen wegen des Hinweises auf die Terrorprozesse
in meinem Beitrag vorgestern im Innenausschuss. Wir
reden hier heute Morgen über Terrorismusbekämpfung.
Ein Schritt dazu ist, eine Organisation einzurichten, die
die Aktivitäten der 37 zuständigen Behörden bündelt.
Das haben wir beantragt, nicht Sie.
Terrorismusbekämpfung heißt aber, nicht nur eine
neue Organisation einzurichten, sondern auch dafür zu
sorgen, dass gefährliche Täter, die bei uns in Deutschland agieren, möglichst hinter Schloss und Riegel kommen. In diesem Punkt haben Sie komplett versagt.
({0})
Ich will Ihnen vier Beispiele nennen, so viele sind es
nämlich mittlerweile:
Sie wissen, dass der 11. September maßgeblich hier
in Deutschland vorbereitet wurde. Schlimm genug! Es
gab zwei Tatverdächtige, in Bezug auf deren Prozesse
Innenminister Schily vollmundig angekündigt hat, das
werden die ersten Terroristenprozesse weltweit sein, die
zu einer Verurteilung führen. In beiden Prozessen wurde
dieses Ziel nicht erreicht. Ein Täter läuft mittlerweile
wieder frei herum, beim anderen läuft die zweite Verhandlungsrunde.
Es gibt ein drittes Verfahren in Berlin, das gerade in
dieser Woche gescheitert ist. Es hat zu einer Verurteilung
nicht, wie gewünscht, wegen Terrorismus, sondern nur
wegen Nebendelikten geführt.
Ganz aktuell in der Diskussion: Ein Hintermann von
al-Qaida, Darkazanli aus Hamburg - man darf den Namen ja nennen, weil dieser auch in den Medien so erscheint -, agiert hier seit vielen Jahren. Es ist den Bundesbehörden und dem Bundesinnenminister trotz vieler
Maßnahmen nicht gelungen, in dieser Zeit etwas gegen
diesen Herrn zu unternehmen. Erst die Spanier wären
dazu in der Lage. Jetzt gibt es aber einen Rechtsstreit
darüber, ob der europäische Haftbefehl in diesem Fall
angewandt werden kann.
Das heißt in der Bilanz: Vier Hauptdrahtzieher des
internationalen Terrorismus befinden sich hier in
Deutschland. Sie wurden nicht verurteilt bzw. eingesperrt oder abgeschoben. Das ist eine Blamage.
({1})
Herr Kollege Binninger, ich verstehe ja, dass Sie sich
auf diesem Wege noch ein wenig Redezeit verschaffen
wollten. Ich will nur zwei knappe Anmerkungen zu Ihrer
Kurzintervention machen.
Zunächst ging es darum, klar zu machen, dass Sie mit
Ihrem Antrag ein wenig hinter den Tatsachen herhinken
und deshalb bei Ihrem Beitrag im Innenausschuss auf ein
anderes Thema ausweichen mussten.
({0})
Das Zweite ist: Herr Kollege Binninger, in Deutschland gilt immer noch das Prinzip der Unabhängigkeit
der Justiz.
({1})
Ich kenne die Problematik dieser Prozesse. Aber auch im
Terrorismusbereich muss es aussagekräftige und sichere
Beweise für die Schuld geben. Ansonsten können Sie ein
solches Urteil nicht kritisieren.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gisela Piltz.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dass die beiden vorliegenden Anträge in diesem
Hause zusammen behandelt werden, war für uns schon
eine Überraschung. Überraschend fanden wir auch, dass
das automatisierte Kennzeichen-Scanning in die sachliche Nähe zur Terrorismusbekämpfung gestellt wird, insbesondere in der Begründung der Unionsfraktion, und
dass damit die Ängste der Bevölkerung auch in dieser
Hinsicht instrumentalisiert werden sollen.
({0})
Wenn Sie damit aus CDU/CSU-Sicht dem berühmt-berüchtigten „Otto-Katalog“ etwas entgegensetzen wollten, muss ich Ihnen sagen, dass das nicht mehr als ein
Koschyk/Strobl-Päckchen geworden ist. So gewinnt jeder Antrag nur die Hälfte der Aufmerksamkeit - und das
reicht dann, ehrlich gesagt, auch.
Zum ersten Antrag. Mein Kollege Max Stadler hat bereits in der ersten Lesung an dieser Stelle gesagt, die
FDP stimme einer neuen Behörde nur dann zu, wenn
sie uns von Praktikern als zwingend deutlich gemacht
würde. Nach den Diskussionen in den letzten Wochen ist
uns der Glaube, dass das, was von Ihnen vorgeschlagen
worden ist, sinnvoll ist, ferner denn je. Eine Notwendigkeit können wir nicht erkennen. Auch heute haben wir
nichts in dieser Richtung gehört. Der Antrag ist ja auch
- das haben wir hier schon mehrfach diskutiert - nicht
mehr wirklich aktuell.
({1})
Das kennen wir von Anträgen, die über ein halbes Jahr
brauchen. Das geht auch uns manchmal so. Aber geben
Sie das doch einfach zu, anstatt an diesem Antrag festzuhalten!
({2})
- Erstaunlich.
({3})
Wir halten es für sinnvoll, erst einmal die Arbeit des
neu eingerichteten Zentrums zu begleiten und die Ergebnisse zu bewerten. Erst danach können wir gerne noch
einmal über etwas anderes reden. Aber eines ist für uns
klar: Wir werden über nichts reden, was das Trennungsgebot ernsthaft aufweicht. Das ist mit den Liberalen
nicht zu machen.
({4})
Es ist eben nicht so, dass viel auch viel hilft, wie Sie
immer glauben. Auch die Vorstellung, je mehr Apparate
man an einen Patienten anschließt, desto besser geht es
ihm, trifft nicht zu.
({5})
Wir brauchen unserer Meinung nach keine neuen Apparate, sondern müssen die vorhandenen richtig nutzen.
Diesen Vorgang warten wir ab. Deswegen werden wir
uns bei Ihrem Antrag enthalten.
({6})
Nun zu dem zweiten Antrag. Nach dem, wie er uns
heute vorliegt - Sie haben ihn ja nach der Innenausschusssitzung nicht mehr verändert -, wollen Sie das
Kfz-Kennzeichen-Scanning quasi flächendeckend,
nämlich in einem Grenzbereich von bis zu 50, sogar
80 Kilometern, einführen.
({7})
- Von der Grenze an. Schauen Sie mal ins Gesetz! Wenn
Sie das Gesetz nicht kennen, freut mich das.
Aber apropos Grenze noch ein Wort zu den Beratungen im Innenausschuss: Wenn Sie versuchen, uns aufs
Glatteis zu führen, indem Sie in Ihrem Antrag „Zuständigkeitsbereich“ durch „Grenzbereich“ ersetzen, dann ist
das ein netter Versuch von Ihnen; aber Sie dürfen sich
nicht wundern, wenn wir dem nicht zustimmen. Das ist
nämlich nur ein Wortspiel; denn das Gesetz unterscheidet zwischen Grenze und Grenzgebiet. Deshalb müssen
Sie sich sagen lassen, dass Sie in Ihrem Änderungsantrag letztendlich nichts geändert haben.
({8})
Für uns ist klar: Sie haben auch an Ihrer Einstellung
nichts verändert. Sie wollen das Kfz-KennzeichenScreening, soweit es geht, im gesamten Zuständigkeitsbereich des BGS einführen. Es geht Ihnen eben nicht
nur um die Grenze. Das haben Sie damit ganz deutlich
zum Ausdruck gebracht.
Noch einige Anmerkungen zum Inhalt. Zum einen
sind verdachtsunabhängige Kontrollen unserem Recht
grundsätzlich fremd.
({9})
Die Ausnahmen, die wir haben, reichen aus unserer
Sicht aus. Man sollte nicht die Ausnahme zur Regel machen. Deshalb haben wir damals gegen die Verlängerung
der Gültigkeitsdauer des Gesetzes gestimmt und sind
auch jetzt konsequent weiter dagegen.
({10})
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im
März 2004 zum Außenwirtschaftsgesetz sind präventive Maßnahmen nur begrenzt anwendbar. Diese Begrenzung kann ich in Ihrem Antrag nicht erkennen.
Manche Datenschützer - das habe ich Ihnen schon am
Mittwoch gesagt; aber jetzt fangen Sie wieder an, bezüglich des Datenschutzes zu quengeln - sind auch mit Ihren Stimmen gewählt worden. Die Datenschützer von
Bund und Ländern warnen vor einem ersten Schritt in
die Überwachung, dem bald der nächste und dann der
übernächste folgen werden.
({11})
Aus unserer Sicht weist der Antrag auch logische
Brüche auf. Vorne sprechen Sie von Grenzen und hinten
vom Grenzbereich. Vorne sprechen Sie von der Erkennung gestohlener Fahrzeuge und hinten vom gesamten
Zuständigkeitsbereich des BGS. Geben Sie doch einfach
zu, dass es Ihnen um mehr geht als nur um die Grenze
und um gestohlene Fahrzeuge. Es geht Ihnen um den
Schritt in die absolute Überwachung.
({12})
- Es bleibt dabei.
Zwei Bemerkungen zum Schluss. Erstens. Wenn Ihnen dieses Anliegen so wichtig ist, dann setzen Sie Ihre
Vorschläge doch erst einmal in den Ländern konsequent
durch, in denen Sie mitregieren.
({13})
Aber das schaffen Sie nicht.
Zweitens. Wir werden uns immer für die Wahrung
von Grundrechten einsetzen. Deshalb werden wir diesem Antrag nicht zustimmen.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Silke Stokar.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir
konnten gerade den interessanten Versuch von Union
und FDP beobachten, hier im Plenum öffentlich Koalitionsverhandlungen zu führen.
({0})
Ich kann nur feststellen: Diese Verhandlungen sind gescheitert. Sie sind nicht fähig, im Bereich der inneren Sicherheit auch nur annähernd eine gemeinsame Politik zu
formulieren.
({1})
Deswegen ist es gut, dass Rot-Grün in den Kernbereichen der inneren Sicherheit immer wieder deutlich
macht, dass wir das Thema der Bedrohung durch den
Terrorismus sehr ernst nehmen und dass wir - im Gegensatz zu Ihnen - handlungsfähig sind.
Ihr Antrag ist nicht neu. Interessant daran ist, dass die
darin enthaltenen Vorschläge in keinem Bundesland umgesetzt werden.
({2})
Das Gemeinsame Zentrum zur Terrorismusbekämpfung wird mittlerweile von allen Landeskriminalämtern
akzeptiert. Sie arbeiten dort längst mit. Auf der Fachebene wird dieses Zentrum sehr gelobt.
Aber Sie erwecken hier den Eindruck, dieses Zentrum
könne nicht effektiv arbeiten. Darauf sage ich Ihnen,
dass dort jeden Tag viel geleistet wird. Die Kollegen von
der Union, die sich die Arbeit vor Ort angesehen haben,
sind beeindruckt. Aber sie sind nicht in der Lage - das
finde ich merkwürdig -, die gute Arbeit anzuerkennen.
Es geht ihnen eben nur um Populismus und darum, vermeintliche Widersprüche zwischen Rot-Grün aufzudecken, die es in diesen Fragen aber nicht gibt.
({3})
Das wissen Sie ganz genau.
In diesem Zentrum werden tägliche Lagebesprechungen von verschiedenen Sicherheitsbehörden wie Polizei,
Bundesamt für Verfassungsschutz, MAD, Zoll und Bundeskriminalamt gemeinsam mit den Landeskriminalämtern durchgeführt. Es fehlen nur noch einige Landesämter für Verfassungsschutz. Sie wollen einfach nicht zur
Kenntnis nehmen, dass es keine Konflikte zwischen Rot
und Grün in dieser Frage gibt. Wir haben die Einrichtung
dieses Zentrums von Anfang an begrüßt. Die Notwendigkeit eines solchen Zentrums haben die Grünen schon
vor anderthalb Jahren in entsprechenden Beschlüssen
deutlich gemacht.
Die Problematik liegt in einem ganz anderen Bereich,
nämlich im Bereich des Föderalismus. Das wissen Sie
sehr genau. Es ist doch der bayerische Landesinnenminister, der auf seiner Landeskompetenz im Bereich der
Bekämpfung auch des internationalen Terrorismus besteht und der nicht kapiert hat, dass es hier längst eine
internationale Zusammenarbeit gibt. Das BKA mit
seinen 60 Außenstellen in aller Welt sammelt die Informationen, die für die Bekämpfung des Terrorismus notwendig sind. Der Föderalismus, so wie ihn beispielsweise Bayern und Hessen mit Herrn Koch an der Spitze
verstehen, ist das tatsächliche Hemmnis bei der Zusammenarbeit. Versuchen Sie also nicht, einen Konflikt zwischen Rot und Grün zu konstruieren, den es nicht gibt.
({4})
Neben den täglichen Lagebesprechungen und den Gefährdungsbewertungen gibt es einen - auch das ist ein
fachlich wichtiger Teil der operativen Arbeit - gemeinsamen Informationsaustausch. Ich nenne beispielsweise Fallauswertung und Strukturanalysen. Das ist die
Arbeit, die dort gemacht wird. Es wäre gut für diese neue
Einrichtung, wenn wir im Parlament sagen würden: Wir
stehen hinter dieser Arbeit der Sicherheitsbehörden; wir
versuchen, ihnen nicht durch parteipolitisch geprägte,
sinnlose Debatten Steine in den Weg zu legen. Vielmehr
unterstützen wir das und versuchen, es zu optimieren.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Göbel?
Ja.
({0})
- Bei dem Kollegen Göbel muss man nicht mutig sein.
({1})
Frau Kollegin Stokar, sind Sie bereit, mir zuzugestehen, dass ich in meiner Rede die Arbeit, die dort geleistet wird, in keiner Weise kritisiert habe, sondern lediglich gesagt habe: Der Aufgabenbereich des Zentrums
geht aus unserer Sicht nicht weit genug. Da Sie den
bayerischen Innenminister Beckstein erwähnt haben,
möchte ich übrigens sagen, dass unser gesamter Antrag
mit unseren Länderinnenministern abgestimmt worden
ist.
Weil Sie auf die Geschlossenheit der beiden Koalitionsfraktionen in der Frage der Terrorismusbekämpfung
verwiesen haben: Wären Sie bereit, uns heute, vielleicht
sogar mit Angabe einer Jahreszahl, einen Tag zu nennen,
an dem endlich die Antiterrorismusdatei, über die wir ja
im Februar debattiert haben, in diesem Hohen Hause behandelt wird?
({0})
Herr Kollege Göbel, ich bedanke mich für Ihre beiden
Fragen.
Zu der ersten. Sie müssten wissen - diese Kapazität
müsste eigentlich in Ihrer Fraktion vorhanden sein -,
dass Ihr Antrag und der Antrag aus dem Bundesrat vom
Herbst des letzten Jahres stammen. Seitdem hat es in der
Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz eine Weiterentwicklung gegeben. Es sind auch auf Länderebene
- ich weiß es aus Niedersachsen - unterschiedliche Einrichtungen ins Leben gerufen worden, bei denen es um
eine Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden ging.
Aus gutem Grunde ist so verfahren worden. Ich verweise
hier aber auf das Trennungsgebot. Es handelt sich hier
doch nicht um eine Auseinandersetzung zwischen Rot
und Grün; vielmehr sprachen doch fachliche Gründe für
das Prinzip der zwei Säulen. Natürlich sollen die Sicherheitsbehörden weiterhin auf der Grundlage der jeweiligen, für sie zuständigen Aufgabengesetze, in denen ihre
Kompetenzen beschrieben werden, arbeiten. Geheimdienste und Polizei haben unterschiedliche gesetzliche
Grundlagen; sie haben unterschiedliche Kompetenzen.
Sie ergänzen sich in ihrer Facharbeit. Zu diesem Ergebnis ist auch die Innenministerkonferenz gekommen.
Deswegen wird mittlerweile von allen Landeskriminalämtern und den Landesämtern für Verfassungsschutz in
den Fällen, in denen eine qualifizierte Zusammenarbeit
möglich und sinnvoll ist, genau die Organisationsstruktur bevorzugt, die der Bund gewählt hat. Man will also
die Sicherheitsbehörden nicht zusammenführen. Natürlich sind in diesem Zusammenhang die verfassungsrechtliche Grenze und das Trennungsgebot zu beachten.
({0})
- Sie haben spannende Fragen gestellt; nun ertragen Sie
auch meine Antwort und hören Sie zu. Ansonsten dürfen
Sie hier keine Fragen stellen.
({1})
- Sie haben nicht sehr viel Standfestigkeit; das muss ich
hier feststellen.
({2})
Zu Ihrer Frage nach dem Datum, an dem wir die
Antiterrorismusdatei behandeln. Sie haben Recht: Ich
habe gesagt, bis Ostern schaffen wir das; davon war ich
ausgegangen. Aber auch hier - ich sage das, damit Sie
das nachvollziehen können - gibt es überhaupt keine
parteipolitischen Differenzen zwischen Rot und Grün.
Vielmehr gab es Probleme. Zum einen gestaltete sich die
Absprache mit dem Generalbundesanwalt außerordentlich schwierig.
({3})
Ferner war die Beteiligung des Justizressorts außerordentlich schwierig. Auch bei der Antiterrordatei haben
wir es mit dem Problem zu tun, dass wir all diese Dinge
mit 16 Bundesländern abstimmen müssen, damit die Zusammenarbeit klappt.
Damit bin ich am Ende meiner Antwort auf Ihre Fragen. Ich finde es sehr bedauerlich, dass Sie nicht in der
Lage sind, sie in angemessener Form entgegenzunehmen.
({4})
Meine Damen und Herren, ich komme zu meinen eigentlichen Ausführungen zurück. Meine Redezeit ist so
gut wie beendet.
({5})
Ich möchte daher zusammenfassen, dass das Gemeinsame Zentrum zur Terrorismusbekämpfung auch in der
internationalen und europäischen Zusammenarbeit
eine Rolle spielen kann.
Das sind Dimensionen, die Sie noch gar nicht entdeckt haben.
({6})
Die Unionsfraktion bewegt sich in der Innenpolitik immer auf einer Ebene, die von den Landesinnenministern
entwickelt wird. Deren Interessen vertreten Sie hier. Sie
entwickeln keine eigenständige Position, die die Bundesinteressen berücksichtigt. Sie nehmen nicht darauf
Rücksicht, dass es im Bereich der Terrorismusbekämpfung eine europäische und internationale Zusammenarbeit gibt. Das kommt in Ihren Anträgen nicht vor.
Deswegen zum Schluss: Haben Sie Vertrauen in die
Arbeit von Rot-Grün! Das Richtige und Wichtige tun
wir. Leider ist es manchmal ein Problem, dass wir aufgrund der föderalen Strukturen vieles nicht so schnell
umsetzen können, wie wir es möchten. Ich bin aber sicher, dass Staatssekretär Körper Ihnen gleich sehr deutlich sagen kann, wann das Anti-Terror-Datei-Gesetz
konkret eingebracht wird.
Ich danke Ihnen.
({7})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Norbert Geis.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Es soll kein Zweifel bestehen: Wir
alle haben das Ziel, den Terrorismus nachhaltig zu bekämpfen. Das ist eine Aufgabe, die uns von der Bevölkerung gestellt wird. Das erwartet die Bevölkerung von
uns. Das Erlebnis des 11. September 2001 und des
11. März 2004 sitzt tief im Bewusstsein der Bevölkerung. Es herrscht immer noch Angst vor der brutalen,
rücksichtslosen Gewalt der islamistischen Terroristen.
Das muss man sehen.
Deswegen müssen wir uns voll darauf konzentrieren,
diesen Terrorismus zu bekämpfen. Dabei muss man auch
einmal über lieb gewordene Vorstellungen hinweggehen
können. Es geht jetzt darum, den Verfassungsstaat zu
erhalten. Es geht darum, die Sicherheit im Land zu erhalten. Das ist ein hohes Verfassungsgut. Dem sollte
man einiges unterordnen können.
({0})
Es besteht aber kein Grund zur Panik.
({1})
Es ist wichtig, dies zu sagen. Wir haben keine Veranlassung zu der Annahme, dass es demnächst in der Bundesrepublik Deutschland zu einem Anschlag kommen wird.
Dennoch weiß jeder von uns, dass aus dem Ruheraum
Deutschland sehr schnell ein Zielort für einen islamistischen Anschlag werden kann.
Deshalb geht es uns darum, die islamistischen Netzwerke, die in unserem Land, aber auch in Europa und
weltweit existieren, kenntlich zu machen, aufzuspüren
und, wenn es möglich ist, zu zerschlagen. Dazu kann die
Bevölkerung einen maßgeblichen Beitrag leisten; auch
das soll gesagt werden. Durch die Wachsamkeit der Bevölkerung kann Kriminalität, aber auch Terrorismus bekämpft werden. - Das ist das eine, was zu sagen ist.
Aber es geht auch darum, dass wir in dieser Frage auf
Bundes- und Landesebene gut zusammenarbeiten. Das
war der Hintergrund unseres Antrages. Es gibt in Bayern
ein Konzept zur Bekämpfung islamistischer Straftaten,
genannt AKIS, das, wie ich meine, ein hervorragendes
System geschaffen hat, die Erfahrungen der Polizeipräsidien, die Informationen des Landeskriminalamtes und
des Verfassungsschutzes und die Erkenntnisse der Justiz
zusammenzubringen, diese in einem gemeinsamen Lagezentrum zu besprechen und eventuelle Aktionen vorzuschlagen.
Dieses Zentrum, das wir bereits in Bayern haben, war
natürlich ein Vorbild für unseren Antrag, in dem wir ein
solches bundesweites Zentrum vorschlagen. Es geht uns
in unserem Antrag um eine Verbesserung der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden auf Bundesebene,
aber auch um eine Verbesserung der Zusammenarbeit
der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Sicherheitsbehörden der Länder. Das war das Ziel unseres Antrages.
({2})
Das ist sowohl akzeptabel als auch richtig.
Es geht uns nicht, Herr Hofmann, um eine neue zentralistische Behörde. Wir wollen die Länderkompetenzen nicht beschneiden. Wir sind der Auffassung, dass
sich die föderalen Sicherheitsstrukturen, die in unserem
Land vorherrschen, bewährt haben. Das wollen wir in
keiner Weise mit unserem Antrag beeinträchtigen, vielmehr wollen wir die Informationen zusammenführen.
Nur darum geht es uns.
Es besteht kein Zweifel, dass die Bundesregierung
unseren Vorschlag aufgenommen hat. Wir haben diesen
Vorschlag nicht erst im September gemacht, sondern
lange vorher parteiintern und in der Fraktion darüber diskutiert. Wir haben uns mit Vertretern aus Bayern und anderen Bundesländern, die von CDU und FDP regiert
werden, ausgetauscht. Dann haben wir den Vorschlag im
September eingebracht. Sie haben ihn, so meine ich, aufgegriffen - das ist auch nichts Schlechtes - und ein Zentrum geschaffen, das sich zwar nicht vollständig mit unseren Vorstellungen deckt, ihnen aber sehr nahe kommt.
Deshalb begrüßen wir dieses Zentrum; wir müssen gar
nicht drum herumreden, Frau Kollegin Piltz. Wir sind
großzügig genug, das anzuerkennen.
Wir haben trotzdem - das hat der Kollege Göbel
schon gesagt - eine Kritik, die mir auch entscheidend zu
sein scheint. Es sind zwei Säulen entstanden: zum einen
die Dienste, die eine eigenständige Analyse erstellen und
Informationen auswerten, zum anderen die Polizei. Sie,
auch Sie, Herr Stadler, begründen das mit dem Trennungsgebot. Ich befürworte dieses Trennungsgebot. Ich
halte es zwar nicht unbedingt für ein Verfassungsprinzip,
aber für ein Organisationsprinzip, an das sich alle demokratischen Kräfte in diesem Land seit 50 Jahren gehalten
haben. Ich bin für das Trennungsgebot, also für die Aufteilung der Zuständigkeiten der Polizei, der Justiz und
der Dienste. Die Zuständigkeiten werden sich immer
wieder einmal überlappen, das wissen wir, aber im Prinzip sind wir für die Trennung.
Ich glaube aber nicht, dass bei dem Informationszentrum das Trennungsprinzip berührt wird. Der Austausch
von Informationen bedeutet nicht, dass nun plötzlich die
Nachrichtendienste polizeiliche Befugnisse erhalten
werden.
({3})
Das wollen wir nicht und das geschieht auch nicht. Deswegen halten wir die zwei Säulen für falsch. Sie sind ein
Zugeständnis an die Grünen, wie wir vermuten. Sie führen unter Umständen zu Reibungen und Reibungsverluste können wir uns in der Frage der Terrorismusbekämpfung am wenigsten leisten.
({4})
Wir sind auch der Meinung, dass die Datei längst
hätte geschaffen werden können. Der Antrag NiederNorbert Geis
sachsens liegt schon lange vor und auch wir haben ihn in
unseren Antrag wieder aufgenommen. Es ist ein Versäumnis und Sie müssen es der Opposition schon gestatten, dass sie auf dieses Versäumnis angesichts der großen Gefahr, die vom Terrorismus ausgeht, hinweist.
