Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
({0})
- Ich begrüße Sie alle herzlich. Auf den Vorschlag zur
namentlichen Begrüßung aller erschienenen Kolleginnen
und Kollegen komme ich gegebenenfalls im Verlaufe der
Veranstaltung zurück.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema ihrer heutigen
Kabinettssitzung mitgeteilt: Bericht zum Stand der
Ausbildungsförderung nach § 35 Bundesausbildungsförderungsgesetz.
Das Wort für den einleitenden Kurzbericht hat die
Bundesministerin für Bildung und Forschung, Frau
Bulmahn.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der großen
BAföG-Reform im Jahre 2001 hat die rot-grüne Bundesregierung eine Erfolgsgeschichte auf den Weg gebracht.
Es ist uns gelungen, den jungen Menschen das Vertrauen
in die staatliche Ausbildungsförderung zurückzugeben.
Wir konnten mehr junge Menschen für ein Studium gewinnen und die Studienanfängerzahl seit 1998 von damals 27,7 Prozent auf 36,5 Prozent eines Jahrganges,
also um 9 Prozentpunkte, steigern. Die Zahl der Geförderten ist von 1998 bis 2003 von 341 000 auf 505 000
gestiegen. Die Gefördertenquote liegt damit bei 25,6 Prozent; das heißt, dass jeder vierte Student, der sich in der
Regelstudienzeit befindet, BAföG erhält.
Mehr als zwei Drittel der BAföG-Geförderten hätten
nach eigenen Angaben ohne BAföG nicht studieren können. Das unterstreicht den Stellenwert, den die Förderung für Studierende inzwischen erreicht hat. Insbesondere die mit der BAföG-Reform geschaffene Garantie,
dass auch bei Vollförderung niemand mehr als 10 000
Euro des Staatsdarlehens zurückzahlen muss, hat ganz
offensichtlich zur Akzeptanz des Fördersystems beigetragen. Das ist umso wichtiger, weil rund 47 Prozent der
durch BAföG Geförderten eine Höchstförderung, die so
genannte Vollförderung, erhalten.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir sind auf
gutem Weg, gerade Kinder aus den so genannten bildungsfernen Schichten an die Universität zu holen. Der
Anteil der Studierenden unter allen Kindern, deren Eltern über einen Hauptschulabschluss verfügen, hat sich
im Zeitraum von 2000 bis 2003 von 16 Prozent auf
21 Prozent erhöht;
({0})
das heißt, dass heute jeder fünfte aus dieser Gruppe studiert. Das heißt auch, dass die oft wiederholte Behauptung, es würde nicht gelingen, die Beteiligung der Kinder
aus so genannten bildungsfernen Familien an höheren
Bildungsabschlüssen zu verbessern, falsch ist. Es ist uns
mit der BAföG-Novelle gelungen, hier eine erhebliche
und deutlich spürbare Verbesserung zu erreichen. Die
Tatsache, dass inzwischen jeder fünfte aus dieser Gruppe
studiert, unterstreicht das sehr deutlich.
({1})
Die Verwirklichung von Chancengleichheit ist keine
leere Worthülse; sie ist möglich. Das zeigte die Umsetzung der BAföG-Reform. Zusätzlich zu den Erfolgen, die
wir durch die Studierendenförderung erreicht haben,
müssen wir bei der frühen Förderung unserer Kinder - sowohl im Kindergarten als auch in der Schule - noch konsequenter auf individuelle Förderung setzen, statt uns auf
Auslese zu konzentrieren.
Die erfolgreiche BAföG-Reform hat uns viel Geld gekostet. Ich meine, das ist eine gelungene Investition in
die Zukunft.
({2})
Wir haben die Ausgaben von 1998 bis 2003 von damals
1,2 Milliarden Euro auf jetzt 2,03 Milliarden Euro fast
verdoppelt. Das ist eine richtige und das ist eine notwendige Prioritätensetzung, die sich in der Sicherung eines
Redetext
qualifizierten Nachwuchses aus allen Bevölkerungsschichten auszahlen wird. Allerdings - das sehe ich mit
großer Sorge - hat der Anteil der Studierenden aus mittleren Bildungsschichten abgenommen. Das zeigt noch
einmal deutlich, dass es sehr wohl einen Zusammenhang
zwischen der finanziellen Situation der Familien und der
Aufnahme eines Studiums durch die Kinder gibt. Deshalb ist es notwendig und wichtig, dass wir Familien mit
mittlerem Einkommen, die zwei oder drei Kinder haben,
die studieren möchten, durch BAföG weiterhin die notwendige Unterstützung zur Aufnahme eines Studiums
geben.
Im Wettstreit um die soziale Abfederung von Studiengebühren und die Diskussion um Bankkredite wollen einige gleich das BAföG mit abschaffen, zum Beispiel
Hamburg. Ich sage ganz klar: Das BAföG bleibt.
({3})
Wir können nicht mit BAföG den Studienkredit für den
Sohn oder für die Tochter eines Arbeitgeberpräsidenten
absichern;
({4})
das ist den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern nicht
zuzumuten.
({5})
Die Bundesregierung setzt das Geld dort ein, wo es sozialpolitisch und bildungspolitisch dringend gebraucht
und sinnvoll verwendet wird. Wir können es nicht zulassen, dass sich die Studierenden aus bildungsfernen
Schichten, die zu gewinnen uns gerade gelungen ist, aus
Angst vor einem riesigen Schuldenberg von einem Studium abschrecken lassen.
({6})
Hinzu kommt, dass der Beginn der Rückzahlung mit der
Phase der Familiengründung zusammenfällt. Dabei wollen wir gerade alle unsere Kraft daransetzen, dass eine
größere Zahl junger Menschen dazu bereit ist, Kinder
aufzuziehen, und diese nicht als ein Problem ansieht.
Ich begrüße es, wenn sich Banken an der Bildungsfinanzierung beteiligen - keine Frage -, aber solche Bankkredite dienen nicht dem gleichen Ziel wie BAföG, sie
können BAföG nicht ersetzen. Deshalb dürfen sie
BAföG auch nicht ersetzen und deshalb wiederhole ich:
Das BAföG bleibt.
Vielen Dank.
({7})
Ich rufe nun zunächst Fragen zu dem Bericht der Ministerin auf. Zu Wort gemeldet hat sich zunächst die
Kollegin Berg.
Frau Ministerin, Sie haben eben eindrucksvoll dargestellt, dass mit der BAföG-Reform der Anteil der Studierenden aus Elternhäusern, die als bildungsfern einzustufen sind, deutlich zugenommen hat. In diesem
Zusammenhang wollte ich Ihnen eigentlich die Frage
stellen, wie Sie zu dem BDA-Modell stehen, aber dazu
haben Sie eben schon einige Ausführungen gemacht.
Deshalb schließe ich eine andere Frage an, die ein bisschen mehr Detailcharakter hat: Lassen sich anhand der
BAföG-Daten Aussagen zur Entwicklung der Altersstruktur der Studierenden insgesamt machen? Gab es da
in den letzten Jahren irgendwelche Veränderungen?
Wir können feststellen, dass das Durchschnittsalter
inzwischen gesunken ist. Das ist sehr erfreulich, da es
insbesondere unser Ziel war, dass Kinder aus einkommensschwächeren Familien ihr Studium nicht durch einen umfangreichen und sehr zeitintensiven Job verlängern müssen. Das ist uns ganz offensichtlich gelungen,
da die Studienzeiten kürzer sind. Das durchschnittliche
Alter der Studierenden liegt inzwischen deutlich unter
26 Jahren. Sie wissen, dass es vor einigen Jahren noch
deutlich höher lag.
Frau Kollegin Dominke.
Frau Ministerin, Sie haben eben dargelegt, dass es
eine Erfolgsgeschichte sei, dass die Zahl der BAföGEmpfängerinnen und BAföG-Empfänger im Vergleich
zum letzten Bericht gestiegen ist. Ich glaube, es gibt hier
niemanden, der das BAföG als solches nicht als ein Erfolgsmodell bezeichnet. Wir alle waren 2001 ja an der
Reform beteiligt.
Nun findet sich aber weder in Ihrem Bericht noch in
Ihrem Vortrag ein Wort darüber, dass die steigende Anzahl an Empfängerinnen und Empfänger nicht nur darauf
beruht, dass mehr studieren oder die BAföG-Grenzen
verändert wurden. Wie stehen Sie zu der sich aufdrängenden Vermutung, dass die allgemeine Verarmung und
die damit verbundenen niedrigen Familieneinkommen in
unserem Land dazu führen, dass immer mehr Studierende und Schülerinnen und Schüler bedürftig werden?
Schauen Sie es sich an: Die Schülerzahlen sind weiterhin
rückläufig, trotzdem steigt die Zahl der Empfängerinnen
und Empfänger. Deshalb spricht vieles dafür, dass es andere Ursachen gibt als die, die Sie als Erfolg darstellen.
Die empirischen Untersuchungen zeigen etwas anderes.
({0})
Sie zeigen insbesondere, dass es uns gelungen ist, Kinder aus den so genannten bildungsfernen Schichten an
die Universitäten zu holen.
Ich habe vorhin darauf hingewiesen, dass sich der Anteil der Studierenden an allen Kindern, deren Eltern nur
über einen Hauptschulabschluss verfügen - das ist die
Definition der so genannten bildungsfernen Schichten -,
im Zeitraum von 2000 bis 2003 von 16 auf 21 Prozent
erhöht hat.
({1})
Das zeigt sehr klar, dass die Erhöhung der Studierendenquote insgesamt zu einem erheblichen Anteil darauf zurückzuführen ist. Es ist uns also wirklich gelungen, Studierende aus bildungsferneren Familien für ein Studium
zu gewinnen und an die Hochschulen zu holen.
Die Hürde, die es in den 90er-Jahren ganz offensichtlich gab - der Anteil war damals ja noch erheblich niedriger -, haben wir beiseite geräumt. Dadurch haben wir
die Möglichkeit dieser Kinder und Jugendlichen, mehr
Bildung zu erwerben und höhere Bildungsabschlüsse zu
erlangen, deutlich erhöht. Das ist der eigentliche Erfolg
der BAföG-Reform. Im Gegensatz zu der oft aufgestellten Behauptung - ich habe das vorhin bereits gesagt -,
dass es nicht gelingt und nicht möglich ist, ist es uns tatsächlich gelungen. Das zeigt auch die Empirie. Sie unterstreicht, wie wichtig es war, diese BAföG-Reform
durchzuführen, und wie wichtig es ist, dass es das
BAföG auch weiterhin geben wird.
Deshalb habe ich vorhin auch gesagt, dass ich kein
Verständnis für die Vorschläge aus Hamburg oder auch
des BDA habe, die im Klartext bedeuten, dass es kein
BAföG mehr geben soll. Das würde heißen, diesen Jugendlichen den Zugang wieder zu versperren und wieder
hohe Hürden aufzubauen. Das werden wir nicht tun.
({2})
Kollege Tauss.
Frau Ministerin, Sie haben mir das Stichwort geliefert. Neben den unionsgeführten Ländern fordern insbesondere die Arbeitgeberverbände die Einführung von
Studentensteuern und Intelligenzabgaben. Dies soll gemäß dem BDA-Modell nicht nur durch das BAföG, sondern auch durch das Kindergeld finanziert werden. Mich
würde interessieren, wie man sich dazu stellt und ob dies
überhaupt verfassungskonform ist.
Daneben würde mich interessieren, ob Sie ergänzend
zu den geführten BAföG-Debatten Vorschläge der Wirtschaft kennen, mehr Stipendien für Studierende in
Deutschland bereitzustellen, wodurch sie insgesamt eine
höhere finanzielle Verantwortung für die deutschen Universitäten übernehmen würde, wie dies in anderen Ländern bereits der Fall ist.
Ich fange einmal mit dem zweiten Teil der Frage an,
nämlich ob ich es für richtig und sinnvoll halte, dass die
Wirtschaft mehr Stipendien zur Verfügung stellt. Diese
Frage beantworte ich ausdrücklich mit Ja. Die Wirtschaft
sollte sehr zügig und konsequent endlich mehr Stipendien zur Verfügung stellen. Sie profitiert in einem hohen
Maße von der Ausbildung an den Hochschulen. Sie
sollte sich stärker in die Verantwortung genommen fühlen und in einer wirklich nennenswerten Zahl Stipendien
zur Verfügung stellen. Das ist bisher leider nicht der Fall.
Zu dem ersten Teil Ihrer Frage: Wenn man dem Gedanken folgt, Kindergeld und Kinderfreibetrag nicht
mehr den Familien zukommen zu lassen, dann kann man
das nur machen, indem man das Unterhaltsrecht insgesamt ändert. Dies hätte eine klare Veränderung in unserer ganzen Sozialgesetzgebung zur Folge. Von daher ist
das nicht allein ein bildungspolitisches Thema. Vielmehr
wäre dies nur möglich, wenn alle Länder dazu Ja sagten.
Darüber hinaus muss man dies unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten prüfen, weil das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, dass Familien mit Kindern
gegenüber Familien ohne Kinder besser gestellt werden
sollen.
Ich sage ausdrücklich: Es wäre rechtlich nicht möglich, dass man nur einen Teil anders gestaltet, sondern
das ganze Unterhaltsrecht muss mit allen Konsequenzen
verändert werden, die jedem hier im Raum bekannt sind.
Das heißt, dass dann die gegenseitigen Unterhaltsansprüche zwischen Kindern und Eltern insgesamt verändert werden müssten, und zwar nicht nur für die Dauer
der Ausbildung, sondern generell. Deshalb ist das Ganze
- kurz gesagt - etwas komplizierter und schwieriger, als
sich das die BDA vielleicht vorstellt.
Kollege Bergner.
Frau Ministerin, mir fällt auf, dass weder in Ihrer
Presseerklärung noch in Ihrem Bericht hier die Frage angesprochen wurde, die die betroffenen Zuwendungsempfänger vermutlich am meisten interessieren wird, nämlich die Frage der Anpassung der Freibeträge und
Bedarfssätze. Bereits im 15. Bericht wurde eine Steigerung um 3 Prozent vorgeschlagen, die aber nicht realisiert wurde, und zwar - das sage ich ausdrücklich - mit
dem zähneknirschenden Einverständnis der Opposition.
Nun liegt - wenn ich es richtig sehe - ein Vorschlag zur
Steigerung der Bedarfssätze um 3,5 Prozent und der
Freibeträge um 4,5 Prozent vor.
Es ist nicht nur für mich, sondern auch für die Betroffenen außerordentlich interessant, die Haltung der Bundesregierung zu diesem Vorschlag zu kennen. Ich weiß,
dass es dazu noch einer Abstimmung mit den Ländern
bedarf. Aber ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung mit bestimmten Vorstellungen in die Verhandlungen gehen wird. Da dies Gegenstand der Kabinettsberatungen gewesen ist, möchte ich gerne die
Verhandlungsposition der Bundesregierung unter Einbeziehung der Einstellung des Bundesfinanzministers zu
dieser Frage in Erfahrung bringen.
Wir müssen sehen, dass wir mit der grundlegenden
BAföG-Reform im Jahr 2001 eine ganz erhebliche Erhöhung sowohl der Einkommensgrenzen als auch der Bedarfssätze haben erreichen können, die sich seitdem in
derselben Größenordnung wie auch die unterhaltsrechtlichen Regelsätze nach der so genannten Düsseldorfer Tabelle bewegen. Das ist die Grundlage - Herr Bergner,
das wissen Sie - für die Festlegung der Sätze.
Mit der BAföG-Reform haben wir auch das Kindergeld anrechnungsfrei gestellt. Das heißt, das Kindergeld
wird nicht mehr wie bisher mit dem BAföG verrechnet,
wie es noch unter Ihrer Regierung der Fall war. Wir hingegen stellen das Kindergeld nicht mehr in Anrechnung.
Es kommt also den Familien in vollem Umfang zugute,
sodass Familien für Kinder, die studieren, bei einer Vollförderung 750 Euro als Unterstützung erhalten. Damit
stellen sich die Familien erheblich besser, sodass es dadurch nicht zu Bedarfsunterdeckungen kommt, die uns
bildungspolitisch Sorgen bereiten müssten.
Ich will aber auch ganz deutlich sagen, dass wir die
Frage der Angemessenheit der Bedarfssätze sorgfältig
im Blick behalten und gegensteuern werden, wenn dies
erforderlich ist. Insofern teile ich die vom BAföG-Beirat
abgegebene Stellungnahme uneingeschränkt, dass wir
keinen schleichenden Niedergang eröffnen dürfen, wie
ihn die frühere Bundesregierung jahrelang zugelassen
hat.
Aber die Bedarfssatzvorschläge halten Sie für nicht
relevant?
Ich habe vorhin darauf hingewiesen, dass die so genannte Düsseldorfer Tabelle die Grundlage dafür darstellt und dass sich die Sätze, die ich eben beschrieben
habe, nach der Düsseldorfer Tabelle richten und in derselben Größenordnung bewegen.
Herr Kollege Rossmann.
Frau Ministerin, bei der großen BAföG-Reform, die
wir vor einigen Jahren auf unsere Initiative hin gemacht
haben, gab es drei wesentliche Elemente: einmal das
Kindergeld, das jetzt voll an die BAföG-Berechtigten
fällt, dann die Wiedereinführung des Zuschusses, der
nach meiner Erinnerung unter der alten Regierung weggefallen war, und die Obergrenze beim Darlehen. Wenn
Sie diese Elemente zu der im BAföG-Bericht genannten
Entwicklung der Zahlen der Geförderten in Beziehung
setzen, wie sind dann diese Elemente Ihrer Meinung
nach in Bezug auf die Studienmotivation einzuschätzen?
Was bedeutet das vor dem Hintergrund einer ins Endlose
gehenden Darlehensschuld, die mittlerweile für Studierende als zumutbar angesehen wird? Können Sie dazu
eine Einschätzung vor dem Hintergrund dessen geben,
was Sie aus der Studierendenschaft und von Bildungsforschern aus anderen Ländern dazu hören?
Ich habe jetzt leider keine Power-Point-Präsentation
oder einen Projektor zur Verfügung, ich möchte Ihnen
aber eine Grafik zeigen. Diese zeigt eindrücklich, dass
sich die Zahl der Studienanfänger zu dem Zeitpunkt
nach oben entwickelt hat, als das BAföG reformiert
wurde.
({0})
Wir haben eine klare Korrelation zwischen der Erhöhung der Zahl der Studienanfänger und der BAföG-Reform. Im Jahre 2001 ging es richtig los. Die Zahl der
Studienanfänger steigt ebenso wie die Zahl der durch
BAföG Geförderten. Es gibt also einen klaren Zusammenhang zwischen BAföG-Reform und der Steigerung
der Studierendenzahlen. So viel zum ersten Punkt.
Zweitens. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen,
dass wir mit dieser Reform eigentlich drei Dinge erreicht
haben: Wir haben erstens die Vollförderung, das heißt
den Satz, erheblich erhöht. Diese beläuft sich jetzt einschließlich Kindergeld auf 750 Euro monatlich. Das ist
sicherlich keine üppige Ausstattung, aber eine Ausstattung, mit der man seinen Lebensunterhalt während des
Studiums finanzieren kann.
