Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/13/2005

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Bericht „Zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2005“. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich habe heute im Kabinett den Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit dargestellt, der von acht unabhängigen Forschungsinstituten erarbeitet worden ist. Im Anschluss an die Kabinettssitzung haben die Forschungsinstitute und ich ihn gemeinsam der Öffentlichkeit vorgestellt. Inzwischen findet dieser Bericht weltweit große Beachtung. Mittlerweile haben eine ganze Reihe anderer Länder mit einer ähnlichen Form der Berichterstattung begonnen. Zu Beginn möchte ich kurz die Kernpunkte und Kernaussagen des Berichtes vorstellen. In dem Bericht wird nachgewiesen und ausdrücklich gesagt, dass die deutschen Unternehmen inzwischen zu den innovativsten in Europa gehören. Der Anteil der Unternehmen, die in neue Produkte und Verfahren investieren, ist im Jahr 2003 erstmals seit drei Jahren wieder auf 59 Prozent gestiegen. Die wissenschaftlichen Forschungsinstitute weisen in dem Bericht auch darauf hin, dass die Unternehmen - das kann man wirklich sagen - verhalten optimistisch sind, ihre Innovationsanstrengungen zu verstärken, sodass sie deutlich zunehmen werden. Neben der Tatsache, dass die deutschen Unternehmen zu den innovativsten in Europa gehören, wird in dem Bericht festgestellt, dass Deutschland auch im internationalen Vergleich eine herausragende Position wahrnimmt. Wir liegen, sowohl was die Veröffentlichungen als auch was die weltmarktrelevanten Patentanmeldungen angeht, ganz weit vorne, im Übrigen vor unseren größten Konkurrenten. Damit bestätigt der Bericht den Kurs der Bundesregierung. Wir haben in Forschung investiert und die Wirtschaft bei Innovationen unterstützt; das wird in dem Bericht herausgestellt. Es wird ebenfalls darauf hingewiesen, dass die öffentlichen Forschungsaufgaben wie auch die Forschungsausgaben wieder deutlich zugenommen haben. Bei den öffentlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung ist es zu einer jährlichen Steigerung von 2 Prozent gekommen. Gleichzeitig, so heißt es, sind die richtigen Schwerpunkte gesetzt worden, sowohl bei der Technologieförderung in den für unsere Volkswirtschaft wichtigen Schlüsselbereichen wie den IuK-Technologien als auch bei der Produktionstechnik, den optischen Technologien, den Umwelttechnologien, der Biotechnologie und der Nanotechnologie. In dem Bericht wird ganz klar darauf abgestellt, dass Investitionen in Forschung und Entwicklung für unsere Volkswirtschaft entscheidend sind: für die internationale Wettbewerbsfähigkeit, die Wachstumsentwicklung und die Arbeitsplatzentwicklung. Die Unternehmen, die stark in Forschung und Entwicklung investieren, haben deshalb auch einen Exportboom erlebt - und sie erleben einen Exportboom -, wohingegen die Unternehmen, die nicht in Forschung und Entwicklung investieren, Wachstumsprobleme haben. Das unterstreicht noch einmal die Notwendigkeit und die Bedeutung der Investitionen in Forschung und Entwicklung. Der Bericht zeigt genau diesen Zusammenhang klar auf und stellt ihn ganz stark heraus. Für Deutschland bedeutet das, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen insgesamt stark gestiegen ist. Das hängt auch mit der gezielten Forschungsförderung zusammen, die wir betreiben. Wir haben in der Forschungsförderung meines Ministeriums den Schwerpunkt auf die kleinen und mittleren Unternehmen Redetext gesetzt, weil sie wichtige Treiber von Innovationen sind und zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Wir haben vor allen Dingen auch die Kooperation, die Zusammenarbeit von großen und kleinen bzw. mittleren Unternehmen im Blick, weil auch sie eine wichtige Rolle dafür spielt, dass das Innovationsgeschehen erfolgreich ist. Die Beteiligung der kleinen und mittleren Unternehmen an den Technologieförderprogrammen des Bundesforschungsministeriums hat im Übrigen von 1998 bis 2003 um rund zwei Drittel zugenommen. In dem Bericht wird darauf hingewiesen, dass es darauf ankommt, dass sich gerade kleine und mittlere Unternehmen in noch stärkerem Maße an Forschung und Entwicklung beteiligen; denn auch bei den kleinen und mittleren Unternehmen zeigt sich, was bei den großen Unternehmen klar erkennbar ist, nämlich dass ihre Wettbewerbsfähigkeit und ihre Wachstumschancen in einem ganz entscheidenden Maße von ihren Forschungsanstrengungen abhängen. Von daher ist auch für die kleinen und mittleren Unternehmen die Teilnahme am Innovationsgeschehen von großer Bedeutung. Neben der klaren Fokussierung der Technologieförderprogramme auf kleine und mittlere Unternehmen und einer ganzen Reihe von anderen Maßnahmen, die ich jetzt nicht alle nennen will, hat die Bundesregierung zum einen die Ausgründung von Unternehmen aus Universitäten und Forschungseinrichtungen erheblich verbessert, und zwar sowohl durch eine entsprechende Veränderung der Rahmenbedingungen als auch durch entsprechende Programme. Zum Zweiten haben wir die steuerlichen Rahmenbedingungen für Wagniskapital erheblich verbessert und den Hightech-Masterplan aufgelegt. In dem Bericht wird allerdings auch darauf hingewiesen, dass wir in Deutschland die Anstrengungen fortsetzen müssen, dass wir die Investitionen in Forschung und Entwicklung weiter verstärken müssen, und zwar in allen öffentlichen Haushalten. Als dritten Punkt will ich hier noch kurz anreißen, dass in dem Bericht auch auf den Nachwuchs eingegangen wird. Es wird noch einmal hervorgehoben, dass es dringend notwendig ist, die Kraftanstrengungen, die wir in den letzten sechs Jahren unternommen haben, um gerade für die ingenieurwissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Fächer Nachwuchs zu gewinnen, fortzusetzen. Ich will darauf hinweisen, dass die Bundesregierung hier durch die Initiative „Wissenschaft im Dialog“ und durch Initiativen, die wir gemeinsam mit den Berufsverbänden und mit den Wirtschaftsverbänden durchgeführt haben - zum Beispiel durch die Einrichtung von Schülerlabors in den Forschungseinrichtungen oder durch die Einrichtung von Kinderuniversitäten etc.; wo immer wir in unseren Forschungseinrichtungen Einflussmöglichkeiten haben -, eine Trendwende erreichen konnte: In den 90er-Jahren ist die Zahl der Studienanfänger in diesen Fächern weiter gesunken. Seit 1998 haben wir eine klare Trendwende: Die Zahl der Studienanfänger in diesem Bereich hat deutlich zugenommen, was jetzt langsam zu einer höheren Zahl von Studienabsolventen führt; Sie wissen ja, dass die durchschnittliche Studiendauer bei diesen Fächern ungefähr sechs bis sieben Jahre beträgt. Jetzt spüren wir also die positiven Ergebnisse. Aber ich sage ausdrücklich: Das muss fortgesetzt werden; auch darauf weisen die Experten hin. Zusammenfassend will ich zwei zentrale Schlussfolgerungen aus dem Bericht ziehen: Zwei zentrale Projekte stehen an, die darüber mitentscheiden, ob es uns gelingt, den Kurs, den wir jetzt eingeschlagen haben und der erkennbar Früchte bringt - weil das Innovationsgeschehen deutlich verstärkt worden ist und die Unternehmen deutlich an Innovationsstärke gewinnen -, fortzusetzen. Zum Ersten handelt es sich um die Entscheidung über die Eigenheimzulage. ({0}) - Das ist absolut kein Grund zum Lachen. Ihnen ist der Ernst der Lage offensichtlich nicht bewusst. Ich will nur darauf hinweisen, dass die Schwellenländer ihre Investitionen in Forschung und Entwicklung massiv erhöht haben. Allein China hat seine Aufwendungen für Forschung und Entwicklung seit Mitte der 90er-Jahre vervierfacht. Auch die Opposition muss begreifen, dass es hier um die Zukunft unseres Landes geht und dass es zwingend notwendig ist, dass wir in den öffentlichen Haushalten umschichten. ({1}) Wir müssen weg von den traditionellen Subventionen und hin zu den Investitionen in die Zukunft. Dabei geht es um die Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie in Bildung. Ein Land wie Niedersachsen kürzt bei den Wissenschaftsausgaben zurzeit massiv. Wenn Sie von der Opposition mir sagen können, wie Sie die notwendige Steigerung der Haushaltsmittel in Zukunft erreichen wollen, dann können Sie auch kritisieren, dass die Bundesregierung hier vielleicht nicht ausreichend Vorschläge auf den Tisch legt. Darüber können wir dann diskutieren. Solange Sie aber in den Ländern, in denen Sie die Regierung stellen, in den für unser Land so wichtigen Zukunftsbereichen die Mittel kürzen, müssen Sie hier im Bundestag auch sagen, wie Sie diese Herausforderung eigentlich bewältigen wollen. Wir weisen in diesem Bericht darauf hin, dass es zwingend notwendig ist, dass Bund und Länder in den öffentlichen Haushalten umschichten. Die Bundesregierung hat einen ernst zu nehmenden Vorschlag auf den Tisch gelegt. Ich erwarte von einer Opposition, dass sie sich konstruktiv damit auseinander setzt, den Ernst der Lage wahrnimmt und die Verantwortung dafür übernimmt. ({2}) Als zweiten Punkt möchte ich die Exzellenzinitiative ansprechen. Die Wissenschaftsorganisationen, die Universitäten und die Wirtschaftsverbände haben übereinstimmend gefordert, dass Bund und Länder diese Exzellenzinitiative jetzt starten. Die Wissenschaftsminister haben über ein Jahr lang intensiv miteinander verhandelt. Wir haben ein gutes, tragfähiges und sehr Erfolg versprechendes Konzept miteinander erarbeitet. Beide Seiten sind dabei aufeinander zugegangen. Die Ministerpräsidenten haben es jetzt in der Hand, darüber zu entscheiden, ob diese Chance unseren Universitäten erhalten bleibt oder ob sie ihnen verwehrt wird. Das ist nicht nur eine Chance für die Universitäten. Es ist auch eine Chance für unser gesamtes Innovationssystem, für unsere Universitäten genauso wie für die Wirtschaft, die auf die Leistungsfähigkeit der Universitäten entscheidend angewiesen ist. Morgen werden die Ministerpräsidenten zusammentreffen und hierüber beraten. Jetzt liegt es in der Hand der Ministerpräsidenten, in unserem Land wichtige Perspektiven für Forschung und Entwicklung zu schaffen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Frau Bundesministerin Bulmahn. - Wir kommen zunächst zu den Fragen, die den angesprochenen Themenbereich betreffen. Als Erste hat sich die Kollegin Ulrike Flach gemeldet.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Frau Ministerin! In dem Bericht wird viel Erfreuliches gesagt; das ist gar keine Frage. In den drei zentralen Bereichen, die uns seit vielen Jahren umtreiben - zum Ersten geht es da um die staatliche Förderung von FuE, zum Zweiten um die Förderung im privaten Bereich und zum Dritten um das in den letzten 15 Jahren geradezu katapultartige Ansteigen des Mangels an Fachkräften im ingenieurwissenschaftlichen Bereich -, macht er aber sehr deutlich, dass wir dabei sind, den Anschluss zu verlieren, und nicht, wie Sie es gerade dargestellt haben, dass wir sozusagen vor der ganzen Kohorte hergaloppieren. Deswegen komme ich zu meiner ersten Frage. Für den Fall, dass Sie erkennen müssen, dass die unionsgeführten Länder bei der Eigenheimzulage nicht nachgeben werden - und wir können keine Signale dafür erkennen, dass ein Nachgeben erfolgen wird -, hat der Kanzler damals einen Plan B vorgeschlagen. Ich würde von Ihnen gerne hören, welche Alternativen zur Abschaffung der Eigenheimzulage Sie sich inzwischen vorstellen können; denn Sie brauchen ja das Geld. Anders als andere Länder gibt Deutschland im öffentlichen Sektor zurzeit nicht massiv mehr aus. Die Ziele, die Sie sich gesetzt haben, erreichen Sie ja nicht. ({0}) Ich komme zur zweiten Frage. In dem Bericht wird sehr deutlich gesagt, dass Venture Capital fehlt. Die entsprechenden Haushaltsmittel dafür wurden gesperrt, sodass Sie große Schwierigkeiten haben, den kleinen und mittleren Unternehmen zu helfen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir sagen würden, wie Sie bei diesem sehr wunden Punkt vorgehen wollen. Das dritte Thema betrifft die Zahl der Studierenden im Bereich der Ingenieurwissenschaften. Die Zahl der Absolventen ist in den letzten Jahren eingebrochen. Beabsichtigen Sie, ein Sonderprogramm aufzulegen? Wollen Sie entsprechende Vorschläge unterbreiten? Verhandeln Sie in diesem Fall einmal konstruktiv mit den Ländern? Das möchte ich gerne von Ihnen wissen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Frau Bundesministerin.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Ich komme zunächst zum Thema Eigenheimzulage. Die Bundesregierung wird keinen anderen Vorschlag vorlegen. Die Länder können ihrerseits Vorschläge einbringen. Frau Flach, ich sage es noch einmal ausdrücklich: Es geht um unser ganzes Land. ({0}) Deshalb hat nicht allein die Bundesregierung ein Problem, sondern wir alle, Bund und Länder, haben die Aufgabe, sicherzustellen, dass wir stärker in Forschung und Entwicklung investieren können. Ich erinnere daran, dass für die Investitionen in Wissenschaft und Forschung - man muss schließlich beides zusammen betrachten - zwischen Bund und Ländern eine hälftige Verteilung gilt. Es reicht nicht aus, wenn allein die Bundesregierung ihre Investitionen in Forschung und Entwicklung verstärkt. Bund und Länder müssen ihre Investitionen verstärken. Daher ist nur ein Vorschlag zielführend, der sowohl dem Bund als auch den Ländern neue Gestaltungsspielräume eröffnet und höhere Investitionen in Forschung und Entwicklung ermöglicht. Genau das ist mit der Abschaffung der Eigenheimzulage möglich; denn über 50 Prozent der Mittel aus der Eigenheimzulage kämen den Ländern zugute. Das heißt, sie hätten damit die notwendigen finanziellen Spielräume, um in Forschung und Entwicklung zu investieren. Die Bundesregierung könnte aus ihrem Anteil ebenfalls die notwendigen Investitionen tätigen. Von der Streichung dieser Subvention würden Bund und Länder profitieren; so könnten sie die Umschichtungen durchführen. Ansonsten gibt es, wie Sie wissen, nicht sehr viele Möglichkeiten. Insofern gibt es keinen großen Spielraum, andere Möglichkeiten vorzuschlagen. Genau das ist der Grund, warum die Bundesregierung vorgeschlagen hat, genau diese Subvention zu streichen. So können beide Seiten, Bund und Länder, investieren. Ansonsten erreichen wir nicht das Ziel, das ich angesprochen habe. Ich komme zu dem zweiten Punkt, den Sie angesprochen haben. Ich habe vorhin darauf hingewiesen, dass wir die steuerlichen Rahmenbedingungen für Wagniskapital im letzten Jahr verbessert haben. Sie werden sich daran erinnern; das haben wir im Deutschen Bundestag beraten. Weil wir dies gemeinsam für notwendig erachten, fand dieser Vorschlag die Zustimmung mehrerer Fraktionen. Wir haben den Dachfonds des ERP-Sondervermögens und des Europäischen Investitionsfonds aufgelegt und mit 500 Millionen Euro ausgestattet. Wir wissen, dass das private Wagniskapital und vor allen Dingen das Seed Capital - das ist das Hauptproblem - durch die private Seite noch nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung gestellt wird. Wir haben aber nicht nur den Wagniskapitalfonds geschaffen, sondern sind auch im Rahmen der Initiative „Partner für Innovation“ mit Unternehmen und ihren Wagniskapitalgesellschaften, aber auch mit der Finanzwirtschaft im Gespräch, um in einem noch deutlich stärkeren Maße das notwendige Seed Capital bereitzustellen. Das wird von privater Seite nach wie vor noch nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung gestellt; darin stimme ich Ihnen zu. Deshalb führen wir diese Gespräche. Wir haben auch die Rahmenbedingungen entsprechend verändert, um die Anlage in solchen Fonds zu unterstützen. Ich komme zum letzten Punkt, zum wissenschaftlichen Nachwuchs. Ich will anhand der Zahlen zeigen, dass wir in den vergangenen Jahren Erhebliches geleistet haben. Vielleicht haben Sie heute Morgen in der „Welt“ den Bericht zu diesem Thema gelesen. Die Überschrift dieses Berichtes ist sicherlich zutreffend. Wenn es uns nicht gelingt, in Zukunft noch mehr junge Menschen für ein Studium der Ingenieurwissenschaften oder Naturwissenschaften zu motivieren, dann werden wir auf Dauer ein Problem haben. Was der Bericht leider völlig verschweigt, obwohl die Daten vorliegen, ist die Tatsache, dass wir gerade in den letzten sechs Jahren große Fortschritte erzielen konnten. Ich will Ihnen die Zahlen dazu nennen: Seit 1998, als sich diese Bundesregierung mit der damaligen Situation auseinander setzen musste, nämlich dem rasanten Einbruch der Zahl der Studierenden der Natur- und Ingenieurwissenschaften - diese Entwicklung war seit Anfang der 90er-Jahre bis 1998 zu beobachten -, ist die Zahl der Studierenden in beiden Bereichen rasant gestiegen. In den Naturwissenschaften und in der Mathematik betrug die Steigerung 81 Prozent. In absoluten Zahlen: 1998 begannen 38 000 Studierende ein solches Studium, 2004 waren es 68 000. Bei den Ingenieurwissenschaften ist die Lage vergleichbar. Als ich Ministerin wurde, fand ich hier ebenfalls eine absolut desolate Situation vor: 45 000 Studierende begannen ein Ingenieurstudium. Inzwischen sind es 70 000. Das zeigt, dass unsere Initiativen, die ich beschrieben habe, sowohl die mit den Forschungsorganisationen als auch diejenigen mit den Berufsverbänden und den Wirtschaftsverbänden, Früchte tragen. Ich will allerdings eines an dieser Stelle klar sagen: Die Entscheidung, ob ein junger Mensch ein naturwissenschaftliches oder ingenieurwissenschaftliches Studium ergreift, fällt häufig in der zehnten Klasse, spätestens in der elften, nämlich dann, wenn sich die Jugendlichen entscheiden, welche Leistungskurse sie belegen. Deshalb müssen die Länder dafür Sorge tragen, dass die naturwissenschaftlichen Fächer - auch das Fach Technik, zumindest als Querschnitt - in den Schulen eine größere Rolle spielen. Sie müssen dafür Sorge tragen, dass der Unterricht so gestaltet wird, dass die jungen Leute Spaß an Naturwissenschaften und Technik haben und nicht davon abgeschreckt werden. Die Länder erklären immer wieder mit Nachdruck - das wissen Sie -, die Schule sei ihre Sache. Deshalb sage ich: Die Länder müssen dafür sorgen. Die Bundesregierung hat mit ihren Partnern alles, was sie kann, dafür getan, dass die Naturwissenschaften und die Ingenieurwissenschaften wieder an Stellenwert gewinnen. Die Länder haben die Verantwortung. Sie fordern sie immer ein, sie wollen die Verantwortung und sie müssen sie deshalb auch wahrnehmen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Der nächste Fragesteller ist der Kollege Jörg Tauss.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Ich kann mir die Vorbemerkung nicht verkneifen, dass die Union - dazu könnte Herr Staatssekretär Diller sicherlich einiges sagen - alle Pläne B, zu einem Subventionsabbau zu kommen, ebenfalls blockiert. Insofern ist das ein bisschen merkwürdig. Ich will an dieser Stelle nachfragen, Frau Ministerin, weil wir heute Morgen im Ausschuss eine Diskussion darüber geführt haben und die Kolleginnen und Kollegen eindeutig wieder die Priorität auf Einbauküchen anstatt auf Bildung und Forschung gelegt haben. Können Sie uns den Schaden, der im aktuellen Haushalt und darüber hinaus durch die Blockaden der Union angerichtet und dem Wissenschaftsstandort Deuschland durch die Union zugefügt wird, beziffern und darlegen, wie sich diese Blockade und diese destruktive Haltung insgesamt auf die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands auswirken können, wenn man diesen Kurs nicht umgehend stoppt?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Lieber Kollege Tauss, wir haben die Aufwendungen, das heißt die Investitionen in Forschung und Entwicklung zwischen 1998 und 2003 von 2,31 Prozent auf 2,55 Prozent gesteigert. Wir haben also einen gewaltigen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Wir haben uns gleichzeitig auf europäischer Ebene darauf verständigt, dass wir 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Forschung und Entwicklung investieren wollen. Das zeigt, dass wir immer noch einen erheblichen Schritt machen müssen, um das 3-Prozent-Ziel zu erreichen. Um unseren Beitrag auch vonseiten der öffentlichen Haushalte zu erbringen, die ein Drittel dazu beitragen müssen, müssen wir in den öffentlichen Haushalten umschichten. Wenn uns diese Umschichtung nicht gelingt, dann ist das 3-Prozent-Ziel, so fürchte ich, gefährdet. Deshalb müssen wir umschichten. Es geht kein Weg daran vorbei. Das, was andere Länder im Übrigen auch tun, muss auch in unserem Land gelingen. Ich will noch darauf hinweisen, dass andere Länder wie die USA, Japan und die skandinavischen Länder ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklung sehr stark gesteigert haben. In den skandinavischen Ländern liegt der Anteil am Bruttoinlandsprodukt bei über 4 Prozent, in Japan liegt er inzwischen deutlich über 3 Prozent und die USA steigern ihre Ausgaben ebenfalls. Dort liegt der Anteil aber noch unter 3 Prozent. Das heißt, wir sind hier nahe an den USA. Aber hinzu kommt, dass auch die Schwellenländer ihre Investitionen in Forschung und Entwicklung erheblich gesteigert haben. Ich habe vorhin auf China hingewiesen. Aber auch Korea hat seine Ausgaben in diesem Bereich erheblich gesteigert. Die gute Position, die Deutschland einnimmt - wir sind nach den USA das Land mit dem höchsten Welthandelsanteil bei forschungsintensiven Gütern; das heißt, wir haben aufgeholt: Der Abstand zwischen erstem und zweitem Platz ist geringer geworden -, können wir nur halten oder sogar noch verbessern, wenn wir stärker in Forschung und Entwicklung investieren. Das ist nur möglich, wenn wir in den öffentlichen Haushalten eine Umsteuerung vornehmen. Insofern betone ich noch einmal: Das ist nicht nur eine Aufgabe, die in der Verantwortung der Regierung liegt, sondern es ist auch die Aufgabe der Opposition, da sie in vielen Ländern die Landesregierung stellt. Bund und Länder müssen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung steigern. Wenn nur der Bund eine Ausgabensteigerung vornimmt, ist es ein Nullsummenspiel. Das hätte zur Folge, dass die notwendigen Anstrengungen nicht unternommen werden könnten. Gerade kleine und mittlere Unternehmen - das gilt aber auch für größere Unternehmen - sind auf die öffentliche Forschungsförderung angewiesen, weil nur so die erforderliche Dynamik entsteht. Ohne eine exzellente öffentliche Finanzierung von Forschungseinrichtungen, Universitäten wie außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, können wir diese positive Entwicklung nicht einschlagen. Um ein konkretes Beispiel anzuführen, verweise ich auf die neuen Bundesländer. Dort ist es uns durch eine gezielte strategische Forschungsförderung, durch Ansiedlung und Ausbau von Forschungsinstituten und die Ansiedlung von neuen Forschungsfeldern in der Region Dresden gelungen, an die Weltspitze zu gelangen. Das ist uns zwar bereits in anderen Bereichen gelungen, aber es ist notwendig, dass diese Entwicklung auch in der Breite stattfindet. Deshalb ist eine Umschichtung in den öffentlichen Haushalten dringend notwendig.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage stellt der Kollege Willi Brase. ({0})

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Frau Ministerin! Ich möchte ein anderes Thema ansprechen. Die deutschen Unternehmen feiern mit Hightechgütern große Exporterfolge auf den internationalen Märkten. Die kleinen und mittleren Unternehmen gelten bisweilen als Sorgenkinder des Innovationsgeschehens. Sie betreiben seltener Forschung und Entwicklung und gelten manchmal auch als weniger erfolgreich in ihren Innovationsaktivitäten. Welche Unterstützung benötigen die KMU durch die Forschungsund Innovationspolitik? Welche Fortschritte der Bundesregierung sehen Sie in der Innovationsförderung zugunsten der KMU, damit wir dort einen noch stärkeren Prozess anstoßen können?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Der Bericht weist auf den von Ihnen geschilderten Zusammenhang hin. Forschung und Innovation sind bei kleinen und mittleren Unternehmen im Großen und Ganzen nicht so breit verankert wie bei großen. Wir haben - das kann ich für mein Ministerium sagen - bei den kleinen und mittleren Unternehmen durch eine Veränderung der Förderbedingungen die Beteiligung dieser Unternehmen an dem Technologieprogramm, dem Fachprogramm meines Ministeriums, seit 1998 um zwei Drittel, um über 66 Prozent, erhöhen können. Wir werden diese Anstrengungen, wie gesagt, auch fortsetzen, weil auch die kleinen und mittleren Unternehmen Wachstumschancen bekommen und Beschäftigungszuwächse erzielen, wenn sie in Forschung und Entwicklung investieren und sich am Innovationsgeschehen beteiligen. Ich habe des Weiteren auch mit den kleinen und mittleren Unternehmen diskutiert, wie wir die Zusammenarbeit zwischen den Universitäten, den Fachhochschulen und den kleinen und mittleren Unternehmen verbessern können. Wir haben zum einen die Rahmenbedingungen für die Verwertung verändert. Zum anderen haben wir gleichzeitig die Universitäten darin unterstützt, dass sie durch eine Programmförderung richtige Verwertungsagenturen aufbauen können, die auch als Partner und Koordinator für die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Unternehmen auftreten. Wir beziehen die kleinen und mittleren Unternehmen systematisch in unsere Innovationsnetzwerke ein, weil sie dadurch auch Zugang zu potenziellen Partnern, sowohl Abnehmern als auch Kunden, erhalten. Wir haben, wie gesagt, auch durch die indirekte Förderung des Bundeswirtschaftsministeriums den Fokus klar auf die kleinen und mittleren Unternehmen ausgerichtet. Last, not least bleiben das Wirtschaftsministerium und mein Ministerium im Gespräch und wir haben unsere Förderprogramme insgesamt so aufeinander abgestimmt, dass sozusagen eine Kette entstanden ist und eine größere Transparenz geschaffen wird. Wir haben auch einen einfacheren Zugang geschaffen, indem wir eine Stelle eingerichtet haben, bei der sich ein kleines oder mittelständisches Unternehmen über die Möglichkeiten der Forschungs- und Innovationsförderung informieren kann. Das heißt, wir haben die Strukturen so vereinfacht und verbessert, dass die Programme gerade für kleine und mittlere Unternehmen leichter zugänglich sind. Nach wie vor schwierig ist für kleine und mittlere Unternehmen - darauf hat Frau Flach bereits hingewiesen die Innovationsfinanzierung. Deshalb haben wir einen Fonds eingerichtet, befinden wir uns in Gesprächen mit der Finanzwirtschaft und haben wir die steuerrechtlichen Rahmenbedingungen verbessert, um auch für diese Unternehmen die Innovationsfinanzierung zu erleichtern. Ich gehe davon aus, dass die Senkung der Körperschaftsteuer, wie sie geplant ist, auch für die kleinen und mittleren Unternehmen eine Hilfestellung bedeuten wird, genauso wie die Umsetzung unserer Vorschläge betreffend die Personengesellschaften.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage hat die Kollegin Katherina Reiche.