({5})
Wenn wir nicht darauf hinweisen, wer soll es denn dann
tun? Wir sind der Meinung, die Datei hätte längst geschaffen werden können, und wir hoffen darauf, dass sie
demnächst geschaffen wird.
({6})
Ich glaube, dass wir mit der zentralen Datei und dem
Zentrum zur Terrorismusbekämpfung zwei hervorragende Instrumente haben, um der Aufgabe, den Terrorismus in unserem Land gut zu bekämpfen, gerecht zu werden. Ich meine aber, das reicht nicht aus. Wir brauchen
darüber hinaus die internationale Zusammenarbeit,
insbesondere auf europäischer Ebene. Wir müssen das
Schengener Informationssystem fortentwickeln und dafür sorgen, dass es zu einer Vernetzung der bereits in den
einzelnen Ländern Europas vorhandenen Dateien
kommt. Es geht uns darum, den Schengenraum zu einem einheitlichen Fahndungs- und Operationsraum
umzugestalten. Wir müssen uns natürlich auch darüber
Gedanken machen, wie wir die Kräfte der Bundeswehr
bei der Bekämpfung des Terrorismus stärker beanspruchen können. Das muss natürlich verfassungskonform
sein, aber das müssen wir ermöglichen.
({7})
Allerdings müssen wir der Bevölkerung auch sagen,
dass es keine 100-prozentige Sicherheit vor fanatischen
islamistischen Terroristen gibt.
({8})
Dieses Wissen kann und darf uns aber nicht daran hindern, alles zu unternehmen, diese große Geißel entschieden zu bekämpfen. Es kann nicht sein, dass das Leben
unserer Bevölkerung von der Angst vor dem Terrorismus bestimmt wird.
Danke schön.
({9})
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär
Fritz Rudolf Körper.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will
an das anknüpfen, was mein Vorredner, Herr Geis, gesagt hat. Ich glaube, es ist wichtig, als Ausgangssituation
festzuhalten, was das Potenzial an terroristischen Bedrohungen für uns bedeutet und dass es in Deutschland zu
großer Aufmerksamkeit führen muss. Panik allerdings
wäre falsch am Platze. Das wäre der falsche Ausgangspunkt.
({0})
Ich will ganz deutlich festhalten: Wer die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden kennt und sie in den letzten Monaten beobachtet hat, der muss zu dem Ergebnis kommen, dass sie hervorragend war und ist. Den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gebührt dafür ein
herzliches Dankeschön.
({1})
Ich denke, dass man das deutlich sagen muss.
Heute liegt uns ein Antrag vor, der sich mit dem gemeinsamen Terrorabwehrzentrum beschäftigt. Meine
Damen und Herren von der Opposition, Sie versuchen
- das müssen Sie tun -, eine Art Urheberrecht für sich in
Anspruch zu nehmen. Aber ich sage Ihnen ganz offen:
Das ist mir völlig egal. Wichtig ist, dass die Bundesregierung solch ein gemeinsames Terrorabwehrzentrum
geschaffen hat, das seine Arbeit im Dezember 2004 aufgenommen hat.
({2})
Dass das einer gewissen Vorbereitung bedurfte, ist
völlig klar. Dieser Gedanke ist nicht erst im Dezember
letzten Jahres geboren worden, sondern er hatte einen
gewissen Vorlauf. Dieser Vorlauf war wesentlich davon
geprägt, dass wir dieses Zentrum unter Beachtung unserer föderalen Strukturen konstruieren mussten. Auch
sage ich ganz offen: Das war nicht gegen die Länder,
sondern nur mit den Ländern zu machen, und ich denke,
dass das richtig war. Wir müssen festhalten: Im Kampf
gegen den internationalen Terrorismus können wir nur
gemeinsam erfolgreich sein. Wir dürfen hier keine Gegensätze aufkommen lassen.
Deswegen war es sehr wichtig, Lösungen zu finden,
die vonseiten der Länder mitgetragen und organisatorisch umgesetzt werden. Es war beispielsweise richtig,
zu versuchen, BKA, BfV, BND, MAD und BGS, also
die Bundesebene und die Länderebene, zusammenzuführen. Wir sind sehr froh und dankbar, mittlerweile
feststellen zu können, dass sich alle 16 Landeskriminalämter beteiligen. Wir können das nicht von der Bundesebene par ordre du mufti anordnen, sondern wir sind hier
auf die Bereitschaft der Länder angewiesen.
Das Gleiche gilt für die Landesverfassungsschutzämter. Ich glaube, Frau Kollegin Dr. Sonntag-Wolgast hat
gesagt, dass sich von den 16 Landesverfassungsschutzämtern bisher zwölf beteiligt haben und dass sich auch
die anderen vier beteiligen werden. Wie es so schön
heißt, ist das im Zulauf begriffen.
Alles in allem werden 40 Behörden zusammengefasst. Der Wille, erfolgreich miteinander zu arbeiten, ist
vorhanden.
Das ist im Übrigen auch im Hinblick auf die Debatte,
die auf europäischer Ebene geführt wird, wichtig. Herr
Kollege Geis, Sie haben zu Recht angesprochen, dass die
Bekämpfung des internationalen Terrorismus nicht nur
eine nationale, sondern auch eine europäische bzw. internationale Komponente hat. Daher ist es wichtig, dass die
Zusammenarbeit auch auf diesen Ebenen funktioniert
und dass die Bereiche, in denen eine Weiterentwicklung
notwendig ist - als Beispiel nenne ich das Schengener
Informationssystem -, fortentwickelt werden. Sie wissen, dass es auch ein Schengener Informationssystem II
gibt, das sich in der Umsetzung befindet. Das ist in diesem Zusammenhang also eine völlig richtige Antwort.
Ich sage - damit gehe ich auf die Äußerungen von
Frau Piltz ein - ganz deutlich: Das Trennungsgebot ist
uns als Organisationsprinzip sehr wichtig. Herr Kollege
Geis, darüber würde ich gerne einmal mit Ihnen diskutieren. Ich glaube, unsere Vorgehensweise führt zu keinerlei organisatorischen Hindernissen, kommt aber dem
Organisationsprinzip des Trennungsgebotes entgegen.
Wir haben unser Vorhaben auf zwei Säulen gestellt und
- auch das ist entscheidend - die Zusammenführung und
die organisatorische Ausgestaltung den gesetzlichen
Grundlagen entsprechend durchgeführt.
Dazu gehört auch, was wir zukünftig in Bezug auf
Dateien machen. Niedersachsen hat ja eine so genannte
Volltextdatei vorgeschlagen. Wir sind der Auffassung,
dass eine Volltextdatei diesem Trennungsgebot nicht gerecht wird, dass wir das anders konstruieren müssen: mit
einer so genannten Projektdatei sowie einer Indexdatei.
Es wäre zu schwierig, jetzt im Einzelnen noch einmal
darzulegen, wie das konzeptionell vorgesehen ist. Aber
Tatsache ist: Wir werden dies vorlegen und ich glaube,
dass die Vorstellungen und Vorschläge so weit ausgereift
sind, dass wir sagen können: Wir haben in Begleitung zu
dem gemeinsamen Terrorabwehrzentrum eine richtige
Konstruktion zur Handhabung der Dateien. Ich hoffe,
dass dem in Bälde auch zugestimmt werden kann.
({3})
- Ich habe bei der letzten Debatte „in Kürze“ oder „in
Bälde“ gesagt.
({4})
- Herr Bietmann, Sie haben schon bessere Zwischenrufe
gemacht.
Die Ressortabstimmung in dieser Frage ist erfolgt. Ich
will gar nicht verhehlen - Frau Kollegin Stokar hat darauf hingewiesen -, es gab an einer bestimmten Ecke
Diskussionsbedarf; Sie haben das näher gekennzeichnet.
Das hing in der Tat mit dem Justizministerium und dem
GBA zusammen. Ich denke, es ist wichtig, dass wir eine
Lösung finden, an der sich auch der GBA beteiligen
kann und bei der er sich wiederfindet.
({5})
Es ist ganz wichtig, dass wir hier die Akzeptanz haben.
Denn auch die Akzeptanz bestimmt den erfolgreichen
Einsatz eines solchen Zentrums.
({6})
Wir brauchen keinen Nachhilfeunterricht von Ihnen,
was die innere Sicherheit anbelangt. Man hat ja manchmal ein bisschen den Eindruck, dass es Sie ärgert, dass
die innere Sicherheit, die sich in den Händen dieser Bundesregierung und der Koalition befindet, von uns so erfolgreich gewährleistet wird.
({7})
Sie haben damit relativ wenig Raum für die politische
Auseinandersetzung.
Ich muss im Übrigen noch einmal sagen: Ich bin sehr
dankbar, wie Herr Geis sich mit dieser Frage auseinander gesetzt hat.
({8})
Lieber Herr Geis, da ist noch die eine oder andere Frage
zur Sicherheitsarchitektur innerhalb unseres föderalen
Systems zu stellen. Das heißt aber noch lange nicht, dass
Sie und ich Zentralisten wären. Die Frage ist, inwieweit
wir vielleicht hier und da auch das eine oder andere fortentwickeln müssen, beispielsweise die Kompetenzen des
Bundeskriminalamtes bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Ich denke, da sollte man die Diskussion und die Debatte in aller Sachlichkeit führen.
Was die Frage des Kfz-Kennzeichen-Scannings anbelangt, die Sie in Ihrem zweiten Antrag vorschlagen,
bin ich der Auffassung, dass auch im Bereich der inneren Sicherheit zuerst ein Nachdenken darüber stattfinden
sollte, ob wir mit einem vorgeschlagenen Instrument tatsächlich die Wirkungen erreichen können, die man erreichen zu können meint.
({9})
Ich bin der Auffassung, da muss man sehr vorsichtig
sein. Übrigens haben Sie in Ihrem Antrag „umfassend
einzusetzen“ geschrieben. Das bedeutet einen hohen Investitionsaufwand. Ich sage einmal: Bevor man Steuergelder einsetzt, sollte man vernünftig darüber nachdenken, ob man mit so einem Mittel erfolgreich sein kann.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Günter Baumann.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wenn wir uns heute in Europa umschauen,
was die einzelnen Länder auf dem Gebiet der inneren Sicherheit tun, dann müssen wir feststellen, dass DeutschGünter Baumann
land nicht zu den Spitzenreitern gehört. Wir haben eine
Reihe von Ideen, aber sie sind schwierig umzusetzen;
ich denke, das kann man sowohl über gesetzliche Regelungen als auch über technische Mittel zur Verbrechensbekämpfung sagen.
Ich weiß, dass es bei manchen technologischen Innovationen Probleme mit der Finanzierung gibt. Herr
Staatssekretär, auch beim BOS-Digitalfunk tun wir uns
mit der gesamten Finanzierung seit Jahren sehr schwer.
Ich möchte heute darauf hinweisen, dass es auch sicherheitstechnische Verbesserungen gibt, die kostengünstig,
effizient und unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten unbedenklich sind.
({0})
Dazu gehört die automatische Erfassung von KfzKennzeichen. Ich denke, darüber wollen wir jetzt sprechen.
Nach den intensiven Beratungen der vergangenen
Monate sollten wir heute gemeinsam einen sicherheitspolitischen Schritt ins 21. Jahrhundert tun und die Bundesregierung auffordern, dort, wo sie die Kompetenz
dazu hat, diese auch auszuüben und das Kfz-Kennzeichen-Scanning als Fahndungsmittel einzusetzen.
({1})
Wir sollten insbesondere auch prüfen, inwieweit vorhandene Mautstellen und Mautbrücken hier genutzt werden
können, was die Kosten entsprechend reduzieren würde.
({2})
Dort werden ja bereits Fahrzeuge erfasst; wir kennen das
Mautsystem. Es wäre also nur die Vernetzung mit einer
zentralen Fahndungsdatei herzustellen. Diese würde solche Kennzeichen enthalten, die im Zusammenhang mit
irgendeiner schweren Straftat - Kfz-Diebstahl, Bankraub
oder wie auch immer - gesucht werden.
({3})
Kritiker meinen, dass die Fahndungskompetenzen des
BGS erheblich verändert würden. Ich sehe das anders.
Ich denke, das BGS-Gesetz reicht aus. Herr Hoffmann,
wenn es, wie im Ausschuss diskutiert, geringfügig geändert werden müsste, dann wäre es im Interesse der inneren Sicherheit vernünftig, dies an dieser Stelle auch zu
tun. Es war schon immer die ureigenste Aufgabe von
Polizei und BGS, Verbrechen zu bekämpfen, zu verhindern und aufzuklären. Wir wollen eigentlich nur die herkömmliche Methode des Notizblockes, des Schauens
und des Kontrollierens durch eine neue Methode, das
technische Auge, ersetzen.
Es ist bei den Beratungen im Innenausschuss in dieser
Woche auch kritisch angemerkt worden, dass eine hohe
Fehlerquote vorhanden sei. Es kann ja durchaus sein,
dass das technische Auge bei verschmutzten Kfz-Kennzeichen oder bei schlechter Sicht versagen würde. Das
ändert aber doch nichts an der Tatsache, dass die automatische Erfassung Trefferquoten aufweist, die mit
menschlichem Auge und persönlicher Kontrolle niemals
erzielt werden könnten.
({4})
Datenschutzrechtliche Probleme sehe ich bei dieser
Methode überhaupt nicht; denn aus der ungeheuren Datenmenge aufgrund der Vielzahl an Kennzeichen, die
durch die Technik aufgenommen wird, wird nur ein
Bruchteil herausgefiltert, mit dem Computer verglichen
und gespeichert. Der überwiegende Teil der Daten wird
in Bruchteilen von Sekunden wieder gelöscht. Unbescholtene Bürger brauchen also nicht zu befürchten, dass
sich der Staat für weitere Daten von ihnen interessiert.
Ich denke, die Individualrechte der Bürger werden hier
nicht in unzulässiger Weise eingeschränkt.
({5})
Gleichzeitig wird gerade die übergroße Mehrzahl gesetzestreuer Bürger entlastet, die, wenn sie irgendwo angehalten werden, bei Fahrzeugkontrollen stichprobenartig
kontrolliert werden. Dies könnte stark reduziert werden
und vielleicht sogar teilweise entfallen.
Aus sicherheitspolitischer Sicht sprechen die Erfahrungen, die bisher in anderen Ländern gemacht worden
sind - Schweiz, Frankreich und Großbritannien -, für einen Erfolg dieser Technik. Auch die Modellprojekte in
Deutschland - ich denke an Bayern, Hessen und Thüringen - sind viel versprechend verlaufen. So wurden in
Bayern bei einem halbjährlichen, eng begrenzten Testbetrieb 282 Treffermeldungen - 71 davon im Grenzbereich
und 211 im Landesinneren - verzeichnet. In 114 Fällen
wurden Ermittlungen in Richtung Kennzeichendiebstahl
und in 2 Fällen wurden Ermittlungen in Richtung
Schleusung durchgeführt. Aufgrund dieser Erfahrungen
und Ergebnisse wäre es geradezu fahrlässig, ausgerechnet dem BGS die Nutzung einer solchen funktionsfähigen Technologie vorzuenthalten.
Gegenwärtig sind in Deutschland etwa 500 000 KfzKennzeichen und über 300 000 Kfz auf der Fahndungsliste. Ich glaube, die hohen Trefferquoten des Scannings
bei der Fahndung nach gestohlenen oder verdächtigen
PKWs sprechen für sich. Es wäre auch eine klare Ansage an die Kriminellen.
Die Innenministerkonferenz hat sich auch damit beschäftigt und legt gegenwärtig - parallel zu unserem Antrag - ein Konzept für die Polizei vor. Auch hiernach
sollen mit Videokameras Autokennzeichen erfasst werden.
Das Kfz-Kennzeichen-Scanning ist ein Instrument
der Aufklärung und der Prävention. Es ist - das möchte
ich deutlich sagen - kein Allheilmittel. Versuche damit
sind jedoch positiv verlaufen. Gewiss wird sich die organisierte Kriminalität darauf einstellen und neue Methoden entwickeln. Aber ich glaube, dies ist ein wichtiger
Baustein der Sicherheitsarchitektur, mit dem wir an dieser Stelle ein Schlupfloch schließen könnten.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Frank Hofmann.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! In der Beschlussempfehlung,
die wir heute zu beraten haben, geht es um ein Terrorabwehrzentrum und die automatische Kraftfahrzeugkennzeichenerfassung. Was die CDU/CSU daraus gemacht
hat, ist: Was kann ich zur Terrorismusbekämpfung sagen
und was fällt mir sonst noch ein? Das ging bis hin zum
Digitalfunk. Herr Geis hat wieder einmal ganz nebenbei
vom Einsatz der Bundeswehr im Inland gesprochen.
({0})
Herr Binninger hat in seinem Beitrag deutlich gemacht, dass Erfolge bei der Polizei auf die gute Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern zurückzuführen
sind. Gibt es hingegen irgendwo Misserfolge, dann sind
dafür natürlich die Bundesregierung und die rot-grüne
Koalition verantwortlich.
Herr Geis hat von dem Lagezentrum in Bayern gesprochen und gefordert, dass der Bund diese Idee übernehmen solle. Ich lese daraus: Was gut für Bayern ist,
muss auch für den Bund gut sein.
({1})
So einfach geht es nicht. Der Bund ist auch international
eingebunden. Das ist etwas völlig anderes.
({2})
Die Zusammenarbeit mit 16 Bundesländern und anderen
Behörden ist ebenfalls etwas völlig anderes. So kann
man keine Kriminal- und Sicherheitspolitik gestalten.
({3})
Herr Baumann hat gefordert, die Kfz-Kennzeichenerfassung an den Mautstellen vorzunehmen.
({4})
Dadurch geben Sie das Signal nach außen, dass die
Mautstellen für verdachtsunabhängige Fahndungen eingesetzt werden können. Dazu kann ich nur sagen: Mit
uns geht so etwas nicht.
({5})
Liebe Frau Piltz, Ihnen muss ich leider sagen: In der
Beschlussempfehlung wurden die Änderungswünsche
der CDU/CSU, bei denen es um die Erprobung der
Kennzeichenerfassung im Grenzbereich geht, aufgenommen. Aber, liebe Mitglieder von der CDU/CSU, eines muss ich Sie fragen. Sie haben den Antrag gestellt,
dass im „Grenzbereich des Bundesgrenzschutzes“ probeweise gescannt werden soll. „Grenzbereich des Bundesgrenzschutzes“ - was bedeutet das sprachlich?
({6})
Sie meinten natürlich den Grenzbereich der Bundesrepublik Deutschland. Aber so schlampig, wie Ihr Änderungsantrag war, so schlampig sind auch Ihre beiden Anträge.
({7})
Seit zwei Tagen meinen Sie, der Bundesgrenzschutz
solle die automatische Kennzeichenerfassung an den
Grenzen erproben. Bereits in der ersten Lesung habe ich
deutlich gemacht, dass die EU-Binnengrenzen nach
2007, also in zwei Jahren, aufgehoben werden. Dann
sind die Grenzen nach Polen, Tschechien und der
Schweiz wie EU-Binnengrenzen zu behandeln. Ihr Vorschlag läuft darauf hinaus, dass der BGS jetzt Investitionen für Maßnahmen tätigen soll, die in nur zwei Jahren
für den Regelfall nicht mehr eingesetzt werden können.
Unter diesem Aspekt ist Ihr Vorschlag ein Schildbürgerstreich. Der Bundesrechnungshof und der Bund der
Steuerzahler würden uns das zu Recht um die Ohren
schlagen. Wie wollen Sie den Menschen erklären, dass
der Bundesgrenzschutz an der Grenze aufrüstet, um dort
die automatische Kennzeichenerfassung zu erproben, die
Grenzen aber 2007, 2008 fallen? Ich kann das niemandem erklären und kann deshalb dem Antrag nicht zustimmen.
Für mich kommt noch hinzu, dass Sie völlig überflüssige Anträge stellen, sowohl hinsichtlich des Terrorabwehrzentrums als auch der Kfz-Kennzeichenerfassung.
Damit beschäftigt sich doch die Innenministerkonferenz.
Weshalb kann man das nicht in den Arbeitsgruppen behandeln, in denen die Ergebnisse der Erprobung aus den
Bundesländern - ob nun Brandenburg, Hessen oder
Bayern - zusammenfließen, in denen geprüft wird, ob es
etwas bringt und wo man es möglicherweise einsetzen
kann? Wieso müssen Sie vorpreschen und diesen Antrag
im Bundestag stellen? Ihnen geht es offenkundig darum,
sagen zu können, die Ersten gewesen zu sein. Das aber
ist Kinderei und das Gegenteil von rationaler Kriminalund Sicherheitspolitik.
({8})
Das, was Ihnen völlig fehlt oder abhanden gekommen
ist - ich weiß nicht, ob es Ihnen schon immer gefehlt
hat -, ist das Fingerspitzengefühl für den Datenschutz.
Frank Hofmann ({9})
Sie gehen nach der Rasenmähermethode vor. Mit uns ist
das nicht zu machen.
({10})
Wir sind neuen technischen Möglichkeiten, die Sicherheitsgewinn versprechen, keinesfalls abgeneigt, sondern stehen ihnen aufgeschlossen gegenüber. Wenn sich
nach der abschließenden Bewertung der Modellversuche
herausstellt, dass dies eine effiziente, Erfolg versprechende Technologie ist, dann werden die rechtlichen
Möglichkeiten und die datenschutzrechtlichen Grenzen
auch für den BGS geprüft werden.
({11})
Das ist rationale Sicherheitspolitik und die geht immer
mit Rot-Grün.
Vielen Dank.
({12})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/5264 die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 15/3805 mit dem Titel
„Gemeinsames Zentrum zur Terrorismusbekämpfung
schaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU/CSU
bei Enthaltung der FDP angenommen.
In seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/5266
empfiehlt der Innenausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
15/3713 mit dem Titel „Einsatz der automatisierten Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen durch den Bundesgrenzschutz“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD,
des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP gegen die
Stimmen der CDU/CSU angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Organisationsstruktur der Telematik
im Gesundheitswesen
- Drucksache 15/4924 ({0})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung
({1})
- Drucksache 15/5272 Berichterstattung:
Abgeordneter Matthias Sehling
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Eike Hovermann.
({2})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin schon froh, dass ich als Abgeordneter angekündigt worden bin; denn in manchen Sitzungen werde ich
wegen meines Vornamens Eike Anna Maria als Frau
Eike Hovermann angekündigt.
({0})
Wir haben - und das ist doch etwas ganz Besonderes eine Beschlussempfehlung vorliegen, in der einstimmig
die Annahme des Gesetzentwurfs empfohlen wird.
({1})
Wir haben das bei einem Gesetz erreicht, das vielfältige
juristische und wirtschaftliche, aber auch forschungspolitische Implikationen enthält, die weit in die Zukunft
reichen werden. Damit ist eines der größten IT-Vorhaben
in der Geschichte nicht nur der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch der EU und weltweit angeschoben
worden. Die Resonanz in diesem Raum ist dem Gesetz
entsprechend.
Wir haben das unter Zustimmung der Selbstverwaltung, des Datenschützers und alsbald sicherlich auch der
Länder erreicht. Wir haben alles mehrfach intensiv beraten. Es gab eine Anhörung, es gab qualifizierte Änderungsanträge und wir haben, Herr Sehling, auch den
zwischendurch verloren gegangenen § 3 gemeinsam
wiedergefunden. Ich danke Ihnen auch dafür. Für diese
Arbeit und das Resultat ist insbesondere allen damit befassten Damen, aber auch den Herren von Herzen zu
danken. Das will ich für unsere Fraktion hiermit tun.
({2})
Wir werden die intelligente Chipkarte ab 2006 schrittweise in Deutschland einführen können. Damit werden,
wie Sie wissen, über 80 Millionen Beitragszahler,
2 000 Krankenhäuser - noch -, über 260 Kassen, über
100 000 niedergelassene Praxen und 20 000 Apotheken
vernetzt. In Zukunft kommen sicherlich noch die Leistungserbringer und Produzenten im Heil- und Hilfsmittelbereich und die Psychotherapeuten in Gänze hinzu.
Die Basis dafür bildet die vorliegende Lösungsarchitektur als Voraussetzung für interoperable und kompatible Anwendungen. Denn nur durch solche Anwendungen sind wir in der Lage, die knapper werdenden Mittel
optimal zu steuern und die Schnittstellen von ambulanter
und stationärer Versorgung zu überwinden. Das ist alles
im Sinne der Beitragszahler. Denn insbesondere sie
werden ein Interesse an einer größeren Transparenz im
Hinblick darauf haben, an welcher Stelle und mit welchem Resultat ihre Beiträge in Zukunft eingesetzt werden. Das wird den Wettbewerb zwischen den Leistungsanbietern, aber auch zwischen den Kassen verstärken
und hoffentlich auch zu einer größeren Compliance der
Patienten beitragen.
Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die technischen Möglichkeiten auch genutzt werden, das heißt,
dass auch der Patient umfassend daran mitwirkt. Wir
sollten verhindern, dass 80 Millionen Chipkarten ausgegeben werden, die nur unzureichend genutzt werden und
nur lückenhafte Auswertungen im Sinne einer qualitativen Versorgungsforschung erlauben.
