Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Ich darf Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben.
({0})
Der Deutsche Bundestag trauert um sein langjähriges
Mitglied, den früheren Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Parlamentarischen Staatssekretär im Auswärtigen Amt und Staatsminister im Bundeskanzleramt, Hans-Jürgen Wischnewski, der gestern
Abend nach einem langen, erfüllten Leben im Alter von
82 Jahren verstorben ist.
Hans-Jürgen Wischnewski wurde 1922 im ostpreußischen Allenstein als Sohn eines Zollinspektors geboren
und wuchs in Berlin auf, wo er 1941 sein Abitur absolvierte. Von 1940 bis 1945 war Wischnewski wie so viele
seiner Generation Soldat. Nach dem Krieg kam er nach
kurzer Zeit in amerikanischer Kriegsgefangenschaft
nach Berlin zurück, wo er im Ostteil der Stadt wohnend
die gewaltsame Errichtung der kommunistischen Herrschaft durch die sowjetische Besatzungsmacht miterleben musste. Dieses Ereignis prägte seine ablehnende
Haltung gegenüber dem Kommunismus und führte im
Frühjahr 1946 dazu, dass er Berlin verließ und nach
Bayern ging, wo er als Metallarbeiter beschäftigt war.
Die Erfahrungen in Berlin und sein persönlicher Lebensweg haben seine politische Haltung und sein Handeln wesentlich beeinflusst, sodass er bereits 1946 der
SPD und der IG Metall beitrat. Nach einer Ausbildung in
Arbeits- und Sozialrecht wurde er als Gewerkschaftssekretär zur Betreuung von Betriebsräten nach Köln entsandt.
1957 wurde er SPD-Vorsitzender des Kreisverbandes
Köln. Im selben Jahr wurde er zum ersten Mal in den
Deutschen Bundestag gewählt. 33 Jahre - bis 1990 - war
er stets direkt gewählter Abgeordneter seines Kölner
Wahlkreises.
In den Jahren nach 1957 übernahm Hans-Jürgen
Wischnewski wichtige Führungspositionen innerhalb
seiner Partei, darunter den Bundesvorsitz der Jungsozialisten. Er wurde Mitglied des Parteivorstandes und des
Präsidiums, stellvertretender Parteivorsitzender und
Schatzmeister der Partei und Bundesgeschäftsführer der
SPD.
Unter der Großen Koalition wurde er 1966 zum Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit ernannt.
In diesem Amt konnte Wischnewski mit seinen Erfahrungen und Perspektiven einer Neugestaltung der Entwicklungshilfe zum Durchbruch verhelfen.
In der Zeit der sozialliberalen Regierung war er Parlamentarischer Staatssekretär im Auswärtigen Amt. 1976
wechselte er bis zum Ende dieser Koalition im Jahr 1982
als Staatsminister ins Kanzleramt und war in dieser
Funktion eine tragende Stütze der Regierung.
Aus der Zeit als Bundesvorsitzender der Jungsozialisten stammte sein großes Engagement für die arabische
Welt, das erstmals in den 50er-Jahren durch seinen Einsatz für die Unabhängigkeit Algeriens zutage trat. Durch
zahlreiche Studienreisen verschaffte er sich in dieser
Zeit einen Überblick über die Problemherde im afro-arabischen Raum.
Bereits 1970 wirkte Wischnewski, dem wegen seiner
vielfältigen internationalen Kontakte zumal zu den islamischen und arabischen Ländern Willy Brandt den
Spitznamen „Ben Wisch“ gegeben hatte, in Amman hinter den Kulissen an einer Geiselbefreiung mit. Seine
wohl bekannteste und schwierigste Mission führte ihn
1977 als Staatsminister im Kanzleramt nach Mogadischu, wo seine Vermittlung im Zusammenhang mit der
Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ die Befreiung der Geiseln durch die GSG 9 ermöglichte. Er
sagte dann anschließend auf seine unnachahmliche Art:
„Die Arbeit ist erledigt.“
Wir trauern um einen großen Politiker und überzeugenden Menschen. „Nur die Politik hat Wert, die Menschen hilft“, das war sein Motto. Danach hat er gehandelt.
Hans-Jürgen Wischnewski hat sich um unser Land
verdient gemacht. Der Deutsche Bundestag wird dem
Verstorbenen ein ehrendes Gedenken bewahren.
Ich danke Ihnen.
Redetext
Präsident Wolfgang Thierse
Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell ist
vereinbart worden, die Tagesordnung heute mit der
zweiten und dritten Beratung des Justizkommunikationsgesetzes zu beginnen. Sind Sie damit einverstanden? Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe also den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz ({1})
- Drucksache 15/4067 ({2})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({3})
- Drucksache 15/4952 Berichterstattung:
Abgeordnete Dirk Manzewski
Hans-Christian Ströbele
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Bundesministerin Brigitte Zypries das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrte Damen und Herren! In der letzten Legislaturperiode hat die Bundesregierung die Initiative „Bund-Online 2005“ aufgelegt.
Diese Initiative verfolgt das Ziel, bis zum Ende dieses
Jahres alle internetfähigen Dienstleistungen, die der
Bund anbietet, Bürgerinnen und Bürgern sowie vor allen
Dingen der Wirtschaft online bereitzustellen. Mit dem
Justizkommunikationsgesetz, das Sie heute verabschieden wollen, leistet der Deutsche Bundestag einen wichtigen Beitrag, um das Ziel der Initiative „Bund-Online
2005“ zu erreichen.
Justiz ist ohne Kommunikation nicht vorstellbar. Gerichtliche Verfahren bestehen in allererster Linie aus
Kommunikation. Die Verfahrensbeteiligten präsentieren
den Streitgegenstand dem Gericht. Das Gericht erörtert
mit den Beteiligten den Streitgegenstand und das Ergebnis dieses Kommunikationsprozesses ist die Erledigung
des Rechtsstreites, und zwar entweder durch Vergleich
oder durch Entscheidung. Mit einer Reihe von Dienstleistungen ist die Justiz bereits mitten auf dem Weg in
eine elektronische Kommunikationsgesellschaft. Ihnen
allen ist sicherlich das inzwischen vorhandene elektronische Mahnverfahren in Deutschland bekannt. Handwerker und andere Gewerbetreibende haben die Möglichkeit, von zu Hause aus Mahnbescheide zu
beantragen.
In vielen Gerichten gibt es inzwischen elektronische
Postfächer, sodass Anwältinnen und Anwälte ihre
Schriftsätze papierlos einreichen können. Der Bundesgerichtshof bietet seit 2002 die Möglichkeit, bei ihm
Schriftsätze elektronisch einzureichen oder förmliche
Zustellungen elektronisch durchzuführen. Beim Bundesverwaltungsgericht und beim Bundesfinanzhof gibt es
inzwischen ein virtuelles Gerichtspostfach. Auch beim
Deutschen Patent- und Markenamt - das kennen Sie
alle - können Patentanmeldungen seit Oktober 2003
papierfrei eingereicht werden. Hier sind wir sogar so
weit, dass es eine Vereinbarung mit dem Europäischen
Patentamt, das ebenfalls in München sitzt, gibt. Es ist
nur eine Software notwendig, um Patente entweder beim
Deutschen Patent- und Markenamt oder beim Europäischen Patentamt zu beantragen.
Diese Entwicklung wollen wir weiter beschleunigen.
Kommunikation muss zunehmend einfacher, effizienter
und schneller werden. Wir müssen dazu die modernen
Kommunikationsmittel nutzen. Diese bieten sich gerade
in der Justiz sehr stark zur Nutzung an; denn die Verfahren vor Gericht sind stark formalisiert. Wiedervorlagefristen und Ähnliches lassen sich sehr gut abbilden. Wir
wollen mithilfe elektronischer Verwaltungsabläufe die
Verfahren weiter vereinfachen und die Verfahrensbeteiligten von bürokratischem Aufwand entlasten. Das
kommt in erster Linie den Verfahrensbeteiligten, den
Anwältinnen und Anwälten sowie den Richtern, zugute.
Außerdem können Anwälte auch ohne Papierakte irgendwann - das wird sicherlich noch etwas dauern online Akteneinsicht nehmen.
Bisher gab es ein Haupthindernis für die Nutzung der
modernen Informationstechnologie. Das war die Datensicherheit. Gerade das Justizverfahren muss besonders
sicher sein; darauf müssen wir Wert legen. Dieses Problem haben wir mit der Signaturtechnik gelöst. Es ist
mittlerweile möglich, mithilfe der elektronischen Signatur sowohl eine sichere Aufbewahrung von Daten zu
garantieren als auch die Absenderauthentizität und -integrität nachzuweisen bzw. zu garantieren. In der Sache
bleibt es bei den Anforderungen, die das geltende Recht
auch an das schriftliche Verfahren stellt. Dokumente, die
nach geltendem Recht zu unterschreiben sind, benötigen
eine qualifizierte elektronische Signatur. Bei formlosen
Mitteilungen reicht es, wenn man ein unsigniertes Dokument versendet.
Auf der Grundlage des geltenden Verfahrensrechts ist
ein so genannter Workflow, eine interne elektronische
Bearbeitung, noch nicht möglich. Den Schritt hin zu einem vollständigen Kommunikationssystem vollziehen
wir mit dem vorliegenden Justizkommunikationsgesetz.
Der elektronische Rechtsverkehr und die elektronische
Akte werden für den Zivilprozess, für den Arbeitsgerichtsprozess, für die öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeiten und für die Ordnungswidrigkeiten vorgesehen. Alles wird als Option angeboten. Niemand ist
verpflichtet, es zu nehmen. Wir respektieren die Rechte
der Länder, indem wir sagen: Der jeweilige Dienstherr
entscheidet, ob etwas eingeführt wird; wenn er einführt,
tut er dies durch Rechtsverordnung. Das gilt sowohl für
den Bund als auch für die Länder.
Wir haben in diesem Gesetz auch eine technikoffene
Regelung vorgesehen. Gerade weil die Technik in kaum
einem Bereich so schnell fortschreitet wie in diesem,
können wir keine detaillierten Vorgaben machen, sondern müssen Technikoffenheit bestimmen. Wir müssen
nur sehen, dass wir uns mit den Ländern auch über einheitliche Standards verständigen. Das ist natürlich die
Voraussetzung dafür, dass die Kommunikation zwischen
Bund und Ländern funktioniert. Das hat in der Vergangenheit gut geklappt und ich hoffe, dass es auch in Zukunft so bleibt.
Wie ich bereits eben sagte, wird der jeweilige Dienstherr entscheiden, wann die elektronische Kommunikation vollständig eingeführt werden kann. Ich weiß natürlich, dass es dafür in vielen Bereichen nicht genug Geld
gibt. Gleichwohl kann ich nur sagen: Ich empfehle, das
einmal ordentlich durchzurechnen; denn man kann mit
den neuen Mitteln sehr viel Geld sparen.
Lassen Sie mich noch etwas zu der Ergänzung sagen,
die im Rechtsausschuss vorgenommen wurde. Erst einmal: Vielen Dank! Diese Ergänzung betrifft die Prozesskostenhilfe. Durch Änderungen im Sozialgesetzbuch ist
der Kreis derjenigen, die einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe haben, in einer Weise ausgedehnt worden,
die nicht vertretbar erscheint. Dieses Versehen können
wir jetzt dank Ihrer Unterstützung korrigieren. Wir führen die Prozesskostenhilfe damit auf die frühere Basis
zurück. Es wird nichts gekürzt und es wird nichts erhöht;
es bleibt alles so, wie es war. Lediglich diese Ungenauigkeit wird bereinigt. Ich danke dafür, dass das möglich
war. Ich weiß, dass das Aufsatteln auf Gesetze nicht geschätzt wird. Aber ich meine, dass wir das in diesem Fall
gerade wegen des berechtigten Interesses der Bundesländer, jetzt schnell zu einer Änderung zu kommen, rechtfertigen können.
({0})
Ich erteile das Wort Kollegin Andrea Voßhoff, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem zunehmenden elektronischen Informations- und Geschäftsverkehr im Alltag von Unternehmen und Bürgern muss
auch die Justiz gerecht werden. Deshalb ist es ebenso
klar wie notwendig, dass sich die Justiz als Dienstleister
für den Rechtsuchenden den Entwicklungen und Veränderungen der Gesellschaft, insbesondere im Bereich der
modernen Kommunikation, anpassen muss. Eine moderne und vor allem effiziente Justiz ist aber nicht nur
für den rechtsuchenden Bürger, sondern insbesondere
auch für die Wirtschaft ein wichtiger Standortfaktor.
Wenn das Medium Papier im Alltag der Bürgerinnen
und Bürger und insbesondere der Wirtschaft zunehmend
durch elektronische Dateien ersetzt wird, dann kann sich
die aktenschwere Justiz dem nicht verschließen.
({0})
Der elektronische Rechtsverkehr und die elektronische Aktenführung innerhalb der Gerichte und in der
Justiz insgesamt sind deshalb auszubauen. Auszubauen
ist aber auch die elektronische Kommunikation mit der
Außenwelt, also mit Verfahrensbeteiligten, mit Anwälten und anderen. Dazu ist nicht nur erforderlich, die Justiz in Bund und Land weiterhin mit moderner Hard- und
Software auszustatten; von grundsätzlicher Bedeutung
ist es im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsschutzes auch, unsere bestehenden Rechts- und Verfahrensordnungen und damit auch das Bundesrecht anzupassen.
Dem ist Rot-Grün bisher aber leider nur schleppend
nachgekommen. Es war noch die CDU/CSU-geführte
Bundesregierung, die bereits 1997 mit dem Signaturgesetz die rechtlichen Voraussetzungen für die Verwendung der digitalen Signatur in Deutschland als einem
der ersten Länder geschaffen hat.
Damals war Deutschland noch Vorreiter im Bereich
der elektronischen Kommunikation. Aber erst im Jahr
2001 hat dann Rot-Grün unter anderem mit dem Formvorschriftenanpassungsgesetz und dem Zustellungsreformgesetz die ersten kleinen Schritte zur Öffnung der
Justiz für den elektronischen Rechtsverkehr unternommen.
Es mussten weitere vier Jahre vergehen, bis die
rot-grüne Bundesregierung mit dem heute vorliegenden
Justizkommunikationsgesetz endlich das Schließen einer
rechtlichen Lücke auf dem Weg zum - wie es so schön
heißt - elektronischen Workflow bei Gericht veranlasst
hat.
In Österreich - so der Deutsche EDV-Gerichtstag werden beispielsweise bereits 60 Prozent aller Zivilklagen elektronisch erhoben, und zwar, wie wir in einem
Berichterstattergespräch vom BMJ erfahren haben, offenbar auch reibungslos. Vielleicht ist das österreichische Beispiel für die Justizministerin wenigstens ein Ansporn, nun zügig den schon lange angekündigten
Gesetzentwurf oder mindestens Referentenentwurf zur
Umsetzung der EU-Richtlinie SLIM IV zum elektronischen Handelsregister - deren Umsetzung wird bis zum
Jahr 2007 gefordert - vorzulegen.
Mit dem heute zu verabschiedenden Justizkommunikationsgesetz sollen der Zivil-, der Arbeits-, der Verwaltungs-, der Finanz- und der Sozialgerichtsprozess sowie
das Ordnungswidrigkeitenverfahren umfassend für den
elektronischen Rechtsverkehr geöffnet werden. Wir
von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßen dieses
Ziel und werden dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimmen. Er war nicht nur lange überfällig, sondern er ist
auch notwendig.
Um was geht es? Die Verfahrensbeteiligten, also Anwälte und Betroffene, sollen in allen Bereichen der
Gerichtsbarkeit die Möglichkeit erhalten, elektronische Kommunikation parallel zur herkömmlichen
papiergebundenen Schriftform oder mündlichen Form
rechtswirksam zu nutzen. Selbstverständlich können
rechtsuchende Bürger ihre Schriftstücke nach wie vor in
Papierform bei den Gerichten einreichen.
Im Bereich des Strafverfahrens wird zunächst lediglich die Möglichkeit geschaffen, elektronisch zu kommunizieren. Eine elektronisch geführte Akte ist vorerst
noch nicht vorgesehen. Aber auch da, denke ich, müssen
wir, wie es so schön heißt, am Ball bleiben.
Das Gesetz regelt unter anderem die Voraussetzungen
für die Onlineakteneinsicht der Verfahrensbeteiligten bis
hin zur elektronischen Beglaubigung durch Notare.
Auch enthält es Regelungen hinsichtlich der Anforderungen an elektronische Dokumente; denn auch das
elektronische Dokument - die Klage, das Urteil, der
Schriftsatz - muss authentisch sein. Das heißt, es muss
sichergestellt sein, dass es auch tatsächlich von dem Verfasser stammt und nicht verändert worden ist, dass also
elektronische Dokumente nicht manipuliert werden können.
Dazu soll nach dem Justizkommunikationsgesetz die
qualifizierte elektronische Signatur in den Verfahrensordnungen der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der
Fachgerichte immer dort eingesetzt werden, wo nach
bisheriger gesetzlicher Regelung die handschriftliche
Unterzeichnung notwendig ist. Die technischen Sicherheitsanforderungen hinsichtlich der Authentizität der
qualifizierten elektronischen Signatur sind allerdings
außerordentlich komplex. Das Sicherungsverfahren bei
der qualifizierten elektronischen Signatur mittels so genannter Hash-Algorithmen in allen Einzelheiten zu verstehen, bedarf fast schon eines Studiums und ist - das gestehe ich freimütig ein - dem einen oder anderen Juristen
nicht so ohne weiteres zugänglich. Derzeit ist nach den
technischen Erkenntnissen aber wohl von einem ausreichenden Schutz vor Manipulation der mit dieser Signatur versehenen Dokumente auszugehen.
Angesichts des technischen Wandels wird es insbesondere für die Archivierung der elektronischen Akte
notwendig sein, die dauerhafte Lesbarkeit auch technisch sicherzustellen. Das, denke ich, ist ein Problem
bzw. ein Thema, das uns noch das eine oder andere Mal
beschäftigen wird.
Mit dem Justizkommunikationsgesetz wird auch die
Beweiskraft sowohl von originär elektronisch erstellten
Urkunden als auch von Urkunden, die aus der Papierform in ein elektronisches Dokument transferiert worden
sind, geregelt. Es wird sich in der Anwendung und Praxis zeigen müssen, inwieweit die Beweisregeln elektronischer Dokumente der Rechtssicherheit und dem
Rechtsschutz genügen. Ich sage dies insbesondere im
Lichte der letzten Änderung des Signaturgesetzes, in
dem zur besseren Akzeptanz der elektronischen Unterschrift bei den Bürgerinnen und Bürgern die Barrieren
und Hemmnisse sinnvollerweise abgebaut wurden.
Ob der medienbruchfreie Erwerb einer Signaturkarte,
also die komplette Antragstellung per Internet - das ist ja
das Ziel - auch eine zuverlässige Identifizierung des
Signaturkartenantragstellers zweifelsfrei sicherstellt,
wird zu beobachten sein. Insbesondere im Lichte der im
Justizkommunikationsgesetz vorgesehenen Beweiskraftregeln sollten wir dies im Auge behalten.
Es bleibt abzuwarten, wann die elektronische Aktenführung an deutschen Gerichten österreichisches Ausmaß angenommen haben wird. Bund und Länder bestimmen nach diesem Gesetz jeweils für ihren Bereich den
Zeitpunkt, von dem an die Prozessakten elektronisch geführt werden können. Projekte des elektronischen
Rechtsverkehrs - die Ministerin hat es ausgeführt - laufen bereits sowohl am BGH als auch in allen Bundesländern. Das geht vom elektronischen Briefkasten beim
Finanzgericht Cottbus in Brandenburg bis hin zum elektronischen Grundbuch und Handelsregister in Bayern.
Wir werden die weitere Entwicklung auf dem Weg
zur tatsächlich elektronisch geführten Akte aufmerksam
verfolgen und begleiten; denn zweifelsohne wird die
elektronische Akte neben der schnelleren und besseren
Information auch deutliche Entlastungspotenziale für
die Justiz bringen. Dabei meine ich nicht in erster Linie
den Kostenfaktor, der in diesem Zusammenhang immer
diskutiert wird, sondern mehr die höhere Effizienz der
Arbeit der Gerichte, zum Beispiel allein schon durch die
jederzeitige Verfügbarkeit einer elektronisch geführten
Akte für die jeweiligen Sachbearbeiter.
Im Interesse des Rechtsuchenden sollten Bund und
Länder alle Anstrengungen unternehmen - darüber sind
wir alle uns sicherlich einig -, zügige und dienstleistungsorientierte Gerichtsverfahren zu ermöglichen. Was
aber nutzt aller Einsatz, um eine Entlastung und effizientere Arbeitsweise der Justiz zu erreichen, wenn - das
muss ich an dieser Stelle erwähnen - Rot-Grün durch
das anstehende Antidiskriminierungsgesetz künftig für
eine wahre Prozesslawine sorgen wird?
({1})
Meine Damen und Herren Rechtspolitiker von SPD und
Grünen, es ist ja mehr als bedauerlich und bezeichnend,
dass der Rechtsausschuss in dieser Frage nicht federführend ist. Deswegen appelliere ich an Sie, bremsen Sie
diese Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Anwälte und
Arbeitsgerichte.
({2})
Auch möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass wir
heute mit dem Justizkommunikationsgesetz auch eine
Korrekturregelung zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe beschließen werden.
({3})
- Das war kein Flop. - Im Rahmen der Gesetzgebung zu
Hartz IV Ende 2003 hat es Rot-Grün versäumt, mit den
Änderungen im Sozialhilferecht die notwendigen Anpassungen im Bereich der Prozesskostenhilfe vorzunehmen. Dadurch ist es faktisch zu einer untragbaren Ausdehnung des Kreises der Berechtigten gekommen, denen
bei relativ hohem Einkommen eine PKH-Bewilligung
zuzugestehen wäre. Selbstverständlich war daher eine
entsprechende Korrekturregelung vorzunehmen. So wird
das Parlament zur Reparaturwerkstatt von Rot-Grün.
({4})
Da die Korrekturen inhaltlich im Ergebnis an die bis
zum Jahresende 2004 geltende Regelung wieder anknüpfen, diese sogar noch leicht aufgestockt wird, ist die Korrektur sachgerecht. Inakzeptabel bleibt dennoch, dass
erst ein Jahr vergehen musste, bis Rot-Grün dieses Versäumnis erkannt und korrigiert hat.
({5})
Abschließend darf ich mich noch für die konstruktiven Berichterstattergespräche im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens bei den Kollegen und bei den Mitarbeitern des BMJ ganz herzlich bedanken.
({6})
Ich erteile das Wort Kollegen Hans-Christian
Ströbele, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Guten Morgen, Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen, auch Ihnen sage ich: Guten Morgen! Ich
habe in den letzten Wochen mühsam gelernt, was das
Gesetz bedeutet.
({0})
Als ich vor fast 40 Jahren angefangen habe, als
Rechtsanwalt tätig zu werden, da gab es
({1})
zwar schon Bleistifte, aber noch keine Kopiergeräte und
auch nicht die kleinen handlichen Diktiergeräte. All das
gab es damals nicht.
({2})
Wenn ich Akteneinsicht nehmen wollte, bin ich zum Gericht gefahren, habe mir die Akten vorlegen lassen und
habe dann viele Stunden gesessen, um ein Exzerpt anzufertigen. Bei besonders gut ausgestatteten Anwaltskanzleien nahm man einen Mitarbeiter bzw. meistens eine
Mitarbeiterin mit, die dann stenografiert und so möglichst viele Teile der Akten übertragen hat.
({3})
Danach kamen die Kopierer. Die Folgen waren nicht nur
Arbeitserleichterung und bessere Möglichkeiten, sich
auf Verfahren vorzubereiten, sondern auch, dass die Akten immer dicker wurden.
({4})
Man konnte sie bald nicht mehr tragen. In größeren
Strafprozessen brauchte man Hilfspersonal, um all seine
Akten überhaupt mit zu Gericht nehmen zu können.
Technische Neuerungen haben also immer mehrere
Seiten. Die Diktiergeräte haben die Mitarbeiterin oder
den Mitarbeiter ersetzt, die bzw. der zum Diktat im Büro
erschien. Auch da ist viel persönlicher Kontakt auf der
Strecke geblieben. Das muss man einfach einmal so feststellen.
({5})
In Zukunft muss ich offenbar gar nicht mehr zum Gericht oder zur Staatsanwaltschaft gehen, um Akten einzusehen, weil es dort ja irgendwann gar keine Akten in
Papierform mehr geben wird und - das ist viel wichtiger - weil ich sie zu Hause von meinem Schlafzimmer
({6})
oder vom Büro aus, aus dem Hotelzimmer oder aus dem
Zug heraus aufrufen kann. Also immer dann, wenn mir
etwas einfällt, wenn ich denke, dass da noch etwas war,
was ich vergessen habe, oder wenn ich noch einmal sehen möchte, was in einem bestimmten Dokument steht
bzw. was in einem Schriftsatz falsch oder richtig vorgetragen worden ist, ist Akteneinsicht möglich. Das, was
uns da bevorsteht, stellt in der Tat eine Revolution bezüglich der Arbeitsweise der Justiz und der Rechtsanwälte dar.
Das wird aber, wie ich denke, so schnell nicht kommen; denn das soll jetzt erst einmal angeschoben
werden. Es werden zunächst die rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die elektronische Aktenführung Realität werden kann. Wir alle werden davon
profitieren. Es ist in Zukunft nämlich nicht mehr nötig,
seine Schriftsätze erst zu diktieren, sie dann schreiben zu
lassen, sie sich dann vorlegen zu lassen, sie dann zu unterschreiben, sie dann eintüten und abschicken zu lassen.
Irgendwo passiert bei dieser Kette ja häufig, dass Fristen
nicht eingehalten werden. Auch die beliebten abendlichen Treffen der Anwälte am Nachtbriefkasten des Gerichts, wo sie zehn Minuten vor Fristablauf noch einen
Schriftsatz einzuwerfen haben, der fristgebunden ist, gehören dann gänzlich der Vergangenheit an. All das wird
wegfallen.
Man kann bedauern, dass dabei ein Stück Kommunikationskultur verloren geht, es besteht aber überhaupt
kein Zweifel, dass es auch eine ganz erhebliche Erleichterung darstellt, wenn das einmal funktioniert. Deshalb
sind wir natürlich für dieses Gesetz. Wir haben auch
ökologische Gründe, weil in Zukunft wesentlich weniger
Papier verbraucht wird und mehr Bäume erhalten bleiben.
