Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Der Kollege Karl Hermann Haack feiert heute seinen 65. Geburtstag. Im Namen des Hauses gratuliere ich
ihm sehr herzlich.
({0})
Nachträglich gute Wünsche gehen auch an den Kollegen
Uwe Göllner, der am 14. Februar seinen 60. Geburtstag
feierte.
({1})
Die Fraktion der SPD teilt mit, dass sie die Kollegin
Astrid Klug als Nachfolgerin für den ehemaligen Kollegen Jann-Peter Janssen als Schriftführerin vorschlägt.
Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist Kollegin Astrid Klug als Schriftführerin
gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern.
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:
Verschuldung und europäischer Stabilitäts- und Wachstumspakt
({2})
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ronald Pofalla, KarlJosef Laumann, Dagmar Wöhrl, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU: Pakt für Deutschland
- Drucksache 15/4831 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({3})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({4})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz Paula,
Karin Rehbock-Zureich, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Albert Schmidt ({5}), Volker Beck ({6}), Franziska
Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Eisenbahn-Magistrale für Europa zwischen Paris und Budapest
- Drucksache 15/4864 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({7})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert
Königshofen, Dirk Fischer ({8}), Eduard Oswald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU:
Maßnahmen zur Kapitalprivatisierung der Deutschen
Flugsicherung GmbH
- Drucksache 15/4829 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({9})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Tourismus
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dieter
Thomae, Daniel Bahr ({10}), Rainer Brüderle, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel wieder als Leistung der
gesetzlichen Krankenversicherung verankern
- Drucksache 15/3995 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
({11})
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Erhöhung der
Anzahl von Ausschussmitgliedern
- Drucksache 15/4863 ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Das Kioto-Protokoll tritt in Kraft:
Auf dem Weg zu einem globalen effektiven Klimaschutz
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Michael
Goldmann, Horst Friedrich ({12}), Jürgen Koppelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Seeschifffahrt
und Küstenschutz in Deutschland stärken
- Drucksache 15/4847 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({13})
Haushaltsausschuss
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika
Brunkhorst, Birgit Homburger, Michael Kauch, weiterer
Redetext
Präsident Wolfgang Thierse
Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Exportinitiative für
erneuerbare Energien verantwortlich und sachgerecht gestalten
- Drucksache 15/4845 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({14})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette WidmannMauz, Verena Butalikakis, Monika Brüning, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe umfassend, innovativ und
unbürokratisch gestalten
- Drucksache 15/4830 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({15})
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
ZP 9 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Versammlungsgesetzes
und des Strafgesetzbuches
- Drucksache 15/4832 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({16})
Rechtsausschuss
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit
erforderlich, abgewichen werden.
Des Weiteren soll der Tagesordnungspunkt 19 - Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler abgesetzt werden.
Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 154. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
({17}) zur Mitberatung überwiesen werden.
Antrag der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Jörg
Tauss, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD, der Abgeordneten Grietje Bettin, Volker
Beck ({18}), Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Cornelia Pieper, Dr. Karl Addicks, Rainer
Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP:
Impulse für eine internationale Ausrichtung des Schulwesens - Den Bildungsstandort Deutschland auch im Schulbereich stärken
- Drucksache 15/4723 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({19})
Innenausschuss
Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? -
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Verbraucherpolitischer Bericht 2004
- Drucksache 15/4499 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft ({20})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft ({21})
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung - Aktionsplan
Verbraucherschutz
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Jella Teuchner, Michael Müller ({22}), Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der
Abgeordneten Ulrike Höfken, Volker Beck
({23}), Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die
Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung - Aktionsplan
Verbraucherschutz
- zu dem Antrag der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel
Happach-Kasan, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Umfassende Politik für Verbraucher - weg
von einem engen Aktionsplan zum Schutz
der Verbraucher
- Drucksachen 15/959, 15/1007, 15/1001,
15/2058 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Jella Teuchner
Ulrike Höfken
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft ({24})
zu dem Antrag der Abgeordneten Gerda
Hasselfeldt, Ursula Heinen, Peter H. Carstensen
Präsident Wolfgang Thierse
({25}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Bessere Verbraucherinformation bei Lebensmitteln, Produkten und Dienstleistungen
- Drucksachen 15/927, 15/4281 Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm
Ulrike Höfken
Zum Verbraucherpolitischen Bericht 2004 liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Manfred Zöllmer, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vielleicht lässt sich die gewachsene Bedeutung des Verbraucherschutzes in Deutschland heute auch an der Uhrzeit dieser Debatte ablesen: Sie findet zur Kernzeit statt.
Längst hat der Verbraucherschutz unter dieser Bundesregierung sein Mauerblümchendasein, das er noch unter
der Kohl-Regierung innehatte, verlassen.
({0})
Wie wir alle wissen, geschieht so etwas nicht von selbst.
Nur wer den politischen Rahmen richtig gestaltet und
engagiert politisch arbeitet, kann einen Bericht vorlegen,
der eindeutig dokumentiert: Verbraucherpolitik ist eine
Erfolgsgeschichte dieser Bundesregierung.
({1})
In dem vorliegenden Bericht 2004 werden die Ziele
und Schwerpunkte der Verbraucherpolitik vorgestellt.
Ferner legt der Bericht dar, welche konkreten Verbesserungen und Fortschritte für die Verbraucherinnen und
Verbraucher entstanden sind, und er gibt einen Ausblick
auf anstehende Vorhaben.
Eine wirksame und moderne Verbraucherpolitik muss
aktiv als Querschnittsaufgabe - vielleicht im Sinne eines
Consumer Mainstreaming - die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher benennen,
({2})
berücksichtigen, stärken und Instrumente schaffen, welche sie in die Lage versetzen, ihre Rechte wirksam zu
verfolgen.
Wir wollen durch eine aktive Verbraucherpolitik
die Nachfrageseite des Marktes zu einer gestaltenden
Kraft machen, die auch Ziele der Produktinnovation, der
Qualitätsverbesserung, des Umwelt- und Gesundheitsschutzes im Marktgeschehen verankert. Die gleiche Augenhöhe von Anbietern und Nachfragern ist unser Ziel.
Sie ist für eine moderne Wirtschaftspolitik unverzichtbar.
({3})
Wir wollen das real existierende Ungleichgewicht am
Markt zwischen organisierter Anbietermacht auf der einen Seite und individualisierten Nachfragern auf der anderen Seite, deren Interessen oftmals zersplittert sind
und deren Kaufentscheidungen von unterschiedlichen
Motiven abhängen sowie von unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten geprägt sind, beseitigen. Dies unterscheidet uns fundamental von der Opposition, die mit
ihrer Verbraucherpolitik genau dieses Ungleichgewicht
zementiert. Sie hat dabei letztlich nur die Interessen der
Unternehmen im Auge. Die Verbraucher bleiben bei der
Opposition lediglich eine Restgröße. Sie werden mit Placebos abgespeist.
({4})
Es gibt einen anderen, viel propagierten Mythos, der
insbesondere in Kreisen der FPD zu Hause ist.
({5})
Er heißt: Der Markt allein wird schon alles richten, weil
die Kaufentscheidung der Konsumenten letztlich den Erfolg von Produkten bestimmt. Das kann man dem FDPAntrag entnehmen, der uns vorliegt. Damit werden natürlich die unzähligen Fälle des Missbrauchs von
Marktmacht zum Beispiel im Telekommunikationsbereich, die Schuldenfalle für minderjährige Handynutzer
oder die Opfer unlauterer Geschäftsmethoden geleugnet
und ignoriert. Nein, der Markt alleine richtet das nicht.
Mit Marktgläubigkeit und Ignoranz ist keine vernünftige
Politik zu machen. Damit lassen Sie von der FDP die
Verbraucherinnen und Verbraucher im Stich.
({6})
Die Bundesregierung verfolgt eine aktive Verbraucherpolitik. Ich will dies an drei ausgewählten Beispielen deutlich machen. Im vergangenen Jahr haben wir das
UWG novelliert und insbesondere Regelungen zum
Schutz vor irreführender Werbung und aggressiven Geschäftspraktiken durchgesetzt. Im Falle eines Verstoßes
können Wettbewerber und anerkannte Klageverbände
gerichtlich Unterlassung und Schadenersatz verlangen.
Als neues Instrument haben wir den Gewinnabschöpfungsanspruch eingeführt - im Übrigen nicht nur hier,
sondern auch in einer Reihe anderer Gesetze - und damit
die Position der Verbraucherinnen und Verbraucher im
Markt deutlich gestärkt.
Mit der letztjährigen und der bevorstehenden Novellierung des Telekommunikationsgesetzes gibt es bzw.
wird es einen sehr viel besseren Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher geben. Dies betrifft beispielsweise Phänomene wie überhöhte Rechnungen und
Kostenfallen bei Handys. Wir verbessern zudem die Preistransparenz durch genauere Preisansagen und Preisangaben. Es ist gut - wir begrüßen dies ausdrücklich -, dass
auch die Mobilfunkunternehmen den Forderungen der
Politik nachgekommen sind und eigene Produkte für Kinder und Jugendliche auf den Markt bringen, die eine
Überschuldung zu verhindern helfen.
({7})
- Sehr schön, lieber Kollege Goldmann. - Daran sieht
man, dass es zu Produktinnovationen führt, wenn man
die Nachfrageseite des Marktes stärkt. Dies ist das Ergebnis einer aktiven Verbraucherpolitik. Das ist das, was
wir machen.
({8})
Wir setzen das Prinzip „vom Stall bis zum Teller“ mit
einem einheitlichen Lebensmittel- und Futtermittelgesetz um. So schaffen wir Transparenz und verbessern die
Lebensmittelsicherheit. Gleichzeitig wollen wir die aktiven und passiven Informationsrechte der Verbraucherinnen und Verbraucher deutlich verbessern. Denn wir wissen: Die stärksten Waffen der Verbraucherpolitik sind
Transparenz und Information.
Das laufende Vermittlungsverfahren zu dem entsprechenden Gesetz zeigt die Opposition bisher nur als Bedenkenträger. Ich fordere CDU/CSU und FDP sowie die
B-Länder auf: Blockieren Sie dies nicht wieder! Denn
blockiert hat die Opposition bisher nach Kräften, ob bei
der Regelung zur unverlangt zugesandten Werbung, bei
der Verbraucherinformation, beim Lebensmittel- und
Futtermittelgesetz oder bei der Telekommunikation. Sie
spitzen als Verbraucherpolitiker zwar den Mund, pfeifen
aber nie, weil Sie von Ihren Wirtschaftspolitikerkollegen
immer zurückgepfiffen werden.
Frau Merkel hat das Defizit der Union in der Verbraucherpolitik ja klar benannt und beklagt. Verändert hat
sich bei der CDU/CSU aber nichts. Im Leitantrag für den
Düsseldorfer Parteitag taucht das Wort „Verbraucher“
nur einmal auf. Die Verbraucherpolitik der Union bleibt
eine Blackbox. Auch neue Papiere können daran nichts
ändern. Das vorliegende neue Positionspapier zur Verbraucherpolitik enthält nicht einen originären Gedanken.
Diese Koalition hat in der Verbraucherpolitik noch
viel vor; das können Sie unserem Antrag entnehmen. Ich
kann abschließend nur feststellen: Aktive Verbraucherpolitik bleibt eine dauernde Aufgabe. Diese Bundesregierung handelt.
Vielen Dank.
({9})
Ich erteile das Wort Kollegin Gerda Hasselfeldt,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach vierjähriger Tätigkeit der Verbraucherschutzministerin wird nun zum ersten Mal ein verbraucherpolitischer Bericht vorgelegt. Das Ergebnis könnte man in
einigen wenigen Worten zusammenfassen: Es kreißte
der Berg, heraus kam eine Maus.
({0})
In der Tat enthält dieser Bericht viel heiße Luft und
viel Geschwafel. In weiten Bereichen schmückt sich die
Ministerin mit fremden Federn, nämlich mit Entscheidungen, die auf EU-Ebene getroffen wurden und teilweise nicht einmal umgesetzt werden mussten.
({1})
Zu vielen Themen, die die Verbraucher ganz elementar
betreffen, beispielsweise zu den Fahrgastrechten oder zu
den überhöhten Energiepreisen, wird in dem Verbraucherbericht und auch sonst nichts, aber auch gar nichts
gesagt.
({2})
Lieber Herr Zöllmer, da hilft es auch nicht, wenn in
vielen Programmen das Wort „Verbraucher“ vorkommt.
Davon haben die Verbraucher nichts. Wir brauchen eine
Politik für die Verbraucher.
({3})
Eines wird in dem Bericht allerdings deutlich, nämlich die Grundausrichtung Ihrer Verbraucherpolitik mit
dem Wunsch nach zunehmender staatlicher Bevormundung des Verbrauchers.
({4})
Das will ich an einigen Beispielen begründen.
Es ist immer wieder die Rede von der Förderung des
nachhaltigen Konsums. In dem Bericht heißt es, der
Verbraucher sollte dazu befähigt werden, im Rahmen
seiner Konsumentscheidungen auch ökologische, soziale
und ethische Aspekte zu berücksichtigen.
({5})
Meine Damen und Herren, wer soll das denn bewerten?
Was sind denn ethische Aspekte?
({6})
Außerdem stellt sich die Frage: Wer kann sich das alles
leisten?
({7})
Kann sich jeder das, was Sie propagieren, leisten?
({8})
Sie wollen bewusst den Verbraucher auf Ihre ideologische Linie lenken.
({9})
Nicht anders ist auch zu verstehen, dass Sie in der Landwirtschaft ständig einen Keil zwischen die Biolandwirte
und die konventionellen Landwirte treiben und fordern,
20 Prozent der Erzeugnisse sollen Bioprodukte sein.
({10})
Mein Gott, das soll der Markt entscheiden, das hat nicht
die Politik zu entscheiden.
({11})
Das Leitbild unserer Verbraucherpolitik ist nicht der
staatlich gelenkte Verbraucher wie bei Ihnen.
({12})
Das Leitbild unserer Verbraucherpolitik ist der mündige
Verbraucher,
({13})
der selbstständige Verbraucher. Er soll entscheiden, was
ihm schmeckt und was ihm gefällt. Letztlich soll bei der
Konsumentscheidung auch ausschlaggebend sein, was er
sich leisten kann.
({14})
In diesem Zusammenhang stellen sich natürlich die
Fragen: Welche Rolle spielt dabei die Politik? Was
braucht der Verbraucher? Er braucht zuallererst umfassende Informationen, und zwar Informationen, die er
auch verstehen kann.
({15})
Nicht die Menge der Information und die vielen Vorschriften sind ausschlaggebend, sondern die Aufbereitung ist entscheidend, damit der Verbraucher etwas damit anfangen kann. Da ist Mehr nicht unbedingt besser.
Das Verbraucherinformationsgesetz, das Sie angesprochen haben, meine Damen und Herren, ist nicht die
einzige Grundlage, die Information der Verbraucher zu
verbessern.
({16})
Es ist dennoch ein wichtiges Feld. Im Übrigen haben wir
nie blockiert, auch nicht beim Lebensmittel- und Futtermittelgesetz. Das Gegenteil ist der Fall: Schon lange, bevor Sie diese Idee in dieser Legislaturperiode vorgetragen haben, stand ein entsprechender Antrag von uns auf
der Tagesordnung des Ausschusses.
({17})
Als Zweites braucht der Verbraucher Produktvielfalt, Qualität und Sicherheit der Produkte. Das bringt
mich dazu, auf den Zusammenhang zwischen Wirtschaftspolitik und Verbraucherpolitik einzugehen. Lieber Herr Kollege Zöllmer, ich sehe keinen Gegensatz
zwischen Wirtschaft auf der einen und Verbrauchern auf
der anderen Seite; ein solcher Gegensatz ist faktisch
nicht vorhanden.
({18})
Beide, sowohl die Wirtschaft - das gilt übrigens auch für
die Landwirtschaft - als auch der Verbraucher, haben das
gleiche Interesse: gute, qualitativ hochwertige, saubere
und sichere Produkte zu Preisen, die sich jeder leisten
kann.
({19})
Daher ist es falsch, von vornherein einen ideologischen
Keil zwischen die beiden Seiten zu treiben.
Ich will Ihnen diesen Zusammenhang einmal am Beispiel der Lebensmittel deutlich machen. Die Land- und
Ernährungswirtschaft in unserem Land ist bereit und in
der Lage, qualitativ hochwertige Produkte herzustellen
und - auch regional - vielfältige Erzeugnisse anzubieten. Das kommt den Verbrauchern zugute. Ihre Regierung schafft durch nationale Alleingänge in den
Bereichen Pflanzenschutz und Tierschutz Produktionsbedingungen, die der deutschen Landwirtschaft das Leben im Vergleich zur europäischen Konkurrenz immer
schwerer machen. Wenn Sie so weitermachen, dann tragen Sie dazu bei, dass dieser Wirtschaftszweig im eigenen Land immer schwächer und dass dadurch die Produktvielfalt für den Verbraucher immer geringer wird.
Das hat mit Verbraucherpolitik nichts zu tun.
({20})
Dem Verbraucher ist am meisten gedient, wenn er unter
vielen Produkten - auch unter solchen, die im eigenen
Land hergestellt worden sind; das gilt gerade im Lebensmittelbereich - auswählen kann.
Außerdem benötigt der Verbraucher einen Rechtsrahmen, der ihm Schutz vor defekten und gefährlichen
Produkten gewährt. Der Verbraucher muss vor unlauteren Geschäftsmethoden und vor überhöhten Preisen geschützt werden.
Es wundert mich schon, dass die Verbraucherministerin beispielsweise zu dem Phänomen der überhöhten
Energiepreise in unserem Land schweigt. Dazu hat man
in den vergangenen Wochen und Monaten überhaupt
kein Wort gehört.
({21})
Sie schweigt dazu natürlich, weil sie genau weiß, dass
die Regierung selbst einen Großteil der Schuld trägt.
Etwa 40 Prozent der Stromkosten sind staatlich bedingt:
durch die Ökosteuer, durch das EEG und durch vieles
andere mehr. Das sollte der Verbraucher auch wissen.
Die Verbraucherministerin wäre gut beraten, im Kabinett
auf dieses Problem hinzuweisen und darauf hinzuwirken, dass dies anders wird.
({22})
Aber hier gibt es natürlich ideologische Scheuklappen.
Es wird klar, dass es Ihnen nicht um die Interessen der
Verbraucher, sondern einzig und allein um die Wahrung
Ihrer ideologischen Interessen geht.
Ein Zitat aus einer Pressemitteilung des Ministeriums
zum Verbraucherpolitischen Bericht 2004 der Bundesregierung vor einigen Wochen will ich Ihnen nicht vorenthalten:
Eine moderne Verbraucherpolitik, die die Nachfrageseite stärkt, ist also ein wichtiger Motor für wirtschaftliches Wachstum …
Was ist die Realität? Wir haben kein nennenswertes
Wachstum und keine Stärkung der Nachfrageseite. Infolgedessen, Frau Minister, können Sie Ihr Geschwafel von
der so genannten modernen Verbraucherpolitik dieser
Regierung wirklich vergessen. Besser als mit diesem Zitat hätten Sie das Versagen Ihrer Regierung nicht beschreiben können.
({23})
Ich erteile das Wort der Bundesministerin Renate
Künast.
Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Wir folgen immer noch dem Motto „Wissen, was drin ist“.
„Wissen, was drin ist“ ist in dieser Gesellschaft, in diesem Land immer noch nicht politischer Alltag; es ist
noch keine Selbstverständlichkeit. Tatsache ist - trotz
dieses sehr sachkundigen und seriösen Redebeitrags
meiner Vorrednerin -:
({0})
Wir müssen in dieser Republik bei jedem Schritt noch
immer um Aufklärung, Schutz und Transparenz hart
kämpfen. Ich weiß auch, wer uns oder - besser - den Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher dabei
immer wieder im Wege steht: Frau Hasselfeldt, auch Sie.
Die gute Nachricht ist: Wir betreiben das trotzdem.
({1})
Wir haben mit unserem Verbraucherpolitischen Bericht 2004 die Eiszeit von CDU/CSU - so kann man,
glaube ich, schon sagen - durchbrochen und kräftig losgelegt.
({2})
- Sie müssen diese Meinung nicht teilen. - Frau
Hasselfeldt, Sie haben mit Ihrem Beitrag gerade noch
einmal wunderbar gezeigt, dass Sie gar nicht wissen,
worüber Sie reden. Allein schon durch Ihren Hinweis,
bestimmte Dinge seien in Europa und nicht von uns entschieden worden, fühle ich mich bemüßigt, Ihnen das
kleine Einmaleins moderner Politik zu erklären: Wir
sind Teil der Europäischen Union. Als Teil der EU der
25 gestalten wir die Entscheidungen der Europäischen
Union mit. Wir schieben sie sogar manchmal an. Insofern werde ich mich im Guten wie im Schlechten nie auf
den Standpunkt zurückziehen: Das hat Europa entschieden und das haben wir entschieden.
({3})
Als ehemalige Ministerin wissen Sie, Frau Hasselfeldt,
das auch sehr genau. Aber Ihnen geht es offensichtlich
nicht darum, hier Sachthemen anzusprechen.
Wir haben das Thema Verbraucherpolitik bzw. Verbraucherschutz auf die Agenda gesetzt und in den letzten
vier Jahren gezeigt, was man in diesem Bereich machen
muss, worum es geht und dass es in Zukunft noch viel zu
tun gibt. Es geht um vorbeugenden gesundheitlichen
Verbraucherschutz, also um den Schutz jedes Einzelnen
und der Gesellschaft, um Prävention.
Lassen Sie mich das am aktuellsten Beispiel darlegen:
Lebens- und Futtermittelgesetzbuch. Dabei geht es
darum, aus elf Gesetzen endlich ein Gesetz zu machen,
in der gesamten Kette wirklich alle Produktstufen miteinander zu verbinden. Dabei geht es auch darum, in
höchstem Maße Sicherheit herzustellen, die Organisation so aufzubauen und die Abläufe so zu gestalten, dass
man Rückrufaktionen besser durchführen kann; denn
eine Rückrufaktion ist gut für beide: für die Wirtschaft,
um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen, um klar
zu zeigen: „Uns könnt ihr vertrauen; wir bemühen uns
darum“, und auch für die Gesundheit der Verbraucher.
Das heißt, es gibt endlich Transparenz in der gesamten
Lebensmittelkette vom Futter bis zur Ladentheke - und
das in einem Lebensmittelmarkt, der immer komplizierter wird und in dem man sich mit Conveniencefood aus
immer mehr Produkten und Bestandteilen auseinander
setzen muss. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Wir
haben hart mit den Ländern ringen müssen, damit sich
die Länder bereit erklärten mitzumachen.
Nächster Punkt: Wirtschaftlicher Verbraucherschutz. Auch hierbei geht es um Schutz. Es geht nämlich
darum, dass sich die Menschen im Dschungel der Verträge zurechtfinden und dass sie angesichts immer neuer
Angebote und globaler Warenströme, die der normale
Mensch nicht immer sofort durchblickt, nicht übers Ohr
gehauen werden.
Viele Märkte, meine Damen und Herren von der Opposition, sehen heute ganz anders aus als vor zehn bis
15 Jahren. Viele Märkte gibt es überhaupt erst seit einigen Jahren. Das A und O ist auch da wieder das Vertrauen der Verbraucher. Nur wenn wir VerbraucherverBundesministerin Renate Künast
trauen aufbauen, werden wir überhaupt in der Lage sein,
in diesen modernen Vertragsstrukturen die Potenziale
des 21. Jahrhunderts zu nutzen, nicht nur etwas für die
Verbraucher zu tun, sondern auch Strukturen zu entwickeln, die am Ende sogar für den Export von Dienstleistungen gelten. Das betrifft den gesamten Telekommunikationsbereich, den Versicherungsbereich und den
Markt der Dienstleistungen. Letzterer ist sozusagen
der globale Wachstumsmarkt Nummer eins. Das Thema
Dienstleistung ist für Europa eines der Themen bei der
WTO. Wir wollen die Möglichkeit haben, unsere guten
deutschen Dienstleistungen anzubieten, aber immer und
überall, also nicht nur hier, sondern auch international,
auf einem hohen Niveau: Made in Germany. Dazu gehören für uns Transparenz und Information für die Verbraucher, egal ob etwas hier oder woanders angeboten
wird.
({4})
Da gehören Verbraucherpolitik und wirtschaftlicher
Erfolg zusammen. Ich freue mich darüber, dass auch die
CDU/CSU schon davon redet. Als ich vor drei, vier Jahren hier stand, wurde in der Regel noch gesagt, Verbraucherpolitik störe die wirtschaftliche Entwicklung. Insofern bin ich froh darüber, dass Sie bei uns abschreiben.
Ich sage Ihnen aber eines ganz klar: Wir werden an dieser Stelle auch weiter ordnungspolitisch handeln. Niemand will nämlich von Spam, von unerwünschter Werbung im Internet, überrollt werden. Niemand soll mit
0190er-Nummern im wahrsten Sinne des Wortes über
den Tisch gezogen werden.
Wir haben das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb geändert, was Mondpreise und Lockvogelangebote angeht. Ich nenne auch das Telekommunikationsgesetz. Wir wollen zusätzlich das Teledienstegesetz
ändern; der Entwurf soll heute in erster Lesung behandelt werden. All das sind Erfolge, die sozusagen gerade
die sozioökonomisch schwachen Familien in dieser Republik schätzen, weil insbesondere sie jede Menge
schlechter Erfahrungen gemacht haben.
Es geht auch um Informations- und Beratungsleistungen. Bei der Prospektrichtlinie geht es um die Frage,
welche Informationen ein Prospekt über die darin enthaltenen Dienstleistungen enthalten muss. Da muss Transparenz her durch mehr Informationen; damit steigt dann
auch die Qualität. Sie dagegen haben sonst immer den
Einwand vorgebracht, das würde die wirtschaftliche Tätigkeit stören. Ich wundere mich auch, dass sich die Opposition bei den Beratungen über diese Punkte gegen
Mindestqualifikationsanforderungen gewehrt hat. Mir ist
es nicht egal, wer in dieser Republik die Menschen berät,
die eine Lebensversicherung abschließen wollen. Wer
sein sauer verdientes Geld in eine Lebensversicherung
investiert, hat meines Erachtens einen Anspruch darauf,
dass die Politik dafür sorgt, dass die Berater eine Mindestqualifikation haben. Das ist Aufgabe der Verbraucherschutzpolitik.
({5})
Das werden wir zum Beispiel beim Versicherungsvermittlungsgesetz, notfalls auch gegen Ihren Widerstand,
umsetzen.
Ich sehe mich veranlasst, noch eines in Richtung Opposition zu sagen: Als Juristin kommt mir angesichts Ihres Verhaltens relativ schnell und natürlich der schöne
juristische Ausdruck „Tun durch Unterlassen“ in den
Sinn. Das ist das, was Sie machen: Sie reden hier zwar
nett, aber in Wahrheit sind Sie an keiner Stelle eine wirkliche Hilfe, um Verbraucherschutzpolitik umzusetzen,
nicht einmal dann, wenn Ihre Kolleginnen und Kollegen
im Bundesrat aktiv sind. Ich würde mich freuen, wenn
Sie sich an dieser Stelle endlich aktiv mit der Frage des
Rechts auf Information auseinander setzten.
({6})
Wir wollen nicht, dass die Menschen Verträge aufgeschwatzt bekommen, und zwar mit Blick auf wirklich
alle wirtschaftlichen Bereiche. Somit reicht es nicht,
wenn Sie Ihre Bereitschaft andeuten, sich beim Verbraucherinformationsgesetz zu bewegen.
Das gilt übrigens auch, meine Damen und Herren, für
die geplante EU-Dienstleistungsrichtlinie. Auch hier
darf nicht zugelassen werden, dass der Verbraucherschutz hintansteht. Auch wenn Liberalisierung und die
Schaffung besserer Entfaltungsmöglichkeiten der Wirtschaft innerhalb des Binnenmarktes der EU nötig sind,
müssen wir nichtsdestotrotz darauf achten, dass unsere
Schutzstandards für die Gesundheit der Menschen nicht
abgesenkt werden.
({7})
Ich sage es ganz klar: Es darf keine Liberalisierung auf
Kosten der Umwelt und keine Liberalisierung auf Kosten der Gesundheit geben. Deshalb werden wir auch für
Veränderungen und Klarstellungen kämpfen, zum Beispiel wenn es darum geht, den ordentlichen fachlichen
Umgang mit Pflanzenschutzmitteln sicherzustellen. Daran haben wir ein doppeltes Interesse: ein wirtschaftliches, weil wir nicht wollen, dass zum Beispiel Obst und
Gemüse aus Deutschland ins Gerede kommen, und ein
gesundheitliches, weil wir nicht wollen, dass durch
Dienstleister aus anderen EU-Mitgliedstaaten die Standards unterlaufen werden und wir dann das Problem von
erhöhten Rückständen in den Lebensmitteln haben. Genau das wollen wir nicht, stattdessen wollen wir dafür
sorgen, dass höhere Standards in der EU umgesetzt werden.
({8})
Wir haben schon mehr Erfolge erzielt, als im Bericht,
der Ihnen heute vorliegt, vermerkt sind. In diesem Zusammenhang möchte ich auf das Thema der Überschuldung von Kindern durch den Gebrauch von Handys zu
sprechen kommen. Das Thema der Überschuldung von
Kindern und Jugendlichen muss eines der zentralen
Themen im Bereich der Verbraucherschutzpolitik sein,
weil die Kinder heutzutage mit ganz neuen Vertragsstrukturen konfrontiert sind, die wir in unserer Kindheit
und Jugend nicht kannten. Damals konnte man
20 Pfennig irgendwo ausgeben oder sie in die Spardose
stecken. Heute ist es so, dass die Kinder bei der Benutzung von Internet und Handy nicht merken - sie sind da
noch schwächer als die Erwachsenen -, dass sie Verträge
abschließen und wie teuer sie das kommt.
({9})
Zugleich werden sie massiv von Werbung beeinflusst,
die versucht, von ihnen das Geld abzuziehen.
Deshalb bin ich froh, dass wir es geschafft haben,
dass nicht nur mehr Klarheit durch einige gesetzliche
Regelungen im Telekommunikationsbereich geschaffen
wurde - so muss zum Beispiel angegeben werden, wie
teuer eine Dienstleistung ist -, sondern dass darüber hinaus nach fast einjährigen Gesprächen mit Telefonunternehmen vonseiten der Wirtschaft den Eltern zwei neuartige Vertragsformen für die Handys ihrer Kinder
angeboten werden. Das sind endlich ordentliche Angebote für Kinder mit ordentlichen Tarifen, bei denen die
Mehrwertdienste, die ungeheuer viel Geld kosten,
grundsätzlich ausgeschlossen werden können. Das ist
die Alternative zur Prepaidcard.
({10})
Seit einigen Tagen haben wir zwei auf dem Markt.
Alle haben verstanden, warum die Eltern sich für eine
Prepaidcard entscheiden. Wer sich auskannte, wusste allerdings, dass man für die Prepaidcard einen zu teuren
Tarif zahlen muss.
Sie sehen, dass man den Verbraucherinteressen auf
zwei Arten dienen kann: mit ordnungspolitischen
Maßnahmen, aber auch mit freiwilligen Maßnahmen
der Wirtschaft. Hier haben zwei Anbieter ihre Chancen
auf dem Markt erkannt. Guter Kundenservice wurde da
mit dem Interesse der Verbraucher, nicht zu viel an Handygebühren zu zahlen, verbunden.
Wir werden das auch in vielen anderen Bereichen tun:
notwendige ordnungspolitische Maßnahmen mit Maßnahmen der Wirtschaft auf freiwilliger Basis verbinden.
Die Wirtschaft soll das machen, was ihr möglich ist. Den
wirtschaftlichen Vorteil, den sie dadurch hat, dass sie als
Erste solche Vertragsstrukturen und Angebote einführt,
kann sie dann auch auf dem europäischen oder internationalen Markt nutzen.
Für uns ist aber eines wichtig: Die Zukunft von Kindern und Jugendlichen dürfen wir an dieser Stelle nicht
dem Zufall überlassen. Wenn wir uns die Verschuldungsstatistiken anschauen, stellen wir fest, dass wir vonseiten
der Verbraucherpolitik noch eine Vielzahl von Vertragsstrukturen durchkämmen und sie so gestalten müssen,
dass sie für Kinder und Jugendliche akzeptabel sind.
Ich will aber im Zusammenhang mit dem Thema der
Rolle der Unternehmen noch einen anderen Punkt ansprechen. Da muss ich auf Sie eingehen, Frau
Hasselfeldt. Bei Ihrer Rede habe ich, ehrlich gesagt, einen Augenblick das Gefühl gehabt, Sie machen jetzt die
Kühlschranktür auf und lassen einen kalten Hauch heraus, was ich von Ihnen gar nicht erwartet habe. Sie haben gesagt, die Verbraucher müssten selber entscheiden
und sich fragen, was sie sich leisten können. Das ist der
Anfang von einer langen Strategie, die bei „Geiz ist geil“
endet.
({11})
Das sage ich ganz bewusst. Sie haben auf der einen Seite
so getan, als wollten Sie verbraucherpolitisch vorwärts
kommen, haben aber auf der anderen Seite den Punkt angeführt: Was können sie sich überhaupt leisten?
({12})
Wir müssen die Verbraucher an dieser Stelle genau
aufklären über die Frage, was ihr Handeln jeweils bewirkt. Ich nenne das Beispiel Kinderspielzeug. Wir
wollen eine Zertifizierung. Da geht es nicht nur um die
Frage, was sich die Verbraucher leisten können. Es geht
natürlich nicht, dass hier ein Mädchen mit einer süßen
Puppe und leuchtenden Augen steht, während da hinten
der Arbeiterin die Augen tränen, weil sie für 30 oder
40 Euro im Monat arbeiten muss. Es geht aber auch darum, dass die Verbraucher Verantwortung haben
({13})
und dass zum Beispiel beim Kinderspielzeug erkennbar
ist, woher es kommt, damit die Verbraucher eine selbstbestimmte Entscheidung treffen können.
({14})
Dieses Ziel werden wir weiterhin verfolgen. Ich
glaube und hoffe, dass am Ende dieses Jahres die Puppe
unter manchem Weihnachtsbaum notfalls 10 Euro mehr
kostet, dass dafür dieses aber für die asiatischen Arbeiterinnen hinsichtlich ihrer Entlohnung akzeptabel ist. Dieses Thema hat schon auf der Spielwarenmesse eine Rolle
gespielt und da besteht Offenheit.
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist das
Verbraucherinformationsgesetz. Wir hören vonseiten
der CDU/CSU immer wieder, dass sie Verbraucherpolitik machen wolle. Da sage ich ganz klar: Dann machen
Sie es endlich! Vor einiger Zeit hat uns zwar ein Antrag
zum Thema Verbraucherinformation vorgelegen, aber
wir lesen auch das Kleingedruckte. Wenn vorne Verbraucherinformation gefordert wird, es anschließend aber
heißt, dass es Verbraucherinformation nur dann geben
könne, wenn das eines Tages in der EU ein Thema sei,
dann ist es verlogen, hier heute zu sagen, Sie seien bei
diesem Thema vorne gewesen.
({15})
Ich sage Ihnen ganz klar: Wir haben eine entsprechende Vorlage im Bundesrat. Das Verbraucherinformationsgesetz ist mit dem Lebensmittel- und Futtermittelgesetz verbunden. Wenn Sie Verbraucherpolitik machen
wollen, wenn Sie endlich wegwollen von der mittelalterlichen Haltung, Akten gehörten den Behörden und seien
deshalb vor dem Volk geheim zu halten, dann sagen Sie
hier Ja zum Verbraucherinformationsgesetz! Hören Sie
auf mit den Fisimatenten in Bezug auf Europa und anderes! Wir haben ein Gesetz für Bundesbehörden vorgelegt
und Sie können sich nicht einmal hinter der Aussage verstecken, dass der Bund erst einmal sagen solle, wie die
Länder das bezahlen sollen. Sagen Sie einfach Ja - wie
bei einer Eheschließung! Verbünden Sie sich mit den
Verbrauchern!
({16})
Ich erteile das Wort Kollegin Gudrun Kopp, FDPFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Ich muss feststellen, Frau Ministerin Künast: Wer
bei diesem Thema mit Ihnen eine Ehe eingeht, ist hoch
gefährdet.
({0})
Sie haben gesagt, Ihnen sei wichtig, zu wissen, was drin
ist. Ich sage: Noch viel wichtiger ist, zu wissen, was eigentlich gemeint ist.
({1})
Die Interessen der Verbraucher ernst zu nehmen ist
höchstes Ziel der sozialen Marktwirtschaft. Jede
Firma, die mit ihren Produkten und Dienstleistungen am
Markt erfolgreich sein möchte, hat sich an dem zu orientieren, was die Verbraucher nachfragen. Das sind beispielsweise Informationen, Produktsicherheit und die
gesamte Palette dessen, was die Verbraucher in die Lage
versetzt, eigenständige Entscheidungen zu treffen. Ich
wehre mich ganz vehement gegen Ihre Unterstellung,
dass es der anderen Seite dieses Hauses, also CDU/CSU
und FDP, nur darum ginge, weniger Gesundheitsschutz
und weniger Rechte für Verbraucher zu installieren. Das
ist wirklich eine perfide Unterstellung.
({2})
Glauben Sie wirklich, wir wollten nicht, dass alle
Menschen gesundheitlich unbedenkliches Spielzeug für
ihre Kinder kaufen können? Meinen Sie wirklich, wir
wollten mit ansehen, wie die Augen der Eltern und der
Kinder tränen, weil sie mit bedenklichen Inhaltsstoffen
in Berührung kommen? Darüber müssen wir doch nicht
diskutieren. Ihre Behauptung zu diesem Punkt ist unter
Niveau.
({3})
Für die FDP ist Verbraucherpolitik ein originäres
Freiheitsthema. Wir möchten die Verbraucher in die
Lage versetzen, eigenständige Entscheidungen zu treffen. Wir möchten nicht, dass die Politik - wie im Falle
von Rot-Grün - versucht, sie zu manipulieren.
({4})
Wir sind gegen den manipulierten Verbraucher. Wir
möchten den Verbrauchern offen sagen, was hinter all
diesen Plattitüden steckt.
Marktmacht ist wichtig. Sie ist auch wichtig bei einer
Selbstverpflichtung der Unternehmen. Ich möchte Ihnen
dazu ein gutes Beispiel nennen. Angesichts der etwa
3 Millionen überschuldeten Haushalte in Deutschland
hat sich das „Girokonto für jedermann“ bewährt, das
Banken und Kreditinstitute im Rahmen einer freiwilligen Vereinbarung ermöglichen. Der letzte Bericht an die
Bundesregierung zu diesem Thema, den wir alle hoffentlich zur Kenntnis genommen haben, zeigt, dass dies ein
gangbarer Weg ist. Dieses Beispiel „Girokonto für jedermann“ zeigt, dass man mit freiwilligen Vereinbarungen
auf privatrechtlicher Ebene Menschen in Not wirklich
helfen kann.
({5})
Wir Liberale wollen besondere Rechte für Verbraucher installieren. Für uns Liberale ist es beispielsweise
unmöglich, dass Sie es zugelassen haben, dass die Konten von Bürgern - Stichwort: gläsernes Bankkonto eingesehen werden können. Außerdem wollten Sie nicht,
dass wenigstens im Nachhinein die Kontoinhaber über
diese Prüfung informiert werden.
({6})
Das ist eine Aushöhlung des Rechtsschutzes der Kontoinhaber, sozusagen eine Entrechtung.
({7})
Die FDP hat dafür sorgen können, dass wenigstens im
Nachhinein eine Information der Kontoinhaber erfolgt.
Zu diesem Punkt haben Sie nichts gesagt.
({8})
Für eine bessere Information der Verbraucher und für
die Stärkung ihrer Stellung am Markt hätten wir Liberale
uns gewünscht, dass Sie sich ein Beispiel an der Regelung der Fluggastrechte nehmen und sich vehement dafür einsetzen, dass auch Bahnkunden ein Recht auf
Schadenersatz erhalten und nicht als Bittsteller auf irgendwelche freiwilligen Vereinbarungen angewiesen
sind. Bahnkunden können keine Rechte in Anspruch
nehmen, wie es eigentlich wünschenswert wäre. Es ist
also sehr wichtig, dass auch Bahnkunden mehr Rechte
erhalten. Diesen Aspekt haben Sie aber völlig hintangestellt.
({9})
Sie haben sich mit einer Vereinbarung zufrieden gegeben, die nicht hält, was sie verspricht.
Stimmen Sie endlich zu - das ist fast schon ein Ladenhüter -, dass die Länder selber über den Ladenschluss entscheiden können und halten Sie nicht weiterhin an der alten Regelung fest!
In der Energiepolitik lassen Sie es zu, Frau Künast,
dass Bürger in unserem Land, die aufgrund Ihrer katastrophalen Wirtschaftspolitik zum Teil in großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken, absolut hohe
Energiepreise zu tragen haben. Sie halten es für völlig
normal, dass den Bürgern zusätzliche Lasten aufgebürdet werden, denn 40 Prozent der von Privaten zu zahlenden Energiepreise sind staatlich verursacht. Sie lassen es
zu, dass den Bürgern diese Preiserhöhungen zugemutet
werden.
Sie unternehmen gar nichts, um die Regulierung eines
diskriminierungsfreien Netzzugangs auf den Weg zu
bringen, damit wir auf diesem Gebiet mehr Wettbewerb
bekommen. In dieser Hinsicht hört man von Ihnen überhaupt nichts. In der Koalition gibt es seit Monaten Streit
darüber, wie ein solches Energiewirtschaftsgesetz auszusehen hat. Inzwischen leiden die Verbraucher darunter;
sie zahlen die Zeche, während Sie zuschauen und so tun,
als leisteten Sie in der Verbraucherpolitik genug.
({10})
Eine letzte Anmerkung zur Dienstleistungsrichtlinie,
Frau Ministerin Künast: Ihr Kollege Clement hat in seinem Jahreswirtschaftsbericht ausdrücklich ausgeführt,
wie wichtig diese Dienstleistungsrichtlinie hinsichtlich
der nötigen wirtschaftlichen Entwicklung und der Schaffung von Arbeitsplätzen auch für den Standort Deutschland ist. Ich habe ihn nicht so verstanden - wir als Liberale sehen es selbstverständlich auch nicht so -, dass
diese Dienstleistungsrichtlinie zulasten von Sicherheitsund Gesundheitsstandards gehen soll. Wir müssen Wege
finden, wie wir innerhalb des Europas der 25 den Binnenmarkt auch auf diesem Gebiet verwirklichen. Dabei
werden wir sehr genau darauf achten, dass dies in einer
Weise erfolgt, dass auch die Bürger unseres Landes davon profitieren können. Eine Diffamierung dieser Richtlinie ist also nicht angebracht.
({11})
Zum Abschluss: Wir als Liberale sind dagegen, die
Verbraucher zu gängeln und sie mit Bürokratie zu traktieren; wir wenden uns dagegen, dass dies fortgesetzt
wird, denn das Thema Freiheit ist wichtig.
Vielen Dank.
({12})
Ich erteilte Kollegin Gabriele Hiller-Ohm, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Ziel
ist es, Verbraucherinteressen von Anfang an in alle wichtigen Politikbereiche einzubeziehen. Das ist uns in den
letzten Jahren schon sehr gut gelungen. Als Beleg dafür
greife ich nur die Verbraucherrechte bei Finanzdienstleistungen und Kapitalanlagen auf. Wir haben beim Verbraucherministerium ein Referat für Finanzdienstleistungen eingerichtet und diesem Bereich damit eine neue
Qualität verliehen. Diese Strukturveränderung hat sich
bereits hervorragend bewährt. So sind wir ein gutes
Stück weitergekommen, zum Beispiel beim Anlegerschutz und bei der privaten Altersvorsorge.
Mein erstes Beispiel bezieht sich auf den Anlegerschutz: Wir erinnern uns sicherlich alle an den so genannten Schrottimmobilienskandal. Wertlose Immobilien wurden mit falschen Versprechungen zu deutlich
überteuerten Preisen an den Mann und an die Frau gebracht. Möglich wurde dieser Skandal, weil Banken und
Bausparkassen mit freiberuflichen Immobilienvermittlern zusammengearbeitet haben, die an keine verbindlicheren Informationspflichten als Losverkäufer auf dem
Jahrmarkt gebunden waren. Damit ist jetzt Schluss.
Nach unserer Reform des Anlegerschutzgesetzes dürfen
Immobilien- und Wertpapiervermittler nicht mehr mit
unbewiesenen Versprechungen arbeiten, für die sie anschließend nicht haftbar gemacht werden können.
({0})
Das zweite Beispiel betrifft die private Altersvorsorge. Auch bei der Riester-Rente haben wir den Verbraucherschutz weiter gestärkt, zum Beispiel durch Entbürokratisierung bei der Antragstellung auf staatliche
Zulage, durch die Gleichstellung von Männern und
Frauen bei den Tarifen und durch verbesserte Informationspflichten. Diese Verbraucherorientierung sollte
auch Vorbild für eine Neugestaltung des Versicherungsvertragsrechts sein. Damit bin ich bei den Projekten, die
noch vor uns liegen.
({1})
So werden wir zum Beispiel das nationale Versicherungsvertragsrecht und die Umsetzung der EU-Richtlinie zum Versicherungsvermittlungsrecht beackern. Unser Versicherungsvertragsrecht, meine Damen und
Herren, stammt aus dem Jahre 1907 und bedarf dringend
einer Auffrischung. Nutzen wir die Gelegenheit, verbraucherpolitische Korsettstangen einzuziehen und die
Wettbewerbsbedingungen für Versicherungsprodukte
gerechter zu gestalten!
({2})
Wie sieht es heute aus? Der Abschluss einer Kapitallebensversicherung bringt dem Vermittler in der Regel sofort eine saftige Provision in voller Höhe. Bei der verbraucherfreundlichen Riester-Rente hingegen verteilt
sich seine Provision über fünf Jahre. Zu welchem Produkt wird der Vermittler wohl raten? Eine Gleichstellung
der Anlageprodukte würde der Riester-Rente endlich
den Schub verleihen, den sie braucht, und wir hätten weniger Sorgen mit der privaten Altersabsicherung in
Deutschland.
Auch die Umsetzung der EU-Versicherungsvermittlungsrichtlinie wird die Stellung des Verbrauchers im
Versicherungsdschungel stärken. Eine Verpflichtung zur
besseren Beratung soll vor teuren Fehleinschätzungen
schützen. Heute sind die meisten Menschen in unserem
Land schlichtweg falsch versichert. So meinen sie, mit
einer Kapitallebensversicherung die richtige Wahl getroffen zu haben. Fehlanzeige, denn fast 80 Prozent dieser Versicherungen werden - mit erheblichen Kosten für
den Versicherungsnehmer - vor Vertragsablauf gekündigt oder auf Eis gelegt.
({3})
Viele Deutsche haben eine Unfallversicherung und meinen, damit gegen Invalidität abgesichert zu sein. Welch
ein Trugschluss, denn in den meisten Fällen von Invalidität und Tod zahlt die Versicherung keinen einzigen
Cent.
Mit dem neuen Gesetz wollen wir sicherstellen, dass
Vermittler ihren Kunden nicht mehr das Blaue vom Himmel versprechen dürfen, um an eine fette Provision zu
gelangen. Sie sehen, unsere Politik zieht in die richtige
Richtung.
Wie aber sieht es bei der Opposition aus? Auch wenn
Sie heute, ohne rot zu werden, verbal sogar die Verbraucherzentralen noch überholen wollen, so bleibt doch die
Tatsache, dass Sie keine Politik für die Verbraucher machen. Im Gegenteil, Sie benutzen die Verbraucherinnen
und Verbraucher, um andere Interessen durchzusetzen.
Ich erinnere nur an die Reform des Alterseinkünftegesetzes. Wir wollten die Besserstellung von Lebensversicherungen komplett abschaffen. Sie haben diese Privilegierung bis zuletzt verteidigt, Verbraucherinteressen
vorgeschoben und argumentiert, eine Abschaffung bedeute Steuererhöhungen zulasten der Verbraucher. In
Wirklichkeit aber ging es Ihnen nur darum, Ihren Freundinnen und Freunden aus der Versicherungsbranche
Pfründe zu sichern.
({4})
Ich bin sicher, dass wir auch bei der anstehenden Umsetzung der EU-Versicherungsvermittlungsrichtlinie auf Ihren Widerstand stoßen werden, wenn es darum geht,
Verbraucherrechte gegen die Versichererlobby zu stärken.
Einen fortschrittlichen Verbraucherschutz bei Finanzdienstleistungen und Kapitalanlagen gibt es nur mit RotGrün, meine Damen und Herren. Dies wissen die Menschen zum Glück. Deshalb freue ich mich als SchleswigHolsteinerin auch schon auf das Wahlergebnis am kommenden Sonntag.
({5})
Ich erteile Kollegin Ursula Heinen, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrten Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon abenteuerlich, wie sich die Ministerin in ihrer Rede gerade mit
fremden Federn geschmückt hat. Sie hat gesagt, die Regierung habe im Hinblick auf die 0190er-Nummern und
auf Spam etwas durchgesetzt. Wie war es aber wirklich?
Meine Kollegin Martina Krogmann, die bei uns für diesen Bereich zuständig ist, hatte zweimal die Initiative ergriffen und Gesetzentwürfe und Anträge vorgelegt.
({0})
Beim Thema Spam hat sie beispielsweise im März 2004
- das ist jetzt fast ein Jahr her - einen Antrag vorgelegt,
der von Ihnen in der vergangenen Woche aufgegriffen
({1})
und mit einem Anti-Spam-Gesetz verbunden wurde, das
heute - dies zeigt, wie wichtig Ihnen dieses Thema ist um 23 Uhr im Plenum des Bundestages diskutiert
werden wird. Wir sollten einmal betonen, von wem die
Initiativen in diesem Bereich ausgehen: von den Unionsfraktionen und mit Sicherheit nicht von den Koalitionsfraktionen.
({2})
Ein weiteres Thema - da können wir heute gerne die
Nagelprobe machen - ist das Verbraucherinformationsgesetz. Vorhin wurde es als Erfolg bezeichnet, dass
wir über ein Verbraucherinformationsgesetz diskutieren,
das sich nur auf den Bereich Lebensmittel bezieht und
das Teil des neuen Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches werden soll.
({3})
Es wird zurzeit im Vermittlungsausschuss behandelt.
Heute wird auch über unseren Antrag zu einem Verbraucherinformationsgesetz abgestimmt, das nicht nur
den Bereich der Lebensmittel, sondern alle Produkte betreffen soll. Da frage ich Sie: Was ist denn für die Verbraucher besser, ein gesondertes Verbraucherinformationsgesetz, das alle Produkte mit einbezieht, oder ein
Verbraucherinformationsgesetz,
({4})
das sich ausschließlich mit dem Bereich der Lebensmittel befasst? Lesen Sie unseren Antrag durch!
({5})
Heute steht die Beschlussempfehlung des Ausschusses
zur Abstimmung. Ich kann Sie nur auffordern, uns
zuzustimmen, wenn Sie es mit den Verbraucherinteressen ernst meinen.
({6})
Stimmen Sie für ein Verbraucherinformationsgesetz, das
alle Produkte betrifft, und dagegen, es nur auf Lebensmittel zu konzentrieren und es dann noch in ein Gesetz
einzubauen, in das es überhaupt nicht gehört!
({7})
Der Verbraucherpolitische Bericht der Bundesregierung zeigt eines ganz deutlich - nichtsdestotrotz teilen
wir die Auffassung, dass es eine gute Sache ist, einen
solchen Bericht vorzulegen -: Es werden unglaublich
viele Versprechungen gemacht. Es werden richtig teure
Kampagnen gestartet,
({8})
ohne dass die einzelnen Themen nachhaltig - sprich:
dauerhaft und konsequent - behandelt werden. Hier wird
vieles medienwirksam angekündigt, ohne dass den
wohlklingenden Worten auch tatsächlich Taten folgen.
Lassen Sie mich dazu ein Beispiel nennen: die Plattform „Ernährung und Bewegung“, die im vergangenen September mit viel Aufwand gestartet wurde
({9})
und von der wir seit einem halben Jahr nichts mehr gehört haben.
({10})
Es gab noch ein Buch der Ministerin dazu; aber außer
dem Gründungskongress haben wir von dieser Plattform
nichts mehr gehört. Jetzt habe ich irgendwo gelesen,
dass es im März eine Mitgliederversammlung geben
soll.
Hinzu kommt, dass sich das Verbraucherministerium
und das Gesundheitsministerium bei dem wichtigen
Thema der Ernährung nicht ganz einig darin sind, wer
tatsächlich die Federführung hat. Morgen wird in erster
Lesung der Entwurf eines Präventionsgesetzes des Gesundheitsministeriums diskutiert; auch darin gibt es einen großen Bereich, der sich mit Ernährung befasst. Ich
habe dem Ministerium die Frage gestellt, wer eigentlich
zuständig ist und die Federführung hat. Die Antwort lautete, dass die Verbraucherministerin und die Plattform
„Ernährung“ gerne eingeladen sind, sich in die Stiftung
„Prävention“ einzubringen und dort mitzuarbeiten.
({11})
Aber das ist keine Federführung durch das Verbraucherministerium!
Ein weiteres Thema, das uns beschäftigt hat, sind die
Dioxine in Hühnereiern. Ich möchte jetzt aus dem Verbraucherpolitischen Bericht der Bundesregierung zitieren. Da heißt es nämlich:
Die Bürgerinnen und Bürger müssen darauf vertrauen können, dass die angebotenen Produkte gesundheitlich unbedenklich und sicher sind.
Schon bei einem begründeten Verdacht, dass Lebensmittel gesundheitlich bedenklich sein könnten, werde gehandelt. Weiter heißt es:
Auch wenn noch Unsicherheiten in der wissenschaftlichen Bewertung bestehen und deshalb noch
keine Klarheit über das Ausmaß bestimmter Gesundheitsgefahren vorliegt, wird unter Anwendung
des in der EU etablierten Vorsorgeprinzips gehandelt und nicht abgewartet, bis durch zeitaufwendige
wissenschaftliche Untersuchungen abgesicherte Ergebnisse vorliegen, die den Verdacht bestätigen
oder entkräften.
Das ist Ihr Prinzip; das schreiben Sie nieder. Das heißt,
sobald der Verdacht besteht, dass etwas nicht in Ordnung
ist, informieren Sie.
Beispiel: Dioxine. Wann haben Sie etwas gewusst?
({12})
Vor gut zweieinhalb Jahren wussten Sie, dass in Freilandeiern Dioxine enthalten sein können.
({13})
Warum haben Sie die Bevölkerung nicht informiert?
Weil es, wie es Frau Hasselfeldt vorhin deutlich gemacht
hat, nicht zu Ihrer ideologische Sichtweise passt, dass
mit Freilandeiern irgendetwas nicht in Ordnung sein
könnte.
Das empfinde ich als Verbraucherin als eine grobe
Täuschung. Sie wollen, dass die Verbraucher Freilandeier essen, weil Ihnen das besser passt. Gestern habe ich
mir erneut die Internetseiten auf www.freiheit-schmecktbesser.de angesehen; das kann ich Ihnen nur empfehlen.
({14})
Auf der Hauptseite steht noch immer kein Wort von der
Dioxinbelastung.
({15})
Nur wenn man sich mühsam durch die Seiten klickt, findet man dazu einen kleinen Hinweis.
({16})
Was Sie machen, ist Verbrauchertäuschung; denn die
Fakten passen überhaupt nicht in Ihre Ideologie.
({17})
Ein nächstes Beispiel. Als der Verbraucherpolitische
Bericht im Kabinett vorgestellt wurde - hier im Plenum
haben wir über ihn schon einmal kurz diskutiert -, haben
Sie das Beispiel Schrottimmobilien angeführt. Das haben Sie allerdings nicht im Bericht getan, sondern - das
ist ja die Art, wie Verbraucherpolitik von Ihnen betrieben wird: Sie kündigen etwas an - in einem Interview im
Nachrichtenmagazin „Stern“. Dort haben Sie ausgeführt,
dass das ein wichtiges Thema sei und man in dieser
Frage unheimlich viel tun müsse. Hier teilen wir zwar
Ihre Auffassung, wissen aber auch, dass es juristisch unglaublich schwierig ist, nachträglich etwas zu unternehmen, um den Verbrauchern zu helfen.
({18})
Sie aber haben sich sogar auf die Aussage versteift
- auch das möchte ich zitieren -: „Der Fall Badenia ist
so etwas wie der BSE-Fall im Bankenbereich.“ Das waren im vergangenen Winter Ihre Worte.
Mittlerweile sind Monate vergangen.
({19})
Wenn dieser Fall tatsächlich der BSE-Fall im Bankenbereich ist, dann frage ich mich: Warum sitzen Sie hier so
gelassen? Warum haben Sie noch keine entsprechende
Initiative eingebracht?
({20})
Warum haben Sie noch nicht mit dem Finanzministerium und dem Justizministerium gesprochen? Warum
passiert nichts?
({21})
Ich sage es Ihnen: weil es Ihnen nicht passt. Sie kündigen Themen an und lassen sie wieder fallen, als seien es
heiße Kartoffeln, wenn Sie merken, dass Sie damit überfordert sind, tatsächlich etwas zu unternehmen.
({22})
Sie haben das Thema Überschuldung erwähnt. Die
Überschuldung privater Haushalte ist in der Tat ein gravierendes Problem. Dem ersten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zufolge waren rund
2,77 Millionen Haushalte überschuldet; mittlerweile
geht man schon von über 3 Millionen überschuldeter
Haushalte aus. Wie reagieren Sie darauf? Es ist nicht
etwa so, dass Sie Ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik ändern, damit wieder mehr Menschen Arbeit bekommen.
Vielmehr geben Sie ein Handbuch für Schuldnerberater
heraus und informieren zum Beispiel darüber, wie man
sich besser schützen kann und wie man besser mit den
Banken verhandelt. Stattdessen sollten Sie lieber an die
Wurzel des Problems gehen und sagen, wo Sie etwas
besser oder anders machen wollen; denn gegen diese
Verschuldung können wir nur ankämpfen, indem wir
eine andere Wirtschaftspolitik betreiben.
Zum Schluss meiner Rede kann ich nur sagen: Statt
Kampagnen zu starten, sollten Sie das Geld lieber in Unternehmen bzw. direkt in die Wirtschaft investieren; es
wäre besser, Sie würden die Unternehmen unterstützen.
({23})
- Sie sollten die Unternehmen mit einer vernünftigen
Steuer- und Wirtschaftspolitik unterstützen, damit in
Deutschland wieder Arbeitsplätze entstehen und damit
in diesem Land nicht über 5 Millionen Menschen arbeitslos sind; das würde uns mehr helfen. Sie aber geben
das Geld für Kampagnen aus, die nur der Presse- und
Öffentlichkeitsarbeit der Ministerin dienen, allerdings
weniger den Verbraucherinnen und Verbrauchern.
Danke schön.
({24})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem
Kollegen Matthias Berninger, Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Abgeordnete Heinen hat eben erneut versucht, den Eindruck
zu erwecken, dass bei Freilandeiern eine besondere Gesundheitsgefährdung in Bezug auf das Supergift Dioxin
vorliege.
({0})
Vor dem Hintergrund, dass in den vergangenen Wochen
von verschiedenen Seiten versucht worden ist, diesen
Eindruck zu erwecken, sehe ich mich veranlasst, zwei
Dinge klarzustellen.
Erstens. Die Untersuchungsämter der Länder, allen
voran die Länder Baden-Württemberg und Bayern, haben in den letzten Monaten intensiv an diesem Thema
gearbeitet. In den letzten Wochen haben sie die Anzahl
der Proben noch einmal erheblich erhöht. Sie sind zu
dem Ergebnis gekommen, dass bei Freilandeiern oder
gar bei Eiern aus dem ökologischen Landbau keine erhöhte Dioxinbelastung, die zu einer besonderen Gesundheitsgefährdung führt, vorliegt. Vor diesem Hintergrund
hat auch der niedersächsische Landschaftsminister vor
laufender Kamera seine ursprünglichen Ratschläge an
die Verbraucherinnen und Verbraucher, in Zukunft auf
den Konsum von Freilandeiern zu verzichten, wieder zurückgenommen.
Ich erwarte von Ihnen daher, dass Sie Verantwortung
zeigen und den Verbraucherinnen und Verbrauchern kein
X für ein U vormachen, dass Sie diese fachlichen Erkenntnisse in Ihre Rede einfließen lassen und aufhören,
zu behaupten, es gebe hier eine besondere Gesundheitsgefährdung durch Freilandeier. Diese Behauptung halten
Sie ja nur deshalb aufrecht, weil Sie von der Unionsfraktion sich weiter vor den Karren der Käfighalterinnen und
-halter in Deutschland spannen lassen.
({1})
Kollegin Heinen, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion.
Staatssekretär Berninger, was Sie gerade gesagt haben, ist wieder eine Täuschung der Verbraucherinnen
und der Verbraucher. Wir wissen aus allen Untersuchungen, dass die Belastung von Freilandeiern mit Dioxinen
höher ist als die Belastung von Eiern aus Käfighaltung.
({0})
Das belegen alle Untersuchungen und das können Sie
bei allen Landwirtschaftsministern nachlesen. Die Niedersachsen haben ihre Untersuchungsergebnisse sogar
ins Internet eingestellt, sodass Sie das entsprechend
nachvollziehen können. Ich bitte Sie herzlich, hier bei
der Wahrheit zu bleiben.
({1})
Anders ist es doch nicht zu erklären, warum die Europäische Union einen Übergangszeitraum für den Grenzwert
für Dioxin in Freilandeiern gesetzt hat. Dieser Übergangszeitraum hat mit dem 1. Januar 2005 geendet; seitdem gelten auch für Freilandeier strengere Werte. Wozu
hätte es sonst einen solchen Übergangszeitraum geben
sollen? Ich bitte Sie also herzlich, bei der Wahrheit zu
bleiben und nicht weiter Verbrauchertäuschung zu betreiben.
Danke schön.
({2})
Ich erteile Kollegin Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die
Grünen, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Zunächst muss ich sagen: Frau Heinen lügt.
({0})
Denn erstens war es Ministerin Künast, die sich vehement für eine Verschärfung des Grenzwertes für Dioxin
eingesetzt hat, und zweitens haben die Ergebnisse der
Untersuchungen von 1999 bis 2003 ganz klar ergeben,
dass die größere Belastung mit Dioxin bei den Käfigeiern vorgelegen hat. Deshalb müssen hier ganz andere
Schlussfolgerungen gezogen werden; das ist inzwischen
auch vonseiten der Länderminister deutlich gemacht
worden.
Unsere rot-grüne Verbraucherpolitik ist erfolgreich
und konsequent; das tut Ihnen weh. Sie steht im Gegensatz zu den Sprechblasen der Verbraucherpolitiker von
der FDP und der CDU/CSU, die nie irgendeine Konsequenz im Bundesrat oder bei den Beschlüssen ihrer
Fraktionen gehabt haben. Für uns ist Verbraucherpolitik
eine wichtige Frage der Lebensqualität und der sozialen Gerechtigkeit. Aufgabe der Verbraucherpolitik ist
die Rahmensetzung: einerseits im Hinblick auf die Stärkung der Eigenverantwortlichkeit, andererseits - und
gleichwertig dazu - im Hinblick auf den Schutz von Verbrauchern, die dieses Schutzes bedürfen. Dieser Aspekt
fehlt bei Ihnen vollkommen. Frau Hasselfeldt hat noch
einmal betont: Das Ziel ist der mündige Verbraucher.
Übrigens sagt auch der EuGH: Der durchschnittlich informierte und aufgeklärte Verbraucher soll das Leitbild
sein. Doch die CDU/CSU und die FDP vernachlässigen
in eklatanter Weise die Schutzinteressen großer Bevölkerungsgruppen, etwa der Kinder. Gerade eben kam wieder der Einwurf, die Eltern sollten doch dafür geradestehen, was ihre Kinder da anrichten.
({1})
Sie kennen doch die Realität überhaupt nicht! Sie wissen
doch gar nicht, was Eltern erleben: eine Telefonrechnung von über 400 Euro, die sie bezahlen sollen. Das ist
doch eine Frechheit!
Sie vernachlässigen aber auch die Schutzinteressen
der älteren Menschen. Ihre Potenziale und Bedürfnisse
werden massiv unterschätzt und zum großen Teil erheblich missachtet. Diese Bevölkerungsgruppe wird bei einer Reihe von Produktangeboten regelrecht diskriminiert: bei der Telekommunikation oder den neuen
Medien, durch die Banken usw. Das ist beispielhaft dafür, wie notwendig und wie gut die stringente Entwicklung unserer Verbraucherpolitik ist.
({2})
Ich werde jetzt nicht wiederholen, was wir schon alles
erreicht haben, aber eines doch noch erwähnen: Wir
möchten, dass bei der Verbreitung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln Grenzen gezogen werden, damit
die Menschen ihre Wahlfreiheit behalten können. Was
dagegen tun Sie von der FDP? Sie - ausgerechnet Sie! rauben den Menschen ihre Freiheit; so viel zum Thema
Freiheitspartei!
({3})
Ganz im Gegensatz zu dem, was die CDU/CSU mit
ihrem neuen Papier tut, haben wir die Verbraucherpolitik
weiterentwickelt und sie dabei ganz klar mit der Wirtschafts- und Innovationspolitik verknüpft. Man muss
ganz deutlich sagen - das hat mich etwas überrascht -:
Das „aktuelle“ verbraucherpolitische Konzept von CDU/
CSU ist mit Ausnahme der wenigen fehlenden Punkte
genau das gleiche Konzept wie das von vor eineinhalb
Jahren. Es ist ein aufgewärmter Auflauf.
Geradezu gruselig ist dabei - das will ich hier hervorheben - Ihr Verständnis von Wirtschaftspolitik. Es heißt
in Ihrem Konzept nämlich: Ihre Verbraucherpolitik sichert dem Einzelnen Lebensqualität, aber - dieses
„aber“ muss man sich auf der Zunge zergehen lassen sie bietet auch Spielraum für Wirtschaftswachstum und
Innovation. - Na toll, wenn das Ihre wirtschaftspolitischen Vorstellungen sind, dann kann ich nur sagen: Vor
derart wirtschaftsfeindlichen verbraucherpolitischen
Vorstellungen Ihrer Partei und Fraktion behüte uns der
liebe Gott und der Wähler.
({4})
Ich will jetzt noch einige Dinge anführen, die aktuell
diskutiert werden.
Frau Kollegin Höfken, Sie können das leider nicht
tun, denn Sie haben Ihre Redezeit bereits überschritten.
Ich weiß, leider Gottes ist sie etwas eingeschränkt
worden. - Ich denke, es ist deutlich geworden, dass Ihr
verbraucherpolitisches Konzept nicht die mindeste
Grundlage hat. Lassen Sie mich zum Abschluss sagen,
gerade auch in Bezug auf die Wahl in Schleswig-Holstein: Mogelpackungen und Wählerverarschung - das
kann es nicht sein!
({0})
Wer in Zukunft weiterhin eine Verbraucherpolitik will,
der wählt Rot-Grün. Das wird sich auch so zeigen.
Danke schön.
({1})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort Kollegen Hans-Michael Goldmann von der FDP-Fraktion.
Liebe Kollegin Höfken, zum Schluss haben Sie sich
zwar besonders im Ton vergriffen,
({0})
aber schon davor, im Zusammenhang mit dem Dioxin,
haben Sie etwas Falsches gesagt, nämlich als Sie von
„Sprechblasen“ der agrarpolitischen Sprecher gesprochen haben. Nun will ich das Ganze einmal dorthin herunterzurren, wo es hingehört. Es gibt die Behauptung
- sie ist falsch -, dass Freilandeier gesünder sind als Käfigeier. Diese Behauptung verbreitet die Ministerin auf
ihrer Homepage nach wie vor.
Erster Punkt. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die durchschnittliche Dioxinbelastung bei Käfigeiern geringer ist als bei Freilandeiern? Das kann Sie
eigentlich auch der gesunde Menschenverstand lehren;
denn Hühner, die im Freiland leben, kommen mit dem
Boden in besonderer Weise in Berührung und nehmen
dadurch möglicherweise etwas mehr Dioxin auf als Hühner in Käfigen. Dieses Dioxin landet dann im Ei. Das ist
nun einmal leider so.
Zweiter Punkt. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass uns allen die von Frau Künast angesprochenen
Werte der besonderen Belastung bei Käfigeiern bekannt
waren, weil sie aus einem Skandal herrühren - bei der
Futtermittelbereitstellung für die Hühner, die dieses Futter erhielten, wurden damals Bahnschwellen zur Trocknung benutzt; dieser Vorgang datiert aus dem Jahre 1999
und wir haben ihn im Ausschuss, in dem wir uns sehr
darüber beklagt haben, dass hier jemand unverantwortlich gehandelt hat, mehrere Male behandelt - und dass
das nichts, aber auch gar nichts mit der generellen Belastung von Eiern aus der Käfighaltungsproduktion zu tun
hat?
({1})
Frau Ministerin Künast wusste das auch. Insofern muss
sie sich den schwarzen Peter schon ein Stück weit zuschieben lassen, wenn sie zum Beispiel im „Spiegel“
und im „Focus“ in diesem Zusammenhang von arglistiger Täuschung spricht.
Dritter Punkt. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass auch die Fragen, die ich in diesem Zusammenhang an die Bundesregierung gestellt habe, eindeutig belegen, dass sie von diesen Dingen gewusst hat und dass
sie die Verbraucher im Grunde genommen arglistig getäuscht hat, indem sie den Eindruck erweckt hat, Freilandeier seien weniger dioxinbelastet als Käfigeier?
({2})
Kollegin Höfken, Sie haben die Gelegenheit zur Antwort.
Ich bedanke mich ganz herzlich für diese Intervention, die mir Gelegenheit gibt, noch einmal in die
Diskussion einzusteigen. Ganz klar ist: Keines der Untersuchungsergebnisse gibt die Aussagen, die Herr
Goldmann wiederholt hat, in irgendeiner Weise her.
Ganz im Gegenteil hätten die Langzeitstudien dazu führen können, dass wir verstärkt über die Problematik von
Käfigeiern diskutieren müssen. Die Ministerin hat, um
das ganz deutlich zu sagen, dafür gesorgt - dies steht im
Gegensatz zu den von Ihnen gemachten Anschuldigungen -, dass die Dioxinbelastung für die Verbraucher verringert wird.
Die CDU/CSU, die bei den Großfeuerungsanlagen
verhindert hat, dass es zu einer Verbesserung des Schutzes der Menschen kommt, stellt sich jetzt hier hin und
erklärt: Wir wollten das Dioxinproblem schon immer lösen. Sie haben einen verbesserten Schutz verhindert.
Aber noch einmal zu der Studie: Kein einziges Ergebnis
lässt eine solche Aussage zu.
Ich möchte damit noch etwas anderes in Verbindung
bringen, was zeigt, wie ideologisch Ihre Beiträge motiviert sind. Wir haben die bisherigen Ergebnisse nie dazu
benutzt, um solche Aussagen zu machen. Ich nenne als
Beispiel einmal die Kette „real“, die der Metro gehört.
Sie hat in einem Jahr den Absatz der Freiland- und Bodenhaltungseier auf 70 Prozent gesteigert. Wo aber kommen diese Eier her? Da Sie mit allem Nachdruck verhindern, dass sich die Geflügelwirtschaft in Deutschland
der Nachfrage auf dem Markt anpasst,
({0})
kommen die von „real“ verkauften Eier nun aus den Niederlanden, aus Frankreich, aus Österreich oder aus anderen europäischen Ländern, die nicht das allermindeste
Problem damit haben, tiergerechte Produkte anzubieten.
Das ist ein gutes Beispiel für die unglaubliche Ideologie
der CDU/CSU und der FDP, die mit Markt und Wirtschaft nichts zu tun hat.
({1})
Ich erteile das Wort Kollegin Christel HappachKasan, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Weil offensichtlich die Diskussion über Dioxine besonders spannend ist, möchte ich noch einmal daran erinnern, dass die TA Luft, die sich im Sinne einer Dioxinminderung ausgesprochen positiv ausgewirkt hat, unter
christlich-liberaler Regierung geschaffen worden ist.
({0})
Bereits das Umweltbundesamt hat inzwischen festgestellt, dass Abfallverbrennungsanlagen - gegen die Sie
sich als Grüne immer gestemmt haben - zu einer Reduzierung der Dioxinkonzentration beigetragen haben. So
viel zu einer rationalen, am Bürger orientierten Umweltpolitik!
Verbraucher wollen wählen können. Sie wollen Qualität, Sicherheit und Auswahl. Darin sind wir uns in diesem Hause alle einig. Aber wir müssen unser Augenmerk auch auf Folgendes richten: Verbraucher sind
Menschen, die, bevor sie in den Laden gehen, ein Einkommen erzielt haben müssen. Sie müssen etwas verdient haben, entweder als Arbeitnehmer oder als Selbstständiger. Genau dies verhindern Sie mit Ihrer Politik.
({1})
Im Bundesgebiet sind 12,1 Prozent und damit mehr
als 5 Millionen Menschen arbeitslos. In Schleswig-Holstein sind es 12,7 Prozent - 178 000 Menschen -; das ist
die höchste Arbeitslosenquote in einem westdeutschen
Flächenland. Das ist Ergebnis rot-grüner Politik, insbesondere in Schleswig-Holstein, aber auch im gesamten
Bundesgebiet. Wir müssen feststellen, dass jeder vierte
Arbeitsplatz in Schleswig-Holstein von der Land- und
Ernährungswirtschaft abhängt. Deswegen stehen wir so
schlecht da. Kollegin Hasselfeldt hat es bereits ausgeführt: Mit den Sonderregelungen, die Sie immer wieder
erlassen, verschlechtern Sie die Wettbewerbsposition der
Betriebe in der Ernährungs- und Landwirtschaft und vertreiben damit Arbeitsplätze aus unserem Land.
({2})
Dies ist eine ideologische Politik, die mit dem Argument
des Verbraucherschutzes in keiner Weise gerechtfertigt
werden kann.
({3})
- Kollegin Hiller-Ohm, Sie erinnern mich daran, dass
ich doch noch einmal feststellen muss: Auch in Schleswig-Holstein lohnt sich Leistung. Die beste Leistung haben gerade in der letzten Woche Wolfgang Kubicki und
Peter Harry Carstensen erzielt. Ihre Ministerpräsidentin
hat mit einer Zwei minus und die unbekannte grüne Spitzenkandidatin mit einer Fünf abgeschlossen. Von daher
bin ich hinsichtlich der Wahlen in Schleswig-Holstein
sehr zuversichtlich.
({4})
Ich war erstaunt, dass Ministerin Künast in ihrem Beitrag davon gesprochen hat, sie wolle das Vertrauen der
Verbraucher erwerben.
In der Tat ist das genau der Punkt: Wir brauchen das
Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher.
({5})
Was aber machen Sie? Sie versuchen an jeder Stelle, die
Sie finden können, das vorhandene Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in unsere Land- und Ernährungswirtschaft zu untergraben, womit Sie den Wirtschaftsstandort Deutschland extrem schwächen. Der
Kollege Trittin geht noch weiter. Er schickt Bauernspione aufs Land, um Misstrauen gegen unsere heimische
Landwirtschaft zu schüren.
({6})
Ich finde, es ist eine absolute Unverschämtheit, dass sich
Ministerin Künast als Ministerin für Landwirtschaft
nicht vor die bäuerlichen Betriebe gestellt und gesagt
hat, dass das nicht in Ordnung ist.
({7})
- Herr Kollege Zöllmer, alle agrarpolitischen Sprecher
sind sich im Ausschuss einig gewesen, dass das eine Methode ist, die absolut ungeeignet ist.
({8})
Sie haben ein Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch vorgelegt - ein bürokratisches Monster, das
sicherlich nicht zu mehr Sicherheit beiträgt, sondern zu
Unsicherheit, weil ein solches Gesetzbuch nicht handhabbar ist. Es ist natürlich schön, ein Motto „vom Stall
auf den Teller“ auszugeben - wundervoll! -, aber das
muss nicht im Gesetzbuch stehen. Wir können mehrere
Gesetzeswerke haben, die für jeden Bereich speziell angeben, was Sache ist. Sie aber schaffen mit 150 Verordnungsermächtigungen eine unklare Rechtssituation, die
niemand mehr versteht.
Zum Thema Dioxin in Freilandeiern hat mein Kollege
Goldmann alles sehr zutreffend und sehr richtig gesagt.
({9})
Ich appelliere an Sie, damit aufzuhören, unsere Betriebe
mit Sonderregelungen zu schwächen. Ich nenne zum
Beispiel das BSE-Testalter, den Bereich Pflanzenschutz
oder auch
({10})
das Verbot der Verfütterung tierischer Fette. All dies sind
Verschlechterungen für unsere Betriebe. Gleichzeitig
wissen wir, dass solche Produkte aus anderen Ländern
importiert werden. Sie sind ungefährlich. Deswegen gibt
es keinen Grund, unsere Betriebe durch solche Vorschriften zu schwächen. Ich fordere Sie auf: Hören Sie
auf mit Sonderregelungen für unsere Betriebe! Sehen Sie
zu, dass Sie unsere Standards in der EU durchsetzen!
Das ist eine richtige Politik, die nach vorne schaut und
die gesamte EU voranbringt - nicht aber das, was Sie
machen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({11})
Ich erteile das Wort Kollegen Martin Dörmann, SPDFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Happach-Kasan, zu Ihrer Rede nur eine Anmerkung: Das war kein Beitrag zu einer verbraucherpolitischen Debatte, sondern allenfalls ein Beitrag zum Wahlkampf, allerdings ein schlechter.
({0})
Der von der Bundesregierung vorgelegte Verbraucherpolitische Bericht 2004 dokumentiert den hohen
Stellenwert, den Verbraucherpolitik für die rot-grüne
Koalition einnimmt. Zahlreiche Maßnahmen wurden bereits umgesetzt und haben den Schutz und die Stellung
der Verbraucherinnen und Verbraucher deutlich erhöht.
Zu Recht orientiert sich die Bundesregierung dabei am
Leitbild des selbstbestimmten und informierten Verbrauchers.
Wir alle leben in einer Informationsgesellschaft, in
der die verfügbaren Informationen von Tag zu Tag
ebenso wachsen wie das Bedürfnis der Menschen, sich
zu orientieren und zu informieren. Die rot-grüne Koalition hat an vielen Stellen bewiesen, dass sie diesen Bedürfnissen konsequent Rechnung trägt. In mehreren Gesetzen wurden stärkere Informationsrechte bereits fest
verankert, bei einigen steht der endgültige Abschluss des
Gesetzgebungsverfahrens unmittelbar bevor.
Beim Geräte- und Produktsicherheitsgesetz beispielsweise wurden Hersteller und Händler dazu verpflichtet,
bei Sicherheitsmängeln von Produkten die Behörden von
sich aus zu informieren. Die zuständigen Behörden wiederum müssen nunmehr die ihnen zur Verfügung stehenden Informationen über Gefahren für Sicherheit und Gesundheit der Öffentlichkeit zugänglich machen.
Die eingebrachte Neufassung des Umweltinformationsgesetzes verpflichtet alle Stellen der öffentlichen
Verwaltung des Bundes zur Herausgabe von Umweltinformationen. Beispielsweise soll jede Person Daten
über die Schadstoffbelastung von Böden abrufen können. Das ebenfalls bereits eingebrachte Informationsfreiheitsgesetz eröffnet einen allgemeinen und voraussetzungslosen Zugang zu amtlichen Informationen des
Bundes unter Berücksichtigung des Daten- und Geheimnisschutzes.
({1})
Dieses Jedermannsrecht stärkt die Beteiligungsrechte
der Bürgerinnen und Bürger. Es schafft mehr Transparenz und demokratische Kontrolle.
Bereits beschlossen hat der Bundestag das neue Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch, das sich derzeit
im Vermittlungsverfahren befindet. Nach den Vorstellungen der rot-grünen Koalition sollen in dem Gesetz
umfassende Verbraucherinformationsrechte geregelt
werden. Das ursprünglich geplante Verbraucherinformationsgesetz ist leider am Widerstand der Union im Bundestag und insbesondere im Bundesrat gescheitert.
Lassen Sie mich an dieser Stelle etwas zu dem Beitrag der Kollegin Heinen anmerken. Was das Verbraucherinformationsgesetz angeht - aber nicht nur in diesem Zusammenhang -, muss ich feststellen, Frau
Kollegin Heinen, dass Ihr Umgang mit der Wahrheit
reichlich ergänzungsbedürftig ist. Ihre heutigen Äußerungen sind reine Nebelkerzen, sodass ich mich frage, ob
Sie noch wissen, wo Sie selber stehen.
({2})
Ich möchte zwei Punkte festhalten. Erstens. Was Sie
als Mogelpackung eines Verbraucherinformationsgesetzes vorlegen, bleibt weit hinter dem zurück, was wir ursprünglich vorhatten und was wir jetzt im Lebensmittelund Futtermittelbereich regeln wollen.
Zweitens ist Ihre Behauptung falsch, dass das, was
wir im LFGB regeln wollen, hinter den ursprünglich im
Verbraucherinformationsgesetz vorgesehenen Regelungen zurückbleibt.
({3})
Das ist in weiten Teilen völlig unzutreffend; denn alle
Erzeugnisse, die wir ursprünglich regeln wollten, sind
im LFGB berücksichtigt: Lebensmittel, kosmetische
Produkte, Bedarfsgegenstände und Wein. Hinzu kommen jetzt noch Futtermittel.
Die Union wird an dieser Stelle eindeutig Farbe bekennen müssen. In Pressemitteilungen bezeichnet sie
Verbraucherschutz gerne als eine zentrale politische
Aufgabe. Doch Papier ist geduldig. Ein Schiff aus Papier
kann aber nicht lange schwimmen. Bisher sah die Realität doch so aus: Wenn es um die tatsächliche Umsetzung
von zusätzlichen Verbraucherinformationsrechten geht,
dann taucht die Union gerne weg.
({4})
Wir und vor allem die Bürgerinnen und Bürger werden
Sie aber ausschließlich an Ihren Taten messen, liebe
Kolleginnen und Kollegen der Union. Geben Sie sich
also endlich einen Ruck!
Wir wollen zum einen das Recht der Behörden regeln, in bestimmten Fällen über verbraucherrelevante
Sachverhalte aktiv zu informieren, und zwar auch und
gerade im Vorsorgebereich. Zum anderen wollen wir
aber auch das Recht der Verbraucherinnen und Verbraucher auf den Zugang zu Informationen verankern, die bei
den Behörden bereits vorliegen. Dies soll auch dann gelten, wenn die Behörden nicht selbst aktiv informieren
müssen, etwa weil gesetzlich festgelegte Grenzwerte
noch nicht überschritten sind. Gerade dagegen wehrt
sich doch die Union.
Mit diesen umfassenden Informationsrechten wollen
wir dem gestiegenen Gesundheitsbewusstsein und Informationsbedürfnis der Verbraucherinnen und Verbraucher
gerade im Lebensmittelbereich nachkommen. Hiermit
würden wir gleichzeitig ihre Stellung als aktive Marktteilnehmer deutlich stärken. Es ist dabei durchaus beabsichtigt, indirekt auch einen Qualitätswettbewerb bei
den Unternehmen herbeizuführen. Wenn ein Unternehmen damit rechnen muss, dass bestimmte möglicherweise problematische Informationen über ein Produkt
vom Verbraucher abgerufen werden können, dann wird
er sich bemühen, die Qualität des Produktes zu verbessern, um gegenüber Konkurrenten bestehen zu können.
Eine so verstandene Verbraucherpolitik ist deshalb ein
wichtiger Bestandteil einer sozialen Marktwirtschaft.
({5})
Von daher ist es nicht nachzuvollziehen, dass sich die
Union bisher so sehr gegen die Forderung eines Qualitätswettbewerbes durch mehr Informationen stemmt.
Das liegt weder im Verbraucherinteresse noch im Interesse der Unternehmen, die qualitativ hochwertige und
unbedenkliche Produkte herstellen. Ich fordere deshalb
die Marktwirtschaftler in der Union, aber auch in der
FDP auf, endlich den Weg für mehr Informationsrechte
und besseren Wettbewerb freizumachen.
Herzlichen Dank.
({6})
Ich erteile Kollegin Gitta Connemann, CDU/CSUFraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wäre dieser verbraucherpolitische Bericht ein Roman, dann
müsste er den Titel „Mehr Schein als Sein“ tragen.
({0})
Denn Wort und Tat, Anspruch und Wirklichkeit klaffen
weit auseinander. Das zeigt sich übrigens auch in dieser
Debatte, Frau Kollegin Höfken und Herr Staatssekretär
Berninger. Ihre Dreistigkeit der Aussagen zum Thema
Dioxin verschlägt einem die Sprache. Sie stehen damit
im Widerspruch zu einer Aussage der Bundesregierung.
Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit hat am 5. November 2004 in der Antwort auf eine entsprechende Frage Folgendes festgestellt:
Bei Käfighaltung lag die mittlere Konzentration bei
circa 1 pg/g Fett, bei Freilandhaltung um den Faktor 1,5 bis 2 höher.
({1})
Sie haben die Unwahrheit gesagt
({2})
und die Kollegin Heinen und den Kollegen Goldmann
völlig unzutreffend der Unwahrheit bezichtigt. Ich erwarte insoweit eine Entschuldigung.
({3})
Sie tricksen und wahren den schönen Schein. Das
aber ist alles.
Wenn man sieht, welche Maßnahmen laut Ihrem verbraucherpolitischen Bericht umgesetzt worden sind,
dann muss man sagen, dass die Liste kurz ist. Ihre Versäumnisse werden auch von anderen gesehen. So kritisiert Frau Professor Müller, immerhin grüne Präsidentin
des Bundesverbandes Verbraucherzentrale - ich zitiere
aus ihrer Pressemitteilung vom 1. Dezember 2004 -:
Für Teile der Bundesregierung scheint es die Verbraucher als Fahrgäste, als Energieverbraucher oder
als Eigenheimbauer einfach nicht zu geben.
Vollkommen zutreffend: Schein und Sein!
Nehmen wir nur den Fahrgast als Beispiel. Wie heißt
es noch im „Aktionsplan Verbraucherschutz“ der Bundesregierung im Jahre 2003 - ich zitiere -:
Ziel ist es, … die Rechtspositionen der Fahrgäste zu
definieren und zu verbessern.
Das ist ein hehrer Anspruch, auch heute noch! Denn leider hat sich nichts verändert. Es blieb beim Ziel. Nach
wie vor ist jeder Fahrgast in Deutschland faktisch ohne
Rechte. Trotz von uns wiederholt eingebrachter Anträge
gilt noch immer die Eisenbahn-Verkehrsordnung aus
dem Jahre 1938, die sämtliche Haftungsansprüche der
Reisenden ausschließt. Zwar hat sich die Deutsche Bahn
nach lange ausgeübtem Druck der Opposition endlich im
Oktober letzten Jahres zu Leistungen im Falle von Verspätungen verpflichtet. Es ist aber eine freiwillige
Selbstverpflichtung im Rahmen Allgemeiner Geschäftsbedingungen, die jederzeit geändert oder aufgehoben
werden kann. Das ist Sand im Auge jedes Fahrgastes.
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaft hat
dies erkannt. Ich zitiere aus dem Verordnungsvorschlag
vom März letzten Jahres:
Der Fahrgast ist die schwächere Partei eines Beförderungsvertrages und seine diesbezüglichen Rechte
sind zu schützen.
Deshalb hält die Kommission freiwillige Vereinbarungen für nicht ausreichend und fordert, diese gesetzgeberisch zu regeln.
({4})
Was sagt die Bundesregierung? Kein Wort! Man reibt
sich die Ohren, und das bei einer Bundesregierung, die
den Druck der Daumenschrauben einer EU-Vorlage normalerweise noch immer um zwei Umdrehungen erhöht.
Gegenüber einem ehemaligen Staatsunternehmen wird
die sonst übliche Marter aber nicht angewandt.
Dies gilt übrigens auch für die Deutsche Post AG.
Dieser bescheinigt die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post eine Monopolstellung. Sie
warnt sogar vor deren Ausweitung. Zu wessen Lasten?
Natürlich des Verbrauchers! Jeder von uns erlebt es doch
zurzeit in seinem Wahlkreis. Täglich werden Postdienststellen geschlossen, und das immer unter dem Deckmantel der so genannten Selbstverpflichtung der Post.
Gerade der ländliche Raum leidet besonders; er blutet
aus. Was sagt die Bundesregierung? Ich zitiere aus ihrer
Stellungnahme zum Tätigkeitsbericht der Regulierungsbehörde:
Insgesamt wird aus Sicht der Bundesregierung der
Gewährleistungsauftrag für eine flächendeckend
angemessene und ausreichende Versorgung mit
Postdienstleistungen in vollem Umfang erfüllt.
Hört, hört!
Die Wirklichkeit der Bundesregierung und die Realität der Bürger unterscheiden sich offensichtlich erheblich. Aber was soll es? Es gibt ja nur 2 Millionen bis
3 Millionen Postkunden pro Tag und der Kanzler muss
ja seine Briefmarken nicht selbst kaufen.
({5})
Glücklicherweise gibt es aber das Bundeskartellamt. Da
die Bundesregierung nicht gehandelt hat, hat dieses entschieden, und zwar zugunsten des Verbrauchers. Die
Rechte privater Briefdienstleister sind gestärkt worden.
Mehr Wettbewerb, niedrigere Preise, davon profitiert der
Verbraucher. Zudem hat die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik,
also gegen die Bundesregierung, eingeleitet. Der Vorwurf lautet: Private Anbieter werden benachteiligt. Und
die Antwort der Bundesregierung? Schweigen! Wir reiben uns einmal mehr die Ohren. Bei dem Problem der
Post gibt es noch nicht einmal einen formulierten Anspruch der Bundesregierung.
Ganz anders ist es im Bereich des gesundheitlichen
Verbraucherschutzes. Hier engagiert sich die Bundesregierung, jedenfalls für den Genießer edler Fruchtsäfte.
So heißt es im Verbraucherpolitischen Bericht 2004 - ich
zitiere -:
Durch die Änderung der Fruchtsaftverordnung
wurde die Verkehrsbezeichnung „Fruchtsaft aus
Fruchtsaftkonzentrat“ für Erzeugnisse festgelegt,
die aus Fruchtsaftkonzentraten unter Hinzufügen
von zuvor entzogenem Wasser hergestellt werden.
Allerhand!