Es ist klar, dass bei einer so hochwertigen Nutzung
der Chipkarte die Daten auf Dauer serverbasiert gespeichert werden müssen, meiner Ansicht nach auch dezentral. Notwendig sind zudem ein kompatibler Heilberufeausweis für alle in der gesamten Behandlungskette tätigen Ärzte und vor allem die Überzeugung und Bereitschaft aller Beteiligten, bei diesem Projekt
mitzumachen.
Wir müssen vermitteln, dass es eben nicht um lästige
Mehrarbeit geht, sondern darum, Behandlungsabläufe
besser, leichter - weil vernetzter - und schneller zu machen. Das ist meiner Ansicht nach eine der wichtigsten
Voraussetzungen dafür, dass auch der ländliche und
strukturschwache Raum nicht den Anschluss an den
Standard der Ballungsräume verliert.
Für die Umsetzung dieses ehrgeizigen Zieles werden
wir noch viele Gespräche auch in und mit den Ländern
führen müssen. Denn nach den ersten Schritten mit E-Rezept und Notfalldaten wird es bald um die ganze Behandlungskette gehen müssen, vor allen Dingen auch im
Hinblick auf den in technischer Hinsicht sehr anspruchvollen Lösungsansatz einer ständigen Aktualisierung im
Zusammenhang mit geänderten gesetzlichen Bestimmungen. Dem müssen wir uns stellen.
Wir sollten alle gemeinsam weiterhin versuchen, den
weiteren und erfolgreichen Ausbau der Chipkarte durchzusetzen, und zwar erstens deshalb, weil die intelligente
Chipkarte die notwendige Kommunikationsstruktur liefert, um die integrierte Versorgung mit Leben zu erfüllen. Es darf auf diesem Weg nicht wieder zu Insellösungen kommen, auch wenn die Versuchung dazu
manchmal groß zu sein scheint.
Zweitens ist der Erfolg des gesamten Projekts Gesundheitskarte auch industrie- und vor allen Dingen arbeitsmarktpolitisch von höchster Bedeutung. Es schafft
Planungssicherheit und erhöht die Investitionsbereitschaft; dies nicht nur in unserem nationalen Raum, sondern auch in Erwartung von hohen Exportchancen für
ein enorm wichtiges und weltweit nachgefragtes Produkt. Hier können wir mit unserer Gesundheitskarte
neue Standards setzen, auch mit Blick auf die zukünftige
europäische Gesundheitskarte.
Ich bitte daher erneut um alle Stimmen des Hohen
Hauses zu dem vorliegenden Gesetzentwurf, auch wenn
es hier und da noch Bauchschmerzen gibt. Die wird es
bei solch gewaltigen Vorhaben immer geben und auch
geben müssen, um eine allzu große Sorglosigkeit zu vermeiden.
Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.
({3})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Matthias Sehling.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heute zur zweiten und dritten Beratung anstehenden Gesetzentwurf zur Organisationsstruktur der
Telematik im Gesundheitswesen geht es vor allem um
die beschleunigte Einführung der elektronischen Gesundheitskarte. In dem im Jahr 2003 beschlossenen Gesundheitsmodernisierungsgesetz haben die Koalitionsfraktionen und die CDU/CSU-Fraktion gemeinsam die
gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen, dass die elektronische Gesundheitskarte spätestens - wie es wörtlich
im Gesetz heißt - zum 1. Januar 2006 eingeführt werden
soll.
Die Partner der Selbstverwaltung wurden im GMG
damals beauftragt, eine Vereinbarung über die Schaffung
einer Informations-, Kommunikations- und Sicherheitsinfrastruktur zu erarbeiten. Der mit dem Gesetz seinerzeit verbundene Zwang zur Einstimmigkeit hat die zwei
Jahre wie im Flug vergehen lassen. Diese Jahre haben
gezeigt, dass die Vielzahl von durchaus gerechtfertigten
Einzelinteressen einer raschen Erzielung von grundlegenden Ergebnissen insgesamt manches Mal entgegenstand.
Zu Recht hat nicht nur die auf konkrete Aufträge wartende Informationswirtschaft darauf gedrängt, das bisher
geltende Einstimmigkeitsprinzip durch eine Regelung
der qualifizierten Mehrheit zu ersetzen. Die Selbstverwaltung hat Ende letzten Jahres in Abstimmung mit dem
Bundesgesundheitsministerium - sicherlich auch ein bisschen auf Druck - eine neue Organisationsform für eine
gemeinnützige Gesellschaft für Telematik ausgehandelt.
Die Gesellschaft namens Gematik wurde am 11. Januar
dieses Jahres errichtet. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird deshalb konsequenterweise das erste Ziel verfolgt, die bestehende Gematik mit den notwendigen
öffentlich-rechtlichen Grundlagen, Aufgaben und Befugnissen auszustatten.
Daneben geht es in dem Gesetzentwurf um den gesetzgeberischen Rahmen für die zu treffende, aber tatsächlich schon existierende Finanzierungsvereinbarung
über die Kosten der Einführung und der erstmaligen
Ausstattung der Leistungserbringer in der Einführungsphase, aber auch über die Kosten des laufenden Betriebs.
Schließlich war zwingend eine Entscheidung über eine
gesetzliche Grundlage für die Erhebung eines Telematikzuschlages im Krankenhaus zu treffen.
Die Bundesregierung hat es darüber hinaus für notwendig erachtet, mit einer Vielzahl von Vorlagepflichten
und Beanstandungsmöglichkeiten bei Beschlüssen der
neuen Gesellschaft Gematik einen ziemlich rigorosen
Überprüfungsmechanismus vorzusehen, der bereits vor
der offiziellen Anhörung die Frage aufwerfen musste
und auch aufgeworfen hat, ob denn - praktisch einzigartig im System der gesetzlichen Krankenversicherung der Übergang von der Rechtsaufsicht zur Fachaufsicht
gewollt ist. Die Union hat diese „Über-Regelungswut“
des Gesundheitsministeriums schon in der ersten Lesung
am 24. Februar dieses Jahres deutlich kritisiert.
Unsere Hauptkritik bezog sich aber auf das nach dem
ursprünglichen Gesetzentwurf anzunehmende finanzielle Selbstbedienungsrecht des Ministeriums bei den
Kosten für Forschungs- und Entwicklungsaufträge.
Nach dem ursprünglichen Gesetzentwurf war nämlich
nicht klar gewesen, welche Forschungs- und Entwicklungsausgaben das Ministerium für die Vergangenheit
und welche es sogar in Zukunft den Partnern der Selbstverwaltung aufs Auge hätte drücken können. Die öffentliche Anhörung der Verbände und Sachverständigen am
9. März dieses Jahres hat zahlreiche dieser Kritikpunkte
bestätigt und weitere Schwachpunkte offen gelegt. Die
CDU/CSU-Fraktion kann aber nun dem Gesetzentwurf
in der geänderten Fassung aus folgenden Gründen zustimmen:
Erstens. Der geänderte Gesetzentwurf stellt nun eindeutig klar, dass die Beschlüsse der Gesellschaft für Telematik betreffend die Regelungen, den Aufbau und den
Betrieb der Telematikinfrastruktur nur beanstandet werden können, soweit sie gegen Gesetz oder sonstiges
Recht verstoßen. Es bleibt daher - sozialrechtssystemgerecht - bei der bloßen Rechtsaufsicht. Eine Fachaufsicht mit Zweckmäßigkeitserwägungen des Ministeriums statt bloßer Rechtsüberprüfung findet nicht statt.
Zweitens. Rechnung getragen wurde nun auch dem
von den Ländern vorgetragenen Wunsch, die in ihrem
Umsetzungsbereich liegenden Aufgaben bei der Ausgabe von Heilberufs- und Berufsausweisen detaillierter
wahrzunehmen und im Fachbeirat zahlenmäßig stärker
vertreten zu sein.
Drittens. Ein für die Union besonders wichtiger Erfolg sind - ich erwähnte es schon - die Klarstellungen
im Bereich der Finanzierung von Forschungsaufträgen
des Ministeriums. Der ursprüngliche Gesetzentwurf gab
sich, wie erwähnt, in dieser Frage mehrfach kryptisch.
Nun gilt: Bei den Kosten der Vergangenheit handelt es
sich nach der vorgenommenen zeitlichen Eingrenzung
ausschließlich um die Kosten des Projekts der Fraunhofer-Gesellschaft. Das ist in der Sache vertretbar, da deren
Beauftragung gemeinsam von Ministerium und Selbstverwaltung vereinbart worden war. Andere Forschungskosten etwa aus früheren Zeitabschnitten - das hätte
wesentlich höhere Ausgaben bedeutet - trägt die Selbstverwaltung nicht. Das Ministerium blieb aber bis heute
eine klare Antwort schuldig, ob es im Herbst 2004 eine
Finanzierungszusage über den Auftrag an die Fraunhofer-Gesellschaft gegeben hatte.
Ein Thema für sich ist offenbar die Qualitätsbewertung des anlässlich der CeBIT am 14. März dieses Jahres
in Hannover öffentlichkeitswirksam abgelieferten und
von Frau Bundesministerin glorreich vorgestellten Arbeitsergebnisses der Fraunhofer-Gesellschaft, der so genannten Spezifikation der Lösungsstruktur. Eine Fachveröffentlichung hat das weniger glorreiche Bild eines
Schweizer Käses gewählt. Dieser Schweizer Käse sei, so
hört man hinter den Kulissen, nur durch die kurzfristige
Hilfe eines - ausgerechnet! - österreichischen Professors
überhaupt genießbar geworden. Nur ein Schelm denkt
hier an die ansonsten ausgeschlagenen österreichischen
Hilfsangebote in Zusammenhang mit Minister Stolpes
LKW-Maut.
({0})
Schon in der Anhörung Anfang März hat die Selbstverwaltung in Gestalt der Ersatzkassenchefin Doris
Pfeiffer anklingen lassen, dass man in der Gematik zunächst wegen dieses Forschungs- und Entwicklungsprojektes in eine aktive Qualitätssicherung eintreten müsse
und dass deshalb der Zeitplan für die Einführung der
elektronischen Gesundheitskarte noch unsicherer geworden sei. Ins gleiche Horn stieß vor drei Tagen in der
„Ärzte-Zeitung“ der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Köhler; er sprach von erheblichen
Lücken im Fraunhofer-Kartenkonzept, die jetzt in vier
Gematik-Arbeitsgruppen untersucht und geschlossen
werden müssten. Ob dieser Schweizer Käse der Gematik
bekommen wird?
Eine weitere notwendige Klarstellung wurde von den
Koalitionsparteien auch hinsichtlich der Forschungskosten für die Zukunft vorgenommen. Jetzt ist klar, dass solche Kosten nur im Falle einer Ersatzvornahme durch
Rechtsverordnung überbürdet werden könnten, also
wenn die Selbstverwaltung ihren Aufgaben nicht oder
nicht rechtzeitig nachkäme.
Viertens. Bei den Regelungen für die Test- und Einführungsphase der elektronischen Gesundheitskarte
hatte die Koalition des Weiteren zunächst vorgesehen,
für eine Übergangsphase nicht nur von dem Erfordernis
der qualifizierten Signatur abzusehen, sondern - ganz
allgemein - von den Vorschriften des Apotheken- und
Arzneimittelrechts. Nach einer Intervention des stellvertretenden CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Wolfgang
Zöller haben sich die Koalitionsfraktionen mittlerweile
dankenswerterweise bereiterklärt, dies in Richtung auf
den eigentlichen und unterstützenswerten Sinn der Regelung, nämlich die Aufhebung von dortigen Formvorschriften, einzuschränken. In der Sache geht es darum,
im Massengeschäft, zum Beispiel im Apothekenbereich,
auch biometrische Daten zur Identifizierung einer Zugriffsberechtigung, beispielsweise einen Fingerabdruck,
probeweise zuzulassen.
Lieber Kollege Hovermann, im Übrigen konnte die
Union auch deshalb den geänderten Änderungsanträgen
zum Gesetzentwurf beruhigt zustimmen, weil der in den
Ausschussberatungen zunächst vermisste, offenbar zentrale § 3 des Nutzungszuschlags-Gesetzes im Verlauf der
weiteren Ausschussberatungen wiedergefunden werden
konnte. Das beruhigt uns sehr, wie gesagt. So viel zu den
Gemeinsamkeiten.
Die Bundesregierung und ihr heutiger Gesetzentwurf
lassen zentrale Fragen weiterhin unbeantwortet:
Erstens. Wie steht es mit dem Zeitplan? Wann kommt
die Gesundheitskarte für alle? Die Bundesgesundheitsministerin wiederholt formelhaft: Wir liegen im Plan.
Ich denke, das ist wenig überzeugend. Neuerdings
spricht auch der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung davon, dass erst im Dezember dieses Jahres mit
den ersten Modellprojekten zur Gesundheitskarte zu
rechnen ist. Jedenfalls müssen die Startschüsse für die
Testphasen in den Modellregionen jetzt möglichst rasch
gegeben werden.
Zweitens. Wie erreichen wir, dass die Karte hinsichtlich der freiwilligen Anwendungen häufig genutzt wird,
damit sich die Kosten-Nutzen-Waage möglichst bald zugunsten der Patienten und zugunsten der Allgemeinheit
neigt? Zu Recht hat die gesetzliche Krankenversicherung in der Anhörung darauf hingewiesen, dass die freiwillige Nutzung der Karte eng mit der Gewissheit um
die Sicherheit der Daten zusammenhängt. Hier sollte die
Bundesregierung auf kritische Fragen der Fachöffentlichkeit und vielleicht auch der kritischen Ärzte stärker
als bisher eingehen.
({1})
Drittens. Ungeklärt ist auch, wie es mit der Datenhoheit der Patienten einerseits und wie es mit dem Anliegen der Versorgungsforschung und der Versorgungsepidemiologie andererseits steht. Zu Recht haben die
Verbraucherschützer in der Anhörung dem Datenschutz,
der Datensicherheit und der Datensouveränität einen hohen Stellenwert eingeräumt. Gleichzeitig muss Gematik
und muss notfalls auch die Politik die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass - selbstverständlich unter strenger Beachtung des Datenschutzes - durch diese neuen
Technologien auch die Versorgungsforschung, die Versorgungsplanung, die Versorgungsepidemiologie und die
Gesundheitsberichterstattung eine deutliche Unterstützung erfahren.
Die elektronische Gesundheitskarte soll für alle Beteiligten im Gesundheitswesen Nutzen und Vorteile bringen: zuerst für die Patienten, dann für die Gesundheitsberufe und -einrichtungen, für die Kostenträger und auch
für die Allgemeinheit, nämlich durch eine vorausschauende Gesundheitspolitik.
({2})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Biggi Bender.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am
letzten Wochenende fand in Berlin ein so genannter Ärztetag von unten statt. Dort trafen sich Ärzte und Ärztinnen, die sich von ihren Berufsorganisationen nicht angemessen vertreten fühlen. Sie hatten auch darüber hinaus
- wie sie sagten - eine große Sorge, nämlich die, dass
der Bürger durch die Gesundheitskarte zum gläsernen
Patienten werde, der hilflos dem staatlichen Zugriff ausgesetzt sei. Nun weiß ich nicht, welches eigene Anliegen
diese Ärzte im Zusammenhang mit der Gesundheitskarte
haben, aber ich kenne sehr wohl das Prinzip, dass Leistungsanbieter im Gesundheitswesen ganz gern vom Patienteninteresse reden, wenn sie in Wirklichkeit eigene
Ziele verfolgen.
({0})
- Ach, Herr Kollege Parr, ich glaube, dass auch Sie das
durchaus so sehen.
Das sollte uns auf eines aufmerksam machen, nämlich
darauf, dass der Weg zur Anwendung der elektronischen
Gesundheitskarte in der Praxis nicht nur von technischen
Anforderungen gesäumt wird, sondern dass es hierbei
auch ganz entscheidend auf die Frage der Akzeptanz bei
den Bürgern und Bürgerinnen ankommt. Natürlich gilt
im Prinzip für jedes Gesetz, dass wir um Akzeptanz werben müssen, aber gerade in diesem Fall, denke ich, gibt
es dafür auch ganz praktische Gründe.
Die Gesundheitskarte wird neben der Speicherung der
administrativen Daten als Anwendung zunächst nur das
elektronische Rezept haben. Aber man muss auch an die
Möglichkeiten denken, die darin weiter liegen, also elektronische Patientenakten, Arztbriefe usw. Wir wissen,
dass dies alles nur - das ist auch richtig so - mit Zustimmung der Patienten und der Patientinnen geschehen wird
und dass auch der Zugriff auf gespeicherte Daten von
dieser Zustimmung abhängig ist. Das heißt, die Gesundheitskarte muss mit allen ihren Anwendungsmöglichkeiten von den Bürgern und Bürgerinnen angenommen
werden; sonst wird sie keine praktische Bedeutung erlangen. Deswegen müssen wir erläutern, welchen Wert
diese Karte hat. Das sollte uns auch nicht schwer fallen.
Ärzte, Krankenhäuser, andere Anbieter von Gesundheitsleistungen werden, wenn die Gesundheitskarte einmal voll entwickelt sein wird, deutlich mehr Hand in
Hand arbeiten. Der Arzt/die Ärztin wird viel mehr als
bisher erfahren, was der Kollege/die Kollegin bereits an
Diagnosen gestellt und an Behandlungen durchgeführt
hat. Das kann dazu führen, dass es weniger Doppeluntersuchungen und mithin weniger Belastung der Patienten
gibt, dass es mehr Arzneimittelsicherheit gibt und dass
es auch weniger unnötige Ausgaben gibt; ich erinnere
daran, dass Experten von der Anwendung der Gesundheitskarte Einsparungen in Milliardenhöhe erwarten.
Für die Akzeptanz der Gesundheitskarte ist auch der
Datenschutz entscheidend. Ich erinnere an die Redeweise vom gläsernen Patienten. Wenn man genau
hinschaut, muss man erkennen, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Patientinnen und Patienten durch die Gesundheitskarte nicht eingeschränkt,
sondern, im Gegenteil, sogar erweitert wird. Man wird
davon ausgehen dürfen, dass in Zukunft die Praxis aufhört, dass Patientendaten ohne jede Sicherheitsvorkehrung per Fax oder per E-Mail durch die Welt bzw. von
Praxis zu Praxis gehen. Auch die Patienten selbst
werden ungleich mehr Möglichkeiten haben, auf ihre eigenen Daten zuzugreifen, weil es eben nicht mehr notwendig ist, sich mit in Arztpraxen gebunkerten Papierdokumenten auseinander zu setzen, sondern weil dieser
Zugriff über die elektronische Gesundheitskarte möglich
wird.
({1})
Kurz und gut: Die Gesundheitskarte wird es den Patienten ermöglichen, sich souveräner im Gesundheitswesen
zu bewegen und sich auch aktiver an der Behandlung zu
beteiligen.
Die gesetzlichen Grundlagen schaffen wir heute. Es
ist erfreulich, dass wir sie einstimmig schaffen. Das
kommt ja im Gesundheitswesen nicht so häufig vor. Bei
der weiteren Ausgestaltung der Anwendungsmöglichkeiten werden wir darauf zu achten haben, dass sich Datenschutz und Patientenorientierung auch im konkreten
Einsatz wiederfinden. Dann, meine Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen, ist mir um die Akzeptanz der elektronischen Gesundheitskarte nicht bange.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Detlef Parr.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
nur zu natürlich, dass bei einem so gewaltigen Projekt
wie der Einführung der Gesundheitskarte im Laufe der
Vorbereitungsarbeiten Änderungen erforderlich werden.
Eine solche Modifikation erfolgt mit diesem Gesetz,
dem wir zustimmen werden.
({0})
Das im Verfahren angewandte Einstimmigkeitsprinzip ist zwar schön und gut, aber die Arbeiten am Telematikprojekt könnten doch zu stark verzögert werden.
Deswegen begrüßen wir, dass es durch eine Mehrheitsregelung ersetzt wird. Es hat sich ferner herausgestellt,
dass wir eine solide gesetzliche Grundlage für die Finanzierung der Kosten brauchen, die im Zusammenhang mit
der Entwicklung und Einführung der Karte entstehen.
Dieser Notwendigkeit wird berechtigterweise heute
ebenfalls Rechnung getragen.
Allerdings war das, was zunächst als Gesetzentwurf
vorgelegt worden ist, für uns nicht akzeptabel. So konnte
es nicht angehen, dass das Bundesministerium eine
Fachaufsicht in den mit der Entwicklung zusammenhängenden Fragen ausübt. Es konnte auch nicht angehen,
dass die Selbstverwaltung für Projekte zahlen soll, die
das Bundesministerium in Auftrag gibt.
({1})
Wer bestellt, der auch bezahlt. Das darf man nicht an andere delegieren. Insofern begrüßen wir es sehr, dass
diese beiden Punkte im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens geändert worden sind, auch wenn ich nicht verhehlen will, dass wir eine Beschränkung der Rechtsaufsicht auf grundsätzliche Fragen sicherlich vorgezogen
hätten. Aber hier müssen wir realistisch sein: Wenn der
Datenschutzbeauftragte nicht bereit ist, eine solche Lösung zu akzeptieren, werden wir uns einem anderen Vorgehen nicht verschließen.
Ärgerlicher ist allerdings, dass das bereits vom Bundesministerium in Auftrag gegebene Gutachten beim
Fraunhofer-Institut jetzt doch durch die Selbstverwaltung finanziert werden muss. Es ist gut, dass eine solche
Entlastungsaktion nach dem vorliegenden Gesetz nicht
mehr möglich ist. Mit den Regelungen für eine gesicherte Finanzierung ist nun eine solide Grundlage für die
zukünftige Arbeit gegeben.
Wir als FDP werden bei der weiteren Entwicklung
vor allem sehr genau hinschauen, ob dem informationellen Selbstbestimmungsrecht der Bürgerinnen und
Bürger tatsächlich hinreichend Rechnung getragen wird.
Ich hoffe, dass die Prognose, die Sie, Kollegin Bender,
gegeben haben, zutreffend ist.
({2})
Nur dann wird es gelingen, die Menschen von dem Nutzen zu überzeugen und Vertrauen zu schaffen. Die elektronische Gesundheitskarte darf nicht entwickelt
werden, um die Versicherten zu überwachen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
({3})
Sie darf ausschließlich die Möglichkeit schaffen, die Informationen über den eigenen Gesundheitszustand und
eventuell erfolgte Behandlungen auf freiwilliger Basis
zentral speichern zu können, wohlgemerkt als Angebot
und nicht als Pflicht. Darauf legen wir allergrößten Wert.
({4})
Genauso legen wir Wert darauf, die gewonnenen Daten in anonymisierter Form für epidemiologische Zwecke der Gesundheitsversorgungsforschung zu nutzen;
Kollege Sehling hat darauf hingewiesen. Diese Verwendungsmöglichkeiten müssen bereits bei der Entwicklung
der Telematikinfrastruktur mitbedacht werden. Es darf
später kein böses Erwachen geben.
Lassen Sie mich zum Schluss noch eine nachdenkliche Bemerkung machen, meine Damen und Herren. Es
läuft mir schon ein Schauer über den Rücken, wenn Kollege Wiefelspütz die Nutzung der Daten auf der Gesundheitskarte zur Terrorismusbekämpfung nicht ausschließt.
Wir alle sind uns einig: Der weltweite Terror muss entschlossen bekämpft werden. Er darf aber nicht zum
Deckmäntelchen für mehr und mehr staatliche Eingriffe
in die Privatsphäre werden.
({5})
Allen Beteiligten raten wir daher, mit Ruhe und Sorgfalt die weitere Entwicklung anzugehen. Wir müssen
Ängste und Sorgen der Versicherten und der im Gesundheitswesen Tätigen im weiteren Verfahren sehr ernst
nehmen.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
({6})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Carola Reimann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Einsatz der Telematik im Gesundheitswesen verspricht zum einen, neue Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen; zum anderen
verbessert die elektronische Gesundheitskarte die Behandlungsqualität für die Patienten. Ich denke, das ist die
zentrale Bedeutung. In diesem Zusammenhang möchte
ich auf eine Statistik verweisen: Es ist leider immer noch
so, dass jährlich mehr Todesopfer durch falsch verordnete Medikamente als durch Unfälle im Straßenverkehr
zu beklagen sind. Ich denke, das steht für sich.
({0})
Der Einsatz der Telematik legt den Grundstein für ein
moderneres und effizienteres Gesundheitssystem. Aufbau und Koordination einer solchen IT-Infrastruktur
für das Gesundheitswesen bedürfen aber einer leistungsfähigen Organisationsstruktur. Allein die Zahl der zu
vernetzenden Beitragszahler, Akteure und Leistungserbringer - Kollege Hovermann hat sie schon genannt veranschaulicht die Dimension, um die es hier geht:
80 Millionen Patienten und Versicherte, 2 000 Krankenhäuser, 22 000 Apotheken sowie 350 000 Ärzte und
Zahnärzte. Dadurch wird klar, dass die Einführung einer
solchen Gesundheitskarte das Innovations- und Modernisierungsprojekt unseres Gesundheitswesens ist. Der
vorliegende Gesetzentwurf schafft die notwendigen
Grundlagen, um den hohen Abstimmungsbedarf - in
dieser Hinsicht haben wir in den vergangenen Wochen
und Monaten nicht immer nur gute Erfahrungen gemacht - sowie die Zusammenführung der Beteiligten
und die Organisation zu realisieren und zu organisieren.