Zweitens haben wir die Verschuldung begrenzt. Das
ist deshalb so wichtig, weil BAföG zur Hälfte als Zuschuss gegeben wird und zur anderen Hälfte als Darlehen. Das ist ein zinsgünstiges Darlehen, wobei die vergünstigten Zinsen ebenfalls durch Steuermittel finanziert
werden. Vor der Reform häuften diejenigen, die eine
Vollförderung erhielten, Schulden in Höhe von
30 000 bis 35 000 Euro bis zum Abschluss des Studiums
an. Das wollten wir ändern. Deswegen haben wir die
Schulden gedeckelt. Man zahlt also jetzt auch bei einer
Vollförderung höchstens 10 000 Euro nach dem Studium
zurück. Diese Kombination hat offensichtlich dazu geführt, dass die Akzeptanz deutlich gestiegen ist. Es ist
uns damit wirklich gelungen, Studierende aus den bildungsfernen Schichten zu erreichen. Sonst wäre es uns,
fürchte ich, nicht gelungen, eine Steigerung von 16 auf
21 Prozent innerhalb von drei Jahren zu erreichen. Das
ist ein deutlicher Fortschritt. Es gibt die klare Korrelation zwischen diesen Reformschritten im Rahmen der
BAföG-Gesetzgebung und den Ergebnissen, die ich Ihnen heute vorgestellt habe.
Last, not least will ich darauf hinweisen, dass sich
dieses positiv auf die Senkung des durchschnittlichen
Alters der Studierenden auswirkt. Über 80 Prozent der
Studierenden sind jetzt jünger als 26 Jahre. Das war eine
der Zielsetzungen, die wir mit der Reform erreichen
wollten.
Frau Kollegin Reiche.
Frau Ministerin, Sie haben der Kollegin Dominke widersprochen, die einen Zusammenhang zwischen der zunehmenden Armut in diesem Land und der steigenden
Zahl von BAföG-Beziehern festgestellt hat. Hinsichtlich
der überplanmäßigen Ausgabe für das Schüler-BAföG in
Höhe von 42 Millionen Euro im Jahr 2004 hat die Bundesregierung zugegeben, dass diese Ausgabe notwendig
wurde, weil die wirtschaftliche Lage im Land so
schlecht ist. Ich frage mich, warum etwas, das für das
Schüler-BAföG gilt, nicht auch für das BAföG für Studierende gelten soll.
Auch die KfW hat zusätzlichen Kreditbedarf von
BAföG-Empfängern für die Finanzierung des Lebensunterhalts festgestellt. Die KfW wird in Kürze ein entsprechendes Finanzierungsmodell vorstellen. Ich frage
Sie, wie Sie dieses Modell beurteilen.
Zunächst zu dem ersten Teil Ihrer Frage, Frau Kollegin: Die Ausgangssituation ist beim Schüler-BAföG anders als beim BAföG für Studierende. Es ist richtig, dass
der Bedarf an Schüler-BAföG sehr stark gestiegen ist.
Das ist darauf zurückzuführen, dass viele junge Leute,
die eine berufliche Ausbildung absolvieren wollten, in
den vergangenen Jahren keinen betrieblichen Ausbildungsplatz gefunden - wir haben den Pakt für Ausbildung geschlossen, um die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze zu erhöhen - und sich aus diesem Grund für
eine vollzeitschulische Maßnahme bzw. Berufsausbildung entschieden haben. Das ist auch richtig und vernünftig; denn eine vollzeitschulische Berufsausbildung
ist immer noch besser als gar keine Berufsausbildung.
Insofern liegt die Ursache für den Anstieg des Bedarfs an Schüler-BAföG in der nicht ausreichenden Zahl
der betrieblichen Ausbildungsplätze. Deshalb habe ich
im Parlament auch immer wieder die Wirtschaft aufgefordert, in größerer Zahl betriebliche Ausbildungsplätze
zur Verfügung zu stellen, und zwar nicht nur deshalb,
weil wir andernfalls das BAföG für die betroffenen Jugendlichen aus Steuermitteln aufbringen müssen, sondern auch, weil ich zutiefst davon überzeugt bin, dass
eine betriebliche Ausbildung sehr viele Vorzüge hat.
Ich hoffe von daher, dass wir in den kommenden Jahren mit einer gemeinsamen Anstrengung erreichen können, dass sich die Schüler nicht mehr aus Mangel an
betrieblichen Ausbildungsplätzen für eine vollzeitschulische Maßnahme bzw. Ausbildung entscheiden, sondern
nur dann, wenn sie dies wirklich wollen und für den geeigneten Ausbildungsweg halten.
Insofern ist eine Unterscheidung vorzunehmen: Bei
den Schülerinnen und Schülern liegen andere Gründe für
die Steigerung des BAföG-Anteils als bei den Studierenden vor. Ich wiederhole: Es besteht ein klarer Zusammenhang zwischen der Steigerung der Zahl der Studierenden aus den bildungsfernen Schichten von 16 Prozent
auf 21 Prozent - eine solche Steigerung hat es seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben - und den gestiegenen
BAföG-Zahlungen, die wir für die Studierenden leisten
müssen. Dazu sage ich deutlich: Wir tätigen damit eine
wichtige und sinnvolle Investition; denn in der Vergangenheit wurde das Bildungspotenzial dieser Jugendlichen nicht ausgeschöpft. Sie wurden vielmehr ausgegrenzt und hatten erhebliche Probleme. Dass wir dies
geändert haben, war richtig und notwendig.
Ich komme zum zweiten Teil Ihrer Frage. Sie haben
gefragt, was ich von dem KfW-Modell halte. Ein Bildungskredit, der vonseiten der Banken zur Verfügung
gestellt wird, ersetzt nicht das BAföG. Deshalb wiederhole ich: Das BAföG bleibt. Ein Bildungskredit, der von
Studierenden in Anspruch genommen wird, hat zur
Folge, dass er von diesen mit Zins und Zinseszinsen zurückgezahlt werden muss. Das heißt, je nachdem, wie
hoch der Zinsfuß ist - das wissen wir jetzt noch nicht;
zurzeit sind die Zinsen niedrig, aber das kann in drei
oder vier Jahren wieder anders aussehen -, ändert sich
auch die Schuldenlast. Lassen Sie mich ein Rechenbeispiel zugrunde legen. Wenn ein Bildungskredit in Anspruch genommen wird, der der derzeitigen Vollförderung des BAföGs entsprechen würde - die KfW geht
von 650 Euro aus -, dann müssten die Studierenden bei
einer Rückzahlungshöhe von 200 Euro monatlich
schließlich 90 000 Euro zurückzahlen. Ich denke, das
macht deutlich, mit welcher finanziellen Belastung ein
solcher Kredit verbunden wäre.
Bei höheren monatlichen Rückzahlungsraten als
200 Euro muss berücksichtigt werden, dass zum Beispiel
wissenschaftliche Mitarbeiter, die in der Regel in
BAT II a eingruppiert sind, zurzeit ein Nettoeinkommen
von ungefähr 1 500 Euro haben.
Von diesem Einkommen müssten monatlich 200 Euro
als Rückzahlungsbetrag subtrahiert werden, und das in
einer Phase, in der nach unserem Willen Familien gegründet werden sollen. Angesichts dessen glaube ich
nicht, dass ein viel höherer Rückzahlungsbetrag möglich
ist. Dieses Beispiel zeigt meiner Meinung nach ausdrücklich, dass ein solcher Bildungskredit das BAföG
nicht ersetzen kann, sondern höchstens ein zusätzliches
Angebot an diejenigen sein kann, die bereit sind, den
später auf sie zukommenden finanziellen Verpflichtungen nachzukommen. Ich bin zwar nicht generell gegen
Bildungskredite. Aber man muss den Jugendlichen vorher klar sagen, was sie erwartet, wenn sie ein solches
Angebot in Anspruch nehmen.
Ich habe mir notiert, dass Frau Dr. Lötzsch, Frau
Berg, Herr Dr. Rossmann, Herr Dr. Bergner, Frau
Dominke, Herr Fischer und Herr Schummer Fragen stellen wollen. Wenn das in der nach unserer Geschäftsordnung verfügbaren Zeit nur halbwegs abgewickelt werden
soll, dann müssen sowohl die Fragen als auch die Antworten etwas kürzer ausfallen.
Frau Dr. Lötzsch.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Ministerin, Sie
erwähnten in Ihrem Vortrag das Wort „Studiengebühren“. Sie wissen, dass wir als PDS Ihre Position betreffend das Verbot von Studiengebühren unterstützen. Ich
gehe davon aus, dass Sie auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes an Ihrer Position festhalten.
Mich interessiert, welche Pläne und Strategien Sie auch
weiterhin gegen die Einführung von Studiengebühren
verfolgen.
Frau Kollegin, das Bundesverfassungsgericht hat ja
ausdrücklich festgestellt, dass der Bund nicht regeln
darf, ob Studiengebühren erhoben werden oder nicht.
Damit kann die Bundesregierung in dieser Frage nicht
regelnd tätig werden. Das liegt nun allein in der Hand
der Bundesländer. Sie wissen sicherlich ebenfalls, dass
die SPD-regierten Bundesländer erklärt haben, an einem
gebührenfreien Erststudium festzuhalten - das unterstütze ich ausdrücklich -, und zwar entweder in Form
von Studienkontenmodellen oder durch eine generelle
Regelung. Aufseiten der unionsregierten Bundesländer
gibt es eine Mehrheit, die sich für die Einführung von
Studiengebühren ausspricht. Einige dieser Bundesländer
haben allerdings die Einführung von Studiengebühren,
die sie für 2005/06 angekündigt hatten, um ein Jahr verschoben. Das gibt Anlass zu der Hoffnung, dass sich
diese Bundesländer das vielleicht noch überlegen werden. Mehr will ich dazu nicht sagen.
Frau Dominke.
Frau Ministerin, ich möchte noch einmal auf das
Thema Anpassung der Bedarfssätze zurückkommen. Sie
haben in Ihrem aktuellen Bericht einen Anpassungsbedarf in Höhe von 6,5 Prozent und in Ihrem Bericht von
vor zwei Jahren einen Anpassungsbedarf in Höhe von
3 Prozent - das ist in den 6,5 Prozent schon kumuliert festgestellt. Während Sie in Ihrem letzten Bericht noch
festgestellt haben, dass es die Bundesregierung weiterhin für richtig und grundsätzlich für notwendig hält,
durch zeitnahe und regelmäßige Anpassungen zu reagieren, fehlt in Ihrem aktuellen Bericht eine entsprechende
Feststellung. Sie begründen nun den Verzicht - anders
als vor zwei Jahren, als auf die mangelnden Steuereinnahmen hingewiesen wurde - mit dem Hinweis auf die
Haushaltskonsolidierung und auf Hartz IV. Darf ich das
so verstehen, dass Sie nach nunmehr fünf Jahren das
Postulat der zeitnahen und regelmäßigen Anpassung aufgegeben haben?
Das dürfen Sie so nicht verstehen; denn es ist und war
nicht von einer losgelösten zeitnahen Anpassung die
Rede, auch nicht in dem Bericht. Vielmehr hängt die
Entwicklung der Sätze, und zwar sowohl bei den Einkommensgrenzen als auch beim BAföG selber, immer
von der Entwicklung der Lebenshaltungskosten und der
generellen Einkommensentwicklung ab. Deshalb habe
ich vorhin ausdrücklich gesagt, dass wir die Frage nach
der Angemessenheit der Bedarfssätze sorgfältig im Blick
behalten und gegensteuern werden, wenn dies erforderlich erscheint.
Ich habe ebenfalls darauf hingewiesen, dass wir mit
der grundlegenden BAföG-Reform 2001 eine erhebliche
Steigerung der Bedarfssätze haben erreichen können, die
sich seitdem in der gleichen Größenordnung bewegen
wie die unterhaltsrechtlichen Regelsätze nach der so genannten Düsseldorfer Tabelle. Deshalb haben wir nun
auf eine Erhöhung verzichtet. Ich sage aber noch einmal:
Wir werden natürlich die Entwicklung sehr sorgfältig im
Auge behalten; denn ich werde keinen schleichenden
Niedergang mitmachen, wie wir ihn leider in den 90erJahren unter Ihrer Bundesregierung erleben mussten.
Frau Kollegin Berg.
Herr Präsident, ich halte mich an das, was Sie gefordert haben: Ich stelle eine ganz kurze Frage.
Das habe ich empfohlen.
Empfohlen oder gefordert: Ich habe das als eine Forderung aufgefasst.
Zum 1. Mai letzten Jahres sind zehn neue Mitgliedstaaten in die EU gekommen. Meine kurze Frage an die
Ministerin lautet: Wie schätzen Sie die Auswirkungen
auf die BAföG-Zahlungen ein?
Ich will zunächst einmal darauf hinweisen, dass auch
die Zahl der BAföG-Geförderten, die einen Teil ihres
Studiums im Ausland verbringen, angestiegen ist.
({0})
Ich glaube, das finden wir gemeinsam sehr erfreulich;
schließlich ist es eine unserer Zielsetzungen, dass junge
Studierende einen Teil ihres Studiums im Ausland absolvieren. Die Zahl der Geförderten ist von 2000 auf 2003
um rund 46 Prozent gestiegen. Das macht deutlich, dass
die BAföG-geförderten Auszubildenden die verbesserten Möglichkeiten für ein Studium im Ausland in Anspruch nehmen.
Bereits vor der EU-Osterweiterung wurden in
Deutschland 8 287 Auszubildende gefördert, die aus den
neu aufgenommenen Mitgliedstaaten stammen. Die
meisten von ihnen haben die polnische Staatsangehörigkeit. Die EU-rechtlich zwingende Förderungsgleichstellung mit deutschen Auszubildenden knüpft an das
Freizügigkeitsrecht von Wanderarbeitnehmern bzw. von
Kindern von Wanderarbeitnehmern an. Keineswegs
muss jeder EU-Bürger ohne weitere Voraussetzung gefördert werden wie ein Deutscher. Die Gefördertenzahlen - und der zu erwartende Anstieg - werden aber erst
dann genau zu messen sein, wenn die Bürger aus den
Beitrittsstaaten in sechs Jahren das volle Arbeitnehmerfreizügigkeitsrecht erwerben. Das heißt, erst dann kann
ich auf Ihre Frage genauer antworten.
Ich will aber noch darauf hinweisen, dass ich diese
Frage sowohl in Gesprächen mit Abgeordneten des
Europäischen Parlamentes als auch mit dem zuständigen
EU-Kommissar erörtert habe. Derzeit steht noch eine
grundlegende EuGH-Entscheidung dazu aus, ob Förderansprüche unabhängig von der Freizügigkeit von Wanderarbeitnehmern unmittelbar aus der Unionsbürgerschaft abgeleitet werden können. Wäre das die
Rechtsprechung, dann hätte das weit reichende Folgen,
auch für unsere BAföG-Gesetzgebung.
Herr Bergner.
Frau Minister, mir fällt auf, dass Sie den Anstieg der
Studierendenzahlen in einer sehr selbstgefälligen Weise
interpretieren.
({0})
Deshalb möchte ich fragen, welche Rolle bei Ihren Analysen der Umstand spielt, dass wir es gerade bei Studienfächern, die ausgesprochen zukunftsbedeutsam sind, mit
einer großen Zahl von zulassungsbeschränkten Studiengängen zu tun haben. Weist dieser Umstand nicht darauf
hin, dass wir eventuell falsche finanzielle Anreize in Bezug auf diejenigen Studienbereiche gegeben haben, die
die größte Ausbildungsrendite im Hinblick auf den Arbeitsmarkt versprechen? Müssten Sie vor diesem Hintergrund nicht bereit sein, über intelligente Methoden der
Beteiligung an den Studienkosten etwas vorurteilsfreier
zu sprechen, als Sie es in Ihren bisherigen Einlassungen
getan haben?
Herr Bergner, der Anteil der Kinder aus so genannten
bildungsferneren Schichten, die ein Studium aufnehmen,
ist durch die BAföG-Reform innerhalb von drei Jahren
von 16 Prozent auf 21 Prozent gestiegen.
({0})
- Studierende aus so genannten bildungsferneren
Schichten kommen aus Familien, in denen die Eltern einen Hauptschulabschluss haben. Das ist genau definiert,
Herr Bergner. Das haben nicht wir definiert, sondern die
Wissenschaft.
({1})
- Wenn ich das einmal so sagen darf - sonst tue ich das
nicht -: Was Sie da erzählen, ist Unsinn; Herr Bergner,
was Sie eben gesagt haben, ist einfach unzutreffend.
({2})
Diese Definition ist von Wissenschaftlern formuliert
worden.
({3})
Wenn Sie, Herr Bergner, verkennen und verleugnen,
dass es in unserem Land einen Zusammenhang zwischen
Bildungschancen und sozialer Herkunft gibt, dann ignorieren Sie sämtliche empirischen Untersuchungen und
das sollte zumindest ein Wissenschafts- und Forschungspolitiker nicht tun.
({4})
Sämtliche empirischen Untersuchungen zeigen ganz
ausdrücklich, dass in unserem Land der Zusammenhang
zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen so
stark ist wie in keinem anderen Land. Deshalb ist es
wichtig, festzustellen zu können, dass es uns durch die
Setzung von guten Rahmenbedingungen jetzt endlich
zumindest bei den Studierenden gelungen ist, dieses
große Problem deutlich zu entschärfen und den Anteil
der Studierenden aus bildungsfernen Schichten zu erhöhen. Das war, finde ich, mehr als überfällig.
({5})
Wenn Sie das als selbstherrlich bezeichnen, dann kann
ich das offen gesagt nicht nachvollziehen, Herr Bergner.
({6})
Ich finde, dass das eine gemeinsame gesellschaftspolitische Aufgabe ist, die die CDU/CSU genauso hat wie
die SPD, das Bündnis 90/Die Grünen, die FDP und die
Vertreterinnen der PDS im Deutschen Bundestag. Zumindest meiner Meinung nach sollte sich niemand hier
- um das einmal klar und deutlich zu sagen - dieser Aufgabe und dieser Verantwortung entziehen.
Mit diesem schönen Disput sind wir am Ende der Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 15/4816 Ich werde die Geschäftsbereiche in der ausgedruckten
Reihenfolge aufrufen und die eingereichten Fragen beantworten lassen.
Die Frage 1 des Kollegen Günter Nooke zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
steht der Parlamentarische Staatssekretär Wagner zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Nolting auf:
Will die Bundesregierung nach wie vor an der Beschaffung von MEADS - Medium Extended Air Defense System festhalten und, wenn ja, wann ist mit der Beschaffungsvorlage
zu rechnen?
Herr Präsident! Herr Kollege Nolting, die Bundesregierung hält an der beabsichtigten Realisierung des
Luftverteidigungssystems MEADS zusammen mit Italien und den Vereinigten Staaten von Amerika fest.
Zur weiteren Befassung des Parlaments ist entsprechend dem phasenweisen Vorgehen zunächst eine so genannte 25-Millionen-Euro-Vorlage zur Entwicklung von
MEADS - nicht zur Beschaffung - vorgesehen. Die Zuleitung der Entwicklungsvorlage an die Ausschüsse des
Deutschen Bundestages soll so erfolgen, dass eine Behandlung in der zehnten Kalenderwoche dieses Jahres
ermöglicht wird. Sie wissen, dass wir bis zum 26. März
dieses Jahres erklären müssen, ob wir uns an der Entwicklung von MEADS beteiligen. Mit einer Beschaffungsvorlage MEADS ist erst zum Ende dieses Jahrzehnts zu rechnen, frühestens 2009, soweit die zu
erwartenden Entwicklungsergebnisse dies rechtfertigen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben den Kostenrahmen angesprochen. Können Sie denn schon etwas zu den Beschaffungskosten sagen? Es gibt ja Meldungen in der
Presse, nach denen sich der Kostenrahmen zwischen
3,5 und 10 Milliarden Euro bewegt.
Herr Kollege, darüber wird sehr viel spekuliert. Die
illustresten Gutachten werden abgegeben. In der Tat
schwanken die Angaben zwischen 2,5 und 10 Milliarden
Euro. Alle Zahlen sind unzulänglich; solange im Zuge
der Entwicklung nicht festgestellt worden ist, ob sich das
System überhaupt rechnet, kann auch über die Größenordnungen der für die Beschaffung notwendigen Summen nichts gesagt werden.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist denn gewährleistet oder sicher,
dass alle beteiligten Nationen an dem Projekt festhalten?