({6})
Während der Fruchtsaftkonzentratkonsument höchsten
staatlichen Schutz genießt, sind Millionen Deutsche gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt, und zwar ohne jeglichen Schutz. Ich spreche hier von dem Bereich der
Schönheitsoperationen. Hier bewegen wir uns in einem
Grenzgebiet zwischen kommerziellem Angebot und medizinischer Leistungserbringung. Nach Schätzungen
sind im Jahre 2003 circa 1 Million Eingriffe in Deutschland durchgeführt worden - 1 Million! -, und dies nur
mit dem Ziel, das Aussehen zu verbessern, nicht, um
eine Krankheit zu behandeln.
Diese Konsumenten von Schönheitsoperationen vertrauen auf die Qualifikation ihrer Ärzte und Heilpraktiker. Was sie nicht wissen: Anders als im normalen Krankenhaus mit Facharztstandard darf jeder Heilpraktiker
ohne jegliche Erfahrung zum Beispiel Fett absaugen. Jeder approbierte Arzt darf zum Skalpell greifen. Er muss
zuvor noch nicht einmal einen Wochenendkursus belegen. Er darf sich Schönheitschirurg oder kosmetischer
Chirurg nennen oder sich mit anderen wohlklingenden
Titeln schmücken. Und das in einem Land, in dem an die
Bezeichnung „Fruchtsaftkonzentrat“ strengste Maßstäbe gelegt werden! Absurd? Nein, Realität. Wir reiben
uns Ohren und Augen.
({7})
Hals-, Nasen- und Ohrenärzte modellieren neue Brüste,
vor laufender Kamera in Reality-TV-Shows werden
menschliche Barbiepuppen geformt, Eltern lassen ihre
Kinder zu Abbildern von Hollywoodstars umgestalten hier in Deutschland im Jahre 2005.
({8})
Und das alles mit einem hohen gesundheitlichen Risiko!
So weisen Studien aus den USA darauf hin, dass von
5 000 Fettabsaugungen eine tödlich endet. Menschen
sterben, Menschen werden verstümmelt.
({9})
- Sie finden es komisch. Nun gut.
({10})
Hier ist wirklich Schutz geboten - für den Verbraucher,
den Patienten, den Bürger. Und was tut die Bundesregierung? Sie sieht keinen Handlungsbedarf. So die Antwort
auf eine Anfrage meiner Fraktion.
({11})
- Liebe Frau Wolff, wir leben alle unter demselben Himmel, aber wir haben nicht alle denselben Horizont; dafür
bin ich dankbar.
({12})
Die Bundesregierung sieht keinen Handlungsbedarf, so
die Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion.
Auch darüber findet sich kein einziges Wort in diesem
Bericht. Er ist ein Armutszeugnis.
Als Fazit bleibt: Ein breiter Bericht, wenig Maßnahmen, vieles nicht erkannt. Auf diesen Bericht passt deshalb nur das Urteil von Christian Friedrich Hebbel:
„Wörter sind Laternen: Steck ein Licht hinein und sie
geben einen guten Schein.“
Vielen Dank.
({13})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort Kollegin Ulrike Höfken, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Hinter dem Horizont von Frau Connemann geht es
weiter; das ist hier richtig gesagt worden.
Ich bedanke mich für die Möglichkeit, die Eiersituation hier darzustellen. Um es ganz klar zu sagen: Nach
dieser Studie, die sich über den Zeitraum von 1999 bis
2003 erstreckt hat, sind Eier aus Käfigproduktion definitiv stärker mit Dioxinen belastet als Eier aus anderen
tiergerechteren Produktionsformen.
Im Jahr 2004 hat Minister Ehlen in Niedersachsen
sieben Proben bei Freilandhaltung genommen. Diese
Aussagen waren statistisch irrelevant. Inzwischen hat
auch Minister Ehlen vor laufender Kamera seine entsprechende Empfehlung aufgrund dieser „Erkenntnisse“,
nämlich keine Freilandeier mehr zu essen, widerrufen.
Baden-Württemberg wiederum, im Übrigen ein CDULand - vielleicht gibt es dort Sachverstand in einer benachbarten FDP-Fraktion -, hat nun das Problem in
Angriff genommen und große Freilandbetriebe untersucht. Baden-Wüttemberg erklärt aktuell: Es gibt keinen
Dioxinskandal in diesem Zusammenhang.
Zum Schluss möchte ich die „FAZ“ zitieren, die sicher unverdächtig ist, was die Nähe zu Rot-Grün angeht.
Sie hat die CDU/CSU und die FDP im Zusammenhang
mit ihrer angeblichen Dioxineierskandalkampagne
„Eierwerfer“ genannt. Ich sage Ihnen: Das verjährt nicht.
Danke.
({0})
Kollegin Connemann, Sie haben das Wort.
Frau Höfken, es ist mir ja nicht gestattet zu sagen:
„Sie eiern rum“, sonst würde ich es tun.
({0})
Kein Mensch hat behauptet, es gebe einen Dioxinskandal.
({1})
Es ging um die Werte. Weder die Kollegin Heinen noch
der Kollege Goldmann haben behauptet, es gebe einen
Dioxinskandal.
({2})
Es ging um die erhöhten Werte. Ich gebe noch einmal
zur Kenntnis: Sie behaupten, diese Werte seien nicht erhöht. Damit setzen Sie sich in Widerspruch zum eigenen
Ministerium, nämlich zum Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, das auf eine
Anfrage der Kollegin Julia Klöckner vom 28. Oktober
2004 am 5. November 2004 antwortete:
Bei der Freilandhaltung liegen die Werte um den
Faktor 1,5 bis 2 höher.
({3})
Würden Sie das bitte endlich zur Kenntnis nehmen oder
dürfen wir Ihre Reaktion dahin gehend verstehen, dass
Sie behaupten, Ihr eigener Bundesumweltminister sage
nicht die Wahrheit?
({4})
Ich erteile das Wort Kollegin Jella Teuchner,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch
wenn dieser Eindruck heute etwas täuscht, weil von vielen anderen Themen gesprochen wird: Verbraucherpolitik ist zu einem eigenständigen Politikfeld geworden.
Ich denke, es ist wichtig, gerade auf den verbraucherpoJella Teuchner
litischen Bereich noch einmal besonders einzugehen.
Uns liegt nämlich ein Antrag der FDP vor, der schlicht
und einfach besagt: Eine eigenständige Verbraucherpolitik ist nicht notwendig; der Markt regelt das allein. Ihre
umfassende Politik für Verbraucherinnen und Verbraucher ist demnach nichts anderes als Marktideologie, die
Sie mit dem Feigenblatt „Stiftung Warentest“ kaschieren
wollen. Das ist zwar ein netter Versuch, funktioniert aber
leider nicht.
({0})
In Ihrem Antrag schreiben Sie, die alleinige Zuordnung des Verbraucherschutzes zu einem Fachministerium habe sich nicht bewährt. Abgesehen davon, dass
gerade im wirtschaftlichen Verbraucherschutz die Federführung für vieles noch immer bei anderen Ministerien
liegt: Warum eigentlich? War es besser, als Verbraucherschutz lediglich die Sache eines Referats im Wirtschaftsministerium war? War es besser, als es noch keine Fachministerin gab, die dem Verbraucherschutz ein Gesicht
gab? Nein, die Verbraucherpolitik hat einen Schritt nach
vorne gemacht, gerade weil es jetzt ein Ministerium gibt,
das sich in seinem Schwerpunkt auch darum kümmert.
Das ist ein Erfolg, den Sie mit einem lapidaren Satz
nicht leugnen können.
Warum ist Ihnen dieser Erfolg ein Dorn im Auge?
Doch nur, weil Sie eigentlich gar keinen eigenständigen
Verbraucherschutz haben wollen! Das haben Sie heute
in allen Ihren Reden und in Ihrer Kurzintervention ganz
klar zum Ausdruck gebracht. Ihrer Meinung nach leben
wir sowieso schon in einem verbraucherpolitischen Paradies:
Zahlreiche privatwirtschaftliche Qualitäts- und
Markenprogramme, die den Verbrauchern durch
entsprechende Prüf-, Güte- und Markenzeichen
kommuniziert werden, haben bereits zu mehr
Markttransparenz geführt.
Dies kann man im FDP-Antrag lesen. Das ist nicht einmal die halbe Wahrheit; die Wirklichkeit sieht nämlich
ganz anders aus.
Der VZBV hat zur Grünen Woche eine Zusammenstellung veröffentlicht, die deutlich macht, wie Verbraucherinnen und Verbraucher im Bereich der Lebensmittel
getäuscht werden. Im Frühjahr 2004 hat die Stiftung Warentest in einem Test von 34 Honigen 18-mal „mangelhaft“ vergeben - wegen unzutreffender und irreführender Bezeichnungen. Das Panel des Bayerischen
Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit
in Oberschleißheim untersuchte von 2002 bis 2004 insgesamt 63 Olivenöle und beanstandete 25 Produkte als
falsch gekennzeichnet. Viele der Bezeichnungen, die
eine besondere Qualität suggerieren, haben keinerlei
Aussage: „Aus eigener Herstellung“ kann auch eine aus
einer Backmischung hergestellte Torte sein. „Aus kontrolliertem Anbau“ sagt nichts aus. Auf der Verpackung
von Eiern ist ein bäuerlicher Hof abgebildet und trotzdem sind es Käfigeier.
Auch vor dem Hintergrund dieser Diskussion möchte
ich hier noch einmal darauf hinweisen, dass nicht alle
Freilandeier automatisch Ökoeier sind.
({1})
Lassen Sie doch endlich einmal Ihre Verbohrtheit beiseite und kommen Sie zur Realität zurück!
({2})
Verstehen Sie mich hier nicht falsch: Es gibt viele Unternehmen, die ihre Verantwortung ernst nehmen. Es gibt
aber auch solche, die versuchen, sich durch Tricksen und
Täuschen Vorteile auf Kosten der Verbraucherinnen und
Verbraucher zu erschleichen. Dies darf nicht sein. Wer
hier einfach nur auf den Markt verweist - so wie Sie es
in Ihrem Antrag tun -, der schadet nicht nur den Verbraucherinnen und Verbrauchern, sondern auch den verantwortlich handelnden Unternehmen.
Der Staat hat - das zeigt dieses Beispiel - einen klaren ordnungspolitischen Auftrag für den Verbraucherschutz. Es war nicht der Markt, der dafür gesorgt hat,
dass Lebensmittel mit gentechnisch veränderten Organismen gekennzeichnet werden müssen. Es war auch
nicht der Markt, der dafür gesorgt hat, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher vor dem Missbrauch von
Mehrwertdiensten in der Telekommunikation geschützt
werden. Im Gegenteil, gerade im letzten Fall war es der
Markt, der das Problem geschaffen hat. Wir bekennen
uns zwar zur Marktwirtschaft - das ist nicht die Frage -;
wir sehen aber, dass wir in einigen Bereichen ganz klare
Schutzvorschriften brauchen. Deswegen bekennen wir
uns zur eigenständigen Verbraucherpolitik als notwendigen Teil der sozialen Marktwirtschaft.
Frau Connemann, ich gehe jetzt einmal auf Ihren Beitrag ein. Wenn Sie auf der einen Seite verlangen, dass im
Post- und Telekommunikationsbereich ordnungspolitisch eingegriffen wird, auf der anderen Seite aber sagen:
„Wir brauchen hier eine völlige Liberalisierung
({3})
und mehr Öffnung, damit sich der Wettbewerb entwickelt und damit auch andere Anbieter auf dem Markt
auftreten können“, dann ist das widersprüchlich. Diese
Aussage müssten Sie vielleicht noch einmal etwas genauer erklären. Das hat im Übrigen auch nichts mit dem
Horizont zu tun; diesen Ausdruck habe ich für sehr unpassend gehalten. Einen solchen Hinweis hätten Sie eigentlich nicht nötig.
({4})
Eine eigenständige Verbraucherpolitik sorgt im Zusammenhang mit den verschiedenen Fachressorts dafür,
dass die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher gewahrt bleiben. Dies kann am besten in Zusammenarbeit mit den
Unternehmen und den Verbraucherverbänden erreicht
werden. Der Staat hat hier die Verantwortung. Er kann
sie nicht einfach an die Märkte delegieren.
Der verbraucherpolitische Bericht zeigt, dass wir
diese Aufgabe ernst nehmen. Es ist eine Querschnittsaufgabe, an der alle Ressorts mitwirken, und da ist ein
Fachministerium, das der Verbraucherpolitik den notwendigen Nachdruck gibt. Diesen Weg werden wir auch
in Zukunft weitergehen.
({5})
Ich erteile Kollegin Maria Flachsbarth, CDU/CSUFraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wirksamer Verbraucherschutz ist ein positiver
Standortfaktor für den Wirtschaftsstandort Deutschland;
denn wirksamerer Verbraucherschutz fördert das Verbrauchervertrauen in qualitativ hochwertige Konsumartikel und Dienstleistungen. Dazu ist es erforderlich, den
Verbraucher als eigenverantwortlich handelnden Marktteilnehmer durch sachliche, transparente und verständliche Information und Aufklärung zu stärken, um ihm so
durch fundierte Entscheidungskompetenz Wahlmöglichkeiten zwischen Produkten mit verschiedenen Qualitätsstandards, Leistungen und Preisen zu ermöglichen.
Wir von der CDU/CSU-Fraktion haben daher in
unserem Antrag zur Verbesserung der Verbraucherinformation dargelegt, dass es notwendig ist, das Produktkennzeichnungsrecht zu vereinheitlichen sowie
Kennzeichnungen verständlicher zu formulieren, gemeinsam mit der Wirtschaft ein Konzept zur Verbraucherinformation zu erarbeiten und insbesondere die
Verbraucherzentralen als unabhängige Beratungsgremien zu stärken.
In Deutschland gibt es seit Anfang der 60er-Jahre ein
flächendeckendes Netz von Verbraucherberatungsstellen, die vielerorts eine hervorragende Arbeit leisten, indem sie dem Verbraucher helfen, für ihn zum Teil unverständliche, weil in Fachchinesisch abgefasste, oder aber
unüberschaubare, weil zu umfangreiche, Informationen
zu sichten und entsprechend seinen persönlichen Bedürfnissen zu werten.
({0})
Ihr besonderer Vorteil ist, dass sie privat organisiert und
daher unabhängig sind. Aber sie sind auf die Zuschüsse
der Länder angewiesen und angesichts der allgemein
notwendigen Sparmaßnahmen zum Teil in ihrer Arbeitsfähigkeit gefährdet. So spart Schleswig-Holstein im
Haushalt 2005 gegenüber 2004 bei der Direktförderung
nahezu 10 Prozent ein.
({1})
In Mecklenburg-Vorpommern musste im letzten Jahr die
Verbraucherzentrale einen Insolvenzantrag stellen.
Damit werden gerade in Flächenländern, die ländlich
geprägt sind, bewährte Strukturen des Verbraucherschutzes infrage gestellt. Die Bundesregierung sollte unseren
Vorschlag dazu aufnehmen und Konzepte für die Stärkung der Verbraucherberatung, zum Beispiel durch
Gründung einer Stiftung, erarbeiten und gemeinsam mit
den Ländern zukunftsfähige Strukturen schaffen.
({2})
Ziel von Verbraucherschutzpolitik darf es nicht sein,
den Bürger zu bevormunden oder zu verängstigen, sondern muss es sein, ihm alle notwendigen Informationen
für seine Kaufentscheidung zu geben. An dieser Messlatte bewerten wir das vorgelegte Aktionsprogramm und
den Bericht. Bei Durchsicht der Drucksachen erkennt
man aber weniger den Gedanken des mündigen Bürgers
als vielmehr überbordende Bürokratie.
({3})
Wer einen Überblick darüber haben will, meine Damen
und Herren, schaue nur auf die letzten Seiten des Verbraucherpolitischen Berichts. Wenn das Ihr Beitrag zum
Masterplan Bürokratieabbau ist, na dann herzlichen
Glückwunsch!
({4})
Ein Beispiel für überbordende Demokratie beim
Schutz von Verbrauchern ist die Pflege alter Menschen,
ohne Zweifel ein Bereich, in dem Verbraucherschutz
eine besondere Bedeutung hat, nicht nur wegen des
wachsenden Marktsegments. Pflegebedürftige und von
daher in vielen Fällen hilflose Verbraucher bedürfen des
besonderen Schutzes ihrer Interessen gegenüber den Anbietern von Pflegedienstleistungen. 2003 trat das PflegeQualitätssicherungsgesetz in Kraft, das Dokumentationspflichten festschreibt, die zur Einhaltung eines guten Pflegestandards sicherlich unabweisbar sind. Allerdings hatte es auch zur Folge, dass nach Berechnungen
des Verbandes Deutscher Alten- und Behindertenhilfe
inzwischen über 40 Prozent der Arbeitszeit in der Pflege
für Bürokratie aufgewandt werden. Diese Zeit steht für
die Pflege der alten Menschen und die menschliche Zuwendung der Pflegenden und damit für das, was die Lebensqualität der Seniorinnen und Senioren maßgeblich
beeinflusst, nicht mehr zur Verfügung. Dringend notwendig ist es daher, die Dokumentationspflichten
gemeinsam mit den Pflegedienstleistern und den Pflegekassen auf das unbedingt notwendige Maß zurückzuführen. Hierüber steht in den Berichten kein Wort.
({5})
Meine Damen und Herren, zum Verbraucherschutz in
der Pflege gehört des Weiteren auch, an den individuellen Bedarf angepasst zu pflegen. Über- wie Unterversorgung sind schädlich. Mit einem in Kanada entwickelten
Verfahren namens PLAISIR lässt sich auf einfache und
unbürokratische Weise der individuelle Pflegebedarf
messen. Dieses Verfahren wurde im Auftrag des Bundesfamilienministeriums zwischen 1999 und 2003 untersucht. Hierbei hat sich ergeben, dass rund 30 Prozent der
in den Pflegeheimen lebenden Personen genauso gut zu
Hause gepflegt werden könnten, insgesamt aber auch
über 15 Prozent mehr Personal in den Heimen notwendig wäre. Die Einführung dieses Systems ist nach Angaben der Bundesregierung an immer neuen und nicht tragDr. Maria Flachsbarth
baren Forderungen der kanadischen Rechteinhaber
gescheitert. Nicht nur Schleswig-Holsteins Sozialministerin, die der SPD angehört, forderte die Bundesregierung auf, erneut zu verhandeln und zu einem Abschluss
zu kommen - doch leider bislang vergeblich. Auch
hierzu findet sich in den vorliegenden Berichten kein
Wort.
({6})
Meine Damen und Herren, das hier gemeinsam von
allen Fraktionen geäußerte Ziel, den Verbraucher durch
qualifizierte Informationen zu stärken, um ein objektives
Urteil zu ermöglichen, gerät leider nicht nur durch irreführende Werbung in Gefahr, sondern auch durch gezielte und von interessierter politischer Seite initiierte
Kampagnen. Dies führt zu einem desinformierten und
verunsicherten Verbraucher. Ein konkretes Beispiel hierfür ist die Gentechnikgesetzgebung. Statt einer Informationsoffensive auf Grundlage wissenschaftlicher
Erkenntnisse und Förderung weiterer notwendiger wissenschaftlicher Untersuchungen erfolgt ein Quasiverbot
durch die Hintertür, übrigens auch im Widerspruch zum
geltenden EU-Recht.
({7})
Das ist nicht nur zum Schaden für den Wirtschafts- und
Wissenschaftsstandort Deutschland, sondern auch zum
Schaden für die Wahlfreiheit des Verbrauchers.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Rote Gentechnik ist inzwischen weitgehend etabliert und akzeptiert.
Mit ihrer Hilfe werden hochwertige und sehr gut verträgliche Medikamente hergestellt - zum Beispiel Insulin
zur Diabetesbehandlung -, die sich am Markt wegen ihrer herausragenden Eigenschaften komplett durchgesetzt
haben. Das war nicht immer so: Noch in den 90er-Jahren
des letzten Jahrhunderts - so lange ist das noch nicht
vorbei - hat ein gewisser Joschka Fischer als hessischer
Umweltminister den Bau eines entsprechenden Bioreaktors verhindert, weil ihm die Rote Gentechnik als höchst
riskant galt. Hoechst Frankfurt baute die Fertigung dann
übrigens im benachbarten Ausland, im Elsass, auf und
die Wertschöpfung erfolgt entsprechend auch in Frankreich - bis heute.
({8})
Heute dreht sich die politische Diskussion um die
Grüne Gentechnik, also die mittels gentechnischer Methoden forcierte Züchtung von Pflanzen. Von der Bundesregierung wurde der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen durch das neue Gentechnikgesetz quasi
unmöglich gemacht. Sie weigert sich, das Potenzial,
welches die Gentechnik für eine gesunde Ernährung und
den Verbraucherschutz bietet, zu sehen, zum Beispiel
durch die Zucht glutenfreien Weizens, der Zöliakiepatienten, die an einer allergischen Darmerkrankung leiden, eine „normalere“ Ernährung ermöglichen würde,
({9})
durch die Zucht resistenter Pflanzensorten, die einen geringeren Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ermöglichen
und damit die Rückstände in Umwelt und Lebensmitteln
verringern, oder durch die Zucht pilzresistenter Getreidesorten, die einen wirksamen Schutz gegen Mykotoxine bieten, vor denen im Bericht ausdrücklich gewarnt
worden ist. Zugleich ist nämlich durch die im Hochwasserschutzgesetzentwurf enthaltenen Anbauauflagen in
Überschwemmungsgebieten mit einem höheren Befall
durch Mykotoxine zu rechnen.
Kollegin Flachsbarth, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höfken?
Sehr gern.
({0})
Die Eierei bleibt eigentlich euch überlassen. - Mich
interessiert, da Sie - wenn auch nicht erkennbar ist, in
welchem Zusammenhang das mit dem Thema steht über Gentechnik reden und meinen, dass dadurch eine
unglaubliche Pestizideinsparung möglich würde und
dass Agrogentechnik ein wichtiger Faktor zur Verbesserung der Umweltsituation sei, wie Sie im Hinblick auf
eine differenzierte Beurteilung Studien sowohl aus den
USA wie beispielsweise auch aus Argentinien, die der
Gentechnik und der Agrogentechnik durchaus sehr zugeneigt sind, beurteilen, die zu ganz anderen Ergebnissen
kommen. Die US-Amerikaner beispielsweise stellen
fest, dass eine Einsparung nur in den ersten drei Jahren
zu verzeichnen sei - das hängt auch von der Kultur ab -,
die Einsatzmenge dann aber stark ansteige und die ursprüngliche Einsatzmenge deutlich überschreite. Ähnliche Ergebnisse gibt es in Argentinien.
Frau Kollegin, Sie müssen bitte eine Frage formulieren.
({0})
Ich frage ja, sogar sehr intensiv, und ich hoffe, nicht
noch länger. ({0})
Mich treibt um, wie Sie das beurteilen. Darüber hinaus
würde ich, da Sie gesagt haben, dass durch die Gentechnik auch der Verbraucherschutz verbessert werde, gerne
wissen, wie Sie diese Erkenntnis genau begründen.
Frau Kollegin Höfken, Sie wissen genauso gut wie
ich, dass es unterschiedliche wissenschaftliche Einschätzungen gibt. Es gibt eine Vielzahl von sehr positiven
wissenschaftlichen Einschätzungen und Berichten, die
beschreiben, dass es tatsächlich zu herausragenden Einsparungen von Pflanzenschutzmitteln und zu einer wesentlichen Verbesserung insbesondere in den so genannten Entwicklungsländern kommt.
({0})
Liebe Kollegin, in diesem Zusammenhang ist ganz besonders wichtig, dass wir in unserem eigenen Land im
Rahmen des Erprobungsanbaus wissenschaftliche Untersuchungen ermöglichen, um die Unsicherheiten, die es
ohne Zweifel noch gibt, auszuräumen, und dass wir uns
im Rahmen der Entwicklung von Standards bezüglich
Sicherheitssystemen im Umgang mit der Grünen Gentechnik an die Spitze der Bewegung stellen. Leider Gottes verhindert die rot-grüne Bundesregierung durch ihre
Politik eben gerade das.
({1})
Kollegin Flachsbarth, gestatten Sie auch eine Zwischenfrage der Kollegin Däubler-Gmelin?
({0})
Bitte schön.
Vielen Dank, liebe Kollegin, dass Sie die Frage zulassen. Ich weiß, es stört manchmal schon. - Mir geht es
sehr darum, dass wir in dieser umstrittenen Frage endlich einmal über die gleichen Zahlen reden. Da Sie gerade erwähnt haben, dass es zahlreiche Gutachten gebe,
die in hohem Maße positiv über Einsparungen berichten
würden, habe ich die Bitte, dass Sie diese freundlicherweise ein bisschen konkreter benennen oder sie uns anschließend sogar zur Verfügung stellen.
Liebe Kollegin Däubler-Gmelin, ich mache das sehr
gerne und werde Ihnen die Untersuchungen im Anschluss an die Debatte zukommen lassen. Ich habe sie
jetzt nicht dabei. - Ich glaube, auch diese Diskussion
zwischen uns beiden zeigt deutlich, wie eminent wichtig
es wäre, dass sich ein Wissenschafts- und Forschungsstandort, der Deutschland doch sein will und sollte, in
diesem Zusammenhang aktiv in die Diskussion mit einbringt. Das geht nur, wenn Sie entsprechende Untersuchungen ermöglichen, und eben gerade das ist leider
Gottes durch Ihre rot-grüne Politik nicht möglich.
({0})
Aber kommen wir auf die Mykotoxine und auf die
Bedrohung durch Fusarien zurück. Mögliche Abhilfe
könnte fusarienresistenter, gentechnisch veränderter
Weizen bieten. Ein entsprechender Probeanbau wurde
- das habe ich jetzt mehrfach gesagt - sowohl im letzten
wie auch im vorletzten Sommer von Gentechnikgegnern
zerstört. Die zuständige Ministerin, Frau Künast, wollte
in der Sendung „Frontal 21“, auf die Zerstörung angesprochen, diese noch nicht einmal verurteilen. Ein solches Verhalten ist nicht im Sinne des Verbraucherschutzes, weil der Aktionsplan ebendiesen kontrollierten
Erprobungsanbau explizit erfordert.
Nachzutragen bleibt in diesem Zusammenhang, dass
die Firma Syngenta, die den Weizen entwickelt hat, ihre
Forschungstätigkeit in Deutschland inzwischen eingestellt hat. Eine Zukunftstechnik mit erheblichen Chancen
für eine gesündere Ernährung wurde somit aus Deutschland vertrieben. Lebensmittel, die so gründlich wie keine
anderen auf ihre Sicherheit überprüft sind, bekommen
aus Gründen des vermeintlich vorsorgenden gesundheitlichen Verbraucherschutzes keinen Zugang zum deutschen Markt.
Insgesamt ist das Verbraucherkonzept der Bundesregierung somit zu einseitig, zu bürokratisch und ideologisch belastet. Das ist nicht unsere Auffassung von einer
modernen, zukunftsfähigen Verbraucherschutzpolitik.
Vielen Dank.
({1})
Ich erteile das Wort Kollegin Waltraud Wolff, SPDFraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich bin am Ende dieser Debatte schon etwas
verwundert.
({0})
Die CDU/CSU schwingt sich hier zum Verbraucherschützer der Nation auf.
({1})
Ich will daran erinnern: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz gestimmt. Aber heute verkauft sie draußen im Lande die
damit verbundenen Erfolge.
({2})
Sicherlich wird es so sein, dass Sie uns in zehn Jahren
erzählen, Sie hätten den Atomausstieg Deutschlands forciert.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung macht eine hervorragende Verbraucherpolitik. Das
belegt nicht nur der vorgelegte Bericht, sondern das
zeigt auch die heutige Debatte in eindrucksvoller Weise.
Es wird die Vielfalt der Bereiche deutlich, in denen wir
konkrete Maßnahmen umgesetzt haben.
({4})
Waltraud Wolff ({5})
Selbst wenn die Kolleginnen und Kollegen der Opposition immer wieder versuchen, das Gegenteil zu suggerieren, werden sie das Rad der guten Entwicklung der
Verbraucherpolitik nicht zurückdrehen. Denn die Bündelung der politischen Verantwortung für den Verbraucherschutz in einem eigenen Ressort ist richtig und zielführend.
({6})
Gerade bei der Bewältigung der Lebensmittel- und
Futtermittelskandale - ich nenne hier nur Dioxin in
Kartoffeln und Nitrofen im Getreide - hat sich die Neuorganisation der Lebensmittelsicherheit und des gesundheitlichen Verbraucherschutzes bewährt. Mit dem Bundesinstitut für Risikobewertung und mit dem Bundesamt
für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit haben
wir zwei sehr schlagkräftige Organisationseinheiten, die
die Risikokommunikation und auch das Risikomanagement im Krisenfall vortrefflich leisten.
({7})
Entsprechend werden wir in dem Gesetz zur Neuordnung des Lebensmittel- und Futtermittelrechtes mehr
Transparenz schaffen und die Sicherheit der Verbraucherinnen und Verbraucher weiterhin verbessern.
Die Verbraucherpolitik in dieser Legislaturperiode ist
einfach eine Erfolgsstory. Wir haben das Leitbild des
mündigen, selbstbestimmten und informierten Verbrauchers. Es bedarf natürlich einer ganz besonderen Informationskultur, die wir hier mitgestalten.
({8})
Dass Verbraucher Informationen einfordern, zeigt
eine repräsentative Emnid-Umfrage. Sie zeigt nämlich,
dass sage und schreibe 72 Prozent der Verbraucher eine
lückenlose Auflistung aller Zutaten in den Lebensmitteln
fordern.
({9})
Etwa die Hälfte der Befragten gab an, dass die Informationen auf Lebensmittelverpackungen unzureichend und
unverständlich seien. Diese Tatsache allein belegt, dass
wir auf dem richtigen Weg sind.
({10})
Verbraucherschutz ist für bestimmte Gruppen unserer
Bevölkerung besonders wichtig. Ich nenne hier Kinder,
Jugendliche und ältere Menschen. Ich war in dieser Woche - wie auch Kollegen aus anderen Fraktionen - auf
einer Veranstaltung der Bundesarbeitsgemeinschaft der
Seniorenorganisationen zum Thema „Zielgruppenorientierte Verbraucherarbeit für und mit Senioren“.
Auf dieser Veranstaltung haben wir merkwürdigerweise parteiübergreifend festgestellt, dass gerade die älter werdende Generation eine ganz wichtige Zielgruppe
ist; das ist eindeutig. Deshalb müssen wir, müssen alle
beteiligten gesellschaftlichen Bereiche für die Verbraucheranliegen von Kindern, von Jugendlichen und von
Senioren sensibilisieren und aktuelle Handlungsfelder
aufzeigen.
({11})
Betrachten wir doch einmal den Jugendschutz. Hier
kann man meiner Auffassung nach nicht genug tun. Ich
nenne als erstes Stichwort die Handytarife. Es geht
nicht an, dass die Wirtschaft ihre Profite vor den Jugendschutz stellt. In diesem Zusammenhang spreche ich Sie,
Frau Hasselfeldt, ganz explizit an. Sie haben hier eingangs gesagt, die Wirtschaft und die Verbraucher hätten
gleiche Interessen. Das ist eben nicht so. Die Wirtschaft
hat Interesse an Profit; die Verbraucher und erst recht
junge Menschen müssen an dieser Stelle geschützt werden.
({12})
Darum ist der Ansatz von Frau Künast völlig richtig, die
Wirtschaft aufzufordern, Handyverträge mit Schutzklauseln für junge Nutzer vorzulegen.
Als zweites Stichwort nenne ich die Alcopops. Wie
kann es sein, dass wir hier im Bundestag eine verschärfte
gesetzliche Regelung zum Schutz unserer Kinder beschließen und am gleichen Tag von der Wirtschaft neue
Wege angekündigt werden, um die jugendliche Kundschaft weiterhin mit Alcopops zu bedienen? Klar ist
doch, dass der Gesetzgeber in der Verantwortung steht;
diese Verantwortung nehmen wir gern wahr. Dies zeigt
sich auch daran, dass Krisen und Skandale immer besser
gemanagt werden.
Eines steht doch fest: Das schwächste Glied in der
Kette der Lebensmittelsicherung ist entscheidend. Von
daher sind die Länder an dieser Stelle aufgefordert, ihrer
Verantwortung nachzukommen,
({13})
nämlich die Lebensmittelkontrollen richtig durchzuführen und für eine entsprechende Ausstattung der Behörden zu sorgen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei so manchem
Skandälchen in der letzten Zeit muss man fragen, ob es
nicht förmlich inszeniert ist. Da wir schon mehrfach
über die Schadstoffbelastung der Eier geredet haben,
ist es doch erstaunlich, dass passend zur Grünen Woche
in den Medien und besonders in der Boulevardpresse
über den so genannten Dioxinskandal zu lesen war. Eine
Woche später konnte man in „Monitor“ sehen und hören,
wer hierbei welche Interessen verfolgt und wie an dieser
Stelle Politik ganz gezielt in Misskredit gebracht wurde.
({14})
Ich möchte von Ihnen nicht missverstanden werden,
denn ich meine auch, dass der Schutz der Verbraucher
absoluten Vorrang hat. Aber angesichts einer solch mangelhaften Datenerfassung kann man bei diesen Angriffen
auf die Agrar- und Verbraucherpolitik unserer Regierung, gelinde gesagt, auf einige merkwürdige Gedanken
kommen.
Waltraud Wolff ({15})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Verbraucherleitbild ist der mündige und verantwortlich handelnde
Marktteilnehmer. Was braucht der? Verständliche, vollständige und anwendbare Informationen. Das hat Politik
zu leisten; dafür haben wir die Rahmenbedingungen zu
schaffen, Frau Kopp. Man kann nicht immer sagen, die
Wirtschaft bzw. der Markt werde es schon richten.
({16})
In unserem Entschließungsantrag fordern wir, dass
die Wirtschaft mehr zielgruppenorientierte und zielgruppenbezogene Maßnahmen für Verbraucherinnen und
Verbraucher entwickelt, beispielsweise Seniorenprodukte, Heimverträge und Medienangebote. Aber
nicht nur die Wirtschaft ist gefragt. Ich appelliere auch
an die großen Verbraucherschützer, die sich heute in dieser Debatte auf den Oppositionsbänken gefunden haben.
Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. - Seien Sie aufgeschlossen,
meine Damen und Herren, und lassen Sie uns Gemeinsamkeiten finden, denn Verbraucherschutz sollte unser
aller Anliegen sein. Aber man muss am Schluss auch
ganz deutlich sagen: Verbraucherschutz kommt nicht
von allein. Wir müssen von staatlicher Seite den richtigen Rahmen setzen.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zunächst zum Tagesordnungspunkt 3 a:
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/4499 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungs-
antrag auf Drucksache 15/4865 soll an dieselben Aus-
schüsse überwiesen werden. Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Über-
weisungen so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 3 b: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft auf Drucksache 15/2058. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, in Kennt-
nis des Berichts der Bundesregierung über den
„Aktionsplan Verbraucherschutz“ auf Drucksache 15/959
den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/1007
zu dem genannten Bericht anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthal-
tungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der
CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion angenom-
men.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der FDP auf Drucksache 15/1001 mit dem Titel „Umfas-
sende Politik für Verbraucher - weg von einem engen
Aktionsplan zum Schutz der Verbraucher“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Ent-
haltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der CDU/
CSU-Fraktion und Gegenstimmen der FDP-Fraktion an-
genommen.
Tagesordnungspunkt 3 c: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft auf Drucksache 15/4281 zu dem Antrag
der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Bessere Ver-
braucherinformation bei Lebensmitteln, Produkten und
Dienstleistungen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
auf Drucksache 15/927 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthal-
tungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP bei Ge-
genstimmen der CDU/CSU angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis d sowie
Zusatzpunkt 2 auf:
4 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, Norbert
Barthle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Weichen stellen für eine bessere Beschäfti-
gungspolitik - Wachstumsprogramm für
Deutschland
- Drucksachen 15/2670, 15/3726 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Fritz Kuhn
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
({1})
- zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Für eine qualitätsorientierte und an den re-
gionalen Bedürfnissen ausgerichtete Aus-
schreibungspraxis von arbeitsmarktpoliti-
schen Maßnahmen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Karl-Josef
Laumann, Dagmar Wöhrl, Veronika Bellmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Ausschreibungspraxis in der Arbeitsmarkt-
politik effizient und effektiv ausgestalten
- Drucksachen 15/3213, 15/2826, 15/4598 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Karl-Josef Laumann
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
({2})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Michael
Fuchs, Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Bürokratische Hemmnisse beseitigen - Bessere Rahmenbedingungen für Arbeit in
Deutschland
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel,
Rainer Brüderle, Daniel Bahr ({3}), weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Reform des Kündigungsschutzgesetzes -
Abschaffung von Hemmnissen für die Ein-
stellung neuer Mitarbeiter
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel,
Rainer Brüderle, Dr. Karl Addicks, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Keine Sperrfrist bei Abschluss eines Ab-
wicklungsvertrags nach arbeitgeberseitiger
betriebsbedingter Kündigung
- Drucksachen 15/4156, 15/3724, 15/4407,
15/4622 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Michael Fuchs
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten KarlJosef Laumann, Dagmar Wöhrl, Veronika
Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Gemeinnützige Träger bei Ausschreibungen
der Bundesagentur für Arbeit zulassen
- Drucksache 15/3313 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({4})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ronald
Pofalla, Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Pakt für Deutschland
- Drucksache 15/4831 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({5})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Ronald Pofalla, CDU/CSU-Fraktion.
({6})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Dies ist die erste Debatte im Deutschen Bundestag, die unter dem Zeichen von über 5 Millionen registrierten Arbeitslosen stattfindet. Noch niemals zuvor seit
der Gründung der Bundesrepublik Deutschland musste
ein Wirtschaftsminister derart desaströse Zahlen verantworten. Die höchste Arbeitslosigkeit seit über 70 Jahren,
Herr Clement, haben Sie und diese rot-grüne Bundesregierung zu verantworten.
({0})
Es ist gerade einmal einen Monat her, Herr Minister,
dass Sie gegenüber der „Berliner Zeitung“ vollmundig
verkündet haben:
Wir können die Arbeitslosigkeit um 15 bis
20 Prozent senken.
Das war nichts anderes als medialer Hokuspokus und hat
mit der Wirklichkeit überhaupt nichts zu tun.
({1})
Vor knapp zehn Tagen haben Sie ebenfalls über die
Medien angekündigt, dass man bei der Unternehmensbesteuerung zu Potte kommen könne. In Ihrer eigenen
Koalition haben Sie dafür nur Hohn und Spott geerntet.
Von einer seriösen Reformbemühung kann nach meiner
festen Überzeugung überhaupt keine Rede sein. Auch
Ihr Kollege Hans Eichel, der Schuldenweltmeister der
Bundesrepublik Deutschland,
({2})
hat dieses Vorhaben am vergangenen Montag im „Handelsblatt“ erstklassig kassiert. Wer hat hier eigentlich etwas zu sagen? Der zuständige Minister sagt Nein zur
Unternehmensteuerreform, der nicht zuständige Minister, Herr Clement, will die Unternehmensteuerreform
und die Koalition ist wie immer uneinig. Im Ergebnis
kommt nichts heraus.
({3})
Herr Clement, Sie sind vom Superminister für Wirtschaft und Arbeit zum Superminister für Wahrsagerei
und Ankündigungen mutiert.
({4})
Sie haben keine Vorlagen und keine Ideen zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit in Deutschland.
({5})
Herr Minister, Sie bewegen nichts und Sie lösen nichts.
Sie sind der Arbeitslosenweltmeister der Bundesrepublik
Deutschland. Sie sind persönlich und politisch gescheitert.
({6})
Denn die Strategie des Gesundbetens hat auf der ganzen Linie versagt. Erst gestern ist eine neue Studie erschienen, die belegt, dass immer mehr Arbeitsplätze aus
Deutschland verlagert werden, weil der Standort
Deutschland einfach zu schlechte Rahmenbedingungen
vorgibt. Für diese Rahmenbedingungen ist ausschließlich die Bundesregierung, die seit sechs Jahren amtiert,
verantwortlich.
Die Internationale Arbeitsorganisation, die ILO, in
Genf hat am Montag festgestellt, dass der weltweite
Trend der Arbeitslosigkeit in 2004 gestoppt werden
konnte und die Arbeitslosigkeit in der Welt gesunken ist.
In Deutschland war leider das Gegenteil der Fall. Weltweit sinkt die Arbeitslosigkeit; in Deutschland steigt sie.
Deutlicher kann das rot-grüne Versagen in der Beschäftigungspolitik durch eine Studie gar nicht ausgedrückt
werden.
({7})
- Auf Ihre Zurufe komme ich gleich zu sprechen.
Sie als sozialdemokratische Fraktion sind angetreten,
etwas zu verändern. Wissen Sie, was Sie verändert haben? Durch die Massenarbeitslosigkeit in Deutschland
- das wird durch Studien bewiesen - nimmt die Armut
in Deutschland Jahr für Jahr zu. Sozialdemokraten und
Grüne haben ein Ansteigen der Armut durch Massenarbeitslosigkeit in Deutschland zu verantworten. Aus dieser Verantwortung lassen wir Sie nicht hinaus.
({8})
Um es deutlich zu sagen: Die Studie des DIW zeigt
auf, dass seit 1999 unter Rot-Grün zwischen dem Anstieg der Armut und dem Anstieg der Massenarbeitslosigkeit ein Zusammenhang besteht. Dazu muss man sagen: Die Arbeitslosigkeit in Deutschland hat einen
Namen und der lautet: Wolfgang Clement.
({9})
Auch bei den Jugendlichen ist Ihre Bilanz verheerend. Sie feiern in diesen Tagen den vermeintlichen
Erfolg des Ausbildungspaktes. Aber Sie wissen ganz genau, dass die Zahlen eine blanke Irreführung sind. In diesem Monat sind in Deutschland mehr als 635 000 Jugendliche unter 25 arbeitslos. Mehr als 410 000 junge
Menschen befinden sich in Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit und tauchen in der Arbeitslosenstatistik gar nicht auf. Wenn Sie beide Zahlen addieren, dann
ist die Bilanz Ihrer Regierungspolitik für junge Menschen, dass wir zum ersten Mal in Deutschland bei den
direkten und indirekten Arbeitslosen über 1 Million
junge Menschen haben, die keine Chance haben, weil sie
sich nicht auf dem Arbeitsmarkt platzieren können. Dafür sind Sie verantwortlich.
({10})
Mehr betriebliche Lehrstellen können doch nur dann
entstehen, wenn die Pleiteserie in Deutschland endlich
gestoppt wird. Im vergangenen Jahr haben fast
40 000 Unternehmen ihre Tore geschlossen - so viele
wie nie zuvor. Die volkswirtschaftlichen Kosten belaufen sich auf mehr als 40 Milliarden Euro. Mehr als
600 000 Arbeitnehmer sind von der Insolvenz ihres Arbeitgebers betroffen gewesen.
Herr Minister, ich möchte in diesem Zusammenhang
auf eine andere Zahl hinweisen, die für mich fast noch
gravierender ist als die Arbeitslosigkeit - denn an dieser
Stelle können Sie nicht tricksen und manipulieren, wie
Sie es ansonsten in der Arbeitslosenstatistik und in
anderen Zusammenhängen tun -: die Entwicklung der
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Das
sind genau die Arbeitsplätze, die die Last der sozialen
Sicherung schultern und die Finanzierung der Renten,
der Kranken, der Pflegebedürftigen und der Arbeitslosen
übernehmen. Hier erleben wir einen Aderlass in einem
noch nie da gewesenen Ausmaß. Seit 42 Monaten sinkt
die Zahl der regulär Beschäftigten in der Bundesrepublik
Deutschland Monat für Monat.
Ich sage das - vor allem in Richtung der Sozialdemokraten - noch einmal: Seit 42 Monaten geht die Anzahl
der echten Jobs in Deutschland zurück. Im September
2001 gab es in Deutschland noch 28,2 Millionen reguläre Beschäftigungsverhältnisse. Im September 2002
waren es 27,8 Millionen. Im September 2003 waren es
nur noch 27,2 Millionen. In diesem Monat ist bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen ein noch tieferer Stand zu verzeichnen. Es gibt nur
noch 26,7 Millionen Menschen, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, in die entsprechenden Versicherungssysteme einzahlen und damit über ihre Beiträge
zur sozialen Stabilität in Deutschland beitragen.
Man kann es auch anders ausdrücken: Seit Monaten
steigt die Arbeitslosigkeit und seit Monaten sinkt die Beschäftigung. Um es in Zahlen zu sagen: Unter Ihrer Regierungsverantwortung, Herr Clement, ging die Anzahl
der Jobs in den letzten dreieinhalb Jahren um
1,5 Millionen zurück und die Anzahl der registrierten
Arbeitslosen stieg um 1,3 Millionen. Das ist eine verheerende Bilanz.
({11})
Der Mann, der dies zu verantworten hat - ich erinnere
mich an Ihre Pressekonferenz von vor wenigen Tagen -,
spricht von einer Schockstarre, in die man nicht verfallen dürfe. Herr Minister, wenn diese Zahlen bei Ihnen
keinen Schock auslösen, dann weiß ich nicht, wovon
Sie, wenn es um die Lage der Bundesrepublik Deutschland geht, überhaupt noch geschockt werden könnten.
({12})
Herr Minister, Sie stehen in der Verantwortung. Sie müssen handeln. Sie müssen Vorlagen erarbeiten, tun es aber
nicht. Sie sind perspektivlos und haben überhaupt keine
Vorstellung davon, wie man die Arbeitslosigkeit in
Deutschland wirksam bekämpfen kann.
({13})
Dass das Thema Arbeitslosigkeit weder für Sie noch
für Ihre Koalition von Bedeutung ist, zeigt sich daran
- darauf will ich in diesem Zusammenhang hinweisen -,
dass sich auch der Bundeskanzler verkriecht
({14})
und an dieser zentralen Debatte zur Arbeitslosigkeit in
Deutschland nicht teilnimmt. Das ist für diesen Bundeskanzler typisch.
({15})
Herr Clement, Sie stehen allein. Der Bundeskanzler
hat in einem Interview, das er um die Jahreswende gegeben hat, Sie persönlich unter anderem für die Umsetzung
des Hartz-IV-Konzeptes verantwortlich gemacht. Ich
habe Presseberichten entnehmen können, dass Sie um
die Jahreswende verunsichert waren. Sie hätten nur uns
fragen sollen. Wir hätten Ihnen gesagt: Immer wenn es
schwierig wird und der Bundeskanzler Farbe bekennen
muss, steht er nicht zu seinen Ministern. Herr Clement,
Sie stehen allein. Der Bundeskanzler hat Sie um die Jahreswende in dieser zentralen Frage allein gelassen.
({16})
Jetzt müssen Sie allein versuchen, die Arbeitslosigkeit
zu bekämpfen. Der Bundeskanzler steht nicht an Ihrer
Seite.
({17})
Wir haben Ihnen in einer Debatte Ende Januar dieses
Jahres - ich wiederhole das - in einem Pakt für Deutschland angeboten, die Massenarbeitslosigkeit in den nächsten Wochen mit den dafür notwendigen Maßnahmen gemeinsam zu bekämpfen. Da Sie nicht in der Lage sind,
Vorlagen in den Deutschen Bundestag einzubringen, haben wir heute einen Zehnpunkteplan eingebracht,
({18})
in dem wir deutlich machen, dass die Massenarbeitslosigkeit in Deutschland sofort mit uns gemeinsam bekämpft werden kann.
({19})
Herr Müntefering, haben Sie die Kraft, die in Ihrer
Fraktion vorhandenen Gewerkschaftsinteressen hintanzustellen
({20})
und dieses Konzept mit uns gemeinsam umzusetzen.
({21})
Herr Müntefering, Sie kommen aus Nordrhein-Westfalen.
({22})
Dort ist der höchste Stand der Arbeitslosigkeit seit Bestehen dieses Bundeslandes zu verzeichnen.
({23})
Ende Februar dieses Jahres wird es zum ersten Mal seit
Bestehen des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, in
dem Sie seit 39 Jahren regieren und versagen,
({24})
über 1 Million Arbeitslose geben.
({25})
Herr Müntefering, Sie sollten als Fraktions- und Parteivorsitzender die Kraft haben, hier mit uns gemeinsam
Konzepte in Angriff zu nehmen, aufzugreifen und umzusetzen,
({26})
damit auch in Ihrem Heimatbundesland diese dramatische Zahl von über 1 Million Arbeitslosen, die Realität
ist und die Ihre Landesregierung und dieser Minister,
({27})
der aus seiner Verantwortung als Ministerpräsident in
Nordrhein-Westfalen geflohen ist, zu verantworten haben, abnimmt.
({28})
Herr Müntefering, ich verstehe ja Ihre Erregung.
({29})
Sie müssten sich eigentlich schämen für die über
1 Million Arbeitslosen in Nordrhein-Westfalen und für
die über 5 Millionen Arbeitslosen in Deutschland, weil
Sie die Verantwortung dafür eben nicht mehr anderen in
die Schuhe schieben können. Sie handeln nicht; damit
haben Sie diese Arbeitslosen zu verantworten.
({30})
Herr Müntefering, haben Sie die Kraft als Parteivorsitzender und Fraktionsvorsitzender der SPD, hier im
Deutschen Bundestag mit der Opposition zusammen einen Pakt für Deutschland zu bilden,
({31})
der das Ziel hat, die Massenarbeitslosigkeit in Deutschland zu bekämpfen.
({32})
- Herr Müntefering, Sie blockieren sich selber.
({33})
Herr Müntefering, Deutschland braucht endlich wieder eine Bundesregierung, endlich wieder einen Wirtschaftsminister, der die Sorgen der über 5 Millionen
Menschen, die arbeitslos sind, ernst nimmt.
({34})
Die Bürger in unserem Land haben das mehr als verdient. Handeln Sie als Bundesregierung, handeln Sie als
zuständiger Wirtschaftsminister - dafür sind Sie gewählt
worden! Wenn Sie dieser Verantwortung nicht nachkommen, sind Sie gescheitert.
({35})
Nächster Redner ist der Kollegen Klaus Brandner,
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt ist das, was Herr Pofalla hier gerade zum
Besten gegeben hat, plumpe Demagogie,
({0})
ein Beispiel dafür, wie ernst es der CDU/CSU mit der
Bewältigung der Arbeitslosigkeit in unserem Lande ist.
Der Kanzler - das wissen Sie - kommt aus Spanien und
wird an dieser Debatte noch teilnehmen; das ist Ihnen
doch bekannt.
({1})
Auch dass Sie das so nutzen, zeigt ja nur, dass es Ihnen
nicht um die Sache geht, sondern dass Sie es hier so darstellen wollen - Frau Merkel, da können Sie ruhig den
Kopf schütteln -, als ob dieses Thema nicht im Zentrum
unserer politischen Arbeit steht. Es steht für uns im Zentrum der politischen Arbeit!
({2})
Ich will Ihnen ganz deutlich sagen, dass wir es waren,
die mit den Hartz-Gesetzen,
({3})
die am 1. Januar 2005 in Kraft getreten sind, die entscheidendsten Reformen auf dem Arbeitsmarkt angestoßen und umgesetzt haben. 2004 - das wissen Sie - haben
wir mit dem Umbau der Bundesagentur für Arbeit und
den weiteren Reformen zu Dienstleistungen am Arbeitsmarkt begonnen. Mit diesen Gesetzen sind die weitgehendsten Veränderungen am Arbeitsmarkt umgesetzt
worden, die es in der Bundesrepublik Deutschland jemals gegeben hat. Der Sachverständigenrat, dem Sie ja
wohl noch am ehesten zuhören werden, bezeichnet die
Arbeitsmarktreformen als die bedeutendsten Reformschritte der letzten Jahrzehnte. Nehmen Sie das doch
endlich einmal zur Kenntnis und packen Sie nicht Pakte
aus, sondern packen Sie mit an, damit die Arbeitslosigkeit abgebaut wird!
({4})
Was bietet die selbsternannte Reformfraktion CDU/
CSU? Sie legt einen Pakt mit abgestandenen Rezepten
vor. Sie fordern die Senkung der Beitragssätze zur Arbeitslosenversicherung, ohne zu sagen, wie das gegenfinanziert werden soll, Sie fordern die Aufgabe des Günstigkeitsprinzips, Sie greifen in die Tarifautonomie ein,
Sie fordern den Abbau von Mitbestimmungsrechten
usw. Sie beschimpfen die Betriebsräte als Kostenfaktoren. Dabei sind gerade sie es, die mithelfen und mitstreiten, dass am Standort Deutschland Beschäftigung erhalten bleibt.
({5})
Sie wollen sie als Übeltäter und diejenigen darstellen,
die für diese Krise verantwortlich sind. Ich will das hier
in aller Deutlichkeit sagen: Das ist schändlich.
Wir brauchen nicht jede Woche einen neuen Pakt und
eine neue Arbeitsmarktpolitik. Wir brauchen - das wäre
hilfreicher - Menschen und Parteien, die anpacken und
die Reformen umsetzen und die nicht das tun, was die
CDU/CSU hinlänglich getan hat, sich nämlich bei gemeinsam verabschiedeten Reformen im Ernst der Lage
aus dem Staub zu machen, wenn sie in der Bevölkerung
offensiv auf Widerstand stoßen. Genau das hilft nämlich
nicht mit, die Arbeitslosigkeit abzubauen.
({6})
Wir brauchen auch niemanden, der erklärt, wie schlimm
die Lage ist, keine Statistikdiskussion. Wir wissen
selbst, wie ernst die Zahlen sind. Sie sind nicht zufrieden
stellend.
({7})
Ich will hier nichts beschönigen. Es ist völlig klar,
dass wir uns mit der Höhe der Arbeitslosigkeit in diesem
Land nicht abfinden können. Die harten Fakten sagen,
dass die Zahl der registrierten Arbeitslosen im
Januar 2005 5,037 Millionen betrug. Das ist eine Quote
von 12,1 Prozent. Wir wissen, dass durch die Hartz-Reformen rund 238 000 Arbeitslose erstmals in der Statistik auftauchen. Als ehemalige Sozialhilfeempfänger waren sie nicht arbeitslos gemeldet oder kommen aus der
stillen Reserve. Um es deutlich zu sagen: Diese Zahlen
können uns nicht beruhigen, sie beunruhigen. Wir sollten aber auch keine Schönfärberei betreiben; denn im
Januar 1998, als Sie noch Regierungsverantwortung trugen - es war also der gleiche Monat -, waren 4,824 Millionen Menschen als arbeitslos registriert. Rechnet man
die 238 000 hinzu, dann hatten wir damals eine deutlich
höhere Arbeitslosigkeit als jetzt.
({8})
Deshalb ist es schändlich, dass Sie in der Öffentlichkeit
versuchen, mit Ihren Zahlenmanipulationen die Dramatik darzustellen, dass wir die höchste Arbeitslosigkeit
der Geschichte haben.
Auch das wissen Sie: Die Arbeitslosenquote betrug
damals 12,6 Prozent.
({9})
Nur: Wen interessiert das? Ich will diese Statistikdiskussion gar nicht führen, sondern Sie nur in einem Punkt
entlarven: Sie versuchen, dieses Land mit statistischen
Daten zu täuschen. Es ist richtig, dass die Arbeitslosigkeit zu hoch ist. Deshalb müssen wir daran arbeiten, sie
zurückzuführen.
({10})
Die Konjunktur hat 2000 nicht immer mitgespielt.
Die Opposition im Bundesrat leider auch nicht. Das Ergebnis im Vermittlungsausschuss zu den Arbeitsmarktreformen stand bereits im Dezember 2003 fest.
Hätten Sie guten Willen gezeigt, dann wäre Hartz bereits
im Frühjahr 2004 in Kraft getreten. Wir hätten also ein
ganzes Jahr früher starten können, damit die arbeitsmarktpolitischen Gesetze wirken können und die Arbeitslosigkeit somit zurückgeführt werden kann. Stattdessen kam es zu weiteren Verzögerungen. Das ist Ihre
Politik. Rüttgers in NRW fordert die Generalrevision
und die FDP diskutiert in der nächsten Woche noch einen Antrag, Hartz IV um ein weiteres Jahr zu verschieben. Auch Sie haben oft genug davon gesprochen,
Hartz IV zu verschieben. Milbradt hat mit den Gegnern
der Arbeitsmarktpolitik, für die die CDU vorher gestanden hat, Arm in Arm dafür demonstriert, dass sie ausgesetzt und boykottiert wird. Das ist die Situation in diesem Land. Sie säen Verunsicherung und wundern sich,
dass die Bevölkerung keine Orientierung mehr hat.
({11})
Erst beschließen Sie Gesetze mit und anschließend stehen Sie nicht mehr zu dem, was Sie gerade noch beschlossen haben.
Zu der Blockadehaltung könnte man vieles auflisten.
Ich nenne nur die Eigenheimzulage und Ihr Verhalten im
Bundesrat. Deshalb will ich Ihnen ganz offen sagen: Anstatt konstruktiv mitzuarbeiten, betreiben Sie systematisch eine Strategie der Verunsicherung. Sie schreiben in
Ihrem Antrag - das ist sehr bezeichnend -, die Lage auf
dem Arbeitsmarkt sei ein nationales Unglück.
({12})
Ich glaube, die Historie zeigt, welchen Anteil Sie an diesem nationalen Unglück haben und wie wenig Sie bis
heute mitgeholfen haben, die Lage zu verbessern.
({13})
Ihre Krokodilstränen sind auch in anderer Hinsicht
sehr interessant, nämlich wenn es darum geht, wie man
mit der Arbeitslosigkeit umgeht. Ich lese einmal vor, wie
Herr Glos in einer Pressekonferenz in der letzten Woche
zu den Entlassungen bei der Deutschen Bank Stellung
nimmt und welches Mitgefühl er gegenüber den Arbeitslosen ausdrückt: Wissen Sie, wenn ich mir die betroffenen 2 000 Arbeitnehmer der Deutschen Bank ansehe
- das sind in weiten Teilen Analysten und junge Bankkaufleute, die ohnehin immer schneller einen Job
suchen -, dann hält sich mein Mitgefühl angesichts der
angekündigten Entlassungen in Grenzen.
Ihnen ist scheinbar egal, dass 2 000 Menschen auf der
Straße stehen. Uns ist das nicht egal.
({14})
Deshalb will ich hier ganz deutlich sagen, dass ich mich
von dem Stil von Herrn Ackermann und anderen, die so
beliebig mit der Arbeitslosigkeit umgehen, distanziere.
Wir würden es als gut empfinden, wenn die Unternehmen auch von Ihnen aufgefordert würden, ihre gestiegenen Gewinne für Investitionen zu nutzen. Sie sollen
diese nicht in Profitraten stecken, sondern in Arbeitsplätze investieren. Dann hätten wir einen gemeinsamen
nationalen Pakt geschaffen.
({15})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Glos?
Bitte.
Herr Kollege, würden Sie mir bestätigen, dass dies
ein aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat ist? Ich
habe gesagt: Es geht nicht um 6 000 Arbeitskräfte, sondern um 2 000 Arbeitskräfte in Deutschland. Darüber hinaus habe ich erklärt, dass wir froh sein müssen, dass der
Konzernsitz einer Großbank in Deutschland bleibt. Würden Sie mir auch bestätigen, dass die Kampagne Ihrer
Parteikollegin, der hessischen Landesvorsitzenden, gegen die Deutsche Bank für die Arbeitsplätze viel gefährlicher ist und zu einer Gefährdung von weiteren Arbeitsplätzen führen kann?
({0})
Erstens. Herr Kollege Glos, an der Länge des Zitats
sehen Sie, dass ich nicht nur kurz, sondern schon etwas
länger, also im Zusammenhang, zitiert habe. Zweitens.
2 000 Arbeitsplätze sind für uns wichtig genug, anzumerken, dass man für die Erhaltung dieser Arbeitsplätze
eintreten muss.
({0})
Dies gilt besonders angesichts der Situation, in der sich
dieser Konzern befindet. Wir hätten erwartet, dass man
Alternativen vorschlägt, wie dieser Beschäftigungsabbau abgewendet werden könnte.
({1})
Das erwarten wir von innovativen Unternehmen und insbesondere von einer Bank, die ein so gutes Ergebnis vorgelegt hat. Daher hätten wir uns eine andere Signalwirkung erhofft. Das erwarten wir auch von der Opposition,
Herr Glos.
({2})
Lassen Sie mich einen Satz zur Konjunktur sagen.
Wir befinden uns - das ist ohne Frage richtig - in einer
schwierigen konjunkturellen Situation. Auf die Ölpreise,
den Eurokurs, aber auch die Reformverunsicherung hinsichtlich des Wachstums im vierten Quartal, das rückläufig ist, sei in diesem Zusammenhang hingewiesen. Ich
will trotzdem deutlich machen: Ein Wachstum von
1,6 Prozent in 2004 ist ein Zeichen dafür, dass wir die
Stagnationsphase überwunden haben und dass wir jetzt
alles dafür tun müssen, das für 2005 prognostizierte
Wachstum von 1,6 Prozent tatsächlich zu erreichen.
Dafür, dass dies der Fall sein wird, sprechen eine
Menge von aktuellen Indikatoren, zum Beispiel der IfoGeschäftsklimaindex oder die ZEW-Konjunkturanalyse,
die diese Woche ein Plus von neun Punkten ausweist,
das Konsumentenverhalten im Februar mit einem Plus
von 4,1 Prozent, die Auftragseingänge und vieles mehr.
All das zeigt: Nicht nur der Export, sondern auch die
Binnenkonjunktur springt wieder an.
({3})
Wir sollten deshalb - das ist das Entscheidende - die
Lage nicht schlechtreden, sondern gemeinsam Vertrauen
in die Aufbruchsignale schaffen, damit es in diesem
Land endlich vorwärts geht.
({4})
Lassen Sie mich deshalb deutlich sagen, dass man
sich gerade vor dem konjunkturellen Hintergrund mit
dem Grundtenor Ihres Paktes einmal auseinander setzen
muss. Wir alle wissen, dass die Binnennachfrage die
Achillesferse ist. 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes
entstehen aus dem privaten Konsum. Dies vor Augen
kann es nur darum gehen, den privaten Verbrauch zu
stärken. Was aber fordern Sie? Sie fordern den Abbau
von Arbeitnehmerrechten, weniger Kündigungsschutz
und eine geringere Entlohnung. Sie wollen eine Verunsicherung und Schwächung der Arbeitnehmer. Wie das zu
einem Anstieg der konjunkturell notwendigen Binnennachfrage führen soll, ist mir ein Rätsel. Deshalb rate ich
Ihnen, einen Pakt, der aufbaut, vorzulegen, nicht aber einen Pakt, der abbaut. Damit kommen wir in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht einen Millimeter
weiter.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Hinsken?
Bitte, Herr Hinsken.
Herr Kollege Brandner, Sie haben eben mehrmals
darauf verwiesen, dass die Beseitigung der Arbeitslosigkeit die große, zentrale Aufgabe dieser Bundesregierung
ist. Wenn dem so ist, dann möchte ich Sie fragen, warum
sich außer Minister Clement kein weiterer Bundesminister auf der Regierungsbank befindet.
({0})
Sie negieren dieses Problem. Sie nehmen es nicht ernst.
Sie sehen die Sorgen und Nöte der Bürger nicht. Sie
müssen endlich schalten und walten und etwas tun, wie
es der Vorredner Pofalla eben gesagt hat.
({1})
Herr Hinsken, erstens möchte ich Sie bitten, zur
Kenntnis zu nehmen, dass die Regierungsbank gut besetzt ist.
({0})
Es sind viele Vertreter der Regierung da. Ich wusste gar
nicht, dass Sie davon ausgehen, dass die Staatssekretäre
nicht zur Regierung gehören. Sie haben offenbar ein
ganz neues Rechtsverständnis.
Zum Zweiten sage ich Ihnen: Ich finde es wichtig,
dass sich alle im Land immer dann, wenn sie Zeit haben,
für die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation und
den Abbau der Arbeitslosigkeit einsetzen. Ich gehe davon aus, dass diese Regierung das mit allem Nachdruck
und allem Engagement tut.
({1})
Es wäre gut, wenn Sie nicht auf solche Nickeligkeiten
hinweisen würden, sondern sich mit dem Zickzackkurs
beschäftigen würden, den die CDU/CSU in der Vergangenheit gesteuert hat. Ich erinnere beispielsweise an Ihre
Vorschläge zur Senkung des Beitragssatzes der
Arbeitslosenversicherung. Das ist doch nichts anderes
als das Einschränken der Arbeitsmarktpolitik auf Kernaufgaben, nämlich nur noch auf die Auszahlung des Arbeitslosengeldes. Dafür brauchen wir keine Bundesagentur für Arbeit. Wer die Arbeitslosigkeit weiter
bekämpfen will, muss sagen, wie er das finanzieren will.
Will er eine Kreditfinanzierung oder eine Erhöhung der
Mehrwertsteuer
({2})
oder will er die Senkung der Staatsausgaben?
({3})
Sie fordern zum Beispiel bessere Hinzuverdienstmöglichkeiten. Frau Merkel, die hier sitzt, hat zusammen mit Herrn Koch im Rahmen der Hartz-Debatte noch
dafür gesorgt, dass Minijobber keinen einzigen Cent zu
den 400 Euro hinzuverdienen können. Das Motto war:
Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe
auf Sozialhilfeniveau.
({4})
Nicht eine müde Mark Hinzuverdienst! Die Propaganda
war, dass mehr Druck auf die Arbeitslosen eine Entlastung auf dem Arbeitsmarkt bringt. Jetzt überschlägt sich
die Union mit Forderungen, einen höheren Hinzuverdienst zu ermöglichen, was sie im Vermittlungsausschuss noch verhindert hat. Das ist ein Zickzackkurs,
Frau Merkel, den ich Ihnen deutlich vorhalten muss.
Heute so, morgen so!
({5})
Bei der Forderung, den Beitragssatz der Arbeitslosenversicherung zu senken, verhält es sich nicht anders.
Nehmen wir die von uns gemeinsam beschlossene Befristung bei der Altenpflegerausbildung. Die unionsregierten Länder und die FDP fordern jetzt, die Ausbildung zum Altenpfleger unbefristet aus Mitteln der
Bundesagentur für Arbeit zu finanzieren.
({6})
Auf der anderen Seite fordern Sie, die Beitragssätze zu
senken. Das ist ein Zickzackkurs. Der Kollege Laumann
hat konstruktiv mitgeholfen, eine Einigung mit der
CDU/CSU auf den Weg zu bringen. Die unionsregierten
Länder machen das aber anders, Herr Laumann. Das
wissen Sie doch. Sie rufen den Vermittlungsausschuss
an, um die von mir angesprochene sachfremde dauerhafte Regelung zu bekommen. Die CDU/CSU hat sich
also das Markenzeichen, einen Zickzackkurs zu steuern,
redlich verdient.
Ich will deutlich darauf hinweisen, dass wir in der
Arbeitsmarktpolitik und auch insgesamt darauf setzen,
Sicherheit im Wandel zu gewährleisten. Die Reformen
müssen wirken.
({7})
Ständige Kursänderungen sind schädlich.
Herr Kollege, Ihre Redezeit!
({0})
Die Bereitschaft zum Wandel in der Gesellschaft bedeutet auch, dass wir die Menschen mitnehmen.
({0})
Sie erfordert auch Sicherheit. In der Vergangenheit waren wir uns mit weiten Teilen der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft einig, dass diese Sicherheit
erhalten bleiben muss.
Mut zur Veränderung und Zukunftsoptimismus können aus meiner Sicht nur gedeihen, wenn den Menschen
nicht der Boden unter den Füßen weggezogen wird.
({1})
Das ist aber etwas, was Sie mit Ihrem Pakt, mit diesen
zehn Punkten, tun würden. Deshalb wollen wir, dass das
Arbeitsrecht und der Arbeitsmarkt mit dem erforderlichen Umfang an Flexibilität ausgestattet werden; aber
dazu brauchen wir die Schutzstandards. Die Arbeitnehmerrechte müssen dafür nicht beschnitten werden. Statt
des Abbaus von Arbeitnehmerrechten ist ihre Modernisierung notwendig.
({2})
Insofern fordere ich Sie auf: Packen Sie Ihren Pakt
ein und helfen Sie aktiv mit, die auch von Ihnen beschlossenen Reformen offensiv umzusetzen! Dann kommen wir in diesem Land ein großes Stück weiter. Damit
würden Sie den Menschen einen großen Dienst erweisen. Mit dem Pakt wird das nicht gelingen.
({3})
Das Wort hat der Kollege Dirk Niebel, FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Staatssekretär Andres, 5 037 142 Menschen wurden an einem Stichtag gezählt. Bei diesen Einzelschicksalen handelt es sich nicht um eine statische
Masse; vielmehr ändern sich die Personenkreise ständig.
Es sind also weit mehr Menschen individuell betroffen.
Aber der Staatssekretär und Gewerkschaftssekretär
Andres macht nur dicke Lippen, statt sich des Problems
anzunehmen.
({0})
Wir brauchen eine Politik, die sich um die Menschen
kümmert, die außerhalb des Arbeitsprozesses stehen und
eine Chance bekommen wollen, in diesen Prozess hineinzukommen. Das ist eigentlich Ihre Aufgabe, Herr
Andres, aber da Sie ihr offenkundig nicht nachkommen,
haben Sie sich richtigerweise auf den Abgeordnetenplatz
gesetzt.
({1})
Vielleicht können Sie an dieser Stelle Besseres bewirken.
({2})
Das Grundproblem besteht doch nicht darin, dass die
Firmen und Betriebe die Menschen rausschmeißen wollen, wie Sie uns das immer zu suggerieren versuchen; es
besteht darin, dass Arbeitskräfte nur dann beschäftigt
werden können, wenn es Aufträge gibt. Einem Unternehmer, dem die Aufträge fehlen, fällt es schwer, seine
Mitarbeiterschaft zu halten. Das Problem liegt darin begründet, dass es diese rot-grüne Regierung seit 1998
nicht in den Griff bekommt, Wachstum zu schaffen,
durch das die Zahl der Aufträge steigt und das zu mehr
Beschäftigung in diesem Land führt.
({3})
Wenn in einem Jahr mehr als 40 000 Betriebe in die
Insolvenz getrieben werden, dann sind das nicht die ersten, die sich überlegen, ob sie junge Menschen für drei
Jahre als Auszubildende einstellen können. Sie denken
vielmehr darüber nach, wie sie am Markt existieren und
Aufträge akquirieren können, um ihre Belegschaft zu
halten.
Was aber machen Sie? Sie beschränken sich auf die
Beschimpfung der Opposition. Der Staatssekretär bringt
bräsige Sprüche gegenüber dem Parlament. So werden
Sie mit Sicherheit nicht zukunftsfähig werden.
({4}))
Die Arbeitslosigkeit hat in Deutschland den höchsten
Stand seit 70 Jahren erreicht. Das sollte eigentlich Anlass genug sein, fernab von Wahlkampftheatralik und
Polemik darüber zu sprechen, wie wir die Situation in
den Griff bekommen können. Wir werden sie nicht dadurch in den Griff bekommen, dass Sie immer nur versuchen, Besitzstände zu wahren. Offenbar heißt es in
Art. 1 des sozialdemokratischen Grundgesetzes: Einmal
gewonnene Besitzstände sind unangreifbar.
({5})
Das geht aber nicht an. Wir müssen den Menschen die
Möglichkeit bieten, wieder in Beschäftigung zu kommen. Nur dann können sie Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen und nur dann sind sie in der Lage
zu konsumieren.
Informieren Sie sich in der heutigen Ausgabe der
„Welt“ über die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland! Der Binnenkonsum ist am Zusammenbrechen.
Das Wirtschaftswachstum von 1,6 Prozent, von dem Sie
immer wieder reden - wir hoffen darauf, auch wenn es
immer noch deutlich unter der Beschäftigungsschwelle
liegt -, ist doch nur vom Ausland induziert.
Wir müssen dafür sorgen, mehr Menschen in Arbeit
zu bringen. Dafür müssen die Rahmenbedingungen verändert werden. Das bedeutet erstens, dass die sozialen
Sicherungssysteme in den Griff bekommen werden
müssen. Seitens der FDP haben wir entsprechende Vorschläge vorgelegt, die sich sowohl auf die Neuordnung
der Arbeitslosenversicherung als auch auf ein Entlassen
der Krankenversicherung in die Freiheit und die Neufinanzierung der Pflegeversicherung beziehen.
({6})
Das alles sind Punkte, in denen wir viel weiter sind als
Sie.
Zweitens müssen wir die Bürokratie in den Griff bekommen. Es geht nicht an, dass in einem Betrieb pro Arbeitsplatz und Jahr Kosten in Höhe von 3 200 Euro für
Frondienste gegenüber dem Staat entstehen. Herr
Clement, der große Superminister, hat einen Masterplan
Bürokratieabbau angekündigt. Es ist noch nicht einmal
ein kleines Mäuslein daraus geworden.
Drittens. Weil wir alle wissen, dass Deutschland kein
Niedriglohnland werden soll und kann, müssen wir innovationsfähig bleiben.
({7})
Dabei steht Herr Clement uns viel näher als den Regierungsfraktionen. Es geht doch nicht an, die Grüne Gentechnik allein aus ideologischen Gründen aus dem Land
zu treiben. Es geht doch nicht an, die Stammzellenforschung, die Chancen für Arbeitsplätze in der Zukunft
bietet, aus vorgeschobenen ethischen Gründen aus dem
Land zu treiben. Wenn aber die Grünen älter werden und
Zipperlein bekommen, dann bestellen sie über das InterDirk Niebel
net Medikamente, die durch die Stammzellenforschung
entwickelt wurden.
({8})
Wir können unsere Chancen im Wettbewerb mit anderen Ländern und Gehaltsstrukturen nur dann wahren,
wenn wir unsere Innovationsfähigkeit hochhalten.
Wenn wir unsere Innovationsfähigkeit hochgehalten hätten, dann würde der Transrapid in Deutschland und nicht
in Schanghai fahren, Herr Minister. Wenn wir aus Ängstlichkeit neue Technologien vertreiben, dann werden wir
nicht nur hoch qualifizierte, sondern auch geringer qualifizierte Arbeitsplätze vernichten. Ich sage den Grünen
ganz klar: In China herrscht zwar momentan ein großer
Boom. Aber noch immer ist ein Drittel der chinesischen
Haushalte nicht elektrifiziert. Meinen Sie nicht, dass
auch diese irgendwann einmal Strom haben wollen?
Wenn bei uns nicht weiter an der Sicherheit der Kerntechnologie geforscht wird, dann werden wir sie auch
nicht exportieren können und die anderen bauen sich
ihre eigenen Kraftwerke. Im Hinblick auf den globalen
Wettbewerb und die Umweltverschmutzung halte ich
das nicht für einen wirklichen Fortschritt.
({9})
Die Ängstlichkeit von Rot-Grün vernichtet Zukunftsarbeitsplätze in Deutschland. Der Kanzler ist übrigens
nicht gekommen, obwohl er gesagt hat, dass er sich jederzeit am Abbau der Arbeitslosigkeit messen lasse. Ich
habe eine ganze DIN-A4-Seite mit derartigen Zitaten.
Als der Bundeswirtschaftsminister sein Amt antrat, gab
es 3,92 Millionen registrierte Arbeitslose - eigentlich
müsste man die nicht registrierten noch hinzurechnen und nun hat er die höchste Zahl an Arbeitslosen seit
70 Jahren zu verantworten. Er tut aber in den öffentlichen Verlautbarungen so, als ob das nur daran läge, dass
die böse Opposition Konzepte vorlegt, die er nicht mittragen kann. So werden Sie nicht erfolgreich sein.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Thea Dückert, Bündnis
90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich mit einigen Vorbemerkungen beginnen.
Herr Niebel, ich möchte Sie nur daran erinnern, dass Sie
sich in der gestrigen Ausschusssitzung mit Vorschlägen
hervorgetan haben, die darauf abzielen, der Förderung
des Exportes erneuerbarer Energien durch die
Bundesregierung unter anderem nach China den Garaus
zu machen. Das verstehen Sie unter Exportförderung
und Energiepolitik.
({0})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Niebel?
Ja.
Herr Niebel, bitte.
Liebe Frau Kollegin, stimmen Sie mir zu - das können Sie gegebenenfalls im Protokoll nachlesen -, dass
ich mich in der gestrigen Ausschusssitzung kein einziges
Mal zu Wort gemeldet habe?
({0})
Herr Niebel, ich muss Ihnen zustimmen, wenngleich
Sie sich bei den Zurufen - das kennen wir schon - wieder einmal nicht zurückgehalten haben. Aber ich gehe
noch immer davon aus, dass Sie Mitglied Ihrer Fraktion
sind und die politische Haltung Ihrer Fraktion unterstützen.
({0})
Herr Niebel - bleiben Sie bitte stehen; ich bin noch nicht
fertig -, ich möchte Sie daran erinnern, dass sich Ihre
Fraktion gestern tatsächlich gegen die Unterstützung des
Exports erneuerbarer Energien stark gemacht hat und
dass sie dagegen votiert hat.
Noch ein anderer Punkt: Herr Niebel, Sie sprachen
eben davon, wir verstiegen uns in Oppositionsbeschimpfungen. Ich halte es nicht für eine Oppositionsbeschimpfung, wenn ich Sie daran erinnere, dass Sie persönlich
im Sommer letzten Jahres durch das Land gezogen sind
und ständig behauptet haben - auch hier im Bundestag -,
der 1. Januar 2005 sei das Datum für den Ausbruch bürgerkriegsähnlicher Verhältnisse in Deutschland, weil wir
dann Hartz IV einführten. Das ist ein Beispiel für Ihre
Politik der Verunglimpfung von Menschen und dafür,
wie Sie immer wieder versuchen, sich aus Ihrer Verantwortung für die Umsetzung notwendiger Reformen zu
stehlen.
({1})
Ich möchte noch eine Vorbemerkung machen. Heute
liegen viele Anträge vor allen Dingen von CDU und
CSU zur Beschäftigungspolitik vor.
({2})
Aber es liegt kein einziges Konzept von Ihnen zur Verbesserung der Beschäftigungsentwicklung vor. - Ich
weiß, dass Sie einen Pakt vorgelegt haben. Darauf werde
ich gleich zu sprechen kommen.
Ich möchte noch ein anderes Beispiel anführen, das
belegt, dass Sie nicht in der Lage sind, sich substanziell
in die Debatte über die Beschäftigungsentwicklung in
Deutschland einzumischen. Herr Pofalla hat am Anfang
seiner Rede beklagt - Sie erinnern sich sicherlich -, dass
die Bundesregierung über eine Unternehmensteuerreform diskutiert. Er hat aber gleichzeitig beredt verschwiegen, dass die Opposition noch nicht einmal in der
Lage ist, über das offenbar verschwundene Bierdeckelkonzept von Herrn Merz hinausgehende Konzepte für
eine Unternehmensteuerreform in die Debatte einzubringen.
({3})
Herr Pofalla, wenn ich mir das alles zu Gemüte führe,
kann ich zu Ihrer gesamten Rede mit den Worten Lichtenbergs nur sagen: „Ach, wäre es doch heiße Luft gewesen - es war nur ein wehendes Vakuum.“
({4})
- Ich werde darauf noch zurückkommen.
Meine Damen und Herren, ich finde es richtig, wenn
Sie hier mit Engagement thematisieren, dass wir es mit
über 5 Millionen Arbeitslosen in Deutschland zu tun haben. Das sind in der Tat wirklich viel zu viele und auch
die Struktur dieser Arbeitslosigkeit lässt keinen in dieser Regierung und in Deutschland ruhig bleiben. Das ist
völlig klar. Es ist auch richtig, dass eine stille Reserve
noch hinzuzurechnen ist. Weil diese Reserve still ist,
kann sie natürlich in der Statistik nicht aufgeführt werden. Bei dieser stillen Reserve handelt es sich um Menschen, die Arbeit suchen, sich aber nicht melden.
Vor dem Hintergrund dieser Daten kann die eindeutige Botschaft nur lauten: Wir müssen mit den Reformen weitermachen. Das ist die Botschaft in der jetzigen
Situation; das ist vollständig klar.
Sie schlagen in Ihren Anträgen einen Pakt mit zehn
Punkten vor. Dazu will ich Ihnen eines sagen: Ganz abgesehen davon, wie sich diese zehn Punkte auf die Beschäftigungssituation auswirken - zur Bewertung
komme ich gleich noch -, sind Sie doch diejenigen, die
jetzt über Land ziehen und sich immer wieder von
Hartz IV distanzieren, von einem Gesetz, das nach hartem Kampf im Vermittlungsausschuss mit Ihrer Zustimmung verabschiedet wurde.
({5})
- Herr Laumann, auch Sie tun es gerade wieder mit Zwischenrufen. Herr Ministerpräsident Milbradt hat sich davon distanziert und auch Herr Rüttgers macht es immer
wieder. Wenn man Sie einmal für ein gemeinsames Projekt gewinnt, machen Sie sich immer so schnell wie
möglich wieder vom Acker. Deshalb ist Ihr Angebot
auch nicht seriös.
({6})
Die Debatte um 5 Millionen Arbeitslose wird bei Ihnen aber noch in einer ganz anderen Weise instrumentalisiert. Die über 5 Millionen arbeitslosen Menschen in
diesem Land werden zum Beispiel von Ministerpräsident Stoiber zum Kronzeugen genommen für die dumpfe
Parole, die Bundesregierung sei schuld am Rechtsextremismus,
({7})
die Arbeitslosigkeit von über 5 Millionen sei schuld am
Wiedererstarken der NPD.
({8})
- Ich höre schon wieder: „So ist es.“ - Meine Damen
und Herren, Sie benutzen diese Debatte für eine geschichtslose, unhistorische Gleichsetzung der politischen und sozialen Situation von 1932 mit der Situation
im Jahre 2005.
({9})
Wo leben Sie denn? Es ist doch erschreckend, dass Politiker wie Herr Hinsken oder Ministerpräsident Stoiber
({10})
als Mitglieder der politischen Elite hier einen geschichtsblinden Vergleich in die Welt setzen, der eigentlich
nichts anderes macht, als diejenigen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, gleichzeitig noch zu verunglimpfen. Sie trauen sich nicht, das hier zu sagen, aber an den
Stammtischen in Deutschland thematisieren Sie den Vergleich immer wieder. Sie benutzen diese 5 Millionen Arbeitslosen für eine solche Propaganda, meine Damen
und Herren. Das ist unwürdig.
({11})
Stattdessen sollten Sie sich mal auseinander setzen
mit Ihren eigenen Beschlüssen zum Beispiel in Berlin im
Bezirk Steglitz-Zehlendorf, wo Sie eine Gedenkveranstaltung zum 8. Mai dazu nutzen, die Differenzierung
zwischen Tätern und Opfern zu verwischen. Gestern
noch sagte Ihr Bürgermeister im Bezirk Steglitz-Zehlendorf, man könne die Geschichte nicht auf zwölf Jahre
Nazigeschichte reduzieren.
({12})
Auch das gehört in die Debatte, die Sie um die Arbeitslosigkeit in unserem Lande führen.
({13})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich feststellen: Das ist eine populistische Debatte.
({14})
Trotzdem möchte ich jetzt auf das, was Sie hier inhaltlich vorschlagen, eingehen
({15})
und die Frage stellen: Bringt es der Beschäftigungssituation in Deutschland etwas? Bringt es sie voran? Ist der
Pakt, den Sie uns vorschlagen, ehrlich und wirksam?
Ein Punkt dieses Paktes sieht vor, den Kündigungsschutz für viele Menschen zu streichen, indem die
Schwelle entsprechend verändert wird. Ich frage Sie:
Wie sollen dadurch Arbeitsplätze entstehen? Alle Untersuchungen der OECD oder wissenschaftlicher Institute
im In- und Ausland belegen hinlänglich - das wissen
auch Sie -, dass der Abbau von Schutzrechten von Arbeitnehmern - das gilt gerade für den Kündigungsschutz überhaupt nicht dazu beiträgt, die gesamtgesellschaftliche Beschäftigungslage zu verbessern. Es ist wahr: Ein
solcher Abbau trägt zu mehr „hire and fire“ bei; aber er
trägt nicht dazu bei - ich wiederhole es -, die Beschäftigungssituation insgesamt zu verbessern.
Sie schlagen vor, die Mitbestimmung in den Betrieben zu schleifen. Auch Sie wissen, dass gerade die Mitbestimmung, die Tarifautonomie usw. Deutschland einen
sozialen Frieden beschert, der sich zum Beispiel darin
äußert, dass Konflikte nicht in den Betrieben ausgetragen werden und dass wir die wenigsten Streiktage in
Europa haben. Ich frage Sie mit allem Ernst: Wie soll der
Vorschlag, die Mitbestimmung in den Betrieben zu
schleifen, angesichts der Flexibilität, mit der unsere Betriebe auf Krisensituationen reagieren können, zu mehr
Beschäftigung in Deutschland führen?
Sie schlagen vor, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sofort um 1,5 Prozentpunkte zu senken, ohne
einen Vorschlag zur Gegenfinanzierung zu machen. Wie
stellen Sie sich die Streichung von Einnahmen in Höhe
von 11 Milliarden Euro vor? Sollen alle Maßnahmen der
Wiedereingliederung, der Qualifizierung und der Existenzgründung gestrichen werden? Ist das die Reaktion
darauf, dass die Arbeitslosigkeit - wir beklagen diese Situation zu Recht - zu hoch ist? Lautet Ihre Antwort, den
Menschen durch einen arbeitsmarktpolitischen Kahlschlag nicht mehr dabei zu helfen, den Weg in den Arbeitsmarkt zurückzufinden? Auch das ist keine Lösung
unserer heutigen Arbeitsmarktprobleme.
({16})
Herr Pofalla, schauen Sie sich einmal Ihre beschäftigungspolitischen Vorschläge, durch die die Arbeitslosigkeit von 5 Millionen Menschen abgebaut werden soll,
an, insbesondere den bahnbrechenden Vorschlag in
Punkt 18. Da wird vorgeschlagen, Kleinbetriebe von der
Pflicht zur Bestellung von Sicherheitsfachkräften und
Betriebsärzten zu entbinden.
({17})
Ich glaube, ich brauche das nicht zu kommentieren.
Dazu, dass sich die Opposition für einen solchen Pakt
einsetzt, sage ich: Das ist nicht einmal heiße Luft, sondern nur ein Vakuum.
({18})
Wir müssen uns mit allen Kräften anstrengen - das ist
richtig -, die Arbeitsmarktsituation zu verbessern und
die Beschäftigungsquote zu erhöhen. Besonders wichtig
ist natürlich, die zu hohe Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Der Ausbildungspakt hat zwar gewirkt, aber
nicht ausreichend. Meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, wenn Sie mit einem Pakt initiativ werden
wollen, dann setzen Sie sich bei Ihren Landräten dafür
ein, dass landauf, landab weitere Ausbildungsplatzpakte
geschlossen und weitere Ausbildungskonferenzen
durchführt werden. Die Unternehmer dürfen bei der Umsetzung des Konzepts „Fördern und Fordern“ nicht vergessen werden; sie dürfen nicht aus der Pflicht entlassen
werden. Sie müssen dazu gebracht werden, ihre Pflicht,
auszubilden, zu erfüllen. Völlig klar ist: Der Staat steht
in der Verantwortung, was die Schulausbildung anbelangt.
Natürlich haben wir Dringlichkeiten. Wir müssen die
Beschäftigungsschwelle senken. Das ist schon geschehen: Zum Beispiel sind durch die neue Handwerksordnung über 16 000 neue Betriebe gegründet worden. Die
Beschäftigungsschwelle liegt heute bei 1,6 Prozent. Das
ist eine Verbesserung, auch wenn es noch nicht ausreicht.
Außerdem müssen wir mehr Brücken in den Arbeitsmarkt bauen. Das ist völlig klar. Wir müssen Existenzgründungen weiterhin fördern. Sie beklagen, dass wir
Existenzgründungen - zurzeit sind es 360 000 geförderte nicht hinreichend fördern. Ich denke, wir haben den richtigen Weg - Stichwort Ich-AG - eingeschlagen.
Ich sehe an dem Signal, dass ich gleich zum Schluss
kommen muss, aber ich möchte Ihnen noch eines mit auf
den Weg geben:
({19})
Wenn es gilt, den Weg in den Arbeitsmarkt zu fördern,
dann gilt es auch - Frau Merkel, ich sehe Sie da gerade
sitzen -,
({20})
endlich mit den Fehlern der Vergangenheit aufzuhören.
Frau Merkel, Sie sind, wie Sie selber gesagt haben, aufgewacht. Sie haben über Nacht dazugelernt. Das wollen
Sie sich nicht nehmen lassen. Das finde ich auch gut.
Aber Sie haben bei der Arbeitsmarktpolitik etwas Wesentliches verhindert, nämlich bei den Zuverdienstmöglichkeiten als Brücken für Arbeitslose in den Arbeitsmarkt.
({21})
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Frau Merkel, ich bin froh, dass Sie das so angesprochen haben. Wir sollten die Gelegenheit beim Schopf ergreifen. Menschen finden dann in den Arbeitsmarkt zurück, denke ich, wenn sie in ihrer Eigeninitiative gestützt
werden. Das heißt, sie müssen
({0})
vom Zuverdienst etwas mehr behalten können. Wir
schlagen vor, dass sie jeden zweiten Euro behalten können.
({1})
Wir werden offen in diese Debatte gehen. Wir hoffen,
die Fehler, die Sie bei Hartz IV durchgesetzt haben, ausmerzen zu können.
({2})
Wir wünschen uns Ihre Unterstützung.
Danke schön.
({3})
Das Wort hat der Kollege Karl-Josef Laumann, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich finde es mehr als recht und billig, dass der
Deutsche Bundestag angesichts der Überschreitung einer
weiteren Millionengrenze bei der Arbeitslosigkeit dieses
Thema in den Mittelpunkt der Debatten nicht nur dieser
Sitzungswoche, sondern auch der nächsten Sitzungswochen stellt. Dazu gehört zunächst einmal, dass wir zur
Realität zurückkehren.
({0})
Ich gehöre dem Ausschuss, der sich mit der Arbeitsmarktpolitik befasst - früher der Ausschuss für Arbeit
und Soziales, heute der Ausschuss für Arbeit und Wirtschaft -, seit 14 Jahren an. Ich sage hier ganz klar: Die
Überschreitung der Fünf-Millionen-Grenze ist der Beweis dafür, dass sich die Probleme, die wir haben, mit
der Arbeitsmarktpolitik nicht lösen lassen.
({1})
Wir haben zu Zeiten unserer Regierung stark auf
ABM und FbW gesetzt. Wir haben damals große Anhörungen durchgeführt und uns mit der Frage befasst, warum das alles richtig ist. Sie haben eigentlich immer
noch mehr gefordert. Die Wahrheit ist: Wir haben mit
diesen Maßnahmen sicherlich Umbruchsituationen für
einzelne Menschen abgefedert,
({2})
aber dem Arbeitsmarkt haben sie nicht geholfen.