Ein Modernisierungsprojekt dieser Größenordnung
- es ist schon angedeutet worden - geht mit einem Innovations- und Entwicklungsbedarf einher. Es ist zu begrüßen, dass jetzt erstmalig eine gemeinsame Vereinbarung
im Hinblick auf den Forschungs- und Entwicklungsbedarf getroffen wurde und damit auch eine gemeinsame
Verantwortung - auch eine finanzielle Verantwortung für die Weiterentwicklung unseres Gesundheitssystems
übernommen wurde. Es betreibt also nicht jeder für sich
in seinem eigenen Sektor Klein-Klein.
Ich freue mich auch, dass wir im März auf der CeBIT
die Rahmenarchitektur vorstellen konnten. Drei Fraunhofer-Institute haben zusammengearbeitet, weil ein Institut allein das gar nicht schaffen kann. Auch die Wiener
Fachgruppe für industrielle Software - das ist schon angedeutet worden - war beteiligt.
Ich begrüße auch, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eine flexible Regelung für die Entwicklungsund Testphase - Sie haben das schon angesprochen gefunden wurde, nach der im Einvernehmen mit dem
Bundesdatenschutzbeauftragten im Rahmen von befristeten Ausnahmen bis zu sechs Monate von der qualifizierten Signatur und von Vorschriften des Apothekenund Arzneimittelbetriebs abgewichen werden kann. Dadurch werden, wenn ich das richtig sehe, die Tests und
die Entwicklung in der ersten Zeit erleichtert. Ich hoffe,
dass das Einvernehmen, das hier im Hause über diese
Regelung erzielt worden ist, auch im Bundesrat erzielt
werden kann.
({1})
Mit der Einführung und dem Einsatz der elektronischen Gesundheitskarte verbinden sich vielfältige Wünsche: vom Wunsch nach der Speicherung von Notfalldaten - wir haben im Gesetz vorgesehen, dass Notfalldaten
in Unfall- und Notsituationen auch ohne Netzzugang abrufbar sind - über den Wunsch, die persönliche Haltung
zu einer Organspende zu dokumentieren, bis hin zum
Wunsch, aussagekräftige Datenbanken zu erstellen und
eine leistungsfähige Epidemiologie zu ermöglichen. Das
Spektrum der Wünsche und Möglichkeiten ist sehr groß.
Mit dieser gesetzlichen Grundlage ermöglichen wir jetzt
den Aufbau einer solchen Infrastruktur und kommen den
Anforderungen und Wünschen, die die zahlreichen Akteure haben, nach.
Danke sehr.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen einge-
brachten Gesetzentwurf zur Organisationsstruktur der Te-
lematik im Gesundheitswesen, Drucksache 15/4924. Der
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gibt es
Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung bei einer Enthal-
tung fast einstimmig angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent-
wurf ist mit Ausnahme des Abgeordneten Addicks, der
sich auch jetzt enthalten hat, einstimmig angenommen
worden.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten MarieLuise Dött, Dr. Peter Paziorek, Dr. Christian
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Zügige Umsetzung der EU-Linking-Directive
- Drucksache 15/4389 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Angelika Brunkhorst, Michael
Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Kostensenkungspotenziale für den Klimaschutz erschließen - Verbindungsrichtlinie
zum europäischen Emissionshandel unverzüglich umsetzen
- Drucksache 15/4848 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
die Abgeordnete Marie-Luise Dött.
({2})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
100 Tage Emissionshandel - dieser Zeitpunkt bietet sich
an, Bilanz zu ziehen. Die Bilanz, die die Bundesregierung in Sachen Pünktlichkeit und Qualität beim Emissionshandel abgeliefert hat, ist mehr als traurig.
({0})
Erst einmal musste die Antragsfrist verschoben werden, weil die Deutsche Emissionshandelsstelle noch
nicht arbeitsfähig war. Das war keinesfalls eine Verlängerung der Antragsfrist, wie Sie es werbewirksam zu
verkaufen versuchten. Die Antragsfrist betrug nach wie
vor drei Wochen und keinen Tag länger. Es war auch
keine Großzügigkeit Ihrerseits gegenüber den Unternehmen. Die Verschiebung war allein aus der Macht des
Faktischen heraus begründet, weil Ihre Behörde, Herr
Trittin - er ist nicht anwesend; Frau Probst sitzt auf der
Regierungsbank -, noch nicht arbeitsfähig war.
Der zweite Termin, den Sie verpasst haben, war die
Frist zur Bescheidung der Zuteilungsanträge. Im Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz, das die Regierungskoalition in diesem Hause im Sommer 2004 selbst verabschiedet hat, steht es schwarz auf weiß: Die Anträge
waren bis zum 1. November 2004 zu bescheiden. Der
Termin verstrich und nichts geschah. Immer wieder
wurde die Zustellung der Bescheide hinausgezögert, bis
sie schließlich kurz vor Toresschluss, Ende Dezember,
zu den Antragstellern gelangten - zwei Monate zu spät.
Damit waren Sie, Herr Trittin und Frau Probst, die
ersten, die sich nicht an das Emissionshandelsgesetz gehalten haben. Vor Ihrem eigenen Gesetz mussten Sie kapitulieren. Wenn aber schon die Bundesbehörden das
Gesetz nicht einhalten können, wie wollen Sie das dann
von den Bürgern verlangen?
Zum Jahreswechsel konnte man dann die stolzen
Pressemitteilungen vom BMU und der Deutschen Emissionshandelsstelle mit dem Tenor „Der Emissionshandel
startet in Deutschland pünktlich zum 1. Januar“ lesen.
Ich frage mich, wie Sie zu dieser Behauptung gekommen sind. Von den 100 Tagen Emissionshandel haben
die ersten 60 Tage ohne Handel stattgefunden. Bis Anfang März war es keinem Unternehmen in Deutschland
möglich, Zertifikate an der Strombörse zu kaufen oder
zu verkaufen. Wie gesagt: Ein Handel hat nicht stattgefunden. Auch der ursprünglich avisierte Termin, der
28. Februar, wurde wiederum verschlafen.
Die 100 Tage sind auch verstrichen, ohne dass die
Bundesregierung den Unternehmen die Möglichkeit eröffnet hat, Zertifikate aus den anderen Mechanismen des
Kioto-Protokolls in Deutschland anerkennen zu lassen.
Neben dem Emissionshandel kennt das Kioto-Protokoll
auch andere Reduktionsmöglichkeiten wie die gemeinsame Projektumsetzung, Joint Implementation, und den
Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung,
Clean Development Mechanism. Diese Mechanismen
sind ebenso wie der Emissionshandel geeignet, den
Treibhausgasausstoß zu verringern. Noch dazu wird mit
ihnen der Erkenntnis Rechnung getragen, dass der Klimaschutz eine globale Aufgabe ist.
Für die Klimavorsorge ist es nämlich völlig egal, ob
die Tonne CO2 in Deutschland, China oder Brasilien eingespart wird. Deswegen schreibt die EU-Linking-Directive eine mengenmäßige Beschränkung des Umtausches
auch nicht vor. Weder im jetzigen Umsetzungsgesetz
noch in kommenden Regelwerken zum Emissionshandel
sollte daher eine Quotierung aufgenommen werden.
Wenn Unternehmen in Projekte in Dritt- und Entwicklungsländern investieren und dadurch erreichen,
dass der Ausstoß von Treibhausgasen verringert wird,
dann sollen ihnen diese Anstrengungen zu Hause, also
auch hier in Deutschland, zugute kommen. Die Emissionsreduktionen, die sie erreichen, sollen als Erfüllungsbeitrag zum Emissionshandel anerkannt werden.
So sieht es das Kioto-Protokoll vor und so legt es die
EU-Linking-Directive fest.
Damit unsere deutschen Unternehmen, die am Emissionshandel teilnehmen, das auch können, ist eine Umsetzung der EU-Linking-Directive in nationales Recht
notwendig. Bis heute, 100 Tage nach dem offiziellen Beginn des Emissionshandels, liegt aber noch kein abgestimmter Entwurf der Bundesregierung vor. Dabei ist
eine zügige Umsetzung der Richtlinie notwendig, um die
Planungssicherheit für die teilnehmenden Unternehmen
zu gewährleisten.
({1})
Bei der noch ausstehenden Umsetzung der EU-Linking-Directive ist neben der zügigen Implementierung
vor allem darauf zu achten, dass der Umtausch von
internationalen Emissionsreduktionseinheiten in EUZertifikate schnell und unkompliziert erfolgt. Die Tatsache, dass bisher nur zwei Projekte durch das CDMExecutive-Board zugelassen worden sind, zeigt, dass bereits das internationale Verfahren sehr hohe Anforderungen stellt. Deswegen sollten wir hier, auf nationaler
Ebene, möglichst schnell den Weg für den internationalen Klimaschutz freimachen.
Unternehmen und Investoren werden nur dann internationale Projekte zur Reduktion von Treibhausgasen
vorantreiben, wenn sie die Gewissheit haben, dass ihnen
diese in Deutschland auch zuerkannt werden. Nach Auffassung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist es daher
notwendig, im Umsetzungsgesetz eine Grundlage für einen Anspruch auf Anerkennung der international erbrachten Klimaschutzleistungen zu formulieren. Dabei sollte das Anerkennungsverfahren so schlank wie
möglich ausgestaltet werden. Bürokratie muss klein und
Effizienz groß geschrieben werden. In keinem Falle darf
es zu einem nationalen Parallelverfahren zu dem internationalen Verfahren kommen, bei dem die Firmen zusätzliche bürokratische Hürden zu nehmen haben, die
international nicht vorgesehen sind. Sowohl Anerkennungsvoraussetzungen als auch Versagungsgründe müssen sich dabei am internationalen Recht orientieren. Zusätzliche Ausschlussgründe, die weder durch das
Regelwerk von Marrakesch, das Kioto-Protokoll oder
die EU-Linking-Directive gefordert werden, sind für den
Klimaschutz kontraproduktiv.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert die Bundesregierung auf, die EU-Linking-Directive rechtstechnisch sehr viel sauberer umzusetzen, als es bei den bisherigen Gesetzeswerken zum Emissionshandel der Fall
war. Ich möchte hier nur an die so genannte Optionsregel erinnern, die dem Umweltminister sicherlich schlaflose Nächte bereitet hat; denn er musste begründen, warum die Anwender dieser Regelung, entgegen dem
Gesetzeswortlaut, nun doch unter den zweiten Erfüllungsfaktor fallen. Darüber hinaus beschert die Optionsregel, die von den Regierungsfraktionen sprichwörtlich
über Nacht in das Zuteilungsgesetz hineingeschrieben
wurde, eine denkbar schlechte Quote bei den Zuteilungsbescheiden. Ganze 40 Prozent der Zuteilungsbescheide
sind aufgrund der unsauberen Gesetzgebung - ich betone: der unsauberen Gesetzgebung - angegriffen worden und noch nicht bestandskräftig. Über die Rechtmäßigkeit werden die Gerichte entscheiden.
Wenn ich jedoch den Informationen Glauben schenken darf, die bisher zu mir durchgedrungen sind - es ist
schade, dass Herr Trittin nicht da ist, aber Frau Probst
wird das vielleicht bestätigen können -, plant die Bundesregierung, die Anerkennung von der Zuverlässigkeit
des Antragstellers abhängig zu machen. Im deutschen
Recht findet man eine Zuverlässigkeitsprüfung nur in
gefahrgeneigten Bereichen, zum Beispiel im Waffenrecht. Es leuchtet ein, dass demjenigen, der eine Waffe
trägt, eine gesteigerte Verantwortung zukommt und er
deswegen zuverlässig sein muss. Ich kann aber nicht erkennen, dass das Einsparen einer Tonne CO2 ähnlich gefährlich ist wie das Tragen einer Waffe. Das Gegenteil
ist der Fall. Wenn nun also die Bundesregierung erwägt,
für Handlungen, die nicht gefährlich sind, sondern dem
Allgemeininteresse dienen, eine Zuverlässigkeitsprüfung einzuführen, so lässt mich das an einer gesetzestechnisch sauberen Umsetzung stark zweifeln.
({2})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ulrich Kelber.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir haben gerade die Wahlkampfeinlage der
nordrhein-westfälischen Abgeordneten Marie-Luise
Dött erlebt. Ihre Fraktion hat einen Antrag eingebracht
und zusammen mit der FDP, die ebenfalls einen Antrag
eingebracht hat, darauf bestanden, über dieses Thema
während der Kernzeit zu sprechen.
Man sollte dazu festhalten: Neben den beiden Rednern der CDU/CSU-Fraktion ist gerade noch der Parlamentarische Geschäftsführer anwesend. Das sind
1,25 Prozent der Fraktion. Aus dem Facharbeitskreis ist
niemand da.
({0})
In der FDP-Fraktion, in der der Geschäftsführer gerade
das Kuchendiagramm verlassen hat, sitzt nur noch der
Redner in dieser Debatte. Vielleicht sollte sich jemand
von uns dorthin setzen, damit es dort nicht so leer aussieht. - So viel zum Interesse an dieser Debatte. Man
sollte ein Parlament nicht in der Frage verhohnepipeln,
wann man etwas debattieren will und wann man etwas
nicht debattieren will.
Ich will nur einen einzigen Punkt ansprechen. Am
30. November letzten Jahres haben Sie mit großen Worten Ihren Antrag eingebracht, die EU-Linking-Directive
schleunigst in nationales Recht umzusetzen. Zu diesem
Zeitpunkt war die Richtlinie elf Arbeitstage in Kraft.
({1})
Wie schnell soll ein Land diese Richtlinie eigentlich umsetzen?
({2})
Bis heute hat sie kein einziges Land umgesetzt.
Ich halte es für falsch, am Freitag gegen 12 Uhr vor
Publikum Wahlkampfreden zu halten und nicht mehr als
1 Prozent der Fraktion hier versammeln zu können.
Meine Argumente können Sie auf meiner Website finden. Von meinen insgesamt 18 Minuten Redezeit
schenke ich Ihnen 16 Minuten und 40 Sekunden.
({3})
Darf ich eine formale Sache klarstellen: Die Kernzeit
ist am Donnerstagvormittag. Im Zusammenhang mit der
Parlamentsreform haben wir vereinbart, dass die Debatten über große allgemeine Projekte am Donnerstag stattfinden. Der Freitag ist für Fachdebatten vorgesehen.
({0})
- Genau.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Michael Kauch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kelber, wir hätten heute gerne zu einer besseren Zeit
darüber diskutiert,
({0})
warum der Steinkohleverband Wahlkampf für die SPD
in NRW macht,
({1})
indem er kurz vor der Wahl Anzeigen schaltet. Eine Debatte zu einem früheren Zeitpunkt wollten Sie nicht. Sie
haben die jetzige Debatte vorterminiert. Deshalb diskutieren wir jetzt gerne mit Ihnen über den Klimaschutz;
denn der ist uns offensichtlich im Gegensatz zu Ihnen
wichtig.
({2})
- Sehr geehrter Herr Kelber, die Kollegin Homburger ist
heute leider wegen eines anderen Termins verhindert.
Deshalb vertrete ich sie hier.
Die FDP engagiert sich seit Jahren für eine aktive und
kostenoptimierte Klimapolitik.
({3})
Die FDP hat immer wieder die außerordentliche Bedeutung des Kioto-Protokolls und des internationalen Emissionshandels für die Klimapolitik betont. Wir haben in
den letzten Jahren mehr als ein halbes Dutzend Anträge
gestellt, damit die Bundesregierung das, was sie jetzt tun
will, schon früher hätte machen können. Wir haben sie
dazu aufgefordert, die Chancen des Emissionshandels
entschlossen zu nutzen und vor den Entscheidungen, die
jetzt zwingend notwendig geworden sind, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der Emissionshandel im
Interesse unserer Unternehmen, aber auch im Interesse
der Entwicklungs- und Schwellenländer früher hätte genutzt werden können.
({4})
Alle Anträge wurden mit der Mehrheit der rot-grünen
Koalitionsfraktionen abgelehnt, ohne dass die Bundesregierung in der Lage gewesen wäre, ein eigenes konsistentes Konzept für den Emissionshandel vorzulegen.
({5})
Die Zeiten, in denen man hätte Einfluss nehmen können, sind vorbei. Jetzt hat die EU entschieden, wie die
Ausgestaltung der Linking Directive aussehen soll. Wir
haben nur noch bis November Zeit, sie umzusetzen. Angesichts dieses Zeitplanes ist es schon bemerkenswert,
dass dem Deutschen Bundestag bis heute kein Gesetzentwurf zugeleitet worden ist. In drei Tagen, am kommenden Montag also, wird, vom Bundesumweltministerium initiiert, eine Verbändeanhörung stattfinden, eine
Anhörung, die nach Aussage Ihres Hauses, Frau Probst,
immer noch nicht in allen wesentlichen Fragen innerhalb
der Bundesregierung abgestimmt ist. Einen solchen Satz
in die Einladung zu einer Verbändeanhörung zu schreiben ist schon sehr blamabel.
({6})
Worüber wird am Montag eigentlich geredet, Frau
Probst, etwa über einen Gesetzentwurf zum Emissionshandel bzw. zur Umsetzung der Linking Directive, wie
ihn sich Teile der Bundesregierung vorstellen könnten?
Wer stellt sich diesen Gesetzentwurf denn nun so vor?
Vor allen Dingen: Wie stellen sich andere Teile der Bundesregierung diesen Gesetzentwurf vor?
Es bleiben Fragen über Fragen. Die Pläne, die Sie offensichtlich mit den Verbänden bereden wollen, wurden
schon im Vorfeld kommentiert, und zwar nicht im guten
Sinne. Es gibt keine Spielräume für nationale Aktivitäten, keine Signale, keine Inspiration und keinen Impuls,
um die klimapolitische Diskussion und die Entwicklung
auf internationaler Ebene voranzubringen.
Wieder wird eine Chance vertan.
Es ist zu hören, dass Sie unnötige bürokratische Regulierungen und unnötige Prüfungs- und Genehmigungspflichten, die nicht von der EU-Richtlinie gefordert werden, vorsehen. Das macht die Nutzung von
CDM und JI durch deutsche Unternehmen unnötig
schwer. Der Entwurf enthält offensichtlich auch Verordnungsermächtigungen, deren Konsequenzen heute überhaupt nicht absehbar sind.
({7})
Sie von Rot-Grün behindern die Umsetzung dieser
Möglichkeiten, die nicht nur Deutschland, sondern auch
den Entwicklungsländern helfen würden, wirtschaftlich
optimierten Klimaschutz zu betreiben.
({8})
Der Grund für dieses neuerliche Versagen, Frau
Probst, ist das tiefe Misstrauen, das Ihre Bundesregierung gegenüber marktwirtschaftlichen Mechanismen
hegt. Marktwirtschaftlichem Klimaschutz werden wieder einmal Steine in den Weg gelegt.
({9})
Das bedeutet nichts anderes, als dass Sie Geld verschenken, mit dem man einen besseren Klimaschutz betreiben
könnte; denn wir geben jetzt mehr Geld aus, als es angesichts des Effekts wirtschaftlich notwendig wäre.
({10})
Die FDP fordert Sie deshalb auf, endlich ein Artikelgesetz in den Deutschen Bundestag einzubringen und sicherzustellen, dass Gutschriften aus klimarelevanten Investitionsprojekten so schnell wie möglich in den
Emissionshandel in Deutschland einbezogen werden
können. Machen Sie den Weg frei für klimarelevante Investitionsprojekte in den Entwicklungsländern gemeinsam mit Deutschland, damit wir kostenoptimiert beim
Klimaschutz vorankommen!
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Reinhard Loske.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst einmal ist zu betonen, dass es von großer Bedeutung ist, dass das Kioto-Protokoll seit dem
16. Februar dieses Jahres in Kraft ist. Das ist eine historische Zäsur in der globalen Klimapolitik, es ist gewissermaßen eine Wasserscheide. Es trägt entscheidend
dazu bei, dass wir die projektbezogenen Mechanismen,
über die wir heute reden, überhaupt nutzen können. Wir
sind uns alle klar darüber, dass das Kioto-Protokoll nur
ein erster kleiner und ganz und gar unzureichender
Schritt ist. Es muss wesentlich mehr geschehen, sowohl
international und europaweit als auch national.
Zur Erreichung der Kioto-Ziele und für ihre Weiterentwicklung brauchen wir auf internationaler Ebene
- das ist ein zentraler Punkt - Vereinbarungen über weiter gehende Reduktionsziele. Ich habe mich sehr darüber
gefreut, dass die EU auf ihrem Frühjahrsgipfel ein wichtiges Signal gesetzt hat. Es muss sehr bald eine verbindliche Festlegung der Europäischen Union geben, den
Ausstoß von klimaverändernden Spurengasen bis 2020
um 30 Prozent zu reduzieren. Die Bundesrepublik
Deutschland muss ihren Ausstoß im gleichen Zeitraum
um 40 Prozent senken.
({0})
Ganz besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang,
dass wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien, bei
der Energieeinsparung und bei der Energieeffizienz Verbesserungen vornehmen, und zwar in allen Bereichen,
beim Verkehr, bei den Haushalten, der Industrie und der
Energiewirtschaft.
Auf europäischer Ebene kommt es jetzt stark darauf
an, dass der Emissionshandel endlich beginnt. Der Start
zum Jahresbeginn war durchaus vielversprechend. Der
Markt entwickelt sich und wir erwarten und hoffen, dass
sich das Instrument tatsächlich als so effizient und erfolgreich erweist, wie es dies theoretisch sein könnte.
Wir müssen diese Entwicklung beobachten und das Instrument im EU-Maßstab weiterentwickeln.
Dazu - jetzt komme ich zum Thema - gehören auch
die Mechanismen JI und CDM, Joint Implementation
und Clean Development Mechanism, die bedeuten
- das sollte man vielleicht einmal auf gut Deutsch
erklären -, dass man einen Teil seiner Minderungsverpflichtungen, die man eigentlich im eigenen Lande erbringen müsste, auch außerhalb der eigenen Landesgrenzen erbringen darf, etwa in Entwicklungsländern oder in
den Staaten Mittel- und Osteuropas. Das ist der tragende
Gedanke dieser beiden Mechanismen. Die Idee, die dahinter steht, ist, dass man Klimaschutz dort realisieren
soll, wo es am kostengünstigsten ist. Das ist theoretisch
eine gute Idee. Aber in der Praxis gibt es Pferdefüße, auf
die ich gleich zu sprechen komme.
Zunächst zur formalen Kritik der FDP bzw. der Opposition, die ich schon ein bisschen hanebüchen finde. Die
Richtlinie, über die wir heute reden, ist am 13. November 2004, also vor fünf Monaten, in Kraft getreten. Wir
bemühen uns, sie zügig umzusetzen und befinden uns
mitten im Verfahren. Nun müssen wir uns von CDU/
CSU und FDP anhören - ausgerechnet von den Leuten,
die die Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales
Recht bis 1998 ständig verschleppt haben; teilweise laborieren wir heute noch an den Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof -,
({1})
es gehe nicht schnell genug. Das ist falsch und inakzeptabel.
({2})
Herr Kollege Kauch, diese Richtlinie ist vor fünf Monaten in Kraft getreten. Bleiben Sie also auf dem Teppich!
Denn sonst glaubt Ihnen kein Mensch mehr.
Wir sind für die Nutzung der projektbezogenen Mechanismen. Sie bieten, wie schon zur Sprache kam, eine
gute Chance, einen Beitrag zum Klimaschutz, zum Technologietransfer - auch das ist ganz wichtig - und zur
Förderung nachhaltiger Entwicklung in den Entwicklungsländern zu leisten. Dafür bietet die EU-Richtlinie
gute Ansatzpunkte.
Zweierlei muss klar sein. Erstens. Wir müssen unsere
Hausaufgaben machen und die Klimaschutzziele, die wir
uns vorgenommen haben, im Wesentlichen innerhalb unserer eigenen Landesgrenzen erreichen.
({3})
Das ist sinnvoll, weil es technologiepolitisch nicht nur
darum gehen kann, unsere heutige Technologie auf den
Rest der Welt zu übertragen - das wäre nicht
zukunftsfähig -, sondern weil auch Innovationen in unserem Lande vorangebracht sowie neue Technologien
und Verfahren entwickelt werden müssen.
({4})
Denn wir müssen mit diesen Technologien auf den Weltmärkten von morgen präsent sein.
({5})
Deswegen ist eine reine Kostenfixierung, wie Sie sie
propagieren, völlig falsch; das muss man ganz klar sagen. Es geht auch um neue Technologien. Das ist der
erste wichtige Aspekt.
Zweitens. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass an
die Projektmechanismen CDM und JI auch qualitative
Maßstäbe angelegt werden. Deswegen sind wir froh darüber, dass in der EU-Richtlinie festgeschrieben ist, dass
zum Beispiel, was einige von Ihnen nicht wollen, keine
Atomprojekte gefördert werden sollen.
({6})
Auch ist wichtig, dass keine Senkenprojekte gefördert werden können. Wir müssen den Wald seiner selbst
wegen schützen und dürfen ihn nicht zu einer reinen
CO2-Senke degradieren.