({7})
Wir werden alles elektronisch abwickeln, wenn wir es
denn können. Für mich war bei diesem Gesetz ganz besonders wichtig, dass - Frau Ministerin hat darauf hingewiesen - es jetzt nicht zwingend eingeführt wird - auch
nicht für den Rechtsanwalt Ströbele -, sondern dass ich
genügend Zeit habe, alles zu lernen, bis ich es kann. Ich
denke, es geht vielen Rechtsanwälten, aber auch Rechtsuchenden so, dass sie die technischen Voraussetzungen
erstens nicht zu Hause haben, zweitens nicht beherrschen und dass drittens alles noch so fehleranfällig ist,
dass man es nicht von einem Jahr aufs andere einführen
kann.
Deshalb ist es richtig, dass es für die Anwälte und
Rechtsuchenden nach wie vor die Möglichkeit gibt, vor
allen Dingen auch in Strafverfahren auf der Papierform
zu beharren, dass sie nach wie vor ihr Urteil in Papierform bekommen und dass sie ihren Schriftsatz sowie
ihre Beschwerden in Papierform einreichen können. Das
bleibt erhalten.
Ich habe darüber nachgedacht, ob vielleicht die Richter ungerecht behandelt werden. Denn die Richter müssen diese Aktenführung nutzen, wenn sie über die Landesjustizverwaltung eingeführt wird. Auch da gibt es
sicher den einen oder anderen, der schon älter ist und
Probleme mit der Technik und mit der Software hat.
Aber auch in diesem Fall habe ich mich eines Besseren
belehren lassen. Es gibt Übergangsfristen, also die
Möglichkeit, zunächst einmal zu lernen, zu studieren
und zu schauen.
Nach fünf Jahren soll das Ganze evaluiert werden.
Dann werden wir uns das Ergebnis ansehen. Ich bin sicher, dass dann das eine oder andere nachgebessert werden muss. Dazu ist dann der Deutsche Bundestag berufen. Aber lassen Sie uns heute dieses Gesetz
verabschieden. Soweit ich das sehen kann, ist es einheitlich gewollt, und zwar sowohl von den Vertretern der
Rechtsanwälte als auch von den Vertretern der Gerichte.
Alle haben es befürwortet. Wir haben das in einem Berichterstattergespräch vorgelegt bekommen. Ich denke,
wir sollten diesen Versuch wagen. Den Zug der Zeit können wir nicht einfach sausen lassen, sondern auch ich
und wir alle müssen aufspringen.
({8})
Ich erteile das Wort Kollegin Sibylle Laurischk, FDPFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute das Justizkommunikationsgesetz, das der Vereinfachung und der Entbürokratisierung der Justiz dienen soll. Frau Justizministerin hat ja darauf hingewiesen,
dass es bereits Beispiele in der höheren Gerichtsbarkeit
und beim Bundespatentamt gibt. Erste Erfahrungen
konnten also schon gesammelt werden.
Im Rechtsausschuss waren wir allerdings skeptisch,
ob dieses Ziel wirklich erreichbar ist. Wichtig ist uns natürlich, dass die Transparenz der Justiz erhalten bleibt.
Insofern waren die zwei Berichterstattergespräche, die
wir durchgeführt haben, sehr sinnvoll, um die vorhandene Skepsis etwas abzubauen. Gerade das österreichische Beispiel lässt die Vermutung zu, dass hier tatsächlich auf lange Sicht - ich muss betonen: allenfalls auf
lange Sicht - Einsparungsmöglichkeiten zu erreichen
sind.
Die Justiz braucht eine Handlungsgrundlage. Wir sind
wohl einvernehmlich der Auffassung, dass wir sie
schaffen sollten. In Zukunft ist die elektronische Akte
mit E-Mail und elektronischer Signatur möglich. Die
Anwendersicherheit und damit die Rechtssicherheit
scheinen uns gewahrt. Die Länder sind nun gefordert,
die Umsetzung zu gewährleisten. Da wird es je nach Finanzausstattung der Länder sicherlich abzuwarten sein,
wie die Länder das schaffen.
Sehr wichtig ist uns in dieser Debatte, dass es hinsichtlich der elektronischen Anwendung keinen
Anschluss- und Benutzungszwang gibt. Also die bisherige Vorgehensweise ist gewahrt und der auf Papier
geschriebene Schriftsatz der Anwaltschaft bleibt weiterhin möglich, der ja ohnehin zur Information der Mandantschaft verfasst werden muss. Denn ich glaube kaum,
dass sich die Mandantschaft in kürzester Zeit entsprechend umstellt und dann ebenfalls elektronische Akten
sozusagen privat führt.
Wichtig ist auch, dass der elektronische Anschluss
keine Zugangsvoraussetzung für die Anwaltschaft wird.
Ich glaube, dass wir hier noch eine ganze Weile zweigleisig fahren werden.
Die Erfahrungen mit diesem Gesetz werden wir auf
Wunsch der FDP in fünf Jahren im Rahmen einer Evaluation auswerten; denn wir sollten nicht aus den Augen
verlieren, dass überprüft werden muss, wie die Umsetzung des Gesetzes funktioniert.
Sehr wichtig ist uns auch das Thema Prozesskostenhilfe, das hier ebenfalls mitgeregelt worden ist; die fehlerhafte Handhabung bei der Umsetzung von Hartz IV
ist leider erst jetzt entdeckt worden. Darüber, dass die
Notwendigkeit einer Regelung besteht, herrscht kein
Zweifel. Es ist uns wichtig, dass wir - darauf lege ich
großen Wert - im Rahmen der Prozesskostenhilfe den
Zugang des bedürftigen Rechtsuchenden zur Justiz weiterhin sichern und nicht sozusagen durch die Hintertür
Kürzungen vornehmen, wie es auf Länderebene wohl
kurz angedacht war.
({0})
Der Rechtsuchende muss weiterhin einen unkomplizierten Zugang zur Justiz haben, auch wenn er bedürftig ist.
Die FDP steht dafür, dass die entsprechenden Möglichkeiten nicht eingeschränkt werden.
Ich danke Ihnen.
({1})
Ich erteile das Wort Kollegen Dirk Manzewski, SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe anwesende Freunde der Rechtspolitik!
({0})
Am heutigen Tag debattieren wir hier abschließend über
das so genannte Justizkommunikationsgesetz der Bundesregierung. Ziel dieses Gesetzes ist es, künftig die
rechtlichen Rahmenbedingungen bei den Gerichten so
zu regeln, dass Schriftsätze - das ist schon gesagt worden - in Zukunft statt in Papierform auch elektronisch
eingereicht werden können.
Es lässt sich leider nicht leugnen, dass der technische
Fortschritt auch vor der Justiz nicht Halt machen kann.
Die ersten Schritte zu einer Öffnung der Justiz für einen
elektronischen Geschäftsverkehr sind ja auch bereits gegangen worden, zum Beispiel mit dem Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften zur Anpassung an den modernen
Rechtsgeschäftsverkehr. Ich erinnere zudem daran, dass
es - die Justizministerin hat es schon angesprochen - bereits seit geraumer Zeit möglich ist, zum Beispiel beim
Bundesgerichtshof und beim Bundespatentamt Dokumente elektronisch einzureichen.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll nun der
zweite Schritt folgen und der Zivilprozess und die Fachgerichtsbarkeiten sowie das Bußgeldverfahren für die
gesamte elektronische Aktenbearbeitung geöffnet
werden. Es ist dabei sicherlich richtig, dass es sowohl für
die Anwaltschaft als auch für die Gerichte selbst Bereiche im Rahmen der Verfahrensabläufe geben kann, für
die der elektronische Rechtsverkehr äußerst attraktiv ist.
Die Anwaltschaft - auch das ist schon erwähnt worden könnte es leichter haben, selbst fristwahrende Schriftsätze noch kurz vor Beginn der Verhandlung aus dem
Büro zum Gericht zu senden. Der mühsame Weg - der
Kollege Ströbele hat es angesprochen - zum Gerichtsnachtbriefkasten könnte entfallen, wobei ich sehr interessiert zur Kenntnis genommen habe, dass das für Sie
eine Art der Kommunikation darstellt. Ich stelle mir vor,
wie das in Berlin aussieht, wenn sich die Kolleginnen
und Kollegen kurz vor Mitternacht
({1})
vor dem Amtsgericht in Charlottenburg treffen und dort
diskutieren. Es könnte aber durchaus weiterhin die Möglichkeit bestehen, Kollege Ströbele, das eine oder andere
noch vor Ort zu regeln.
Die entsprechende Eingangsbestätigung würde umgehend kommen und Akteneinsichtsgesuchen könnte
schneller und unproblematischer entsprochen werden.
Überhaupt könnte der gesamte Schriftwechsel auf elektronischem Weg sicherlich schneller erfolgen.
Für die Gerichte selbst bestünden ebenso Möglichkeiten, hiervon zu profitieren. Abläufe könnten vereinfacht
und beschleunigt werden. Die Akte stünde Geschäftsstelle und Richter - das ist wichtig - jederzeit und vor allem gleichzeitig zur Verfügung. Die Protokollierung des
Eingangs von Schriftsätzen würde ebenso wie die statistische Erfassung nach Beendigung des Verfahrens automatisch und damit vereinfacht erfolgen. Das wäre sicherlich ein Vorteil.
Um dies zu erreichen, muss - das machen wir mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf - das herkömmliche
Prozessrecht, das von der Papierform ausgeht, den neuen
Techniken angepasst werden. Der Gesetzentwurf enthält
dabei nicht nur Regelungen, die sprachlich den neuen
Erfordernissen entsprechen. So wird zum Beispiel der
Begriff „Vordruck“ durch den Begriff „Formular“ ersetzt
oder der Begriff „Schriftstück“ durch den Begriff „Dokument“. Insgesamt werden die Anforderungen an elektronische Dokumente festgeschrieben, da auch bei elektronischen Dokumenten zum Beispiel die Authentizität
der Dokumente sichergestellt sein muss.
Durch diesen Gesetzentwurf wird der elektronische
Rechtsverkehr natürlich nicht vorgeschrieben. Für die
Umsetzung dieser Zukunftsvision - auch das ist schon
von den Kolleginnen und Kollegen angesprochen worden - bedarf es noch vieler Schritte. Hierin liegt auch die
eigentliche Problematik. Frau Justizministerin, das
Ganze macht nach meiner Auffassung nämlich nur dann
Sinn, wenn es den Justizbehörden der Länder endlich gelingt, sich auf ein gemeinsames Betriebssystem zu einigen,
({2})
und wenn eine entsprechende flächendeckende Versorgung der Gerichte erfolgt. Ich weiß, dass das nicht Ihre
Aufgabe ist, wie fälschlicherweise kolportiert wurde.
Das ist vielmehr Aufgabe der Justizbehörden der Länder.
Nur wenn dies geschieht, wird sich für die Anwaltschaft
die Anschaffung von entsprechender Hard- und Software, insbesondere der teuren Signaturkarte, lohnen.
In diesem Zusammenhang ist es nicht angebracht, einen Vergleich mit Österreich zu ziehen. Denn in Österreich gibt es insgesamt nur so viele Anwälte wie allein in
Hamburg. Dort ist die Umstellung einfacher zu realisieren gewesen, weil es zwischen den Ländern eine ganz
andere Kompetenzaufteilung gibt. Auf diesem Gebiet
muss bei uns noch einiges passieren.
Die Kosten für Hard- und Software werden der
Grund sein, warum meiner Auffassung nach Otto
Normalverbraucher auf absehbare Zeit noch nicht am
elektronischen Rechtsverkehr teilnehmen wird. Wie oft
haben die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes schon
mit dem Gericht zu tun? Für sie werden sich die hierfür
notwendigen Anschaffungen einfach nicht rentieren. Das
bedeutet natürlich, dass viele Verfahren wie bisher in der
bewährten Schriftform geführt werden müssen. Unter
dem Aspekt dieser doppelten Aktenführung vermag ich
zumindest bei Gerichten der ersten Instanz - jedenfalls
auf absehbare Zeit - kein Einsparpotenzial zu erkennen.
Lassen Sie mich noch kurz eine weitere Anmerkung
machen. Vor meiner Zeit als Bundestagsabgeordneter
bin ich als Richter tätig gewesen. Eines meiner letzten
Verfahren betraf eine komplizierte Wiedervereinigungsproblematik im Bereich der Landwirtschaft mit einem
Aktenberg von mehreren Hundert Seiten. Wenn ich mir
vorstelle, dass ein Richter einen solchen Aktenberg nicht
mehr quer lesen und keine Vermerke mehr einfügen,
sondern nur noch am Bildschirm bearbeiten kann, dann
bin ich nicht sicher, ob die gewünschten Erfolge eintreten. Ich kann mir vorstellen, dass es bei umfangreichen
Verfahren für die Richter und natürlich auch für die Anwälte sehr problematisch ist, mit dem elektronischen
Rechtsverkehr zu arbeiten.
Gleichwohl gilt: Allein aufgrund der zuerst genannten
Umstände werden wir nicht umhinkommen, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Wir sollten deshalb positiv an
die Sache herangehen. Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen, uns dies gleichzutun.
Ich danke Ihnen.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Justizkommunikationsgesetzes, Drucksache 15/4067. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/4952, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Johannes Singhammer, Karl-Josef Laumann,
Dagmar Wöhrl, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Arbeitsmarktstatistik aussagekräftig gestalten - Ausmaß der Unterbeschäftigung verdeutlichen
- Drucksachen 15/3451, 15/4463 Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Brandner
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Kollegin Karin Roth, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! So viel Einmütigkeit, wie wir gerade hatten,
wünsche ich mir auch in der Arbeitsmarktpolitik. Aber
offensichtlich müssen wir uns mit einer Arbeitsmarktstatistik auseinander setzen, die von der Opposition immer
wieder kritisiert wird, die aber schon überholt ist.
Anscheinend soll der Eindruck vermittelt werden,
dass die Bundesregierung die tatsächliche Zahl der Arbeitslosen verschleiern würde. Aber weit gefehlt: Das ist
nicht der Fall. Gerade die Arbeitsmarktdaten vom Januar
zeigen, dass die erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger
zum ersten Mal in die Statistik aufgenommen worden
sind. Daher stieg die Zahl der erfassten Arbeitslosen auf
mehr als 5 Millionen an. Wir haben damit eine ehrliche
Bilanz vorgelegt.
({0})
Sie haben uns dafür in populistischer Weise beschimpft.
Diese Bundesregierung hat Schluss gemacht mit den
Tricksereien von vorgestern, die Sie vorgenommen haben.
({1})
- Ja, natürlich. Sie haben unter der Regierungszeit Kohl
die ABM und die Schulungsmaßnahmen in der Statistik
in der Form bewertet, dass Sie gesagt haben: Das ist
nicht unter Arbeitslosigkeit abzubuchen.
({2})
Sie als Opposition versuchen - Sie, Herr Niebel, besonders -, eine unglaubliche Arbeitslosenkampagne zu
machen, um die Menschen in unserem Land zu verunsichern.
({3})
Sie behaupten demagogisch, dass mehr Menschen arbeitslos sind als vorher. Das ist falsch. Das wissen auch
Sie; aber Sie wiederholen es ständig.
Was die Zahl der Arbeitslosen angeht, gibt es natürlich nichts zu beschönigen. Es gibt niemanden in der Regierungskoalition, der das tut. Uns ist das Schicksal der
Menschen wichtig. Deshalb kümmern wir uns darum.
({4})
Ich sage Ihnen aber auch: Es ist unseriös, unglaubwürdig und unverantwortlich, wenn Sie den Eindruck
vermitteln, es gebe in unserem Land mehr Menschen,
Karin Roth ({5})
die jetzt von Arbeitslosigkeit betroffen sind, als vorher.
Das stimmt nicht.
({6})
Richtig ist, dass die erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger - das sind mehr als 1 Million; das wissen
auch Sie -, die bisher keine Chance auf Eingliederung in
den Arbeitsmarkt hatten, seit Januar durch unsere Arbeitsmarktpolitik endlich die Möglichkeit haben, Hilfe
zur Arbeit zu erhalten, und zwar systematisch und, gerade was die Jugendlichen angeht, besonders wirkungsvoll.
({7})
Die Langzeitarbeitslosen werden nämlich zum ersten
Mal qualifiziert und auch vermittelt. Das ist der entscheidende Punkt. Allein für die Eingliederung - Sie
mögen es nicht hören wollen, aber es ist so - stellt der
Bund 6,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Das gab es
vorher so nicht.
({8})
Die aktivierenden Maßnahmen, mit denen die Menschen gefördert werden und die ihnen eine Lebensperspektive geben sollen, finanziert ausschließlich der
Bund. Hinzu kommen die Leistungen für die Hilfe zur
Arbeit und für die Kosten der Unterkunft. Auch diese
zahlt der Bund. Damit entlasten wir die Kommunen jährlich mit 2,5 Milliarden Euro. Das haben wir getan, um
die Finanzkraft der Kommunen zu stärken und um vor
allen Dingen im Westen den Ausbau der Kinderbetreuung voranzubringen. Denn der ist bitter nötig,
wenn wir die Frauen in Arbeit bringen wollen. Eine fehlende Kinderbetreuung darf kein Hindernis mehr für die
Arbeitsaufnahme sein. Wir brauchen die Vereinbarkeit
von Beruf und Familie. Deshalb ist die Kinderbetreuung
dringend notwendig. Dafür setzen wir uns vor Ort ein
und dafür soll das Geld ausgegeben werden.
({9})
Im Osten wird jedes Jahr 1 Milliarde Euro mehr für
Investitionen zur Verfügung gestellt. Auch das fördert
dauerhaft die Schaffung von Arbeitsplätzen, die wir
dringend brauchen.
({10})
Wir haben die nötigen Voraussetzungen geschaffen
und wir haben vor allen Dingen den Unternehmen neue
Anreize geboten, Langzeitarbeitslose einzustellen.
Lohnkostenzuschüsse für Arbeitgeber, eine erleichterte
Existenzgründung, Zusatzjobs und Qualifizierungsangebote, das sind keine überflüssigen Wohltaten für die Betroffenen, sondern manchmal das Einzige, was hilft, um
die Menschen wieder in Arbeit zu bringen.
({11})
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, jetzt vorschlagen, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 1,5 Prozentpunkte zu reduzieren, dann
frage ich Sie, Herr Singhammer: Glauben Sie eigentlich
an Ihre eigenen Arbeitslosenzahlen oder stimmen sie
nicht?
({12})
Denn entweder gibt es eine hohe Arbeitslosigkeit. Dann
gibt es keinen Spielraum, den Betrag zur Arbeitslosenversicherung zu senken; das wissen auch Sie.
({13})
Oder Sie wollen die Maßnahmen, die für die Langzeitarbeitslosen dringend notwendig sind, schlichtweg streichen und einstellen.
({14})
Oder wollen Sie den Betrag von 11 Milliarden Euro, der
uns im Haushalt der Bundesagentur fehlen würde, zum
Beispiel durch Schuldenaufnahme ausgleichen?
({15})
Das geht doch wohl auch nicht. Was Sie machen wollen,
um den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um
1,5 Prozent zu reduzieren, bleibt Ihr Geheimnis.
({16})
Es ist wahr, Sie haben nichts anzubieten. Was Sie
wollen, ist einfach: Sie wollen den Kündigungsschutz
und die Maßnahmen für die Eingliederung abschaffen.
Zur Förderung wirtschaftlichen Wachstums ist das aber
untauglich; auch wenn es Ihnen nicht passt, das zu hören.
Wir dagegen haben allein die Unternehmen durch unsere Steuerreform Jahr für Jahr entlastet, und zwar um
18 Milliarden Euro. Jetzt geht es darum, dass die Unternehmen ihre Gewinne wieder investieren und das Kapital nicht schamlos ins Ausland verlagern. Wir haben die
Unternehmen entlastet, damit sie hier und nicht anderswo Arbeitsplätze schaffen.
({17})
Es geht auch darum, eine gemeinsame Anstrengung
im Bereich Forschung und Entwicklung zu organisieren,
damit neue Produkte entstehen können und dadurch wiederum neue Dienstleistungen und Arbeitsplätze. Die
Bundesregierung unternimmt diese Anstrengung, indem
sie zum Beispiel im Bereich Forschung und Entwicklung
9 Milliarden Euro zur Verfügung stellt. Damit werden
Arbeitsplätze geschaffen. Das müssen Sie zur Kenntnis
nehmen.
({18})
Nicht zufällig ist Deutschland international wettbewerbsfähig. Trotz eines starken Euros sind wir Exportweltmeister. Das belegt auch die steigende Integration
Karin Roth ({19})
der deutschen Wirtschaft in den Welthandel. Deutschland ist aufgrund seiner geographischen Lage in der
Mitte Europas in einer hervorragenden Position.
Deutschland ist die Drehscheibe für zahlreiche Marktpartner. „Made in Germany“ gilt in dieser Welt etwas,
und zwar aufgrund der Leistungsfähigkeit des deutschen
Mittelstandes.
Deshalb, meine Damen und Herren von der Opposition, sollten Sie den Wirtschaftsstandort Deutschland
nicht ständig schlechtreden. So kommen keine Investitionen ins Land.
({20})
Auch Sie haben eine Verantwortung. Lamentieren Sie
nicht ständig über fehlendes Wirtschaftswachstum, wenn
Ihnen nichts Besseres einfällt, als den Kündigungsschutz
abzuschaffen. Das ist wahrlich ein untaugliches Mittel,
um Wirtschaftswachstum zu erreichen.
({21})
Nehmen Sie zur Kenntnis, dass die Lohnstückkosten
in Deutschland stabil sind und wir deshalb im internationalen Wettbewerb preislich konkurrenzfähig sind.
({22})
Wirtschaftswachstum entsteht durch Nachfrage von
Gütern und Dienstleistungen. Das ist eine alte volkswirtschaftliche Grundregel. Deshalb genügt der Export
alleine nicht, deshalb brauchen wir natürlich auch die
Binnennachfrage. Die Binnennachfrage haben wir zum
Beispiel durch steuerliche Entlastungen der Bürgerinnen
und Bürger in Höhe von 42 Milliarden Euro gestärkt.
Wir unterstützen den Mittelstand, indem wir die Kreditaufnahme für Investitionen erleichtern. Das gilt im
Übrigen auch für die Kommunen.
In unserer Regierungszeit sind die Ausgaben für Forschung und Entwicklung um 20 Prozent gestiegen. Das
sind für uns wichtige Beiträge zur Förderung des Wirtschaftswachstums. Meine Damen und Herren von der
Opposition, wenn Sie Wirtschaftswachstum wollen,
dann müssen Sie auch dafür eintreten, dass wir die Zukunftsaufgaben finanzieren können. Das heißt mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung. Die 3-Prozent-Quote müssen wir erreichen. Das erreichen wir
allerdings nur, wenn wir beispielsweise bereit sind, die
Eigenheimzulage abzuschaffen. Das tun Sie aber nicht.
Dazu sind Sie nicht mutig genug. Sie blockieren.
({23})
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
Der Sachverständigenrat hat deutlich gemacht, dass
gerade die Abschaffung der Eigenheimzulage ein gutes
Mittel wäre, um in die Zukunft zu investieren.
({0})
Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn
Sie bereit sind, mit uns wirtschaftliches Wachstum zu initiieren, dann tun Sie das. Reden Sie nicht ständig über
die Arbeitslosenstatistik! Das hilft den Menschen in diesem Land nicht. Wir brauchen Arbeitsmarktreformen.
Die setzen wir um. In Zukunft blockieren Sie die Arbeitsmarktreformen hoffentlich nicht mehr.
({1})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Johannes
Singhammer, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer den Überblick über die tatsächlichen Verhältnisse in Deutschland, wer den Überblick über das Ausmaß der Beschäftigungslosigkeit verloren hat, kann die
Arbeitslosigkeit in unserem Land natürlich auch nicht
zielgenau bekämpfen.
({0})
Nur eine schonungslose Diagnose erlaubt den Einsatz
der richtigen Heilmittel.
Alle Bemühungen um mehr Klarheit und Wahrheit,
Herr Staatssekretär Andres - das sage ich, weil Sie lachen -,
({1})
versucht die Bundesregierung seit Monaten als Polemik
und Schlechtreden herabzuwürdigen. Sie selbst sind dafür ein gutes Beispiel. Weil Sie mich gerade reizen, sage
ich Ihnen eines: Sie haben in der Sitzung vom
23. September vergangenen Jahres gesagt - ich zitiere -:
Die Arbeitslosenzahl wird dann auf 5 Millionen,
6 Millionen oder 7 Millionen aufgeblasen. Wer hat
noch mehr zu bieten? Ich habe mich gewundert,
dass hier noch niemand 8 Millionen gesagt hat.
({2})
Das haben Sie erklärt.
({3})
Jetzt kommt die schlichte und schlimme Wahrheit ans
Licht: Anfang dieses Monats waren 5,037 Millionen Menschen beschäftigungslos; dem stehen nur 268 000 offene
Stellen gegenüber.
({4})
Bundeswirtschaftsminister Clement erklärt,
({5})
dass zu diesen ohnehin dramatischen Zahlen noch
1,4 bis 1,5 Millionen hinzukommen.
({6})
Im „Morgenmagazin“ des ZDF hat er am 2. Februar dieses Jahres gesagt:
Wir haben 6,5 Millionen Menschen mit teilweise
dramatischen Problemen am Arbeitsmarkt; das ist
dramatisch hoch und das müssen wir jetzt runterbringen.
Jawohl, da hat er Recht. Aber seine Einsicht kommt zu
spät. Zuerst hat die Bundesregierung den Flächenbrand
Arbeitslosigkeit als eine Ansammlung einiger Lagerfeuer angesehen. Jetzt kommt sie mit ihrer Brandbekämpfungskonzeption nicht voran; denn tatsächlich haben wir den Stand von 8 Millionen Menschen, die ohne
Beschäftigung sind und über die Sie sich lustig gemacht
haben, bereits erreicht.
({7})
Reiht man 8 Millionen Menschen aneinander, ist das
eine 4 000 Kilometer lange Kette.
({8})
Stellt man sich alle Menschen, die arbeitslos sind, in einer Kette aneinandergereiht vor, entspricht das viermal
der Entfernung Flensburg-Garmisch.
Der Sachverständigenrat bringt die verdeckte Arbeitslosigkeit in allen Einzelheiten ans Licht. Es gibt
1 Million Vorruheständler, darunter bis zu 400 000 über
58-Jährige. 670 000 Menschen befinden sich aufgrund
von Arbeitslosigkeit in Altersrente. 136 000 Menschen
nehmen an Weiterbildungsmaßnahmen teil. Es gibt
165 000 subventionierte Beschäftigungsverhältnisse,
69 000 Teilnehmer an ABM, 239 000 Ich-AGs und
27 500 staatliche PSAs.