({3})
Sie haben dann auf eine andere Arbeitsmarktpolitik
gesetzt. Der Arbeitsmarktpolitik nach Hartz habe ich
zunächst einmal sehr offen gegenübergestanden. Ich
fand sie spannend. Dabei galt: weg von ABM, weg von
FbW und hin zu anderen Maßnahmen, um die Leute in
den ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Hartz hat gesagt:
Wenn ihr das macht, werdet ihr innerhalb von drei Jahren zwei Millionen Menschen zusätzlich in Arbeit bringen. Das steht im Hartz-Bericht. Das ist bei der Übergabe des Berichts an den Bundeskanzler am 16. August
2002 so gesagt worden. Die drei Jahre sind am
16. August um. Trotzdem haben wir mehr Arbeitslose
als je zuvor.
Man hat damals gedacht, man könne viele Menschen
über die so genannten Personal-Service-Agenturen in
den ersten Arbeitsmarkt bringen. Es war die Rede von
350 000 jährlich. Geworden sind es nur etwa 20 000 insgesamt. Daran muss man erkennen, dass es nicht funktioniert hat.
Dann hat man gedacht, man könne das Problem durch
Ich-AGs lösen. Um 500 000 jährlich ging es. Wir haben
schon damals gesagt, dass in einer so arbeitsteiligen
Wirtschaft, wie wir sie in Deutschland haben, die Probleme in diesen Massen nicht mit Mitteln der Mikroökonomie zu lösen sind.
({4})
So wichtig das in Nischen ist: Die Probleme sind damit
nicht zu lösen. Deswegen haben Sie die Zahl auch nicht
erreichen können.
Sie wissen, dass die Menschen in ihrer Angst vor dem
Arbeitslosengeld II, nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes, in die Ich-AG gehen, weil es sonst keine andere
Möglichkeit gibt, an monatlich 600 Euro Unterstützung
der Arbeitsverwaltung zu kommen. Das ist die Wahrheit.
Das ist aber keine Perspektive. Deswegen ist auch dieses
Instrument gescheitert.
({5})
Dann haben Sie etwas gemäß Ihren Aussagen ganz
Tolles gemacht - ich war am Anfang sogar der Meinung,
dass das eine gute Idee sei -, nämlich das Programm
„Kapital für Arbeit“, also dass man für die Investitionen, die dafür erforderlich sind, um einen Lehrling zu
übernehmen oder einen Arbeitslosen einzustellen, Kredite zu guten Konditionen bekommt. 120 000 jährlich
sollten auf diese Weise in Arbeit kommen. Das Programm ist von der Bundesregierung wegen Erfolglosigkeit aufgegeben worden. Das ist die Wahrheit.
Jetzt hören wir einmal auf, uns gegenseitig Vorwürfe
zu machen. Wir haben ABM und FbW gemacht und haben damit nichts erreicht. Es gibt mittlerweile Gutachten, die sagen, dass die Leute, die in ABM waren,
schlechter in den ersten Arbeitsmarkt zurückvermittelt
werden als Leute, die nie in ABM waren. Sie haben anderes ausprobiert. Nehmen wir doch einfach einmal zur
Kenntnis, dass sich die Probleme des Arbeitsmarktes mit
arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen nicht lösen lassen.
({6})
Wenn das nicht geht, müssen wir im Interesse der arbeitslosen Menschen in anderen Bereichen handeln. Es
ist ja kein Spaß, vom Arbeitslosengeld II zu leben. Ich
habe heute Morgen noch einmal mit einer Krankenschwester telefoniert, deren Mann mir gestern ein Fax
geschickt hat. Er ist Maurermeister und wird jetzt
Arbeitslosengeld II beziehen. Die Frau ist Krankenschwester und hat einen Job für 25 Stunden im Monat.
Sie hat aber bei uns im Münsterland keine Chance, aufzustocken, weil selbst in dem Bereich der Arbeitsmarkt
zu ist. Es handelt sich um gut ausgebildete Leute mit drei
Kindern. Ich finde, diese Leute haben ganz schlicht und
ergreifend einen Anspruch darauf, dass diese Regierung
und das gesamte Parlament alles tun, um die Rahmenbedingungen für mehr Wachstum in Deutschland zu schaffen und die Weichen entsprechend zu stellen.
({7})
Der Pakt für Deutschland, den Roland Pofalla hier
vertreten hat und den wir auch in einen Antrag gegossen
haben, ist dazu nur ein erster Schritt. Wir haben nur deswegen zunächst einmal eine Reform des Arbeitsrechts
vorgeschlagen, weil wir dafür keine Gegenfinanzierung
brauchen und auf diesem Gebiet relativ schnell handeln
können, damit durch mehr Flexibilität eine Aufbruchstimmung in der Wirtschaft entsteht.
Es gehört aber hierzu auch noch anderes, liebe Leute,
sonst hätten wir das Problem ja sehr schnell gelöst. Herr
Minister Clement, Sie wissen doch so gut wie ich, dass
wir bei den Löhnen nicht mit anderen Ländern konkurrieren können, wenn wir weiterhin so leben wollen wie
jetzt. Auch bei den Ausgaben für Sozialleistungen werden wir nicht mit anderen konkurrieren können. Gleichzeitig wird aber durch eine ideologisierte Energiepolitik
auch noch dafür gesorgt, dass in Deutschland mittlerweile auch der Produktionsfaktor Energie der teuerste in
Europa ist. Das würde sich politisch schnell lösen lassen,
indem man die Förderung regenerativer Energien wieder
auf ein normales Maß zurückschraubt.
({8})
Ist das denn zu viel verlangt? Das könnten wir morgen
im Deutschen Bundestag beschließen.
({9})
Es ist doch niemand gegen regenerative Energien. Aber
wir haben ihre Propagierung überdehnt. Wir bauen
Windkraftanlagen in Gegenden, wo sie nie wirtschaftlich
arbeiten werden. Lassen Sie uns doch diese Förderung
wieder auf ein normales Maß zurückschrauben.
({10})
In diesem Jahr erreicht die Höhe der Förderung für
regenerative Energien zum ersten Mal die der Steinkohleförderung, nur mit dem Unterschied, dass mit der
Steinkohle x-mal so viel Strom erzeugt wird wie mit regenerativen Energien. Ich hätte mir nie träumen lassen,
dass ich hier im Bundestag einmal feststellen muss, dass
die Förderung von deutscher Steinkohle, der ich aufgrund eines Bergwerkes in meinem Wahlkreis verbunden bin, wirtschaftlicher ist als die einer Energieart, die
von Rot-Grün gepuscht wird. Das können wir uns einfach nicht mehr erlauben.
({11})
Es gibt einen weiteren Punkt, Herr Clement, bei dem
wir sehr schnell etwas ändern könnten, nämlich beim
Energiewirtschaftsgesetz.
({12})
Es liegt vor, aber man streitet darüber und verabschiedet
es nicht. Sie wissen doch, dass in den nächsten Jahren in
Deutschland rund 40 000 Megawattstunden Kraftwerksleistung ersetzt werden müssen. Mit den diesbezüglichen
Überlegungen der Energieversorger hängen auch erhebliche Investitionen in die Netze zusammen. Investitionen
in Milliardenhöhe werden aber zurzeit nicht getätigt,
weil die Rahmenbedingungen, die durch ein solches Gesetz geschaffen werden müssen, einfach nicht klar sind,
weil Sie sich in der Regierung streiten. Setzen Sie doch
diese Investitionen frei, indem Sie Rahmenbedingungen
vorgeben. Wenn diese Investitionen getätigt werden, entsteht Wachstum, haben die Bauarbeiter wieder Arbeit,
wird die Industrie angekurbelt, haben die Maschinenbauer wieder zu tun. Das wäre leicht machbar. Warum
also kriegen Sie dieses Gesetz nicht einfach hin? Es wäre
schön, wenn Sie darauf gleich einmal eine Antwort geben könnten, Herr Minister.
({13})
Ich begreife nicht, wie man in unserer Lage nur rein
ideologisch von Zukunftsbereichen sprechen kann, in
denen wir gutes Geld verdienen können. Herr Brandner,
die IG Metall macht jetzt eine Kampagne nach dem
Motto „Nicht billiger, aber besser“. Ich unterstreiche
diese Kampagne. Aber wenn man eine solche Kampagne
macht, dann muss man doch für Zukunftsfelder wie die
Grüne Gentechnologie sein und darf sie nicht mit einer
falschen Gesetzgebung aus dem Land treiben. Aber aufgrund der Veröffentlichungspflicht in Bezug auf die Anbauflächen, die Sie letzten Endes durchgesetzt haben,
findet sie in Deutschland nicht mehr statt. Schauen Sie
sich doch bei Bayer, BASF und überall sonst um! Sie
wissen es doch! Warum machen Sie diesen Wahnsinn
mit, wenn 5 Millionen Menschen in Deutschland auf Arbeit, Einkommen und soziale Sicherung warten?
({14})
Was machen Sie? Sie lassen die Beratung eines Antidiskriminierungsgesetzes in diesem Bundestag zu, das
die kleinen Spielräume, die Sie im Arbeitsrecht geschaffen haben, wieder zuschüttet. Ich sage Ihnen: Die Kosten, die den Firmen durch dieses Gesetz entstehen, werden die Löhne weiter drücken und die Bereitschaft zu
verlagern eher erhöhen als senken. Ein solches Gesetz
passt zurzeit überhaupt nicht in die Landschaft.
({15})
Was machen Sie? Heute Morgen lese ich in der Zeitung - ich dachte, ich bin noch nicht richtig wach -, dass
ein Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit in Vorbereitung ist. Da feiert der Wahnsinn ja fröhliche Urstände!
Vereinfachen Sie das Steuerrecht, dann brauchen Sie
nicht noch mehr Gesetze; denn mehr Bürokratie und
mehr Kontrolle führen zu weniger Freiheit und weniger
Möglichkeiten, das Land voranzubringen.
({16})
Zu den Zuverdienstgrenzen bei Hartz IV sage ich
Ihnen eines, Frau Dückert: Wir haben die Minijobs
durchgesetzt und das ist das Einzige, was bei Hartz IV
funktioniert.
({17})
Wir brauchen - da bin ich genau Ihrer Meinung - einen
vernünftigen Zuverdienst beim ALG II, weil die Lage
auf dem Arbeitsmarkt so ist, wie sie ist, und die Leute
keine Jobs finden. Ich bin ganz klar der Meinung, dass
die alte Regelung mit einem Freibetrag von 160 Euro
kein Anreiz war, immer mehr zu arbeiten und aus der
Arbeitslosigkeit herauszukommen. Deswegen kann ich
mir - da habe ich meine Fraktion hinter mir; wir haben
das besprochen - eine Kombination aus einem kleineren
Freibetrag und einem prozentualen Anteil gut als Lösung
vorstellen. Aber wir müssen dabei auch bedenken, dass
Arbeitslosengeld II plus Zuverdienst im Ergebnis nicht
höher liegen darf als das, was Menschen in mittleren
Lohngruppen an Nettolöhnen erreichen. Da gibt es logische Grenzen, die man im Auge haben muss.
({18})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Andres?
({0})
Ja, die Zwischenfrage gestatte ich noch; dann muss
ich aber Schluss machen.
Ich wollte nur fragen, Herr Kollege Laumann, ob Sie
sich an die gemeinsamen Verhandlungen im Vermittlungsausschuss erinnern können und daran, dass eine
vernünftige Zuverdienstregelung ausgerechnet an Ihrer
Seite gescheitert ist. Können Sie das bestätigen?
Nein. An unserer Seite ist nur eines gescheitert: die
Wiedereinführung eines Freibetrags. Wir wollen eine
prozentuale Regelung. Wenn wir die Dinge in diesem
Sinne gemeinsam ändern, ist das in Ordnung. Die Leute
wollen nichts von Rechthaberei hören, sondern sie wollen die Probleme gelöst haben. Dazu leisten wir unseren
Beitrag.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Grotthaus, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Bei manchen Redebeiträgen bedarf es schon einiger Kraft, ruhig zuzuhören und die Gefühle unter Kontrolle zu bekommen.
({0})
Die Haltung der Opposition zu ihren Anträgen lautet
nach dem, was ich gehört habe: Folgt unseren Anträgen
und ihr werdet blühende Landschaften in Deutschland
bekommen. Blühende Landschaften wurden schon einmal versprochen. Was daraus geworden ist, kann man
heute sehen.
({1})
Als ich Ihren Antrag und insbesondere die Überschrift
„Weichen stellen für eine bessere Beschäftigungspolitik
- Wachstumsprogramm für Deutschland“ gelesen habe,
habe ich mich gefragt: Um welches Wachstum geht es
und wie kann es erreicht werden? Nach einigen Diskussionsbeiträgen aus der Wirtschaft habe ich festgestellt,
dass damit genau das Wachstum gemeint ist, das Herr
Ackermann von der Deutschen Bank propagiert: Die Ertragsrate soll auf 25 Prozent erhöht werden - zulasten der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seines Unternehmens.
Ich sage in aller Deutlichkeit: Dem werden wir nicht folgen.
({2})
In der Konsequenz würde dies die Aufgabe der Arbeitnehmerrechte, die Reduzierung des Kündigungsschutzes und der Mitbestimmungsrechte sowie die Aufgabe des Arbeitsschutzes von Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern bedeuten. Aus unserer Sicht wird an diesen Punkten deutlich, wohin die Reise gehen soll.
Natürlich - da liegen wir mit Ihnen auf einer Linie müssen Unternehmen Gewinne erzielen. Aber ich frage
einmal sehr offen: Wer erarbeitet eigentlich diese Gewinne? Es sind im Wesentlichen die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer. Deshalb soll es dabei bleiben, was
auch von uns in den letzten Jahren immer wieder propagiert worden ist: Wir wollen die Gleichstellung von Human- und Finanzkapital im Arbeitsleben, die heute nicht
immer gewährleistet ist. Dieses Ziel werden wir weiter
verfolgen. Davon werden der Arbeitsmarkt und auch die
Unternehmen profitieren.
Ich will auf einige wenige Punkte Ihres Antrags eingehen. Sie fordern unter Punkt 6:
… im Tarifvertragsgesetz klarzustellen, dass es Unternehmen möglich ist, Langzeitarbeitslose im ersten Jahr ihrer Beschäftigung unter Tarif zu entlohnen.
Dies höhlt praktisch die Tarifhoheit der Tarifvertragsparteien aus. Ich frage mich manchmal, wie weit Sie vom
Arbeitsleben entfernt sind.
({3})
Haben Sie sich einmal die Verdienste in den unteren
Lohngruppen der einzelnen Bereiche angeschaut? Sie
liegen zum Teil unterhalb des Sozialhilfeniveaus.
({4})
Es gibt in den Betrieben Kolleginnen und Kollegen, die
150 Stunden im Monat arbeiten und trotzdem Zuschüsse
zum Lebensunterhalt bekommen. Und Sie wollen wirklich fordern, dass der Verdienst noch darunter liegt? Haben Sie sich eigentlich einmal überlegt, wie hoch die Gehälter in bestimmten Bereichen sind?
Ich finde es teilweise - dieses Wort geht mir ansonsten nur schwer über die Lippen - menschenverachtend,
was in Ihrem Antrag gefordert wird.
({5})
Im Punkt 7 Ihres Antrags fordern Sie:
… das Kündigungsschutzgesetz für Neueinstellungen bei Unternehmen, die weniger als 20 Arbeitnehmer beschäftigen,
- die FDP fordert eine Grenze von 50 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auszusetzen … Bei Neueinstellungen muss eine Befristung bis zu vier Jahren möglich sein.
Wie sollen sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einem Betrieb identifizieren und ihre Arbeitsleistung zum Nutzen des Betriebes einbringen, wenn sie
überhaupt keine soziale Sicherheit haben? Wenn sie vier
Jahre nicht wissen, ob sie weiterbeschäftigt werden,
dann muss man schon fragen, wie sich diese Menschen
mit dem Betrieb identifizieren sollen und was das Leitbild dieses Betriebes ist. Darüber machen Sie sich aber
keine Gedanken.
({6})
Sie sagen einfach, dass Sie Wachstum wollen, und zwar
zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Sie fordern weiterhin, „die kostentreibenden Teile des
Gesetzes zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes
zurückzunehmen“. Arbeitnehmerrechte betrachten Sie
also als kostentreibend. Ich habe Ihnen gerade schon einmal gesagt: Es geht darum, dass sich die Stellung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Vergleich zum
Kapital nicht verschlechtert. Wir wollen den sozialen
Frieden in dieser Republik aufrechterhalten. Vergleichen Sie einmal die Anzahl der Arbeitsstunden, die in
Deutschland durch Streik ausgefallen sind, mit der aus
anderen europäischen Ländern. Dass in dieser Republik
die Zahl so gering ist, liegt an den Rechten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dies ist auch ein Verdienst der Tarifvertragsparteien. Diese Tatsache können
Sie doch nicht so einfach ignorieren. Deshalb sagen wir
auch zu diesem Vorschlag Nein.
Sie fordern ferner, „dass der Anspruch von Leiharbeitnehmern auf gleiche Arbeitsbedingungen und das
gleiche Arbeitsentgelt erst nach zwölf Monaten Beschäftigung greift“. Damit schaffen Sie Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer zweiter Klasse. Dies kann nicht hingenommen werden. Wir werden dieser Forderung eine
klare Absage erteilen.
Ich habe nur zu einigen wenigen Punkten Stellung bezogen. Ich möchte Ihnen aber noch eine Empfehlung geben. Gehen Sie in die Betriebe, erzählen Sie das den
Menschen in den Betrieben.
({7})
- Herr Laumann, gehen Sie in eine Betriebsversammlung.
({8})
Ich sage es Ihnen so, wie wir im Ruhrgebiet reden: Die
Beschäftigten werden Sie mit dem Knüppel aus der Betriebsversammlung hinausprügeln; Sie werden sich in
den Büros der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber wiederfinden. Aber auch diese haben mit Ihrem Antrag
nichts am Hut: Sehen Sie sich einmal die Position von
Herrn Thumann zum Kündigungsschutzgesetz an.
Wir sagen zu Ihren Anträgen: Damit werden Arbeitnehmerrechte eingeschränkt. Das ist die vordergründige
Richtung. Es geht nicht um die Belebung des Arbeitsmarktes oder um Wachstum; vielmehr wollen Sie die
Gelegenheit nutzen, Arbeitnehmerrechte in dieser Republik einzuschränken. Dem stimmen wir nicht zu. Von daher werden wir Ihren Antrag gleich ablehnen.
({9})
Das Wort hat der Kollege Rainer Brüderle, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt
einen bedrückenden Nachkriegsrekord bei der Arbeitslosigkeit. Laut amtlicher Statistik beträgt sie über
fünf Millionen, aber die Wahrheit ist viel schlimmer:
Wir haben sechs bis sieben Millionen Arbeitslose, weil
wir etwa in ABM befindliche Personen gar nicht mit erfassen. Ich zitiere den Kommentar von Herrn Clement
aus der „Wirtschaftswoche“: Jetzt kommt die Wahrheit
ans Licht.
Jetzt frage ich mich, Herr Clement, was von den Ankündigungen zu halten ist, die Sie in der Vergangenheit
geäußert haben, so im Januar 2003: Ich gehe davon aus,
es gelingt, auf unter vier Millionen zu kommen. - Im
Oktober 2003 verkündeten Sie: Die Arbeitslosigkeit
wird sich 2004 langsam, aber sicher deutlich nach unten
bewegen. Wir haben die Talsohle durchschritten. - Im
Januar 2004 sagten Sie: Ich bin überzeugt, dass wir die
Arbeitslosigkeit in geraumer Zeit halbieren können.
All das waren Ankündigungen und Kommentare von
Herrn Clement. In Wahrheit ist es jedoch nicht besser,
sondern schlimmer geworden.
({0})
Wir müssen uns fragen, weshalb das so ist. Weshalb ist
in Europa, beispielsweise in Großbritannien, in den Niederlanden und in Schweden, die Arbeitslosigkeit etwa
halb so hoch wie in Deutschland? Was machen sie anders als wir? Dies kann nicht an der Weltwirtschaft liegen, denn die Holländer, Briten und Schweden arbeiten
in der gleichen Weltwirtschaft wie wir Deutschen. Es
gibt nicht zwei, eine sonnige, die es den anderen erlaubt,
erfolgreicher zu sein, und eine bösartige, die es uns
schwer macht.
({1})
Es liegt daran, dass elementare ökonomische Zusammenhänge ignoriert werden. Arbeitsplätze entstehen
nicht durch rote Fahnen am 1. Mai, sondern dadurch,
dass Frauen und Männer Geld in die Hand nehmen, in
ein Geschäft gehen, etwas nachfragen, etwas kaufen; zur
Herstellung dessen, was nachgefragt wird und gekauft
werden will, werden andere Frauen und Männer benötigt. So entstehen Arbeitsplätze.
Warum tun sie es in Deutschland nicht? Bei uns
nimmt das Angstsparen sprunghaft zu. Sparen ist an sich
nichts Schlechtes, aber im vierten Jahr der Stagnation
der Binnenwirtschaft - im letzten Halbjahr hatten wir
nicht nur Stillstand, wie die gestern veröffentlichten
Zahlen belegt haben, sondern sogar einen Schrumpfungsprozess - schadet es. Das liegt daran, dass die
Menschen kein Vertrauen haben und es keine Berechenbarkeit gibt.
Nicht nur die von Ihnen verfolgte Steuerkonzeption
ist Murks; vielmehr verunsichern Sie die Menschen permanent.
({2})
Herr Clement verkündet in der Talkrunde, die Unternehmensteuern müssten zusätzlich gesenkt werden, während Herr Eichel sagt, das komme nicht in die Tüte und
sei nicht drin. Frau Simonis will die Mehrwertsteuer auf
19 Prozent erhöhen und ein Steuererhöhungspaket im
Umfang von 20 Milliarden Euro draufsatteln und beim
Betriebsübergang die Vermögen- und die Erbschaftsteuer erhöhen. Angesichts dessen sollte sich niemand
wundern, dass die Menschen bei uns kein Vertrauen haben und nicht mehr Geld ausgeben.
({3})
In einer Republik, die sich primär mit dem Dosenpfand, mit der Ökosteuer, mit Antidiskriminierungsgesetzen und Gentechnikverhinderungsgesetzen beschäftigt,
kann kein Vertrauen aufkommen und kein Fortschritt für
mehr Arbeitsplätze in Deutschland ausgelöst werden.
({4})
Deshalb ist es zentral, sich darauf zurückzubesinnen, wie
eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik auszusehen hat und
wie es die anderen machen.
Der Staatsanteil in Deutschland ist zu hoch; er beträgt
fast 50 Prozent. Außer Kuba und Nordkorea glaubt keiner mehr, dass man die Wirtschaft mithilfe eines hohen
Staatsanteils in Gang bringen kann. Überall in der Welt
ist man eher marktwirtschaftlich orientiert.
Die Wirtschaft ist überreglementiert. Nicht einmal
den Ladenschluss können Sie abschaffen, weil die Gewerkschaften dagegen sind. Geben Sie den Ländern
doch die Kompetenz, darüber in eigener Zuständigkeit
zu entscheiden! Aber das schaffen Sie nicht.
({5})
Die Masterpläne von Clement enthalten große Ankündigungen, zeitigen aber Miniergebnisse, wenn überhaupt etwas dabei herauskommt. Die Öffnung des Arbeitsmarktes gelingt Ihnen nicht, weil Sie weiterhin in
aller Stille Regelungen verteidigen, von denen Sie wissen, dass sie für diejenigen sieben Millionen Menschen,
die draußen stehen, keine Chance bieten, in den regulären Arbeitsmarkt zu gelangen. Sie machen mit den Gewerkschaften nur Arbeitsmarktkonzepte für den
„closed shop“, also für diejenigen, die drinnen sind; aber
Sie geben denjenigen, die draußen stehen und auch
Hoffnung und Perspektive haben wollen, keine Chance,
hineinzukommen.
({6})
Sie haben nicht die Kraft, die sozialen Sicherungssysteme wirklich wieder zu seriösen Sicherungssystemen zu
machen. In der Gesundheitspolitik sind Sie nicht zu echten Kurskorrekturen bereit, sondern kleben weiter Heftpflaster auf die Wunden. Sie behelfen sich mit schönen
bunten Luftballons und tollen Illusionen, aber die Kernprobleme werden nicht gelöst. Auch die Alterssicherung
wird nicht seriös angepackt. Frauen in Deutschland haben, statistisch gesehen, noch 1,2 Kinder; die Gesellschaft wird immer älter. Eine Umlagefinanzierung -
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Erlauben Sie mir, dass ich wie die anderen Kollegen,
die natürlich von einer anderen Couleur waren, meinen
letzten Satz noch zu Ende spreche.
Eine solche Finanzierung kann nicht ohne deutlich
mehr Kapitaldeckung funktionieren. Wenn Sie diese
Kernprobleme der Republik nicht lösen, dann werden
Sie keine Arbeitsplätze schaffen. Wenn Sie weiterhin
bunte Luftballons steigen lassen und die Menschen mit
der Illusion abspeisen, Sie könnten grundlegende Probleme mit Etiketten lösen, dann werden Sie das Vertrauen in den Staat und in die Parteiendemokratie weiter
unterminieren.
({0})
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft und
Arbeit, Wolfgang Clement.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich muss zugeben, dass es mir nicht nur diese
Debatte sehr schwer macht, sondern dass auch dieser
Monat für mich sehr schwer ist. Herr Kollege Pofalla,
ich bitte um Nachsicht: Wenn Sie noch einmal über das
nachdenken, was Sie gesagt haben, dann werden Sie sicherlich nachvollziehen können, dass ich sehr auf den
März hoffe.
({0})
Es war ganz bezeichnend, wie Herr Kollege Laumann
den hier vorgetragenen Zehnpunkteplan sehr diplomatisch als einen ersten Schritt gekennzeichnet hat. In
Wahrheit ist er reif für den Aktenordner. Dort wird er
auch landen, nicht aber in der Realität.
({1})
Voller Begeisterung habe ich den Auftritt von Herrn
Laumann miterlebt, weil ihm etwas gelungen ist, was
mir nie gelungen ist: bis hin zur FDP rauschenden Beifall für die Steinkohle zu bekommen.
({2})
- Es tut mir Leid, aber Sie haben an dieser Stelle wirklich geklatscht.
({3})
Ein Münsterländer, der hier für die Steinkohle wirbt, war
für mich wirklich sehr bezeichnend.
({4})
Die Situation in Deutschland ist durch die Schlagzeile
gut gekennzeichnet, die heute in der „Welt“ zu lesen ist:
„Deutsche Unternehmen bleiben zweckoptimistisch“.
({5})
Diese Schlagzeile besagt - ich sehe einmal von den alten
Regeln ab, dass zwischen Nachricht und Kommentar zu
trennen sei -, dass wir in Deutschland noch optimistisch
sein und Zuversicht haben dürfen, wenn auch nicht mit
einem guten Gewissen. In dem Artikel ging es um eine
DIHK-Umfrage - im Gegensatz zu sonst haben Sie sie
heute nicht erwähnt - unter mehr als 25 000 Unternehmen. Nach dieser Umfrage sagte die DIHK, es bleibe bei
einer Wachstumserwartung von 1,5 Prozent und es gebe
„keinen Anlass zu Pessimismus“:
Die Stimmung der Betriebe habe sich weiter verbessert. Im Gegensatz zu einigen Wirtschaftsforschern hält der Verband die Sorge vor einem Abrutschen in die Rezession für unbegründet. „Es gibt
keine Rezessionsgefahr“, sagte Chefvolkswirt Axel
Nitschke. Im Gegenteil: „Der Wachstumspfad ist
breiter geworden.“ Die Inlandsnachfrage nehme so
stark zu, daß Exportrückgänge kompensiert werden
könnten.
Dies ist das heute veröffentlichte Ergebnis einer
DIHK-Umfrage.
({6})
Vor diesem Hintergrund ist manches dessen, was in dieser Debatte geschildert worden ist, neben der Realität.
Die Situation, mit der wir zu tun haben, ist sehr kompliziert.
Diese Stärken der deutschen Volkswirtschaft lassen sich in ganz wenigen Begriffen beschreiben: Exporterfolge wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik, also die höchsten Leistungsbilanzüberschüsse, eine
Gewinnsituation gerade bei den international agierenden
Unternehmen wie noch nie zuvor - die Gewinnsituation
hat übrigens auch mit der Kostenreduktion in den Betrieben zu tun, nicht zuletzt zulasten des Personals -, eine
moderate Lohnstückkostenentwicklung seit Mitte der
90-er Jahre - bei den Lohnstückkosten sind wir unseren
Nachbarn weit überlegen - und eine große Flexibilität in
den Betrieben.
Zu Letzterem fordern Sie immer noch - das werden
Sie noch bis an das Ende Ihrer Tage tun -, betriebliche
Bündnisse gesetzlich abzusichern.
({7})
Wir haben in den Betrieben eine Flexibilität, die so hoch
ist wie in kaum einem unserer Nachbarstaaten.
50 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland arbeiten
bereits auf der Basis von flexiblen Arbeitszeiten.
40 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland arbeiten
mit Arbeitszeitkonten. Die brauchen Ihre Gesetzgebung
nicht. Sie rufen doch ständig: Verzichtet auf Gesetzgebung! Verzichten Sie doch auf diesen Unsinn, den Sie
ständig verbreiten!
({8})
Hinzu kommt übrigens eine Steuerquote in Deutschland, die nach derjenigen in Slowenien und der Tschechischen Republik die niedrigste in der Europäischen
Union ist.
({9})
- Regen Sie sich nicht auf! Rechnen Sie einfach nach! Die Abgabenquote, also Steuern plus Lohnnebenkosten,
liegt ganz gering über der von Großbritannien und ist
deutlich besser als die der vergleichbaren Industrienationen. - Das sind die Stärken; nur damit wir uns einmal
klar werden, worüber wir reden.
Dann kommen wir zu den Schwächen.
({10})
Eine Schwäche ist das zu geringe Wachstum. Das
Wachstum ist ungefähr so hoch - Herr Austermann, das
können Sie gleich in Ihre Rede mit einbeziehen -, wie es
durchgehend in den 90-er Jahren war.
({11})
So weit sind wir. Dieses Wachstum ist, wie Sie wissen,
nicht hoch genug.
Herr Pofalla, solche Vergleiche, wie Sie sie vorhin gezogen haben, bei denen Sie 70 Jahre zurückgegangen
sind, sollten Sie nicht anstellen. Schauen Sie wirklich
einmal 70 Jahre zurück und schauen Sie, wie hoch 1998
die Arbeitslosenzahlen waren!
Aber das bringt uns nicht weiter. Der Arbeitsmarkt ist
in einem bedrückenden Zustand. Die Arbeitsmarktzahlen werden im Februar - ich will das sehr deutlich sagen - deutlich schlechter sein, als sie es bisher schon
sind. Das hat, wie alle wissen, natürlich damit zu tun,
dass wir jetzt die tatsächlich erwerbsfähigen und die angeblich erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger in die Arbeitsvermittlung aufnehmen. Es sind uns von kommunaler Seite offensichtlich Tausende von Menschen in die
Arbeitsvermittlung überwiesen worden, zu denen uns
die Krankenversicherer inzwischen mitteilen, dass diese
Menschen nicht arbeitsfähig sind.
({12})
Das sind Suchtkranke und Komakranke sowie Menschen, die schwerste Behinderungen haben. Es gibt dort
teilweise wirklich einen Wildwuchs, der jetzt in einer
sehr ernsthaften Art und Weise abgearbeitet werden
muss. Dann werden wir langsam, aber sicher wieder einen Überblick über die wirkliche Situation bekommen.
Das Problem, über das wir eigentlich reden müssen
- Herr Kollege Laumann, damit sind wir beim Thema
„Wachstum und Beschäftigung“ -, hat heute Herr
Wansleben, der Hauptgeschäftsführer des DIHK, angesprochen. Er hat nämlich gesagt: Der Keilriemen zwischen Konjunktur und Arbeitsmarkt ist gerissen. - Darin
liegt in Deutschland ein Problem. Deshalb brauchen wir
sehr wohl ein höheres wirtschaftliches Wachstum; aber
wir brauchen auch die Fortsetzung dieses Wachstums in
der betrieblichen und unternehmerischen Praxis. Darüber reden wir.
({13})
Deshalb ist es nicht richtig, wenn Herr Laumann sagt,
wir bräuchten keine Beschäftigungspolitik, denn damit
sei nichts zu erreichen. Wir brauchen vielmehr beides:
Wir brauchen eine wirkliche Wachstumspolitik und wir
brauchen zusätzlich eine Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik, die den gegenwärtigen Herausforderungen
gewachsen ist.
({14})
Das bedeutet die Umsetzung von Hartz IV. Aus Zeitgründen kann ich jetzt nicht all das, was damit zusammenhängt, ansprechen.
Ich will Ihnen nur eines sagen: Wie Sie, Herr Kollege
Laumann, über die Ich-AG reden, ist falsch. Ich bitte Sie
wirklich, einmal nachzulesen, was ernst zu nehmende
Zeitungen dazu berichten.
({15})
In Wahrheit ist es ermutigend, dass Menschen als einen
Weg aus der Arbeitslosigkeit den Weg in die Selbstständigkeit wählen.
({16})
- Ihnen passt das nicht; ich weiß das. - Aber wenn Sie
sich die bisherigen Untersuchungsergebnisse anschauen,
dann werden Sie zugeben müssen: Es gibt keine Zahl,
die ein schlechteres Abschneiden der Unternehmensgründungen aus der Arbeitslosigkeit signalisiert, als dies
bei normalen Unternehmensgründungen, die aus Hochschulen, Schulen oder von anderer Stelle aus erfolgen,
der Fall ist. Es gibt hier keinen signifikanten Unterschied.
Deshalb ist das, was Sie dazu sagen, wirklich falsch.
Sie gehen einen falschen Weg, wenn Sie diese Einrichtungen in Bausch und Bogen ablehnen. Das Gleiche gilt
für Minijobs und Midijobs. Das Gleiche gilt für die Zeitund die Leiharbeit.
({17})
- Sie haben damals zugestimmt; das ist in Ordnung.
Aber das ist doch trotzdem richtig.
({18})
- Ich habe keine Lust, über die Fehler, die alle irgendwie
begangen haben, zu sprechen.
({19})
Das ist die Beschäftigungspolitik, die wir brauchen.
Die wird praktiziert. Herr Niebel, wir werden in diesem
Jahr zu dem Ergebnis kommen - Sie halten ja das Schild
der Arbeitsagentur nicht hoch; deswegen will ich das ansprechen -, dass wir die Jugendarbeitslosigkeit - das
ist die Bemühung, um die es geht und an der in anderer
Weise mitgewirkt werden muss, als nur die immer gleichen Rituale in den Diskussionen zu vollziehen, wie es
hier der Fall war - so weit senken, dass ein Jugendlicher
in der Regel nicht länger als drei Monate im Jahr arbeitslos ist. Das hatte ich angekündigt. Es gibt immer ein paar
Zitate, die - um mit Herrn Glos zu sprechen - aus dem
Zusammenhang gerissen werden. Ich habe natürlich
nicht davon gesprochen, die Arbeitslosigkeit in diesem
Jahr um 20 Prozent zu senken, sondern davon, dass wir
die Reduzierung der Arbeitslosigkeit in dieser Höhe
durch den Kurswechsel, den wir in der Arbeitsverwaltung durchgeführt haben, erreichen werden.
Ein zweites wichtiges Thema in diesem Zusammenhang ist, was im Rahmen des Ausbildungspaktes geschehen wird und was wir gemeinsam mit allen, die daran teilnehmen und guten Willens sind, tun können,
damit junge Leute einen Ausbildungsplatz bekommen
und wir in diesem Bereich Fortschritte erzielen.
Auch will ich in aller Deutlichkeit sagen: Natürlich
brauchen wir auch Unternehmerinnen und Unternehmer,
die das wirtschaftliche Wachstum und die Chancen, die
die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland bietet,
zur Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätze nutzen.
({20})
Diese Unternehmen und Arbeitgeber, von denen wir die
besten erst neulich ausgezeichnet haben, gibt es in
Deutschland; dafür gibt es viele Beispiele.
Die Zeit, in der die Produktionskosten in Deutschland gesenkt wurden, ist langsam zu Ende. Langsam,
aber sicher befinden wir uns in einer anderen Phase. Die
Arbeitnehmer haben dafür viele Opfer gebracht. Aber
wir sind längst an dem Punkt, an dem sich eine Produktionsverlagerung aus ökonomischen bzw. betriebswirtschaftlichen Gründen für die meisten Unternehmen nicht
mehr rechnet. Deshalb sind die Bilder, die Sie in diesem
Zusammenhang an die Wand malen, meines Erachtens
falsch.
Was wir als Erstes tun müssen, ist, die Wachstumskräfte zu stärken. Das tun wir, indem wir den Kurs der
Reformen, den wir in Deutschland - ohne Ihre Zustimmung - eingeschlagen haben, fortsetzen. Dazu gehört,
dass wir uns auch die Unternehmensteuerreform anschauen.
({21})
Dabei wird es keinen Widerspruch zwischen dem Kollegen Eichel und mir geben. Wir werden den Sachverständigenrat bitten, auf unsere konzeptionellen Fragen zu
antworten und dazu Vorschläge zu erarbeiten.
({22})
- Das geschieht sofort und umgehend. Machen Sie sich
keine Sorgen, Herr Kollege. Der Sachverständigenrat
wurde bereits gebeten, dies zu tun. Darüber hinaus werden wir auch mit dem Präsidenten des BDI sprechen.
({23})
- Sie haben dazu ja keine Konzepte entwickelt, auf die
wir hätten zurückgreifen können. Sie haben wirklich ein
Problem, wenn man vergleicht, welche Vorschläge Sie
vorgelegt haben und was Sie heute fordern.
({24})
Ein zweiter Punkt ist - das hat der Präsident des BDI
vorgeschlagen -, dass zumindest geklärt werden muss,
ob reinvestierte Gewinne, durch die Arbeitsplätze geschaffen werden, gefördert werden können.
Der dritte Aspekt ist, dass in Deutschland - das gilt
nicht nur für den Bund, sondern auch für die Länder und
Kommunen - alle vorhandenen investiven Kräfte mobilisiert werden müssen, um auf produktive und positive
Weise den Weg aus der Arbeitslosigkeit zu finden und
die Verbindung zwischen wirtschaftlichem Wachstum
und Arbeitsmarkt herzustellen.
Die eigentlichen Probleme des wirtschaftlichen
Wachstums in Deutschland sind die mangelnde Ausnutzung des vorhandenen Arbeitspotenzials, die schrecklich
hohe Arbeitslosigkeit, die viel zu niedrige Frauenerwerbstätigkeitsquote und die niedrige Erwerbstätigkeitsquote von Älteren.
Weil Sie ständig vom Thema Kündigungsschutz
sprechen, sage ich Ihnen: Informieren Sie die Unternehmen darüber, dass sie für jeden über 55-jährigen Langzeitarbeitslosen, den sie einstellen, nicht das geringste
Problem mit dem Kündigungsschutz haben, sondern
dass sie unbegrenzt befristete Arbeitsverhältnisse eingehen können. Statt mit den Unternehmern über die Chancen zu sprechen, die wir in Deutschland eröffnet haben
und weiter ausbauen werden, um im Standortwettbewerb
bestehen zu können, führen Sie lieber Tabu- und Scheindiskussionen. Es gibt kaum eine Volkswirtschaft in
Europa, die, was die Investitionstätigkeit ausländischer
Unternehmen angeht, besser dasteht als die Bundesrepublik Deutschland.
Es stimmt: Wir - ich auch - haben bezüglich des
Arbeitsmarktes eine verdammt schwierige Phase zu
durchlaufen. Darüber sind wir alle uns im Klaren; da
müssen Sie gar keine weltmeisterlichen Begriffe bemühen. Ich glaube nicht, dass so etwas überzeugend ist;
denn jeder von uns wird an dem gemessen, was war. Wir
waren bisher auf der Strecke der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht besonders erfolgreich. Aber wir haben hier eine Wende vollzogen: mit der Agenda 2010,
mit Hartz IV, mit einer neuen Arbeitsmarktpolitik. Dieser Kurs wird fortgesetzt. Wir müssen dazu alle Kräfte
mobilisieren.
({25})
- Mit Ihnen nicht, Herr Kollege Austermann. - Wir werden dazu alle Kräfte freisetzen müssen, die es in unserem Land gibt.
Da sind einige Punkte in der Diskussion, bei denen
ich Ihnen zustimme, beispielsweise bei der Stammzellentechnologie - „Stammzellenforschung“ muss man
vorsichtigerweise sagen - und bei der Gentechnologie;
durch die ständige Wiederholung, Herr Kollege
Brüderle, wird das nicht bedeutsamer. Tatsächlich wird
auch in Deutschland in die Grüne Gentechnologie investiert. Wir werden diesen Weg meines Erachtens fortsetzen müssen.
Aber Sie werden mir zustimmen müssen: Damit allein werden wir es nicht schaffen. Wir müssen auf allen
Feldern die Kräfte freizusetzen verstehen, die es gibt.
Wir sind auf diesem Weg und ich bin überzeugt, dass
dieser Weg erfolgreich sein wird. Was ich heute dazu gehört habe, hat mich - mit Ausnahme dieses wunderbaren
Hinweises auf die Steinkohle in Deutschland - ehrlich
gesagt wenig überzeugt. Aber wenn Sie mitmachen und
uns unterstützen wollen, dann tun Sie das,
({26})
beispielsweise indem Sie die Mittel freigeben, die es in
Deutschland gibt, damit wir in Wissenschaft und Forschung mehr investieren können als heute. Das allein
wäre schon ein wichtiger Beitrag und könnte für die Psychologie der Unternehmen in Deutschland förderlich
sein.
Vielen Dank.
({27})
Das Wort hat die Kollegin Angela Merkel, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe
mir wie viele andere Kolleginnen und Kollegen - im Gegensatz zu Ihrer Seite des Hauses übrigens - die Debatte
hier angehört. Ich finde, es ist eine Schande - das sage ich
in Richtung Rot-Grün und in Richtung der Regierungsbank -, dass angesichts eines historischen Tiefstands der
Beschäftigung und eines historischen Höchststands der
Arbeitslosigkeit in Deutschland die Anwesenheit in dem
Forum des Landes, in dem die Probleme der Menschen
gelöst werden sollten, von Ihrer Seite so aussieht, wie sie
aussieht. Eine Schande!
({0})
Es ist weiter eine Schande, dass nicht Sie, die Regierenden, die die Mehrheit und damit den Gestaltungsspielraum haben, hier angesichts der Lage des Landes
Vorschläge machen, wie es weitergehen soll, sondern
dass wir, die Opposition, das tun müssen. Aber wir tun
es; das ist unser Staatsverständnis und deswegen werden
wir das auch weiter machen.
({1})
Die Art und Weise, wie Sie sich heute mit unserem
Pakt für Deutschland auseinander gesetzt haben, zeigt, in
welcher Art und Weise Sie überhaupt an die Dinge herangehen. Wenn man den Bundeswirtschaftsminister
hört, hat man den Eindruck - ich habe das neulich schon
einmal in einer Fernsehsendung gedacht -, man ist in einem volkswirtschaftlichen Grundkurs, wo man einmal
ausprobiert, was man machen könnte, sollte, würde, welche Experten man befragen kann.
Meine Damen und Herren, Sie stellen die Regierung
und nur Sie können die Konzepte mit Ihrer Mehrheit
durchsetzen. Deswegen haben Sie die Verantwortung dafür, dass sich in diesem Lande etwas ändert. Das ist es,
worauf Millionen von Menschen in Deutschland warten.
({2})
Der Bundeskanzler ist irgendwo in der Luft,
({3})
der Wirtschaftsminister dreht sich wie ein Hamster im
Laufrad und die Opposition muss dafür sorgen,
({4})
dass diese Debatte irgendein Niveau bekommt.
({5})
Herr Stiegler, Herr Brandner, reden Sie doch einmal
mit dem Chef - ({6})
- Herr Müntefering, passen Sie einmal auf! Sie haben
hier schon den ganzen Tag von „Filibustern“ gesprochen. Sprechen Sie doch einmal mit dem Chef der
Bundesagentur für Arbeit und fragen Sie ihn, ob nicht
Potenziale vorhanden wären, die Arbeitslosenversicherungsbeiträge zu senken! Sie werden von allen kundiDr. Angela Merkel
gen Leuten dort die Antwort bekommen, dass es natürlich solche Potenziale gibt.
({7})
- Wenn Sie jetzt wenigstens einmal zuhören könnten,
({8})
dann wäre das sehr gut für uns alle.
({9})
Sie könnten den Menschen im Lande jetzt zum allerersten Male beweisen, dass sie, wenn wir ihnen etwas
zumuten - das haben wir alle in diesem Hause getan, indem wir die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes gekürzt haben; wir haben dabei mitgemacht -,
({10})
dann auch die Chance haben, den Erfolg dieser Veränderung - das wäre die Senkung der Beiträge und damit ein
Mehr an Beschäftigung - zu spüren. Deshalb unser Vorschlag; doch Sie haben ihn überhaupt nicht kommentiert.
({11})
Herr Clement, stellen Sie sich folgende Fragen: Was
nützt etwas? Was nützt nichts? Was bedeutet Bürokratieabbau? Sie kennen die Gewinnlage von kleinen und
mittleren Unternehmen genau. Es geht dort um Renditen
von 2 bis 3 Prozent. Bei wenigen Beschäftigten sind das
wenige Tausend Euro. Ob man dann noch einen Arzt
einstellen muss, ob man fünf oder sechs Berichte erstellen muss und ob man ein Antidiskriminierungsgesetz
übergeknallt bekommt, aufgrund dessen anschließend
Personalberater usw. eingestellt werden müssen, entscheidet über nicht weniger als über Tod oder Leben eines Unternehmens. So kommt es zu 40 000 Insolvenzen. Herr Clement, das muss sich verändern. Da hilft
hier kein Gerede.
({12})
Der Bundesfinanzminister - das haben wir uns doch
nicht ausgedacht - hat dem deutschen Volk via Zeitung
erklärt - anwesend ist auch er nicht -, dass vor 2007 mit
einer Unternehmensteuerreform nichts zu machen ist.
Jetzt erzählen Sie uns, Sie hätten die Sachverständigen
gefragt. Sie regieren seit sechs Jahren und kennen die
Entwicklung in Europa. Sie wissen ganz genau, dass es
keine Vereinheitlichung der Steuersysteme gibt und wir
wollen das auch nicht. Tun Sie etwas, legen Sie etwas
vor und beschimpfen Sie nicht die Opposition! Wir sind
zu einer konstruktiven Mitarbeit bereit. Sie müssen aber
sagen, was Sie wollen. Das ist das Mindeste, was wir
von Ihnen erwarten.
({13})
Ich komme zur Gentechnologie. Von Ihnen kommt
nur: Wir müssten mal, wir könnten mal, wir sollten weiter sprechen. Das Gesetz ist vor wenigen Wochen verabschiedet worden. Ihr Gewerkschaftskollege Herr
Schmoldt - er ist immerhin Mitglied der Sozialdemokratischen Partei ({14})
erklärt auf jedem öffentlichen Forum, dass dieses Gesetz
das Ende eines ganzen neuen Technologiezweiges ist.
Sie mussten dieses Gesetz aber verabschieden, weil die
Grünen nicht anders wollen und weil Ihnen der Friede in
einer brüchigen Koalition über die Würde und die Sicherheit dieses Landes geht. Das ist die Wahrheit.
({15})
Sie können beim Energiewirtschaftsgesetz, in der
Energiepolitik und an den Hochschulen etwas tun. Die
Art und Weise, wie Sie versucht haben, jeden Wettbewerb zwischen den Hochschulen zu stoppen, ist bemerkenswert. Was ist denn das für eine soziale Gerechtigkeit
- damit werden Sie sich noch auseinander setzen
müssen -, wenn Studenten in Deutschland 14, 15, 16
oder 17 Semester studieren und Frau Bulmahn meint, sie
müsse das mit einem Verbot von Studiengebühren untermauern? Warum sollen solche Leute keine Gebühren
zahlen, damit mehr Gerechtigkeit in dieses Land
kommt?
({16})
Nein, meine Damen und Herren, wir werden die Auseinandersetzung mit Ihnen über die Möglichkeiten dieser
Bundesrepublik Deutschland und über das, was in den
80 Millionen Menschen steckt, weiterhin mit ganzer
Härte führen.
({17})
Wir werden Ihnen immer wieder vorhalten, dass uns eine
Gängelung von oben, wie dies durch das Antidiskriminierungsgesetz geschieht, die Verhinderung des Wettbewerbs, wie Sie das an den Hochschulen immer wieder
wollen, und Einheitsschulen in den Ländern, wie Sie sie
jetzt wieder propagieren, vom Weltmarkt entfernen.
({18})
Diese Entwicklungen lassen uns zurückfallen. Wir wollen das Gegenteil. Darum werden wir kämpfen.
Herzlichen Dank.
({19})
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft und
Arbeit, Wolfgang Clement.
({0})
Frau Kollegin Merkel, es war sehr nötig, dass Sie sich
in diese Debatte eingemischt haben, damit Sie versuchen
konnten, den Eindruck, den Ihre Fraktion heute erweckt
hat, zu korrigieren.
({0})
Wenn Sie mit dem, was Sie gesagt haben, etwas Bestimmtes signalisieren wollten, dann will ich Ihnen
sagen, dass wir die Auseinandersetzung um die Arbeitsmarktpolitik und um die Wirtschaftspolitik in Deutschland wirklich ernst nehmen.
({1})
Wir behandeln dieses Thema aber nicht so, wie es heute
von Ihrer Seite dargeboten worden ist.
Ich fordere Sie auf, Frau Kollegin Merkel - damit
sind wir bei dem, worum es geht -: Sorgen Sie in den
Gesprächen mit den von Ihnen regierten Bundesländern
dafür, dass endlich der Weg freigemacht wird, um die
dann zur Verfügung stehenden Mittel in Wissenschaft
und Forschung zu investieren. Das brauchen wir und darum geht es.
({2})
Sie predigen hier Subventionsverzicht, halten aber
gleichzeitig weiterhin an Althergebrachtem fest, von
dem Sie sich nicht lösen können. Sorgen Sie dafür, dass
die Mittel aus der Eigenheimzulage freigegeben werden,
um die Mittel in Wissenschaft und Forschung einsetzen
zu können. Das ist wirkliche Wachstumspolitik.
({3})
Frau Kollegin Merkel, sagen Sie mir, wie Sie die Absenkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung
- 11 Milliarden Euro sind das - finanzieren wollen. Das
können Sie nur, indem Sie entweder einen Geldspuckautomaten einrichten, die Kriterien des Maastricht-Vertrages verletzen
({4})
- Sie können sich ruhig aufregen - oder alle Eingliederungsmaßnahmen für Arbeitsuchende in Deutschland
streichen. Wenn wir Sie einmal beim Wort nehmen würden, dann würden Sie schon sehen, was bei Ihren Vorschlägen herauskommt.
({5})
Das ist das Problem: Sie können sich nicht von den
Ritualen lösen.
({6})
Sorgen Sie dafür, dass die Föderalismusreform vorankommt.
({7})
Sie haben sich mit keinem einzigen Satz in dieser Diskussion an die CDU/CSU-geführten Länder in Deutschland gewandt, die diese Reform blockiert haben. Sie haben auch keinen Satz zur Senkung der Eigenheimzulage
gesagt. Genau das sind die Punkte, nicht das, wovon Sie
gesprochen haben.
({8})
Ich möchte gerne erleben, wie Sie vor einer Betriebsversammlung die Lockerung des Kündigungsschutzes
vertreten, die jetzt wirklich niemanden interessiert. Sie
waren doch in der Diskussion mit Herrn Thumann selbst
dabei. Sie haben sich richtig erschrocken, als Herr
Thumann gesagt hat, dass der Kündigungsschutz und die
mangelnde Flexibilität in den Betrieben nicht das Thema
sind. Das Thema ist die Hardware. Über diese Hardware
diskutieren wir hier. Dazu werden Sie etwas sagen müssen oder Sie werden an dem, was Sie fordern, scheitern.
({9})
Sie sind mit der Politik, die Sie hier vertreten, schon
einmal gescheitert. Noch heute fragt Norbert Blüm: Wo
sind denn die Arbeitsplätze geblieben, die wir damals
zugesagt haben, als wir den Kündigungsschutz gelockert
haben? Diese Rezepte schlagen Sie auch heute noch vor.
Sie werden aber weitere Schritte tun müssen. Dabei geht
es um Ihre Mitverantwortung, nicht darum, ein paar Oppositionspunkte zu sammeln.
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Beantragt ist ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Sie
sollen - so behauptet die Union - zu einer besseren Beschäftigungspolitik führen. Das wäre angesichts von
5 und mehr Millionen Arbeitslosen auch dringend nötig.
Die vorgeschlagenen Maßnahmen haben allerdings
einen gravierenden Makel: Sie bringen keine Besserung,
sondern sie verschlechtern die Lage.
({0})
Sie senken nicht die Massenarbeitslosigkeit, sondern sie
steigern sie. Sie schaffen auch keinen sozialen Frieden,
sondern sie sind eine Kampfansage. Frau Merkel bemerkte hier eben, dass sie Niveau in die Debatte bringen
muss. Ich finde, das, was in diesen Anträgen steht, ist
unter Niveau.
({1})
Worum geht es konkret? Die Unternehmen sollen von
Steuern und Abgaben entlastet werden. Tarifverträge
sollen entwertet werden. Der Niedriglohnsektor soll ausgebaut und der Kündigungsschutz weiter aufgeweicht
werden. All diese Vorschläge, Frau Merkel, sind längst
im Praxistest und haben stets versagt, wenn es um die
Senkung der Arbeitslosigkeit geht.
Fragen Sie doch einmal die Bürgerinnen und Bürger
im Land, in Ost und West, in Nord und Süd. Die meisten
wissen es und viele erfahren es: Die Unternehmen, insbesondere die großen, werden seit Jahren entlastet, aber
die Arbeitslosigkeit steigt. Tarifverträge werden von Tarifrunde zu Tarifrunde zugunsten betrieblicher Ausnahmen gelockert, doch die Arbeitslosigkeit wächst. Im Osten Deutschlands sind Billiglöhne längst die Regel.
Trotzdem ist dort die Arbeitslosigkeit doppelt so hoch
wie im Westschnitt. Der Kündigungsschutz wurde schon
einmal abgebaut, aber auch danach gab es nicht weniger,
sondern mehr Arbeitslose.
CDU und CSU - und nicht nur sie - beten dennoch
gebetsmühlenhaft für ihre Ladenhüter. Das sichert ihnen
vielleicht bei Sabine Christiansen am Sonntag gute
Plätze, aber Alltagsprobleme lösen sie mit all diesen
Vorschlägen nicht.
({2})
Geht es den Unternehmen gut, dann geht es allen gut das ist eine These, die wider besseres Wissen immer
wieder gepredigt wird. Nehmen wir aktuell die Deutsche
Bank. Um es volkstümlich zu sagen: Der geht es saugut.
Sie hat weltweit Milliardengewinne bilanziert. Sie hat
keine 10 Prozent Steuern gezahlt. Zugleich will sie Tausende entlassen. Selbst die Bundesregierung hat sich
darüber empört. Allerdings verfährt auch die Bundesregierung grundsätzlich nach derselben Logik: Sie senkt
die Spitzensteuern und sie verordnet den Entlassenen mit
Hartz IV Demut und Fron.
({3})
Außerdem belegen die Exportüberschüsse 2004 erneut: Von dramatischer Wirtschaftsschwäche kann im
internationalen Vergleich überhaupt keine Rede sein.
Nackte Zahlen und steigende Gewinne widerlegen solche Behauptungen. Ganz anders sieht es allerdings auf
dem Binnenmarkt aus. Er bröckelt, es mangelt an Arbeitsplätzen, an Kaufkraft und damit an Nachfrage. Die
Folge sind weitere Insolvenzen und zunehmende Arbeitslosigkeit, also ein Teufelskreis. Dieser Teufelskreis
muss durchbrochen werden. Dafür sind die Vorschläge
der Union völlig ungeeignet. Schlimmer noch, sie beschleunigen den „Saldo mortale“.
({4})
Den Begriff „Saldo mortale“ habe ich übrigens dem
Gedicht „Die freie Wirtschaft“ entlehnt. Es endet:
Das laufende Band, das sich weiterschiebt,
liefert Waren für Kunden, die es nicht gibt.
Ihr habt durch Entlassung und Lohnabzug sacht
Eure eigene Kundschaft kaputtgemacht …
Und Eure Bilanz zeigt mit einem Male
einen Saldo mortale.
Der Autor dieses Gedichtes ist übrigens Kurt Tucholsky.
Er schrieb es 1930.
Wir haben - das sage ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch mit Blick auf aktuelle Debatten zum Rechtsextremismus - im Jahre 2005 keine Weimarer Verhältnisse. Aber das ist kein Grund, Fehler der Weimarer
Politik zu wiederholen. Wer den Binnenmarkt schwächt,
wer Fron und Demut fordert und Bürgerrechte beschneiden will, der vollzieht einen Salto mortale. Wir, die PDS,
wollen eine solche Rückwärtsrolle nicht.
({5})
Die PDS ist für weit reichende und nach vorn weisende Reformen. Wir wollen ein Steuersystem, das die
Gewinner nicht länger entlastet, während die Verlierer
belastet werden. Das ist aber genau der Sinn Ihrer Steuerpolitik. Wir wollen solidarische Sozialsysteme, bei
denen Geiz nicht geil ist, sondern bei denen einer des anderen Last trägt, und wir wollen eine aktive Arbeitsmarktpolitik. Wir wollen einen starken Binnenmarkt und
Arbeit, von der man leben kann.
({6})
Deshalb lehnt die PDS im Bundestag Ihre Vorschläge ab.
({7})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Austermann, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben alle mit Spannung darauf gewartet, was der Wirtschaftsminister bei seinem zweiten Versuch und der
Nachbesserungsmöglichkeit darüber sagt,
({0})
welche Maßnahmen die Bundesregierung ergreift, um
diese schreckliche Arbeitslosigkeit zu reduzieren.
({1})
Es ist nichts gekommen, Herr Clement.
({2})
Wenn heute einer von diesen über 5 Millionen Arbeitslosen im Land und den vielen, die auch auf den Arbeitsmarkt drängen, aber keine Chance haben, gehört hat,
was Sie gesagt haben, dann wird er sich deswegen keine
bessere Perspektive ausrechnen.
({3})
Ich frage die Menschen von dieser Stelle: Wenn ihr
den Februar 2005 mit dem Jahr 1998 vergleicht, geht es
euch heute besser als 1998 oder geht es euch schlechter?
Ich frage die Menschen in Schleswig-Holstein: Geht
es euch heute besser oder schlechter als 1988?
({4})
Es ist ziemlich klar, dass die Perspektive für die Menschen schlechter geworden ist. Das gilt sowohl für die
Arbeitsplätze als auch für die Ausbildungsplätze. Jeder
von uns hat jeden Tag mit Menschen zu tun, die zum
Beispiel berichten, dass sie als 40-jähriger Marktleiter
oder 50-jähriger Bankangestellter keine neue Stelle finden oder als 55-jähriger auf dem Arbeitsmarkt keine
Chance mehr haben. Was aber fällt Ihnen dazu ein? - Sie
pöbeln unsere Fraktionsvorsitzende an. Sie haben keinen
einzigen Vorschlag gemacht, den wir mittragen und gemeinsam umsetzen können.
({5})
Sie treten bei den Leuten als Gute-Laune-Bär auf und
sagen ihnen: Liebe Leute, macht euch keine Sorgen und
geht an die Arbeit! Aber die Leute haben keine Arbeit
mehr. In Lübeck, einer schleswig-holsteinischen Großstadt, haben mehr als 20 Prozent der Einwohner keine
Arbeit mehr. Das hängt unter anderem damit zusammen,
dass Ihre Unterstützungstruppen in der Gewerkschaft
immer wieder Neuansiedlungen von Firmen verhindern,
dass die Grünen eine Politik gegen Arbeitsplätze und Investitionen betreiben und dass sich an vielen Stellen die
Infrastruktur nicht weiterentwickelt, weil Rot-Grün eine
Dauerblockade errichtet hat.
Ich muss auf das Thema Dräger Medical nicht mehr
eingehen, sondern möchte einen anderen Punkt erwähnen, der vielleicht symptomatisch für die Situation ist.
Vergangenen Freitag war der Bundeskanzler in Lübeck,
wo man ein großes Interesse daran hat, dass durch die
Elektrifizierung der Bahn eine Verbindung zwischen
den Häfen in Hamburg und Lübeck entsteht. Der Bundeskanzler hat in einer öffentlichen Erklärung, die in der
Presse verbreitet wurde, angekündigt, dass die Elektrifizierung bevorstehe. Alle gehen nun davon aus, dass das
Vorhaben finanziell abgesichert ist. In einem Gespräch
mit dem Bahnvorstand und dem Finanzchef der Deutschen Bahn hat der Haushaltsausschuss aber gestern
Abend erfahren, dass beide keine Basis für die Aussage
des Bundeskanzlers sehen. Bis zum Jahr 2010 kann
keine Umsetzung erfolgen, weil die Bundesregierung die
Investitionsquote senkt. Die Investitionsquote sinkt deshalb, weil Sie die Verschuldung so aufgebläht haben und
das Geld für Zinszahlungen und anderes verpulvern.
({6})
Eine Regierung, die hohe Schulden macht, schafft Arbeitslosigkeit. Rot-Grün schafft hohe Schulden und Arbeitslosigkeit. Das gilt für Schleswig-Holstein wie für
die Bundesrepublik insgesamt. Seit Frau Simonis in
Schleswig-Holstein an der Regierung ist, hat sich die
Zahl der Arbeitslosen um 52 000 erhöht. Schleswig-Holstein hat die höchste Arbeitslosigkeit aller westdeutschen Bundesländer mit Ausnahme von Bremen. Das
war 1988 noch anders. Damals, vor dem Regierungswechsel, lag Schleswig-Holstein deutlich unter dem
Bundesdurchschnitt. In Hamburg hat sich die Situation
zum Besseren gewendet; dort hat die Regierung gewechselt. Jeder intelligente Bürger kann seinen Schluss daraus ziehen, dass überall dort, wo die Union regiert, die
Dinge besser laufen als dort, wo Rot-Grün regiert.
({7})
Sie müssen die Frage stellen, ob man den Nachweis
für eine erfolgreiche Arbeit dadurch liefert, dass man
wie Herr Clement Reden hält, in denen nichts gesagt
wird, oder dadurch, dass Wachstum und Beschäftigung
steigen und die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Im ersten
Quartal des vergangenen Jahres betrug das Wachstum
0,5 Prozent, im zweiten Quartal 0,4 Prozent; im dritten
Quartal war das Wachstum gleich null und im vierten
Quartal waren es minus 0,2 Prozent. Sie aber erzählen
uns, dass der Wachstumspfad breiter wird. Das ist doch
gelogen! Es stimmt nicht. Seit dem ersten Quartal des
vergangenen Jahres geht der Anstieg des Wachstums zurück.
Die Situation ist bedrückend, weil sich für die Menschen in unserem Land nichts bessert. Rot-Grün ist auf
allen Ebenen - im Bund wie in Schleswig-Holstein - gescheitert. Das ist die Konsequenz Ihrer Politik.
({8})
Eine Regierung, die Schulden macht und das Geld
verschleudert, wird nicht dazu beitragen, dass sich die
Situation für die Menschen verbessert; sie sorgt vielmehr
dafür, dass die Armut zunimmt. Sie können das an einer
Fülle von Kriterien messen. Dies wird durch die Zunahme der Zahl der Kinder, die von Sozialhilfe leben,
und zwar bundesweit, in Schleswig-Holstein in besonderem Maße, belegt. Sie können es auch an der Abnahme
der Beschäftigungsquote, der Entwicklung der Einkommen in Schleswig-Holstein,
({9})
der Zahl der Arbeitslosen und an der zurückgehenden Infrastruktur ablesen.
Meine Damen und Herren, Rot-Grün ist auf allen
Ebenen ökonomisch gescheitert. Sie setzen die falschen
Signale. Hätten Sie auf unsere Vorschläge gehört und
sich inhaltlich damit auseinander gesetzt,
Herr Kollege Austermann, bitte kommen Sie jetzt
zum Schluss.
- dann wären Sie ein ganzes Stück weiter. Stattdessen
liefern Sie den Menschen nur eine Show und verringern
ihre Hoffnung, statt sie zu verstärken, weil sie feststellen
müssen, dass die Regierung kein Konzept hat, um die
Probleme des Landes anzugehen.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
auf Drucksache 15/3726 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Weichen stellen für eine bes-
sere Beschäftigungspolitik - Wachstumsprogramm für
Deutschland“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 15/2670 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der fraktionslosen Ab-
geordneten gegen die Stimmen der CDU/CSU bei
Enthaltung der FDP angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
auf Drucksache 15/4598. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme
des Antrags der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 15/3213 mit dem Titel „Für
eine qualitätsorientierte und an den regionalen Bedürf-
nissen ausgerichtete Ausschreibungspraxis von arbeits-
marktpolitischen Maßnahmen“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/
CSU bei Enthaltung der FDP angenommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 15/2826 mit dem Titel „Ausschreibungspra-
xis in der Arbeitsmarktpolitik effizient und effektiv aus-
gestalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und
FDP bei Enthaltung einer fraktionslosen Abgeordneten
angenommen.
Tagesordnungspunkt 4 c: Wir kommen zur Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Wirtschaft und Arbeit auf Drucksache 15/4622. Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion der CDU/CSU auf Drucksache 15/4156 mit dem
Titel „Bürokratische Hemmnisse beseitigen - Bessere
Rahmenbedingungen für Arbeit in Deutschland“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
Stimme einer fraktionslosen Abgeordneten gegen die
Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und FDP ange-
nommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Druck-
sache 15/3724 mit dem Titel „Reform des Kündigungs-
schutzgesetzes - Abschaffung von Hemmnissen für die
Einstellung neuer Mitarbeiter“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU-Fraktion
sowie der Stimme einer fraktionslosen Abgeordneten ge-
gen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen.
Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der FDP auf Drucksache 15/4407 mit dem Titel
„Keine Sperrfrist bei Abschluss eines Abwicklungsver-
trags nach arbeitgeberseitiger betriebsbedingter Kündi-
gung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen und der Stimme einer fraktionslosen Abgeordneten
gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und
FDP angenommen.
Tagesordnungspunkt 4 d sowie Zusatzpunkt 2: Inter-
fraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den
Drucksachen 15/3313 und 15/4831 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 h sowie
die Zusatzpunkte 3 a bis 3 c auf:
29 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bundes-Apothekerordnung und anderer Gesetze
- Drucksache 15/4784
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({0})
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Öko-Landbaugesetzes
- Drucksache 15/4735 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft ({1})
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des
Achten Buches Sozialgesetzbuch
- Drucksache 15/4158 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Entlastung der
Kommunen im sozialen Bereich ({2})
- Drucksache 15/4532 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
e) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des
Art. 6 des Gesetzes zur Verbesserung des
Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur- und
Architektenleistungen
- Drucksache 15/4647 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({4})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg van
Essen, Rainer Funke, Günther Friedrich Nolting,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Strafverfolgung deutscher Soldaten im Auslandseinsatz rechtsstaatlich sicherstellen
- Drucksache 15/3508 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({5})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Cornelia Pieper, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Das 7. Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union unbürokratisch und effektiv
gestalten
- Drucksache 15/4430 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({6})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich ({7}), Birgit Homburger, HansMichael Goldmann, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Leitlinien für die Privatisierung der Deutschen
Flugsicherung - Gesamtkonzept zur Neuordnung der Flugsicherung
- Drucksache 15/4670 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({8})
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
ZP 3 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz
Paula, Karin Rehbock-Zureich, Sören Bartol,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Albert Schmidt ({9}), Volker Beck ({10}), Franziska EichstädtBohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Eisenbahn-Magistrale für Europa zwischen
Paris und Budapest
- Drucksache 15/4864 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({11})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert
Königshofen, Dirk Fischer ({12}), Eduard
Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Maßnahmen zur Kapitalprivatisierung der
Deutschen Flugsicherung GmbH
- Drucksache 15/4829 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({13})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Tourismus
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Dieter Thomae, Daniel Bahr ({14}),
Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel
wieder als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung verankern
- Drucksache 15/3995 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 g sowie
Zusatzpunkt 4 auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Tagesordnungspunkt 30 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung arzneimittelrechtlicher Vorschriften
- Drucksachen 15/4294, 15/4644 ({15})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung
({16})
- Drucksache 15/4869 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Marlies Volkmer
Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4869, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSUFraktion bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Fraktion
angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Fortentwicklung der soldatenversorgungsrechtlichen Berufsförderung ({17})
- Drucksache 15/4639 ({18})
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses ({19})
- Drucksache 15/4790 Berichterstattung:
Abgeordnete Rolf Kramer
Ernst-Reinhard Beck ({20})
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({21}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 15/4794 Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Dr. Elke Leonhard
Alexander Bonde
Jürgen Koppelin
Der Verteidigungsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4790, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag
auf Drucksache 15/4867? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Dann ist der Änderungsantrag einstimmig
angenommen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion gegen die
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Interfraktionell ist vereinbart, trotz Annahme eines
Änderungsantrages in zweiter Beratung jetzt unmittelbar
in die dritte Beratung einzutreten. - Ich sehe, dass Sie
damit einverstanden sind.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
FDP-Fraktion gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 c:
Beratung der Zweiten Beschlussempfehlung des
Wahlprüfungsausschusses
zu 23 gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des sechsten Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland
eingegangenen Wahleinsprüchen
- Drucksache 15/4750 Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Simm
Hans-Joachim Hacker
Petra-Evelyne Merkel
Dr. Hans-Peter Friedrich ({22})
Manfred Grund
Thomas Strobl ({23})
Jerzy Montag
Jürgen Koppelin
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 30 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({24})
Sammelübersicht 180 zu Petitionen
- Drucksache 15/4740 14658
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 180 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({25})
Sammelübersicht 181 zu Petitionen
- Drucksache 15/4741 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 181 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({26})
Sammelübersicht 182 zu Petitionen
- Drucksache 15/4742 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 182 ist ebenfalls einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses
({27})
Sammelübersicht 183 zu Petitionen
- Drucksache 15/4743 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 183 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/
CSU und FDP angenommen.
Zusatzpunkt 4:
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD,
der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Erhöhung der Anzahl von Ausschussmitgliedern
- Drucksache 15/4863 Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Wir kommen nun zu einer Beschlussempfehlung des
Vermittlungsausschusses. Nach einer interfraktionellen
Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die Beratung der Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses erweitert und jetzt gleich als Zusatzpunkt 10
aufgerufen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das
ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 10 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes ({28}) zu dem Gesetz zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes und weiterer
Gesetze
- Drucksachen 15/3784, 15/3984, 15/4173,
15/4378, 15/4576, 15/4755, 15/4870 Berichterstattung:
Abgeordneter Hans-Joachim Hacker
Staatsminister Erwin Huber
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag
über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 15/4870? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung
ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Das Kioto-Protokoll tritt in Kraft: Auf dem
Weg zu einem globalen effektiven Klimaschutz
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Dr. Reinhard Loske vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gestern, am 16. Februar, ist das Kioto-Protokoll in Kraft
getreten. Wir alle hoffen, dass sich dieser Tag in der
Rückschau einmal als historische Wasserscheide zugunsten des Klimaschutzes erweisen wird. Wir wissen,
dass die Ziele des Kioto-Protokolls noch wesentlich zu
schwach sind, um den Klimawandel wirklich wirksam
zu begrenzen. Die Erreichung dieser Ziele ist nur der
erste Schritt auf einem langen Marsch.
({0})
Wir wissen aber auch, dass das Kioto-Protokoll ein
Sieg des Multilateralismus ist, also der gemeinsamen
Bearbeitung von Menschheitsproblemen durch die Staatenwelt, und - das darf ich hinzufügen - eine Niederlage
für die Nationalegoisten.
Nach der Klimarahmenkonvention, die vor gut zehn
Jahren in Kraft getreten ist und der heute praktisch alle
Staaten beigetreten sind, können wir seit gestern auch
das Kioto-Protokoll als vollwertiges Mitglied in der Familie des Völkerrechts begrüßen. Herzlich willkommen!
({1})
Der Deutsche Bundestag beschäftigt sich heute, einen
Tag nach In-Kraft-Treten des Kioto-Protokolls, mit
ebendiesem Protokoll. Man könnte sagen: Wir sind zu
spät dran. Aber ich glaube sagen zu dürfen, dass es
durchaus gut ist, dass wir uns heute mit diesem Protokoll
beschäftigen. Zum einen - das darf man sagen - war der
Deutsche Bundestag in der Klimadebatte so oft seiner
Zeit voraus, dass wir auch einmal einen Tag zurückhängen dürfen. Ich erinnere an die Enquete-Kommission
„Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ zwischen
1987 und 1990 und an die Enquete-Kommission „Schutz
der Erdatmosphäre“ zwischen 1990 und 1994. Außerdem erinnere ich an die Bemühungen des Umweltausschusses, die russische Duma von den Vorzügen des
Kioto-Protokolls zu überzeugen. Allen Kolleginnen und
Kollegen Abgeordneten, die sich entsprechend eingesetzt haben, von unserer Seite ein ganz herzliches Dankeschön!
Zum anderen ist es aber auch deshalb unproblematisch, dass wir uns erst heute, einen Tag nach In-KraftTreten des Kioto-Protokolls, damit beschäftigen, weil die
Zeit des Feierns jetzt vorbei ist. Es geht nun darum, den
Blick nach vorn zu richten: Was muss getan werden?
Wir müssen immer und immer wieder die wissenschaftliche Faktenlage neu würdigen. Da helfen uns weder Hollywood-Streifen wie „The Day After Tomorrow“
von Roland Emmerich noch Thriller wie „Welt in
Angst“ von Michael Crichton. Es geht um die belastbaren Ergebnisse der Klimaforschung und die sind in der
Tat furchteinflößend. Ob es um das Korallensterben, das
viele Küsten schutzlos den Wellen ausliefert, um die großen Gefahren für das westantarktische Eis oder um die
prognostizierten Temperaturanstiege geht - es sind keine
guten Nachrichten, die da kommen. Es lässt sich durchaus sagen, dass die Prognosen der Klimaforschung in der
Vergangenheit eher zurückhaltend, eher vorsichtig, eher
konservativ waren.
Worum geht es jetzt? Erstens geht es vor allem darum, dass wir die USA in den Klimaschutzprozess zurückholen. Es kann nicht sein, dass ein Land, das ein
Drittel aller Industrieländeremissionen verursacht, außen
vor bleibt. Das ist nicht länger akzeptabel.
({2})
Wir wissen, dass in vielen US-Staaten Positives passiert.
Kalifornien hat ein klares Ziel für den Einsatz erneuerbarer Energien und demnächst klare Verbrauchsgrenzwerte
für Automobile. Das ist wichtig. Das ist gut. Das muss
verknüpft werden. Aber es kann nicht sein, dass der Nationalstaat USA am Wegesrand steht.
Zweitens. Wir müssen die großen Entwicklungsländer
China, Indien, Brasilien und Indonesien in das Klimaschutzregime einbeziehen. Das geht vorläufig nicht mit
Reduktionszielen, sehr wohl aber mit Emissionsobergrenzen, so genannten Caps. Es ist sehr wichtig, die Themen Klimaschutz und Entwicklungszusammenarbeit
systematisch miteinander zu verknüpfen; denn sonst
werden wir diese Staaten nicht an Bord bekommen.
Es geht darum, uns neue Ziele zu setzen. Diese Ziele
müssen wir vom Ende her denken. Wenn wir sagen: „Im
Jahr 2050 muss der weltweite Ausstoß klimaverändernder Spurengase um 60 Prozent unter dem Niveau von
1990 liegen“, dann brauchen wir klare Zwischenziele für
2020, 2030 und 2040. Wir schlagen vor, dass die Europäische Union ihre Vorreiterrolle dadurch zum Ausdruck
bringt, dass sie sich als Ziel für 2020 eine Reduktion der
klimaverändernden Spurengase um 30 Prozent setzt.
({3})
Es ist auch wichtig, dass wir in Zukunft Aktivitäten in
das Klimaregime einbeziehen, die bislang völlig ausgeklammert sind. Das gilt insbesondere für den Luftverkehr. Man kann darüber reden, ob das am ehesten durch
Entgelte für die Nutzung der Atmosphäre, wie das der
Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen
vorschlägt, oder über eine Kerosinsteuer, wie Hans
Eichel sie jetzt vorgeschlagen hat, oder über den Emissionshandel, wie Blair ihn vorgeschlagen hat, geschehen
sollte. Wir haben eine Präferenz für eine Kerosinsteuer,
vor allem, weil sie die Möglichkeit bietet, die Einnahmen daraus der Herstellung von Nord-Süd-Gerechtigkeit
und der Entwicklungszusammenarbeit zukommen zu
lassen. Das wäre eine wunderbare Verknüpfung.
Vor allem - das ist mein letzter Gedanke dazu, Herr
Präsident - müssen wir endlich aufhören, Investitionen
in den Klimaschutz nur als Last, als Bürde, als Kostenfaktor, als Wettbewerbsnachteil zu sehen.
({4})
Das ist ein völlig falsches Verständnis der Dinge. Investitionen in den Klimaschutz, ob in Energieeffizienz,
Energieeinsparung, erneuerbare Energien, Wälder, was
auch immer, sind Zukunftsinvestitionen, die uns ökologisch nachhaltig und ökonomisch stark machen. Darum
geht es. Daran müssen wir arbeiten.
Danke schön.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Peter Paziorek von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Unionsfraktion begrüsst das In-Kraft-Treten des Kioto-Protokolls. Dieses In-Kraft-Treten ist ein historischer Schritt
für die internationale Klimaschutzpolitik. Wir stimmen
Herrn Dr. Loske ausdrücklich zu: Es war ein Schritt, auf
den alle Fraktionen in diesem Hause gemeinsam hingearbeitet haben.
Die deutsche Klimaschutzpolitik hat sich bisher in der
Tat dadurch ausgezeichnet, dass sie von einem großen
gesellschaftlichen Konsens und einem politischen
Grundkonsens in diesem Hause ausgehen konnte. Aber
leider hat die rot-grüne Mehrheit Ende letzten Jahres bei
der Beratung von Anträgen im Vorfeld der Klimakonferenz von Buenos Aires kein Interesse an einem fraktionsübergreifend getragenen Beschluss in diesem Hause
gezeigt. Wir bedauern diese Haltung ausdrücklich, vor
allem deshalb, weil Deutschland die ehrgeizigen Klima14660
schutzziele nicht erreichen wird, wenn Rot-Grün weiterhin einen parteipolitischen Alleingang anstrebt. Klimaschutz mit ehrgeizigen Zielen kann nur funktionieren,
wenn alle mitmachen. Wir brauchen dazu die Bundesländer, die Kommunen und auch die Wirtschaft. Dies
sollte die Bundesregierung bei ihrer Klimaschutzpolitik
berücksichtigen.
Schon heute steht fest, dass es die rot-grüne Regierung Ende dieses Jahres nicht erreicht haben wird, den
CO2-Ausstoß in Deutschland gegenüber 1990 um
25 Prozent zu senken. Wir werden froh sein, wenn wir
eine Senkung um 17,5 Prozent erreichen. Dass dieses
Ziel nicht erreicht wird, ist auf ein Versagen Ihrer rotgrünen Politik zurückzuführen.
({0})
Zuletzt haben Sie, Herr Minister Trittin, im „Tagesspiegel“ vom 14. Februar dieses Jahres versucht, sich
auf schnöde Art und Weise aus der Verantwortung zu
stehlen. Sie haben gesagt - ich darf zitieren -:
Das 25-Prozent-Ziel wurde 1997 in Kyoto durch
die Regierung Helmut Kohl offiziell ad acta gelegt,
indem sie sich verpflichtete, die sechs Treibhausgase gegenüber 1990 um 21 Prozent zu senken.
Herr Minister, diese Aussage ist schlichtweg falsch. Wir
werden es Ihnen nicht durchgehen lassen, dass Sie versuchen, die Öffentlichkeit falsch zu informieren und dadurch von Ihrem eigenen Versagen abzulenken.
In ihrem letzten Klimaschutzprogramm aus dem
Jahre 2000 - das haben auch Sie mit verabschiedet - hat
die rot-grüne Bundesregierung das 25-Prozent-Ziel noch
selbst bekräftigt. Dort heißt es:
Die Bundesregierung hält an dem Ziel, die CO2Emissionen bis 2005, bezogen auf 1990, um
25 Prozent zu vermindern, unverändert fest.
Herr Minister, anstatt Ihre eigenen Ziele im Klimaschutz
zu leugnen, sollten Sie sich darum kümmern, diese tatsächlich zu erfüllen. Hier gibt es in der Tat noch eine
Menge zu tun. Nach wie vor liegen Sie über Ihren Entwurf zum Klimaschutzprogramm mit Ihren Kabinettskollegen im Streit. Die Presse meldet sogar, dass die Gespräche darüber gescheitert seien. Die „Financial Times
Deutschland“ meldete am 14. Februar - ich möchte zitieren -:
In der Bundesregierung ist ein Streit darüber ausgebrochen, wer für das Verfehlen der deutschen Klimaschutzziele verantwortlich ist.
Es wird sogar bezweifelt, ob Sie mit Ihrer Politik überhaupt das Kioto-Ziel erreichen können, wie einige Forschungsinstitute uns das sagen.
Angesichts eines solchen Sachverhalts stellt sich die
Frage, wie sich gestern der Umweltminister in Bonn hinstellen und vollmundig erklären konnte, die Anstrengungen im Klimaschutz würden künftig verdoppelt. Ziele
nicht erreicht, aber man spricht von einer Verdopplung
der zukünftigen Aktivitäten.
({1})
Mit bloßen Ankündigungen ist es nicht getan. Handeln
Sie endlich auf Regierungsebene und legen Sie ein abgestimmtes Klimaschutzprogramm vor! Nirgendwo ist der
Unterschied zwischen Reden und Handeln bei dieser Regierung eklatanter als bei der Klimaschutzpolitik. Das ist
leider das traurige Ergebnis Ihrer Politik.
({2})
Meine Damen und Herren, das In-Kraft-Treten des
Kioto-Protokolls ist ein Meilenstein in der internationalen Klimaschutzpolitik. Aber wir können uns auf diesem
Erfolg nicht ausruhen. Wir brauchen weitere Schritte.
Das ist schon allein aus Gründen der Klimavorsorge, der
Ressourcenschonung und somit aus Verantwortung gegenüber kommenden Generationen dringend geboten.
Wir, die Union, setzen uns deshalb für die konsequente
Verfolgung einer Klimadoppelstrategie ein: Dies bedeutet international die Fortentwicklung des Kioto-Protokolls zu einem Kioto-plus-Abkommen für die Zeit nach
2012 und national die konsequente Verfolgung einer klimafreundlichen Politik.
Unter Kioto plus verstehen wir aber nicht, Kioto einfach fortzusetzen und nur draufzusatteln. Vielmehr muss
das Kioto-Abkommen qualitativ verändert werden, und
zwar dadurch, dass die noch abseits stehenden Industriestaaten sowie die Entwicklungs- und Schwellenländer in
die internationale Klimaschutzpolitik eingebunden werden. Durch eine Erweiterung der flexiblen Kioto-Mechanismen und ein erweitertes Emissionshandelssystem
wollen wir die Klimaschutzziele - das muss unser gemeinsames Ziel sein - kosteneffizienter und flexibler erreichen. Dadurch können auch kurzfristige Wettbewerbsnachteile für Staaten und Volkswirtschaften, die
ernsthaft Klimaschutz betreiben, vermieden werden.
Wir brauchen in Deutschland Maßnahmen im Bereich
der Gebäudesanierung, die Modernisierung des Kraftwerkparks, einen weiteren sinnvollen Einsatz der erneuerbaren Energien, verstärktes Energiesparen und eine Erhöhung der Energieeffizienz. Das alles muss in einem
Energiekonzept zusammengefasst werden, das Umweltschutz und Energiepolitik zusammenführt.
Um - das sei mein letzter Gedanke - im Klimaschutz
voranzukommen, benötigen wir wieder einen breiten politischen Konsens. Wir bieten Ihnen hierfür die Zusammenarbeit an. Wenn Sie von Rot-Grün Ihre Klimapolitik
weiterhin im Alleingang und so dilettantisch wie bisher
fortsetzen wollen, wird Deutschland seine Zusagen nicht
einhalten können. Dieses Versagen hätte dann aber die
jetzige Regierung zu verantworten.
({3})
Das Wort hat der Kollege Ulrich Kelber von der SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hat der Bundesumweltminister Recht, wenn er plakatieren lässt, wegen des Kioto-Protokolls bleibe Sibirien kalt? Oder hat der Verband der Chemischen
Industrie Recht, wenn er, wie in den letzten Tagen, behauptet, Deutschland habe seine klimapolitischen Hausaufgaben längst gemacht, jetzt müssten andere Staaten
ran?
Hat sogar der amerikanische Senat Recht, wenn er
den Klimaschutz als Angriff auf den American Way of
Life beschimpft und den Treibhauseffekt leugnet? Oder
hat „Die Zeit“ Recht, wenn sie das Kioto-Protokoll nur
als Symbol ohne Wirkung bezeichnet? Wenn interessierte Bürgerinnen und Bürger in diesen Tagen solche
Schlagzeilen lesen, fällt es ihnen schwer, sich ein Bild zu
machen.
Deswegen sollten wir heute hier - bei aller Kürze von
Redebeiträgen in einer Aktuellen Stunde - sehr differenziert argumentieren, klare Aussagen treffen und realistische Prognosen machen. Dazu gehört zu Beginn eine auf
Fakten basierende Feststellung: Der Klimawandel ist
keine Theorie, er ist bereits bittere Wahrheit, er ist messbar.
({0})
Es gibt nur einen Verursacher, nämlich den Menschen,
der den massenhaften Ausstoß von Treibhausgasen zu
verantworten hat. Das ist glasklar erwiesen. Darüber gibt
es auch keinen wissenschaftlichen Streit; er wird nur in
manchen Medien inszeniert.
Wir haben, gerade in letzter Zeit, lernen müssen, dass
die Gefahr schneller Veränderungen mit dramatischen
Auswirkungen eher gestiegen ist. Ich nenne als ein Beispiel die Gefahr eines raschen und deutlichen Meeresspiegelanstiegs durch den Kollaps großer Eismassen in
der Westantarktis. Solche drastischen Auswirkungen des
Klimawandels lassen sich natürlich allein durch die Anwendung des Kioto-Protokolls nicht vermeiden; da haben die Kritiker sicher Recht. Das Kioto-Protokoll kann
nur ein Anfang sein; aber es ist ein gelungener Anfang.
Das darf man einen Tag nach dem In-Kraft-Treten
durchaus sagen.
({1})
Ein Großteil der Weltgemeinschaft hat sich darauf
verständigt, die individuelle Verantwortung für ein weltweites Problem ernst zu nehmen, sie nicht zu leugnen,
sondern zu handeln. Noch jede große Reise hat mit einem Schritt in die richtige Richtung begonnen. Warum
sollte das im Klimaschutz anders sein?
Es ist gut, dass wir seit einiger Zeit über das sprechen,
was nach dem Kioto-Protokoll kommen muss. Die eingeführten Mechanismen lassen sich weiterentwickeln.
Es muss national, supranational und international neue,
ambitionierte Minderungsziele für die Emission von
Treibhausgasen für die Jahre bis 2050 geben. Auf Dauer
führt dabei übrigens kein Weg an der gleichen Obergrenze der Emission von Treibhausgasen pro Kopf in Industrie- und Entwicklungsländern vorbei. Wer das und
die von Experten errechneten Größenordnungen berücksichtigt, der weiß, dass die Industriestaaten die Emission
von Treibhausgasen bis 2050 um etwa 80 Prozent reduzieren müssen, um den Klimawandel halbwegs beherrschbar zu halten.
({2})
Dazu müssen wir die USA und die Entwicklungs- und
Schwellenländer mit ins Boot holen, die bisher jeweils
damit argumentieren, dass die andere Seite nicht dabei
sei. Beiden Seiten muss klar gemacht werden, dass Klimaschutz keinen Angriff auf Entwicklung bedeutet, sondern im Gegenteil die einzige Chance auf nachhaltigen
Wohlstand für alle.
Ich glaube, die Chancen für diese Argumentation sind
im Augenblick besser als zuvor, weil Länder wie China
die zunehmenden ökologischen Grenzen ihrer bisherigen
Form der Entwicklung erkennen und die USA, selbst
wenn sie die ökologischen Grenzen nicht erkennen, sehen, welche Herausforderung allein die steigenden Rohstoffpreise in einer Welt anhaltender Verschwendung
darstellen. Wenn außerdem erkannt wird, dass die Folgekosten eines ungebremsten Klimawandels völlig unbezahlbar wären, wird es möglich sein, weitere internationale Vereinbarungen zu treffen.
Aber das ist immer nur eine Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Deswegen brauchen wir zusätzlich Schrittmacher, das heißt, Nationen, Unternehmen oder Zusammenschlüsse wie die Europäische Union
müssen vorangehen. Diese Schrittmacherfunktion ist übrigens alles andere als selbstlos. Sie ist von einem ganz
egoistischen ökonomischen Interesse geleitet. Es entsteht
zunehmend ein Weltmarkt für energieeffiziente Produkte
- in China, Japan und der Europäischen Union - und für
erneuerbare Energien. Wer hier zuerst anbieten kann,
weil er früh die Schrittmacherfunktion übernommen hat,
ist ökonomisch klar im Vorteil. Bei den erneuerbaren
Energien ist uns das in Deutschland schon eindrucksvoll
gelungen. Wir sind Weltmarktführer und unsere Exportquoten steigen. Diese Erfolgsstory sollten wir im Bereich
der Energieeffizienz wiederholen. Zielsetzung muss zumindest eine Verdoppelung des jährlichen Zuwachses an
Energieeffizienz sein.
({3})
Wenn wir das nicht tun, könnten erste Warnschüsse wie
zum Beispiel die strenge Verbrauchsvorgabe für Automobile in China, mit der die deutschen Hersteller im Gegensatz zu ihren japanischen und französischen Konkurrenten Probleme haben, bald zum traurigen Alltag für
deutsche Industrieprodukte werden.