Katherina Reiche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003209, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, wenn man den Bericht liest, dann weiß man, warum die Bundesregierung von der jährlichen Berichterstattung abrücken will und stattdessen nur alle zwei Jahre einen Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands präsentieren möchte. So kann man sich nämlich Kritik gut entziehen. Der vorliegende Bericht beginnt mit der Diagnose anhaltender Wachstumsschwäche und hartnäckiger Arbeitsmarktprobleme und vermeldet nur einzelne positive Signale. Weiter ist zu lesen, dass Deutschland in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre stark war - ich glaube, zu diesem Zeitpunkt haben wir noch regiert - und nun deutlich hinter die nordischen Länder zurückgefallen ist, genauso wie hinter Großbritannien und Frankreich. Es ist weiterhin zu lesen, dass die Zahlen der Unternehmensgründungen dramatisch eingebrochen sind und dass andere große Industrieländer eine erheblich größere Dynamik aufweisen als Deutschland. Es ist außerdem zu lesen - erstaunlicherweise erst auf der letzten Seite -, dass sich die Verfasser des Berichts für die Einführung von Studiengebühren aussprechen. Erstens. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus dieser Wirtschafts- und Wachstumsdiagnose für ihren eigenen Haushalt? Zweitens. Wie bewerten Sie den Ratschlag Ihrer eigenen Experten, Studiengebühren einzuführen?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

In dem Bericht wird darauf hingewiesen - das haben Sie nicht erwähnt, liebe Frau Reiche -, dass zum Beispiel das Durchsetzungsvermögen der exportierenden Industrie in Deutschland uneingeschränkt hoch ist, dass diese Industrie auf den Weltmärkten alle Rekorde bricht. In jedem Kapitel des Berichts wird auf den engen Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Wachstum sowie Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen hingewiesen. Das ist eine Kernaussage des Berichtes. Wenn ich mich recht erinnere, wird in Punkt 4 des Berichts darauf hingewiesen, dass seit einigen Jahren Bildung, Forschung, Wissenschaft und Technologie wieder einen höheren Stellenwert in Deutschland haben, was in den 90er-Jahren unter Ihrer Regierung - darauf wird in längeren Ausführungen hingewiesen - leider nicht der Fall war. ({0}) Der Bericht besagt, dass die Ausgaben für Bildung sowie für Forschung und Entwicklung seit einigen Jahren - genauer: seit wir die Bundesregierung stellen - einen höheren Stellenwert haben. Der Bericht macht eines ganz deutlich - das habe ich bereits mehrfach gesagt -: Die Bundesrepublik Deutschland - Bund und Länder sowie die private Wirtschaft - muss ihre Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen noch weiter verstärken, auch wenn die bisherige Entwicklung positiv ist; denn andere Länder setzen ihre Anstrengungen sehr dynamisch fort. Das ist eine weitere Kernaussage des Berichtes. Ich habe bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die Regierungsfraktionen und die Opposition gemeinsam dazu bereit sein müssen, die notwendigen Umschichtungen im Bundeshaushalt durchzuführen, der auch für die Länder Gestaltungsräume beinhaltet. Nun zur Frage nach der Einführung von Studiengebühren: Auch hier haben Sie nur eine Hälfte des Berichts angeführt. Der Bericht besagt ausdrücklich, dass eine umfangreiche Gewährung von Stipendien durch die Länder sichergestellt sein muss, damit sich die Zahl der Studienanfänger weiterhin positiv entwickelt - das habe ich vorhin erwähnt -, dass sie nicht einbrechen darf. Auf diesen Punkt geht der Bericht sehr ausführlich ein. Außerdem geht er sehr stark darauf ein, dass gerade die Studierenden der Ingenieurwissenschaften zu einem großen Teil aus den typischen Arbeitnehmerfamilien kommen. ({1}) Dabei handelt es sich um diejenigen, denen es unsere Politik ermöglicht hat, dass sie studieren können. Seit der BAföG-Reform 2001 ist die Zahl der Studienanfänger aus diesen Familien um fünf Prozentpunkte gestiegen. Das ist der erste Anstieg in diesem Bereich seit ungefähr 20 Jahren. Einige Wissenschaftsminister der CDU haben nichts Besseres zu tun, als zu fordern, dass das BAföG abgeschafft wird. ({2}) Frau Reiche, dazu sage ich Ihnen ganz klar: Das ist ein Skandal. ({3}) Damit gefährden Sie wirklich die Zukunft unseres Landes. Deshalb bitte ich Sie, mit Ihren Parteikollegen, die in den Ländern Minister sind, wirklich einmal ein ernsthaftes Wort zu reden, damit diese Verunsicherung aufhört. Diese Minister müssen, wenn sie schon Studiengebühren einführen - die Einführung von Studiengebühren liegt, wie Sie wissen, nicht in der Hand der Bundesregierung; das hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt -, dafür Sorge tragen, dass diese Personen auch in Zukunft noch studieren können. Kreditfinanzierungsmodelle ermöglichen das nicht; sie bedeuten nämlich, dass Studenten am Ende des Studiums Schulden in Höhe von 50 000 Euro, 60 000 Euro oder noch mehr haben. ({4}) Ich sage Ihnen ausdrücklich: Sie müssen sich Gedanken machen, wie Sie sicherstellen wollen, dass die positive Entwicklung der Zahl der Studienanfänger in den Naturwissenschaften und in den Ingenieurwissenschaften seit 1998 anhält. Dafür sind Ihre Landesregierungen verantwortlich. Ich kann Sie nur ermuntern, mit Ihren Landeskollegen ein ernsthaftes Wort zu reden. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Als Nächster hat der Kollege Heinz Riesenhuber das Wort.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, Sie haben soeben festgestellt, dass es nicht reicht, dass die Bundesregierung allein ihre Investitionen in Forschung und Entwicklung erhöht. Nach dem Bundesforschungsbericht wurden die Ausgaben für Forschung im Jahr 2004 im Vergleich zum Jahr 2003 sowohl in Ihrem Ressort als auch in Bezug auf die Gesamtausgaben der Bundesregierung gesenkt; ({0}) 2003 waren es insgesamt 9,162 Milliarden Euro, 2004 waren es insgesamt 8,882 Milliarden Euro. Dieser Trend entspricht dem, was in der Zusammenfassung dieses Berichts steht: Die FuE-Pläne 2004 der Wirtschaft haben nach einem unerwartet positiven Jahr 2003 einen Rückgang bis maximal Status quo vorgesehen. Frau Ministerin, es wäre gut, wenn wir von der Alibidiskussion über die Eigenheimzulage wegkämen. Ich stimme mit Ihnen völlig überein, dass wir im Haushalt neue Prioritäten setzen müssen. ({1}) Die andere Hälfte der Wahrheit ist jedoch, dass die Bundesregierung, die in diesem Jahr über einen Haushalt mit einem Volumen von rund 250 Milliarden Euro verfügt, nicht nur im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen Ist und Soll, sondern auch im Hinblick auf die Planung nicht diejenigen Prioritäten setzt, die in der Sache notwendig sind. Durch diese Alibidiskussion blockieren Sie sich bei den Verhandlungen mit dem Finanzminister. Er hat Sie erfolgreich in eine Sackgasse gelockt. Darin sitzen Sie jetzt und alle Ihre Verhandlungsbemühungen mit dem Finanzminister werden mit dem Hinweis auf den Bundesrat abgeblockt, sodass Sie in eine wirklich schwierige Lage gekommen sind. ({2}) Wenn es in der Vergangenheit um diese Berichte ging, haben Sie immer in einer sehr interessanten Weise zusammenfassend dargestellt, wie sich die Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik im Vergleich zu den mit ihr konkurrierenden Ländern verändert hat. Eine solche Darstellung finde ich in diesem Bericht nicht. Insofern wäre ich Ihnen dankbar - ich verweise auf die Analogie zum letzten ergänzenden Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit 2003/2004 -, wenn Sie die Entwicklung der relevanten Faktoren im Vergleich zur Konkurrenz betrachteten: die Erwerbstätigenproduktivität, die IuK-Ausgaben, den Hochtechnologiehandel, die Forschungsbeachtung, die FuE-Ausgaben, die Bildungsausgaben, die Zahl der technikrelevanten Hochschulabsolventen. In Bezug auf all diese Bereiche gab es nach den früheren Berichten ein Zurückfallen Deutschlands gegenüber konkurrierenden Ländern, und zwar trotz aller eindrucksvollen Anstrengungen, die hier unternommen worden sind. Die eine Bitte ist, uns nachträglich darüber zu informieren, wie sich die Situation in dieser Berichtsperiode diesbezüglich darstellt. Die andere Bitte ist, uns zu sagen, an welchen Stellen Sie Ihre Berichterstattung in der Zukunft wieder so gestalten, dass wir die Konkurrenz, auf die es ankommt, kennen, dass wir von da aus wirklich Strategien entwickeln können und nicht nur rabulistische Diskussionen über einzelne Zahlen führen müssen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Herr Riesenhuber, ein Blick in den Bericht zeigt, dass die Vergleiche, die Sie gefordert haben, enthalten sind, auch in der Kurzfassung. Darin sind zum Beispiel enthalten die Innovatorenquote, der Wertschöpfungsanteil von FuE-intensiven Industrien und wissensintensiven Dienstleistungen, die Produktion in forschungs- und entwicklungsintensiven Industriezweigen, die Forschungsund Entwicklungsintensität in ausgewählten Regionen der Welt, die Entwicklung der internen Forschungs- und Entwicklungsausgaben der Wirtschaft, die Entwicklung auch differenziert nach Ausgaben der Wirtschaft und des öffentlichen Sektors insgesamt, die Entwicklung der Studienanfängerzahlen in Deutschland. Im Übrigen habe ich gerade darauf hingewiesen, welch positive Entwicklung zu verzeichnen ist. Ich würde es begrüßen, wenn Sie einmal selbstkritisch dazusagen würden, Herr Riesenhuber, dass Sie es in den 90er-Jahren versäumt haben, durch vielfältige Anstrengungen dafür Sorge zu tragen, dass der Nachwuchs gewährleistet ist. Wir leiden heute zum Teil immer noch unter dem, was Mitte der 90er-Jahre unter Ihrem Kollegen Rüttgers versäumt worden ist. Er hat damals die Forschungs- und Entwicklungsausgaben im Haushalt dieses Ministeriums in unverantwortlicher Weise zurückgefahren und vieles zerstört. Er hat sich damals unverantwortlicherweise überhaupt nicht um das Problem gekümmert, dass der Nachwuchs bei den Ingenieuren fehlt. ({0}) Das sind Zahlen, die Sie, Herr Riesenhuber, genauso gut kennen wie ich; das weiß ich ganz genau. Wir haben das damals im Deutschen Bundestag diskutiert. Angesichts dessen sollten Sie zumindest an die Adresse Ihres Kollegen Rüttgers sagen - ich will jetzt nicht auf das eingehen, was in den 80er-Jahren war; das liegt wirklich zu weit zurück -: Lieber Jürgen Rüttgers, damals hast du wirklich große Fehlentscheidungen getroffen. Sie sollten korrigiert werden. - Dass wir sie korrigiert haben, habe ich vorhin deutlich dargestellt. Herr Riesenhuber, man sollte sich ein wenig intensiver mit dem befassen, was sich in den letzten zehn Jahren wirklich vollzogen hat. Sie werden mir darin Recht geben müssen, dass wir vieles von dem, was damals versäumt worden ist, kompensiert haben. Sie wissen wie ich, Herr Riesenhuber, dass die durchschnittlichen Studienzeiten in den Ingenieur- und Naturwissenschaften sechs Jahre betragen. Ich hoffe immer noch, dass wir gemeinsam versuchen, sie zu reduzieren. Aber dabei sind die Länder, die Universitäten in der Hauptverantwortung. Nach sechs Jahren gibt es erste positive Entwicklungen auch bei den Absolventen. Das wird sich in den nächsten Jahren noch verstärken. Was Sie eingefordert haben, ist - das sage ich noch einmal ausdrücklich - in diesem Bericht enthalten. Für die Zukunft haben wir im Deutschen Bundestag beschlossen, dass der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit von den Wirtschafts- und Forschungsinstituten weiterhin selbstständig erarbeitet und vorgestellt wird, so wie das zum Beispiel beim Jahreswirtschaftsbericht geschieht, und dass wir ihn dann im Bundestag diskutieren. Die Bundesregierung wird alles tun, damit wir die Indikatoren und präzisen Daten bekommen, die eine wichtige Grundlage für die zielgerichtete Weiterentwicklung des Forschungs- und Innovationssystems sind, die man braucht, um Arbeitsplätze in unserem Land zu halten oder auch neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist die Zielsetzung der Bundesregierung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. Wegen des Zeitablaufs kann ich jetzt nur noch eine Frage zu einem anderen Themenbereich der Kabinettssitzung zulassen. Das Wort hat die Kollegin Petra Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Der Presse war zu entnehmen, dass sich das Bundeskabinett heute mit weiteren schwer wiegenden Themen beschäftigt hat bzw. dazu Entscheidungen getroffen hat. Ich frage die Bundesregierung: Trifft es zu, dass eine Entscheidung über einen neuen Auslandseinsatz der Bundeswehr, in diesem Fall im Sudan, getroffen wurde? Welchen Umfang hat dieser Einsatz? Welcher Art ist er? Für wie lange ist er geplant?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wer möchte antworten? - Staatssekretär Wagner, bitte schön.

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Ja, Frau Kollegin Pau, Sie haben richtig gelesen. In der Presse wurde öffentlich gemacht, dass sich die Bundesregierung heute mit einem Einsatz von Soldaten im Rahmen einer UN-Mission im Sudan befasst hat. Dabei geht es um 50 Militärbeobachter. Der Bundestag wird in der nächsten Sitzungswoche damit befasst werden, weil er ja die endgültige Zustimmung zu einem solchen Auslandseinsatz geben muss. Sie wissen, dass dies nach den Kriterien der Vereinten Nationen ein unbewaffneter Einsatz für unsere Soldaten ist und sich auf die Beratung des dortigen, im Aufbau befindlichen Stabes bezieht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Ich beende damit die Befragung der Bundesregierung und komme zum Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde - Drucksache 15/5229 Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Hans Georg Wagner zur Verfügung, der ja schon eben geantwortet hat. Wir kommen zur Frage 1 der Kollegin Ursula Lietz: Wie hoch sind die notwendigen Investitionen in das Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, um es nach dem Konzept zur einsatzbezogenen Transformation der Bundeswehrkrankenhäuser zukunftsfest zu machen?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Frau Kollegin Lietz, für das Bundeswehrkrankenhaus Hamburg ist ein mittelfristiger Bedarf von 31,6 Millionen Euro für infrastrukturelle Investitionen veranschlagt. Bis etwa 2015 werden langfristig weitere 25,8 Millionen Euro notwendig werden. Insgesamt sind also 57,4 Millionen Euro für infrastrukturelle Investitionen veranschlagt. Sie wissen, die Entscheidung, das Bundeswehrkrankenhaus Hamburg zu erhalten, ist am 1. November vergangenen Jahres von Herrn Minister Dr. Struck getroffen worden. Damals geisterten noch andere Zahlen herum. Da waren es nämlich 115 Millionen Euro. Auch Sie wissen das, da Sie ja vor Ort waren. Der Bedarf hat sich jetzt herunterstabilisiert auf geschätzte Kosten von - ich bin mir nicht sicher, ob das endgültig so bleibt - etwas mehr als 57 Millionen Euro. Dafür soll ein Bettenhaus gebaut werden. Das Bettenhaus, das jetzt benutzt wird, ist alt, muss also renoviert werden, und liegt ziemlich weit weg vom OP-Bereich, der schon saniert worden ist, und auch von der Unfallchirurgie. Deshalb wird das erste größere Projekt, an dem gebaut wird, das Bettenhaus sein. Danach folgen Renovierungsmaßnahmen in anderen Bereichen. Ein wichtiger Entscheidungsgrund, das Krankenhaus in Hamburg zu erhalten, war nicht nur die Höhe der Investitionskosten, sondern auch die Tatsache, dass dieses Krankenhaus als einziges Krankenhaus mitten in der Stadt Hamburg über einen Hubschrauberlandeplatz verParl. Staatssekretär Hans Georg Wagner fügt. Ich gehe davon aus - da stimmen Sie mir sicherlich zu -, dass an vergleichbar günstiger Stelle in Hamburg ein Hubschrauberlandeplatz unter den heute herrschenden Bedingungen in dem Bereich nicht mehr genehmigt werden würde. Der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg hat uns ein neues Krankenhaus angeboten, weil er im Zuge der Neustrukturierung der Hamburger Krankenhauslandschaft ein Krankenhaus abgeben wollte. Das wäre der beste Weg gewesen, um die Bettenzahl zu verringern. Auf dieses Angebot konnten wir aufgrund des dort nicht vorhandenen Hubschrauberlandeplatzes nicht eingehen, weil wir ja unsere verletzten Soldatinnen und Soldaten sehr schnell unmittelbar dahin bringen müssen, wo Operationsmöglichkeiten bestehen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Frau Lietz?

Ursula Lietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. - Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Antworten. Ich entnehme meinen Unterlagen, wenn ich das richtig interpretiere, dass bis zum Jahre 2003 über einen Zeitraum von insgesamt fünf Jahren 19 Millionen Euro in Bauunterhaltung und Baumaßnahmen gesteckt wurden. Danach gab es erst einmal eine Pause, wahrscheinlich wegen der möglicherweise anstehenden Stilllegung. Jetzt haben Sie von mittelfristigen Investitionen gesprochen. Für die Benutzung der Vokabel „Herunterstabilisierung“ anstelle von Reduzierung von Investitionen kann ich Ihnen übrigens nur gratulieren; dabei handelt es sich wirklich um eine freundliche Umschreibung. Meine Frage lautet nun: Wann beginnen Sie mit diesen so genannten mittelfristigen Investitionen und wie lange, glauben Sie, brauchen Sie, nachdem Sie davon gesprochen haben, dass das meiste bis 2015 fertig sein soll, bis dieses Krankenhaus wieder voll funktionsfähig ist? Sie wissen ja, dass es schwierig ist, während Baumaßnahmen in einem Krankenhaus zu arbeiten.

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Sobald Planungssicherheit herrscht, werden wir unverzüglich damit beginnen, die entsprechenden Ausschreibungen vorzunehmen. Sie wissen, dass der OP-Bereich schon saniert ist. Das war ja das Erste und Wichtigste. Auch die Unfallaufnahme wurde erneuert. Man ist da jetzt fähig, schnell zu reagieren. In diesen beiden Bereichen war die Lage nämlich am kritischsten. Das Bettenhaus ist als Nächstes dran; auch dessen Zustand ist nicht der beste. Dann werden der Kreuz- und Südbau renoviert werden; das wird sich bis 2015 hinziehen. Aber den Schwerpunkt bei den Baumaßnahmen stellt das Bettenhaus dar, das neben dem OP-Bereich, also in unmittelbarer räumlicher Nähe, gebaut wird. Damit wird begonnen, sobald die entsprechenden Ausschreibungen gelaufen sind.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage, bitte schön.

Ursula Lietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wird das vor dem Jahre 2008 sein? ({0})

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Ich gehe davon aus, dass vor dem Jahr 2008 begonnen werden wird. Die entsprechenden Mittel für den Neubau müssen zunächst im Haushalt 2006 verfügbar gemacht werden. Bisher waren, wie Sie zu Recht gesagt haben, nur Unterhaltungsmaßnahmen vorgesehen. Ich gehe davon aus, dass an dem Bau im Jahr 2008 bestimmt gearbeitet wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Lietz auf: Wie weit sind die Verhandlungen des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg für eine Kooperation mit dem BernhardNocht-Institut für Tropenmedizin, BNI, fortgeschritten?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Sie sprechen die Frage der Zusammenarbeit an. Wir haben einen Entwurf des Kooperationsvertrages erarbeitet, in dem es um die Zusammenarbeit mit dem Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin geht. Dieser Kooperationsvertrag muss in verschiedenen Teilpunkten noch weiter ausgearbeitet werden. Seit kurzem ist bekannt, dass die Gesundheitsbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg plant, die stationäre Versorgung der Patienten des Bernhard-Nocht-Institutes für Tropenmedizin aus dem Institut auszulagern und zu reorganisieren. Bezüglich dieser möglichen Neuorganisation der stationären Krankenbehandlung durch das BernhardNocht-Institut fanden erste Gespräche statt, in denen die Freie und Hansestadt Hamburg, das Bernhard-Nocht-Institut selbst und mögliche Interessenten, also auch wir, das Bundesministerium der Verteidigung, für das Bundeswehrkrankenhaus Hamburg dessen Möglichkeiten und Grenzen einer Zusammenarbeit bzw. einer Trägerschaft bei der Versorgung im Bereich der Tropen- und Infektionsmedizin erschließen. Der Inhalt des Kooperationsvertrages zwischen uns, dem Bundesministerium der Verteidigung, und dem Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin sowie der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses werden durch die Entscheidung der Freien und Hansestadt Hamburg über die künftige Organisation der stationären Versorgung der Patienten des Bernhard-Nocht-Institutes für Tropenmedizin beeinflusst werden. Sie wissen, die Nähe zu diesem Institut war mit ein Grund für die Erhaltung des Hamburger Bundeswehrkrankenhauses, weil die vielfältigen Einsätze der Bundeswehr in Krisengebieten dazu führen können, dass Krankheiten auftreten, die wir nicht unbedingt vermuten und die im Tropeninstitut untersucht werden müssen. Da sind die räumliche Nähe und eine engere Kooperation natürlich sinnvoll.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage?

Ursula Lietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, mich würde noch interessieren: Gibt es schon Konzepte dafür, wie die Verteilung der Finanzierung zwischen dem Land Hamburg und der Bundeswehr bzw. dem Bernhard-Nocht-Institut, das ja vom Lande finanziert wird, in Zukunft aussehen wird?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Diese Überlegungen werden zurzeit angestellt. Aber aufgrund der Ungewissheit bezüglich der Ausgliederung der stationären Versorgung kann ich Ihnen keine konkreten Zahlen nennen. Dass jedoch in Bezug auf die Behandlung von Bundeswehrangehörigen im Tropeninstitut eine vernünftige Finanzierungsregelung gefunden werden muss, ist selbstverständlich.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage?

Ursula Lietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Beziehen Sie Ausbildungsmöglichkeiten für Sanitätsoffiziere am Bernhard-Nocht-Institut in Ihre Planungen mit ein?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Das wird sicherlich so sein. Ich habe auf die möglichen Einsätze in Krisengebieten hingewiesen, die unerwartete Folgen haben können, zum Beispiel durch Seuchen. Der jetzt bevorstehende Einsatz im Sudan könnte durchaus die Gefahr einer Tropenerkrankung mit sich bringen. Die Krankheit kann dann in Kooperation mit dem Bernhard-Nocht-Institut untersucht werden. Gleichzeitig muss das Thema der speziellen Ausbildung erörtert werden, damit unsere Leute in die Lage versetzt werden, vor Ort zu erkennen, welche Krankheiten auftreten und wie diese behandelt werden können.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine Zusatzfrage der Kollegin Blumenthal.