({9})
Hinzu kommen 600 000 1-Euro-Jobs - das wollen Sie
angeblich noch in diesem Jahr erreichen - und die stille
Reserve, die, eine vorsichtige Betrachtung der Experten
zugrunde gelegt, ein Volumen von mindestens 1 Million
Menschen hat. Deshalb gibt selbst der gegenwärtige katastrophale Höchststand der Arbeitslosigkeit, der Ende
dieses Monats wahrscheinlich erneut um einige Hunderttausend steigen wird, bei weitem nicht das schlimme
Bild wieder, das der Realität entsprechen würde. Es ist
auch fast egal, ob die Zahl 5 300 000 oder 5 200 000 betragen wird - die Situation ist sehr viel schlimmer.
Jetzt sagen Sie, dass diese hohen Zahlen nur durch ein
großartiges Reformprojekt, Hartz IV, hervorgerufen
worden seien. Den Städten, Gemeinden und Kreisen
werfen Sie Unfairness und Täuschung vor. Minister
Clement behauptet, er sei darauf hingewiesen worden,
dass selbst Koma-, Aids- und Suchtkranke für arbeitsfähig erklärt wurden.
({10})
Ich sage Ihnen: Das ist schäbig und schändlich; denn tatsächlich sind die ausgewiesenen Zahlen viel zu gering.
Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit fehlen
noch rund 30 000 bis 40 000 Arbeitslosengeld-II-Empfänger, welche die optierenden Gemeinden noch gar
nicht gemeldet haben; sie müssen also hinzugerechnet
werden. Es ist nicht so, dass die Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte ständig neue Höchststände der
Arbeitslosigkeit erfinden. Vielmehr ist diese Bundesregierung der Treibsatz dafür, dass sich die Arbeitslosenzahl Tag für Tag um 1 000 erhöht.
({11})
Wenn Sie uns nicht glauben, sollten Sie wenigstens
Ihren Genossen in den Kommunen glauben. Beispielhaft
nenne ich den Sozialreferenten Graffe, SPD, aus der
größten deutschen Kommune, der Landeshauptstadt
München. Er sagt: „Einen Verschiebebahnhof kann ich
ausschließen.“ Sie sollten einmal mit ihm reden.
Für die Fehler, die zu den finanziellen Problemen bei
Hartz IV führen, ist der Wirtschaftsminister verantwortlich. Bis zu 6,5 Milliarden Euro mehr als erwartet soll
Hartz IV in diesem Jahr kosten. Der einzige und entscheidende Grund sind die falschen Prognosen des Wirtschaftsministeriums. Der Deutsche Städtetag hat bereits
im Mai vergangenen Jahres mit 2,4 Millionen Empfängern von Arbeitslosengeld II gerechnet. Sie selbst sind
von 2,1 Millionen ausgegangen. 300 000 weniger bedeuten natürlich eine entscheidende Mehrung der Ausgaben.
({12})
Schuld daran sind Ihre frisierten Zahlen gewesen. Sie
rechnen immer alles schön und wollen die Wahrheit
nicht zur Kenntnis nehmen. Die Ablehnungsquote für
Anträge auf Arbeitslosengeld II wurde mit 23 Prozent
viel zu hoch angesetzt. Tatsächlich wurden bis jetzt nur
etwa 10 Prozent zurückgewiesen. Das wird sich mit
Mehrausgaben zu Buche schlagen. Es zieht sich bei Ihnen wie ein roter Faden durch alle Politikbereiche: Zahlensalat produzieren, schönrechnen,
({13})
sich der Realität verweigern und dann den Kommunen
die Schuld in die Schuhe schieben - das, Herr Kollege
Andres, nenne ich eine Fischerisierung der Wirtschaftspolitik.
({14})
Das Vorzeigeprojekt „Virtueller Arbeitsmarkt“
wird in einem Bericht des Bundesrechnungshofs niederschmetternd beurteilt. Die Einsparprognosen von angeblich 1,1 Milliarden Euro
({15})
werden als eine Luftbuchung bezeichnet. Dafür steigen
die Kosten dieses virtuellen Arbeitsmarktes auf fast das
Doppelte, auf etwa 100 Millionen Euro. Und wer sich
mit diesem neuen Modell eine Vermittlung herbeiklicken
will, der klickt mit der Maus ins Leere, weil das System
nach wie vor große Mängel hat
({16})
und die Vermittlungsleistung tatsächlich nicht gesteigert
werden konnte.
Deshalb sage ich an dieser Stelle eindringlich: Stoppen Sie dieses Programm, vor allem was den Bereich der
Vermittlung betrifft! Überlegen Sie, wie Sie die Sache in
den Griff bekommen können - ob das überhaupt machbar ist -, und prüfen Sie, wie das weitergeht!
({17})
Alles andere wäre ein sorgloser Umgang mit den Beiträgen der Versicherten.
Ich sage Ihnen auch: Nehmen Sie unseren Antrag
ernst! Wir wollen Klarheit in der Unübersichtlichkeit der
Statistiken schaffen und schlagen vor, zunächst ein Zahlenpaar voranzustellen: die positive Zahl, die Zahl der
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, und die Zahl
derjenigen, die keine Beschäftigung haben. Dieses Zahlenpaar ermöglicht eine präzise Einschätzung des Zustands in Deutschland.
Die Zahl der sozialversicherungspflichtig
Beschäftigten geht zurück; das ist so. Sie liegt zurzeit
bei etwa 26 750 000. Daran wird die Krise der sozialen
Sicherungssysteme klar. Ein Beispiel: Derzeit erhalten
etwa 19,3 Millionen Rentnerinnen und Rentner eine Altersrente. Die Zahl der Beschäftigungslosen liegt bei annähernd 8 Millionen oder sogar darüber. Wenn Sie das
mit der Zahl der überhaupt noch sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Verbindung bringen, sehen
Sie, dass mittlerweile ein Beschäftigter - eine Krankenpflegerin oder ein Busfahrer - mit seinen Beiträgen fast
für eine beschäftigungslose Person aufkommen muss.
Das zeigt die Problematik in ihrer ganzen Schärfe.
Ich warne an dieser Stelle vor weiteren Vernebelungsversuchen mit der so genannten ILO-Statistik. Die ILOStatistik, die Sie einführen wollen, um die Vergleichbarkeit mit europäischen Nachbarländern herzustellen, mag
durchaus die eine oder andere zusätzliche Erkenntnis
bringen. Nun soll diese ILO-Statistik zunächst parallel
mit der bisherigen Statistik geführt werden. Wenn das
aber dazu führen würde, dass die nach der ILO-Statistik
um rund 600 000 Personen niedrigere Zahl der Arbeitslosen irgendwann immer größer würde und die Zahl
nach der bisherigen Art der Statistik immer kleiner, dann
wäre das eine weitere Unsauberkeit, die keinen Sinn
macht.
Wie können wir diesem Teufelskreis von ständig
mehr Arbeitslosigkeit entfliehen? Der Königsweg ist
Wachstum. Wir brauchen mehr Wachstum. Leider ist es
so, dass Deutschland, das in der Vergangenheit immer
stärker als die Weltwirtschaft gewachsen ist, jetzt deutlich unter dem weltwirtschaftlichen Wachstum bleibt.
({18})
- Da gibt es nichts zu lachen.
({19})
Die Weltwirtschaft ist im vergangenen Jahr um mehr als
5 Prozent gewachsen, die deutsche Wirtschaft um
1,7 Prozent.
({20})
Wir haben nur ein Drittel des Wachstums der Weltwirtschaft erreicht. Damit sich am Arbeitsmarkt etwas ändert, bräuchten wir ein Wachstum von mindestens
1,9 Prozent.
({21})
Nach den Vorhersagen aller Institute werden wir in diesem Jahr leider kein Wachstum von 1,9 Prozent erreichen. Das bedeutet, dass die Zahl der Arbeitslosen leider
auch in diesem Jahr zunehmen wird. So bitter und brutal
ist die Wahrheit.
({22})
Wachstum kann mit einer anderen Politik und mit klugen politischen Rahmenbedingungen generiert werden.
Frau Kollegin Roth, ich nenne Ihnen nur ein Beispiel:
Nehmen Sie den Bereich der Energiewirtschaft. Eon
hat vor kurzem erklärt, sie würden in den nächsten Monaten damit beginnen, Investitionen in Höhe von
3 Milliarden Euro zu tätigen. Rauch würde aus den
Schornsteinen aufsteigen und Arbeitsplätze würden entstehen. Warum tut Eon das doch nicht? - Sie tun es
nicht, weil Sie mit dem Energiewirtschaftsgesetz nicht
vorankommen und die Bedingungen nicht klar sind. Sie
hatten versprochen, dass das Gesetz bis zum 1. Juli letzten Jahres fertig sein sollte. Danach sollte es bis zum
1. Januar dieses Jahres fertig sein. Jetzt sollte es bis Ende
Februar fertig sein. Es ist kein Ende in Sicht. Deshalb
wird das vorrätige Geld nicht in die Hand genommen. Es
passiert nichts. Sie kommen nicht voran und neue Arbeitsplätze werden nicht geschaffen.
({23})
Ich komme zu einem anderen bitteren Kapitel, nämlich den Dienstleistungen.
({24})
Die Dienstleistungsrichtlinie ist das eine, das eigentliche
Problem - lassen Sie mich das sagen - ist aber die
Dienstleistungsfreiheit, die Grundlage des Ganzen. Warum verlieren plötzlich 10 000 bis 20 000 Schlachter ihren Arbeitsplatz und werden durch Billigarbeiter ersetzt?
- Das geschieht, weil Sie die Ausnahmen entgegen unseren Ratschlägen damals nicht richtig gefasst haben. Das
ist der entscheidende Grund.
({25})
Ich sage Ihnen an dieser Stelle abschließend: Bevor
Sie die illegale Einreise von Arbeitskräften durch eine
laxe Visapraxis zulassen,
({26})
sollten Sie sich lieber um die legalen Arbeitsplätze in
Deutschland und den Schutz derjenigen, die ein legales
Arbeitsplatzverhältnis haben, kümmern.
({27})
Ich erteile das Wort Kollegin Thea Dückert, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Singhammer, wir nehmen Ihren Antrag ernst. Das
gehört sich so im parlamentarischen Verfahren. Ich
nehme aber auch Ihre Rede ernst. Ihre Rede war wirklich
ein beredetes Beispiel dafür, wie überflüssig und unsinnig Ihr Antrag ist.
({0})
Am Anfang Ihrer Rede haben Sie zur Beschreibung
des Arbeitsmarktes eine Zahl nach der anderen zitiert.
Woher haben Sie diese Zahlen genommen, Herr
Singhammer? Haben Sie sie selbst geschrieben? - Nein.
Sie haben sie aus den beklagten Statistiken genommen.
Ich will damit sagen: All die Punkte, die Sie in Ihrem
Antrag einfordern - Ausweisung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, der Trainingsmaßnahmen usw. -, sind
in den Statistiken enthalten.
({1})
Sie werden dokumentiert und Sie haben die Zahlen genutzt, um die Arbeitsmarktsituation zu beschreiben.
Nein, dieser Vorwurf der Verschleierung durch die Bundesregierung, der in Ihrem Antrag enthalten ist, ist
schlicht und einfach unverfroren.
({2})
Sie haben ein wirklich merkwürdiges Kurzzeitgedächtnis. Vor sechs Wochen haben wir Hartz IV eingeführt. 150 000 bis 200 000 Menschen sind dadurch zu
Recht als Arbeitslose in die Statistik aufgenommen worden. Diese Langzeitarbeitslosen waren über Jahrzehnte
hinweg in den Statistiken überhaupt nicht zu sehen; ihre
Zahl wurde verschleiert. Noch viel schlimmer ist - die
Statistiken sind das eine, wie es den Menschen geht, ist
das andere -, dass diese Menschen mit einer aktiven Arbeitsmarktpolitik überhaupt nicht in Berührung gekommen sind.
({3})
Wir haben sie in die Statistik und vor allem in die aktive
Arbeitsmarktpolitik aufgenommen. Darum geht es.
({4})
Sie leiden unter einem kollektiven Gedächtnisschwund und haben vielleicht sogar selbst den Versuch
zur systematischen Manipulierung von Datenmaterial
unternommen. Ihr Verhalten hängt immer von der Perspektive ab, die Ihnen gerade recht ist. Perspektive der
Regierung Kohl zu Oppositionszeiten: Es wurden mal
eben 150 000 Wahlkampf-ABM aufgelegt und Sie wussten sehr wohl - das haben Sie ja selbst bewirkt -, dass
die Teilnehmer an diesen Maßnahmen nicht in der Statistik auftauchten.
Perspektive Opposition unter Frau Merkel: Sie verlangen von uns, die stille Reserve in die Statistik aufzunehmen. Die Daten bezüglich der stillen Reserve, die Sie
gerade genannt haben, waren allerdings ein bisschen
nach oben gerechnet,
({5})
aber egal. Die Daten sind dokumentiert, auch wenn das
schwierig ist. Heute ist es Ihnen genehm, dies zu fordern. Allerdings stellt sich mir dann, wenn Sie die stille
Reserve in die Statistik aufnehmen wollen, die Frage, wo
die 5 Millionen Arbeitsplätze zu finden sind, die der
Schwarzarbeit zuzuordnen sind. Darüber reden Sie nicht.
Sie machen hier eine unseriöse Hin- und Herinterpretiererei.
({6})
Ihre Forderungen sind auch deshalb dreist, weil Sie
selber mit Zahlen, Daten und Fakten in einer Weise umgehen, die zum Teil wirklich unappetitlich ist. Ich will
Ihnen dafür ein aktuelles Beispiel nennen. Herr
Laumann hat sich vor kurzem zur Schwarzarbeit im Zusammenhang mit der Visavergabe geäußert. Was wird
behauptet? Es wird verkündet, dass durch die Visaerlasse 600 000 Schwarzarbeiter aus den GUS-Staaten
zu uns gekommen seien,
({7})
wodurch pro Jahr ein Schaden von mehreren Milliarden
Euro entstanden sei. Dabei beruft sich Herr Laumann auf
Untersuchungen von Professor Friedrich Schneider.
Die Untersuchungen von Professor Friedrich
Schneider besagen Folgendes:
Erstens. Wir haben in den letzten Jahren nachhaltig
und nachweisbar einen Rückgang der Schwarzarbeit in
Deutschland zu verzeichnen.
({8})
Zweitens. Er belegt, dass dieser Rückgang ein Erfolg
der Reformpolitik dieser Bundesregierung ist, sowohl im
Bereich des Arbeitsmarktes - beispielsweise Minijobs
oder Existenzgründungen - als auch bei der Bekämpfung der illegalen Schwarzarbeit durch unsere Gesetze.
Wir sind bei der Bekämpfung der Schwarzarbeit erfolgreich.
Drittens. Herr Schneider zeigt auf, dass der größte
Teil der Schwarzarbeit von Inländern gemacht wird und
dass von den etwa 5 Millionen „Vollzeitstellen“ in der
Schwarzarbeit etwa 100 000 von ausländischen Kräften
besetzt werden.
Laumann behauptet in dieser Woche, dass
600 000 Menschen über die GUS-Staaten eingereist
seien. Er behauptet auch, dass dadurch der Volkswirtschaft ein Schaden in Höhe von über 10 Milliarden Euro
entstanden sei. Das, was er verbreitet, ist eine unglaubliche Unwahrheit.
({9})
Gleichzeitig entsteht dadurch ein politischer Schaden;
denn damit werden die Bürgerinnen und Bürger aus den
GUS-Staaten, die zu uns reisen, unter Kollektivverdacht
gestellt.
({10})
Zu Recht hat sich Herr Schneider gestern an die
Presse gewandt und Herrn Laumann aufgefordert, seine
Daten und wissenschaftlichen Untersuchungen nicht
mehr für seine politischen Parolen zu missbrauchen. Sie
reden hier über eine Neugestaltung der Statistiken, aber
Sie sind diejenigen, die Zahlen, Daten und Fakten so
auslegen, wie es Ihnen in Ihr politisches Konzept passt.
({11})
Reden wir einmal über Menschen, die nicht als Arbeitslose in der Statistik auftauchen, nämlich Zahlen betreffend die Ich-AGs. Erste Ergebnisse liegen vor:
80 Prozent der Menschen befinden sich auch nach einem
Jahr noch in einer Ich-AG.
({12})
Sie behaupten, dass diese Projekte fehlgeschlagen sind.
({13})
Wir wissen heute, dass etwa 10 Prozent der Menschen
wieder arbeitslos werden. Wir wollen, dass die Menschen in Deutschland gerade in einer so schwierigen arbeitsmarktpolitischen Situation den Mut haben, den Weg
in die Selbstständigkeit anzutreten. Deswegen fördern
wir sie durch Ich-AGs und bei Existenzgründungen. Was
machen Sie mit Daten, die statistisch nachweisen, dass
diese Projekte gut laufen? Sie interpretieren sie um. Ich
habe keine Lust, mit Ihnen vor diesem Hintergrund noch
einmal über statistische Klarheit und Wahrheit zu reden.
({14})
Was wir machen müssen, ist, die Chance zu nutzen,
die uns die Hartz-IV-Reformen bringen; das ist richtig.
Wir müssen mithilfe der Arbeitsmarktpolitik verstärkt
fördern, beraten und helfen, die Menschen wieder zu integrieren. Ich sage es noch einmal: Die Arbeitsmarktzahlen - sie liegen auf dem Tisch, Herr Singhammer - sind
unbefriedigend; das ist völlig klar. Aber - auch das ist
wahr - wir haben mit unseren Arbeitsmarktreformen
darauf reagiert und wir werden die Chancen, die sich ergeben, nutzen, zum Beispiel mit der Jugendhilfe, die den
Jugendlichen vor Ort mit verstärkten Anstrengungen und
einer besseren Kooperation Perspektiven eröffnet. Auch
die Binnenkonjunktur ist noch schwach.
Deswegen ist es wohl an der Zeit, dass wir den Kommunen zum Beispiel über die KfW helfen, Investitionen
zu tätigen. Ich bin aber nicht dafür - das betrifft auch die
heutige Debatte -, nach sechs Wochen Hartz IV schon
über Detailänderungen zu reden.
({15})
Das aber fordern Sie ein und auch die Gewerkschaften
zum Beispiel fordern das ein.
Ich habe gestern mit Erstaunen gelesen, dass vor Änderungen im Zusammenhang mit der Arbeitsmarktpolitik gewarnt wird. Es wird davor gewarnt, dass wir bei
den Zuverdiensten Verbesserungen einführen. Ich halte
das für einen völlig falschen Weg der Gewerkschaften.
Unsere Arbeitsmarktpolitik ist auf Integration ausgerichtet. Wenn heute Langzeitarbeitslose keinen Job auf dem
ersten Arbeitsmarkt finden, selber aktiv werden und sich
selber einen Zuverdienst suchen, dann ist es nach meiner
Ansicht nicht gerecht, dass jemand von einem Zuverdienst von beispielsweise 400 Euro nur 57 Euro behalten
kann.
({16})
Ich glaube, dass das nicht weiterhilft. Ich bin übrigens
froh, dass Frau Merkel Herrn Koch und Herrn Wulff von
der Bremse geholt hat; denn dass das heute so ist, haben
Sie von der Union zu verantworten, weil Sie im Vermittlungsausschuss auf der Bremse standen. Wir wollten etwas anderes machen, weil wir auf Integration setzen.
Ich komme zum Schluss. Der Zuverdienst ist auch für
die Menschen, die keine Beschäftigung auf dem ersten
Arbeitsmarkt haben, ein wichtiger Baustein. Für meine
Begriffe hat das mit Detailänderungen nichts zu tun; das
ist vielmehr die Verstärkung dessen, was wir wollen. Wir
wollen den Menschen Brücken bauen und ihnen in den
ersten Arbeitsmarkt verhelfen. Das wollen wir durch
eine fortschrittliche Wirtschaftspolitik flankieren.
Danke schön.
({17})
Ich erteile das Wort Kollegen Dirk Niebel, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Arbeitslosenstatistik ist über die Jahrzehnte hinweg, übrigens unabhängig davon, wer regiert
hat, zum politischen Kampfmittel verkommen. Wofür
brauchen wir denn eigentlich eine Arbeitsmarktstatistik?
Sie sollte uns doch normalerweise das Ausmaß der Unterbeschäftigung in einem Land aufzeigen, damit wir auf
dieser Grundlage die richtigen politischen Entscheidungen treffen können. Sie sollte uns eine Hilfestellung dafür geben, entscheiden zu können, welche politischen
Maßnahmen eingeleitet werden müssen, um Unterbeschäftigung abzubauen und Beschäftigung aufzubauen,
um Investitionen und Wachstum zu ermöglichen und dadurch auch die Einnahmen der sozialen Sicherungssysteme zu verbessern.
({0})
Nichts von alledem macht die jetzige Arbeitslosenstatistik. Ich will nicht die Zahlen wiederholen, die der Kollege Singhammer genannt hat. Aber das Ausmaß der
Unterbeschäftigung in Deutschland ist höher als die Anzahl der registrierten Arbeitslosen. Das weiß auch jeder.
Auch weiß jeder, dass derjenige, der in einer Trainingsmaßnahme ist, zum Beispiel in einem vierzehntägigen
Bewerbertrainingsseminar, selbstverständlich immer
noch arbeitslos ist. Jeder weiß, dass eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme kein reguläres sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis ist, selbst wenn der
Mensch, der in dieser Maßnahme ist, individuell das Gefühl hat, einen Arbeitsplatz zu haben. Es ist aber kein
wirklicher Arbeitsplatz. Es besteht auch während einer
derartigen Maßnahme immer noch der Vorrang der Vermittlung, sodass man nach Recht und Gesetz jederzeit
eine Maßnahme abbrechen müsste, um einen ungeförderten regulären Arbeitsplatz anzunehmen. Daher machen wir uns mit den Zahlen, die hier regelmäßig vorgelegt werden, schlichtweg etwas vor. Sie bilden keine
anständige Entscheidungsgrundlage für politische
Weichenstellungen. Deswegen müssen wir sie verändern.
Es lohnt sich nicht, sie so zu verändern, wie Sie es
vorhaben. Sie wollen die Arbeitslosenstatistik der Bundesagentur für Arbeit neben die der Internationalen Arbeitsorganisation stellen, die noch dazu einen anderen
Monat beleuchtet, sodass der unbedarfte Leser vielleicht
gar nicht mehr weiß, worum es geht. Die Statistik der
Internationalen Arbeitsorganisation macht vor allem
eines: Sie zählt denjenigen nicht als Arbeitslosen, der
eine Stunde in der Woche arbeitet.
Nun mag es Regionen in der Welt geben, wo es wichtig ist, eine Stunde in der Woche zu arbeiten, aber in unseren Regionen dient Erwerbsarbeit doch in aller Regel
dazu, den Lebensunterhalt zu gewährleisten. Den Stundenlohn hätte ich schon gerne, der das bei einer Stunde
Arbeit pro Woche gewährleistet. Das ist vielleicht ein Instrument, das die internationale Vergleichbarkeit herstellt, das aber nicht das Problem löst und uns keine
Handlungsanweisung für politische Entscheidungen mitgibt.
({1})
Ich möchte mit den Gerüchten aufräumen, die immer
wieder gestreut werden, nämlich dass die Sozialhilfeempfänger neu in die Statistik aufgenommen worden
seien. Jeder weiß doch, dass die Sozialämter flächendeckend in der Bundesrepublik ihre Hilfeempfänger zur
Agentur für Arbeit bzw. damals noch zum Arbeitsamt
geschickt haben mit der Auflage, sich Arbeit suchend zu
melden und eigene Bemühungen nachzuweisen. Jeder
weiß doch, dass auch Sozialhilfeempfänger durch das
Programm „Hilfe zur Arbeit“ gefördert worden sind. Jeder weiß, dass es Verschiebebahnhöfe dergestalt gab,
dass Sozialämter jemanden mit Lohnkostenzuschüssen
exakt 360 Tage in Arbeit gebracht haben, weil anschließend die Agentur für Arbeit zuständig wurde, aber auch
in der Form, dass Sozialhilfeempfänger vom Arbeitsamt
nicht für geeignete Arbeitsplätze vorgeschlagen wurden,
weil sie vermeintlich günstiger waren; denn sie haben
dort keine Leistungen bezogen.
Diese Verschiebebahnhöfe wollten wir mit Hartz IV
abschaffen. Die Bundesregierung ist schuld,
({2})
dass wir das nicht geschafft haben, weil keine einheitliche Trägerschaft zustande gekommen ist. Diese Regierung hat verhindert, dass die Trägerschaft einheitlich bei
den Kommunen liegt und keine Verschiebebahnhöfe
mehr entstehen können.
Jetzt versteckt sich der Minister hinter Ausflüchten.
Im letzten Monat hat er noch darauf hingewiesen, dass
die Statistik nun aber wirklich ehrlich sei. Jetzt stellt er
fest, dass sich die hohe Zahl von 5 037 142 als arbeitslos
registrierten Einzelschicksalen aus Komakranken, Querschnittsgelähmten, Drogensüchtigen und Beinamputierten zusammensetzt.
({3})
Wenn sich der Minister hinter derartigen Ausflüchten
vor seiner Verantwortung versteckt, dann ist das ein
Skandal! Das ist schäbig!
({4})
Der Minister hat doch selbst die Kriterien für Erwerbsfähigkeit festgelegt. Nach der rentenrechtlichen
Regelung ist das derjenige, der drei Stunden am Tag arbeiten kann. Das kann auch der HIV-Infizierte sein,
wenn die Krankheit noch nicht ausgebrochen ist, Kollegin Dückert. Das kann auch ein Mensch sein, dem beide
Oberschenkel amputiert wurden, wenn auch nicht als
Langstreckenläufer. Auch jemand, der krank ist oder an
einer Substitutionstherapie teilnimmt, kann arbeiten.
Derartige Therapien sehen Arbeit sogar als Bestandteil
der Therapie an. Aber der Minister tut so, als ob die Zahlen, die er zu verantworten hat, durch die Bösartigkeit
der Kommunen zustande kämen. Das ist ein Skandal.
({5})
Ein weiterer Skandal besteht darin, dass der Minister
immer noch nicht in der Lage ist, die Bundesagentur in
den Griff zu bekommen.