Die Vereinigten Staaten und Italien als die beiden anderen Partner haben erklärt, dass sie dann, wenn sich
Deutschland nicht beteiligen sollte oder die bis zum
26. März dieses Jahres gesetzte Frist versäumt wird,
bilateral weiterentwickeln und auch zur Beschaffung
kommen werden.
Zusatzfrage, Kollege Rose.
Herr Staatssekretär, da das Thema MEADS schon uralt ist und ich mich jetzt fast wundere, dass das Projekt
immer noch nicht in die Praxis umgesetzt wurde, Sie
also noch mitten in der Planungs- oder Überlegungsphase sind, die Fristen aber ablaufen, frage ich Sie: Können Sie denn sagen, ob die Bundesregierung überhaupt
noch ein Interesse daran hat, das in die Praxis umzusetzen?
Das Interesse, Herr Kollege, ist seit Ihrer Zeit im
Bundesverteidigungsministerium ungeschmälert vorhanden.
Weitere Zusatzfrage, Kollege Niebel.
Herr Staatssekretär, das ungeschmälerte Interesse des
Verteidigungsministeriums vorausgesetzt, frage ich Sie:
Können Sie mir denn bestätigen, dass das für die gesamte Koalition gilt?
Natürlich, es gibt keine Äußerungen, die das Gegenteil besagen. Wir werden die Entwicklungen und Gespräche der nächsten Wochen abwarten müssen. Ich
gehe davon aus, dass wir in der zehnten Kalenderwoche
den Haushaltsausschuss und zuvor den Verteidigungsausschuss damit befassen werden. Anders lautende Berichte sind mir nicht zugegangen.
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Nolting auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, auch weiterhin an der
militärischen Nutzung des Bundeswehrübungsplatzes Wittstock in der Kyritz-Ruppiner Heide festzuhalten, und, wenn
ja, warum?
Herr Kollege Nolting, die Bundesregierung verfolgt
seit Übernahme des Truppenübungsplatzes Wittstock
von den sowjetischen Streitkräften in den Jahren 1993/94
die Absicht, das Gelände als Luft-Boden-Schießplatz für
die Luftwaffe und für die Ausbildung von Bodentruppen
zu nutzen. Sämtliche vielschichtigen Argumente hinsichtlich des Für und Wider der geplanten Nutzung als
Luft-Boden-Schießplatz sind auf allen politischen EbeParl. Staatssekretär Hans Georg Wagner
nen bekannt, diskutiert, ausgetauscht und sorgfältig abgewogen worden.
Die Nutzung des Truppenübungsplatzes Wittstock ist
aus Sicht der Bundesregierung wegen folgender Gründe
weiterhin notwendig: Die Verteidigungspolitischen
Richtlinien legen als primäre Aufgabe der Bundeswehr
die Beteiligung an internationalen Einsätzen zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung einschließlich des
Kampfes gegen den internationalen Terrorismus fest.
Um diese Aufgabe erfüllen zu können, ist die Bereitstellung moderner, gut ausgebildeter und ausgerüsteter sowie schnell verfügbarer Streitkräfte erforderlich. Zur
Herstellung und Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr, vor allen Dingen hinsichtlich der
Bereitstellung von kurzfristig abrufbaren NATO Response Forces und europäischen Gefechtsverbänden für
die Krisenreaktion, sind geeignete Ausbildungsmöglichkeiten in Deutschland erforderlich. Es liegt im politischen Verantwortungsbereich der Bundesregierung, Soldatinnen und Soldaten auf die mit Gefahr für Leib und
Leben verbundenen Einsätze bestmöglich vorzubereiten
und somit ausreichende Übungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen.
Wittstock bietet für die fliegenden Waffensysteme der
Luftwaffe wegen seiner räumlichen Ausdehnung als einziger Übungsplatz in Deutschland die Möglichkeit, Einsatzverfahren - auch im Verbund mit anderen Truppenteilen - in der erforderlichen Weise zu üben. Unbeschadet
der quantitativen Entwicklung des Übungsbedarfs der
Bundeswehr bleibt der Truppenübungsplatz Wittstock
unter qualitativer Betrachtung unverzichtbar. Der gesellschaftliche und politische Konsens gebietet eine gerechte,
gleichmäßige und solidarische Verteilung der mit dem
Übungsbetrieb der Bundeswehr verbundenen Lasten. Die
Bundesregierung hält an dem Grundsatz fest, die Gesamtbelastungen für die Zukunft möglichst regional ausgewogen zu verteilen.
Unabhängig davon und vom Ausgang der laufenden
Klageverfahren lässt sich nach Einschätzung der Bundesregierung aufgrund der von der Bundeswehr eingeholten Gutachten bereits jetzt die Aussage treffen, dass
keine Verletzung der gemeindlichen Planungshoheit vorliegt und auch keine unzumutbaren Belastungen der Bevölkerung auftreten werden. Vielmehr wird die künftige
Nutzung des Truppenübungsplatzes Wittstock durch die
Bundeswehr in Verträglichkeit mit den Belangen der Region sowie unter Beachtung des Natur- und Umweltschutzes erfolgen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben die Gründe aufgeführt,
die aus Sicht der Bundesregierung für den Platz sprechen. Sie brauchen aber in dieser Frage auch die Unterstützung des Parlamentes. Wie beurteilen Sie in diesem
Zusammenhang den vorliegenden Gruppenantrag, der
darauf abzielt, den Platz nicht in Anspruch zu nehmen?
Zunächst einmal ist es den Kolleginnen und Kollegen
unbenommen, einen Gruppenantrag zu stellen. Den haben wir zur Kenntnis zu nehmen, wenn er dem Parlament vorgelegt wird; ansonsten ist er von der Bundesregierung nicht zu bewerten. Erst dann, wenn sich das
Parlament damit befasst hat, werden wir dazu Stellung
nehmen.
Darüber hinaus muss man auch einen solidarischen
Aspekt beachten. Wenn Wittstock nicht genutzt wird,
wird es eine erhebliche Mehrbelastung von anderen Plätzen wie etwa Nordhorn oder Siegenburg, die gleichfalls
Nutzungsmöglichkeiten bieten, geben. Uns liegen schon
Briefe von Abgeordneten vor, die auf die Gefahr hinweisen, dass die beiden anderen Standorte erheblich mehr
belastet würden. Insofern ist es auch eine Frage der Solidarität untereinander, wie man diese Belastungen, die
zweifellos vorhanden sind, entsprechend verteilt.
Weitere Zusatzfrage.
Wann rechnen Sie damit, dass der Platz in Anspruch
genommen werden kann, und wie sieht es mit einer Stationierung von Soldaten in Wittstock, also vor Ort, aus?
Das ist - Sie haben es gesehen - im Stationierungsplan berücksichtigt worden; es wird also dort eine Stationierung geben. Ansonsten müssen wir - Regierung und
Antragsteller gleichermaßen - abwarten, wie die Gerichtsverfahren laufen. Wann die Richter letztendlich
entscheiden und wann Klarheit herrscht, kann ich nicht
absehen.
Weitere Fragen hierzu liegen nicht vor.
Die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
- es handelt sich um die Fragen 4 bis 7 - sind zur schriftlichen Beantwortung vorgesehen.
Damit kommen wir gleich zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Hier steht die Kollegin Eid zur
Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 8 des Kollegen Peter
Weiß auf:
Wird die Bundesregierung den Beschluss des Rates der
Außenminister der Europäischen Union vom 31. Januar 2005
über die künftige Politik der Europäischen Union gegenüber
Kuba zum Anlass nehmen, Kuba erneut die Aufnahme bilateraler Entwicklungszusammenarbeit anzubieten, und, wenn ja,
an welche Bedingungen wird die Bundesregierung die Leistungen der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit für Kuba
knüpfen?
Herr Abgeordneter Weiß, Ihre Frage zur Wiederaufnahme der Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba
möchte ich wie folgt beantworten: Diese Frage stellt sich
überhaupt nicht, denn der kubanische Staats- und Parteichef Fidel Castro hat bisher seinen im Juni 2003 als Reaktion auf die diplomatischen EU-Sanktionen erklärten
Verzicht auf staatliche Entwicklungskooperation der EU
und ihrer Mitgliedstaaten nicht zurückgezogen oder modifiziert. Insofern ist die Frage nicht aktuell.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, die rot-grüne Bundesregierung
hat sich seit ihrem Bestehen intensiv darum bemüht, mit
dem vom kommunistischen Diktator Fidel Castro regierten Kuba endlich wieder offizielle bilaterale staatliche
Entwicklungszusammenarbeit aufzunehmen. Diese ist,
wie Sie soeben auch in Ihrer Antwort ausgeführt haben,
letztlich deswegen nicht zustande gekommen, weil Fidel
Castro in seiner Verärgerung über die im Juni 2003 beschlossenen EU-Sanktionen gegen Kuba erklärt hat, nun
verzichte er großzügig auf alle Hilfe von außen. Deswegen ist das Vorhaben der Bundesregierung nicht zur Umsetzung gelangt.
Nun ist auf Betreiben bzw. mit Unterstützung der
Bundesregierung beim Rat der EU-Außenminister am
31. Januar dieses Jahres beschlossen worden, ebendiese
EU-Sanktionen einstweilen aufzuheben. Zuvor hatte
Fidel Castro schon erklären lassen, dass er ein großes Interesse an einer Normalisierung der Beziehungen zur EU
habe. Deswegen befriedigt Ihre Antwort nicht. Ich bitte
Sie um Auskunft, ob die Mitwirkung der Bundesregierung an dem Beschluss der EU-Außenminister, die EUSanktionen aufzuheben, auch bedeutet, dass Sie auf Ihr
altes Vorhaben einer bilateralen Entwicklungszusammenarbeit zurückkommen wollen.
Herr Abgeordneter Weiß, ich war heute Morgen Zeugin der Diskussion in unserem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, wo Sie genau
die gleiche Behauptung aufgestellt haben, nämlich dass
diese Sanktionen auf Betreiben der Bundesregierung
aufgehoben worden seien. Die Staatsministerin hat Ihnen
daraufhin erklärt, dass sogar die tschechische Delegation
dem Bundesaußenminister für seine Haltung gedankt
habe. Deshalb finde ich es nun etwas irritierend, wenn
ich das einmal so sagen darf, dass Sie jetzt in dieser Fragestunde Ihre Behauptung, wir hätten die Aufhebung der
Sanktionen mitbetrieben, wiederholen, obwohl Sie heute
Morgen im Ausschuss genau das Gegenteil mitgeteilt
bekommen haben. Sie wissen, dass Ihre Behauptung
nicht stimmt. Von daher sehe ich gar keine Veranlassung,
das, was ich eben gesagt habe, zu modifizieren. Im Moment stellt sich die Frage der Wiederaufnahme oder der
Weiterbetreibung der Wiederaufnahme der Entwicklungskooperation mit Kuba nicht.
Weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, die von Ihnen erwähnten Äußerungen von Frau Staatsministerin Müller, die ja nachher
noch Gelegenheit haben wird, hier im Plenum zu einigen
Fragen Stellung zu nehmen
({0})
- sie muss, wie der Kollege Hedrich zu Recht sagt -, bezogen sich auf einen speziellen Aspekt, nämlich die
Frage der Einladung von Dissidenten. Ansonsten sind
die Pressemeldungen seitens der Frau Staatsministerin
und der Bundesregierung unwidersprochen geblieben.
Ich zitiere einmal „Die Welt“ vom 28. Januar 2005, die
berichtet, dass mehrere Länder, darunter Deutschland
und Frankreich, die Beziehungen zu Kuba normalisieren
wollen und dieses Vorhaben mitbetrieben haben, was zu
dem Beschluss vom 31. Januar geführt hat.
Als Carl-Dieter Spranger als Minister noch Verantwortung für das von Ihnen repräsentierte Ressort trug,
wurden eine Reihe von Kriterien für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit festgelegt, die vom Deutschen Bundestag einstimmig gebilligt wurden. Demnach
sind beispielsweise eine marktwirtschaftliche Orientierung und die Achtung der Menschenrechte zentrale Kriterien für die Vergabe von Mitteln im Rahmen der
Entwicklungszusammenarbeit. Ich möchte Sie grundsätzlich fragen: Gilt dies für die heutige Bundesregierung nach wie vor?
Dies gilt für die heutige Bundesregierung nach wie
vor. Leider hat sich die damalige Regierung nicht strikt
an diese Kriterien gehalten. Denn über die Entwicklungskooperation mit China wurde keine Debatte geführt. Sie können sich sicherlich noch daran erinnern,
dass ein Staatssekretär der damaligen Regierung wegen
der EZ mit China zurücktreten musste.
({0})
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Peter Weiß auf:
Soll nach Kenntnis der Bundesregierung die derzeit eingefrorene Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen
Union mit Kuba wieder aufgenommen werden und, wenn ja,
wie verhält sich die Bundesregierung hinsichtlich dieser
Frage?
Herr Abgeordneter, seitens der EU-Kommission sind
vorerst lediglich Sondierungsgespräche vorgesehen.
Eventuelle Ergebnisse werden dann zeitnah im Lichte
der Gesamtsituation zu beurteilen sein.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, nachdem die Außenminister
der EU beschlossen haben, die Sanktionen vom Juni
2003 gegenüber Kuba aufzuheben, und Kontakte
zwischen hochrangigen Vertretern Kubas und der EUMitgliedstaaten wieder möglich sind, ist angekündigt
worden, dass der neue Kommissar für Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe, Louis Michel, als
erster Repräsentant der EU nach Kuba reisen soll. Wenn
dies ein Ergebnis des Beschlusses vom 31. Januar dieses
Jahres ist, dann muss ich Sie fragen: Was ist der Auftrag
von Louis Michel? Reist er zum Vergnügen nach Kuba
oder hat er den Auftrag, konkret über den Beginn der
Entwicklungszusammenarbeit zwischen der EU und
Kuba zu sprechen?
({0})
Zunächst einmal muss ich Sie korrigieren, Herr Abgeordneter. Die Maßnahmen sind nicht beendet, sondern
nur vorübergehend ausgesetzt worden. Auch darüber haben wir heute Morgen im Ausschuss diskutiert. Man hat
Sie wiederholt darauf hingewiesen, dass die Maßnahmen
nur ausgesetzt worden sind. Ich bitte Sie daher, die
Schlussfolgerungen des Rates korrekt wiederzugeben.
Die ausgesetzten Maßnahmen werden vor Juli dieses
Jahres noch einmal überprüft. Dann wird vor dem Hintergrund der Entwicklung die Frage, ob die Maßnahmen
fortgesetzt werden sollen, neu gestellt.
Ich möchte noch etwas Grundsätzliches zur Reisediplomatie sagen. Herr Kollege Weiß, Sie wissen doch so
gut wie ich
({0})
- das weiß ich; denn auch er reist in diese Länder -, dass
Abgeordnete aller Parteien in solche Länder reisen - wir
begrüßen das -, um dort den politischen Dialog zu führen und deutlich zu machen, dass es uns um die Verbesserung der Menschenrechtslage geht.
Ich bin davon überzeugt, dass dies auch das Ziel von
Herrn Michel ist. Denn der Beschluss des Rates besagt,
dass ab jetzt von hochrangigen Vertretern der EU Gespräche mit Vertretern der Zivilgesellschaft und der
friedlich agierenden Opposition zu führen sind. In Gesprächen mit Vertretern der kubanischen Regierung müssen die Menschenrechtssituation sowie die Lage der Oppositionellen und der Gefangenen angesprochen werden.
Dies ist ein Teil des Ratsbeschlusses.
({1})
Weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, Ihr richtiger Hinweis, dass der
Beschluss vom 31. Januar in einem halben Jahr überprüft werden soll, wirft die Frage auf, was Herr Michel
jetzt eigentlich verhandeln soll.
({0})
Sie interpretieren den Ratsbeschluss so, dass die
Sanktionen einstweilen aufgehoben werden sollen. Dann
muss man aber auch prüfen, ob die kubanische Seite ihrerseits etwas tut, um die Menschenrechtsverletzungen
abzustellen - aufgrund dieser Missstände haben wir ja
die Sanktionen verhängt -, und ob sie bereit ist, alle
75 politischen Gefangenen des Jahres 2003 freizulassen.
Es wäre doch sinnvoller, Verhandlungen über eine
eventuelle Aufnahme der Entwicklungszusammenarbeit
würden nach erfolgreicher Prüfung in einem halben Jahr
stattfinden und nicht jetzt. Deswegen frage ich Sie noch
einmal, was der spezielle Auftrag von Louis Michel bei
seinem Besuch in Kuba ist.
Ich habe ihn nicht gefragt. Ich bin aber gerne bereit,
Ihnen diese Antwort nachzuliefern; denn ich kenne seinen Auftrag nicht.
Allerdings bin ich davon überzeugt, dass er genau das
umsetzt, was in dem von Ihnen angesprochenen Ratsbeschluss gefordert wird: dass er sich mit Dissidenten bzw.
Vertretern der Zivilgesellschaft trifft. Ich würde mich
freuen, wenn er zum Beispiel Vertreter der KonradAdenauer-Stiftung, der Hanns-Seidel-Stiftung, der BöllStiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kuba treffen
würde; denn die würden ihn informieren. Ich werde ihm
vorschlagen - das werde ich ihm mit auf die Reise
geben -, dass er auch die Vertreter der deutschen Stiftungen, die es in Kuba gibt, trifft. Denn deren Informationen braucht er, um mit Fidel Castro kompetent und sachbezogen über die Einhaltung der Menschenrechte und
die Situation der Dissidenten zu sprechen und einzufordern, dass diejenigen, die noch im Gefängnis sind, bald
entlassen werden.
Kollege Hedrich.
Frau Staatssekretärin, finden Sie es nicht merkwürdig,
dass Sie ständig - gerade zu Beginn Ihrer Regierungstätigkeit und auch danach, bei der Information der Ausschüsse und der Öffentlichkeit - auf die Notwendigkeit
und die Intensivierung der Koordinierung zwischen den
bilateralen Gebern und unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Union hinweisen und dass Sie auf die konkrete Frage des Abgeordneten Weiß antworten, Sie hätten Herrn Michel nicht gefragt? Deshalb frage ich Sie: In
welcher Form haben während der Vorbereitung dieser
Reise intensive Abstimmungsgespräche zwischen der
Bundesregierung und der Europäischen Kommission
stattgefunden?
Auf den ersten Teil Ihrer Frage antworte ich: Dies
finde ich nicht merkwürdig.
({0})
Zweitens. Da Herr Michel einen klaren Auftrag hat,
hinter dem wir alle stehen, wird er diesen Auftrag erfüllen, ohne dass ich persönlich mit ihm gesprochen habe.
({1})
Ich rufe die Frage 10 der Kollegin Lötzsch auf:
Welche konkreten Vorschläge hat die Bundesregierung in
die internationale Diskussion zur Finanzierung des Kampfes
gegen die Armut eingebracht und wie will sie diese Vorschläge international umsetzen?
Zunächst einmal ist klar, dass eine nachhaltige Entwicklung und die Bekämpfung von Armut nur erfolgreich sein können, wenn wir die Millenniumsziele erreichen. Sie wissen: Im Jahre 2000 wurde beschlossen, dass
wir bis 2015 bestimmte Ziele erreichen wollen. Dafür
brauchen wir Geld; das ist gar keine Frage.
Es gab dann in Monterrey eine VN-Konferenz zur
Entwicklungsfinanzierung. Dort haben sich die Geberländer und die Nehmerländer auf den so genannten Monterrey-Konsensus geeinigt. Dieser Monterrey-Konsensus
besagt, dass zunächst einmal Mittel in den Entwicklungsländern mobilisiert werden müssen. Sie wissen,
dass die Kapitalflucht aus Afrika ungeheuer groß ist.