Antje Blumenthal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003480, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, welche Synergieeffekte verspricht sich das Bundeswehrkrankenhaus Hamburg von der zukünftigen Kooperation mit dem Bernhard-NochtInstitut?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Wir versprechen uns davon, dass die Zusammenarbeit durch den Kooperationsvertrag intensiver wird und dass bei Auftreten entsprechender Fälle in Krisengebieten sofort darauf zugegriffen werden kann. Das ist eine wichtige Verbesserung der bisherigen Zusammenarbeit, die durch die Schaffung der vertraglichen Grundlage geschieht. ({0}) - Deshalb habe ich ja gesagt, dass eine Verbesserung eintritt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ihr Kommentar, Frau Blumenthal, ist sicher zutreffend, aber nicht zulässig, weil von Nichtfragestellern nur eine Zusatzfrage gestellt werden darf. ({0}) - Das ist ja in Ordnung, aber es gibt keine weitere Zusatzfrage. Das Reglement ist streng, aber es ist nicht vom amtierenden Präsidenten erfunden, sondern unter den Fraktionen so vereinbart und verabschiedet worden. Damit sind wir mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung durch. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung auf. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Caspers-Merk zur Verfügung. Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Petra Pau auf: Welche Kenntnis hat die Bundesregierung darüber, dass deutsche Patientendaten aus dem so genannten Disease-Management-Programm im großen Stil nach Vietnam transferiert worden sein sollen - vergleiche Sendung „Monitor“ vom 17. März 2005 -, und was hat die Bundesregierung unternommen, um diesen Vorgang aufzuklären?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin Pau, Sie fragen nach einem Vorgang, der in den Medien seinen Niederschlag gefunden hat. Es geht darum, ob personenbezogene Daten aus dem Disease-Management-Programm im Ausland verarbeitet wurden und welche Maßnahmen die Bundesregierung ergriffen hat, um diesem Vorgehen aus datenschutzrechtlichen Gründen Einhalt zu gebieten. Ich will der guten Ordnung halber sagen, dass schon vorher zwei Kollegen, nämlich die Frau Kollegin Dr. Lötzsch und der Herr Kollege Wolfgang Zöller, danach gefragt haben. Ich verweise in meiner Antwort deshalb auch auf die damals gegebenen Antworten. Die Arbeitsgemeinschaften Disease-ManagementProgramm in Thüringen, Hessen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern haben eine Firma in Bamberg mit der Verarbeitung von DMP-Daten beauftragt. In diesen Verträgen ist eine Verarbeitung im Ausland ausdrücklich ausgeschlossen. Die Firma soll ungeachtet der Bestimmungen in diesem Vertrag personenbezogene Daten an ihre Tochterfirma in Vietnam zur Verarbeitung übermittelt haben. Demgegenüber verweist die Firma nach Angaben der kassenseitigen Vertragspartner darauf, lediglich anonymisierte Daten an ihre Tochterfirma in Vietnam zur Optimierung der Beleglesesoftware zu Testzwecken übermittelt zu haben. Es sollen eidesstattliche Erklärungen der Mitarbeiter der Tochterfirma in Vietnam vorliegen, dass keine personenbezogenen Daten verarbeitet wurden. Die Firma in Bamberg hat den Geschäftsführer entlassen. Die betroffenen Arbeitsgemeinschaften DMP haben unter Einschaltung der jeweils zuständigen Landesdatenschutzbeauftragten unverzüglich Ermittlungen eingeleitet. Eine unabhängige Prüfstelle, eine Geschäftsstelle des TÜV Rheinland in Vietnam, wurde beauftragt zu prüfen, wie die Verarbeitung der Datensätze durch die im Ausland ansässige Niederlassung des Dienstleisters erfolgte. Nach den nun vorliegenden Gutachten des TÜV Rheinland vom 10. März 2005 konnten keinerlei Hinweise auf DMP-Daten festgestellt werden. Ebenso konnten keine DMP-Daten rekonstruiert werden. Wir haben geprüft, an welcher Stelle die Bundesregierung handeln könnte, und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir in dieser Frage nicht gefordert sind. Denn die Kontrolle obliegt den Aufsichtsgremien der Länder. Die aufsichtsrechtliche und datenschutzrechtliche Prüfung ist vonseiten der Landesbehörden eingeleitet worden. Es wurden sowohl die Landesdatenschutzbeauftragten als auch die jeweiligen Fachstellen eingeschaltet. Die Bundesregierung besitzt in diesem Bereich keine Zuständigkeit. Im Gesetz haben wir sehr strenge Anforderungen, was die Verarbeitung von DMP-Daten angeht, festgelegt. Der Datenschutzbeauftragte des Bundes hat daran mitgewirkt. Insofern gibt es keine Fehler in der Gesetzgebung. Aber wie es immer ist: Niemand von uns kann garantieren, dass Regelungen, die in Gesetzen oder in Verträgen festgelegt wurden, im Einzelfall nicht unterlaufen werden. Verstöße sind lückenlos aufzuklären und abzustellen. Dies ist im vorliegenden Fall erfolgt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Frau Kollegin Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Danke, Frau Staatssekretärin. - Die Stichworte Datenschutz und Datenschutzbeauftragte sind schon gefallen. Mir sind intensive, zum Teil heftige und zum Teil über die Presse ausgetragene Auseinandersetzungen zwischen den Landesschutzbeauftragten und dem Bundesversicherungsamt im Vorfeld der Verarbeitung von Patientendaten gerade zur Kenntnis gelangt. Die Datenschutzbeauftragten hatten bemängelt, dass das Bundesversicherungsamt die Beachtung des Datenschutzes regelmäßig nicht als Kriterium für die Vergabe solcher Aufträge nimmt. Vielmehr bekommt derjenige den Auftrag, der die Daten am preisgünstigsten verarbeitet. Es werden also keine Qualitätskriterien angelegt. Sind Ihnen diese Auseinandersetzungen im Vorfeld der Verarbeitung der Daten bekannt gewesen und inwieweit haben Sie dem Bundesversicherungsamt als Aufsichtsbehörde den Hinweis gegeben, dass nicht nur der Preis ein Kriterium sein kann?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Es ist üblich, dass über Ausschreibungen Aufträge an Drittfirmen in denjenigen Bereichen der Sozialversicherung vergeben werden, in denen die Behörden nicht über entsprechende eigene Kompetenzen - wie zum Beispiel im Bereich der Datenverarbeitung - verfügen. Dieses Vorgehen ist nicht zu beanstanden. In dem vorliegenden Vertrag wurde ausgeschlossen, dass die Daten ins Ausland übermittelt werden dürfen. Aber es ist rechtswidrig gehandelt worden. Insofern macht es Sinn, dass wir nicht jede einzelne Kasse zwingen, eine sehr aufwendige Hard- und Software für die Verarbeitung großer Datensatzmengen im Rahmen der DMP-Programme vorzuhalten. In diesem Falle kann man sich vielmehr Fachfirmen bedienen, die aufgrund ihrer Vertragstreue und Leistungsfähigkeit auszuwählen sind. Der Vertrag ist entsprechend der Rechtslage abgeschlossen worden. Einer hat vertragswidrig gehandelt; das können Sie nie ausschließen. Es macht nach wie vor Sinn, dass wir uns für eine sparsame Verwaltung der Mittel, die die versicherten Arbeitnehmer und Arbeitgeber aufbringen müssen, einsetzen. Deswegen können wir nicht jeder kleinen Betriebskrankenkasse vorschreiben, dass sie selbst große Datenverarbeitungskapazitäten vorhält. Das würde zu einer Erhöhung der Beiträge führen. Das kann nicht in unserem Sinne sein.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage? - Bitte.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ich will keiner Betriebskrankenkasse einen weiteren Verwaltungsapparat vorschreiben. Meine Frage bezog sich aber auf die Qualitätsstandards, die nicht nur mit Geld und Aufwendungen begründet werden können. Im Zusammenhang mit meinen Recherchen zu diesem Thema stieß ich unter anderem auf das gerade erst in Kraft getretene Verwaltungsvereinfachungsgesetz und auf Vorhaltungen sowohl von Datenschützern als auch von Sozialrechtlern, dass die Bundesregierung mit Art. 4 Nr. 6 dieses Gesetzes die Vergabe von Aufträgen an Dritte einschließlich der Übertragung vollständiger Datenbestände nachträglich legalisiert bzw. vereinfacht und damit der Praxis, dass solche Aufträge ins Ausland gehen, Tür und Tor geöffnet habe. Wie treten Sie solchen Vorwürfen entgegen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Das ist eine Frage, die über den Einzelfall weit hinausreicht. Sie fragen ja, ob es generell zulässig ist, solche Aufträge an Dritte zu vergeben. Ich glaube, dass es generell Sinn macht, an Dritte solche Aufträge zu vergeben. Man muss aber über Einzelverträge sicherstellen, dass alle Auflagen des Datenschutzes eingehalten werden. Das angesprochene Beispiel zeigt, dass erstens die Aufsicht und zweitens die Landesdatenschutzbeauftragten tätig geworden sind, dass also die Kontrollmechanismen greifen. Sie können nie ausschließen, dass jemand in irgendeinem Verwaltungsverfahren gegen Gesetze verstößt. Der entscheidende Punkt ist: Gibt es Kontrollmechanismen und wird hinterher eine transparente Aufklärung vorgelegt? In diesem Fall ist es so gewesen. Deswegen spricht nichts dagegen, dass man sich Fachfirmen bedient; denn diese können eine solche Arbeit in aller Regel kostengünstiger und leistungsfähiger erfüllen. Der entscheidende Punkt dabei ist: Alle datenschutzrechtlichen Auflagen müssen erfüllt werden und man muss dafür sorgen, dass diese Firmen nur anonymisierte bzw. pseudonymisierte Daten erhalten. Genau das ist, zumindest was unseren Fall hier angeht, im Rahmen der DMP-Regelungen gewährleistet gewesen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Vielen Dank, Frau Caspers-Merk. Die Fragen 4 und 5 des Kollegen Hofbauer aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, die Frage 6 des Kollegen Jüttner aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie die Frage 7 des Kollegen Kaster aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes werden schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Hier steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hartenbach zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Zunächst rufe ich die Frage 8 des Kollegen Roland Gewalt auf: Wie bewertet die Bundesregierung inhaltlich den Gesetzentwurf des Bundesrates ({0}) über ein Graffiti-Bekämpfungsgesetz?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Kollege Gewalt, die Bundesregierung ist der Auffassung, dass es neben strafrechtlichen Maßnahmen ebenso Anstrengungen auf dem Gebiet der Prävention bedarf, um dem Graffitiunwesen entgegenzuwirken. Aus strafrechtlicher Sicht begegnet der Begriff der nicht unerheblichen Veränderung gegen den Willen des Eigentümers oder eines sonst Berechtigten keinen durchgreifenden Bedenken. Eine Erweiterung der Straftatbestände in den §§ 303 und 304 Strafgesetzbuch, wie in dem Gesetzentwurf des Bundesrates vorgeschlagen, hätte im Wesentlichen den Vorteil der Vereinfachung der Strafverfolgung, da kein Beweis mehr darüber erhoben werden müsste, ob die Graffitischmierereien zu einer Substanzverletzung geführt haben. Häufig dürfte - wenn auch erst durch die Reinigung - eine Substanzverletzung vorliegen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Roland Gewalt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003533, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wenn Sie, was ich ausdrücklich begrüße, diese Gesetzesvorlage des Bundesrates unterstützen, wie erklären Sie sich dann, dass diese Gesetzesinitiative des Bundesrates seit zweieinhalb Jahren hier im Bundestag auf Eis liegt?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Kollege Gewalt, die Bearbeitung lag in den Händen der Abgeordneten des Deutschen Bundestages; sie vollzog sich im Rahmen der Beratungen des Rechtsausschusses. Auf diese Bearbeitung hat die Bundesregierung gemäß dem Prinzip der Gewaltenteilung keinen Einfluss; das ist auch gut so.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage.

Roland Gewalt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003533, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Ihrer Äußerung, dass Sie den Gesetzesvorschlag des Bundesrates unterstützen, entnehme ich - das möchte ich Sie fragen -, dass die Bundesregierung keinen eigenen Vorschlag unterbreiten wird und den Vorschlag des Bundesrates unterstützt.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Ich kann Ihre Frage so beantworten: Die Bundesregierung wird keinen eigenen Gesetzesvorschlag unterbreiten und wird es den Koalitionsfraktionen und den anderen beiden Fraktionen überlassen, ob sie im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages den Gesetzentwurf des Bundesrates unverändert übernehmen oder ihn gegebenenfalls verbessern wollen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Gewalt auf: Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass über die bisherige Behandlung dieser Gesetzesinitiative ein weiterer Beratungsbedarf in der Sache besteht?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass Änderungen des Strafgesetzbuches eine komplementäre Rolle bei der Bekämpfung des Graffitiunwesens zukommen sollte. Denn zum einen ist in allen Fällen, in denen es zu einer wenn auch nur geringfügigen Substanzverletzung kommt, eine Strafbarkeit nach §§ 303 und 304 Strafgesetzbuch gegeben; zum anderen kommt der Prävention eine zumindest ebenso wichtige Bedeutung zu. Im Übrigen werden derzeit Gespräche der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen geführt, in denen Regelungsvorschläge erörtert werden. Das habe ich Ihnen schon eben in etwa gesagt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Roland Gewalt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003533, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, mich würde sehr interessieren - das habe ich ja auch in der Frage so angesprochen -, wie denn die Bundesregierung dies sieht. Sehen Sie als Bundesregierung angesichts einer zweieinhalbjährigen Beratung des Gesetzentwurfs des Bundesrates und einer fünfjährigen Beratung zweier weiterer Gesetzentwürfe des Bundesrates jetzt wirklich noch irgendwelchen Beratungsbedarf?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Kollege Gewalt, wenn Sie sich die Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates in der betreffenden Bundestagsdrucksache ansehen, dann werden Sie feststellen, dass die Bundesregierung dort erklärt hat, dass sie die im Gesetzentwurf verwendete Formulierung bevorzuge und unterstütze. Die Bundesregierung hat allerdings zu den vorausgegangenen Vorschlägen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, von denen derzeit zumindest noch einer im Verfahren ist, immer gesagt, dass die Bundesregierung den Begriff des Verunstaltens nicht in einem Gesetz haben wolle. Dieser Meinung der Bundesregierung, die im Übrigen auch von den Koalitionsfraktionen geteilt wird, ist bei - soweit ich mich erinnern kann - mindestens zwei Anhörungen in der 14. und in der 15. Legislaturperiode von der überwiegenden Zahl der Sachverständigen zugestimmt worden. Es waren ein oder zwei Stimmen, die den Begriff des Verunstaltens, der im Übrigen - wenn ich Ihnen das noch sagen darf; wahrscheinlich wissen Sie das aber - in das österreichische Strafgesetzbuch Eingang gefunden hat, nicht abgelehnt haben. Wir sind der Meinung, dass dieser Begriff in das Gesetz nicht hineinpasst. Ich sagte es schon: Ich glaube, dass der Begriff des nicht unerheblichen Veränderns gegen den Willen des Eigentümers oder des sonst Berechtigten, wie er sich jetzt in dem Vorschlag des Bundesrates befindet, durchaus akzeptabel ist.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage.

Roland Gewalt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003533, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, bereits vor einem Jahr, als wir dies im Bundestag debattiert haben, hat die CDU/CSUBundestagsfraktion erklärt, dass wir, sobald die Koalition die Anträge zur Abstimmung zulassen würde, unseren eigenen Antrag für erledigt erklären würden. Deshalb steht er ja auch gar nicht mehr zur Debatte. Deshalb noch einmal meine Frage: Sieht die Bundesregierung, obwohl nur noch der Antrag des Bundesrates zur Beratung und zur Abstimmung steht, der von allen Bundesländern mit Ausnahme von Schleswig-Holstein unterstützt wird, nach zweieinhalb Jahren noch weiteren Beratungsbedarf über diesen Antrag des Bundesrates?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Die Bundesregierung, Herr Kollege Gewalt, hat das Ihrige getan, indem sie zu dem Entwurf des Bundesrates Stellung genommen hat. Danach ist - so ist das nun einmal in einer Demokratie - der Bundestag, in diesem Fall die Fachausschüsse des Bundestages, gefragt. Die Bundesregierung wird dort, wo es vonseiten des Rechtsausschusses gewünscht wird, gern mit Formulierungshilfen unterstützend tätig werden. ({0}) - Ihre Meinung hat die Bundesregierung schon geäußert, Herr Nolting. ({1}) Sie müssen einfach den Gesetzentwurf des Bundesrates lesen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine Zusatzfrage.

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kann ich der Tatsache, dass die Bundesregierung über zwei Jahre hinweg nicht aktiv geworden ist und selbst keine Vorschläge zu einer gesetzlichen Änderung vorgelegt hat, entnehmen, dass die Bundesregierung in den letzten zwei Jahren der Meinung war, dass hier kein Handlungsbedarf besteht? Sieht die Bundesregierung das heute anders? ({0})

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Kollege Schröder, ich möchte hier nicht über demokratisches Verhalten und demokratische Gepflogenheiten belehren. Ich habe die Frage ausführlich beantwortet. Ich wiederhole meine Antwort aber gern: Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates - das ist nachzulesen - Einvernehmen signalisiert. Danach lag dieser Gesetzentwurf den Gremien des Bundestages zur Beratung vor. Die Bundesregierung hatte keine Veranlassung, in diese Beratungen einzugreifen. Sie steht allerdings zur Verfügung, wenn sie um Formulierungshilfen gebeten wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Dr. Schröder auf: Welche Auswirkungen hat nach Auffassung der Bundesregierung die Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden ({0}) aus dem Jahr 2004, derzufolge nach der gegenwärtigen Rechtslage selbst das großflächige Besprühen von Eisenbahnwaggons mit Lackfarbe nicht strafbar ist?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Kollege Schröder, das Oberlandesgericht Dresden hat nicht entschieden, dass das großflächige Besprühen von Eisenbahnwaggons mit Lackfarbe nicht strafbar ist, vielmehr hat es das landgerichtliche Urteil aufgehoben und das Verfahren an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Als Begründung führt das Oberlandesgericht an, dass dem landgerichtlichen Urteil nicht mit hinreichender Sicherheit entnommen werden könne, ob die für eine Sachbeschädigung erforderliche Substanzverletzung tatsächlich eingetreten ist. Die Sache wurde deshalb an das Landgericht zurückverwiesen, damit dort die entsprechenden Feststellungen nachgeholt werden konnten. Das entspricht im Übrigen auch der bisherigen Rechtsprechung.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte mich auf den Beschluss des Oberlandesgerichtes beziehen. Der Sachverhalt ist folgender: Das untergeordnete Landgericht hat in dem angefochtenen Urteil festgestellt, dass der Angeklagte zu dem Tatzeitpunkt einen hellgrau und rot lackierten Reisezugwagen großflächig mit lösemittelhaltigen Kunstlacken besprüht hat. Dies hat es als Sachbeschädigung angesehen. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden sagt unter Punkt 2: Die Feststellungen des Landgerichtes rechtfertigen die Verurteilung des Angeklagten wegen Sachbeschädigung gemäß § 303 StGB nicht, weil das Landgericht keine Sachsubstanzverletzung festgestellt hat. Das bedeutet, dass zukünftig das Besprühen von Bundesbahnwaggons nicht mehr dem Straftatbestand der Sachbeschädigung entspricht. Meine Nachfrage ist: Welche Folgen hat das Ihrer Meinung nach insbesondere für die Deutsche Bahn AG?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Kollege Schröder, gestatten Sie, dass ich ein kleines Repetitorium durchführe. Ich will Ihnen zwar gerne nachsehen, dass es für Sie nicht ganz einfach ist, ein Revisionsurteil eines Oberlandesgerichtes richtig zu lesen. Aber in meiner Antwort auf Ihre ursprüngliche Frage habe ich diese Frage bereits beantwortet. In diesem Urteil steht nicht, der Angeklagte sei freizusprechen. Das Oberlandesgericht Dresden hat lediglich festgestellt, dass die Feststellungen des Landgerichts für eine Verurteilung nicht ausreichen und dass man, um eine Verurteilung zu erreichen, mehr unternehmen muss. Das Landgericht muss zum Beispiel dartun, warum eine Substanzverletzung vorliegt und worin sie besteht. Die Schlussfolgerung, die Sie daraus ziehen, kann ich überhaupt nicht teilen; denn wenn - ob beim großflächigen oder beim kleinflächigen Besprühen; dafür dürfte bereits eine Fläche von 5 Quadratzentimetern ausreichen eine Substanzverletzung festgestellt wird, handelt es sich um Sachbeschädigung. Das war übrigens schon so, als ich noch Staatsanwalt war; das ist jetzt 30 Jahre her.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, unser Kernproblem, das auch Sie vorhin erkannt haben, ist, dass immer eine Sachsubstanzbeschädigung festgestellt werden muss, was insbesondere dann, wenn sehr glatte Flächen, zum Beispiel Waggons der Deutschen Bahn AG, besprüht wurden, nicht ganz einfach ist. Deshalb lautet meine Frage: Sind Sie der Meinung, dass es auch zukünftig immer der Feststellung einer Sachsubstanzbeschädigung bedürfen muss, oder sehen Sie hier Handlungsbedarf?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Kollege Schröder, wenn man den § 303 des Strafgesetzbuches oder den § 304 des Strafgesetzbuches zur gemeinschädlichen Sachbeschädigung richtig auslegt, bedarf es schon nach geltender Rechtsprechung einer Substanzverletzung. Das ist schon seit 100 Jahren so, seitdem es das Strafgesetzbuch gibt. Eine andere Regelung hat es bisher nie gegeben. Die Bundesregierung hat - das habe ich bereits in meiner Antwort auf die erste Frage des Herrn Kollegen Gewalt zum Ausdruck gebracht - deutlich gemacht, dass sie sich durchaus vorstellen kann, dass die Formulierung des Gesetzentwurfes des Bundesrates - nach der die nicht unerhebliche Veränderung gegen den Willen des Eigentümers oder sonstiger Berechtigter ebenfalls strafbar sein soll - Eingang in ein Gesetz finden kann. Allerdings wiederhole ich: Das liegt nicht in den Händen der Bundesregierung, die angesichts der Debatten, die derzeit im Rechtsausschuss geführt werden, keine Notwendigkeit sieht, einen eigenen Gesetzentwurf zu unterbreiten. Vielmehr liegt es in den Händen der Mitglieder des Rechtsausschusses und dieses Hohen Hauses, ob man sich auf eine Formulierung einigt, die allen gerecht wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Gewalt.

Roland Gewalt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003533, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, nach der Veröffentlichung des Beschlusses des Oberlandesgerichts Dresden ist die Zahl der Graffitischmierereien im Bereich der Berliner Bahngelände, für die der Bundesgrenzschutz zuständig ist, um 17 Prozent gestiegen, während sie in Berlin im Übrigen nur um 2 bis 3 Prozent gestiegen ist. Hier ist also ein klarer Zusammenhang zu erkennen. Würden Sie, Herr Staatssekretär, mir zustimmen, dass solche Beschlüsse, und insbesondere die unklare Rechtslage, auf der sie basieren, zu solchen Entwicklungen führen?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Gewalt, jetzt haben Sie eine Frage angesprochen, die eigentlich der Kollege Fritz Rudolf Körper beantworten müsste; denn hier geht es um Ermittlungstätigkeiten. Gleichwohl will ich versuchen, soweit das Bundesministerium der Justiz in dieser Frage für die Bundesregierung sprechen kann, etwas dazu zu sagen. Ich kann mir nicht vorstellen, Herr Kollege Gewalt, dass die Sprayerszene in Berlin aufgrund des Urteils des Oberlandesgerichtes Dresden, welches von Mitgliedern von CDU und CSU völlig falsch ausgelegt wird - ihre Aussagen haben mit der Realität gar nichts mehr zu tun -, animiert worden ist, verstärkt zu sprühen. Ich hoffe nur, Herr Kollege Gewalt, dass Sie die Sprayer nicht über das Urteil des Oberlandesgerichtes informiert haben. ({0}) - Ja, es handelt sich natürlich um einen Beschluss; vielen Dank. - Eher kann ich mir vorstellen, dass die Szene durch die mit sehr viel öffentlicher Aufmerksamkeit einhergehende Tagung gegen Graffitischmierereien etwas aufgemischt wurde, was zu entsprechenden Aktivitäten geführt hat.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Stephan Mayer auf: Wo sieht die Bundesregierung Handlungsnotwendigkeit, um die Bekämpfung von Graffitivandalismus in Deutschland voranzutreiben?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Kollege Mayer, ich habe das eigentlich alles schon beantwortet; ich verweise auf meine Antworten auf die Fragen 8 und 9 des Herrn Kollegen Gewalt und auf die Zusatzfragen der Kollegen Gewalt und Schröder. Mehr kann ich dazu eigentlich nicht sagen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich habe zwei Nachfragen. Die erste: Wie bewertet die Bundesregierung das konsequente Vorgehen gegen Graffitivandalismus in den skandinavischen Ländern, das sehr erfolgreich vonstatten geht?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Kollege Mayer, auch dazu habe ich - wenn auch nicht unter Nennung der skandinavischen Länder - etwas gesagt: Die Strafbarkeit macht nur einen Teil des Rezeptes gegen die Schmierereien aus. Umgekehrt spielt die Prävention - das ist ja das, was die skandinavischen Länder im Wesentlichen betreiben - eine mindestens genauso große Rolle, wenn nicht eine noch viel größere Rolle, das heißt, die Möglichkeiten der polizeilichen Ermittlung, aber auch die Möglichkeiten, Sprayer mit anderen Mitteln auf das Verwerfliche ihres Tuns hinzuweisen. Ich würde mir wünschen, dass die Bundesländer hier endlich einmal ihrer Verantwortung gerecht würden und, anstatt immer nur Gesetze zu unterbreiten, präventiv tätig würden. In Berlin gibt es zum Beispiel eine Antisprayergruppe bei der Polizei; aber auch in anderen Bundesländern, etwa in Nordrhein-Westfalen. Wenn man das machen würde, könnte man Sprayer anhand ihrer ganz speziellen Tags - ich glaube, man nennt das so - sehr viel besser ermitteln.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zweite Zusatzfrage.

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, zunächst eine Anmerkung: Die Strafe auf Graffitisprayen ist in den skandinavischen Ländern wesentlich höher als in Deutschland. Aber noch einmal eine konkrete Nachfrage: Erachten Sie es bzw. erachtet es die Bundesregierung als erfolgreiche Prävention, wenn, wie in der vergangenen Woche geschehen - das wurde schon angesprochen -, Graffitisprayer in Berlin mit Hubschraubern gejagt werden, auch dingfest gemacht werden, aber dann wieder freigelassen werden, ohne dass Anklage gegen sie erhoben wird?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Diese Frage ist so unvollständig, dass ich sie auch nur unvollständig beantworten kann. Ich nehme - das wissen Sie - für die Bundesregierung grundsätzlich keine Stellung zu Zeitungsmeldungen - und nur aus solchen können Sie dieses ja wissen. Herr Gewalt weiß schon, wie ich darauf reagiere. Sie können die Frage auch gerne selbst stellen; Sie bekommen keine andere Antwort. Wir haben einen Rechtsstaat; das möchte ich Ihnen sagen. Wenn in diesem Rechtsstaat Beschuldigte festgestellt und festgenommen worden sind, dann darf, wenn kein Haftgrund vorliegt, niemand einen Täter länger als bis zum Ablauf des nächsten Tages festhalten. Das steht in § 112 Strafprozessordnung; das können Sie nachlesen. Danach beginnen die Ermittlungen. - Das nur am Rande, ganz gegen meine sonstige Gewohnheit, zu Zeitungsmeldungen nicht Stellung zu nehmen. - Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass die Staatsanwaltschaft bereits innerhalb von drei Tagen - so lange ist es ja erst her, dass man das lesen konnte - eine Entscheidung über den weiteren Fortgang des Verfahrens getroffen hat.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Kollege Gewalt.

Roland Gewalt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003533, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Äußerung des Berliner Generalstaatsanwalts Karge, der mir gegenüber erklärt hat, bei Glas und Metall als Unterfläche von Farbschmierereien erfolge als Konsequenz dieser Situation regelmäßig die Einstellung des Verfahrens schon bei der Staatsanwaltschaft?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Ich freue mich, dass Sie mit Herrn Generalstaatsanwalt Karge im Gespräch sind. Aber da ich bei diesem Gespräch nicht dabei war, kann ich dazu auch nichts sagen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Vielen Dank, Herr Hartenbach. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht Frau Staatssekretärin Hendricks zur Verfügung. Ich rufe die Frage 12 des Kollegen Peter Weiß auf: Wie bewertet die Bundesregierung die Stellungnahme der Deutschen Bundesbank zu der Frage der Verwendung der Goldreserven des Internationalen Währungsfonds, IWF, zur Finanzierung eines Schuldenerlasses für arme Entwicklungsländer - vergleiche „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 4. April 2005 - und in welcher Weise wird die Bundesregierung die Auffassung der Bundesbank bei ihrer Meinungsbildung in Vorbereitung der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank am 16. April 2005 berücksichtigen?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Weiß, die Bundesregierung setzt sich für eine ergebnisoffene Analyse aller Finanzierungswege eines multilateralen Schuldenerlasses ein. Sie wird Ihre Haltung hinsichtlich der eventuellen Verwendung von IWF-Goldreserven im Einvernehmen mit der Deutschen Bundesbank festlegen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, der G-7-/G-8-Gipfel naht und dort soll eine Entscheidung getroffen werden, nachdem man sich beim letzten Gipfel grundsätzlich darauf verständigt hatte, einen solchen weiteren Schuldenerlass durchzuführen, wobei man die Details offen gelassen hatte. Wann wird die Bundesregierung ihre Position festlegen und entscheiden, ob sie Goldverkäufe des IWF zur Finanzierung des Schuldenerlasses heranziehen oder doch eher andere Wege beschreiten will?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Die Bundesregierung wird dies zusammen mit der Bundesbank im Lichte der Debatte festlegen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, gemäß einiger Pressemeldungen - zum Beispiel heute in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ - wird von Mitgliedern der deutschen Delegation behauptet, dass der Internationale Währungsfonds einen solchen Schuldenerlass im Umfang von 3,8 Milliarden Euro aufgrund seiner sonstigen finanziellen Möglichkeiten auch ohne den Einsatz der Goldreserven stemmen könnte. Daneben wird darauf verwiesen, dass in Bezug auf Mexiko und Brasilien bereits früher ein besonderes Verfahren gewählt worden ist, wonach der IWF das Geld für den Schuldenerlass durch Rückkäufe finanziert hat, ohne dass die Höhe der Goldreserve abgeschmolzen werden musste. Deswegen lautet meine Frage an Sie: Sieht die Bundesregierung, nachdem diese Hinweise offenbar aus der deutschen Delegation gekommen sind, die Möglichkeit, den geplanten Schuldenerlass durch den IWF ohne Rückgriff auf die Goldreserven und damit ohne echte Verkäufe der Goldreserven zu finanzieren?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Die Bundesregierung hält dies jedenfalls nicht für ausgeschlossen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 13 auf: Welche Auffassung wird die Bundesregierung bei der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank am 16. April 2005 hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung und des Umfangs des im Zusammenhang mit der Heranziehung der Goldvorräte des IWF diskutierten weiteren Schuldenerlasses vertreten?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Weiß, die Bundesregierung wird sich auf der bevorstehenden Frühjahrstagung von Weltbank und IWF für einen multilateralen Schuldenerlass aussprechen, der auf Basis einer fallweisen Analyse - also einer jeweiligen Analyse bezogen auf ein spezielles Land - das Ziel hat, die Schuldentragfähigkeit von hoch verschuldeten, armen Entwicklungsländern wiederherzustellen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, nach den Erfahrungen mit der letzten größeren Entschuldungsaktion, der so genannten HIPC-II-Initiative, ist festzustellen - Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen: Entschuldigung, dass ich unterbreche: Sie läuft ja weiter.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, sie ist für eine bestimmte Zahl von Ländern bis zum Jahre 2006 verlängert worden. Ansonsten wäre sie 2004 zu Ende gegangen. - Nach diesen Erfahrungen muss man feststellen, dass erstens eine Reihe bereits entschuldeter Länder wieder in einem Maße verschuldet ist, das weit über der so genannten Schuldentragfähigkeitsgrenze liegt, und dass zweitens unterschiedliche Ergebnisse bezüglich der Verwendung der frei gewordenen Mittel für die Armutsbekämpfung vorliegen. Deswegen lautet meine Frage an Sie: Wird die Bundesregierung darauf drängen, dass für diese neue Runde von Entschuldungen neue Konditionen festgelegt werden, und auf welche Kriterien wird die Bundesregierung dabei gegebenenfalls besonders Wert legen?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Die Bundesregierung legt in diesem Zusammenhang ganz besonderen Wert auf die so genannte Good Governance, also den Nachweis, dass die verantwortlichen Regierungen tatsächlich nach bestem Wissen und Gewissen handeln, um es einmal allgemein verständlich auszudrücken. In diesem Zusammenhang ist die Korruptionsbekämpfung natürlich unabdingbar. Ansonsten gäbe es ja auch keine Good Governance. Korrupte Regierungen können per se keine guten Regierungen sein. Das ist der ganz entscheidende Hintergrund für die Handlungsweise der Bundesregierung und das wird auch in Zukunft der wesentliche Gegenstand sein.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, nachdem im Vorfeld des G-7-/ G-8-Gipfels und der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds aus dem Kreis der Bundesregierung in der Öffentlichkeit durchaus unterschiedliche Bewertungen abgegeben worden sind - die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat den Einsatz der Goldreserven des IWF als eine sehr gute Möglichkeit öffentlich angepriesen; das Bundesfinanzministerium, das Sie vertreten, hat sich hier kritischer geäußert - frage ich Sie: Sind die jetzt von Ihnen vorgetragenen Positionen die gemeinsame Haltung von BMF und BMZ?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Für uns kommt es nicht auf den Weg an, sondern auf das Ziel. Darin sind sich das BMF und das BMZ einig. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Georg Girisch auf: Wie will die Bundesregierung mit Sondergenehmigungen für Volksfeste, die im Rahmen der deutsch-amerikanischen Freundschaft auf den den in Deutschland stationierten amerikanischen Streitkräften zur Nutzung überlassenen Liegenschaften durchgeführt werden, in den Fällen umgehen, in denen abweichend von der Verfahrensanweisung - III B 2 - Z 6315 - 5/03 - des Bundesministeriums der Finanzen, BMF, ein gemeinsamer deutsch-amerikanischer Ausschuss als Organisator auftritt, der Eintritt erheben würde und diese Eintrittsgelder im vollen Umfang für wohltätige Zwecke unter dem Leitmotiv der deutsch-amerikanischen Freundschaft verwendet?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Girisch, Volksfeste, die im Rahmen der deutsch-amerikanischen Freundschaft durchgeführt werden, können vom Hauptzollamt genehmigt werden, wenn die Voraussetzungen der entsprechenden Verfahrensanweisung erfüllt sind. Anträge für Volksfeste, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, sind nicht genehmigungsfähig. Ergibt sich aus dem Antrag für das Volksfest, dass Eintrittsgelder für das Betreten des Volksfestgeländes erhoben werden sollen, wird eine Genehmigung nicht erteilt. Sollten dennoch Eintrittsgelder erhoben oder die Verfahrensanweisung in anderen Fällen missachtet werden, stellt dies eine Beteiligung am deutschen Wirtschaftsverkehr dar und löst die damit verbundenen abgabenrechtlichen Konsequenzen aus. Die Eintrittsgelder wären dann Entgelt für eine umsatzsteuerpflichtige Leistung und für die von der ausländischen Truppe auf dem Volksfest verkauften Waren wären dann Zoll und Einfuhrumsatzsteuer zu entrichten. Dies gilt auch dann, wenn nicht die US-Streitkräfte selbst, sondern ein Dritter, zum Beispiel der gemeinsame deutsch-amerikanische Ausschuss, als Organisator nach außen auftritt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön, Herr Girisch.