({6})
Herr Weise schlägt vor, dass 55-Jährige und Ältere nicht
mehr vermittelt werden sollen. Das erinnert mich massiv
an das Vermittlungsverfahren Ende 2003, an dem auch
Sie beteiligt waren, Frau Roth. Erinnern Sie sich noch,
welches Kriterium Herr Gerster hinsichtlich der Frage
vorgeschlagen hat, wer erwerbsfähig ist? Er hat das Kriterium der Arbeitsmarktnähe bzw. -ferne vorgeschlagen.
Ein älterer, kranker oder schlecht qualifizierter Mensch
ist arbeitsmarktferner als ein junger, gesunder oder gut
qualifizierter. Dass Herr Weise jetzt dasselbe Kriterium
in Bezug auf ältere Menschen in Ostdeutschland vorschlägt, stellt den Versuch dar, die Statistik durch die
Hintertür wieder zu entlasten, indem ganze Bevölkerungsgruppen aus den Vermittlungsaktivitäten der öffentlichen Hand ausgegrenzt werden. Das ist unsozial,
dreist und nichts anderes als Trickserei.
({7})
Eine solche Trickserei hat auch der Minister betrieben, um seinen Haushalt noch einigermaßen verfassungskonform erscheinen zu lassen, indem er beim ALG II die
Zahlen der Ablehnungsquote hochgerechnet und die der
Hilfeempfänger heruntergerechnet hat. Denn er wusste
schon bei der Aufstellung des Haushalts, dass das Parlament betrogen wurde und dass der Haushalt verfassungswidrig ist.
In der gesamten Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung kommt eher Lug und Trug zum Ausdruck als
das Bedürfnis, Wachstum, Innovation und Impulse für
neue Beschäftigung in diesem Land zu schaffen.
Vielen Dank.
({8})
Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Gerd
Andres das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Verehrter Herr Kollege Niebel, ich empfehle Ihnen dringend, Ihre Begriffswahl und Ausdrucksweise ein
bisschen abzurüsten.
({0})
Ich nenne das schäbig, was Sie Minister Clement unterstellt haben.
({1})
Vergangenen Freitag war ich in Heidelberg, wo Sie
herkommen. Dort hat mir der AOK-Landesvertreter im
Kreishaus eine Liste von Personen überreicht, die inzwischen als arbeitsfähig angesehen werden. Darunter befindet sich beispielsweise der tragische Fall eines beinamputierten Dialysepatienten, der gegenwärtig in einer
Klinik liegt. Sie werden doch nicht allen Ernstes behaupten, dass ein solcher Mensch arbeitsfähig ist.
({2})
- Bleiben Sie ganz ruhig! Ich sage Ihnen offen: Es gibt
eine ganze Menge solcher Fälle, über die auch in der
Presse berichtet wird. Wir werden mit den Vertretern der
kommunalen Spitzenverbände darüber reden, dass diese
Fälle nicht in die Statistik gehören und dass die Betroffenen nicht als erwerbsfähig registriert werden können,
weil sie es nun einmal nicht sind. Das hat im Übrigen
mit der rentenrechtlichen Definition der Erwerbsfähigkeit, wonach jemand, der drei Stunden arbeiten kann, als
erwerbsfähig gilt, zunächst einmal gar nichts zu tun.
Damit sind wir beim zweiten Problem. Wir diskutieren zum zweiten Mal über einen Antrag, den man laut
Kollegin Dückert ernst nehmen sollte. Aber jeder, der
den Antrag liest, wird an der Ernsthaftigkeit relativ
schnell zweifeln. Wir haben schon im September vergangenen Jahres lange Zeit damit zugebracht, über dieses wunderbare Schriftstück gemeinsam zu diskutieren.
Herr Kollege Singhammer, ich weise Ihre Behauptung
entschieden zurück, ich hätte mich über 8 Millionen Arbeitslose lustig gemacht. Lustig mache ich mich über
Ihre Ausführungen in den Debatten
({3})
und über manches, was Sie kühn vertreten.
Sie haben mich mit den 8 Millionen Arbeitslosen
richtig zitiert. Das möchte ich betonen; denn alles andere
hilft nichts. Ich möchte Ihnen einmal sagen - das ist
während Ihrer Regierungszeit beschlossen und von uns
mitgetragen worden; das ist unumstritten -, wen wir gegenwärtig als arbeitslos registrieren. Arbeitslos ist nach
SGB III, wer zur sofortigen Arbeitsaufnahme verfügbar
ist, sich bei einer Agentur für Arbeit gemeldet hat und
gleichzeitig keiner Erwerbstätigkeit nachgeht oder aber
weniger als 15 Stunden pro Woche arbeitet. Derjenige,
auf den diese Definition zutrifft, wird als arbeitslos registriert, wenn er denn die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt. Natürlich können Sie nun alle auflisten.
Mein Minister hat - um der Debatte den Wind zu nehmen - selbst gesagt: Es ist richtig, dass im letzten Monat
5,037 Millionen Arbeitslose registriert worden sind. Eigentlich muss man noch viele hinzurechnen, die in Maßnahmen stecken. Ein Beispiel: 330 000 Personen sind in
der Existenzgründungsförderung. Diese gründen eine
Ich-AG oder nehmen Überbrückungsgeld in Anspruch,
weil sie sich selbstständig machen. Hätten Sie es gerne,
wenn wir diese in der Arbeitslosenstatistik aufführten?
Ein weiteres Beispiel: Im Januar dieses Jahres haben
88 000 Menschen, die einer geregelten achtstündigen
Arbeit nachgehen, Lohnkostenzuschüsse erhalten. Sollen diese Menschen als arbeitslos registriert werden,
obwohl sie beschäftigt sind? Können Sie mir einmal erklären, warum Sie eine solche Unsinnsdebatte heraufbeschwören?
Ich habe den Eindruck, dass hier Anträge gestellt werden, nur um irgendwelche Diskussionen vom Zaum zu
brechen, die gar nicht hierher gehören. Die in dem Antrag der CDU/CSU aufgeführten Gruppen an Personen,
deren Zahl zu der bisherigen Zahl der Arbeitslosen addiert werden soll, sind regelmäßig nicht verfügbar, weil
sie entweder verrentet sind, im Vorruhestand oder in
Weiterbildungsmaßnahmen sind oder weil sie einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Auch Menschen, die in einer
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme sind, die also regelmäßig jeden Tag zur Arbeit gehen, kann man nicht als arbeitslos registrieren. Was wollen Sie eigentlich?
({4})
Herr Niebel hat behauptet - auch hier empfehle ich
mehr Sachlichkeit und Abrüstung -, nun werde nach den
statistischen Kriterien der ILO gezählt und danach gelte
jeder, der nur eine Stunde arbeite, als nicht arbeitslos.
Darf ich Sie darauf hinweisen, dass viele unserer Nachbarländer das genauso machen
({5})
und dass die Zählung nach ILO-Kriterien völlig richtig
ist. Wir haben in der Zwischenzeit die statistischen Voraussetzungen verändert, und zwar - entgegen der Behauptung von Herrn Niebel - mit Zustimmung des Bundesrates. Wir werden künftig die Arbeitslosigkeit nach
einem anderen Verfahren messen, wonach 30 000 Menschen befragt werden. Am 1. März dieses Jahres werden
zum ersten Mal die mithilfe dieses Verfahrens ermittelte
Arbeitslosenquote und Arbeitslosenzahl öffentlich mitgeteilt. Damit sich niemand aufregen muss, werden wir
- wir sorgen für Transparenz, damit klar ist, worüber wir
reden - die bisher übliche Statistik neben der ILO-Erhebung veröffentlichen. Wir bieten also zwei Parameter an,
mit denen man das Problem der Arbeitslosigkeit und der
Unterbeschäftigung sowie die Beschäftigung genauer
bewerten kann. Ich sage ausdrücklich, dass Herr Niebel
mit seinen Einleitungsbemerkungen Recht hat:
({6})
Um das Problem vernünftig lösen zu können, muss man
die Tatbestände kennen.
Damit komme ich zum dritten Problem. Unsinnigerweise wird von uns gefordert, endlich die Erwerbstätigen in den Mittelpunkt der Statistik zu stellen. Herzlichen Glückwunsch! Das habe ich in der letzten Debatte
schon Herrn Fuchs gesagt. Herr Singhammer, Sie entblöden sich nicht, das hier zu wiederholen. Jeder, der die
Statistik anschaut, stellt fest, dass sie die Erwerbstätigenzahlen enthält; man kann sie also da nachlesen. Die
Bundesregierung sorgt jetzt sogar dafür - das wiederhole
ich ausdrücklich -, dass die Erwerbstätigenzahlen früher
zur Berechnung der Statistik herangezogen werden.
Nach dem bisherigen Verfahren wurden sie immer mit
zwei- oder dreimonatiger Verspätung berücksichtigt.
Jetzt wird umgestellt: Die jeweils aktuellen Zahlen werden nach einem Monat in der Statistik enthalten sein.
In dieser Debatte über die Arbeitsmarktstatistik geht
es Ihnen um etwas ganz anderes: Sie haben diesen Antrag eingereicht, damit in der Kernzeit eine Debatte zu
einem bestimmten Thema geführt wird.
({7})
Da wird zwar nichts Neues gesagt und auch die Fakten
werden nicht zur Kenntnis genommen; aber man kann
öffentlich über das diskutieren, was einem gerade so
passt.
({8})
Ich sage Ihnen ganz offen: Ich glaube, dass Sie die
Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger zur Politik mit
dieser Vorgehensweise nicht vergrößern; dadurch nimmt
sie vielmehr ab.
Zu den Zwischenrufen möchte ich sagen: Wir, diese
Bundesregierung, haben die Zusammenlegung von
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe durchgesetzt.
({9})
Wir zählen jetzt richtig und ordentlich. Sozialhilfeempfänger werden in die Arbeitslosenstatistik aufgenommen
- wir haben das durchgesetzt -: Im letzten Monat waren
es über 200 000 Menschen mehr, die in der Arbeitslosenstatistik erscheinen. Aber damit ist - auch das muss
klar sein - die Arbeitslosigkeit nicht gestiegen; vielmehr
gelten jetzt Menschen in der Statistik als arbeitslos, die
schon vorher arbeitslos waren. Was wollen Sie eigentlich? Sie haben die Kraft, das zu machen, doch überhaupt nicht aufgebracht.
({10})
Wir machen das. Wir halten das für richtig und wir stehen auch dazu.
Es ist völlig richtig, dass dieser Antrag keine Mehrheit bekommt und abgelehnt wird; denn ihn anzunehmen
wäre eine zusätzliche Verhöhnung derjenigen, über die
wir hier diskutieren. Das, was wir als Bundesregierung
machen, kann sich sehen lassen und wir stehen auch
dazu.
Schönen Dank.
({11})
Ich erteile das Wort Kollegin Petra Pau.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
diskutieren heute über den Sinn oder Unsinn von Statistiken. Konkret geht es um die registrierten Arbeitslosen.
Sie kennen das berühmte Zitat, wonach nur Statistiken
zu trauen ist, die man selbst gefälscht hat. Deshalb interessiert mich die Statistikdebatte nur zweitrangig.
({0})
Für die PDS im Bundestag sind das Schicksal und die
Zukunft der 5 bis 9 Millionen von Arbeitslosigkeit Betroffenen wichtiger als ihre Erfassung.
Allerdings sage ich auch: Die CDU/CSU-Regierung
hat das Ausmaß der Arbeitslosigkeit immer verschleiert.
Sie wollte nicht wahrhaben und vor allem nicht offenbaren, dass ihre Arbeitsmarktpolitik gescheitert war.
({1})
Ich erinnere mich noch sehr gut an Vorwürfe aus der
CDU/CSU, wonach die Arbeitslosigkeit in den neuen
Bundesländern auch deshalb so hoch sei, weil die Frauen
im Osten gleichberechtigte Arbeit begehrten, während
die Frauen im Westen wohltuend abstinent seien. Das
zeigt nur, wie ideologisch mit Statistiken gespielt wird.
Die Arbeitslosenstatistik von Rot-Grün ist ehrlicher. Sie kommt der Wahrheit näher, allerdings ohne sie
wirklich zu erfassen. In einem der reichsten Länder dieser Welt, in einem der wirtschaftlich stärksten Länder
dieser Welt und in einem der ehrgeizigsten Länder dieser
Welt nehmen Arbeitslosigkeit und Armut dramatisch zu.
Das ist ein Widerspruch. Die Statistik belegt ihn und das
ist gut. Aber die Politik befördert diesen Widerspruch
und das ist schlecht.
({2})
Im Gegensatz zu Rot-Grün habe ich für die PDS
schon im Jahr 2002 gesagt: Die ganze Hartz-Prahlerei
wird nicht weniger Arbeitslose bringen, sondern mehr
arme Arbeitslose nebst Angehörigen. Die aktuelle Statistik und meine alltägliche Erfahrung geben mir - leider Recht. Deshalb wiederhole ich: Wer den Binnenmarkt
schwächt, wer reiche Unternehmen aus der Sozialpflicht
entlässt, der handelt sozial ungerecht und wirtschaftlich
unsinnig.
({3})
Das sage ich übrigens auch mit Blick auf die CDU/
CSU. Wer unentwegt längere Arbeitszeiten und niedrigere Löhne fordert, der bekämpft die Arbeitslosigkeit
nicht, sondern er befördert sie. Wer eine Steuerpolitik
fordert, bei der Wohlhabende entlastet und die Kommunen belastet werden, mindert nicht die Arbeitslosigkeit,
sondern gibt ihr neue Nahrung.
Aus all diesen Gründen lehnt die PDS den vorliegenden
Antrag ebenso ab wie die Agenda 2010 nebst Hartz IV.
Wir werben stattdessen für eine „Agenda Sozial“.
({4})
Ich erteile Kollegen Wolfgang Meckelburg, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mir auch diesmal nicht verkneifen, etwas
anzumerken, Herr Staatssekretär. Ich möchte übrigens
fast sagen „Regierung Andres“; denn Sie sind bei dem
wichtigen Thema auf der Regierungsbank richtig allein.
Auch angesichts dieses Alleinseins finde ich: Wenn Sie
hier reden, geht immer so ein starker Hauch von Arroganz und Besserwisserei durchs Plenum.
({0})
Das ist meines Erachtens dem Thema nicht angemessen.
Warum kann man nicht einmal sachlich über ein paar
Punkte reden?
({1})
Sie treten hier als Besserwisser auf. Das ist nicht die
Art, die die Menschen draußen erwarten. Sie unternehmen den Versuch, alles schönzureden, und sagen: Alles
ist in Ordnung; das kann sich sehen lassen. - So haben
Sie es gerade wörtlich gesagt. Angesichts dessen frage
ich mich, warum Sie die letzten zehn Landtagswahlen
nacheinander verloren haben. Die Menschen draußen
scheinen das anders zu sehen. Das Thema Arbeitslosigkeit ist das Thema Nummer eins und müsste auch für die
Bundesregierung, die hier so voll präsent ist, Thema
Nummer eins sein. Vielleicht geben Sie das an das Kabinett weiter, Herr Staatssekretär.
({2})
Wir reden hier über die Arbeitslosenstatistik. Es geht
um die Frage, ob wir miteinander über registrierte Arbeitslosigkeit, verdeckte Arbeitslosigkeit, stille Reserve,
von mir aus auch Schwarzarbeit reden können. Es geht
darum, das einmal zusammen in den Blick zu nehmen,
weil es da ja Gemeinsamkeiten gibt. Die Betroffenen
sind nicht im richtigen Markt, weil sie Schwarzarbeit
machen, oder sie sind nicht im richtigen Markt, weil sie
in Maßnahmen sind, oder sie sind nicht im richtigen
Markt, weil sie sich nicht trauen, sich zu bewerben, weil
sie keine Chancen sehen; das ist die stille Reserve. Ein
paar davon, so sage ich einmal - zurzeit sind es
5,037 Millionen -, sind statistisch registriert. Das ist das
Einzige, was die Betroffenen unterscheidet. Es ist doch
wohl angezeigt, sich einmal darüber zu unterhalten, ob
das alles so sinnvoll ist.
({3})
Wir führen hier eine Statistikdiskussion, während die
Arbeitslosigkeit, auch die registrierte Arbeitslosigkeit,
den Höchststand in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland erreicht hat, Frau Roth.
({4})
Es sind 435 000 mehr als im selben Monat des Vorjahres. Es sind 573 000 mehr als im letzten Jahr. Sie können
das alles nicht mit der Umsetzung von Hartz IV erklären.
({5})
- Natürlich nicht! Die Zahlen wären auch so nach oben
gegangen. Es sei Ihnen aber zugestanden, dass das hinzukommt.
({6})
Sie haben durch das, was da passiert, auf dem Arbeitsmarkt - den Eindruck habe ich jedenfalls -, ein totales
Chaos angerichtet.
({7})
Spätestens an der Stelle muss man den Mut haben,
einfach einmal zurückzublicken und zu fragen, wie denn
der Bundeskanzler Gerhard Schröder hier angetreten ist.
In der Regierungserklärung 1998, zu Beginn der sechs
Jahre, die wir jetzt hinter uns haben, hieß es:
Wir wollen uns jederzeit daran messen lassen …, in
welchem Maße wir zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beigetragen haben.
Bei diesem Höchststand habe ich nicht den Eindruck,
dass Sie einen großartigen Beitrag zur Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit geleistet haben.
({8})
Dann gab es die Aussage, dass man zum Ende der letzten Legislaturperiode hin bei 3,5 Millionen registrierten
Arbeitslosen sein wollte. Auch daran muss man doch zumindest erinnern können.
Die Verantwortung für die Arbeitslosigkeit hat der
Bundeskanzler längst abgegeben. Die Sache scheint ihm
zu heiß geworden zu sein. Er hat den Mantel der Verantwortung in die Garderobe von Wirtschaftsminister
Clement gehängt und ausdrücklich gesagt: Du bist für
den Arbeitsmarkt und für Hartz IV zuständig.
({9})
Man muss sich das einmal vorstellen: Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland ist nicht bereit, die
Hauptverantwortung dafür zu übernehmen, dass sich auf
dem Arbeitsmarkt endlich etwas bewegt. Das müsste für
ihn Thema Nummer eins sein. Er müsste bei einer solchen Debatte hier sein.
({10})
Herr Clement hat zu Beginn dieses Jahres zur Umsetzung der Hartz-Reform, also der Zusammenführung von
Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe, gesagt: Jetzt kommt
die Wahrheit ans Licht. Die Zeit der Dunkelziffern und
Verschiebebahnhöfe ist vorbei. - Es ist drei, vier, fünf
Wochen her, dass er das gesagt hat. Ich habe im Moment
den Eindruck: Die Dunkelziffer wird wieder etwas größer.
({11})
Angesichts des Streits mit den Kommunen
({12})
und der Diskussion darüber, ob man ältere Langzeitarbeitslose in Ostdeutschland mit etwas anderem bedienen soll, habe ich nicht den Eindruck, dass die Zeit der
Verschiebebahnhöfe vorbei ist. Hier ist wieder Verschieberei in großem Maße im Gange.
({13})
Lassen Sie mich auch zum eigentlichen Thema noch
einige Sätze sagen. Wir wollen ja hier über die Statistik
reden,
({14})
auch wenn wir bisher über alles Mögliche geredet haben,
was den Arbeitsmarkt betrifft: Was spricht denn dagegen, dass man sich einmal ernsthaft die Mühe macht
- das ist der Kernpunkt unseres Antrages -, die wirkliche Unterbeschäftigung festzustellen?
({15})
Sicherlich findet man viele Zahlen. Ich habe mich in den
letzten zwei Tagen immer dann, wenn ich Zeit hatte, mit
den Statistiken auseinander gesetzt. Wir haben so viele
Zahlen, dass keiner mehr weiß, welche richtig und wichtig sind.
({16})
Ich will damit nicht sagen, dass die nicht alle notwendig
sind. Warum bringen wir aber nicht die Kraft auf, einmal
wirklich über das Thema Unterbeschäftigung zu reden
({17})
und hierbei nicht nur über die Kategorie registrierter Arbeitsloser, sondern auch über die Menschen in Maßnahmen? Selbst der Sachverständigenrat redet ja davon,
dass es sich hierbei um eine Form verdeckter Arbeitslosigkeit handelt.
Lassen Sie uns also auch einmal darüber reden, statt
in diesem Bereich nur mit Verschiebebahnhöfen zu arbeiten. Gerade im letzten Jahr haben Sie Menschen, die
Trainingsmaßnahmen absolvieren, also klassische Maßnahmen, durch die man auf den Eintritt in den ersten Arbeitsmarkt vorbereitet wird, aus der Statistik herausgenommen. Dabei suchen diese Menschen natürlich
Arbeit. Sie bereiten sich ja gerade darauf vor, wieder
eine Arbeit aufzunehmen. Sie aber sagen, weil sie sich in
einer Maßnahme befinden, zählen sie nicht. Es muss
endlich damit aufgehört werden, mit einer solchen Art
von Verschiebebahnhöfen zu arbeiten.
Noch einige Stichworte zu den Zahlen. Ich habe mir
hier die Frage aufgeschrieben: Haben wir schon eine Unterbeschäftigung in einer Größenordnung von 9 Millionen?
({18})
- Sehen Sie, das habe auch ich mir gedacht. - Sie finden
inzwischen aber solche Aussagen, weil wir nicht den
Mut haben, einmal alle Zahlen zusammenzuführen. Sie
finden in dieser Woche in der „Welt“ unter der Überschrift „Die Statistik trügt“ ein Beispiel. Da wird versucht, alles zusammenzuzählen; dabei kommt der Autor
auf 9 Millionen.
({19})
- Auch die „Süddeutsche Zeitung“ schafft das, genauso
wie die „Wirtschaftswoche“.
({20})
Ich habe das Gefühl, der Etikettenschwindel besteht darin, dass Sie nicht die Kraft aufbringen, einmal mit uns
gemeinsam eine Statistik aufzustellen, in der alle Zahlen
zusammengebracht werden. Dann würden wir wissen,
wie hoch die Unterbeschäftigung in Deutschland wirklich ist. Sie liegt wesentlich höher als die Zahl, die uns
im Zusammenhang mit registrierten Arbeitslosen ständig
genannt wird.
({21})
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch
gleich eine Frage unterbringen, die vorhin eine Rolle gespielt hat. Es geht um die Visaproblematik. In dem
Zeitraum, wo Visa sehr locker ausgegeben worden sind,
sind immerhin 5,6 Millionen Menschen nach Deutschland gekommen. Glauben Sie wirklich, Frau Dückert
- Sie haben das Thema ja angesprochen -, dass diese
5,6 Millionen Menschen, die über Kiew, Moskau und
andere Stellen eingereist sind, nach Deutschland gekommen sind, um den Kölner Dom zu besichtigen oder im
Schwarzwald Urlaub zu machen?
({22})
Wenn Sie das wirklich glauben, zeugt das von sehr viel
Naivität. Hierdurch ist auch ein großer Schaden durch
Schwarzarbeit entstanden.
({23})
Wir diskutieren das heute vor dem Hintergrund von
5 Millionen registrierten Arbeitslosen. Schauen Sie dabei einmal in den Bereich der Jugendlichen:
635 000 Jugendliche unter 25 sind arbeitslos und
410 000 junge Menschen befinden sich in Maßnahmen
der BA. Allein schon das Verhältnis von 635 000 registrierten Jugendlichen zu denjenigen, die nicht registriert
werden, weil sie sich in Maßnahmen befinden, ist interessant. Insgesamt kommen wir auf über 1 Million junger Menschen, die nicht auf dem ersten Arbeitsmarkt angekommen sind. Das ist die Realität in Deutschland.
({24})
Lassen Sie mich eine weitere wichtige Zahl in den
Vordergrund rücken. Sie haben es sich in der letzten Zeit
angewöhnt, besonders auf die Zahl der Erwerbstätigen
hinzuweisen. Ich glaube, die wichtigere Zahl ist die der
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.
({25})
Hierbei handelt es sich um die Arbeitsverhältnisse, die
ich nach wie vor als typisch für Arbeitnehmer ansehe,
Frau Dückert. Schauen Sie sich einmal die Entwicklung
in diesem Bereich an: Im September 2001 gab es davon
28,2 Millionen, 2002 27,8 Millionen, 2003 27,2 Millionen und 2005, also ganz aktuell, 26,7 Millionen. Das
sind 1,5 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte weniger und damit auch 1,5 Millionen Arbeitsplätze weniger. Hier sieht man das Problem, das wir haben: Es gibt zu wenig Arbeitsplätze, um die Leute aus
der Arbeitslosigkeit herauszuholen. Das ist das zentrale
Thema, dem Sie sich doch endlich einmal widmen sollten.
({26})
Ich will noch einige Sätze zu Hartz sagen, weil das ja
der große Wurf sein sollte.
({27})
- Wir haben nicht allen Teilen von Hartz zugestimmt; es
gibt ja immerhin Hartz I bis Hartz IV.
Da gibt es zum Beispiel die PSA, die PersonalService-Agenturen. In diesem Zusammenhang sind jährlich 350 000 neue sozialversicherungspflichtige Jobs
versprochen worden.
({28})
Realität zum Stand Januar: Es sind 27 500.
Bei der Ich-AG, dem großen neuen Instrument - ich
würde auch erst einmal abwarten, wie das zweite Jahr
der Ich-AGs aussehen wird -, sind jährlich 500 000 Jobs
versprochen worden; bis jetzt sind es 240 000 geworden.
Das Programm „Kapital für Arbeit“, der so genannte
Job-Floater, war so erfolgreich, dass Sie es bereits im
Frühjahr letzten Jahres eingestellt haben.
({29})
Es hat viel Geld gekostet und statt der jährlich 120 000
neuen Jobs jährlich 12 800 gebracht.
Auch über Hartz, so muss man feststellen, sind die
Menschen nicht nur in den ersten Arbeitsmarkt gekommen, sondern auch in Bereiche, die der Sachverständigenrat zu der verdeckten Arbeitslosigkeit rechnet. Das
muss an der Stelle einmal gesagt werden.
Ich möchte die letzte Minute meiner Redezeit auf die
Frage verwenden: Wie gehen wir mit älteren Arbeitslosen um? Wir brauchen diese älteren Menschen auf
dem Arbeitsmarkt, weil sie Erfahrung haben, und führen
zurzeit eine Diskussion darüber, ob wir die Lebensarbeitszeit verlängern müssten.
({30})
Parallel dazu läuft die Diskussion darüber, wie man mit
den älteren Arbeitslosen umgehen soll. Der Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit hat diese Frage ja in
dieser Woche angesprochen.