({7})
Ebenfalls wichtig ist, dass, wenn es um große Staudämme und Wasserkraftwerke geht, klare ökologische
Kriterien herangezogen werden, wie sie die Weltkommission für Dämme entwickelt hat, damit keine unverhältnismäßigen Umwelteingriffe stattfinden.
({8})
Von solchen qualitativen Kriterien, die wir wollen, hört
man bei Ihnen kaum etwas; das muss ich Ihnen schon
einmal sagen.
({9})
Ich komme zum Schluss. Wir wollen diese Mechanismen nutzen und werden sehr bald eine entsprechende
Vorlage erarbeiten. Wir wollen sie qualitativ ausgestalten. Sie müssen klaren ökologischen Kriterien genügen.
Gleichzeitig wollen wir sie begrenzen, weil wir glauben,
dass wir bei uns technische Innovationen voranbringen
können. Wir haben die Kraft dazu. Dann haben wir die
Chance, auf den Weltmärkten der Zukunft ganz vorne zu
sein.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Franz Obermeier.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Herr
Kelber, quantitative Anwesenheit sollten Sie nicht mit
Qualität verwechseln.
({0})
Zu Ihrer Einlassung, die nur wenige Sekunden dauerte, möchte ich nur Folgendes sagen: Das, was Sie sich
heute bei diesem wichtigen Thema geleistet haben,
grenzt an Arbeitsverweigerung, zumindest aber an
Pflichtverletzung eines Parlamentariers, dessen Aufgabe es ist, die Regierung zu kontrollieren.
({1})
Sie sollten wissen, dass unser Antrag nichts anderes
zum Ziel hat, als die Bundesregierung anzutreiben, die
Verbindungsrichtlinie in unserem Land möglichst rasch
umzusetzen. Ich möchte ausführen, warum das so wichtig ist. Bei der EU-Verbindungsrichtlinie wiederholt
sich, was die Regierungspolitik bei der Umsetzung von
Richtlinien wie ein Schimmel durchzieht: Eine EURichtlinie wird zunächst einmal beiseite gelegt. Erst
wenn kurz vor dem „Verfallsdatum“ ein Klageverfahren
vor der Tür steht, wird im Eilverfahren ein Gesetzentwurf vorgelegt, handwerkliche Fehler inklusive. Regelmäßig geht die Umsetzung in Deutschland dann weit
über die EU-Vorgaben hinaus; die Gesetze werden im
Überregulierungseifer zusätzlich befrachtet. Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und zusätzliche Belastungen deutscher Unternehmen im Vergleich zu ihren Konkurrenten in anderen EU-Staaten
spielen dann keine Rolle mehr. Planungssicherheit für
Unternehmen? - Fehlanzeige! Viele Umsetzungen in nationales Recht halten einer späteren gerichtlichen Überprüfung nicht stand.
({2})
Doch die Betriebe müssen erst einmal danach handeln,
wodurch ihnen hohe Kosten entstehen. Das ist eine weitere Schubkraft für die Verlagerung von Betrieben ins
Ausland.
Gebetsmühlenartig muss die rot-grüne Koalition von
uns dazu animiert werden, doch endlich mit der Umsetzung von EU-Recht zu beginnen. Das zeigt vor allem eines: die innere Zerrissenheit dieser Koalition,
({3})
die sich regelmäßig in Ressortabstimmungen verliert.
Auch wenn es wehtut, möchte ich dem Zwischenrufer
nur die Novelle zum Fluglärmgesetz in Erinnerung rufen.
({4})
Heute geht es darum, dass auch deutsche Unternehmen endlich die Möglichkeit bekommen, sich im Rahmen des EU-Emissionshandels CDM-Zertifikate anrechnen zu lassen. Das ist seit 1. Januar 2005
grundsätzlich möglich, nur in Deutschland eben nicht;
denn unsere Regierung hat es wieder einmal nicht geschafft, rechtzeitig tätig zu werden und die EU-Verbindungsrichtlinie, die so genannte Linking Directive, die
seit dem 13. November vergangenen Jahres in Kraft ist,
umzusetzen. Zum Start des Handels mit Emissionsrechten in Europa Anfang des Jahres lag der Preis pro Tonne
CO2 bei rund 7 Euro. Doch im März schnellte er auf
mehr als 16 Euro hoch. Das zeigt: Wir brauchen dringend eine Erhöhung der Zahl verfügbarer EU-Emissionsrechte; wir brauchen ein genügend großes Handelsvolumen. Wir brauchen die Nutzung aller flexiblen
Instrumente: Emissionshandel, Joint Implementation,
Clean Development Mechanism. Denn nur so kann der
hohe Preis etwas reduziert werden. Ansonsten haben wir
auf Dauer ein im Verhältnis zur Nachfrage zu geringes
Angebot. Das treibt bekanntermaßen den Preis in die
Höhe, und zwar ohne zusätzlichen Nutzen für den Klimaschutz.
({5})
Hier wurde so getan, als würden wir die Umsetzung
zu früh anschieben. Ich möchte zu bedenken geben, dass
die Regierung der Niederlande, die es bekanntermaßen
sehr schwer hat, ihr Reduktionsziel von 6 Prozent einzuhalten, bereits jetzt auf dem Markt tätig wird und kostengünstig Emissionsrechte aus JI- und CDM-Projekten
einkauft.
({6})
Die Niederländer haben es ebenso wie die Österreicher
bereits geschafft, zwischenstaatliche Abkommen über
die Anerkennung von Klimaschutzprojekten ihrer Unternehmen im Ausland abzuschließen.
({7})
Unsere Regierung übt sich hier in der Kunst des Stillstands. Warum sollte die Bundesrepublik Deutschland
nicht den Weg gehen, ihre ehrgeizigen Ausstoßminderungsziele des Burden-Sharing-Agreements durch den
internationalen Emissionshandel kostengünstig zu erreichen?
({8})
Entscheidend ist doch allein die Erreichung der Klimaschutzziele, die Verringerung von Treibhausgasemissionen.
({9})
Wir haben nur ein weltumspannendes Klima. Es kommt
also nur darauf an, dass weniger CO2 ausgestoßen wird,
egal in welchem Land. Das heißt, Klimaschutzleistungen müssen nicht nur bei uns im Land erbracht werden.
Ich gehe sogar so weit und sage, dass es auch aus ökonomischen Gründen besonders sinnvoll ist, dies dort zu
tun, wo die Umweltschutzbestimmungen noch nicht so
streng sind wie bei uns, also dort, wo alte Anlagen modernisiert
({10})
oder durch neue Anlagen gemäß dem Stand der Technik
ersetzt werden müssen, kurzum dort, wo die klimapolitischen Potenziale besonders hoch sind.
({11})
Herr Dr. Loske, ich teile Ihre Auffassung, dass wir die
Potenziale im Inland so weit wie möglich nutzen müssen.
({12})
Wir sind offen für Innovationen, die dem Erreichen der
Reduktionsziele dienen. Nebenbei aber dürfen wir nicht
vergessen, dass wir auch die Fragen zu beantworten haben, wie wir dem Leitbild der Nachhaltigkeit sowie sowohl den ökologischen als auch den ökonomischen und
sozialen Belangen in unserem Land gerecht werden können.
({13})
Deswegen müssen wir sowohl im Inland unsere Pflichten erledigen als auch den Blick auf die Kioto-Mechanismen richten und möglichst frühzeitig dafür sorgen, dass
das Volumen des Handels mit Kioto-Zertifikaten möglichst groß ist, damit sich ein gerechter Preis entwickeln
kann, der für unsere Unternehmen nicht zu große Nachteile bringt.
({14})
Lassen Sie mich zum Abschluss zusammenfassen.
({15})
Wir fordern die Bundesregierung aus diesen Gründen
auf: Setzen Sie die EU-Verbindungsrichtlinie so schnell
wie möglich um, überschreiten Sie dabei aber nicht die
europäischen Vorgaben! Vermeiden Sie unnötige Bürokratie!
({16})
Werden Sie endlich aktiv! Ergreifen Sie alle notwendigen Maßnahmen, damit handelbare CO2-Zertifikate und
alle Instrumente des Kioto-Protokolls schnellstmöglich
in das europäische System einbezogen werden! Flankieren Sie die Anstrengungen der Wirtschaft durch zwischenstaatliche Abkommen! Leisten Sie politische Überzeugungsarbeit und unterstützen Sie Investitionsprojekte
im internationalen Kontext!
Herzlichen Dank.
({17})
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/4389 und 15/4848 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Sind Sie einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung telekommunikationsrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 15/5213 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({0})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Die Abgeordneten Zöllmer, Heil, Krogmann, Heinen
und Funke sowie der Parlamentarische Staatssekretär
Rezzo Schlauch haben gebeten, ihre Reden zu Protokoll
geben zu dürfen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist
der Fall. Dann verfahren wir so.1)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/5213 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk
Niebel, Rainer Brüderle, Daniel Bahr ({1}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Reform des Tarifvertragsrechts zur Sicherung
betrieblicher Bündnisse für Arbeit
- Drucksache 15/2861 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({2})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Nachdem es hier hin und her ging, frage ich jetzt, ob
alle reden werden. - Das habe ich demnach richtig verstanden.
Als Erstes gebe ich dem Abgeordneten Dirk Niebel
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir debattieren heute über den Antrag der FDP-
Bundestagsfraktion zur Reform des Tarifrechts zur Si-
cherung betrieblicher Bündnisse für Arbeit. Wir haben
ihn eingebracht, weil wir eingesehen haben, dass unser
bisher geltendes Recht nicht dazu geführt hat, dass die
Menschen entsprechend ihrer Produktivität entlohnt
werden und einen gesicherten Arbeitsplatz haben, son-
dern dazu, dass sie vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen
werden.
1) Anlage 2
({0})
Wir sind der tiefen Überzeugung, dass Belegschaft
und Betriebsleitung oder Betriebsrat und Unternehmensleitung, wenn sie zu dem Ergebnis kommen, dass sie
aufgrund der Situation in ihrem Betrieb andere Wege gehen müssen als die im Flächentarifvertrag vorgeschriebenen, um ihre Lebens-, Arbeits- und Zukunftschancen
zu sichern, diese Chance erhalten sollten, ohne dass
irgendein Funktionär - sei es von einem Arbeitgeberverband, sei es von einer Gewerkschaft - dagegen vorgehen
kann.
({1})
Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion über
Mindestlöhne möchte ich noch einmal ganz besonders
auf die Bedeutung dieses Antrags hinweisen. Woher
kommt die hohe Sockelarbeitslosigkeit in Deutschland?
Sie kommt daher, weil in den vergangenen Jahrzehnten
die Sockellöhne in Deutschland überproportional erhöht
worden sind.
({2})
Dadurch, dass besonders die Vergütung unterer Tariflohngruppen angehoben worden ist, sind gerade gering
qualifizierte Menschen aus dem Erwerbsprozess herausgedrängt worden. Ihnen ist faktisch der Arbeitsmarkt
verschlossen worden.
Wenn wir Menschen die Chance eröffnen wollen,
wieder in den Erwerbsprozess zurückzukehren, dann
müssen wir über die Frage nachdenken: Wann wird ein
Arbeitsplatz überhaupt geschaffen? Er wird in aller Regel erst einmal nur geschaffen, wenn es Aufträge gibt.
Das heißt, die Rahmenbedingungen der Wirtschafts- und
Arbeitsmarktpolitik insgesamt müssen verbessert werden. Aber ein Arbeitsplatz wird auch nur dann geschaffen, wenn er die Kosten des Arbeitsplatzes zumindest
wieder hereinholt. Kein Unternehmer kann es sich leisten, einen Arbeitsplatz anzubieten, der die Kosten nicht
deckt und nicht vorzugsweise noch einen minimalen Gewinn mit sich bringt. Zumindest die Kosten müssen gedeckt sein.
({3})
- Auch der Staat kann sich das nicht leisten. Das sehen
wir, wenn wir uns die Finanzen des Staates ansehen.
({4})
Deswegen müssen wir Menschen die Chance geben,
wieder in den Erwerbsprozess hineinzukommen.
({5})
Wir wissen, dass man ein gewisses Maß an Einkommen benötigt, um in einem Hochlohnland, einem Land
mit hohen Lebenshaltungskosten, menschenwürdig leben zu können. Deswegen wissen wir auch, dass der
Staat und die Allgemeinheit gerade in geringer produktiven Bereichen flankierend eingreifen müssen. Wenn wir
bereit sind, die Erkenntnis anzunehmen, dass wir in
Deutschland schon eine Dauersubventionierung in Form
von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe haben, dann
können wir auch anerkennen, dass es sinnvoll ist, wenn
man Menschen, produktivitätsorientiert bezahlt, in den
Erwerbsprozess zurückführt und dies durch einen Zuschuss existenzsichernd ausgestaltet, damit man mehr
hat, wenn man arbeitet, als wenn man nicht arbeitet.
Nicht mehr und nicht weniger wollen wir.
({6})
Wir wollen im Rahmen der Möglichkeiten, die es für
die Betriebe gibt, flexibel zu reagieren, gleichzeitig dafür sorgen, dass wieder Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt werden, die in der Vergangenheit schlicht und einfach wegrationalisiert worden sind, weil sie zu teuer
wurden. Ich nenne gerne ein Beispiel. Es hinkt wie alle
anderen Beispiele auch, aber es verdeutlicht, was das
Ziel ist.
Früher gab es in mittleren und größeren Betrieben
eine Art Faktotum. Das war jemand, der den Hof gekehrt, ein Möbelstück von A nach B getragen, Schrauben nachgezogen und ähnliche Arbeiten verrichtet hat.
Ein solches Faktotum kann, wenn man ehrlich ist, im
besten Fall produktivitätsorientiert 5 Euro verdienen.
Herr Beck, davon können auch Sie in diesem Land nicht
leben. Aber es ist doch sinnvoll, einem Menschen als
Faktotum die Chance zu geben, durch eigene Leistungen
einen Teil seines Lebensunterhaltes zu erarbeiten und
durch einen Teil eingesparter Transferleistungen das
Ganze existenzsichernd auszugestalten, als auf der anderen Seite diesen Menschen zu 100 Prozent zu alimentieren. Das hat auch etwas mit der Würde des Betroffenen
zu tun.
({7})
In einer arbeitsteiligen Gesellschaft bedeutet es, einen
Menschen auszugrenzen, wenn man den Arbeitsmarkt
durch tarifvertragliche Regelungen verschließt und ihm
so die Chance zur Teilhabe nimmt. Man nimmt ihm so
die Möglichkeit, als wertvoller Bestandteil dieser Gesellschaft zu seinem eigenen Lebensunterhalt beizutragen. Das bedeutet in der Konsequenz mehr Kosten für
die Allgemeinheit. Deswegen ist es nicht an der Zeit,
sich aus ideologischen Gründen möglichen Verbesserungen im Arbeitsmarkt zu verschließen. Vielmehr ist nun
angezeigt, endlich zu sagen: Die Menschen sollen ihre
Interessen vertreten und ihr Leben in die Hand nehmen
können, wenn sie das wollen und sich das zutrauen.
Ihre Handlungsmöglichkeiten sind nicht so eingeschränkt, wie Sie uns das manchmal weismachen wollen. Als Gesetzgeber sind Sie durchaus in der Lage, das
Günstigkeitsprinzip und das Tarifvertragsgesetz zu ändern. Geben Sie sich einen Ruck und helfen Sie den
Menschen, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren, damit
sie eine Chance erhalten!
Vielen Dank.
({8})
Die Rede der Kollegin Anette Kramme von der SPD-
Fraktion nehmen wir zu Protokoll. Sie liegt uns bereits
vor.1)
Dann hat jetzt der Kollege Laurenz Meyer von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Hintergrund der Diskussion ist eindeutig und
die Lage braucht nicht beschrieben zu werden. Ich begrüße den FDP-Antrag, weil er genau auf der Linie unseres Zehnpunkteprogramms liegt. Wir sind uns völlig darüber einig, dass wir etwas tun müssen, weil sonst die
Entwicklung aus Konkursen und Abwanderungen immer
weitergeht. Wenn wir nicht wirklich Bewegung in die
Tariflandschaft bringen, dann werden wir bei der Steigerung des Wirtschaftswachstums und bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit keinen Erfolg haben. Der FDPAntrag ist also wichtig. Rot-Grün war 2003 - das muss
ich ganz klar sagen - schon weiter als heute. 2003 war
man noch der Meinung, wenn sich die Tarifpartner nicht
selber einigen könnten, sei es notwendig, gesetzliche Regelungen zu treffen, um mehr Flexibilität zu erreichen.
({0})
Freiwillige Regelungen sind eben nicht zustande gekom-
men. Das ist die Situation, die wir haben und vor deren
Hintergrund wir handeln müssen.
Wir wollen - da besteht sicherlich ein Unterschied
zwischen uns und der Diktion des FDP-Antrags - Flä-
chentarifverträge erhalten. Wir wollen die Flächenta-
rifverträge nicht abschaffen, sondern wir wollen Flexibi-
lität schaffen. Ich bin davon überzeugt, dass das eher die
Arbeitszeiten als die Löhne betreffen wird; denn bei qua-
lifizierten Arbeitnehmern wird es gar nicht zu Lohndum-
ping kommen, wie das gelegentlich aus den Reihen der
Koalition behauptet wird. Qualifizierte Arbeitnehmer
würden sofort abwandern, wenn man sich grundsätzlich
von Flächentarifverträgen verabschieden würde. Deswe-
gen wollen wir das auch nicht.
Ich möchte als Beispiel den mit der IG Metall ge-
schlossenen Tarifvertrag aus dem letzten Jahr anführen.
Es ist doch ganz eindeutig, dass einige Große den Flä-
chentarifvertrag beschlossen haben, der Auswirkungen
auf ganz Deutschland gehabt hat. Die Zulieferer der Au-
tomobilhersteller und der großen Firmen mussten an-
schließend die Suppe auslöffeln. Sie haben die Arbeits-
plätze in die Beitrittsländer Osteuropas verlagert. Die
Folgen waren für die Arbeitnehmer in Deutschland zu
spüren. Deswegen brauchen wir gerade für die kleinen
und mittleren Betriebe mehr Flexibilität. Die großen Un-
ternehmen können sich zur Not mit der jeweiligen Ge-
werkschaft einigen. Bei den kleinen und mittleren Unter-
nehmen gibt es vielfach die Schwierigkeit, dass die
Funktionäre von außen hineinreden wollen, selbst wenn
1) Anlage 3
Laurenz Meyer ({1})
die Betriebsräte und die Arbeitnehmer etwas ganz anderes wollen.
({2})
Es gibt im Moment vielfach illegale Verhältnisse in
Deutschland. In vielen Betrieben wird von den Tarifverträgen im Einverständnis mit den Arbeitnehmervertretern und den Betriebsräten abgewichen, ohne dass das
rechtlich eindeutig geklärt wäre. Um diese Zustände zu
beseitigen, sollten wir handeln und die entsprechenden
Maßnahmen ergreifen. Dass die Koalition dazu überhaupt nicht bereit ist, zeigt, dass sie den Menschen in
diesem Land nichts zutraut
({3})
und dass sie nicht bereit ist, ihnen Verantwortung zu geben für das, was vor Ort passiert. Sie traut Funktionären
mehr zu als den Arbeitnehmern in den Betrieben. Das ist
genau der Unterschied, der zwischen uns besteht. Wir
trauen den Menschen mehr zu.
({4})
Deshalb muss das Kriterium, dass Arbeitsplätze erhalten bzw. geschaffen werden, eingebaut werden, und
zwar sowohl in die Tarifvertragsgesetze als auch in das
Betriebsverfassungsgesetz. Wir haben beschlossen, dass
wir qualifizierte Mehrheiten bei Betriebsräten und
Arbeitnehmern wollen. Das ist unsere Position. Insofern glaube ich schon, dass wir uns - bei einigen kleineren Korrekturen - auf den FDP-Antrag einigen könnten.
Über die Diktion gegen die Flächentarifverträge insgesamt und das, was die Nachlauffristen usw. angeht,
müsste man reden.
Was Herr Müntefering in diesen Tagen vorgetragen
hat, zeigt, dass die SPD in ihrer Not ganz offensichtlich
versucht, einen völlig anderen Kurs einzuschlagen. Zumindest blinkt sie, als ob sie einen anderen Kurs einschlagen wollte.
({5})
Sie werden aber trotzdem wieder geradeaus und wie in
der Vergangenheit leider voll vor den Baum fahren. Das
ist die Situation, wie sie zurzeit ist und an der Sie offensichtlich nichts ändern wollen. Wir werden weiterhin auf
Änderungen bestehen und halten das im Interesse der
Menschen und der Arbeitsplätze für richtig.
Vielen Dank.
({6})
Die Rede des Kollegen Markus Kurth vom
Bündnis 90/Die Grünen nehmen wir ebenfalls zu Proto-
koll.1)
1) Anlage 3
Damit kommen wir zur Rede des Kollegen Matthäus
Strebl von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Allen in diesem Hause müsste klar sein, dass in
Deutschland dringend Änderungen erforderlich sind.
Denn Deutschland hat mit den 5,2 Millionen Arbeitslosen die schlechteste Arbeitsmarktbilanz in ganz Europa,
das geringste Wirtschaftswachstum in Europa und die
niedrigsten öffentlichen Investitionen seit der Gründung
der Bundesrepublik und ist mit seinen Rekordschulden
der Hauptsünder im Verstoßen gegen den europäischen
Stabilitätspakt. Deutschland, einst die Lokomotive in der
Europäischen Union, ist jetzt unter der rot-grünen Regierungsverantwortung der Bremser.
Vor allem die Schwindel erregende Situation auf dem
Arbeitsmarkt lähmt die deutsche Wirtschaft. Dennoch
verfolgt die Bundesregierung nicht einen einzigen effektiven Ansatz, um den Abwärtstrend zu stoppen. Auf die
deutsche Bevölkerung kam in den vergangenen Jahren
zwar eine enorme Flut von politischen Maßnahmen zu,
doch leider sind diese wirkungslos geblieben.
Der Kanzler hat mit seiner Regierungserklärung vor
vier Wochen - am 17. März - keine Antwort auf die bisherige Misere gegeben. Er hätte die Rede auch zu Protokoll geben können. Wichtige Strukturreformen wie eine
durchgreifende Flexibilisierung am Arbeitsmarkt und
ein radikaler Abbau der überbordenden Bürokratie sind
bisher unterblieben.
Es geht nicht an, dass immer mehr Arbeitgeber die
Tarifflucht ins Ausland antreten, illegale Arbeitskräfte
aus dem Ausland holen oder immer mehr Arbeitsplätze
abbauen. Vor allem Änderungen im Tarifvertragsrecht
und im Arbeitsrecht können dazu beitragen, die Arbeitsmarktsituation in Deutschland zu verbessern.
Die FDP-Fraktion hat in ihrem Antrag zu Recht festgestellt, dass eine Abkehr von einer starren Regulierung
zugunsten von mehr Flexibilität notwendig ist. Die Tarifpolitik ist nach den Grundsätzen der Subsidiarität und
Solidarität zu betreiben. Die Subsidiarität beinhaltet für
uns die Notwendigkeit, betriebliche Bündnisse für Arbeit zu fördern. Denn die Beschäftigten in von Insolvenz
bedrohten Betrieben können am besten erkennen, mit
welchen Instrumenten die Insolvenz abgewendet werden
kann.
Wichtig sind auch tarifvertragliche Öffnungsklauseln. Denn sie geben den Tarifpartnern die nötigen Gestaltungsspielräume, um effektive Regelungen im Sinne
von Betrieb und Arbeitnehmern zu schaffen. Es ist besser, durch solche flexiblen Lösungen Arbeitsplätze zu erhalten, statt durch das Festhalten an alten Rechten Beschäftigung abzubauen.
Doch leider sind nicht alle Punkte im FDP-Antrag zustimmungsfähig. Eine totale Aushebelung des Tarifvertragsrechts, wie sie die FDP mit der Änderung von
§ 77 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes vorsieht, ist
nicht im Sinne der Arbeitnehmer und vor allem der Arbeitgeber. Daher wäre es fatal, wenn vom Flächentarifvertrag abweichende Vereinbarungen auf betrieblicher
Ebene zwischen Unternehmen und Belegschaftsvertretungen unter den genannten Voraussetzungen der FDP
möglich sein sollten. Dann nämlich drohten Tarifverhandlungen und Arbeitskampf nur noch im Betrieb stattzufinden.
Für mich steht fest: Die Tarifautonomie muss nach
wie vor unantastbar sein. Die Tarifpartner haben nur in
Einzelfällen Vorrang, wenn es um die Sicherung von Beschäftigung geht.
Auch eine komplette Abschaffung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung ist nicht wünschenswert. So ist
die Allgemeinverbindlichkeitserklärung ein gutes Mittel,
um übergreifend eine gewisse Lohnstruktur festzulegen.
Gerade im Hinblick auf die derzeitige Diskussion um
Billiglöhne sind sie von elementarer Wichtigkeit. So
wäre zum Beispiel im Bereich der Gebäudereiniger ohne
eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung Lohndumping
bald gang und gäbe.
Auch wenn der FDP-Antrag Ansätze aufzeigt, um
Deutschland zu reformieren, bedarf es noch ganz anderer Reformen, um unser Land wieder auf Vordermann zu
bringen.