Georg Girisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003131, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, dem deutsch-amerikanischen Ausschuss wurde empfohlen, diese Vorschriften zu umgehen, indem kein Eintrittsgeld, sondern eine Spende verlangt wird. Eine Spende wäre nach Recht und Gesetz in Ordnung. Sie müssen sich aber einmal vorstellen, was das Ganze für eine Organisation bedeutet, die in diesem Jahr das deutsch-amerikanische Volksfest im 50. Jahr durchführt, bei dem alle Eintrittsgelder und Gewinne nur gemeinnützigen Organisationen zur Verfügung gestellt werden. Ich frage Sie: Wäre es möglich, dass man zumindest für die Eintrittsgelder dieses deutsch-amerikanischen Volksfestes, nachdem es nun schon 50 Jahre besteht, eine Ausnahmegenehmigung erteilt?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Nein, Herr Kollege, ich habe Ihnen die Rechtslage dargestellt, die ich nicht erfunden habe. Sie basiert auf der einen Seite auf dem Zollkodex, der schon immer europäisch abgestimmt war, und auf der anderen Seite auf dem Umsatzsteuerrecht, bezogen auf die Einfuhrumsatzsteuer, welches ebenfalls dem harmonisierten Recht entspricht. Es ist so, dass in den vergangenen Jahren die Zahl der deutsch-amerikanischen Volksfeste gestiegen ist und dass diese Handlungsanweisung der Zollverwaltung vorgelegt worden ist, um eine einheitliche Handhabung herbeizuführen. Dazu muss man wissen: Dieses Volksfest findet auf dem Gelände der amerikanischen Truppe statt. Dieses ist - um es einmal vereinfacht auszudrücken - exterritoriales Gebiet. Dort gelten andere Bestimmungen, sofern sich dort nur amerikanische Bürger aufhalten. Für sie ist alles zoll- und steuerfrei. Jetzt werden aber viele deutsche Bürger auf dieses Gelände eingeladen und auch Waren verkauft. Dies ist auch möglich, wenn man die entsprechenden Bestimmungen einhält. Man muss sich aber an diese Bestimmungen halten. Es tut mir wirklich sehr Leid, aber diese Zoll- und Steuerfreiheit, die für die amerikanischen Bürger auf diesem exterritorialen Gelände gilt, kann eben nicht auf eine Vielzahl von deutschen Bürgern übertragen werden. Das war schon immer geltendes Recht. Die Handlungsanweisung, die wir gemacht haben, dient der Vereinfachung, damit die Zollämter wissen, wie sie vorgehen sollen und ob sie Genehmigungen erteilen können. Ein Eintrittsgeld macht eine solche Veranstaltung umsatzsteuerpflichtig. Das können wir leider nicht ändern. Man wundert sich manchmal, wie die Welt ist; aber sie ist nun einmal so. Das können auch wir nicht beeinflussen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Gibt es Zweifel, dass die Welt so ist, wie sie ist, Herr Kollege Girisch?

Georg Girisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003131, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie müssen sich einmal den technischen Ablauf vorstellen. Der deutsch-amerikanische Ausschuss würde für das Volksfest eine Genehmigung erhalten, wenn am Eingang des Truppenübungsplatzes eine Bude aufgestellt und auf deutschem Boden Eintritt verlangt würde. Das Ministerium hat meinen Kollegen mitgeteilt, sie sollten das einfach in eine Spende umwandeln. Ich bin aber der Meinung, dass mit einer Spende nicht die Erfüllung eines Zweckes verbunden sein darf. Frau Staatssekretärin, mir geht es eigentlich nur darum, dass man gemeinsam einen Weg suchen sollte, um aus diesem Dilemma herauszukommen.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Girisch, ich kann nicht bestätigen, dass das Ministerium Ihren Kollegen die Empfehlung gegeben hat, das in eine Spende umzuwandeln, weil mir dieser Sachverhalt nicht bekannt ist. ({0}) Wenn es so ist, dann ist das die pragmatische Möglichkeit. Wenn das Ministerium diesen Rat gegeben hat, dann könnte sich damit ein praktischer Weg eröffnen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 15 des Kollegen Girisch auf: Sind der Bundesregierung neben dem deutsch-amerikanischen Volksfest auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr, das seit 1952 vom gemeinsamen deutsch-amerikanischen Ausschuss durchgeführt wurde und bei dem der Eintritt im vollen Umfang zur Verwendung für wohltätige Zwecke unter dem Leitmotiv der deutsch-amerikanischen Freundschaft erhoben wurde, vergleichbare Fälle bekannt, bei denen die Ausnahmeregelung durch das BMF nicht erteilt wurde, und, wenn ja, wurden dadurch erhebliche Veränderungen in den Organisationsstrukturen von deutsch-amerikanischen Veranstaltungen herbeigeführt?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Genehmigungen für Volksfeste können nur erteilt werden, wenn die Voraussetzungen der Verfahrensanweisung vom Februar 2004 erfüllt sind. Hierauf hatte ich schon hingewiesen. Diese Verfahrensanweisung sieht Ausnahmeregelungen nur durch das BMF auf Antrag des NATO-SOFA-Office vor. Bisher wurde davon aber kein Gebrauch gemacht. Es ist mir kein Antrag bekannt, der im Ministerium angekommen wäre. Die Genehmigungsbehörden sind die Hauptzollämter. Bisher ist noch kein Antrag auf Ausnahmegenehmigung beim Bundesministerium der Finanzen eingegangen.

Georg Girisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003131, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, kann ich davon ausgehen, dass Sie sich, wenn der Antrag vom deutsch-amerikanischen Ausschuss kommt, bemühen, diesen Antrag wohlwollend zu prüfen, zu entscheiden und dann eventuell an die Zollbehörden weiterzugeben?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Selbstverständlich, Herr Kollege Girisch, wobei wir uns natürlich bei der Bescheidung eines Antrags an Recht und Gesetz halten müssen.

Georg Girisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003131, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mehr erwarte ich auch nicht von Ihnen. Danke.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die letzte Bemerkung stößt auf allgemeines Verständnis. Ich rufe jetzt die Frage 16 der Kollegin Dr. Lötzsch auf: Teilt die Bundesregierung die Auffassung von PorscheChef Wendelin Wiedeking, dass „es ... wenig sinnvoll“ ist, „wenn man in Zeiten, in denen mehr als fünf Millionen Menschen als Arbeitslose in Deutschland registriert sind, den Jobexport auch noch aus dem … Steuertopf subventioniert“ - „Spiegel online“, 5. April 2005 -, und sieht die Bundesregierung in diesem Zusammenhang Handlungsbedarf im Hinblick auf den Umstand, dass Unternehmen bei Standortverlagerungen ins Ausland die Kosten für die Planung der Investitionen, den Transfer der Arbeitsplätze, die Verwaltung und die Finanzierung voll steuerlich absetzen können?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin Lötzsch, das geltende Steuerrecht enthält entgegen einer weit verbreiteten Auffassung keine Regelungen, die die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland subventionieren. Für die steuerliche Beurteilung von Aufwendungen im Zusammenhang mit Betriebsverlagerungen ins Ausland gilt der allgemeine steuerliche Veranlassungszusammenhang. Danach sind Aufwendungen für eine Betriebsstättengründung im Ausland der ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen und damit in Deuschland insoweit nicht zu berücksichtigen. Bei einer Unternehmensverlagerung in eine ausländische bestehende Tochtergesellschaft müssen die Aufwendungen zwischen der inländischen Muttergesellschaft und der ausländischen Tochtergesellschaft steuerlich wie unter fremden Dritten abgerechnet werden. Um Gewinnverlagerungen entgegenzuwirken, führt die Finanzverwaltung hinsichtich der Verrechnungen zwischen den Gesellschaften eine Angemessenheitsprüfung durch. Für die steuerliche Beurteilung von Aufwendungen zur Finanzierung und Verwaltung einer Beteiligung an einer Tochtergesellschaft enthält das geltende Recht eine pauschalierende Sonderregelung. Danach kann die inländische Muttergesellschaft in Deuschland die Aufwendungen, insbesondere Finanzierungsaufwendungen, als Betriebsausgabe abziehen. Es gelten jedoch 5 Prozent der steuerfreien Beteiligungserträge als nicht abziehbare Betriebsausgaben. Dieses pauschale Betriebsausgabenabzugsverbot ist 1999 eingeführt worden, weil das bis dahin für Auslandsbeteiligungen geltende Abzugsverbot für Betriebsausgaben durch Gestaltungen vollständig unterlaufen werden konnte und zudem sehr streitanfällig war. Eine solche pauschale Regelung ist EG-rechtlich in der Mutter-Tochter-Richtlinie vorgesehen. Sie gilt aus EU-rechtlichen Gründen für Aufwendungen im Zusammenhang mit Inlands- und Auslandsbeteiligungen. Eine Verschärfung der Regelungen zulasten der Auslandsbeteiligungen wäre nach dem EG-Vertrag nicht zulässig.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Frau Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Frau Staatssekretärin, Sie haben relativ einleuchtend beschrieben, dass es zwar de jure keine Subventionierung von Jobexport gibt, dass aber die Steuergesetze die Wirkung haben, dass Jobexport subventioniert wird oder sich für die betroffenen Unternehmen steuerlich positiv bemerkbar macht. Ich bin im Übrigen nicht die Einzige, der das aufgefallen ist; es ist auch von Mitgliedern Ihrer Fraktion diskutiert worden. Ich gehe deshalb davon aus, dass Sie intern berechnet haben, wie hoch die Steuerausfälle im Jahr 2004 durch die De-facto-Subvention von Jobexport waren.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Nein, Frau Kollegin Lötzsch. Dazu kann ich keine Angaben machen, weil das die Körperschaftsteuerstatistik nicht hergibt. Im Übrigen ist das Jahr 2004 - vereinfacht ausgedrückt - in körperschaftsteuerlicher Hinsicht noch längst nicht abgeschlossen. Es geht hierbei um Sachverhalte, die naturgemäß in der Regel Gegenstand der Betriebsprüfung sind. Die Unternehmen bzw. Aktiengesellschaften leisten eine Körperschaftsteuervorauszahlung, und zwar - sofern sie überhaupt Erträge erwarten - regelmäßig jedes Vierteljahr. Das wird von der Finanzverwaltung festgesetzt. Erst durch eine Betriebsprüfung wird die endgültige Steuerlast festgestellt. Die Betriebsprüfungen für das Jahr 2004 haben aber noch nicht stattgefunden. Das ist den Landesfinanzverwaltungen nicht vorzuwerfen; vielmehr sind die Betriebsprüfungen noch mit den Vorjahren befasst. Große Konzerne werden schließlich nahtlos geprüft. Es finden nicht nur ab und an stichprobenartige Prüfungen statt; vielmehr werden die Betriebsprüfungen jedes Jahr durchgeführt. Das Jahr 2004 erscheint aber sicherlich frühestens im Jahr 2006 auf dem Prüfplan, weil vorher die Jahre 2002 und 2003 zu prüfen sind. Weiter dürften die Finanzverwaltungen noch nicht sein. Deswegen kann noch keine Aussage darüber getroffen werden, welche eventuellen Steuereinnahmeausfälle damit verbunden sind.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage, Frau Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin, Sie haben zwar ausgeführt, dass Sie keine Angaben zu dem Jahr 2004 machen können; aber ich gehe davon aus - darauf will ich allerdings keine Zusatzfrage verschwenden -, dass Sie Angaben zu den vorangegangenen Jahren hätten machen können. - Das ist allerdings nur eine Anmerkung, keine Frage. ({0}) Soweit mir durch die Medien bekannt ist, haben sich zumindest Abgeordnete der Grünen dahin gehend geäußert, dass die Steuerregelungen, die den Jobexport quasi subventionieren oder für die Unternehmen erleichtern, zu ändern sind. Hat die Bundesregierung diese Vorschläge aus der Fraktion des Koalitionspartners aufgegriffen bzw. gedenkt sie, diese Vorschläge aufzugreifen, und wenn ja, wann?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin Lötzsch, ich würde Ihnen die Frage, die Sie nicht als Zusatzfrage verstanden wissen wollten, gleichwohl gerne beantworten. Die Körperschaftsteuerstatistik - ich habe das eben in der Einleitung meiner Antwort auf Ihre Frage schon ausgeführt - enthält auch für die vorangegangenen Jahre keine so spezifizierten Angaben. Ich glaube nicht, dass wir diese Angaben zu den vorangegangenen Jahren machen können. Ich will dem aber gerne nachgehen. Die einzelnen Sachverhalte werden in den Betriebsprüfungen nicht festgehalten. Nach den zahlreichen Betriebsprüfungen, die in der Bundesrepublik Deutschland erfolgen, liegt zwar hinterher ein Ergebnis vor; aber nur diejenigen, die diese Prüfungen selber vor Ort durchgeführt haben, wissen, wie dieses Ergebnis zustande gekommen ist. Ich fürchte, aus der Körperschaftsteuerstatistik geht das nicht hervor. Auch mir ist bekannt geworden - um nun auf Ihre Frage einzugehen -, dass sich Kollegen und Kolleginnen aus der Fraktion der Grünen kritisch zu dem angesprochenen Sachverhalt in unserem Körperschaftsteuergesetz geäußert haben. Mir ist dies nicht recht verständlich, weil wir dieses Gesetz gemeinsam beschlossen und in der Vergangenheit durchaus schon den Versuch unternommen haben, die Pauschalierung, von der ich sprach, etwas höher anzusetzen. Diese hätte aber aus europarechtlichen Gründen nicht nur in Bezug auf das Ausland, sondern auch auf das Inland angewandt werden müssen. Insofern ist uns keine handhabbare Alternative zu der pauschalierenden Regelung ersichtlich. Insbesondere ist - wie auch die frühere Praxis gezeigt hat - ein generelles Abzugsverbot für Aufwendungen, die mit steuerfreien Beteiligungserträgen in Zusammenhang stehen, sehr gestaltungsanfällig. Die für die steuerliche Beurteilung notwendige Zuordnung von Aufwendungen lässt sich nicht befriedigend lösen, sodass nur der Weg der Pauschalierung bleibt. In diesem Zusammenhang erlaube ich mir, darauf hinzuweisen, dass sich nicht nur die Kollegin Scheel, sondern auch der bayerische Ministerpräsident, Dr. Edmund Stoiber, vor einigen Wochen in einer Fernsehsendung sinngemäß in der Weise geäußert haben, dass das überhaupt nicht zu verstehen ist. Ich darf in diesem Zusammenhang die Bitte an die Bayerische Staatsregierung richten, uns eine handhabbare Alternative vorzuschlagen, sofern sie eine hat.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine Zusatzfrage des Kollegen Thiele.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - In Ergänzung dieses Sachverhaltes frage ich Sie Folgendes, Frau Staatssekretärin: Plant die Regierung keine Änderungen in diesem Bereich, auch nicht im Zusammenhang einer Gegenfinanzierung der Senkung des Körperschaftsteuersatzes von 25 auf 19 Prozent? Hat die Bundesregierung keine Anhaltspunkte, die darauf hinweisen, dass bei einer Änderung der entsprechenden Regelung dem Fiskus Mehreinnahmen in Höhe von bis zu 5 Milliarden Euro pro Jahr entstehen, wie das teilweise medial behauptet wurde?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Ich weiß, dass das teilweise medial behauptet wurde. Das bezieht sich unter anderem auf Äußerungen des Fachhochschulprofessors Jarass. Diese sind so aber nicht zu bestätigen. Die Bundesregierung plant nicht, dies als eine Gegenfinanzierungsmaßnahme - wozu auch immer heranzuziehen, da sie derzeit keine handhabbare Alternative sieht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Fragen 17 und 18 des Kollegen Spahn werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zur Frage 19 der Kollegin Gerlinde Kaupa: Zu welchem Schluss im Hinblick auf die geschätzte Höhe des Steueraufkommens ist die Prüfung durch den Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel, gelangt, die sich - „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 15. März 2005 - mit der möglichen Erhebung der Mehrwertsteuer auf Mitgliedsbeiträge zu Vereinen befasst hat?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin Kaupa, Gegenstand der Prüfung einer möglichen Erhebung von Umsatzsteuer auf Leistungen von Vereinen an ihre Mitglieder sind durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2002 aufgeworfene komplexe Rechtsfragen. Eine Untersuchung der finanziellen Auswirkungen ist völlig nachrangig. Sollte es dort zu Änderungen kommen, würde dies nicht aus finanziellen Gründen, sondern aus Rechtsgründen geschehen.

Gerlinde Kaupa (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003564, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es ist für mich überraschend, dass Sie sich noch nicht einmal über die Höhe Gedanken gemacht haben. Aber für die Vereine hätte das eine riesengroße Auswirkung. Daher ist es wert, sich darüber Gedanken zu machen. Darf ich Ihnen ein Beispiel nennen? - Ich betreue bei uns 315 Vereine mit 87 000 Mitgliedern. Wenn man den Mindestbeitrag von circa 50 Euro jährlich ansetzt, dann stellt man fest, dass allein die Vereine in dem kleinen Bereich Stadt und Landkreis Passau 400 000 Euro an Umsatzsteuer abführen müssten. Das wäre für die Vereine eine Katastrophe. Wenn man über etwas nachdenkt und anschließend nicht dementiert und sagt: „Okay, wir lassen es sein“, dann muss man sich auch darüber Gedanken machen, welche Folgen das hat. Was sagen Sie dazu?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin Kaupa, wir haben das schon dementiert. Wir haben zwar darauf hingewiesen, dass es in der Tat einen Prüfungsvorgang von Bund und obersten Finanzbehörden der Länder gibt, und zwar wegen eines EuGH-Urteils. Aber Zielrichtung weder der Bundesregierung noch der obersten Finanzbehörden der Länder ist, auf alle Vereinsbeiträge Umsatzsteuer zu erheben und auf diese Weise Geld zu schöpfen. Zielrichtung der Prüfung ist vielmehr, das EuGH-Urteil so auszulegen, dass möglichst wenige Betroffenheiten entstehen. Das ist der Gegenstand der Prüfung. Eine Hochrechnung der Umsatzsteuer auf alle Mitgliedsbeiträge an die Vereine in einem Landkreis ist daher wirklich nicht notwendig. Ich will Ihnen nicht unterstellen, dass Sie Panikmache betreiben. Aber ich bitte Sie, vor Ort für Entwarnung zu sorgen; denn es ist weder die Absicht der Bundesregierung noch die der obersten Finanzbehörden der Länder, auf alle denkbaren Vereinsmitgliedsbeiträge, zum Beispiel auf die Beiträge an die Sportvereine, Umsatzsteuer zu erheben. Vielmehr geht es darum, dies so eng wie möglich zu handhaben. Ihre Sorgen sind unbegründet.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage.

Gerlinde Kaupa (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003564, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn meine Sorgen unbegründet sind, dann können Sie sich ja dazu definitiv äußern und sagen: Die Vereinsmitgliedsbeiträge werden nicht besteuert. Dann sind die Vereine zufrieden und ich muss sie nicht mehr beschwichtigen. Sind Sie dazu bereit?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin Kaupa, ich hatte Ihnen ja bereits gesagt, dass der Prüfungsvorgang noch nicht abgeschlossen ist. ({0}) - In naher Zukunft. Es gibt einen Bericht, der den Landesministerien zugehen wird. Ich gehe davon aus, dass das mit dem Abschluss der Prüfung wahrscheinlich im Mai so weit sein wird, wenn ich das richtig sehe. Ich kann aber die von Ihnen gewünschte Aussage nicht treffen; denn das EuGH-Urteil kann in eng begrenzten Ausnahmen - so eng wie nur möglich - tatsächlich eine Pflicht zur Erhebung der Umsatzsteuer auf Vereinsmitgliedsbeiträge rechtlich notwendig machen. Deswegen kann ich nicht sagen: Es wird gar nicht dazu kommen. - Im Moment ist eine solche Aussage nicht möglich. Aber ich kann Entwarnung für fast alles geben. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das müssten Sie im Rahmen der Behandlung der nächsten Frage ansprechen. Sie hatten nämlich schon zwei Zusatzfragen. Jetzt dürfen Frau Kollegin Lenke und dann der Kollege Fahrenschon eine Zusatzfrage stellen. Frau Lenke, bitte.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, Sie haben gesagt, Sie könnten Entwarnung für fast alles geben. Dann haben Sie noch gesagt, Sie versuchten, dieses Urteil so eng wie möglich auszulegen, damit es keine negativen Auswirkungen auf die Sportvereine und auf andere Vereine hat. Das zeigt mir aber - diese Botschaft vermitteln Sie -, dass die Vorprüfung wahrscheinlich ergeben hat, dass doch einige Vereine betroffen sind. Ich möchte jetzt gerne von Ihnen wissen, ob Sie ausschließen können, dass die eingetragenen Vereine - viele Vereine sind eingetragen - betroffen sind.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin, eigentlich sind alle Vereine eingetragenen Vereine. Genauso wie ich gerade gesagt habe, dass ich nicht ausschließen kann, dass kein Verein betroffen ist, kann ich auch nicht sagen: Ich kann ausschließen, dass alle eingetragenen Vereine betroffen sind. Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen. Wir können sie nicht allein durchführen. Wir führen sie zusammen mit den obersten Finanzbehörden der Länder, also mit allen 16 Länderfinanzministerien, durch. Wir sind uns in der Zielrichtung einig. Ich kann sicherlich sagen, dass die Sportvereine - in ihnen üben die Bürgerinnen und Bürger einfach nur Sport aus - davon nicht betroffen sein werden. Nur das kann ich schon jetzt sagen. Ich kann nicht sagen: Alle eingetragenen Vereine sind davon ausgeschlossen; denn der EuGH richtet sich nicht nach dem deutschen Gemeinnützigkeitsrecht. Er urteilt vielmehr nach europäischem Recht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Fahrenschon, bitte.

Georg Fahrenschon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretär, Sie haben bei der Beantwortung der Frage der Kollegin Kaupa gesagt, dass Sie sich nicht in der Lage sehen, schon heute Entwarnung, was eine eventuelle Steuerpflicht angeht, zu geben. Habe ich Sie da richtig verstanden? Stehen Sie damit gegebenenfalls im Widerspruch zum Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen? Er hat ausweislich eines Artikels im „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 18. März 2005, also vor etwa einem Monat, geäußert - ich zitiere -: Dieckmann erläuterte, er habe in Gesprächen auf Landes- und Bundesebene bereits durchgesetzt, dass Fördervereine grundsätzlich nicht betroffen sind, dass Sportvereine von der Umsatzsteuerpflicht befreit sein werden und dass weitere Vereine - soweit es machbar ist - ebenfalls umsatzsteuerbefreit bleiben. Der Kollege Dieckmann hat also gesagt: Das Thema Fördervereine ist erledigt, das Thema Sportvereine ebenfalls; nur bei den weiteren Vereinen gibt es noch ein Problem. Ich sehe da einen Widerspruch.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Ich sehe da keinen Widerspruch. Ich habe Frau Kollegin Lenke schon darauf hingewiesen, dass zum Beispiel weder Sportvereine noch Fördervereine betroffen sein werden. Aber es sind eben nicht alle Vereine nicht betroffen. Abschließend muss noch geklärt werden, wie klein die Gruppe der Betroffenen sein wird. Darum geht es uns. Ich möchte noch einmal ganz deutlich machen: Es geht uns nicht darum, irgendwie mehr Geld einzunehmen; es geht uns nicht darum, mehr Bürokratie zu schaffen. Es geht uns darum, das EuGH-Urteil so vereinsfreundlich wie nur irgend möglich auszulegen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe Frage 20 der Kollegin Kaupa auf: Wird seitens des Bundesministers der Finanzen, Hans Eichel, die Erhebung der Mehrwertsteuer auf Mitgliedsbeiträge der Vereine erwogen oder schließt er diese Form der Besteuerung definitiv aus?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Hintergrund dieser Frage ist das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21. März 2002 - Kennemer Golf & Country Club - zur umsatzsteuerlichen Behandlung der Leistungen eines Sportvereins an seine Mitglieder, das aufgrund eines niederländischen Vorabentscheidungsersuchens ergangen ist. Bei dem Verfahren vor dem EuGH ging es unter anderem um die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Leistungen eines Sportvereins an seine Mitglieder umsatzsteuerbar sind und der Mitgliedsbeitrag somit Entgelt für von einem Sportverein erbrachte sonstige Leistungen ist. Der EuGH hat hierzu entschieden, dass die Jahresbeiträge der Mitglieder eines Sportvereins Gegenleistung für eine von dem Verein erbrachte Leistung darstellen können. Der EuGH hat in seiner Entscheidung weiter die Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe M der 6. EG-Richtlinie bestätigt. Die in Deutschland geltende Regelung, wonach echte Mitgliedsbeiträge als Gegenleistung für nicht steuerbare Leistungen eines Sportvereins angesehen werden, führt zum gleichen fiskalischen Ergebnis wie die Entscheidung des EuGH, nach der die Mitgliedsbeiträge Entgelt für steuerbare, aber steuerfreie Leistungen eines Sportvereins sind. Danach fällt also wie bisher keine Umsatzsteuer an. Gleichwohl muss geprüft werden, ob aufgrund der Entscheidung des EuGH das nationale Recht an die verbindlichen Vorgaben der 6. EG-Richtlinie zur Harmonisierung der Mehrwertsteuern angepasst werden muss. Gegenstand der Prüfung ist auch die weitestgehende Ausnutzung der Spielräume des Gemeinschaftsrechts, damit es nur in möglichst wenigen Fällen zu einer wirtschaftlichen Belastung mit Umsatzsteuer kommt. Hierzu hat die schon genannte Bund/Länder-Arbeitsgruppe einen Bericht erstellt, der nun den obersten Finanzbehörden der Länder vorgestellt und alsbald - nach meinem Kenntnisstand wird das im Mai sein - erörtert werden soll. Nach bisheriger Erkenntnis werden sich insbesondere bei der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung der Leistungen eines Sportvereins an seine Mitglieder, die Sport ausüben, im wirtschaftlichen Ergebnis keine Änderungen ergeben. Andere Vereine, zum Beispiel Gesangsvereine, kommen ohnehin nicht in Frage. ({0}) - Musikvereine oder ähnliche Vereine, in denen Unterricht erteilt wird.

Gerlinde Kaupa (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003564, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn Sportvereine nicht gemeint sind, wenn auch Trachten- oder Musikvereine nicht gemeint sind, dann ist zu fragen, ob überhaupt noch Vereine übrig bleiben, die es betrifft. ({0}) Welche Vereine betrifft es? Man hat in der Vergangenheit festgestellt, dass die Bundesregierung nicht jedes EUGH-Urteil hinnimmt, sondern mitunter auch dagegen klagt.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Nein.