Wir sollten uns deswegen in Deutschland vornehmen,
die Nummer eins in Sachen Energieeffizienz zu werden.
Dann klappt das auch mit dem Klimaschutz.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgit Homburger von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
In-Kraft-Treten des Kioto-Protokolls ist ein entscheidender Durchbruch für den internationalen Klimaschutz. Ich
bin froh, dass unsere gemeinsamen Bemühungen Erfolg
gezeitigt haben und nicht vergebens waren. Die FDP begrüßt, dass das Kioto-Protokoll endlich in Kraft ist.
({0})
Es stellt sich nun die Frage, was getan werden muss.
Ich stelle dazu fest: Wir müssen erstens das Kioto-Protokoll schnellstmöglich mit Leben erfüllen. Wir müssen
zweitens versuchen, die Staaten, die noch nicht dem
Kioto-Protokoll beigetreten sind, zu überzeugen, mit ins
Boot zu kommen.
({1})
Wir müssen drittens eine konsistente Strategie entwickeln, in der festgelegt wird, wie es nach 2012 weitergehen soll.
({2})
Denn das Kioto-Protokoll muss international weiterentwickelt werden. Wir brauchen viertens ein integrales Gesamtkonzept zum Klimaschutz in der Bundesrepublik
Deutschland. Dieses Konzept sind Sie, Herr Umweltminister Trittin, dem Deutschen Bundestag bisher schuldig geblieben.
({3})
Wir müssen also dieses Protokoll mit Leben erfüllen
und dadurch von Anfang an zu einer ökologischen und
ökonomischen Erfolgsstory machen. Damit erreichen
wir, dass das Kioto-Protokoll attraktiv für andere Staaten
wird, die bisher noch nicht dabei sind. Das bedeutet,
dass wir alle flexiblen Instrumente des Kioto-Protokolls
nutzen müssen.
Es stellt sich die Frage, warum wir eigentlich so handeln müssen. Ein Grund ist zunächst einmal die ökologische Wirksamkeit. Es geht darum, möglichst viel Klimaschutz zu möglichst geringen Kosten zu erreichen. Diese
ökologische Wirksamkeit erreichen wir nur, indem wir
alle Instrumente des Kioto-Protokolls nutzen. Dazu gehört auch, die modernsten Technologien einzusetzen und
die Bereiche, die im Augenblick noch nicht dem Emissionshandel unterworfen sind, in diesen Handel mit einzubeziehen.
({4})
Der entscheidende Punkt ist, dass es in Deutschland
im Augenblick noch nicht die Voraussetzungen gibt, um
alle diese Instrumente nutzen zu können. Herr Minister
Trittin, Sie wissen ganz genau, dass in Deutschland momentan nur nationale Maßnahmen möglich sind. Die europäische Richtlinie, die zulässt, dass Investitionen im
Ausland auch hier angerechnet werden können, ist bei
uns noch nicht umgesetzt. Wir fordern Sie auf, das endlich zu tun.
({5})
Die ökologische Wirksamkeit erreichen wir auch
durch Technologietransfer. Es geht vor allen Dingen darum, weltweit eine höhere Energieeffizienz und klimaneutrale Energiegewinnung zu erreichen sowie modernste Abscheide- und Einlagerungstechniken für
Treibhausgase zu entwickeln. Das kann durch eine Abstimmung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
mit der Klimapolitik erreicht werden. Aber auch das passiert im Augenblick nicht. In diesem Bereich liegt eine
große Chance für den Export deutscher Energietechnik.
Wir müssen sie endlich nutzen. Deswegen sage ich Ihnen: Wer seine Position als international führender Technologieanbieter halten und ausbauen will, der muss die
Klaviatur der internationalen Klimapolitik beherrschen.
Sie, Herr Minister, verweigern sich da im Augenblick.
({6})
Ein weiterer Punkt. Wir haben erhebliche Kostensenkungspotenziale. In Art. 3 der Klimarahmenkonvention
steht zu Recht, „dass Politiken und Maßnahmen zur Bewältigung der Klimaänderungen kostengünstig sein sollten, um weltweite Vorteile zu möglichst geringen Kosten
zu gewährleisten“. Das erreichen wir, indem wir beispielsweise CDM und Joint Implementation nutzen und
in sonnenreichen Ländern der Erde mit demselben finanziellen Aufwand wie in Deutschland beispielsweise mithilfe der Photovoltaik ein deutlich höheres Maß an CO2Reduktion erreichen. Wir müssen endlich dafür sorgen,
dass dies möglich wird.
({7})
Der letzte Punkt. Wir wollen, dass eine Gesamtstrategie für 2012 erarbeitet wird. Dazu brauchen wir nationale Maßnahmen. Aber mit dem, was Sie machen, sind
Sie auf dem Holzweg. Sie haben nach wie vor kein Gesamtkonzept in der Energiepolitik. Sie haben nach wie
vor kein integrales Klimaschutzkonzept, obwohl Sie es
eigentlich spätestens 2004 vorlegen wollten.
Wir nutzen die in Deutschland bestehenden Chancen,
Klimaschutz kostengünstig zu gestalten, überhaupt
nicht. Warum nutzen wir die Vorteile des Kioto-Protokolls nicht auch innerhalb des Landes? Warum lassen
wir nicht zu, dass beispielsweise ein Unternehmen, das
sich dafür entscheidet, entweder Klimagutschriften zu
kaufen oder in ein anderes Projekt zu investieren, dies
im eigenen Land tun kann? Ich schlage vor, dass wir dies
für die Bereiche des Verkehrs und der Gebäude zulassen,
die sich noch nicht am Emissionshandel beteiligen, um
die Potenziale für Emissionsminderungen in Deutschland kostengünstig zu erschließen.
({8})
Das müssen wir tun, meine Damen und Herren, um
das Kioto-Protokoll mit Leben zu erfüllen. Ich bin mir
sicher, dass wir dann auch die Länder, die dem KiotoProtokoll im Augenblick noch nicht beigetreten sind, davon überzeugen können, dass es eine ökologisch und
ökonomisch vernünftige Strategie ist.
Herr Minister, schaffen Sie Netz und doppelten Boden ab! Setzen Sie die Kräfte des Kioto-Protokolls endlich frei! Die Wiederholung Ihrer immer gleichen Ankündigungen reicht nicht aus. Wir wollen, dass den
Worten endlich Taten folgen, und werden unsere Vorschläge dazu weiterhin im Deutschen Bundestag unterbreiten.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Michaele Hustedt,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kollegen! Bei aller Freude über das In-Kraft-Treten des
Kioto-Protokolls, die uns eint, müssen wir uns auch darüber einig sein, dass dies bei weitem nicht ausreicht. In
dieser Hinsicht besteht auch international große Übereinstimmung. Der Chef des UN-Umweltprogramms,
Herr Töpfer, immer noch Mitglied der CDU, aber auch
Tony Blair und Göran Persson, der schwedische Ministerpräsident, sagen sehr deutlich, dass wir bis zum Jahr
2050 weltweit eine Reduktion von CO2-Emissionen in
Höhe von 50 bis 60 Prozent brauchen. Das bedeutet eben
auch für die entwickelten Industrieländer eine Reduktion
um 80 Prozent. Das ist eine gigantische Herausforderung, die mit kleinen Schritten, mit geringfügigen Maßnahmen mal hier und mal dort nicht zu bewältigen ist.
Vielmehr bedeutet es einen sehr tief greifenden Strukturwandel, der in den nächsten 40, 50 Jahren vor uns liegt.
({0})
Deutschland steht mit der Analyse dieses Problems
überhaupt nicht allein, sondern hat andere Staaten an seiner Seite. Herr Schellenhuber, der wohl weltweit anerkannte Klimaforscher aus Potsdam, sagt völlig richtig:
Das ist, auch wenn es eine große Herausforderung ist,
technisch und ökonomisch machbar. Es bedeutet eigentlich nur eine vorgezogene Energierevolution, die sowieso aus anderen Gründen notwendig ist, zum Beispiel
wegen der Endlichkeit der fossilen Rohstoffe, aber auch
von Uran, denn auch das reicht allerhöchstens noch
40 Jahre. Wir müssen unsere Energieversorgung also ohnehin in der gesamten Breite, von Wärme über Strom bis
hin zum Verkehr, auf Energieeinsparung und auf erneuerbare Energieträger umstellen.
Wenn ich die Debatte höre, die allmählich aus den
USA zu uns kommt, wir sollten uns lieber um die Schäden kümmern, anstatt Vorsorge zu betreiben - ich hoffe,
dass Sie das nicht aufgreifen -, dann sage ich: Das ist
absolut verantwortungslos und absurd. Zu Vorschlägen,
man solle, statt Vorsorge im Klimaschutz zu finanzieren,
Schutzbauten in Bangladesch errichten, kann man nur
sagen: Die Leute haben nicht begriffen, was auf uns zukommt.
({1})
Auch wenn die Tsunami-Katastrophe selbstverständlich nicht durch Versäumnisse beim Klimaschutz bedingt
war, haben wir im Zusammenhang mit ihr begriffen,
dass wir uns in unseren Städten, umgeben von unserer
Zivilisation, zwar sicher fühlen, aber dass auch wir Teil
der Natur sind: Wenn sie aus den Fugen gerät, dann sind
auch wir ihr ausgeliefert. Deswegen müssen wir Vorsorge betreiben.
Die Folgen des von Menschen verursachten Treibhauseffektes spüren wir schon jetzt. Das DIW sagt, die
Schäden aufgrund von Naturkatastrophen hätten sich in
den letzten 30 Jahren um den Faktor 15 erhöht. Im Jahr
2050, so die Berechnung des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung, werden wir, sofern wir nichts tun,
allein in Deutschland aufgrund des von Menschen ausgelösten Treibhauseffektes einen Schaden von 137 Milliarden US-Dollar zu verzeichnen haben.
Wir rollen also nicht nur auf eine Umweltkatastrophe,
sondern auch auf eine gigantische ökonomische Katastrophe zu. Daher tut Handeln dringend Not.
Herr Paziorek, ich vermisse hier von Ihnen ein klares
Bekenntnis zu neuen Zielen für die nächsten 20 und
50 Jahre. Dazu habe ich von Ihnen nichts gehört.
({2})
Im Hinblick auf die Vergangenheit vermisse ich außerdem die Zustimmung der CDU/CSU zu den entscheidenden Instrumenten, die wir auf den Weg gebracht haben:
das Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien, die
Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung und den Emissionshandel, mit dem wir für das Vorantreiben der Effizienz auch ein marktwirtschaftliches Instrument haben.
Ich bin sehr gespannt, wie Sie sich in Zukunft verhalten
werden, wenn wir das Altbausanierungsprogramm deutlich aufstocken und einen ambitionierten Gebäudepass
einführen werden
({3})
und wenn wir bei den Treibstoffen auf nachwachsende
Rohstoffe setzen werden, damit wir auch in der Automobilwirtschaft zu einer Effizienzrevolution kommen. In
der letzten wie auch in dieser Legislaturperiode haben
Sie jede, aber auch jede Maßnahme abgelehnt, die die
rot-grüne Bundesregierung auf den Weg gebracht hat.
Deswegen sind Sie kein glaubwürdiger Zeuge, wenn Sie
uns zu einer aktiven Klimaschutzpolitik treiben wollen.
({4})
Ich halte auch überhaupt nichts davon, erneuerbare
Energien gegen Energieeffizienz oder internationales gegen nationales Agieren auszuspielen. Angesichts der
Herausforderungen brauchen wir alle Instrumente; die
rot-grüne Bundesregierung wird alle Wege gehen.
({5})
Abschließend zur Atomkraft. Sie stellt im Hinblick
auf den Klimaschutz keine Alternative dar. In Deutschland müssten 70 bis 90 Atomkraftwerke gebaut werden,
um das Klimaschutzziel zu erreichen. Dies wäre völlig
absurd, zumal auch das Uran endlich ist. Wer jetzt wieder die alte Klamotte herausholt, mit Atomkraft lasse
sich das Klima schützen, lenkt nur von den eigentlichen
Herausforderungen ab. Atomkraft zementiert die vorhandenen Strukturen. Wir brauchen aber einen Strukturwandel. Ein solcher Strukturwandel wird durch das Weiterbetreiben von Atomkraftwerken behindert.
Ich danke Ihnen.
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Klaus Lippold von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn zwei Bemerkungen machen, die als Leitorientierung für das dienen, was ich sagen will:
Erstens. Das In-Kraft-Treten des Kioto-Protokolls ist
begrüßenswert. Dies stellt einen Einstieg in die weltweite Klimaschutzproblematik dar. Ich unterstreiche dabei, dass wir am Anfang eines Weges sind. Ohne das
Kioto-Protokoll würden wir diesen Weg aber erst gar
nicht gehen können. Jungen Menschen sage ich immer,
dass es seine Zeit dauere, um mit 180 Staaten der Erde
zu einer Entscheidung zu gelangen. Auch ich hätte es
gern schneller.
Zweitens. Wir müssen mit der Selbstbeweihräucherung dieser Bundesregierung und insbesondere des Bundesumweltministers Trittin Schluss machen.
({0})
Er tritt bei der Bonner Konferenz auf und heraus kommt
nichts als die Ankündigung, die Maßnahmen zu verdoppeln. Das ist ja ganz gut und schön, Herr Trittin; aber wir
können erst über Neues sprechen, wenn Sie das Alte umgesetzt haben. Frau Hustedt hat gerade davon gesprochen, wir müssten neue Ziele setzen. Erst einmal müssen
die alten Ziele erreicht werden. Man darf von ihnen doch
nicht stillschweigend Abstand nehmen.
({1})
Als Beispiel nenne ich das Ziel, die Kohlendioxidemissionen um 25 Prozent zu reduzieren: Sie, Herr Kollege Müller, haben uns früher immer vorgeworfen, dieses Ziel sei viel zu niedrig angesetzt, wir müssten bis
2005 mehr machen.
({2})
Heute verabschiedet sich der Bundesumweltminister von
diesem Ziel und versucht, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, als hätte dies schon die Vorgängerregierung gemacht. Herr Trittin, die Menschen so zu täuschen, das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Sie
müssen alte Ziele einhalten, anstatt sich von ihnen zu
verabschieden.
Wenn wir zu neuen Zielen kommen, Frau Hustedt,
dann erwarte ich von Ihnen ein Klimaschutzprogramm,
ein Energiekonzept und ein Umweltprogramm. Nun entnehme ich der Presse, es solle ein Klimaschutzprogramm aufgelegt werden - versprochen war es schon
längst - und Herr Trittin habe bei seinen Kollegen in den
Ministerien abgefragt, welche Maßnahmen zu ergreifen
seien. Welche Überraschung! Wie schnell sind Sie bei
diesen Dingen. Diese Abfrage hätte vor Jahren erfolgen
müssen. Sie müssten jetzt das Konzept vorlegen. Auf gut
Deutsch: Sie fangen jetzt erst an.
Deshalb verstehe ich auch die Kritik der Umweltverbände, die ganz deutlich sagen, dass Sie Ihr Umweltschutz- und Ihr Klimaschutzziel verfehlen und dass die
Maßnahmen, die Sie ganz vorsichtig ergriffen haben,
erstens zu gering sind und Sie diese zweitens nicht konkret genug formulieren.
Vor diesem Hintergrund sage ich ganz deutlich, Herr
Trittin: Sie sollten die Kritik der Umweltverbände ernst
nehmen und nicht wieder versuchen, in Ihrer lässigen
Art darüber hinwegzugehen.
({3})
Solange Sie nicht konkret sind, bin ich nicht bereit, Sie,
Herr Trittin, und diese Bundesregierung als Weltmeister
im Umwelt- und Klimaschutz zu feiern.
Herr Loske, wir waren uns schon früher einmal in
Punkten der Trittin-Kritik einig.
({4})
- Stimmt, das ist schon etwas länger her. - In der „Netzeitung“ wird Herr Loske folgendermaßen zitiert: Er erwarte von der Bundesregierung, dass sie konkreter
werde und sich nicht ständig selbst als Weltmeister im
Klimaschutz feiere. Zwar liege die Bundesrepublik vorn,
aber noch weit hinter dem, was sie machen müsse.
({5})
Hier wird sehr deutlich gesagt: Herr Trittin, Sie sind
nicht Weltmeister. Diese Kritik kommt aus Ihren eigenen
Reihen. Lassen Sie sich deshalb auch in Zukunft so nicht
feiern! Ich halte es für völlig falsch, dass man sich hier
nur in Ankündigungen erschöpft, aber keine konkreten
Maßnahmen ergreift.
({6})
Ein Wort zur internationalen Entwicklung. Meines
Erachtens, Herr Trittin, trifft auch hier zu, was für die
Dr. Klaus W. Lippold ({7})
nationale Politik zutrifft. Sie arbeiten zu wenig daran,
den Klimaschutz international durchzusetzen. Dies ist
kein rein deutsches Problem. Dies ist ein Problem, dessen Lösung generell vorangetrieben werden muss. Ich
habe gerade deutlich gemacht, wie sehr wir die UN-Verpflichtungen vorantreiben müssen. Das bedingt aber,
dass die gesamte Bundesregierung, beim Kanzler angefangen, den internationalen Klimaschutz viel ernster
nimmt und er viel entschiedener vorangetrieben wird, als
das jetzt der Fall ist.
Wir müssen die USA ins Boot holen. Ich muss, ehrlich gesagt, feststellen: Ich habe wenig Verständnis für
die Position der USA. Das sage ich auch meinen dortigen Gesprächspartnern. Unter früheren Vizepräsidenten
ist viel angekündigt worden. Nichts davon wurde gehalten; das muss korrigiert werden.
({8})
Wir müssen aber auch die Schwellenländer mit ins
Boot holen; denn die Emissionen der USA werden in absehbarer Zeit von den Emissionen in den Schwellenländern überholt werden. Das macht die Problematik deutlich. Dass wir dabei eine differenzierte Behandlung
brauchen, das ist selbstverständlich und das werden wir
alle mittragen.
Ein letzter Aspekt. Ich glaube, dass wir uns auch mit
Wissenschaftlern auseinander setzen müssen, die vereinzelt die Notwendigkeit des Klimaschutzes infrage stellen
wollen und die die anthropogene Erderwärmung anzweifeln. Einen Teil derjenigen, die jetzt wieder zitiert werden, haben wir in der damaligen Enquete-Kommission
gehört. Sie konnten ihre Zweifel nicht belegen. Sie haben auf Aufsätze in „Nature“ verwiesen, die sie bis heute
nicht publiziert haben. Ganz offensichtlich folgen sie
aber von Zeit zu Zeit einer bestimmten Lobby.
Ich sage ganz klar: Derjenige Wissenschaftler, der
den Interessen einer bestimmten Lobby folgt, versündigt
sich an der Zukunft unserer Kinder. Das werde ich so
nicht akzeptieren. Das werden wir ändern müssen.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Astrid Klug von der SPDFraktion.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Gestern
war tatsächlich ein Freudentag. Das zeigt auch die heutige Debatte. Das In-Kraft-Treten des Kioto-Protokolls
ist ein Meilenstein für den Klimaschutz, weil sich zum
ersten Mal mehr als 140 Staaten völkerrechtlich verbindlich dem Klimaschutz unterwerfen und sich zur Reduzierung ihrer Treibhausgasemissionen verpflichtet haben.
Kioto, das waren acht Jahre zähes Ringen um den weltweiten Klimaschutz. Viele hatten das Kioto-Protokoll
schon auf der Strecke totgesagt. Die Skeptiker haben
nicht Recht behalten; das ist gut so. Das Kioto-Protokoll
ist quicklebendig und wir freuen uns darüber.
({0})
Das Kioto-Protokoll ist ein Meilenstein, weil der Klimawandel ein globales Problem ist und deshalb auch
eine globale Antwort braucht. Effektiver Klimaschutz
funktioniert nicht national, sondern international. Kioto
zeigt, dass globales Handeln nicht nur nötig, sondern
auch möglich ist.
Wichtig ist, dass die Industriestaaten ihre Zusagen
einhalten. Deutschland steht gut da; denn wir haben bereits 90 Prozent des Ziels für 2012 erreicht. Deutschland
trägt damit überdurchschnittlich zum weltweiten Klimaschutz bei. Wir haben eine Vorreiterrolle und wir sind für
viele Vorbild. Aber es gibt keinen Grund, sich gemütlich
zurückzulehnen; denn Deutschland gehört nach wie vor
zu den Ländern mit den höchsten Pro-Kopf-Emissionen.
Die letzten 10 Prozent des Ziels, die wir noch erreichen
müssen, werden die anstrengendsten sein; das wissen
wir alle.
Wir müssen also noch viel mehr als bisher tun, auch
vor dem Hintergrund, dass wir allein mit den Kioto-Zielen den Kampf gegen die Klimaerwärmung nicht gewinnen werden und dass wir keine Zeit zu verlieren haben.
Schon heute sind die Auswirkungen des Klimawandels
- die Vorredner sind darauf schon eingegangen - unübersehbar: extreme Wetterereignisse, deren Häufigkeit
stark zunimmt, Fluten, Dürren, Wirbelstürme, die
schmelzende Antarktis und steigende Meeresspiegel.
Die Bewältigung des Klimawandels ist die größte und
auch eine existenzielle Herausforderung für eine nachhaltige globale Entwicklung. Das Zeitfenster, das wir
noch zur Verfügung haben, um den schon entstandenen
Schaden zu korrigieren, wird immer kleiner. Deshalb haben wir keine Zeit zu verlieren.
Der internationale Klimaschutz darf deshalb nicht
2012 enden. Kioto ist nur der erste Schritt. Wir brauchen
schon heute eine Strategie für die Zeit danach. Wir brauchen langfristige Ziele, die weit über Kioto hinausgehen.
Wir begrüßen deshalb sehr, dass sich Tony Blair für eine
Minderung der Treibhausgasemissionen um mindestens
60 Prozent bis 2050 einsetzt und den Kioto-Folgeprozess
zu einem Schwerpunkt seiner EU-Ratspräsidentschaft
und der britischen G-8-Präsidentschaft macht.
({1})
In ihrer Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie hat sich
die Bundesregierung das Ziel gesetzt, die Emissionen bis
2020 um 40 Prozent zu reduzieren, wenn die EU sie im
gleichen Zeitraum um 30 Prozent reduziert. Ich habe
mich gefreut, dass im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung auch die CDU/CSU dieses Ziel mitgetragen hat. Auf dem Weg dahin brauchen wir Zwischenschritte, deren Einhaltung von uns selbst und von
unseren Nachbarn regelmäßig bilanziert werden muss.
({2})
Aber vor allem brauchen wir weitere konkrete und
ehrgeizige Maßnahmen, um diese Ziele tatsächlich erreichen zu können. Wir brauchen den weiteren Ausbau der
erneuerbaren Energien, den Ausbau des Emissionshandels und die konsequente Förderung von Effizienztechnologien. Wir müssen den Flug- und Schiffsverkehr in
den Klimaschutz integrieren. Herr Dr. Paziorek, es ist
tatsächlich schizophren, dass Sie regelmäßig die Erreichung des Ziels einfordern und sogar sagen, wir müssten
noch mehr tun, dass Sie aber, wenn es in diesem Hause
um die konkreten Maßnahmen geht, diese Maßnahmen
regelmäßig ablehnen. So etwas nenne ich schizophren.
Man könnte auch sagen: Das ist heuchlerisch.
({3})
Theoretisch befürworten alle den Klimaschutz. Wenn es
aber konkret wird, dann schlagen sich viele - auch in
diesem Haus - in die Büsche.
({4})
Wir brauchen weitere Partner für den Klimaschutz;
auch das wurde hier schon gesagt. Die USA sind der
weltweit größte Treibhausgasemittent. Sie sind verantwortlich für ein Drittel der Emissionen aller Industrieländer. Clinton hatte Kioto mitgeprägt. Bush ist aus dem
weltweiten Klimaschutz ausgestiegen. Seine Begründung, Klimaschutz gefährde die Wirtschaftskraft, ist
wahrlich zynisch. Was wird er später einmal seinen Enkeln erzählen? - Ich wollte, dass das Land uneingeschränkt wächst? Ihr dürft jetzt die Zeche zahlen - für
Fluten, Wirbelstürme, wachsende Armut und Kriege um
Wasser und Rohstoffe?
Wir brauchen nicht nur die USA, sondern auch die
Entwicklungs- und Schwellenländer im Boot, insbesondere Länder wie China und Indien mit fast zweistelligen
Wachstumsraten und einem unglaublichen Hunger auf
Energie. Diese Länder müssen wir als Partner gewinnen,
damit sie unsere Fehler nicht wiederholen und ihr
Wachstum stattdessen von Anfang an auf erneuerbaren
Energien, Effizienz und innovativen Techniken aufbauen
und damit Wachstum und Klimaschaden wirksam entkoppeln.
Gestern war ein Freudentag. Es gibt Grund zum Feiern. Es gibt sogar viele Gründe zum Feiern. Aber wir haben keine Zeit zum Feiern. Ab heute muss die Arbeit
fortgesetzt werden: für den Klimaschutz und damit für
uns und unsere Kinder und Enkel.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Marie-Luise Dött von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am gestrigen Tag hätte die Bundesregierung nicht nur sich selbst
zum In-Kraft-Treten des Kioto-Protokolls gratulieren
sollen, sondern vor allem ihrer Vorgängerregierung, der
Regierung Kohl.
({0})
In der unionsgeführten Bundesregierung saßen die Väter
und Mütter der deutschen Klimaschutzpolitik, wie wir
sie heute kennen. Vor weit mehr als zehn Jahren sind die
Voraussetzungen dafür geschaffen worden, dass Sie gestern feiern konnten, Herr Trittin.
({1})
Die Idee, den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern, stammt aus Zeiten, in denen Sie nicht einmal Mitglied des Bundestages waren - ich allerdings auch nicht.
({2})
- Genau. Startschuss war 1992 der Umweltgipfel in Rio
de Janeiro, auf dem die Klimarahmenkonvention beschlossen wurde. Für Deutschland hat damals der CDUUmweltminister Klaus Töpfer die Verhandlungen geführt. Seine Nachfolgerin, Angela Merkel, holte daraufhin die erste Vertragsstaatenkonferenz im Jahr 1995
nach Berlin. Hier wurde beschlossen, ein Protokoll mit
angemessenen Maßnahmen gegen den Klimawandel zu
verabschieden. Das war die Geburtsstunde des KiotoProtokolls. Mit unserer Klimaschutzpolitik haben wir
damals eine verlässliche Basis dafür geschaffen, den
Ausstoß der Treibhausgase bis 2005 um 25 Prozent gegenüber 1990 zu senken.
({3})
Die Regierung Schröder ist diesen konsequenten Weg
nicht weitergegangen. Der grüne Umweltminister
musste gerade vor ein paar Tagen eingestehen, dass er
das 25-Prozent-Ziel nicht erreichen kann, und er hat es
offiziell aufgeben. Das liegt vor allem daran, dass RotGrün bislang kein schlüssiges Konzept für eine umfassende Klimapolitik vorgelegt hat. Wie man Anfang der
Woche aus den Medien erfahren hat, wird sich das auch
mit dem neuen Klimaschutzprogramm nicht ändern. Die
Klimapolitik von Rot-Grün besteht vor allem daraus, immer neue, immer schönere, immer höhere Ziele anzukündigen, die Sie faktisch aber nicht erreichen können.
({4})
Jede Woche übertrumpfen sich Regierungskoalition
und Bundesregierung gegenseitig mit neuen Zahlen:
30 Prozent, 40 Prozent, 60 Prozent, 80 Prozent - mit Realität hat das wenig zu tun. Realistischer und verlässlicher
Klimaschutz beruht auf einer breiten Basis, sowohl national als auch - besonders - international. Wenn man
diese breite Basis berücksichtigt, kann man seine politischen Ziele auch erreichen und muss sie nicht kurz vor
Toresschluss revidieren.
In den Jahren seiner Amtszeit hat Minister Trittin diesen Aspekt konsequent vernachlässigt. Bisher hat die
rot-grüne Klimapolitik von Herrn Trittin Schlagseite zulasten der Wirtschaft und ist wenig ausgewogen. Lediglich für den industriellen Sektor wurden mit dem Emissionshandel verbindliche Reduktionsziele festgeschrieben.
Andere Sektoren wie private Haushalte und der Verkehr
wurden aus der Verantwortung entlassen. Seit Anbeginn
der Verhandlungen zum Emissionshandel fordern wir
Sie auf, ein schlüssiges Konzept zur Verteilung der Lasten auf alle verursachenden Bereiche vorzulegen - bisher vergeblich. Inzwischen ist der Emissionshandel für
die Industrie harte Realität geworden, aber für eine Gesamtlösung haben Sie noch immer keine Ideen vorgelegt, Herr Trittin.
Auch international ist Deutschland gut beraten, seine
Forderungen auf ein breites Fundament zu stellen, anstatt immer höher hinaus zu wollen. Bevor über weiter
gehende Verpflichtungen für Deutschland nachgedacht
wird, sollte man der Tatsache gerecht werden, dass es
sich beim Klimawandel um ein weltweit verursachtes
Problem handelt. Bisher abseits stehende Industriestaaten sind in Zukunft einzubeziehen: In Schwellenländern
wie China oder Indien muss das Wachstum von der Zunahme der Treibhausgasemissionen entkoppelt werden;
ich sehe hier eine Möglichkeit, das Bundesministerium
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
stärker in die Anstrengungen einzubinden. Eine konsequente Entwicklungshilfe in dieser Richtung würde auch
dem unter Rot-Grün dahindümpelnden Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfe, der so genannten ODA-Quote,
gut zu Gesicht stehen. Das Gleiche gilt für die Umsetzung von Projekten gemeinsam mit anderen Staaten, JI,
und die Nutzung des Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung, CDM. Hier ist noch Sand im Getriebe.
Bisher wurden gerade einmal zwei CDM-Maßnahmen
anerkannt.
({5})
Dabei wird durch die Nutzung der flexiblen Mechanismen weniger Treibhausgas in die Atmosphäre ausgestoßen. Man muss sie also so ausgestalten, dass ihre Anwendung im bürokratischen Verfahren nicht scheitert.
({6})
Wenn wir dieses breite Fundament schaffen, so, wie
es die CDU/CSU in den Jahren bis 1998 vorgemacht hat,
dann ist dem Klimaschutz mehr geholfen, als wenn
Deutschland einsame Spitze ist und voranschreitet.
({7})
Klimapolitik ist primär Außenpolitik. Nur in der Gemeinschaft aller Staaten können wir dem Klimawandel
wirkungsvoll entgegentreten.
({8})
Das Wort hat jetzt der Kollege Winfried Hermann
vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich will der Versuchung widerstehen, auf einige
Redebeiträge polemisch zu antworten. Ich finde, angesichts der Größe der Herausforderung hat niemand
Grund zur Selbstgefälligkeit, zur Selbstgewissheit oder
zur Selbstgerechtigkeit.
({0})
Das gilt auch für die Opposition. Vor allen Dingen gilt
das für all jene Abgeordnete, die bei jeder Maßnahme im
Deutschen Bundestag zuerst an die Interessen der deutschen Wirtschaft, der Industrie usw. und erst in zweiter
Linie an den Klimaschutz denken. Auch das sei gesagt.
({1})
Ich will mich nicht weiter polemisch damit befassen,
sondern ich will mich einem Thema zuwenden, mit dem
man sich bei der Weiterentwicklung des Kioto-Protokolls befassen muss, nämlich dem Flugverkehr. Von verschiedenen Rednerinnen und Rednern ist es angesprochen worden: Das ist ein wichtiges Thema. Es wurde in
der ersten Phase des Kioto-Protokolls ausgeklammert,
was, wie ich meine, problematisch und bedauerlich ist;
denn der Flugverkehr ist ein großes Klimaschutzproblem. Man hat das damals wohl verdrängt, weil man die
Dimension des Problems noch nicht ganz erkannt hatte
und weil man das Kioto-Protokoll aus politischen Gründen nicht noch komplizierter machen wollte. Im Übrigen
hatte sich die Flugwirtschaft wohl auch ziemlich gut
durchgesetzt.
Was ist eigentlich so gravierend am Flugverkehr? Warum müssen wir uns diesem Thema nähern und es in die
zweite Phase, also in die Nachfolgeverhandlungen über
das Kioto-Protokoll, aufnehmen? Sowohl das Umweltbundesamt, andere Wissenschaftler, Umweltverbände
sowie zum Beispiel die Royal Commission on Environmental Pollution - unlängst war ein Teil von uns in
Großbritannien - sehen das Problem des Flugverkehrs
als das zentrale Klima- und Treibhausgasproblem an.
Wir müssen das Thema ernst nehmen, weil Flugverkehr die Atmosphäre in mehrfacher Weise schädigt und
zum Treibhauseffekt beiträgt: zum Ersten, weil der Flugverkehr bezogen auf Personen und Kilometer im Vergleich zu allen anderen Verkehrsmitteln, vor allem im
Kurzstreckenbereich, ein Mehrfaches an Energie verbraucht und CO2 ausstößt; zum Zweiten, weil CO2 und
andere Treibhausgase, die in hohen Luftschichten abgesetzt werden, etwa den zwei- bis vierfachen Treibhauseffekt erzielen als bodennah ausgestoßenes CO2; und drittens, weil der Flugverkehr über Kondensstreifen zu
Wolkenbildung führt und in hohem Maße zusätzlich zur
Anheizung der Erdatmosphäre beiträgt.
Quantitativ war der Flugverkehr lange nicht besonders wichtig. Der Anteil betrug nur wenige Prozent. Das
hat sich inzwischen geändert. In Europa und in Deutschland geht man heute davon aus, dass bereits rund
9 Prozent der Treibhausgase auf den Flugverkehr zurückzuführen sind. Weltweit ist dies unterschiedlich. Der
Anteil schwankt zwischen 4 und 12 Prozent. Wenn man
die erwarteten Wachstumsraten zugrunde legt - man
rechnet damit, dass sie in den nächsten Jahren durchschnittlich etwa 5 Prozent betragen werden -, dann wird
der Ausstoß von CO2 und andere Treibhausgasen in
20 Jahren um 50 Prozent gestiegen sein, wenn sich
nichts ändert. Das UBA geht sogar von einer Verdreifachung bis zum Jahre 2030 aus. Erste Prognosen besagen,
dass dann weitaus mehr Treibhausgase im Flugverkehr
als im heute größten Sektor, nämlich im Fahrzeugverkehr, ausgestoßen werden.
Wir müssen alles tun, damit es nicht so weit kommt.
Wir sollten also rechtzeitig geeignete Maßnahmen ergreifen. Ich bin der Meinung, dass die Einbindung des
Flugverkehrs eine zentrale Herausforderung für die
Kioto-Nachfolgeverhandlungen, Kioto II, sein muss.
({2})
Wir können aber nicht so lange warten, sondern wir
müssen schon in der Zwischenzeit Maßnahmen ergreifen. Es muss mit der wirklich unerträglichen steuerlichen Privilegierung des Flugverkehrs im Vergleich zu allen anderen Transportträgern Schluss sein:
({3})
Stichworte sind hier die Mehrwertsteuerbefreiung im europäischen Flugverkehr bzw. die Kerosinsteuerbefreiung. Das ist im Sinne eines guten Klimaschutzes ökologisch einfach nicht akzeptabel. Wir müssen dafür sorgen,
dass es hier zu einer - möglichst europaweiten - Lösung
kommt. Ich unterstütze ausdrücklich den Vorstoß von Finanzminister Eichel in diesem Zusammenhang, sage
aber gleich dazu: Das sollte keine Ausrede dafür sein,
dass wir wieder zehn oder 20 Jahre darüber reden, bis
auch der letzte europäische Nationalstaat mitmacht. Ich
plädiere sehr wohl dafür, mit den Ländern, die den größten Anteil am Flugverkehr haben, bilaterale oder multilaterale Verträge zugunsten einer wirkungsvollen Besteuerung zu schließen.
Es bleibt aber bei dem, was der Beirat für globale
Umweltfragen ausgeführt hat - das ist eine positive Vision und meine Hoffnung -: Ein globales Gut wie Luft
muss global geschützt werden. Deswegen müssen wir
diesen Bereich mit Kioto II in den globalen Emissionshandel einbeziehen. Die auf dem Wege des Emissionshandels erzielten Einnahmen könnten für die Vereinten
Nationen die ersten eigenständigen Mittel sein, mit denen in den Entwicklungsländern Klimaschutzprojekte
gefördert werden. Das wäre wirklich ein Riesenschritt
nach vorne.
({4})
Herr Kollege Hermann, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ich bin am Ende meiner Rede.
Auch der Flugverkehr muss wie alle anderen Verkehrsträger einer gewissen Belastung ausgesetzt werden.
Das heißt, externe Kosten müssen in die Preise des Fliegens eingerechnet werden. Nur auf diesem Wege erreicht
man Effizienzsteigerung und zwingt die Flugwirtschaft
zum Energiesparen. Es muss zudem dafür gesorgt werden, dass unnötige Flugverkehre möglichst vermieden
werden.
Viele Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Staatsminister für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz des Freistaates Bayern,
Dr. Werner Schnappauf.
({0})
Dr. Werner Schnappauf, Staatsminister ({1}):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
möchte aus Sicht eines Landes gerne zum Ausdruck
bringen, dass wir uns mit dem Bund in der Einschätzung
einig sind, dass die globale Erwärmung die größte umweltpolitische Herausforderung unserer Zeit ist. Wir
freuen uns deshalb in den Ländern, im Freistaat Bayern
und in anderen, über das In-Kraft-Treten des Kioto-Protokolls. Wir sind uns auch in der Einschätzung einig,
dass noch mehr getan werden muss, als das Kioto-Protokoll bisher vorsieht; denn der Klimawandel kommt trotz
des Kioto-Protokolls.
Von der Umsetzungsebene der Länder aus betrachtet,
verursacht allein die Klimafolgenanpassung astronomische Kosten. Um nur einen Aspekt herauszugreifen: Um
in Bayern die Hochwassersicherheit zu gewährleisten,
schlagen wir einen Klimafaktor von im Schnitt
15 Prozent auf. Wir haben ein Hochwasserschutzprogramm mit einem Volumen von 2,3 Milliarden Euro aufgelegt.
Auch wenn wir uns in der Grundlinie einig sind, so
will ich doch auf drei Differenzen hinweisen. Zum Ersten passiert zu wenig im internationalen Klimaschutz.
Zum Zweiten fehlt es an einem ganzheitlichen Klimaschutzkonzept des Bundes.
({2})
Zum Dritten vermissen wir eine umfassende Verzahnung
von Wirtschaft und Klimaschutz sowie die umfassende
Einbindung aller gesellschaftlichen Kräfte.
({3})
Lassen Sie mich zu den drei Punkten in der gebotenen
Kürze einige Anmerkungen machen.
Staatsminister Dr. Werner Schnappauf ({4})
Wir müssen uns schon jetzt, kurz nach In-Kraft-Treten des Kioto-Protokolls, daran machen - Kollege Peter
Paziorek hat das deutlich angesprochen -, Kioto plus zu
verwirklichen. Ich war mit dem Herrn Bundesumweltminister und der Kollegin aus Nordrhein-Westfalen bei
den letzten Klimakonferenzen dabei. Wenn man sieht,
wie Abertausende von Delegierten diskutieren und um
Lösungen oder manchmal auch nur Millimeterfortschritte ringen, dann muss man sagen: Das geht im
Grunde zu langsam, um der Herausforderung wirklich
gerecht zu werden.
Deshalb brauchen wir eine parallele Initiative, ein
Kioto plus, um die Hauptemittentenländer, allen voran
die USA, aber auch China, Indien, Brasilien und andere,
einzubeziehen und schnell zu weiteren Reduktionen zu
kommen.
({5})
Das internationale Engagement Deutschlands kommt
mir dabei zu kurz. Frau Kollegin Klug hat hier eben gesagt, sie begrüße, dass Großbritannien den Klimaschutz
im Europäischen Rat und beim G-8-Gipfel nun zum
Topthema mache. Das begrüße ich auch. Wir müssen uns
aber einmal klarmachen, welche Aussage davon ausgeht.
Herr Kollege Loske hat vorhin gesagt: Der Bundestag
war immer voraus. - Sie haben bewusst die Vergangenheitsform gewählt; denn aktuell gibt es international
diese Themenführerschaft nicht mehr. Die haben wir
Großbritannien überlassen.
({6})
In Großbritannien - da möchte ich eine Lanze für den
Bundesumweltminister brechen - ist das Chefsache. Das
setzte Tony Blair auf die Tagesordnung. Selbst die
Queen hat sich dieses Themas angenommen. In Berlin
aber ringt der Bundesumweltminister mit dem Bundeswirtschaftsminister in Sachen Zertifikatehandel, es ringt
Herr Loske mit Herrn Eichel wegen des KfW-Programms - und der Kanzler schaut zu. Das verstehe ich
nicht unter nachhaltiger Politik des Bundes.
({7})
- Frau Hustedt, Sie reden von Scheinheiligkeit. Wo ist
denn die Kernkompetenz der Grünen?
({8})
Zum ersten Mal in der Geschichte Deutschlands haben
wir eine Regierung mit Beteiligung einer so genannten
Umweltschutzpartei. Es ist aber kein Ruhmesblatt für
die Bundesregierung, wenn sie trotz eines grünen Außenministers und trotz eines grünen Umweltministers
die internationale Meinungsführerschaft bei diesem
Thema Großbritannien überlässt.
({9})
Zum zweiten Punkt: Im eigenen Land - das haben
Klaus Lippold und Frau Kollegin Dött angesprochen verabschiedet sich die Bundesregierung still und leise
von dem seinerzeit für Deutschland formulierten Klimaschutzziel, eine Reduktion um 25 Prozent bis Ende des
Jahres zu erreichen. Es wäre gut gewesen, wenn auch
Deutschland zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des
Kioto-Protokolls ein in sich schlüssiges, ganzheitliches
Klimaschutzkonzept auf den Tisch gelegt hätte.
({10})
Wir diskutieren heute in der Aktuellen Stunde über
Kioto. Parallel sickern einzelne Informationen über die
Medien in die Öffentlichkeit, was in Bezug auf den Klimaschutz in Deutschland angedacht ist. Man möchte
sich vom 25-Prozent-Ziel verabschieden. Eine ganzheitliche Konzeption ist nicht erkennbar. Ich glaube, das ist
eigentlich der Kern des Anliegens, um das es geht. Wenn
es so ist, dass die Klimaerwärmung die größte Herausforderung auch für den Wirtschaftsstandort und die weltweite Entwicklung ist - das haben alle Redner zum Ausdruck gebracht -, dann brauchen wir ein in sich
geschlossenes, ganzheitliches Konzept. Die Bundesregierung hat immer nur einzelne Aktivitäten, einzelne Initiativen entwickelt, aber nichts in sich Stimmiges.
Ich zitiere den Vorsitzenden des Rates für Nachhaltige
Entwicklung, Volker Hauff - Herr Müller, ein Mitglied
Ihrer Partei -, der wörtlich gesagt hat:
Wir vermissen den roten Faden der Nachhaltigkeit
im Alltag des Regierungshandelns.
Auch führende Umweltverbände wie der WWF oder der
BUND haben in ihrem Brief vom 26. Januar einen höheren Stellenwert des Klimaschutzes eingefordert. Frau
Zahrnt, die BUND-Vorsitzende, sagte:
Die Feiern haben einen faden Beigeschmack, denn
der Umweltminister lenkt beständig von den Versäumnissen der deutschen Klimaschutzpolitik ab.
Das alles sind Zitate, die nicht von mir oder der Union,
sondern aus Ihren eigenen Reihen kommen. Sie machen
deutlich, woran es Ihnen fehlt: Anstatt die CO2-Neutralität zur Grundlinie Ihrer Politik und den Klimaschutz
zum roten Faden Ihres Umweltprogramms zu machen,
halten Sie an Ihrer ökoideologischen Ausrichtung - raus
aus der Kernenergie und rein in die Windkraft, koste es,
was es wolle - fest.
({11})
Sie richten Ihre Politik nicht wirklich am Klimaschutz
aus und können damit letztendlich keine ganzheitliche
Politik erreichen.
Kollege Loske wird in der „Frankfurter Allgemeinen
Zeitung“ mit den Worten zitiert:
Staatsminister Dr. Werner Schnappauf ({12})
Beim Thema Stromeinsparung hat die Regierung
noch keine überzeugenden Konzepte vorgelegt.
Man muss sich einmal klar machen, was vor zwei Tagen
in den deutschen Medien verbreitet wurde. Ich zitiere
aus der „FAZ“ von vorgestern:
Die Grünen forderten Bundesverkehrsminister
Manfred Stolpe und Bundeswirtschaftsminister
Wolfgang Clement … auf, möglichst rasch Vorschläge zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms
vorzulegen. „Wir sind schon deutlich in Verzug. …“
({13})
Was ist das für eine Regierung, in der eine Fraktion die
andere über die Medien auffordert, etwas für den Klimaschutz zu tun? Wir wollen, dass etwas geschieht, das
auch in sich schlüssig ist.
({14})
Dritte und letzte Anmerkung: Klimaschutz ist eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Letzten Endes werden wir umso erfolgreicher sein - das haben auch Frau
Homburger und Frau Dött schon angesprochen -, je
mehr wir die gesellschaftlichen Gruppen in unserem
Land für dieses Ziel gewinnen können. Wir haben in
Bayern eine Klimaallianz mit der Wirtschaft und ein Klimabündnis mit dem Bund Naturschutz in Bayern geschlossen. Wir sind gegenwärtig dabei, weitere Verbände, Organisationen und die Kirchen in einen
ganzheitlichen Klimaschutz einzubinden.
Ich meine, dass wir - und zwar Bund und Länder eine abgestimmte und in sich schlüssige Vorgehensweise
brauchen. Dabei ist insbesondere die Energieeffizienz,
vor allen Dingen hinsichtlich der Gebäudesanierung,
bisher vernachlässigt worden.
({15})
Mir kommt es manchmal so vor, als würden die
Schlachten von gestern geschlagen, indem Umweltschutz gegen Wirtschaft und Wirtschaft gegen die Umwelt in Stellung gebracht werden. Aber wenn wir die
Themen angehen, dann kommt es im Grunde genommen
darauf an, Wirtschaft und Umwelt im Zeichen des Klimaschutzes miteinander zu versöhnen,
({16})
indem wir zum Beispiel bei der Gebäudesanierung von
Altbauten neue Wege finden. In Bayern beispielsweise
gehen die Kaminkehrer zurzeit von Haus zu Haus und
geben eine Anstoßberatung für neue Energietechnologien, um damit dem Handwerk einen konjunkturellen
Impuls zu geben und gleichzeitig etwas für den Klimaschutz zu tun.
({17})
Solche Impulse vermisse ich bisher bei der Bundesregierung.
Der Bundesfinanzminister will die Mittel für das
KfW-Programm kürzen. Der Bundesumweltminister
kämpft um Geld. Herr Loske fordert via „FAZ“, das Mittelvolumen zu verdoppeln.
({18})
Das alles ist noch nicht ausgegoren. Wir brauchen eine
in sich schlüssige Politik, die sich durchgängig am Leitbild nachhaltiger Entwicklung orientiert. Solange Sie,
wie es eben der Fall war, bilateral zwischen den Fraktionen von Rot und Grün diskutieren, tritt Deutschland im
Klimaschutz auf der Stelle.
({19})
Entfesseln wir die Kräfte: Geben wir Anreizprogramme, um Wirtschaft und Umwelt einen Schub zu geben, damit wir auch im internationalen Klimaschutz wieder die Meinungsführerschaft übernehmen!
({20})
Das Wort hat jetzt der Kollege Professor von
Weizsäcker von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren!
Herr Minister Dr. Schnappauf, als ein Vertreter der rotgrünen Abgeordneten bin ich Ihnen sehr dankbar, dass
Sie uns Umweltschützern für die Durchsetzung ehrgeiziger Ziele Rückendeckung geben.
({0})
Sie haben den Klimaschutz mit Recht als größte Herausforderung bezeichnet.
Sie haben mit Recht an die Aufforderung einer CO2Minderung um 25 Prozent gegenüber 1990 erinnert,
Herr Dr. Paziorek. Das entspricht etwa einer Reduktion
um 100 Millionen Tonnen. Als aber unser Umweltminister für den Allokationsplan eine Minderung von 5 Millionen Tonnen bis 2007 gefordert hat, war die konservative
Opposition dagegen, weil ihrer Meinung nach der Schaden für die Wirtschaft zu groß wäre.
({1})
Lassen wir das beiseite. Ich meine auch, dass wir an
dieser Stelle über die Parteigrenzen hinweg zusammenstehen müssen. Das Thema ist - insbesondere für die
Entwicklungsländer - viel zu ernst.
Ich begrüße es, dass Tony Blair die Initiative ergriffen
hat. Er hat mir die Ehre angetan, in einer internationalen
Klima-Taskforce mitzuarbeiten, die versuchen sollte, für
ihn bzw. für seine G-8- und EU-Präsidentschaft die Leitlinien der Klimapolitik unter Einbeziehung der Amerikaner und Australier zu entwerfen. Die Vorsitzenden waren
eine republikanische Senatorin aus den USA und der
ehemalige Minister aus dem Vereinigten Königreich
Stephen Byers. Er hat bei der Vorlage des Berichts vor
ein paar Wochen gesagt: Wir haben noch ein Zeitfenster
von ungefähr zehn Jahren, innerhalb dessen wir die Umorientierung organisieren müssen, weil es sonst zu spät
sein kann. Es ist also außerordentlich ernst und eilig.
In diesem Zusammenhang kann ich Herrn
Dr. Paziorek nur zustimmen, wenn er darauf hinweist,
dass wir dringend an Kioto plus arbeiten müssen. Dabei
müssen die Entwicklungsländer, insbesondere die großen, einbezogen werden. Das ist Gegenstand unserer
Empfehlungen an Tony Blair und übrigens die Voraussetzung dafür, dass die Amerikaner mitmachen. Schon
vor Kioto hat der amerikanische Senat einstimmig den
Beschluss gefasst, dass die Amerikaner erst mitmachen,
wenn die Entwicklungsländer mit im Boot sind. Es ist
also zwingend nötig, dass wir dafür sorgen. Ich bin
durchaus bereit, dafür die flexiblen Instrumente, die Sie
immer fordern, stärker zu betonen. Das darf nicht strittig
sein.
Wir müssen zudem darüber nachdenken, wie wir die
USA verlocken können, mitzumachen, damit sie nicht
weiterhin auf solche törichten und falsch liegenden Klimaforscher wie Linzen hören. Dafür haben wir uns drei
Punkte ausgedacht. Der erste betrifft den Bau effizienterer Autos. Der Toyota Prius, der nur noch rund 3,5 Liter
benötigt, ist im Moment in Kalifornien der Verkaufsrenner. Der zweite Punkt betrifft die Gewinnung von Energie aus Biomasse. Nicht nur die europäischen, sondern
auch die amerikanischen Bauern blicken mit Sorge auf
die gegenwärtige Welthandelsrunde, weil sie befürchten,
dass sie irgendwann die Welt nicht mehr mit Mais und
Weizen überschwemmen können. Sie hoffen deshalb,
mehr Energie aus Biomasse zu verkaufen. Warum eigentlich nicht? Des Weiteren darf nicht strittig sein, dass
in gewissem Umfang auch ein effizienterer Kohleeinsatz
- beispielsweise in GuD-Kraftwerken - ein Beitrag zum
Klimaschutz sein kann.
Das alles sind Angebote an die Amerikaner, um zumindest ansatzweise zu einer Einigung über Kioto plus
zu kommen. Das wird aber noch nicht genügen. Uli
Kelber hat im Grunde genommen die richtigen Worte
dazu gesagt. Wenn wir, wie es Tony Blair nun verlangt,
bis 2050 die CO2-Emissionen um 60 Prozent reduzieren
und gleichzeitig eine Verdreifachung des Wohlstandes
auf der Erde erreichen wollen, dann ist dafür eine technologische Revolution notwendig, nicht weniger.
({2})
Um eine solche Revolution in Gang zu setzen, müssen
heute die Weichen gestellt werden. Das geht natürlich
nur zusammen mit den Entwicklungsländern und den
USA. Als technologischer Optimist freue ich mich auf
diese gigantische technologische Herausforderung.
Die deutsche Wirtschaft muss sehr aufpassen, dass
uns die Japaner und die Chinesen nicht davonlaufen und
mit relativ ehrgeizigen Grenzwerten den Import von
deutschen Waren unmöglich machen. Das geschieht ja
gerade. Wir müssen uns als Europäer, und insbesondere
als Deutsche, gewaltig anstrengen, um eine Spitzenstellung in dieser technologischen Revolution zu erreichen.
Irgendwann wird es das Signal von Wall Street geben:
Wir dürfen es nicht zulassen, dass uns die Asiaten und
die Europäer davonrennen. Dann haben wir sie alle im
Boot.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat jetzt der Kollege Holger Haibach von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr von Weizsäcker, es ist zwar richtig, dass wir
unsere Zustimmung zu einer Reduzierung der CO2Emissionen im Rahmen des Nationalen Allokationsplans
verweigert haben. Aber Sie haben leider vergessen, hinzuzufügen - das passt ein wenig zu dem, was Herr
Hermann gesagt hat -, dass wir unsere Zustimmung deshalb verweigert haben, weil wir eine Reduzierung allein
im Bereich der Wirtschaft ohne Berücksichtigung der
anderen Bereiche für nicht sinnvoll halten.
({0})
Herr Minister Schnappauf hat zu Recht darauf hingewiesen, dass das nicht gegen, sondern nur mit der Wirtschaft
funktionieren kann, Herr Hermann. Das müssen wir an
dieser Stelle einmal feststellen.
({1})
Leider habe ich den Eindruck, dass Sie nicht bereit
sind, diesen Fehler irgendwann einmal zu korrigieren,
zumindest wenn man dem glauben darf, was nun zum
Thema „nationales Klimaschutzprogramm“ durchsickert. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten die „Berliner Zeitung“ vom 11. Februar dieses Jahres, wonach es
dort heißt:
Ohne eine Trendwende bei den Emissionen der
Energiewirtschaft bestehe die Gefahr, „dass die Erreichung des nationalen Klimaschutzziels … - trotz
der bereits vorliegenden klimaschutzpolitischen Erfolge - verfehlt wird“.
Wenn Sie das wieder nur auf den Bereich Wirtschaft
fokussieren, werden Sie dieses Ziel natürlich nicht erreichen. Das kann man schon heute absehen.
({2})
Natürlich sind wir alle froh darüber, dass das KiotoProtokoll in Kraft getreten ist. Wir sind selbstverständlich auch den CDU-Umweltministern Klaus Töpfer und
Angela Merkel sehr dankbar, dass sie es an entscheidender Stelle mit vorangetrieben haben. Ich glaube, das darf
man bei dieser Gelegenheit, ohne Selbstüberschätzung
oder Arroganz vorgeworfen zu bekommen, durchaus
einmal ganz deutlich sagen.
({3})
Aber bei aller Freude bleibt die Frage: Wie geht es
weiter? Dazu ist sehr viel gesagt worden: Wir müssen
die USA mit ins Boot bekommen - gar keine Frage. Wir
brauchen die Schwellenländer - überhaupt keine Diskussion. Wir brauchen auf jeden Fall auch ein Land wie
China. Denn wir können uns hier - Entschuldigung,
wenn ich das so deutlich formuliere - abzappeln, wie wir
wollen: Wenn wir ein Land wie China nicht für die Mitarbeit an diesem entscheidenden Punkt gewinnen, können wir hier zwar sehr lange Vorreiter spielen, aber es
wird uns insgesamt nichts nutzen. Deshalb ist die Frage,
wie Deutschland sich in diesem Bereich verhält, ganz
entscheidend. Wer immer die Vorreiterrolle spielt und
immer vorausschaut, der sollte ab und zu auch nach hinten sehen, um festzustellen, ob überhaupt noch jemand
folgt. Ich glaube, das ist in diesem Zusammenhang eine
ganz wichtige Feststellung.
({4})
Es gehört auch eine konsistente Politik der Bundesregierung dazu. Wenn ich mir die Instrumente anschaue,
die uns beim Klimaschutz und bei der Umweltpolitik zur
Verfügung stehen, bin ich doch ziemlich weit davon entfernt, zu glauben, das sei alles sehr konstistent. Die drei
Instrumente TEHG, EEG und Ökosteuer wirken sehr unterschiedlich und zum Teil sogar gegensätzlich.
Weil Sie, Herr Kelber, immer sagen, wir hätten keine
Ideen und keine Konzepte, frage ich Sie: Von wem
stammte denn der Vorschlag, bei diesen Gesetzen eine
zeitliche Befristung vorzusehen, damit man sie vernünftig aufeinander abstimmen kann, wenn wir wissen, wie
sie wirken?
({5})
Das war doch unser Vorschlag, nicht Ihrer. Sie haben
sich diesem Vorschlag verweigert und deshalb müssen
Sie jetzt die Konsequenzen tragen.
({6})
Jetzt hören wir von Neuigkeiten des Bundesumweltministers zum Klimaschutzprogramm. Herr Kelber hat
gesagt, wir würden immer nur das Falsche zitieren. Ich
kann gern noch ein bisschen nachlegen. Der Rat für
Nachhaltige Entwicklung hat gesagt:
Die Energiepolitik des Bundes ist ohne konsistentes
Konzept, insbesondere im Hinblick auf die CO2Vermeidung.
Wir können natürlich auch den Brief der Umweltverbände nehmen, in dem steht:
Der Experte des BUND kritisiert: Rot-Grün kehrt
die eigenen Ziele unter den Teppich.
({7})
Wenn ich an Ihre Vorstellungen zum Klimaschutzprogramm denke, dann wundert mich das, ehrlich gesagt,
kein bisschen. Wenn alles, was wir zurzeit lesen, wahr
ist - ich zitiere jetzt aus der „Berliner Zeitung“ -, beantwortet sich die Frage, wo welche Verantwortung liegt,
von selbst. Dort steht beispielsweise: „Die Sanierung der
Altbauten ist nicht vorangetrieben worden.“ Wir haben
von Frau Hustedt heute wieder gehört, dass da etwas
passiert. Statt Ankündigungen würde ich tatsächlich
gern einmal Taten sehen.
({8})
Als weiterer Grund wird in diesem Zusammenhang
die Verzögerung der LKW-Maut erwähnt. Diese Verzögerung können Sie uns wirklich nicht vorwerfen. Fragen
Sie einmal Herrn Stolpe, wer das verursacht hat.
Weiter heißt es, die Förderung der umweltschonenden
Kraftwerke aus KWK habe nicht die Erwartungen erfüllt. Diese Förderung hat Frau Hustedt heute hier noch
so gelobt.
Ich kann insgesamt nur sagen: Die Politik von RotGrün in diesem Bereich ist mehr als inkonsistent
({9})
und genau aus diesem Grund werden wir das Ziel nicht
erreichen. Das werden wir ändern, wenn wir 2006 die
Regierung übernehmen.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister Jürgen
Trittin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat
ist es erfreulich, dass dieses Kioto-Protokoll in Kraft getreten ist. 141 Staaten haben sich nicht aufhalten lassen,
auch nicht von dem Powerplay eines großen Staates, und
haben sich dazu verabredet, einen völkerrechtlich verbindlichen Deckel auf die Treibhausgasemission zu packen.
Ich bin dankbar, lieber Herr Kollege Lippold, dass Sie
an dieser Stelle mit dem gebotenen Nachdruck darauf
verwiesen haben, dass die Grundlagen, die die Klimawissenschaftler - darunter auch viele deutsche Klimawissenschaftler - bisher für diesen gemeinsamen Konsens erarbeitet haben, anders als in diesen Tagen vielfach
dargestellt natürlich nicht irrtums- und fehlerfrei sind.
Fehlerfreiheit kann es in der Wissenschaft gar nicht geben.
Aber eines müssen wir an dieser Stelle festhalten
- ich bin dankbar, dass Sie die Wissenschaftler in Schutz
genommen haben -: Beispielsweise hat vor zehn Jahren
niemand den heutigen Zustand der Alpengletscher prophezeit; man ist immer von einem längeren Zeitraum
ausgegangen. Kaum jemand hätte prophezeit, dass der
Abschmelzungsprozess an den Polkappen so schnell
voranschreitet, wie es der Fall ist. Ich muss die weltweite
Klimawissenschaft an dieser Stelle vor dem Vorwurf, sie
habe übertrieben, in Schutz nehmen. Feststellen lässt
sich lediglich - auch das ist aber nicht als Vorwurf gemeint -: Sie und wir alle haben diese Entwicklung eher
unterschätzt.
Vielleicht hätten Sie nicht diese Tonalität vorgeben
sollen: Dass Sie die Umweltverbände zitieren, ist für
beide, für die Zitierenden wie für die Zitierten, peinlich.
({0})
Was den Emissionshandel angeht: Ich habe Ihren
Antrag vermisst, im Rahmen des Emissionshandels das
umzusetzen, was Sie mit den 25 Prozent jetzt rühmen.
Würde dies umgesetzt, hätten wir nicht 503 Millionen
Zertifikate verteilen dürfen, sondern nur 415 Millionen
Zertifikate. Stattdessen hat die Union vorgeschlagen, die
Höchstzahl der zu bewilligenden Zertifikate um 20 Millionen zu erhöhen.
({1})
Jetzt sagen Sie: Das wäre aber gemein; man müsste
das zusammen mit der Wirtschaft machen. Ich muss
Ihnen einen kleinen Hinweis geben: Nachdem das
Kioto-Protokoll in Kraft getreten ist - Sie haben das mit
ratifiziert -, haben wir nur noch 846 Millionen Tonnen
CO2 zu verteilen. Wenn 20 Millionen Tonnen mehr an
die Wirtschaft verteilt werden, dann heißt das, dass die
privaten Haushalte und der Verkehr nicht, wie wir vorgeschlagen haben, 7 Millionen Tonnen - der Bundestag hat
beschlossen: 9 Millionen Tonnen - einzusparen haben,
sondern 27 Millionen Tonnen bzw. 29 Millionen Tonnen. Ich möchte gerne einmal hören, wie Sie die zusätzlichen Einsparungen der Privaten zugunsten der Wirtschaft finanzieren wollen. Wie wollen Sie das den
Bürgern und insbesondere den Autofahrern erklären, lieber Herr Kollege? Schweigen im Walde!
({2})
Ich höre, wir sollten uns mehr um Energieeffizienz
und Gebäudesanierung kümmern. Warum sind denn in
Deutschland seit Jahren zum Beispiel die Verkehrsemissionen rückläufig? Hat das vielleicht etwas mit der Ökosteuer zu tun? Womit wird denn das CO2-Gebäudesanierungsprogramm mit jährlich 360 Millionen Euro - das
ist ein Vielfaches dessen, was zu Ihren Zeiten im Haushalt vorgesehen war - bezahlt? Mit den Einnahmen aus
der Ökosteuer!
({3})
Bayern sagt: Zusätzlich muss man etwas für die Energieeffizienz tun. Sie haben ein Problem. Ich erinnere
mich noch sehr genau daran - ich bin schon länger im
Amt -, dass Bayern zugunsten der bayerischen Ziegeleibesitzer zwei Jahre lang im Bundesrat versucht hat, die
Energieeinsparverordnung zu blockieren.
({4})
Ich höre, wir sollten uns um CO2-Neutralität bemühen. Wer aus Ihren Reihen, also aus den Reihen von
CDU und CSU, hat denn als Einziger für das Erneuerbare-Energien-Gesetz gestimmt? Das war ein bayerischer Abgeordneter; das stimmt. Aber er war der Einzige! Jetzt sagen Sie: Wir müssen mehr tun; aber das
Gesetz, auf dessen Grundlage bis 2010 80 Millionen
CO2 eingespart werden - so sieht es das Kioto-Protokoll
vor -, blockieren und bekämpfen wir nach Kräften. Der
Versuch, die Koalition umweltpolitisch zu überholen,
wenn man gleichzeitig mit beiden Füßen auf der Bremse
steht, geht schief.
({5})
Angesichts des Tages sage ich: Es wäre gut, wenn wir
uns über die Zielsetzung verständigen könnten. Herr
Kollege Schnappauf, ich habe durchaus zur Kenntnis genommen, wie wir an dieser Stelle in Buenos Aires gemeinsam agiert haben. Wenn es härter wird, muss man
aber auch zu diesen Zielsetzungen stehen. Wenn wir sagen: „Wir müssen verhindern, dass die 2-Grad-Grenze
überschritten wird“, wenn wir das gemeinsam erreichen
wollen, wenn wir sagen: „Eine Kohlenstoffkonzentration
von 550 ppm soll verhindert werden“, dann müssen wir
uns doch gemeinsame Ziele setzen. Angesichts dessen
hätte ich von Ihnen von der Opposition erwartet, dass
Sie die Position unterstützen, die Bayern in Buenos
Aires eingenommen hat, nämlich: Im Grundsatz ist der
Weg, den die Bundesregierung geht, richtig. Die Bundesregierung sagt: Liebe Europäische Union, mach ein
Angebot an die Völkergemeinschaft, selbstverständlich
mit Blick auf die Schwellenländer, selbstverständlich
auch unter Einbeziehung der USA, ein Angebot dazu,
wie wir im Klimaschutz weitergehen wollen.
Wenn man der Auffassung ist, dass bis zur Mitte dieses Jahrhunderts weltweit 50 Prozent eingespart werden
müssen, dann ist es angesichts der Pro-Kopf-Emissionen
in Europa, angesichts der gesamten Entwicklung sinnvoll, zu sagen: Europa realisiert eine Senkung um
30 Prozent. Hierzu kann Deutschland als ein Land, das
für sich beansprucht - darüber besteht offensichtlich Gemeinsamkeit -, eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz
einzunehmen, einen Beitrag leisten, indem es bis 2020
um 40 Prozent reduziert. Das wäre eine angemessene
Unterstreichung des Konsenses, den wir in diesem Haus
beim Klimaschutz haben und, wie ich finde, auch weiter
haben sollten.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Michael Müller von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, Kioto
ist unzweifelhaft ein wichtiger Schritt, und zwar deshalb,
weil wir mit Kioto zu einer systematischen und regelmäßigen Bewertung der Klimaentwicklung und der Reduktionsziele kommen.
({0})
Aber richtig ist auch - das muss man ebenfalls sehen -:
Kioto ist noch kein Durchbruch. Das wird schon anhand
weniger Zahlen deutlich.
Trotz des Kioto-Protokolls, in dem für die Industriestaaten eine Reduktion um 5,2 Prozent vorgesehen ist,
wird in den Industriestaaten insgesamt bis zum
Jahr 2010 die Menge der CO2-Emissionen um 11 Prozent steigen. Richtig ist auch, dass es insbesondere in
Entwicklungs- und Schwellenländern bis zum Jahr 2010
sogar einen Zuwachs um 50 Prozent geben wird. Allein
in den USA und Australien - es geht jetzt wieder um die
Industriestaaten - wird mit einem Zuwachs um
34 Prozent gerechnet.
Das sind verheerende Zahlen. Das zeigt, wie wichtig
das Kioto-Protokoll ist. Das zeigt aber auch, dass unverändert ein eklatanter Widerspruch zwischen dem besteht,
was wir in der Zwischenzeit an Zukunftswissen erworben haben, und dem, wie wir darauf reagieren. Dass dieser Widerspruch weltweit existiert, ist unverantwortlich.
({1})
Hier wird zu Recht sehr viel davon geredet, welche
volkswirtschaftlichen Schäden durch Klimaänderung
entstehen können. Wir haben beispielsweise die Zahlen
der Münchener Rück, nach denen sich innerhalb von
drei Jahrzehnten die Zahl der ökologischen Großkatastrophen verdreifacht hat und die Schäden entsprechend
zugenommen haben. Ich glaube, dass diese Betrachtung
noch viel zu kurz greift. Aus meiner Sicht gilt - das ist
der eigentliche Punkt -: Wenn wir die ökologische Herausforderung der Klimaänderung nicht in den Griff bekommen, ist das eine demokratiegefährdende Entwicklung.
({2})
Wenn diese Entwicklung so weitergeht - man muss
sehen, dass Klimaänderungen Jahrzehnte Vorlauf haben,
das heißt, wenn sie eintreten, sind sie kurzfristig gar
nicht mehr zu stoppen, sondern sie werden sich noch
verstärken -, werden wir irgendwann einen Punkt erreichen, an dem die Maßnahmen so einschneidend sein
müssen, dass sich die Frage stellt, ob sie mit demokratischen Mitteln überhaupt noch durchsetzbar sind. Das ist
eine Riesengefahr. Umso wichtiger ist das, worüber wir
heute sprechen, nämlich dass Länder eine Pionier- bzw.
Vorreiterrolle einnehmen.
Angesichts dessen finde ich das plumpe Reinwaschen
von Herrn Schnappauf und anderen, die hier in der Debatte geredet haben, nur peinlich.
({3})
Wir können ruhig in die Vergangenheit schauen. Wir haben beispielsweise zwischen 1998 und 2002 hier im
Bundestag 18 größere Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen beschlossen. Gegen alle 18 hat die Opposition
gestimmt.
({4})
Trotzdem halte ich es für unsinnig, auf diesem Punkt herumzureiten. Ich will es gar nicht.
({5})
- Sie sollten in dieser Frage erst recht still sein. Ihre
Rede war genauso angelegt. - Vielmehr stelle ich mir die
Frage, wie wir diesen Widerspruch zwischen Wissen und
Handeln beseitigen können.
({6})
Vor dem Hintergrund, dass für mich Politik nicht nur etwas mit dem Vertreten von Parteiinteressen zu tun hat,
sondern Politiker auch insgesamt Verantwortung wahrzunehmen haben, stelle ich mir die Frage, wie dieser
eklatante Widerspruch beseitigt werden kann. Das ist für
mich die Schlüsselfrage. In diesem Zusammenhang will
ich auf drei Punkte eingehen:
Erstens. Ich glaube, dass die sich aus der heute vorherrschenden ökonomischen Ordnung, die auf das Verkünden von ökonomischen Erfolgen in Quartalsberichten ausgelegt ist, ergebende Kurzfristigkeit nicht mit
einer ökologischen Modernisierung vereinbar ist. Ökologische Modernisierung muss von einer langfristig angelegten, verantwortungsbewussten und berechenbaren
Politik über einen längeren Zeitraum getragen werden.
Die derzeitige Ökonomie ist kurzfristig angelegt und
wirkt im Grunde genommen substanzauszehrend.
({7})
Sie steht also im Gegensatz zu einer ökologisch ausgerichteten Politik. Das heißt, Klimaschutz muss auch den
Kampf für eine Veränderung der ökonomischen Prinzipien beinhalten, sonst ist er nicht durchsetzbar.
({8})
Deshalb ist die Kurzformel, Ökonomie und Ökologie
sollen sich versöhnen, falsch. Zuerst muss sich nämlich
die Ökonomie verändern. Das ist ein ganz entscheidender Punkt, der in der Regel nicht genannt wird.
({9})
Michael Müller ({10})
Ich halte noch einen zweiten Punkt für wichtig: Solange das Grundprinzip der Globalisierung darauf ausgerichtet ist, Ungleichheiten auszunutzen, also indem
Sozial- und Umweltdumping als vorteilhaft im Konkurrenzkampf angesehen werden, ist Klimaschutz nicht
möglich. Auch das muss man sagen.
({11})
Es ist unverantwortlich, wenn man nicht eine Wirtschaftspolitik betreibt, die beispielsweise durch eine
europäische Regionalisierung ein Gegengewicht zum
plumpen Ökonomismus, der die Umwelt zerstört, bildet.
Ich will noch auf einen dritten Punkt eingehen: Klimaschutz muss in einer multilateralen Welt stattfinden.
Wenn alles auf der Welt von ökonomischer und militärischer Stärke abhängig ist, so wie das heute der Fall ist,
wird Klimaschutz nicht möglich sein.
All diese Punkte, die ich heute hier genannt habe,
kommen aus meiner Sicht jedoch in der ökologischen
Diskussion zu kurz. Es bringt nichts, wenn wir alle immer wieder die Ziele wiederholen, über die wir uns im
Grunde genommen einig sind; in der Enquete-Kommission bestand über sie ja Einigkeit. Der entscheidende
Punkt ist, wie man unter veränderten ökonomischen und
politischen Rahmenbedingungen Handlungsspielräume
schaffen kann, damit diese auch durchsetzbar sind. Das
ist die Frage, die zu wenig thematisiert wird, die wir
aber, wie ich finde, immer wieder thematisieren müssen.
({12})
Entscheidend ist also - lassen Sie mich das zum Abschluss sagen -, ob wir in Deutschland und in Europa die
Kraft haben, ein Gegenmodell zu diesem plumpen Ökonomismus, der die letzten 20 Jahre geherrscht hat, zu
entwerfen, nämlich eine sehr viel stärker ökologisch ausgerichtete Wirtschaftspolitik. Die, wie ich finde, selbstzerstörende Ökonomie der Kurzfristigkeit berücksichtigt
nämlich die Interessen und Bedürfnisse künftiger Generationen überhaupt nicht und kann das auch gar nicht.
Auf diese Weise muss für eine Veränderung des Denkens
und Handelns gesorgt werden. Sonntagsappelle, für die
wir alle uns nichts kaufen können, reichen nicht.
Vielen Dank.
({13})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 sowie Zusatzpunkt 6 auf:
5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Beckmeyer, Reinhold Robbe, Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Rainder Steenblock,
Michaele Hustedt, Albert Schmidt ({0}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Maritimen Standort Deutschland stärken - Innovationskraft nutzen
- Drucksache 15/4862 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({1})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten HansMichael Goldmann, Horst Friedrich ({2}),
Jürgen Koppelin, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Seeschifffahrt und Küstenschutz in Deutschland stärken
- Drucksache 15/4847 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({3})
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Uwe Beckmeyer von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die maritime Wirtschaft in Deutschland ist ein
hightechorientierter Wirtschaftszweig mit erheblicher
Innovationskraft. Sie hat auf die Wirtschaftskraft unserer
Nation insgesamt und auf die Wettbewerbsfähigkeit
Deutschlands großen Einfluss.
Das von Bundeskanzler Gerhard Schröder ins Leben
gerufene maritime Bündnis hat sich in den vergangenen
fünf Jahren zu einem in höchstem Maße effektiven
strukturpolitischen Instrument für die gesamte maritime
Wirtschaft entwickelt. Der Bundeskanzler hatte Recht,
als er jüngst auf der Vierten Nationalen Maritimen Konferenz in Bremen sagte:
Wir müssen die maritime Wirtschaft aus der „Ecke
der Bescheidenheit“ herausholen. Wir müssen deutlich machen, welche Wirtschaftskraft … welche
Perspektiven und Entwicklungen für unsere und für
die europäische Volkswirtschaft darin stecken …
({0})
Kaum ein anderer Wirtschaftszweig muss sich in gleichem Maße einem so beinharten globalen Wettbewerb
stellen wie die maritime Wirtschaft. Deswegen setzen
wir uns mit allen Mitteln dafür ein, internationale
Wettbewerbverzerrungen, aber auch Harmonisierungsdefizite auf europäischer Ebene abzubauen, und zwar
unter Ausnutzung aller nationalen Handlungsspielräume. Das gilt für die Seeschifffahrt ebenso wie für die
deutsche Werftindustrie, die Meerestechnik und die Seehafenwirtschaft.
272 Millionen Tonnen haben die deutschen Seehäfen
in 2004 umgeschlagen, eine Rekordzahl. Das ist ein Umschlagsplus von 8 Prozent. Rund 300 000 Arbeitsplätze
hängen direkt oder indirekt an der deutschen Seeschifffahrt. Anders gesagt: Die deutschen Häfen sind mit ihrer
Verkehrsdrehscheibenfunktion Wachstumsbranche und
Jobmaschine zugleich.
({1})
In Bremen haben die Konferenzteilnehmer Ende Januar eine umfassende Bestandsaufnahme der deutschen
Seehafenwirtschaft geleistet und konkrete Handlungsempfehlungen für Bund und Länder vorgelegt. Das Ziel
ist klar benannt: Es geht um die weitere Stärkung des
maritimen Standortes als wesentlicher Beitrag zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft.
Mit der Osterweiterung der EU eröffnen sich enorme
Chancen. Dies setzt jedoch voraus, dass die Weichen bereits jetzt richtig gestellt werden. Was wir brauchen, ist
eine nationale Offensive zur Förderung der maritimen
Verbundwirtschaft mit all ihren Potenzialen.
Die Hafenpolitik ist kein regionales norddeutsches
Thema. Die Häfen sind im interkontinentalen Warenaustausch die Schnittstelle zwischen Land- und Seeverkehr.
90 Prozent der Waren, die wir exportieren, gehen über
unsere Häfen. Der Frankfurter Flughafen kann das mit
den Cargoleistungen bei weitem nicht schaffen; ich
glaube, er schafft insgesamt gerade einmal 5 Prozent.
Für die vom Außenhandel abhängige deutsche Volkswirtschaft sind unsere Häfen daher unverzichtbar. Sie
liefern in hohem Maße einen Beitrag zu Beschäftigung
und Wertschöpfung.
Wir brauchen Harmonisierung. Das haben wir in unserem Antrag ausführlich dargelegt. Aber wir brauchen
auch ein klares Bekenntnis bezüglich der seeseitigen wie
auch landseitigen Zufahrten zu unseren Häfen. Wir haben im Bundesverkehrswegeplan 2003 dazu 15 Einzelprojekte aufgeführt. Diese müssen wir nun zügig voranbringen.
({2})
Hinsichtlich der Standortbedingungen für unsere Häfen insgesamt und der Wettbewerbsfähigkeit müssen wir
die zukünftige Entwicklung sehr genau beobachten. Wir
werden ja nachher noch über die Kommissionsvorschläge zu Port Package II beraten, die für uns völlig inakzeptabel sind. Dabei werden wir auch die Fehlleistungen der Union bei der Einschätzung von Port Package II
entsprechend würdigen.
({3})
Gleichwohl ist wichtig, dass für Deutschland eine
einheitliche Position herbeigeführt wird. Der Schifffahrtsstandort Deutschland boomt. Deutsche Reeder disponieren vom deutschen Standort aus zurzeit 2 580 Handelsschiffe mit rund 41 Millionen Bruttoregistertonnen
modernster Tonnage. Die Steigerung des Umsatzes beträgt 15 Prozent, was beachtlich ist.
Ich denke, eines ist klar geworden: Wir müssen uns
national gut aufstellen und ein maritimes Bündnis auf
die Beine stellen, das Wachstumspotenziale freisetzt.
Diese Potenziale brauchen wir, um auch in dieser Branche wieder zu den führenden Ländern zu gehören. Das
ist für die Standorte an der Küste und letztendlich auch
für die Beschäftigung und für den Finanzplatz Deutschland wichtig.
({4})
Ein Wort zu den Werften. Wir haben es mit einer sehr
modernen und sehr leistungsfähigen Branche zu tun.
2003 wurden Aufträge im Werte von 3,6 Milliarden
Euro angenommen. Für das Jahr 2004 betrug die Höhe
des Auftragsvolumens geschätzte 3,4 Milliarden Euro.
Dies ist ein sehr guter Beweis dafür, dass sich unsere
Werftindustrie - dank der Kostensenkungsprogramme am Markt behaupten kann. Sie zeichnet sich durch technologische Exzellenz und vor allen Dingen durch eine
hohe Produktqualität sowie Termintreue und Flexibilität
aus. Daher ist sie auf dem Weltmarkt gut aufgestellt.
Auch das muss gesagt werden: Wir werden genau beobachten, was auf dem asiatischen Markt weiter passiert.
Wir werden trotz der F-und-E-Förderung und des Auflegens von zusätzlichen Forschungsprogrammen weiter
darauf achten, dass es eine effektive Abwehrstrategie der
Europäischen Union gegen die Subventions- und Dumpingpreispolitik Koreas gibt. Wir werden alles tun, damit
wir von dieser Seite nicht mehr angreifbar sind.
({5})
Ein neues OECD-Schiffbauübereinkommen muss eingefordert werden, damit es möglichst rasch zu fairen Wettbewerbsbedingungen kommt.
({6})
Ich komme zum Schluss. Die „Strategischen Allianz
für die Meerestechnik“, die wir vor Jahren eingegangen sind, hat sich bewährt. Wir werden sie fortführen,
weil sie von den Partnern gebraucht wird. Wir werden
die Meerestechnik einbeziehen und das Short Sea Promotion Center und dessen Aktivitäten weiter unterstützen. Wir werden vor allen Dingen auch die OffshoreWindtechnologie besonders berücksichtigen.
Es lohnt sich, um gute Rahmenbedingungen für diese
Branche zu kämpfen; denn sie schafft viele Arbeitsplätze. Ich denke, die Menschen an der Küste wissen es
zu schätzen, wenn sich der Deutsche Bundestag ganz
energisch hinter diese Branche stellt. Dass wir dies tun,
zeigt unser Antrag, mit dem diese Position umfassend
abgedeckt wird. Wir sagen ganz klar, in welche Richtung
wir in der Zukunft marschieren wollen.
Wir werden geschlossen dafür eintreten, dass die
Branchen an der Küste zukunftsfest werden. Ich möchte
die Union und die FDP einladen, mitzumachen.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Börnsen von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Keine Frage: Die maritime Wirtschaft ist von zentraler
Bedeutung für Deutschland. Unsere Handelsflotte ist
eine der größten der Welt. Sie umfasst rund
2 500 Schiffe, davon aber nur knapp 500 unter nationaler Flagge. Ein Drittel der Weltcontainerflotte stellen
deutsche Reeder.
Auch die Werften unseres Landes mit einem Anteil
von 3,7 Prozent aller Schiffbauländer sind Weltspitze.
Sie garantieren über 20 000 Arbeitsplätze und weitere
70 000 bei den Zulieferern. Die Hafenwirtschaft mit
180 000 Beschäftigten und 200 000 indirekt Tätigen
nimmt eine Schlüsselrolle in der maritimen Verbundwirtschaft ein.
Erfolg, Können, Kreativität und Kompetenz sind
nicht nur in diesen drei Kernbereichen der maritimen
Wirtschaft zu Hause, sondern auch im Management und
bei den Mitarbeitern der Meerestechnik: von der Forschung über die Aquakultur bis hin zur Offshore- und
Polartechnik, zu der Fischwirtschaft und den Ausbildungsstätten.
Hier hat sich in den letzten 25 Jahren eine Vorzeigebranche entwickelt; das stellen wir vonseiten der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion mit Respekt, Dankbarkeit und
Anerkennung fest.
({0})
- Danke schön. Es gilt auch für die FDP.
({1})
Die maritimen Konferenzen, Uwe Beckmeyer, und
die umsichtige Tätigkeit der maritimen Koordinatoren
Axel Gerlach und Georg Adamowitsch haben zu einer
verstärkten Wahrnehmung dieses Wirtschaftszweiges
beigetragen.
({2})
Die politische Basis für die Boombranche maritime Verbundwirtschaft ist vor knapp zehn Jahren hier im Deutschen Bundestag geschaffen worden.
({3})
Ausgehend von einer großen Anfrage der Union und der
FDP zur Zukunft der maritimen Wirtschaft wurde im
Herbst 1996 erstmalig die Thematik maritime Politik
parlamentarisch aufgegriffen und von der Bundesregierung durch die Schaffung eines maritimen Konzeptes
auch umgesetzt. Dies war ohne Frage lange überfällig,
hatte doch die Bündelung der Kräfte bei Luft- und
Raumfahrttechnik gezeigt, welchen Erfolg eine Branche
haben kann, wenn die Politik die Rahmenbedingungen
gezielt verbessert. Schon damals besaß Deutschland
durch die HDW in Kiel, die FSG in Flensburg, die Hamburger oder die ostdeutschen, die vielen mittelständischen Werften einen Technologievorsprung im Schiffbau. Schon damals gehörten die Schiffszulieferer im
Süden unserer Republik zu den besten und günstigsten
Leistungsträgern. Fast 75 Prozent der Wertschöpfung eines Schiffes werden durch Süd- und Mitteldeutschland
geprägt.
Es muss kritisch festgestellt werden, dass die maritime Wirtschaft schon damals nicht ohne öffentliche
Förderung auskam. Das hat sich bis heute nicht geändert, auch wenn sie in Zukunft statt Wettbewerbshilfe
Forschungsförderung heißt. Ohne staatliche Alimentierung wäre der Schiffbau in Deutschland und in Europa
weltweit nicht konkurrenzfähig. Die Ursache dafür liegt
in einer extremen Wettbewerbsverzerrung durch offene
und versteckte nationale Subventionen in den Schiffbauländern. Deshalb ist eine unserer zentralen Forderungen
im Rahmen dieser Debatte: Es muss endlich Schluss mit
dieser Art Politik zugunsten künstlich niedriger Preise
sein. OECD und WTO sind aufgefordert, für weltweit
faire Wettbewerbsbedingungen im Schiffbau zu sorgen.
Die Bundesregierung muss diesen Subventionsabbau
dort zur Sprache bringen, wo er behandelt werden muss,
auch bei den G-7- und G-8-Treffen. Der Bundeskanzler
steht hier also in der Pflicht.
({4})
Bleibt es beim Wettlauf, verliert Deutschland, verliert
Europa. Darauf weist auch der letzte Bericht der EU zur
Lage des Schiffbaus hin. Die europäischen Werften, so
das Fazit des Reports, befinden sich trotz des augenblicklichen Auftragsbooms in der schwersten Krise seit
30 Jahren. Nur noch 5,6 Prozent der weltweit erteilten
Neubauaufträge gingen 2003 an die Schiffbauer in
Europa, aber fast 60 Prozent an Korea; dann folgen Japan und China. Noch sieben Jahre zuvor lagen Korea
und Europa mit einem Marktanteil von 21 Prozent
gleichauf. Weltweit boomt der Schiffbau, aber Europa
und Deutschland liegen immer weiter zurück.
Korea bestreitet Subventionszahlungen. Man verweist
auf eine 44-Stunden-Woche, auf niedrige Löhne und
Lohnnebenkosten und auf bessere Konzepte.
({5})
Dort bezahlen Reeder für einen Transportcontainer ca.
39 Millionen Dollar. Bei uns liegt der Preis für den gleichen Container bei 47 bis 49 Millionen Dollar.
Wolfgang Börnsen ({6})
Die Bundesregierung feiert, wie eben vorgetragen, einen Anteil Deutschlands am Schiffbau von 3,8 Prozent
als Erfolg. Der Ehrlichkeit halber muss man darauf aufmerksam machen, dass dieser Anteil vor neun Jahren
noch doppelt so groß war. Auf diesen Abstieg ohne Ende
hat Frank Teichmüller, der frühere IG-Metall-Vorsitzende des Bezirks Küste, vor wenigen Monaten mit
Sorge hingewiesen. Der Arbeitsplatzabbau im Schiffbau hält weiter an. Allein in den letzten zehn Jahren betrug er über 7 000 Beschäftigte.
Die Werften waren und bleiben Flaggschiff der maritimen Wirtschaft. Um ihre Zukunft zu gewährleisten, benötigen sie mehr Eigenkapital, brauchen wir eine andere
Steuergesetzgebung und muss die Ausbildung von Fachkräften für diesen Bereich forciert werden. Abgesehen
davon müssen sie aus der Schmuddelecke eines Subventionsempfängers heraus.
Schon einmal verhalf die Politik dem Schiffbau in
Deutschland zu neuem Ansehen; das war 1985, also vor
gut 20 Jahren. Damals propagierte ein Bundesforschungsminister namens Heinz Riesenhuber das Projekt
„Schiff der Zukunft“. Der Schiffbau wurde endlich als
Hightechindustrie hoffähig und zu einem Kristallisationspunkt unterschiedlicher Technologien. Wir wollen,
dass diese Schlüsselbranche einschließlich ihrer Zulieferer auch in der Verkehrspolitik faire Rahmenbedingungen erhält.
({7})
Die 4. Maritime Konferenz in Bremen wäre ein passender Anlass gewesen, um zu mehr Klarheit und Perspektive zu kommen. Dazu ist es trotz oder auch wegen
der Kanzlerrede nicht gekommen. Zur aktuellen Frage
der Elbvertiefung antwortete der Bundeskanzler
Gerhard Schröder in Bremen mit einem kräftigen Jein.
Während sein Verkehrsminister Manfred Stolpe zaghaft
für eine Vertiefung von Elbe und Weser eintritt, streiten
Umweltminister Jürgen Trittin und die Bündnisgrünen
vehement dagegen. Dieser Konflikt innerhalb der Regierung lähmt vernünftige Initiativen, verzögert deren Umsetzung und schadet nicht nur Hamburg, sondern der gesamten maritimen Wirtschaft.
({8})
Bei der Seehafenwirtschaft ergibt sich ein ganz ähnliches Bild: Stolpe und Clement wollen freie, transparente Wettbewerbsbedingungen für Häfen, Umweltminister Trittin dagegen setzt mit den Bündnisgrünen auf
ein nationales, staatliches Seehafenkonzept. Der Hafen
soll zum Drehkreuz werden; die anderen arbeiten als Zulieferer oder als Zubringer. Unternehmerische Freiheit
geht damit verloren. Hamburgs Handelskammer spricht
von Hafendirigismus; der Gewinner wäre Rotterdam.
Auch hier geht - zum Nachteil der Häfenentwicklung in
Deutschland - ein Riss quer durch die Regierung.
({9})
Völlig ausgeklammert hat der Bundeskanzler in Bremen die kontroverse Debatte um die Hafenzugangsrichtlinie der EU. Dies ist ein durchaus brisantes Thema, über
das wir nachher noch diskutieren werden.
({10})
Brüssel will die Fastmonopole beim Betrieb von Häfen,
bei der Schiffsabfertigung und bei den Lotsendiensten
aufheben. Dies bringt Hafenarbeiter, Gewerkschaften,
Hafenbetriebe und sogar die sonst so gesitteten Küstenkaufleute auf die Barrikaden. Fünfmal, Uwe Beckmeyer,
hat die Bundesregierung im Ministerrat für diese Hafenrichtlinie gestimmt!
({11})
Jetzt, da der Dampfer sinkt, schleicht man sich aus der
Verantwortung. Das ist falsch, das ist feige, das ist eine
Politik ohne Rückgrat.
({12})
Auch die neue Dienstleistungsrichtlinie der EU, die
seit dem 1. Januar gilt, führt in der gesamten Branche zu
Unruhe. Kein Wort dazu in Bremen vom Bundeskanzler!
In den Häfen wie auf den Werften und den Schiffen befürchtet man Billiglohnkonkurrenz aus Osteuropa.