({31})
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Es geht nicht an, dass wir
uns überlegen, diese Personen aus der Arbeitsmarktstatistik und den entsprechenden Zahlungen herauszunehmen, sodass mit einem Schlag wieder 181 000 Menschen aus den entsprechenden Leistungen herausfielen
und auf der Straße stünden.
Mit dem Punkt, den Herr Weise angesprochen hat,
({32})
hat er genau den Finger in die Wunde gelegt.
({33})
Wir können arbeitsmarktpolitische Maßnahmen auflegen
und Statistikzählereien machen, wie wir wollen - es
bleibt dabei, dass wir uns der Frage stellen müssen, die
Karl-Josef Laumann in der letzten Woche aufgeworfen
hat: Wir müssen uns ganz verstärkt - das gilt auch noch
für die Zeit, die Sie haben, bis Sie abgewählt werden der Frage zuwenden, wie wir Menschen in den ersten
Arbeitsmarkt bringen, wie wir Arbeitsplätze im ersten
Arbeitsmarkt generieren können, wie wir alle Politikfelder auf das Ziel orientieren können, das da lautet: Arbeit,
Arbeit, Arbeit. Denn das hilft allen Systemen, das hilft
den Menschen und das würde notfalls sogar Ihnen
helfen, wiedergewählt zu werden. Wenn Sie sich nicht
ändern, werden Sie bei einer der nächsten Wahlen Ihre
Mehrheit verlieren. Das kann ich Ihnen garantieren.
({34})
Ich erteile das Wort Kollegen Hans-Werner Bertl,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Ich habe in meiner schon ziemlich langen
politischen Arbeit drei Punkte gelernt, nämlich erstens
die Opposition ernst zu nehmen, zweitens mich mit Anregungen und Vorstellungen der Opposition ernsthaft
auseinander zu setzen und drittens grundsätzlich der Opposition nicht schlechte Absichten zu unterstellen. Ich
fand diese Grundsätze immer gut; auch ich war mal in
der Opposition.
({0})
Ich wäre auch gern mit Ihrem Antrag so verfahren. Allerdings ist es zu offensichtlich, dass es Ihnen schon bei
Antragstellung, am 29. Juni letzten Jahres - in Kenntnis
der Tatsache, dass die Systematik in der Statistik mit
Wirkung zum 1. Januar dieses Jahres geändert werden
würde -, ausschließlich darum ging, den Eindruck zu
vermitteln, dass alle Daten, die in Deutschland über den
Arbeitsmarkt erhoben werden, Lug und Trug seien und
dass das einzige Ziel einer bundesweiten Sammlung von
Daten sei, den Menschen die tatsächliche Situation zu
verschleiern. An dieser Stelle wird - das sage ich Ihnen
ganz ehrlich, meine Damen und Herren - Opposition für
mich fragwürdig.
({1})
Ich sage Ihnen noch etwas: Noch haben nicht alle hier
in diesem Land vergessen, wie Sie 1998 die Statistik verbogen und frisiert, 400 000 Menschen in Wahl-ABM geschoben und so die Menschen getäuscht haben.
({2})
Im Gedächtnis ist übrigens auch, dass Arbeitslosengeldbezieher in vorruhestandsähnlichen Maßnahmen - § 428
SGB III - seit 1986, als diese Regelung eingeführt
wurde, nicht mehr mitgezählt werden.
Es ist nicht falsch, sondern richtig, eine gute Datenlage zu fordern, da nur in Kenntnis der realen Situation
Instrumente wirkungsvoll entwickelt und auf dem Arbeitsmarkt eingeführt werden können. Da haben Sie
vollkommen Recht; ich glaube, da können wir uns finden.
({3})
Kollege Bertl, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich versuche, hier fertig zu werden.
({0})
Ich wäre einverstanden, meine Damen und Herren,
wenn die Opposition die Idee eines Statistiksystems
hätte, welches uns mit Erkenntnissen versorgen würde,
von denen Sie behaupten, wir hätten sie nicht.
Der nächste Vorwurf, den ich Ihnen machen muss.
Entweder haben Sie noch nie aufmerksam die ersten vier
Seiten der Statistik der Bundesagentur für Arbeit gelesen
({1})
oder Sie versuchen hier - in der Hoffnung, es merkt keiner, weil sich ja letztendlich nicht sehr viele in diesem
Land mit dieser Statistik beschäftigen -, die Situation zu
verschleiern. Jeder Bundestagsabgeordnete erhält jeden
Monat ein Heft, in dem auf mehr als 60 Seiten eine Datenlage dargestellt wird, die alle von Ihnen in Ihrem Antrag erhobenen Forderungen bereits umfasst.
({2})
Das heißt, die Transparenz, die Sie sich laut Ihrem Antrag für den Arbeitsmarkt wünschen, wird hier auf mehr
als 60 Seiten dargestellt.
Im Gegensatz zu Ihrem großen Statistikpfusch von
1998 mit der Verschiebung der 400 000 Arbeitslosen haben wir seit 1. Januar durch die Aufnahme der arbeitsfähigen Empfänger von Sozialhilfe eine Klarheit in das
Statistiksystem gebracht, die für die Beurteilung des Arbeitsmarktes meines Erachtens richtig und wichtig ist.
({3})
Politisch war das für uns kein einfacher Schritt. Wir haben davon nicht profitiert, denn wir haben den Menschen deutlich gemacht, dass eine große Gruppe von
Menschen in unserem Land überhaupt nicht gezählt
wurde. Erst wir haben sie in die Statistik hineingenommen, wie der Staatssekretär gerade gesagt hat.
Das heißt, ein großer Unterschied zwischen uns ist:
Wir wussten, dass damit die Zahl der Arbeitslosen über
5 Millionen steigt, aber wir wollten diese Wahrheit und
Klarheit auf dem Arbeitsmarkt.
({4})
Eigentlich - ich bin ganz froh, dass einige von Ihnen
noch hier sind - wäre Ihr Antrag gar nicht nötig gewesen, wenn Sie sich einmal die Mühe gemacht hätten, sich
nur vier Seiten dieser Statistik - ich finde das für Bundestagsabgeordnete sehr attraktiv - anzusehen.
({5})
Auf Seite 1 dieser Statistik erhalten Sie - das dauert gar
nicht lange; das kann man während einer Sitzung mal
eben machen - eine Übersicht über alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigen in unserem Land im Monatsschnitt. Sie sehen den Zugang an Arbeitslosen, und
zwar differenziert nach vorheriger Erwerbstätigkeit oder
Ausbildung. Sie bekommen Informationen, wie hoch der
Anteil der Frauen und der Männer ist, wer jünger ist als
25 Jahre usw. Sie erfahren die Arbeitslosenquote bezogen auf abhängige zivile Erwerbspersonen, Empfänger
des Arbeitslosengeldes II und, seit diesem Jahr, des Sozialgeldes. Gemeldete Stellen werden genannt, Teilnehmer aktiver Arbeitsmarktpolitik.
Das heißt: Alles, was Sie reklamieren und von dem
Sie behaupten, da werde etwas verdeckt und man habe
keinen Überblick mehr, finden Sie hier aufgeführt:
berufliche Weiterbildung, Trainingsmaßnahmen, PSA,
Arbeitsgelegenheiten, Existenzgründungsschutz, Überbrückungsgeld ({6})
all das steht in dieser Statistik, meine Damen und Herren. Das Ganze wird dann auch noch schön aufbereitet
und bezogen auf Westdeutschland und Ostdeutschland
dargestellt, das heißt, auch in dieser Hinsicht kann ein
Vergleich vorgenommen werden.
Außerdem lohnt sich für Sie die Seite 4, denn dort bekommen Sie die Informationen wirklich sehr dezidiert:
Wie viele Menschen befinden sich in beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen, in Vollzeitmaßnahmen? Wie
viele behinderte Menschen befinden sich in Maßnahmen? Wie viele befinden sich in Wiedereingliederungsmaßnahmen? Auch der ganze Bereich der beschäftigungsbegleitenden Systeme ist mit aufgenommen
worden.
({7})
- Mein lieber Herr Hinsken, die Zahlen, die Sie in Ihrem
Antrag fordern, liefert uns die Bundesagentur für Arbeit
auf den ersten vier Seiten ihrer Statistik. Diese Zahlen
umfassen sogar den Bereich der Arbeitsteilzeit und der
nicht arbeitslosen Leistungsempfänger. Ich muss daher
sagen: Sie vermitteln den Menschen den Eindruck, als
würde in diesem Land gelogen und betrogen
({8})
und als könnte kein Mensch wissen, wie die Situation
auf dem Arbeitsmarkt ist.
({9})
Die Wahrheit ist aber: Jeden Monat erhält jeder von Ihnen diese Statistik. Sie brauchen nur vier Seiten daraus
zu lesen und haben einen umfassenden Überblick über
die Situation auf dem Arbeitsmarkt.
Es gibt noch etwas Neues, was zumindest für diejenigen interessant ist, die sich ab und zu mit der Statistik
der Bundesagentur für Arbeit beschäftigen. Auf den
Seiten 60 und folgende findet jeder die entsprechenden
Daten für seine Stadt bzw. seinen Kreis. Man muss also
deswegen nicht mehr mit dem Leiter der örtlichen Arbeitsagentur sprechen. Auf diesen Seiten gibt es auch die
genauen Zahlen zu den Arbeitslosengeld-II-Beziehern.
({10})
Herr Andres hat es eben schon gesagt: Die ILO-Statistik ist kein Ersatz für die BA-Statistik. Wir werden
vielmehr beide Statistiksysteme nebeneinander stellen.
Die ILO-Statistik hat einen großen Vorteil: Sie wird in
123 Staaten und auch bei der OECD angewandt.
({11})
Unsere BA-Statistik wird von Eurostat und von allen
europäischen Staaten anerkannt.
Man kann also sagen: Auf der einen Seite gibt es mit
der BA-Statistik eine sehr differenzierte Arbeitsmarktstatistik, die uns in den Stand setzt, die richtigen Instrumente zu entwickeln. Auf der anderen Seite haben wir
mit der ILO-Statistik ab 1. März dieses Jahres die Möglichkeit, volkswirtschaftliche Vergleiche - genau das ist
der Schwerpunkt der ILO-Statistik - zwischen 123 Staaten zu ziehen.
Wenn Sie die ernsthafte Absicht hätten, einen höheren
Erkenntnisgewinn zu erzielen, um daraus resultierend
eine entsprechende Arbeitsmarktpolitik zu gestalten,
dann müssten Sie Ihren Antrag zurückziehen.
({12})
Wir können Ihren Antrag nicht umsetzen, weil die Daten, die Sie fordern, Ihnen jeden Monat auf über 60 Seiten zugestellt werden.
({13})
Ich kann Ihnen nur empfehlen: Bitte beschäftigen Sie
sich mit dieser Statistik und bitte versuchen Sie nicht,
den Menschen Sand in die Augen zu streuen, indem Sie
behaupten, Arbeitsmarktpolitik würde nur noch auf
Grundlage falscher Daten betrieben!
({14})
Bevor wir uns über die Fragen streiten, welches Statistiksystem sinnvoller ist und ob alle Daten vorliegen
- ich behaupte: sie liegen vor -, empfehle ich Ihnen:
Entwickeln Sie mit uns Hartz IV weiter - Sie haben in
einigen Bereichen schon mitgemacht und Blockaden
aufgehoben -, damit wir die Arbeitslosigkeit wirksam
bekämpfen können!
Vielen Dank.
({15})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
auf Drucksache 15/4463 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Arbeitsmarktstatistik aussagekräftig gestalten - Ausmaß der Unterbeschäftigung verdeutlichen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 15/3451 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.
Präsident Wolfgang Thierse
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter
Paziorek, Dr. Maria Flachsbarth, Marie-Luise
Dött, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
REACH als Chance für einen Paradigmenwechsel nutzen - Alternativmethoden statt
Tierversuche
- Drucksache 15/4656 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Kollegin Maria Flachsbarth, CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Im Oktober 2003 legte die EU-Kommission
auf Grundlage des im Februar 2001 erarbeiteten Weißbuchs „Strategie für eine zukünftige Chemikalienpolitik“ einen Verordnungsentwurf namens REACH zur
Chemikaliensicherheit vor.
Es besteht fraktionsübergreifender Konsens: Wir begrüßen das Ziel der Chemikalienpolitik auf europäischer
Ebene, die Sicherheit für Mensch und Umwelt beim
Umgang mit Chemikalien zu erhöhen. Auch die Zusammenführung von fast 40 Verordnungen und Gesetzen im
Bereich der europäischen Chemikalienpolitik ist zu begrüßen. Doch ob das mit einem Entwurf von mehr als
1 200 Seiten gelungen ist, ist fraglich.
Aus deutscher Sicht, aus Sicht eines Standorts, der ein
Drittel der europäischen Chemieindustrie mit mehr als
450 000 Arbeitsplätzen vor allem in mittelständischen
Unternehmen beheimatet, stelle ich fest: Der Umgang
mit Chemikalien - auch mit Altchemikalien, mit solchen
also, die vor 1981 auf den Markt gekommen sind - ist
bereits in hohem Maße sicher.
({0})
Dafür sorgen das Chemikaliengesetz, die ChemikalienVerbotsverordnung, die Bodenschutz-, Wasserschutzund Immissionsschutzgesetze, das Arbeitsschutzgesetz,
die Gefahrstoffverordnung usw. Daher ist der Eindruck,
der von der rot-grünen Bundesregierung und von den
Regierungsfraktionen erweckt wird, nämlich dass unmittelbare Gefahr im Verzug sei, irreführend.
In der Vergangenheit ist bereits mehrfach auf die
starke Zunahme der Zahl der Tierversuche hingewiesen
worden, die durch die neue europäische Chemikalienpolitik verursacht werden könnte. Diese Gefahr wurde
auf der Anhörung im Deutschen Bundestag am
8. November letzten Jahres von Experten erneut bestätigt. Auch wenn der Kommissionsentwurf einige Verbesserungen für den Tierschutz enthält, so ist immer noch
mit einer dramatischen Zunahme der Zahl der Tierversuche zu rechnen.
({1})
Die Einschätzungen schwanken, befinden sich aber alle
im Bereich von mehr als 10 Millionen zusätzlichen Tierversuchen. Zum Vergleich: Derzeit werden jährlich rund
11 Millionen Versuchstiere auf EU-Ebene „verbraucht“,
so der vierte Bericht der EU-Kommission zur Tierversuchsstatistik von Anfang Februar dieses Jahres.
REACH in der derzeitigen Form würde demnach nach
aller Wahrscheinlichkeit den „Jahresverbrauch“ weit
übertreffen.
Die Expertenanhörung hatte aber auch das Ergebnis,
dass die europäische Chemikalienverordnung, wenn sie
richtig ausgestaltet wird, durchaus positive Effekte für
den Tierschutz mit sich bringen kann. Professor Lingk
vom Bundesinstitut für Risikobewertung sprach insoweit
von der Möglichkeit eines Paradigmenwechsels. Derzeit
ist bei der Sicherheitsüberprüfung von Chemikalien,
Pharmazeutika und Kosmetika der Primat von Tierversuchen vorgesehen. Das heißt, Tierversuche geben den
letzten Ausschlag für die Risikobewertung eines Stoffes.
Alternativmethoden haben allzu häufig nur begleitenden
oder untergeordneten Charakter.
Das könnte sich nun im Rahmen eines umstrukturierten REACH ändern. Prüfungen würden nur dort erfolgen, wo sie notwendig sind, also „checklist versus
brain“, und Alternativmethoden würden im Vordergrund
stehen. Das heißt, Tierversuche hätten ergänzenden Charakter. Zudem sind Tierversuche, die etabliert und hinreichend validiert sind, aussagekräftiger und kostengünstiger.
({2})
Ein Beispiel: Im Rahmen der Prüfung der akuten Phototoxizität kostet ein Tierversuch 2 000 bis 4 000 Euro. Alternativmethoden hingegen kosten nur 650 bis
1 200 Euro.
Eine im August letzten Jahres veröffentliche Studie
des BfR zeigt, dass sich die Zahl der Versuchstiere beim
Einsatz aller heute zur Verfügung stehenden Mittel auf
deutlich unter 10 Millionen verringern ließe. Neben dem
Einsatz von Alternativmethoden ist auch der Ausbau von
quantitativen Structure Activity Relationsships, von
SARs, vorgesehen. Die Betrachtung potenzieller Gesundheitsrisiken durch die Analyse von Molekülstrukturen würde so ermöglicht.
Damit dieser Paradigmenwechsel tatsächlich gelingt,
ist es allerdings notwendig, ausreichend Forschungsmittel zur Verfügung zu stellen. Im Entwurf des Haushaltes 2005 waren Fördermittel von lediglich 2,4 Millionen Euro vorgesehen. Das ist ein historischer Tiefstand.
1987 waren es 6,5 Millionen Euro.
({3})
Nach massiven Protesten auch der Opposition ist der
Ansatz auf immerhin 2,8 Millionen Euro erhöht worden.
Aber das reicht kaum, um neue Vorhaben zu beginnen,
und ist vor dem Hintergrund der REACH-Problematik
lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein.
({4})
Im Übrigen entspräche eine deutliche Erhöhung des
Forschungsetats einer Forderung weiter Teile der Bevölkerung in Deutschland und Europa. Im September letzten Jahres wurde der Europäischen Union eine Petition
der „europäischen Koalition zur Beendigung von Tierversuchen“ mit mehr als 500 000 Unterschriften übergeben.
Neben dem Ausbau von Alternativmethoden muss die
Chemikalienverordnung in Richtung einer möglichst geringen Anzahl vorgeschriebener Tierversuche umstrukturiert werden. Deshalb ist in unserem Antrag, der
heute zur Debatte steht, auf Schwachpunkte in dem
Kommissionsvorschlag bei der gemeinsamen Nutzung
von Prüfdaten hingewiesen worden, die es zu beseitigen
gilt. Das entspricht im Übrigen auch einer Forderung des
Bundesrates vom Juni letzten Jahres.
Von großer Bedeutung ist des Weiteren, die Idee „one
substance - one registration“ - OSOR - durchzusetzen.
Ein entsprechender britisch-ungarischer Vorschlag hat
bereits breite Unterstützung quer durch alle politischen
Fraktionen gefunden. Dieser Grundgedanke entspricht
§ 20 a des deutschen Chemikaliengesetzes, das es übrigens seit 1990 gibt. Er sieht vor, dass jeder chemische
Stoff nur einmal registriert wird, und zwar unabhängig
davon, wie viele Produzenten es gibt.
({5})
Das muss aber auch so ausgestaltet sein - das ist ganz
wichtig -, dass es auch tatsächlich funktioniert und die
Geschäftsgeheimnisse der beteiligten Unternehmen gewahrt werden, wie es im deutschen Recht seit langem erfolgreich praktiziert wird.
({6})
Mit genau diesem Modell sollte die Bundesregierung in
Europa vorstellig werden.
({7})
Der Verband der Chemischen Industrie, der VCI, hat
zusammen mit dem europäischen Chemikalienverband,
CEFIC, jüngst einen Vorschlag zur Ausgestaltung des
europäischen Chemikalienrechts vorgelegt, in dem
OSOR sehr gut integriert ist, da eine frühzeitige Kooperation möglich wird. Er sieht verschiedene Stufen vor.
Stufe 1: die Vorregistrierung und die Meldung aller
Stoffe über 1 Tonne, danach die Meldung von Kerninformationen zu diesen Stoffen. Stufe 2: risikobezogene
Priorisierung anhand von Stoffeigenschaften sowie Verwendungs- und Expositionskategorien. Stufe 3: Registrierung. Das bedeutet die Festlegung von Prüfungsanforderungen anhand von Risiko- und Expositionskategorien inklusive der Berücksichtigung in einem entsprechenden Zeitplan.
Vorteile dieses Vorschlags sind ohne Zweifel, dass
nach kurzer Zeit ein Überblick über alle gehandhabten
Stoffe vorliegt und dass es nach weniger als fünf Jahren
bewertungsrelevante Kerninformationen für jeden der
über 30 000 Stoffe, die in einer Menge von über 1 Tonne
produziert werden, gibt. Der Kommissionsvorschlag
würde dafür über elf Jahre brauchen. Es wird keine Datenfriedhöfe geben, da jeder Stoff nur einmal zu einem
bestimmten Zeitpunkt registriert wird. Dadurch wird es
auch weniger Tierversuche geben. Ein weiterer Vorteil
besteht darin, dass Rezepturen nicht mehrfach verändert
werden müssen.
Anfang dieser Woche hat der BMU diesen sehr konstruktiven Vorschlag kategorisch zurückgewiesen.
({8})
Zugleich versucht er, kleine und mittlere Unternehmen
gegen große Chemiekonzerne auszuspielen. Das ist ein
Versuch, der keiner sachlichen Beurteilung des VCI/
CEFIC-Vorschlags standhält.
({9})
Damit ignoriert die Bundesregierung - ich will das in
aller Deutlichkeit sagen - die Sorgen des Mittelstandes.
Wer wissen möchte, was der derzeitige Kommissionsvorschlag für den Mittelstand bereithält, braucht nur in
das Protokoll der Anhörung im Deutschen Bundestag zu
schauen.
Bleibt der Kommissionsvorschlag unverändert bestehen, könnte das massiv negative Auswirkungen auf die
Wirtschaft und auf die Arbeitsplätze haben; zu entsprechenden kritischen Einschätzungen kommen auch
die Untersuchungen der Bundesländer Niedersachsen,
Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Dabei ist
nicht nur die chemische Industrie betroffen, vielmehr erfassen die Auswirkungen nahezu jede Branche in
Deutschland; denn Stoffpolitik bestimmt fast alle Branchen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, bei einer
sorgfältigen Ausgestaltung von REACH lassen sich die
Anliegen des Verbraucherschutzes und des Umweltschutzes mit den Interessen der Wirtschaft vereinbaren.
Genau das ist Nachhaltigkeit. Wenn die Bundesregierung es mit nachhaltiger Entwicklung wirklich ernst
meint, sollte sie sich für diese Forderungen in Europa
konsequent einsetzen. Lassen Sie uns die Chance für einen Paradigmenwechsel in der europäischen Chemikalienpolitik und in der europäischen Tierversuchspolitik
nicht verpassen!
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat jetzt der Kollege Heinz Schmitt von der
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau
Flachsbarth, herzlichen Dank für die Beschreibung Ihres
Antrags. Sie haben erneut Gesprächsbedarf zu REACH
angemeldet. Der Tierschutz steht dabei im Vordergrund,
wir haben es gehört. Vor gut einem Jahr stand das Thema
Tierschutz schon einmal auf unserer Tagesordnung, deshalb freue ich mich, dass wir uns über diesen wichtigen
Aspekt von REACH mittlerweile grundsätzlich einig
sind.
Es gab Zeiten, in denen Ihre Fraktion REACH generell infrage gestellt und als das Ende der Chemikalienpolitik in der Volkswirtschaft unseres Landes bezeichnet
hat. Mittlerweile gibt es erfreulicherweise eine Akzeptanz. Wir sind uns einig - wir haben lange dafür gekämpft, dass der Tierschutz ins Grundgesetz aufgenommen wurde -,
({0})
dass der Tierschutz bei uns hohe Priorität genießt. Wir
wollen REACH so umsetzen, dass möglichst wenige
Tierversuche durchgeführt werden.
Ich frage mich allerdings, ob Sie die Argumente, die
vor einem Jahr zur Sprache kamen, überhaupt gehört
und sie in Ihrem jetzigen Antrag berücksichtigt haben.
Mir scheint, dass dies nicht der Fall ist.
({1})
In Ihrem Antrag geistern bezüglich der Anzahl der für
Versuche benutzten Tiere immer noch Zahlen aus dem
Jahre 2001 herum. Sie führen aus, es handele sich hierbei laut einer britischen Studie um 12 Millionen Tiere.
Da das Ergebnis dieser Studie, wie Sie wissen, längst
überholt ist, ist die Zahl, die Sie nennen - 12 Millionen -, ganz kalter Kaffee. Wir können Ihrem Antrag allein deshalb, weil er solche falschen Angaben enthält,
leider nicht zustimmen.
({2})
Auch andere Punkte werden nicht dadurch richtiger,
dass Sie sie ständig wiederholen. Sie sagen zum Beispiel, die Bundesregierung habe die Mittel für Alternativmethoden reduziert; auch das ist falsch. Sie wissen: In diesem Bereich wurden lediglich weniger Mittel
abgerufen, als bereitgestellt worden waren.
({3})
Die Statistik spiegelt das nicht wider. Wenn mehr Mittel
benötigt werden, werden sie bereitgestellt. Im Übrigen
sage ich Ihnen: Die Gewinnsituation in der Chemiebranche ist so gut, dass auch sie Geld bereitstellen kann, mit
dem Alternativen zu Tierversuchen entwickelt werden
können. Nicht alles muss die öffentliche Hand machen.
({4})
Wir stellen fest, dass die Kommission bereits viele
Maßnahmen ergriffen hat, um die Anzahl der für
REACH notwendigen Tierversuche zu verringern.
({5})
So gesehen kann als Erfolg gemeldet werden, dass bereits viel getan wurde, um die Forderungen, die sich tatsächlich mit der Vermeidung von Tierversuchen befassen, zu erfüllen.
Betrachtet man Ihre Forderungen allerdings im Einzelnen - Sie haben in Ihrem Antrag zehn Forderungen
gestellt -, stellt man fest, dass nur einige von ihnen etwas mit dem Thema Tierversuche zu tun haben. Ich habe
den Eindruck: In Ihrem Antrag schreiben Sie zwar, dass
Sie Tierversuche vermeiden wollen, aber er enthält eine
gehörige Portion Verband der Chemischen Industrie.
Es geht wieder einmal um die Frage, wie man
REACH weitgehend umgehen kann. Dafür gibt es sehr
gut klingende Schlagworte wie „Risikoorientierung“
oder, wenn es um die Erhebung von Daten geht, „Expositionskriterien“. Eines möchte ich vorausschicken: Wir
wehren uns grundsätzlich nicht gegen intelligente Alternativen zur jetzt vorliegenden Fassung von REACH. Es
hat sich auch schon sehr viel verändert. Die verantwortlichen Politiker in unserem Lande haben sich darum bemüht, die Anzahl der Regelungen, durch die die Industrie zu stark belastet würde, zu minimieren. Es ist also
schon sehr viel getan worden. Wenn uns sinnvolle Alternativmethoden präsentiert würden, wären wir die Letzten, die sich dagegen sperren.
„Praktikabel“ heißt für uns auch, dass man mit diesen
Methoden die Ziele des Schutzes der menschlichen
Gesundheit, des Arbeits- und Verbraucherschutzes
und des Schutzes der Umwelt ohne Wenn und Aber erreicht.