Warum? Weil die reichen Leute in Afrika nicht im eigenen Land investieren, da kein Vertrauen in die eigene
Wirtschaftspolitik besteht. Also zahlt man das Geld auf
Schweizer, Luxemburger oder andere Auslandskonten
ein. Das heißt, man muss erst einmal dafür sorgen, dass
das Geld im eigenen Land bleibt und dort reinvestiert
wird.
Sie kennen das Problem der Korruption. Wir müssen
die Korruption ganz massiv bekämpfen, weil jegliche
Korruption bedeutet, dass den Menschen Geld gestohlen
wird. Korruptionsbekämpfung ist also klar angesagt.
Des Weiteren funktionieren natürlich zum Teil in unseren Partnerländern die Steuersysteme nicht. Wir als
BMZ unterstützen die Verbesserung der Steuersysteme,
damit auch die Reichen dort Steuern zahlen müssen. Die
Mobilisierung der eigenen Mittel ist also der erste Punkt.
Zweitens müssen die Rahmenbedingungen für Privatinvestitionen, für inländische und natürlich auch für
ausländische Investitionen, verbessert werden; denn nur
wenn eine wirtschaftliche Entwicklung mit der Schaffung von Arbeitsplätzen und vermehrtem Kleinunternehmertum stattfindet, erzielen die Familien Einkommen
und kann der Staat Steuern einnehmen.
Das Dritte ist der Handel als Entwicklungsmotor. Wir
müssen, aus entwicklungspolitischer Sicht gesehen,
dringend die Agrarsubventionen abbauen und die
Märkte öffnen. Es ist also eine Liberalisierung der
Märkte angesagt.
Viertens geht es um finanzielle und technische Zusammenarbeit.
Diese vier Komponenten sind wichtig. Sie stehen natürlich in einer Wechselwirkung zueinander.
Ich vermute, dass Ihre Frage darauf abzielt, wie wir
im Lichte dieser Probleme und Herausforderungen unsere Entwicklungszusammenarbeit gestalten.
Die Bundesregierung hat in Barcelona zugesagt, die
staatlichen Entwicklungsleistungen Deutschlands bis
zum Jahr 2006 auf 0,33 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Zudem hat Bundeskanzler Schröder
während des Weltwirtschaftsforums in Davos klargemacht, dass die Bundesregierung daran arbeitet, schrittweise das 0,7-Prozent-Ziel zu erreichen. Dafür erarbeitet
die Bundesregierung derzeit einen Stufenplan.
Der Bundeskanzler hat sich in Davos weiter dafür
eingesetzt, die britische Initiative einer internationalen
Finanzierungsfazilität zu prüfen, und sich gegenüber
dieser Initiative durchaus positiv geäußert. Allerdings
- das ist wichtig - müssen die Instrumente der Refinanzierung vorher abgeklärt sein. Die Briten machen sich
über die Refinanzierung keine Gedanken. Dies außen
vor zu lassen halte ich auf der Grundlage unseres Haushaltsgesetzes für nicht machbar. Deswegen ist es richtig,
sich über die Refinanzierung Gedanken zu machen.
Es gibt unterschiedliche Vorschläge zu der Refinanzierung der internationalen Finanzierungsfazilität. Es
gibt den Vorschlag, internationale Finanztransaktionen,
denen keine realwirtschaftlichen Aktionen zugrunde liegen, zu besteuern; dies ist unter dem Schlagwort Tobinsteuer bekannt. Es gibt auch den Vorschlag, Entgelte für
die Nutzung von öffentlichen Gütern zu entrichten, zum
Beispiel den Vorschlag einer Flugverkehrsabgabe. Es
gibt weiter den Vorschlag, Rüstungsexporte höher zu besteuern. Außerdem hat der Bundeskanzler zugesagt, zu
prüfen, ob man durch den Verkauf von IWF-GoldreserParl. Staatssekretärin Dr. Uschi Eid
ven die Entschuldung der ärmsten Entwicklungsländer
weiterführen kann.
Sie sehen, es gibt einen ganzen Reigen von Vorschlägen. Diese werden geprüft. Vielleicht wird man bis zur
nächsten Vorbereitungssitzung zum G-8-Gipfel bereits
zu einem Konsens kommen.
Zusatzfrage.
Vielen Dank, Frau Staatsministerin. Sie haben, wie
Sie selbst sagten, einen Reigen von Vorschlägen dargestellt. Gerade um diese und deren Realisierung geht es
mir.
Sie haben das Stichwort Davos gebracht. Bundeskanzler Schröder und Bundesfinanzminister Eichel haben im zeitlichen Umfeld des Gipfeltreffens von Davos
Vorschläge an die Öffentlichkeit gebracht, zum Beispiel
zur Einführung der Tobinsteuer, also der Steuer auf Spekulationsgewinne, sowie zur Besteuerung von Waffenexporten und Flugbenzin. Ich möchte gerne wissen, ob
diese Überlegungen mehr sind als Vorschläge, ob dies
durch Beschlüsse des Kabinetts bekräftigt worden ist
und wie und bis wann dies umgesetzt werden soll.
Frau Abgeordnete, wenn internationale Beschlüsse
gefasst werden sollen, muss man zunächst Partner für
Vorschläge gewinnen und Bündnisse schließen. So hat
sich bereits gezeigt, dass der Vorschlag des französischen Staatspräsidenten Chirac von London aus nicht
unterstützt worden ist. Es stellt sich also die Frage, ob
man an einem Vorschlag, von dem man von vornherein
weiß, dass es darüber keine Einigung geben wird, weiterarbeiten soll oder ob man sich nicht darauf konzentrieren sollte, an dem weiterzuarbeiten, von dem man
weiß, dass die Chance besteht, dafür eine kritische Anzahl von Ländern zu gewinnen, die diese Initiative mit
unterstützen.
Ich glaube, die Überzeugung des Finanzministers ist
durch all diese Diskussionen beeinflusst worden. Er selber hat ja gesagt, dass er bei dem nächsten Ecofin-Treffen zum Beispiel die Frage der Nutzungsentgelte ansprechen wird. Möglicherweise wird es noch während der
Präsidentschaft von Luxemburg dazu eine Einigung geben.
({0})
Weitere Zusatzfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
Sie haben das Stichwort „Bündnispartner“ genannt; das
möchte ich gern aufgreifen. Das französische und das
belgische Parlament zum Beispiel haben bereits eine Initiative zur Einführung der Tobinsteuer beschlossen.
Plant die Bundesregierung, dem Deutschen Bundestag
eine entsprechende Initiative zuzuleiten?
Das Parlament, so glaube ich, ist in der Lage, sich
dazu zu äußern, ohne dass die Bundesregierung dem
Parlament etwas zuleiten muss. Darüber hinaus möchte
ich dazu nichts sagen.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Nun rufe ich den Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes auf. Zur Beantwortung steht Frau Staatsministerin Müller zur Verfügung. Die Fragen 11, 12 und 13 der
Kollegen Jüttner und Kretschmer werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Rainer Eppelmann
auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Menschenrechtslage in Kuba im Allgemeinen und den Umgang der kubanischen Regierung mit den 75 im Jahre 2003 verurteilten Dissidenten im Besonderen, nachdem Ende 2004 nur 14 von ihnen
freigelassen wurden, keine weiteren Freilassungen zu erwarten sind und die Situation in den Gefängnissen katastrophal
ist?
Herr Kollege Eppelmann, Ihre Frage beantworte ich
gerne wie folgt: Die Bundesregierung beurteilt die Menschenrechtslage in Kuba als sehr schlecht. Sie hat seit
der Verhaftung der 75 Dissidenten bei der kubanischen
Regierung darauf gedrungen, dass alle 75 bedingungslos
freigelassen werden. Die Freilassung von 14 Dissidenten
ist ein positiver Schritt, dem weitere folgen müssen. Die
Bundesregierung und ihre EU-Partner haben mit Ratsbeschluss vom 31. Januar 2005 die kubanische Regierung
erneut nachdrücklich aufgefordert, alle politischen Gefangenen, einschließlich der so genannten Gruppe der
75, bedingungslos freizulassen. Dies ist und bleibt Ziel
der Bundesregierung. Im Lichte des Erreichten wird der
Ratsbeschluss vom 31. Januar dieses Jahres vor Juli dieses Jahres überprüft werden.
Zusatzfrage.
Danke für Ihre Antwort. Ich freue mich darüber, dass
Sie sich darauf gefreut haben, mir eine Antwort geben zu
können. Ich möchte zu einem Punkt nachfragen, und
zwar: Nach welchen konkreten Kriterien wird die Bundesregierung bemessen, ob zum Überprüfungsstichtag
die Sanktionen aufgehoben bleiben sollen oder ob sie
wieder in Kraft gesetzt werden sollen und ob sich diese
Kriterien mit denen der EU decken?
Die Überprüfung im Juli wird gemeinsam mit den
EU-Partnern erfolgen. Wenn Sie sich den EU-Ratsbeschluss anschauen, dann werden Sie sehen, dass das Ziel
klar formuliert ist: Es geht um eine Verbesserung der
Menschenrechtslage; es wird noch einmal wegen der
Freilassung der Gefangenen appelliert; es geht um eine
zunehmende Demokratisierung im Lande. All diese Einzelpunkte werden sicherlich bei den Beratungen mit den
EU-Partnern eine Rolle spielen.
Ich möchte noch einmal das deutlich machen, worauf
ich heute schon bei den Beratungen im Ausschuss hingewiesen habe: Eine Stärke des Vorgehens in der Vergangenheit - das war auch der Grund, dass man das eine
oder andere erreichen konnte - bestand darin, dass die
EU immer gemeinsam gehandelt hat. Wir haben uns von
der kubanischen Regierung nicht auseinander dividieren
lassen. Wir beabsichtigen, diese Linie beizubehalten. Ich
glaube, sie ist sehr wirksam, wenn wir für den einen oder
anderen dort, etwa für Gefangene, konkret etwas erreichen wollen.
Zusatzfrage.
Plant die Bundesregierung konkrete Maßnahmen, um
die gegenwärtig so schlimme Menschenrechtslage in
Kuba zu verbessern?
Aufgrund der vorläufigen Aussetzung - es handelt
sich ja nicht um eine Aufhebung - der Sanktionen besteht die Möglichkeit, hochrangige politische Kontakte
aufzunehmen; das gilt auch für die anderen EU-Partner.
Ich kann Ihnen versichern, dass wir und andere EU-Partner uns in Gesprächen mit der Regierung für die Freilassung der übrigen Gefangenen einsetzen werden.
Zum Zweiten. Sie wissen: Die EU hat beschlossen, an
die Stelle der Sanktionen einen intensiveren Dialog mit
der Opposition bzw. den Dissidenten zu setzen. Zu diesem Zweck hat sie - darauf komme ich in meinen Antworten auf die folgenden Fragen noch zu sprechen - ein
konkretes Maßnahmenbündel erarbeitet. Selbstverständlich spielt die Bundesregierung eine aktive Rolle, wenn
es darum geht, den Dialog mit den Dissidenten weiter zu
intensivieren.
Eine Zusatzfrage der Frau Kollegin Tritz.
Frau Staatsministerin, ist Ihnen bekannt, dass sich
nach der Vollstreckung der Todesurteile im März 2003
mehrere CDU/CSU-regierte Bundesländer - die Länder
Bayern, Hessen, Sachsen und Sachsen-Anhalt - an der
kubanischen Herbstmesse beteiligt haben und dass mehrere CDU-Wirtschaftsminister Delegationsreisen mit
Unternehmensvertretern nach Kuba durchgeführt haben,
({0})
zum Beispiel die Wirtschaftsminister von Hessen und
Baden-Württemberg, und wie beurteilen Sie das?
({1})
- Nach den Todesurteilen!
Die Teilnahme dieser Länder an der Herbstmesse ist
mir bekannt. Die Bundesregierung begrüßt solche Aktivitäten; denn - auch darauf werde ich bei den folgenden
Fragen noch zu sprechen kommen - es kann ein Instrument sein, durch eine Öffnung sowie durch Dialog und
Austausch etwas an der Situation in Sachen Demokratie
und Menschenrechte in Kuba zu verändern.
Frau Kollegin Nolte.
Frau Staatsministerin, bis zum kommenden Sommer
soll die Prüfung erfolgen, wie in Zukunft verfahren wird.
Im Jahr 2003 bestand ein konkreter Anlass dafür, diplomatische Sanktionen zu verhängen. Was hat sich seitdem
an der Menschenrechtslage in Kuba konkret verändert,
das den Beschluss vom 31. Januar dieses Jahres rechtfertigt, und was wird Ihrer Erwartung nach im nächsten halben Jahr passieren, sodass eine Beschlussgrundlage für
eine im Sommer zu treffende abschließende Regelung
gegeben ist?
Da es sich um zwei Fragen handelt, die nachher noch
gestellt werden, möchte ich etwas zum weiteren Vorgehen sagen: Entweder verweise ich nur noch auf die Antworten, die ich später geben werde, oder ich beantworte
die betreffenden Fragen gleich mit. Ich stelle anheim,
dies zu berücksichtigen. Wir können gerne in eine Diskussion darüber eintreten.
Ich schlage vor, dass sich all diejenigen, die sich für
Zusatzfragen gemeldet haben, durch einen Blick in ihre
Unterlagen versichern, ob die vorgesehene Frage nicht
ohnehin schriftlich eingereicht war, und sich dann, was
ihre Frage betrifft, so verhalten, wie sie es für richtig halten. Sie, Frau Staatsministerin, beantworten die Fragen
und verweisen gegebenenfalls auf bereits erteilte Auskünfte.
Ich habe vielleicht keinen Anspruch darauf, jetzt eine
Bemerkung zu machen.
So ist es, Frau Kollegin.
Aber ich muss sagen: Die folgenden Fragen sind von
ihrer Fragestellung her nicht so präzise wie das, was ich
jetzt gefragt habe.
({0})
Doch.
Von daher können Sie diese Fragen schon jetzt beantworten.
Jetzt muss ich Ihre Kolleginnen und Kollegen in
Schutz nehmen.
Verweisen Sie bitte auf die jeweiligen Fragen; dann
können Sie so verfahren.
Gut. - Was hat die EU also zu ihrer Entscheidung bewogen? Hat sich die Menschenrechtslage verbessert?
Immerhin wurden 14 von 75 Gefangenen freigelassen.
Aber ich möchte hinzufügen, dass sich an der Menschenrechtslage nicht sehr viel verändert hat.
Genau dies ist der Grund, warum in der Europäischen
Union eine Diskussion über die Instrumente, die zukünftig eingesetzt werden, begonnen wurde und warum die
Europäische Union im Interesse der Dissidenten und im
Sinne einer Verbesserung der Menschenrechtslage versucht, ihre diplomatische Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen und eine vorläufige Aussetzung der Sanktionen herbeizuführen. Im Ziel sind wir uns zwar einig;
aber man weiß nie, welche Instrumente zum Erfolg führen. Genau deshalb ist eine halbjährliche Überprüfung
der Situation vorgesehen. Die erste Überprüfung steht
schon im Juli dieses Jahres an.
({0})
Nun verweise ich auf die Antwort, die ich soeben gegeben habe: Wir werden uns für eine Verbesserung der
Menschenrechtslage einsetzen und uns an dem von der
Europäischen Union im Hinblick auf eine Intensivierung
des Dialogs beschlossenen Maßnahmenbündel - auf
seine einzelnen Bestandteile komme ich noch zu sprechen - intensiv beteiligen. Wir erwarten, dadurch die
Situation hinsichtlich der Menschenrechte und der Demokratie verbessern zu können.
Herr Kollege Mark.
Frau Staatsministerin, der Fragesteller Rainer
Eppelmann hat ja in seiner Frage unter anderem die
Menschenrechtslage auf Kuba im Allgemeinen erwähnt.
Meine Frage ist: Gehört dazu nicht auch eine Beurteilung der Lage in Guantanamo auf Kuba? Denn es scheint
mir schon fragwürdig zu sein, bei der Beurteilung der
Menschenrechtssituation eine Separierung zwischen der
Republik Kuba einerseits und dem US-amerikanischen
Stützpunkt Guantanamo andererseits vorzunehmen.
({0})
Meines Erachtens sind das politisch zwei völlig verschiedene Dinge. Guantanamo war nicht Gegenstand der
Beratungen in der EU und ist auch nicht Gegenstand des
Beschlusses des EU-Rates.
({0})
Kollege Weiß.
Ich glaube, gewisse Ereignisse in unserem eigenen
Land sollten uns davor warnen, Äpfel mit Birnen zu vergleichen; das nur als Anmerkung zur letzten Frage.
Frau Staatsministerin, Sie und Frau Staatssekretärin
Eid haben vorhin wiederholt darauf hingewiesen, dass
der Beschluss der EU-Außenminister vom 31. Januar
dieses Jahres zur Aufhebung der Sanktionen gegen Kuba
in einem halben Jahr erneut überprüft wird. Gleichzeitig
haben Sie auf die Frage vom Kollegen Eppelmann ausgeführt, dass Sie selbst und die Bundesregierung die
Menschenrechtslage auf Kuba für äußerst prekär halten.
Deswegen meine Frage: Was sind die konkreten Kriterien, anhand deren in einem halben Jahr überprüft wird,
ob es bei der Aufhebung der Sanktionen gegen Kuba
bleibt oder nicht? Gehört dazu, dass neben den 14 bisher
freigelassenen politischen Gefangenen nicht nur die restlichen der insgesamt 75 im Jahr 2003 inhaftierten Dissidenten, sondern alle politischen Gefangenen - auch die
seit 2003 hinzugekommenen - in einem halben Jahr bedingungslos frei sein müssen? Gehört dazu auch, dass
die kubanische Bevölkerung frei von ihrem verfassungsmäßigen Recht, durch Unterschriftensammlung eine Abstimmung herbeizuführen, Gebrauch machen kann? Sind
das die konkreten Bedingungen, von denen in einem halben Jahr die Fortsetzung oder Nichtfortsetzung der
Sanktionen abhängig gemacht wird?
Herr Kollege Weiß, Sie wissen genauso gut wie ich,
dass die Erwartungen, die wir haben und die unsere EUPartner teilen, nicht alle in einem halben Jahr erfüllt sein
werden. Wir appellieren und wir haben gemeinsam mit
den Partnern darauf gedrängt, dass Gefangene freigelassen werden. Wir kritisieren regelmäßig in Genf mit entsprechenden Resolutionen die Menschenrechtslage. Sie
wissen, dass dies das Regime bisher nicht sehr beeindruckt hat.
Es geht hier doch nicht darum, Anforderungen aufzustellen, von denen wir schon heute wissen, dass das Regime sie in einem halben Jahr natürlich nicht erfüllen
wird, weil es sich nicht derart verändert haben wird.
Vielmehr geht es darum, die Instrumente zu überprüfen,
wie wir Schritt für Schritt eine Verbesserung der Lage
der Menschen in dem Land erreichen können; um diese
Instrumente dreht sich der Ratsbeschluss. Die Ziele sind,
einen Prozess des Übergangs zu einer pluralistischen
Demokratie, die Achtung der Menschenrechte und
Grundfreiheiten sowie eine nachhaltige Erholung und
Verbesserung des Lebensstandards der kubanischen Bevölkerung zu fördern. Das sind zugleich die Kriterien,
über deren Erfüllung die EU-Partner dann diskutieren
und anhand deren sie abwägen werden, ob weitere Sanktionen sinnvoll sind oder nicht.
Wir befürworten einen intensiveren Dialog, zum einen mit den Dissidenten und der Opposition, zum anderen mit den gemäßigten Kräften in der Regierung. Dabei
wollen wir uns natürlich dafür einsetzen, dass weitere
Gefangene freigelassen werden und die Menschenrechtslage sich verbessert.
Kollege Hedrich.