Schon gibt es erste Anbieter an der Küste aus den neuen
EU-Staaten. An deren heimischen Löhnen und Arbeitsbedingungen, die weit unter dem deutschen Standard liegen, orientieren sich die Angebote. Billiglöhner ersetzen
deutsche Arbeitskräfte - und das bei 5 Millionen Arbeitslosen! Das ist ungerecht, falsch und unverantwortlich, das ist Wasser auf die Mühlen von Radikalen und
das ist ein Armutszeugnis für die Bundesregierung, die
diese Richtlinie maßgeblich mit geschaffen, durchgesetzt und gewollt hat.
({13})
- Nein, ich möchte im Zusammenhang vortragen.
Mehr Courage vom Kanzler haben die Teilnehmer in
Bremen auch zum Thema Rückflaggung erwartet.
Wenn Regierung und Reeder einen Pakt schließen, dann
muss er von beiden Seiten eingehalten werden.
({14})
Wer die Vergünstigungen durch Tonnagesteuer, geringere Lohnzusatzkosten und Ausbildungshilfen für den
Seenachwuchs erhält, der muss auch seine fest zugesagten 100 Schiffsrückführungen unter deutscher Flagge
einhalten und darf es nicht bei 40 belassen.
({15})
83 Prozent der deutschen Handelsschiffe fahren unter
fremder Flagge. Das trifft besonders die Küstenländer,
die dadurch erhebliche Steuerausfälle haben. Als Sachwalter norddeutscher Interessen hat sich der Bundeskanzler damit nicht bewährt. Die gute KaufmannstuWolfgang Börnsen ({16})
gend: „Wer ein Wort gibt, der hält es auch ein“ sollte
auch bei den Reedern wieder zur Selbstverständlichkeit
werden.
({17})
Festzustellen bleibt: Die zusammen mit der FDP von
der CDU/CSU propagierte Tonnagesteuer, die damals
von meinen Kollegen Dirk Fischer und Eduard Oswald
sehr forciert wurde, hat sich nicht nur im Prinzip bewährt, sondern war auch Ausgangspunkt dafür, dass
Hamburg jetzt zum größten Schiffsfinanzierungsplatz
der Welt geworden ist. Das hat zu neuen Arbeitsplätzen
geführt.
Ansonsten sieht die Lage auf dem Arbeitsmarkt in der
maritimen Wirtschaft - das hat Uwe Beckmeyer schon
angesprochen - leider düster aus. Bei der vorgesehenen
Fusion von HDW mit den Werften in Hamburg und Emden fallen mehr als 700 Arbeitsplätze weg. Auch bei Zulieferern gibt es erste Einbrüche. Das ist eine sorgenvolle
Entwicklung.
Das alles geschieht vor dem Hintergrund der größten
Arbeitslosenkrise Deutschlands in der Nachkriegszeit.
Mehr als 5 Millionen Menschen sind ohne Arbeit; Experten sprechen sogar von 5,9 Millionen.
({18})
Diese erschreckende Zahl gilt auch für die Hafenstädte.
Kiel registriert eine Arbeitslosigkeit von 14,4, Bremen
von 19,4 und Lübeck sogar von 20 Prozent. Das regt einen auf! Man kann hier nicht gemütlich sitzen und gelangweilt zusehen, wenn Menschen ohne Existenz sind.
Das ist unerhört!
({19})
So hoch war die Arbeitslosigkeit in Schleswig-Holstein seit 1952 nicht mehr. Da kann man in Rage kommen; das muss man ansprechen. Da muss man für eine
Änderung sorgen. Wöchentlich verlieren wir dort
60 Arbeitsplätze; Deutschland verliert täglich 1 200.
Jahr für Jahr schließen 40 000 Betriebe in Deutschland.
Jahr für Jahr verlagern Betriebe bis zu
50 000 Arbeitsplätze ins Ausland. In Europa sind wir
beim Wachstum Schlusslicht und Spitzenreiter bei den
Schulden.
({20})
Das gilt leider auch für mein Heimatland SchleswigHolstein.
Was machen die anderen - auch in der maritimen Verbundwirtschaft - besser? Die Antwort unserer Nachbarn lautet: weniger bürokratische Auflagen, weniger
staatliche Reglementierung, günstigere Steuer-, günstigere Lohn- und günstigere Arbeitsbedingungen. Es ist
ganz offensichtlich: Die Rahmendaten der deutschen Politik stimmen nicht mehr. Doch wir haben kein Erkenntnisproblem; wir haben ein Führungsproblem - sowohl in
Berlin als auch in Kiel.
({21})
Auf einer Bremer Konferenz hat Umweltminister
Trittin eine neue Offensive für die Windkraft angekündigt. Diese Forderung wiederholt er seit sechs Jahren.
({22})
Er vergisst dabei, dass sich noch kein Windrad auf hoher
See dreht. Seit sechs Jahren warten die Betreiber auf
grünes Licht. Seit sechs Jahren werden sie hingehalten.
1 000 mögliche Arbeitsplätze werden durch dieses Umweltdiktat verhindert. Das ist skandalös.
Bei unseren Nachbarn, in Großbritannien, in Dänemark
und in Schweden, dauern Genehmigungsverfahren zwei
Jahre und nicht wie bei uns sechs bis acht Jahre. Mit dieser Art der Politik stärkt man die maritime Wirtschaft
nicht; mit ihr schwächt man sie. So darf es nicht weitergehen.
Der Antrag von Rot-Grün ist keine Umkehr zu mehr
Klarheit, Konsequenz und Risikobereitschaft. Es fehlen
Fakten und verbindliche Forderungen. Abgesehen davon
brauchen wir eine internationale moralische Perspektive,
der wir alle verpflichtet sind. Die Weltbevölkerung wird
in den kommenden zehn Jahren auf 7 Milliarden steigen.
Herr Kollege, das lässt sich jetzt nicht mehr im Einzelnen darstellen.
Ich komme zum Schluss. - Der Welthandel wird sich
verdoppeln. Trotzdem werden Not, Armut und Hunger
zunehmen, so die Vereinten Nationen. Wir brauchen
mehr Meeresnutzung und eine konkrete Zukunftsvision;
aber verantwortungsbewusst und auf den Menschen ausgerechnet muss sie sein.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Rainder
Steenblock, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Man merkt, dass in Schleswig-Holstein Wahlkampf ist.
({0})
Hier werden bestimmte Interessen bedient.
Was die Menschen von uns im Wahlkampf verlangen,
lieber Kollege Börnsen und liebe Kolleginnen und
Kollegen von der CDU/CSU, ist, dass wir Konzepte dafür haben, wie wir die Probleme, die wir ansprechen, lösen wollen.
Lieber Kollege Wolfgang Börnsen, ich finde, wenn
Sie sich in dieser Situation hier hinstellen, rumnölen und
Wahlkampfsprüche machen, aber keinen eigenen Antrag
einbringen, um die Probleme der maritimen Wirtschaft
in Deutschland zu lösen, ist das in dieser Situation ein
Armutszeugnis für die Opposition.
({1})
Sie sind nicht einmal in der Lage, Ihre Vorstellungen zu
formulieren.
({2})
Oder stimmen Sie unserem Antrag zu? Es ist schon erstaunlich, dass es zu einer so zentralen Frage keinen Antrag von der CDU/CSU gibt.
({3})
Von der SPD liegt zumindest ein Stichwortkatalog vor,
der relativ viele Aspekte beinhaltet;
({4})
aber dazu will ich mich gar nicht äußern.
Es ist wirklich unbestritten, dass die maritime Wirtschaft in Deutschland gerade in den letzten Jahren ein
Erfolgsmodell war.
({5})
Sie ist innovativ. Durch einen Perspektivenwechsel in
vielen Bereichen, auch in der Industriepolitik, kam es zu
einer starken und nachhaltigen Produktion. Durch diese
Innovationen stärkt sie nicht nur die Küste, sondern auch
die deutsche Wirtschaft insgesamt. Das sollten wir sehr
deutlich machen.
({6})
Auf dieses Erfolgserlebnis, lieber Kollege Wolfgang
Börnsen - am Anfang deiner Rede hast du das gesagt -,
würde ich gerne mit dir anstoßen. Wir sollten sehr deutlich sagen, dass das, was in den letzten Jahren an der
Küste erreicht worden ist, ein Erfolg ist.
({7})
Jetzt gilt es, diesen dynamischen Wirtschaftsbereich
nicht schlechtzureden, sondern ihn für die Herausforderungen der Zukunft fit zu machen. Dafür werden Rot
und Grün gemeinsam mit der Bundesregierung, wie in
unserem Antrag aufgezeigt, die notwendigen Weichenstellungen vornehmen.
Die Nachhaltigkeit zeigt sich auch im Schiffbau: Bau
des Doppelhüllentankers auf der Lindenau-Werft, Weltmarktführung im Spezialschiffbau - das ist die deutsche
Werftindustrie. Der Zusammenschluss der deutschen
Werften macht diesen Zweig der Industriepolitik in
Deutschland zukunftsfähig; das muss man einmal sagen.
Durch das, was dort - auch mit Hilfe der Bundesregierung ({8})
geleistet worden ist, und durch das, was bei HDW in
Emden und Hamburg geschehen ist, wurden Arbeitsplätze gesichert. Zwar konnten nicht alle Arbeitsplätze
erhalten werden, aber sie wurden zukunftsfähig gemacht
und gesichert.
({9})
In diesem Bereich des Schiffbaus wollen wir auch
weiterhin Innovationen. Die deutschen Werften - das ist
deutlich geworden - sind nicht nur Weltmarktführer im
Spezialschiffbau, sondern sie sind auch in Europa
Spitze. Den Niedergang der Werftindustrie in Europa,
den es in den letzten zehn bis 15 Jahren gegeben hat, hat
der Standort Deutschland im Vergleich zu den anderen
europäischen Schiffbauländern relativ gut überstanden.
Das hat auch damit zu tun, dass, seit Rot-Grün die Regierung in Deutschland übernommen hat, Hafen, Küste,
Schiffbau und Werften tatsächlich Themen geworden
sind und nicht, wie in der Vergangenheit, vernachlässigt
werden.
({10})
Durch die Windkrafttechnologie haben wir auf den
Werften Tausende neuer Arbeitsplätze geschaffen. Deshalb setzen wir auf die Offshore-Windkrafttechnologie.
Dank unserer Politik ist Deutschland in dieser Technologie weltweit führend. „Renewables made in Germany“
ist ein weltweit anerkanntes Siegel.
({11})
Die Bundesregierung hat mit ihrer Strategie zur Förderung und zum Ausbau der Windenergienutzung neue
Maßstäbe in Sachen umweltfreundliche Stromerzeugung
gesetzt.
Auch die Seehäfen sind unverzichtbarer Bestandteil
der maritimen Wirtschaft. Sie dienen als Drehscheibe
des nationalen und insbesondere des internationalen
Güterverkehrs. Die Seehäfen sind bedeutende Umschlagplätze des kombinierten Verkehrs. Damit haben
sie eine wichtige umweltpolitische Bedeutung bei der
Verlagerung in Richtung umweltfreundliche Verkehrssysteme. „From road to sea“ lautet das Motto, an dem
sich die Bundesregierung und die Regierungsfraktionen
auch weiterhin orientieren werden.
Wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit unserer Häfen
erhalten und sie weiter ausbauen. Dazu haben wir den
gezielten und koordinierten Ausbau der land- und seeseitigen Verbindungen in Angriff genommen. Wir werden
unsere Seehafenkonzeption mit den land- und seeseitigen Verbindungen auf der Grundlage der gemeinsamen
Plattform des Bundes und der Küstenländer zur deutschen Seehafenpolitik weiterentwickeln.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir können
die spezifischen Stärken unserer Häfen nur durch Kooperationen weiterentwickeln. Dies dient dann auch der
Wettbewerbsfähigkeit der gesamten deutschen Nordseeküste. Wir wollen diese Wettbewerbsbedingungen
- das ist, glaube ich, deutlich geworden - EU-weit harmonisieren. Natürlich müssen wir, wie beim Schiffbau,
auch weltweit gültige Regeln schaffen. Diese Harmonisierung muss dazu führen, dass weniger öffentliche Subventionen in die Häfen gesteckt werden, die Häfen wettbewerbsfähiger werden und sie sich aus ihren eigenen
Einnahmen besser finanzieren können. Das gehört auch
dazu und deshalb sind wir dafür, die Wettbewerbsbedingungen auf europäischer Ebene zu harmonisieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme
zum Schluss und möchte noch einmal sehr deutlich sagen: Diese Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben in den letzten Jahren enorme Anstrengungen
unternommen, sich der Nordsee- und Ostseeküste zuzuwenden, hier eine innovative Politik zu betreiben und einen Ordnungsrahmen zu entwickeln, der es den Menschen an der Küste möglich macht, auf zukunftssicheren
Arbeitsplätzen tätig zu sein. Diese ökologischen Innovationen und diese industriepolitischen Innovationen werden wir fortsetzen, egal wie Sie hier herumnölen. Wir
sind fest entschlossen, im Interesse der Menschen an der
Küste und im Interesse unserer Wirtschaft dieses weiter
fortzusetzen - in Schleswig-Holstein und im Bund.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Michael Goldmann, FDPFraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die maritime Wirtschaft - ich glaube, das sagt
jeder, der ein bisschen Einblick hat; als ein Mitbürger
der Seehafenstadt Papenburg habe ich das selbstverständlich - lässt jeden, der Ahnung davon hat, mit der
Zunge schnalzen. Jeder, der einmal auf einer maritimen
Messe war oder der sich einmal im Hamburger Hafen
bewegt hat oder der vielleicht am 23. Juni nach Papenburg kommt, wenn wieder so ein Riesenpott der MeyerWerft die Ems runtergeht, wird sicherlich begeistert von
dem sein, was deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, was deutsche Unternehmer in diesem Bereich
insgesamt schaffen. Ich glaube, darüber sollten wir uns
zunächst einig sein: Es ist ein Bereich mit enormem
Wachstumspotenzial, mit enormem Arbeitsplatzpotenzial, mit riesigen Investitionsmöglichkeiten. Das sollten
wir hier nicht zerreden oder gegenseitig in Abrede stellen.
({0})
Wir haben einen Antrag eingebracht; nebenbei, Herr
Steenblock: Das ist kein Spickzettel. - Herr Steenblock,
Sie haben vorhin etwas zu unserem Antrag gesagt, jetzt
müssen Sie schon einmal zuhören!
({1})
- Ich kenne Sie und nehme Ihre Entschuldigung an; das
ist kein Thema.
Unser Antrag ist immerhin so gut, dass die SPD uns
vor zwei Tagen noch fragte, ob wir unseren Antrag einmal herüberschicken könnten. Wir konnten ja nicht ahnen, dass Sie solch ein Buch erstellen. Aber das ist kein
Problem, wir werden im Ausschuss darüber sprechen.
Ich glaube, es gibt hier viele Gemeinsamkeiten, und die
sollten wir gemeinsam nutzen. Ein bisschen Sorgen mache ich mir bei den Gemeinsamkeiten um die Grünen.
Herr Steenblock, wir müssen einfach feststellen, dass
wir bestimmte maritime Chancen schlicht nicht nutzen.
Sie wissen ja, dass es nicht nur darum geht, den Seeverkehr in den Hafen zu bringen, sondern es geht ja auch
darum, den Verkehr über die Binnenwasserstraßen
weiterzubringen.
({2})
Wenn ich mich an die Katastrophenauseinandersetzung
um bestimmte Maßnahmen an der Donau erinnere
({3})
oder daran, dass wir die eine oder andere Schleuse größer machen wollen, dass wir Brücken anheben wollen,
um Containerverkehr zu ermöglichen, dann bin ich
schon in Sorge. Immer wenn wir so eine gute Idee haben
- manchmal auch fraktionsübergreifend -, kommen die
Grünen und sagen: Da entsteht ein wahnsinniger ökologischer Schaden. - Damit werden Dinge blockiert. Das
können wir uns nun überhaupt nicht leisten.
({4})
Insofern sind die Attacken, die Herr Börnsen gegen den
Herrn Bundeskanzler geritten hat, schon berechtigt.
({5})
- In dieser Frage schon.
Ich würde mir wünschen, dass sich der Bundeskanzler
ganz klar für die rot-grüne Koalition positioniert, wenn
es um den Ausbau der Elbe geht, wenn es um den Ausbau der Weser geht oder wenn es um den Ausbau der
Ems geht.
({6})
- Herr Steenblock, tut mir Leid, da herrschen Unklarheiten, und das wissen Sie auch.
({7})
- Herr Steenblock, bitte stellen Sie doch gegebenenfalls
eine Frage; ich möchte gerne mitkriegen, was Sie dazwischenrufen, denn alles, was Sie sagen, hat ja manchmal
Hand und Fuß. Alles - manchmal? Geht nicht, also:
Meistens hat es Hand und Fuß. - Herr Steenblock, wir
müssen uns in dieser Frage verständigen. Sie können
nicht dauernd die ökologische Fahne ganz besonders
hoch ziehen und sich gleichzeitig darüber beklagen, dass
wir unser Potenzial in diesem Bereich nicht ausschöpfen. Ich meine, wir sollten die maritime Trumpfkarte gemeinsam spielen, und das haben wir eigentlich auch gemacht. Ich war ja schon im Ausschuss für Häfen und
Schifffahrt in Niedersachsen. Das war der beste Ausschuss, den es in Niedersachsen gab, wir haben nämlich
alle Beschlüsse einstimmig gefasst. Es gab in dieser
Frage überhaupt keine Diskussion und keinen Streit unter den einzelnen Fraktionen.
({8})
Wir haben gemeinsam gesagt: Wir möchten die maritime
Position ausbauen und stärken. Das haben wir doch
schon einmal hinbekommen. Heute jubeln Sie und sagen: Toll, Hamburg, Investitionsstandort mit Tonnagesteuer. Erfunden haben Sie sie nun wirklich nicht.
({9})
Es war die FDP, die damals diese Tonnagesteuer auf den
Weg gebracht hat. Eindeutig war das so; Sie hatten damals schlicht nicht die Mehrheit. Die CDU hat dabei
tüchtig mitgeholfen. Darauf können wir uns doch einigen. Lassen Sie uns gemeinsam weiter daran arbeiten,
dass zurückgeflaggt wird und dass wir in diesem Bereich
Ausbildungs- und Arbeitsplätze schaffen; das ist doch
kein Thema. Wir haben es doch auch in der letzten Zeit
hinbekommen, nämlich bei der Werftenhilfe. Dort haben wir gemeinsam eine vernünftige Regelung auf den
Weg gebracht.
({10})
- Lassen Sie mich doch sagen, dass es Dinge gibt, an denen wir gemeinsam arbeiten können.
Es gab aber auch Dinge, bei denen das nicht geklappt
hat. Das muss man ganz deutlich sagen. Als Beispiel
nenne ich das öffentliche Seeamtsverfahren. Das haben
Sie gegen jeden Sinn und Verstand abgeschafft.
({11})
Frau Faße, wenn Sie ehrlich sind, dann geben Sie zu,
dass es abgeschafft worden ist, weil ein Behördenvertreter im Ministerium das wollte. Er wollte kurz vor der
Pensionierung noch etwas auf den Weg bringen. Jetzt haben wir den Kladderadatsch, es gibt nämlich keinen
Sofortvollzug bei Alkoholproblemen in der Schifffahrt
mehr. Das ist schlichtweg schlecht für unsere Küste.
({12})
Frau Faße, erzählen Sie hier nichts anderes. Dasselbe
gab es bei der Tiefgangbeschränkung beim Notfallschlepper. Sie wissen ganz genau, dass die Verwaltung
hier herumgeeiert hat. Diese Verwaltung ist in diesem
Bereich meiner Meinung nach ohnehin extrem schwach
aufgestellt. Das will ich ganz deutlich sagen. Bei der
nationalen Küstenwache war es genau dasselbe. Sie
waren ja in Cuxhaven. Leider sind Sie zu früh gegangen,
sonst hätte man auch Ihnen dort gesagt, dass es sinnvoll
ist, ein Gutachten auf den Weg zu bringen, in dem die
Wechselwirkungen zwischen dem BGS Amt See und der
Wasserschutzpolizei untersucht werden. Man muss prüfen, ob man das nicht ein wenig besser hinbekommt.
Jetzt gibt es hier das BGS Amt See und dort die Wasserschutzpolizei. Wenn wirklich einmal ein großer Pott
kommt, der für uns im Security-Bereich - im Bereich
der Terrorabwehr - ein Problem darstellt, dann stehen
sie hilflos davor. Warum konnte in diesem Fall nicht gemeinsam ein Gutachten auf den Weg gebracht und gesagt werden, wie man das regeln kann?
Genau so war es auch bei der Reform der Wasserund Schifffahrtsverwaltung. Sie sagen, das alles soll so
bleiben. Sie wissen ganz genau, dass die finanziellen
Daumenschrauben, die der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung seit geraumer Zeit angesetzt werden, dazu führen, dass die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung ihre
Aufgaben nicht mehr fach- und sachgerecht wahrnehmen kann. Ich finde das auch gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unfair, die in diesen Bereichen tätig sind; denn Ihre Nichtlösung bietet für diesen
Bereich überhaupt keine Perspektive.
In Ihrem Antrag steht, dass öffentliche Aufgaben an
Private gegeben werden können. Sie erwähnen die
private Wirtschaft und private Leistungen. Wenn es
aber konkret wird und wirklich eine Bereederung durch
Private und nicht durch Öffentliche erfolgen soll, weil
jeder bis auf die Verwaltung weiß - sie rechnet das immer so hoch, dass ihre Arbeitsplätze gesichert sind -,
dass man in diesem Bereich bis zu einem Drittel der
Kosten sparen könnte, dann sagen Sie auf einmal, dass
das nicht geschehen darf, da die öffentliche Verwaltung
nach dem Seeaufgabengesetz hoheitliche Aufgaben
wahrnimmt.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit.
Es ist genau so: Immer wenn Sie in diesem Bereich
genau das tun müssen, was der Kollege vorhin sagte,
nämlich nicht nur den Mund zu spitzen, sondern auch zu
pfeifen, also der privaten Wirtschaft die Funktionen zuzuweisen, die sie wie die Verwaltung erfüllen kann, dann
hängen Sie an der öffentlichen Verwaltung fest. Das kostet viel Geld und Arbeitsplätze. Das können wir uns vor
dem Hintergrund unserer finanziellen Belastungen überhaupt nicht leisten.
In diesem Bereich sollten Sie wirklich aus Ihrem
Loch kommen und Ihre Einschränkungen aufgeben.
({0})
Sie sollten offener sein. Dadurch könnten wir eine
Menge guter Lösungen zum Vorteil der maritimen Wirtschaft und zur Sicherung und zum Schutz unserer Küsten auf den Weg bringen.
Herzlichen Dank.
({1})
Für die Bundesregierung erteile ich nun der Parlamentarischen Staatssekretärin Angelika Mertens das
Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Herr Goldmann, zur äußeren WSVReform: Ein paar Kollegen von Ihnen sitzen ja im Haushaltsausschuss. Vielleicht sprechen Sie mal mit denen.
Das wäre der direkte Weg. Diese haben uns gerade aufgefordert, etwas anderes zu tun. - Sei es drum.
({0})
Herr Börnsen, es war wirklich eine Märchenstunde.
Sie können sehr gute Döntjes erzählen.
({1})
Das, was Sie hier getan haben, war teilweise aber ein
bisschen bösartig.
({2})
Ich denke, wenn Sie auf der Maritimen Konferenz gewesen wären, dann hätten Sie sehr gut mitbekommen können, was der Kanzler unter anderem auch zur Elbe und
zur Weser gesagt hat.
({3})
Sie haben hier den Verband Deutscher Reeder diffamiert. Das werden Herr Leonhardt und der Verband sicherlich zur Kenntnis nehmen.
({4})
Sie haben gesagt, die Reeder begingen Wortbruch; denn
sie würden es nicht schaffen, die Schiffe, die sie versprochen haben, bis Ende des Jahres, wenn zusammengezählt wird, beizubringen.
({5})
Zu Port Package I: Das, was Sie dazu gesagt haben,
war nun äußerst dürftig.
({6})
Schließlich war das - Sie haben das damals mitbekommen - ein Prozess, den wir als Bundesregierung mit den
Beteiligten sehr eng gestaltet haben.
({7})
Sie wissen auch, was der ursprüngliche Text war und
wie er nachher als Kompromiss ausgesehen hat.
({8})
Es war uns zwar klar, dass das Parlament dazu Nein gesagt hat. Aber Sie müssen einmal berücksichtigen, was
wir damals bei der Selbstabfertigung, beim Lotsenwesen
oder bei den Übergangsfristen noch alles haben verändern können.
({9})
- Ja, das stimmt. Wir haben damals zugestimmt. Das war
aber mit allen Beteiligten abgesprochen.
({10})
Port Package I - darüber werden wir nachher noch
reden - ist nicht Port Package II.
({11})
Ich finde es äußerst dürftig, in dieser Diskussion zu versuchen, das eine mit dem anderen zu verbinden. Sie wissen, dass Port Package II eine wirklich ganz andere Qualität hat.
({12})
Es wäre besser gewesen, wenn Sie sich im Ausschuss oder auch hier dazu geäußert hätten, statt
Vergangenheitsbewältigung zu betreiben und darüber zu
diskutieren, was in der Vergangenheit beschlossen worden ist.
({13})
Ich komme jetzt zur Maritimen Konferenz.
({14})
- Ich bin auf das eingegangen, was der Kollege Börnsen
gesagt hat.
({15})
Er hat vielleicht nachher noch die Möglichkeit, darüber
zu reden. - Die Maritime Konferenz in Bremen hat gezeigt, dass die maritime Wirtschaft ein dynamischer und
vor allen Dingen ein erfolgreicher Wirtschaftszweig ist.
Das betrifft die deutschen Schifffahrtsstandorte ebenso
wie die Hafenstandorte an der Nordsee und natürlich
auch an der Ostsee. Das gilt übrigens besonders für Papenburg im Norden, die Stadt, bei der die Leute anfangen zu raunen, wenn Sie, Herr Kollege Goldmann, von
ihr sprechen.
Wir erleben in der Schifffahrt einen Boom. Die Containerverkehre wachsen überproportional. Die Ertragssituation ist sehr günstig. Die Nachfrage nach zusätzlichem Schiffsraum ist groß. Die Umsatzprognosen für
2005 sind ausgesprochen gut.
({16})
Das sind gute Zeichen, zumal Deutschland inzwischen
der viertgrößte Schifffahrtsstandort der Welt ist. Im
wichtigen Containerschiffsbereich ist Deutschland sogar die Nummer eins.
({17})
Das hat positive Auswirkungen auf die deutsche
Werft- und Schiffbauzulieferindustrie, aber auch auf den
Dienstleistungs- und Finanzierungssektor. Es ist schon
gesagt worden, dass dies eine Hightechbranche mit hervorragenden Aufstiegschancen und sicheren Arbeitsplätzen für die Beschäftigten ist. Wir tun gut daran, diesen
Trend zu nutzen und das maritime Know-how zu sichern. Das heißt für uns eine verstärkte Ausbildung und
Beschäftigung an Bord von Schiffen unter deutscher
Flagge und in den Landberufen.
Ein entscheidendes Signal für den Schifffahrtsstandort Deutschland haben wir mit Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Küstenländern auf der 3. Nationalen Maritimen Konferenz in 2003 in Lübeck gesetzt. Die positive
Zwischenbilanz, die wir vor drei Wochen in Bremen gezogen haben, zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Wir haben mit dem „Maritimen Bündnis für Ausbildung
und Beschäftigung in der Seeschifffahrt“ eine Basis geschaffen, die tragfähig ist.
({18})
Alle Bündnispartner haben gesagt, dass sie die Zusammenarbeit über das Jahr 2005 hinaus fortsetzen wollen. Dabei wird der besondere Schwerpunkt auf die Ausbildung von Seeleuten gelegt. Die klaren Aussagen der
Reederschaft, die Sie bezweifeln, die Zahl der international agierenden Schiffe unter deutscher Flagge bis Ende
des Jahres auf mindestens 400 zu erhöhen, waren dafür
ein unerlässliches Signal. Dies war auch Grundlage für
unsere Maßnahmen und Programme über das Jahr 2005
hinaus. Kontinuität und Berechenbarkeit müssen auch
weiterhin die Basis der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Politik, Wirtschaft und Sozialpartnern
sein, um diesen Aufschwung fortsetzen zu können.
Eine ähnliche Erfolgsstory schreiben zurzeit unsere
sehr leistungsstarken deutschen Seehäfen. Sie sind
wichtige Eckpfeiler der maritimen Wirtschaft. Es ist
schon gesagt worden, wie viele Menschen dort arbeiten.
Das brauche ich nicht zu wiederholen. Die insgesamt positive Entwicklung der deutschen Seehäfen ist ein Beleg
dafür, dass wir uns mit der Gestaltung der Rahmenbedingungen richtig und erfolgreich für den Seehafenstandort
Deutschland einsetzen.
Wir haben die Stärkung des maritimen Standorts zu
einem Schwerpunkt unserer Verkehrspolitik gemacht.
Ich nenne in diesem Zusammenhang den gezielten Ausbau der land- und seeseitigen Zufahrten. Der Bundesverkehrswegeplan enthält 15 Infrastrukturprojekte, die
entsprechend ihrer Baureife und Finanzierung möglichst
bis zum Jahr 2010 so weit wie möglich nach vorne gebracht werden sollen.
({19})
Wir haben ein hohes Interesse daran, dass die Häfen
ihre besondere und bedeutende Position als Schnittstellen zwischen Land- und Seeverkehr, als logistische
Dienstleistungszentren, aber auch als Industriestandorte
ausbauen.
Bund und Länder haben eine gemeinsame Verantwortung für die Stärkung der gesamten Küstenregion. Auch
die Opposition ist dabei nicht ausgeschlossen.
({20})
Der maritime Standort hat eine enorme Wirtschaftskraft,
die weit über die Küstenländer hinauswirkt. Es ist unsere
gemeinsame Aufgabe, den politischen Rahmen so zu gestalten, dass der Standort wirtschaftlich attraktiv und
global wettbewerbsfähig bleibt.
Es ist das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass der Küste und den Häfen eine solche besondere Bedeutung beigemessen wird.
({21})
Das ist durch die Ergebnisse von vier nationalen maritimen Konferenzen dokumentiert, durch konkret umzusetzende Projekte und das Bewusstsein für die eigene Wertschöpfung. Die Wertschöpfungsketten reichen weit ins
Land hinein. Damit ist viel erreicht worden, aber die Arbeit ist noch nicht zu Ende. Deshalb bin ich für den Entschließungsantrag der Koalition sehr dankbar. Er benennt die nächsten Schritte, die wir zu machen haben.
Wenn sich alle Beteiligten an die getroffenen Absprachen halten, dann werden wir weiter erfolgreich für den
maritimen Standort arbeiten können. Es ist eine klassische Win-Win-Situation. So soll es auch bleiben.
({22})
Das Wort hat nun der Kollege Werner Kuhn, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Deutschland braucht eine leistungsfähige
maritime Wirtschaft, die von Natur aus ein Global Player
ist. Reeder und Schiffbauer suchen und investieren ihr
Kapital weltweit und haben weltweit ihre Kunden. Dass
mittlerweile 95 Prozent des internationalen Warenaustauschs über See gehen, ist ein Zeichen dafür, welches
Wirtschaftspotenzial in dieser Branche liegt. In Deutschland sind - der Kollege Börnsen hat das in der Einführung zu seiner Rede gesagt - 300 000 Menschen allein in
der maritimen Verbundwirtschaft beschäftigt. Das ist so,
als wenn Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg über
einen Konzern wie BASF reden. Deshalb ist es gerade
für strukturschwache Länder wie Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein ein zentrales Thema, wohin sich diese Wirtschaft entwickeln wird.
Ich habe den umfänglichen Antrag der Koalitionsfraktionen gelesen,
({0})
der sehr viel Lyrik hat und der auf mich wie eine Laudatio auf den maritimen Koordinator gewirkt hat. Bei diesem Antrag war die Akribie der Beamten des Verkehrsministeriums zu spüren.
({1})
Mir haben aber doch einige Sachen dabei gefehlt. Der
Marineschiffbau ist gar nicht vorgekommen, obwohl er
auch in Deutschland eine zentrale Rolle spielt.
({2})
Denken Sie nur an HDW! Ausländische Kapitalanleger
kaufen sich im deutschen U-Boot-Bau mit seinem
Know-how ein. Das kann man doch nicht sang- und
klanglos übergehen.
({3})
Ich habe auch nichts darüber gehört, was mit der Korvette K 130 passiert. Im Gegensatz zu der bisherigen
Aufteilung unter den fünf Küstenländern, wonach jedes
Land 20 Prozent produziert, hat Mecklenburg-Vorpommern jetzt nur einen Anteil von 8 Prozent.
Wir haben eine Arbeitslosenquote von mehr als
23 Prozent. Wir brauchen die Aufträge. Das sind doch
Potenziale!
({4})
- Kollege Beckmeyer, ich würde mich etwas zurückhalten. Sie haben Regierungsverantwortung und können
sich nicht auf die Empfehlungen beschränken, Aale zu
fangen und ein bisschen Fischverarbeitung und Tourismus zu betreiben, damit der Osten aufholt. Das ist auch
die Meinung des Bundeskanzlers, mit der wir uns seitens
der CDU/CSU aber nicht zufrieden geben werden.
({5})
Wir haben auch in Mecklenburg-Vorpommern eine
relativ gute Situation. Die Tonnageblockade für unsere
Werften läuft Ende 2005 aus.
Es hätte mich auch interessiert, wie hoch die Schiffbaubeihilfen sind, die im Jahr 2005 insgesamt in
Deutschland gezahlt werden. Das Jahr 2004 haben wir
nach vielen Diskussionen - ich denke, mit gutem
Erfolg - über die Bühne bekommen. Es ist aber noch
nicht klar, zu welchem Ergebnis die Verhandlungen mit
der WTO für Korea und China führen werden. Ich halte
es nicht für ausreichend, wenn die Bundesregierung
Schiffbaubeihilfen in Höhe von 9 Millionen Euro zur
Verfügung stellt, damit wir Aufträge akquirieren können.
Denn insgesamt sind 135 Millionen Euro notwendig.
Mittlerweile müssen Werften, die Aufträge angenommen haben, noch einmal kalkulieren und einige Aufträge
wieder zurückgeben. Das ist ein unhaltbarer Zustand.
Bei allem Lobgesang auf den maritimen Koordinator
muss ich daran Kritik üben.
({6})
Es wurde bereits ausgeführt, dass ein Auftragsvolumen von 3,6 Milliarden Euro erzielt wurde. Das ist ein
brauchbares Ergebnis, das aber den Arbeitsmarkt leider
in keiner Weise belebt hat. Wir befinden uns nach wie
vor in dem Dilemma, dass die Auftragslage exzellent ist
und die Werften mit 100-prozentiger Auslastung arbeiten können, dass wir uns aber gegen die Mitwettbewerber wehren müssen.
Werner Kuhn ({7})
Was den Aufbau Ost angeht, halte ich es da schon für
notwendig, Flagge zu zeigen. Clusterbildung ist nicht
nur in Sachsen, wo Automobilbau angesiedelt ist, und in
Sachsen-Anhalt, wo sich das Chemiedreieck befindet,
möglich, sondern auch in Mecklenburg-Vorpommern
mit den vier Werften und den Hafenbetrieben.
({8})
Eine universitäre Anbindung besteht bereits mit der
schiffbautechnischen Fakultät in Rostock und dem
Leibniz-Institut Kühlungsborn. Hier muss die Produktentwicklung in Angriff genommen werden. Der Wirtschaftsminister hat auf der Maritimen Konferenz auch
bereits zugesagt, die Angelegenheit wohlwollend zu prüfen.
Des Weiteren muss die Grundlagenforschung verstärkt werden. Im Haushalt 2005 sind dafür aber keine
entsprechenden Mittel vorgesehen. Wo bleibt die Grundlagenforschung für die maritime Verbundwirtschaft? Wo
bleibt die Förderung für die Produktentwicklung?
({9})
Es wird dem immer entgegengehalten, dass zunächst ein
Auftrag akquiriert werden muss. Wer aber einen Auftrag
akquiriert, muss vorher eine Kostenkalkulation erstellt
und ein Angebot abgegeben haben. Wenn der Betreiber
bzw. der Reeder das Angebot für zu teuer hält, wird der
Auftrag nicht erteilt. Insofern muss eine entsprechende
Förderung für die Produktentwicklung in die Kostenkalkulation mit einfließen. Das ist aber leider nicht möglich.
Hier liegt der Hase im Pfeffer. An dieser Stelle ist Verlässlichkeit notwendig, damit Produktentwicklung gerade im Bereich des Feederbaus bis 3 200 TEU - das
wird weltweit als customer-made bezeichnet; es ist auf
den Kunden zugeschnitten - möglich ist. Hier gibt es
noch große Potenziale, die wir besonders in den Küstenländern nutzen müssen. Das gilt für Schleswig-Holstein
genauso wie für Mecklenburg-Vorpommern.
Ich möchte auch noch was zu dem Bereich der festen
Querungen, die vom Königreich Dänemark in Richtung Deutschland geplant sind, anmerken, der uns in
Norddeutschland besonders berührt. Was die ÖresundQuerung angeht, kann niemand genau sagen, wie das
Vorhaben in der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft auf dänischer Seite funktioniert und ob sie rentabel arbeitet. Aber die Fehmarnbelt-Querung steht sozusagen ins Haus. Wir werden uns allesamt nicht
dagegen wehren können. Sie ist aber erst gar nicht in
diese wunderbare Vorlage mit aufgenommen worden,
({10})
weil man das Konfliktpotenzial mit den Grünen und mit
den Fährunternehmen scheut.
({11})
Deshalb sind Alternativen notwendig. Was machen
Sie mit Scandlines und den anderen Fährunternehmen,
die von Deutschland aus in Richtung Osten operieren?
Was soll mit unseren ostdeutschen Häfen Rostock und
Sassnitz-Mukran geschehen, wenn alle Verkehre aus
Richtung Osten in Richtung Westen verlagert werden?
Das darf nicht sein. Deshalb lautet unsere diesbezügliche
Forderung: Werden Sie aktiv und sorgen Sie dafür, dass
die alte Bahnverbindung zwischen den beiden großen
Hauptstädten Berlin und Kopenhagen revitalisiert wird.
Das gehört zu der Erdbeere der Ökonomie im Baltikum.
({12})
- Frau Faße, Sie brauchen gar nicht zu lachen. Sie waren
doch selber bei den Besprechungen dabei. Ich bin sehr
überrascht, wie Sie mit Ihrem Heimatland und der Infrastruktur in Deutschland umgehen.
({13})
Sollten Sie das alles vergessen haben? Das sind doch die
zentralen Fragen, über die wir diskutieren müssen. Es
reicht doch nicht aus, zu sagen: Alles läuft gut und wir
machen weiter so, Schiffbauaufträge sind in ausreichender Zahl vorhanden und wir werden dafür sorgen, dass
die Sache bis 2006 einigermaßen über die Bühne geht.
Wir müssen uns außerdem die Situation nach der
EU-Osterweiterung genau anschauen und darauf achten, was mit den Häfen Danzig und Stettin mit Swinemünde auf polnischer Seite geschieht. Das sind ernst zu
nehmende Wettbewerber. Die Bundesregierung muss gemeinsam mit der polnischen Staatsregierung länderübergreifende Konzepte in Angriff nehmen.
Wir dürfen des Weiteren nicht aus den Augen verlieren, was unser westlicher Nachbar, die Niederlande,
macht. Herr Goldmann, darüber haben wir vorhin gesprochen. Der große Hafen Rotterdam, dieser Staubsauger, fokussiert fast sämtliche Verkehre auf sich. Die Niederländer verstehen das als nationale Aufgabe. Keiner
der Fuhr- und Hafenleute Europas beherrscht das maritime Handwerk so gut wie die Niederländer.
({14})
Denken Sie nur an die Containerentwicklung und die
Betuwe-Linie! Das ist doch letztendlich die Magistrale,
auf die sich alles konzentriert. Die Niederländer haben
außerdem mit dem Rhein einen Hinterlandanschluss und
exzellente Binnenverkehre. Herr Steenblock, Sie mahnen ständig, auch den Naturschutz zu berücksichtigen,
und fordern die Ausweisung von FFH-Gebieten, und
zwar auch am Rhein. Die Niederländer sind pfiffig und
richten solche Gebiete genau an der deutsch-niederländischen Grenze ein, sodass sie den Rhein von Rotterdam
bis hinunter zur deutschen Grenze vertiefen können, um
ihn für große Fahrzeuge schiffbar zu machen. Auf unserem Hoheitsgebiet muss dann umgeladen werden und
der Rhein macht eine Neese. Das ist falsch verstandene
grüne Politik. Darüber muss vielmehr innerhalb der
Staatengemeinschaft Europas verhandelt werden. Mir
fällt aber nur sehr wenig ein, was Sie dazu beigetragen
haben.
Werner Kuhn ({15})
({16})
- Das ist keine Schnackerei.
Ich habe vorhin die Bahnstrecke Rostock-Berlin angesprochen - Herr Präsident, damit möchte ich meine
Rede beenden
Das ist sehr freundlich.
({0})
-, weil das eine zentrale Frage für Mecklenburg-Vorpommern ist. Ich habe 2002 Herrn Wirtschaftsminister
Ebnet zusammen mit dem Ministerpräsidenten von
Mecklenburg-Vorpommern, Herrn Ringstorff, in einem
Bagger sitzen gesehen und sie haben irgendwo auf
freiem Feld eine Baugrube ausgehoben.
({0})
Es hieß, nun werde die Bahnlinie Rostock-Berlin richtig
ausgebaut und elektrifiziert und die Züge würden nur
noch zwei Stunden für die Strecke benötigen, weil sie
mit 160 km/h fahren könnten. Als wir letztens den Bericht eines Staatssekretärs im Verkehrsministerium vernommen haben, hieß es, bei den EFRE-Mitteln gebe es
Schwierigkeiten. Die Strecke Rostock-Berlin stehe sowieso irgendwo auf einer Ausweichliste und wahrscheinlich werde man das Ganze strecken müssen. Die
Strecke soll nun erst 2010 fertig werden. Damit
schwächt man die Wettbewerbsfähigkeit und verweigert
den Häfen Rostock und Mukran Hilfe. Damit werden
wir uns nicht zufrieden geben. Die Bundesregierung gibt
der maritimen Verbundwirtschaft nicht die Zukunft, die
ihr die CDU/CSU geben könnte.
({1})
Ich erteile nun das Wort der Kollegin Michaele
Hustedt, Bündnis 90/Die Grünen.
Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Herr Kuhn, eines kann ich Ihnen nicht durchgehen lassen. Einerseits kommen Sie nicht umhin, die gute Arbeit
der Bundesregierung für den maritimen Standort zu loben. Andererseits jammern Sie und behaupten, dies sei
nicht genug. Selbst legen Sie aber keinen einzigen Vorschlag auf den Tisch, aus dem hervorgeht, was zu tun ist.
Das ist nicht akzeptabel.
({0})
Ich möchte meine geringe Redezeit auf den Punkt
konzentrieren, der bei Ihnen anscheinend ganz ausgeblendet ist, der aber ein neues, zusätzliches Standbein für
die maritime Wirtschaft bedeutet. Das ist die OffshoreWindenergie. Hier sollen 25 000 Megawatt entstehen.
Das bedeutet ein Investitionsvolumen in Höhe von
45 Milliarden Euro, die hier für die maritime Wirtschaft
mobilisiert werden. Hier entstehen neue Arbeitsplätze
bei der Montage, in den Häfen, beim Neubau von Schiffen und natürlich bei der kontinuierlichen Wartung dieser Offshore-Windparks.
Gerade im Hinblick auf das Innovationsjahr, das Einstein-Jahr, ist es ein spannendes Projekt, weil hier neue
Gründungsmethoden und neue Anlagen entwickelt werden müssen, die auch bei Dauerwind und auf hoher See
tatsächlich funktionieren.
({1})
Es ist also ein sehr spannendes Projekt, das für die maritime Wirtschaft ein neues Standbein darstellt.
Auch die anderen Länder schlafen nicht. Dänemark,
Schweden, Großbritannien und Irland steigen ebenfalls
in diese Bereiche ein. Deshalb ist dringend Handeln geboten.
({2})
Wir haben bereits vieles auf den Weg gebracht. Wir
haben insbesondere durch das EEG, das Sie abgelehnt
haben, Investitionssicherheit geschaffen. Außerdem haben wir inzwischen - das ist Ihnen vielleicht entgangen sieben Windparks genehmigt.
Zurzeit befinden wir uns allerdings in einem Teufelskreis, weil durch die Unsicherheit bei der Anlagentechnologieentwicklung und bei der Anbindung Finanzierungskonzepte nicht möglich sind. Das wiederum führt
dazu, dass es auch in anderen Bereichen stockt. Wir
brauchen deshalb Testparks für alle Anlagenbauer in
Offshore-Windparks, die die deutsche Bundesregierung
noch stärker als bisher unterstützen sollte. Wir sollten
auch eine staatliche Bürgschaft für diese Offshore-Testparks prüfen, damit alle Anlagenbauer die Möglichkeit
bekommen, zwei oder drei Anlagen ins Meer zu setzen
und dort ihre Anlagentechnologie weiterzuentwickeln.
Das stärkt sowohl den Innovationsstandort als auch den
maritimen Standort Deutschland.
Darüber hinaus brauchen wir eine zügigere Diskussion über die Anbindung, die natürlich moderiert werden
muss zwischen der Schifffahrt, dem Militär und den Naturschützern, damit die richtige koordinierte Route gefunden wird. Wir müssen ferner die Diskussionen über
die Netzverstärkung zügig voranbringen und die Offshore-Windparks insgesamt auch bei den Versicherungsund Finanzierungskonzepten unterstützen.
Zusammenfassend möchte ich sagen: Ich würde mich
freuen, wenn Sie auch diese neue Säule der maritimen
Wirtschaft unterstützten. Wie bereits gesagt, sind hier
sehr viele Arbeitsplätze, gerade im Bereich der Wartung,
der Häfen und des Schiffsbaus zu erwarten. Durch eine
positive Entwicklung in diesem Bereich könnten wir den
maritimen Standort nicht nur stärken, sondern auch deutlich weiter ausbauen.
Ich danke Ihnen.
({3})
Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes hat der
Kollege Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion
das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn die Teilnehmer an der Maritimen Konferenz in
Bremen diese Debatte verfolgt hätten, hätten sie sich bei
manchen Beiträgen, speziell von der CDU/CSU, sicherlich mit Grausen abgewendet, weil sich diese Beiträge in
der Zielrichtung überhaupt nicht mit dem gedeckt haben,
was aus den Berichten und Ergebnissen dieser Konferenz hervorgeht. Sie spiegelten auch in keiner Weise die
Intention und die Intensität der dortigen Beratungen wider. Es ist schon erstaunlich, dass die große Oppositionsfraktion CDU/CSU, die ja eigentlich differenzieren können sollte, wozu die kleine Oppositionspartei FDP
offensichtlich noch in der Lage ist, dieses Bild vollkommen ausblendet.
Wenn Sie das von einem sozialdemokratischen Abgeordneten nicht hören mögen, nehmen Sie doch das Leitwort des Verbandes Deutscher Reeder aus der letzten
Zeitschrift „Deutsche Seeschifffahrt“, Nummer 1/2005.
Der zweite Satz lautet:
Zum ersten Mal nahm sich ein Bundeskanzler der
Bundesrepublik Deutschland mit einer politisch exponierten Konferenz des Themas Seeschifffahrt an.
Damit war nicht Kohl gemeint.
({0})
Damit war Gerhard Schröder gemeint und es war das
Jahr 2000. Natürlich wissen wir alle, dass es für den maritimen Bereich ungemein viel bedeutet, dass er nicht
nur an der ersten, sondern auch an weiteren und eben
auch an der vierten Konferenz teilgenommen hat und
dass es auch zwischen den Konferenzen zu positiven
Vereinbarungen gekommen ist, dass sich in der Substanz
etwas entwickelt hat.
({1})
Ein früherer Bundeskanzler hat dieses alles offensichtlich nicht für nötig befunden.
({2})
Wenn Sie diese Aussage des Verbandes Deutscher
Reeder so nicht annehmen mögen, können Sie bei der
Bewertung der Situation auch die Menschen an der
Küste mit einbeziehen. Sie wissen doch, wer trotz aller
Schwierigkeiten, die bei einem Strukturwandel nicht zu
vermeiden sind, bei HDW in Kiel oder bei Thyssen/
Krupp in Emden den Beifall bekommt, wer sich dort in
Bezug auf Verlässlichkeit, für die Küste etwas zu tun, bei
den Menschen eingeprägt hat. Das sind dieser Bundeskanzler, diese Bundesregierung und auch die Landesregierungen.
Ich möchte noch ein Wort an den schleswig-holsteinischen Kollegen richten. Herr Börnsen, ich finde, Ihre
Rede war eine sehr von Wahlkampffieber geprägte Philippika.
({3})
Ich habe mit Schleswig-Holstein nicht angefangen. Sie
meinten, dieses Thema in das Zentrum Ihrer Rede rücken zu müssen.
({4})
- Bei Arbeitslosigkeit, da passen Sie auf und in Bezug
auf das Wirtschaftswachstum schauen Sie lieber nicht
hin.
({5})
Oder weshalb ignorieren Sie, dass Schleswig-Holstein
im Vergleich von allen anderen Bundesländern, was das
Wirtschaftswachstum angeht, 2004 an dritter Stelle
stand?
({6})
Wenn Sie das ignorieren, nirgendwo erwähnen und in
keiner Weise akzeptieren, dann beweisen Sie, dass Ihre
Scheuklappen größer als das Land zwischen Ost- und
Nordsee sind. Sie ignorieren außerdem, dass die maritime Wirtschaft in Schleswig-Holstein zu dem überdurchschnittlichen Wirtschaftswachstum beigetragen
hat, da es sich um einen verarbeitenden Bereich handelt.
({7})
Weshalb übersehen Sie das? Weshalb ignorieren Sie die
Leistung der Kollegen bei der Flensburger Schiffswerft,
bei HDW, bei Lindenau, bei sämtlichen Zulieferern und
im gesamten elektronischen Bereich? Was Sie tun, das
ist zu wenig und wird den Tatsachen nicht gerecht.
Wir als Schleswig-Holsteiner sollten das Positive
festhalten. Herr Kuhn aus Mecklenburg-Vorpommern
hat es in Bezug auf das, was sich in Mecklenburg zum
Beispiel mit dem Ostseeforschungsinstitut Warnemünde
und zum Beispiel mit der Werftenkooperation positiv
entwickelt, vorgemacht. Die Niedersachsen würden es
ähnlich machen. Nur Sie als CDU-Politiker aus Schleswig-Holstein reden dieses Land schlecht, selbst im Hinblick auf den maritimen Bereich.
({8})
Herr Börnsen, das war und das bleibt zu wenig. Heute
haben Sie noch einmal so gedacht. Ab nächsten Sonntag
müssen Sie sich dann wieder mit positiven Fakten in
Bezug auf Schleswig-Holstein - Wirtschaftswachstum,
maritime Wirtschaft, Werftenkooperation, Meeresforschung - auseinander setzen.
({9})
Bei einem Redebeitrag von Herrn Austermann aus
Schleswig-Holstein ist mir aufgefallen, dass er meinte,
den Gewerkschaften mit einem Schlenker noch unbedingt einen mitgeben zu müssen. Um klar zu machen,
welche positiven Entwicklungen durch das maritime
Bündnis in Deutschland zustande gekommen sind,
({10})
könnte man nun nur den VDR oder den Verband für
Schiffbau und Meerestechnik zitieren. Aber wir müssen
und möchten auch insbesondere klarstellen, welchen
positiven Beitrag Gewerkschaften immer wieder geleistet haben. Die Gewerkschaften haben früh den Finger in
die Wunde gelegt. Beispielsweise hat der Kollege
Teichmüller schon vor zehn Jahren darauf hingewiesen,
wie sich die maritime Wirtschaft entwickeln muss.
({11})
Akzeptieren Sie aber auch, was in den Betrieben von den
Beschäftigten geleistet wird, damit sich die Firmen modernisieren und restrukturieren und damit neue Geschäftsfelder aufgetan werden können.
Es fällt auf, dass bei der Konstruktion eines kooperativen maritimen Bündnisses die Beschäftigten und auch
deren Vertreter, die Gewerkschaften, die Betriebsräte,
von Ihnen eindeutig außen vor gelassen werden. Das ist
nicht fair und das wird nicht dem gerecht, was wir für
den maritimen Standort Deutschland in Zukunft brauchen; denn wir werden Betriebsräte und Gewerkschaften
in die Umstrukturierungsprozesse auch weiterhin einzubeziehen haben. Anders geht es nicht.
({12})
Ich erinnere auch an das, was den Beschäftigten dort teilweise zugemutet wird. Ein entsprechendes Wort von Ihnen hat gefehlt. Denn das Besondere an dem Bündnis für
die Werften, das sich über Emden, Rostock, Lübeck und
Bremen als eine konstante, verlässliche Größe in der Entwicklung dieses Wirtschaftsbereiches aufgebaut hat, ist,
dass alle in Bezug auf den Schiffbau mitziehen müssen
- Arbeitnehmer, Gewerkschaften, Betriebsräte, Arbeitgeberverbände, Kapitalgeber, Wissenschaft und Staat -,
oder es wird damit nichts aus Deutschland.
({13})
- Gewerkschafter und Arbeitnehmer sagen - das wird
immer wieder berichtet -: Wir wünschen uns in Bezug
auf die Bereitschaft, sich diesen Themen zu widmen,
dass sich speziell die CDU - die FDP will ich dabei gar
nicht so ernst nehmen, wie sie genommen werden will mehr einbringen könnte.
({14})
Einen Moment, im Augenblick hat nur der Kollege
Rossmann das Wort.
In Bezug auf die FDP habe ich ausdrücklich anerkannt, dass sie die Auffassung vertritt - das steht auch in
ihrem Antrag -, das maritime Bündnis sei gut und wichtig. Aber in Bezug auf die Auseinandersetzung mit den
Gewerkschaften und bei den Arbeitnehmerrechten werden Sie es schwer haben, von der anderen Seite konstruktiv wahrgenommen zu werden, weil Sie darauf ausdrücklich nicht viel Wert legen.
({0})
Die Interessen der Arbeitnehmerschaft gehören zur Partnerschaft immer dazu.
({1})
Jetzt will ich gern auf den Bereich zurückkommen,
der in der Kooperation aufgebaut werden muss, und
zwar über den unmittelbaren Schiffbau hinaus. Da hat
sich nach der ersten Konferenz in Emden schrittweise
schon manches entwickelt, auch in Bezug auf andere
Verbünde. Es gibt jetzt eine „Strategische Allianz für die
Meerestechnik“. Es gibt jetzt einen Verbund, der sich mit
Hydrographie auseinander setzt. Es gibt jetzt den Verbund für marine Aquakultur. Es besteht jetzt weniger ein
Gegeneinander und mehr ein Miteinander, wenn es um
maritime Sicherheitsleittechnik und andere Fragen geht.
Das ist ein positiver Weg. Dort sind nicht nur die Tarifpartner, sondern auch die Wirtschaft und die Wissenschaft neu zusammengekommen. Das ist ganz wesentlich von den maritimen Konferenzen, speziell von der
Konferenz in Lübeck, ausgegangen.
Als zweite Bemerkung will ich auch vom Kollegen
Kuhn gerne einen Hinweis aufnehmen. Wenn jetzt die
Schiffbauwerftenhilfe wegfällt, dann bleibt natürlich
schon die Frage: Wie kann in Zukunft der Schiffbau als
innovativer Bereich in Deutschland gehalten werden?
Das ist in erster Linie eine Frage der Förderung von
Forschung und Entwicklung sowie der besonderen
Strukturbedingungen, die es in diesem Forschungs- und
Entwicklungsbereich gibt. Forschung, auch Grundlagenforschung, lässt sich natürlich nur schwer von Entwicklung und Produktion abgrenzen, wenn es sich sozusagen
um Solitärobjekte handelt, die nicht in große Serie gehen. Das ist bei Spezialschiffen und speziellen Meerestechnologien nun einmal von der Sache her vorgezeichnet. An dieser Stelle wird man einen Weg für die
Forschungsförderung finden müssen, bei dem sie nicht
als ungerechtfertigte Beihilfe bezeichnet werden kann.
({2})
Da können wir im Übrigen das aufnehmen, was mit
dem Konzept für Meeres- und Schifffahrtstechnik,
das die Forschungsministerin aufgelegt hat, schon positiv angegangen worden ist. Eine erste Evaluation dieses
Programms für Schifffahrt und Meerestechnologien für
das 21. Jahrhundert hat gezeigt, wie gut es mittlerweile
wirkt. Kleine und mittlere Unternehmen kommen stärker
zum Zug. Es gibt mehr Verbundentwicklung und -forschung. Das ist auch nicht nur auf den Schiffbau, sondern auch auf Zulieferer und exportierbare Technologie
insgesamt ausgerichtet. Das sind Punkte, bei denen wir
beweisen müssen, ob am Ende Meerestechnik und
Schiffbautechnik in Deutschland eine Zukunft haben.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
An der Küste hieß es früher immer: deichen oder weichen. In Bezug auf die Meerestechnologie und den
Schiffbau wird es heißen: erfinden oder verschwinden.
Das ist die Devise für die deutsche maritime Technologie.
Weil ich ahne, dass Sie dies als Persiflage vielleicht
fortsetzen wollen, will ich nicht gerne sagen,
Dann lassen Sie es auch, Herr Kollege, weil nämlich
die Redezeit deutlich überschritten ist.
- dass man jetzt verschwinden soll.
Ich will vielmehr Schlusswort aus der Reeder- und
Schifffahrtszeitung aufnehmen: Entscheidend bei den
maritimen Konferenzen ist, dass es jetzt Verlässlichkeit
gibt.
({0})
Diese Verlässlichkeit wird größer, wenn Sie von der Opposition, speziell der CDU, sich nicht in eine Negativhaltung hineindrängen lassen, die das verkennt, was positiv aufgebaut worden ist.
Danke.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/4862 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse, federführend an den Ausschuss für
Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, vorgeschlagen. Abweichend von der Tagesordnung soll die Vorlage aber
nicht an den Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft überwiesen werden. Die Vorlage auf Drucksache 15/4847 soll an die übrigen in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen
werden. - Darüber besteht offenkundig Einverständnis.
Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer gemeinsamen Datei der deutschen Sicherheitsbehörden zur Beobachtung und Bekämpfung des
islamistischen Extremismus und Terrorismus
({0})
- Drucksache 15/4413 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Dazu
höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst für
die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär
Fritz Rudolf Körper.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es
vorwegzunehmen: Die Bundesregierung tritt nachdrücklich für die Schaffung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten ein. Gemeinsame
Dateien leisten einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung
des internationalen Terrorismus.
Allerdings kommt es bei der Terrorismusbekämpfung
für den Nutzer ganz entscheidend auf die konkrete Form
gemeinsamer Dateien an. Die vom Bundesrat vorgeschlagene Datei würde nicht zu der gewünschten Verbesserung der Zusammenarbeit unserer Sicherheitsbehörden
führen; sie ist deshalb abzulehnen.
({0})
Lassen Sie mich dies kurz erläutern und begründen.
Der vorliegende Gesetzentwurf zielt auf die Schaffung einer umfassenden Volltextdatei, in die die beteiligten Behörden grundsätzlich jeweils alle Daten über
Personen und Vorgänge im Zusammenhang mit islamistischem Extremismus und Terrorismus eingeben sollen.
({1})
Dieser Ansatz ist zugleich zu weit und zu eng. Ich will
das erklären:
Er ist einerseits zu weit, weil die Daten in dieser Datei
nur offen gespeichert werden können. Mit einer Verpflichtung zur offenen Datenspeicherung würden wir
unseren Sicherheitsbehörden, die gerade bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus auf die Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern angewiesen
sind, einen - lassen Sie mich das so formulieren - Bärendienst erweisen.
({2})
Ausländische Partnerdienste geben ihre Informationen
an unsere Nachrichtendienste in aller Regel vertraulich
weiter. Werden diese verpflichtet, die vertraulich gewonnenen Informationen sogleich allen inländischen Sicherheitsbehörden einschließlich der Polizei zugänglich zu
machen,
({3})
laufen unsere Nachrichtendienste Gefahr, in beträchtlichem Maße von ihren Quellen bei den ausländischen
Partnerdiensten abgeschnitten zu werden.
({4})
Für die Terrorismusbekämpfung kommt es indessen
nicht nur darauf an, vorhandene Informationen unserer Sicherheitsbehörden zusammenzuführen. Mindestens ebenso wichtig ist es, weitere Informationen zu
erhalten und den Informationsfluss nicht zu behindern.
({5})
Wenn kein heißes Wasser nachfließt, wird die Wanne
kalt - so könnte man das Ganze bildhaft darstellen.
({6})
Andererseits ist der Ansatz des Bundesrates zu eng
gewählt. Warum das so ist, will ich auch erklären. Er beschränkt sich nämlich von vornherein auf den islamistischen Extremismus und Terrorismus. Internationaler
Terrorismus hat sich jedoch bereits in der Vergangenheit
nicht auf diesen Bereich beschränkt.
({7})
Eine solche Beschränkung der Datei greift deshalb zu
kurz.
Die Bundesregierung favorisiert demgegenüber - Herr
Göbel, jetzt gehe ich ganz konkret auf unsere Vorstellung ein, hören Sie gut zu - die Schaffung mehrerer gemeinsamer Dateien, die die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden gezielt und intelligent unterstützen.
Da, wo die Polizeien und Nachrichtendienste bereits
heute eng in gemeinsamen Projekten zusammenarbeiten,
weil sich ihre Aufgabengebiete überschneiden, müssen
ihnen so genannte gemeinsame Projektdateien zur Verfügung stehen. In den gemeinsamen Projektdateien werden umfassende Informationen zu relevanten Personen,
Objekten und Sachverhalten konzentriert zusammengefasst. Projektdateien sind ein variables Instrument, das
im Blick auf die Zusammenarbeit der jeweiligen Behörden und ihre Aufgaben angepasst werden kann. Eine einzige umfassende Volltextdatei, an der stets alle Sicherheitsbehörden beteiligt sind, kann dies in dieser Form
nicht leisten.
({8})
Soweit es darum geht, durch eine gemeinsame Datei
sämtliche Mosaiksteine der einzelnen Sicherheitsbehörden auffindbar zu machen und zusammenzuführen, ist
eine so genannte gemeinsame Indexdatei vonnöten.
Eine Indexdatei bringt den Sicherheitsbehörden im Ergebnis mehr Nutzen als eine umfassende Volltextdatei.
Eine Indexdatei beschleunigt und vereinfacht nicht nur
den Informationsfluss zwischen Polizeien und Nachrichtendiensten, sondern gewährleistet auch, dass wichtige
Hintergrundinformationen nicht verloren gehen. Der
Sinn einer Indexdatei besteht nicht zuletzt darin, dass die
Sicherheitsbehörden auch weiterhin miteinander kommunizieren. Eine gemeinsame Datei kann und darf die
Kommunikation nämlich nicht ersetzen. Erst durch die
menschliche Kommunikation kann der Hintergrund einer Anfrage durch eine andere Behörde verstanden und
hierauf sogleich reagiert werden.
({9})
Eine gemeinsame Volltextdatei kann zwar möglicherweise bloße Informationen, nicht aber den mit Kommunikation verbundenen Erkenntnisgewinn liefern.
({10})
Der Abfragende meint alles zu wissen, ohne es unter
Umständen auch tatsächlich zu verstehen. Eine Indexdatei entgeht dieser Gefahr. Sie macht Informationen
schnell auffindbar und erleichtert die unverzichtbare
Kommunikation.
({11})
Meine Damen und Herren, abgesehen von diesen
fachlichen Bedenken ist der Gesetzentwurf des Bundesrates auch rechtlich nicht ausgereift. Dies wird wohl ein
weiterer Grund dafür gewesen sein, dass ihn auch die
B-Länder sowohl im Finanz- als auch im Rechtsausschuss des Bundesrates nicht für beratungsreif erachtet
haben. Der Bundesrat hat hier - ohne die Beratungen einer eigens von der IMK eingesetzten Bund/Länder-Expertengruppe abzuwarten und ohne Rücksicht auf die
fachlichen Belange der beteiligten Sicherheitsbehörden einen Schnellschuss geliefert, der auch, wie die Praxis
zeigt, die Aufgabenstellung klar verfehlt. Das muss man
leider sagen.
Ebenso gab es ein paar Zwischenrufe, die an der Sache vorbeigehen. Ich habe mich diesem Thema sehr
sachlich zugewendet
({12})
und mich mit diesem Antrag insbesondere mit Blick auf
die Praktikabilität und die Notwendigkeit auseinander
gesetzt. Ich glaube, dass der Weg der Projektdatei im Zusammenhang mit der so genannten Indexdatei der richtige Weg ist. Die Bundesregierung wird diesbezüglich in
Kürze eine fachlich fundierte gesetzliche Lösung präsentieren. Das ist auch hinsichtlich einer effektiven Terrorismusbekämpfung in diesem Bereich der richtige Weg. Ich
bin sehr gespannt auf die fachliche und sachliche Diskussion und Debatte. Ich glaube, das ist kein geeignetes
Thema für einen platten Streit; das wäre verfehlt. In diesem Sinne wünsche ich mir die Unterstützung unserer
Vorstellungen.
Schönen Dank.
({13})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Ole Schröder,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Bislang galt Deutschland in erster Linie als Vorbereitungs- und Rückzugsraum für Terroristen. Das ist
schon schlimm genug. Doch die bisher aufgedeckten islamistischen Strukturen und deren Vernetzung mit Terrororganisationen machen deutlich, dass Deutschland
auch das Ziel von Terroranschlägen ist.
({0})
Das Gefährdungspotenzial ist enorm. Circa 31 000 islamistische Extremisten halten sich in Deutschland auf.
({1})
Mehrere 1 000 davon sind als gewaltbereit einzuschätzen.
Auf absehbare Zeit wird die Beobachtung und Bekämpfung des islamistischen Terrorismus die zentrale
Herausforderung unserer Sicherheitsbehörden sein. Je
schneller und konsequenter wir jetzt handeln, desto größere Chancen haben unsere Sicherheitsbehörden in der
Zukunft.
({2})
Meine Damen und Herren, wenn wir in Deutschland das
Risiko einer Katastrophe im Ausmaß des 11. September
eingrenzen wollen, müssen wir hier und heute handeln.
Der CDU/CSU-geführte Bundesrat hat gehandelt. Er hat
genau das getan, was die Bürger der Bundesrepublik
Deutschland eigentlich vom Bundesinnenminister hätten
erwarten dürfen. Anstelle großer Ankündigungen hat der
Bundesrat eine konkrete Gesetzesvorlage zur Errichtung
einer Antiterrordatei eingebracht. Dieses Projekt sollten
wir jetzt möglichst schnell auf den Weg bringen.
({3})
Warum ist der Informationsaustausch zwischen den
Sicherheitsbehörden von so entscheidender Bedeutung
im Kampf gegen den Terrorismus? Bis zu 37 verschiedene Sicherheitsbehörden beschäftigen sich heute unter
Umständen mit ein und derselben Person, mit ein und
demselben potenziellen Terroristen.
({4})
Für jede Sicherheitsbehörde stellt sich das Deliktsfeld
anders dar: Für den Verfassungsschutz ist es ein Islamist,
für den BND vielleicht ein al-Qaida-Kämpfer, für den
BGS sind es Schleuser oder Geschleuste, für den Zoll illegale Arbeitnehmer oder Schmuggler und für die örtliche Kripo Urkundenfälscher, Kreditkartenbetrüger oder
Autoschieber.
Jede Behörde macht für sich gesehen einen hervorragenden Job. Jede Behörde gewinnt im Zuge der eigenen Ermittlungen Informationen über diese Person. Aber
- genau das ist unser Problem - die einzelnen Behörden
arbeiten parallel zueinander, unabhängig voneinander
und ohne Kenntnis voneinander. Informationen werden
dezentral gewonnen, aber auch dezentral in den unterschiedlichsten Dateien gespeichert. Ein Austausch der
Informationen findet entweder überhaupt nicht statt oder
er verläuft viel zu langsam und zu bürokratisch.
({5})
Die Informationen der Polizei- und Verfassungsschutzbehörden vor Ort müssen mit den nationalen und
internationalen Kenntnissen zusammengeführt werden.
Wie erreichen wir dieses Ziel? Betrachten wir beide Lösungsansätze, also den konkreten Gesetzentwurf des
Bundesrates und die sehr vagen Ankündigungen der
Bundesregierung, doch einmal nebeneinander.
Wir von der CDU/CSU-Fraktion wollen, dass die gewonnenen Informationen effizient genutzt werden. Das
bedeutet, dass wir auf den Einsatz moderner Datenbanktechnologie nicht verzichten können, um Anschläge zu verhindern. Sie von den Grünen und der SPD
wollen eine Indexdatei, die nichts anderes ist als ein Aktenregister in elektronischer Form.
Wir von der CDU/CSU-Fraktion wollen, dass jede
beteiligte Sicherheitsbehörde die Möglichkeit hat, alle
gewonnenen Informationen den anderen Sicherheitsbehörden in Echtzeit zur Verfügung zu stellen. Sie von den
Grünen und der SPD wollen lediglich ein Verzeichnis,
das angibt, welche Stelle sich mit dem Fall beschäftigt
hat.
Wir von der CDU/CSU-Fraktion wollen, dass jede
Einsatzstelle die vorhandenen Informationen voll nutzen
kann. Personalien, Sachverhalte und natürlich auch deren Verbindungen müssen online recherchierbar sein. Sie
von der SPD und den Grünen wollen den Beamten zumuten, sich die Informationen bei den aufgeführten Stellen mithilfe von Aktenregistern und Aktenzeichen zuDr. Ole Schröder
sammenzusuchen. Das kann Tage oder Wochen, wenn
nicht sogar Monate dauern.
Wir dürfen die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden
nicht mutwillig verzögern. Die Weitergabe von Informationen darf nicht Wochen oder Monate dauern, wenn es
ebenso in Sekunden möglich ist. Anschläge sind innerhalb von Wochen geplant und sie sind - leider - auch innerhalb von Wochen durchführbar.
Liebe Kollegen von Rot-Grün, NADIS, das nachrichtendienstliche Informationssystem, ist ein Aktenfundstellensystem, wie Sie es planen. Die Mitarbeiter vor Ort
sind aber der Meinung, dass die aufwendigen Recherchen einfach zu lange dauern.
Ein weiteres Beispiel ist die so genannte Arbeitsdatei
Mudjahedin. Auch diese Datei weist erhebliche Mängel
auf. Sie enthält nur Daten aus dem Verfassungsschutzverbund. Andere Sicherheitsbehörden haben keinen Zugriff. Die Landesbehörden können die Daten nicht direkt
einstellen, sondern sie müssen den komplizierten Weg
über das Bundesamt gehen. Die Datei ist in ihrer Beschränkung auf islamistische Terroristen zu eng gefasst.
Gerade durch die Informationen über den islamistischen
Extremismus, den Nährboden für den Terrorismus, können bestehende Verflechtungen zum Terrorismus aufgedeckt werden.
Lieber Herr Staatssekretär, die bestehenden Datensysteme reichen einfach nicht aus. Wir müssen aus den
gemachten Fehlern lernen.
({6})
Liebe Kollegen von Rot-Grün, welche Gründe kann
es geben, im Kampf gegen den Terrorismus freiwillig
Boden zu verschenken?
({7})
Oft wird die Kritik vorgebracht, so auch eben, dass für
bestimmte Daten ein besonderer Schutz notwendig sei.
Das ist völlig richtig. Dieser Schutz ist aber nicht durch
die Errichtung einer reinen Indexdatei erzielbar. Wenn
Sie den Gesetzentwurf genau lesen, dann können Sie
leicht erkennen, dass ein entsprechender Schutz vorgesehen ist. Die schützenswerten Daten gerade von ausländischen Nachrichtendiensten müssen, damit beispielsweise der Schutz der Informanten sichergestellt wird,
natürlich nicht im Volltext eingestellt werden. Das ist bei
Umsetzung unseres Antrages gewährleistet.
Der wesentliche Unterschied zwischen dem Gesetzentwurf des Bundesrates und den von der Bundesregierung geäußerten Absichtserklärungen liegt doch darin,
ob die Weitergabe von Informationen der Regelfall oder
ob es der komplizierte, zeitverzögerte Ausnahmefall sein
wird.
Ich appelliere daher an den Bundesinnenminister, seiner Verantwortung gerecht zu werden und sich der Einrichtung einer Antiterrordatei nicht länger zu widersetzen; denn wie ich schon ausgeführt habe, liegt Ihre
Ablehnung scheinbar nur in der falschen Annahme begründet, die Geheimdienste müssten alle Daten eingeben. Dies ist in dem vorliegenden Gesetzentwurf aber
nicht vorgesehen. Ich bitte Sie daher, unseren Antrag
während der Beratungen in den Ausschüssen konstruktiv
zu unterstützen.
({8})
Ich erteile nun der Kollegin Silke Stokar von
Neuforn, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schröder, Sie haben hier ziemlichen Firlefanz geredet.
({0})
Die erste Frage, die ich an den Bundesrat stelle, lautet: Wenn Sie das, was Sie in Ihrem Antrag beschrieben
haben, so toll finden, wenn Sie eine solche Form von
Volltextdatei, in die man alle Informationen aufnimmt
und aus der sich jeder etwas herausholen kann, bei der
aber niemand nachvollziehen kann, ob die Informationen komplett sind und wer sie eingespeist hat, toll finden, warum gibt es dann bisher eigentlich in keinem
Bundesland eine solche Datei? Warum gibt es diesen
großen Trichter, in den alle Informationen von Verfassungsschutz und Polizei hinein geschmissen werden,
nicht, zumal die Länder die Hauptverantwortung für die
Prävention tragen? Ich kenne die Situation in Niedersachsen. Auch Herr Beckstein in Bayern hat bisher keine
Datei geschaffen, in der er alle Informationen des Verfassungsschutzes mit denen der Polizei zusammenführt.
Auch in Ihrem weiteren Redebeitrag ist sehr deutlich
geworden, worum es Ihnen geht. Sie suggerieren hier,
Rot-Grün, die Bundesregierung, der Bundesinnenminister unternähmen nichts. Die Situation ist genau umgekehrt.
({1})
- Wir werden in Kürze, noch vor Ostern, einen Antrag
vorlegen.
({2})
- Manchmal, Herr Kollege Schröder, geht es nicht darum, wie schnell man einen Antrag vorlegt, um ein
Thema populistisch auf den Markt zu werfen.
({3})
- Wir sind fast fertig mit dem Antrag und auch mit dem
System.
({4})
Es ist einfach abenteuerlich, welche Kenntnisse Sie über
den Aufbau einer Indexdatei in der heutigen modernen
elektronischen Kommunikation haben. Lassen Sie sich
einmal von jüngeren Leuten erklären, wie man so etwas
heute aufbaut.
({5})
Ich komme zu Ihrem nächsten Punkt. Das Folgende
ist selbst in den zugänglichen Protokollen der Innenministerkonferenz sehr gut nachzuvollziehen. Deren Facharbeitsgruppe, der ausschließlich Kriminalbeamte angehören, warnt geradezu davor, diese ominöse Zahl von
30 000 oder 31 000 Personen, die aus dem Verfassungsschutzbericht stammt, für bare Münze zu nehmen und
davon auszugehen, alle, die in diesem Bereich Beobachtungsobjekt sind, seien islamistische Terroristen.
({6})
Ich will es hier einmal offen ansprechen: Sie wissen
ganz genau, dass hinter einem Großteil dieser beobachteten Personen die Organisation Milli Görüs steht. Bei
Milli Görüs war auch Innenminister Beckstein abends
schon essen. Der Dialog mit den Vorständen dieser Organisation findet in den Ländern durchaus statt. Wenn
Sie den Verfassungsschutzbericht genau lesen, werden
Sie sehen, dass diese Organisation weder gewaltbereit
noch gefährlich ist. Sie ist in dem Bericht nur enthalten,
weil ihre Mitglieder eine islamistische Ideologie vertreten.
({7})
Wenn wir in Deutschland Terrorismus bekämpfen
wollen, dann sollten wir es effizient und mit modernen
Mitteln der Kommunikation tun. Dabei sollten wir im
Blick haben, dass die Aufgaben von Verfassungsschutz,
Polizei und BND gesetzlich definiert sind. Wir erschwerten sogar die Aufgabenwahrnehmung der einzelnen Sicherheitsbehörden, wenn wir den Unsinn umsetzten, den Sie hier nicht zum ersten Mal vorgeschlagen
haben.
Meine Damen und Herren, Rot-Grün hat sich dafür
entschieden - in diesem Punkt sind wir mit Herrn Staatssekretär Körper völlig einig -, eine Index-, Projekt- und
Analysedatei aufzubauen. Diese Datei wird der von
Europol ähnlich sein - dort kann man sich moderne Dateien anschauen -; sie hat überhaupt nichts mit dem alten
NADIS-System zu tun. Wir werden Ihnen zeigen, wie
man heute solche Dateien aufbaut. In der Gefahrenanalyse
sind wir uns einig. An dieser Stelle habe ich oft genug
gesagt - das können Sie auch in allen grünen Papieren
nachlesen -, dass ein effizienter Informationsaustausch
zwischen den Sicherheitsbehörden Grundlage jeglicher
Prävention sei. Dies wird Rot-Grün besser machen, als
Sie es hier vorgeschlagen haben.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Max Stadler für die
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem
Anschlag von Madrid am 11. März 2004 hat auch in
unserem Lande eine öffentliche Debatte über die
Sicherheitsarchitektur eingesetzt. Der Föderalismus in
Deutschland hat sich natürlich bewährt - als Bayer bin
ich sozusagen ein geborener Föderalist -; aber er ist
manchmal umständlich und unpraktisch, was die Zusammenarbeit der vielen Sicherheitsbehörden angeht, die es
aufgrund unserer föderalen Struktur gibt. Deswegen ist
auch von Bundesinnenminister Schily eine Debatte darüber angefacht worden, ob man eine Weisungsbefugnis
des Bundeskriminalamts gegenüber den Landeskriminalämtern brauche. Dies schien uns nicht notwendig zu
sein. Aber es ist völlig klar, dass wir einen verbesserten
Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden brauchen. Dabei sollten wir allerdings nicht so tun,
als gäbe es derzeit gar keine rechtlichen Regelungen für
den Informationsaustausch. Sie existieren längst.
({0})
Es kann nicht richtig sein, dass Polizeibehörden des
einen Bundeslandes in der Praxis Schwierigkeiten haben, Erkenntnisse aus einem anderen Bundesland in ihre
Arbeit einzubeziehen. Es kann auch nicht richtig sein,
dass Verfassungsschutzbehörden der Länder mit dem
Bundesamt für Verfassungsschutz in manchen Fragen
nicht hinreichend kooperieren.
({1})
Wir haben ja beim gescheiterten NPD-Verbotsverfahren
gesehen, wohin die Abschottung solcher Behörden voneinander führt.
({2})
Eine Hauptursache des Scheiterns dieses Verfahrens war,
dass der Informationsfluss nicht so lief, wie es rechtlich
möglich gewesen wäre.
({3})
Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion begrüßt
daher ausdrücklich die Zielsetzung dieses Gesetzesantrags des Bundesrates, der meines Wissens auf einen
Beschluss des von der FDP mitregierten Landes Niedersachsen zurückgeht.
({4})
- Ich möchte im Zusammenhang vortragen, Frau Kollegin.
({5})
Wie man dann den verbesserten Informationsaustausch in der Praxis organisiert, scheint mir eher eine
technische bzw. praktische Frage als eine ideologische
Frage zu sein. Auch wenn ich im Sinne des Beitrags von
Frau Stokar hier zur älteren Generation gehöre,
({6})
habe ich doch so viel Fantasie, mir vorstellen zu können,
dass es sich im Zeitalter des Computers und der Onlinezugriffe organisieren lässt, die Informationen der Polizeien von Bund und Ländern sowie der Nachrichtendienste so zu bündeln, dass es - mit welcher der
vorgeschlagenen Methoden auch immer: Index- und
Projektdatei oder Volltextdatei - zu einem schnellen Zugriff kommt.
Gegen eine Volltextdatei spricht bekanntlich, dass die
Nachrichtendienste wegen des Quellenschutzes, den sie
auch beachten müssen, erhebliche Bedenken haben. Wir
sollten uns im Ausschuss von Praktikern sine ira et studio beraten lassen und insbesondere die Ergebnisse der
Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz in unsere Beschlussfassung einbeziehen.
({7})
Für die FDP ist ein Punkt jenseits der praktischen Fragen auf jeden Fall von entscheidender Bedeutung: Wir
sind der Meinung, dass bei allen Maßnahmen zur Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung die bewährten
rechtsstaatlichen Grundsätze strikt eingehalten werden müssen.
({8})
Zu diesen Grundsätzen gehört seit dem so genannten Polizeibrief vom 14. April 1949, den die drei westlichen Militärgouverneure damals Konrad Adenauer übermittelt
haben, die Trennung von Polizei und Geheimdiensten.
({9})
Es ist völlig müßig, darüber zu streiten, ob sich dieser
Grundsatz aus der Verfassung ergibt - ich meine, ja,
nämlich aus dem Rechtsstaatsprinzip - oder ob er seit
50 Jahren nur praktisch angewandt wird. Auf alle Fälle
ist dies kein überholtes historisches Relikt, sondern weiterhin ein wichtiger Bestandteil der rechtsstaatlichen Gefahrenabwehr.
({10})
Das sieht übrigens auch Generalbundesanwalt Kay
Nehm so.
({11})
Meine Damen und Herren, der Trennungsgrundsatz
bedeutet allerdings nicht, dass es keinen Informationsaustausch zwischen der Polizei und den Nachrichtendiensten geben dürfe.
({12})
Ganz im Gegenteil: Die Regelungen dafür existieren
längst, etwa in § 17 des Bundesverfassungsschutzgesetzes.
({13})
Deswegen ist die Leitlinie der FDP für die Ausschussberatungen völlig klar: Wir wollen erstens eine
wirksame Terrorismusabwehr, treten daher zweitens für
einen verbesserten Datenaustausch ein und wollen drittens die strikte Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze.
Wir sind der Meinung, dass alle drei Ziele vernünftig erreichbar sind.
({14})
Das Wort hat der Kollege Frank Hofmann, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Stadler,
mit Ihren letzten Punkten sind wir völlig einverstanden.
({0})
Ich glaube, darüber gab es nie Streit. Schon die Debatte,
die wir im Oktober geführt haben, hat gezeigt, dass wir
uns in den Zielen grundsätzlich einig sind.
({1})
- Man kann es öfter wiederholen. Auch ich werde das
tun; Sie werden es merken.
Das Thema Antiterrordatei, über das wir hier reden,
ist ein völlig unpolitisches Thema. Man könnte es eigentlich auf der Ebene der Ministerialen und der Praktiker belassen. Angesichts der Tatsache, dass Sie von der
CDU/CSU zu einem solchen Thema greifen müssen,
wird deutlich, dass Sie keine anderen innenpolitischen
Themen haben.
({2})
Wenn ich betrachte, wer von der CDU/CSU zu diesem Thema spricht, und feststelle, dass Dr. Ole Schröder
eine Rede hält, dann weiß ich: Am Sonntag sind in
Schleswig-Holstein Wahlen. Er kommt aus Pinneberg.
Er muss nicht deswegen reden, weil er von diesem
Thema Ahnung hat, sondern deswegen, weil er aus
Schleswig-Holstein kommt. Auch das ist ein schlechtes
Zeichen.
({3})
Frank Hofmann ({4})
Wenn ich dann von Herrn Dr. Schröder höre, wie
schlimm es in Deutschland aussieht und wie wenig für
die Terrorbekämpfung getan wird, dann muss ich sagen, dass er in den letzten Monaten und Jahren nicht mitverfolgt hat, wie der Terrorismus in Deutschland bekämpft worden ist.
({5})
Ich erinnere an die jüngsten Festnahmen in Mainz und in
Bonn, die erneut gezeigt haben, dass unsere Sicherheitsbehörden im Kampf gegen den Terrorismus durchaus erfolgreich sind. Sie müssen jetzt ihre Arbeit zum Schutz
der Bevölkerung unter erschwerten Bedingungen - hierbei meine ich das Urteil zum großen Lauschangriff fortsetzen. Wir werden ihnen mit dem Terrorabwehrzentrum in Berlin und mit Projekt- und Indexdateien weitere
Möglichkeiten an die Hand geben.
Wir alle wissen: Deutschland ist weiterhin Teil eines
allgemeinen Gefahrenraums. Aber man sollte das nicht
aufbauschen. Wir müssen zwar aufpassen, aber wir dürfen die Leute nicht verunsichern. Das haben Sie allerdings getan. Das halte ich für falsch.
Worum geht es im Gesetzesantrag des Landes Niedersachsen? Es geht um drei Dinge: Erstens will man,
wie Staatssekretär Körper gesagt hat, eine Volltextdatei.
Zweitens will man diese Datei beim Verfassungsschutz
einrichten. Drittens will man eine Errichtungsanordnung
für diese Datei erstellen. Ich stimme Staatssekretär
Körper zu: Dieser Gesetzesantrag ist ein Schnellschuss.
Er wurde im Bundesrat ohne Aussprache beschlossen
und von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen knappen Monat später durch den Antrag mit dem Titel „Gemeinsames Zentrum zur Terrorismusbekämpfung schaffen“ ergänzt. Bereits in der Plenarsitzung vom
22. Oktober 2004 wurde deutlich, dass dieser Antrag
ebenfalls mit heißer Nadel gestrickt war.
({6})
Sie haben den Antrag Niedersachsens nicht verbessert, sondern verschlimmbessert; denn fügt man beide
Anträge zusammen, dann stellt man fest: Einerseits soll
ein gemeinsames Zentrum zur Terrorbekämpfung entstehen,
({7})
andererseits soll die gemeinsame Datei nicht gemeinsam
geführt werden. Was soll das? Ein Politikvorschlag aus
einem Guss sieht anders aus.
({8})
Wenn ich mir den Antrag anschaue, stelle ich fest,
dass die Aneinanderreihung von unausgegorenen Vorstellungen weitergeht. Man schaue sich nur einmal die
Begründung an, weshalb diese Datei beim Bundesamt
für Verfassungsschutz eingerichtet werden soll.
({9})
Es heißt - auch die FDP steht ja hinter diesem Antrag -,
das BfV sei der geeignete Standort, da dort vielfältige
Erfahrungen, insbesondere mit dem Schutz von Nachrichtenzugängen, bestehen.
Meine Damen und Herren, darauf kommt es gar nicht
an; denn dem Vorschlag Niedersachsens zufolge entscheidet die eingebende Stelle darüber, was eingegeben
wird. Nur diese Stelle kann auch Änderungen vornehmen.
({10})
Wenn nur die eingebende Stelle verantwortlich sein soll,
worin liegt dann die besondere Verantwortung des BfV
für den Schutz von Nachrichtenzugängen?
({11})
Das ist doch nicht durchdacht! Der Bundesrat wusste
wohl, warum er, wie Staatssekretär Körper schon ausgeführt hat, dieses Thema nicht näher behandeln wollte.
Nun zur von Ihnen vorgeschlagenen Volltextdatei.
Schon im Oktober haben wir darüber debattiert, ob man
sich, wie Sie vorschlagen, für eine Volltextdatei oder für
eine Indexdatei entscheiden sollte. Erinnern Sie sich einmal an die Festnahmen in Mainz und Bonn Ende Januar
dieses Jahres. Die Erkenntnisse, die die Sicherheitsbehörden über die Männer, die dort festgenommen wurden,
haben, lassen sich in Akten stapeln. Will das Land Niedersachsen, wollen Sie, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, tatsächlich, dass alles, was bei den Diensten und bei
den Polizeien von Bund und Ländern notiert wurde, in
eine Datei eingegeben wird?
({12})
Möglicherweise würde man monatelang an der Eingabe
der Daten sitzen.
({13})
Was wollen Sie eigentlich: Beschäftigungstherapie
oder Terrorismusbekämpfung? Wer soll denn das alles
lesen und erfassen?
({14})
Und für welche Bedürfnisse soll die Datei extrahiert
werden?
({15})
Ich sage Ihnen: Volltextdateien bieten Scheinsicherheit,
also falsche Sicherheit. Das kann im wahrsten Sinne des
Wortes tödlich sein.
({16})
Frank Hofmann ({17})
Eine umfassende Textverarbeitung ist nicht leistbar. Eine
Volltextdatei muss unvollständig bleiben. Sie ersetzt die
direkte Kommunikation nicht.
Gerade im Bereich des Extremismus und des Terrorismus sind die Daten vielfach sensibel: in der Bewertung, der Behandlung und der Umsetzung. Indexdateien
dagegen erfordern Rückfragen. Rückfragen sind richtig
und wichtig. Indexdateien ermöglichen Quellenschutz
und Geheimhaltungsschutz und sie sind gut für den Datenschutz.
Ich erinnere daran: Die Polizei hat Erfahrung mit Indexdateien. Der KAN, der Kriminalaktennachweis, ist
eine Indexdatei. Hiermit arbeitet die Polizei erfolgreich. Indexdateien sind bekannt und eingeübt. Man
weiß, wie man sich zu verhalten hat. Deshalb werden
wir die rechtlichen Voraussetzungen für eine gemeinsame Indexdatei und gemeinsame Projektdateien schaffen. Die Errichtungsanordnung befindet sich in der Ressortabstimmung.
Das Terrorismusabwehrzentrum, das im September
vergangenen Jahres hier in Berlin seine Arbeit aufgenommen hat, baut auf den bewährten Strukturen der Sicherheitsbehörden auf. Das Informationsboard wird
maßgeblich von denen, die etwas von Gefahrenabwehr
und Lagebeurteilung verstehen, verantwortet: der Polizei. Der Verfassungsschutz, der sich um die Aufklärung
kümmert, ist maßgeblich für das Analyseboard zuständig. Ich denke, das ist genau richtig.
Ich will daran erinnern - hier müssen Sie Ihre Scheuklappen abnehmen -, dass Sie immer nur von Islamisten
sprechen. Wir allerdings wollen den internationalen
Terrorismus bekämpfen. Das ist nicht auf den Islamismus beschränkt. Wir blicken weiter als Sie. Dieses Zentrum wird eine internationale Ausrichtung haben, die Sie
überhaupt nicht bedacht haben. Wir stellen uns zum Beispiel vor, bei der Arbeit mit Projektdateien auch Leute
von Europol einzubinden. So etwas haben Sie überhaupt
nicht betrachtet. Wir behalten das Ziel im Auge, das Terrorabwehrzentrum international einzubinden, damit Informationen, die in verschiedenen Ländern vorliegen,
zusammengeführt werden. Weder in Ihrem Antrag noch
im Gesetzesantrag des Landes Niedersachsen steht dazu
etwas. Im Ergebnis steht fest: Wir machen das, was Sie
und was wir gemeinsam für richtig halten: Wir schützen
unser Land und unsere Bevölkerung. Aber wir machen
das besser:
({18})
durch Informationsaustausch und Frühaufklärung, durch
umfassende Zusammenarbeit, durch gemeinsame Datennutzung - unter Gewährleistung des Trennungsgebotes
der Sicherheitsbehörden, Herr Stadler.