({6})
Wenn Sie also die bereits hinreichend bekannten Vorschläge des VCI wiederholen und vorgeben, dadurch
könnten angeblich unnötige Tierversuche vermieden
werden, dann müssen wir uns die Situation schon genauer ansehen.
Der jetzige Entwurf von REACH basiert auf einer
Kombination aus Mengen- und Risikokriterien, aus
denen sich relativ einfach Prüf- und Nachweispflichten
zur Beurteilung eines Stoffes und seiner Gefährlichkeit
ableiten lassen. Es gibt klare Regeln. Ab bestimmten
Herstellungs- bzw. Importmengen von Chemikalien
werden Tests vorgeschrieben; je höher die Menge, desto
höher die Testanforderungen.
Bei diesem Verfahren geht man davon aus, dass die
Wahrscheinlichkeit eines Kontaktes von Menschen mit
der Chemikalie steigt, je mehr davon produziert wird.
Mit einigem Recht wird auch darauf hingewiesen, dass
es sich hierbei nur um ein grobes Raster handelt. Deshalb klingt die Initiative der Chemiebranche zunächst
einmal charmant, nur noch dann Tests zur Bestimmung
der Gefährlichkeit chemischer Stoffe durchzuführen,
Heinz Schmitt ({7})
wenn überhaupt ein bestimmter Kontakt mit Mensch und
Umwelt, also eine bestimmte Exposition, zu fürchten ist.
Des Weiteren wird versucht, je nach Art und Häufigkeit des Kontaktes so genannte Expositionskategorien
zu bestimmen, aus denen sich die Notwendigkeit bestimmter Untersuchungen ergibt. Während man dem
ersten Gedanken, den ich erwähnt habe, ohne weiteres
zustimmen kann, wird es bei den so genannten Expositionskategorien problematisch. Wenn es sich zum Beispiel um einen Stoff mit einer Produktionsmenge von
100 Jahrestonnen handelt, werden schnell 100 oder mehr
verschiedene Anwendungsgebiete erreicht, die auf alle
möglichen Expositionen überprüft werden müssten. Je
mehr Anwender, desto mehr Tests sind nötig, und daher
wird das Ziel, das Sie beschrieben haben, nicht erreicht.
Vielmehr wird das Verfahren eher komplizierter. Wir sagen: Egal, wie viel Nachfrage nach einem Stoff und wie
viele Abnehmer es gibt, gilt er, wenn er einmal getestet
ist, als beurteilt. Durch das Aufteilen nach Expositionskategorien wird das Gegenteil erreicht; allein schon dadurch wird die Praktikabilität des Modells der chemischen Industrie infrage gestellt.
Herr Kollege Schmitt, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Flachsbarth?
Gern.
Bitte schön, Frau Flachsbarth.
Herr Kollege Schmitt, wir streiten uns immer wieder
über Zahlen. Letztendlich geht es doch darum, ob es tatsächlich notwendig ist, immer mehr Tiere zu verbrauchen, um Daten zu gewinnen, die eigentlich schon vorliegen.
Würden Sie mir zustimmen, dass eine Studie des BfR
aus dem August letzten Jahres ein Worst-Case-Szenario
enthalten hat - auch wenn das wohl nicht eintreten
wird -, dass bis zu 45 Millionen Tierversuche notwendig
sein werden? Dabei würde - als untere Grenze - eine
Zahl von unter 10 Millionen Tierversuchen reichen, allerdings nur, wenn genug Mittel für Ersatz- und Ergänzungsmethoden zur Verfügung stünden. Würden Sie mir
deshalb zustimmen, dass der Ansatz von 2,8 Millionen Euro für die Förderung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden wesentlich zu gering ist? Würden Sie
mir weiter zustimmen, dass es zwar Bemühungen der
Europäischen Kommission gibt, Tierversuche zu verhindern, dass wirksame Instrumente aber nicht in dem erforderlichen Umfang existieren? Firmen werden dazu
aufgefordert, sich zusammenzuschließen und bezüglich
der vorliegenden Daten zu kommunizieren. Wenn sie das
aber nicht tun, haben wir letztlich keine rechtliche Handhabe. Würden Sie mir von daher zustimmen, Kollege
Schmitt, dass die Gefahr, dass die Anzahl der Tierversuche exponentiell zunimmt, immer noch nicht gebannt
ist?
({0})
Frau Flachsbarth, würden Sie mir zustimmen, dass
bei einem Jahresumsatz der chemischen Industrie in
Deutschland von über 200 Milliarden Euro 2 oder 3 Millionen Euro relativ wenig sind und eigene Anstrengungen durchaus begründet sein können?
({0})
Es kann doch nicht angehen, dass auf der einen Seite
gute Erlöse - berechtigte Erlöse - eingefahren werden,
die öffentliche Hand aber wieder einmal die Risiken tragen soll.
({1})
- Ja, das könnte man sagen. - Da muss man schon genau
hinschauen und die Zahlen vergleichen.
Ich denke, wenn pro Anwendungsgebiet ein eigener
Versuch gemacht werden muss, wird der Aufwand eher
höher und das Ziel, das Sie und wir alle erreichen wollen
- weniger Tiere zu verbrauchen -, nicht erreicht.
({2})
- Ich habe mich dafür eingesetzt, den Tierschutz im
Grundgesetz zu verankern. Aber bevor Stoffe, die nicht
geprüft sind, mit Menschen in Verbindung kommen,
müssen eben - leider - Tierversuche stattfinden. Da können wir noch so hehre Ziele haben; in diesem Fall hat
der Menschenschutz vor dem Tierschutz ganz klar Priorität.
({3})
Wenn wir Ihren Antrag - der sich zunächst gut anhört - einer realistischen Belastungsprobe unterziehen,
müssen wir also feststellen: Er hält den Anforderungen
nicht stand, zumindest dann nicht, wenn die Schutzziele
von REACH bzw. die, die von der Industrie selbst gesteckt werden - weniger Bürokratie und mehr Mittelstandsfreundlichkeit zu erreichen -, ernst genommen
werden sollen. Schon daher kann man nicht davon ausgehen, dass ein expositionsorientierter Ansatz die Zahl
der notwendigen Tierversuche verringern würde, was
unser aller Ziel ist; ich habe es ja gesagt. Das Gegenteil
ist aus heutiger Sicht der Fall. Wir sollten uns gemeinsam anstrengen, Lösungen zu finden, wie wir die Zahl
der Tierversuche minimieren können. Leider geht es
Heinz Schmitt ({4})
beim vorliegenden Ansatz mehr um die Umgehung von
REACH-Vorgaben als um Tierschutz.
({5})
- Das kann man aus Ihren zehn Forderungen eindeutig
ableiten.
Wir sind uns in der Zielrichtung durchaus einig: Wir
wollen in Europa beim Umgang mit Chemikalien einen
besseren Schutz für die menschliche Gesundheit und
für die Umwelt - und dies mit möglichst wenigen Tierversuchen. Aber Ihr Antrag enthält zu viele inhaltliche
Fehler, als dass wir ihm zustimmen könnten. Deswegen
müssen wir ihn heute leider ablehnen.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Birgit Homburger von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben über das in Europa diskutierte REACH-System,
bei dem es um die Registrierung, Evaluierung und
Genehmigung von Chemikalien und die Frage geht,
wie das innerhalb Europas organisiert werden soll, schon
mehrfach ausgiebig gesprochen, auch hier im Plenum.
In der Begründung der EU-Kommission steht, dass es
darum geht, mehrere Ziele gleichzeitig zu verwirklichen,
nämlich zum Ersten den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt, zum Zweiten die Wahrung
und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der chemischen Industrie in der EU und zum Dritten die Förderung von Testmethoden ohne Verwendung von Tieren. Im 34. Erwägungsgrund sagt die EU-Kommission
ganz eindeutig, mit diesem REACH-System solle auch
die Zahl der Tierversuche reduziert werden. Ich möchte
hier ganz klar betonen: Die FDP unterstreicht all diese
Ziele. Das Problem ist nur, dass die EU-Kommission ihrem eigenen Entwurf und ihrer eigenen Zielsetzung in
keinem einzigen Punkt gerecht wird.
({0})
Das gilt auch für die im Moment vorliegende überarbeitete Fassung.
Herr Schmitt, ich kann nur sagen: Ich wundere mich
ein wenig über das, was Sie hier gesagt haben. Ich habe
mir noch einmal die Beschlussempfehlung zu dem letzten Antrag mit dem Titel „Tierversuche in der europäischen Chemikaliengesetzgebung auf ein Minimum begrenzen“ herausgesucht. Dabei ging es bereits um das,
was jetzt in dem Antrag der CDU/CSU steht. In diesen
Antrag der CDU/CSU sind ein paar neue Untersuchungsergebnisse aufgenommen worden. An sich ist das
Anliegen aber exakt das gleiche. Insofern muss ich sagen, dass Sie sich wenigstens weiterentwickelt haben;
denn ausweislich der Beschlussempfehlung, die Sie
selbst abgesegnet haben, haben Sie damals noch gesagt,
dass das Anliegen, das mit dem Antrag verfolgt wird
- also die Berücksichtigung des Tierschutzes -, durch
diesen Verordnungsentwurf bereits grundlegend berücksichtigt sei; der Antrag sei inhaltlich überholt und werde
daher abgelehnt.
Zu diesem Punkt komme ich jetzt. Wir alle in diesem
Hause haben uns fraktionsübergreifend für eine Staatszielbestimmung „Tierschutz“ im Grundgesetz stark gemacht. Bei REACH bekommen wir das nicht hin. Ich
verstehe, dass wir hier keine Einigkeit in allen Punkten
haben. Bei den Tierversuchen aber müsste es doch
möglich sein, zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen und einen gemeinsamen Antrag zu stellen.
({1})
Ich kann Ihnen nur noch einmal sagen: REACH führt
zu mehr Tierversuchen und zu mehr Bürokratie, ohne
dass dem ein höheres Maß an Umwelt- und Gesundheitsschutz gegenübersteht. Das ist unsere Kritik.
({2})
Deswegen sage ich ganz klar: Wir sollten schauen, dass
wir hier eine einheitliche Meinung finden, die wir gemeinsam vertreten können. Das sind wir dem Anliegen
des Tierschutzes schuldig.
({3})
Nun stellt sich die Frage, wie man unnötigen Tierversuchen bei REACH entgegenwirken kann.
Erster Punkt. Für die Sicherheit der menschlichen Gesundheit und der Umwelt beim Umgang mit Chemikalien sind die Risiken bei der Herstellung, der Verarbeitung und der Anwendung maßgeblich. Ich komme zu
einem ganz einfachen praktischen Beispiel: Ein Toilettenreiniger ist nicht zum Trinken geeignet. Das wird
auch niemand tun; denn jeder weiß das. Es geht also um
die Anwendung einer Chemikalie, nicht um die Herstellung oder Verarbeitung einer Chemikalie.
({4})
Genau das ist das Problem des europäischen Ansatzes.
Dort wird von einer Produktionsmengenschwelle in
Höhe von einer Jahrestonne geredet und nichts über die
Gefährlichkeit und Beherrschbarkeit eines Stoffes ausgesagt. Deswegen sage ich Ihnen: Wir brauchen eine
grundsätzliche Umstellung des Verordnungsansatzes,
damit sich die Informations- und die Prüfanforderungen
auf die Exposition und das Risiko, aber nicht auf die
Menge eines Stoffes richten. Dadurch würden wir einerseits ein hohes Schutzniveau und andererseits eine Reduzierung der Anzahl der Tierversuche erreichen.
({5})
Zweiter Punkt. Darüber hinaus müssen wir die vorhandenen Daten besser nutzen. Wir haben eine ganze
Reihe von Daten über verschiedene Stoffe in den unterschiedlichsten Bereichen. Wir verfügen über SicherBirgit Homburger
heitsdatenblätter und arbeitsmedizinische Datenblätter
für bestimmte Stoffe. Es gibt eine ganze Reihe von toxikologischen und pharmakologischen Erkenntnissen und
Untersuchungen. Die Verwertung der Erkenntnisse aus
diesen Altstudien, die im deutschen Chemikaliengesetz
vorgesehen ist, muss unbedingt dafür genutzt werden,
die Anzahl der Tierversuche, die bei REACH durchgeführt werden soll, zu verringern.
({6})
Diesen Ansatz sollte man dringend auch auf europäischer Ebene einbringen. Das hat die Bundesregierung
bisher verschlafen.
({7})
Den Ansatz von Großbritannien und Ungarn - eine
Substanz, eine Registrierung - finde ich diskussionswürdig. Aber ich sage auch - das kommt in Ihrem Antrag
zum Ausdruck -, dass man sehr gut aufpassen muss, zu
gewährleisten, dass die berechtigten wirtschaftlichen
Interessen eines Unternehmens gewahrt werden und die
Erkenntnisse, die man durch eigene Untersuchungen gewinnt, der Firma zur Verfügung stehen. Die Forschung
nach Ersatz- und Ergänzungsmethoden muss intensiviert und verstärkt werden. Vor allen Dingen müssen alle
bestehenden Methoden in REACH zugelassen werden.
Auch das ist noch nicht der Fall.
Es gibt eine Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten.
Das, was Sie heute für die SPD-Fraktion gesagt haben,
Herr Schmitt, ist eine Bewegung in die richtige Richtung. Ich hoffe deshalb, dass wir es im Rahmen der Ausschussberatungen schaffen, in diesem zentralen und
wichtigen Punkt zu einem gemeinsamen Antrag aller
Fraktionen des Deutschen Bundestages zu kommen.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Antje Vogel-Sperl vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten
Sie mir eine Eingangsbemerkung. Am Mittwoch dieser
Woche haben wir im Umweltausschuss des Deutschen
Bundestages den Nachhaltigkeitsbericht erörtert. An dieser Stelle möchte ich ganz klar betonen, dass die Notwendigkeit einer nachhaltigen Entwicklung von allen
Fraktionen unterstrichen und anerkannt wurde. Meine
Damen und Herren von der Opposition, die heutige Debatte zeigt dennoch einmal mehr, dass bei Ihnen Reden
und Handeln leider sehr weit auseinander gehen.
({0})
Anstatt REACH als das zu begreifen, was es ist, nämlich als die Chance für eine nachhaltige Entwicklung
der chemischen Industrie einschließlich der nachgeschalteten Industrie, versuchen Sie weiter, den Verordnungsentwurf, insbesondere den mengen- und risikobezogenen Ansatz, grundsätzlich infrage zu stellen, indem
Sie die immer gleichen und längst widerlegten Argumente ins Feld führen.
({1})
Darüber haben wir in diesem Haus und in den Ausschüssen bereits ausführlich beraten. Ich möchte mich deshalb
an dieser Stelle auf einige aus unserer Sicht wichtige
Punkte beschränken und auf diese kurz eingehen.
Erstens. Das Thema Tierschutz ist gerade für uns
Grüne auch im Zusammenhang mit der europäischen
Chemikalienverordnung von ganz besonderer Bedeutung.
({2})
Wir sehen und begreifen REACH als die Chance, tierversuchsfreie Testmethoden international zu etablieren.
({3})
Ich verweise hier nur auf unseren Antrag zur europäischen Chemiepolitik vom März 2004,
({4})
den wir im vergangenen Jahr beschlossen haben. Ich
empfehle Ihnen dringend, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ihn einmal zu lesen.
({5})
Er ist allerdings etwas umfangreicher als Ihrer.
({6})
Aber das ist angesichts der immensen Bedeutung von
REACH mehr als angemessen.
({7})
In diesem Antrag heißt es ganz klar und unmissverständlich - ich zitiere -:
Zur Verhinderung unnötiger Wirbeltierversuche
müssen verbindliche Regelungen für Prüfverfahren
getroffen werden. Das Ziel muss sein, doppelte
Wirbeltierversuche zu verhindern, eine gemeinsame Nutzung von Daten seitens der Unternehmen
vorzuschreiben und die Anwendung alternativer
tierversuchsfreier Testmethoden verbindlich zu etablieren.
({8})
Weiter heißt es:
Die Forschungsmittel für die Entwicklung und Validierung alternativer Testmethoden müssen sowohl
auf europäischer Ebene als auch auf nationaler
Ebene gesichert werden.
({9})
- Dazu komme ich noch. - Die Bundesregierung ist bei
den Verhandlungen im Rat in der Arbeitsgruppe längst
aktiv geworden und hat die notwendigen Vorschläge eingebracht. Das sollte auch Ihnen eigentlich bekannt sein.
({10})
Meine Damen und Herren von der Opposition, ich
komme nun auf den entscheidenden Punkt Ihres Antrags
zu sprechen und will an dieser Stelle in aller Deutlichkeit
sagen - da kann ich Herrn Kollegen Schmitt nur ausdrücklich unterstützen -: Sie geben vor, sich für den
Tierschutz einzusetzen. Tatsächlich aber benutzen Sie
das Tierschutzargument, um den grundsätzlichen Ansatz
des Verordnungsentwurfes aufzuweichen und infrage zu
stellen.
({11})
Der grundsätzliche Ansatz lautet: Risikobeurteilung nur
auf einer fundierten Datenbasis für eine Erkennung von
Risiken für Umwelt und Gesundheit bereits im Vorfeld.
({12})
Ich möchte auf meinen zweiten Punkt eingehen, die
expositionsabhängigen Registrierungsanforderungen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
Sie bemühen sich, hier den Eindruck zu erwecken, als
sei der vorliegende Entwurf starr und unflexibel. Bei genauer Lektüre des Kommissionsentwurfs dürfte aber
auch Ihnen nicht entgehen, dass die Prüfanforderungen
bereits jetzt eine Kombination aus mengen- und risikobezogenen Elementen vorsehen.
({13})
Das heißt, es wird sichergestellt, dass einerseits zur Ermittlung des jeweils notwendigen Prüfbedarfs fundierte
Informationen vorliegen und andererseits zugleich eine
Überbelastung der Hersteller kleiner Stoffmengen vermieden wird.
({14})
Ihr Vorschlag eines ausschließlich expositionsbezogenen
Ansatzes führt tatsächlich hingegen nicht zu einer Entlastung von Unternehmen, sondern in Wahrheit nur
dazu, dass die großen, für die Sie sich hier stark machen,
({15})
auf Kosten der kleinen und mittelständischen Unternehmen entlastet werden. Das muss man in diesem Hause
doch auch einmal sagen.
({16})
Denn die konkreten Verwendungen und Expositionen
kennt der Hersteller in der Regel nicht. Er kann daher
Expositionsbedingungen und Abschneidekriterien vorgeben, die ihn von Stoffprüfungen entlasten, für deren
Einhaltung vor Ort aber die Downstream-User verantwortlich sind.
({17})
Das bedeutet unter dem Strich: Vom Hersteller eingesparte Tests müssen nachgeholt werden, einschließlich
der Tierversuche. Der bürokratische Aufwand ist wesentlich höher. Das heißt, die Lasten liegen beim
Downstream-User und nicht beim Stoffhersteller der
chemischen Industrie.
Meine Damen und Herren von der Opposition, im Gegensatz zu Ihnen meinen wir es tatsächlich ernst, wenn
es darum geht, den Mittelstand in unserem Land zu
stärken. Auch dass sich mittlerweile die Union in ihrem
Antrag unserer Argumentation „ein Stoff - ein Dossier“
- so unser Antrag - angeschlossen hat, dazu kann man
nur sagen: besser spät als nie. Daraus wird aber auch
deutlich, wer sich mit welcher Intensität tatsächlich um
die kleinen und mittelständischen Unternehmen kümmert. Das Thema REACH ist bei uns wirklich in den
besten Händen.
({18})
Nun komme ich zum dritten Bereich, zu Innovation
und Arbeitsplätzen. Voraussetzung für eine zukunftsfähige wirtschaftliche Entwicklung ist Innovation. Das
bestehende Chemikalienrecht ist - ich denke, da sind wir
uns einig - äußerst innovationshemmend, indem es die
Neuentwicklung von Stoffen gegenüber der Verwendung
der vorhandenen Altstoffe behindert. Das hat dazu geführt, dass in den vergangenen 20 Jahren kaum neue
Stoffe entwickelt wurden. REACH schafft sowohl mit
der Harmonisierung als auch mit der Zulassungspflicht
für gefährliche Stoffe endlich Anreize, neue, ungefährliche Stoffe zu entwickeln.
({19})
- Das gefällt Ihnen jetzt nicht, aber manchmal ist das so
mit der Wahrheit.
({20})
Darauf haben wir immer wieder hingewiesen und darauf werden wir immer wieder hinweisen. Für uns ist
klar: Ökologie und Ökonomie gehören zusammen. Das
heißt, wer den Erhalt und die Entstehung neuer, zukunftsfähiger Arbeitsplätze will, der muss auch REACH wollen. Wir sind der festen Überzeugung, REACH wird
nicht zuletzt auch global neue Standards setzen; denn
Europa ist der weltgrößte Markt für Chemikalien.
({21})
Wer auf diesem Markt in Zukunft noch präsent sein will,
der muss sich den Anforderungen dieses Marktes anpassen. Vor diesem Anpassungsdruck steht dann auch die
Weltwirtschaft, auch die amerikanische Industrie. Das ist
der Grund, warum die USA so intensiv versuchen,
REACH zu verhindern.
Zum letzten Punkt: Umwelt und Gesundheit. Innovation im Bereich der Entwicklung neuer Stoffe ist gerade
auch vor dem Hintergrund des Umwelt- und Gesundheitsschutzes dringend notwendig. Um ein aktuelles Beispiel anzuführen: Perfluortenside, klassische Altstoffe.
Das sind oberflächenaktive Substanzen, die weltweit in
Textilien, in Teppichen, in Farben, in Reinigungsmitteln
usw. vorkommen. Verbraucher sind von Produkten, die
Perfluortenside enthalten, alltäglich umgeben. Weltweit
wurden im Jahr 2000 circa 3 665 Tonnen dieser Stoffe
produziert, obwohl Bioakkumulation und toxische Eigenschaften nachgewiesen wurden.
Hier haben wir ein schönes Beispiel, warum wir
REACH brauchen. Festzuhalten ist auch: Heute leiden in
Europa dreimal so viele Kinder an Asthma wie vor
30 Jahren. Stoffe, die den Hormonhaushalt verändern,
finden sich in der Muttermilch. Stoffe werden fernab ihres Anwendungsbereichs in der Arktis wiedergefunden.
Das sind persistente Stoffe.
({22})
Und damit will ich abschließend sagen: Wenn wir nicht
ernsthaft versuchen, diese Probleme anzugehen, dann
haben wir in der Politik nichts verloren.
Vielen Dank.
({23})
Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin
Birgit Homburger das Wort.
Frau Kollegin Vogel-Sperl, Sie haben hier einen bemerkenswerten Auftritt hingelegt und Dinge behauptet,
die einer Überprüfung in keiner Weise standhalten. Sie
aber haben erklärt, das sei die Wahrheit, wir hingegen
hätten völlig daneben gelegen.
({0})
Die Anhörung, die wir durchgeführt haben, hat das,
was wir vorgetragen haben - das gilt auch für Zahlen,
die Frau Kollegin Flachsbarth genannt hat -, absolut bestätigt. Offensichtlich werden alle angehörten Sachverständigen und diejenigen, die dieselbe Auffassung vertreten, für Idioten gehalten;
({1})
nur Sie haben die Wahrheit mit Löffeln gefressen.
({2})
Das geht doch wohl nicht an.
({3})
Was den effektiven Schutz für Mensch und Umwelt
angeht, sind uns allen die Gefahren bekannt, die Sie am
Ende Ihrer Rede zu Recht beschrieben haben. Wir wollen ein hohes Schutzniveau. Im Übrigen gibt es in der
Bundesrepublik Deutschland bereits ein hohes Schutzniveau. In dieser Frage kommt es aber nicht auf die produzierten Jahresmengen an; es geht vielmehr um die Risiken, die mit dem jeweiligen Stoff verbunden sind.
Deswegen wollen wir eine entsprechende Umstellung.
({4})
Wenn Sie feststellen, es bestehe kein Änderungsbedarf, es seien schon wesentliche Schritte unternommen
und die Bedenken seien aufgenommen worden, dann
frage ich Sie, warum sich Kommissar Verheugen für
eine Überarbeitung der Chemikalienverordnung einsetzt,
um die Regelungen zu entbürokratisieren.
({5})
Er wird sich schließlich etwas bei diesem Vorschlag gedacht haben.
({6})
Was Ihre Bemerkung angeht, Deutschland sei der
weltgrößte Markt für Chemikalien und wer auf diesem
Markt vertreten sein wolle, müsse sich entsprechend anpassen, kann ich Sie nur auffordern: Seien Sie vorsichtig
mit dem, was Sie hier tun! Die Anpassung könnte darin
bestehen, dass Chemikalien produzierende Betriebe in
andere Länder abwandern, in denen der Umwelt- und
Gesundheitsschutz um Längen schlechter ist als bei uns.
({7})
Das kann nicht in unserem Interesse liegen, weder aus
Sicherheits- und Umweltschutzgründen noch aus gesundheitlichen Gründen.
Deshalb schlagen wir vor: Lassen Sie uns auf eine
vernünftige Regelung auf europäischer Ebene hinarbeiten, statt durch unsinnige Regelungen die Abwanderung
von Betrieben in andere Länder herbeizuführen.
Ich komme zum letzten Punkt. Bei der Kostenbelastung geht es besonders um die kleinen und mittleren Betriebe, die mit wenigen Chemikalien arbeiten. Es geht
weniger um die Großbetriebe, die wahrscheinlich vielen
der vorgeschriebenen Regelungen gerecht werden können. Das gilt für die kleinen und mittleren Betriebe aber
nicht. Wenn Sie diese kaputtmachen, dann zerstören Sie
Arbeitsplätze und sorgen dafür, dass es in Deutschland
weiter bergab geht. Das wollen wir nicht.
Wir setzen uns für eine Einheit aus Umwelt- und Gesundheitsschutz und der Wirtschaft ein. Das erwarten
wir auch von der Bundesregierung, zumal sie diese Zielsetzung wie eine Monstranz vor sich herträgt.
({8})
Zur Erwiderung Frau Vogel-Sperl.