Frau Staatsministerin, Sie haben es eben als einen positiven Schritt bewertet, dass 14 Gefangene freigelassen
wurden, und sich dabei auf 75 verurteilte Dissidenten
bezogen. Wie beurteilen Sie die Tatsache, dass seit der
Freilassung dieser 14 schon wieder 21 andere verhaftet
und verurteilt worden sind, sodass man nicht von 75,
sondern von 82 ausgehen muss?
Ich verurteile das aufs Schärfste und ich kann hinzufügen, dass es nach unserem Informationsstand in Kuba
derzeit insgesamt über 300 politische Gefangene gibt.
Hinzu kommt, dass den Kubanern sämtliche Freiheitsrechte - vom Versammlungsrecht über die Presse- und
Meinungsfreiheit bis hin zur Freizügigkeit - verweigert
werden.
Herr Kollege, ich glaube nicht, dass wir uns in der
Bewertung unterscheiden: hinsichtlich Menschenrechtslage, Stand der Demokratie oder Lebensstandard der Bevölkerung. Zurzeit wird darüber diskutiert, was die geeignetsten Instrumente sind, um hier eine Verbesserung
zu erreichen.
({0})
Frau Kollegin Griefahn.
Frau Staatsministerin, ist Ihnen bekannt, dass täglich
Delegationen aus den Vereinigten Staaten von Amerika
- aus den einzelnen Bundesstaaten und aus der Wirtschaft - dorthin reisen, und wie bewerten Sie das im Zusammenhang mit dem gemeinsamen Wunsch, die Menschenrechte in Kuba zu verbessern?
Ja, das ist mir bekannt. Ich verweise insofern auf
meine Antwort von eben.
Man weiß es nicht, aber im Zuge der Öffnung, die mit
solchen Besuchen von internationalen Delegationen verbunden ist, könnte es durchaus zu einer Verbesserung
der Lage kommen. Wir begrüßen jedenfalls alles, was es
in Richtung der Verbesserung der Menschenrechtssituation und der Entwicklung hin zur Demokratie gibt.
Herr Kollege Ruck.
Frau Staatsministerin, ich komme noch einmal auf die
Zeit vor der Verhängung der Sanktionen im Jahre 2003
zurück. Auch damals gab es immer wieder den Versuch,
mit hochrangigen diplomatischen Konsultationen eine
Verbesserung der Menschenrechtssituation herbeizuführen. Was gibt Ihnen die Hoffnung, dass sich die Menschenrechtslage in Kuba verbessert, wenn man jetzt wieder zur Situation von vor 2003 zurückgeht?
Ich antworte wie folgt: Würden Sie mir zustimmen,
dass die Verhängung der Sanktionen nicht zu einer Verbesserung der Menschenrechtslage geführt hat, weshalb
es notwendig ist, solche politischen Instrumente von Zeit
zu Zeit zu überprüfen? Eines kann ich sicherlich sagen:
Die Tatsache, dass 14 der zahlreichen Gefangenen freigelassen wurden, ist auch auf das intensive Engagement
und das gemeinsame Vorgehen der europäischen Partner
vor Ort zurückzuführen. Wir haben vor, dies fortzusetzen.
({0})
Ich rufe die Frage 15 des Kollegen Rainer Eppelmann
auf:
Wie wird sich angesichts der Neuausrichtung der europäischen Kubapolitik die Bundesregierung bei der Tagung der
VN-Menschenrechtskommission im März/April 2005 in Genf
gerade auch im Hinblick auf eine mögliche Resolution zu
Kuba verhalten?
Die Bundesregierung geht davon aus, dass von dritter
Seite wie in den Vorjahren auch eine Resolution zur
Menschenrechtslage in Kuba vorgelegt werden wird. Sobald ein Resolutionstext vorliegt, wird die Bundesregierung gemeinsam mit den EU-Partnern prüfen, ob sie den
Text unterstützen und eventuell sogar mit einbringen
kann.
In den kommenden Wochen wird es entscheidend auf
die Menschenrechtspolitik der kubanischen Regierung
im Lichte des eben diskutierten Ratsbeschlusses vom
31. Januar 2005 ankommen. Die Bundesregierung wird
ihre Haltung zum Resolutionsentwurf, die sie eng mit
den EU-Partnern abstimmen wird, mit Blick auf die Entwicklung in Kuba festlegen.
Zusatzfrage?
Nein.
Keine Zusatzfrage. - Ich rufe die Frage 16 der Kollegin Claudia Nolte auf:
Welche Konsequenzen hat die Bundesregierung im Hinblick auf das Votum des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages zu Kuba vom 26. Januar 2005 für die Sitzung des EU-Außenministerrates in Brüssel am 31. Januar
2005 gezogen und was hat sie diesbezüglich für die und während der Sitzung unternommen?
Bundesminister Fischer hat sich in der Sitzung des
Rates für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen am 31. Januar dieses Jahres mit Nachdruck im
Sinne des Beschlusses des Auswärtigen Ausschusses des
Deutschen Bundestages vom 26. Januar 2005 eingesetzt.
Erst nachdem alle anderen Delegationen ihr Einverständnis mit der jetzigen Fassung des Ratsbeschlusses
erklärt hatten, die im Übrigen noch einmal verändert
wurde, und um die Gefahr eines Auseinanderbrechens
der EU in dieser wichtigen Frage zu vermeiden, hat er
sich dem EU-Konsens angeschlossen.
Im Sinne der Entschließung des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages wurde erreicht, dass der Rat
auch beschlossen hat, die Kontakte zu den Dissidenten
zu intensivieren und auf eine solidere Grundlage zu stellen. Die tschechische Regierung, die in der Sitzung
ebenfalls eine kritische Haltung gegenüber der Politik
der kubanischen Regierung eingenommen hatte, hat der
Bundesregierung für die Unterstützung und den dann gefundenen Kompromiss gedankt.
({0})
Zusatzfrage? - Nein.
Dann rufe ich die Frage 17 der Kollegin Nolte auf:
Wie hat die Bundesregierung auf dem EU-Außenministerrat am 31. Januar 2005 bei dem Tagesordnungspunkt „Änderung der EU-Kubapolitik“ und insbesondere bei dem Aspekt,
die Einladung von kubanischen Dissidenten zu Nationalfeiertagen von EU-Mitgliedstaaten auszusetzen, konkret abgestimmt bzw. sich bei der informellen Absprache verhalten?
Der Bundesminister hat sich, wie gerade ausgeführt,
dem EU-Konsens angeschlossen. Dieser Konsens beinhaltet insbesondere ein Einvernehmen über die Ausgestaltung der Kontakte und des Dialogs mit der friedlichen kubanischen Opposition. Bundesminister Fischer
hat im Hinblick auf den 3. Oktober dieses Jahres klargestellt, dass Dissidenten, die an den Feierlichkeiten teilnehmen möchten, nicht zurückgewiesen werden. Die
Deutsche Botschaft in Havanna hat schon bisher Kontakt
zu Mitgliedern der Opposition gehalten und wird diese
weiterhin intensiv pflegen.
({0})
Zusatzfrage?
Frau Staatsministerin, der Beschluss bezüglich der
Einladung der Dissidenten zu den Feierlichkeiten in die
Botschaften ist im Rahmen eines informellen Beschlusses gefasst worden. Ich möchte Sie fragen: Kennen Sie
die Beweggründe dafür, vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass dieser informelle Beschluss postwendend
an die Presse weitergegeben worden ist?
Ich muss einmal nachfragen: Welchen informellen
Beschluss meinen Sie?
Der Presselandschaft ist zu entnehmen gewesen, dass
die konkrete Frage der Einladung der Dissidenten in einem informellen Rahmen besprochen worden ist. Also
muss die Presse dazu einen Zugang gefunden haben.
Die vorläufige Aussetzung der Sanktionen beinhaltet
eben auch, bei der Einladungspraxis anders zu verfahren
und die bisherige Form des Kontakts durch einen anderen, intensiveren Dialog zu ersetzen. Insofern wird die
Praxis bis Juli 2005 so aussehen, dass EU-Länder, deren
Nationalfeiertag vor Juli 2005 begangen wird, zu entsprechenden Veranstaltungen weder Vertreter der kubanischen
Regierung noch Vertreter der friedlichen kubanischen Opposition einladen werden, sondern ausschließlich Angehörige des diplomatischen Korps und eigene Staatsangehörige. Die Einladungspraxis der Bundesregierung ist
davon nicht berührt, da die Überprüfung im Juli ansteht.
Kollege Meckel.
Wie Sie schon dargestellt haben, ist bei dem Außenministertreffen am 31. Januar beschlossen worden, nicht
nur mit den Dissidenten regelmäßigere und intensivere
Kontakte zu pflegen, sondern darüber hinaus auch mit
der Zivilgesellschaft. Gibt es schon konkretere Vorstellungen, wie dies im Einzelnen geschehen kann?
Ich gehe davon aus, dass höherrangige Politiker wie
auch Abgeordnete nicht nur des Deutschen Bundestages,
sondern auch der Europäischen Union bei ihren Besuchen auf Kuba sowohl offizielle Stellen als auch künftig
intensiver Dissidenten und andere Oppositionelle treffen
werden. Ich hoffe aber, dass es darüber hinaus eine Strategie gibt. Können Sie dazu schon etwas sagen? Ansonsten möchte ich die Bitte äußern, dass darüber demnächst
im Auswärtigen Ausschuss berichtet wird.
Wir würden es natürlich ausdrücklich begrüßen, wenn
nun seitens des Parlaments oder der Wirtschaft verstärkt
Besuche stattfänden und dabei der intensive Dialog mit
der Opposition und den Dissidenten gesucht würde.
Im Vorgriff auf meine Antwort auf Frage 18 stelle ich
kurz die geplanten Maßnahmen zu der Frage „Was heißt
ein intensiverer Dialog mit der Opposition?“ dar. Dazu
sollen unter anderem regelmäßige Treffen aller EU-Botschafter mit den Dissidenten gehören, monatliche Treffen
der von den jeweiligen Botschaftsreferenten gebildeten
Menschenrechts-AG mit Dissidenten und Familienangehörigen der Inhaftierten, bilaterale Botschaftskontakte
auf allen Ebenen und eine halbjährliche Bilanz der EUPräsidentschaft über das Erreichte, um einige Beispiele
zu nennen.
Kollege Hedrich.
Frau Staatsministerin, was waren die eigentlichen
Beweggründe der Bundesregierung, sich über das fast
einstimmige Votum des Auswärtigen Ausschusses, die
Einladungspraxis für Dissidenten beizubehalten, hinwegzusetzen?
({0})
Wir haben uns nicht darüber hinweggesetzt. Ich verweise insofern auf meine Antwort auf die vorangegangenen Fragen. Herr Außenminister Fischer hat sich im
Sinne des Beschlusses eingesetzt. Der Beschluss wurde
verändert und es wurde ein Kompromiss gefunden. Die
tschechische Regierung hat sich bei uns für die Unterstützung bedankt. Letztlich war ausschlaggebend, dass
wir den EU-Konsens gesucht haben und ihn auch nicht
verlassen wollen.
Ich betone noch einmal - das halte ich für ein wichtiges und zentrales Element -: Die Europäer dürfen sich in
dieser Frage nicht auseinander dividieren lassen. Wenn
wir Ihrem Vorschlag gefolgt wären, den Sie gerade gemacht haben, dann wäre genau das geschehen.
({0})
Das hielte ich für überhaupt nicht im Interesse der Dissidenten bzw. im Interesse der Verbesserung der Menschenrechtslage in Kuba.
Kollege Weiß.
Frau Staatsministerin, können Sie bei Ihrer Darstellung des Verlaufs der Beratung im EU-Ministerrat vom
31. Januar dieses Jahres bestätigen, dass die Tschechische Republik und einige weitere neue Mitgliedstaaten
der Europäischen Union ursprünglich dezidiert gegen
eine Aufhebung der Sanktionen gegen Kuba votiert haben, nur auf Drängen der Spanier, der Deutschen, der
Franzosen und anderer der Beschluss zur Aufhebung der
Sanktionen erfolgt ist und der deutsche Außenminister
zusätzlich den Beschluss des Auswärtigen Ausschusses
vortragen musste? Es ist also durchaus nicht so, dass
sich andere bei uns dafür bedankt haben, dass wir diesen
Beschluss etwas abgemildert haben. Vielmehr ist auf unser Drängen überhaupt erst der Beschluss zur Aufhebung
der Sanktionen gegen die Bedenken anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union gefasst worden.
({0})
Muss nicht der von Ihnen jetzt angeführte intensivere Dialog mit den Dissidenten geradezu wie ein Trostpflästerchen dafür wirken, dass die eigentlich knallige Nachricht
vom 31. Januar die ist: Wir verzichten künftig darauf, die
Dissidenten zu Empfängen an Nationalfeiertagen einzuladen und damit ein offensives Zeichen nach außen zu
setzen, dass wir uns für die Dissidenten in Kuba einsetzen?
Zur ersten Frage: Ich kann Ihrer Darstellung überhaupt nicht folgen. Ich möchte Sie darauf hinweisen,
dass die EU nach intensiven Beratungen einen Kompromiss gefunden und einen einstimmigen Beschluss gefasst hat, dem sich auch die Beitrittsstaaten angeschlossen haben. Das heißt, wir haben jetzt einen EU-Konsens
und alle europäischen Länder werden ihre Kubapolitik
gemeinsam auf der Grundlage dieses gefundenen Kompromisses gestalten.
Zweitens. Ich kann nicht nachvollziehen, inwiefern
Cocktailempfänge, die eine gewisse Symbolwirkung haStaatsministerin Kerstin Müller
ben können, ein besseres diplomatisches Instrument sind
als ein intensiver und strukturierter Dialog mit der Opposition und mit den Dissidenten. Dieser Einschätzung
kann ich nicht folgen.
({0})
Es geht hier um die Instrumente, und zwar um wirksame Instrumente. Es geht darum, was den Dissidenten
und der Opposition hilft. Symbolik kann hilfreich sein,
aber das war sie offensichtlich in der Vergangenheit
nicht.
({1})
Wir kommen zur Frage 18 des Kollegen Hedrich:
Wie wird die Bundesregierung die Einladungspraxis gegenüber Dissidenten in Kuba in Zukunft handhaben?
Ziel der Bundesregierung und ihrer EU-Partner ist es,
den Kontakt mit der friedlichen kubanischen Opposition
zu intensivieren und regelmäßiger zu gestalten. Am
31. Januar wurde im Rat für Allgemeine Angelegenheiten daher beschlossen, den Dialog auszubauen. Was die
geplanten Maßnahmen betrifft, so verweise ich auf
meine vorhin gegebene Antwort.
Die Deutsche Botschaft Havanna hat auf bilateraler
Ebene stets regelmäßigen Kontakt zu Mitgliedern der
kubanischen Opposition unterhalten. Sie wird diesen
Kontakt weiterhin intensiv pflegen. Bundesminister
Fischer hat darüber hinaus am 31. Januar im Rat für Allgemeine Angelegenheiten klargestellt, dass Dissidenten,
die an Veranstaltungen der Deutschen Botschaft Havanna teilnehmen möchten, nicht zurückgewiesen werden.
Zusatzfrage?
Frau Staatsministerin, ist es möglich, dass Sie uns
noch etwas präziser erläutern, was die Formulierung
„strukturierter Dialog“ bedeutet?
Das habe ich soeben in meiner Antwort auf die Frage
des Kollegen getan.
({0})
Darüber hinaus kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nichts
dazu sagen. Ich meine aber, dass das, was im Zusammenhang mit dem strukturierten Dialog beschlossen
wurde, sehr ins Detail geht.
Gibt es eine weitere Zusatzfrage?
Ich habe eine Frage, in der wir hoffentlich insgesamt
übereinstimmen. Wie bewertet die Bundesregierung den
Vorstoß von Kollegen des Bundestages - und zwar vonseiten der Opposition und der Regierungsfraktionen -,
den Dissidentenführer Oswaldo Payá für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen, und wird sie diesen Vorschlag
gegebenenfalls unterstützen?
Ich habe mich mit diesem Vorschlag noch nicht befasst, werde dies aber tun. Wir werden den Vorschlag
wohlwollend prüfen. Ich kann auf den ersten Blick
nichts erkennen, das gegen den Vorschlag spricht.
Frau Kollegin Nolte.
Frau Staatsministerin, es müsste doch die kubanische
Regierung noch mehr verärgern, wenn auf der einen
Seite in der Hoffnung, wieder einen Gesprächsfaden auf
einer höheren, diplomatischen Ebene zu knüpfen, die
Einladungspraxis geändert wird, auf der anderen Seite
aber als Ausgleich beschlossen wird, in verstärktem
Maße einen strukturierten Dialog mit den Dissidenten zu
führen. Das steht doch im Widerspruch zu der Möglichkeit, wieder einen diplomatischen Dialog zu beginnen.
Die dahinter stehende Logik würde ich gerne von Ihnen
erläutert bekommen.
Inwieweit gehört die Einladungspraxis nicht zu einem
strukturierten Dialog? Beides wird oft alternativ betrachtet. Welche Erwartungshaltung haben Sie, wenn Sie auf
der einen Seite etwas weniger machen, um wieder offizielle Kontakte zu bekommen, aber auf der anderen
Seite hintenherum eigentlich mehr machen möchten,
was dem entgegenlaufen würde?
Wir machen nichts hintenherum. Man könnte sagen:
An die Stelle von Symbolik, die durchaus wirksam sein
kann, sollen ein strukturierter Dialog gemeinsam mit den
EU-Partnern, der Opposition und den Dissidenten sowie
- auch das beinhaltet der Beschluss - die Aussetzung der
Sanktionen treten. Politische Kontakte auf hochrangiger
Ebene und auch Kontakte zur kubanischen Regierung
- insbesondere zu gemäßigteren Kräften innerhalb der
Regierung - sollen wieder möglich sein, um gegebenenfalls auch etwas im Sinne der Menschenrechte zu bewirken.
Diese Logik steht hinter der Aussetzung des Beschlusses. Wie gesagt: Er wird regelmäßig überprüft. Ob
dieser Weg erfolgversprechend ist, kann ich Ihnen zum
jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Diese Frage ist auch für
mich offen.
Zu Ihrer zweiten Frage: Herr Castro hat in der Tat in
einer für ihn üblichen Art und Weise darauf reagiert. Er
hat in einer sehr langen Rede über vier Stunden, die ich
selber nicht mit verfolgt habe, am Rande festgestellt, die
EU wolle wohl das Totenglöckchen für ihn läuten, um
ihm anschließend zu verzeihen. Auf dieser Seite gibt es
also offensichtlich wenig Bewegung. Aber so, wie wir
uns den Dialog in der Zukunft vorstellen, müssen wir abwarten, ob nicht doch ein bisschen Bewegung in die Sache kommt.
Kollege Weiß.
Frau Staatsministerin, Sie haben mehrmals darauf
hingewiesen, dass die Bundesregierung den Beschlüssen
des EU-Ministerrates vom 31. Januar zur Aufhebung der
Sanktionen gegen Kuba und der künftigen Politik im
Umgang mit den Dissidenten zugestimmt habe, um ein
Auseinanderbrechen der EU in diesen Fragen zu verhindern. Dies zeigt ja, dass es darüber sehr unterschiedliche
Vorstellungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen
Union gegeben hat.