Ich danke Ihnen.
({19})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Ralf
Göbel, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus und Extremismus und die Folgen, die daraus zu ziehen sind, bestimmen nun schon seit einigen Jahren die
innenpolitische Debatte hier bei uns und auch auf europäischer Ebene. Erst jüngst hat der Bundesinnenminister
einen Vorschlag zur Vernetzung der Dateien auf europäischer Ebene gemacht. Die Fragen der Informationsgewinnung, der Informationsverarbeitung, aber auch der
Bewertung und Übermittlung von Informationen sind
ganz zentral bei der Bekämpfung terroristischer Strukturen.
({0})
Wir diskutieren hier seit Monaten über einen Baustein
dieser Bekämpfungsstrategie, nämlich die Antiterrordatei.
({1})
- Lieber Frank Hofmann, ich bin es eigentlich leid, immer nur Ankündigungen zu hören.
({2})
Wir hören seit Monaten nur Ankündigungen wie „Wir
kommen dann und dann“ und „Irgendwann werden wir
etwas einbringen“; so ist es auch heute.
({3})
Wenn man das Thema wirklich ernst nimmt - und das
hat das Land Niedersachsen zusammen mit einigen anderen Bundesländern getan: Es hat einen Vorschlag auf
den Tisch gelegt -, dann redet man nicht nur darüber
oder - wie der Parlamentarische Staatssekretär sagt favorisiert irgendwelche Gedanken und Ideen, sondern
dann schreibt man es nieder und legt es für alle auf den
Tisch. Dann hätten wir heute eine Debatte darüber führen können, was in unserem Antrag und was in Ihrem
Antrag steht.
({4})
Nun liegt allein der Gesetzentwurf aus Niedersachsen
vor, der über den Bundesrat eingebracht worden ist.
Dann müssen wir uns eben mit diesem Gesetzentwurf
beschäftigen.
({5})
- Ich denke, dass es ein guter Antrag ist, weil er uns in
der Sicherheitspolitik weiterführt.
({6})
Man kann darüber streiten, ob Indexdateien sinnvoller sind oder ob Volltextdateien sinnvoller sind; das ist
keine Frage. Frau Stokar, ich will Ihnen nur sagen: Im
polizeilichen Alltag gibt es nicht nur reine Indexdateien
und reine Volltextdateien, sondern es kommt einfach
darauf an, wozu man diese Datei braucht. Gegebenenfalls kann man sie auch als gemischte Datei anlegen.
({7})
Das ist Inhalt des Vorschlags von Niedersachsen.
({8})
Dieser Vorschlag ist gut, lieber Frank Hofmann. Sie erzählen, bei den Volltextdateien müsse man unglaublich
viel lesen, und Sie favorisieren die Indexdateien und sagen, dort ist ein Aktennachweis enthalten.
({9})
Der Parlamentarische Staatssekretär spricht von Kommunikation unter den Sicherheitsbehörden. Entschuldigung, ist das ein Unterschied, ob ich 500 Einträge lesen
muss oder ob ich 500-mal telefonieren und bei den zuständigen Behörden nachfragen muss, was in den Akten
steht?
({10})
Das kann ja nicht der Punkt sein, über den wir hier am
Ende noch stolpern!
({11})
- Frau Stokar, sehen Sie es mir bitte nach: Ich habe zehn
Jahre in einer Sicherheitsbehörde gearbeitet - ich weiß
nicht, ob Sie das auch getan haben - und weiß daher,
wovon ich rede.
({12})
Interessant ist im Zusammenhang mit den Indexdateien auch, dass wir offensichtlich je nach Ebene unterscheiden: Im europäischen Zusammenhang geht es um
die Frage, wie die europäischen Strafregister miteinander vernetzt werden. Hier lehnt es die Bundesregierung
ab, das über Indexdateien zu machen, weil Indexdateien
nicht die notwendige Effizienz für die Informationsgewinnung bieten - so nachzulesen in der Antwort auf eine
Kleine Anfrage, die wir gestellt haben.
({13})
Ich frage mich: Wenn Indexdateien in diesem Zusammenhang nicht effizient sind, sind sie es dann im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Terrorismus?
({14})
Ich denke, wir sollten über diese Sache im Ausschuss
reden. Insoweit finde ich auch den Vorschlag des Kollegen Stadler sehr gut, dass wir die verschiedenen Fachleute in den Ausschuss einladen und uns anhören sollten,
ob sie mit einem gemischten Modell, wie es Niedersachsen vorschlägt, oder mit dem reinen Indexmodell, welches durch die Projektdateien ergänzt wird, besser leben
können.
Ich denke, hier sind wir alle offen; denn unser gemeinsames Ziel ist ja die effektive Bekämpfung des Terrorismus und die Verhinderung von Anschlägen. Darüber werden wir im Ausschuss reden müssen. Ich hoffe,
dass wir dann zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen
werden.
Als letztes komme ich zum Trennungsgebot, das immer wieder angeführt wird. In der Bundesrepublik
Deutschland besteht das Trennungsgebot und jedenfalls
aus meiner Sicht ist niemand da, der dieses Trennungsgebot beseitigen will.
({15})
Ich denke, dass das Trennungsgebot durch die Anlage
dieser Datei nicht verletzt wird. Das Trennungsgebot besagt ja, dass man dem Verfassungsschutz keine polizeilichen Befugnisse und der Polizei keine nachrichtendienstlichen Befugnisse geben darf. Man muss also
beide Organisationen voneinander trennen. Ein Trennungsgebot so auszulegen, dass keine Informationen
mehr zusammengeführt und ausgetauscht werden dürfen,
({16})
entspricht natürlich nicht unserem Auftrag hier im Parlament, nämlich die Bevölkerung vor Anschlägen zu
schützen.
({17})
Es wäre geradezu widersinnig, wenn in der Verfassung oder in einem einfachen Gesetz eine solche Forderung stehen würde. Ich denke, wir müssen all das, was
beim Informationsaustausch rechtstaatlich möglich ist,
den Behörden auch tatsächlich an die Hand geben. Es
geht um die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger
in diesem Land. Unser Auftrag ist es, diese zu gewährleisten.
Ich bin mit Otto Schily der Auffassung,
({18})
dass es uns nicht gelingen wird, jegliche Anschlagsvorbereitungen aufzudecken und jeden Anschlag zu verhindern. Das wird nicht möglich sein. Ich denke aber, wir
stehen in einer großen Verantwortung. Wir müssen den
Sicherheitsbehörden im Vorfeld alle Möglichkeiten geben, die Informationen zu erlangen, die sie in die Lage
versetzen, einen solchen Anschlag zu verhindern. Eine
dieser Maßnahmen ist die vorgeschlagene Datei.
({19})
- Ich meine die Datei, die der Gesetzesantrag des Landes
Niedersachsen beinhaltet.
Ich wünsche mir, dass wir im Innenausschuss sehr
schnell zu einem Ergebnis kommen, sodass wir dieses
Ziel, das wir gemeinsam haben, realisieren können.
Danke schön.
({20})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/4413 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates über den Marktzugang für Hafendienste
KOM ({1}) 654 endg.; Ratsdok. 13681/04
- Drucksachen 15/4213 Nr. 2.36, 15/4692 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Margrit Wetzel
Es liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen
der CDU/CSU und der FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dr. Margrit Wetzel, SPD-Fraktion.
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eines ist ganz klar: Diese Richtlinie über den Marktzugang für Hafendienst, besser bekannt unter dem Stichwort Port Package II, muss weg. Sie kann so nicht zustimmungsfähig sein. Sie muss entweder ganz abgelehnt
oder gründlich überarbeitet werden.
Die Kommission hat bedauerlicherweise keine Analyse der Vorkommen in den Häfen und auch keine Folgenabschätzung durchgeführt. Insofern finde ich, dass
diese Richtlinie Ausdruck eine krassen Fehleinschätzung
ist. Ich bin ausgesprochen gespannt auf die Scheinheiligkeit und den Eiertanz, den uns die Union heute vorführen wird. Herr Fischer, wir warten auf den Eiertanz, den
Sie vorführen werden.
({0})
Im Ausschuss haben Sie flammende Plädoyers für
Port Package II gehalten.
({1})
Wir haben uns kritisch geäußert. Sie haben unsere Einlassung völlig abgelehnt, uns als völlig unsachlich diffamiert
({2})
und gesagt, Port Package II sei wichtig, damit es Wettbewerb zwischen den Häfen gibt. Das ist absoluter Unfug.
({3})
Tatsächlich ist es so, dass es in unseren Häfen einen
funktionierenden Wettbewerb gibt. Wenn die Kommission meint, dass eine Limitierung der Konzessionslaufzeiten zu mehr Wettbewerb führen würde, dann ist das
eine krasse Fehleinschätzung; denn in und auch unter
den Häfen herrscht ein harter Wettbewerb, über den wir
alle genau Bescheid wissen.
Wechselnde Betreiber sichern weder Wettbewerb
noch Qualität. Im Gegenteil: Unsere Unternehmen, die
dort engagiert arbeiten und in der vorigen Debatte als die
Leistungsträger in den Häfen bezeichnet worden sind
- das muss man sich einmal klar machen -, würden in
ihrer Leistungsfähigkeit massiv gestört werden. Es käme
zu Reibungsverlusten und Vertrauen ginge verloren. Verbindungen müssten aufgegeben werden. Es würde zu einer mangelnden Effizienz kommen.
({4})
Es bräuchte wegen der fehlenden Laufzeiten härtere Kalkulationen. Funktionierende Kooperationen mit dem
Hinterland würden durchbrochen und müssten neu aufgebaut werden. Die Investitionsbereitschaft der Betreiber würde sinken.
Es ist völlig klar, dass das Ganze unter anderem mit
Basel II zusammenhängt, weil bei kurzen Amortisationszeiten die Kreditfähigkeit der Unternehmen nicht mehr
so wäre wie jetzt. Hinzu kommt, dass die Qualität der
Mitarbeiter leiden würde und dass Schulungen, Weiterbildungen und Sicherheit infrage gestellt würden. Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel. Das können wir nicht
akzeptieren. Deshalb haben wir die gründliche Überarbeitung der Richtlinie verlangt. Unternehmenskonzentration ist für den Wettbewerb immer kontraproduktiv. In
diesem Fall ist die gesamte Transportkette betroffen, die
auch die Hinterlandverbindungen einschließt.
Wir würden, wenn diese Richtlinie greift, den außereuropäischen Großterminalbetreibern praktisch unsere Märkte öffnen. Wir würden den asiatischen Monopolmärkten Tür und Tor öffnen. Das würde bedeuten,
dass der Umschlag bei uns wahrscheinlich das Dreifache
kosten würde. Bei einem Vergleich zeigt sich: In deutschen Häfen belaufen sich die Umschlagkosten pro Container über den Daumen gepeilt auf etwa 100 US-Dollar.
Das ist ein Drittel der Kosten, die in den asiatischen Häfen anfallen.
Eine interessante Frage ist auch: Wo zahlen die Monopolisten am Ende ihre Steuern? Außerdem ist es so,
dass entschädigungslose Enteignung und fehlender Bestands- und Vertrauensschutz unserem deutschen
Rechtssystem widersprechen. Was würde beim Wechsel
des Betreibers nach kurzen Laufzeiten passieren? Würden die Anlagen abgebaut oder stillgelegt werden?
Müsste vielleicht alles neu aufgebaut werden? Man weiß
überhaupt nicht, was sich die Kommission darunter vorstellt. Deshalb ist es unsere Aufgabe, ganz nachdrücklich
und deutlich dagegenzuhalten, damit eine solche Richtlinie nicht beschlossen wird.
Ein weiterer Punkt, der mich persönlich ganz gewaltig stört, betrifft die Frage: Was ist überhaupt eine kommerzielle Dienstleistung? Der Vorschlag der Kommission sieht die Lotsen als kommerzielle Dienstleister. Sie
sind es aber nicht. Es ist so, dass der Staat die Garantie
für einen sicheren und diskriminierungsfreien Zugang zu
den Häfen übernimmt. Diese Garantie wird umgesetzt,
indem die Lotsenbrüderschaften tätig sind, und zwar in
einem System, das weltweit vorbildlich ist.
Diese Lotsenbrüderschaften sind unmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts. Es handelt sich
eben nicht, wie Herr Börnsen vorhin gesagt hat, um eine
Monopolstellung der Lotsen. Das ist absoluter Quatsch.
Sie haben keine Monopolstellung. Ihre Tätigkeit ist
durch eine Gebührenordnung geregelt. Die Lotsen dürfen keine Gewinne machen und sind ohne jegliche Wartezeiten rund um die Uhr verfügbar. Das finden Sie in
dieser Form in kaum einem anderen Hafen. Die Verfügbarkeit von 24 Stunden und eine Gleichbehandlung aller
Schiffe machen dies zu dem wirtschaftlichsten System,
das es gibt. All das würde bei einer Privatisierung wegfallen.
Es gibt dafür Beispiele aus anderen Ländern. Nehmen
wir einfach einmal Australien mit dem Great Barrier
Reef. Dort ist nach der Privatisierung des Lotsenwesens
die Zahl der Unfälle um 400 Prozent gestiegen. Das
muss man sich einfach einmal klar machen. Das würde
auch bei uns passieren können.
({5})
- Nein, wir haben kein Riff. Aber wir haben schwierige
Reviere, Herr Goldmann. Ich würde an dieser Stelle
nicht lästern, sondern das schon ernst nehmen.
({6})
Es geht hier schlicht und einfach um den Sicherheitsstandard in unseren Revieren. Es geht um die Pünktlichkeit der Schiffe. Diese ist gerade in unseren Tidegewässern - Herr Goldmann, das sollten Sie wissen unverzichtbar
({7})
und für sämtliche Dienstleister in diesem Bereich unendlich wichtig.
({8})
Ich bitte Sie, das zu bedenken; denn es geht hier wirklich um einen Dienst an der Allgemeinheit und nicht um
wirtschaftliche Interessen einer einzelnen Branche oder
eines einzelnen Unternehmens.
({9})
Insofern würde ich mich freuen, wenn Sie unserem Antrag zustimmen.
Schönen Dank.
({10})
Das Wort hat der Kollege Dirk Fischer, CDU/CSUFraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wankelmut und Chaos sind die wesentlichen Merkmale der rot-grünen Verkehrspolitik seit dem Regierungswechsel 1998.
({0})
Ihr Jubel beweist, dass auch für Sie diese Erkenntnis
nicht überraschend kommt. Diese Einschätzung wird ja
auch mittlerweile von sehr großen Teilen der Bevölkerung geteilt.
({1})
Das derzeitige Geschrei der rot-grünen Koalition in
Sachen Port Package ist, wenn man sich die Tatsachen
zu Gemüte führt, wirklich abenteuerlich. Vor der Presse
spielen Sie den Rächer der Enterbten und erwecken den
Eindruck, dass Sie eine Richtlinie über den Marktzugang
für Hafendienste prinzipiell ablehnen. Immer wieder
wird man von Journalisten angesprochen, die sagen, die
SPD und die Grünen seien gegen alles, wir von der
Union aber seien für eine Überarbeitung. Ich frage Sie:
Was soll dieser Täuschungsakt?
({2})
Die Bundesregierung hat fünf Mal - der Kollege
Börnsen hat das vorhin schon gesagt - die Hand für die
Richtlinie über den Marktzugang für Hafendienste gehoben.
({3})
Das entspricht auch nicht dem Entschließungsantrag,
den Sie heute vorgelegt haben; denn in dem sagen Sie,
Dirk Fischer ({4})
dass die Richtlinie kommen soll, sie aber überarbeitet
werden muss. Sie wollen somit eine Richtlinie über den
Marktzugang für Hafendienste in verbesserter Form haben. Das ist die Auffassung der Koalition in diesem Antrag.
({5})
Glauben Sie, dass Ihnen jemand dieses scheinheilige
Wahlkampfgetöse - draußen vermitteln Sie einen anderen Eindruck als hier - vier Tage vor der Landtagswahl
in Schleswig-Holstein abnimmt?
({6})
Sie halten die Leute für weniger klug, als sie in Wahrheit
sind.
({7})
Nun einige Tatsachen: Im März 2000 haben die EUStaats- und Regierungschefs beschlossen, die Europäische Union bis zum Jahr 2010 zur wettbewerbsfähigsten
und dynamischsten Wirtschaft der Welt zu machen. Dieser als Agenda von Lissabon bekannte Beschluss sah
unter anderem die Liberalisierung in allen Verkehrssektoren sowohl im Interesse der Verbraucher als auch der
Unternehmen vor. Die Bundesregierung hat der Agenda
von Lissabon zugestimmt. Bei der Frühjahrstagung im
März 2002 in Barcelona rief der Europäische Rat dazu
auf - ich zitiere wörtlich -,
dass die derzeit vorliegenden Vorschläge über Hafendienste und öffentliche Dienstleistungsaufträge
bis Dezember 2002 angenommen werden;
Auch diese Schlussfolgerung wurde mit der Stimme der
rot-grünen Bundesregierung verabschiedet.
({8})
Dann stimmte der Kanzler Schröder für die Schlussfolgerungen der Frühjahrstagung vom März 2003 in
Brüssel, in denen der Europäische Rat abermals die Notwendigkeit eines schnellen, endgültigen Einvernehmens
über das Port Package deutlich machte. Während des gesamten Gesetzgebungsverfahrens fand Port Package I
- darum ging es damals - die Zustimmung des Ministerrates. Auch der Vermittlungskompromiss wurde am
22. Oktober 2003 einstimmig vom Ministerrat angenommen, also mit der Stimme dieser Bundesregierung.
({9})
Deshalb sind die Bemerkungen im Entschließungsantrag von der SPD und den Grünen bzw. in der Stellungnahme der Bundesregierung vom 26. November 2004
gegenüber dem Verkehrsausschuss, sowohl Europäisches Parlament als auch Ministerrat hätten gegen Port
Package I gestimmt, schlichtweg die Unwahrheit.
({10})
Erwarten Sie eigentlich von der CDU/CSU und von mir
persönlich, dass wir auch noch Ihren Lügenmärchen im
Ausschuss zustimmen? Das ist wohl ein bisschen zu viel
des Guten.
({11})
In Wahrheit ist doch der Vermittlungsvorschlag am
20. November 2003 im Europäischen Parlament gescheitert und nicht an dieser Bundesregierung oder der
rot-grünen Mehrheit.
({12})
Damit entfiel dann die zweite Befassung im Ministerrat.
Noch am 28. Oktober 2003 ließ Stolpe in einer Pressemitteilung seines Ministeriums verbreiten, dass der
Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie über
den Marktzugang für Hafendienste begrüßt werde.
({13})
Gott, wie peinlich! Er hatte noch nicht einmal mitbekommen, was im Europäischen Parlament in Wahrheit
lief. Peinlicher kann es kaum noch werden.
({14})
Warum versuchen Sie jetzt im Verfahren zu Port
Package II, vom Brandstifter zum Feuerwehrmann zu
mutieren? Warum formuliert die Bundesregierung jetzt,
dass „die vorliegende Fassung zahlreiche Änderungen
enthält, denen Deutschland nicht zustimmen kann, da sie
größtenteils auf dem … abgelehnten ersten Entwurf basieren“, notabene einem Entwurf, dem gerade diese Bundesregierung ihre Zustimmung gegeben hat? Ein schlimmerer Salto mortale ist kaum vorstellbar.
({15})
In Wahrheit, Herr Kollege Beckmeyer, enthält keiner der
drei Entschließungsanträge - weder von der FDP noch
von der CDU/CSU und der rot-grünen Koalition - ein
prinzipielles Nein zur Notwendigkeit einer Richtlinie für
den Marktzugang zu den Hafendienstleistungen.
({16})
Vielmehr sind alle im Grunde genommen dafür, eine
sachgerechte Richtlinie zustande zu bringen.
({17})
Deswegen wird die Richtlinie bejaht, aber nicht, wie im
Entwurf vorgesehen.
({18})
Dirk Fischer ({19})
Alle sprechen sich unisono für diese Richtlinie aus, lehnen aber den Entwurf ab und fordern seine Überarbeitung.
({20})
Die CDU/CSU setzt mit ihrem Entschließungsantrag
auf eine ordnungspolitisch saubere Argumentation. Europa braucht Liberalisierung und Harmonisierung im
Bereich des Transportsektors. Dem umweltfreundlichen
Seetransport kommt angesichts des allgemeinen Wirtschaftswachstums, der EU-Osterweiterung und der Intensivierung der Handelsbeziehungen eine besondere
Bedeutung zu. Vorhandene Potenziale können maßgeblich zu einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung innerhalb der EU beitragen. Die Häfen als Schnittstellen zwischen See- und Landtransport haben dabei eine
entscheidende Funktion. Die Zielsetzung einer Richtlinie ist nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion insofern
grundsätzlich der richtige Ansatz.
Gerade in diesen Tagen hat der Deutsche Industrieund Handelskammertag eine Stellungnahme herausgebracht, in der er sich ebenfalls für eine Richtlinie ausspricht, aber den vorliegenden Entwurf für unzureichend
und nicht zustimmungsfähig hält und seine Überarbeitung fordert. Dann werden einzelne Punkte aufgezählt.
Wenn Herr Schröder in Lissabon, Barcelona und
Brüssel eine umfassende Liberalisierung in Europa einfordert und die Weichen dafür stellt, dann können wir
nicht plötzlich fordern, dass ein Marktsegment, nämlich
die Hafendienstleistungen, von der Umsetzung ausgenommen wird. Diese Position kann sicherlich nicht
durchgehalten werden.
({21})
- Herr Kollege Beckmeyer, angesichts Ihrer wahrheitswidrigen Behauptung über meine Person, die heute im
„Hamburger Abendblatt“ zu lesen ist, kann ich nur feststellen, dass Sie dem „Hamburger Abendblatt“ hier ein
Lügenmärchen aufgetischt haben, indem Sie den Eindruck erweckt haben, gegen alles zu sein.
({22})
Wenn die Leute hier zuhören würden, dann würden sie
merken, dass Herr Beckmeyer gegenüber der Presse die
Unwahrheit gesagt hat. Das finde ich skandalös.
({23})
Im Übrigen will ich eines festhalten - das fiel mir
heute Morgen schon auf; jetzt kann ich es loswerden -:
Die Seeschifffahrt in Deutschland und damit unsere
Handelsschifffahrt fußt derzeit auf zwei wesentlichen
Entscheidungen, nämlich dem Internationalen Schifffahrtsregister und der Tonnagesteuer mit dem Lohnsteuereinbehalt zugunsten der Subvention der Betriebskosten eines Schiffes. Das haben wir in der Koalition vor
1998 zustande gebracht.
Sie, Herr Kollege Beckmeyer, sind wegen des ISR
nach Karlsruhe gegangen, um es zu kippen, und haben
den Menschen angekündigt, es im Falle eines Regierungswechsels sofort abzuschaffen. Sie haben diese Ankündigung aber bis heute nicht wahr gemacht, weil es
wirtschaftspolitisch der reinste Wahnsinn wäre und den
Rest der deutschen Handelsflotte ausflaggen würde. Das
ist die Wahrheit.
({24})
Gehen Sie jetzt mal in Sack und Asche und üben Sie
sich in Demut! Sie haben sich in der Vergangenheit bei
dem Thema völlig verrannt. Kommen Sie jetzt bitte
nicht als Hohepriester der Seeschifffahrt daher.
({25})
Ohne wesentliche Veränderungen ist dieser Entwurf
nicht zustimmungsfähig. Eine Richtlinie auf der Basis
von Port Package II lehnen wir ab, insbesondere, weil
die Regelungen gegenüber Port Package I teilweise gravierend verschärft worden sind. Nach unserer Auffassung hat die EU-Kommission die völlig falsche Schlussfolgerung gezogen.
Ich nenne in aller Kürze nur folgende Stichworte, um
zu skizzieren, worüber geredet werden muss: Genehmigungsvorbehalte bei der Erbringung von Hafendienstleistungen, die Geltungsdauer von Genehmigungen, eine
Regelung betreffend die Selbstabfertigung, eine Entschädigungsregelung - ich sage ganz klar, dass wir kein
Enteignungsgesetz wollen ({26})
und eine Vorschrift über langfristige Übergangsmaßnahmen.
Wir alle sollten die Bundesregierung nachdrücklich
auffordern, sich endlich im Verkehrsministerrat für eine
umfassende Änderung der Richtlinie einzusetzen. Ich
fordere von dieser Stelle aus insbesondere die rot-grüne
Koalition auf, endlich zur Wahrhaftigkeit in der Politik
zurückzukehren.
({27})
Nächster Redner ist der Kollege Rainder Steenblock,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Fischer, so redet jemand, der ertappt ist.
({0})
Sie haben sicherlich in den letzten Wochen - genauso
wie ich - mit großem Interesse das „Hamburger AbendRainder Steenblock
blatt“ und die Hamburger Ausgabe der „Welt“ gelesen
und verfolgt, was die Kollegen Jarzembowski, Uldall
und Fischer dort zum Besten gegeben haben. Ich hatte ja
die Freude, auf der maritimen Konferenz mit dem Kollegen Uldall über das, was in der Hamburger CDU los
ist, intensiv zu sprechen und darüber, wer - nach den
Worten von Herrn Uldall - auf den Pott gesetzt gehört.
Ich möchte das hier gar nicht vertiefen.
({1})
Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, dass der
Kollege Uldall laut der „Welt“ vom 14. Februar dieses
Jahres - dazu gibt es eine Reihe von Pressemitteilungen gesagt hat, er werde sich mit Haut und Haaren gegen die
Umsetzung dessen wehren, was der Kollege
Jarzembowski vorgeschlagen hat.
({2})
Sie wissen doch, dass die Kreis- und die Ortsverbände
der Hamburger CDU an die Landespartei Anträge gestellt haben, in denen gefordert wird, endlich zu einer
Position zu kommen, die den Interessen Hamburgs dient.
({3})
Lieber Kollege Fischer, Sie wissen doch, was dort los
ist. Das liegt daran, dass Sie sich im Verkehrsausschuss
mit Ihrer Stellungnahme völlig vergaloppiert haben.
({4})
Sie haben dafür ordentlich Dresche bekommen, weil Sie
dort einer Liberalisierung ohne Inhalt das Wort geredet
haben.
({5})
Ich kann mich noch genau erinnern, was der Kollege
Börnsen gesagt hat. Ich habe das Protokoll hier und kann
die entsprechende Stelle gerne vorlesen, Kollege
Börnsen.
({6})
Lieber Kollege Fischer, das Problem, um das es geht,
haben Sie zum Schluss Ihrer Rede deutlich gemacht. Es
gibt eine Reihe von Kriterien, die wichtig sind. Das hat
das Europäische Parlament bei der ersten Ablehnung
von Port Package deutlich gemacht. Die Europäische
Kommission hat nun eine zweite Version vorgelegt.
({7})
- Doch. Nachdem der erste Kommissionsvorschlag vom
Europäischen Parlament abgelehnt worden ist, gibt es
nun einen zweiten.
({8})
Die Bundesregierung hat im Ministerrat eine deutlich
ablehnende Stellungnahme dazu formuliert.
({9})
- Das ist ein Kommissionsvorschlag. Ich kann Ihnen das
gerne noch einmal zeigen.
({10})
- Lieber Wolfgang Börnsen, das ist doch ein Kommissionsvorschlag. Wir wollen nicht über das Nölen von vorhin
sprechen.
Wichtig ist, dass wir uns gemeinsam die Kriterien
genau anschauen. Darum hat sich der Kollege Fischer
heute wieder generös herumgedrückt. Er hat für die
CDU/CSU kein einziges Kriterium genannt und nicht
deutlich gemacht, was an der Richtlinie verändert werden soll. Sie haben lediglich einen ausgedehnten Kanon
über irgendetwas vorgetragen. Ich will sehr deutlich sagen: Mit uns wird es Sozialdumping und einen Abbau
der Sicherheitsstandards in deutschen Häfen - das ist
Bestandteil der Richtlinie - nicht geben.
({11})
Wir haben im Verkehrsausschuss bereits Ensprechendes vorgeschlagen, aber die CDU/CSU hat dem nicht zugestimmt. Wir haben sehr deutlich gesagt, dass die Ausschreibungspflicht für Hafendienstleistungen ohne
die Verpflichtung, Beschäftigte oder bestehende Tarife
zu übernehmen, zu einer Ausbreitung von ausländischen
Billiganbietern mit Dumpinglöhnen führen wird. Das
wird die Konsequenz sein und deshalb sollten wir dies
gemeinsam ablehnen.
({12})
Sie hätten im Verkehrsausschuss dazu gemeinsam mit
uns die Möglichkeit gehabt. Stattdessen haben Sie dort
so eine unsinnige Debatte angezettelt.
({13})
Die FDP hat sich ähnlich wie wir geäußert. Sie wissen
doch genau, welche Konsequenzen es für unsere Häfen
hätte, wenn die Selbstabfertigung so beschlossen würde.
({14})
- Wir haben diese Debatte doch nicht umsonst geführt.
({15})
- Wir haben dazu einen Entschließungsantrag vorgelegt.
Ich weiß, wie die CDU/CSU sich dazu verhalten hat. Ich
weiß gar nicht, weshalb Sie hier mit einem Heiligenschein von unbefleckter Empfängnis herumlaufen. Sie
haben in dieser Debatte völlig versagt. Das muss man
einmal deutlich feststellen.
({16})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
noch einmal sehr deutlich die Punkte ansprechen, um die
es geht. Es geht darum, im Rahmen des Wettbewerbs,
den wir wollen, tatsächlich faire Bedingungen für unsere deutschen Seehäfen zu schaffen, die die sozialen
Standards und die Investitionssicherheit in unseren Häfen sichern und die Arbeitsplätze in diesen Häfen nicht
gefährden. Das sind für uns die drei zentralen Forderungen, die wir von Anfang an im Verkehrsausschuss vertreten haben. Dafür haben wir uns eingesetzt und dafür
werden wir gemeinsam mit dieser Bundesregierung
kämpfen.
({17})
Ich würde mich sehr freuen, wenn die CDU/CSU an
dieser Stelle nicht weiter ihre alte Position vertreten,
sondern sagen würde: Mit euch zusammen werden wir
diese Richtlinie so gestalten, dass all diese Kriterien realisiert werden. Dann werden wir hier Seit’ an Seit’
kämpfen. Es muss aber deutlich werden, dass das ganze
Haus die Entschließung trägt, auf die wir uns im Verkehrsausschuss verständigt haben.
({18})
Das wäre konsequent, weil dort all die Punkte angesprochen sind, für die wir uns im Interesse der Häfen und im
Interesse der dort Beschäftigten einsetzen werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({19})
Nächster Redner ist der Kollege Hans-Michael
Goldmann, FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Sache ist schwierig; das merken wir auch
an der Diskussion. Vor einer guten Stunde haben wir uns
über die maritime Wirtschaft unterhalten, haben über
Globalisierung und Marktöffnung gesprochen.
({0})
- Genau, da haben wir über all diese Dinge geredet. Nun rauscht die Dienstleistungsrichtlinie von europäischer Ebene auf uns zu und auch hier heißt es: Sozialdumping wollen wir auf keinen Fall, auch keinen Sicherheitsabbau. Im Prinzip soll alles so bleiben, wie es war.
Richtig ausschreiben wollen wir eigentlich auch nicht.
({1})
- Frau Dr. Wetzel, auch mit den Ausschreibungen ist es
schwierig. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Der Jade-WeserPort lässt sich wahrscheinlich nicht ohne privates Kapital verwirklichen. Wir werden insgesamt sehr spannende
Diskussionen zu führen haben.
Deshalb kann ich eigentlich ganz kurz sagen: Richtlinie ja, aber so nicht. Darin sind wir uns ja einig.
({2})
Weshalb auf ein schlechtes Port Package I ein noch
schlechteres Port Package II folgen soll, ist nicht einzusehen.
Grundsätzlich begrüßt die FDP die Richtlinie, da sie
endlich Klarheit über die öffentlichen Leistungen in
europäischen Häfen schafft.
({3})
Klarheit muss geschaffen werden.
({4})
Selbstverständlich kann man auch darüber reden, ob es
nicht, wie in anderen Häfen auch, die Möglichkeit zur
Selbstabfertigung geben muss.
({5})
- Bitte melden Sie sich, dann kann ich versuchen zu antworten.
({6})
Frau Dr. Wetzel, ich weiß, dass Sie von der Materie Ahnung haben. Deshalb wissen Sie auch, dass man über
diese Dinge nachdenken muss.
Wie bereits gesagt, kann die Richtlinie in der vorliegenden Fassung in keinem Fall zum Tragen kommen.
({7})
Die FDP kritisiert am Richtlinienentwurf der EU-Kommission insbesondere, dass die EU-Kommission sehr rigide Markteingriffe zur Herstellung von Wettbewerb
vorsieht, aber jeden Beleg dafür schuldig bleibt, dass
dieser Wettbewerb tatsächlich gestört ist.
In allen europäischen Häfen gibt es mehrere Anbieter
von Hafenumschlagsdienstleistungen. Es muss im
Grunde genommen investive Sicherheit für diese Anbieter geben. Dass die Situation gut ist, zeigt sich schon daran, dass die Umschlagspreise für Container in Europa
nur bei etwa einem Drittel der Kosten in Asien oder an
der Ostküste der USA liegen.
Die Umsetzung der Richtlinie hätte genau das Gegenteil dessen zur Folge, was die Port-Package-II-Richtlinie
beabsichtigt. Deshalb sieht die FDP überhaupt keine
Notwendigkeit für ein verpflichtendes Ausschreibungsverfahren, wie es die Kommission vorsieht. Es
wäre nach unserer Auffassung ein bürokratischer MoHans-Michael Goldmann
loch mit enormen investitionsfeindlichen Auswirkungen; denn Umschlagsdienstleistungen sind, wie wir alle
wissen, äußerst kostenintensiv und sie bedürfen ständiger Nachinvestitionen. Diese unterblieben, wenn eine
Firma wüsste, dass ihre Lizenz nur einige Jahre Gültigkeit hat. Dies würde sich auf die Wettbewerbsfähigkeit,
auf die Sicherheit und natürlich auch auf die Arbeitsplatzbedingungen sofort nachteilig auswirken.
Die asiatischen Wettbewerber, die immer wieder ins
Gespräch gebracht werden, haben in den europäischen
Häfen schon lange Fuß gefasst. Man führe sich einmal
vor Augen, dass ein ernst zu nehmendes europäisches
Umschlagsunternehmen im letzten Jahr circa 50 Millionen Euro Gewinn vor Steuern gemacht hat, während
die beiden großen asiatischen Hafendienstleister jeweils
circa 1 Milliarde Dollar Gewinn nach Steuern gemacht
haben. Man kann sich angesichts dessen leicht vorstellen, welche Auswirkungen die Port-Package-II-Richtlinie hätte, wenn man den Ausschreibungsweg geht, den
die EU vorgibt.
Wenn es in den Häfen tatsächlich zu Wettbewerbsbehinderungen gekommen ist, dann gibt es überhaupt
keine Rechtfertigung dafür, dass der EU-Wettbewerbskommissar nicht schon lange eingegriffen hat; dazu hat
er die Möglichkeit. Auch vor diesem Hintergrund muss
man sehr deutlich sagen: Wir brauchen die Port-Package-II-Richtlinie nicht.
Klar ist - ich habe das schon angesprochen -, dass bei
der Schaffung neuer Hafenflächen, zum Beispiel beim
Jade-Weser-Port, auch künftig Ausschreibungen notwendig sind. Wir brauchen private Anbieter, die ihr Kapital in die Hafeninfrastruktur und in die Suprastruktur
investieren.
Ich war vor kurzem an der Küste. Was ich dort festgestellt habe, ist ganz einfach: Cuxhaven möchte gerne
mehr Hafen haben, Wilhelmshaven möchte mehr Hafen
haben, Bremen ist dabei, mehr Hafen zu schaffen. Wir
müssen die Elbe so konditionieren, dass die Hafenkompetenz Hamburgs gestärkt wird. Wir brauchen Geld für
die Weser und für die Ems. Wir brauchen überall Geld;
aber die öffentliche Hand hat im Grunde genommen
keine Gelder zur Verfügung.
({8})
- Herr Beckmeyer, nach dem, was Sie vorhin hier von
sich gegeben haben, würde ich an Ihrer Stelle ganz einfach einmal den Mund halten.
({9})
Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich bin von Ihnen bitter enttäuscht. Es wundert mich, welche Rolle Sie in dieser Diskussion gespielt haben. Ich war bis jetzt der Meinung, dass Sie hier eine saubere maritime Position
vertreten.
({10})
- Herr Schmidt, halten Sie sich da einmal heraus! - Was
Sie hier vorhin geäußert haben, Herr Beckmeyer, war
nicht in Ordnung. Das will ich Ihnen ehrlich sagen. Ich
bin nicht immer auf der Seite von Herrn Fischer. Aber in
diesem Punkt will ich Ihnen ganz schlicht und ergreifend
sagen: Gehen Sie in dieser Frage einmal ein bisschen in
sich! Zwischen dem, was Sie auf europäischer Ebene,
und dem, was Sie auf nationaler Ebene hinausposaunt
haben, liegen Welten. Das wissen Sie ganz genau und
deswegen sollten Sie an dieser Stelle den Mund nicht so
weit aufmachen.
Lassen Sie uns gemeinsam an vernünftigen Lösungen
arbeiten, damit hier eine Regelung zustande kommt, die
den Interessen der deutschen Häfen im europäischen und
im globalen Verbund Rechnung trägt.
({11})
Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin
Angelika Mertens.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute ist ja geradezu ein nasser Tag; schließlich ist das
schon das zweite maritime Thema. Die Rede von Herrn
Fischer konnte einem zusätzlich die Tränen in die Augen
treiben.
({0})
Herr Fischer, Sie versuchen, Nebelkerzen zu werfen,
was Port Package I und Port Package II angeht. Entweder haben Sie Port Package II nicht gelesen - das wäre
wirklich bedauerlich - oder Sie versuchen, irgendjemanden davon zu überzeugen, dass dort eine große Ähnlichkeit besteht. Für so dumm dürfen Sie die Leute in der
Hafenwirtschaft und in den Gewerkschaften wirklich
nicht halten.
({1})
Sie haben versucht, die Kurve zu kriegen, ich sage nur:
wie ein Schluck Wasser in der Kurve.
Wir haben bei der Vorbereitung der Maritimen Konferenz auch über das Port Package gesprochen, haben den
Entschließungsantrag gezeigt und gesagt, dass die CDU/
CSU im Bundestag nicht zugestimmt hat. Ihre Kollegen
von der CDU waren darüber ziemlich entsetzt und haben
sich gewundert, warum so ein netter Antrag - „harmlos“
will ich nicht sagen - von Ihnen nicht mitgetragen werden kann.
({2})
Sie wissen, was Sie uns als Beschlussfassung hinterlassen haben. Wir können das nachher noch einmal genüsslich zitieren. Herr Fischer, ich denke, das war nichts.
({3})
Sie sollten noch einmal in sich gehen und nicht versuchen, die Leute davon zu überzeugen, dass Sie hier praktisch als Robin Hood der Wirtschaft oder der Gewerkschaften fungieren. Das trifft nicht zu.
Für uns war das Port Package II nicht abzusehen. Das
war so etwas wie ein vergiftetes Geschenk der Kommissarin an ihren Nachfolger.
({4})
- „Mit deutscher Beihilfe“ ist ja wirklich Unsinn, Herr
Börnsen.
({5})
- Es ist unglaublich. Ich weiß gar nicht, ob ich darauf
eingehen soll. Darauf darf man gar nicht eingehen, weil
das, was Sie erzählen, so dumm ist.
Es war aus unserer Sicht ein unnötiger Schnellschuss,
auch deshalb, weil man darauf verzichtet hat, darüber
nachzudenken, warum Port Package I eigentlich gescheitert ist.
({6})
Ich möchte hier nur auf ein paar wenige Punkte eingehen:
Der neue Entwurf lässt völlig außer Acht, dass Häfen
heute umfassende Logistikdrehkreuze sind und dass Hafendienstleistungen die Logistikketten bis tief ins Hinterland organisieren. Frau Dr. Wetzel hat schon gesagt, wie
wichtig die Häfen auch für das Hinterland sind.
Der radikale Liberalisierungsansatz des Port
Package bedroht die Attraktivität der maritimen Standorte in Europa. Er gefährdet damit auch andere Wirtschaftsstandorte insgesamt. Es gibt einen Pauschalvorwurf im Port Package II, nämlich dass die europäischen
Häfen ineffizient sind. Angesichts des Erfolgs, jedenfalls
des Erfolgs unserer Häfen und auch der Häfen in der
Ostsee und in der Nord Range, ist das geradezu absurd
und muss deutlich zurückgewiesen werden.
Wir vermissen bei dem neuen Vorschlag eine fundierte Folgenabschätzung für die Häfen und die Verkehrssysteme insgesamt. Wir haben dies im Rat sehr
deutlich gemacht und eine solche Abschätzung gefordert. Bis auf die Griechen, glaube ich, sind alle unserem
Vorschlag gefolgt. Nachdem wir, wie gesagt, mehrfach
interveniert haben, hat sich die Kommission jetzt bereit
erklärt, eine Folgenabschätzung vorzunehmen.
Das ist auch dringend notwendig, weil man Folgendes
nicht aus dem Blick verlieren sollte: Liberalisierung ist
wichtig, aber sie bringt uns nur weiter, wenn sie auch Erfolg zeigt. Wenn wir unsere Verkehrs- und Logistikstandorte stärken wollen, ist dieser Ansatz falsch.
Liberalisierung kann auch nur der zweite Schritt sein.
Vorher - das haben wir immer gefordert, auch beim Port
Package I - müssen wir Transparenz und Wettbewerbsgleichheit bei der Finanzierung von Hafeninfrastruktur durchsetzen.
({7})
- Wir flüchten überhaupt nicht aus der Verantwortung.
Wir haben auf der Maritimen Konferenz klar gemacht,
dass wir eine Beihilferichtlinie wollen, und das machen
wir auch im Rat klar. Das ist vor allem für die Häfen in
der Nord Range wichtig.
Es sind viele Dinge in dem Entwurf, die nicht akzeptabel sind. Der Entschließungsantrag der Koalition belegt dies.
({8})
- Ihr Entschließungsantrag ist nur abgeschrieben.
({9})
Ich bin immer noch verblüfft darüber, wie man die
Chuzpe haben kann, hier einen solchen Entschließungsantrag vorzulegen,
({10})
nachdem man monatelang überhaupt nicht darüber geredet hat, im Ausschuss Ablehnung praktiziert hat, mit bestimmten Begründungen, Protektionismus usw. usf. Sie
sehen mich wirklich völlig geschafft.
({11})
Bei allem Respekt: So dreist wäre von uns keiner gewesen. Wenn ich so etwas behauptet hätte, hätte ich diese
Nacht nicht schlafen können.
({12})
Wir würden durch Annahme des Kommissionsvorschlags ein bürokratisches Monster schaffen. Denken Sie
nur an die Genehmigungspflicht für alle Hafendienste.
Aber auch die Ausweitung der Selbstabfertigungsmöglichkeiten auf Landpersonal ist nicht akzeptabel. Ich
denke, der Kollege Beckmeyer wird gleich noch einmal
auf die Ausführungen des Kollegen Fischer eingehen.
Es war doch eine Überraschung, dass der Bundesrat
dem Antrag der Hamburger CDU gefolgt ist, der ja sehr
vernünftig ist. Es wäre vielleicht ganz gut gewesen, Sie
hätten sich den vorher schon einmal angeschaut. Dann
hätten Sie sich auf jeden Fall hier und im Ausschuss viel
Peinlichkeit ersparen können.
({13})
Das Wort hat der Kollege Enak Ferlemann, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Man kann sich sehr oft des Eindrucks
nicht erwehren, dass die rot-grüne Bundesregierung die
nationale Lage nicht richtig einschätzt und deswegen auf
europäischer Ebene Weichenstellungen vornimmt, von
denen sie hinterher nichts mehr wissen will.
({0})
Nachdem man Sie gehört hat, Frau Staatssekretärin,
kann man sich dieses Eindrucks wirklich nicht mehr erwehren. Wenn die Debatte zu diesem Punkt Sie schon
geschafft hat, dann muss man ja Angst und Bange haben,
wenn Sie als Regierungsmitglied nach Brüssel geschickt
werden, um unsere nationalen Interessen zu vertreten.
({1})
Wenn Sie eine so harmlose Debatte schon schafft, bei
der sich alle im Grundsatz einig sind und nur Sie einen
Gegensatz konstruieren, um Ihre eigene Fehlleistung zu
vertuschen,
({2})
dann kann einem wirklich angst und bange werden.
Zur Erinnerung: Es war doch diese Bundesregierung,
die auch Sie, Frau Staatssekretärin, vertreten, die im
März 2000 auf einer Sondertagung des Europäischen
Rates in Lissabon zugestimmt hat, als dort als strategisches Ziel festgelegt wurde, dass Beschäftigung, Wirtschaftsreform und sozialer Zusammenhalt als Bestandteile einer wissensbasierten Wirtschaft gestärkt werden
sollen. So lautet der Beschluss. Die Regierungschefs aller Mitgliedstaaten und damit auch die rot-grüne Bundesregierung waren an der Festlegung dieser Strategie
beteiligt, mit der die Forderung verbunden ist, dass
Hemmnisse im Dienstleistungsbereich beseitigt werden
und die Liberalisierung beschleunigt werden soll, insbesondere im Beförderungsbereich. Diese Liberalisierung
und Harmonisierung im Transportsektor haben Sie gewollt, sonst hätten Sie zu dem Lissabon-Prozess nicht Ja
sagen dürfen.
Auch Ihr Minister, der heute wieder einmal durch Abwesenheit in einer wesentlichen Debatte zur Verkehrswirtschaft in der maritimen Szene glänzt,
({3})
hat sich noch zu Port Package I ganz positiv geäußert.
Sie alle wissen es ja. Er hat die Lage völlig falsch eingeschätzt oder wusste vielleicht auch gar nicht, was er da
im Einzelnen von sich gibt; denn er hat auch in Barcelona und Brüssel weiterhin fleißig daran mitgewirkt.
({4})
Vor diesem Hintergrund kann man durchaus verstehen, dass die Europäische Kommission, nachdem die anderen nationalen Regierungen ebenso wie die deutsche
das so sehr befürworteten, Port Package II auflegt. Die
Geister, die Sie da gerufen haben und nun selbst beklagen, sollen nun die Koalitionsfraktionen wieder in die
Schranken weisen.
({5})
Das macht Herr Beckmeyer in der ihm eigenen Art natürlich sehr geschickt. Er täuscht die Zuhörer darüber,
welche Fehler sich die rot-grüne Bundesregierung geleistet hat, indem er die Sachlage so darstellt, dass die
CDU/CSU-Fraktion etwas will, was sie allerdings nie
gefordert hat. Das ist politisch klug, nur leider zu kurz
gesprungen; denn das fällt auf, Herr Kollege Beckmeyer.
Herr Fischer hat Ihnen ja vorhin schon einmal deutlich
gesagt, dass Sie sich da eine verlogene Welt zurechtzimmern.
Sie, Frau Wetzel, haben sogar im Dezember eine
Presseerklärung herausgegeben, in der Sie meiner Fraktion vorgeworfen haben, wir würden Port Package II unterstützen.
({6})
Das haben wir nie getan. Das war voreilig, das war
falsch. Wie so häufig war auch diese Pressemitteilung
von Ihnen verkehrt.
({7})
- Bevor Sie wieder so viel herumschreien, sollten Sie
das zur Kenntnis nehmen und sich bei meiner Fraktion
für diesen Fehler, den Sie sich geleistet haben, entschuldigen. Das wäre das Einfachste, was Sie tun könnten.
({8})
Damit es auch die Öffentlichkeit weiß, sage ich noch
einmal ganz deutlich - ich rede ja heute hier, damit klar
wird, was wir wollen -: Aus ordnungspolitischen Gründen unterstützt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion natürlich die Liberalisierungsmaßnahmen auf europäischer
Ebene. Warum das? Nur durch Wettbewerb erreichen
wir sinkende Kosten und steigende Leistungen und nur
dann bleiben wir wettbewerbsfähig. Das gilt natürlich
auch für unsere Seehäfen. Das ist im Grundsatz auch
richtig so. Die Frage ist nur, ob dieser neuerliche Vorschlag von Port Package II die Effizienz und Leistungsfähigkeit der deutschen Seehäfen fördert. Da muss man
ganz klar sagen: Das tut diese Richtlinie nicht. Der
Schuss würde nach hinten losgehen und uns schwer
schaden, wenn diese Richtlinie Grundlage des europäischen Rechts werden würde.
Denn die Europäische Kommission und auch diese
Bundesregierung verstehen Liberalisierung falsch. Man
kann natürlich Liberalisierung wollen, aber dann muss
man sie global einführen, weil wir nun einmal im Zeitalter der Globalisierung leben.
({9})
Wenn wir in Europa so freundlich sind, hier alles zu liberalisieren, dann führt das nur dazu, dass die großen asiatischen Wettbewerber, die zu Hause eine Monopolstruktur haben, mit einer ungeheuren Marktmacht hierher
kommen, die deutschen und europäischen Wettbewerber
aus dem Markt drängen und diesen übernehmen. Die
deutschen Unternehmen hätten auf den anderen Märkten
keine Chance, weil es dort nicht so liberal zugeht, wie
wir es hier beschließen sollen. Von daher kann das, was
hier vorgeschlagen wird, nicht richtig sein.
Wir brauchen, nachdem Port Package I gescheitert ist
und Port Package II scheitern wird, ein Port Package III.
Dieses darf nicht wieder so verheerend ausfallen wie die
ersten beiden Entwürfe. Wir haben in Deutschland ein
Hafensystem, das bedarfsgerecht, unternehmerfreundlich und flexibel ist, das den Wettbewerb durchaus gestalten kann, das in den vergangenen Jahren Innovationen gefördert und sich durchaus als effizient erwiesen
hat. Unsere Seehäfen sind Teil einer Boombranche. Wir
hätten gerne viele Branchen, Herr Beckmeyer, die so gut
funktionieren wie die deutsche Seeverkehrswirtschaft.
({10})
Leider ist das nicht so. Der Boom in dieser Branche liegt
Gott sei Dank nicht an Ihrer Politik, sondern den bringt
die Globalisierung mit sich. Wenn Sie dafür zuständig
wären, würde wahrscheinlich auch diese Branche noch
zurückfallen.
({11})
- Ist doch so! - Aber wir brauchen - jetzt komme ich auf
den Punkt, warum ich in großer Sorge bin; Herr
Beckmeyer, Sie kommen ja selber aus einem Hafenstandort - in der jetzigen Boomphase Investitionen von
öffentlichen Trägern und privaten Kapitalgebern. Gerade
in dieser Boomphase müssen wir die Seehäfen unterstützen. Die andauernden Diskussionen, erst über Port
Package I und Port Package II - wie lange geht das
schon?
({12})
und wer weiß, wann Port Package III kommt -, verunsichern jeden Investor, sowohl die öffentlichen Hände wie
die privaten Investoren. Sie können mir glauben, dass
ich weiß, wovon ich spreche. Das ist für die deutsche
Seeverkehrswirtschaft in hohem Maße schädlich. Diese
Bundesregierung ist daran federführend beteiligt. Sie redet groß auf maritimen Konferenzen; ein Redeschwall
folgt auf den anderen. Es kommt jedoch nichts Konkretes dabei heraus, nur schöne Worte, aber keine Taten.
({13})
- Frau Faße, das ist leider die Politik Ihrer Regierung.
Ich mache einmal einen Vorschlag: Treten Sie doch in
die Regierung ein, dann wird es besser! Lösen Sie die
Staatssekretärin ab! Sie verstehen ja wenigstens etwas
davon. Aber Sie sind nicht in Brüssel. In Brüssel sitzt die
Bundesregierung mit am Tisch.
({14})
- Wenn Sie wenigstens das von meiner heutigen Rede
verstehen, dann ist das ja schon mal was.
({15})
Ich habe von den Investitionen gesprochen, weil in
dieser Richtlinie der Bestands- und Vertrauensschutz
nicht mehr gegeben ist, den wir in Deutschland brauchen. Auf die Einzelheiten haben Herr Fischer und auch
andere schon hingewiesen. Ich denke, dass wir das dringend korrigieren müssen. Das können wir so nicht
durchgehen lassen. Ich denke auch, dass zum Beispiel
die Auffassung der Bundeslotsenkammer, die Kompetenzverlagerung zur EU nicht vorzunehmen, sondern es
bei der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zu belassen,
durchaus gerechtfertigt ist.
({16})
Abschließend kann man nur sagen: Diese Bundesregierung muss endlich ihre Schulaufgaben in Europa richtig machen. Sie sollte die Empfehlungen der CDU/CSUFraktion dazu ernst nehmen, nicht unnötig Wahlkampf
und keine falschen Debatten führen und diese Richtlinie
ablehnen.
Herzlichen Dank.
({17})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Uwe
Beckmeyer, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Herr Fischer, ich freue mich, dass Sie sich in
dieser Frage vom Saulus zum Paulus entwickelt haben.
Es hat lange, fast zwei Monate, gedauert. Vielleicht hilft
aber diese Debatte, auch Sie in Hamburg davon zu überzeugen, dass Port Package II in der von der Kommission vorgeschlagenen Form nichts taugt. Ich freue mich,
dass wir mit Ihnen darüber jetzt Einigkeit gefunden haben. Es ist allerdings ein sehr bedenkenswerter Vorgang,
dass dies bei Ihnen zwei Monate gedauert hat.
Diejenigen, die dieser Debatte im Hohen Hause zuhören, fragen sich vielleicht: Was reden die da unten eigentlich? All denen möchte ich erklären: Die Christdemokratische Union hat es verschlafen, einen entsprechenden
Antrag zu stellen.
({0})
Herr Börnsen, Sie haben Ihre Kollegen in eine völlig
falsche Richtung gelenkt. Ich habe Sie im Ausschuss sogar noch darauf aufmerksam gemacht, dass das, was Sie
machen, brandgefährlich ist. Sie waren aber nicht zu belehren.
({1})
Ausweislich des Protokolls haben Sie gesagt: Die Fraktion der CDU/CSU erklärte, wer die Agenda von Lissabon bejahe, müsse auch die Regelungen zu deren Ausführung bejahen. Damit meinen Sie Port Package II.
({2})
Insofern ist das, was Sie hier heute vorgetragen haben,
reine Heuchelei.
({3})
Sie haben weiter erklärt, wer mehr Liberalisierung im
Seeverkehr wolle und wer wolle, dass andere Staaten
ihre Häfen und Seeverkehre für europäische Reeder öffneten, müsse auch eine Öffnung des europäischen Marktes befürworten. Das ist ebenfalls eine Begründung für
Port Package II.
Sie haben weiter ausgeführt, in der Konsequenz sei
das, was in dem Antrag der Koalitionsfraktionen in der
Ausschussdrucksache gefordert werde, Protektionismus
und eine neue Art von Bürokratie. Das war Ihre Position.
Das lassen wir nicht durchgehen.
({4})
Sie haben gesagt, dass wir eine einseitige Ablehnung
vornehmen würden und eindeutig No gesagt hätten. Sie
irren sich.
({5})
Sie müssen nur lesen. Das sollten Sie neben den Grundrechenarten schon in der Schule gelernt haben. Hier
heißt es:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, im Rat der Verkehrsminister keiner Richtlinie … zuzustimmen, die leistungsfähige und wettbewerbsorientierte Anbieterstrukturen … gefährdet;
… sich im Rat … für eine grundlegende Überarbeitung des … vorgelegten Vorschlages … einzusetzen.
Das war unser Vorschlag. Was lese ich im „Hamburger
Abendblatt“ von gestern?
Mit dem Thema „Port Package II“ wird sich morgen der Bundestag auf Initiative des CDU-Landeschefs Dirk Fischer ({6}) befassen.
Herzlichen Glückwunsch, Herr Fischer!
({7})
Ich komme auf unseren Antrag zu sprechen. Wir haben
ihn beschlossen. Herr Goldmann, leider hat sich die FDP
enthalten. Sie waren nicht dabei. Ich kann Ihren Ärger
verstehen. Lassen Sie ihn aber bitte nicht an meiner Person aus. Horst Friedrich ist die richtige Ansprechperson.
({8})
Zu Ihrem Antrag möchte ich Folgendes sagen: Es wurden interessante Punkte aufgeschrieben. Wir stimmen
folgendem Punkt in Ihrem Antrag nicht zu:
Die in dem Richtlinienentwurf vorgesehene Selbstabfertigung durch Bord- und Landpersonal der
Schifffahrtsunternehmen wird vom Deutschen Bundestag grundsätzlich begrüßt.
Diese Position tragen wir nicht mit, weil sie zu einer dramatischen Verschlechterung der sozialen Situation unserer Seehäfen führt. Ich möchte nicht den sozialen Frieden in unseren Seehäfen gefährdet wissen. Darum
stimmen wir diesem Punkt nicht zu. Das ist Liberalismus
pur, und zwar in einer Form, die wir in Deutschland
nicht gebrauchen können.
({9})
Zur CDU: Lieber Herr Fischer, ich habe Ihren Text
durchgearbeitet. Ich habe eigentlich alles angekreuzt.
Das ist wunderbar. Er ist im Grunde identisch mit unserer Position. Die Frechheit besteht darin, dass Sie ihn mit
den Worten „Der Bundestag stellt fest“ einleiten. Ihre
Schlussfolgerungen sind abenteuerlich und liegen - vor
allem vor dem Hintergrund dessen, was Herr Börnsen im
Namen der CDU/CSU-Fraktion im Verkehrsausschuss
ausgeführt hat; ich habe das eben angeführt - derart neben der Spur, dass man sich fragen kann: Wo bin ich eigentlich?
({10})
- Gott sei Dank! Sie waren nicht im Ausschuss und nicht
im Bundestag, zumindest nicht auf der richtigen Seite
und zum richtigen Zeitpunkt.
({11})
Abschließend möchte ich sagen, dass wir Port
Package II in dieser Form nicht beschließen wollen, weil
es eine Investitionsbremse sondergleichen darstellt. Wir
haben in Hamburg und in Bremen in den letzten Jahren
- Stichwort Eurogate - 460 Millionen Euro investiert.
Allein dieses Unternehmen wird bis 2009 weitere
430 Millionen investieren. Ich will dabei gar nicht über
die HHLA, die Rostocker Hafengesellschaft oder die
Lübecker Hafengesellschaft reden. Alle haben Investitionen im zweistelligen Millionenbereich vor. Wenn wir
das alles gefährden wollen, müssen wir eine Politik machen, die daraufhin hinausläuft, Port Package II zu akzeptieren.
({12})
- Nein. Ich glaube, Herr Fischer, auch da irren Sie.
({13})
- Sie können noch so viel schreien; da irren Sie.
({14})
Die Bundesregierung hat vor allen Dingen durch die
Ausführungen von Staatssekretär Nagel eindeutig Position gegenüber der Kommission bezogen und klar gemacht:
({15})
Dieser Port-Package-II-Antrag kommt mit uns in gar
keiner Weise in Frage.
({16})
Da können Sie noch so viel krakeelen und erzählen und
der Öffentlichkeit irgendwelche falschen Papiere zuspielen. Ihre Position war wankelmütig und mehr durch
Jarzembowski als durch Uldall geprägt. Sie waren auf
der falschen Seite und sind von Verdi und Ihrer eigenen
CDU-Bürgerschaftsfraktion zurückgepfiffen worden.
({17})
Sie haben in Hamburg mächtig Prügel bezogen und das
war auch gut so. Insofern freue ich mich, dass Sie inzwischen wieder ein bisschen auf der anderen Seite sind.
Herzlichen Dank.
({18})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf
Drucksache 15/4692 über einen Vorschlag für eine
Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates
über den Marktzugang für Hafendienste.
Der Ausschuss empfiehlt in Kenntnis der Unterrichtung durch die Bundesregierung, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der CDU/CSU und bei Enthaltung der FDP
angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/4837? Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der CDU/CSU und Enthaltung der FDP abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der FDP
auf Drucksache 15/4846? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der FDP und Enthaltung der CDU/CSU abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael
Kretschmer, Katherina Reiche, Dr. Maria
Böhmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Forschung an Hochschulen durch Vollkostenfinanzierung verbessern
- Drucksache 15/4721 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Marion Seib, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Nach den beiden Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zur Juniorprofessur und zu den Studiengebühren
sind die Linien endlich wieder klar. Die Verfassungsrichter haben den Bund und damit die Bundesregierung in
ihre Schranken verwiesen.
Es ist aber auch an der Zeit, sich von Scheuklappen zu
befreien und konstruktiv und vor allem verfassungskonform zusammenzuarbeiten.
({0})
Ein erster Schritt von unserer Seite ist der Antrag zur
Verbesserung der Forschung an Hochschulen durch Vollkostenfinanzierung.
({1})
Die Forschung an den Universitäten steht vor einem
Dilemma: Einerseits werden Erfolg versprechende Forschungsprojekte mit Drittmitteln ausgestattet; andererseits können durch diese Drittmittel die indirekten Kosten
wie Geräteanschaffungen oder Verwaltungsaufwendungen nicht abgedeckt werden. Diesen Overhead der Drittmittelforschung, also die allgemeinen Unkosten, müssen
die Universitäten mühsam aus ihrer Grundausstattung
abzweigen. Die drittmittelstärksten Hochschulen „siegen“ sich somit buchstäblich zugrunde, weil sie die erforderliche Grundfinanzierung für die Forschungsprojekte oft nicht mehr aufbringen können. Diesen
grundsätzlichen Missstand werden wir aber auch nicht
durch die Benennung von einigen wenigen Spitzenuniversitäten beseitigen können, zumal sich der Bund systematisch aus der Hochschulbaufinanzierung zurückzieht
und so die Nöte der Universitäten und Fachhochschulen
nur noch mehr vergrößert.
({2})
Die Umsetzung unseres Vorschlages, zunächst
20 Prozent der bewilligten Drittmittelsumme zusätzlich
zur Sachmittelbeihilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft als Overhead-Bonus auszuzahlen, kann den
Universitäten spürbare Erleichterung verschaffen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Tauss?
Nein; er hätte sich Redezeit geben lassen können.
({0})
Deswegen möchte ich an dieser Stelle noch einmal
ausdrücklich an Rot-Grün appellieren: Nehmen Sie unseren Vorschlag auf! Diskutieren Sie mit uns! Entwickeln Sie mit uns eine Forschungsförderung, die den
Hochschulen, den Professoren und den jungen Forschern
gerecht wird! Andere Länder haben uns dies längst vorgemacht.
({1})
Als aktuelles Beispiel hierfür nenne ich Großbritannien. Dort gab es bei den Drittmitteln eine ähnliche Entwicklung wie in Deutschland. Der Anteil der Drittmittel
stieg in den letzten Jahren von 30 auf 40 Prozent. Die
Grundausstattung der Universitäten konnte da nicht mithalten; die finanzielle Basis erwies sich als zu gering.
Die britische Regierung handelte: Die United Kingdom
Research Councils tragen nunmehr 80 Prozent der
Gesamtkosten für universitäre Forschungsprojekte. Ab
2010 sollen es sogar 100 Prozent sein.
Was aber tut Rot-Grün? Rot-Grün schiebt den
schwarzen Peter den Ländern zu.
({2})
Ich zitiere Frau Bulmahn:
Die Länder sollten sich jetzt einen Ruck geben und
beim Uni-Wettbewerb nicht die offenen Föderalismusfragen vorschieben.
- Nein, verehrte Frau Ministerin - sie ist heute nicht da;
sehr geehrter Herr Staatssekretär, ich bitte, es ihr auszurichten -, die Länder brauchen sich keinen Ruck zu geben. Vielmehr muss sich die Ministerin einen Ruck geben.
({3})
Die Länder mussten in den letzten Jahren ihre verfassungswidrigen Versuche der Einmischung abwehren.
({4})
Wir sind uns einig, Deutschland braucht für seine Universitäten, seine Forscher und seine Studierenden einen
Ruck in Sachen Exzellenz.
Bei der Diskussion um die Elitehochschulen fielen in
den letzten Jahren immer wieder die Namen Oxford,
Harvard, Yale oder Stanford. In diesem Zusammenhang
erinnere ich daran, dass diese Einrichtungen Jahre, Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte gebraucht haben, um sich
ihren Ruf und ihr Kapital zu erarbeiten. Diese Zeit haben
wir aber nicht.
({5})
Allerdings haben wir mit der Vollkostenfinanzierung ein Modell, mit dem die Forschung an den Universitäten viel schneller, effizienter und in einem weitaus
größeren Umfang zu mehr Exzellenz gelangen kann. Bei
einer Vollkostenfinanzierung können wir auf die Benennung von so genannten Spitzenuniversitäten verzichten
und direkt mit einer Förderung durch die DFG beginnen.
({6})
- Auf die Benennung!
Die Mittelvergabe über die Deutsche Forschungsgemeinschaft stellt im Übrigen auch sicher, dass die Forschungsprojekte an den Universitäten nicht zum Spielball der Politik werden. Kurzfristige tagespolitische
Erwägungen oder langfristige ideologische Einstellungen bleiben damit außen vor. Die verfassungsrechtlichen
Kompetenzen werden ebenso gewahrt.
Durch eine Einbindung in die Gemeinschaftsaufgabe
Forschungsförderung, die unbestritten weiterhin Bestand
hat, vermeiden wir die Gefahr, dass die Vollkostenfinanzierung in den Strudel einer neuen Föderalismusdebatte
kommt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Modell
der Vollkostenfinanzierung ist die Brücke, über die die
Bundesregierung - diesmal gemeinsam mit den Ländern gehen kann.
({7})
So wird der Forschung an den Universitäten wieder der
finanzielle Stellenwert eingeräumt, den sie verdient. Nur
so werden Exzellenz, Elite und Qualität im Forschungsbereich an den deutschen Hochschulen gefördert.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Ute Berg, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSUFraktion, als ich Ihren Antrag las, ist mir, um es salopp
zu formulieren, die Spucke weggeblieben.
({0})
Sie fordern den Bund auf, deutlich mehr in Forschungsförderung an Hochschulen zu investieren - einseitig,
nicht etwa mit Unterstützung der Länder -, und tun dies
vor dem Hintergrund, dass Sie immer wieder verlangen,
der Bund möge sich zugunsten der Länder weitgehend
aus der Hochschulpolitik zurückziehen.
({1})
Dass dies ganz offensichtlich vorne und hinten nicht zusammenpasst, muss auch Ihnen eigentlich klar gewesen
sein.
({2})
In diese Konfusion passt dann noch besonders gut
eine dpa-Meldung, die ich soeben gelesen habe und die
besagt, dass Herr Koch ein von der Bundesregierung
geplantes Förderprogramm für die Hochschulen zur
Unterstützung des Bologna-Prozesses - das ist doch ein
Lieblingskind von Frau Seib - vom Bundesverfassungsgericht stoppen lassen will.
({3})
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie müssen sich schon innerhalb Ihrer eigenen Partei erst einmal
einig werden: Wollen Sie, dass der Bund stärker in die
Hochschulförderung einsteigt, oder wollen Sie das
nicht?
({4})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Bergner?
Gern.
Frau Kollegin Berg,
({0})
da Sie gerade dieses Beispiel bemühen, frage ich Sie, ob
Sie es tatsächlich für von den Ländern hinzunehmen halten, dass der Bund ein Programm auflegt, das in staatlich
geprüfte Studiengänge eingreift? Dies tut dieses Bologna-Programm. Es besteht dort die Auflage, dass für das
Semester 2007/2008 sämtliche Studiengänge „bolognisiert“ werden. Das ist ein Eingriff in die bisherigen staatlich geprüften Studiengänge. Sind Sie tatsächlich der
Meinung, dass sich die Länder eine solch subversive
Politik des Bundes bieten lassen können?
({1})
Ihre Ausdrucksweise lässt zu wünschen übrig, Herr
Dr. Bergner. Sie sollten sich etwas mäßigen.
({0})
Ich will aber trotzdem auf Ihre Frage antworten. Sie
wissen genauso gut wie ich, dass es innerhalb der EU ein
Einverständnis darüber gibt, dass bis zum Jahre 2010 ein
gemeinsamer europäischer Hochschulraum geschaffen
werden soll. Das heißt, es sollen überall gleichwertige
Abschlüsse angeboten werden. Dazu gehören die
Bachelor- und Masterabschlüsse. Dass jetzt der Bund
anbietet, die Länder, speziell die Hochschulen, auch
finanziell dabei zu unterstützen, auf diesem Weg ein
ganzes Stück voranzukommen, finde ich absolut richtig.
Insofern lasse ich mich auf subversive Dinge Ihrerseits
überhaupt nicht ein.
({1})
Frau Kollegin Berg, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Bergner?
({0})
Nein, eine Frage reicht.
Ich werde Ihnen sicherheitshalber einen kurzen Nachhilfekurs zum Thema Hochschulfinanzierung geben,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU.
({0})
- Ich tue das, da Sie offensichtlich noch Lücken haben. Die Grundfinanzierung der Hochschulen ist eine Hauptaufgabe der Länder.
({1})
Im Rahmen der Föderalismusdebatte haben dies die Länder, wie Sie wissen, immer wieder für sich reklamiert.
Selbst die derzeitigen Mitspracherechte des Bundes gehen ihnen schon viel zu weit.
Dem eben bereits von mir erwähnten Herrn Koch, seines Zeichens Ministerpräsident des Landes Hessen, und
seinen Parteifreunden aus den Ländern war der Ausbau
der Länderkompetenzen im Bildungs- und vor allem
im Hochschulbereich so wichtig, dass sie deshalb sogar
die gesamte Reform des Föderalismus scheitern ließen
und die monatelange Arbeit der Kommission zunichte
machten.
({2})
Vor diesem Hintergrund ist Ihr Antrag eine echte Absurdität. Er hat gute Chancen, in die Sammlung besonders
kurioser Bundestagsdrucksachen aufgenommen zu werden.
({3})
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie haben ein merkwürdiges Verständnis von Kooperation.
Hätten Sie gefordert, dem Bund mehr Entscheidungskompetenzen im Hochschulbereich zu geben,
({4})
und damit die Verpflichtung zu einem größeren Finanzierungsanteil verbunden, hätte Ihr Antrag eine gewisse
innere Logik. Aber nein, Ihre Devise lautet: Der eine
zahlt und die anderen bestimmen die Musik. In der Politik ist es wie im wahren Leben: Für eine solche Rollenverteilung finden Sie keinen Finanzier.
({5})
Liebe Kollegin, lassen wir einen Augenblick Ihre absurden Forderungen beiseite und schauen wir uns die
Wirklichkeit in den Hochschulen an: Der Bund ist bereits jetzt zu einem großen Teil an der Finanzierung der
Forschung an den Hochschulen beteiligt, und zwar erstens über Drittmittel, zweitens über die Projektförderung
und drittens im Bereich Hochschulbaufinanzierung.
Zu Punkt eins, Drittmittel, bemerken Sie in Ihrem
Antrag ganz richtig, dass die Einnahmen in diesem Bereich in den letzten Jahren für die Hochschulen kontinuierlich an Bedeutung gewonnen haben. Im Jahr 2001
- so teilen Sie mit - wurden mit Drittmitteln fast 40 Prozent der Ausgaben für Forschung und Entwicklung an
Hochschulen finanziert. Insgesamt 3,3 Milliarden Euro
an Drittmitteln haben die Hochschulen eingenommen.
Nun sage ich Ihnen einmal, woher diese Drittmittel
kommen. Größter Drittmittelgeber war die DFG mit fast
1 Milliarde Euro. Mehr als die Hälfte dieses Etats
stammt aus Bundesmitteln.
Punkt zwei, Projektförderung. Hier hat der Bund
noch einmal mehrere 100 Millionen Euro beigesteuert.
Punkt drei, Hochschulbau. Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“, die, wie Sie wissen,
auch zur Hälfte vom Bund bestritten wird, wird ebenfalls
die Forschung an Hochschulen unterstützt. Aus diesem
Topf werden nämlich auch Großgeräte für die Forschung
an Hochschulen beschafft, die für die Grundlagenforschung unerlässlich sind. Dieser Betrag beläuft sich jährlich auf eine Größenordnung von rund 300 Millionen
Euro.
Damit ist die Liste der Bundeszuschüsse für Forschungsaktivitäten an Hochschulen aber noch längst
nicht vollständig. Zu den genannten Posten kommen
noch Beiträge aus dem Hochschul- und Wissenschaftsprogramm, Mittel für Forschung an Hochschulen
- diesen Etat haben wir sogar erhöht - sowie die Ausstattung von Juniorprofessuren.
({6})
Bleiben wir beim Jahr 2001, das Sie beispielhaft angesprochen haben. Allein in diesem Jahr hat der Bund
für die Forschung und Entwicklung an Hochschulen
insgesamt eine Summe von 1,4 Milliarden Euro aufgewandt, Tendenz seither steigend.
({7})
Wie ich finde, ist das, gemessen am Gestaltungsspielraum des Bundes für den Hochschulbereich, eine ganz
enorme Summe. Aber das ist noch immer nicht alles,
was wir zu bieten haben. Der Bund ist bereit, noch sehr
viel mehr für die Hochschulen zu tun: zum einen, um
den Anschluss an die dynamische Entwicklung der internationalen Forschungs- und Innovationsstandorte zu halten, zum anderen, um das ehrgeizige Ziel zu erreichen,
bis zum Jahr 2010 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes
für Forschung und Entwicklung aufzubringen.
({8})
Davon profitieren die Hochschulen natürlich nachhaltig.
({9})
Trotz der schwierigen Haushaltslage hält die Bundesregierung an dem Ziel fest, die Finanzmittel für Forschung und Entwicklung weiter zu erhöhen. Das heißt
aber auch, dass wir Subventionen streichen müssen, um
Bund und Ländern die notwendigen Haushaltsfreiräume
zu eröffnen. Ich kann es Ihnen nicht ersparen; ich muss
noch einmal das Stichwort Eigenheimzulage nennen.
({10})
Die Bundesregierung hat mit ihrem Vorschlag, diese
Subvention abzuschaffen, einen adäquaten Weg aufgezeigt, wie eine Steigerung der Ausgaben für Forschung
und Entwicklung erreicht werden kann. Sie wissen: Allein im Jahr 2006 wären es 600 Millionen Euro. Diesen
Betrag könnten wir bis zum Jahr 2008 auf jährlich
1,2 Milliarden Euro erhöhen. Wir stehen im Übrigen
nicht allein da, sondern wir haben die Unterstützung der
Wissenschaft. Die Wissenschafts- und Forschungsinstitute und die Bundesbank haben sich unserer Forderung
angeschlossen. Alle halten das für dringend erforderlich.
({11})
Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU,
spielen also ein doppeltes Spiel: Nach außen fordern Sie
mit großen Tamtam mehr Geld
({12})
und präsentieren sich wie der Robin Hood der armen und
ausgebluteten Hochschulen. Wenn es aber darum geht,
die finanziellen Mittel für Wissenschaft und Forschung
in Deutschland locker zu machen, dann sagen Sie Njet.
({13})
In Ihrem Antrag lese ich Folgendes - Frau Seib, Sie
haben das gerade ausgeführt -: Sie wollen, dass sich die
Wissenschaft einem Wettbewerb um Investitionsmittel
stellt. Die erfolgreichsten Antragsteller und ihre Institutionen sollen am stärksten gefördert werden.
({14})
Diese Forderung können wir nur unterstreichen. Aber
auch hier muss ich Ihrer Erinnerung wohl auf die
Sprünge helfen. Für einen solchen Wettbewerb haben
wir schon ein Angebot vorgelegt: die Exzellenzinitiative.
({15})
Sie umfasst wesentlich mehr als nur Elitehochschulen, Frau Seib. Damit will der Bund den Hochschulen
zusätzlich 1,4 Milliarden Euro zur Verfügung stellen.
Leider haben Ihre Parteifreunde aus den Ländern sich
aber auch hier eines anderen besonnen und die Initiative
gegen die Wand fahren lassen, als eigentlich schon alles
unter Dach und Fach war. Peter Frankenfeld, der Wissenschaftsminister von Baden-Württemberg, sagte - ich
zitiere -: „Das Projekt ist tot.“
({16})
Dazu kann ich nur sagen: Das ist schade für die Hochschulen und den Forschungsstandort Deutschland.
({17})
Das wird an den Hochschulen genauso gesehen. Die
HRK hat dies sehr deutlich formuliert und viele Rektoren und Professoren, mit denen ich gesprochen habe, haben mir das bestätigt.
Meine Damen und Herren von der Union, wenn ich
Ihren Antrag lese, kann ich nur vermuten, dass auch Sie
zusammenzucken, wenn Herr Frankenberg
({18})
die Totenglocke für die Exzellenzinitiative läutet. Deshalb bitte ich Sie: Gebieten Sie Ihrem Parteifreund Einhalt, holen Sie ihn von seinem Glockenturm und verhindern Sie, dass dieses Projekt lebendig begraben wird.
({19})
In Deutschland gibt es - das ist unbestritten - viele
gute Universitäten, Fachhochschulen und Forschungseinrichtungen. Aber darauf können und werden wir uns
selbstverständlich nicht ausruhen.
({20})
Wir müssen kontinuierlich noch besser werden. Unsere
Hochschulen sind die Basis für ein leistungsfähiges
Innovationssystem. Ein leistungsfähiges Forschungssystem und die Innovationsfähigkeit unserer Wirtschaft sind
die Eckpfeiler für Wirtschaftswachstum, zukunftssichere
Arbeitsplätze und soziale Sicherheit. Daher mein Appell
an Sie: Vertrödeln Sie die Zeit nicht mit Schauanträgen
wie dem, den Sie heute eingebracht haben!
Geben Sie Ihre Blockadehaltung auf und kommen Sie
mit uns ins Boot.
Frau Berg, bitte!
Herr Präsident, ich habe es gemerkt, ich bin sofort
fertig. - Lassen Sie uns gemeinsam konstruktiv da zusammenarbeiten, wo es um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes geht.
({0})
Ein erster Schritt wäre, wenn Sie Einfluss auf die CDU/
CSU-geführten Landesregierungen nehmen würden, die
gemeinsam erarbeitete Exzellenzinitiative wieder zu beleben.
({1})
Frau Berg, Sie reden auf Kosten der Redezeit Ihrer
Kollegen.
Die Hochschulen und die Studierenden in Deutschland würden es Ihnen danken.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Ulrike Flach von der FDPFraktion.
({0})
Keine Drohungen, Herr Tauss!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unabhängig vom Pingpong der beiden großen Fraktionen ist für
uns Liberale eines ganz sonnenklar: Wir brauchen eine
Regelung für den Drittmittelbereich, und zwar genau in
dem Sinne, wie es die CDU/CSU vorschlägt: dass wir
endlich die Overheadkosten mit berücksichtigen, wie es
die DFG schon seit vielen Jahren fordert. Die FDP hat
das übrigens schon vor zwei Jahren auf einem Bundesparteitag gefordert; das ist für uns also nichts Neues.
({0})
Drittmittel, liebe Kolleginnen und Kollegen, stehen
heute im Zentrum der Hochschulpolitik. Sie sind nicht
nur für die Finanzierung wichtig, sondern sie sind inzwischen sogar so wichtig, dass sie auch beim Ranking eine
große Rolle spielen. Drittmittel sind neben den öffentlichen Fördermitteln das einzige Mittel, um die Hochschulen wirklich flexibel und autonom zu führen. Trotzdem, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU, hätte ich mir natürlich gewünscht, dass Sie
auch etwas zum Finanzierungsmodus gesagt hätten.
({1})
Dass Sie in Ihrem Antrag an keiner Stelle die auch aus
unserer Sicht wirklich skandalöse Kürzungspolitik der
Länder erwähnen, verursacht zumindest ein etwas flaues
Gefühl im Magen.
({2})
Die FDP unterstützt Ihren Antrag, aber wir würden gern
auch von Ihnen einmal Unterstützung im Kampf mit den
Länderfinanzministern und mit den Ministerpräsidenten
erfahren.
({3})
Ich sehe nämlich ein großes Problem: Wenn wir die Mittel tatsächlich über die DFG auszahlen - was ein richtiger Weg ist und von Herrn Winnacker schon sehr oft
vorgeschlagen worden ist -, gleichzeitig aber der Pakt
für Forschung blockiert wird, wie wollen Sie da weitergehen?
({4})
Wie kommen wir an dieser Stelle wirklich an die zusätzlichen Mittel heran?
({5})
Der Pakt für Forschung ist erst Mitte Dezember wieder
einmal auf Eis gelegt worden. Das heißt, wir haben noch
nicht einmal die normale, von uns allen gewünschte
3-prozentige On-Top-Finanzierung der Forschungsinstitutionen.
({6})
Damit käme man noch nicht hin. Denn das ist ja der
Punkt: Wir wollen ja nicht, dass die Mittel für die DFG
zurückgenommen werden. Ich vermute, dass Sie etwas
obendrauf legen wollen.
({7})
- Ich will aber hoffen, dass sie es wissen;
({8})
und ich schätze die Kollegen auch so ein, dass sie es wissen.
({9})
Wir sind der Meinung, dass wir angesichts der sehr
maroden Etats bei Bund und Ländern einen schrittweisen Ansatz verfolgen sollten: Anstatt global an die Overheadfinanzierung heranzugehen, wie Sie das vorschlagen, schlagen wir vor, jedes Jahr einen gewissen
Prozentsatz draufzusetzen. Dies wäre unserer Meinung
nach auch für den Bundeshaushalt eine bessere Lösung.
({10})
Ich bin der Meinung, man könnte DFG-Mittel entsprechend vormerken.
({11})
- Ich habe das nicht, denn Herr Koch gehört immer noch
nicht zu den Liberalen, Herr Rossmann.
Das heißt, wenn wir kein Nullsummenspiel wollen,
dann müssen wir sehen, wie wir sozusagen an den
Finanzministern vorbei zu solch einer Overheadfinanzierung kommen. Punktum: Für die FDP ist es wichtig, den
Wünschen der Wissenschaft an dieser Stelle wirklich
nachzukommen. Es ist für uns aber auch wichtig - da
stimme ich Frau Berg vorbehaltlos zu -, endlich dazu
überzugehen, den Pakt für Forschung in das nächste Jahr
hinein zu nehmen und
({12})
jetzt endlich einen Anstoß bei der Exzellenzförderung zu
machen.
({13})
Wir sind in der Föderalismusdebatte stecken geblieben.
Das darf uns nicht dazu verführen, bis zum Wahltag des
Jahres 2006 hier ein Pingpongspiel zu betreiben:
({14})
Die einen schreien: „Was ist mit der Eigenheimzulage?“,
die anderen vertreten den Standpunkt der Ministerpräsidenten in der Föderalismusdebatte. Das können wir uns
nicht länger leisten. Die Liberalen sind der Meinung,
dass wir für die Hochschulen jetzt etwas tun müssen.
({15})
Insofern stimmen wir Ihrem Antrag zwar zu, aber wir
appellieren an Sie beide: Nehmen Sie endlich Vernunft
an und kommen Sie zu einer Einigung, mit der wir alle
leben können.
({16})
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Josef Fell vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Kollegin Seib, der Antrag, den Sie gerade
vorgestellt haben, spottet wirklich jeder Beschreibung.
({0})
Selbst die Kritik, die Frau Flach gerade vorgetragen hat
und die auch unsere Zustimmung findet, bringt das deutlich zum Ausdruck. Ihr Antrag ist ein wissenschaftspolitisches Armutszeugnis.
({1})
Er ist der hilflose Versuch für die Länder, die durch ihre
Blockadepolitik verschuldete Finanznot der Hochschulen nun mit Bundesmitteln zu beheben.
({2})
Dass die Länder entgegen den Behauptungen der Union
eben keine ausreichende Finanzausstattung für die
Hochschulen bereitstellen können, zeigt Ihr Antrag letztendlich auch.
Nach den beiden Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes resümieren oder triumphieren - je nach Temperament und Realitätssinn - Ihre Kollegen in den Ländern,
dass der Bund damit endgültig aus den Hochschulen herausgefegt worden sei. Gleichzeitig legen Sie hier einen
Antrag vor, mit dem Sie das Geld des Bundes in noch
stärkerem Maße als bisher in die Hochschulen hineinholen wollen. Natürlich geschieht dies unter dem Deckmantel der Forschungsförderung. Damit werden Sie aber
einfach nicht durchkommen.
({3})
Beim Ziel, mehr Geld für die Hochschulen bereitzustellen, sind wir uns einig. Es ist aber wirklich unredlich,
wie Sie hier argumentieren. In Ihrem heutigen Antrag,
mit dem Sie sich an die Bundesregierung richten, schreiben Sie wörtlich - ich zitiere -: „Die deutschen Hochschulen sind chronisch unterfinanziert“. Es steht dort
kein Wort darüber, wer die politische Verantwortung dafür trägt.
({4})
Zum Hochschulbau nennen Sie die Zahlen von 2003.
Sie beklagen, dass die gemeinsame Finanzierung von
Bund und Ländern nur die Höhe von 74 Prozent des vom
Wissenschaftsrat angemeldeten Bedarfs erreicht. Außerdem beklagen Sie eine Abnahme der Bundesmittel von
1,1 Milliarden Euro im Jahre 2002 auf - ich zitiere wörtlich - „heute nominal gerade noch 925 Mio. Euro“. Sie
hätten wenigstens so ehrlich sein und dazusagen müssen,
wie es am Ende Ihrer Regierungszeit im Jahre 1998 gewesen ist.
({5})
Damals waren es gerade einmal 920 Millionen Euro, obwohl der Wissenschaftsrat damals einen Bedarf von
1,35 Milliarden Euro ermittelt hatte. Das heißt, die damalige Bundesregierung unter Ihrer Führung brachte es
auf eine Quote von gerade einmal 68 Prozent und nicht
wie Rot-Grün aktuell auf 74 Prozent.
({6})
Wollen Sie uns deswegen wirklich schelten?
Ich habe einen anderen Verdacht: Sie wollen mit diesen Zahlenspielen davon ablenken, dass die Hochschulen gerade sehnsüchtig auf ganz anderes Geld zur Verbesserung ihrer Forschungsleistungen warten. Aufgrund
der Verweigerungspolitik Ihrer Landesminister tun sie
das aber vergeblich.
({7})
- Natürlich.
Die Förderung der Universitäten im Wettbewerb um
Exzellenz hätte eine Aufstockung der Mittel um
285 Millionen Euro pro Jahr gebracht - allein aus Bundesmitteln. Werfen Sie uns jetzt vor, dass sie nicht
kommen? Können Sie als Forschungspolitiker und -politikerinnen es tatsächlich gutheißen, dass damit als erstrebenswertestes Ziel noch immer das Eigenheim anstelle
von Bildung und Forschung, die auch bei Ihnen - zumindest sonntags - Vorrang haben, staatlich gefördert wird?
Überhaupt: Wo sind denn eigentlich die Beiträge in
Höhe von 25 Prozent, die gemäß dem alten Konzept
vom Dezember letzten Jahres von den Ländern erbracht
werden sollten? Diese 85 Millionen Euro, die Ihre Kollegen angeblich aufbringen wollten, sind in Ihrem Antrag verschwunden. Sind sie Ihnen nicht der Rede wert
und werden sie ganz selbstverständlich bereitgestellt?
Das hätten Sie in Ihrem Antrag dann lobend erwähnen
können. Wir vermuten, dass sie ganz klammheimlich
wieder in den Länderhaushalten verschwinden. Es
drängt sich wirklich der Verdacht auf, dass die Union
eine insgesamt abenteuerliche Politik verfolgt. Für die
dringend notwendigen Mehrinvestitionen in die deutschen Hochschulen, das Kernstück des deutschen Föderalismus, sollen nur der Bund und die Studierenden zahlen. Das ist Ihr Konzept. Glauben Sie wirklich, dass Sie
damit durchkommen?
({8})
Aber es gibt noch andere Gruppen, die über Ihren Antrag den Kopf schütteln werden. Der von Ihnen erwähnte
wissenschaftliche Nachwuchs muss sich doch veräppelt
fühlen,
({9})
wenn Sie zuerst die dringend notwendigen Graduiertenund Exzellenzzentren verhindern, dann an anderer Stelle
in Ihrem Antrag in der Vollkostenfinanzierung das Instrument zu seiner Unterstützung preisen und schließlich
heute - Kollegin Berg hat es schon erwähnt - die hessische Landesregierung gegen die Kompetenzzentren Verfassungsklage einlegt. Das ist ein Thema aus Absurdistan.
({10})
Fürchten Sie eigentlich nicht, von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an den Forschungseinrichtungen der außeruniversitären Forschung nicht mehr
ernst genommen zu werden, wenn Sie zuerst im
Dezember 2004 völlig sachfern und ideologisch den
Pakt für Forschung und Innovation in die föderale Geiselhaft einschließen, dann aber plötzlich hochmodern erscheinen wollen und einen Overheadbonus vorschlagen?
Sie fordern, die projektbezogene Forschungsförderung
auf die so genannte Vollkostenfinanzierung umzustellen. Das bedeutet, dass aus Drittmittelprojekten auch die
Kosten für den Betrieb, die Verwaltung, das Personal,
Anschaffung und Wartung von Forschungsgeräten finanziert werden sollen.
Diese Forderung macht forschungspolitisch natürlich
Sinn. Wie Sie richtig beschreiben, herrscht im Moment
die absurde Situation, dass eine erfolgreiche Forscherin
mit vielen erfolgreichen Projektanträgen ihren Fachbereich „arm gewinnen“ kann. Das sollte so nicht bleiben.
Da stimme ich Ihnen gerne zu. Aber warum fordern Sie,
dass der Bund die 285 Millionen Euro pro Jahr in diese
Infrastrukturzulage einzahlen soll? Warum schlagen Sie
nicht vor, dass die DFG-Mittelvergabe dieses Problem
insgesamt lösen muss und dass sie dafür mehr Mittel
braucht?
({11})
Dafür müsste erstens der Pakt für Forschung und Innovation sofort unterzeichnet werden und zweitens müssten die Länder ihren Anteil an der DFG entsprechend erhöhen. Wenn Sie all das fordern würden, würden Sie der
Forschung in diesem Lande eine Perspektive aufzeigen.