Frau Kollegin Homburger, ich möchte kurz auf die
Prüfanforderungen eingehen. Würden Sie mir zustimmen, dass die Wirkung von Chemikalien mithilfe solcher
Vergröberungen wie dem Vorschlag von VCI und
CEFIC, dass die Prüfanforderungen grundsätzlich nur
expositionsbezogen sein sollten, äußerst schwer zu ermitteln ist und dass auch bestimmte Mindestdaten, die
hinsichtlich der akuten Wirkung erhoben werden müssen, nur schwer zu ermitteln sind? Stimmen Sie mir auch
zu, dass belastbare Einschätzungen der Spätfolgen einer
Chemikalienexposition wie eine Krebs erregende Wirkung, die Veränderung des Erbguts, die Verursachung
von Missbildungen im Mutterleib sowie die schädigende
Wirkung der Organe wie Leber und Niere aufgrund der
Mindestdaten nicht möglich sind?
Damit will ich noch einmal deutlich machen, worum
es geht und was künftig notwendig ist, damit REACH
entlang der Kette auch zu den Ergebnissen führt, die mit
seiner Konzeption angestrebt wurden. Diesen Punkt
halte ich für sehr wichtig.
Was die Anhörung im Umweltausschuss betrifft, haben Sie die Ergebnisse einseitig dargestellt. Die Kostenbelastung hat Herr Schmitt bereits in seinen Ausführungen erläutert. Deswegen möchte ich nicht mehr
ausführlich darauf eingehen. Aber lassen Sie mich eines
anmerken: Wir alle wollen keine unnötige Bürokratie,
aber wir wollen auch nicht das ursprüngliche Ziel von
REACH gefährden. Wir brauchen keinen Datenfriedhof.
Wir brauchen vielmehr belastbare und aussagefähige
Daten. Sonst können wir uns das ganze Unternehmen
sparen.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Bleser von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das
Schlimmste, was man Tieren antun kann, ist, wenn man
ihnen in Versuchsanlagen unter Umständen schwerste
gesundheitliche Schäden zufügt oder sie sogar tötet.
({0})
Eine ethische, moralische und rechtliche Rechtfertigung
kann es dafür nur dann geben, wenn Tierversuche dem
Schutz von Menschen dienen.
({1})
Wir alle haben das in der Diskussion über die Aufnahme
des Tierschutzes als Staatsziel in das Grundgesetz so
gesehen und eine entsprechende Grundgesetzänderung
beschlossen.
Unvermeidbar sind Tierversuche aber nur, wenn alle
anderen Möglichkeiten bei Testverfahren für Chemikalien ausgeschöpft sind, um damit Gefahren für Leib und
Leben von Menschen auszuschließen. Vor diesem Hintergrund ist die Absicht der Europäischen Kommission
zu sehen, alle vor 1981 im Umlauf befindlichen Stoffe
und - in der Regel - Chemikalien einem Anmeldeverfahren, einer Bewertung und eventuell einem erneuten
Zulassungsverfahren zu unterziehen. Circa 100 000 Altstoffe, die sich schon seit über einem Vierteljahrhundert
im Umlauf befinden, sollen nach dem Verordnungsentwurf mit dem Namen REACH einem neuen Prüfverfahren unterzogen werden. In der Praxis bedeutet das nichts
anderes, als dass zum Beispiel Geschirrspülmittel,
Shampoos oder andere Dinge, die wir schon seit vielen
Jahrzehnten verwenden, noch einmal in Tierversuchen
getestet werden müssen. Die Feststellung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit bedeutet in vielen Fällen
letztlich die Durchführung von Tierversuchen. Das britische Umweltministerium hat in einer Studie aufgezeigt,
dass dafür circa 12 Millionen Tierversuche notwendig
sein werden.
So hat sich die Welt verändert: Seit den 80er-Jahren
haben sich die Grünen als Befreier von Tieren aus Versuchsanlagen präsentiert. Heute brüstet sich der grüne
Umweltminister Trittin mit der Notwendigkeit, seit Jahrzehnten im Umlauf befindliche Chemikalien mit millionenfachen Tierversuchen neu zu testen. Damit hat die
Bundesregierung auch in Fragen des Tierschutzes ihre
Glaubwürdigkeit verloren.
({2})
Viele Experten halten die Überprüfung von maximal
6 000 Altchemikalien für vollkommen ausreichend.
Diese Linie vertritt auch die Europäische Volkspartei im
Europaparlament. Wenn man diesen Ansatz wählte,
könnte die Zahl der von der Bundesregierung als notwendig erachteten Tierversuche um 80 Prozent reduziert
werden. Man benötigte dann 9,6 Millionen Versuchstiere
weniger. Ich fordere deshalb die grünen Heiligenscheinträger in Fragen des Tierschutzes, Künast und Trittin,
auf,
({3})
sich endlich in Brüssel für den Tierschutz einzusetzen.
Die Zahl der dann noch eventuell notwendigen
2,4 Millionen Tierversuche ließe sich durch die Anwendung von Alternativmethoden weiter reduzieren. Ich
weise auf Folgendes hin - Frau Kollegin Flachsbarth hat
das bereits erwähnt -: 1987 hatten wir 6,7 Millionen
Euro zur Förderung der Entwicklung von Alternativmethoden bei der Überprüfung von Chemikalien in den
Haushalt eingestellt. Im Haushaltsjahr 2005 sind es aber
nur noch 2,8 Millionen Euro. Das ist weniger als die
Hälfte dessen, was wir schon vor mehr als 15 Jahren in
diesem Bereich eingesetzt haben. Diesen Vorwurf müssen Sie sich an Ihre Revers heften lassen, meine Damen
und Herren von der Koalition.
({4})
Damit zeigt sich deutlich, wie bei Ihnen Anspruch und
Wirklichkeit divergieren.
({5})
Als tierschutzpolitischer Sprecher meiner Fraktion
muss ich an dieser Stelle noch einmal sagen: Ein völliger
Verzicht auf Tierversuche ist aus heutiger Kenntnis leider nicht möglich.
({6})
Herr Kollege Bleser, erlauben Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Vogel-Sperl?
Nein, ich möchte meine Ausführungen zu Ende bringen.
({0})
Keine Zwischenfrage.
Ich werde Ihnen alles im Laufe meines Vortrages erklären.
Ein völliger Verzicht auf Tierversuche ist - ich sage
es noch einmal - nicht möglich. Wir tragen die Verantwortung, ihre Anzahl auf ein Minimum zu reduzieren.
Wir haben uns für die verstärkte Förderung von Alternativmethoden ausgesprochen. Unsere Fraktion stellt
folgende vier Forderungen.
({0})
Erstens. Die Tierversuche in Bezug auf schon vor
1981 in Umlauf befindliche so genannte Altstoffe sind in
den meisten Fällen unnötig. Sie sind besonders grausam,
weil sie sinnlos sind. In der Regel liegen in der Praxis
ausreichende Erkenntnisse über die Wirkung dieser
Stoffe vor.
Zweitens. Sollten dennoch Zweifel an der Unbedenklichkeit einer Altchemikalie bestehen, müssen, bevor
Tierversuche gemacht werden, alle vorhandenen Daten
aus dem Humanbereich - ich denke dabei zum Beispiel
an den Arbeitsschutz, aber auch an die Hersteller und die
Anwender - herangezogen werden. Diese liegen den
Unternehmen in der Regel auch aus Gründen des Eigenschutzes und der Produkthaftung ohnehin vor. In den
meisten Fällen müsste damit, so meine ich, eine Bewertung von Stoffen auch ohne Tierversuche möglich sein.
Inwieweit die Nutzung dieser Daten Eigentumsrechte
tangiert und damit natürlich ausgeglichen werden
müsste, kann ich letztlich nicht abschätzen. Ich halte
diese Frage aber für lösbar und sie muss auch aus Gründen des Wettbewerbs zwischen den Unternehmen beantwortet werden.
({1})
Drittens. Die Forschung mit dem Ziel, zuverlässige
methodische Alternativen zu Tierversuchen zu entwickeln, muss intensiviert werden, um die Anzahl der Tierversuche wie zu unserer Regierungszeit in den 90er-Jahren zurückzuführen. Unter Ihrer Verantwortung ist diese
Anzahl nämlich gestiegen.
({2})
Viertens. In einer gemeinsamen Erklärung der Bundesregierung, des Verbandes der Chemischen Industrie
und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie,
Energie zur Chemikalienpolitik der Europäischen Union
vom August 2003 kommt das Wort „Tierschutz“ kein
einziges Mal vor.
({3})
- Ja, jetzt kommen Sie so langsam dahin. Aber wie lange
hat es denn gedauert, bis diese Bundesregierung das
überhaupt erkannt hat?
({4})
Damit wird deutlich, wie die Bundesregierung die Bedeutung des Tierschutzes im Rahmen dieser EU-Chemikalienverordnung einschätzt. Wir fordern die Bundesregierung, insbesondere die dafür zuständige Ministerin
Künast, auf, die Tierschutzfragen im Zusammenhang
mit der europäischen Chemikalienpolitik in der Kommission aufzugreifen und ein „Massenmassaker“ von
Tieren zu vermeiden.
({5})
Ich appelliere deshalb an Ihr Gewissen: Stimmen Sie
unserem Antrag zu! Dann wäre ein erster Schritt für
mehr Tierschutz in der Europäischen Union gemacht.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wilhelm
Priesmeier von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Peter Bleser, ich habe die ganze Zeit versucht, bei dir einen Heiligenschein zu entdecken; aber
bei Scheinheiligen ist das offensichtlich nicht möglich.
({0})
Ich kann von dieser Stelle aus natürlich nicht nachvollziehen, in welcher Art und Weise die berechtigten
Anliegen des Tierschutzes und auch die berechtigten
Anliegen all derer, die sich für den Tierschutz aktiv einsetzen, in dieser Debatte missachtet werden. Man sollte
normalerweise nicht so argumentieren, wie Sie es heute
Morgen hier tun.
({1})
Ich glaube, im Grundsatz sind wir uns alle in diesem
Hause über den Stellenwert des Tierschutzes einig.
({2})
Ich möchte diese Debatte jetzt nicht dadurch beleben,
dass ich an Ihr Verhalten erinnere, als wir den Tierschutz
als Staatsziel im Grundgesetz verankert haben.
Ihr Anliegen ist natürlich berechtigt. Ich teile Ihre
Einschätzung, dass die Ansätze in diesem Haushalt zu
gering sind, gerade wenn man berücksichtigt, dass die
Evaluation von Ersatz für aktuelle Tierversuche natürlich einer gewissen Zeit bedarf.
({3})
Das Entwickeln von Alternativen dauert im Regelfall
vier bis fünf Jahre. Bis zur Evaluation dauert es vielleicht noch länger, bis zu acht Jahre.
({4})
Das wissen auch Sie, Frau Kollegin Flachsbarth. Sie sind
als Fachkollegin sehr in der Materie.
({5})
Es ist letztlich das Verdienst der ZEBET - sie ist
beim BfR angesiedelt -,
({6})
dass wir in Deutschland in dem Bereich führend sind
und auch in Europa einen wesentlichen Beitrag leisten,
wodurch schon viele Tierversuche überflüssig geworden
sind.
({7})
- Das ist auch unbenommen. Das ist eine grundsätzliche
Ausrichtung, die man nur unterstützen kann. Sie haben
sie gegründet. Wir führen das Ganze erfolgreich fort
({8})
und stellen auch die entsprechenden Haushaltsmittel zur
Verfügung, damit dort weiter zielgerichtet Forschung betrieben werden kann.
Unbestritten ist auch, dass die Ansätze, die zum Tragen kommen, und die Größenordnungen, die hier vorgetragen worden sind, was die Zahl der Tierversuche angeht, zumindest in dem Bereich, der hier interessant ist,
nämlich dem Bereich der Toxikologie, zunächst einmal
zu relativieren sind. Im Jahr 2002 waren es 2,2 Millionen
Tiere, die in Versuchen eingesetzt worden sind. Im Jahr
2003 waren es 2,1 Millionen. Davon sind für den
Bereich der Toxikologie - da ist die gesamte Arzneimitteltoxikologie eingeschlossen - im Rahmen von Zulassungsverfahren 178 000 Versuchstiere eingesetzt worden.
Für die Toxikologie ist es natürlich in besonderer
Weise interessant, auch aus Gründen der Kostenersparnis, neue Modelle zu entwickeln.
({9})
In vielen Bereichen gibt es bereits neue Modelle. Der
LD-50-Test - das ist Ihnen ja ein Begriff - wird heute
nicht mehr angewandt. Die OECD erkennt da bestimmte
Ergebnisse nicht mehr an. Damit ist dieser Test überflüssig geworden. Der Draize-Test - Sie kennen ihn; auch
ich kenne ihn noch aus meiner Praxis im Bereich der
Pharmakologie - ist ebenfalls überflüssig geworden.
({10})
In der ZEBET sind bahnbrechende Entwicklungen im
Bereich des Tierversuchsersatzes geleistet worden.
({11})
Das muss man hier auch einmal würdigen. Für die Leistung, die dort erbracht worden ist, muss man den Forschern und der Spitze der ZEBET Dank sagen.
({12})
Die Strategie des Tierversuchsersatzes ist zielgerichtet fortzuführen. Gerade was den Tierschutz angeht
- da liegt Ihr Antrag gar nicht einmal so weit daneben -,
ist ein unter Umständen bahnbrechender Ansatz der, mit
mathematisch-statistischen Verfahren Strukturanalysen
oder entsprechende Wirkungs- bzw. Risikoanalysen
nachzuvollziehen, die zunächst einmal in der Lage sind,
den einen Bereich der Chemikalien von dem anderen zu
trennen, nämlich dem Bereich der Chemikalien, die
nicht so umweltrelevant und toxikologisch nicht so relevant sind,
({13})
und letztlich nur die Substanzen einer ausführlichen toxikologischen Prüfung, auch mittels Tierversuch, zu unterziehen, die wirklich umweltrelevant und wirklich toxikologisch relevant sind. Dass Sie sich hier aber zum
Vertreter der Interessen der chemischen Industrie machen
({14})
und das mit dem Anliegen des Tierschutzes verknüpfen,
halte ich nicht für richtig.
({15})
Wir brauchen für jede Substanz, die produziert wird,
auch in Abhängigkeit von ihrem Produktionsvolumen,
einen Grunddatensatz. Auf der Grundlage dieses
Grunddatensatzes ist dann zu entscheiden, wie man weiter verfährt, ob in dieser Substanz ein Risiko steckt, das
weiter geprüft werden muss.
Wenn ich das nur expositionsbezogen tue, dann muss
ich zunächst einmal erfassen - das ist heute Morgen
schon vielfach dargestellt worden -: Wer ist überhaupt
exponiert? Wenn man diesen Ansatz fährt, der unter Umständen nicht ganz so irrelevant ist, wenn es um Einzelsubstanzen geht, vor allem um Substanzen, die in geringeren Mengen produziert werden als die, die nach den
bisherigen Kriterien zu prüfen sind, vor allem wenn sie
unter Verbraucherschutzaspekten relevant sind, ist darauf hinzuweisen, dass es in diesem Bereich meiner Einschätzung nach bei den bisherigen Vorgaben von
REACH unter Umständen noch die eine oder andere Lücke gibt.
({16})
Das werden auch Sie natürlich aus den Stellungnahmen
des BfR zur Kenntnis genommen haben.
In der Studie, die das BfR vorgelegt hat, geht es um
Größenordnungen von maximal 45 Millionen und minimal 7,5 Millionen. Das ist die Aussage.
({17})
- Das ist die Aussage des BfR, was die Zahlen und Größenordnungen angeht. Andere Studien kommen zu anderen Ergebnissen. Insgesamt kann man sagen, dass die
Studie, was die Aussagekraft bezüglich der Versuchstiere angeht, bis zu einem gewissen Grade, aber nicht in
Gänze belastbar ist. Niemand ist heutzutage in der Lage,
aufgrund der Vorgaben eine konkrete Angabe darüber zu
machen, wie viele Versuchstiere letztendlich erforderlich
sein werden, um den Zweck von REACH zu erfüllen.
({18})
Dass REACH von Ihnen nicht mehr infrage gestellt
wird, ist eine Entwicklung, die wir hier in diesem Hause
von unserer Seite in besonderer Weise begrüßen. Ich
warne davor, den Tierschutz in diesem Zusammenhang
zu missbrauchen.
({19})
Führen Sie also bitte hier keine Stellvertreterdebatte im
Interesse der chemischen Industrie.
({20})
Ich glaube, wir brauchen zielgerichtete Ansätze. Alle
Alternativmethoden sparen nämlich Kosten in erheblichem Umfang. Da ist es angezeigt, im Zusammenwirken
mit der chemischen Industrie und mit den vorhandenen
wissenschaftlichen Instituten, dem BfR und der ZEBET,
eine gemeinsame Strategie zu verfolgen und durch Unterstützung entsprechender Modelle die Forschung voranzubringen. Das spart zum einen beiden Seiten Kosten.
Zum anderen erspart es den Versuchstieren viel Leid.
Das ist ein konkreter Ansatz, den auch Sie unterstützen
sollten.
Vielen Dank.
({21})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/4656 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Rainer Brüderle, Dr. Andreas Pinkwart,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Anpassungsgeld für Arbeitnehmer des Steinkohlenbergbaus an die vergleichbaren Regelungen der Arbeitnehmer anderer Branchen
angleichen
- Drucksache 15/3722 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({0})
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
FDP fünf Minuten erhalten soll. Gibt es dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Gudrun Kopp von der FDPFraktion.
({1})
Herr Präsident! Sehr geehrte Herren und Damen! Wir
sprechen heute wieder einmal über das Thema der mit
den Steinkohlensubventionen verbundenen Auswirkungen. Wir wissen ja alle - die FDP-Bundestagsfraktion
hat das hier schon wiederholt bemängelt -, dass die rotgrüne Bundesregierung eine Anschlussregelung für die
weitere Subventionierung eines Industriezweiges aus der
Vergangenheit, der auch in Zukunft nicht wettbewerbsfähig sein wird, nämlich die Förderung der deutschen
Steinkohle, vereinbart hat. Von 2005 bis 2012 sollen
weitere 16 Milliarden Euro an Subventionen gezahlt
werden, und das vor dem Hintergrund der Haushaltslage,
der allgemeinen Wirtschaftslage und der dringend nötigen Investitionen in Bildung und Innovationen. Das finden wir in der Tat unmöglich.
({0})
Es kommt aber noch schlimmer. Im Rahmen der im
Zuge von Hartz IV beschlossenen Zusammenlegung von
Arbeitslosen- und Sozialhilfe, der wir im Grundsatz zugestimmt haben, gibt es eine weitere Privilegierung eines Berufszweiges, nämlich des Berufszweiges der
Bergleute. Während Hunderttausenden von Menschen
Einschnitte nach Hartz IV zugemutet werden, ist vorgesehen, eine Gruppe auszunehmen. Hier wird also ganz
klar Klientelpolitik gemacht. Auf der einen Seite hat die
Bundesregierung im Rahmen der Anpassungsmaßnahmen im Zuge von Hartz IV die so genannte 58er-Regelung aufgekündigt. Diese Vorruhestandsregelung sah
vor, dass Menschen jenseits der 58, die bereit waren, gegenüber der BA zu erklären, dass sie auf eine weitere
Jobvermittlung verzichten, garantiert wurde, dass sie Arbeitslosenhilfe bis zum Rentenbeginn bekommen. Dieser Personengruppe von ungefähr 400 000 Menschen
zum Beispiel werden nun schmerzliche Einschnitte zugemutet. Auf der anderen Seite wird den von mir eben
genannten Bergleuten weiterhin aus staatlichen Kassen
ein Anpassungsgeld gezahlt: Zwei Drittel davon trägt
der Bund und ein Drittel davon tragen die Kohleländer
Saarland und NRW. Das stellt eine klare Ungleichbehandlung dar.
Allein für das Jahr 2004 ist im Haushalt von Minister
Clement hierfür ein Sollansatz von 120 Millionen Euro
vorgesehen. Hinzu kommen noch einmal Bundeszuschüsse an die Knappschaft, sodass es, bezogen auf das
Jahr 2003, einen Gesamtzuschuss des Bundes zulasten
der Steuerzahler in Höhe von 316 Millionen Euro gegeben hat.
({1})
Das, meine sehr geehrten Herren und Damen, nennen
wir als FDP weder gerechtfertigt noch gerecht.
({2})
Hier stellen wir fest, dass eine weitere Subventionierung,
eine Ungleichbehandlung, stattfindet, die wir angepasst
wissen wollen. Wir möchten nicht, dass die Privilegierung dieses Berufszweigs weiterhin Bestand hat, und
fordern Rot-Grün auf - Sie nehmen ja sonst auch immer
die Lufthoheit hinsichtlich moralischer Werte für sich in
Anspruch -, dass Sie diese Regelung fallen lassen und
darauf verzichten, diese Art von Subventionierung und
Ungleichbehandlung fortzuführen.
Ich sage Ihnen noch einmal ganz deutlich: Wenn wir
im Jahr 2006 in die Regierungsverantwortung kommen
sollten - das hoffen wir sehr und darauf arbeiten wir
hin -, werden wir diese Steinkohlensubventionen mit
ihren ungleichen Anpassungsregelungen abschaffen und zwar zu dem Zeitpunkt, der rechtlich am frühesten
möglich ist, im Jahre 2008. Ferner sage ich Ihnen: Die
Anschlussregelung, die bis 2012 gelten soll, wird ohnehin nicht greifen; denn EU-Kommissar Piebalgs hat mir
gegenüber erklärt, es werde keine Anschlussregelung
jenseits des Jahres 2010 geben. Nun mag es sein, dass
Sie einen neuen Deal erfinden. Der letzte Deal von Ihnen
ging zulasten des deutschen Speditionsgewerbes; wir
müssen sehen, wer unter einem eventuellen neuen Deal
zu leiden hat. Ich hoffe aber, dass unserem Land diese
Ungleichbehandlung und Subventionierung erspart bleiben werden, nämlich dadurch, dass Ihre Regierungszeit
dann längst zu Ende sein wird.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Grotthaus von
der SPD-Fraktion.
Frau Kopp, zu dem von Ihnen zuletzt geäußerten
Wunsch darf ich Ihnen sagen: Diesen Wunsch haben Sie
schon zu Anfang dieser Wahlperiode geäußert und Sie
werden ihn wahrscheinlich bis 2006 noch öfters vortragen. - Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Mit dem vorgelegten Antrag verbinden die Kolleginnen und Kollegen von der FDP die Erwartung, der
Deutsche Bundestag möge Regelungen zum Anpassungsgeld für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des
Steinkohlenbergbaus an die vergleichbaren Regelungen
anderer Branchen angleichen, die aber - das sage ich
hier sofort - nicht vergleichbar sind und sich somit auch
nicht ohne weiteres von der einen auf die andere Branche übertragen lassen.
({0})
Damit Sie diese Problematik besser nachvollziehen können, will ich dabei einmal näher auf den kohlepolitischen Hintergrund eingehen.
Im Rahmen der Anschlussfinanzierung der Steinkohlenbeihilfen ab 2006 soll die Förderung von derzeit
26 Millionen Tonnen auf 16 Millionen Tonnen in 2012
abgesenkt werden. Dies ist mit einem Abbau von über
16 000 Arbeitsplätzen verbunden, und dies nur in einer
begrenzten Region, im Steinkohlenbergbau.
({1})
Um Sozialverträglichkeit sicherzustellen, sollen die Regelungen zum APG, also dem Anpassungsgesetz, bis
2012 verlängert werden; dabei sollen die Frühverrentungen der Bergleute an den allgemeinen Bedingungen
ausgerichtet werden. Darauf werde ich gleich noch näher
eingehen. Dies ist aus Gründen der Sozialverträglichkeit
nötig und auch aus energiepolitischen und rohstoffpolitischen Gründen sinnvoll.
Das APG hat sich seit 1972 als Instrument bewährt;
es dient der sozialen Flankierung des personellen Anpassungsprozesses im deutschen Steinkohlenbergbau. Es
wurde im Übrigen nie - ich sage noch einmal: nie - infrage gestellt, auch nicht von den FDP-Wirtschaftsministern, etwa 1991 von Herrn Möllemann oder 1997 von
Herrn Rexrodt. Damals wurde die Geltungsdauer des
APG verlängert, und dies aus gutem Grund. Ich sage
auch an die Adresse derjenigen Kolleginnen und Kollegen, die dieser Debatte aufmerksam zuhören: Politik
muss auch in den Zeiten, in denen man selber in der Opposition ist, verlässlich bleiben. Dies gilt insbesondere
für Sie, meine Damen und Herren von der FDP.
({2})
Darüber hinaus werden die neuen APG-Richtlinien ab
2006 unter anderem auch Elemente enthalten, in denen
bereits Forderungen nach einer Angleichung an die allgemeinen Regelungen berücksichtigt werden.
({3})
Ich will dies hier nennen: Alle Änderungen, die sich aus
der veränderten Rentengesetzgebung ergeben, fließen
automatisch in die Leistungsberechnung ein. Mit dem
Geburtsjahrgang 1952 ist eine Inanspruchnahme der
Rente ab dem 62. Lebensjahr nur noch mit 10,8 Prozent
Rentenkürzung möglich. Damit verschiebt sich für die
Übertagebeschäftigten der Eintritt in das APG auf das
57. Lebensjahr.
Der Beitrag zur Krankenversicherung wird ab
2006 für neue APG-Empfänger nicht mehr voll erstattet.
Der Beitragspflichtige muss sich, wie andere auch, dann
mit 50 Prozent am Krankenversicherungsbeitrag beteiligen.
Der Entwurf der APG-Richtlinie befindet sich zurzeit
in der Ressortabstimmung und wird dann mit den Bergbauländern beraten.
({4})
Die vorgesehenen Veränderungen werden von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite - hören Sie genau zu, Frau
Kopp - mitgetragen.
Lassen Sie mich aber auch etwas zur energiepolitischen Seite sagen. Die Gremienbeschlüsse zur Stilllegung bzw. vorgezogenen Stilllegung sind mit der APGRegelung konditioniert. Ein Verzicht auf APG bzw. die
faktische Außerkraftsetzung der APG-Richtlinie und damit das Verlassen des sozialverträglichen Anpassungsprozesses würden einen leistungsfähigen Steinkohlenbergbau gefährden und damit den Verlust des dringend
benötigten energiepolitischen Beitrags der heimischen
Steinkohle bedeuten. Wir als SPD-Fraktion stehen zum
Energiemix und dazu gehört auch die heimische Steinkohle.
({5})
Ich frage mich, meine Damen und Herren von der
FDP, ob Sie damit auch den Verzicht der Stahlindustrie
auf Koks aus heimischer Kokskohle oder die Stilllegung
von Kraftwerken, bedingt dadurch, dass wir bei Kraftwerkskohle auf dem Weltmarkt in absehbarer Zeit vielleicht in einen Lieferstau geraten, in Kauf nehmen wollen.