Gerlinde Kaupa (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003564, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Frage ist, ob sich die Bundesregierung dagegen wehren würde, wenn es Vereine gäbe, für die eine solche Regelung existenziell wäre, falls am Schluss doch die Sportvereine betroffen würden.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Nein, die Bundesregierung kann sich gar nicht dagegen wehren, weil ein solches Urteil bindend ist. Das ist schon die letzte Instanz. Da ist der Rechtsweg auf europäischer Ebene ausgeschöpft. Ich glaube auch nicht, dass man zum Beispiel noch vor dem europäischen Menschenrechtsgerichtshof klagen könnte; das hielte ich für eher unwahrscheinlich. Die Bundesregierung legt schon Wert darauf, das Urteil so eng wie eben möglich auszulegen. Aber es gibt natürlich Vereine, die infrage kommen könnten. In dem Bericht der Arbeitsgruppe, der den obersten Finanzbehörden der Länder zugegangen ist, wird vorgeschlagen, die Möglichkeiten der 6. EG-Richtlinie so weit wie möglich auszunutzen und bislang nicht transformierte Steuerbefreiungen in das nationale Umsatzsteuerrecht aufzunehmen, sodass wir da EU-konform blieben. Gleichwohl wird ein Bereich von Leistungen von Vereinigungen an ihre Mitglieder, im Wesentlichen außerhalb des Sportbereichs, aufgrund der engen Vorgaben der 6. EG-Richtlinie künftig der Umsatzsteuerpflicht unterliegen. Beispiele hierfür sind Leistungen von Dachverbänden an ihre selbstständigen Untergliederungen im Bereich des Sports - nicht die Mitgliedsbeiträge des einzelnen Menschen - oder individualisierbare Leistungen von Automobilclubs an ihre Mitglieder, die nicht unter eine der bereits bestehenden Steuerbefreiungen fallen und für die neben dem Mitgliedsbeitrag kein gesondertes Entgelt gezahlt wird, zum Beispiel die Abgabe von Straßenkarten oder die Erarbeitung von Reiserouten. Solche Leistungen können in Zukunft möglicherweise nicht mehr umsatzsteuerbefreit sein. Darüber wird noch endgültig zu entscheiden sein. Sie sehen, wie sehr wir uns bemühen, das so eng wie eben möglich auszulegen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zweite Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall. Herr Kollege Schmidt.

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, ich entnehme dem Fall, der diesem Urteil des EuGH zugrunde liegt, dass - das haben Sie zuletzt auch betont - der normale Vereinsbeitrag, egal ob es sich um einen Verein im Bereich des Sports oder der Kultur oder der Wohlfahrtspflege handelt, offensichtlich nicht im Fokus der Auswertung steht, die Sie genannt haben, sondern dass, wenn überhaupt, eher zusätzliche Dienstleistungen, die von einem Verein für Mitglieder oder gar für Externe erbracht werden, in den Wilhelm Schmidt ({0}) Fokus geraten würden mit dem Ziel, eine Umsatzbesteuerung herbeizuführen. Ist das so ungefähr das, worum es in der Auswertung geht?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Ja, Herr Kollege, das ist die Richtung; das haben Sie richtig erkannt. Es kommt nicht zuletzt auf Art und Umfang der Gegenleistungen an, die für den Mitgliedsbeitrag erbracht werden. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Lenke.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, erst einmal bedanke ich mich für Ihre Ausführungen. Hierbei gibt es kein parteipolitisches Hickhack. Wir alle sind dafür - das ist ganz klar -, dass Vereinsmitglieder nicht noch zusätzliche Beiträge zahlen müssen. Auch deshalb sind die Fragen sehr gerechtfertigt. Was in den einzelnen Landkreisen passiert, davon haben Sie sicherlich auch schon Kenntnis bekommen. In meinem Landkreis herrscht helle Aufregung und keiner weiß Bescheid. Deshalb wurden ja auch die entsprechenden Fragen für die heutige Fragestunde gestellt. Deshalb ist in Bezug auf diese Sache Transparenz vonnöten und bis zum Mai vielleicht auch eine gewisse Beruhigung der Bürger und Bürgerinnen. Deshalb meine Frage, ob Sie den Bericht, aus dem Sie gerade vorgetragen haben, nicht dem Plenum zur Verfügung stellen können.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin, das kann ich leider nicht, weil es sich um den Bericht einer Bund/Länder-Arbeitsgruppe handelt, über den ich nicht frei verfügen kann. Ich müsste zunächst eine Genehmigung von den Ländern einholen; deshalb kann ich das hier nicht zusagen, so Leid es mir tut. Wir werden aber prüfen, ob wir das zumindest den Mitgliedern des Finanzausschusses zur Verfügung stellen können, damit sie damit entsprechend umgehend können. Das müssen wir aber erst prüfen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zur gleichen Frage ist keine weitere Zusatzfrage mehr möglich, Frau Kaupa. Weitere Wünsche nach Zusatzfragen sehe ich im Augenblick nicht. Ich bedanke mich bei Ihnen, Frau Hendricks, und rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Rezzo Schlauch zur Verfügung. Frage 21 des Kollegen Uwe Schummer: Wie viele Berufsberater und wie viele Arbeitsvermittler hat die Bundesagentur für Arbeit, BA, gemessen jeweils an den gesamten Beschäftigten? Bitte, Herr Schlauch.

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Sehr geehrter Herr Kollege Schummer, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Agenturen für Arbeit verfügen über insgesamt 15 137 Stellen für Arbeitsvermittlerinnen und Arbeitsvermittler sowie für Berufsberaterinnen und Berufsberater. Rund 21 Prozent aller Beschäftigten der Bundesanstalt arbeiten in diesen Bereichen. Auf die Arbeitsvermittlerinnen und Arbeitsvermittler entfallen 11 514 Stellen; damit arbeiten in diesem Bereich rund 16 Prozent aller Beschäftigten der BA. 3 623 oder rund 5 Prozent der Beschäftigten der BA sind Berufsberaterinnen und Berufsberater. Darüber hinaus können die Agenturen für Arbeit zusätzlich bis zu 2 259 Arbeitsvermittlerinnen und Arbeitsvermittler im SGB-III-Bereich befristet einstellen. Diese Quote wird nach Auskunft der Bundesanstalt im Laufe des Jahres 2005 ausgeschöpft werden. Weiterhin stehen in der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung, die unter anderem für die Vermittlung vom und ins Ausland sowie für besondere Personengruppen zuständig ist, weitere 158 Stellen für Arbeitsvermittlerinnen und Arbeitsvermittler zur Verfügung.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön, Herr Schummer.

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sehen Sie den politischen Willen der Bundesregierung erfüllt, im Zuge der Hartz-I-Gesetze die Zahl der Arbeitsvermittler in den Agenturen aufzustocken? Wie erklären Sie vor diesem Hintergrund, dass die Zahl der Vermittlungserfolge in den letzten zwei bis drei Jahren um etwa ein Drittel zurückgegangen ist?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Herr Kollege, Sie sehen schon an den Zahlen, dass es hier eine deutliche Bewegung nach oben gibt. Im Rahmen der Umstrukturierung der Bundesanstalt wird das Verhältnis der Beschäftigten, die im Bereich Arbeitsvermittlung und Berufsberatung tätig sind, gegenüber den Beschäftigten im Verwaltungsbereich nachhaltig verbessert. Auch das ist ein Ziel der Umgestaltung und Umstrukturierung sowie der Zuweisung von neuen Aufgaben an die Bundesagentur, wie Sie genau wissen. Wenn dies in Einzelfällen in manchen Regionalbereichen noch nicht zu dem von uns gewünschten und ins Auge gefassten Ergebnis geführt hat, dann deshalb, weil der Umstrukturierungsprozess noch nicht abgeschlossen ist. Klar ist aber, dass die Vermittlungstätigkeit im Vordergrund der Aufgaben und der Ziele der BA steht und weiterhin entwickelt wird.

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist bei der Umsetzung von Hartz IV sichergestellt, dass auch bei den optierenden Kommunen die Berufsberatung bei den Arbeitsagenturen personell abgesichert und unterstützt wird?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Die Agenturen sind ausschließlich für die Vermittlung zuständig. Selbstverständlich wird der auf die Bundesagentur entfallende Anteil des Engagements abgesichert. Dazu gehört die Berufsberatung.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Gerald Weiß auf: Liegen der Bundesregierung Daten über die Auswirkungen der Änderungen des Kündigungsschutzes der Arbeitnehmer über 50 Jahre vor, auf denen die Aussage des Bundeskanzlers Gerhard Schröder vor dem Deutschen Bundestag am 17. März 2005 beruht, diese Änderungen hätten bei diesem Personenkreis nicht zu einer massiven Einstellungswelle geführt, und weicht die Bundesregierung damit von der Antwort auf die Frage 11 der Kleinen Anfrage der Fraktion der CDU/ CSU „Wandel der Arbeitswelt und Modernisierung des Arbeitsrechts“ auf Bundestagsdrucksache 15/2932 ab, wonach sich in dem kurzen Zeitraum seit In-Kraft-Treten der geänderten Anwendungsschwelle des Kündigungsschutzgesetzes Auswirkungen auf das Einstellungsverhalten der betreffenden Betriebe und Verwaltungen noch nicht feststellen ließen und wonach dem Deutschen Bundestag bis Ende 2007 über die Beschäftigungswirkung berichtet werde?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Sehr geehrter Herr Kollege Weiß, ich beantworte Ihre Frage nach dem Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer wie folgt: Die von Ihnen zitierte Aussage in der Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder bezieht sich auf die seit Januar 2003 bestehende Möglichkeit, Arbeitnehmer auf der Grundlage des § 14 Abs. 3 Teilzeit- und Befristungsgesetz ab dem 52. Lebensjahr, bei einer vorausgehenden Befristung nach § 14 Abs. 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz bereits ab dem 50. Lebensjahr ohne Vorliegen besonderer Gründe befristet zu beschäftigen. Da befristete Arbeitsverträge ohne Kündigung auslaufen, findet das Kündigungsschutzgesetz in diesem Fall keine Anwendung. Wie die Arbeitsmarktzahlen zeigen, hat diese seit über zwei Jahren bestehende Möglichkeit der Beschäftigung ohne Kündigungsschutz, die eine höhere Flexibilität als vorher gestattet, bislang nicht zu spürbar mehr Einstellungen älterer Arbeitsuchender geführt. Der Bundeskanzler hat das als volkswirtschaftliche Vergeudung von Wissen, Erfahrung, Fähigkeiten und Kreativität kritisiert und es als Pflicht der Unternehmen bezeichnet, ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einzustellen. Die Antwort der Bundesregierung auf die Frage 11 der Kleinen Anfrage „Wandel der Arbeitswelt und Modernisierung des Arbeitsrechts“ bezieht sich nicht auf die Beschäftigungssituation Älterer, sondern auf die im Januar 2004 angehobene betriebliche Anwendungsschwelle des Kündigungsschutzgesetzes. Über deren Beschäftigungswirkung wird die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag bis Ende 2007 berichten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Herr Kollege Weiß?

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, man kann das etwas einfacher formulieren: Die rot-grüne Regierung hat den Kündigungsschutz für die über 50-Jährigen faktisch abgeschafft, jedenfalls weit heruntergefahren. Nach 26 Monaten stellt der Bundeskanzler fest, dass keine Beschäftigungswirkung eingetreten ist. ({0}) Bedeutet das für Sie jetzt, dass die Entscheidung damals falsch war? Oder hoffen Sie, dass sich in der Zukunft - in der Antwort auf die erwähnte Anfrage haben Sie ja Erkenntnisse für Herbst 2005 in Aussicht gestellt - doch noch positive Wirkungen ergeben könnten?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Herr Kollege, ich möchte die pauschale Feststellung, die Sie treffen, dass der Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer quasi aufgehoben sei, korrigieren. Ältere Arbeitnehmer, die ein befristetes Arbeitsverhältnis begründen, haben aufgrund der Befristung natürlich keinen Kündigungsschutz; das liegt im Wesen der Befristung. Aber ältere Arbeitnehmer, die in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis stehen, haben selbstverständlich einen Kündigungsschutz. ({0}) Insofern ist Ihre pauschale Aussage, die jedenfalls in Ihrer Fragestellung impliziert war, für meine Begriffe nicht zutreffend. Wir hoffen nach wie vor, dass die Flexibilität, die wir mit der Ausweitung der Befristungsmöglichkeit geschaffen haben, von der Wirtschaft, den Unternehmen, den Arbeitgebern nach und nach zur Kenntnis genommen und entsprechend praktiziert wird, sodass dann ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zunehmend eingestellt werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage.

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, da Sie es sozusagen mit diesem Mauseloch versucht haben, frage ich Sie, ob der Bundeskanzler mit der Feststellung, für Personen ab 50 Jahren existiere so gut wie kein Kündigungsschutz mehr, Recht hat. ({0}) Er kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass diese Rege- lung bisher keine Beschäftigungswirkung gehabt hat.

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Herr Kollege, ich muss Sie leider noch einmal korri- gieren. Für Personen ab 50 Jahren, die in einem Beschäf- tigungsverhältnis sind, besteht sehr wohl Kündigungs- schutz. Wenn Sie beispielsweise die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung betrachten, dann können Sie feststellen, dass der Kündigungsschutz für Personen über 50 Jahren, die in bestehenden Arbeitsverhältnissen sind, aufgrund der Sozialauswahl noch besser ist als der für jüngere Ar- beitnehmer. Insofern ist diese pauschale Aussage nicht zutreffend.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Fragen 23 und 24 des Kollegen Dirk Niebel so- wie die Fragen 25 und 26 der Kollegin Dagmar Wöhrl werden schriftlich beantwortet.1) Ich rufe die Frage 27 der Kollegin Ina Lenke auf: Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass es durch die Anrechnung der Eigenheimzulage auf das Einkom- men von ALG-II-Empfängerinnen und -Empfängern insbeson- dere bei kinderreichen Familien dazu kommen kann, dass Kredite für - auch im Vertrauen auf Leistungen der Eigenheim- zulage - erworbenen Wohnraum nicht mehr getilgt werden können und dadurch ein Verkauf oder eine Zwangsversteige- rung des Eigenheims/der Eigentumswohnung unumgänglich wird, obwohl kinderreiche Familien vor allem im städtischen Raum kaum Chancen haben, eine geeignete und bezahlbare Mietwohnung zu finden?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Sehr geehrte Frau Kollegin Lenke, wenn Sie es ge- statten, möchte ich Ihre Fragen 27 und 28 zusammen be- antworten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dann rufe ich noch die Frage 28 der Kollegin Ina Lenke auf: Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass nach dem Verkauf oder der Versteigerung des Wohneigentums von ALG-II-Empfängerinnen und -Empfängern bereits ausge- zahlte und investierte Leistungen aus der Eigenheimzulage und dem Baukindergeld ihre beabsichtigte Wirkung verfehlen, weil die Empfänger der Leistungen am Ende doch ohne Wohneigentum bleiben und stattdessen als Mieter auf Wohn- kostenzuschüsse im Rahmen des ALG II angewiesen sind, und, wenn ja, welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um zu verhindern, dass ALG-II-Empfängerinnen und -Empfänger staatlich gefördertes Wohneigentum veräu- ßern müssen?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Grundsätzlich sind bei der Gewährung von Arbeits- losengeld II bzw. Sozialgeld alle vorrangig zur Verfü- gung stehenden Einnahmen zu berücksichtigen. Sie kön- nen so zu einer Minderung - gegebenenfalls bis zum Wegfall - der Leistung führen. Entsprechend diesem Grundsatz sind nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II als Ein- kommen alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme weniger Sozialleistungen zu berücksichtigen. Das SGB II - Grundsicherung für Arbeitsuchende - sieht eine Privilegierung der Eigenheimzulage nicht vor. Zur Frage der Anrechnung der Eigenheimzulage auf die 1) Die Antworten werden zu einem späteren Zeitpunkt abgedruckt. Leistung der Sozialhilfe, also Hilfe zum Lebensunterhalt, hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass diese anzurechnen ist, weil es sich hierbei nicht um eine zweckgebundene Leistung handelt. Dieser Grundsatz ist auch auf die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach SGB II anzuwenden, da es sich dabei um eine staatliche, bedarfsorientierte und bedürftigkeitsabhängige Fürsorgeleistung handelt. Diese Fürsorgeleistung soll weder dem Vermögensaufbau dienen noch diesen auf andere Weise fördern. Dementsprechend handelt es sich bei einer Eigenheimzulage, die einem Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft ausgezahlt wird, um eine einmalige Einnahme im Sinne des § 2 Abs. 3 Arbeitslosengeld II, die vom Beginn des Monats an zu berücksichtigen ist, in dem sie zufließt. Arbeitslosengeld-II-Empfänger, die zur Finanzierung ihres Eigenheims auf ein Darlehen angewiesen sind, erhalten im Rahmen der Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II die angemessenen Darlehenszinsen. Tilgungsleistungen können hingegen nicht übernommen werden, da sie dem Vermögensaufbau dienen. Die Bundesregierung fördert durch die Gewährung der Eigenheimzulage die Schaffung von Wohnungseigentum. Es ist richtig, dass in den Fällen, in denen der Verkauf oder die Zwangsversteigerung des Wohneigentums notwendig ist, die beabsichtigte Wirkung der Eigenheimzulage nicht erreicht wird. - Nach Ihrer Körpersprache zu urteilen, Frau Kollegin Lenke, wissen Sie schon alles. ({0}) Wie gesagt: Es ist richtig, dass in den Fällen, in denen der Verkauf oder die Zwangsversteigerung des Wohneigentums notwendig ist, die beabsichtigte Wirkung der Eigenheimzulage nicht erreicht wird. Dies gilt aber nicht nur für Arbeitslosengeld-II-Bezieher, denen die weitere Finanzierung ihres Eigenheims nicht möglich ist. Ist die Tilgung des Darlehens dadurch gefährdet, dass die Eigenheimzulage zur Sicherung des Lebensunterhaltes verwendet werden muss, kann mit dem Kreditgeber eventuell auch die Stundung der Darlehensrückzahlung vereinbart werden. ({1}) - Ja, das ist die Rechtslage, nach der Sie gefragt haben.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, wenn Bundestagsabgeordnete, weil Bürger in Not sind, die Bundesregierung fragen, dann erwarte ich von Ihnen nicht nur, dass Sie mir die Rechtslage deutlich machen, sondern dass Sie vielleicht auch einmal selber überlegen, ob nicht seitens der Bundesregierung aufgrund der Neuerungen im Rahmen des ALG II Veränderungen nötig sind, wenn sich solche Dinge, wie ich sie dargestellt habe, auftun. Deshalb meine Frage: Wie bewerten Sie das und welche Lösungen haben Sie? Sie haben all das aufgeführt, was ich und sicher auch andere, die daran Interesse haben, schon recherchiert haben. Sie wissen ganz genau, dass die Eigenheimzulage nicht zu berücksichtigen ist, wenn sie nicht als bereite Einnahme zur Verfügung steht. Das ist dann der Fall, wenn die Eigenheimzulage bereits im Rahmen der Kreditfinanzierung wirksam an den Kreditgeber abgetreten worden ist. In diesem Fall hat der Hilfsbedürftige keinen Zugriff mehr. Ein anderer, der die Eigenheimzulage zwar abgetreten hat, sich auch in dieser Notlage befindet, bei dem die Abtretung aber jährlich erneuert wird, muss sie zurückzahlen. Das ist doch eine Ungleichbehandlung. Ich habe in meinem Wahlkreis zum Beispiel eine Familie, die fünf Kinder hat und in einem älteren Haus lebt. Der Vater ist jetzt arbeitslos geworden. Ich würde gerne einmal von Ihnen wissen, was Sie als Bundesregierung vorhaben, um den Menschen, die die Eigenheimzulage bisher zur Verfügung hatten, um ihre Zinsen zu bezahlen, damit ihr Haus nicht zwangsversteigert wird, in dieser Notlage zu helfen. Ich würde Sie gerne fragen: Was haben Sie sich angesichts meiner Fragen, wobei Sie ja wissen, welche Ziele diese Fragen haben, überlegt?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Sehr geehrte Frau Kollegin Lenke, wenn Sie mich nach der Rechtslage fragen, dann stelle ich die Rechtslage dar. ({0}) Wenn Sie nach Lösungen fragen, dann nenne ich Ihnen Lösungen. Wenn ich Ihre Fragen recht in Erinnerung habe - ich kann sie vorlesen; das möchte ich mir ersparen -, dann haben Sie nicht nach Lösungen gefragt. ({1}) Sie haben vielmehr gefragt: Ist der Sachverhalt, bezogen auf diese Familie, wirklich so? Dazu kann ich nur sagen: Dieser Sachverhalt ist rechtlich so, wie ich ihn dargestellt habe. Jetzt kommen wir zu der Frage der Lösung. In diesem Fall ist eine Lösung mit Sicherheit nicht von der Bundesregierung innerhalb eines weiteren Gesetzentwurfes zu finden. Im gesamten Gesetzeswerk zum Arbeitslosengeld ist vielmehr vorgesehen, dass man dann, wenn es sich um einen besonderen Härtefall handelt, vor Ort zu pragmatischen Lösungen kommt. ({2}) Dazu wird es mit Sicherheit keiner Intervention der Bundesregierung bedürfen. Vielmehr werden die handelnden Institutionen vor Ort schauen, wie weit die gesetzliche Regelung geht und ob es nach den Gesetzen aufgrund eines Härtefalles möglicherweise zu einer Stundung, einer Verhinderung der Zwangsversteigerung etc. kommen kann. Sie werden wohl kaum erwarten, dass das das Ministerium für Wirtschaft und Arbeit durchgreifend erledigen kann.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ich kann Ihnen sagen, dass der Landkreis Verden, der für diese Familie zuständig ist, ({0}) keinen Ermessensspielraum gesehen hat und diesem Ehepaar gesagt hat: Sie sollen klagen. Ich finde, dass die Bundesregierung dann, wenn sich zeigt, dass bei einem neuen Gesetz irgendetwas nicht in Ordnung ist und für bestimmte Personen eine Notlage entsteht, sagen sollte: Hier müssen Änderungen vorgenommen werden. ({1}) Es gibt hier anscheinend

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin!

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

- ja, meine Frage - keinen Ermessensspielraum. Deshalb frage ich - denn das steht in Frage 28, Herr Staatssekretär -: Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um zu verhindern, dass ALG-IIEmpfängerinnen und -Empfänger staatlich gefördertes Wohneigentum veräußern müssen? Dazu würde ich gern noch eine Anmerkung machen. Wir haben heute parallel die Anhörung zum TAG, zum KICK, dem Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe, und zum Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung der Kommunen im sozialen Bereich, KEG, sowie zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch. Auch dabei geht es um Bedürftige. Im Zusammenhang mit der Feststellung der zumutbaren Belastung steht in einem Änderungsantrag der SPD und der Grünen in Bezug auf dieses Gesetz: Bei der Einkommensberechnung bleibt die Eigenheimzulage nach dem Eigenheimzulagegesetz außer Betracht. Warum kann die Bundesregierung nicht im Zusammenhang mit dem, was ich bezüglich des ALG II als Problematik aufgeführt habe, handeln? Das ist meine Frage. Und da würde ich Sie bitten, dass Sie mir jetzt über das, was Sie bisher genannt haben, hinaus vielleicht noch andere Lösungsvorschläge vortragen. ({0})

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Sehr geehrte Frau Kollegin, vielleicht wissen Sie, dass im Zuge der Durchführung von Hartz IV eine Schiedskommission unter Vorsitz des Exministerpräsidenten Biedenkopf eingerichtet worden ist; diese Kommission sammelt genau solche Härtefälle und Problemfälle wie den von Ihnen geschilderten. Sie wird in der Mitte des Jahres oder am Ende des Jahres auf diese Problemfälle mit Veränderungsvorschlägen reagieren. Zum einen schlage ich Ihnen vor, dass Sie den Fall, den Sie hier geschildert haben, bei dieser Kommission einreichen; zum anderen biete ich Ihnen an, dass Sie diesen Fall auch mir vorlegen und ich nach Wegen suche - ich kann Ihnen nicht versprechen, ob ich sie finde -, um an diesem Punkt das Schlimmste zu verhindern.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön, Frau Lenke.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bedanke mich sehr herzlich dafür, Herr Staatssekretär, dass Sie Ihre persönliche Hilfe angeboten haben. Denn Sie wissen ja: Wenn die betroffene Familie - es ist eine Familie mit fünf Kindern - keine Unterstützung erhält, dann kann es unter Umständen passieren, dass die Banken nicht stillhalten und dass die Familie aus dem Haus ausziehen muss. ({0}) Wir wissen ja, dass das unter Umständen den Steuerzah- ler noch mehr Geld kosten würde. Ich bedanke mich herzlich dafür, dass wir miteinan- der zu einem konstruktiven Ende gekommen sind. Danke.

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Gerne.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine typische Frage war das zuletzt Gesagte nicht. Ich mache noch einmal darauf aufmerksam: Gelegentlich ist es schwierig, die kunstvolle Gratwanderung zwischen Debatte und Fragestunde zu bewältigen. Die Fragen 29 und 30 des Kollegen Hinsken werden schriftlich beantwortet.1) Ich rufe somit Frage 31 des Kollegen Heiderich auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Abweichung zwischen ihrer am 6. April 2005 in ihrer Kabinettsitzung beschlossenen Stellungnahme zu Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b des Gesetzesentwurfs des Bundesrates zur Änderung des Postgesetzes - Bundesratsdrucksache 33/05 ({0}) -, wo sie die vorgeschlagene Änderung insgesamt ablehnt, obwohl sie bisher, zum Beispiel auf dem BDI/DIHK-Workshop ({1}) am 13. Oktober 2004 in Bonn sowie in der Stellungnahme der Bundesregierung an die EU-Kommission im kartellrechtlichen Verfahren gemäß Art. 86 EG gegen die Bundesrepublik Deutschland - verglei- che Beschluss des Bundeskartellamtes gegen die Deutsche Post AG vom 11. Februar 2005, Seite 46, Az. B 9 - 55/03 -, eine Änderung in § 51 Abs. 1 Nr. 5 Postgesetz hinsichtlich der Streichung der Verpflichtung für „denjenigen, der Briefsen- dungen im Auftrag des Absenders bei diesem abholt“, diese bei der nächsten oder einer Annahmestelle der Deutschen 1) Die Antworten werden zu einem späteren Zeitpunkt abgedruckt. Post AG innerhalb derselben Gemeinde einzuliefern, unterstützt hat?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Sehr geehrter Herr Kollege Heiderich, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung sieht keinen Widerspruch in ihrem bisherigen Vorgehen. Die Frage zielt auf die Aufhebung der örtlichen Einlieferbeschränkung für Unternehmen ab, die im Auftrag eines Absenders für diesen bei der Deutschen Post AG Sendungen einliefern. Nach Auffassung der Bundesregierung sollen derartige Unternehmen dies entsprechend dem zwischen dem Absender und der Deutschen Post AG bestehenden Vertrag auch bei den Briefzentren der Deutschen Post AG tun können und nicht auf die nächste Annahmestelle oder eine andere Annahmestelle innerhalb derselben Gemeinde beschränkt sein. Rücksprachen mit der Deutschen Post AG wie auch mit den Wettbewerbern haben ergeben, dass es bereits heute gängige Übung und damit branchenbekannt ist, dass Einlieferungen auch von Wettbewerbern überall erfolgen können. Insofern hätte eine eventuelle Gesetzesänderung allenfalls klarstellende Wirkung.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön, Herr Heiderich.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, dass die Bundesregierung nicht länger der Auffassung ist, dass der zitierte Absatz aus § 51 gegen das Recht der Europäischen Union verstößt, und sie insofern ihre Position auch nicht weiter aufrechterhält, die sie gegenüber dem Bundesrat dargestellt hat?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Wenn die faktische Situation so ist, wie ich sie geschildert habe, dann hat sie möglicherweise die gesetzliche überholt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zweite Zusatzfrage.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte zusätzlich fragen, ob bei der Bundesregierung eine untergesetzliche Regelung in Bearbeitung ist, mit der der Vorgang so klargestellt wird, wie Sie das eben mir gegenüber geschildert haben.