Herr Kollege Fell, kommen Sie bitte zum Schluss.
So aber zeigen Sie nur, dass Sie Schaufensteranträge
stellen, die keine Lösungen für die tatsächlichen Probleme bieten.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Vera Dominke von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf
den Tag genau vor zwei Monaten, am 17. Dezember des
vergangenen Jahres, haben wir an dieser Stelle über
Hochschulpolitik debattiert und gleichzeitig gespannt
auf das Ergebnis der Föderalismuskommission gewartet.
An genau diesem Tag platzte die Föderalismuskommission, weil die Bildungs- und Forschungsministerin
Bulmahn darauf bestand,
({0})
sich über die Föderalismusreform die Länderkompetenzen in der Bildungspolitik anzueignen,
({1})
die ihr schon vorher und auch noch danach das Bundesverfassungsgericht abgesprochen hat.
({2})
So endete das von der Bundesregierung lauthals ausgerufene Jahr der Innovationen damit, dass sich für die
Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen in diesem
Jahr nichts bewegt hat. Im Gegenteil: Mit den unsoliden
Haushalten der vergangenen Jahre hat diese Bundesregierung - der arme Herr Kasparick muss für sie heute
ganz alleine den Kopf hinhalten -, wie bereits erwähnt
wurde, die Mittel für den Hochschulbau, aus denen bekanntlich auch die Großgeräte finanziert werden, nachhaltig gekürzt.
({3})
- Lieber Herr Tauss, Frau Seib hat es schon gesagt: Sie
hätten sich doch Redezeit geben lassen können.
({4})
Heißt das, dass Sie die Frage nicht zulassen wollen,
Frau Dominke?
Ich bitte darum.
Die Frage ist abgelehnt.
Auf die 1,9 Milliarden Euro für Eliteförderung, von
denen der Bund immerhin 75 Prozent tragen will, warten
die Hochschulen noch heute. Wer auch immer dafür die
Verantwortung trägt: Fakt ist doch - ich zitiere aus der
„FAZ“ vom 11. Januar dieses Jahres, weil ich das selber
nicht besser formulieren könnte -:
Die Unfähigkeit von Bulmahn, mit konservativen
Landesregierungen zu verhandeln und Beschlüsse
gemeinsam zu tragen, beschädigt inzwischen nicht
mehr nur sie selbst, sondern ihr Amt schlechthin.
({0})
Diese Unfähigkeit beschädigt vor allem unsere Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Sie beschädigt
den Forschungsstandort Deutschland.
({1})
Mit unserem Antrag, den Sie, Frau Berg, und Sie,
Herr Fell, offensichtlich nicht sehr gründlich gelesen haben, wollen wir Nothilfe leisten. Wissenschaft und Forschung - Herr Fell, Sie haben darauf hingewiesen; Frau
Flach hat das richtig und gründlich ausgeführt - fordern
schon lange die Vollfinanzierung von Forschungsprojekten, also auch die Finanzierung der so genannten Overheadkosten. Es geht hier - das steht in unserem Antrag um Projektförderung und nicht um die Übernahme von
Forschungspolitik im weiteren Umfang.
({2})
Es wurde bereits ausgeführt: Je emsiger eine Hochschule
Drittmittel einwirbt, umso mehr belastet sie ihre Grundausstattung.
Bei uns werden nur Teile der tatsächlichen Forschungskosten finanziert. Die gesamten Infrastrukturkosten
werden nicht berücksichtigt. Wir erwarten aber, dass die
Hochschulen diese teure Infrastruktur auch für etwa vom
Bund oder von der DFG finanzierte Forschungsprojekte
vorhalten. Die Kosten hierfür können die deutschen
Hochschulen nur bei Forschungsaufträgen aus der Wirtschaft geltend machen, ohne dass damit die Wirtschaft
die Forschungspolitik der Länder übernimmt. Bei einer
Förderung durch die DFG oder den Bund geht das nicht.
Um genau dieses Problem geht es in unserem Antrag.
({3})
Die absurden Zustände, die sich so zum Teil ergeben,
wurden bereits angesprochen. Die DFG hat berichtet,
dass immer mehr Antragsteller Mühe haben, in ihrem eigenen Fachbereich die Zustimmung für größere Drittmittelprojekte zu erhalten, weil die finanziellen Folgen
von den anderen Kolleginnen und Kollegen mitgetragen
werden müssen. Wir wollen mit unserem Antrag diese
Wettbewerbsverzerrung abschaffen. Wir wollen leistungsfähige und autonome Hochschulen, die sich international messen können. Ein wichtiger Baustein ist dabei die Vollkostenfinanzierung der Forschung, die auch
an unseren Hochschulen längst überfällig ist.
Frau Flach, ich habe die Anregung, die Sie hier gemacht haben, mit großem Interesse gehört. Wir sollten
im Ausschuss darüber reden, wie wir im Detail feilen
können, um einen Antrag, den alle mittragen können, zu
formulieren.
Erst vorgestern hat die Hochschulrektorenkonferenz
in ihrem Beschluss die Vollkostenförderung für die Forschung gefordert,
({4})
allerdings nicht als alternative, sondern als kumulative
Förderung. Sie hat damit im Prinzip Recht. Ich bin überzeugt, dass es besser ist, die schmorenden Mittel
- 75 Prozent von 1,9 Milliarden Euro - hier schnell und
unbürokratisch einzusetzen,
({5})
als weiterhin überhaupt nichts zu tun.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Redezeit ist
abgelaufen. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mit
diesem Antrag progressiv und innovativ umgingen und
ihm Ihre Zustimmung gäben. Unsere Hochschulen haben es verdient.
Vielen Dank.
({6})
Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kasparick.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Frau Dominke, ich möchte
mit einem Ihrer Sätze beginnen: Sie werfen dieser Regierung, insbesondere im Bereich von Forschung und
Bildung, unsolide Haushalte vor. Deswegen ein paar
Zahlen, damit wir wieder zur Realität zurückkommen.
Seit 1998 gibt es ein Plus von 35 Prozent bei Bildung
und Forschung, ein Plus von 15 Prozent beim Hochschulbau und ein Plus von 23 Prozent für die Hochschulen. Wir schlagen Ihnen eine Exzellenzinitiative vor, die
schon im nächsten Jahr ein Volumen von 142 Millionen
Euro für die Hochschulen haben könnte. Sie lehnen das
ab. Gleichzeitig aber wollen Sie mehr Geld von uns. Die
Logik dieser Anträge erschließt sich mir nicht.
({0})
Wir sind bereit, 10 Milliarden Euro zusätzlich für Bildung und Forschung aufzubringen. Auch dieses Geld
lehnen Sie ab. Diese Logik erschließt sich mir nicht, da
Sie gleichzeitig über die Overheadfinanzierung mehr
Bundesmittel wollen. Vielleicht sollten wir zusammen
ein Logikseminar besuchen, damit die Argumentationen
ein bisschen schlüssiger werden.
({1})
Das, was Sie in Ihrem politischen Verhalten zum Ausdruck bringen, ist für mich bzw. die Bundesregierung
und für die Kollegen der Regierungsfraktionen nicht verständlich.
({2})
Sie fordern auf der einen Seite mehr Geld vom Bund,
lehnen es aber auf der anderen Seite ab, wenn wir es Ihnen - in einer Größenordnung, die weit über Ihre Forderungen hinausgeht - anbieten.
({3})
Das ist nicht zu verstehen.
Interessanterweise schreiben Sie in Ihrem Antrag,
dass Sie die besten Hochschulen unterstützen wollen.
({4})
Das sehen wir genauso.
Sie sprechen sich auch für einen wissenschaftsgeleiteten Wettbewerb aus. Das wollen wir auch. Deswegen haben wir Ihnen einen wissenschaftsgeleiteten Wettbewerb
vorgeschlagen, der aber von Ihnen abgelehnt wurde.
({5})
Erklären Sie mir doch einmal die Logik! Wir haben Ihnen genau das vorgeschlagen.
Interessant ist im Übrigen, dass der Exzellenzwettbewerb ausverhandelt ist. Wir sind uns mit allen Wissenschaftsministern der Länder einig. Alle Fachminister
sind der Meinung, dass wir diesen Wettbewerb brauchen
und dass wir ihn wollen. Der Bund ist sich einig mit den
Ländern. Aber die Ministerpräsidenten sitzen oben drauf
und sagen: Wir wollen das nicht.
({6})
Erklären Sie uns doch einmal die Logik dieser Argumentation!
({7})
Gleichzeitig fordern Sie, dass über die Overheadfinanzierung mehr Mittel in die Hochschulen fließen.
Wir haben Ihnen einen Pakt für Forschung vorgeschlagen. Frau Flach hat es eben bereits erwähnt. Auch
diese Gelder liegen brach, obwohl wir sie für unsere außeruniversitären Einrichtungen dringend bräuchten.
Lassen Sie mich etwas zum Thema Hochschulbau anmerken.
({8})
Herr Staatssekretär, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Tauss?
Herr Staatssekretär Kasparick, nachdem die beiden
Kolleginnen der Union meinen Wissensdurst nicht stillen wollten oder vielleicht auch nicht konnten, bitte ich
Sie, mir ein bisschen auf die Sprünge zu helfen. Täusche
ich mich oder waren es die unionsgeführten Länder, die
gefordert haben, die Hochschulbaufinanzierung des
Bundes auf null zu fahren? War es nicht eine der zentralen Forderungen von Herrn Koch in der Föderalismuskommission, das Hochschulbaufinanzierungsgesetz in
Verbindung mit anderen Rahmengesetzen aufzuheben?
Ist es nicht die Union, die mit ihrer Blockade des Abbaus
der Eigenheimzulage
({0})
dafür sorgt, dass aufgrund des Beschlusses des Haushaltsausschusses in diesem Jahr weitere Kürzungen in
der Hochschulbaufinanzierung erfolgen? Aufgrund ihrer
Blockade bedeutet das jeden Monat Millionen Euro weniger für die Hochschulen.
({1})
Täusche ich mich völlig? Wie war das noch gleich?
Herr Kollege Tauss, der Punkt, den Sie mit der Föderalismuskommission angesprochen haben, reiht sich
nahtlos in die Beispiele des völlig unlogischen Verhaltens der Union ein.
({0})
Denn das Angebot des Bundes bedeutete, an einer guten
Übung in Deutschland - der Gemeinschaftsaufgabe
Hochschulbau - festzuhalten. Der Bund wollte gerne gemeinsam mit den Ländern den Hochschulbau fortsetzen.
Als Sachsen-Anhaltiner hat es mich sehr überrascht,
dass ein so reiches Land wie Sachsen-Anhalt zu den
Ländern gehörte, die gefordert haben, dass sich der Bund
zugunsten der Länder aus dem Hochschulbau heraushalten soll. Ich verstehe diese Logik nicht. Denn angesichts
des Baubedarfs bei den Hochschulen sind wir selbst mit
vereinten Kräften immer noch nicht stark genug, um
dem gesamten Bedarf Rechnung zu tragen. Dafür sind
zusätzliche Mittel aus der Wirtschaft notwendig.
Die spannende Frage lautet, wie solche zusätzlichen
Investitionen eingeworben werden können. Deshalb bieten wir einen Exzellenzwettbewerb an, der der internationalen Wirtschaft die Chance gibt, sich mit ihren
Investitionen auf die stärksten Hochschulen zu konzentrieren.
({1})
Wir wissen, dass seitens der Wirtschaft eine große Bereitschaft besteht, in solchen hoch innovativen Bereichen auch privates Kapital zu investieren, wenn es gelingt, fünf oder zehn der stärksten europäischen
Forschungsstandorte nach vorne zu bringen.
Ich möchte insofern kurz Ihre Frage beantworten.
Wenn man einerseits feststellt, dass sich der Bund angeblich aus der Hochschulbaufinanzierung zurückziehe,
aber andererseits das Angebot des Bundes, an der Hochschulbaufinanzierung weiter festzuhalten, im Vermittlungsausschuss ablehnt, erschließt sich mir die dahinter
stehende Logik nicht.
({2})
Herr Kasparick, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Christoph Bergner?
Ja, gerne.
Herr Dr. Bergner, bitte schön.
Herr Kollege Kasparick, ich war Mitglied der Arbeitsgruppe „Finanzbeziehungen“ der Föderalismuskommission. Darf ich Sie daran erinnern, dass der Einsetzungsbeschluss der Föderalismuskommission, der die
Unterschriften aller Fraktionen dieses Hauses trägt, die
Abschaffung der Gemeinschaftsfinanzierung vorgesehen
hat und dass auch einige Abgeordnete der SPD-Fraktion
- nicht die Bildungspolitiker! - eine Aufhebung der
Mischfinanzierung nach dem Hochschulbauförderungsgesetz gefordert haben? Sind Sie bereit, sich in Zukunft
etwas besser mit den Sachverhalten auseinander zu setzen, bevor Sie mit fragwürdigen Thesen Schuldzuweisungen vornehmen?
({0})
Herr Kollege Bergner, Sie sind mir mittlerweile als jemand vertraut, der sich durch ein überaus provinzielles
Denken in Forschungsfragen auszeichnet. Wir sehen das
an Ihrer Unterstützung für das, was Herr Koch gegen die
Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen an
deutschen Hochschulen unternimmt. Wir wollen ja im
Konzert mit 40 europäischen Staaten in den BolognaProzess eintreten. Aber Sie finden das gut, was aus Hessen kommt.
({0})
Deswegen erlaube ich mir an dieser Stelle, Sie zu fragen,
wofür Sie eigentlich argumentieren. Wollen Sie mehr
Geld vom Bund für den Hochschulbau oder nicht? Herr
Bergner, in dem vorliegenden Antrag Ihrer Fraktion wird
mehr Geld vom Bund für den Hochschulbau gefordert.
Gleichzeitig sagen Sie aber, es sei gut, wenn sich der
Bund aus dieser Aufgabe zurückziehe. Was wollen Sie
eigentlich?
({1})
- Wie lautet Ihre Forderung?
Entschuldigung, Herr Kasparick, Herr Bergner hat
eine Frage gestellt und Sie haben die Chance, sie zu beantworten. Sie dürfen aber keine Gegenfrage stellen;
denn wir können hier keinen Dialog führen.
({0})
Herr Bergner, ich beantworte Ihre Frage wie folgt:
Das, was Sie hier vortragen, ist weder logisch noch sachgerecht und bringt die Forschung in Deutschland nicht
nach vorn.
({0})
Einerseits wollen Sie, dass sich der Bund aus der Hochschulbaufinanzierung zurückzieht. Andererseits möchten Sie, dass der Bund mehr Geld gibt.
Ich möchte noch einen weiteren Punkt hinzufügen,
wenn ich darf. Es geht darum, wie sich die Hochschulen
selbst zu dieser Debatte stellen.
({1})
Das könnte Herrn Dr. Bergner möglicherweise im Hinblick auf den Hochschulstandort Halle interessieren.
Auf seiner gestrigen Pressekonferenz hat der Präsident
der Hochschulrektorenkonferenz, Herr Gaehtgens, angekündigt, am morgigen Freitag gemeinsam mit den
Chefs der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des
Wissenschaftsrates in der Bundespressekonferenz für
das 1,9-Milliarden-Euro-Programm zur Exzellenzförderung zu trommeln, damit es doch noch kommt. Zudem
solle der Druck in den Bundesländern erhöht werden
- ich trage das ganz langsam vor, damit es jeder mitbekommt -, in denen die Hochschulen die größten Blockierer sitzen sehen, vor allem in Hessen. Das schreibt
die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrer heutigen Ausgabe.
({2})
Wenn Sie wissen wollen, wie die Hochschulen selbst zu
dem stehen, was Sie vorschlagen - Sie versuchen, dem
Bund durch eine Overheadfinanzierung das aufs Auge
zu drücken, was Sie ihm auf der anderen Seite verwehren -, dann nehmen Sie das, was der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz gesagt hat, einfach zur Kenntnis.
Wir finden es im Übrigen ausgesprochen gut, dass sich
die Wissenschaft selbst in diesem Streit zu Wort meldet.
({3})
Nach meiner Überzeugung war das dringend notwendig.
({4})
Unser Interesse ist, den Forschungsstandort Deutschland deutlich zu stärken. Wir wollen an der Gemeinschaftsfinanzierung von Bund und Ländern festhalten,
weil wir die knappen Mittel der öffentlichen Haushalte
dringend brauchen, um die Hochschulen zu stärken. Es
liegen drei Vorschläge auf dem Tisch: Exzellenzinitiative, ein Pakt für Forschung sowie 10 Milliarden Euro
zusätzlich durch den Abbau von Subventionen. Sie brauchen nur Ja zu sagen.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Christoph Bergner
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
würde gern den Versuch einer unstreitigen Analyse machen, ehe wir mit Schuldzuweisungen beginnen.
Erstens sind wir uns hoffentlich alle einig, dass wir
eine Unterfinanzierung unserer Hochschulen beklagen,
({0})
auch im Forschungsbereich, aber nicht nur im Forschungsbereich, jedenfalls wenn wir es an den Maßstäben des internationalen Wettbewerbs messen.
Zweitens. Wie wir wissen, ist es seit langem ein Problem, dass Drittmittelprogramme eng projektbezogen
sind und dass ihre Realisierung immer einen Eingriff in
die Grundfinanzierung bedeutet, sodass derjenige, der
am erfolgreichsten Drittmittel einwirbt, die Grundausstattung der Hochschulen umso mehr belastet. Das führt
zu dem Ergebnis, dass das Ranking in der Drittmitteleinwerbung inzwischen gar kein richtiger Indikator für die
wissenschaftliche Leistungsfähigkeit der vorhandenen
Wissenschaftler einer Hochschule, sondern für die vorhandene Grundausstattung der Hochschule ist. Das kann
uns, wenn wir wettbewerbsbezogen denken, nicht egal
sein.
Drittens. Programme mit einer Ausstattung von über
1,9 Milliarden liegen durch ein bedauerliches Verhaken
zwischen Bund und Ländern - da will ich jetzt gar keine
Schuldzuweisung vornehmen ({1})
auf Eis, sodass wir als Parlamentarier des Deutschen
Bundestags und als Bildungspolitiker, jedenfalls aus
meiner Sicht, gefordert sind, nach Vorschlägen, nach
pragmatischen Wegen zu suchen, wie wir aus dieser Situation herauskommen.
({2})
Unser Vorschlag stammt ja durchaus nicht allein aus
unserem Reservoir. Wer auf dem Neujahrsempfang der
Deutschen Forschungsgemeinschaft gewesen ist und
die Rede des Präsidenten gehört hat,
({3})
konnte feststellen, dass der Präsident zunächst einmal
bedauert hat, dass die Förderung von Exzellenzzentren
und Graduiertenkollegs, der Pakt für Forschung, auf Eis
liegt. Ich denke, das bedauert jeder Bildungspolitiker,
({4})
im Bund wie in den Ländern. Er machte dann einen Vorschlag, um aus dem Dilemma herauszukommen - Herr
Präsident, mit Ihrer Genehmigung möchte ich zitieren -:
Ein denkbarer Vorschlag wäre es, zur Unterstützung
der besten Antragstellerinnen und Antragsteller und
ihrer Institutionen doch wenigstens etwas zu tun
und eine Art Forschungsprämie einzuführen. Für
jeden Euro, den eine Antragstellerin oder ein Antragsteller von der DFG erhält, erhalten er resp. sie
und seine bzw. ihre Institution einen zusätzlichen
Betrag, der die Vollkosten der Forschung abdeckt.
Herr Fell hat von einem wissenschaftspolitischen Armutszeugnis gesprochen.
({5})
Unsere Vorschläge zur Beseitigung eines Dilemmas, das
natürlich in der Politik und nicht in der Wirtschaft entstanden ist, kommen im Grunde aus dem Kreis der Wissenschaft selbst. Wir fühlen uns der Wissenschaft so weit
verpflichtet, dass wir meinen,
({6})
dieser Vorschlag sollte aufgegriffen werden. Deshalb haben wir unseren Antrag eingebracht.
({7})
Mit Blick auf diesen Antrag sage ich: Unabhängig davon, dass das von uns vorgeschlagene Verfahren der
Ausweg aus einem Dilemma ist,
({8})
ist das Verfahren unbürokratisch, wissenschaftsbezogen,
wettbewerbsorientiert, flexibel handhabbar,
({9})
verfassungsrechtlich unbedenklich.
({10})
Jetzt komme ich auf die Bemerkung von Frau Kollegin
Flach zurück.
Herr Bergner, ich muss Sie unterbrechen. Erlauben
Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Berg?
Ja, gern.
Bitte schön, Frau Berg.
Herr Dr. Bergner, wenn Ihnen das Problem des Overheads wirklich so auf der Seele brennt, wenn Sie in diesem Fall wirklich einmal die Hochschulen unterstützen
möchten, warum haben Sie dann nicht an die Länder appelliert und sie gebeten, hier hilfreich einzugreifen? Warum haben Sie ausschließlich den Bund angesprochen?
Warum haben Sie nicht redlicherweise wenigstens, wie
es eben kurz vorgeschlagen wurde, über die DFG oder
ähnliche Institutionen versucht, dieses Problem zu lösen? Warum haben Sie hier nur gesagt, der Bund solle
zahlen, obwohl Sie genau wissen, dass in diesem wie
schon in den letzten Jahren die prozentuale Steigerung
der Ausgaben beim Bund wesentlich höher war als bei
den Ländern?
Frau Kollegin Berg, zunächst einmal möchte ich auf
Folgendes aufmerksam machen: Zu unserem Vorschlag
über den Finanzierungsmodus - seine Umsetzung bedeutet, dass ein zusätzlicher Finanzierungstopf der DFG
geschaffen wird - steht in unserem Antrag nichts. Ich
sage ausdrücklich: Wir müssen ihn als Verhandlungssache betrachten.
Frau Kollegin Dominke hat bereits ausgeführt, dass in
Bezug auf die 1,9 Milliarden Euro der Bund einen Anteil
von 75 Prozent und die Länder einen Anteil von
25 Prozent hatten. Aus meiner Sicht ist es allerdings
keine konstruktive Wissenschaftspolitik, eine so offene
Angelegenheit, über die wir hier nicht entscheiden können - jedenfalls nicht im Plenum -, bloß deshalb abzuwürgen, weil sie nicht dem ursprünglichen Vorschlag
entspricht,
({0})
der im föderalen Getriebe nicht durchsetzbar ist.
({1})
Aus meiner Sicht kommt ein Zweites hinzu: Frau
Kollegin Berg, wenn Sie sich diesen Vorschlag im Einzelnen anschauen, dann erkennen Sie, dass er in der Sache so schlecht nicht ist. Er stellt - Frau Kollegin Seib
hat auf das Beispiel Großbritannien verwiesen - eine
Analogie zu anderen OECD-Staaten her. Schauen Sie
sich die USA an: Die dortige Vollkostenfinanzierung
führt sogar zu einer Kreditfähigkeit und dazu, dass man
sich zusätzliche Darlehen am Kapitalmarkt besorgen
kann. In den skandinavischen Ländern liegt der Anteil
der Vollkostenfinanzierung bei 40 bis 70 Prozent.
Herr Kollege Bergner, die Fragen sollen kurz und präzise sein
({0})
- Entschuldigung! - und die Antworten auch.
Ich lasse jetzt noch eine Frage zu - das ist aber auch
die letzte -, nämlich die des Kollegen Rossmann. Ich
bitte um eine kurze Frage und um eine kurze Antwort.
Herr Rossmann, bitte.
Herr Kollege, habe ich richtig verstanden, dass Sie
behaupten, Sie hätten in Ihrem Antrag keine Forderung
an den Bund gestellt?
Nein.
Ich darf vorlesen:
Der Bund soll dazu eine Infrastrukturzulage als
„Overhead-Bonus“ einführen, …
Weshalb fordern Sie dann nicht Bund und Länder auf?
Herr Kollege, wir sitzen hier im Deutschen Bundestag
und wir haben eine Verhandlungsposition zu beschreiben. Wir schließen die Beteiligung der Länder ja nicht
aus.
({0})
Ich muss Ihnen fairerweise ganz klar sagen: Ich persönlich kann mir ein DFG-Programm ohne Länderbeteiligung nicht vorstellen.
({1})
Allerdings werden Sie uns doch den Umstand, dass wir
den Bund - er ist der Hauptzuwendungsgeber - auffordern, sich hier entsprechend zu engagieren und den von
der DFG selbst vorgeschlagenen Ausweg aus einem Dilemma zu beschreiten, nicht übel nehmen können.
({2})
Ich möchte noch auf Folgendes aufmerksam machen:
Wir schaffen damit wie auch andere OECD-Staaten
Wettbewerbsgleichheit zu anderen Förderprogrammen. Herr Rossmann, Herr Tauss und andere, der
Charme dieses Vorschlages besteht meiner Meinung
nach darin, dass er uns in das Wesen des wissenschaftlichen Wettbewerbs zurückführt. Der wissenschaftliche
Wettbewerb ist nämlich kein Wettbewerb zwischen Institutionen wie Hochschulen; der wissenschaftliche Wettbewerb ist vielmehr der Wettbewerb um Erkenntnis. Der
Wettbewerb um Erkenntnis wird von Wissenschaftlern
getragen, die mit einem Nobelpreis ausgezeichnet werden. Es gibt keinen Nobelpreis für Hochschulen oder für
Institute.
Bei Ihnen spukt noch immer die ursprüngliche Idee
herum - das war am deutlichsten bei den Ausführungen
des Parlamentarischen Staatssekretärs zu erkennen -,
man könne die Hochschulen zum Träger des wissenschaftsrelevanten Wettbewerbs ausrufen. Diese Idee ist
irreführend und sie wurde in den Verhandlungen mit den
Ländern glücklicherweise aufgegeben.
Unser Vorschlag, aufgegriffen von der DFG, ist besser. Seine Umsetzung bewältigt eine verfahrene Situation - zumindest kann sie dazu beitragen - und sie führt
wissenschaftlichen Wettbewerb auf sein Wesen zurück:
Wettbewerb um Erkenntnis. Stimmen Sie unserem Antrag also zu.
Vielen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/4721 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({0}) zu der
Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für
den Datenschutz
Tätigkeitsbericht 2001 und 2002 des Bundesbeauftragten für den Datenschutz - 19. Tätigkeitsbericht - Drucksachen 15/888, 15/4597 Berichterstattung:
Abgeordnete Barbara Wittig
Silke Stokar von Neuforn
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Sind Sie
damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Barbara Wittig von der SPD-Fraktion
das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute befassen wir uns im Plenum mit der Beschlussempfehlung
des Innenausschusses zum 19. Tätigkeitsbericht des
Bundesbeauftragten für den Datenschutz. Obwohl wir
bereits seit einem Jahr mit Herrn Schaar gut zusammenarbeiten, möchte ich zuerst Herrn Dr. Jacob für seine
langjährige Tätigkeit als oberster Datenschützer Dank
sagen.
({0})
- Ja, das hat er verdient.
({1})
- Gern.
({2})
Herr Dr. Jacob hat in seiner langjährigen Tätigkeit immerhin fünf Berichte vorgelegt, unter anderem den
19. Bericht, über den wir jetzt reden.
Wie auch in den Vorjahren war unser Ziel, eine interfraktionelle Einigung in Form einer Entschließung für
den Deutschen Bundestag zu erreichen. In mehreren Berichterstattergesprächen haben wir uns intensiv mit den
Inhalten des 19., sehr umfangreichen Tätigkeitsberichts
auseinander gesetzt. Wir haben hervorgehoben, was gut
läuft. Für das, was gut läuft, möchte ich hier nur zwei
Beispiele nennen: Die Entwicklung und der Einsatz datenschutzfreundlicher Technologien spielen bei der Gestaltung eines modernen Datenschutzes eine immer größere Rolle.
({3})
Ich möchte außerdem hervorheben, dass die Bestrebungen der Bundesregierung, das E-Government datenschutzgerecht auszugestalten, Beachtung verdienen. Das
ist ein richtiger Weg zu mehr Bürgernähe und vor allem
zur Entbürokratisierung, die wir schließlich alle miteinander wollen.
Wir haben in unseren Gesprächen aber auch um
Schlussfolgerungen für die Weiterentwicklung des Datenschutzes in allen relevanten Bereichen gerungen.
Herr Schaar, Mitarbeiter aus seinem Haus sowie Beamte
und Angestellte, die in den verschiedensten Ministerien
mit dem Datenschutz betraut sind, standen uns dabei
sowohl mit ihrem Fachwissen als auch mit ihren Erfahrungen zur Seite. Ich kann feststellen: Das war stets ein
gutes und konstruktives Miteinander.
({4})
Aus der Vielfalt der fachlichen Möglichkeiten haben
wir uns in unserem gemeinsamen Entschließungsantrag
auf die unserer Meinung nach wichtigsten Punkte bezüglich der Weiterentwicklung und Modernisierung des Datenschutzes beschränken müssen. Auch dazu kann ich
nur einige Möglichkeiten herausgreifen; denn alles zu
erwähnen, was in dem umfangreichen Bericht dargestellt
wird, ist schier unmöglich.
Die Vorlage eines Gesetzentwurfs zum Datenschutzaudit im Rahmen des § 9 a des Bundesdatenschutzgesetzes ist für uns unverzichtbar. Wir werden damit
beginnen, sobald die Arbeiten am Informationsfreiheitsgesetz abgeschlossen sind.
({5})
Hier müssen möglichst unbürokratische Lösungen her,
die sowohl den Interessen der Verbraucher entsprechen
als auch die Bedürfnisse der Wirtschaft berücksichtigen.
Die geplante Einführung der elektronischen Gesundheitskarte ist unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten für uns von großem Interesse. Schließlich
ist sie ein zentraler Punkt bei den strukturellen Innovationen, die mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz
auf den Weg gebracht worden sind. Deshalb erwarten
wir von der Bundesregierung, dass aus der Vielzahl der
technischen Lösungsmöglichkeiten ein Verfahren ausgewählt wird, das für die betroffenen Bürger die datenschutzfreundlichste Lösung darstellt. Fakt ist nämlich,
dass die Einführung der Gesundheitskarte nur dann gelingen kann, wenn ein hohes Maß an Akzeptanz in der
Bevölkerung erreicht wird.
({6})
Wir halten auch an der Ablehnung einer Mindestspeicherungsfrist für Telekommunikationsverkehrsdaten
fest.
({7})
Bei der Novellierung des Telekommunikationsgesetzes
- wir erinnern uns sicher daran - hat dies ja schon eine
entsprechende Rolle gespielt.
Nicht unerwähnt bleiben darf heute auch der Beschluss zur Ermöglichung der Abfrage von Kontodaten
gemäß dem Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit
vom 23. Dezember 2003. Bekannt ist, dass ab 1. April
2005 den Finanzbehörden die Möglichkeit eingeräumt
wird, so genannte Kontenstammdaten - das möchte ich
betonen - abzufragen. Das heißt, sie können feststellen,
bei welchem Kreditinstitut ein bestimmter Steuerpflichtiger ein Konto oder ein Depot hat. Bestände und Bewegungen auf den Konten sind in den Stammdaten bekanntlich nicht enthalten. Um aber auch auf diesem
Gebiet dem Datenschutz Rechnung zu tragen, halten wir
es für erforderlich, dass Betroffene über durchgeführte
Kontenabfragen informiert werden. Deshalb soll die
Bundesregierung auf untergesetzlichem Wege, also auf
verwaltungsvorschriftlichem Wege, die Unterrichtung
der Betroffenen veranlassen. Sie wissen ja sicher, dass
zurzeit mit den Ländern die entsprechende Verwaltungsanweisung erörtert wird.
Dass zum Arbeitnehmerdatenschutz noch keine gesetzliche Regelung vorgelegt wurde, können wir zwar
bedauern, wir müssen aber zugleich zur Kenntnis nehmen, dass auf europäischer Ebene intensive Überlegungen angestellt werden, um für diesen Bereich einen Gemeinschaftsrahmen zu schaffen. Ich bin der Meinung,
dass wir das Ergebnis dieses Prozesses abwarten sollten,
ehe wir zu speziellen nationalen Regelungen kommen.
Ich bin auch froh darüber, dass die Grundprinzipien
des Datenschutzes wie Datensparsamkeit, Datensicherheit, Transparenz, strikte Zweckbindung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit nicht nur auf dem Papier
stehen, sondern in der Praxis Beachtung finden und angewendet werden. Schließlich geht es darum, das Persönlichkeitsrecht und das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger immer
wieder von Neuem zu sichern und natürlich auch weiterzuentwickeln, ohne dabei ein effizientes Verwaltungshandeln, die freie Entfaltung der wirtschaftlichen Kräfte
und Möglichkeiten oder auch die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger und damit unseres Landes zu behindern, und das bei ständig sich verschärfenden und neuen
Herausforderungen, wie zum Beispiel den sich aus den
Anschlägen des 11. September 2001 ergebenden Folgerungen.
Auf die im Bericht enthaltene Frage, ob bei den
Sicherheitspaketen, die von uns auf den Weg gebracht
worden sind, die Balance zwischen öffentlicher Sicherheit und Datenschutz gestört sei, möchte ich antworten:
Nein, diese Balance ist nicht gestört. Natürlich bin ich
mir im Klaren darüber, dass wir uns dabei immer in einem Spannungsfeld zwischen den Sicherheitsinteressen
des Staates für seine Bürgerinnen und Bürger auf der einen Seite und den schutzwürdigen Freiheitsrechten des
Einzelnen auf der anderen Seite bewegen. Ich sage aber
auch: Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf,
dass alles, aber auch wirklich alles getan wird, um sie
selbst und unser Land zu schützen.
({8})
Insofern waren die von uns eingeleiteten Maßnahmen
zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus auch
unabweisbar.
({9})
- Genau, das ist richtig.
({10})
- Nein, so lange wird das nicht dauern.
Natürlich bleibt auch der Ausbau der polizeilichen
und justiziellen Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union eine der wichtigen Aufgaben. Wir gehen
davon aus, dass die Bundesregierung die Mitglieder des
Innenausschusses rechtzeitig über entsprechende Verhandlungen informieren wird, damit wir auch diesen Bereich, bei dem es darum geht, die datenschutzrechtlichen
Regelungen zu vereinheitlichen, konstruktiv parlamentarisch begleiten können.
Lassen Sie mich zusammenfassend noch einmal
meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass es
uns gemeinsam gelungen ist, dass sowohl in den mitberatenden Ausschüssen - das waren in diesem Falle ja
sehr viele - als auch im Innenausschuss unser Entschließungsantrag einstimmig verabschiedet wurde. Das ist
ein gutes Zeichen für dieses Parlament. Denn schließlich
sind das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
und der Datenschutz eine Querschnittsaufgabe mit Ausstrahlung in alle gesellschaftlichen Bereiche. Ich bedanke mich noch einmal bei allen für ihr Engagement
auf diesem doch nicht sehr einfachen Gebiet.
({11})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Beatrix Philipp von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Wittig, bei aller Gemeinsamkeit: Den Eindruck
zu erwecken, dass es im Bereich des Datenschutzes nur
Friede, Freude, Eierkuchen gäbe, ist falsch.
({0})
Trotzdem haben Sie Recht: Manchmal wird das, was wir
gerade in der vorherigen Debatte erlebt haben - das liegt
nicht unwesentlich an Ihnen, Herr Tauss -,
({1})
nämlich das Ringen um den richtigen Weg, als Streit interpretiert. Das haben die Menschen draußen nicht so
gern. Auch Ihr ständiges Dazwischenreden ist überhaupt
nicht mehr witzig, weil Ihre Bemerkungen selbst nicht
mehr witzig sind. Sonst bin ich dafür eigentlich immer
zu haben, weil ich ja Rheinländerin bin, und das wissen
Sie auch.
({2})
Ihrem Dank, Frau Wittig, an den früheren Datenschutzbeauftragten, Herrn Dr. Jacob, schließen wir uns
ausgesprochen gerne und vorbehaltlos an. Ich mache
aber gleich darauf aufmerksam, dass sich dieselbe freudige Erregung - auch dazu gab es ja einen Zwischenruf
von Herrn Tauss - von unserer Seite aus leider nicht auf
den neuen Datenschutzbeauftragten übertragen lässt.
({3})
Ich will darauf aufmerksam machen, dass einige
Dinge sehr kritisch angemerkt werden müssen, vor allen
Dingen weil völlig unterschiedliche Auffassungen in
sicherheitsrelevanten Bereichen vorherrschen.
({4})
Trotzdem will ich im Vorfeld sagen, dass wir sehr froh
sind, dass es gemeinsame Auffassungen gibt. Sie liegen
Ihnen in der gemeinsamen Erklärung vor. Ich möchte
auch nicht anstehen, den Berichterstatterinnen aller
Fraktionen sowie dem Parlamentarischen Staatssekretär,
Herrn Körper, ausdrücklich zu danken. Mein Dank gilt
auch den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Bundesbeauftragten, die auskunftsfreudig für viele Gespräche
zur Verfügung gestanden haben.
({5})
Dennoch: Wie gesagt sind wir in fast allen sicherheitspolitischen Fragen anderer Auffassung als der jetzige Datenschutzbeauftragte.
({6})
- Sicher komme ich zu Beispielen, Herr Tauss; so weit
müssten Sie mich aber kennen, dass ich so etwas nicht
nur behaupte, sondern immer auch belege. Und wenn Sie
jetzt fein aufpassen, dann bekommen Sie das auch mit
und dann wissen Sie es beim nächsten Mal schon vorher.
({7})
Die unterschiedlichen Auffassungen müssen hier aufgezeigt und diskutiert werden. Selbst die Bundesregierung
({8})
- Herr Tauss, wenn Sie immer schwätzen, bekommen
Sie das wieder nicht mit; ich sage es Ihnen jetzt einmal
langsam - stimmt, wie man feststellt, wenn man die Stellungnahme des Innenministeriums zum Datenschutzbericht liest, in wesentlichen Punkten nicht mit dem Datenschutzbeauftragten überein, sondern eher mit uns.
({9})
Das finde ich schon bemerkenswert; das ist nämlich
nicht selbstverständlich.
Der Datenschutz ist weder Selbstzweck noch eine
heilige Kuh. Wer das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus dem Zusammenhang reißt und es über
alle anderen Rechte und Pflichten stellt,
({10})
der handelt meiner Ansicht nach in hohem Maße unverantwortlich. Ich werde das gleich an einigen Beispielen
aufzeigen.
In Zeiten terroristischer Bedrohung und zunehmender
organisierter Kriminalität dürfen unsere Polizei- und Si14726
cherheitsbehörden nicht durch überzogene Datenschutzforderungen bei der Wahrnehmung ihres Auftrages geund behindert werden.
({11})
Ich will Ihnen dafür drei ganz konkrete Beispiele nennen:
Als Erstes nenne ich die DNA-Analyse. Nicht erst
seit dem spektakulären Fahndungserfolg im Mordfall
Moshammer
({12})
ist in der Fachwelt unstreitig, dass die DNA-Analyse einen enormen Fortschritt für die kriminalistische Arbeit
bedeutet.
({13})
- Doch! Sie bekommen noch Gelegenheit zuzustimmen;
das dauert gar nicht mehr so lange, Herr Tauss. - Die
CDU/CSU hat in dieser Legislaturperiode bereits mehrere Initiativen eingebracht, die das Ziel hatten, den so
genannten genetischen Fingerabdruck wirkungsvoller
nutzen zu können. Immer hätten Sie zustimmen können,
aber nie haben Sie zugestimmt.
({14})
Morgen bringt die Union erneut einen Gesetzentwurf zur
Neuregelung der DNA-Analyse zu Zwecken des Strafverfahrens in den Bundesrat ein. Nun sind wir sehr gespannt; denn laut „Frankfurter Rundschau“ vom 26. Januar
wollen sowohl der Innenminister Schily als auch - man
höre und staune - der Kanzler die DNA-Analyse als
Standardmethode bei der erkennungsdienstlichen Behandlung einführen. Toll - lernfähig, müsste man an dieser Stelle sagen. Aber dieser Vorschlag steht noch nicht
zur Abstimmung an. Wir schauen dann noch einmal.
Beide sollten sich allerdings nicht nur auf Ankündigungen in den Medien wie der „Frankfurter Rundschau“ beschränken, sondern endlich handeln.
({15})
Wir freuen uns auf eine Umsetzung der Vorschläge
der Union und sind gerne bereit, Ihnen, Herr Staatssekretär, in diesem Haus zu einer Mehrheit zu verhelfen, falls
die Grünen nicht mitziehen. Das ist doch ein sehr faires
Angebot.
({16})
Wenn wir vom genetischen Fingerabdruck reden,
dann meinen wir damit die Untersuchung aller organischen Spuren, die ein Täter am Tatort hinterlässt. Diese
werden im Labor ausgewertet und ausschließlich für die
endgültige Identifikation des Tatverdächtigen verwendet.
({17})
- Herr Ströbele, man muss das immer wieder sagen, weil
einige, auch der Datenschutzbeauftragte, durch Äußerungen - das werde ich gleich nachweisen ({18})
immer wieder zur Verunsicherung der Bevölkerung beitragen. Das ist nicht in Ordnung und eigentlich ist es
auch nicht seine Aufgabe.
({19})
Die Regeln im Bereich des Strafrechts sind, wie Sie
wissen, eindeutig und klar. Mindestens ebenso wichtig
ist - auch das gehört dazu -, dass bei Sexualdelikten zu
Unrecht verdächtigte Personen schnell und eindeutig
entlastet werden.
({20})
Im Datenschutzbericht wird die DNA-Analyse entsprechend gewürdigt - ich zitiere -:
Sie hat sich binnen weniger Jahre zu einem außerordentlich effektiven kriminalistischen Instrument
entwickelt.
({21})
- Vorsicht, Herr Tauss. - Der Datenschutzbeauftragte
teilt diese Auffassung offensichtlich nicht.
({22})
- Sehen Sie! - Ich zitiere aus einem veröffentlichten
Vortrag vom 3. Juni in Wiesbaden.
Auch birgt das Verfahren der DNA-Analyse ein ungleich höheres Gefährdungspotenzial in sich als das
der Abnahme eines Fingerabdrucks.
({23})
Und weiter:
Gelangt das Material in die mit der Untersuchung
beauftragten Labors besteht die Gefahr, dass dort
missbräuchlich auch die codierenden Teile der in
den Zellen enthaltenen DNA untersucht werden
und somit Rückschlüsse auf die Persönlichkeitsmerkmale wie Eigenschaften und Aussehen gezogen werden.
({24})
Das wirft ein ganz merkwürdiges Licht auf Herrn
Schaar und sein Verhältnis zu unserem Rechtsstaat.
Schließlich kann und konnte bei jeder Blutprobe - Herr
Tauss, hören Sie mir bitte zu ({25})
in den vergangenen Jahrzehnten mehr Missbrauch stattfinden. Einen institutionalisierten Rechtsbruch, wie er
hier befürchtet wird, halte ich für undenkbar.
Ich wiederhole: Bei der Speicherung von DNA-Identifizierungsmustern wird lediglich ein Zahlencode, dessen Informationsgehalt allein für die Identifizierung benutzt werden kann, verwendet. Die Analyse erfolgt im
Übrigen anonymisiert, sodass dem Labor die Person
nicht bekannt ist.
({26})
Die Auftritte des Bundesbeauftragten verunsichern
die Menschen, statt sie aufzuklären. Herr Ströbele, deswegen habe ich das erwähnt.
({27})
Er warnt vor möglichen Maßnahmen, die überhaupt
nicht zur Debatte stehen.
({28})
Nach dem Fall Mooshammer trat Herr Schaar im
„ZDF-Mittagsmagazin“ auf und warnte vor der Ausweitung von DNA-Analysen. Dabei brachte er eine genetische Erfassung der Gesamtbevölkerung ins Spiel. So etwas stand und steht überhaupt nicht zur Debatte.
({29})
Deswegen trägt eine solche Äußerung zur Verunsicherung und nicht zum Abbau von Ängsten, die in der Bevölkerung sicherlich vorhanden sind, bei.
Ebenfalls nicht zur Debatte steht das, was Herr Schaar
im „ZDF-Morgenmagazin“ - Frau Wittig, das haben Sie
vielleicht auch mitbekommen - von sich gab: Bei der
Bestellung von Tickets für die Fußballweltmeisterschaft muss aus Sicherheitsgründen und immerhin auf
Initiative des Innenministeriums - das hat sich nicht irgendjemand ausgedacht ({30})
die Nummer des Personalausweises angegeben werden.
Herr Schaar kritisiert nicht nur diese Sicherheitsmaßnahme. Er nutzt seine Kritik erneut, um die Vision eines
Überwachungsstaates an die Wand zu malen.
({31})
- Frau Wittig, wenn Sie es nicht gehört haben, bringe ich
es Ihnen jetzt zur Kenntnis. - Ich zitiere:
Es darf nicht dazu kommen, dass ich mich, etwa
wenn ich ins Kino gehe oder eine Sportveranstaltung besuche, dauernd identifizieren muss. Wir alle
wollen keinen Bürger, der dauernd seinen Datenschatten hinter sich herzieht.
({32})
Ich kenne auch niemanden, der das will. Kennen Sie jemanden?
({33})
Welch abstruse Idee! Panikmache nenne ich das; nichts
anderes ist das.
({34})
Ein weiterer Tummelplatz für echte und selbst ernannte Datenschutzaktivisten ist die akustische Wohnraumüberwachung, auch gern als großer Lauschangriff
bezeichnet.
({35})
Sie wird nur äußerst selten angewendet und ist wirklich
die Ultima Ratio polizeilicher Ermittlungsmaßnahmen,
die nur dann genutzt wird, wenn mit anderen Ermittlungsmethoden kein Erfolg erzielt werden kann.
({36})
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom
3. März 2004
({37})
wurde die grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit dieser
Maßnahme festgestellt.
({38})
- Zuhören können Sie auch nicht; das macht die Sache
ausgesprochen schwierig, aber ich versuche es immer
wieder.
90 Prozent der Abhörfälle, Herr Tauss, erfolgten bei
schweren Straftaten; sie werden auch weiterhin als verfassungsmäßig erachtet. Auch die Erfolgsquote ist beachtlich. In 42 Prozent der Verfahren führten die Abhörmaßnahmen zu Beweismitteln, die auf andere Weise
nicht hätten erlangt werden können. Der jüngste Fahndungserfolg, die Festnahme von zwei mutmaßlichen alQaida-Mitgliedern in Mainz und Bonn, ist auf den Einsatz der akustischen Wohnraumüberwachung in der
Wohnung der Verdächtigen zurückzuführen.
Jetzt zitiere ich aus der Pressemitteilung des NDR:
Gespräche per Telefon, die ebenfalls abgehört wurden, hatte der Hauptverdächtige Ibrahim K. nur verschlüsselt geführt. Ein Thema war zum Beispiel
„die Lieferung von Büchern“.
Klartext redete er hingegen in seiner „verwanzten“
Wohnung. Hier erklärte der 29-jährige Ibrahim K.
ganz unverblümt, dass unter „Büchern“ hoch angereichertes Uran zu verstehen sei.
Auch die Studie des Max-Planck-Instituts vom
15. September 2004 kommt zu einer ausgesprochen positiven Bilanz, ebenso Justizministerin Zypries. Sie betont nach Veröffentlichung dieser Studie in ihrer Pressemitteilung vom 1. November 2004 „die vorbildliche
Praxis und die Unverzichtbarkeit dieser Maßnahme vor
allem zur Aufdeckung konspirativer Strukturen bei organisierter Kriminalität“.
Ganz anders Herr Schaar: Er triumphiert in seiner
Pressemitteilung vom 16. März 2004 über die im Urteil
des Bundesverfassungsgerichts enthaltenen Beschränkungen und fordert, nun auch andere Eingriffsbefugnisse
wie die Telefonüberwachung auf den Prüfstand zu stellen.
({39})
Meine Damen und Herren, ich kann die Regierungskoalition nur ausdrücklich auffordern, endlich zu handeln und Klarheit zu schaffen, wie sie die Äußerungen
des Datenschutzbeauftragten wertet. Außerdem muss sie
dafür sorgen, dass das Abhören bei schwerster Kriminalität nicht praktisch undurchführbar gemacht wird.
({40})
Es kann doch nicht sein, dass sich unsere Strafverfolgungsbehörden ein solches verfahrenstechnisches Loch
ins Knie bohren und die Mafiosi und Terroristen sich ins
Fäustchen lachen.
({41})
Auf diese Art von Datenschutz komme ich noch zu sprechen; er hilft uns wirklich nicht weiter.
Der aktuelle Gesetzentwurf vom 22. September 2004
lässt Schlimmes befürchten. Offenbar konnten sich die
Minister Zypries und Schily, in deren Kompetenzbereich
diese Frage eigentlich fällt, wieder einmal nicht gegen
die Grünen durchsetzen. Dafür spricht auch das peinliche Zurückziehen des ersten Gesetzentwurfes vom
23. Juni 2004 im August, obwohl sich Herr Schily noch
im Juli 2004 heftig für ihn eingesetzt hat.
Das nächste Beispiel betrifft die Telefonüberwachung.
({42})
- Es scheint für Sie, Frau Wittig, also schwierig zu sein;
wenn Sie das nicht auseinander halten können, dann haben wir hier schlechte Chancen, dass Sie jemals zu unserer Auffassung gelangen.
Die Erfolge sprechen für sich: Die Anklagequote liegt
mit 58 Prozent etwa doppelt so hoch wie im sonstigen
Durchschnitt, die Verurteilungsquote sogar bei 94 Prozent. Noch im Dezember - das wissen Sie sicherlich konnte so ein möglicher Terroranschlag auf den irakischen Ministerpräsidenten Allawi verhindert werden.
({43})
- Herr Tauss, ich finde es weder witzig noch albern, hier
einmal die Vorteile von Maßnahmen zu beschreiben,
wenn gleichzeitig aus Ihren Reihen dagegen polemisiert
und so getan wird, als ob die Welt unterginge, wenn einige zweifellos vorhandene und schützenswerte Interessen, auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, gewisse Einschränkungen erfahren. Das muss
man nämlich abwägen.
({44})
Sie wägen so ab, dass die Gewerkschaft der Polizei sagt,
dass es hier um eine Blockade der Grünen im Kampf gegen schwere Verbrechen gehe.
({45})
- Dazu komme ich gleich noch.
({46})
- Ich lasse überhaupt kein Grundrecht vor die Hunde gehen. Ich glaube aber, dass die Menschen im Lande damit
sehr viel normaler als manche umgehen, deren Erkennungsvermögen inzwischen schon an Betriebsblindheit
grenzt. Die Menschen verstehen nicht - ich verstehe es
auch nicht -, wie schwer sich die Regierung tut, die
Konsequenzen zu ziehen und spätestens nach dem Fall
Moshammer und den in Deutschland verhinderten Anschlägen die notwendigen Maßnahmen auf den Weg zu
bringen.
Ich kann nur jedem den Artikel „Dann können wir
hier dichtmachen“ aus der „Welt am Sonntag“ vom
21. November 2004 zur Lektüre empfehlen.
({47})
Ich habe den Eindruck, dass zurzeit keine sinnvolle
Abwägung zwischen Datenschutz und anderen zweifellos schützenswerten Belangen erfolgt. Deshalb ist es
nach unserer Auffassung dringend notwendig, in diesem
unbestritten sensiblen Bereich
({48})
für Klarheit zu sorgen und der Kriminalitätsbekämpfung
den eindeutigen Vorrang einzuräumen.
({49})
Wir sind für einen aufgeklärten und pragmatischen
Datenschutz. Wer mit den Menschen vor Ort spricht,
weiß, dass sie unsere Auffassung teilen. Sie verstehen
nicht, dass nicht die besten Voraussetzungen für eine effektive Kriminalitätsbekämpfung geschaffen werden.
({50})
Zum Schluss komme ich noch auf zwei Punkte, von
denen ich glaube, dass es notwendig ist, sie anzusprechen.
({51})
Herr Tauss, hören Sie doch einmal auf, jeden Satz zu
kommentieren.
Frau Präsidentin, ich bin ja von Herrn Tauss einiges
gewohnt. Aber so schlimm wie heute war er schon lange
nicht mehr.
({0})
Da sind ja keine Zwischenrufe, sondern es ist eine ständige Störung derjenigen, die hier etwas vortragen möchten. Anders kann man es nicht mehr bezeichnen.
Frau Wittig hat auf das Gesetz zur Förderung der
Steuerehrlichkeit sowie darauf hingewiesen, bei der Einführung der Gesundheitskarte nicht nur den Missbrauch
zu bekämpfen, sondern auch das Arzt-Patienten-Verhältnis in den Mittelpunkt zu rücken.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer die
Union bezichtigt, sie vernachlässige den Datenschutz,
({1})
hat unsere Anträge und Initiativen der letzten Jahre nicht
richtig gelesen; ich füge hinzu: vielleicht auch nicht verstanden. Im Hinblick auf die Zukunft des Datenschutzes,
auch für die Bereiche der Kriminalitätsbekämpfung und
der Prävention, wünsche ich mir mehr Berücksichtigung
des Sicherheitsbedürfnisses der Bevölkerung. Meine Gespräche mit den Menschen zeigen immer wieder, dass
wir auf dem richtigen Weg sind, wenn wir ihre Sorgen
ernst nehmen. Im Endeffekt schaden wir dem Anliegen
des Datenschutzes, wenn wir dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung grundsätzlich mehr Gewicht
beimessen als der Bekämpfung der organisierten und
auch der anderen Kriminalität mit allen zur Verfügung
stehenden Mitteln.
Ich danke Ihnen.
({2})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Silke Stokar.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Namen meiner Fraktion danke ich dem früheren Bundesbeauftragten für den Datenschutz, Herrn Dr. Jacob, für den
letzten Tätigkeitsbericht seiner Amtszeit. Dieses Dokument ist Grundlage unserer heutigen Diskussion.
({0})
Nach der Rede von Ihnen, Frau Kollegin Philipp,
habe ich das Gefühl, Ihnen ist ein bisschen der Mut verloren gegangen. Wir reden heute über einen interfraktionellen Antrag, also über Punkte, zu denen wir Einigkeit
gefunden haben. Für ihre Kooperation bei diesem Einigungsprozess danke ich auch der Kollegin Philipp. Auch
für den neuen Datenschutzbeauftragten, Herrn Peter
Schaar, den ich natürlich ebenfalls grüße, ist es wichtig,
dass es im Parlament eine fraktionenübergreifende Einigkeit in den Grundsätzen des Datenschutzes gibt. Uns
ist im Übrigen die Parlamentsbindung des Bundesbeauftragten außerordentlich wichtig.
({1})
Darauf haben wir uns verständigt. Wir tragen heute einen gemeinsamen Antrag vor. Ich bedauere ein bisschen,
dass Sie, Frau Philipp, in Ihrer Rede ausschließlich auf
das Trennende eingegangen sind.
Ich möchte, da ich nicht einmal ein Drittel der Redezeit von Frau Philipp habe, nur die Punkte des gemeinsamen Antrages anreißen, die mir sehr wichtig sind. Es ist
angesprochen worden - das war zwischen den Ministerien sehr kontrovers; deswegen mein Dank sowohl an das
Innenministerium als auch an das Finanzministerium -,
dass wir zu dem sensiblen Thema Kontenabfrage eine
einvernehmliche Formulierung gefunden haben. Ich
möchte bei diesem Punkt sehr deutlich machen, dass man
die vorhandenen Zielkonflikte, die es zwischen dem Datenschutz und anderen Interessen gibt, benennen muss.
Bei der Kontenabfrage geht es darum, dass wir den Verfassungsauftrag haben, für Steuergerechtigkeit zu sorgen.
Das heißt - das halte ich für richtig -, dass wir Steuerschlupflöcher schließen und Missbrauch unterbinden
müssen.
({2})
Wir haben im Zusammenhang mit der Kontenabfrage
- es ist wichtig, dies deutlich zu machen; denn in der öffentlichen Berichterstattung wurde manchmal ein falscher Eindruck erweckt - nicht den gläsernen Bankkunden geschaffen. Wir haben vielmehr gesagt: Wenn es
einen Anlass gibt, muss es möglich sein, zu erfahren,
welche Person wo ein Konto hat. Wir haben keinen Einblick in die Konten; es werden keine Beträge abgefragt.
Nur die Kontonummer wird einer Person zugeordnet.
Wir haben in einer gemeinsamen Anstrengung durchgesetzt - das bedeutet informationelle Selbstbestimmung -, dass nicht verdeckt ermittelt und nicht verdeckt
abgefragt wird, sondern dass die Bürgerinnen und Bürger ein Recht darauf haben, zu erfahren, dass man über
ihre Angaben hinaus eine Kontenabfrage durchgeführt
hat. Ich halte es für eine gute, konstruktive Politik, dass
wir gerade in diesem schwierigen Bereich zu einem Ergebnis gekommen sind.
Für meine Fraktion möchte ich auch sagen: Beim Informationsfreiheitsgesetz sind wir in der Zielgeraden.
Wir werden parallel dazu sehr zügig, damit wir auch
diesen Punkt hinbekommen, an einem Datenschutzauditgesetz arbeiten.
({3})
Ich bedauere sehr, dass wir einen anderen Punkt der
Koalitionsvereinbarung nicht in Gänze werden umsetzen
können. Man muss es hier deutlich sagen - Herr Jacob
hat bereits darauf hingewiesen; es steht auch in unserer
zweiten Koalitionsvereinbarung -: Wir brauchen in
Deutschland eine Modernisierung des Bundesdatenschutzgesetzes. Dies ist ein großes Reformvorhaben. Es
scheitert nicht an dem Willen von Rot-Grün. Es ist vielmehr so, dass wir dieses große Projekt nur gemeinsam
mit den Ländern umsetzen können. Wir sollten zumindest die Struktur eines neuen Gesetzes erarbeiten.
Zum Schluss ein paar wenige Sätze zu dem Zielkonflikt „Sicherheit und Datenschutz“; über die DNA-Datenbank haben wir an anderer Stelle ausführlich diskutiert. Ich halte es schon für wichtig, dass wir uns in der
Auseinandersetzung um Sicherheit und Terrorismus an
die Worte erinnern, die zum Beispiel Paul Limbach gesagt hat: Es macht einen demokratischen Rechtsstaat
aus, dass es bei seinen Mitteln Grenzen gibt. Diese
Grenzen setzt unsere Verfassung. - Diese Tatsache
kommt mir hier in den Debatten manchmal etwas zu
kurz.
({4})
Es gibt kein Grundrecht auf Sicherheit. Der Staat hat die
Verpflichtung, die Sicherheit unserer Bürgerinnen und
Bürger zu gewährleisten.
Dabei haben wir aber darauf zu achten, dass die
Grundrechte, die in unserer Verfassung festgelegt sind,
eingehalten werden. Ich bitte darum, diesen Zielkonflikt
deutlich zu benennen; denn es gibt nicht nur diesen einen
Weg.
Danke schön.
({5})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gisela Piltz.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wir beraten heute mit reichlich Verspätung den Tätigkeitsbericht 2001 und 2002 des Bundesbeauftragten für
den Datenschutz. Für diesen Bericht trägt der ehemalige
Datenschutzbeauftragte, dem wir, die FDP-Bundestagsfraktion, ganz besonders herzlich für seine langjährige
und verdiente Arbeit danken wollen, die Verantwortung.
({0})
Die Beratung über diesen Bericht findet deshalb verspätet statt, weil sich die Bundesregierung für ihre Stellungnahme sehr viel Zeit gelassen hat. Das ist aus unserer Sicht symptomatisch dafür, wie die Bundesregierung
mit dem Datenschutz umgeht. Auch ihre Antwort auf
unsere Große Anfrage zeigt aus unserer Sicht, wie die
Bundesregierung zum Datenschutz steht. Dazu fällt mir,
ehrlich gesagt, nur ein Begriff ein: Triple-A. Im Bankgeschäft bezeichnet er ein gutes Rating.
({1})
Aber in diesem Zusammenhang steht das bei mir für
„Abwiegeln, Ausweichen, Augen zu“.
({2})
Ich denke, die Bürger haben es nicht verdient, dass so
mit dem Datenschutz umgegangen wird.
Nun zurück zum Bericht. Es geht heute nicht nur um
den Bericht, sondern auch um etwas, was die Bedeutung
des Datenschutzes sicherlich fördern wird: dass wir es
geschafft haben, einen gemeinsamen Beschluss zu fassen, der aus zwölf Punkten besteht. Es handelt sich um
zwölf gemeinsame Aussagen, die ein Symbol für den
Datenschutz sind, das er aus unserer Sicht auch verdient.
In diesem Zusammenhang möchte ich Dank sagen: dem
jetzigen Bundesbeauftragten für den Datenschutz und
seinen Mitarbeitern,
({3})
Herrn Staatssekretär Körper und seinen Mitarbeitern
({4})
sowie insbesondere meinen Berichterstatterkolleginnen.
Obwohl wir inhaltlich natürlich nicht immer einer Meinung waren und ich manches anders in Erinnerung habe,
war die Zusammenarbeit sehr fair, was für dieses Haus
nicht normal ist; so habe jedenfalls ich sie erlebt. Deshalb sage ich Ihnen meinen Dank.
({5})
Zwei Punkte möchte ich besonders hervorheben; zunächst zu Punkt 12, der nachträglichen Information über
die Kontenabfrage.
({6})
Ich freue mich darüber, dass es uns dadurch, dass jeder
Betroffene informiert wird, gelungen ist, für den Einzelnen etwas mehr Datenschutz zu schaffen. Erstaunt hat
mich an der Berichterstattung der letzten Tage allerdings, dass sich die Bundesregierung diesen Punkt einfach angeeignet hat.
({7})
Sie wissen: Ab dem 1. April dieses Jahres sollen
497 Millionen Kontendaten zum Abruf bereitstehen. Das
ist ein Vorgang, der aus datenschutzrechtlichen, aber auch
aus verfassungsrechtlichen Gründen absolut bedenklich
ist. Jeder Sachbearbeiter hat jetzt quasi strafprozessuale
Ermittlungsmöglichkeiten unter dem Deckmäntelchen
eines Gesetzes zur Förderung der Steuerehrlichkeit.
({8})
Den Sachverstand, den die Koalition in diesem Punkt
hat, finde ich im Übrigen beachtlich. Frau Präsidentin,
mit Ihrer Genehmigung zitiere ich aus einem Artikel, der
am 12. Februar 2005 in der „Welt“ erschienen ist: „Jeder
Steuerzahler sollte vor einer Kontenabfrage schriftlich
informiert werden.“ Das sagte die Vorsitzende des Ausschusses für Finanzen, Frau Scheel. Meine Güte, wenn
wir die Steuerzahler vorher informieren sollen, hätten
wir uns das Gesetz auch sparen können.
({9})
Liebe Kolleginnen von Rot und Grün, überlegen Sie
sich, was Sie sagen. Ich glaube, das macht keinen Sinn.
Leider konnten wir das Gesetz im Bundestag nicht
verhindern. Jetzt allerdings reklamiert die Bundesregierung die Regelung zur nachträglichen Benachrichtigung
für sich. Ich kann mich daran erinnern, dass mir die Zustimmung zu dieser Vereinbarung ziemlich schwer fiel.
Herr Poß hat an den Verhandlungen nicht teilgenommen.
Eines habe ich allerdings gelernt: Der Erfolg hat viele
Väter. Aber ein nicht zulässiger DNA-Test würde ergeben, dass der Erfolg eigentlich nur zwei Mütter hat: eine
gelbe und eine schwarze.
({10})
Ein weiterer erfreulicher Punkt ist die Absage an die
umfassende Vorratsdatenspeicherung, die in Brüssel
auf den Weg gebracht werden soll. Nur zur Verdeutlichung sage ich: Das, was in Planung ist, würde Aktenordner mit einer Länge von 4 Millionen Kilometern bedeuten. Das entspräche zehn Aktenbergen von der Erde
bis zum Mond.
Nach dem derzeitigen Stand der Technik bräuchten Sie
für eine Kontoabfrage bei diesem „Datenmüll“ sozusagen 50 bis 100 Jahre. Das ist sicherlich keine effektive
Ermittlung. Verbunden mit dieser Sammelwut ist die Belastung der Telekommunikationswirtschaft und damit
der Bürger, die diesen Unsinn auch noch bezahlen sollen. Das halten wir nicht für richtig.
({11})
Ich finde es gut, dass das gesamte Haus dagegen war,
und ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie dieses
bei den Verhandlungen in Brüssel entsprechend verhandelt.
Zum Abschluss noch kurz ein aktuelles Thema, das
nicht im Bericht enthalten sein konnte: Der deutsche
Fußball hat nicht nur einen Schiedsrichterskandal,
({12})
sondern aus unserer Sicht auch noch einen Kartenskandal. Für einen Kartenkauf müssen Sie 14 Angaben machen, unter anderem die Anrede - sehr sinnvoll, wie ich
finde! Die Verwendung dieser Daten ist völlig unklar.
Sie werden zudem über einen aus meiner Sicht unsicheren Weg, nämlich den RFID-Chip weitergegeben. Wenn
Sie gegen die Verwendung der Daten sind, müssen Sie
der Verwendung dieser auf einem drittem Weg widersprechen.
({13})
Einen Kommentar der Bundesregierung dazu habe ich
nicht gehört, Fehlanzeige. Ich habe den Eindruck, das
hat etwas mit Frau Zypries zu tun. Sie sagt ja, der Bürger
soll mit seinen Daten sparsam umgehen - dann sind die
Stadien aber wirklich leer. Wer kommt noch ins Stadion,
frage ich mich, wenn er das ernst nimmt? Mir scheint,
dieser Bundesregierung fehlt das richtige Maß: Ukrainische Kriminelle gelangen mit Kenntnis des Außenministeriums und mit Billigung des BMI in großer Zahl nach
Deutschland, ohne wirklich überprüfbare Angaben abliefern zu müssen. Aber wer 90 Minuten in ein Fußballstadion gehen will, der muss einen datenschutzmäßigen
Offenbarungseid leisten. Das, meine Damen und Herren,
geht so nicht.
Ich komme gleich zum Schluss: Ich bin gespannt darauf, wie sich das jetzt verändert. Die Änderungen sind
aufgrund der Datenschützer, nicht aufgrund der Bundesregierung zustande gekommen. Meine Damen und Herren, wenn man für eine Fußballkarte mehr Daten abgeben muss als für ein Visum, dann steht es schlecht um
den Datenschutz.
({14})
Aber immerhin haben Sie mit Ihrer Visapolitik das
Motto der Fußballweltmeisterschaft schon vorweggenommen: „Die Welt zu Gast bei Freunden.“ Ich bedanke
mich noch einmal für die gute Zusammenarbeit.
Vielen Dank.
({15})
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär
Fritz Rudolf Körper.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt
einen Unterschied zwischen der öffentlichen Debatte
und einem Berichterstattergespräch, wo es um sachliche
Fragen geht. Ich bin ganz überrascht und auch angetan
gewesen über die Diskussion und dann auch den Bericht,
den wir zu dem Tätigkeitsbericht des Datenschutzbeauftragten abgegeben haben. Wir haben ihn mit zwölf Punkten versehen und einstimmig beschlossen. Das spricht
im Übrigen für die gute, sachbezogene Debatte, an die
ich mich gerne erinnere. Bei denjenigen, die daran beteiligt sind, möchte ich mich ausdrücklich bedanken. Es
waren in diesem Falle nur Berichterstatterinnen; vielleicht hat das dazu beigetragen.
({0})
Der Bericht ist aus den Jahren 2001 und 2002, noch
erstellt von dem alten Datenschutzbeauftragten Herrn
Dr. Jacob. Ich glaube, hier sagen zu dürfen, dass Herr
Dr. Jacob mit seiner Arbeit in den zurückliegenden Jahren dem Datenschutz einen guten Stellenwert, auch in
der politischen Debatte, verschafft hat. Dafür ist ihm zu
danken.
({1})
Wie das Leben so spielt: Der eine geht, der andere
kommt. In diesem Falle ist das der neue Datenschutzbeauftragte, Herr Peter Schaar. Lieber Herr Schaar, ich
glaube, worauf es ankommt, ist, dass jeder weiß, welche
Aufgaben und welche Funktion Sie haben. Wichtig ist es
auch, dass man die Fähigkeit hat, kontrovers, aber immer auch sachbezogen zu diskutieren und solche Stellungnahmen abzugeben. Das machen Sie in einer sehr
pointierten Art und Weise,
({2})
aber ich glaube, letztendlich hilft es der Debatte und der
Sachentscheidung. In diesem Sinne möchte ich mich für
diese Arbeit bedanken.
({3})
Diese Debatte hat auch gezeigt, dass die Berichterstattergespräche und die Ergebnisse von Erfolg gekrönt gewesen sind.
Frau Piltz hat beispielsweise die Kontoabfrage angesprochen. Damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Es
geht dabei insbesondere darum, wer wann an welcher
Stelle benachrichtigt werden soll. Wir haben eine deutliche Position entwickelt und bezogen, die jetzt im Vollzug im Übrigen auch umgesetzt wird. Ich denke, das ist
letztendlich auch unsere Aufgabe, wenn man bedenkt,
welche Berücksichtigung der Datenschutz finden muss.
Diese Maßnahme war also völlig richtig.
Wir erkennen auch, dass es in unserer Gesellschaft
Veränderungen gibt. Mittlerweile sind wir in der Informationsgesellschaft angekommen. Diese lebt nun einmal
von der Verarbeitung und Verwaltung von Informationen
und Daten aller Art. Sie kann nur funktionieren, wenn
für den Umgang mit diesen Informationen klare und verlässliche Regeln, die immer auch an unserem Verfassungsauftrag orientiert sind, gefunden werden und gelten. Ich denke, das ist ganz wichtig.
({4})
Dies gilt auch für den Schutz bestimmter Informationen. Dabei geht es nicht nur um personenbezogene Daten, sondern das gilt unter anderem auch für Betriebsund Geschäftsgeheimnisse. Auch der Zugang zu Informationen und deren Weiterverwendung müssen geregelt
werden. Dies zeigt deutlich - darauf kommt es mir an -:
Datenschutz ist kein Selbstzweck an sich, als Querschnittsaufgabe ist er dafür umso wichtiger.
Viele Aufgaben, denen wir uns stellen, sind auf die
Informationsverarbeitung angewiesen. So muss der Betroffene seine Daten preisgeben, um bestimmte Leistungen zu erhalten - sei es vom Staat oder auch von Privaten. Dies wird er guten Gewissens nur tun, wenn er weiß,
dass seine Daten nur für diese beabsichtigten Zwecke
verwendet und darüber hinaus nicht weitergegeben werden. Das scheint sehr wichtig zu sein.
({5})
Ich kann ein Beispiel nennen: Mittlerweile sind alle
internetfähigen Dienstleistungen der Bundesverwaltung
auch online verfügbar.
({6})
Damit hat die Bundesregierung ihr ehrgeiziges
E-Government-Projekt bald abgeschlossen. Damit dieser Zugang, der für den Bürger oder die Bürgerin zahlreiche Erleichterungen bringen wird, auch genutzt wird,
muss der technische und rechtliche Schutz der übermittelten Daten gewährleistet sein. Das ist ganz wichtig.
({7})
Ähnliches gilt auch für die Gesundheitskarte. Auch
diese bringt sowohl dem Patienten als auch dem behandelnden Arzt unbestreitbar Vorteile. Insbesondere durch
die optionale Funktion der elektronischen Patientenakte
können die behandelnden Ärzte ihre Therapieansätze
zum Wohl des Patienten zukünftig besser aufeinander
abstimmen. Von diesen Optionen wird der Patient aber
nur dann Gebrauch machen, wenn er seine äußerst sensiblen Gesundheitsdaten gut geschützt weiß. Das ist ein
ganz wichtiger Punkt.
({8})
Liebe Frau Philipp, ich war ein wenig über Ihre Rede
überrascht. Vielleicht mussten Sie sie aber auch so halten. Ich habe mich auch bei Ihnen für die konstruktive
Mitarbeit zu bedanken.
({9})
Sie haben einige Beispiele genannt, etwa die akustische Wohnraumüberwachung. Es gibt ein Verfassungsgerichtsurteil dazu. Im Grunde genommen vollziehen wir
nichts anderes als dieses Verfassungsgerichtsurteil.
Ich komme zum Thema DNA. Dazu will ich bemerken: Unsere unter anderem aufgrund der DNA-Analyse
erfolgreiche Arbeit
({10})
konnten wir auf den derzeitig geltenden gesetzlichen
Grundlagen leisten.
({11})
Das ist zu berücksichtigen.
Darüber hinaus gibt es nichts, was man im Grunde genommen nicht noch verbessern kann. Deswegen reden
wir über folgende Punkte: Wie ist es mit der richterlichen Anordnung? Wie ist es mit den Anlasstaten?
Wie hoch oder wie niedrig muss die Schwelle sein? Wie
steht es um die Speicherung und wer trägt für was wo
Verantwortung? Sie können versichert sein, liebe Frau
Philipp: Dort, wo etwas im Sinne einer noch erfolgreicheren Anwendung dieses Instrumentes zu verbessern
ist, werden Sie uns auf Ihrer Seite haben. Wir werden
entsprechende Vorschläge unterbreiten, die diesem Ziel
tatsächlich dienen - nicht mehr und nicht weniger. Ich
glaube, da sind wir gut zugange.
({12})
- Lieber Herr Strobl, ich sage ganz offen: Ich würde mir
wünschen, dass wir mit Ihnen auch an anderer Stelle
eine sachliche Auseinandersetzung hätten. Sie äußern
sich häufig sehr plakativ.
({13})
Beispielsweise haben Sie vorhin nicht erkennen können,
worin die Probleme einer Volltextdatei im Bereich der
Sicherheitsbehörden liegen. Für diesen Bereich plädieren wir aus datenschutzrechtlichen Gründen ganz bewusst für eine Indexdatei. Ich würde mir wünschen,
dass Sie dabei mitmachen.
({14})
- Frau Philipp, wenn Sie mitmachen, dann ist es eine
gute Sache. Herr Strobl war vorhin noch nicht dabei.
Aber vielleicht stößt er relativ schnell dazu.
({15})
Ich finde es notwendig und wichtig, dass man die Fähigkeit behält, sich auch dann sachlich auseinander zu
setzen, wenn es um den Datenschutz geht, und dass man
im Zweifelsfall versucht, den Streit konstruktiv zu lösen.
Es geht nicht darum, dagegen zu sein, sondern es geht
darum, konstruktive Lösungen zu finden. Das haben wir
in diesem Bereich getan.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({16})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 15/4597 zu dem Tätigkeitsbericht 2001 und 2002 des Bundesbeauftragten für
den Datenschutz. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis
des Berichts auf Drucksache 15/888 eine Entschließung
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit einstimmig angenommen
worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst
Burgbacher, Rainer Funke, Dr. Max Stadler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Einsetzung eines Konvents zur Reform des Föderalismus
- Drucksache 15/4672 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({0})
Innenausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
FDP nach neuesten Absprachen sieben Minuten erhalten
soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Ernst Burgbacher.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Föderalismusreform wurde immer als die
„Mutter aller Reformen“ bezeichnet. Man muss heute
sagen, dass die beiden Väter, die den Vorsitz der Kommission innehatten, wohl leider keine erfolgreiche Geburt eingeleitet haben.
Die Föderalismuskommission ist am 17. Dezember
2004 gescheitert. Ich kann heute noch nicht begreifen,
wie der Deutsche Bundestag dieses Scheitern akzeptieren konnte. Deshalb will ich an dieser Stelle Folgendes
sagen: Da saßen 16 Bundestagsabgeordnete und drei
Bundesminister in diesem Hause eine Etage höher und
haben eine Stunde gewartet, in der keiner wusste, was eigentlich los ist. Dann schwebten 15 Ministerpräsidenten
und eine Ministerpräsidentin sowie die beiden Vorsitzenden herein. Die beiden Vorsitzenden setzten sich vorne
hin und erklärten: Die Föderalismuskommission ist gescheitert. Wir geben unseren Auftrag zurück.
All dies geschah, ohne den Vertretern des Deutschen
Bundestages die Möglichkeit zu geben, dazu ihre Meinung zu sagen. Die Phalanx der Abgeordneten saß da
und hat dieses Ergebnis akzeptiert. Das verstehe ich bis
heute nicht. Diese Reformdiskussion war ein Trauerspiel.
({0})
Es muss an dieser Stelle klar gesagt werden: Die Föderalismuskommission ist in Wirklichkeit nicht an der
Hochschulfrage gescheitert. Wir hatten zwei Wochen
vorher eigentlich einen Kompromiss erreicht.
({1})
Die Kommission ist vielmehr an Problemen in vielen anderen Bereichen gescheitert. Letztlich war der Grund,
dass bei dem angestrebten Kompromiss Stoiber keine
Mehrheit bei den Ministerpräsidenten fand und vor allem dass Müntefering von der eigenen Bundesregierung
zurückgepfiffen wurde.
({2})
Es waren Lösungen angedacht, auch von den Obleuten. Es war von Anfang an völlig klar, dass die Länder
nicht auf die Bildungshoheit verzichten werden. Man
hätte die Arbeit ein halbes Jahr vorher beenden können,
wenn man gewusst hätte, dass Müntefering vor Schröder
und Frau Bulmahn kuschen würde. Dann wäre es ein
halbes Jahr vorher klar gewesen, dass das nichts werden
kann.
({3})
Aber auch das Ergebnis, das vor dem Scheitern auf
dem Tisch lag - die berühmten Sprechzettel -, blieb weit
hinter dem zurück, was alle in diesem Land erwartet haben und was das Land von der Föderalismuskommission
erwarten musste. Ich will nur wenige Beispiele nennen.
Es wurde immer gesagt, dass der Anteil der zustimmungspflichtigen Gesetze von 60 auf 35 bis 40 Prozent
zurückgehe. Wahrlich kein ehrgeiziges Ziel. Die Wirklichkeit sieht aber noch ganz anders aus. Der Anteil der
zustimmungspflichtigen Gesetze betrug bisher nicht
60 Prozent, sondern nur 53 Prozent. Der Rückgang auf
40 Prozent war überhaupt nicht garantiert. Es gab Experten, die uns prophezeit haben, dass sich die Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze mit diesen Regelungen
sogar noch erhöht. Was soll also eigentlich eine solche
Reform?
Die Gemeinschaftsaufgaben sollten abgeschafft
werden. In den Sprechzetteln hieß es, dass sie im Wesentlichen bleiben. Die Rahmengesetzgebung sollte abgeschafft werden. Im letzten Sprechzettel hieß es, dass
sie im Wesentlichen erhalten bleibt.
Das war doch der tatsächliche Stand. Dazu kommt,
dass wir ganz wesentliche Themen von vornherein ausgeklammert haben. Der Länderfinanzausgleich und die
Länderneugliederung durften nicht einmal behandelt
werden. Ich will schon darauf hinweisen, dass selbst unser Vorschlag, wenigstens Art. 29 Grundgesetz so zu
ändern, dass eine Neugliederung, wenn sie denn von unten gewollt wäre, möglich würde, von den Vorsitzenden
mit dem Hinweis abgelehnt wurde, das stehe nicht auf
der Tagesordnung. Mit einem solchen Kleinmut kann
man eine Reform nicht machen.
({4})
Ich möchte an dieser Stelle auch auf den Sachverständigenrat hinweisen. Der Sachverständigenrat hat in
seinem Gutachten ein ausführliches Kapitel zur Reform
des Föderalismus aufgenommen. Da wird eine durchgreifende Reform der Finanzverfassung angemahnt; es
werden auf der Ausgabenseite deutliche Reformen angemahnt. Außerdem wird, was die Einnahmenseite betrifft,
die Steuerautonomie der Länder angemahnt. Es heißt,
dass auf längere Sicht eine grundlegende Neuordnung
des Finanzausgleichs anzustreben ist. All das wurde für
tabu erklärt. All das war überhaupt nicht auf der Agenda.
Deshalb wäre, auch nach den Sprechzetteln zu urteilen,
die Reform nicht wirklich ein Jahrhundertwerk geworden. Die Reform wäre nicht als Mutter aller Reformen,
sondern höchstens als ganz kleines Mütterlein verabschiedet worden.
({5})
Warum gibt es unsere Forderung nach einem Konvent? Es hat sich insbesondere in den Projektgruppen gezeigt, dass die Kommission völlig falsch angelegt war.
Bei jeder noch so kleinen Frage war die Mehrheitsschere
in den Köpfen; bei jeder noch so kleinen Frage wurde
gesagt, der Punkt sei später nicht mehrheitsfähig und
müsse gestrichen werden. Das zeigt, dass die Reform so
nicht weiterkommen wird. Auch wenn versucht werden
sollte, die Kommission noch einmal zu beleben, wird der
Versuch scheitern.
Wir haben aber mit Konventen sehr gute Erfahrungen
gemacht. Ich erinnere an den Konvent für die Europäische Grundrechte-Charta unter Vorsitz von Roman
Herzog und ich erinnere an den europäischen Verfassungskonvent. Glaubt denn jemand, es gäbe heute einen
europäischen Verfassungsentwurf, wenn wir die EUKommission beauftragt hätten, einen solchen Entwurf zu
erarbeiten? In dem Fall hätten wir gar nichts erreicht.
Deshalb sollten wir uns auf die positiven Erfahrungen
mit den Konventen stützen.
Ich bin fest davon überzeugt: Wenn ein relativ kleiner
Konvent einberufen würde, dem aktive Politiker und
Wissenschaftler sowie Menschen angehörten, die wie
Roman Herzog, Graf Lambsdorff, Herr von Dohnanyi
und Herr Henkel über politische Erfahrungen verfügen,
aber außerhalb des Tagesgeschäfts stehen,
({6})
dann wäre es ohne Probleme möglich, bis zum Sommer,
spätestens aber bis zum Oktober einen Entwurf auf der
Grundlage unserer Arbeit vorzulegen. Ich glaube nicht,
dass dann der Deutsche Bundestag oder auch die Länder
ein Dreivierteljahr vor der Bundestagswahl den Mut aufbringen würden, einen solchen Entwurf abzulehnen.
Die Föderalismusreform ist notwendig. Sie darf nicht
bis nach 2006 verschoben werden. Dann würde sie nämlich bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Lassen Sie uns deshalb jetzt den Mut aufbringen, einen solchen Konvent einzusetzen! Wir brauchen die Reform.
Wir brauchen aber keine Sprechzettelreform à la Stoiber
und Müntefering; notwendig ist vielmehr ein großer
Wurf.
Einen solchen Wurf kann ein Konvent leisten. Deshalb bitte ich Sie: Unterstützen Sie unseren Antrag und
lassen Sie uns einen neuen Schritt gehen!
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hermann
Bachmaier.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Verehrte Kollegen von der FDP - es sind nur
noch zwei anwesend; daran merkt man, wie ernsthaft Sie
dieses Anliegen verfolgen -,
({0})
fällt Ihnen denn wirklich nicht mehr ein als dieses locker
vom Hocker formulierte Machwerk, um es in Anbetracht
der Abendstunde freundlich auszudrücken? Man sollte
den Antrag einmal lesen.
({1})
Was Sie hier produziert haben, liegt meines Erachtens
unterhalb des Niveaus eines Parlaments. Das gilt schon
allein für die Art und Weise, wie Sie den Antrag formuliert haben.
({2})
- Doch! Sie sollten den Antrag noch einmal lesen.
Selbstverständlich steht die Modernisierung der
bundesstaatlichen Ordnung nach wie vor auf der
politischen Tagesordnung. Wir werden alles daran setzen
- das sollten auch Sie tun -, um auf der Basis der bereits
auf zahlreichen Gebieten gefundenen Kompromisse die
bestehende Kompetenzverflechtung zwischen Bund und
Ländern zu entflechten. Von der Sache her sind wir uns
alle einig über das, was wir erreichen müssen.
Derzeit ist es für die Bürgerinnen und Bürger kaum
noch erkennbar, geschweige denn nachvollziehbar, wer
für welche Regelungen verantwortlich ist. Deshalb sind
klarere Zuständigkeiten und mehr Transparenz bei der
Gesetzgebung notwendig. Das war die Grundlage der
Föderalismuskommission, deren Einrichtung wir vor
mehr als einem Jahr beschlossen haben.
Darin, dass Deutschland eine Reform des Föderalismus braucht, sind wir uns alle einig. Darüber müssen wir
von Ihnen nicht belehrt werden. Es werden auch nach
wie vor allenthalben Versuche unternommen, doch noch
einen Kompromiss zu finden. Es wäre hilfreich und gut,
wenn Sie sich an dieser Suche beteiligen würden. Das
bezieht sich auch auf die Ihnen politisch verbundenen
Länderchefs; denn bei denen hapert es zurzeit noch.
({3})
Es ist meines Erachtens verfehlt, die Verantwortung dort
hinzuschieben, wo sie nicht hingehört.
Was wir am wenigsten brauchen, Herr Kollege
Burgbacher, ist ein neues Gremium, das mit der Arbeit,
die wir in der Föderalismuskommission bereits geleistet
haben - Sie waren daran beteiligt -, wieder von vorne
beginnt. Sie wollen wieder von vorne beginnen, statt das
zu Ende zu führen, was wir bereits angefangen haben.
Ihren eigenen Antrag nehmen Sie offensichtlich selbst
nicht so ernst. Das sieht man schon an der flüchtigen
Formulierung und der fast inhaltslosen Begründung. Für
ein so bedeutendes Anliegen ist das eine im wahrsten
Sinne des Wortes läppische Begründung.
Ich hätte in Ihrem Antrag etwas mehr Einfallsreichtum und eine etwas tiefer gehende Behandlung des Themas erwartet, um wenigstens einige Konturen für dieses
von Ihnen vorgeschlagene nebulöse Gremium zu schaffen. Als Vorbild für Ihre Idee dient Ihnen der europäische Konvent. Als Vorteil einer solchen dem europäischen Konvent entsprechenden Versammlung führen
Sie an, dass nicht alle Beteiligten unmittelbar in eigener
Sache betroffen seien.
Schauen Sie sich doch einmal die Zusammensetzung
des europäischen Konvents an! Dann werden Sie feststellen, dass dort Frauen und Männer saßen, die von
ganz bestimmten Institutionen entsandt worden waren
und ihre Aufgaben in deren Sinne erledigt haben. Dort
saßen Vertreterinnen und Vertreter der Regierungen der
Mitgliedstaaten und der beitrittswilligen Länder, der nationalen Parlamente - mit Erwin Teufel übrigens auch
ein alter Bekannter aus der Föderalismuskommission und des Europäischen Parlaments sowie der EU-Kommission. Dieses Gremium war klar konturiert. Aber von
solchen Konturen ist bei Ihnen weiß Gott nichts zu erkennen. Insgesamt waren es 105 Frauen und Männer, die
in starker Rückkoppelung an die Institutionen, die sie
gesandt hatten - das galt zum Beispiel auch für die Vertreter des Deutschen Bundestages -, einen Kompromiss
gesucht haben.
Wir Parlamentarier stehen nun in der Pflicht, eine Lösung zu finden.
({4})
Diese können und wollen wir nicht an ein außerparlamentarisches Gremium delegieren. Wer das tut, der
will nichts anderes, als sich zumindest ein Stück weit aus
der Verantwortung zu schleichen. Oder wollen Sie etwa
mit Ihrem Antrag nur ein bisschen Show erzeugen, um
die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken? Das wäre ein
untauglicher Versuch, wie Sie an der großen Beteiligung
bei der heutigen Debatte erkennen können.
Verehrter Herr Burgbacher, das Wegdrücken der Verantwortung an einen Konvent spricht nicht für ein ausgeprägtes parlamentarisches Selbstbewusstsein. Schon
deshalb sehen wir keinerlei Grund, dem Antrag der FDP
zuzustimmen.
Die Föderalismuskommission ist entgegen Ihren Behauptungen mit ihrer Arbeit gut vorangekommen. Auf
dieser Grundlage sollten wir aufbauen. Es erstaunt, dass
Sie der Föderalismuskommission, der Sie angehört und
in der Sie mitgewirkt haben, unterschwellig sogar vorwerfen, ihr habe es wohl an ausreichendem Sachverstand gemangelt.
({5})
- Doch, das klingt durch. - Sie wollen daher den Konvent, wie Sie sagen, mit „ausgewählten Wissenschaftlern“ besetzen. Auch in diesem Punkt kann ich keinen
großen Unterschied zur Föderalismuskommission erkennen. Sie werden sich vielleicht daran erinnern - oder haben Sie das übersehen? -, dass sich zwölf ausgewiesene
Wissenschaftler und Sachverständige aktiv und sehr
kompetent an den Beratungen der Föderalismuskommission beteiligt haben und mit dafür gesorgt haben, dass
wir vorangekommen sind. Ich frage mich, woran es
liegt, dass Ihnen das offenbar entgangen ist. Schließlich
war sogar Ihr ehemaliger Bundesjustizminister Professor
Dr. Schmidt-Jortzig, Ordinarius für öffentliches Recht,
dabei.
({6})
- Man kann nicht in allem Recht bekommen. Oder sind
Sie anderer Meinung? Ich glaube, dass Sie sich bisweilen etwas übernehmen.
Darüber hinaus haben von Anfang an kommunale
Spitzenvertreter und hochrangige Vertreter der Landesparlamente die Arbeit der Föderalismuskommission begleitet und unterstützt. Wenn Sie diese Arbeit nun mit
Ihrem Antrag infrage stellen, weil die Kommission leider ohne endgültiges Ergebnis geendet hat, dann ist das
auch ein Schlag in das Gesicht derjenigen, die sich über
ein Jahr intensiv um einen Kompromiss bemüht haben,
und zwar über alle Parteigrenzen hinweg, und die sich
mit sehr viel Engagement und Fachwissen eingebracht
haben. Herr Burgbacher, waren Sie damals auf einer anderen Veranstaltung als ich? Manchmal kommt es mir
fast so vor, wenn ich Sie über das, was wir in der Föderalismuskommission geleistet haben, reden höre und Ihre
wegwerfende, fast schnoddrige Gestik sehe.
Sie wollen offenbar eine Elderstatesman-Veranstaltung. Sie schmücken Ihren Antrag mit klangvollen Namen, alles honorige Herren - das ist keine Frage -, wenn
auch leider nur Herren. Wir haben jedenfalls keine Lust,
zuzuschauen, wie andere unsere Arbeit machen, und
letztendlich die Ergebnisse nur noch abzunicken. An
dieser Herabwürdigung der Parlamentsarbeit beteilige
ich mich nicht; denn wir haben in der Föderalismuskommission gute Arbeit geleistet.
({7})
Die Namen, die Sie aufführen, haben Sie ja wohl dem
bereits existierenden Zusammenschluss „Konvent für
Deutschland“ entnommen, dessen Vorsitzender der von
uns allen hoch geschätzte Professor Roman Herzog ist.
Ihr Ziel scheint wohl zu sein, diesen Zusammenschluss
sozusagen zu veredeln und ihm einen staatlichen Auftrag
zu verschaffen.