({0})
Die CDU/CSU hat mit dem „Pakt für Deutschland“
ihre Pläne vorgelegt.
({1})
Nun ist die Bundesregierung gefordert, ihre strukturellen
Reformen vorzulegen und durchzusetzen.
({2})
Es kann nicht sein, dass die Agenda 2010 alles gewesen
ist, wie es Kanzler Schröder bereits zum Jahreswechsel 2004/2005 angedeutet hat, indem er sagte: „Wir haben jedenfalls unser Möglichstes zur Reduzierung der
Arbeitslosigkeit getan.“
({3})
Dies kann man im „Stern“ vom 30. Dezember 2004
nachlesen. Wenn die Agenda 2010 alles gewesen sein
soll, was von der Bundesregierung kommt, dann wird
Rot-Grün bis zum Jahr 2010 Deutschland längst in den
Bankrott getrieben haben.
({4})
- Kollege Schauerte, Sie haben Recht. - Aber vorher
werden wir diese Regierung ablösen.
Herzlichen Dank.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/2861 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der FDP
Die aktuelle Werbekampagne der Ruhrkohle
AG vor dem Hintergrund der von der Bundesregierung aus dem Bundeshaushalt in Milliardenhöhe gewährten Steinkohlensubventionen
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Professor Andreas Pinkwart von der
FDP-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Auf unseren Antrag hin debattieren wir heute
über eine Werbekampagne der RAG-Tochter Deutsche
Steinkohle AG - abgedruckt im „Spiegel“ dieser
Woche -, die mit dem Slogan „Kohle glänzt nicht, aber
sie wärmt“ wirbt. Nun gilt in unserem Land - gerade für
Liberale - das unbestrittene Recht auf Werbefreiheit. Es
handelt sich aus unserer Sicht hier jedoch um einen unerhörten Vorgang, der der parlamentarischen Aufklärung
bedarf.
({0})
Denn während Herr Müntefering öffentlich gegen die
Macht der Konzerne zu Felde zieht, tritt hier ein hoch
subventionierter Monopolist auf und macht zum wiederholten Male mit Millionenaufwand Propaganda für die
Dauersubventionierung eines Industriezweiges, der nach
mehrheitlicher Meinung der Bevölkerung ein Auslaufmodell ist und nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag
weiter gefördert werden darf.
({1})
Darüber hinaus ist bis heute nicht geklärt, ob und in
welchem Umfange die bisherigen Kampagnen von DSK
und RAG aus Steuergeldern finanziert werden. Daher
gilt unser Interesse der Kostenprüfung der Zuwendungsbescheide durch das Bundeswirtschaftsministerium bzw.
das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle.
({2})
Im Rahmen der Abrechnung ist zu klären, ob in den Gemeinkosten Gelder für die jetzige Kampagne genauso
wie für Vorgängerkampagnen enthalten sind bzw. wie sichergestellt wird, dass die öffentlichen Subventionen
nicht für die Durchführung derartiger Lobbykampagnen
genutzt werden.
({3})
Es geht uns dabei sowohl um eine politische als auch um
eine rechtliche Klärung, ob in diesem Falle ein Subventionsmissbrauch vorliegt und, wenn ja, wie dem künftig
wirksam begegnet werden kann.
({4})
Wir sehen der hierzu von uns erbetenen Stellungnahme
des Bundesrechnungshofes mit großem Interesse entgegen.
({5})
Solange diese Fragen nicht zweifelsfrei geklärt sind,
stellt sich für uns im Parlament natürlich die Frage, wen
diese fortgesetzte Kampagne von RAG und DSK wirklich wärmen soll.
({6})
Die Faktenlage zur Wirksamkeit der Steinkohlensubventionen in unserem Land und zu den Rahmenbedingungen
ist jedenfalls alles andere als erwärmend. Jede Tonne
Steinkohle wird in Höhe von mehr als 50 Prozent der
Kosten subventioniert, mithin jeder Arbeitsplatz mit
50 000 Euro pro Jahr. Die Subventionen werden mit immer größeren Kraftanstrengungen aus den hoch verschuldeten Haushalten des Bundes und des Landes
Nordrhein-Westfalen aufgebracht. Allein das Land Nordrhein-Westfalen zahlt jährlich mehr als eine halbe Milliarde Euro für die Steinkohlensubventionen. Gleichzeitig fallen nach Angaben der nordrhein-westfälischen
Landesregierung über 5 Millionen Unterrichtsstunden
pro Jahr aus, weil das bevölkerungsreichste Bundesland
angeblich nicht genügend Geld für Bildung aufbringen
kann.
({7})
Dabei garantiert die Steinkohle - anders als es in der
Anzeige suggeriert wird - längst keine zukunftsfeste
Jobperspektive mehr.
({8})
So ist es das erklärte Ziel selbst der rot-grünen Bundesregierung, die Anzahl der Beschäftigten von circa
42 000 auf 20 000 zurückzuführen. Dabei bestehen begründete Zweifel hinsichtlich der Bereitschaft der EUKommission, die Subventionsgenehmigung über 2010
hinaus zu verlängern.
Frankreich, unser Nachbar, hat nicht ohne Grund bereits vor einem Jahr die letzte Tonne Steinkohle gefördert. Dort, in unserem Nachbarland, hat man nämlich erkannt, dass die Steinkohle keine Zukunft haben wird.
({9})
Eine künstliche Verlängerung des Steinkohlenbergbaus nützt auch den Bergbauregionen nicht. Vielmehr
wird in der bisherigen Politik des Strukturwandels, die
maßgeblich in der Konservierung und Historisierung des
Vergangenen bestand, eine Ursache für die wirtschaftlichen Probleme in diesen Regionen gesehen. Dies bestätigt in anderer Form auch ein Gutachten des Bundesumweltamtes. Es belegt, dass mit dem Einsatz der
entsprechenden Mittel in anderen Bereichen mehr Arbeitsplätze geschaffen werden könnten, als im Bergbau
verloren gehen.
({10})
Wir fordern die Bundesregierung daher auf, in dieser
konkreten Frage für Aufklärung zu sorgen. Sie ist auch
aufgefordert, mit der RAG ins Gespräch zu kommen, damit die RAG ihren gesellschaftspolitischen Beitrag dazu
leistet, den Menschen im Hinblick auf den sowieso nicht
aufhaltbaren Strukturwandel Mut zu machen. Das ist
besser, als die Menschen in diesem Land weiter in die
Irre zu führen.
({11})
Das Wort hat der Kollege Rolf Hempelmann von der
SPD-Fraktion.
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe
Kollegen! Der Titel dieser Aktuellen Stunde lautet:
Die aktuelle Werbekampagne der Ruhrkohle AG
vor dem Hintergrund der von der Bundesregierung
aus dem Bundeshaushalt in Milliardenhöhe gewährten Steinkohlensubventionen
Leider enthält schon diese Aussage zwei dicke Fehler:
Erstens. Die Ruhrkohle AG gibt es nicht mehr; es gibt
nur die RAG. Aber diese Kampagne wird nicht von der
RAG durchgeführt, sondern von der DSK.
({0})
Zweitens. Sie sprechen von den „von der Bundesregierung … gewährten Steinkohlensubventionen“. Der
Korrektheit halber wollen wir deutlich machen: Es handelt sich dabei um die von der 1997 im Amt befindlichen
Bundesregierung gewährten Subventionen. Wir erfüllen
nur die Verträge, die Sie geschlossen haben.
({1})
Ich möchte allerdings hinzufügen: Wir führen die Politik
einer degressiven Subvention des deutschen Steinkohlenbergbaus fort, und zwar aus den gleichen Gründen
wie zuvor Schwarz-Gelb.
Wir führen die Subventionen zum Beispiel deswegen
fort, weil eine Menge Arbeitsplätze in der Stahlherstellung von der deutschen Steinkohle abhängen, weil Zulieferbetriebe des deutschen Bergbaus und damit Beschäftigung in diesem Bereich von der deutschen Steinkohle
abhängen, natürlich weil es um zahlreiche Arbeitsplätze
im Bergbau selbst geht und - last, not least - weil wir die
Versorgungssicherheit angesichts steigender Rohstoffrisiken - die Preise für den Import von internationalen
Rohstoffen steigen und die heimischen Reserven werden
knapper - gewährleisten wollen.
({2})
Wenn ich mir die Kampagne der DSK anschaue, dann
frage ich mich: Worüber beschwert man sich eigentlich?
Man informiert über genau das, worum es Schwarz-Gelb
1997 ging und worum es uns heute geht: Die deutsche
Steinkohle ist ein Rohstoff; sie ist die Grundlage für
Koks; sie ist wichtig für die Stahlherstellung, für Tausende von Arbeitsplätzen, für Zulieferbetriebe des Bergbaus und auch für weltweit führende Technologien. All
das, was ich gerade angeführt habe, stand in Ihren Papieren und steht noch immer in unseren. Früher standen Sie
dazu; wir stehen dazu noch heute.
Es ist überhaupt nicht erkennbar, aus welchen Gründen man gegen diese Informationskampagne zu Felde
zieht, es sei denn, man will mit diesem Thema selbst auf
populistische Art und Weise Wahlkampf machen.
({3})
Übrigens: Auch andere hoch subventionierte Bereiche machen Eigenwerbung, zum Beispiel die deutsche
Landwirtschaft. Das ist auch in Ordnung so, finde ich.
({4})
Die Kampagne ist ausgesprochen sympathisch. Obendrüber steht: Deutschland hat Geschmack. - Ich stimme
dem zu.
Die FDP hat offenbar keinen Geschmack.
({5})
Sie führt eine Kampagne nach dem Motto „Kinder fördern statt Steinkohle“, eine Kampagne, die Bergleute
und ihre Familien diskriminiert und Anfeindungen aussetzt, eine Kampagne, die mit „schäbig“ noch nicht einmal angemessen beschrieben ist.
({6})
Die Steinkohlenförderung ging nie zulasten von Kindern, weder zu schwarz-gelben noch zu rot-grünen Zeiten.
({7})
Die Bundesregierung, denke ich, wird gleich auch
über die anderen Punkte aufklären, die Sie angesprochen
haben. Dass Spezialfirmen für den Bergbau Aufträge
ausführen, gibt es seit 20 Jahren. Das ist auch notwendig; denn es gibt Arbeiten, die nicht das ganze Jahr, sondern nur sporadisch anfallen. Dafür hält man nicht das
ganze Jahr eigenes Personal vor. Die Auftragsvergabe
geschieht nach europäisch vorgeschriebenen Vergabekriterien, gemäß der EU-Sektorrichtlinie, gemäß den Vergabebestimmungen, die durch das BMWA geprüft werden, und nach deutschem Subventionsrecht.
Man muss sich einmal vor Augen führen, dass am
Ende 1 Prozent der Aufträge, die hier vergeben werden,
ausländische Unternehmen betreffen. Das zeigt, welcher
Popanz von Ihnen hier aufgebaut wird.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat jetzt der Kollege Steffen Kampeter von
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir debattieren heute eine offensichtlich zweifelhafte Werbekampagne für einen Subventionsbereich
in der deutschen Wirtschaft. Die Ruhrkohle AG und die
nach- und zugeordneten Unternehmen beziehen mehr als
2,5 Milliarden Euro pro Jahr vom deutschen Steuerzahler. Es ist gut und richtig, finde ich, dass wir als Opposition hier darauf aufmerksam machen und prüfen, ob das
Geld auch richtig ausgegeben wird; denn es soll im Wesentlichen dazu dienen, den Wandel im deutschen Steinkohlenbergbau sozialverträglich zu gestalten; es soll
nicht dazu dienen, Arbeitsplätze in der Werbewirtschaft
zu erhalten. Das ist den Steinkohlenkumpeln nicht zuzumuten.
({0})
Lassen Sie mich auf eine bestimmte Dimension der
Werbekampagne hinweisen. Derjenige, der dort abgebildet ist, ist Marius Müller-Westernhagen. Er wirbt unter
dem Slogan „Kohle glänzt nicht, aber sie wärmt“ für die
deutsche Steinkohle. Ich war eigentlich immer der Auffassung, dass man Westernhagen vielleicht für LKWs
oder Whiskey werben lassen kann; mir ist seine Affinität
zur Kohle neu.
({1})
Ich bin sicher, dass die Kohle, die er dafür bekommen
hat, in seiner Tasche ganz schön glänzt.
Als ich in die Texte der Songs auf seiner neuen CD
geguckt habe, war mir klar, warum die Sozialdemokraten und die Ruhrkohle AG ihn ausgewählt haben, nämlich deshalb, weil er ein perfekter Interpret der derzeitigen Situation in der rot-grünen Koalition ist. Sein Song
„Gejammer“ geht wie folgt - das muss ihm von einem
rot-grünen Abgeordneten getextet worden sein -:
Du mit deinem ew’gen Gejammer
Ich kann diesen Weg mit dir nicht mehr gehn
Ich will nur noch weg
Weg, unser Boot hat ein Leck
Weg aus dieser Klammer
Weg, nichts wie weg von diesem klebrigen Fleck
Wir haben uns geliebt
Sprachlosigkeit ist, was uns blieb
Und dieses ew’ge Gejammer
Tot, mausetot die schöne Chemie
({2})
Wer hätte besser ausdrücken können, wie es denen da
drüben auf der linken Seite geht?
({3})
Die zukünftige Kohlepolitik bedarf keiner Hochglanzwerbung. Sie muss ehrlich sein, sie muss verlässlich sein und sie muss für alle Beteiligten bezahlbar sein.
Deswegen wird in der nächsten Zeit auch eine verlässliche Anschlussregelung für die Steinkohlenfinanzierung
gefunden werden. Sie hängt im Wesentlichen von einem
Datum ab, nämlich dem 22. Mai, dem Tag der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Ich hoffe, dass ab dann
eine Landesregierung dieses Land regiert, die mit dem
Geld besser umgehen kann als die Landesregierung, die
in Nordrhein-Westfalen 105 Milliarden Euro Schulden
aufgehäuft hat.
({4})
Klare Ansage in der Kohlepolitik ist, dass man den
Degressionskurs bei der Kohleförderung weiterfahren
muss.
Dies müssen die Beschäftigten und Unternehmen im
Bergbau auch frühzeitig erfahren, denn Aktionismus in
der Kohlepolitik ist ein erheblicher Unsicherheitsfaktor.
Wie sich Unsicherheit auswirkt, konnte man ja in dieser
Woche nachlesen. Was sich da im Bergbau zum Beispiel
mit Vertragsarbeitnehmern ereignet, ist nicht das, was
wir mit deutschen Steuergeldern subventionieren wollen.
({5})
Ziel ist - das ist, wie ich glaube, auch der Bundesregierung klar - eine weitere Degression. Wir wollen falsche Weichenstellungen im Bergbau vermeiden und ein
klares Signal für Degression geben. Bezüglich des Bergbaus sind jedoch in den letzten Monaten Fehlentscheidungen getroffen worden. Ich erinnere an eine Fehlentscheidung im Hinblick auf den Haushalt. Herr
Hempelmann hat hier eben gesagt, die SPD mache weiter bei der Degression. Degression steht ja hier als Synonym für sinkende Subventionen. Schauen wir uns das
einmal genauer an: Auf der einen Seite gibt es den Kohlekompromiss der Regierung Kohl. Er ist 1997 geschlossen worden und bringt Degression mit sich. Auf der anderen Seite haben Sie vor wenigen Monaten, anstatt den
Bergleuten zu sagen, man könne sich auf Dauer nicht
mehr leisten, die Kohlesubventionen auf dem hohen Niveau weiter laufen zu lassen, ein anderes Signal gegeben
und im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages
gesagt: Das macht nichts, wir verringern die Kohlesubventionen nicht weiter, sondern erhöhen sie sogar, obwohl
dieser Staat selbst bei sinkenden Subventionen - Herr
Hempelmann, das sollten Sie sich einmal anschauen - an
die Grenzen seiner finanziellen Leistungsfähigkeit stößt.
({6})
Dann gibt es ja noch etwas Schönes: Obwohl die Finanzen sehr knapp sind, wollen Sie sich im Wahljahr
2006 de facto einen Kredit von der Ruhrkohle Aktiengesellschaft geben lassen, damit die Staatsfinanzen während des Wahlkampfes nicht völlig auseinander brechen.
Das ist charakterlos, unanständig und muss angeprangert
werden.
Ich will an dieser Stelle noch einen letzten Punkt kurz
aufgreifen. Es ist in der Presse zu lesen, dass die Ruhrkohle Aktiengesellschaft einen Börsengang plant. Wir
sind offen für die Überlegungen, wenn sie denn konkret
vorgelegt werden. Wir knüpfen aber daran drei Bedingungen:
Erstens: Die absehbare Finanzierungslast des Bundes
für Personal- und Sachkosten stillgelegter Zechen und
Bergbauanlagen muss durch das Kapitalaufkommen des
anstehenden Börsenganges gedeckt sein.
Zweitens: Mit der Übernahme der Altlasten muss
auch die Verfügung über werthaltige Reste verbunden
sein. Eine Sozialisierung von Risiken und eine Privatisierung von Erträgen kommen aus Sicht der Union nicht
in Betracht.
Drittens: Nachdem wir die schlechte Erfahrung gemacht haben, dass Geld aus Börsengängen irgendwo
verschwunden ist, ist für uns klar: Die am Kapitalmarkt
aufgebrachten Mittel müssen in einem Sondervermögen
außerhalb des Bundeshaushaltes angelegt und bewirtschaftet werden.
Dies sind unsere Kriterien. Ein Beitrag zur Sicherung
des Steinkohlenstandortes Deutschland ist es, wenn die
Subventionen in diesem Bereich degressiv ausgestaltet
werden. Allein das ist verlässlich, ehrlich und anständig.
So sieht unsere Kohlepolitik aus.
Herzlichen Dank, meine sehr verehrten Damen und
Herren.
({7})
Das Wort hat der Kollege Dr. Reinhard Loske von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Kampeter hat ja gerade aus Westernhagens
Liedern rezitiert.
({0})
Dieser hat ja allerlei Lieder gesungen, so auch „Ach wie
gut, dass ich kein Dicker bin“ und ähnliches Zeug. Man
kann geteilter Meinung darüber sein, ob die Inhalte gut
oder schlecht sind. Ich schlage vor, dass wir das einfach
einmal so im Raum stehen lassen und zum Thema übergehen.
({1})
Im ersten Beitrag in dieser Aktuellen Stunde hat Herr
Pinkwart argumentiert, es wäre besser, die Subventionen
für die Steinkohle ganz zu streichen und sie in Bildung
zu stecken.
({2})
Das war, wenn ich es richtig verstanden habe, Ihr tragender Gedanke. Dazu kann ich nur eines sagen: Wenn Sie
das ernst meinen, lieber Herr Kollege, dann könnten Sie
endlich auch der Abschaffung der Eigenheimzulage zustimmen. Seien Sie doch da nicht so hasenfüßig!
({3})
Das ist doch genau der Punkt; auch hier geht es darum,
Gelder für Bildung zu mobilisieren.
Es ist vollkommen richtig: Der Abbau von Subventionen in Bereiche ohne Zukunft muss vorangetrieben werden. Das Geld muss mobilisiert werden für Zukunftsinvestitionen. Da sind wir voll auf Ihrer Linie.
({4})
Das Problem ist nur, dass Sie dann, wenn es um Lobbyinteressen geht, nicht ganz so konsequent sind, aber da
will ich jetzt nicht ins Detail gehen.
({5})
Ich glaube, der Abbau von Kohlesubventionen muss
deutlich forciert werden. Die Lücke zwischen Förderkosten von 150 Euro pro Tonne und Weltmarktpreisen
von 50 bis 60 Euro wird sich nicht mehr schließen. Deswegen müssen wir hier aussteigen. Das ist vollkommen
richtig.
({6})
Wenn man sich aber fragt, welche Maßstäbe man
beim Subventionsabbau anlegen muss, kommt man zu
dem Schluss, dass es sich insbesondere um drei Maßstäbe handelt: Subventionsabbau muss zeitlich befristet
sein, degressiv gestaltet sein und regelmäßig überprüft
werden. Vor dem Hintergrund möchte ich gerne einmal
darauf verweisen, wie wir beim Steinkohlenkompromiss
verfahren sind.
Erstens. Die derzeit geltende Regelung ist zeitlich befristet bis 2012.
({7})
Sie ist zweitens degressiv gestaltet. Die Subventionen
werden von anfänglich 2,7 Milliarden Euro auf
1,8 Milliarden Euro pro Jahr reduziert. Die Fördermenge
wird von 27 Millionen Tonnen auf 16 Millionen Tonnen
reduziert. Die Anzahl der Beschäftigten sinkt von 36 000
auf 20 000. Dass der FDP das gar nicht schnell genug
gehen kann, ist klar, denn soziale Sensibilität ist bei euch
nicht angesagt.
({8})
Jedenfalls ist das doch wohl klar degressiv.
Das, was Herr Kampeter gerade erzählt hat, ist natürlich auch nicht wahr. Es ging dabei um ein spezifisches
Problem, das wir jetzt den Zuhörern hier ersparen wollen. Es geht dabei nämlich um die Bugwelle, um einen
Mechanismus, den die schwarz-gelbe Bundesregierung
seinerzeit installiert hat, durch den die Ruhrkohle AG im
Prinzip die öffentlichen Haushalte als Sparkasse nutzen
konnte. Wir machen - das will ich ganz klar festhalten mit dieser Lüge im Steinkohlenkompromiss ein Ende.
({9})
Ich halte fest: Wir nehmen eine klare Anpassung nach
unten vor; wir beschreiten den Pfad der Degression. Wir
haben die Subventionen zeitlich befristet. Wir haben
drittens - Stichwort: Überprüfung - auch einen Mechanismus eingebaut, der bewirkt, dass die Subventionen
sinken, wenn die Weltmarktpreise für Steinkohle weiter
steigen. Wir haben nämlich festgelegt: Alles, was über
einem Preis von 46 Euro pro Tonne liegt, soll sich subventionsmindernd auswirken. Auch an so etwas haben
Sie natürlich nie gedacht. Diese Regelung ist ein klarer
Fortschritt.
Wir haben einen Mechanismus für eine zeitnahe Abrechnung geschaffen; in Zukunft wird unmittelbar abgerechnet. Wir haben ökologische Kriterien - Stichwort:
Unterwanderung des Rheins bei Walsum - klar berücksichtigt.
({10})
All das sind Dinge, die Ihnen nicht eingefallen sind. Wir
haben auch klare Transparenzregeln für die so genannten
Ewigkeitskosten eingeführt.
Ich fasse zusammen: Die Regelungen, die wir bezüglich des Abbaus von Subventionen getroffen haben, sind
konsequent, gut und sachgerecht. Sie sind auch sozial
sensibel; das ist - man muss es noch einmal ganz klar sagen - eine Dimension, die Ihnen abgeht.
({11})
Zu der öffentlichen Kampagne muss ich ganz klar sagen: Ich finde sie nicht gut. Erst einmal habe ich mich
gefragt, ob die Augen von Müller-Westernhagen wirklich so blau sind wie in der Anzeige; aber das ist ein Nebenthema.
({12})
Die Anzeige ist Teil einer längeren Kampagne. Ich
finde die Kampagne nicht gut, weil sie erstens - das
muss man ganz klar sagen - an vielen Stellen mit Angst,
etwa mit der Angst vor Terrorismus, operiert. Zweitens
stellt sie Fakten sehr einseitig - um nicht zu sagen: verzerrt - dar.
({13})
- Dass ich da von Ihnen Beifall bekomme, wundert mich
nun wirklich; denn die Dinge werden dort ziemlich genau so dargestellt, wie Sie sie normalerweise beschreiben.
({14})
Ich finde es ehrlich gesagt ziemlich lächerlich, hier
mit dem Haushaltsausschuss usw. zu kommen. Mit der
Landwirtschaft - Kollege Hempelmann hat zu Recht
darauf hingewiesen - verhält es sich genauso. Ich
möchte an dieser Stelle eher an die Ruhrkohle AG appellieren, ein bisschen maßvoller, mit ein bisschen mehr
Fingerspitzengefühl zu agieren. Es sind nämlich Gelder
des Steuerzahlers, die da fließen. Das muss berücksichtigt werden.
Danke schön.
({15})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Gudrun Kopp von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Herr Loske, fast hätte ich mir die jetzige Rede sparen können. Was Sie sagten, entsprach zu 80 Prozent unserer Argumentationslinie. Umso mehr wünschen wir
uns, dass Sie nicht nur so reden, sondern auch in der Koalition so handeln und darauf dringen, dass diese Subventionen ein Ende haben.
({0})
Herr Loske, mir hat nicht gefallen, dass Sie davon
sprachen, bei der FDP gebe es keine soziale Sensibilität.
({1})
Jetzt möchte ich kurz eine Quelle heranziehen, der Sie
eher glauben werden. „Der Spiegel“ berichtet in dieser
Woche von einer sozialen Sensibilität, die schon von einer gewissen Pikanterie ist. Dort ist nämlich zu lesen,
dass die Bergleute - Sie alle wissen das ja - im Alter von
48 Jahren in den Ruhestand gehen können und danach
85 Prozent ihrer bisherigen Bezüge erhalten. Ebenso ist
zu lesen, dass auf der anderen Seite gerade im Schachtbau ausländische Firmen zu Billiglöhnen die Arbeit verrichten bzw. dass Ruheständler sich etwas dazuverdienen.