({6})
Das scheint mir nicht zu Ende gedacht; denn ich bin
überzeugt, dass Ihnen die Entwicklungen auf den Weltrohstoffmärkten durchaus bekannt sind.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, mit Ihrem Antrag verkennen Sie völlig, dass es sich beim APG
nicht um einen Bestandteil der Arbeitsmarktreformen
handelt. Die Arbeitsmarktreformen sollen vorrangig Arbeitslose wieder in Arbeit bringen. Dies trifft aber nicht
auf die älteren Bergleute zu. Ich wiederhole: Beim APG
handelt es sich um ein bewährtes Instrument, um einen
sozialverträglichen Personalabbau zu garantieren. Die
Bergleute sind nicht arbeitslos. Sie machen aus der Solidarität für ihre Nachfolger - ihre Kinder, die junge Generation - heraus ihre vom Grundsatz her sehr sicheren
Arbeitsplätze frei und verzichten auf erhebliche finanzielle Mittel.
Ich fasse zusammen: Ihr Antrag hält einer Prüfung
unter den Gesichtspunkten sowohl der Sozialverträglichkeit als auch der Energiepolitik nicht stand und ist deshalb abzulehnen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
Zusammenhang mit dem deutschen Steinkohlenbergbau,
den die FDP in ihrem Antrag thematisiert, gibt es zweifellos viele Wahrheiten. Wahr ist, dass es für die aus dem
Bergbau ausscheidenden Kumpel in unserem Land traditionell gute Regelungen im Vergleich zu anderen Branchen gibt.
({0})
Wenn Sie aus einer Kohleregion stammen, dann wissen
Sie allerdings auch, dass zur Wahrheit gehört, dass dies
seine guten Gründe hat; denn unsere Bergleute haben
nach dem Zweiten Weltkrieg durch ihre schwere Arbeit
mit erheblichen gesundheitlichen Belastungen einen unverzichtbaren, großen Beitrag zum Wiederaufbau unseres Landes, und zwar nicht nur der Bergbauregionen, geleistet.
({1})
Wahr ist auch, dass man - entsprechend war die Politik CDU/CSU-geführter Bundesregierungen - allein mit
dem Hinweis auf Verdienste der Vergangenheit bestimmte Strukturen natürlich nicht unendlich lange fortbestehen lassen kann. In den Bergbauregionen hat es einen Strukturwandel gegeben und wir als Union haben
immer gesagt, uns wäre es lieber, er wäre schneller vorangegangen; das ist uns auch für die Zukunft wichtig.
Wahr ist aber auch, dass man vor diesem Hintergrund
mit Recht die Frage stellen kann, ob die Bundesregierung gut beraten war, angesichts der durch ihre Politik
herbeigeführten katastrophalen allgemeinen wirtschaftlichen Lage noch im November 2003 einen Finanzrahmen für das Anpassungsgeld für Arbeitnehmer des
Steinkohlenbergbaus in dem Umfang zuzusagen, in dem
sie es - trotz der von der FDP angesprochenen Regelungen für Arbeitnehmer anderer Branchen - getan hat.
Genauso gehört zur Wahrheit, dass die rot-grüne Bundesregierung diese Regelung nun einmal getroffen hat
und dass bei allen auf die Zukunft gerichteten Überlegungen der Satz gelten muss, dass einmal geschlossene
Verträge einzuhalten sind. Das gilt nicht nur für die spezielle Frage des Anpassungsgeldes für Bergleute, sondern auch für die gesamte deutsche Steinkohlenpolitik.
Vor diesem Hintergrund hat die Unionsfraktion auch immer zu den im Jahre 1997 im Steinkohlenkompromiss
getroffenen Vereinbarungen gestanden.
Wenn Wirtschaftspolitik einen Rahmen setzen soll
- das ist genau das Credo der Ordnungspolitik -, dann
muss dieser Rahmen natürlich auch verlässlich sein,
dann kann man ihn nicht bei der erstbesten Gelegenheit,
kaum dass er verabredet worden ist, infrage stellen. Das
gilt für den Bergbau genauso wie für die Post oder für
andere Bereiche, in denen Anpassungsregelungen einmal vereinbart worden sind.
({2})
Wahr ist auch, dass es bei dem hier in Rede stehenden
Anpassungsgeld der Arbeitnehmer des Steinkohlenbergbaus um eine Regelung geht, die es seit 1972 gibt. Dieses Anpassungsgeld hat sich als Instrument zur sozialen
Flankierung des Anpassungsprozesses im deutschen
Steinkohlenbergbau im Grundsatz bewährt.
Zur Wahrheit gehört natürlich auch - auch wenn Sie
es nicht gerne hören mögen -: In diesen 33 Jahren, in denen es dieses Anpassungsgeld gibt, hat keine Partei so
lange regiert wie die FDP. Sie haben nämlich 26 Jahre
lang für dieses Anpassungsgeld die politische Verantwortung getragen. Man kann noch weiter zurückgehen:
Der Höhepunkt des deutschen Steinkohlenbergbaus war
im Jahre 1958.
({3})
Seitdem gehen die Produktion und die Beschäftigung im
Bergbau zurück.
({4})
Niemand hat seit 1958 in Deutschland länger regiert und
länger Steinkohlenpolitik gemacht als Sie von der FDPFraktion. Das sage ich unabhängig davon, wie man inhaltlich zu dieser Politik stehen mag.
Es drängt sich natürlich schon der Eindruck auf, dass
Sie sich ein wenig in der Rolle des Konvertiten, der,
wenn er erst einmal konvertiert hat, dann - getrieben
vom schlechten Gewissen - besonders radikale, aber
nicht unbedingt sachgerechte Vorschläge macht.
({5})
Das waren meine Vorbemerkungen. Jetzt will ich auf
einzelne Punkte eingehen, die Sie in Ihrem Antrag ansprechen.
Sie sprechen beispielsweise davon, dass die Beschäftigten des Steinkohlenbergbaus von den mit der HartzIV-Reform verbundenen Einschnitten verschont bleiben. Ich will in diesem Zusammenhang nur daran erinnern, dass wir Hartz IV nie als Instrument gesehen haben, um Menschen zu ärgern oder zu drangsalieren.
Natürlich haben wir uns durchgerungen, Menschen Opfer zuzumuten. Aber es ging uns bei Hartz IV in erster
Linie darum, arbeitslose Menschen schneller wieder in
Arbeit zu bringen, als es bisher gelungen ist.
Dass das seit dem In-Kraft-Treten der Reform nicht
gelungen ist, hängt natürlich mit der desaströsen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung
insgesamt zusammen. Diese Politik hat dazu geführt,
dass sinnvolle Maßnahmen der letzten Jahre - wir haben
sie deshalb mitgetragen, weil für uns die Vorteile die
Nachteile überwogen haben; ich nenne als Stichwort
Hartz II und Hartz IV - insgesamt durch eine falsche
Wirtschaftspolitik konterkariert worden sind. Das ist einfach die Wahrheit im Zusammenhang mit Hartz IV.
Nun ist natürlich auch richtig, dass das 1972 eingeführte Anpassungsgeld für Bergleute nie in erster Linie
dem Zweck gedient hat, ausscheidende ältere Bergleute
in eine andere Beschäftigung zu bringen.
({6})
Sie verwechseln hier ein wenig Äpfel mit Birnen.
({7})
Sie weisen in Ihrem Antrag darauf hin, dass die Bundesknappschaft den Bergleuten Leistungen gewährt, die
diese nur zum Teil über Sozialversicherungsbeiträge
finanzieren. Das ist nun in der Tat eine unbestreitbare
Aussage, die für die Knappschaftsrentner genauso gültig
ist wie für alle anderen Rentner, die aus der gesetzlichen
Rentenversicherung - es gibt einen hohen Bundeszuschuss - Leistungen beziehen. Angesichts der Tatsache,
dass auf einen aktiven Bergmann statistisch etwa fünf
Rentner kommen, ist selbstverständlich klar, dass dieser
Bergmann mit seinem Sozialversicherungsbeitrag nicht
allein für diese Rentner aufkommen kann.
Sie sagen in Ihrem Antrag auch, dass Sie zu einer sozialverträglichen Regelung kommen wollen. Das ist natürlich die Quadratur des Kreises. Sie stellen nämlich die
einmal getroffenen Regelungen infrage und wollen
gleichzeitig neu verhandeln, um auf andere Weise zu einer sozialverträglichen Regelung zu kommen. Sie müssten dazu nicht nur das Ei des Kolumbus finden, sondern
es müsste Ihnen auch die bekanntermaßen unmögliche
Quadratur des Kreises gelingen.
Ich will in diesem Zusammenhang nur noch darauf
hinweisen, dass Änderungen, die sich aus der veränderten allgemeinen Rentengesetzgebung ergeben, mittlerweile automatisch in die Leistungsberechnung für das
Anpassungsgeld einfließen. Als Beispiel nenne ich den
Wegfall von Ausbildungsanerkennungszeiten oder willkürliche Nullrunden bei der Rentenanpassung, die die
Bundesregierung den Rentnern allgemein beschert hat.
Von daher ist die Behauptung, dass die Bergleute von
den Folgen der allgemeinen katastrophalen rot-grünen
Wirtschaftspolitik ausgenommen werden, allenfalls begrenzt richtig.
({8})
Um die Situation, dass man die Quadratur des Kreises
nicht erfolgreich schaffen kann, zu erkennen, genügt im
Übrigen ein Blick in die Presselandschaft dieser Tage.
Die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ sprach vorgestern von einem neuen Kraftakt im Kohlenbergbau. Die
„FAZ“, eigentlich bekannt dafür, ordnungspolitisch Kurs
zu halten, spricht in ihrer gestrigen Ausgabe von einem
„beispiellosen Sozialpakt in der deutschen Steinkohle“.
Sie weist darauf hin, dass durch den Verzicht der gesamten Belegschaft im deutschen Steinkohlenbergbau zunächst 1 300 Arbeitsplätze erhalten bleiben. Zu diesem
Sozialpakt mit einem Volumen von insgesamt
140 Millionen Euro, so schreibt die „FAZ“, würden allein die Mitarbeiter durch Lohnverzicht und andere
Maßnahmen 110 Millionen Euro beitragen.
({9})
Dies dient der von Ihnen geforderten sozialverträglichen
Regelung, die für den deutschen Steuerzahler im Übrigen billiger ist als die Entlassung der betroffenen Menschen in die Arbeitslosigkeit.
({10})
Es wäre natürlich vollkommen illusorisch, anzunehmen,
dass ein solcher Solidarpakt greifen könnte, wenn
gleichzeitig die von der Politik bereits einmal gegebenen
Zusagen plötzlich nicht mehr gelten würden. Eine solche
Politik wäre unverantwortlich.
({11})
Ich habe zu Beginn meiner Rede darauf hingewiesen,
dass mit dem Verweis auf Leistungen des Bergbaus in
der Vergangenheit selbstverständlich nicht sämtliche
vom Bergbau für die Zukunft gewünschten Hilfen gerechtfertigt werden können. Deswegen hat sich gerade
die CDU in Nordrhein-Westfalen auf einen Weg begeben, der den Bergleuten keine populären, aber ehrliche
Antworten im Hinblick auf die Zukunft des deutschen
Steinkohlenbergbaus gibt.
Dazu gehört für uns die Halbierung der Steinkohlenförderung bis zum Jahre 2010. Die von Rot-Grün vorgesehene geringere Kürzung der Förderung reicht aus unserer Sicht nicht aus; denn die damit im Vergleich zu
unserem Vorschlag verbundenen zusätzlichen finanziellen Belastungen sind mit den Grundsätzen einer nachhaltigen Finanzpolitik nicht vereinbar und insbesondere der zukünftigen Generation nicht zumutbar. Auch
das gehört zur Wahrheit: Es gibt in der Steinkohlenpolitik kein ausschließliches Schwarz-Weiß.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ich
hoffe sehr, dass es uns in Zukunft, gerade in den nächsten Monaten, gelingt, die großen Gemeinsamkeiten, die
wir auf dem großen Gebiet der Energiepolitik insgesamt
haben, wieder in den Vordergrund zu stellen. Wir sind
uns ja einig, was die hauptsächlichen Probleme unserer
Energiepolitik sind.
({13})
- Das Hauptproblem ist doch, dass wir es uns in einem
Land, in dem es zu Recht hohe Löhne und umfangreiche
soziale Leistungen gibt, auch noch leisten, durch eine
ideologisch-motivierte und vollkommen überzogene
Förderung erneuerbarer Energieträger, durch den Ausstieg aus unserer Spitzentechnologie im Bereich der
Kernkraft und durch viele andere Maßnahmen mehr die
Energie in Deutschland künstlich teuer zu machen. Das
ist doch das Hauptproblem in der Energiepolitik in
Deutschland.
({14})
Es bringt uns, glaube ich, nicht weiter, wenn wir alle
vom Energiemix reden und sich jeder seinen eigenen
Energiemix gestaltet: Rot-Grün unter Stilllegung der sichersten Kernkraftwerke der Welt, Sie mit einem Absturz im Bereich der Kohlepolitik, mit einer Tabula rasa
gegenüber Regelungen, die niemand so lange politisch
geprägt hat wie Sie selber. Das hat nichts mit einem
sinnvollen Energiemix zu tun.
Wir geben inzwischen für die Kohle weniger Geld aus
als für die Förderung erneuerbarer Energien. Es
spielt dabei gar keine Rolle, ob die Belastungen die
Steuerzahler oder die Verbraucher treffen. Dies alles sind
letztlich Belastungen, die unsere Wirtschaft treffen, die
die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Land lähmen
und die angesichts der unvermeidbaren Kostenbelastungen und der Wettbewerbsprobleme, die wir im Vergleich
zum europäischen und außereuropäischen Ausland haben, nicht zu rechtfertigen sind.
Hinzu kommt natürlich, dass die Kostenbelastungen,
die der Steinkohlenbergbau verursacht, unstrittig herunter- und nicht hinaufgehen. Die in anderen Bereichen
ideologisch-motivierte und total überzogene Förderpolitik, die die Energiepreise künstlich hochtreibt, sind das
Hauptproblem unserer Energiepolitik. Kollege Laumann
hat darauf in einer wirtschaftspolitischen Debatte in aller
Deutlichkeit hingewiesen; daran kann ich nur noch einmal erinnern.
Herr Kollege Brauksiepe, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Kopp?
Bitte.
Bitte schön, Frau Kopp.
Herr Kollege, vielen Dank dafür, dass Sie diese Frage
zulassen. - Wir sind uns sicher einig darin, dass wir die
Kohle in Zukunft im Energiemix erhalten wollen. Das
will auch die FDP. Auch Sie wissen wahrscheinlich, dass
beispielsweise die heimische Braunkohle komplett wettbewerbsfähig ist.
Sind Sie bereit, mir zuzustimmen, wenn ich sage, dass
man vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die deutsche Steinkohle nicht wettbewerbsfähig ist, unsere Kohlekraftwerke mit Importkohle sehr viel kostengünstiger
befeuern kann? Ihre Argumentationslinie - Sie haben
ausgeführt, wir benötigten die teure, nicht wettbewerbsfähige deutsche Steinkohle, um unsere Kraftwerke mit
Steinkohle zu bestücken - ist nicht unser Argumentationsansatz. Natürlich brauchen wir die Steinkohle, aber
nicht die teure heimische. Wir wollen stattdessen Importkohle, die nicht subventioniert wird und keine hohen
Kosten verursacht.
Ich bin zunächst Ihrer Meinung, dass zu einem Energiemix in Deutschland auch die Braunkohle gehört. Ich
verkenne jedoch nicht die umweltpolitischen Probleme,
die damit verbunden sind. Es wird keinen Königsweg
geben und auch nicht den Energieträger, auf den wir uns
allein verlassen können.
Die Diskussion über die Importkohle wird in letzter
Zeit aufgrund der veränderten Weltmarktpreise mit anderen Akzenten geführt, als das in der Vergangenheit der
Fall gewesen ist.
({0})
Das ändert natürlich überhaupt nichts daran, dass wir
den sozialen Anpassungsprozess, den wir vor Jahrzehnten eingeleitet haben, fortführen sollten. Ich bestreite gar
nicht, dass die deutsche Steinkohle auch bei den heute
gültigen Energiemarktpreisen teurer ist als Importkohle.
Sie wissen, dass wir in Deutschland bereits Importkohle
verwenden. Genauso verwenden wir heimische Steinkohle. Das alles gehört zu einem sinnvollen Energiemix.
Wenn wir von einem sinnvollen Energiemix sprechen,
meinen wir nicht nur einen Energieträger und schließen
andere aus, sondern dann beziehen wir uns auf den gesamten Energiemix. Darin unterscheiden wir uns.
({1})
Unabhängig davon haben wir in der Energiepolitik, in
der Analyse der verheerenden Konsequenzen einer ideologisch verfehlten rot-grünen Energiepolitik sehr viel
Übereinstimmung. Ich hoffe sehr, dass es uns gelingen
wird, uns in den kommenden Wochen und Monaten diesen Gemeinsamkeiten wieder verstärkt zuzuwenden. Ich
bedanke mich für den Dialog, den wir fast während meiner gesamten Redezeit in diesem Kreis geführt haben.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({2})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Michaele
Hustedt vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Brauksiepe, im Großen und Ganzen fand ich Ihre Rede
sehr gut; aber einen Punkt möchte ich herausgreifen. Der
Vergleich zwischen den erneuerbaren Energien und der
deutschen Steinkohle hinkte,
({0})
die Steinkohle ist ein Energieträger der Vergangenheit,
die erneuerbaren Energien sind die Energieträger der Zukunft. Das sieht sogar die von Ihnen zitierte „FAZ“ so,
die davon spricht, dass die Kosten, die bei den erneuerbaren Energien aufgebracht werden müssen, notwendig
sind, um zukunftsfähig zu werden. Das konnten Sie gestern in der „FAZ“ nachlesen.
({1})
Frau Kopp, es wäre besser gewesen, Sie hätten Ihre
Rede zu Protokoll gegeben; am besten wäre es gewesen,
Sie hätten Ihren Antrag zurückgezogen.
({2})
Es ist bekannt, dass die SPD und wir in der Frage, ob
es einen dauerhaften Steinkohlensockel geben soll oder
nicht, nicht einer Meinung sind. Ich halte auch die Kokskohle nicht für wettbewerbsfähig, da man in Australien
die Kokskohle über Tage abbauen kann.
({3})
Das Problem liegt dabei nicht in der Förderung, sondern
im Transport. Aber dieses Problem wird sich regeln lassen.
Darüber, dass wir einen sozial verträglichen Strukturwandel wollen und auch zu gegebenen Versprechen stehen wollen, sind sich anscheinend mit Ausnahme Ihrer
Fraktion alle Fraktionen hier im Hause einig. Sie stehen
mit Ihrer Ansicht allein da. Natürlich muss man in Zeiten, in denen man den Bürgern durch Hartz IV und andere Reformanstrengungen einiges zumutet, auch diese
Regelungen auf den Prüfstand stellen. Aber aufgewacht,
liebe FDP, das haben wir auch gemacht. Das wurde hier
bereits mehrfach ausgeführt.
({4})
Die Bedingungen der Frühverrentung werden sich zukünftig an den allgemeinen Veränderungen orientieren.
Das war Teil des Steinkohlenkompromisses,
({5})
den SPD und Grüne beschlossen haben. Die Regelung in
dieser Form wird keinen Bestand haben, stattdessen wird
die Richtlinie angepasst.
Natürlich - das bezieht sich auf den aktuellen Haushalt - kann man die Bedingungen nicht nachträglich für
die Menschen ändern, die die Regelung in Anspruch genommen haben. Schließlich haben sie ihren Arbeitsplatz
aufgegeben und sind in Rente gegangen. Das ist doch
völlig klar. Das wäre doch unverantwortlich.
({6})
Natürlich muss man zwischen den Menschen, die unter Tage arbeiten, und denen, die in einem Büro als Sachbearbeiter arbeiten, unterscheiden. Aber wir haben - das
wurde schon gesagt - die Frühverrentungsregelungen für
beide Gruppen im Sinne der allgemeinen Frühverrentungsregelungen nach oben angepasst: für diejenigen,
die unter Tage arbeiten, auf 52 Jahre, und für alle anderen auf 57 Jahre. Dann bekommen sie fünf Jahre lang
Anpassungsgeld, danach verminderte Rentenbezüge.
Das haben wir analog zu allen anderen Branchen geregelt; hier gibt es keinen Unterschied.
Dasselbe gilt für den zweiten Punkt, den Sie angesprochen haben: die Bundesknappschaft, zu der der
Bund in der Tat Zuschüsse zahlt. Aber er zahlt auch zu
den allgemeinen Rentenversicherungen steuerliche Zuschüsse.
({7})
Dass ein Unterschied zwischen dem einen und dem anderen System besteht, hat auch damit zu tun, dass wir die
Leistungen in diesem Bereich radikal abgebaut haben.
Während im allgemeinen Rentensystem zwei Arbeitnehmer für einen Rentner zahlen, zahlt im System der
Knappschaft ein Arbeitnehmer für sechs Rentner.
({8})
Frau Kollegin Hustedt, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lammert?
Ja.
Herr Lammert, bitte.
Frau Kollegin Hustedt, ist es nicht ein Gebot der Fairness gegenüber allen, die an diesem Thema Interesse haben - damit meine ich nicht nur die hier anwesenden
Kolleginnen und Kollegen, sondern auch die in vergleichbaren Branchen unmittelbar Betroffenen -, einzuräumen, dass es für den Anpassungsprozess im Bergbau
neben Regelungen, die analog zu allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen getroffen wurden, in der Tat privilegierte Regelungen gibt, die mit hohen öffentlichen Mitteln ermöglicht werden, dass wir diese Sonderregelungen
aber aus guten Gründen über viele Jahre hinweg finanziert haben und wir uns vermutlich wünschen würden,
dass der Strukturwandel in anderen Branchen auf ähnliche Weise hätte flankiert werden können, wie es in diesem Bereich möglich war, und dass insofern die Frage,
ob wir dies im Kontext stattgefundener Veränderungen
für eine nicht definierte Dauer in Zukunft fortsetzen können, legitim ist?
Unsere Position wäre glaubwürdiger, wenn wir sagen
würden: Wir müssen an allen Stellen, auch an dieser, neu
nachdenken: nicht nur darüber, was wünschenswert ist,
sondern auch darüber, was möglich ist. Aber in der Tat
- das hat Kollege Brauksiepe gerade deutlich gemacht sollte man nicht ausgerechnet in einer Phase, in der die
Betroffenen ganz ungewöhnliche zusätzliche Anstrengungen unternehmen und auf Einkommen und Versorgungsansprüche verzichten müssen, einen solch bemerkenswerten Konsens, der auch für andere Branchen
beispielhaft sein könnte, mutwillig gefährden, indem
man sie mit der Botschaft konfrontiert, dass sich die
Bundesregierung in dieser Situation von ihren eigenen,
verbindlichen Zusagen zurückzieht.
({0})
Ich kann Ihnen nur zustimmen. Wir stehen zur Anpassungsregelung.
({0})
Wir haben gesagt - hier befinde ich mich mit meiner
Position, wie übrigens auch Sie, zwischen jener der FDP
und der Ihrer Partei -, dass wir nicht alles beim Alten
gelassen haben. Vielmehr haben wir, weil neue Zeiten
angebrochen sind, allen ein bisschen mehr zugemutet.
({1})
Dementsprechend haben wir auch die Regelungen zum
Anpassungsgeld verändert und zum Beispiel den Zeitpunkt, ab wann jemand Anpassungsgeld bekommt, nach
hinten verschoben.
({2})
Wir machen hier zwar nicht Tabula rasa; aber wir haben
Veränderungen vorgenommen, die den neuen Rahmenbedingungen Rechnung tragen.
({3})
Von daher sage ich Ihnen: Teilweise stimme ich Ihnen
zu; aber teilweise sind wir in dieser Frage weiter als Sie.
Wir wollen gemeinsam mit der SPD modernisieren und
uns der Zeit anpassen.
({4})
Mir geht es darum, deutlich zu machen, dass das, was
die FDP fordert, zum Teil schon geschehen ist. Dafür
kann ich Ihnen ein weiteres Beispiel nennen: die Krankenversicherungsbeiträge. Künftig werden zum Krankengeld Zuschüsse in Höhe von nur 50 Prozent nötig.
Auch die neuen Regelungen zum Zahnersatz und die
Anpassungen in der Pflegeversicherung werden eins zu
eins übernommen. Hier besteht überhaupt kein Unterschied zwischen den Kohlekumpels und allen anderen
betroffenen Bürgern.
Insgesamt muss man sagen: Wir reduzieren die Jahresproduktion bis zum Jahr 2012 von 26 Millionen Tonnen auf 16 Millionen Tonnen. Wir schließen fünf von
zehn Zechen,
({5})
darunter auch das Bergwerk Walsum. Erstmals werden
auch ökologische und volkswirtschaftliche Folgeschäden berücksichtigt. So haben wir eine Zeche, die sich unter dem Rhein befand und in der gebaggert wurde, früher
geschlossen;
({6})
denn aufgrund der Arbeit, die dort stattgefunden hat, hat
sich die Hochwassergefahr dramatisch erhöht. Dadurch
haben wir sowohl die Folgeschäden als auch die Kosten
sehr deutlich reduziert. Das ist ein absoluter Pluspunkt
unserer gemeinsamen Vereinbarung.
({7})
Wir reduzieren die Belegschaften auf die Hälfte: von
38 000 auf circa 20 000 Menschen; das ist immer noch
ein dramatischer Abstieg. Die Kohlesubventionen sinken von 2,7 auf 1,8 Milliarden Euro. Wir haben zudem
dafür gesorgt, dass die steigenden Weltmarktpreise auf
die Subventionen angerechnet werden, damit der Steuerzahler entlastet wird.
({8})
- Ja, natürlich: Wie gesagt, man kann Verträge nicht von
einem Tag auf den anderen auflösen,
({9})
sondern man muss es so machen, dass die Branche damit
umgehen kann. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit in der Politik; alles andere wäre unverantwortlich.
({10})
Wir sind auf dem Pfad des Ausstiegs aus der Subvention
der Steinkohle und wir werden diesen Pfad weiter beschreiten.
Danke schön.
({11})
Die Rede des Kollegen Rolf Hempelmann von der
SPD-Fraktion wird krankheitsbedingt zu Protokoll ge-
nommen; ich denke, Sie sind damit einverstanden.1)
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/3722 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen
Bundestags auf Mittwoch, den 9. März 2005, 13 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.