Dieser Kreis von verdienten Persönlichkeiten hat sich
bereits mehrfach begleitend zu den Arbeiten der Kommission zu Wort gemeldet. Dagegen ist natürlich überhaupt nichts einzuwenden. Im Gegenteil: Wir freuen
uns. Ich habe nichts dagegen, wenn gute Ideen - von
wem auch immer - vorgebracht werden. Jeder ist herzlich eingeladen, Anregungen zu liefern, die die Föderalismusdiskussion doch noch zu einem Schlusserfolg führen. Das kann aber nur eine Ergänzung unserer Arbeit
sein und kein Ersatz.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, dieser Antrag ist es eigentlich kaum wert, dass wir uns länger damit aufhalten. Wir haben im Zusammenhang mit
der Föderalismusreform Wichtigeres zu tun. Das sollten
wir anpacken und daran sollten auch Sie mitwirken.
Vor allem brauchen wir im Bildungsbereich - das ist
der Schlüsselpunkt - und im Hochschulbereich Verständigungsbereitschaft und eine Einigung. Machen Sie Ihre
Hausaufgaben und klären Sie einmal in Ihren eigenen
Reihen, ob Sie sich zum Beispiel der Forderung Ihrer
neuen Bildungsexpertin Cornelia Pieper nach bundeseinheitlichen Bildungsstandards anschließen wollen!
Sie haben Herrn Schröder aber einen Vorwurf gemacht,
obwohl er kompromissbereit war. Deshalb ist es ein
Witz, dass Sie solche Behauptungen aufstellen. Ihnen
entgeht offensichtlich einiges von dem, was sich in Ihren
Reihen abspielt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, fangen Sie bitte Ihre Ministerpräsidenten ein, damit wir
auch im Bildungsbereich eine Einigung erzielen und die
Kommissionsarbeit letztlich zu einem guten Abschluss
bringen können.
In 80 Prozent der Fälle haben wir gute Lösungen erarbeitet. Jetzt fehlt nur noch ein Kompromiss in diesem
zentralen Bereich. Den sollten wir bald finden, damit die
gefundenen Ergebnisse nicht in unserer Hand zerbröseln,
sondern in einen Gesamtkompromiss eingebunden werden. Wir sollten keine Schaukämpfe führen, sondern an
die Arbeit gehen.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Thomas Strobl.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht liegt es an der Fastenzeit: Ich weiß gar
nicht, welche Laus dem Kollegen Bachmaier über die
Leber gelaufen ist, dass er so ärgerlich mit diesem Antrag der FDP umgeht.
Dass wir heute diesen Antrag in erster Lesung beraten
und debattieren, ist aus zweierlei Gründen aller Ehren
wert. Erstens ist und bleibt die Reform unserer föderalen
Ordnung eines der wichtigsten Reformprojekte in der
Thomas Strobl ({0})
Bundesrepublik Deutschland. Zweitens hat es schon
seine Ordnung, dass wir den Antrag heute diskutieren,
Herr Kollege Bachmaier, denn Sie sagten ja nicht ganz
zu Unrecht, dass wir in der Föderalismuskommission in
vielen Punkten Übereinstimmung erzielt haben und dass
ausformulierte Verfassungsartikel vorliegen. Allerdings
haben es bis zum heutigen Tag und bis zur jetzigen
Stunde weder die Bundesregierung noch die rot-grüne
Koalition geschafft, auch nur einen einzigen Gesetzentwurf vorzulegen, der hier im Deutschen Bundestag verabschiedet werden könnte.
({1})
Das ist bitter, aber vielleicht sind Sie auch deshalb so ärgerlich.
Das Thema bleibt wichtig. Altbundespräsident
Roman Herzog hat die Föderalismusreform zu Recht als
eine „Lebensfrage der Republik“ bezeichnet. CDU und
CSU haben immer gesagt, dass eine Entflechtung der
vielen Zuständigkeiten von Bund und Ländern viele
Entscheidungsfindungsprozesse in Deutschland wieder einfacher, klarer und transparenter machen würde
und dass sie deshalb dringend geboten sei. Es geht auch
um die Entbürokratisierung unserer Staatsorgane. Wir
waren und sind der Auffassung, dass auch eine grundlegende Reform der Finanzverfassung ein elementarer
Bestandteil einer Neuordnung der bundesstaatlichen
Ordnung sein muss.
Wie Sie alle wissen, wurde im Oktober 2003 eine
Kommission von Bundestag und Bundesrat gegründet,
um genau eine solche Reform vorzubereiten und konkrete Vorschläge zu machen. Über das Jahr 2004 hinweg
hat diese Kommission in vielen Bereichen beachtliche
Ergebnisse erzielt. In einer ganzen Reihe von Fragen
waren sich die Vertreter von Bund, Ländern und Kommunen einig geworden und es lagen fertig formulierte
Verfassungsartikel auf dem Tisch. Das darf hier schon
noch einmal festgehalten werden.
Kurz vor dem greifbar nahe scheinenden Erfolg ist
die Kommission zur Reform der bundesstaatlichen Ordnung jedoch gescheitert. Wie konnte das geschehen? Das
geschah in erster Linie - der Kollege Burgbacher hatte
es angesprochen -, weil die rot-grüne Bundesregierung,
allen voran Bundeskanzler Gerhard Schröder, im letzten
Moment die Entscheidung getroffen hat, kein Ergebnis
sei für die Bundesregierung das bessere Ergebnis.
({2})
Plötzlich reklamierten der Bundeskanzler und auf
seine Weisung hin die bislang ganz stillen Vertreter der
Bundesregierung in der Kommission mehr Kompetenzen für die Bildungspolitik. Sie taten dies, obwohl, ja,
vielleicht gerade weil sie wussten, dass dies ein Politikfeld ist, auf dem die Länder - auch die SPD-regierten
Länder, Herr Kollege Bachmaier - niemals auf Kompetenzen verzichten werden. Die jüngste Verfassungsrechtsprechung zur Juniorprofessur und zur Einführung
von Studiengebühren gibt den Ländern hier voll und
ganz Recht: Beide Entscheidungen können doch nur als
schallende Ohrfeigen für die rot-grüne Bundesregierung
bezeichnet werden.
Vor diesem Hintergrund ist auch der jüngst noch einmal gemachte Vorschlag von Bundesinnenminister
Schily, der Bund solle sich um Elitehochschulen kümmern, die Länder um den Rest, hinfällig.
({3})
Die Karlsruher Richter haben dem Bund vor allem im
Studiengebührenurteil in scharfer Deutlichkeit bildungspolitische Grenzen gesetzt; Hochschulpolitik sei Ländersache, der Bund habe sich hier zurückzuhalten.
Der „Tagesspiegel“ vom 31. Januar 2005 kommentiert dies übrigens wie folgt:
Der Tenor des Urteils passt nicht zu Schilys märchenhaftem Motto, dass die Guten ins Bundestöpfchen kommen, die weniger Guten ins Landeskröpfchen.
Hier setzt sich doch nur fort, was sich schon in der Bundesstaatskommission gezeigt hat: Nachdem die Bundesregierung über Monate hinweg lustlos, sprachlos und
ideenlos die Arbeit der Föderalismuskommission begleitet hat, ist sie dann zum Schluss hin auf einmal sehr aktiv
geworden. Aber sie ist nicht konstruktiv, sondern ausschließlich destruktiv in die Arbeit der Föderalismuskommission eingestiegen. Erst waren Frau Zypries und
Frau Künast über Wochen hinweg stumm, dann haben
sie sich in Schröders Auftrag eingemischt; aber sie haben nur Sand ins Getriebe gestreut.
So scheint mir auch der Vorschlag des Bundesinnenministers Schily nicht dazu angetan, die Föderalismusreform doch noch in Gang zu bringen. Im Gegenteil: Er ist
vor allem ein weiterer Versuch der Bundesregierung,
eine fixe Idee am Leben zu erhalten, nämlich dass nur
sie es ist, die Deutschlands Bildungswesen retten kann.
Ich zitiere nochmals aus dem „Tagesspiegel“:
Daher muss, soll das wohl heißen, Rot-Grün wie
einst Bismarck die deutsche Kleinstaaterei auf Einheit trimmen. Das ist aber Politik für Lieschen und
Fritz. Es ist symbolische Politik mit großen Gesten
und großen Summen.
Statt großer Sprüche und teurer Bundesprogramme sollte
der Bund lieber die Länder über die Steuerverteilung mit
mehr Mitteln ausstatten; dann könnten diese auch mehr
und bessere Kinderbetreuung anbieten.
Ich bin mir aus der Erfahrung in der Kommission übrigens sicher, dass Franz Müntefering, der SPD- und
Kommissionsvorsitzende - er hat im Übrigen viele
Kompromisslösungen mitgetragen und mitformuliert auch hier zu einem Kompromiss bereit gewesen wäre,
um die Verhandlungen zu einem guten Ende zu bringen.
({4})
Müntefering durfte allerdings nicht mehr; Müntefering
bekam vom Bundeskanzler regelrecht die Prokura entzogen, die Verhandlungen zu einem Erfolg zu führen.
({5})
Thomas Strobl ({6})
Nach den Hartz-IV-Reformen ist die Situation jetzt
so, verehrte Frau Kollegin Kumpf, dass der Bundeskanzler erneut eine Politik der ruhigen Hand ausgerufen
hat. Den Wählern wird zugerufen: Keine Sorge, vor den
Wahlen wird es keine großen Veränderungen mehr geben; wir sorgen dafür, dass ihr nun in Ruhe gelassen
werdet mit Reformen, Einsparungen und Einbußen.
Dabei weiß auch die Bundesregierung - ich hoffe,
auch die Kollegen der SPD wissen es -, dass Deutschland mehr denn je einen klaren Reformkurs braucht.
Mehr Wachstum und Beschäftigung, Rente, Pflege, Gesundheit und eben auch die Reform des Föderalismus:
Dazu bedarf es keiner Projekte, die auf die lange Bank
geschoben werden können.
Trotzig sagt Franz Müntefering: „Der Geist ist aus der
Flasche - das hält keiner mehr auf.“ Ganz richtig ist das
allerdings nicht, Herr Müntefering: „Das hält keiner auf“
trifft wohl nicht auf die Bundesregierung zu. Im Gegenteil: Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen SPD und Grüne halten sehr wohl auf. Ich frage noch
einmal: Ist seit dem Scheitern der Kommission eine einzige konstruktive Initiative der Bundesregierung bekannt
geworden, die darauf abzielt, vielleicht doch noch zu einer Einigung zu kommen?
Es muss im Übrigen nicht gleich das ganze Paket
sein. Es gab noch eine ganze Reihe von Feldern, wo sich
Bund, Länder und Kommunen in der Bundesstaatskommission einig waren. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück sprach sogar von
95 Prozent Einigkeit in der Kommission. Franz
Müntefering - wenn ich ihn aus der „Welt“ zitieren darf
- sagte: Von 18 Projektteilen der Reform sind elf komplett, dazu sind drei bis fünf erreichbar. Ich frage mich,
meine Damen und Herren, warum Sie nicht wenigstens
ein Projekt von diesen elf Projekten zur Abstimmung
hier im Deutschen Bundestag eingebracht haben.
Vieles könnte also gemacht werden, wenn man
wollte. Nur, die Bundesregierung und Rot-Grün wollen
nicht. Daran, verehrter Herr Kollege Burgbacher, wird
leider auch der von der FDP sicherlich in guter Absicht
gestellte Antrag nichts ändern. Rot-Grün will sich bis
2006 durchwursteln. Es fehlt jede Kraft für substanzielle
Veränderungen in diesem Land.
Das wird sich erst nach dem Herbst 2006 ändern,
wenn diese Bundesregierung abgelöst sein wird. Dann
besteht eine realistische echte Chance für die CDU, die
CSU und die FDP, in Deutschland die notwendigen Reformen durchzuführen und unser Land für die Zukunft
fit zu machen. Dazu gehört auch die große Reform des
Föderalismus in Deutschland, die wir dann gemeinsam
durchführen.
({7})
Besten Dank fürs Zuhören.
({8})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rainder Steenblock.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Burgbacher, ich habe Sie in der gemeinsamen Arbeit in der Kommission als einen sehr kooperativen Kollegen schätzen gelernt. Mit einer nur kleinen
Fraktion im Rücken haben Sie, wie auch wir, unendlich
viel Arbeit hineingesteckt. Ich stimme Ihnen darin zu:
Das Ende dieser Kommission, dieser letzte Tag, war
schon eine etwas unwürdige Veranstaltung.
Demjenigen, der glaubt, mit dem Antrag, der heute
vorliegt, tatsächlich einen Sprung nach vorn schaffen zu
können, muss man ganz vorsichtig sagen: Die Herausforderungen, vor denen wir stehen - das hat der Beitrag
des Kollegen Strobl sehr deutlich gemacht -, können
durch eine Debatte, wie Sie durch Ihren Antrag initiiert
worden ist, auch nicht im Ansatz bewältigt werden.
Durch Ihren in der Sache vielleicht gut gemeinten, aber
völlig daneben gehenden Antrag werden Redebeiträge
provoziert, mit denen wir genau an den Punkt kommen,
an dem die unwürdige Beendigung der Föderalismuskommission noch übertroffen wird. Das kann es nicht
sein.
({0})
Es ist doch überhaupt gar keine Frage, dass die Länder das Thema Bildung in Geiselhaft genommen haben,
um die Föderalismuskommission zum Schluss scheitern
zu lassen, dass sie - darüber sind wir uns doch völlig einig - insbesondere beim Thema Europa, Art. 23 Grundgesetz, ein dem Problem völlig unangemessenes Eigeninteresse organisiert haben,
({1})
das die Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in
Europa völlig unmöglich macht.
Die Herausforderungen, vor denen wir bei der Reform des Föderalismus stehen, sind - darüber sind wir
uns alle völlig einig - riesig. Wir sind in der Kommission in vielen Teilbereichen ganz große Schritte vorangekommen. Aber dann kam die Blockadepolitik. Es war
nicht Herr Stoiber, der das letztlich zum Scheitern gebracht hat. Herr Stoiber ist von seinen Länderkollegen
erpresst worden, sodass er den Möglichkeiten, die sich
geboten haben, nicht zustimmen konnte.
({2})
Das wissen wir alle. Das ist auch so dokumentiert. Wir
brauchen uns hier gar nicht mehr lange darüber zu unterhalten, dass wir dieses Problem so überhaupt nicht in
den Griff bekommen können.
Alle wissen: Die Frage der Föderalismusreform wird
realistischerweise nur über das Thema Europa gelöst
werden. Wenn wir das Thema „Vertretung der deutschen
Interessen in Europa“ in den Griff bekommen, dann wird
eine Föderalismusreform nicht scheitern. Aber wenn Sie
dieses Thema jetzt so erweitern und sagen: „Wir müssen
in die Reform der bundesstaatlichen Ordnung auch die
Länderneugliederung und den gesamten Finanzausgleich
hineinnehmen“, dann - das wissen Sie - können wir das
nicht wuppen. Das ist gut gemeint, aber jeder, der von
Politik ein bisschen Ahnung hat und bei diesem Thema
offen ist, weiß, dass wir die Reform des Föderalismus so
nicht realisieren können. Wir brauchen Zweidrittelmehrheiten in diesem Haus. Wir brauchen Zweidrittelmehrheiten im Bundesrat. Wenn dieses Thema zum Gegenstand einer Wahlkampfauseinandersetzung gemacht
wird, so wie Herr Strobl es gerade vorgeführt hat, mit
übelsten Beschimpfungen in die eine oder andere Richtung,
({3})
dann werden wir unserer Verantwortung diesem Thema
gegenüber - das bedeutet, für die notwendige Reform
Zweidrittelmehrheiten organisieren zu müssen - nicht
gerecht. Man muss sehr deutlich sagen: So wird das
nichts werden.
Eine solche Debatte, die hier jetzt gleichsam wie das
Vorabendprogramm der dritten Programme abläuft - dafür tragen Sie, Herr Burgbacher, leider die Verantwortung -, ist diesem Thema und dieser Aufgabe nicht angemessen.
({4})
Deshalb werden wir - das tut mir sehr Leid - Ihrem Antrag hier und heute nicht zustimmen können. Wir werden
auf dieser Ebene auch nicht zu einer Verständigung darüber kommen, wie es weitergehen soll.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Burgbacher?
Ja, gerne.
Herr Steenblock, sind Sie mit mir der Meinung, dass
es des Deutschen Bundestages nicht würdig ist, dass in
ihm seit Dezember dieses Thema überhaupt nicht behandelt wurde? Stimmen Sie mir zu, dass es für eine kleine
Fraktion keine andere Möglichkeit zum Aufsetzen dieses
Punktes gab? Sie wissen, dass wir dieses Thema für den
ersten Tagesordnungspunkt, der uns heute zugestanden
wurde, vorgesehen haben. Früher wäre es nur gegangen,
wenn die anderen Fraktionen mitgemacht hätten. Es
kann aber doch nicht sein, dass der Deutsche Bundestag
das Scheitern der Föderalismuskommission bisher noch
nie thematisiert hat.
({0})
Lieber Kollege Burgbacher, Sie wissen genauso gut
wie ich, dass wir in vielen Punkten Übereinstimmung erzielt hatten, aber die Länder gesagt haben, dass es, wenn
wir nicht zu einer Einigung in der Bildungsfrage kommen, keine Einigung in irgendeinem anderen Punkt geben wird. Warum sollen wir uns, nachdem auch Herr
Kollege Strobl gerade erklärt hat, Herr Burgbacher, dass
es in all den zentralen Fragen keine Einigung geben
kann,
({0})
die Mühe machen, uns mit Gesetzentwürfen, bei denen
von vornherein klar ist, dass sie nicht durch den Bundesrat kommen, zu beschäftigen?
({1})
Die Blockadehaltung ist deutlich geworden. Die Verantwortung dafür tragen die Ministerpräsidenten der Länder.
({2})
Der Punkt, den ich an dem Verweis auf den Europäischen Konvent, lieber Kollege Burgbacher, positiv finde,
ist die Frage der Beteiligung der Parlamente. Ich bin
mir sehr sicher, dass die Möglichkeiten, bei dieser Föderalismuskommission zu einem Ergebnis zu kommen,
deutlich besser gewesen wären, wenn sie nicht mit Ministerpräsidenten, sondern mit Volksvertretern aus den
Ländern bestückt worden wäre. Das haben wir beim Europäischen Konvent gesehen. In diese Richtung zu denken, halten wir als Grüne für notwendig. Wir glauben,
die Parlamentarier in den Landesparlamenten und im
Bundesparlament stehen in der Pflicht. Deswegen müssen wir uns auch in Zukunft weiter damit beschäftigen.
Wenn wir das Thema aber in solch einer Weise, wie von
Ihnen vorgesehen, implementieren, laufen wir sofort
wieder gegen die Wand.
({3})
Dann werden sich die Fronten nur weiter verhärten.
Diese Frontstellungen haben ja überhaupt erst zu dieser
für Deutschland schlechten Situation geführt.
Ich rufe Sie daher dazu auf, über das Thema Föderalismusreform in Deutschland verantwortungsbewusster
zu diskutieren. Alle Politiker sind gefordert, mit dem
notwendigen Ernst dieses Thema zu diskutieren. Wenn
wir es populistisch polarisieren und als Wahlkampfthema benutzen, dann werden wir alle verlieren.
Vielen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/4672 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federfüh-
rung beim Rechtsausschuss liegen soll. Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b so-
wie Zusatzpunkt 7 auf:
11 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
({0}) zu der Unterrichtung durch die
Bundesregierung
Bericht über die Bestandsaufnahme durch die
Deutsche Energie-Agentur ({1}) über den
Handlungsbedarf bei der Förderung des Ex-
portes erneuerbarer Energie-Technologien
- Drucksachen 15/1862, 15/4868 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Joachim Pfeiffer
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Joachim Pfeiffer, Dagmar Wöhrl, Karl-Josef
Laumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Exportinitiative Erneuerbare Energien vorantreiben
- Drucksache 15/4715 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({2})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Angelika Brunkhorst, Birgit Homburger, Michael
Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Exportinitiative für Erneuerbare Energien
verantwortlich und sachgerecht gestalten
- Drucksache 15/4845 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich keinen. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Parlamentarische Staatssekretär Ditmar Staffelt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Deutschland ist ein, wenn nicht das führende
Land bei Technologien im Bereich erneuerbarer Energien. Ich denke, dass es sehr vernünftig ist, dass wir uns
gemeinsam darauf verständigt haben, bezüglich des Exports dieser Produkte, die insbesondere in vielen mittelständischen Unternehmen unseres Landes hergestellt
werden und in denen in hohem Maße Entwicklungs- und
Forschungsarbeit enthalten ist, initiativ zu werden und
sie an verschiedenen Stellen dieser Welt anzubieten.
Windenergie, Photovoltaik, Biomasse, Geothermie, das
sind die Stichworte. Ich glaube, dass der Versuch, die
Exportmöglichkeiten solcher Produkte weiter zu verbessern und zu optimieren, richtig war und in der Zwischenzeit auch gelungen ist.
Es ist richtig: Der dena-Bericht entwirft über das
Jahr 2003 ein durchaus durchwachsenes, kritisches Bild.
Aber aller Anfang ist schwer. Wir haben daraus gelernt
und für 2004 die entsprechenden Konsequenzen gezogen. Die zur Verfügung gestellten 15 Millionen Euro
konnten fast vollständig abfließen, ein gutes Zeichen dafür, dass in unserer Industrie und hier vor allem im industriellen Mittelstand eine hohe Nachfrage existiert.
Die Aktivitäten des Jahres 2004 haben überall in der
deutschen Wirtschaft hohe Anerkennung gefunden und
sind gelobt worden. Es handelt sich um eine Exportinitiative ohne direkte Subvention. Hier greifen die Instrumente der Außenwirtschaftsförderung, auch für erneuerbare Energien. Ohne diese Hilfestellung - das
sagen durchweg alle Unternehmer - hätten viele, vor allem die Mittelständischen, den Markteintritt nicht oder
nicht so schnell schaffen können.
({0})
Ich darf hier einmal zitieren:
Dank Ihres Programms und der hervorragenden Arbeit der Deutsch-Italienischen Außenhandelskammer gelang es uns schließlich, mit minimalem finanziellen Aufwand und auf der Basis höchst
professioneller Recherche- und Vorbereitungsarbeit, den italienischen Markt für unsere Technologie zu erschließen.
Dies ist eine Kommentierung eines der vielen Unternehmer, die an dieser Exportinitiative beteiligt waren.
Meine Damen und Herren, wir haben in 2004 sehr
viel getan. Ich will einmal auf diese Leistungsbilanz
verweisen. Insgesamt haben wir als Bundeswirtschaftsund -arbeitsministerium an 22 In- und Auslandsmessen
teilgenommen und viele Unternehmer zu sehr günstigen
Konditionen mit auf die Reise genommen. Im
Jahre 2004 hat die bfai sieben Kontaktveranstaltungen
im In- und Ausland mit dem Schwerpunkt erneuerbare
Energien durchgeführt. Für 2005 sind weitere acht VerParl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt
anstaltungen dieser Art - Kontakte herstellen lautet das
Stichwort - vorgesehen.
Unter dem Namen „AHK-Programm für den Markteinstieg“ haben wir 27 Geschäftsreisen in 25 verschiedene Zielmärkte für erneuerbare Energien veranlasst. Ich
denke, dass die Tatsache, dass 117 deutsche Unternehmen mit dabei waren, also dieses Angebot angenommen
haben, ein gutes Zeugnis für das ist, was wir hier in Bewegung gebracht haben.
Wir haben darüber hinaus einen Projektstudienfonds
des BMWA mit sieben Machbarkeitsstudien realisiert,
die wiederum den Boden dafür bereiten sollen, dass unsere Unternehmen sich in solchen Märkten zu den dort
geltenden Bedingungen einführen und etablieren können.
Meine Damen und Herren, vier Demonstrationsobjekte in Zielländern - auch das gehört dazu - im Bereich
Solarenergie haben wir realisiert. Außerdem haben wir
in unmittelbarer Nähe, nämlich im Ostseeraum, mit entsprechenden Fördermitteln aktiv die Entwicklung erneuerbarer Energien unterstützt, vor allem in den baltischen
Staaten.
({1})
Ich kann also an dieser Stelle nur sagen: Die Bundesregierung hat gemeinsam mit der deutschen Wirtschaft
in diesem Bereich ein Potenzial, das wir über die letzten
Jahre entwickelt und geschaffen haben, gut vermarktet.
Wir werden diesen Weg weiter fortsetzen.
({2})
Ich denke, dass die Maßnahmen durch den Mittelansatz in Höhe von 15 Millionen Euro für die Exportinitiative in diesem und dem nächsten Jahr aufrechterhalten
werden können. Wir werden das Angebot feinjustieren
und uns insbesondere an dem orientieren, was die Unternehmen nachfragen.
Die Zahlen zur gesamten Außenwirtschaftsinitiative
der Bundesregierung müssen Sie nur nachlesen. Allein
im letzten Jahr konnte bei den deutschen Exporten ein
Plus von über 8 Prozent verzeichnet werden. Deutschland ist Exportweltmeister. Das sagt etwas über die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft in der Welt aus. Wir
werden unsere Aktivitäten auch in dem Bereich erneuerbarer Energien verstärken und entwickeln. Damit leisten
wir, von diesem Feld ausgehend, einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Gesamtbedingungen unserer
Volkswirtschaft.
Schönen Dank.
({3})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Joachim Pfeiffer.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte die Gelegenheit und unseren Antrag nutzen, um darauf aufmerksam zu machen, wo die Union
beim heutigen Stand der Technik auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien die besonderen Chancen und Einsatzmöglichkeiten derselben sieht, nämlich im Export.
Neben der nationalen Schiene gilt es verstärkt, die internationalen Aktivitäten anzugehen. Einerseits ist klar,
wenn in Deutschland Forschung und Entwicklung nicht
praktiziert, Demonstrationsanlagen nicht gebaut werden
und kein kommerzieller Nutzen vorhanden ist, tut man
sich beim Export und bei der Erschließung ausländischer
Märkte schwer. Das haben wir bei anderen Technologien, wie beispielsweise dem Transrapid - hier haben
wir uns 20 Jahre lang schwer getan - gesehen.
Andererseits ist es seltsam, wenn trotz schlechterer
Verfügbarkeit, schlechterer Bedingungen hierzulande
mehr gebaut wird als im Ausland. Beispielhaft nenne ich
den Windbereich oder die Photovoltaik. Von 8 760 Stunden haben wir in Deutschland im Durchschnitt gerade
einmal 900 Sonnenstunden.
({0})
- Ich lebe dort, wo die Sonne öfter scheint als dort, wo
Sie herkommen.
({1})
- Das ist allerdings richtig.
({2})
Heute Nachmittag hatten wir ein Gespräch mit amerikanischen Vertretern der Gebiete der erneuerbaren Energien. Die durchschnittliche Dauer der Verfügbarkeit von
Wind ist in den USA - das hat mich auch überrascht onshore mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland.
Bei der Photovoltaik sind die Zahlen sogar noch deutlicher. Trotzdem spielen unsere Anlagen dort bisher nicht
die Rolle, die sie dort spielen könnten und sollten.
({3})
Es gibt mehrere Gründe. Einer ist zweifelsohne das
Setzen falscher Anreize im Inland. Wenn es, selbst bei
schlechteren Verfügbarkeiten und klimatischen Rahmenbedingungen, lukrativer ist, in Deutschland zu investieren als dort, wo der Wind weht und die Sonne scheint,
dann ist etwas falsch im Staate Dänemark. Es liegt an
der Überforderung und falschen Politik von Rot-Grün,
an den Maßnahmen, die im Bereich der erneuerbaren
Energien in der Vergangenheit unternommen wurden.
Ein weiterer Grund ist sicher, dass es den überwiegend
mittelständischen und teilweise jungen Unternehmen an
Auslandserfahrung und spezifischen Kenntnissen der jeweiligen Marktbedingungen mangelt. Weiterhin sind der
Austausch und die Vernetzung der mittelständischen
Unternehmen in Deutschland bisher nur sehr unbefriedigend ausgeprägt. Hier gilt es anzusetzen.
Darüber hinaus sind beim Export und bei den internationalen Aktivitäten konsequent die Chancen der Dezentralität auszuspielen. In vielen Gegenden unserer Welt,
wo es kein ausgebautes Netz mit einem ausgeklügelten
Zusammenspiel der verschiedenen Netzebenen wie in
Deutschland gibt, die Entfernungen zu groß sind oder
die Besiedlung zu dünn ist, sind die erneuerbaren Energien bereits auf dem heutigen Stand der Technik wettbewerbsfähig.
Auch unter Klimagesichtspunkten spielen die erneuerbaren Energien eine wichtige Rolle: Fossile Energieträger können ersetzt und Umweltschäden, beispielsweise das Abholzen von Wäldern, vermieden werden.
Daher halten wir diese Exportinitiative für wichtig
und für von zentraler Bedeutung für die weitere Entwicklung der erneuerbaren Energien. Sie sind Technologien mit Zukunft, doch ihre Potenziale werden kurz- und
mittelfristig in Deutschland beschränkt sein. Es muss
uns also gelingen, unsere Anlagen zur Erzeugung von
Strom aus erneuerbaren Energien auf dem Weltmarkt
konkurrenzfähig zu machen und dementsprechend künftig einen höheren Anteil am internationalen Markt zu erreichen.
Die bisherige Arbeit der dena kann als positiv bewertet werden. Es ist gelungen, dass nun ein nationaler
Ansprechpartner für Fragen des Exports zur Verfügung
steht, der in engem Kontakt mit den Branchenvertretern
an der Entwicklung eines geeigneten Exportinstrumentariums arbeitet. Ebenso konnten in einem ersten Anlauf
die Informationsdefizite innerhalb der Branche und über
die Branchen hinweg beseitigt werden.
Es besteht aber weiterhin Verbesserungsbedarf hinsichtlich der Koordinierung der staatlichen Stellen.
Ebenso wie in anderen Bereichen sind die Kompetenzen
im Energiebereich nicht zielführend in einer Hand gebündelt. Folgende Punkte sind aus unserer Sicht wichtige Grundvoraussetzungen, die es jetzt noch zu vertiefen und zu verstärken gilt: eine stärkere Ausrichtung an
den Bedürfnissen der Wirtschaft, die Berücksichtigung
der Situation der jeweiligen Branchen und insbesondere
die Erarbeitung eines länderspezifischen Instrumentenmixes, der eine sinnvolle Kombination aus Informationsbereitstellung, Messebeteiligung und Finanzierung
beinhaltet.
Ein besonderer Schwerpunkt der zukünftigen Arbeit
muss aus unserer Sicht die Finanzierung sein. Hier
sollten die bestehenden Instrumente, die sich zum Teil
parallel zueinander entwickelt haben und partiell gegeneinander wirken, wie der Projektstudienfonds der Außenwirtschaft des BMWA oder der KfW-Klimaschutzfonds, noch besser mit den Zielen der Exportinitiative
verknüpft werden, als dies in der Vergangenheit der Fall
war.
Doch dürfen wir nicht einseitig bleiben, wenn wir uns
mit dem Export von Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energien befassen. Auch andere Technologien
weisen spezielle Vorteile auf, die wir auch im Export
besser ausspielen müssen. Als Vergleichsmaßstab nehme
ich die CO2-Vermeidungskosten. Die Kraftwerksmodernisierung bietet ein erhebliches Potenzial, um auch im
Ausland mithilfe von Effizienzsteigerungen zu CO2Einsparungen zu kommen. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten muss dieses Feld verstärkt berücksichtigt
werden, denn die Steigerung des Wirkungsgrades in gängigen Kraftwerken ist beispielsweise schon für 5 Euro je
Tonne und die Wärmedämmung an Gebäuden für
10 Euro je Tonne zu haben, während jede durch die Nutzung der Windenergie vermiedene Tonne CO2 nach dem
heutigen Stand der Technik mit mindestens 50 bis
100 Euro zu Buche schlägt; bei der Photovoltaik kostet
dies sogar über 500 Euro je Tonne.
Achten Sie bitte auf die Zeit?
Ich komme zum Ende. - Daher plädieren wir dafür,
die Exportinitiative mittelfristig in eine energiewirtschaftliche Gesamtstrategie einzubinden, die mit der
Modernisierung und mit Effizienztechnologien einhergeht. Nur so werden wir insgesamt erfolgreich sein.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Michaele Hustedt.
Verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist die dritte Rede, die ich heute halte. Die erste
betraf das Kioto-Protokoll und befasste sich damit, warum wir noch mehr für den Klimaschutz tun müssen; die
erneuerbaren Energien sind ein wesentlicher Bestandteil
dieser Bemühungen. Die zweite Rede bezog sich auf die
Stärkung des maritimen Standortes und darauf, dass die
Offshore-Windparks eine neue Säule dieser Standorte
werden können, weil sie Arbeitsplätze im Bereich Häfen, neue Schiffe, Montage und Wartung schaffen können und weil 45 Milliarden Euro in diesen Bereich der
Binnenwirtschaft investiert werden. Jetzt sind wir beim
dritten positiven Bestandteil des Komplexes erneuerbare
Energien und befassen uns damit, dass es hier eine riesige Exportchance für eine junge Technologie gibt.
Durch unser deutsches EEG sind wir inzwischen das
Innovationszentrum der Welt in Bezug auf die Förderung der erneuerbaren Energien geworden.
({0})
Wir haben dafür tatsächlich Geld mobilisiert. Meines Erachtens bewegen sich die Kosten dafür in vertretbarem
Rahmen; 1 Euro pro Person und Monat halte ich für
durchaus vertretbar. Aber es hat uns Geld gekostet, diesen Innovationsvorteil gegenüber anderen Ländern zu
erarbeiten; jetzt geht es darum, davon auch zu profitieren.
Es gab also gute Gründe für mich, heute drei Reden
über erneuerbare Energien und Umweltschutz sowie die
Stärkung des Binnenstandorts und der Exportnachfrage
für die erneuerbaren Energien zu halten.
Herr Pfeiffer, Export ohne ein Schaufenster am Binnenmarkt funktioniert nicht.
({1})
Folgendes ist Ihr Problem: Sie wollen das EEG abschaffen und wettern gegen das, was wir hier gemacht haben.
Wir sind aber erst dadurch, dass wir in Deutschland vorangegangen sind, in die Position gekommen, dass andere
Länder auf uns schauen und sagen, wenn sie eine ähnliche Entwicklung erreichen wollten, müssten sie erstens
die deutschen Gesetze kopieren und zweitens die deutschen Technologien kaufen.
Dass sich Klimaschutz auch wirtschaftlich lohnt, ist
damit bewiesen.
({2})
Deswegen ist es gut, dass Herr Staffelt hier geredet hat.
Hier geht es nicht um Entwicklungshilfe oder darum, irgendwelchen armen Ländern mit deutschem Geld zu
helfen, etwas Gutes zu tun. Es geht hier vielmehr um
beinharte Wirtschaftspolitik.
Ein Land wie China, das derzeit wirtschaftlich ganz
gut in Fahrt ist, braucht nicht unser Geld, um sich zu entwickeln. China hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2020
19 Prozent seiner Energieversorgung - für unser kleines
Land ist es ein gigantischer Markt - auf der Grundlage
erneuerbarer Energien bereitzustellen. Auf der Renewable Conference in Bonn hat China erklärt, sein
Partnerland sei in diesem Bereich Deutschland. Das ist
ein wirklich riesiger Erfolg deutscher Energiepolitik.
Hier wird eine Zukunftsbranche aufgebaut; dies wollen
wir fördern.
Großbritannien steigt nun mit Blick auf seine guten
Offshore-Standorte ebenfalls in eine stärkere Windkraftförderung ein. Mit dem von der FDP vorgeschlagenen
Modell hat es in Großbritannien nicht geklappt. Deswegen ist man dort trotz guter Windstandorte so meilenweit
hinter uns her. Obwohl es dort so viele Küsten gibt, hat
man kaum Windanlagen. Jetzt hat man gemerkt, dass das
Modell der FDP nicht funktioniert,
({3})
und steigt in eine offensive Förderung der Windenergie
ein. Auch an den britischen Markt müssen wir heran.
Darüber hinaus müssen wir in Frankreich und Spanien
mit den neuen deutschen Technologien dabei sein.
({4})
Es geht darum, mit wenig Geld viel zu bewirken. Alle
reden vom Innovationsstandort Deutschland. Im Bereich
der erneuerbaren Energie ist er lebendig. Zunächst sind
die Top-Ten-Länder zu benennen. Die mittelständische
deutsche Wirtschaft kann nicht versuchen, die gesamte
Welt wirtschaftlich zu erobern. Aber wir können feststellen, in welchem Land die gesetzlichen Rahmenbedingungen so sind, dass sich ein Fenster auftut und ein Aufbruch erfolgt. Solche Rahmenbedingungen hat in
Deutschland die rot-grüne Bundesregierung geschaffen.
Davon lernen andere Regierungen zurzeit, zum Beispiel
in Spanien, in Großbritannien, aber auch in Frankreich.
Wir müssen den kleinen und mittelständischen Unternehmen helfen, in diesen Ländern Fuß zu fassen.
Ferner müssen wir den Auftritt deutscher Unternehmen in diesen Ländern stärken und über die Handelskammern Austauschprogramme organisieren. Die
Kammern sind hier sehr engagiert und haben auch schon
verschiedenste Programme organisiert. Sie holen Leute
aus den Ländern, in denen es mit den erneuerbaren Energien richtig losgeht, nach Deutschland und zeigen ihnen,
was hier an Beeindruckendem geleistet wurde. Herr
Stoiber hat als Erstes den chinesischen Ministerpräsidenten zu einer Biogasanlage geführt und war dann stolz
wie ein Honigkuchenpferd; dem EEG hat er im Bundesrat aber nicht zugestimmt. Hier ist ein gewisser Widerspruch zu erkennen.
({5})
Denken Sie bitte an die Redezeit.
Ich komme zum Schluss.
Es geht also darum, diesen Know-how-Transfer zu
organisieren. Die Menschen müssen hierher kommen
und sehen, was wir hier erreicht haben. Zugleich müssen
Vertreter der mittelständischen Wirtschaft in diese Länder fahren, damit sie die Kontakte knüpfen können, die
erforderlich sind, um dort Fuß zu fassen.
Ich freue mich, dass die CDU/CSU diesen Ansatz im
Grundsatz unterstützt. Allerdings wäre ein gemeinsamer
Antrag schöner gewesen. Dies wäre denkbar gewesen.
Sie durften nicht. Aber vom Inhalt her sind wir uns einig. Wir sollten gemeinsam in Zukunft versuchen, diese
Initiative in beiden Ausschüssen, im Wirtschafts- und im
Umweltausschuss, konstruktiv zu begleiten und voranzubringen.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Angelika
Brunkhorst.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Deutschland verfügt im Bereich der erneuerbaren
Energien über Spitzentechnologie und ist Weltklasse.
Das stimmt. Das ist erfreulich und sollte auch so bleiben.
Da sind wir ganz Ihrer Meinung.
Umso ärgerlicher ist es, dass die Exportrate in diesem Bereich bislang leider nur 20 Prozent ausmacht. Im
Hinblick darauf, dass gerade der - eben so hoch gepriesene - asiatische Raum - ich will die Länder nicht im
Einzelnen nennen - bekannt dafür ist, dass er in allererster Linie daran interessiert ist, Technologien zu kopieren,
ist es umso dringlicher, dass wir Gas geben und die
Technologien der erneuerbaren Energien stärker etablieren.
({0})
- Herr Kelber, wir haben im Oktober fraktionsintern eine
Expertenrunde mit der dena, der KfW und der GTZ
durchgeführt. Seit Oktober wird dieser Anteil nicht nennenswert gestiegen sein.
({1})
- Wir werden nachfragen. Vielleicht ist der Anteil ja um
0,2 Prozentpunkte gestiegen. Das wäre hervorragend.
Wir müssen neben der erforderlichen Stärkung der
Marketingaktivitäten den Informationsfluss erhöhen.
Wir müssen die Vernetzung der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Verbände stärken und deren Erkenntnisse
den exportwilligen KMU gebündelt, also nur in einem
Portal, zur Verfügung stellen.
Des Weiteren muss man sich natürlich fragen: Ist der
Exportwille der Branche der erneuerbaren Energien
eventuell nicht größer als der Importwille der Zielländer? Da sollte man einmal genauer hinschauen. Das
BMU ist immer geneigt, das EEG möglichst gleich mitzuexportieren, quasi als Türöffner, weil die Partner ansonsten vielleicht nicht ganz so willig sind. Das will ich
hier in den Raum stellen.
Wir von der FDP fordern schon seit langem, dass die
Aufmerksamkeit der Zielländer auf die Leistungspotenziale der flexiblen Kioto-Mechanismen
({2})
und auf die Möglichkeiten der technologischen und technischen Zusammenarbeit gerichtet wird und dass nicht
der unzutreffende Eindruck erweckt wird, dass ausschließlich das EEG ein ohne Alternativen nachahmenswertes Förderinstrument ist. Das sehen wir nicht so.
({3})
Jetzt, da die europäische Linking Directive verabschiedet ist, sind die Voraussetzungen für den Einsatz
der flexiblen Kioto-Instrumente CDM und JI hervorragend. Die FDP fordert deswegen auch, diese sofort praxistauglich umzusetzen und nicht länger Zeit zu verlieren. Wenn die CO2-Minderungszertifikate im Preis
steigen werden, sehen wir darin - das sieht auch die
KfW so - durchaus auch Möglichkeiten der Steigerung
der Exportraten. Das gleiche Potenzial sehen wir für den
Emissionshandel insgesamt.
Kritisch bewertet wird von Experten der dena, der
KfW und der GTZ, dass der Verwaltungs- und Bürokratieaufwand für die Projektierung dieser Klimaschutzvorhaben viel zu hoch ist. Man sollte das Ganze vielleicht
durch eine Standardisierung der Finanzdokumentationen
und durch eine Standardisierung der Rahmenverträge
straffen. Damit könnten auch die Transaktionskosten gesenkt werden.
Ein weiteres Erschwernis ist aus unserer Sicht, dass
die Hermeskredite nicht in Lokalwährung zurückgezahlt werden können. Damit ist das Risiko der Schwankung der Währung nicht ausgeschaltet.
Ich möchte aber auch noch ein paar positive Dinge
anmerken.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist schon vorbei. Das
schaffen Sie nicht mehr. Machen Sie bitte einen Schlusssatz!
Einen letzten Aspekt bitte. - Wir meinen, dass die besonderen Chancen der erneuerbaren Energien gerade darin liegen, dass es in den Zielländern noch keine Netze
gibt, dass dort Energie gebraucht wird und dort ein dezentraler Aufbau vonstatten gehen kann. Wir sehen der
ganzen Sache optimistisch entgegen. Wir meinen, die
Handlungsfelder sind klar. Sie können bearbeitet werden. Wir glauben daran, dass im neuen dena-Bericht, der
irgendwann kommen wird, durchaus höhere Exportraten
verkündet werden.
Lassen Sie uns also in diesem Sinne weitermachen!
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Axel Berg.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gesehen, dass es zwischen uns jede Menge Übereinstimmungen gibt. Ich
finde es sehr schade, dass alle Versuche, einen gemeinsamen Antrag zu erarbeiten, an der üblichen Bockigkeit
der Opposition gescheitert sind. Das Ergebnis ist, dass
uns heute zwei Anträge vorliegen, in denen dasselbe gefordert wird: dass deutsche Unternehmen unterstützt und
Spitzentechnologien im Bereich erneuerbarer Energien
ins Ausland verkauft werden. Ich hätte es wunderschön
gefunden, wenn wir wenigstens in diesem kleinen Teil
eines Politikfeldes an einem Strang gezogen hätten.
Aber es waren wieder einmal die Ideologien und Rituale,
die eine Kooperation verhinderten.
({0})
Heute Morgen haben wir die Opposition stundenlang
über die Wirtschaftslage lamentieren sehen. Konkrete
Lösungsvorschläge haben wir leider nur sehr wenige gehört.
({1})
Herr Dr. Pfeiffer hat eben gejammert - auch das war
symptomatisch -, dass sich die Nutzung der Windkraft
in Deutschland überhaupt nicht lohnt, weil wir zu wenig
Energie haben.
({2})
Aber, Herr Pfeiffer, der Witz ist doch, dass wir Deutschen den windstarken Nationen, den Engländern und
Franzosen, die jede Menge Atlantikküsten haben, gezeigt haben, wie es geht. Umso interessanter ist es für
sie, diese Technologien zu übernehmen.
Man kann den erneuerbaren Energien kritisch gegenüberstehen. Meinetwegen kann man auch gegen das
EEG sein. Aber wenn wir diese Spitzenprodukte, die andere Länder kaufen können und wollen, schon haben,
dann sollten wir unsere Unternehmen in Deutschland unterstützen. Hier geht es um Arbeitsplätze. Wenn Ihnen an
Arbeitsplätzen gelegen ist, dann stimmen Sie unserem
Antrag bitte zu.
({3})
Schauen Sie sich die Exportzuwächse an; diese Entwicklung ist wirklich überaus erfreulich - und das, obwohl wir aufgrund des starken Euro beim Export erschwerte Bedingungen vorfinden. In diesem Bereich ist
die Exportentwicklung in Deutschland so dynamisch wie
in keinem anderen europäischen Land. Im Jahr 2004
ging es für mehrere Branchen aufwärts. Teilweise gab es
auch einen nennenswerten Zuwachs an Arbeitsplätzen.
Das war in sämtlichen exportorientierten Branchen der
Fall: dem Maschinenbau, dem KFZ-Bau, der Mess-,
Steuer- und Regelungstechnik, insbesondere im Medizinbereich, der Metallerzeugung usw. Auch die Branche
der erneuerbaren Energien konnte mächtig punkten.
Misslich ist jedoch, dass die Globalisierung an kleinen Unternehmen fast spurlos vorbeigegangen ist. Gerade wurde die Umsatzsteuerstatistik für das Jahr 2002
vorgelegt. Darin steht, dass bei Unternehmen mit Umsätzen von weniger als 1 Million Euro gerade einmal
2 Prozent ihres Umsatzes auf dem Export beruhen. Mittelständler stehen etwas besser da. Unbestritten ist, dass
KMU, also kleine und mittlere Unternehmen, dringend
Hilfe bei ihrem Engagement im Ausland brauchen. Im
Gegensatz zu den großen verfügen die kleinen Unternehmen einfach nicht über das entsprechende Know-how
und die personellen Kapazitäten, um in anderen Ländern
Fuß zu fassen. Wie wichtig der Mittelstand ist, muss ich
Ihnen nicht erklären.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Deutschland
nimmt sowohl bei der Nutzung als auch bei der technologischen Entwicklung erneuerbarer Energien weltweit
einen Spitzenplatz ein. Hier ist eine leistungsfähige und
hoch innovative Industrie entstanden. Was die Nutzung
angeht, so müssen wir diesen Spitzenplatz meines Erachtens nicht auf Dauer behalten; denn auch andere Länder sollen unsere Produkte kaufen. Deswegen haben wir
die Exportinitiative für erneuerbare Energien beschlossen und die dena, die Deutsche Energie-Agentur,
mit ihrem Aufbau und ihrer Umsetzung beauftragt.
Nach einem etwas schleppenden Start kann man heute
sagen, dass wir einiges erreicht haben, zum Beispiel die
Vernetzung von deutschen und internationalen Akteuren
in Wirtschaft und Politik und die Informationsdienstleistungen für deutsche Unternehmen über die Auslandsmärkte. Wir erwarten, dass hier bald eine anständige Datenbank erstellt wird. Über die Hilfestellungen bei der
Markterschließung haben wir gerade schon viel gehört.
Insbesondere die KMU brauchen beim Einstieg in
ausländische Märkte Hilfe. Deswegen ist die Exportinitiative ein sehr wichtiges Instrument. Sie ist ein effektives Förderinstrument, das ganz gezielt die Unternehmen unterstützt, die Geschäfte mit Sonne, Wind, Wasser,
Biomasse und Erdwärme betreiben. Wenn sich im Rahmen der Entwicklungshilfe Kooperationen ergeben,
umso besser.
Ich stelle mir übrigens vor, dass wir all diese Instrumente einer begleitenden Evaluation unterziehen. Wir
wollen wissen, welche Effekte die einzelnen Maßnahmen erzielen, etwa die Messeförderung. Da müssen wir
natürlich nachhaken. Punkt ist: Wir wollen, dass in
Deutschland mit Hightech Geld verdient wird. Wir haben Spitzentechnologien und jetzt müssen wir dafür sorgen, dass diese auch verkauft werden. Sollte auch der
Export anderer Dinge, wie zum Beispiel unseres EEGs
gewünscht werden - die Chinesen diskutieren darüber -,
wären wir natürlich hocherfreut, unsere Unterstützung
geben zu können.
Verstärkt wird die ganze Entwicklung durch das
Kioto-Protokoll, das gestern in Kraft getreten ist. Der
Wind frischt auf und das Schiff gewinnt dadurch an
Fahrt. Wir sehen eine Dynamik, die sich erst langsam
entwickelt und die ganz stark werden wird, weil die Notwendigkeit, Energie effizienter zu nutzen und erneuerbare Energien zu fördern, global ganz augenscheinlich
wird. Langsam kriegen es weltweit auch die letzten
Schlafmützen mit: Wer am meisten aus der angebotenen
Energie herausholen kann, wer am effizientesten arbeitet
und wer die besten Technologien im Bereich der erneuerbaren Energien hat, der, meine lieben Freunde von der
Opposition, wird auch und gerade im internationalen
Wettbewerb die Nase vorn haben.
Ich danke Ihnen.
({4})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Doris Meyer.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Deutschland hat sich im Bereich der erneuerbaren Energien zu einem guten Technologiestandort
Doris Meyer ({0})
entwickelt. Diese Technologien sind hervorragend für
den Einsatz in Entwicklungs- und Schwellenländern geeignet. „So weit, so gut“, könnte man meinen. Aber so
ist es nicht ganz. Das Technologiestandbein im Inland ist
das eine, aber was uns fehlt, ist ein zweites Standbein:
der Marktzugang im Ausland. Die deutschen Anbieter
bleiben in Sachen Export bisher leider hinter ihren Möglichkeiten zurück. Das und den daraus resultierenden
wirklich dringenden Handlungsbedarf konnten wir dem
Bericht der Deutschen Energie-Agentur entnehmen. Im
Bericht ist ganz deutlich ausgeführt: Wir müssen etwas
unternehmen. Deutsches Know-how muss ins Ausland,
es muss auf die Weltmärkte. Vielfältige Defizite bremsen
dies bzw. machen dies fast unmöglich. Ich möchte einige
der im Bericht genannten Defizite nennen, die wir beseitigen müssen, um die Exportinitiative zu einem effektiven Förderinstrument weiterzuentwickeln:
Deutschland ist bei der Erschließung regenerativer
Energien im Vergleich zu seinen Hauptkonkurrenten Dänemark, Spanien, Österreich, USA und Japan schlecht
positioniert.
Der überwiegend kleinen, mittelständischen und teilweise jungen Industrie mangelt es insbesondere an Auslandserfahrung, an spezifischen Kenntnissen der Marktbedingungen und an Möglichkeiten, sich mit ihren
Produkten zu präsentieren.
Der Austausch und die Vernetzung unter den Unternehmen sind nur sehr unbefriedigend ausgeprägt.
Die staatlichen Stellen sind schlecht koordiniert. Ich
habe es im Ausschuss schon als Beispiel angeführt: Es
gibt vier Internetportale zum Thema erneuerbare Energien und Export. Die Kompetenzen sind auf vier Ressorts verteilt; welche, wissen Sie, meine Damen und
Herren.
Kleine und mittlere Unternehmen haben Informationsdefizite. Man könnte meinen, das beziehe sich auf
den Auslandsbereich. Nein, erschreckenderweise bezieht
sich das auf die Strukturen bei uns in Deutschland, auf
die Stellen, die ihnen eigentlich helfen sollten.
Herr Staffelt, Sie haben die Messebeteiligungen angesprochen. Dem Aufwand für Messebeteiligungen im
Ausland, wohin die Gelder größtenteils flossen, steht
kaum ein messbarer Erfolg gegenüber; auch das steht in
dem Bericht.
Sie sehen, meine Damen und Herren, Wissen, Kompetenz und Technologie sind bei uns vorhanden. Den
heimischen Markt, der als Grundlage für den Export notwendig ist, haben wir. Aber wir stehen vor der Herausforderung, unsere Möglichkeiten über unsere Grenzen
hinaus bekannt zu machen.
Dort, wo die Kräfte und Ressourcen verteilt sind,
müssen wir sie bündeln und die Koordination verbessern. Wir müssen die Messen und Präsentationen stärker
an den Bedürfnissen der mittelständischen Wirtschaft
orientieren und die Wirtschaftsvertreter aus dem Ausland für eine Mitarbeit gewinnen. Wir müssen eine länderspezifische Exportstrategie mit einem Instrumentenmix entwickeln und zum Einsatz bringen. Schließlich
müssen wir die Industrie- und Handelskammern sowie
die Verbände der erneuerbaren Energien mit einbeziehen.
({1})
- Frau Hustedt, vielleicht etwas mehr. - Wir brauchen
eine Gesamtstrategie, die die mittel- und osteuropäischen Länder sowie die Schwellen- und Entwicklungsländer unterstützt. Es liegt an der Bundesregierung, hier
die Kräfte und Initiativen zu bündeln. Werden Sie aktiv!
Es ist Ihre Aufgabe.
Der bestehende Instrumentenmix aus Informationen,
Messebeteiligungen und Finanzierungsinstrumenten
muss besser abgestimmt werden. Die Auswahl muss sich
an den Belangen der Branche sowie der Märkte für
Technologien aus dem Bereich der erneuerbaren Energien orientieren. Die Zusammenarbeit des Koordinierungskreises der „Exportinitiative Erneuerbare Energien“ ist zu intensivieren. Dabei ist das Fachwissen der
Mitglieder des Kreises durch konkrete Aufgabenzuweisungen zu nutzen. Das Defizit bei der Projektfinanzierung muss beseitigt werden. Ihr kommt beim Export
eine, wenn nicht sogar die Schlüsselrolle zu. Sie sollte zu
einem Baustein des Instrumentenmixes ausgebaut werden.
Die Verfahren zur Antragstellung sollten erleichtert
und die Exportförderung sollte verstärkt in die nationalen Klimaschutzaktivitäten einbezogen werden. Gemäß
unserem Exportantrag könnte man beispielsweise die
Mittel aus dem KfW-Klimaschutzfonds an eine Exportquote binden. Auch die Mittel der europäischen Entwicklungspolitik könnten vermehrt dafür eingesetzt werden. Im Rahmen der Exportinitiative sollte auch die
Energieforschung vorangetrieben werden. Wir dürfen
unsere guten Chancen in diesem jungen Markt im Ausland nicht an uns vorbeiziehen lassen.
Meine Damen und Herren, die Zukunft gehört denen,
die bereit sind, in der Gegenwart zu handeln.
Danke schön.
({2})
Danke schön. - Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit zu der Unterrichtung
durch die Bundesregierung - Bericht über die Bestandsaufnahme durch die Deutsche Energie-Agentur ({0})
über den Handlungsbedarf bei der Förderung des Exportes erneuerbarer Energie-Technologien. Der Ausschuss
empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der beiden
Oppositionsfraktionen angenommen.
Tagesordnungspunkt 11 b sowie Zusatzpunkt 7: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den
Drucksachen 15/4715 und 15/4845 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der §§ 121, 122 StPO und weiterer
Vorschriften
- Drucksache 15/3651 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2})
- Drucksache 15/4489 Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Simm
Joachim Stünker
Siegfried Kauder ({3})
Jerzy Montag
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich keinen. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
liebe Kollegen!
Auch bei schwersten Straftaten muss ein Untersuchungsgefangener unter Umständen wegen Überschreitung der im Gesetz vorgeschriebenen SechsMonats-Frist aus der Haft entlassen werden …
Das steht so im Gesetzentwurf des Bundesrates. Dies
stimmt und beschreibt einen Zustand, den man Rechtsstaatlichkeit nennt.
Das Bundesverfassungsgericht hat dazu ausgeführt:
Der Inhaftierte hat es nicht zu vertreten, wenn seine Sache nicht binnen angemessener Frist zur Verhandlung
gelangt, weil dem Gericht die personellen oder sächlichen Mittel fehlen, die zur ordnungsgemäßen Bewältigung der staatlich verfassten Gemeinschaft ausreichen.
Der Gesetzentwurf gibt vor, für die praktischen
Schwierigkeiten, die sich damit der Justiz stellen, eine
Patentlösung gefunden zu haben. Bei etwas genauerer
Lektüre zeigen sich aber sehr schnell nicht nur ganz erhebliche handwerkliche Mängel, sondern es wird auch
klar, dass man mit dem Entwurf offenbar ganz andere
Ziele verfolgt.
Die Erweiterung des Haftgrundes der Schwerkriminalität um verschiedene Straftatbestände nach dem Völkerstrafgesetzbuch hat mit einer angeblich letzten Auffanglinie zur Vermeidung von Entlassungen gefährlicher
Verbrecher nicht das Geringste zu tun. Ein Bedürfnis für
eine solche Gesetzgebung ist nirgendwo rechtstatsächlich belegt. Bei diesen Straftaten reichen die bestehenden Haftgründe der Flucht- oder Verdunkelungsgefahr
aus, um die Durchführung des Verfahrens und den
Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Verbrechern zu
gewährleisten.
Die Berücksichtigung der Schwere der Tat im Rahmen der Sechsmonatshaftprüfung hört sich zunächst gut
an, funktioniert aber nicht. Eine Aufrechterhaltung der
Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus ist auch
nach dem Gesetzentwurf nur zulässig, wenn die besondere Schwierigkeit, der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund ein Urteil noch
nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen.
Die vorgesehene Ergänzung lässt völlig offen, auf welche Weise die Schwere der Tat bei der Prüfung durch das
OLG überhaupt Berücksichtigung finden soll.
Rechtstechnisch ebenfalls fehlgeschlagen ist die Verlängerung der Sechsmonatsfrist auf acht Monate. In
dem Vorschlag wird nichts darüber ausgesagt, ab welchem Zeitpunkt die Sechsmonatsfrist zu ruhen beginnt
und wann das Ruhen endet. Theoretisch ist denkbar, dass
die Frist zunächst acht Monate ruht. Aber jeder Jurist
weiß:
({0})
Eine Frist muss erst laufen, bevor sie ruhen kann. Das ist
wie beim Joggen. Dies zeigt, wie unausgegoren der Vorschlag ist.
Gleiches gilt für die vorgesehene Möglichkeit für die
Staatsanwaltschaft, bei einer drohenden Haftentlassung
noch argumentativ nachlegen zu können. Der Vorschlag
ist überflüssig, unausgewogen und geht an der Praxis
vorbei. Bei Unklarheiten muss das Oberlandesgericht
bereits nach geltendem Recht von Amts wegen versuchen, den Sachverhalt aufzuklären und gegebenenfalls
eine ergänzende Stellungnahme der Staatsanwaltschaft
einzuholen. An dieser Stelle wollte ich eigentlich den
Bundesrat ansprechen, aber die Jungs sind wie immer
nicht da.
({1})
- Ich bin da. - Sie unterstellen, dass die Staatsanwaltschaft nach sechs Monaten immer noch nicht weiß, dass
anstatt der Untersuchungshaft andere freiheitsentziehende Maßnahmen ergriffen werden können. Der Staatsanwalt kann und wird ohne große Mühe anhand der ihm
vorliegenden Registerauszüge und Verfahrenslisten feststellen, ob er etwa den Erlass eines Sicherungshaftbefehls beantragt oder andere Maßnahmen in Betracht
kommen. Es ist beschämend - vermutlich ist deswegen
kein Vertreter des Bundesrates anwesend -, dass die Länderjustizminister ihren Staatsanwaltschaften unterstellen,
sie seien Versager und würden ihr Handwerk nicht beherrschen.
({2})
Von all diesen Mängeln abgesehen, sind die Änderungen vor allem deshalb überflüssig und falsch, weil damit
das Ziel, das der Entwurf verfolgt, nicht erreicht wird. Es
wird aber anders erreicht. Durch organisatorische Maßnahmen bei Staatsanwaltschaften und Gerichten hat sich
in letzter Zeit die Zahl der Entlassungen gefährlicher
Straftäter aus der Untersuchungshaft erheblich reduziert.
Die Schwächen liegen also nicht beim die Untersuchungshaft betreffenden Recht, sondern bei der Rechtsanwendung und der Organisation von Staatsanwaltschaften und Gerichten, für die allein die Länder die
Verantwortung tragen.
({3})
Auch wenn ich niemandem Absicht unterstelle, selbst
wenn es so ist: Es muss sich der Eindruck aufdrängen,
dass es das eigentliche Anliegen ist, die Versäumnisse in
der Organisation der Länder zu kaschieren und sie auf
den Beschuldigten abzuwälzen. Das aber ist in einem
Rechtsstaat nicht zulässig.
({4})
Lassen Sie mich zum Schluss kommen, weil meine
Redezeit abgelaufen ist. Wir müssen das Bewusstsein für
die Verantwortung der Gemeinschaft stärken, Recht
Recht sein zu lassen und Unrecht Unrecht zu nennen. Ich
bitte Sie, dass Sie diesem unausgegorenen, falschen Gesetzentwurf des Bundesrates nicht die Zustimmung geben.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Siegfried Kauder.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Die Länder haben im die Untersuchungshaft betreffenden Recht Defizite festgestellt
und wollen diese mit diesem Gesetzentwurf bereinigt
wissen - und das zu Recht. Es gibt weder verfassungsrechtliche noch völkerrechtliche Argumente dagegen.
Das, was die Bundesregierung als Argumente vortragen
zu müssen glaubt, ist juristisch nicht haltbar und spottet
jeder Beschreibung.
({0})
Um was geht es? Es ist leichter, den Täter in Untersuchungshaft zu nehmen, der einen anderen zusammenschlägt, sodass dieser schwer verletzt ist, als einen
Kriegsverbrecher. Nur dann ist der Kriegsverbrecher
demjenigen, der eine Körperverletzung begangen hat,
gleichgestellt, wenn es um Völkermord geht. Warum
wird ein Kriegsverbrecher, der ein Verbrechen gegen die
Menschlichkeit oder ein Kriegsverbrechen gegen Personen verübt, privilegiert? Dafür gibt es überhaupt keinen
Grund.
Die Bundesregierung schleicht sich aus der Verantwortung, indem sie auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im 19. Band, Seite 342, hinweist
- hervorragend zitiert, die Entscheidung ist aus dem
Jahre 1965 -, wonach die Vorschrift des § 112 Abs. 3
Strafprozessordnung verfassungskonform auszulegen
ist. Ist sie nun nur für Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch verfassungskonform auszulegen oder nicht
auch für das Vergehen der schweren Körperverletzung?
Es ist also ein Scheinargument, das rechtlich nicht greift
und zeigt, dass Rot-Grün mehr Sicherheit für die Bevölkerung nicht will, obwohl das rechtlich möglich wäre.
({1})
Rot-Grün will, dass weiterhin ein Vergewaltiger nach
sechs Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen
werden kann, nach Hause geht und seine Lebensgefährtin erdrosselt
({2})
- ein Beschuldigter, der schon 13 Jahre wegen Mordes in
Haft gesessen hat und als gefährlich galt.
({3})
Das lässt sich ganz einfach beseitigen - so wollen es
die Länder -, indem man die Vorschrift des § 121 Strafprozessordnung leicht und moderat lockert. Die Länder
wollen nur, dass die Untersuchungshaft dann von sechs
auf acht Monate erhöht werden kann, wenn in den zwei
Monaten nach der Sechsmonatsfrist die Hauptverhandlung terminiert ist. Das ist durchaus möglich und mit der
Verfassung kompatibel.
Ich empfehle Ihnen, einmal § 126 a Strafprozessordnung anzusehen. Da gibt es die Sechsmonatshaftprüfung
überhaupt nicht. Dort ist der Sicherungshaftbefehl geregelt und betrifft den Täter, der schuldunfähig oder vermindert schuldfähig ist. Lesen Sie ruhig einmal auch die
einschlägigen Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen.
Das Bundesverfassungsgericht spricht nicht von einer
Haftprüfungsfrist, sondern vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Wenn Sie mir nicht glauben oder Ihr Wissen vertiefen wollen, dann empfehle ich Ihnen, bei
Kintzi in der „Deutschen Richterzeitung“ vom Jahr
2004, Seite 348, nachzulesen.
({4})
Kintzi ist über jeden Vorwurf erhaben, dass er parteipolitisch argumentieren würde. Er ist ein hervorragender Jurist und Generalstaatsanwalt a. D. Dem können Sie
durchaus vertrauen. Der Titel seines Aufsatzes lautet:
„Der Zwang, ‚einen Mörder laufen zu lassen‘: Anmerkungen zur Reform der §§ 121, 122 StPO“. Noch viel
drastischer hat es das „Hamburger Abendblatt“ in einem
Siegfried Kauder ({5})
Artikel vom 19. November 2002 genannt: „Saustall Justiz“. - Dass sich dieser Fall in einem SPD-regierten Bundesland unter Justizminister Pfeiffer ereignet hat, macht
es nicht besser. Deswegen muss man diesem Missstand
abhelfen.
({6})
Dem Anspruch eines Beschuldigten auf Freiheit steht
nämlich das Recht des Bürgers auf eine effektive Strafjustiz gegenüber. Dem muss man mit einer Gesetzesänderung gerecht werden, was Sie nicht wollen. Ein juristisch akzeptabler Grund ist hierfür nicht gegeben.
({7})
Wir wollen auch nicht, dass ein Bewährungsbrecher
auf freien Fuß kommt und eine weitere Tat begeht.
Nach derzeitigem Recht ist das leider möglich. Ich
meine den § 453 c der Strafprozessordnung, den die
Länder ebenfalls geändert wissen wollen.
Die Bundesregierung kontert mit einer Entscheidung
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
vom 2. Oktober 2002 und trägt ein Scheinargument vor,
das juristisch schändlich ist. Sie argumentiert, dass eine
zur Bewährung ausgesetzte Strafe nur dann widerrufen
werden könne, wenn die neue Anlasstat nachgewiesen
ist. Das mag zwar nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte durchaus zutreffen, aber wir haben es mit einem völlig anderen Fall zu
tun. Es geht nämlich darum, dass der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung ansteht. Die Tat ist noch
nicht nachgewiesen; man wird aber dem Täter höchstwahrscheinlich die Tat nachweisen können. Es geht
nicht um den Bereich des Strafvollzuges, sondern um die
Untersuchungshaft.
Das heißt, die herangezogene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist nicht einschlägig. Sie befasst sich mit der Vorschrift des § 56 f
des Strafgesetzbuchs, dem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung. Es geht doch darum, dass einer,
der sich mit einer Bewährungsstrafe in Freiheit befindet,
in Verdacht steht, eine neue Tat begangen zu haben. Damit geht es um nichts anderes als um den Vollzug einer
Untersuchungshaft. Das bedeutet rechtstechnisch Sicherungshaftbefehl, für den es genügt, dass ein dringender
Tatverdacht besteht. Insofern ist die von der Bundesregierung zitierte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht einschlägig.
Wenn Sie sich das vor Augen führen, dann wissen
Sie, auf welchem Weg sich Rot-Grün befindet. Es geht
nicht darum, dass die Vollzugsdefizite, die die Länder zu
Recht angemahnt haben, nicht behoben werden könnten.
Es geht nicht darum, dass die Länder etwas fordern, das
rechtlich nicht umzusetzen wäre. Es geht vielmehr
schlicht und ergreifend darum, dass es nicht nur die Freiheitsrechte eines Beschuldigten gibt, sondern dass auch
die Rechte der Bevölkerung auf Sicherheit zählen.
Das will Rot-Grün nicht wahrhaben. Deswegen ist es
eine Schande, wie rechtspolitisch argumentiert und
agiert wird. Ich kann nur hoffen, dass die Menschen
draußen im Lande das auch so verstehen.
({8})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Uschi Sowa.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe als Kulturpolitikerin ein großes Interesse daran,
was in diesem Land läuft. Ich habe verschiedenste Justizvollzugsanstalten besucht. Als ich in Moabit war, war
ich regelrecht geschockt. Bei der JVA Moabit handelt es
sich um eine Untersuchungshaftanstalt. Dort können Sie
sich wahrlich einen Eindruck davon verschaffen, was es
heißt, inhaftiert zu werden, auch im Jahr 2005. Die Untersuchungsgefangenen sitzen dort ohne rechtskräftiges
Urteil ein.
In Deutschland gibt es gut 16 000 Untersuchungsgefangene. Das sind etwa 20 Prozent aller Gefangenen in
Justizvollzugsanstalten. Sie unterliegen zum Teil stärkeren Einschränkungen als gerichtlich verurteilte Strafgefangene. Sie dürfen nicht ohne Aufsicht telefonieren
oder Besuch empfangen. Auch sonst sind ihre Kontaktund Beschäftigungsmöglichkeiten stark eingeschränkt.
Der so genannte Haftschock erfolgt für die meisten
also mit der U-Haft, nicht mit der Verbüßung der eigentlichen Haftstrafe. Die U-Haft als eklatanter Eingriff in
die persönliche Freiheit wird bislang ohne eigene gesetzliche Grundlage vollzogen. Wie auch Ihnen bekannt ist,
Herr Kauder, wird dieser Missstand bereits seit langem
angeprangert.
Die rot-grüne Regierung hat kürzlich den neuen Entwurf eines eigenständigen U-Haftvollzugsgesetzes
vorgelegt. Sie, meine Damen und Herren von der Union,
sind aufgefordert, auf Ihre Länder einzuwirken, diesen
Entwurf nicht wie in der letzten Legislaturperiode im
Bundesrat zu blockieren.
Worum geht es in dem vorliegenden Gesetzentwurf
des Bundesrates? Kurz gesagt ist er von dem Bestreben
geprägt, den Bereich der U-Haft restriktiver zu regeln.
Der Entwurf zeigt, dass die Union das Gebot des Grundgesetzes, die persönliche Freiheit eines jeden Menschen
als eines unserer wichtigsten Güter zu würdigen und zu
schützen, nicht wirklich verinnerlicht hat; denn für Untersuchungsgefangene als noch nicht verurteilte Beschuldigte gilt immer noch die Unschuldsvermutung.
Zwischen dem Freiheitsrecht des Einzelnen und der
Sicherstellung einer effektiven Strafverfolgung muss
äußerst sorgfältig abgewogen werden. Sie, meine Damen
und Herren von der Union, die Sie den Gesetzentwurf
des Bundesrates befürworten, wollen dieses Spannungsverhältnis einseitig zugunsten der Strafverfolgung auflösen.
({0})
In dubio contra rerum, also im Zweifel gegen den Angeklagten! Das tragen wir von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen nicht mit.
({1})
- Das freut mich.
Wir lehnen den Vorschlag ab, wonach die Schwere
der Straftat als Kriterium für die Aufrechterhaltung der
Untersuchungshaft über die Sechsmonatsfrist hinaus in
§ 121 StPO Berücksichtigung finden soll. Dies hätte zur
Folge, dass bei schweren Straftaten Versäumnisse der
Strafverfolgungsbehörden, die Verfahrensverzögerungen
nach sich ziehen, nicht zur Entlassung aus der Untersuchungshaft führen. Aus unserer Sicht sind die Landesjustizbehörden gefordert, alle Anstrengungen zu unternehmen, damit die feststellbaren Verzögerungen bei der
Bearbeitung von Haftsachen vermieden werden. Fehler
und Versäumnisse seitens der Behörden dürfen nicht zulasten der Beschuldigten gehen.
Ähnlich verhält es sich mit dem Vorschlag, wonach
die Sechsmonatsfrist für die Haftprüfung durch das
Oberlandesgericht auch dann ruhen soll, wenn die
Hauptverhandlung auf einen Termin innerhalb von zwei
Monaten nach Ablauf der Sechsmonatsfrist anberaumt
wird. Dies bedeutet de facto eine Verlängerung der
U-Haft auf acht Monate. Dafür sehen wir erst recht keinen Grund und lehnen das deshalb ab. Der Aufnahme
weiterer Tötungsdelikte nach dem Völkerstrafgesetzbuch, die über den Kernstraftatbestand des Völkermords
hinausgehen, stehen wir ebenso ablehnend gegenüber.
Ebenfalls keine Zustimmung von unserer Seite erhält
der Vorschlag, den Verfahrensbeteiligten erneut Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wenn das Oberlandesgericht gegen den Antrag der Staatsanwaltschaft den
Haftbefehl aufheben will. Aus unserer Sicht dient dies
lediglich dazu, dass die Strafverfolgungsbehörden die
Begründung für die Aufrechterhaltung der U-Haft nachbessern oder eine andere Rechtsgrundlage ausfindig machen können.
Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU,
befürworten die Verlängerung der Untersuchungshaft
und die Ausweitung der Voraussetzungen für den Sicherungshaftbefehl. Aus meiner Sicht macht das deutlich, aus welcher Richtung bei Ihnen der Wind weht.
({2})
Diese Richtung tut der Rechtspolitik in Deutschland
nicht gut. Wir lassen diese Law-and-Order-Politik aber
nicht durchgehen. Daher lehnen wir den vom Bundesrat
vorgelegten Gesetzentwurf in allen Punkten ab.
({3})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jörg van Essen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Präsidentin, als Erstes wünsche ich Ihnen gute Besserung.
({0})
Kompliment, dass Sie trotz Erkältung heute Abend hier
präsidieren!
Das Thema Untersuchungshaft muss nach meiner
Auffassung differenziert betrachtet werden. Ich selbst
habe es in einem Fall erlebt, dass die von mir beantragte
Fortdauer der Untersuchungshaft vom Oberlandesgericht abgelehnt wurde. Das war nicht nur für uns, die Generalstaatsanwaltschaft, sondern auch für den Beschuldigten völlig überraschend, der sich darauf eingestellt
hatte, eine lebenslängliche Freiheitsstrafe zu verbüßen,
und gar nicht in die Freiheit entlassen werden wollte.
Das Oberlandesgericht hat das damals aber angeordnet,
weil kein psychiatrisches Gutachten vorlag. Die Staatsanwaltschaft hatte zwar im Wochenrhythmus den Gutachter aufgefordert, endlich zu einem Ergebnis zu kommen. Aber er kam zu keinem und das fehlende
Gutachten konnte auch nicht ersetzt werden.
Ich muss gestehen, dass ich in solchen Situationen
durchaus Sympathie für den Vorschlag des Bundesrates
habe, wonach das Oberlandesgericht der Staatsanwaltschaft noch einmal Gelegenheit geben soll, um beispielsweise Druck auf den Gutachter auszuüben, damit er endlich zu einem Ergebnis kommt und das Ganze
abgeschlossen werden kann. Ich habe aber in meiner beruflichen Tätigkeit auch erlebt, wie wichtig die Sechsmonatsfrist ist.
({1})
Denn diese ist das wesentliche Druckmittel bei U-HaftSachen, die zwar als Eilt-Sachen gelten, bei denen aber
nicht immer sichergestellt ist, dass wirklich etwas geschieht. Der Druck, den man mit der Sechsmonatsfrist
ausüben kann, damit solche Fälle in die entsprechenden
Listen aufgenommen und den jeweiligen Abteilungsund Behördenleitern vorgelegt werden, ist ungemein
heilsam. Ich glaube, dass er von einem Beschuldigten erwartet werden kann. Schließlich gilt die Unschuldsvermutung. Deshalb hat die Justiz alle Maßnahmen zu ergreifen, die möglichst schnell zu einem Ergebnis führen.
({2})
Ich denke, dass wir von diesem Prinzip nicht abweichen
sollten.
Deshalb sage ich mit Nachdruck: Wir sind durchaus
bereit, über den einen oder anderen Punkt nachzudenken. Wir sind aber nicht bereit, über das Gesamtpaket,
das der Bundesrat uns heute vorgelegt hat, zu diskutieren. Wir wollen, dass der Druck aufrechterhalten bleibt.
Das dient allen. Es dient der Rechtsstaatlichkeit der Justiz - das ist ein ganz wichtiges Gut -, aber es dient auch
den Beschuldigten, gegen die ja ein bestimmter Vorwurf
erhoben wird und die natürlich möchten, dass dies
schnellstmöglich geklärt wird, insbesondere wenn es
sich um einen erheblichen Vorwurf handelt. Von daher
lehnen wir den Entwurf des Bundesrates ab.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Erika Simm.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich bin dem Kollegen van Essen für das,
was er gesagt hat, dankbar. Es lässt erkennen, dass er
über reichhaltige Erfahrung auf diesem Gebiet verfügt.
Ich kann das nur unterstreichen.
Herr Kauder, bei Ihnen ist mir ein Hinweis darauf,
was Untersuchungshaft eigentlich ist, zu kurz gekommen. Untersuchungshaft ist Freiheitsentziehung,
({0})
und zwar gegenüber einem Menschen, der einer Tat verdächtig, aber dieser Tat noch nicht überführt ist und für
den zunächst einmal die Unschuldsvermutung gilt.
({1})
Infolgedessen ist Untersuchungshaft also einer der
denkbar schwersten Grundrechtseingriffe in Form der
Freiheitsentziehung. Deshalb sind in unserem Strafgesetzbuch und in der Strafprozessordnung die Voraussetzungen für die Verhängung der Untersuchungshaft sehr
eng gezogen. Wie Sie zu Recht gesagt haben, reicht
nicht ein einfacher Tatverdacht. Es muss ein dringender Tatverdacht sein, es müssen Haftgründe vorliegen
oder es muss sich um eine besonders schwere Tat handeln, die im Gesetz aufgeführt ist.
Es ist festzuhalten, dass Untersuchungshaft nur dem
Zweck der Sicherung und Durchführung des Strafverfahrens dient. Sie ist keine vorweggenommene Bestrafung. Wir brauchen sie; denn der schöne Spruch „Die
Nürnberger hängen keinen, es sei denn, sie hätten ihn“
gilt auch für das Strafverfahren.
Eine Menge rechtlicher Regelungen trägt der Tatsache Rechnung, dass es sich um eine gravierende Grundrechtseinschränkung handelt. So ist das Verfahren, in
dem Untersuchungshaft besteht, beschleunigt und vorrangig zu erledigen. Es gelten besondere Fristen. Nach
drei Monaten ist dem Verdächtigen ein Verteidiger zu
bestellen. Nach drei Monaten ist eine Haftprüfung
durchzuführen, wenn sie nicht schon von Amts wegen
stattgefunden hat. Rechtzeitig vor Ablauf der sechs Monate sind, wie Herr von Essen es beschrieben hat, die
Akten dem Oberlandesgericht vorzulegen.
Es gibt nur einen Grund, die U-Haft über sechs Monate hinaus zu verlängern, nämlich Umstände, die im
Verfahren liegen, wie Schwierigkeiten bei der Ermittlung oder wie der besondere Umfang der Ermittlungen;
die Schwere der Tat aber ist kein Grund. Auch bei einer
schweren Tat ist zunächst davon auszugehen, dass das
Ermittlungsverfahren binnen sechs Monaten erledigt und
Anklage erhoben wird. Das ist der Ausgangspunkt. Dieser Hinweis kommt mir bei Ihnen zu kurz.
({2})
Bei der Verhängung von Untersuchungshaft geht es
nicht um die Sicherung der Öffentlichkeit, sondern um
die zügige Durchführung eines Strafverfahrens. Wir haben zu berücksichtigen, dass wir den Verdächtigen inhaftiert und ihm die Freiheit genommen haben, ohne
dass dem ein Urteil zugrunde liegt. Das sind die Umstände, um die es hier geht und die bei Veränderungen
im Haftrecht zu beachten sind.
Ich bin auch der Meinung, dass wir dem Ansinnen des
Bundesrates nicht folgen können und nicht folgen sollten. Ich brauche die Gründe jetzt nicht in aller Breite
auszuführen; denn die Argumente sind hier genannt worden. Ich sehe deshalb keine sachliche Notwendigkeit dafür.
Herr van Essen hat völlig Recht.
({3})
- Das möchte ich jetzt nicht unterstreichen. Mir fällt die
eine oder andere Gelegenheit ein, bei der ich ihm nicht
Recht gegeben habe, aber in diesem Fall hat er Recht.
Nichts fördert ein Verfahren mehr als die zu führenden Listen, in denen die Haftsachen, die Wiedervorlagen
für Haftsachen und die Monatsstatistiken, in denen die
Haftsachen besonders ausgewiesen werden, zu verzeichnen sind. Der Druck durch die Pflicht zur Vorlage und
auch der Druck durch die Dreimonatsfrist sind schon gehörig. Hinzu kommen die Rückfragen des Gerichts,
wenn man die Klage auf den letzten Drücker einreicht.
Das alles hat schon seinen Sinn.
§ 453 c StPO - es geht um den so genannten Sicherungshaftbefehl - regelt die Möglichkeit, einen Menschen, der im Verdacht steht, in der Bewährungszeit wieder straffällig geworden zu sein, in Haft zu nehmen. Ich
weiß, dass es in der Praxis durchaus ein gewisses Bedürfnis gibt, nicht erst die Verurteilung abzuwarten, bis
jemand festgenommen werden kann. Dazu muss ich
ebenfalls sagen: Auch für Menschen, die schon einmal
straffällig geworden sind und unter Bewährungsaufsicht
stehen, gilt die Unschuldsvermutung.
({4})
- Das kann man so pauschal nicht sagen. Es kommt darauf an, wie hoch die ausgesetzte Freiheitsstrafe ist. Ich
sage Ihnen ganz ehrlich: Meine Jugendlichen haben den
Widerruf immer mit eingezogenem Kopf abgewartet.
Wir haben die Modalitäten, also wann und unter welchen
Bedingungen - Verzicht auf Einlegen von Rechtsmitteln
und Ähnliches - jemand einrückt, in aller Ruhe miteinander besprochen. In diesem Sinne ist die Angelegenheit
abgewickelt worden. Die Fälle, in denen man einen Sicherungshaftbefehl brauchte, waren in der Praxis sehr
selten; dieser Haftbefehl wird nicht sehr häufig angeordnet. Aber auch da gilt die Unschuldsvermutung.
Ich bin nicht Ihrer Meinung, dass man sich über die
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte locker vom Hocker hinwegsetzen
kann. Ich nehme das schon ernst. Da dieses Problem,
wie gesagt, nicht am häufigsten auftritt, können wir mit
dem vom Gesetz ausgewiesenen Zustand auch weiterhin
leben. Jedenfalls werden auch wir diesen Gesetzentwurf
des Bundesrates ablehnen.
({5})
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung der §§ 121 und 122
der Strafprozessordnung und weiterer Vorschriften. Der
Rechtsausschuss empfiehlt, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen
der CDU/CSU abgelehnt worden. Damit entfällt nach
unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Neuordnung der Reserve der Streitkräfte und zur Rechtsbereinigung des Wehrpflichtgesetzes ({0})
- Drucksache 15/4485 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses ({2})
- Drucksache 15/4872 Berichterstattung:
Abgeordnete Gerd Höfer
Ernst-Reinhard Beck ({3})
Die Abgeordneten Wegener, Beck ({4}),
Nachtwei, Daub und Pau haben gebeten, ihre Reden zu
Protokoll geben zu dürfen.1) - Mit Ihrer Zustimmung
verfahren wir so.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Streit-
1) Anlage 2
kräftereserve-Neuordnungsgesetzes. Der Verteidigungs-
ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/4872, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/
Die Grünen und FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU
angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Gesetz-
entwurf ist mit dem zuvor festgestellten Stimmenver-
hältnis angenommen worden.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
({5})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann
Scheer, Rolf Hempelmann, Dr. Axel Berg,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD sowie der Abgeordneten Hans-Josef Fell,
Michaele Hustedt, Volker Beck ({6}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Nationales Energieforschungsprogramm
vorlegen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Axel E.
Fischer ({7}), Katherina Reiche,
Thomas Rachel, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Energieforschung zukunftsfähig gestalten
- Drucksachen 15/4514, 15/4507, 15/4758 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Joachim Pfeiffer
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({8})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Ulrike Flach, Christoph Hartmann
({9}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Zukunftsorientierte Energieforschung - Fusionsforschung in Deutschland und Europa
vorantreiben
- zu dem Antrag der Abgeordneten Katherina
Reiche, Dr. Peter Paziorek, Thomas Rachel,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Unterstützung für eine Bewerbung des
Standortes Greifswald/Lubmin für den
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
ITER ({10})
- zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung
({11}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung
Technikfolgenabschätzung
hier: Monitoring „Kernfusion“
- Drucksachen 15/685, 15/929, 14/8959, 15/345
Nr. 75, 15/4866 Berichterstattung:
Abgeordnete Andrea Wicklein
Dr. Martin Mayer ({12})
Hellmut Königshaus
Die Abgeordneten Multhaupt, Obermeier, Fischer
({13}), Fell, Königshaus und der Parlamenta-
rische Staatssekretär Staffelt haben gebeten, ihre Reden
zu Protokoll geben zu dürfen.1) - Mit Ihrer Zustimmung
verfahren wir so.
Dann kommen wir zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und
Arbeit auf Drucksache 15/4758. Der Ausschuss emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung die Annahme des
Antrags der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 15/4514 mit dem Titel „Natio-
nales Energieforschungsprogramm vorlegen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenom-
men worden.
Des Weiteren empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 15/4507 mit dem Titel „Energieforschung
zukunftsfähig gestalten“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthal-
tungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen wor-
den.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 15/4866.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung, in Kenntnis des Berichts gemäß § 56 a der
Geschäftsordnung auf Drucksache 14/8959 mit dem
Titel „Technikfolgenabschätzung, hier: Monitoring
‚Kernfusion‘“ die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der FDP auf Drucksache 15/685 mit dem Titel „Zu-
kunftsorientierte Energieforschung - Fusionsforschung
in Deutschland und Europa vorantreiben“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Ge-
genstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die
1) Anlage 3
Grünen gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der
CDU/CSU angenommen worden.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss, in Kenntnis des
genannten Berichts den Antrag der Fraktion der CDU/
CSU auf Drucksache 15/929 mit dem Titel „Unterstützung für eine Bewerbung des Standortes Greifswald/
Lubmin für den ITER ({14})“ für erledigt zu erklären. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe. Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Werbung auf dem Gebiete des
Heilwesens
- Drucksache 15/4117 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und
Soziale Sicherung ({15})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Hierzu haben die Abgeordneten Volkmer, Reimann,
Bender, Parr und die Ministerin des Landes Baden-
Württemberg, Frau Gönner, gebeten, ihre Reden zu Pro-
tokoll geben zu dürfen.2) Sind Sie einverstanden? - Das
ist der Fall.
Es wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/4117 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge? Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({16}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe Küster,
Dirk Manzewski, Jörg Tauss, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Dr. Günter Krings, Dr. Norbert Röttgen,
Dr. Hans-Peter Uhl und der Fraktion der CDU/
CSU, der Abgeordneten Grietje Bettin, Jerzy
Montag, Volker Beck ({17}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Rainer
Funke, Dr. Karl Addicks, Daniel Bahr ({18}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Wettbewerb und Innovationsdynamik im Soft-
warebereich sichern - Patentierung von Com-
puterprogrammen effektiv begrenzen
- Drucksachen 15/4403, 15/4787 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dirk Manzewski
Dr. Günter Krings
Jerzy Montag
Rainer Funke
2) Anlage 4
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Hierzu haben die Abgeordneten Tauss, Manzewski,
Krings, Montag und Funke gebeten, ihre Reden zu Pro-
tokoll geben zu dürfen.1) - Sie sind wie ich einverstan-
den.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache
15/4787 zu dem interfraktionellen Antrag mit dem Titel
„Wettbewerb und Innovationsdynamik im Software-
bereich sichern - Patentierung von Computerprogram-
men effektiv begrenzen“. Der Ausschuss empfiehlt, den
Antrag anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen
worden.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Innenausschusses ({19}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas Strobl
({20}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Häftlingshilfestiftung erhalten und finanziell
ausreichend ausstatten
- Drucksachen 15/3763, 15/4873 Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Joachim Hacker
Hartmut Büttner ({21})
Dr. Max Stadler
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({22}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Günter Baumann,
Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Unterstützung für ehemalige politische Häft-
linge umgehend sicherstellen
- Drucksachen 15/1524, 15/3991 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Gerold Reichenbach
Günter Baumann
Dr. Max Stadler
Hierzu haben die Abgeordneten Hacker, Büttner,
Baumann, Stokar und Stadler gebeten, ihre Reden zu
Protokoll geben zu können.2) - Wir verfahren so. Wir
kommen nun zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Innenausschusses auf Drucksache 15/4873.
Der Ausschuss empfiehlt die Ablehnung des Antrags der
CDU/CSU auf Drucksache 15/3763. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen
1) Anlage 5
2) Anlage 6
die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen
worden.
Tagesordnungspunkt 17 b: Abstimmung über die
Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 15/3991. Der Ausschuss empfiehlt die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
15/1524 mit dem Titel „Unterstützung für ehemalige politische Häftlinge umgehend sicherstellen“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen
worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Neuordnung des Pfandbriefrechts
- Drucksachen 15/4321, 15/4487 ({23})
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({24})
- Drucksache 15/4878 Berichterstattung:
Abgeordnete Bernd Scheelen
Leo Dautzenberg
Kerstin Andreae
Carl-Ludwig Thiele
Die Abgeordneten Scheelen, Müller ({25}),
Dautzenberg, Andreae und Thiele bitten, ihre Reden zu
Protokoll zu nehmen.3) - Wir verfahren so.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuordnung des Pfandbriefrechts. Der Finanzausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4487, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. - Gibt
es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien
({26}) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk,
3) Anlage 7
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Thomas Strobl ({27}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Fototafeln zum 17. Juni 1953 erhalten
- Drucksachen 15/3800, 15/4186 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckhardt Barthel ({28})
Günter Nooke
Hans-Joachim Otto ({29})
Die Abgeordneten Barthel ({30}), Gewalt, Nooke,
Sowa und Otto ({31}) haben gebeten, ihre Reden zu
Protokoll geben zu dürfen.1) - Wir verfahren so. Wir
kommen gleich zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf
Drucksache 15/4186. Der Ausschuss empfiehlt, den An-
trag auf Drucksache 15/3800 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP
angenommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
1) Anlage 8
zur Änderung des Teledienstegesetzes ({32})
- Drucksache 15/4835 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({33})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Kultur und Medien
Die Abgeordneten Heil, Kelber, Krogmann, Höfken
und Funke haben gebeten, ihre Reden zu Protokoll zu
nehmen.2) - Wir verfahren so.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/4835 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 18. Februar 2005,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Bleiben Sie bitte gesund!