({2})
Die Ruheständler werden auf eine Drehscheibe gesetzt
und kommen wieder hinein in den Bergbau. Ich muss Ihnen sagen: Das ist überhaupt nicht sozial sensibel.
({3})
Die Frage, die immer auch von Rot-Grün gestellt
wird, ist nämlich: Wie sieht es dort mit den Sicherheitsstandards aus? Verstehen die ausländischen Mitarbeiter
überhaupt, welche Sicherheitsvorkehrungen zu treffen
sind, welche Meldepflichten es gibt, wie sie sich unter
Tage zu verhalten haben? Es geht um die Frage von Sicherheiten und Kontrollen. Ich habe bei meiner Nachfrage nur gehört, dass es dort Kontrollen dieser Art trotz
bestimmter Anzeigen bei den Landesarbeitsämtern nicht
gegeben hat.
({4})
Ich finde es schon bezeichnend, dass Sie einfach darüber hinweggehen und sagen: „Es ist so!“ und „Schauen
wir mal!“ Denn gleichzeitig wird hier mit großem Populismus über gesetzliche Mindestlöhne diskutiert.
({5})
Diese Doppelbödigkeit muss unbedingt angeprangert
werden.
Ich möchte noch auf die Feinheiten des Subventionsgebarens zu sprechen kommen. Sie haben davon gesprochen, dass die Anschlussregelung degressiv ausgestaltet
ist. Das ist zwar richtig. Aber wir von der FDP verstehen
nicht, dass die rot-grüne Bundesregierung angesichts der
finanziellen Fakten 16 Milliarden Euro im Zuge einer
Anschlussregelung für 2006 bis 2012 nachlegt.
({6})
Rechtlich und haushalterisch besteht die Möglichkeit,
2008 aus der Subventionierung auszusteigen. Wir würden dies tun.
({7})
- Ich kann mir vorstellen, Herr Kollege Hempelmann,
dass Ihnen das nicht gefällt.
Bei Ihrer Darstellung der Situation haben Sie völlig
übersehen, dass die Anschlussregelung bis 2012 noch
nicht in trockenen Tüchern ist.
({8})
EU-Kommissar Piebalgs hat es mir gegenüber bestätigt.
({9})
Er hat gesagt, ab 2010 müsse Schluss sein mit der deutschen Steinkohlensubventionierung und eine Anschlussregelung werde es nicht geben.
({10})
Eine andere Möglichkeit wäre natürlich, dass Sie für
die Übergangszeit einen Deal zulasten Dritter machen,
wie es schon einmal bei der Subventionsregelung zulasten des deutschen Speditionsgewerbes der Fall gewesen
ist. Wenn Sie so etwas im Schilde führen sollten, dann
wäre das mehr als fragwürdig.
({11})
Ich möchte mich noch mit einem anderen Argument
auseinander setzen. Herr Hempelmann, Sie haben davon
gesprochen, wir brauchten den deutschen Steinkohlenbergbau zur Versorgungssicherheit.
({12})
Das ist ein großer Irrtum. Wir haben Braunkohlevorräte
und es gibt die Möglichkeit, Steinkohle zu importieren.
Wir können außerdem Öl und Gas importieren und die
Kernenergie nutzen. Deswegen legt die FDP-Bundestagsfraktion Wert darauf, dass es auch in Zukunft einen
breiten Energiemix gibt, damit wir uns nicht abhängig
machen. Wir brauchen die deutsche Steinkohle nicht, um
Deutschland mit Energie zu versorgen. Die deutsche
Steinkohle kann erst in Tiefen von etwa 800 Metern abgebaut werden, während sie in anderen Ländern der Erde
fast im Tagebau abgebaut werden kann, was natürlich
enorme Kosten spart.
Ihre Anschlussregelung ist mit Blick auf die junge
Generation wirklich nicht akzeptabel. Denn im Bereich
Bildung, aber auch in vielen anderen Bereichen fehlt das
Geld. Schauen Sie sich beispielsweise einmal die Straßen in Nordrhein-Westfalen an. Auf die Behauptung, wir
müssten einen bestimmten Sockel an Kapazitäten im
Bergbau erhalten, um die entsprechende Technologie exportieren zu können, kann ich nur erwidern, dass man
dafür keinen Referenzbergbau braucht. Ich denke, die
Technologie hat sich längst durchgesetzt.
Ich möchte abschließend noch einmal die relevanten
Zahlen nennen. Die Kosten für die Importsteinkohle betragen 40 Euro pro Tonne. Die deutsche Steinkohle kostet 140 Euro pro Tonne. Wir werden in diesem Bereich
also nie wettbewerbsfähig sein. Deshalb ist es nur konsequent, zu sagen, wir brauchen „Kohle“, um die Kinder
zu fördern. Stecken wir also das Geld in die Bildung und
Ausbildung unserer Kinder und nicht in einen rückwärts
gewandten Industriebereich!
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Gerd Andres.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Angesichts hoher und weiter wachsender Importabhängigkeiten bei Energierohstoffen stellt der Zugang
zur eigenen Steinkohle ein wichtiges Element der Versorgungssicherheit dar. Die deutsche Energieversorgung
ist bereits heute mit rund 60 Prozent in hohem Maße von
Energieimporten abhängig.
({0})
Nach vorliegenden Energieprognosen ist bis 2010 mit einem Anstieg der Einfuhrabhängigkeit Deutschlands auf
etwa 67 Prozent zu rechnen.
({1})
Der Nutzung heimischer Energieträger kommt daher
auch im liberalisierten deutschen Energiemarkt eine erhebliche Bedeutung zu. Kohle ist der einzige Energieträger, über den Deutschland in nennenswertem Umfang
verfügt. Rund 90 Prozent der Energiereserven Deutschlands entfallen auf Kohle. Rund zwei Drittel davon sind
Steinkohlenvorräte.
({2})
Der einheimische Steinkohlenbergbau stellt auch die
Grundlage für die deutsche Bergbaumaschinenindustrie
dar. Auf dieser Basis konnte sie sich zum führenden Anbieter von Bergbaumaschinen in der Europäischen Gemeinschaft und auf dem Weltmarkt entwickeln.
({3})
Der Exporterfolg sichert Beschäftigung und Wertschöpfung am Industriestandort Deutschland. Vom Gesamtumsatz der Bergbaumaschinenindustrie im Jahre
2004 von 1,8 Milliarden Euro entfallen rund 70 Prozent
auf den Export. Diese Position ist vor allem auf den hohen Entwicklungsstand der Technik für den untertägigen
Steinkohlenbergbau in Deutschland zurückzuführen.
({4})
Der Weiterentwicklung dieser modernen Technologie in
deutschen Bergwerken kommt somit eine wichtige Rolle
für den Industriestandort Deutschland zu.
({5})
Auch die moderne Kraftwerkstechnik, die auf der Basis
des einheimischen Steinkohlenbergbaus entwickelt wird,
hat hervorragende Exportchancen.
({6})
Die Steinkohlenhilfen sind seit Jahren degressiv ausgestaltet. Die Kohlevereinbarung von 1997 regelt die
Finanzierung des deutschen Steinkohlenbergbaus bis
zum Jahre 2005. Sie beinhaltet eine kontinuierliche
Rückführung der Beihilfen von 4,7 Milliarden Euro auf
2,7 Milliarden Euro in 2005. Die Bundesregierung hat
sich darauf verständigt, die Steinkohlenförderung von
gegenwärtig 26 Millionen Tonnen bis 2012 auf 16 Millionen Tonnen zurückzuführen. Dazu gehören auch die
jeweiligen Koalitionspartner; ich sage das, damit wir
wissen, wovon wir reden.
({7})
Damit ist ein weiterer Rückgang der Steinkohlenhilfen
in den nächsten Jahren verbunden.
({8})
Seit 2003 führt die Deutsche Steinkohle AG - vielleicht darf ich das noch einmal sagen: seit 2003 - eine
bundesweite Imagekampagne mit dem Ziel durch, bei
der Bevölkerung eine höhere Akzeptanz für die deutsche
Steinkohle und ihre Subventionierung zu erreichen. Am
5. April 2005 ist die neue Werbekampagne des Unternehmens - übrigens die vierte seit 2003 - angelaufen.
Dass Sie das gerade jetzt zum Gegenstand einer Aktuellen Stunde machen, Herr Pinkwart, und dass Sie als
FDP-Landesvorsitzender den Wahlkampf im Auge haben, ist wahrscheinlich reiner Zufall.
({9})
Es ist die vierte Werbekampagne; ich wiederhole das.
Ich könnte Sie in diesem Zusammenhang fragen: Haben
Sie die anderen drei verschlafen? Warum haben Sie dazu
noch keine Aktuellen Stunden beantragt?
({10})
Herr Loske, das muss ich einmal sagen: Man kann
über den Inhalt von Werbekampagnen sehr streiten und
darüber, ob einem die blauen Augen des einen oder anderen gefallen oder nicht.
({11})
Das mag ja alles sein. Das sind aber keine Fragen, mit
denen sich die Bundesregierung oder das Parlament befassen sollte.
({12})
- Ich werde hier ja nach der Meinung der Bundesregierung gefragt. Dass ein Abgeordneter eine freie Meinung
haben kann, ist unbestritten.
({13})
Wir begrüßen diese Imagekampagne. Sie macht darauf aufmerksam, dass die heimische Steinkohle nach
wie vor ein bedeutender und sicherer Energieträger ist
und bleiben soll. Darauf hinzuweisen ist notwendig,
scheint doch einigen die Wahrnehmung für die eigene
Rohstoffbasis in unserem Land verloren gegangen zu
sein.
({14})
Die Finanzierung der Imagekampagne erfolgt seit
2003 im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen
Steinkohle AG. Die Angemessenheit und der Bezug dieser Imagekampagne zur Kohleförderung werden im Rahmen der Abrechnung der Steinkohlenbeihilfen vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle geprüft.
({15})
Der jetzt ergangene Prüfauftrag für das Beihilfejahr
2004 an die Wirtschaftsprüfgesellschaften, die die Deutsche Steinkohle AG im Auftrag des Bundesamtes für
Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle prüfen, beinhaltet auch
die Prüfung der in den Produktionskosten des Unternehmens enthaltenen Beiträge für Öffentlichkeitsarbeit und
Werbung. In dem Auftrag sollen die Angemessenheit
und der Bezug zur Kohleförderung festgestellt werden
und in diesem Zusammenhang soll auch auf die im Jahre
2003 gestartete Imagekampagne eingegangen werden.
Damit kommt die Bundesregierung auch ihrer Kontrollpflicht bei der Prüfung der Subventionen für den Steinkohlenbergbau nach.
({16})
Ich will auf etwas eingehen, was Frau Kopp gesagt
hat. Sie hat unterstellt, dass es hier eine Doppelbödigkeit
gebe. Frau Kopp, ich sage Ihnen ganz offen: Doppelbödig ist es, wenn man Behauptungen, die in der Presse
oder sonst wo erhoben werden, einfach völlig ungeprüft
übernimmt.
({17})
Es ist der Bundesregierung bekannt, dass Arbeitnehmer
ausländischer Firmen im deutschen Steinkohlenbergbau
für Bergbauspezialarbeiten eingesetzt werden. Das Unternehmen ist verpflichtet, diese Aufträge europaweit
auszuschreiben und das wirtschaftlichste Angebot zu berücksichtigen. Der größte Teil aller Arbeiten wird aber
weiterhin von deutschen Firmen ausgeführt.
In 2004 lag der Anteil der von beauftragten Bergbauspezialfirmen aus Mittel- und Osteuropa ausgeführten
Arbeiten bei unter 1 Prozent aller im Steinkohlenbergbau angefallenen Arbeiten. Einzelne Firmen, die der
„Spiegel“ genannt hat, arbeiten seit über 20 Jahren über
Werk- und Spezialaufträge im deutschen Bergbau. Das
ist überhaupt nichts Neues.
({18})
Im Jahre 2005 ging noch kein einziges der vorgegebenen
Projekte an einen ausländischen Anbieter.
Die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften im
Bergbau, insbesondere die der Arbeits- und Sicherheitsvorschriften nach der Allgemeinen Bundesbergverordnung, wird von den Bergverwaltungen der Länder
ständig überprüft. Es sind keine Anhaltspunkte bekannt,
dass im Zusammenhang mit der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer ein erhöhtes Sicherheitsrisiko gegeben sei. Sie können davon ausgehen, dass die Bundesregierung, wenn dies der Fall sein sollte, dem massiv
nachgehen wird.
Für deutsche Bergleute, die im Rahmen einer Frühverrentung mit einem Anpassungsgeld ausscheiden,
führt jede Beschäftigung in einem knappschaftlichen Betrieb - auch eine geringfügige - zur Beendigung des Anpassungsgeldbezuges, den Sie hier angesprochen haben.
Nach den Richtlinien ist nur eine geringfügige Beschäftigung außerhalb des Bergbaus entsprechend § 8
Sozialgesetzbuch IV erlaubt. Das bedeutet einen Hinzuverdienst von maximal 400 Euro. Möglich ist also nur
eine geringfügige Beschäftigung. Das ist wie bei anderen Rentnern auch.
Dem deutschen Steinkohlenbergbau ist der Einsatz
von Frührentnern in ausländischen Unternehmen nicht
bekannt. Auch ich habe den Artikel im „Spiegel“ gelesen. Man muss da sehr genau hinschauen. In diesem Artikel wird über einen Obersteiger geschrieben, der mit
40 aus dem deutschen Steinkohlenbergbau ausscheidet
und sich bei einer anderen Bergbaufirma verdingt. Er ist
ganz normal ausgeschieden. Er bekam möglicherweise
eine Abfindung oder eine Entschädigung nach dem Sozialplan wie andere auch; das hat nichts mit der Bergbauförderung zu tun. Diesem 40-Jährigen können Sie
natürlich nicht sagen, dass er nirgendwo mehr beschäftigt werden darf. Wenn dieser sich, wie in dem „Spiegel“-Beispiel dargestellt, bei einer österreichischen Spezialfirma bewirbt und dort arbeitet, ist natürlich klar,
dass er, wenn diese österreichische Bergbaufirma Anschlussaufträge übernimmt, indirekt wieder bei der ehemaligen Firma arbeiten kann. Das hat aber überhaupt
nichts damit zu tun, dass hier Arbeitnehmer beschäftigt
werden, die ein Anpassungsgeld beziehen. Für diesen
Fall gibt es ziemlich rigide und harte Vorschriften.
({19})
Zum Schluss sage ich Ihnen - denn Sie haben dies
angesprochen -: Für den Fall, dass es Hinweise darauf
geben sollte, dass es im Bergbau zu illegaler Beschäftigung oder zu einer Umgehung der Dienstleistungsrichtlinie kommt, können Sie sich darauf verlassen, dass wir
dem mit aller Rigidität nachgehen werden. Wenn es solche Vorgänge geben sollte, werden wir die abstellen.
Herzlichen Dank, meine sehr verehrten Damen und
Herren.
({20})
Das Wort hat der Kollege Hartmut Schauerte von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sollten ein paar Aufgeregtheiten beiseite lassen: Ob zum
einen die RAG oder der deutsche Steinkohlenbergbau
die Anzeige, um die es hier geht, bezahlt, ist ziemlich
egal. Am Ende kommt alles aus einem Topf.
({0})
Hier wird einfach nur hin und her geschoben. Zum anderen regt man sich darüber auf, dass, wenn gefordert wird,
nicht die Kohle, sondern die Kinder zu fördern, die
Bergleute belastet werden. Wenn man fordert, die Eigenheimzulage zugunsten der Bildung abzuschaffen, besteht
das gleiche Problem; Sie haben es angesprochen. Das alles sollte man nicht so überhöht sehen. Das ist eine normale Formulierung, die akzeptabel sein kann und - in
beiden Fällen - einen wahren Kern hat. Es geht um die
Frage: Wo setzt man die Prioritäten?
Mir ist es wichtig, zu hinterfragen, ob diese Angelegenheit ein politisches Geschmäckle hat oder nicht und
ob die Werbung wahrheitsgemäß und zielführend ist.
Das sind für mich in diesem Zusammenhang zwei interessante Fragen.
Angesichts dessen, dass diese Werbung zu einem bestimmten Zeitpunkt zustande gekommen ist und die entsprechenden Beschlussgremien die politische Brisanz
dieser Anzeigenkampagne sehr wohl gesehen haben,
und angesichts der Tatsache, dass Müller vor wenigen
Tagen im kleinen Kreis gesagt hat: „Auch wenn die FDP
so gegen die Kohle ist, müssen wir das machen können“,
befinden wir uns mitten in der Politik und mitten im
Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen.
({1})
Dazu sagen wir: Verdammt noch mal, so mit subventioniertem Geld umzugehen gehört sich nicht!
({2})
Das kann, wenn es politische Wirkung hat - die soll
diese Kampagne, so wie sie läuft, haben -, sogar eine
Umgehung der Parteienfinanzierung sein.
({3})
Das geht zu weit, das hat ein politisches Geschmäckle.
Es sollen Fronten aufgebaut werden.
Darüber hinaus ist es unklug, so etwas zu machen.
Wenn in Nordrhein-Westfalen eine andere Regierung
trotz einer solchen Kampagne gewählt wird, wird das die
Freundlichkeiten nicht erhöhen. Wenn ich an die Zukunft der Steinkohle denke, würde ich ihr dringend empfehlen, unmittelbar vor Wahlkämpfen jeden Verdacht, in
politische Entscheidungsprozesse eingreifen zu wollen,
zu vermeiden.
({4})
Das geschieht hier nicht. Dieses Thema muss angepackt
werden und dieses Vorgehen müssen wir kritisieren. So
darf es nicht ablaufen. Dabei ist es mir fast egal, ob es
sich um Subventionen handelt oder nicht. Diese Art von
politischer Beeinflussung durch wirtschaftliche Werbekampagnen von Unternehmen gehört sich nicht und
muss gerügt werden. Sie müssen erst recht gerügt werden, wenn es um öffentliche Mittel geht, nämlich um die
Ausgabe von vorher erhaltenen Subventionen.
Das kränkt uns als CDU ganz besonders; denn die
Kohle muss wissen, dass der Kohlekompromiss, zu dem
wir gelangt sind, ein Kompromiss von Helmut Kohl aus
dem Jahre 1997 ist. Er hat der Kohle die Sicherheit gegeben, die sie bis heute genießen kann. Deswegen fühlen
wir uns in dieser Frage auch zu Unrecht verdeckt angegriffen und im Ringen um Mehrheiten im Wahlkampf in
Nordrhein-Westfalen verdeckt behindert. Das müssen
wir anprangern. Das ist sicherlich auch der Auslöser für
die Aktivitäten der FDP.
Herr Andres, zum Thema ziel- oder irreführend:
Diese Anzeigen erwecken einen falschen Eindruck. Das
meine ich völlig losgelöst von der politischen Ausstrahlung. Sie suggerieren eine Sicherheit, die Ihre eigenen
Entscheidungen nicht gewähren. Es gibt doch die Degression, deshalb kann es gar nicht sicher sein.
Es wäre ehrlich, den Leuten bei der Einstellung zu sagen, dass es zu erheblichen Veränderungen und einem
Abbau von Arbeitsplätzen - es ist sogar wahrscheinlich,
dass der Bergbau in Nordrhein-Westfalen auf null zurückgeführt wird - kommen kann. Das ist noch nicht
entschieden, das soll noch entschieden werden. Deshalb
kann man doch nicht einfach so tun, als sei ein Arbeitsplatz im Bergbau das Verlässlichste, Zukunftsträchtigste
und Sicherste in der Welt.
Die Kernkompetenzen des Landes Nordrhein-Westfalen sind Energie, Chemie, Maschinenbau, Logistik,
Verkehr, Information und Kommunikation, Medien, Ernährung, Medizintechnik, Bio- und Gentechnologie,
neue Werkstoffe, Nanotechnologie, Mikrosystemtechnik.
({5})
Keine Kernkompetenz ist die Förderung heimischer
Steinkohle. Im Gegensatz dazu steht die Kohletechnologie, sie gehört zu den Kernkompetenzen. Die Förderung
der heimischen Steinkohle ist kein Zukunftsfeld für
Nordrhein-Westfalen.
({6})
Deswegen ist die Anzeige falsch, wenn sie das suggeriert.
Die Reduzierung des Bergbaus ist sozialverträglich zu
organisieren. Dabei kann man über die Geschwindigkeit,
aber nicht über die Richtung reden. Die Anzeigen suggerieren einen falschen Eindruck. Sie leiten die Menschen
in eine falsche Richtung. Auch deshalb ist das irreführende Werbung, die sich nicht gehört.
Der Börsengang wurde bereits angesprochen. Auch er
muss sehr kritisch begleitet werden. Ein Geschäft zulasten des Steuerzahlers werden wir nicht akzeptieren. Die
Fakten müssen auf den Tisch und geprüft werden. Für
diesen Gang ist auch politische Zustimmung nötig. Deshalb sage ich an die Kohle, an Herrn Müller gerichtet:
Sie werden den Börsengang nicht ohne politische Begleitung und Unterstützung durchsetzen. Vielleicht ist es
für das Ruhrgebiet gut, wenn wir in diesem Bereich neue
Beweglichkeit herstellen und von prinzipieller Privatisierung sprechen. Das will ich gar nicht in Abrede stellen. Das wird aber ohne politischen Prozess nicht möglich sein.
Auch deswegen ist es für die Kohle schädlich, wenn
der Bergbau solche Anzeigen schaltet, die erstens ein
politisches Geschmäckle haben und zweitens in der Sache in die Irre führen. Die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit von Herrn Müller als Gesprächspartner leidet
darunter. Ich kann ihm nur dringend raten, diesen Unsinn
sein zu lassen. Er weiß, dass er einen Fehler macht. Ich
fordere ihn auf, zur Sachlichkeit zurückzukommen, damit wir wirklich über die Zukunftsfragen reden können.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Schauerte, als Sie sich kritisch auf den
Inhalt der Anzeige bezogen haben, haben Sie gesagt: „Sie
leiten die Menschen falsch.“ Jetzt muss ich Sie einmal
fragen: Wen haben Sie damit eigentlich angesprochen?
({0})
Ich muss Ihnen sagen: Mittlerweile bin ich von Ihrem
Staatsverständnis richtig irritiert. Reden wir jetzt darüber, dass die Opposition meint, es sei Aufgabe der Regierung, die Werbekampagne eines Unternehmens zu
analysieren und zu steuern?
({1})
Das, was Sie hier abziehen, ist wirklich sehr überzogen.
({2})
Sonst sagen Sie immer, dass sich der Staat auf seine
Kernaufgaben konzentrieren soll. Besinnen Sie sich einmal darauf, wie sehr Sie sich bei Ihrer Interpretation des
Zustandekommens der Anzeige versteigen.
({3})
Deswegen glaube ich - das ist wohl auch richtig -,
dass das auch mit der Wahlkampfsituation in NRW zu
tun hat.
({4})
Ich muss ganz deutlich sagen: Es ist vollkommen richtig,
dass diese Kampagne hinsichtlich der Angemessenheit
der Ausgaben überprüft werden muss;
({5})
denn unsere Steinkohlensubventionen haben ja einen
sehr großen Umfang. Das hat Herr Andres allerdings gesagt. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis und tun Sie
nicht so, als würde das nicht geschehen.
({6})
Dafür gibt es Verfahren, die hier genau beschrieben worden sind.
({7})
- Die Steinkohlenförderung wird immer erst danach geprüft.
({8})
Ich kann Ihnen nur sagen - das werde ich gleich ausführen -: Wir sorgen dafür, dass sie demnächst schneller geprüft wird, was Sie früher nicht zustande bekommen haben.
({9})
Ich möchte auf einen weiteren Vorwurf eingehen,
Herr Schauerte - denn hier sollten wir ehrlich sein -: Es
ist egal, wie wir die Imagekampagne der DSK finden.
Abgeordnete haben unterschiedliche und freie Meinungen. Herr Loske hat sie kritisch beurteilt. Auch ich sehe
sie kritisch.
({10})
Herr Andres hat eine andere Meinung. Auch er ist ein
freier Abgeordneter und darf das.
({11})
- Er ist beides: Regierungsmitglied und Abgeordneter.
({12})
Herr Schauerte, der Ehrlichkeit halber muss gesagt
werden, dass es diese Image-Werbekampagne der Deutschen Steinkohle AG seit dem Jahr 2003 gibt. Sie haben
betont, dass wir kurz vor der Wahlentscheidung in NRW
im Jahr 2005 stehen. Das muss man also relativieren;
denn diese Imagekampagne ist schon älter und steht daher nicht in so engem Zusammenhang mit dem Wahlkampf.
({13})
Jetzt möchte ich noch etwas zum Thema Steinkohlenförderung sagen.
({14})
Hier ist davon gesprochen worden, wie die Zukunft der
Steinkohlenförderung aussehen soll. Frau Kopp hat ausgeführt, welche Situation besteht und was Rot-Grün entschieden hat. Es gibt eine gesetzliche Regelung zur
Steinkohlenförderung, die bis Ende 2005 Geltung hat.