Ist es richtig, dass die Initiative zu den Beschlüssen
vom 31. Januar 2005 von der spanischen Regierung ausgegangen ist, deren neuer Ministerpräsident Zapatero
({0})
in außenpolitischen Fragen offenbar immer genau das
Gegenteil von dem machen muss, was sein Vorgänger
Aznar getan hat, und - das ist in Deutschland Gott sei
Dank nicht so in Mode - nicht auf Kontinuität in der Außenpolitik setzt? Ist es richtig, dass es vor allen Dingen
dieser Politik Zapateros zu verdanken ist, dass sich der
EU-Ministerrat mit dem Thema „Aufhebung der Sanktionen gegen Kuba“ überhaupt befassen musste? Warum
hat sich die Bundesregierung von der spanischen Diskontinuität in der Außenpolitik zu dem Votum vom
31. Januar 2005 verleiten lassen?
Herr Kollege, die in Ihrer Frage enthaltenen zahlreichen Wertungen über den spanischen Ministerpräsidenten kann ich natürlich nicht unterstützen, sondern weise
sie mit Empörung zurück. Das spanische Volk hat eine
neue Regierung gewählt. Punkt! Das habe ich nicht zu
kommentieren. Nach meiner Kenntnis ging die Initiative
in der Tat von der spanischen Regierung aus. Aber ich
darf Sie noch einmal darauf hinweisen, dass ein einstimmiger Beschluss im Rahmen der EU gefasst wurde. Alle
Mitgliedstaaten, auch die Beitrittsländer, haben sich hier
auf einen Kompromiss verständigt und werden in Zukunft ihre Kubapolitik auf der Grundlage dieses Beschlusses ausrichten.
Kollege Mark.
Frau Staatsministerin, hier wird von der Opposition
ständig der Eindruck erweckt, als ob nur die Überlegungen der spanischen Regierung zu einer Veränderung der
EU-Auffassung geführt hätten. Ist es zutreffend, dass
auch die Dissidenten in Kuba die Situation sehr unterschiedlich sehen und dass unter anderem der mehrfach
angeführte Dissident Payá deutlich gesagt hat: „Nur
wenn Beziehungen zwischen der Europäischen Union
und der kubanischen Regierung bestehen, können wir
auf eine Linderung der Probleme bzw. der Problemlage
und auf Veränderungen hoffen“? Ist Ihnen außerdem bekannt, dass zum Beispiel die katholische Kirche in Kuba
dies ebenfalls so sieht wie die Europäische Union?
Herr Kollege Mark, das ist mir bekannt und es ist gut,
dass Sie darauf hinweisen. In der Tat diskutieren die Dissidenten kontrovers darüber. Einige sind aber sehr dezidiert der Meinung, dass es sehr wichtig ist, dass gerade
die Europäische Union, und zwar alle ihre Mitgliedstaaten gemeinsam, ihre Kontakte zur kubanischen Regierung nicht abbrechen darf, wenn sie im Sinne und zugunsten der Sache der Dissidenten und der Opposition
sowie im Hinblick auf eine Bewegung in Richtung Demokratie etwas erreichen möchte.
Ich rufe die Frage 19 des Kollegen Hedrich auf:
Welche konkreten Erwartungen verbindet die Bundesregierung mit der veränderten Praxis?
Die Frage nach den konkreten Erwartungen der Bundesregierung ist schon gestellt worden. Insofern verweise ich auf meine zuvor gegebenen Antworten.
Sehr gut. - Ich rufe die Frage 20 des Kollegen
Dr. Ruck auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Äußerung Fidel
Castros als Reaktion auf die zeitweilige Aufhebung diplomatischer Sanktionen, dass Kuba die EU nicht brauche?
Falls dieser Kollege seine Frage ebenfalls für beantwortet hält, müssen Sie nicht mehr antworten, Frau Ministerin.
Die Bundesregierung versteht diese Äußerung Fidel
Castros als Unzufriedenheit mit dem Beschluss des Rates für Allgemeine Angelegenheiten. Die EU-Partner haben am 31. Januar 2005 einvernehmlich ihre gemeinsame Linie gegenüber Kuba festgelegt. Wir wollen die
Beziehungen zur friedlichen politischen Opposition sowie zu breiteren Schichten der kubanischen Zivilgesellschaft durch einen intensiveren und regelmäßigeren Dialog ausbauen. Gleichzeitig sind wir bereit, einen
konstruktiven Dialog mit den kubanischen Behörden zu
führen, um greifbare Ergebnisse auf politischem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet sowie im Bereich
der Menschenrechte zu erzielen.
Zusatzfrage.
Sehen Sie in der Umgebung von Castro Partner, die
Sie für gesprächsfähiger als Castro selbst halten?
Das ist schwierig zu beantworten. Erlauben Sie mir
folgende Antwort: Diese Frage möchte ich ungern öffentlich diskutieren.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage? - Nein, und zwar im Einvernehmen.
Frage 21 des Kollegen Ruck:
Wie wertet die Bundesregierung die Aussage der amerikanischen Außenministerin Condoleezza Rice, die Kuba als eines von sechs Ländern als „Vorposten der Tyrannei“ bezeichnete?
Die Aussage der amerikanischen Außenministerin
entspricht der bekannten Haltung der US-Administration
zur menschenrechtlichen Situation in Kuba. Fest steht,
dass die Menschenrechtssituation in Kuba sehr schlecht
ist. Sowohl die US-Administration als auch die Bundesregierung als auch die EU-Partner haben diese Situation
kritisiert. Insofern stimmen unsere Positionen überein.
Die Beschlüsse des Rates für Allgemeine Angelegenheiten vom 31. Januar zielen auf eine Verbesserung der
Lage der friedlichen Dissidenten und der Menschenrechtssituation in Kuba insgesamt ab.
Zusatzfrage. - Keine.
Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Vaatz auf:
Wie wird nach Kenntnis der Bundesregierung in Zukunft
die Einladungspraxis gegenüber kubanischen Dissidenten von
der EU und dabei insbesondere in den drei Beitrittsstaaten
Tschechien, Polen, Slowakei sowie den Niederlanden gehandhabt?
Auch diese Frage habe ich schon beantwortet; es geht
dabei noch einmal um die Einladungspraxis. EU-Länder,
deren Nationalfeiertag vor Juli 2005 begangen wird,
werden zu entsprechenden Veranstaltungen weder Vertreter der kubanischen Regierung noch Vertreter der
friedlichen kubanischen Opposition einladen. Das gilt
insbesondere für die in dieser Frage angesprochenen
Niederlande, die ihren Nationalfeiertag am 30. April begehen.
Zusatzfrage.
Frau Staatsministerin, ich habe Sie speziell vor dem
Hintergrund des Vorgehens in Tschechien, in Polen und
in der Slowakei gefragt. Diese Länder und auch die frühere DDR - das verbindet diese Länder mit der heutigen
Bundesrepublik Deutschland - hatten 30 Jahre lang eine
Waffenbrüderschaft mit Kuba. Können Sie bestätigen,
dass eines der wesentlichen Argumente derjenigen, die
ihre Regierungen in Tschechien, in Polen oder der Slowakei gedrängt haben, die Dissidenten weiter einzuladen, war, dass es gegenüber Kuba einen Wiedergutmachungsbedarf gibt, weil diese Länder im Rahmen dieser
Waffenbrüderschaft 30 Jahre lang dazu beigetragen haben, die Diktatur in Kuba so auszustatten, dass sie bis
heute existiert?
Meine zweite Frage ist -
Diese Frage sollten Sie erst nach Beantwortung der
ersten Zusatzfrage stellen.
({0})
Frau Staatsministerin, bitte sehr.
Ob das Argument der Wiedergutmachung eine Rolle
gespielt hat, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich kann nur
noch einmal auf die Antworten auf die vorangegangenen
Fragen verweisen. Tschechien ist eines der Länder, die
im Hinblick auf die Aussetzung der Sanktionen eine sehr
kritische Position einnahmen. Noch einmal: Alle Beitrittsstaaten haben dem Beschluss zugestimmt und sich
dem dort gefundenen Kompromiss nach intensiven Beratungen angeschlossen.
Zweite Zusatzfrage.
Sie können die Notwendigkeit der Wiedergutmachung durch die genannten Länder also nicht bestätigen.
Halten Sie einen solchen Wiedergutmachungsbedarf der
Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolgerin der
früheren DDR in Erwägung der gewaltigen Unterstützung, die zum Beispiel das Ministerium für Staatssicherheit beim Aufbau von totalitären Strukturen in Kuba geleistet hat, für realistisch?
Ich bitte Sie! Natürlich muss man dieses Kapitel der
Vergangenheit zutiefst kritisieren. Jetzt geht es uns doch
gemeinsam darum - Sie nennen es „Wiedergutmachung“ -, wie wir die Situation der Dissidenten, der
Oppositionellen und die Demokratie in diesem Lande
verbessern können. Ich würde dabei nicht von „Wiedergutmachung“ sprechen; vielmehr möchte ich dabei von
der moralischen Pflicht eines jeden Demokraten sprechen. Das ist die Intention des Beschlusses.
In der Einschätzung der politischen Lage stimmen
wir, glaube ich, völlig überein. Die Frage ist: Welchen
Weg wählen wir, um eine Verbesserung der Lage zu erreichen? Die Überprüfung des Beschlusses des Allgemeinen Rates wird ergeben, welche Instrumentarien die
geeignetsten sind.
Das waren die beiden Zusatzfragen zur Frage 22.
({0})
- Entschuldigung. Die Meldung ist hier nicht registriert
worden. Bitte schön.
Frau Staatsministerin, nachdem diese Frage von
Herrn Vaatz in die Richtung geht, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland Abbitte tun und ein schlechtes
Gewissen haben müssten, frage ich: Können Sie der Beurteilung zustimmen, dass Kuba zum Teil nur deswegen
in der heutigen Art und Weise existiert, weil eine Blockadepolitik betrieben wurde und weil 1992 der
Torricelli-Act und 1996 der Helms-Burton-Act verhängt
wurden, was im Grunde genommen jeweils gegen geltendes Völker- und Handelsrecht verstieß?
({0})
Auf die Diskussion über den letzten Teil Ihrer Frage
möchte ich mich jetzt nicht einlassen. Generell noch einmal Folgendes: Es gibt immer noch eine Form der klaren
Politik der Isolation dieser Regierung. Aus gutem Grund
wurden auch die Sanktionen verhängt, weil wir nämlich
Kritik an der Menschenrechtslage haben. Diese Instrumente gilt es aber immer wieder zu überprüfen. Wenn
wir feststellen, dass eine Isolationspolitik eher dazu
führt, dass sich die Lage von Dissidenten und Oppositionellen verschlechtert - diese Frage müssen wir uns nicht
nur mit Blick auf Kuba, sondern auch mit Blick auf andere Länder stellen -, dann muss dieses Instrument überprüft werden und muss überlegt werden, ob zum Beispiel das Instrument des kritischen Dialogs - so möchte
ich es einmal nennen - nicht eher dazu führen kann, dass
sich ein Land öffnet und dass sich damit auch die Situation der Oppositionellen verbessert.
Frage 23 des Kollegen Vaatz:
Wie beurteilt die Bundesregierung die kritische Einschätzung mehrerer führender Dissidenten, zum Beispiel die von
Vladimiro Roca und Sanchez Santa Cruz, zur Neuausrichtung
der europäischen Kubapolitik und teilt sie die Einschätzung,
dass Fidel Castro bestrebt sei, die EU-Mitgliedstaaten zu spalten?
Den Vertretern der friedlichen kubanischen Opposition und der EU kommt es vor allem darauf an, konkrete
Verbesserungen der Menschenrechtslage in Kuba zu erreichen. Die Bundesregierung ist sich bewusst, dass die
Beschlusslage der EU nicht in jeder Hinsicht dem aus
Sicht einiger Dissidenten Wünschbaren entsprechen
kann. Aus unseren Kontakten wissen wir jedoch, dass
die Dissidenten einen regelmäßigeren intensiveren Dialog mit den EU-Botschaften ausdrücklich begrüßen. Gerade mit dem am 31. Januar gefassten Beschluss hat die
EU auch deutlich gemacht, dass sie sich von der kubanischen Regierung nicht auseinander dividieren lässt; ich
verweise insofern auch auf meine Antworten auf vorangegangene Fragen, in denen ich ausgeführt habe, wie die
Dissidenten und die Opposition diese neue Beschlusslage bewerten.
Zusatzfrage.
Meine Frage, Frau Ministerin, ist: Sind Ihnen ganz
konkrete Äußerungen bekannt, mit denen die speziellen
Gruppierungen, die ich in der Frage genannt habe, die
Beschlusslage der Europäischen Union ausdrücklich begrüßt haben und sie als einen vernünftigen, realistischen
Weg zur Verbesserung der Menschenrechtslage in Kuba
betrachten?
Herr Kollege Mark hat eben ein Beispiel genannt.
Dieser Dissident spricht sich dafür aus, dass die EU ihre
Kontakte intensiviert.
Noch einmal: Unser Ziel hier ist das gleiche. Wir wollen die Menschenrechtslage verbessern. Wir wollen die
Situation der Dissidenten verbessern. Selbstverständlich
sind wir mit den Dissidenten im Gespräch über den Beschluss und darüber, wie sozusagen das Verhältnis und
der intensivere Dialog jetzt weiter gestaltet werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie damit die
letzte Äußerung des Kollegen Mark gemeint haben, Kerstin Müller, Staatsministerin im Auswärtigen
Amt:
Nein, die zuvor. Ich habe die Zusatzfrage nicht gezählt.
- jedenfalls nicht die Äußerung, in der der Kollege
Mark die gesamte kubanische Bevölkerung mit Kriegsgefangenen gleichgesetzt hat?
({0})
Entschuldigen Sie, Herr Kollege Vaatz, es ist jetzt
nicht meine Aufgabe, Ihre Wertung der Frage des Kollegen Mark, die ja wiederum eine Wertung enthielt, zu bewerten und zwischen beiden Wertungen den Schiedsrichter zu spielen. Vielleicht sollte der Deutsche
Bundestag dazu noch einmal eine Debatte führen. Dann
können wir hier nämlich die Argumente freudig austauschen und es entstehen auch keine Missverständnisse.
Frau Staatsministerin, ich empfehle, diesen Vorschlag
an einen der Parlamentarischen Geschäftsführer weiterzureichen, damit er in geeigneter Weise in das weitere
Verfahren eingeführt werden kann.
Weitere Zusatzfragen zu dieser Frage habe ich nicht
registriert.
Ich rufe nun die Frage 24 des Kollegen Singhammer
auf:
Hat die Bundesregierung mein Schreiben an das Auswärtige Amt vom 19. Juni 2000, auf das sich Artikel in der
„Frankfurter Rundschau“ vom 4. Februar 2005 und im
„Münchner Merkur“ vom 5. Februar 2005 beziehen, an die
Presse bzw. Medien weitergegeben?
Herr Kollege Singhammer, die Antwort auf Ihre
Frage lautet: Nein.
Sehr übersichtlich. - Zusatzfragen?
Selbstverständlich. - Frau Staatsministerin, es ist bekannt, dass das Auswärtige Amt die Korrespondenz von
Abgeordneten danach gesichtet hat, ob diese Korrespondenz geeignet sei, zu einer Entlastung des Bundesaußenministers in der Visaaffäre beizutragen. Ich selbst habe
mich in der Tat in einem humanitären Einzelfall ebenso
wie einige andere Kollegen, so der Kollege Bosbach, an
den damaligen Staatsminister Volmer gewandt.
({0})
In der „Augsburger Allgemeinen“ vom 4. Februar
dieses Jahres war zu lesen, dass die Abgeordnete
Claudia Roth den Medien einen Brief vorgelegt hat, den
ich an den Staatsminister Volmer geschrieben habe und
in dem ich aus humanitären Gründen eine Einreise befürwortete. Es ging um einen Einzelfall, nämlich eine
ganz schwierige krankheitsbedingte Situation eines kleinen Buben. Ich selbst habe diesen Briefverkehr nicht der
Frau Roth gegeben und auch niemanden dazu veranlasst.
Hat die Bundesregierung, hat das Auswärtige Amt,
Frau Staatsministerin, Untersuchungen eingeleitet, wie
dieser Schriftverkehr zu Händen der Kollegin Claudia
Roth gekommen ist? Haben Sie diesbezüglich interne
Untersuchungen durchgeführt? Haben Sie wegen offenkundigen Verstoßes gegen das Datenschutzgesetz die
Staatsanwaltschaft eingeschaltet?
Herr Kollege Singhammer, Ihre Frage lautete, ob die
Bundesregierung Ihr Schreiben an die Medien weitergegeben habe. Diese beantworte ich noch einmal mit Nein.
Ihre Zusatzfrage lautet, ob wir das Schreiben an die
Kollegin Roth weitergeben haben. Auch hierzu kann ich
nur sagen: Nein, das ist mir nicht bekannt.
Im Übrigen möchte ich die in Ihrer umfangreichen
Frage aufgestellte Behauptung, wir hätten die Briefe von
Abgeordneten gesichtet, um entlastendes Material für
Minister Fischer zusammenzutragen, ganz deutlich und
nachdrücklich zurückweisen. Ich möchte auch noch einmal sagen, dass ich es sehr begrüße, Herr Kollege
Singhammer, dass sich Abgeordnete aller Fraktionen
- ich bekomme solche Briefe täglich - für die humanitären Belange von Menschen und von Flüchtlingen, die
hier leben, und auch für Visaerteilungen einsetzen.
Noch eine Zusatzfrage.
Frau Staatsministerin, nachdem Sie diesen Punkt angesprochen haben, möchte ich dazu ausführen, dass es
mir nicht um die Befürwortung einer massenhaften Einschleusung von Zwangsprostituierten ging, sondern um
den Fall eines fünfjährigen Jungen, der mit Blutkrebs in
einer Münchener Universitätsklinik lag und dessen Heilerfolg davon abhing, dass sein einziger Verwandter, ein
Onkel aus Kasachstan, ein Einreisevisum bekam, um zu
ihm zu gelangen. Das hat mit der eigentlichen Causa
nichts zu tun.
({0})
Ich möchte aber noch einmal bei meiner Frage nachhaken. Sie haben festgestellt, Sie hätten meinen Brief
nicht weitergegeben. Ich stelle fest, dass Frau Roth diese
Korrespondenz von mir nicht erhalten hat und ich sie
auch sonst niemandem zugänglich gemacht habe. Haben
Sie denn dann nicht Veranlassung gesehen, in Ihrem
Ministerium nachzuprüfen, wie dieser komplette Schriftverkehr, der ja nur in Ihrem Ministerium vorhanden ist,
zu Händen der Frau Roth gelangt ist?
Ich weiß nicht, ob dieser Schriftverkehr nur im Ministerium vorhanden ist. Ich kann mich erinnern, dass mich
in den letzten anderthalb Jahren in den Fragestunden
Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion mit sehr vielen
Unterlagen, Briefen usw. konfrontiert haben.
({0})
Ich kann Ihnen nur noch einmal sehr deutlich sagen:
Die Bundesregierung hat diesen Briefwechsel nicht weitergegeben. Ich möchte hinzufügen: Ich finde es sehr honorig, dass Sie sich im Falle dieses Buben für die Erteilung eines Visums eingesetzt haben. Ich hoffe, dass die
Diskussion, die wir zurzeit im Zusammenhang mit dem
Visa-Untersuchungsausschuss führen, nicht zur Folge
hat, dass es künftig nur noch schwer möglich sein wird,
solche berechtigten humanitären Begehren positiv zu bescheiden.
({1})
Eine Zusatzfrage des Kollegen von Klaeden.
Frau Staatsministerin, der Fall, den der Kollege
Singhammer geschildert hat, ist ja kein Einzelfall. In der
letzten Zeit mehren sich Fälle, in denen Briefe, die Kollegen an das Auswärtige Amt geschrieben haben, in dem
vom Kollegen Singhammer beschriebenen Zusammenhang in der Presse auftauchen, obwohl die Kollegen versichern, dass sie diese Briefe nicht an Dritte weitergeleitet haben. Deswegen - damit wir das für das Protokoll
ganz klar haben - meine Frage: Wissen Sie davon nichts
oder können Sie bestätigen, dass Sie es nicht veranlasst
haben, dass diese Briefe an Dritte weitergegeben werden?