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Eine solche untergesetzliche Regelung ist nicht in Bearbeitung. Aber ich bin gern bereit, nachzuhören, ob eine Klarstellung des von mir dargestellten Sachverhalts, in welcher Form auch immer, erfolgen kann. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 32 des Kollegen Karl Addicks auf: Ist nach Meinung der Bundesregierung 16 Millionen Tonnen pro Jahr die Mindestmenge an Steinkohle, die gefördert werden muss, damit deutsche Bergbautechnik hierzulande in einem Maße eingesetzt werden kann, das zur Sicherung des Know-hows dieses Industriezweigs ausreichend ist, und wie viele Arbeitsplätze würden zur Förderung dieser Mindestmenge noch benötigt werden ({0}) ?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Sehr geehrter Herr Kollege Addicks, die Bundesregierung wird die deutsche Steinkohlenförderung bis zum Jahre 2012 wie allgemein bekannt auf 16 Millionen Tonnen zurückführen. Die unternehmerische Entscheidung, in welchen Bergwerken und mit wie vielen Arbeitnehmern die weitere Förderung erfolgen wird, obliegt der RAG. Mit dieser Förderung ist einerseits die weitere sichere Energieversorgung unter Berücksichtigung des heimischen Energieträgers Steinkohle möglich, andererseits wird die Sicherung des Know-hows der deutschen Bergbauzulieferindustrie ermöglicht. Deutschland ist beim Export von Bergbautechnik die mit Abstand führende Nation in der Europäischen Union und auch weltweit die Nummer eins. Vom Gesamtumsatz der Bergbaumaschinenindustrie in 2004 in Höhe von 1,8 Milliarden Euro entfallen rund 70 Prozent auf den Export. Diese Position ist vor allem auf den hohen Entwicklungsstand der Technik für den untertägigen Steinkohlenbergbau in Deutschland zurückzuführen. Der Weiterentwicklung dieser modernen Technologie in deutschen Bergwerken kommt somit auch eine wichtige Rolle für den Industriestandort Deutschland zu.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, bitte schön, Herr Addicks.

Dr. Karl Addicks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003713, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ich hatte diese Frage schon einmal schriftlich gestellt. Damals wurde der Kern der Frage ebenso wenig beantwortet wie jetzt hier. Ich möchte gerne von Ihnen wissen, wie viele Millionen Tonnen Steinkohle nach Ansicht der Bundesregierung mindestens gefördert werden müssen, um das Knowhow, das wir natürlich in unserem Land halten wollen, zu sichern. Sie sprechen davon, die Jahresförderung auf 16 Millionen Tonnen zurückzuführen. Ist das Ihre Mindestfördermenge?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Die Frage, wie hoch die Mindestförderung sein muss, um einen bergbautechnologischen Standort zu halten, kann ich Ihnen wirklich nicht beantworten.

Dr. Karl Addicks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003713, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es wäre jedoch interessant gewesen, das zu wissen.

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Das hält aber -

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Austausch über die Frage, was interessant gewesen wäre, ist hochgradig hypothetisch. Ich würde deswegen sehr empfehlen, von der Möglichkeit einer weiteren konkreten Frage Gebrauch zu machen oder auch nicht.

Dr. Karl Addicks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003713, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich verzichte auf eine weitere Frage.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 33 des Kollegen Karl Addicks auf: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Feststellungen des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im Jahresgutachten 2003/04, wonach durch die Einstellung der Steinkohlenförderung in Deutschland die Sicherheit der Energieversorgung nicht gefährdet wird und, falls es für den Export von Fördertechnologie notwendig ist, Versuchs- und Probebergwerke zu betreiben, es in erster Linie Aufgabe der entsprechenden Unternehmen ist, diese Basis ihrer Exporttätigkeit selbst zu finanzieren ({0})?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Angesichts hoher und weiter wachsender Importabhängigkeit bei Energierohstoffen stellt der Zugang zu eigener Steinkohle ein wichtiges Element der Versorgungssicherheit dar. Darüber gibt es derzeit eine sehr aktuelle Diskussion, die Sie kennen. Die Steinkohlenhilfen sind seit Jahren degressiv ausgestaltet. So wird die Steinkohlenförderung von gegenwärtig 26 Millionen Tonnen bis zum Jahr 2012 auf - die Zahl wurde bereits genannt - 16 Millionen Tonnen zurückgeführt. Dies liegt auf der Linie der Feststellung des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Neue Bergbautechnik wird weltweit aufgrund der hohen Kosten nur in aktiven Bergwerken und im Tagebau eingesetzt und unter echten Einsatzbedingungen weiterentwickelt. Ein Wegfall der Einsatzmöglichkeit in Deutschland würde sich somit auch auf die Erhaltung der Arbeitsplätze in über 120 mittelständischen Unternehmen auswirken.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Dr. Karl Addicks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003713, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Weshalb ist die Beurteilung der Versorgungssicherheit in Deutschland so grundsätzlich anders, sodass wir die Steinkohle unbedingt für unsere nationale Energiereserve brauchen, während man in Frankreich vor kurzem die letzte Steinkohlenzeche geschlossen hat? Worin besteht der generelle Unterschied zu Frankreich? Warum ist das bei uns Ihrer Ansicht nach so unsicher?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Herr Kollege Addicks, Sie und ich wissen, dass die Frage - deshalb komme ich auf die vorhergehende Frage zurück -, die nach der Mindestfördermenge von Steinkohle, nicht mit der Frage verknüpft werden darf, wie wir die Technologiestandards in diesem Bereich, über die wir verfügen und die wir exportieren, erhalten können. Das ist vielmehr eine politische Frage, die die Bundesregierung so, wie ich es hinsichtlich der 16 Millionen Tonnen geschildert habe, beantwortet hat.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Karl Addicks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003713, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wie bewertet die Bundesregierung in Anbetracht der sich in letzter Zeit im saarländischen Lebach häufenden Erdbeben, von denen die dort lebende Bevölkerung sehr stark betroffen ist, die Möglichkeiten, das Berggesetz angesichts dieser Nebenwirkungen zu ändern, um statt eines Sofortvollzugs einen Sofortstopp zu erreichen?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Aber ich bin gern bereit, Ihnen die Beantwortung dieser Frage schriftlich nachzureichen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Thalheim zur Verfügung. Ich rufe die Frage 34 des Kollegen Mayer auf: Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über Fehlurteile bzw. fehlerhafte Untersuchungen durch die Stiftung Warentest e. V., gegebenenfalls über deren wirtschaftliche Folgen für einzelne davon betroffene Unternehmen und, wenn ja, welche? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Kollege Mayer, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Im September 2002 wurde in der Zeitschrift „Finanztest“ ein Test über so genannte Riester-Rentenversicherungen veröffentlicht, der einen systematischen Fehler enthielt. Die Stiftung Warentest hat auf diesen Fehler professionell reagiert, die diesbezügliche Ausgabe nach ihrem Erscheinen unverzüglich vom Kiosk zurückgeholt und in der folgenden Ausgabe einen überarbeiteten und korrigierten Testbericht veröffentlicht. Weitere Fehlurteile oder fehlerhafte Untersuchungen der Stiftung Warentest sind der Bundesregierung nicht bekannt. Über etwaige wirtschaftliche Folgen für betroffene Unternehmen liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. Die Stiftung Warentest hat sich im Laufe ihrer 40-jährigen Arbeit eine allseits anerkannte, überaus hohe Wertschätzung erworben. Einer der maßgeblichen Gründe für die erfolgreiche Arbeit der Stiftung ist neben der in ihrer Satzung festgeschriebenen Unabhängigkeit ihre qualitativ hochwertige Testarbeit.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön, Herr Kollege Mayer.

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, welche Konsequenzen - insbesondere hinsichtlich der Gewährung des Bundeszuschusses von immerhin 6,5 Millionen Euro pro Jahr - würde die Bundesregierung ziehen, wenn die Stiftung Warentest zukünftig zu Schadenersatzleistungen verurteilt werden würde? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Kollege Mayer, die rein hypothetische Frage, was geschehen würde, wenn eine Gerichtsentscheidung dies zum Ergebnis hätte, kann ich Ihnen nicht beantworten, zumal ich in der Antwort, die ich Ihnen gegeben habe, darauf hingewiesen habe, dass sich die Stiftung Warentest in der Öffentlichkeit hohes Ansehen und großes Vertrauen erworben hat. Das ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass es in den letzten Jahren nur etwa zehn Rechtsstreitigkeiten pro Jahr gegeben hat und die jeweilige Untersuchung der Stiftung Warentest in 90 Prozent der Fälle vom zuständigen Gericht nicht beanstandet worden ist. Bisher musste in keinem einzigen Fall Schadenersatz geleistet werden. Das ist der Hintergrund für meine Antwort, dass dies auch für die Zukunft nicht zu vermuten ist. Wenn allerdings ein solcher Einzelfall vorkäme, dann müsste er in Relation zu den Gerichtsentscheidungen der letzten Jahre gesehen werden. Für eine Kürzung des Bundeszuschusses gäbe es aber auch dann überhaupt keine Begründung.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage.

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich habe noch eine konkrete Nachfrage: Welche Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung, um zu überprüfen, wie die von mir erwähnten immerhin 6,5 Millionen Euro, die die Stiftung Warentest pro Jahr erhält, verwendet werden ({0}) Stephan Mayer ({1}) und ob die Seriosität und Ordnungsgemäßheit der entsprechenden Überprüfungen und Maßnahmen eingehalten werden? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Die zuletzt von mir zitierten Zahlen, der Hinweis auf den Erfolg bei Rechtsstreitigkeiten und die öffentliche Würdigung der Arbeit der Stiftung Warentest sind die Gründe für meine Antwort, dass dieser Fall rein hypothetisch ist. Wir sehen überhaupt keinen Handlungsbedarf, zumal uns auch von der Satzung her keine Handlungsmöglichkeit gegeben wäre. Durch die Satzung hat der Bund lediglich auf die Besetzung des Verwaltungsrates Einfluss. Auf die Arbeit der Stiftung hat der Bund aber keinen direkten Einfluss. Ich möchte hinzufügen: Das ist auch gut so und hat letztendlich der Unabhängigkeit der Stiftung und ihrer Arbeit, auch aus Sicht der Öffentlichkeit, sehr gut getan.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfragen liegen hierzu nicht vor. Die Fragen 35 und 36 der Kollegin Connemann werden schriftlich beantwortet. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht Frau Staatssekretärin Probst zur Verfügung. Ich rufe Frage 37 der Kollegin Veronika Bellmann auf: Welcher Prozentsatz der in der so genannten EU-Feinstaubrichtlinie - 99/30/EG - erwähnten Chemikalien und Feinstäube wird tatsächlich von Menschen verursacht und wie viele dieser so genannten anthropogenen Schadstoffe stammen aus Deutschland?

Simone Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002753

Sehr geehrte Frau Kollegin, die Richtlinie 1999/30/EG regelt die Stoffe Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid, Stickstoffoxide und Partikel, allgemein unter Feinstaub bekannt, und Blei. Die Stoffe Stickstoffdioxid, Stickstoffoxid und Blei werden nahezu ausschließlich anthropogen erzeugt. Bei dem Stoff Schwefeldioxid und den Partikeln ist es anders: Hier kann der natürliche Anteil unter bestimmten Bedingungen nennenswert sein. Deshalb sind in der Richtlinie für genau diese Stoffe entsprechende Regelungen vorgesehen. Über diese beiden Stoffe kann man sagen: Schwefeldioxidemissionen entstehen in der Nähe von Vulkanen oder bei anderen geothermischen Aktivitäten; dieses ist für Deutschland nicht relevant. Natürliche Partikel bilden sich aber auch durch Aufwirbelung von Erdkrustenmaterial oder aus Seesalz. Abschätzungen hierfür, die man aufgrund von Modellrechnungen und Messungen vornehmen kann, kommen zu dem Ergebnis, dass der Anteil der natürlichen Partikel an der Luftbelastung in Deutschland weniger als 5 Prozent ausmacht. Der Anteil von Seesalz kann in küstennahen Gebieten 10 Prozent betragen. Die „Importe“ aus den Nachbarländern tragen sehr unterschiedlich, insbesondere regional unterschiedlich, zur Luftbelastung bei. In Ballungsräumen oder an stark befahrenen Straßen ist der aus dem Ausland stammende Anteil deutlich niedriger als in ländlichen Gebieten. Bei Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Partikeln kann dieser Anteil prozentual - das muss man immer sehen zwischen 10 und 20 Prozent liegen; bei Blei spielen solche Ferntransporte keine Rolle.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine Zusatzfrage.

Veronika Bellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In Deutschland hat sich infolge der Umsetzung dieser EU-Richtlinie durch die Bundesregierung regelrecht eine Filterhysterie ausgebreitet. Man schiebt alles nur auf die Kfz-Ausstöße. Ich habe daher folgende Zusatzfrage: Sehen auch Sie die Tendenz weg von der Festschreibung von Grenzwerten hin zur Festschreibung einer bestimmten technischen Ausführung, nämlich eines Rußfilters?

Simone Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002753

Diese Einschätzung teile ich überhaupt nicht. Es geht wirklich um den Grenzwert. Dieser ist davon abhängig, welche Gesundheitsgefährdung wir in Kauf nehmen. Um diesen Grenzwert einzuhalten, spielt der Partikelfilter eine herausragende Rolle. Wenn es andere Möglichkeiten gäbe, die Luftreinhaltung durch Kfz zu gewährleisten, gäbe es keine Präferenz für eine bestimmte Technik. Aber in diesem Fall ist nur diese Technik auf dem Markt. Aktuell ist die Situation doch die, dass viele Bürgerinnen und Bürger alarmiert sind und sich um ihre Gesundheit sorgen. Es geht aber nicht nur um den Kfz-Bereich, es geht auch um Industrie und Gewerbe. Sie wissen, dass die Bundesregierung die Großfeuerungsanlagenverordnung und die TA Luft novelliert hat und dass gerade den Städten und Gemeinden durch Verkehrsleitsysteme, durch die Verbesserung des ÖPNV, durch Umrüstung ihrer eigenen städtischen Fuhrparks und anderes viele Möglichkeiten gegeben sind, um die Feinstaubbelastung gering zu halten. Ich wiederhole: Es geht darum, welche Gesundheitsgefährdung wir in Kauf nehmen, es geht nicht darum, singulär eine bestimmte Technik zu fördern. Wenn es aber eine Technik gibt, die die größten Erfolge ermöglicht, sollte man natürlich darauf setzen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage.

Veronika Bellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Daran anschließen möchte ich eine Zusatzfrage bezüglich der Angleichung der EU-Richtlinie an den wissenschaftlichen Fortschritt bzw. deren Umsetzung. Wir konnten dieser Tage lesen, dass das Herausfiltern von Rußpartikeln - ich beziehe mich auf die Ausstöße von Kfz - nicht ausreichend ist bzw. zu einer noch größeren Gefährdung und Konzentration der Partikel, insbesondere der Feinstäube, führt, weil sich kleine Partikel nicht mehr an die großen anhängen können; das ist chemisch nun einmal so. Es wurde gesagt, dass die EU mit ihrer in der Richtlinie getroffenen Festlegung der Grenze in Bezug auf die Mikrometerbelastungen den wissenschaftlichen Erkenntnissen hinterherhinkt. Inwiefern kann die Bundesregierung hier gegensteuern bzw. in der EU darauf hinwirken, dass es dort zu einer Angleichung kommt?

Simone Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002753

Ich denke, wir sind sehr froh, dass wir eine Luftqualitätsrichtlinie haben, die Regelungen über die Partikel in der Größenordnung von PM 10 enthält. Sie haben aber Recht, dass in der wissenschaftlichen Diskussion auch kleinere Partikel mit der Größe PM 2,5 als sehr gesundheitsgefährdend eingeschätzt werden. Deshalb wird auf EU-Ebene darüber diskutiert, auch hier Regelungen vorzusehen. Diese Diskussion wird von der Bundesregierung unterstützt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Dreßen.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, man hört nur von Feinstaubmessungen in Großstädten, zum Beispiel in Düsseldorf, Stuttgart und München, und dass dort die Grenze überschritten worden ist. Ich komme aus dem ländlichen Raum. Deshalb lautet meine Frage: Wird im ländlichen Raum überhaupt nicht gemessen oder ist dort die Feinstaubentwicklung gravierend niedriger? ({0})

Simone Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002753

Natürlich wird auch im ländlichen Raum gemessen. ({0}) Wenn Sie konkrete Regionen im Blick haben, empfehle ich Ihnen, auf der Homepage des Umweltbundesamtes nachzusehen. In Ballungsgebieten und in Städten mit einer schwierigen topographischen Lage ist dieses Problem sicherlich evidenter und es liegt eher auf der Hand, aber natürlich gibt es auch im ländlichen Bereich stark befahrene Straßen, sodass der Schutz der Anwohner sowie der Bürgerinnen und Bürger dort genauso gewährleistet werden muss wie in Ballungsgebieten. Das Umweltbundesamt gibt auf seiner Homepage Auskunft darüber, wo die Messstellen sind. Wir sind immer offen für eine Diskussion darüber, wie wir diese Verfahren, in die auch die Länder maßgeblich involviert werden, optimieren können.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Fischer.

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, bei dem unglaublichen Engagement dieser Regierung in den letzten Tagen frage ich Sie: Seit wann sind die Fahrzeuge der Bundeswehr mit Rußpartikelfiltern ausgerüstet?

Simone Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002753

Über die Fahrzeuge der Bundeswehr müsste ich mich bei den Kollegen aus dem Verteidigungsministerium erkundigen. Ich werde das gerne tun und Ihnen die Antwort schriftlich zukommen lassen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe noch die Frage 38 der Kollegin Veronika Bellmann auf: In welcher Größenordnung würde die Feinstaubbelastung verringert, wenn alle Kraftfahrzeuge in Deutschland mit entsprechenden Rußfiltern ausgestattet würden, und ist es wahr, dass gemäß EU-Feinstaubrichtlinie auch die durch Kraftfahrzeuge angesaugten - nicht anthropogenen - Feinstäube zulasten der Feinstaubbilanz dieser Fahrzeuge gehen?

Simone Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002753

Frau Kollegin, wenn alle Dieselfahrzeuge in Deutschland mit Partikelfiltern, die einen Wirkungsgrad von größer als 90 Prozent haben, ausgestattet würden, dann hätte dies zur Folge, dass die gesamte Feinstaubbelastung in einer exemplarisch angenommenen stark befahrenen Straße in Berlin um bis zu 30 Prozent abnehmen könnte. In der Praxis muss man aber sagen, dass nur Fahrzeuge der neuesten Generation mit derart leistungsfähigen Systemen ausgestattet werden. Bei nachgerüsteten älteren Fahrzeugen ist der Wirkungsgrad niedriger. Sie haben in Ihrer Frage einen zweiten Teil angesprochen. Damit knüpfen Sie an meine Antwort auf die Frage 37 an, dass der Anteil der natürlichen Partikel an der Luftbelastung in Deutschland nur wenige Prozent beträgt, sodass die durch die Kraftfahrzeuge angesaugten nicht anthropogenen Feinstäube in der Feinstaubbilanz dieser Fahrzeuge keine maßgebliche Rolle spielen. Aus meiner Antwort zum ersten Teil der Frage 38 erkennen Sie, dass der Partikelfilter einen großen Anteil hat. Die anderen Maßnahmen, die ich vorhin bei der Beantwortung Ihrer ersten Frage exemplarisch genannt habe, müssen aber natürlich auch greifen. Wir müssen alles tun, um die Feinstaubbelastung zu reduzieren.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine Zusatzfrage.

Veronika Bellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist vollkommen einsichtig. Ich habe noch eine Frage zu Ihrer Einschätzung. Aufgrund der Vielzahl anderer Probleme, die sowohl Deutschland als auch diese Regierung ohnehin schon haben, hat das Thema Feinstaub, wie ich vorhin schon sagte, die Bundesregierung derart überlastet, dass man sich fragen muss, wie das in anderen Ländern gehandhabt wird; denn auch dort gibt es sicherlich eine solche Belastung. In diesen Ländern ist die Umweltpolitik bei weitem nicht so fortschrittlich, wie dies hier seit Jahren der Fall ist. Wie wird das dort gehandhabt? Welche Maßnahmen werden ergriffen, wenn der Grenzwert überschritten wird?

Simone Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002753

Das kann man pauschal nicht beantworten. Die EURichtlinie ist natürlich in allen EU-Staaten gültig. Wir haben in der Diskussion gesehen, dass zum Beispiel auch die Industrie einen maßgeblichen Anteil an der Belastung hat. In Frankreich haben die Automobilhersteller sehr früh auf die Partikelfilter gesetzt und sie serienmäßig eingebaut. Ich bin sehr froh, dass dies nun auch in Deutschland in die Wege geleitet wird. Wir haben ein großes Interesse daran, dass das, was wir in den Städten und Kommunen tun können, auch gemacht wird und dass die Gesamtfeinstaubbelastung ebenso in den anderen EU-Ländern reduziert wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage, Frau Homburger.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, könnten Sie uns bitte den Anteil mitteilen, der bei den Feinstaubemissionen im Schnitt auf den Verkehr entfällt? Beim Verkehr geht es nicht nur um Feinstaub aus Dieselruß, sondern es geht auch um den Abrieb von Reifen, die Aufwirbelung von Staub, der auf der Straße liegt, und um den Abrieb beispielsweise von Bremsbelägen. Wie hoch ist deren Anteil an den Feinstaubbelastungen?

Simone Probst (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002753

Es ist nicht möglich, diese Frage pauschal zu beantworten, weil in jeder Stadt und in jeder Straße eine andere Situation vorherrscht. Wenn wir im Umweltausschuss weiterhin über dieses Thema diskutieren, werden wir über viele Maßnahmen debattieren. Ich habe vorhin die Großfeuerungsanlagenverordnung und die TA Luft genannt. Diese Maßnahmen zeigen insbesondere in Gebieten, in denen sich sehr viel Industrie und Gewerbe angesiedelt haben, eine große Wirkung. Dort, wo es um den Straßenverkehr und um Dieselfahrzeuge geht - besonders dann, wenn der Lieferverkehr sehr hoch ist -, haben diese Maßnahmen einen sehr viel höheren Anteil. Insofern kann diese Frage nicht pauschal beantwortet werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Die Fragen 39 bis 54 werden schriftlich beantwortet Ich rufe nun den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU Religionspolitik des Berliner Senats und Grundgesetz Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Dr. Hermann Kues für die CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Hermann Kues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Absicht des Berliner Senats, getragen von SPD und PDS, ab dem Schuljahr 2006 den ohnehin freiwilligen Religionsunterricht der Kirchen und Religionsgemeinschaften abzudrängen und faktisch durch eine staatlich organisierte Wertevermittlung zu ersetzen, ist für die Union nur eines: Ein Anschlag auf die Bekenntnis- und Gewissensfreiheit in unserem Lande. ({0}) Das Ganze geht weit über die Berliner Landespolitik hinaus. Es ist eine Kampfansage an den Grundkonsens unserer pluralen Gesellschaft, wenn zum Beispiel Schülerinnen und Schüler, die religiös gebunden sind, keine Chance haben, sich vom staatlich verordneten Werteunterricht abzumelden. Nach unserem Verständnis muss der Staat Freiheiten garantieren und nicht Werte normieren. ({1}) Religionsfreiheit ist eines der vornehmsten Menschenrechte. Die Legitimation des Religionsunterrichtes im geltenden Verfassungsrecht folgt aus der Verpflichtung des freiheitlich-demokratischen Staates. Wegen der weltanschaulichen Neutralität des Staates und seiner Verantwortung für das Schulwesen hat er dafür zu sorgen, dass religiöse Bezüge als Erfahrungsgut der Schülerinnen und Schüler nicht ausgeblendet werden, sondern in das auf ganzheitliche Persönlichkeitsbildung ausgerichtete Unterrichtsprogramm fachlich einbezogen werden. Ich will es einmal so formulieren: Jede Generation hat einen Anspruch darauf, mit religiösen Erfahrungen konfrontiert zu werden. Dies gilt umso mehr, als wir wissen, dass unser Staat und unsere Verfassung ohne die religiösen Traditionen, die wir in unserem Lande haben, nicht denkbar wären. ({2}) Lassen Sie mich Bischof Wolfgang Huber zitieren: Seelenlose „Religionskunde“ kann den Religionsunterricht nicht ersetzen. Man braucht ein eigenes Verhältnis zu Gott, zur Nächstenliebe und zu gelebtem Glauben, wenn man andere darin unterrichten will. Es gehört nicht zu den Aufgaben des Staates, das Christentum aus unseren Schulen zu verdrängen. Das verletzt die Pflicht des Staates zu religiöDr. Hermann Kues ser Neutralität. Es widerspricht auch dem demokratischen Miteinander. Dem ist nichts hinzuzufügen. ({3}) Ich sage Ihnen ganz offen: Das, was sich hier in Berlin abspielt, riecht verdammt nach DDR. ({4}) Bei der PDS - das sage ich auch ganz deutlich - wundert mich das nicht. Dass sich aber 77 Prozent der Berliner SPD auf dem Landesparteitag in unserer Bundeshauptstadt dem religionsfeindlichen Geist, der dahinter steckt, anschließen, ({5}) macht mich auch im Hinblick auf die deutsche Vergangenheit fassungslos. Das ist ein gefährlicher Weg. Das ist ein verantwortungsloser Irrweg. ({6}) Es werden in diesen Tagen kräftig Nebelkerzen geworfen, auch wenn ich das Engagement des stellvertretenden SPD-Parteivorsitzenden Wolfgang Thierse ausdrücklich anerkenne, wiewohl er nur eine kleine Minderheit darstellt. Herr Müntefering sagt, Kulturpolitik sei Sache der Länder. ({7}) Tiefer gehende Zusammenhänge versucht er auszublenden. Der eigentliche Höhepunkt ist aber die Art und Weise der Argumentation des Regierenden Bürgermeisters, der sagt, es ändere sich eigentlich gar nichts. Eine Zeitung hat heute geschrieben, das sei entweder Ignoranz oder Dummheit. ({8}) Man muss sich ein wenig das Umfeld dieser Entscheidung ansehen; dann merkt man auch, was beabsichtigt ist. Michael Müller, der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, hat gesagt, die Mittel für den Religionsunterricht könnten sowieso gekürzt werden, da künftig ohnehin weniger Schülerinnen und Schüler daran teilnehmen würden. Monika Buttgereit hat sogar gesagt, sie möchte den Katholiken nicht absprechen, dass sie auch Werte hätten - sehr großzügig, kann ich nur sagen -, aber das seien nicht die Werte, die sie mit Schülern diskutiert haben wolle. Das sagte sie im „Spiegel“ dieser Woche. Das ist eine deutliche Kampfansage. ({9}) Ich will auch nicht verhehlen, dass mich sehr wohl beschäftigt, welch enge Verbindung es zwischen dem Berliner Senat von SPD und PDS und dem atheistischen Humanistischen Verband gibt. Der Verband hat heute eine Presseerklärung herausgegeben, in der es unter anderem heißt, man müsse jetzt aufpassen, dass bei dem neuen Fach unter fachlichen und personellen Gestaltungsgesichtspunkten nicht diejenigen, die sich für Religion einsetzen würden, wieder einen Fuß in die Tür bekämen. ({10}) Das heißt also, wer irgendwie religiös orientiert ist, soll demnach dieses Fach nicht unterrichten dürfen. Der Humanistische Verband ist schon dabei, ein Konzept zu entwickeln, ({11}) weil er die Unterrichtung dieses Faches für sich reservieren will. Der Kultursenator des Berliner Senats, Herr Flierl ({12}), der diesem Verband, wenn ich es richtig sehe, auch angehört, hat dafür gesorgt, dass dieser Verband Jahr für Jahr 580 000 Euro aus dem wahrlich klammen Berliner Haushalt bekommt. Diese Einrichtung wird im Verhältnis zu den Kirchen überproportional gefördert. ({13}) Die Ausgaben für Kirchen und Religionsgemeinschaften werden stattdessen systematisch gekürzt. Deswegen sage ich ganz deutlich: Toleranz setzt voraus, dass man sich selbst darüber im Klaren ist, wer man eigentlich ist. Dazu gehört Religion. Toleranz ohne eine eigene Position fördert Orientierungslosigkeit und Beliebigkeit. Wir unterstützen die Kirchen in Berlin und auch die Jüdische Gemeinde bei ihrem Einsatz für das Fach Religion als Wahlpflichtfach. Herzlichen Dank. ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die SPD-Fraktion erhält der Kollege Wilhelm Schmidt das Wort.