Es ist richtig, dass wir im Mai letzten Jahres einen Kompromiss für die zukünftige Förderung geschlossen haben. Auch wir Grünen stehen zu diesem Kompromiss. Er
ist, was die Förderung und die Subventionierung angeht,
degressiv.
Ich möchte darauf hinweisen, dass er - es war nicht
einfach, das in den Verhandlungen durchzusetzen ({15})
ein Instrument beinhaltet, das die zu Recht von Ihnen angesprochene Höhe des Weltmarktpreises berücksichtigt,
was dazu führt, dass der Umfang der Subventionen, die
wir aus dem Bundeshaushalt tätigen, verringert wird.
({16})
Diese wichtige Zielsetzung haben wir Grünen verfolgt.
Zwischen SPD und Grünen ist darüber verhandelt worden,
({17})
dass diese Regelung für den Zuwendungsentscheid der
Jahre 2006 bis 2008 wirksam wird.
({18})
- Auch Sie, Herr Kampeter - jetzt rufen Sie immer sehr
laut dazwischen -, haben gesagt:
({19})
Natürlich brauchen wir einen degressiven Pfad. Auch
Sie wissen, dass man die Förderung nicht einfach abhaken und sagen kann: Übermorgen gibt es für die Steinkohle keinen einzigen Euro mehr. Angesichts dessen,
dass Sie gerade eben geschildert haben, NRW müsse
eine verlässliche Perspektive gegeben werden, müssten
Sie dieses Instrument, mit dem wir den Weltmarktpreis
subventionsmindernd einbauen, ausgesprochen gut finden. Ich denke, in einem Vieraugengespräch würden Sie
das vielleicht sogar zugeben.
Noch ein Satz zu Ihrer Behauptung, dass der Pfad
nicht degressiv sei und dass wir den Umfang der Förderung noch einmal erhöhen, ihn also nicht verringern
würden.
({20})
Ich muss Ihnen sagen: Im Jahr 2006 - dem ersten Jahr,
in dem die neue Förderung durchgeführt wird -, müssen
wir als Allererstes die aufgestauten Fördersummen, die
in der von Ihnen beschlossenen, ehemaligen kohlegesetzlichen Regelung enthalten sind, abbauen. Es ist richtig, dass eine Bugwelle aufgebaut und auch von RotGrün fortgesetzt wurde.
({21})
Aber mit dem neuen Kompromiss räumen wir diese
Bugwelle 2006 komplett ab. Diese Finanzierungslast
nicht weiter in die Zukunft zu schieben ist langfristig gesehen seriös und richtig; auch das müssten Sie uns ehrlicherweise einmal zugestehen. Dem haben auch Sie früher zugestimmt.
({22})
Ich möchte schließen: Es ist längst überfällig, dass
wir uns zu einer weiter zunehmenden Degressivität in
der Steinkohlenförderung durchringen und dass das alle
auch ehrlich sagen. Aber CDU/CSU und FDP haben sich
erst letztens, vorgestern, im Haushaltsausschuss als Fürsprecher der Zulieferunternehmen der Steinkohlenindustrie aufgebaut. Sie haben heute diese Werbemaßnahmen
in einem Ausmaß gegeißelt, was damit nicht ganz zusammenpasst; dann müssen Sie hier wirklich ehrlich
bleiben.
({23})
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Eine sinnvolle Steinkohlenförderung heißt für uns:
Abbau. Aber ein einfacher Schnitt und die Förderung
nur schlechtzureden, das ist nicht glaubhaft.
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr. Hermann Kues von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
finde, Aktuelle Stunden haben manchmal das Problem,
dass da sehr gezielt Nebelkerzen geworfen werden.
({0})
Die, die zuhören, die das verfolgen, fragen sich immer:
Um was geht es eigentlich? Die einen sagen, es geht hier
um den Steinkohlenkompromiss, den die eine Seite abschaffen will. Die anderen sagen, es geht um vordergründige politische Taktik. Ich glaube, es ist völlig unbestritten, dass Herr Müller auch zu der Auseinandersetzung
beigetragen hat, als er gesagt hat: Wir starten jetzt eine
Werbekampagne, weil wir uns politisch wehren wollen.
Das heißt, hier wird ganz klar im Hinblick auf die Landtagswahl eine politische Aktion gestartet. Deswegen darf
man sich auch nicht wundern, dass darüber politisch gestritten wird. Doch damit schadet man der Steinkohle im
Endeffekt.
({1})
Im Übrigen glaube ich, dass die Menschen in unserem
Lande sehr empfindlich sind, Herr Schmidt, wenn sie
das Gefühl haben, es gebe eine Art Filz oder Interessenverquickung. Deswegen muss man sagen: Die maßgeblichen Leute bei der Steinkohle sind besagter Herr Müller,
({2})
der in der ersten Legislaturperiode der rot-grünen Koalition Wirtschaftsminister war, und ein Herr Tacke, der
sein Staatssekretär war, der Entscheidungen gefällt hat,
weil die Gefahr bestand, dass sein Minister befangen
sein könnte.
({3})
Das sind Zusammenhänge, die den Leuten das Gefühl
geben, dass hier eine Interessenverquickung zwischen
Wirtschaft und politischen Absichten vorliegt.
({4})
Das, meine Damen und Herren, ist nicht in Ordnung. Es
geht nicht um die Bergleute, sondern es geht darum, dass
hier politische Interessen mit wirtschaftlichen verquickt
werden.
({5})
Ich bin allerdings sehr überrascht, wie sich die Grünen hier präsentieren. Wenn man bislang über energiepolitische Fragen mit Grünen diskutiert hat, dann beschränkte sich das auf erneuerbare Energien. Da kann
man über vieles streiten, auch wenn ich ausdrücklich für
erneuerbare Energien bin. Dann ging es um den Kernenergieausstieg. Aber die Frage von heute Morgen - wo
eigentlich neue, zusätzliche Kraftwerkskapazität herkommen soll - spielte überhaupt keine Rolle. An dieser
Stelle unterstützt die SPD ganz klar einen Kurs, der in
die Vergangenheit weist. Sie machen sich damit völlig
unglaubwürdig und liefern sich Ihrem Koalitionspartner
aus, auch in NRW.
({6})
- Es ist so. Ich versuche mich so auszudrücken, dass es
nachvollziehbar ist, Frau Kollegin Hajduk.
Sie laufen in die Irre, wenn Sie diese Zusammenhänge nicht sehen. Über Subventionen kann man lange
streiten, aber ich glaube, es muss klar sein, dass sie zeitlich befristet sind, dass sie überprüft werden und dass sie
vor allen Dingen nicht politisch missbraucht werden dürfen; das ist der entscheidende Punkt.
({7})
Und genau das haben Sie im Grunde genommen getan;
ich habe auf die personellen Verflechtungen hingewiesen. Ich will ausdrücklich sagen: Auch die Menschen in
Nordrhein-Westfalen - ich sage das als Niedersachse haben einen Anspruch darauf, dass man ihnen die Wahrheit sagt, was in der Steinkohlenpolitik auf sie zukommt
und was sie energiepolitisch künftig zu erwarten haben.
Da gibt es ein Konzept, das wir so, wie es von der Regierung Kohl entwickelt worden ist, ausdrücklich für richtig
halten. Wir sind dagegen gewesen, hier ein neues Fass
aufzumachen - entgegen allem, was man uns vorher gesagt hatte. Dort wird nicht degressiv vorgegangen, sondern das Geld wird im Endeffekt mit vollen Händen ausgegeben. Das ist unseres Erachtens nicht in Ordnung.
Langfristig müssen die Investitionen zurückgefahren
und auf null gebracht werden.
({8})
Die entsprechenden Mittel müssen für Zukunftstechnologien eingesetzt werden. Darum geht es.
Machen Sie sich frei von einer Verfilzung zwischen
wirtschaftlichen und politischen Interessen. Das ist nicht
in Ordnung und das wollen die Menschen auch nicht. Es
geht um die Zukunft - auch die der Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen - und nicht darum, dem Bergbau etwas
wegzunehmen. Darum geht es uns nicht.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat der Kollege Volker Kröning von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Dr. Kues, Ihre beiden Schlüsselbegriffe waren „Wahrheit“ und „Zukunft“. So seriös Sie hier auch auftreten,
ich muss Ihnen aber doch entgegenhalten: Die Wahrheit
ist, dass Herr Dr. Müller, der ehemalige Bundeswirtschaftsminister und jetzige Chef der RAG, parteilos ist
und dass vor allen Dingen der von Ihnen angegriffene
Sozialdemokrat Dr. Tacke während seiner Amtszeit im
Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit niemals
mit der RAG zu tun hatte.
({0})
Wenn man sich das Verhalten der Opposition heute
anschaut, dann ist einem sehr auffällig, dass die CDU in
der Frage der Ausführung des Kohlekompromisses, der
in der Regierungszeit von CDU/CSU und FDP geschlossen worden ist, und bei der Fortsetzung des Kohlekompromisses, den wir beschlossen haben, nicht schlüssig
ist, sondern eiert. Die FDP sagt klipp und klar - mit welchen Argumenten auch immer -, dass die Kohleförderung auslaufen soll. Das ist das Angebot von CDU und
FDP für Nordrhein-Westfalen. Sie sind sich nicht einig.
Das müssen die Wähler wissen.
({1})
Mario Müller-Westernhagen ist kritisiert worden.
({2})
- Marius, nicht Mario. Ich bin bei dieser Musik kein Experte.
({3})
Unabhängig von seinen blauen Augen möchte ich doch
einmal sagen, dass seine Anzeige folgende Aussage hat,
die sich hören lassen kann:
Als Rohstoff ist deutsche Steinkohle die Grundlage
für Koks - wichtig für die Stahlherstellung und
Tausende von Arbeitsplätzen. Auch in Zulieferbetrieben des Bergbaus hilft sie, die Beschäftigung zu
sichern - als Auftraggeber und in der Entwicklung
weltweit führender Technologien.
({4})
Und der Steinkohlenbergbau selbst bietet Arbeitsund Ausbildungsplätze in einem hoch technisierten
Arbeitsbereich.
({5})
Viele Menschen leben also direkt oder indirekt von
ihr - darum kann man sich darauf verlassen: Kohle
fördert Deutschland.
({6})
Warum sollte das nicht gesagt werden? Das wollte ich
- Dank an den Kollegen Loske - anmerken.
Sie haben von Technologie gesprochen. Lassen Sie
mich deshalb noch deutlicher sagen, was die Anzeige
ausgesagt hat, durch die die Kampagne 2005 eröffnet
wurde. Es ist schon gesagt worden, dass sie nur die Fortsetzung der bisherigen Kampagnen gewesen ist.
({7})
Auch hinter folgende Aussage kann man sich stellen.
Herr Professor Dr. Ulrich Lehner, Henkel KGaA, hat gesagt:
Steinkohle wird in unserem Land unter geologisch
schwierigen Bedingungen abgebaut. Das hat dazu
geführt, dass das spezielle Know-how unserer
Bergleute und Ingenieure heute internationale Standards setzt - sowohl unter als auch über Tage. In
Sachen innovativer Bergbautechnik ist Deutschland
Exportweltmeister, und rund um die Steinkohle ist
eine Zukunftsindustrie entstanden, die diesen wichtigen Rohstoff mit modernster Technik fördert und
nutzt. Darum gilt hier: Kohle fördert Deutschland.
({8})
Herr Kollege Addicks, der Sie aus dem Saarland
kommen, es ist schade, dass Sie heute keine Gelegenheit
haben, hier Stellung zu nehmen.
({9})
- Das haben aber Ihre Parteifreunde zu vertreten. - Dass
Sie zu diesem Punkt nicht sprechen, ist der beste Beweis
dafür, dass es der FDP nicht um die Sache, sondern um
den Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen geht.
({10})
Ich möchte noch ein paar Worte zu den Stichworten
Zukunft, Technologie und Export sagen. Es fällt mir ein
bisschen schwer. Neulich war ich in Begleitung des Bundeswirtschaftsministers, des Kollegen Dr. Fuchs anstelle des Kollegen Schauerte und des Kollegen Schulz
vom Bündnis 90/Die Grünen in Indien. Wir haben uns
dort unter anderem klar gemacht, welche Rolle der Bergbau beispielsweise in Indien spielt.
Ich will Ihnen zum Thema der außenwirtschaftlichen
Bedeutung unseres Technologieexports - man kann darüber streiten, ob man einen Referenzbergbau braucht
oder ob ein in einem Glashaus ausgestellter Bergbau genügen würde - etwas sagen.
({11})
Ich will deutlich machen, welche Rolle der Export auf
diesem Gebiet inzwischen spielt. Die Höhe der Ausfuhr
von Bergbaumaschinen ist zwischen 2003 und 2004 von
905 auf 1 131 Millionen Euro, also auf mehr als
1 Milliarde Euro, gestiegen. Die Hauptimportländer für
diese Technologie sind China, Russland, aber auch Indien und übrigens die Ukraine. Es ist sehr interessant,
dass wir mit diesen Ländern inzwischen gemeinsame
Arbeitsgruppen unterhalten und Messen betreiben, um
diesen Technologie- und Know-how-Export voranzutreiben.
({12})
Der größte russische bzw. sibirische Kohleproduzent
hat neulich Ausrüstung zum Ausbau dreier Bergwerke
bestellt. China hat mit der deutschen Bergbautechnik
den größten Kaufabschluss in der gesamten Unternehmensgeschichte getätigt. Diese interessanten Hinweise
zeigen, dass wir den Menschen Mut machen müssen, um
die Stärken unserer Volkswirtschaft zu stärken.
({13})
Ich denke daran, was der leider inzwischen verstorbene frühere Bundeswirtschaftsminister Dr. Rexrodt
1997 beim Abschluss des Kohlekompromisses 1 gesagt
hat. Er hat den Weg von traditioneller Technologie zur
Zukunftstechnologie aufgezeigt. Genau diesen Weg hat
die Koalition eingeschlagen.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Meckelburg von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Mich erinnert das an Folgendes: Es ist eigentlich schon
alles gesagt worden, aber noch nicht von allen.
({0})
Da ich für meine Truppe als Letzter spreche und nach
mir noch Herr Grasedieck für die SPD-Fraktion reden
wird, wird sich herausstellen, ob wir zur Debatte noch
etwas Neues beisteuern können.
Ich habe mich auch gefragt, ob diese Aktuelle Stunde
an einem Freitagmittag, wo sich alles in Auflösung befindet, unbedingt sein muss.
({1})
Ich habe aber verstanden, dass jetzt ganz aktuell die Anzeigenkampagne der RAG zum dritten oder vierten Mal
aufgelegt worden ist. Das ist Anlass genug, darüber zu
reden. Mich würde an dieser Stelle vielmehr interessieren, was das gekostet hat und woher das Geld kommt.
Diese Fragen müssen geklärt werden. Formal können
wir das nicht in einer Aktuellen Stunde machen. Hier ist
das zu öffentlich. Wir müssen das im Ausschuss weiterverfolgen, um den Sachverhalt zu klären. Auch ist klar,
dass wir Wahlkampf haben. Die Präsenz von Herrn
Pinkwart und Herrn Gerhardt zeigen, dass das Thema
Kohlesubvention wichtig ist.
Lassen Sie mich noch etwas zu den Anzeigen sagen. Mir liegt nicht die Anzeige mit Herrn MüllerWesternhagen vor, sondern ich beziehe mich auf die
Anzeige von der letzten oder dieser Woche: „Prof.
Dr. Ulrich Lehner, Henkel KGaA“. Die Überschrift lautet: „Technologisch gesehen, ist unten ganz oben“ - ich
habe das Gefühl, über Werbung reden zu dürfen, weil
wir sie über die Subventionen mitbezahlen, also können wir auch darüber diskutieren -; danach kommt:
„Denn unsere Bergbautechnik ist weltweit führend.“ Wer wusste das vorher nicht? Ich könnte hier den ganzen Text vorlesen. Da steht all das drin, was Sie gesagt
haben. Aber jeder, der sich mit dem Thema Kohle beschäftigt hat, weiß das. Beim Stichwort Kohletechnologie können wir zu Recht sagen: Da sind wir im Export
tatsächlich Weltmeister.
Dennoch stelle ich mir die Frage: Wer oder was wird
hier eigentlich beworben? Hier wird kein Produkt verkauft. Diejenigen, die sich für den Export von Kohletechnologie interessieren, können es nicht lesen, weil die
Anzeige dann beispielsweise auf Chinesisch sein
müsste.
({2})
Sollen wir Politiker beworben werden? Das ist nicht nötig. Also ich komme nicht umhin, zu sagen: Zumindest
diese vierte Anzeigekampagne hat wohl etwas mit dem
Wahlkampf zu tun. Das müssen wir einmal festhalten.
({3})
Wir müssen in aller Deutlichkeit sagen: So etwas geht in
einem Unternehmen, das von Subventionen lebt, nicht.
Das muss klargestellt werden. Das ist nicht zulässig.
({4})
Das Thema Kohle spielt natürlich auch eine Rolle.
Die verkürzenden Slogans, die wir zurzeit haben, helfen
auch nicht weiter. „Bildung statt Kohle“ ist eine Zuspitzung.
({5})
- Nein, hören Sie einmal auf zu klatschen. Ihre Zuspitzung heißt: Eigenheimzulage für Bildung. Auch der
Jäger 90 musste für alles herhalten. So einfach ist die
Welt leider nicht.
({6})
Man muss beim Thema Kohle festhalten, dass wir
klare Positionen haben. Vielleicht darf ich Sie von der
SPD daran erinnern, dass Sie in der letzten Woche auch
einen Ausrutscher hatten.
({7})
Im „Vorwärts“ - ich lese ihn nicht regelmäßig ({8})
stand die Zeile: Sozialer Ausstieg aus der Steinkohle. Korrekt müsste es laut NRW-SPD - es ist klar erkennbar,
dass das nur ein Druckfehler war ({9})
heißen, die Partei setze sich für die Sicherung eines
Sockels an heimischer Steinkohle über das Jahr 2012
ein. Bei Ihnen ist nicht so ganz klar, was Sie wirklich
wollen.
({10})
Ich fand das jedenfalls sehr interessant.
({11})
Ein klarer Kurs ist da nicht vorhanden.
Ich sage zum Abschluss in Bezug auf die Kohlepolitik: Wir haben immer eine klare Position gehabt. Ich
komme aus einer ehemaligen Bergbaustadt. Der Bergbau
ist mittlerweile in den Norden gewandert. Wir haben die
degressive Förderung durch den Staat eingeleitet. Das
war gar nicht einfach. Ich kann mich noch gut an das
Jahr 1997 erinnern. Das war die Basis und das muss weitergehen. Wir haben klare Positionen in unserem Wahlprogramm in NRW. Wir haben einfach nicht mehr genug
Geld, um es herauszuschmeißen. Es muss mit der Degression weitergehen. Dann muss rechtzeitig entschieden werden, bis wohin es weitergeht. Die Kernfrage für
mich wird am Ende lauten: Brauchen wir den heimischen Bergbau, um technologisch führend zu bleiben,
oder nicht? Bei allen anderen Maßnahmen - zum Beispiel denjenigen, die die Förderung betreffen - muss
man darauf achten, dass die notwendige Verringerung
der Subventionen nicht zu Verwerfungen führt, die möglicherweise zu hohen Kosten an anderer Stelle führen.
Deswegen sage ich ganz klar: Der sofortige Ausstieg
ist undenkbar,
({12})
weil das Kosten an anderer Stelle verursacht. Wir müssen aber über die degressive Förderung einen Ausstieg
finden. Das ist unsere Politik seit langen Jahren. Wir
werden diese Politik weiter verfolgen. Ich schätze, dass
wir nach dem 22. Mai in Nordrhein-Westfalen mit der
FDP zusammen diesen Kurs fortsetzen werden.
({13})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
das Wort der Kollege Dieter Grasedieck von der SPD.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Meckelburg hat vorhin darauf hingewiesen, dass man eine degressive Förderung will. Ich verDieter Grasedieck
stehe dann aber nicht, dass Sie mit der FDP einen Antrag
im Haushaltsausschuss gestellt haben, die Subventionen
auf null zurückzufahren. So viel zum Thema Glaubwürdigkeit. Das hat man unter anderem auch von Herrn
Kues gehört. Er sprach von einer Degression und der
schrittweisen Reduzierung, was aber dann nicht der Fall
sein wird, wenn man Ihrem Antrag folgt.
Die FDP betreibt eine Hexenjagd.
({0})
Ich bin überrascht, dass die CDU beim Werfen der Nebelkerzen mitmacht.
({1})
Denn eines muss man feststellen: Das Volumen der Subventionen betrug im Jahr 2001 insgesamt 156 Milliarden
Euro. Davon entfallen auf den Steinkohlenbergbau
3 Prozent und auf die Eigenheimzulage 10 Prozent. Das
müssen Sie sich einmal vorstellen. Auf die Landwirtschaft entfallen ebenfalls 10 Prozent.
({2})
Auf den Wohnungsbau entfallen 15 Prozent.
Seit 2003 wird eine Informationskampagne von der
DSK durchgeführt. Jetzt kommen Sie auf einmal auf die
Idee, das als Katastrophe darzustellen. Warum dürfen eigentlich die Bausparkassen werben? Das hat auch etwas
mit der Eigenheimzulage zu tun.
({3})
Warum darf eigentlich die Landwirtschaft werben, Herr
Pinkwart? Das ist die Frage.
Die FDP betreibt eine Hexenjagd nach dem Motto
„Die Steinkohle muss kaputt gemacht werden, koste es,
was es wolle.“
({4})
So behauptet zum Beispiel Frau Kopp, Kommissar
Piebalgs habe gesagt, dass der Steinkohlenbergbau 2010
ausläuft. Ich habe das überprüft, Frau Kopp. Ich habe einen Brief mitgebracht - ich kann Ihnen nachher eine Fotokopie davon geben -, in dem der Kommissar schreibt:
Wie ... vorgesehen wird die Kommission spätestens
am 31. Dezember 2006 dem Rat, dem Europäischen Parlament ... einen Bericht vorlegen.
In dem Brief steht kein Wort davon - ich habe das genau überprüfen lassen -, dass der Steinkohlenbergbau
2010 ausläuft. Soviel zum Thema Glaubwürdigkeit und
Wahrhaftigkeit.
({5})
Daraus wird ganz deutlich, dass es nur um Wahlkampf geht. Die FDP führt ihren Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen im Bildzeitungsstil durch. Das Motto
„Kinder fördern statt Steinkohle“ ist eine Beleidigung
für unsere Bergleute und ihre Familien.
({6})
Dass Sie um die 5 Prozent kämpfen und dafür nach
Wahlkampfthemen suchen, ist verständlich. Ich habe
dazu ein paar Vorschläge, die wirkliche Knaller sind, wie
„Kinder fördern statt Eigenheimzulage“ - das wäre doch
schon etwas -,
({7})
„Kinder brauchen Bildungschancen - keine Studiengebühren“ - auch das wäre super ({8})
oder „Kinder fördern mit Steinkohle“. Denn damit ist
auch die Familie verbunden.
Die FDP muss vorsichtig sein. Denn auch die Industrievertreter äußern sich anders, Herr Pinkwart. Der
Hauptgeschäftsführer der BDA, Herr Göhner von der
CDU, sagt: „Die heimische Steinkohle ist unverzichtbar.“ Der BDI-
„Rohstoffsicherheit bringt unsere Steinkohle.“ Sie verärgern
Ihre Koalitionspartner in der zukünftigen Opposition in
Düsseldorf und Berlin. Seien Sie deshalb lieber vorsichtig mit Ihren Koalitionspartnern!
({0})
Bildung, Innovation, Export und Steinkohle gehören
zusammen.
({1})
Sie sollten wissen, Herr Pinkwart, dass im Steinkohlenbergbau in ganz Deutschland 3 000 Jugendliche ausgebildet werden, und zwar in genau den Zukunftsberufen,
die Sie angesprochen haben.
({2})
Sie wohnen wohl nicht in Nordrhein-Westfalen; deshalb
können Sie nicht so gut informiert sein. In den Ausbildungswerkstätten werden Mechatroniker, Elektroniker,
Mechaniker und Ingenieure ausgebildet.
({3})
Allein in meinem Wahlkreis sind es 400 junge Menschen, die die Chance haben, in Hightechberufen ausgebildet zu werden.
({4})
Sie bekommen auch nach der Lehre eine Chance in
Handwerksbetrieben bzw. in mittelständischen Betrieben, weil es sich um hoch qualifizierte Ausbildungen
handelt, die wir erhalten müssen.
({5})
Dass die deutsche Bergbautechnik ein Exportschlager
ist, ist bereits angesprochen worden. Auch damit sind
viele Arbeitsplätze - zum Beispiel für Ingenieure - verbunden.
Sie betreiben nur Wahlkampfgetöse. Nehmen Sie am
besten Ihr Wahlkampfmotto zurück und entschuldigen
Sie sich!
({6})
Dann gehören Sie auch der Mehrheit an. 65 Prozent der
Bürgerinnen und Bürger stehen zum Glück noch zu unserer Steinkohle.
({7})
Ich meine, das ist wichtig und entscheidend für unsere
Zukunft. Diese Bürgerinnen und Bürger wissen, dass die
Steinkohle unsere Zukunft auch im nächsten Jahrhundert
sichert.
Glückauf!
({8})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 20. April 2005, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.