Ich verweise noch einmal auf meine Antworten zu
den Fragen des Kollegen Singhammer. Die Antwort lautet: Nein.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Rose.
Halten Sie es nicht für seltsam, Frau Staatsministerin,
wenn Sie - wie es vorhin in Ihrer Antwort zum Ausdruck kam - in Verteidigung - so muss ich es empfinden - der unsäglichen Konsequenzen von hunderttausendfachem Missbrauch jetzt bei den Abgeordneten wiederum so tun, als wären wir, weil wir einige humanitäre
Anliegen weitergetragen haben, schuld daran, dass diese
Praxis in Zukunft vielleicht nicht mehr möglich ist? Das
passt doch überhaupt nicht zusammen.
Herr Kollege, ich kommentiere Ihre Einschätzung
meiner gegebenen Antworten nicht. Ich möchte nur wiederholen: Ich hoffe, dass die Diskussion im Zusammenhang mit dem Visa-Untersuchungsausschuss nicht dazu
führt, dass Ermessensspielräume, die wir im Sinne einer
positiven Visaerteilung für humanitäre Einzelfälle auszuschöpfen versuchen, in der Zukunft verbaut werden.
Sie wissen genau, dass sich die Visapolitik - jede Visapolitik, auch die Visapolitik der Vorgängerregierung - in
dem Spannungsfeld bewegt, einerseits der Reisefreiheit
und humanitären Einzelfällen und andererseits den Sicherheitsbedürfnissen unseres Landes Genüge zu tun.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Feibel.
Frau Staatsministerin, ist es nicht seltsam, dass Ihr
Minister und andere auch bei allen öffentlichen Auftritten gerade in den letzten zwei, drei Tagen diese humanitären Anliegen in einen engen Zusammenhang mit der
durch die Öffnung ermöglichten massenweisen Einreise
von Touristen, Prostituierten, Schwarzarbeitern, Kriminellen usw. gebracht haben, und wäre es nicht angebracht, dass man hier sauberer differenziert und die
wirklichen Anliegen, von denen auch Sie eben gesprochen haben, nicht in diesen Sachzusammenhang stellt?
Herr Kollege, ich verweise insofern auf die von mir in
den zahlreichen Fragestunden gegebenen Antworten.
Bezüglich der Erlasse, über die wir hier diskutiert haben,
aber auch der Reisebüroverfahren und der Reiseschutzpässe habe ich hier mehrfach zu Protokoll gegeben, dass
sich die Visaerteilungspraxis in dem Spannungsfeld bewegt, einerseits der Reisefreiheit und humanitären Anliegen und andererseits den Sicherheitsbedürfnissen der
Bundesrepublik gerecht zu werden. In diesem Spannungsfeld bewegt sich Visapolitik generell. Dies war
nun einmal der Hintergrund - auch insofern verweise ich
auf die von mir gegebenen Antworten - für den so genannten Volmer-Erlass, ebenso die zahlreichen Briefe
und Anliegen, die aus allen Fraktionen kamen, hier Ermessensspielräume - wohlgemerkt: Ermessensspielräume - zu erweitern. Sie wissen: Heute haben wir eine
andere Sachlage im Hinblick auf die Visapraxis.
({0})
Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Dr. Klaus Rose
auf:
Welchen ehemaligen Botschaftern des Auswärtigen Amts
wurde in den zurückliegenden fünf Jahren der ehrenvolle offizielle Nachruf des Auswärtigen Amts versagt?
Herr Kollege Rose, wenn Sie erlauben, würde ich die
Fragen 25 und 26 gerne im Zusammenhang beantworten.
Dann rufe ich noch die Frage 26 des Kollegen
Dr. Klaus Rose auf:
Nach welchen Kriterien veranlasst das Auswärtige Amt
einen offiziellen ehrenvollen Nachruf für verdiente Führungspersönlichkeiten im deutschen diplomatischen Dienst?
Die bisherige Praxis des Auswärtigen Amtes, jedem
ehemaligen Mitarbeiter einen Nachruf in der internen
Zeitschrift des Auswärtigen Amtes zukommen zu lassen,
wurde ab September 2003 aus gegebenem Anlass abgeändert. Auslöser war der Nachruf für einen ehemaligen
Bediensteten, der so nie hätte erscheinen dürfen und der
für erhebliche Entrüstung sorgte. Der Verstorbene hatte
vor 1945 als Oberstaatsanwalt und NSDAP-Mitglied in
einem der von Deutschland besetzten Gebiete an zahlreichen Verfahren mitgewirkt. Vergleichbare Fälle würden
im In- und Ausland zu Recht auf Unverständnis und Empörung stoßen und wären geeignet, das Ansehen der
Bundesrepublik zu beschädigen.
Ehemalige Angehörige des Auswärtigen Amtes, die
Mitglieder der NSDAP waren, erhalten deshalb grundsätzlich keinen Nachruf mehr. Deswegen unterblieb
auch, wie kürzlich bekannt geworden, der Nachruf für
einen ehemaligen Bediensteten, der Untersturmführer
der SS und Mitglied der NSDAP war.
Bei der Entscheidung über die Veröffentlichung eines
Nachrufes durch das Auswärtige Amt geht es nicht um
eine erneute historische Aufarbeitung der Vergangenheit
einzelner ehemaliger Amtsangehöriger. Das ist und
bleibt Aufgabe der Historiker.
Von der Änderung der Nachrufpraxis seit September
2003 waren bislang zwölf Angehörige des höheren
Dienstes betroffen. Ich bitte Sie aber um Verständnis,
dass das Auswärtige Amt aufgrund datenschutzrechtlicher Vorgaben und wegen der Persönlichkeitsrechte der
Betroffenen und Hinterbliebenen ohne Einwilligung der
Hinterbliebenen keine Stellung zu Einzelfällen nehmen
kann.
Ihre erste Zusatzfrage, bitte.
Ich hatte ursprünglich gefragt, ob es für ehemalige
Botschafter entsprechende Zahlen aus den zurückliegenden fünf Jahren gibt. Ich möchte die Frage aber weiter
fassen: Kann es sein, dass auch Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes im gehobenen Dienst, die bei Kriegsende
18 Jahre alt waren, Mitglied in der Hitlerjugend waren
und später im auswärtigen Dienst beschäftigt waren, keinen ehrenvollen Nachruf bekommen haben?
Dies kann sein. Ich kann nur wiederholen: Mir sind
zwölf Angehörige des höheren Dienstes bekannt, auf die
der in der Frage 25 beschriebene Sachverhalt zutrifft. Es
gibt weitere Fälle aus dem Bereich des gehobenen
Dienstes. Ich kann aber ohne Einwilligung der Hinterbliebenen über die betroffenen Personen keine näheren
Angaben machen, weil dies den datenschutzrechtlichen
Vorgaben widersprechen würde.
Eine weitere Zusatzfrage.
Beurteilen Sie demnach die Stellungnahme der etwa
110 ehemaligen Botschafter und Staatssekretäre - darunter waren praktisch alle Staatssekretäre des Auswärtigen Amtes der letzten 25 Jahre -, die einen eigenen
ehrenden Nachruf in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ veröffentlicht haben, als falsch verstandenen
Korpsgeist?
Ich habe nicht zu kommentieren, was ehemalige Angehörige des Auswärtigen Amtes in einer Zeitungsanzeige zum Ausdruck gebracht haben. Ich möchte aber
noch einmal darauf hinweisen, dass über die Person, um
die es hier geht und der wir einen Nachruf verweigert haben, eine sehr ausführliche und sehr lesenswerte Darstellung in dem Werk „Verschworene Gesellschaft“ von
Hans-Jürgen Döscher existiert. Darin wird deutlich, dass
jener Betroffener eben nicht nur NSDAP-Mitglied war,
sondern auch Untersturmführer der SS und dass er länger und in anderer Weise, als er zunächst behauptet
hatte, in Ereignisse der Vergangenheit verstrickt war.
Ich glaube, dass allein schon die Debatte darüber, ob
in einzelnen Fällen ein Nachruf veröffentlicht werden
soll, dem Ansehen Deutschlands im Ausland möglicherweise schaden könnte. Denn die Überlebenden und die
Hinterbliebenen der Opfer haben überhaupt kein Verständnis dafür, dass wir eine solche Diskussion führen.
Sie empfinden es als eine Verhöhnung der Opfer, wenn
wir uns der Vergangenheit nicht stellen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat - das hat auch
die Debatte in der UN-Generalversammlung in New
York gezeigt - ein sehr hohes Ansehen im Hinblick auf
die Aufarbeitung ihrer Geschichte. Wir sind sehr entschlossen, diese Politik fortzusetzen.
Herr Kollege Rose, Sie haben noch zwei Zusatzfragen. Danach rufe ich den Kollegen von Klaeden auf.
Frau Staatsministerin, Sie haben gesagt, dass man mit
dieser Debatte das Ansehen Deutschlands beschädigt
hat. Muss ich dieser Antwort entnehmen, dass die jetzige
Führung des Auswärtigen Amts der Meinung ist, dass
diese 110 früheren herausragenden Mitarbeiter - bis hin
zu vielen Staatssekretären - mit ihrem Nachruf in der
„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ dem Ansehen der
Bundesrepublik Deutschland geschadet haben?
Nein, dies können Sie so nicht interpretieren. Ich verweise vielmehr auf meine Antwort. Ich habe eine solche
Anzeige nicht zu kommentieren. Ich empfehle aber die
ausführlichen Darstellungen der Vergangenheit der
Person, der ein Nachruf verweigert wurde, in „Verschworene Gesellschaft“ von Döscher.
Herr Kollege Rose, Ihre letzte Frage.
Gehen Sie davon aus, dass diese hochrangigen Außenamtsmitarbeiter eigentlich der Meinung waren, dass
man sich im Leben auch wandeln kann und eine Wandlung im Laufe eines langen Lebens am Schluss zu einer
ehrenvollen Bewertung führen kann, oder sind Sie der
Meinung, dass diese herausragenden Mitarbeiter des
Auswärtigen Amts in dieser Beurteilung falsch gelegen
haben?
Mir ist die Motivation der Unterzeichner im Einzelnen nicht bekannt. Insofern kann ich das nicht kommentieren.
Herr Kollege von Klaeden, bitte.
Frau Staatsministerin, Sie antworten hier für die Bundesregierung. Deswegen möchte ich fragen, ob die Kriterien, die Sie gerade genannt haben, um ehemaligen Beamten des Auswärtigen Amtes einen Nachruf zu
verweigern, auch für andere Mitarbeiter der Bundesregierung, für andere ehemalige Bundesbeamte und für
ehemalige Mitglieder der Bundesregierung gelten oder
ob hier ein Sonderrecht für ehemalige Beamte und Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes besteht? Ansonsten
würde ich anregen, in dieser Frage eine einheitliche
Position der Bundesregierung herzustellen und diese
nicht nur auf die Beamten, sondern auch auf die Mitglieder der Bundesregierung zu beziehen.
Herr von Klaeden, ich darf auf Folgendes hinweisen:
Es handelt sich hier um einen Nachruf in einer internen
Mitarbeiterbroschüre des Auswärtigen Amtes, die „intern AA“ heißt. Mir ist nicht bekannt, ob alle Behörden
eine ähnliche Broschüre haben. Das ist eine interne Publikation; darum geht es. Insofern weiß ich nicht, ob die
Praxis, die wir nach jenem Fall eingeführt haben, nämlich denjenigen, die Mitglied der NSDAP waren, grundsätzlich in „intern AA“ einen Nachruf zu verweigern,
übertragbar ist.
({0})
- Um noch einmal die Dimension klar zu machen: Es
geht um eine interne Zeitschrift für Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes.
({1})
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
Auswärtigen Amtes. Vielen Dank, Frau Staatsministerin,
für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Die Fragen beantwortet Herr
Parlamentarischer Staatssekretär Fritz Rudolf Körper.
Ich rufe die Frage 27 des Kollegen Uwe Schummer
auf:
Wie weit sind die Bestrebungen der Bundesregierung gediehen, entsprechend dem Schengener Abkommen von 1990
ein integrales Digitalfunksystem für hoheitliche Aufgaben zu
errichten?
Herr Kollege Schummer, ich beantworte Ihre Frage
wie folgt: Am 25. und 26. Januar dieses Jahres fand entsprechend der Projektplanung - es ist mir wichtig, dies
festzuhalten - die vorgesehene Sitzung der Projektgruppenleiter statt, auf der die fachliche Abstimmung über
die funktionalen Anforderungen an das künftige BOSDigitalfunksystem abgeschlossen wurde. Aus Sicht des
Bundes gilt es jetzt, das Projekt zügig umzusetzen und
keine weiteren Verzögerungen mehr zuzulassen.
Vor diesem Hintergrund ist eine Sonderkonferenz der
Innenminister zum Thema „Einführung BOS-Digitalfunk“ avisiert. Derzeit findet die Abstimmung über einen zeitnahen Sitzungstermin statt. Wir, der Bund, sind
zuversichtlich, dass die Sitzung der Innenminister neben
der Regelung der Kostenverteilung zu einer verbindlichen Klärung über den Fortgang des Verfahrens führen
wird.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Herr Staatssekretär, wie bewerten Sie die Befürchtung, dass derzeit aufgrund von inkompatiblen Kommunikationsnetzen im Katastrophenfall eine direkte Kommunikation zwischen den Hoheitsorganen nicht möglich
ist, und in welchem Zeitraum wird dieser Zustand beendet sein?
Es gibt zwei Notwendigkeiten für die Einführung des
Digitalfunksystems. Die eine Notwendigkeit besteht aufgrund der Verpflichtungen auf europäischer Ebene. Sie
wissen, dass die Einführung des Digitalfunks keine nationale Angelegenheit ist; vielmehr haben sich die EU-Mitgliedstaaten dazu verpflichtet und die entsprechenden
Prozesse sind im Gange.
Zum Zweiten - das haben Sie völlig richtig beschrieben - ist es in unserem Interesse, zu einem Kommunikationssystem zu kommen, das unter den Beteiligten sehr
gut kompatibel ist. Das ist ein ganz wesentlicher Grund.
Hinzu kommt - ich muss einen dritten Grund anfügen -, dass das analoge Funksystem letztendlich ein
Auslaufmodell ist. Das Problem, das sich dadurch stellt,
wird am Beispiel eines Oldtimers klar: Wenn Sie dafür
ein Ersatzteil brauchen, wird das eine teure Angelegenheit.
Das ist das Umfeld, in dem die Entscheidung zu treffen ist. Ich erlaube mir noch den Hinweis, dass dies eine
Bund/Länder-Entscheidung ist. Sie brauchen also
17 Unterschriften. Das ist nun einmal so in unserem föderalen System.
Die Fragen 28 und 29 des Kollegen Hartmut Koschyk
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe nun die Frage 30 des Kollegen Eckart von
Klaeden auf:
Bestehen Geschäftskontakte bzw. geschäftliche Verbindungen bzw. haben Geschäftskontakte bzw. geschäftliche Verbindungen - siehe Berichterstattung in der Zeitung „Welt“
vom 10. Februar 2005 - zwischen der Firma Synthesis und
Bundesministerien bestanden?
Ich möchte die Fragen 30 und 31 gerne zusammen beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 31 des Kollegen von
Klaeden auf:
Wenn ja, wie haben sich die Geschäftskontakte bzw. geschäftlichen Verbindungen gestaltet und wie viel Geld ist dabei geflossen?
Nach derzeitigem Kenntnis- und Überprüfungsstand
bestehen und bestanden keine Geschäftskontakte oder
geschäftlichen Verbindungen zwischen der Firma Synthesis und Bundesministerien.
Herr Staatssekretär, hat es denn Kontakte zur Firma
Synthesis aufgrund ihrer geschäftlichen Kontakte zu
Dritten gegeben? Sprich, ist diese Firma gegenüber Bundesministerien bzw. ihnen nachgeordneten Behörden als
Lobbyist aufgetreten?
Herr Kollege von Klaeden, das kann ich Ihnen zum
gegenwärtigen Zeitpunkt nicht bestätigen. Sie wissen,
dass wir nur einen beschränkten Zeitraum für die Überprüfung zur Verfügung hatten. Unser Ergebnis habe ich
Ihnen mitgeteilt. Ich kann nur so darauf antworten, auch
auf Ihre Nachfrage hin.
Darf ich davon ausgehen, Herr Staatssekretär, dass
Sie diese Angelegenheit weiter prüfen?
Ich gehe davon aus, dass die eine oder andere Prüfung
noch vonstatten gehen wird. Uns stand aufgrund unseres
Verfahrens nur eine gewisse Zeit zur Prüfung zur Verfügung. Das eine oder andere muss noch näher geprüft
werden.
Sie verweisen auf die zeitliche Begrenzung. An mir
soll es nicht liegen. Würden Sie mir das Ergebnis Ihrer
weiteren Prüfungen mitteilen, wenn Sie sich die nötige
Zeit genommen haben, dies gründlich zu tun?
Herr Kollege von Klaeden, ich möchte so verbleiben:
Wenn wir etwas Mitteilsames haben, werden wir Ihnen
dies mitteilen.
({0})
Ich rufe die Frage 32 des Kollegen Helmut Lamp auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, solchen
Regierungsmitgliedern, die nachweisbar bewusst das von ihnen ausgeübte Regierungsamt zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland missbrauchten, zusätzlich zu politischen und
möglicherweise gerichtlichen Konsequenzen auch die ihnen
aufgrund der Mitgliedschaft in Regierung und Parlament zustehende Altersentschädigung abzuerkennen?
Ich möchte auch die Fragen 32 und 33 im Zusammenhang beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 33 des Kollegen Lamp
auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, Regelungen zu initiieren mit dem Ziel, Regierungsmitgliedern, die nachweislich
ihre Machtbefugnisse in grober Weise missbraucht haben, alle
auf politische Ämter und Mandate bezogenen Altersentschädigungen abzuerkennen oder zumindest einzuschränken?
Herr Kollege Lamp, die Bundesregierung kann nur in
Bezug auf die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der
Bundesregierung antworten; ich glaube, das versteht
sich von selbst. Für die Regelungen der Altersentschädigung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages ist
der Deutsche Bundestag zuständig.
Eine Kürzung von Versorgungsansprüchen setzt bei
Beamten die Verhängung einer solchen Maßnahme im
Rahmen eines Disziplinarverfahrens voraus. § 8 des
Bundesministergesetzes schließt in diesem Falle ein Disziplinarverfahren gegen Mitglieder der Bundesregierung
und ehemalige Mitglieder der Bundesregierung ausdrücklich aus. Unbeschadet dessen gelten allerdings die
allgemeinen straf- und haftungsrechtlichen Vorschriften.
Die Notwendigkeit, darüber hinausgehende Regelungen
zu treffen, besteht aus unserer Sicht nicht.
Ihre Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir denn zu, dass es
Steuerzahler als Zumutung empfinden müssen, wenn sie
für eine komfortable Altersversorgung für Regierungsmitglieder aufkommen müssen, die zum Beispiel entgegen ausdrücklicher Warnung von Ministerkollegen internationale Vereinbarungen missachtet, die Tore der EU
nicht nur für Touristen, sondern auch für Terroristen, für
Kriminelle weit geöffnet, wiederholt auf äußerst beunruhigende Lageberichte der Bundespolizei nicht reagiert
haben und von Gerichten in diesem Zusammenhang des
kalten Putsches gegen unsere Gesetzeslage bezichtigt
wurden?
Herr Kollege Lamp, ich will noch einmal ausdrücklich anführen, was in § 8 des Ministergesetzes steht:
Ein Disziplinarverfahren gegen Mitglieder der Bundesregierung findet nicht statt.