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kues, lassen Sie die Kirche im Dorf, auch im Dorf Berlin. ({0}) Als Kirchenbeauftragter meiner Fraktion will ich um der Sache willen auch einen Beitrag zum Religionsfrieden liefern. Das ist der Angelegenheit, wie sie in den vergangenen Wochen und Monaten behandelt worden ist, sicherlich angemessen. Ich glaube, dass es nicht richtig ist, wenn Sie von einem Abdrängen oder faktischen Abschaffen des Christentums und der Abschaffung der Religionsfreiheit sprechen. ({1}) Wilhelm Schmidt ({2}) Ich halte es auch nicht für richtig, wenn zum Beispiel ausweislich der „Berliner Morgenpost“ vom 5. April Reymar von Wedel wie folgt zitiert wird: Viele, die unseren Aufruf zur Bewahrung des Religionsunterrichtes begrüßt haben, stellen die Frage, warum dieser Vergleich: So schlimm wie 1934, als Niemöller den Pfarrernotbund gründete, ist es doch heute nicht. Das ist richtig, aber es kann so werden und manches ist schon heute vergleichbar. In demselben Artikel wird auch Kardinal Sterzinsky zitiert, der den Vergleich „wie in der Nazizeit und in der DDR“ gezogen hat. Ich halte das nicht für angemessen. ({3}) Wir müssen uns mit diesen Fragen in anderer Form auseinander setzen. ({4}) Was passiert eigentlich konkret? Eine seit über 50 Jahren geübte Praxis wird um ein neues Angebot ergänzt, das als Pflichtfach eingeführt wird. ({5}) Wer hindert denn diejenigen, die die freiwilligen Möglichkeiten des Religionsunterrichts in Anspruch nehmen wollen, daran, dies zu tun? ({6}) Von daher wäre ein bisschen mehr Nüchternheit und Objektivität angemessen. ({7}) - Nun lassen Sie das doch mal! Sie haben noch die Gelegenheit, zu reden. Wer von Ihnen hat sich denn in den vergangenen 50 Jahren darüber aufgeregt, dass nur 20 Prozent der Sekundarstufenschüler ab der 7. Klasse den freiwilligen Religionsunterricht wahrgenommen haben? Niemand von Ihnen hat das hier zum Thema gemacht. Insofern ist das, was Sie heute abliefern, einmal mehr Ausdruck Ihrer heuchlerischen Politik, wie sie immer wieder festzustellen ist. ({8}) - Bleiben Sie ganz ruhig, Herr Kauder! Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich persönlich die Entscheidung nicht für richtig halte. ({9}) - Es geht doch nicht darum, was ich persönlich für richtig halte; ({10}) die Frage ist vielmehr, ob das Plenum des Deutschen Bundestages mit einer Aktuellen Stunde der richtige Ort für die Diskussion über ein solches Vorgehen und eine solche politische Entscheidung ist. ({11}) Diese Frage beantworte ich sehr deutlich mit Nein: Das Plenum des Bundestages ist nicht der richtige Ort. Denn es sind die CDU/CSU-geführten Bundesländer, in denen es immer wieder zur Blockade in allen Fragen der Bildungspolitik, auch der Schulhoheit, kommt. ({12}) - Natürlich ist das eine. - Sie haben es sogar so weit getrieben, die Föderalismuskommission an diesem Thema scheitern zu lassen. Nehmen Sie die Verantwortung, die Sie hier zum Ausdruck zu bringen versuchen, wahr und sorgen Sie erst einmal dafür, dass die Diskussion relativiert bzw. in Gang gebracht wird und wir vielleicht gemeinsam eine andere Grundlage bekommen, um uns mit solchen Themen wie dem heute zur Diskussion stehenden Thema auseinander zu setzen! Ehe Sie vordergründig in dieser Weise auftreten, sollten Sie sich meines Erachtens selber in dieser Frage prüfen und dafür sorgen, dass wir eine objektive Debatte führen, wobei ich es übrigens für richtig halte, das Für und Wider zu erörtern. Es ist durchaus richtig, sich in solchen Fragen auseinander zu setzen. Aber nur so zu tun, als ob Sie als Fraktion einhellig auf der Seite derjenigen sind, die den Religionsunterricht anbieten, ({13}) reicht nicht aus. Wenn Sie im Übrigen fordern, den Menschen die Entscheidung über den Religionsunterricht zu überlassen, ({14}) dann ist das doch die Konsequenz: Zur Religionsfreiheit gehört auch diese Entscheidung. Von daher glaube ich, dass Sie auf dem falschen Dampfer sind, liebe Kolleginnen und Kollegen. Mit einer Aktuellen Stunde wird man diesem Thema nicht im Entferntesten gerecht. Sehen Sie zu, dass Sie Ihre Position überprüfen. Lassen Sie uns gemeinsam darum ringen, dass diese Überlegungen, wenn sie denn in die Praxis umgesetzt werden, doch noch in eine andere Richtung gehen, als es bei Parteitagsbeschlüssen oder Ähnlichem, wie es jetzt von Ihnen inkriminiert wird, der Fall ist. Ich persönlich schließe auch nicht aus, dass das, was zum Beispiel Senator Böger und ich zum Ausdruck gebracht haben - nämlich dass die brandenburgische LöWilhelm Schmidt ({15}) sung viel besser wäre -, immer wieder ins Gespräch gebracht wird. Kämpfen Sie mit denjenigen darum, die auf diese Weise ihre Position zu erkennen gegeben haben! Aber machen Sie es nicht zum Gegenstand einer vordergründigen und, wie ich finde, zum Teil ziemlich heuchlerischen Auseinandersetzung im Plenum des Deutschen Bundestages! ({16})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Markus Löning für die FDP-Fraktion.

Markus Löning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003583, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Liebe Kollegen! Herr Schmidt, ich will Ihnen ausdrücklich Respekt dafür zollen, dass Sie hier für die SPD in die Bütt gegangen sind. ({0}) Ich möchte Sie aber gerne fragen - ich bitte Sie, diese Fragen auch Ihren Kollegen zu stellen; dabei nehme ich die Kollegen Dzembritzki und Schulz ausdrücklich aus -: Wo sind die Berliner Kollegen, die das zu vertreten haben? ({1}) Wo ist Klaus Uwe Benneter, der Generalsekretär Ihrer Partei, der an führender Stelle in der Berliner SPD tätig ist? Wo ist er, wenn wir hier über einen Parteitagsbeschluss der Berliner SPD reden? ({2}) Ich finde es zwar gut, dass der Berliner Kultursenator von der PDS an dieser Bundestagsdebatte teilnimmt. Herzlich willkommen! Aber wo ist der zuständige Schulsenator Ihrer Partei, liebe Kollegen von der SPD? Warum ist Herr Böger nicht hier? ({3}) Herr Schmidt, ich möchte ausdrücklich hinzufügen: Wir, die FDP, haben 2001 Koalitionsverhandlungen mit der Berliner SPD geführt. Ich habe die SPD als eine außerordentlich pragmatische Partei kennen gelernt. Wir waren uns zwar nicht in allen Punkten einig, aber in vielen, gerade mit Herrn Böger. Aber was die Berliner SPD nun beschlossen hat - Einheitsschule und staatlich verordnete Werteorientierung -, ist ein Zurück in die 70erJahre. Das ist unerträglich. Damit stellt sich die SPD selbst völlig ins politische Abseits. ({4}) Ich bin wahrlich kein kalter Krieger, der auf die PDS schimpft oder einschlägt. ({5}) Ich schätze die beiden Berliner Kolleginnen von der PDS durchaus. Aber Sie sollten einmal darüber nachdenken, ob es sich hier nicht um Applaus an der falschen Stelle handelt, wenn die PDS eine Maßnahme begrüßt, die nichts anderes als den Versuch bedeutet, Kinder von der Religion zu entfernen und den alten marxschen Spruch „Religion ist Opium für das Volk“ umzusetzen. Ich sage Ihnen: Das ist nicht so. Ich bin sicherlich kein Freund der Kirchen. Aber es steht uns als Staat nicht zu, die Werte im religiösen Bereich zu bestimmen. Es steht uns als Staat ebenfalls nicht zu, zu bestimmen, ob Kinder am Religionsunterricht teilnehmen sollen, ob sie glauben sollen oder nicht. ({6}) Es steht uns erst recht nicht zu, über einen staatlichen Werteunterricht zu versuchen, Kindern Religiosität und Religion oder den Zugang dazu auszureden, Herr Schmidt. ({7}) - Wenn Sie sagen, dass das unter meinem Niveau ist, dann stelle ich Ihnen gerne das FDP-Modell vor. ({8}) Wir treten für ein Wahlpflichtfach ein, in dem ein Teil Ethik sein kann und zu dem auch Religion gehört - alle Religionen sollen Unterricht abhalten können -, wobei die Kinder zwischen den verschiedenen Fächern wählen können. Selbstverständlich gibt es - darin sind wir uns mit Herrn Böger durchaus einig - Reformbedarf bei der staatlichen Aufsicht über den Religionsunterricht. Ich bin nicht dafür, dass religiöse Körperschaften - seien es die christlichen Kirchen, sei es die Islamische Föderation oder seien es in Zukunft die Zeugen Jehovas - ohne staatliche Aufsicht Unterricht abhalten. Wir wollen staatliche Aufsicht. Aber die Kirchen sollen die Möglichkeit und die Schüler sollen die Wahlfreiheit haben, ihrem Unterricht nachzugehen. Es ist richtig, dass wir auch von staatlicher Seite Werteunterricht machen müssen. Aber das ist nur begrenzt möglich; denn was wir als Staat in einem Werteunterricht vermitteln können und was wir auch in anderen Fächern vermitteln sollten, sind die Grundwerte des Grundgesetzes. Das sind Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie die Einhaltung der Menschenrechte. ({9}) Das sind unsere Grundrechte. Darauf muss sich der Staat bei der Wertevermittlung aber auch beschränken. ({10}) Herr Schulz, ich sage Ihnen eines: Wenn ich mir vorstelle, dass meine Kinder in einer Berliner Schule Unterricht erhalten, in dem Werte vermittelt werden, die per Parlamentsmehrheit festgelegt worden sind, dann wird mir schlecht. ({11}) Dann werde ich alles tun, damit meine Kinder an solch einem Werteunterricht nicht teilnehmen müssen. Ich kann daher nur dringend an Sie appellieren: Korrigieren Sie diesen Beschluss! Nehmen Sie diesen Beschluss zurück! Vielen Dank. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort der Kollegin Grietje Bettin, Bündnis 90/Die Grünen.

Grietje Bettin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003439, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das Thema dieser Aktuellen Stunde hat mich doch einigermaßen verwundert. Gerade Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, sind es doch, die sich jede Einmischung der Bundesregierung in die Landespolitik wutschnaubend verbitten. ({0}) Sie setzen heute ein schulpolitisches Thema auf die Agenda, nur weil Sie glauben, daraus politisch Profit schlagen zu können. Sie werfen damit Ihre föderalen Prinzipien über Bord, nur weil Sie glauben, hier eine populistische Diskussion aufziehen zu können. Oder soll der Bundestag in Zukunft auch über Lehrpläne und Bildungsstandards diskutieren? ({1}) - Darüber können wir gerne sprechen. Wie dem auch sei: Es handelt sich bei der Diskussion über den Werteunterricht um ein sehr spezielles Berlinproblem, und zwar aus mindestens zwei Gründen: Erstens. Im Grundgesetz ist der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen als verpflichtendes ordentliches Lehrfach verankert. Der Staat muss also die erforderlichen Räume zur Verfügung stellen und die Kosten dieses Unterrichts größtenteils tragen. Der Religionsunterricht wird laut Grundgesetz in konfessioneller Gebundenheit vermittelt. Das heißt faktisch: Die Kirchen bestimmen über den Inhalt mit. Kinder, die nicht konfessionsgebunden sind, müssen in den meisten Bundesländern Ersatzunterricht besuchen, der „Ethik“, „Philosophie“ oder ähnlich heißt. Natürlich ist die Frage des Verhältnisses von Religion und Schule immer umstritten. In Bremen, Brandenburg und Berlin gilt eine verfassungsrechtliche Ausnahme. Gerade wegen dieser Ausnahme haben wir jetzt diese Diskussion hier im Land Berlin. Zweitens. In Berlin ist die religiöse Vielfalt mit mehr als 130 Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften so ausgeprägt wie nirgendwo anders in Deutschland. Berlin ist eine multireligiöse Stadt. Nur knapp die Hälfte der Menschen hier ist überhaupt christlichen Glaubens. In dieser gesellschaftlichen Situation - ich nenne hier nur die Probleme der Integration und das unschöne Wort „Parallelgesellschaft“ - stellt sich die Frage: Wie schaffen wir eine allgemeine Wertevermittlung? Darauf als einzige Antwort zu geben: „Die einen gehen in den Religionsunterricht, die anderen gehen in den Ethikunterricht“, das halte ich für relativ realitätsfern. Es geht darum, den jungen Menschen in dieser Stadt, egal welcher ethnischen oder weltanschaulichen Herkunft, eine gemeinsame Wertebasis zu vermitteln. Wir brauchen eine Grundlage für das Leben miteinander und den Respekt voreinander. ({2}) Die SPD in Berlin reagiert mit ihrem Beschluss auf dieses schon lange schwelende Problem: In der Schule müssen die Grundüberzeugungen und gemeinsamen Werte, die die Gesellschaft überhaupt erst zusammenkitten, in Form gemeinsamer Diskussionen über gesellschaftliche Werte ihren Platz erhalten. Dabei geht es nicht darum, den Kindern und Jugendlichen einzutrichtern, was wahr und richtig und gut und falsch und schlecht und böse ist. Diese Überzeugungen kann und darf der Staat selbst nicht vorschreiben. Es muss aber gesellschaftliches Ziel sein, dass alle jungen Menschen mit einem ausgeprägten demokratischen Grundverständnis und mit dem Respekt vor anderen Weltanschauungen die Schule verlassen. Dazu muss man die Weltanschauungen im Unterricht kennen gelernt und demokratisches Handeln im Schulalltag erprobt haben. Schon lange wollen wir Grüne mit dieser Art von Wertevermittlung alle Kinder und nicht nur die getauften erreichen. Deshalb sind wir durchaus für ein religionsunabhängiges Fach und eine eigene, damit verbundene Lehrerausbildung. Deswegen begrüße ich das Vorhaben, ein verbindliches Unterrichtsfach „Lebenskunde, Ethik, Religionskunde“ für alle Schülerinnen und Schüler einzurichten. Der Religionsunterricht wird deshalb ja nicht abgeschafft. Wir erwarten nun aber vom Berliner Senat, dass die Voraussetzungen und eine entsprechend gründliche Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern für dieses Fach konsequent geschaffen werden. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, immer wenn es in der Politik um Fragen der Religion geht, versuchen Sie, einen Alleinvertretungsanspruch in Bezug auf ein christliches Weltbild anzumelden. ({4}) Das haben Sie schon in Bayern mit dem Kruzifix gemacht - nicht ungeschickt übrigens - und das versuchen Sie heute wieder. ({5}) Da ist es Ihnen auch plötzlich egal, dass der Bundestag eigentlich gar nicht zuständig ist. Das ist reine Heuchelei. In Sonntagsreden über christliche Werte zu sprechen, im politischen Alltag aber ein Programm sozialer Kälte zu fahren - ich sage nur: Änderungen beim Kündigungsschutz, Studiengebühren ohne soziale Absicherung und Abschaffung des BAföG -, ({6}) das lassen wir Ihnen so nicht durchgehen. Danke schön. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Hermann Gröhe, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Hermann Gröhe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002666, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass wir an einem Unfallopfer, das wir nachts auf der Autobahn sehen, nicht achtlos vorbeifahren dürfen, also ohne zu helfen oder Hilfe zu rufen, wissen wir. Doch ist es nicht § 323 c Strafgesetzbuch, der diese Norm in unseren Herzen und Köpfen verankert hat. Vielmehr ist die prägende Wirkung der Überzeugung, dass mögliche Hilfe zu unterlassen etwas Schlechtes ist, in unserem Kulturkreis ganz wesentlich jener Geschichte vom barmherzigen Samariter zu verdanken, die Jesus erzählte. Auch andere für unser Zusammenleben unerlässliche Normen - „Du sollst nicht töten“, „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Hab und Gut“ - sind uns eher in der klaren Sprache biblischer Gebote als im Wortlaut der entsprechenden Strafrechtsnormen vertraut. Unsere Zivilisation lässt sich ohne eine gewisse Kenntnis jener biblischen Tradition, die sie so nachhaltig prägt, überhaupt nicht verstehen. ({0}) Übrigens ist die Fähigkeit, über den eigenen Glauben, zumindest aber über die religiösen Wurzeln der eigenen Kultur Auskunft zu geben, Voraussetzung für einen Dialog mit Menschen anderer religiöser und kultureller Prägung. Der zunehmende religiöse Analphabetismus in unserem Land ist daher nicht allein eine Angelegenheit der Kirche; er bedroht vielmehr die Grundlagen unseres Gemeinwesens, an deren Pflege der Staat ein großes eigenes Interesse haben muss. ({1}) Zu Recht hat daher das Bundesverfassungsgericht 1995 formuliert - ich zitiere -: Auch ein Staat, der die Glaubensfreiheit umfassend gewährleistet und sich damit selber zu religiösweltanschaulicher Neutralität verpflichtet, kann die kulturell vermittelten und historisch verwurzelten Wertüberzeugungen und Einstellungen nicht abstreifen, auf denen der gesellschaftliche Zusammenhalt beruht und von denen auch die Erfüllung seiner eigenen Aufgaben abhängt. Der christliche Glaube und die christlichen Kirchen sind dabei, wie immer man ihr Erbe heute beurteilen mag, von überragender Prägekraft gewesen. Die darauf zurückgehenden Denktraditionen, Sinnerfahrungen und Verhaltensmuster können dem Staat nicht gleichgültig sein. Doch es ist nicht Gleichgültigkeit, auf der die faktische Abschaffung des evangelischen und katholischen Religionsunterrichts, ({2}) den heute 114 000 Schülerinnen und Schüler in Berlin besuchen, beruht. „Religions- und Kirchenfeindlichkeit“ hat Richard Schröder als Motiv für die rot-rote Politik ausgemacht. ({3}) Robert Leicht formuliert unmissverständlich: In der Berliner SPD ({4}) hat sich ein starr betoniertes Milieu alt-marxistischer und vulgär-materialistischer Kirchenfeindlichkeit erhalten. ({5}) Der Marxismus und der Materialismus haben zwar ziemlich abgedankt, aber die Religionsfeindlichkeit ist geblieben. ({6}) Es ist diese Kirchen- und Religionsfeindlichkeit, die Rot-Rot in Berlin die Religionsfreiheit von 114 000 Schülerinnen und Schülern und das Erziehungsrecht ihrer Eltern missachten lässt. Es ist diese Kirchen- und Religionsfeindlichkeit, auf deren Grundlage sich der rot-rote Senat nun selbst zum Weltanschauungsmonopolisten aufschwingen will. ({7}) Warum merken eigentlich so wenige Berliner Sozialdemokraten, in welche Tradition sie sich damit begeben? ({8}) Überall spüren wir: Orientierung tut Not. Orientierung setzt die Möglichkeit voraus, Überzeugungen kennen zu lernen, damit man eigene Überzeugungen entwickeln kann. Solche Überzeugungen aber entstehen nicht im Niemandsland der Gleichgültigkeit, sondern in der Begegnung mit einer gelebten Glaubensüberzeugung. Deshalb kann ein staatlich verantworteter Werteunterricht allenfalls die Ergänzung eines konfessionell verantworteten Religionsunterrichts im Rahmen eines Wahlpflichtfaches sein. ({9}) Aber man hat sich noch viel mehr vorgenommen. So hat die PDS-Fraktionsvorsitzende in Berlin dem neuen Schulfach die Aufgabe zugedacht, den Kindern beizubringen - Zitat -, ihre Herkunftsreligion zu relativieren. Entchristlichung von oben - die PDS bleibt ihren Wurzeln treu! ({10}) Die SPD macht da mit. Weil dies eine Grundsatzfrage für unsere Gesellschaft ist, Herr Schmidt, muss sie hier diskutiert werden. Ihre heutige Diskussionsverweigerung in Bezug auf Präsenz und Rednerzahl ist das Eingeständnis eigener Schwäche, ({11}) die schon dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Bundes-SPD nicht einen entsprechenden Landesparteitagsbeschluss verhindern konnte ({12}) und sich nur mit dürren Worten davon distanziert hat. ({13}) Es ist offenkundig, dass Ihnen die Zurückdrängung der Religion im öffentlichen Raum kein vordringliches Problem zu sein scheint. Bundeskanzler Schröder hat ja schon bezüglich des Verzichts auf die Anrufung Gottes bei der Ableistung seines Amtseides ({14}) - hören Sie sich ruhig einmal die entsprechende Begründung an - erklärt: Religion ist Privatsache. - Wer so redet, hat nichts vom geistesgeschichtlichen Beitrag des Christentums zu unserer politischen Ordnung verstanden. Dem darf man die Zukunft unseres Gemeinwesens nicht länger anvertrauen. Vielen Dank. ({15})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat die Kollegin Christa Nickels, Bündnis 90/Die Grünen.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig, Bildungspolitik und auch Religionsunterricht sind Ländersache. Sie, Herr Kollege Schmidt, sagten, man solle die Kirche im Dorf lassen. Berlin wäre dann unser Bundeshauptstadtdorf. ({0}) Berlin hat aber eine ganz besondere ausstrahlende Wirkung. ({1}) Ich habe auch meiner Kollegin Grietje Bettin schon gesagt: Die Bremer Klausel, die man hier in Berlin bisher so ausgestaltet hatte, dass es keinen Werte- und keinen Religionsunterricht als Pflichtfächer gibt, sollte man besser durch Inhalte füllen. Das ist, wie ich glaube, mittlerweile Konsens. Spätestens nach dem 11. September haben wir begriffen, dass es gut ist, wenn in Schulen ein wertebezogener Unterricht erteilt wird, der Schülerinnen und Schüler vor Fundamentalisten jeglicher Art feit und sie miteinander ins Gespräch bringt. Darum begrüße ich erst einmal, dass hier Ethikunterricht eingeführt wird. Wenn man allerdings diesen Schritt geht, dann ist es nicht nachvollziehbar, dass man den Religionsunterricht als Werteunterricht minderer Güte und noch nicht einmal als ein Wahlfach in einem Wahlpflichtbereich einführt, sondern nur als freiwilliges Zusatzangebot vorsieht, was man als Privatvergnügen machen kann. ({2}) Es kann nicht sein, dass man Ethikunterricht einführt, Religionsunterricht aber sozusagen als Zaungast ansieht und wie eine Bastel-AG behandelt. Das ist unsäglich. Ich glaube auch, Hermann Gröhe, dass es bundesweit bekannt ist, dass die Kirchen und die Religionsgemeinschaften generell im Rahmen der Subsidiarität wertvolle Dienste für die Zivilgesellschaft leisten. ({3}) Auch wir Grünen sind in den Bundesländern verschieden an dieses Problem herangegangen und haben unterschiedliche Beschlüsse gefasst, insbesondere auch vor dem Hintergrund, Hermann, dass wir uns hierzulande stärker pluralisieren und säkularisieren. In Brandenburg gibt es zum Beispiel maximal 20 bis 30 Prozent konfessionell gebundene Kinder, welcher Art auch immer. Es kann sich auch um muslimische Kinder handeln oder um Anhänger der Zeugen Jehovas, die mittlerweile als Religionsgemeinschaft anerkannt sind. Es erhalten ja immer mehr Religionsgemeinschaften den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts und können damit gleiche Rechte wie die beiden großen Konfessionen in Anspruch nehmen. Vor diesem Hintergrund finde ich es richtig, wenn man sagt, wir wollen all denjenigen, die sich nicht weltanschaulich oder konfessionell gebunden fühlen, einen ordentlichen, guten Werteunterricht geben, in dem sie die anderen Religionen, deren Weltanschauungen und auch die Grundwerte, die uns alle tragen, kennen lernen, nämlich die Grund- und Menschenrechte. Das begrüße ich sehr. Ich sage aber noch einmal: Ich verstehe nicht, dass Berlin, wenn es, statt sich auf die Bremer Klausel zu berufen, einen Schritt weiter geht, den konfessionellen Unterricht nicht gleichberechtigt und auf einer Augenhöhe mit dem Werteunterricht implementiert. ({4}) Ich denke, dass das von den Kirchen zu Recht als Herabwürdigung angesehen wird, ganz abgesehen von den anderen guten Gründen, die hier schon genannt wurden, warum man nicht so vorgehen sollte. Natürlich verstehe ich es und halte es auch für richtig, wenn man sagt, dass Kinder in Zeiten von Säkularisierung und Pluralisierung in gewissen Themenbereichen gemeinsam unterrichtet werden. Da gefällt mir der Vorschlag von Kardinal Sterzinsky und Bischof Huber, den sie Anfang der 90er-Jahre im Zusammenhang mit dem erbitterten Streit um LER gemacht haben und der mir jetzt schon fast ein wenig visionär erscheint, nämlich einen Wahlpflichtfachbereich mit konfessionellem Unterricht und Ethikunterricht einzurichten, aber mit fest verabredeten gemeinsamen Unterrichtseinheiten, wo alle Schülerinnen und Schüler integrativ unterrichtet werden. Das ist leider bis heute nicht umgesetzt worden. Man hätte jetzt die Gelegenheit dazu. Damit hätte Berlin etwas Beispielhaftes für ganz Deutschland einführen können. Denn alle Bundesländer, selbst Bayern, das ja noch immer sehr katholisch ist, bekommen durch die Säkularisierung und Pluralisierung zunehmend Probleme. Wenn man die Kinder nicht ohne Werteunterricht aufwachsen lassen will, wäre ein Modell, wie die beiden es vorschlagen, richtig und zukunftsweisend. ({5}) Ich möchte noch einen Punkt ansprechen. Meine Kollegin Grietje Bettin hat gesagt, Integration sei sehr wichtig. Das stimmt. Aber ich glaube, gerade im Sinne der Integration sollten wir es ermöglichen, dass Kinder verschiedenster Religionsgemeinschaften das Recht auf ein Pflichtfach an ihrer Schule erhalten, wo Religionsunterricht in Deutsch, auf dem Boden des Grundgesetzes und mit didaktisch-methodisch ordentlichen und guten Curricula, die von der Schulbehörde in didaktisch-methodischer Hinsicht - nicht in Bezug auf den Glaubensinhalt begutachtet worden sind, stattfindet. ({6}) Das ist ein wesentliches Recht, durch das den Kindern im Sinne der Integration die Möglichkeit gegeben wird, ihren eigenen Glauben im Schulunterricht kennen zu lernen. ({7}) Zum Schluss: Ich werde den Verdacht nicht los, dass hier zwar von beiden Seiten teilweise klassenkämpferisch diskutiert wird, dass aber möglicherweise der schnöde Mammon mehr wiegt als die hohen Werte, die man immer bemüht. Jeder weiß, dass im Rahmen der Säkularisierung und Pluralisierung zunehmend auch andere Religionsgemeinschaften - ich erwähnte es schon; zum Beispiel die Zeugen Jehovas und verschiedene muslimische Religionsgemeinschaften - den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erhalten. Wenn Religionsunterricht ein ordentliches Unterrichtsfach sein soll, dann müssen natürlich die Religionslehrer an den Universitäten ordentlich ausgebildet und dann bezahlt werden. Das kostet Geld. Ich kann verstehen, dass viele mit Blick auf Schulen, an denen Religionslehrer zehn verschiedener Konfessionen unterrichten müssten, diese Lehrer lieber zum Beispiel für den Deutschunterricht einsetzen wollen. Aber das ist kein Argument dagegen, den Religionsunterricht als ordentliches Unterrichtsfach einzuführen. Ich bitte die Religionsgemeinschaften, Ökumene in den islamischen, den christlichen und den anderen Religionsgemeinschaften vielleicht ein bisschen weiter zu denken. Das wird in den alten und neuen Bundesländern teilweise schon getan. Die Alternative, wenn man aus der Bremer Klausel herauswachsen will, kann aber nicht sein, den Religionsunterricht nicht gleichberechtigt an den Tisch zu setzen, sondern an den Katzentisch zu verbannen. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Thomas Rachel ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion.

Thomas Rachel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002754, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Bischof Huber! Die Kraft des christlichen Glaubens, die Johannes Paul II. den Frauen und Männern der Solidarnosc gegeben hat, war der Anfang vom Ende des Kommunismus in Polen. ({0}) Die Kraft des christlichen Glaubens, die die katholische und die evangelische Kirche den Bürgerrechtlern und Widerstandsgruppen in der DDR gegeben hat, besiegelte das Ende des real existierenden Sozialismus. ({1}) Wir wissen es alle: Die Wiedervereinigung Deutschlands wäre ohne die Kirchen niemals friedlich verlaufen. Das Wachs der Kerzen verstopfte die Waffen der Stasi ({2}) und die Gebete der Gläubigen öffneten die Tore und Türen zur Freiheit. Die christlichen Wertvorstellungen waren und sind es, die unserer Demokratie Stabilität verleihen. ({3}) Nun sollte man meinen, dass diese Erkenntnis über die Parteigrenzen hinweg anerkannt ist. Aber das ist ein Irrtum. Die SPD hat die Absicht, die Kirchen aus dem öffentlichen Leben herauszudrängen. ({4}) Wie ist es sonst zu verstehen, dass der Parteitag der Hauptstadt-SPD beschließt, die Kirchen aus dem Schulunterricht zu jagen? ({5}) Waren die Bedingungen für den freiwilligen Religionsunterricht in Berlin aufgrund der SPD-Politik schon schwer genug, soll jetzt ein für alle verbindlicher staatlicher Werteunterricht eingeführt werden, der keine Abwahlmöglichkeit zulässt. Die SPD fällt mit dieser kirchenfeindlichen Politik nicht nur hinter ihr eigenes Godesberger Programm zurück, sondern bricht auch mit der nach 1945 gefassten demokratischen Einsicht, dass der Staat nicht selbst monopolistisch die Werte vermitteln kann, von denen er lebt. ({6}) Die Bildungsarbeit der Kirchen in der Schule ist ein die Demokratie in unserem Land erhaltender Wert. Dies wird von der SPD als wertlos erachtet. Der Bundestagspräsident ist mit seiner Warnung vor einer erneuten Verdrängung der Religion aus der Schule - wie in der DDR - gescheitert und von Wowereit demagogisch abgekanzelt worden. ({7}) Die Wowereits und die Müllers sind es, die mittlerweile in ihrer Partei den Ton angeben. Dieser richtet sich schrill und unerträglich gegen die christlichen Stimmen in diesem Rechtsstaat. ({8}) Wer sich in einer globalisierten Welt orientieren will, der braucht verlässliche Wertmaßstäbe. Religion ist eine eigenständige Dimension menschlichen Lebens. Die Schüler haben ein Grundrecht auf Religionsfreiheit. Das muss auch dort gelten, wo SPD und PDS Hand in Hand regieren und neben einer Einheitsschule auch ein Einheitsfach Wertekunde durchsetzen wollen. Wer soll dieses Fach eigentlich unterrichten? Ach ja, wahrscheinlich die alten Staatsbürgerkundelehrer früherer Zeit. Und die Inhalte? Vielleicht gibt es noch einige Bücher aus der Vergangenheit. Kein Wunder, dass bei dieser Perspektive ein Aufschrei durch dieses Land geht. Die Menschen spüren instinktiv, dass etwas falsch läuft. Als Christen wollen wir dies stoppen. ({9}) Wowereit und Co. wollen den Staat selbst als Wertevermittler etablieren. Gerade mit Blick auf Berlin muss man sagen: Hier wird der Bock zum Gärtner gemacht. Im Gegensatz zu SPD und PDS sind wir der festen Überzeugung, dass der freiheitliche, der demokratische, der weltanschaulich neutrale Staat keine Kompetenz hat, Vorgaben zu machen. Zu unseren demokratischen Grundprinzipien gehört nämlich die Wahlfreiheit. Dies gilt auch für den Religionsunterricht. Alles andere bedeutet eine staatliche Weltanschauungsdiktatur. ({10}) Um eines deutlich zu sagen: Der Religionsunterricht ist kein Privileg der Kirchen. Nein, es handelt sich um ein Freiheitsrecht der Eltern und Kinder. Worum geht es eigentlich bei dem einvernehmlichen Handschlag von SPD und PDS in Berlin? Die Antwort hat der Theologieprofessor und SPD-Fraktionsvorsitzende in der ersten frei gewählten Volkskammer, Richard Schröder, gegeben. Er nennt als Motiv Religions- und Kirchenfeindlichkeit und sagt ferner: Religionsunterricht, auch der christliche, gilt als gefährlich. An diesem Punkt sind wir in Berlin inzwischen gelandet. Ich finde, das ist eine Schande. ({11}) Der Landesvorsitzende der Berliner SPD, Michael Müller, macht aus seinem Fünfjahresplan zur Verdrängung der Kirchen aus der Schule kein Geheimnis. Er sagt, dass der staatliche Werteunterricht einen Teil der Schüler mittelfristig aus dem Religionsunterricht herausziehen werde und dass man dann - so freut sich Herr Müller - weniger Zuschüsse an die Religionsgemeinschaften zu zahlen brauche. ({12}) Wenn dies nicht eine klare Ansage zum Kulturkampf ist, dann weiß ich nicht, was je unter Kulturkampf zu verstehen war. ({13}) Es wird höchste Zeit, dass aus der deutschen Hauptstadt andere Signale in dieses Land gesendet werden. Es wird Zeit, dass die Hauptstadt endlich die Schulbildung bekommt, von der ganz Deutschland seit Jahrzehnten profitiert. Dies geht nur mit den Kirchen und nicht gegen sie. Das war, ist und bleibt die Überzeugung der Christlich Demokratischen Union Deutschlands. Herzlichen Dank. ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Günter Nooke, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Günter Nooke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Was am vergangenen Wochenende auf dem Parteitag der Berliner SPD passierte, war ein Rückfall in die ideologischen Grabenkämpfe der 70er-Jahre: staatlich verordneter Werteunterricht ab der 7. Klasse, Verbannung des Religionsunterrichts an den Rand der Stundentafel und die Einheitsschule bis zur 10. Klasse als bildungspolitische Perspektive für das 21. Jahrhundert. Der Schaden für Berlin und für Deutschland kann nicht dadurch eingegrenzt werden, dass im Plenum die SPD kneift und sich Herr Schmidt irgendwie ein bisschen davon distanziert. ({0}) Man könnte fast Mitleid mit Ihnen haben. Am Samstag gab es in der Tat einen gefährlichen Rückschritt. Es waren keineswegs wertneutrale Sozialdemokraten, sondern weltanschauliche Atheisten - schlimmes antikirchliches und antireligiöses Fußvolk der SPD, zu dem wohl inzwischen auch der Regierende Bürgermeister Wowereit gehört -, ({1}) die sich im Hinblick auf diesen Beschluss durchgesetzt haben. Ihre SPD ist außer Rand und Band geraten. ({2}) Es ist beschämend, welche Leute sich dort durchsetzen konnten, gegen den versammelten Sach- und Fachverstand des zuständigen Bildungssenators, des katholischen Bundestagspräsidenten, des Kanzlers, des SPDBundesvorsitzenden, der ehemaligen Bundesministerin für Familie und Jugend und viele ehrlich besorgte christliche Sozialdemokraten. ({3}) In was für einer Partei, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, sind Sie eigentlich? Was sind denn nun die Inhalte Ihrer Partei? Es geht doch völlig an den Interessen, die Sie hier vertreten, vorbei, wenn es dort drunter und drüber geht. Es gibt in Ihrer Partei keine Führung, keine Autorität, keinen Anstand. ({4}) Sie sind schlicht orientierungslos und haben - so könnte man sagen - die Werte vergessen. ({5}) - Hören Sie einmal zu! Jetzt geht es inhaltlich weiter. Das kommt heraus, wenn man versucht, die Frage, wie Werte in die Gesellschaft kommen, ohne Transzendenz und persönliches Glaubenszeugnis zu beantworten. Dann geht es in der Partei drunter und drüber. Der - noch - Regierende Bürgermeister Wowereit hat gesagt: Wertevermittlung ist nicht nur eine Aufgabe der Kirchen. Es ist auch eine wichtige Aufgabe des Staates. Dafür erhielt er großen Beifall. Doch genau darin liegt der Irrtum Ihrer Partei. Welche Lehrer sollen denn diese „staatliche Weltanschauungsdiktatur“, wie die „FAZ“ schrieb, unterrichten? Wenn der Staat Werte vermitteln und dafür Lehrer einstellen soll, dann müssen Sie sagen, wie Sie diese Lehrer auswählen. Sind es Christen, sind es Religionskundelehrer oder sind es die überzeugten Atheisten vom Humanistischen Verband, der vor kurzem sein 100-jähriges Jubiläum im Willy-Brandt-Haus der SPD hier in Berlin feierte? ({6}) Oder sind es sogar die Staatsbürgerkundelehrer der DDR, die reaktiviert werden, wie Wolfgang Thierse auf dem Parteitag befürchtete? Der Beschluss der Berliner SPD zur Schulpolitik geht weit über das bekannte Maß an politisch-ideologischer Anmaßung hinaus. Er greift in den Kern unserer europäisch gewachsenen deutschen Kulturnation ein. Was uns im Innersten zusammenhält, ist nicht im Synkretismus der Religionen, nicht im Idealismus eines „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“ und erst recht nicht im Karneval der Kulturen zu finden. Meine Damen und Herren von der Koalition, der Beschluss der Berliner Parteifreunde ist sogar beängstigend für mich; denn sie glauben, man könne ernsthaft und glaubhaft über Werte reden, ohne selber welche zu haben. ({7}) Unser Grundgesetz lässt uns mit dem Gottesbezug in der Präambel nicht im Unklaren. Wir haben für den Gottesbezug auch in der europäischen Verfassung gekämpft, weil die jüdisch-christliche Tradition für unsere Kultur konstitutiv ist. Im Wertepflichtfach der Berliner SPD wird ein allgemeines Palaver angestimmt und jeder muss daran teilnehmen. Sie wollen ein gesellschaftliches Miteinander und verleugnen zugleich den religiösen Kern des Christentums, der unser Land immer noch zusammenhält, auch wenn das viele vergessen haben. ({8}) Wer aber Religion wirklich verstehen will, muss Glauben existenziell erfahren können. Man muss ihn erfahrbar machen. Die Berliner SPD verdrängt den Religionsunterricht aus den Schulen - und das in einer Zeit, in der wir beim Begräbnis von Papst Johannes Paul II. erleben, welche Anziehungskraft gelebter Glaube und damit Religion heute wieder verstärkt haben. ({9}) Papst Johannes Paul II. hat deshalb so viele Menschen und Vertreter aller großen Religionen nach Rom gezogen, weil er als gläubiger Christ überzeugte. Der Berliner SPD sind aber nicht nur die Werte, sondern - das ist noch schlimmer - auch die Maßstäbe für die Werte abhanden gekommen. ({10}) Nur vor diesem Hintergrund ist solch ein Beschluss zu verstehen und in seiner zerstörerischen Wirkung für die Gesellschaft richtig zu bewerten. Sie wollen integrieren; aber sie wissen nicht, wo hinein sie integrieren wollen. Sie wollen tolerant sein; aber sie merken gar nicht mehr, dass es ihnen deshalb so leicht fällt, tolerant zu sein, weil sie nichts mehr zu verlieren haben. Wenn sich der Mensch keiner Wahrheit verpflichtet weiß, geht er in die Irre. Wenn sich der Staat einer Wahrheit verschreibt, wird er totalitär. Denn Wahrheit ist an sich intolerant; aber sie muss tolerant vertreten werden. Der Beschluss der Berliner - im Grunde: Westberliner - SPD ist der deutschen Hauptstadt unwürdig. Das alte Westberlin konnte als Frontstadt des freien Westens als vorgeschobenes Bollwerk im Sowjetblock nur deshalb überleben, weil der Westen zu seinen Werten der Freiheit und Selbstbestimmung stand. Das freie Berlin wurde von außen materiell am Leben erhalten und militärisch verteidigt. Dagegen wurden die Werte des Westens schon zu Mauerzeiten von der Berliner SPD verraten. Jetzt knüpfen die Berliner Sozialdemokraten an diese Verleugnung der eigenen Werte an. In der Konfrontation zum Kommunismus, der christliche Werte ablehnte und bekämpfte und im Grunde ja eine Heilslehre war, wurde das eigene Wertefundament immer mehr vergessen. Mit dem Einzug der 68er-Ideologen in die Schulen ({11}) wurde das dann weiter beschleunigt. Jetzt sind Sie wieder dort angekommen, wo Sie in den 70er-Jahren schon einmal waren. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege!

Günter Nooke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Einen Abschlusssatz noch. - Ich kann Ihnen nur empfehlen - sagen Sie das bitte den Berliner Parteifreunden -, ({0}) dieses Vorhaben fallen zu lassen. Es schadet uns allen. Wenn Ihnen das egal sein sollte, dann sage ich Ihnen noch etwas anderes: Dieses Vorhaben, auch das Vorhaben der Einführung einer Einheitsschule bis zur zehnten Klasse, schaden Ihrer Partei; das wird Sie im nächsten Wahljahr viele Tausend Stimmen kosten. ({1}) Ich glaube, das ist nicht in Ihrem Interesse. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege!

Günter Nooke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Uns geht es hierbei um mehr. Kämpfen Sie mit uns gemeinsam! Danke schön. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der aktuelle Streit dreht sich scheinbar um ein neues Unterrichtsfach an Berliner Schulen. Die SPD nennt es Werteunterricht; die PDS spricht vom interkulturellen Dialog. ({0}) Der wiederum reduziert sich eben nicht auf eine Unterrichtsstunde; er ist vielmehr Teil eines größeren Anliegens. ({1}) Dabei geht es um zwei grundlegende Fragen: Wie lässt sich das gesellschaftliche Miteinander in Berlin künftig besser gestalten? Und: Welchen Beitrag können die Schulen dazu leisten? Es geht also um die Zukunft einer Metropole, die für dreieinhalb Millionen Berlinerinnen und Berliner aus über hundert Nationen Heimstatt ist - mit und ohne Gott. ({2}) Andersherum: Hie und da und auch heute ja wieder ist von einem Feldzug gegen die Kirchen die Rede. Ich habe keinen in Berlin getroffen, der das will. Wer die Geschichte des Grundgesetzes und einschlägige Gutachten kennt, weiß auch: Es gibt mit diesem Beschluss auch keinen Verfassungsbruch, wie Wolfgang Thierse und andere es vermuten. Die PDS möchte, dass Berlin eine weltoffene Hauptstadt der Kultur und des Wissens wird. ({3}) Die Berliner SPD will das auch. Deshalb arbeitet die rotrote Koalition unter anderem an einer weit reichenden Schulreform. ({4}) Ein kleiner, aber nicht unwichtiger Baustein ist dabei dieses neue Unterrichtsfach. ({5}) Die PDS war und ist für eine Trennung von Staat und Kirche; das ist nicht neu. Aber darum geht es bei dem aktuellen Streit um dieses Unterrichtsfach nicht. Denn was sind denn nun die Hauptkontroversen? Am weitesten geht der Vorwurf, die Schule sei weder fähig noch berechtigt, ein Unterrichtsfach anzubieten, bei dem es auch um Werte geht. Ich finde das grundfalsch. Die Schule ist dazu sogar verpflichtet, wenn sie das Grundgesetz und ihren kulturellen Auftrag ernst nimmt. ({6}) Andere kritisieren: Ein solcher Unterricht wäre unverbindlich und beliebig. Richtig ist: Er bindet niemanden an einen bestimmten Glauben. Das ist aber auch nicht Aufgabe der Schule und des Staates, sondern das ist Anliegen der Kirchen und der Religionsgemeinschaften ({7}) und zum Schluss ist es Privatsache. Wieder andere sagen, man solle wenigstens wählen können. Ich halte das nach wie vor für ein schwaches Argument; es geht übrigens zulasten der Kirchen. Denn was wäre das für ein interkultureller Dialog, wenn ausgerechnet die Jugendlichen fehlen, die den Glauben ihrer Religion authentisch vertreten können? ({8}) Schließlich lautet ein weiteres Argument: Der Staat raube den Kirchen die Jugend, weil diese - schulisch überlastet - dem Religionsunterricht fernbleiben könnte. Ich finde das wenig selbstbewusst. Wir sollten uns die Situation einmal ansehen: In Berlin nehmen Schülerinnen und Schüler am Religionsunterricht vorwiegend während der Grundschulzeit teil. Das neue Fach beginnt aber erst ab Klasse sieben. Warum soll es nicht möglich sein, Kindern in der Grundschulzeit zu vermitteln, dass Religionsunterricht auch über Klasse sieben hinaus einen Wert hat, und ihn so zu einem Bedürfnis zu machen? ({9}) All das gehört zu einer sachlichen Debatte, ebenso wie die Tatsache, dass Religionsunterricht in Berlin natürlich auch weiterhin staatlich gefördert wird. Mir ist jedenfalls kein Beschluss zur Abschaffung der staatlichen Förderung bekannt. Wir sollten entsprechend den Geboten unseres Glaubens und des Grundgesetzes mit Toleranz weiter für die beste Lösung streiten. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun Katherina Reiche, CDU/CSUFraktion.

Katherina Reiche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003209, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eckhard Fuhr schrieb in der „Welt“: Im Einsteinjahr wartet der rot-rote Senat mit einer Relativitätstheorie der besonderen Art auf. Die SPD-PDS-Koalitionäre wollen in den Schulen einen für alle verpflichtenden Werteunterricht einführen, in dem die Schüler lernen sollen, daß Wertvorstellungen relativ sind. Ich setze hinzu: Ich fühle mich in der Tat fatal an den sozialistischen Staatsbürgerkundeunterricht erinnert. Mit Wehmut muss ich konstatieren, dass Berlin wieder dort gelandet ist, wo es bereits vor 15 Jahren einmal war. Die PDS gemeinsam mit den Sozialdemokraten setzt durch, dass ausnahmslos alle Schüler an einem vom Staat diktierten, angeblich wertneutralen Unterricht teilnehmen müssen, ({0}) in dem eben keine verbindlichen Werte vermittelt oder über unsere christlichen Wurzeln nachgedacht wird. Die Sozialdemokraten wollten von jeher einen Staat, der stark ist, und Bürger, die schwach sind, weil man sie bevormundet und ihre Wahlfreiheit beschneidet. Rotrote Kaderschulweisheit wird nun staatlich verordnet und in einem Zeitgeistgebräu vermengt, das angeblich wertanschaulich neutral ist. ({1}) Was ist eigentlich wertanschaulich neutral? - Etwa, dass gegen den Elternwillen ein bunter religiöser Warenkorb, in dem sich jeder nach Lust und Laune bedienen kann, in die Schulen geschüttet wird? Ist es neutral, die eigene Herkunft zu relativieren und eine routinemäßige unkritische Offenheit gegenüber allem Fremden mechanisch einzuimpfen? Glaubt man in Berlin allen Ernstes, so die umstrittene Islamische Föderation aus den Grundschulen entfernen und fundamental-islamistische Tendenzen bekämpfen zu können? Mir scheint vielmehr, in Berlin kommt oktroyierter Atheismus im Deckmäntelchen der weltanschaulichen Neutralität daher. ({2}) Meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD, Sie begeben sich in der Tat auf verfassungsrechtliches Glatteis. Sowohl in der Berliner Landesverfassung als auch im Grundgesetz gibt es Anhaltspunkte für die Verankerung des Religionsunterrichts. Das Grundgesetz ist gerade in der Frage der Religion und des Gottesbezugs eine ganz bewusste Antwort der Verfassungsväter und -mütter auf die Erfahrungen von Diktatur und Religionslosigkeit. So sieht es auch das Bundesverfassungsgericht. Ich möchte gern aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1995 zitieren: Auch ein Staat, der die Glaubensfreiheit umfassend gewährleistet ..., kann die kulturell vermittelten und historisch verwurzelten Wertüberzeugungen und Einstellungen nicht abstreifen, auf denen der gesellschaftliche Zusammenhalt beruht und von denen auch die Erfüllung seiner eigenen Aufgaben abhängt. Es heißt weiter: Das gilt in besonderem Maß für die Schule, in der die kulturellen Grundlagen der Gesellschaft vornehmlich tradiert und erneuert werden. Die SPD und die Kommunisten sagen, sie wollen Toleranz statt Wahlfreiheit. Das ist für mich ein Paradoxon; denn es ist intolerant, die Wahlfreiheit zu versagen. ({3}) Rot-Rot will Integration statt Religion; sie gibt eindeutig dem Fremden und Multikulti den Vorrang vor dem Wissen um die eigene kulturelle Identität und Herkunft. Wir sind in Brandenburg im Streit um LER - das ist die Abkürzung für Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde - und dem Religionsunterricht einen weiten Weg gegangen. Ich persönlich bin als Christin und Mutter über diesen Weg nach wie vor unglücklich. Verglichen mit Berlin muss ich nun aber sagen, es hätte noch schlimmer kommen können. Nachdem auch in Brandenburg alle Kinder zunächst einen verpflichtenden Unterricht LER belegen mussten, traf im Jahr 2001 das Bundesverfassungsgericht ein vermittelndes Urteil. Es wertete den Religionsunterricht auf und das Land entschied, dass sich Kinder von LER befreien lassen können, wenn sie den Religionsunterricht belegen. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird der Religionsunterricht in Brandenburg zwar immer noch stiefmütterlich behandelt, aber die Teilnehmerzahlen am Religionsunterricht steigen und dort, wo Religionsunterricht angeboten wird, sinkt die Beteiligung an LER. ({4}) Im Jahr 2003 veröffentlichte das Bildungsministerium Brandenburg eine LER-Studie; ein vernichtendes Urteil, denn darin heißt es: Im Hinblick auf die Wirksamkeit von LER wird man skeptisch sein bzw. die Ziele realistischer formulieren müssen. Der Bericht spricht dem Fach LER ganz klar die Integrationsfähigkeit ab. Die Lehrer sind bei der Vorgabe, Ethik, Lebensgestaltung und Religion gleichberechtigt nebeneinander unterrichten zu müssen, offensichtlich überfordert. Der Bericht stellt fest, dass religiöse Inhalte, insbesondere christliche, nur zu einem geringen Teil behandelt werden. In den Religionsmodulen hat das Judentum den größten Umfang. Die Kinder lernen wenig über den Islam, geschweige denn etwas über das Christentum. Durch LER gelingt es nicht, den Schülern die angebotenen Werte so nahe zu bringen, dass sie diese auch verinnerlichen. Auch bei der Wahl der Schulbücher hat man sich in Brandenburg alle Mühe gegeben. ({5}) Menschen, die zu DDR-Zeiten zum Klassenkampf aufriefen, die das Selbstbewusstsein der sozialistischen Persönlichkeit betonten und den Sozialismus bzw. Kommunismus als einzigen Weg beschrieben, um die freie Entwicklung von Individuen zu verwirklichen, haben ein Lehrbuch geschrieben, das noch heute im LER-Unterricht genutzt wird. Deshalb, meine Damen und Herren, muss man aufpassen, was in Berlin passiert. Ich schließe mit Karsten Voigt, der gesagt hat: Es wäre gut, wenn die SPD im vereinigten Berlin auch in Bezug auf ihre Einstellung gegenüber den Kirchen endlich im vereinigten Deutschland ankäme und den Berliner religionspolitischen Sonderweg aufgäbe. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzte Rednerin in dieser Aktuellen Stunde ist die Kollegin Dorothee Mantel, CDU/CSU. ({0})

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wiederum unternimmt die SPD einen Anschlag auf unsere christlich-abendländischen Grundwerte. ({0}) Die Berliner Eltern werden bevormundet und die Berliner Schüler in ein Pflichtfach „Werteunterricht“ gezwungen. ({1}) Durch die zusätzlichen Unterrichtsstunden wird der Religionsunterricht an den Rand gedrängt. Was hinter diesem Vorstoß steckt, ist offenkundig: Die rot-dunkelrote Landesregierung versucht, die christliche Erziehung und Lehre aus dem Unterrichtsplan zu verbannen. In Berlin wird systematisch versucht, eine wertelose, staatsfixierte Generation heranzuziehen. ({2}) Ein Staat, in dem das schon einmal versucht wurde, ist 1989 Gott sei Dank gescheitert. ({3}) Berlin ist das einzige Bundesland in Deutschland, in dem es in den Schulen verboten ist, unser christliches Kreuz auch nur als Schmuckstück zu tragen. ({4}) Nun soll Berlin auch das einzige Bundesland werden, in dem die Schüler in einen rein staatlichen Werteunterricht gezwungen werden. - Ich bin Katholikin und Christin; mir ist das Kreuz näher als ein Kopftuch. ({5}) Die rot-dunkelrote Landesregierung läuft neuen Ideen hinterher und wirft dabei traditionelle Werte über Bord. Diese Entwicklung ist unerträglich. Sie aber schauen dabei einfach zu. Mein Rat an Berlin ist, sich nicht nur allgemein am Schulsystem Bayerns zu orientieren, sondern sich bei der Vermittlung von Werten und Religion ganz konkret ein Beispiel an Bayern zu nehmen. ({6}) Ein wichtiges Symbol für das Bekenntnis zu Werten und Religion sind die Kruzifixe in den bayerischen Klassenzimmern. Mir tut es in der Seele weh, zu wissen, dass die Schüler in allen anderen Bundesländern darauf verzichten müssen. Die rot-dunkelrote Landesregierung in Berlin ist offensichtlich der Meinung, dass man auf Werte und Weltanschauung verzichten kann. Unter dem Deckmantel „Werteunterricht“ werden unsere traditionellen Werte aus der Schule verbannt. Stattdessen will der rot-dunkelrote Senat bestimmen, was richtig und was falsch ist. Eine wertentleerte Erziehung halte ich nicht nur für unerträglich, sondern auch für gefährlich; denn durch diese staatliche Bevormundung wird den Schülern die Möglichkeit genommen, ihre eigenen Wurzeln kennen zu lernen. Ich muss schon sagen, dass der Weg, auf dem wir uns befinden, gefährlich ist. Denn in Deutschland ist die Situation momentan so, dass der 10-jährige Mohammed genau weiß, wofür seine Werte und seine Religion stehen, ({7}) dass aber der 10-jährige Maxi dies mittlerweile nicht mehr weiß. Jetzt versuchen Sie, dem 10-jährigen Maxi auch noch seinen Religionsunterricht wegzunehmen. ({8}) In Zeiten, die immer schwieriger werden, braucht unser Land ein gemeinsames Wertefundament, allerdings keines, das von Politikern ideologisch nach Gutdünken vorgegeben wird. Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, eigentlich dürften wir uns über diesen Vorstoß aus Berlin nicht wundern; denn er passt zu unserer Bundesregierung, die die Abschaffung des 3. Oktober als Feiertag forderte ({9}) und ständig versucht, christliche Feiertage abzuschaffen und dafür muslimische Feiertage einzuführen. ({10}) - Sie können nicht einmal Zitate richtig lesen. Aber ich hätte auch nichts anderes von Ihnen erwartet. ({11}) Was ist von einer Regierung zu halten, von der sich über die Hälfte der Kabinettsmitglieder weigert, bei ihrem Amtseid die Formel „so wahr mir Gott helfe“ zu verwenden? ({12}) Was sich die rot-dunkelrote Landesregierung mit diesem Vorschlag anmaßt, zeigt auch die Äußerung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, der gesagt hat, Werte zu unterrichten sei Aufgabe des Staates. Aber welcher Staat kann festlegen, welche Werte unterrichtet werden müssen, welche falsch sind, welche richtig sind? Ich möchte mich auch bei der Kirche bedanken, mit der wir sehr gut zusammenarbeiten. Kirche und Staat müssen gemeinsam dafür Sorge tragen, dass unsere Kinder einen Unterricht erhalten, der die christlich-abendländische Tradition unseres Landes vermittelt. Ich möchte als Katholikin besonders Bischof Huber danken, der sich gemeinsam mit Kardinal Sterzinsky dafür stark macht, dass die katholische und die evangelische Kirche hier zusammenstehen und notfalls auch vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. ({13}) Zum Schluss noch ein Wort an den Kanzler - vielleicht können Sie es an ihn weiterleiten, Herr Staatssekretär Körper -: Scheinheilig beim Papstbegräbnis stehen, aber untätig zusehen, wie die Berliner Genossen den Religionsunterricht abschaffen - das passt nicht zusammen! ({14}) Vielleicht richten Sie ihm aus, dass an dieser Stelle ein Machtwort angebracht wäre. Vielen Dank. ({15})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit zugleich am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 14. April 2005, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.