Das bedeutet allerdings nicht, dass gegenüber Ministerinnen und Ministern keine Kontrolle stattfände. Es
wird hier vielmehr ein anderes Instrument angewendet,
die politische Kontrolle. In diesem Falle ist der Bundeskanzler am Zuge. Wenn Sie das Disziplinarrecht betrachten, werden Sie einsehen, dass ein Disziplinarverfahren
in diesem Bereich nicht passen würde. Deswegen gibt es
ja das andere Instrument. Dies ist im Übrigen, lieber
Herr Kollege, auch immer völlig unstreitig gewesen.
Ich rufe Frage 34 der Kollegin Petra Pau auf:
Wie viele antisemitische Straftaten wurden im vierten
Quartal 2004 in der Bundesrepublik Deutschland begangen
und wie viele Opfer dieser Straftaten gab es?
Frau Kollegin Pau, heute brauche ich, glaube ich,
nicht so lange zu reden. Im vierten Quartal 2004 wurden
insgesamt 209 antisemitische Straftaten gemeldet, die
dem Phänomenbereich „politisch motivierte Kriminalität
rechts“ zuzuordnen waren; im vierten Quartal 2004 wurden zwei Personen verletzt; Todesfälle waren nicht zu
verzeichnen.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Danke, Herr Staatssekretär. - Ich frage auch vor dem
Hintergrund aktueller Debatten und Meldungen nach:
Wie viele antisemitische Straftaten wurden im vergangenen Jahr von Anhängern oder Mitgliedern der NPD, ihrer Jugendorganisationen oder sonstiger Untergliederungen begangen?
Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten, weil
das statistisch nicht erfasst wird. Sie wissen: Das statistische Material bezieht sich auf Länder. Es kann aber die
Frage nicht beantworten, von wem welche Straftat begangen worden ist.
Sie haben noch eine Zusatzfrage?
Natürlich. - Herr Staatssekretär, das Stichwort „Länder“ ist ja gerade gefallen. Ich variiere meine sonstigen
Nachfragen zu diesem Thema und frage wie folgt:
Haben sich die Landesinnenminister auf ihrer letzten
Konferenz auf ein Verfahren zur Veröffentlichung von
antisemitischen Straftaten, aufgegliedert nach Bundesländern, verständigt und ist es Ihnen heute möglich, mir
die territoritale Streuung der antisemitischen Straftaten
im vierten Quartal mitzuteilen?
Die teile ich Ihnen mit, aber auf dem gewohnten
Wege. Ich will mir noch den Hinweis erlauben, dass wir
im vierten Quartal 2003 339 antisemitische Straftaten
hatten. Im vierten Quartal 2004 - das habe ich Ihnen genannt - waren es 209. Ich möchte noch anfügen, dass das
ein vorläufiges Ergebnis ist. Denn Sie wissen - mittlerweile sind Sie in dieser Frage routiniert -: Das zugrunde
gelegte Meldeverfahren ermöglicht noch bestimmte
Nachmeldungen, sodass diese Frage nicht ganz abschließend beantwortet werden kann.
Eine weitere Zusatzfrage, diesmal von der Kollegin
Lötzsch.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
Sie haben gerade das Stichwort „Nachmeldungen“ gegeben. Können Sie uns denn in Bezug auf die ersten drei
Quartale - die Daten des vierten Quartals wollten Sie ja
noch bearbeiten - eine Auskunft über die Zahl der Straftaten und Verurteilungen geben?
Es handelt sich um die Erfassung von Straftaten. Das
Problem ist, dass Sie aus dieser Statistik nicht ableiten
können, wie viele Verurteilungen ausgesprochen wurParl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper
den. Dafür gibt es keine statistische Erfassung in diesem
Zusammenhang.
Die Frage 35 des Kollegen Günter Nooke wird
schriftlich beantwortet. Deshalb schließe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der
Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller zur Verfügung.
Ich rufe Frage 36 des Kollegen Dr. Michael Luther
auf:
Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung hinsichtlich der Pläne der neuen EU-Wettbewerbskommissarin Neelie
Kroes, die europäischen Beihilferegeln insofern zu ändern, als
ärmere Regionen in reicheren Ländern nicht weiter gefördert
werden sollen - „Financial Times Deutschland“ vom
26. Januar 2005 -, und inwiefern wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass die neuen Bundesländer von diesen
Plänen nicht überproportional betroffen werden?
Herr Kollege Dr. Luther, die Bundesregierung hat die
Presseberichte zu dem Interview von Frau Kroes sofort
zum Anlass genommen, durch Herrn Bundesminister
Eichel bei der Kommissarin schriftlich zu intervenieren.
Frau Kroes hat ihre Äußerungen daraufhin durch ihren
Sprecher mit den Worten dementieren lassen, sie sei von
der Presse missverstanden worden.
Ihre Zusatzfragen.
Herr Staatssekretär, ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung nach wie vor der Meinung ist, auch innerhalb eines Landes müsse ein geteiltes Beihilferecht möglich sein, um schwache Regionen fördern zu können.
Sollte dies nicht der Fall sein, müsste dann im EU-Beihilferecht im Endeffekt den Ländern ermöglicht werden,
dem Rechnung zu tragen? Heute wäre es ja nicht möglich, selbstständig zu fördern.
Herr Kollege Dr. Luther, wir diskutieren die Pläne der
Kommission. Ich habe schon in der letzten Fragestunde
gesagt, dass sie jetzt in die richtige Richtung geht; denn
sie hat eingesehen, dass die Spreizung zwischen den
Fördermöglichkeiten bei uns und den Fördermöglichkeiten in den angrenzenden Gebieten, in Tschechien und
Polen, zu groß ist. Hier ist sie ein Stück weit in unsere
Richtung eingeschwenkt.
Gegenwärtig ist in den Plänen der Kommission vorgesehen, dass ganz Ostdeutschland mit Ausnahme von
Berlin auch in Zukunft für eine Regionalförderung in
Betracht kommt. Diejenigen ostdeutschen Regionen, in
denen das BIP pro Kopf niedriger als 75 Prozent des Gemeinschaftsdurchschnittes ist, werden den so genannten
A-Fördergebietsstatus erhalten. In diesen Gebieten soll
eine Förderhöchstintensität von 30 Prozent zulässig sein.
Die vom so genannten statistischen Effekt betroffenen
Regionen werden den so genannten C-Fördergebietsstatus erhalten. In diesen Gebieten beträgt die Förderhöchstintensität - allerdings nur zu Beginn - ebenfalls
30 Prozent.
Wir wirken darauf hin, dass die Absenkung der Förderintensität in den vom statistischen Effekt betroffenen
Gebieten nur dann erfolgen darf, wenn auch eine entsprechende wirtschaftliche Entwicklung stattgefunden
hat, nicht aber nur, weil der statistische Effekt dadurch
eingetreten ist, dass es sich bei einer großen Anzahl der
zehn neu beigetretenen Mitgliedstaaten um ärmere Staaten handelt.
Danke schön. - Ich habe keine weiteren Fragen und
hoffe, dass es so wird.
Die Fragen 37 und 38 des Kollegen Hans Michelbach
werden ebenso wie die Fragen 39 und 40 des Kollegen
Dr. Jürgen Gehb schriftlich beantwortet. Damit schließe
ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der
Finanzen. Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit auf. Die Fragen beantwortet Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Ditmar
Staffelt.
Ich rufe die Frage 41 des Kollegen Dirk Niebel auf:
Wie viele Widersprüche gibt es bisher gegen Arbeitslosengeld-II-Bescheide, untergliedert nach Arbeitsagenturen - insgesamt -, Arbeitsgemeinschaften und Kommunen - insgesamt -, und wie vielen von diesen Widersprüchen wurde
stattgegeben?
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kollege! In den
Arbeitsgemeinschaften und Arbeitsagenturen wurden bis
zum Stichtag 20. Januar 2005 insgesamt rund 141 000
Widersprüche gegen Arbeitslosengeld-II-Bescheide eingelegt. Es ist darauf hinzuweisen, dass diese Zahl derzeit
noch mit erheblichen Unsicherheiten verbunden ist und
daher nur als vorläufige Größe verstanden werden kann.
Angaben zur Anzahl der bei den zugelassenen kommunalen Trägern eingelegten Widersprüche liegen dem
Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit nicht vor.
Von den 141 000 Widersprüchen wurden bis zum
20. Januar dieses Jahres 9 313 Widersprüche erledigt.
Davon wiederum wurde 5 150 Widersprüchen stattgegeben.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Ich gehe davon aus,
dass Sie mir die kompletten Zahlen - auch die hinsichtlich der Optionskommunen - zukommen lassen, sobald
sie Ihnen vorliegen.
Ist Ihnen bekannt, ob sich Widersprüche, die bisher
bei den Arbeitsgemeinschaften eingegangen sind, auf
die Frage der Rechtmäßigkeit der Arbeitsgemeinschaften als solche bezogen haben? Diese Frage stelle ich vor
dem Hintergrund, dass die Bundesregierung auf Frage 6
der Kleinen Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion auf
Drucksache 15/4628, die sich auf die Rechtmäßigkeit
bzw. gegebenenfalls die Nichtigkeit der Arbeitsgemeinschaften bezog, geantwortet hat: Vor diesem Hintergrund
ist das Risiko, dass die Arbeitsgemeinschaften wegen ihrer organisatorischen Struktur für nichtig erklärt werden
könnten, begrenzt. - Es ist also nicht ausgeschlossen.
Bei dieser grundsätzlichen Haltung bleibt es, wie in
der Beantwortung der Anfrage gesagt. Im Moment sind
mir allerdings keine detaillierten Angaben zu den jeweiligen Gründen für diese Widersprüche bekannt, also
auch nicht in dieser Frage. Ich will an dieser Stelle noch
darauf verweisen, dass die Übermittlung der Zahl der
Widersprüche durch die zugelassenen kommunalen Träger nicht vorgesehen ist. Der Merkmalskatalog nach
§ 51 b Abs. 5 SGB II, auf dessen Grundlage die Kommunen ihre Daten an die BA übermitteln, enthält keine
Angaben zu der Zahl der Widersprüche. Ich werde der
Frage, die Sie hier angeschnitten haben, gerne nachgehen und sollten wir hierüber Erkenntnisse haben - dies
betrifft auch das Eintreffen weiterer Widersprüche -,
werden wir Sie selbstverständlich darüber informieren.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, ich gehe davon
aus, dass auch der Bundesregierung daran gelegen ist,
jedwede Rechtsunsicherheit auszuschließen. Für den
Fall des Widerspruchs aufgrund der Vermutung, dass die
Arbeitsgemeinschaften als solche verfassungswidrig wären, gibt es zwei Möglichkeiten, diese Rechtsunsicherheit zu klären: zum einen den gesamten Weg des Verfahrens vom Widerspruch über das Sozialgericht bis hin
zum Bundesverfassungsgericht, zum anderen die Vorlage eines Sozialrichters direkt beim Bundesverfassungsgericht. Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten,
gesetzt den Fall, dass Widersprüche mit dieser Begründung eingehen, mit zu befördern, dass das schnellere
Verfahren - die unmittelbare Vorlage beim Bundesverfassungsgericht - zur Ausräumung von Rechtsunklarheiten gewählt wird?
Sollte sich dadurch, dass in größerem Umfang Widersprüche mit dieser Begründung eingehen, tatsächlich
eine solche Rechtsfrage ergeben, werden wir uns unser
Vorgehen vorbehalten müssen; ich kann diese Frage im
Moment nicht definitiv und damit nicht endgültig beantworten.
Es gibt noch eine weitere Zusatzfrage der Kollegin
Lötzsch.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
Sie haben gesagt, Sie können noch keine detaillierten
Angaben machen, warum Widersprüche eingelegt wurden. Aber Sie sind doch sicher in der Lage, einige
Schwerpunkte zu nennen, warum Widersprüche gegen
die Bescheide eingelegt worden sind?
Frau Kollegin, ich will Ihnen eines sagen: Wir haben
dieses Gesetz jetzt seit dem 1. Januar 2005 in Kraft. Die
Zahlen sind vom 20. Januar dieses Jahres, das heißt von
drei Wochen nach In-Kraft-Treten des Gesetzes. Sie
werden mir sicherlich zustimmen, dass die Priorität unseres Handelns eher dahin gehend gesetzt sein sollte, die
Arbeitsgemeinschaften und alle übrigen Tätigen in die
Lage zu versetzen, die entsprechenden, wichtigen Eingliederungsmaßnahmen vorzunehmen, als sich etwa mit
detaillierten Statistiken für uns herumzuschlagen. Das,
was geliefert werden kann, wird geliefert, aber das
braucht ein bisschen Zeit; da bitte ich um Verständnis.
Mir ist jedenfalls hundertmal lieber, zuerst sehr schnell
alle unter 25-Jährigen in einer angemessenen Weise einzugliedern, als Statistikrabulistik zu betreiben. Ich will
damit nichts gering schätzen; wir wissen, dass solche
Zahlen erforderlich sind, um den politischen Prozess zu
begleiten. Ich meine aber, dass wir ein gewisses Verständnis dafür erwarten können, dass wir die Zahlen erst
im Laufe der nächsten Wochen - dann zunehmend besser und detaillierter - nachliefern. Im Moment liegen mir
keine detaillierteren - auch nicht schwerpunktmäßig detailliertere - Erkenntnisse über die Gründe der Widersprüche vor.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Pau.
Herr Staatssekretär, in einer Frage stimmen wir überein: Drängender ist die Frage, wie Arbeitsuchende oder
Ausbildungssuchende zu einem Arbeits- oder Ausbildungsplatz kommen. Deswegen möchte ich Ihnen mit
meiner Nachfrage die Gelegenheit bieten, uns zu sagen,
welche Ergebnisse hier nach sechs Wochen Hartz IV
vorliegen. Neben der Bearbeitung von Anträgen und Widersprüchen liegt der Schwerpunkt ja gerade auf der Gewährleistung von Eingliederungshilfen. Ist man in den
Arbeitsagenturen schon dazu gekommen, den Schwerpunkt darauf zu verlagern?
Nach meinem Kenntnisstand wird in den Arbeitsagenturen mit größter Anstrengung gearbeitet. Es ist gar
keine Frage, dass es regionale Unterschiede geben wird.
Ich gehe davon aus, dass Sie es sich nicht nehmen lassen
werden, zu gegebener Zeit eine entsprechende mündliche Anfrage zu stellen, und dass wir in der Lage sein
werden, Ihnen nach Zusammentragen der Ergebnisse aus
den Arbeitsagenturen ein vernünftiges Ergebnis nennen
und somit eine gute Antwort geben zu können.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Die Fragen 42 und 43 sind zurückgezogen worden. Die restlichen Fragen werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
Verschuldung und europäischer Stabilitätsund Wachstumspakt
Diese Aktuelle Stunde wurde von der Fraktion der CDU/
CSU verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dietrich Austermann, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute zu dieser Aktuellen Stunde eingeladen, weil
wir wollen, dass vor dem Treffen der europäischen Finanzminister eines noch einmal ganz klar wird: Die
maßlose Verschuldungspolitik und der Versuch, den
Maastricht-Vertrag kaputtzumachen, wie dies von RotGrün betrieben wird, werden von uns nicht mitgetragen.
({0})
Der Bundesfinanzminister hat in den letzten Tagen
wieder neue Vorschläge gemacht, wie er die Regeln des
Maasricht-Vertrages außer Kraft setzen will, weil er erkennen muss, dass seine verhängnisvolle Politik, die unserem Land schadet, von Brüssel offensichtlich nicht akzeptiert werden wird. Er schlägt unter anderem vor, dass
die EU-Kommission nur solchen Defizitsündern in die
nationale Haushaltspolitik hineinreden darf, die schwere
Fehler begangen haben.
({1})
- Genau, Herr Kollege Fromme, dann wäre die Bundesregierung die Erste, die kritisiert werden müsste, weil die
Fehler, die in den letzten Jahren gemacht wurden - ich
nenne nur die falsche Finanz-, Haushalts-, Wirtschaftsund Arbeitsmarktpolitik -, so eklatant sind, dass die EUKommission trotz dieses Kriteriums gar nicht anders
könnte, als festzustellen, dass Deutschland im Jahre 2005
den Stabilitäts- und Wachstumspakt das vierte Mal nacheinander bricht. Das ist eine verhängnisvolle Position.
({2})
Wenn man sich mit der Frage befasst, warum wir uns
eigentlich über Stabilität, Wachstum und die Möglichkeiten unterhalten, die die Finanz- und Haushaltspolitik
hat, um auf den Markt Einfluss zu nehmen, dann muss
man, so glaube ich, eines erkennen: Solide öffentliche
Haushalte tragen wesentlich zu einer stabilen Wirtschaftsentwicklung bei. Umgekehrt wird man feststellen: Eine unsolide Haushaltspolitik trägt eben nicht zu
einer stabilen Wirtschaftspolitik, sondern zu einem
Schaden bei. Das kann man praktisch jeden Tag aufs
Neue sehen. Ganz genauso wird man erkennen können,
dass eine Politik, die maßlos in die Verschuldung führt,
dafür verantwortlich ist, dass auch die Arbeitslosigkeit
ansteigt. Derjenige, der dazu beiträgt, dass die Schulden
immer höher werden, muss zur Kenntnis nehmen, dass
parallel dazu auch die Arbeitslosigkeit nach oben geht.
Das kann man ganz klar am Bundeshaushalt ablesen.
Wir haben ein strukturelles Defizit von etwa 40 Milliarden Euro. Ich kann nicht erkennen, dass ernsthafte
Bemühungen unternommen werden, das Ganze zu verändern.
({3})
Wenn man 40 Milliarden Euro Jahr für Jahr um 5 Milliarden Euro absenken würde, um auf null zu kommen,
bräuchte man acht Jahre, bis der Bund mit den Einnahmen wieder auskommt. Das ist eine wirklich verhängnisvolle Situation.
Sie lässt sich parallel dazu auch an den Arbeitsmarktzahlen ablesen. Die Arbeitslosigkeit explodiert. Der Versuch, die Zahl der erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger
herauszurechnen, muss scheitern, weil die entsprechenden Daten gar nicht vorliegen. Es ist eine schlimme Rekordarbeitslosigkeit. Dies ist die Folge aus der Tatsache,
dass der Bundeshaushalt keine Spielräume mehr hat. Die
Nettoneuverschuldung beträgt 40 Milliarden Euro, während Investitionen in Höhe von 22 Milliarden Euro getätigt werden. Es wird also fast doppelt so viel Geld aufgenommen als für Investitionen ausgegeben. Schauen Sie
sich an, was die Regierung dagegen tut! Ich habe ein
paar Forderungen aus dem Katalog von Herrn Eichel
vorgetragen.
Es ist übrigens merkwürdig, dass er als Fordernder in
die Verhandlungen mit den anderen europäischen Finanzministern geht, anstatt ganz kleinlaut, am besten unter der Tür hindurch, in den Saal zu kommen.
({4})
- Er muss in Sack und Asche gehen, wie der Kollege
richtig sagt. - Anstatt dort kleinlaut aufzutreten, stellt er
Forderungen, um deutlich zu machen, welche Zugeständnisse ihm die anderen Finanzminister möglicherweise machen sollen. Dabei ist das Kriterium 3-ProzentDefizit bereits heute eine Regel, die einen erheblichen
Spielraum eröffnet. Wenn man 3 Prozent gemessen am
Bruttoinlandsprodukt an Krediten aufnehmen kann,
dann heißt das doch, dass man eine Flexibilität in diesem
Umfang hat. Wenn das nicht ausreicht, reichen auch
neue Vereinbarungen nicht. Wer das eine Gesetz bricht,
bricht auch das andere Gesetz. Hier will der Straftäter
den Gang des Strafprozesses dirigieren. Das kann so
nicht angehen.
({5})
Rot-Grün marschiert mit Turbo in den Schuldenstaat.
Seit 1998 wurden 180 Milliarden Euro neue Schulden
gemacht, davon 110 Milliarden Euro in den letzten drei
Jahren. Der Verfassungsbruch und die Verletzung des
Maastricht-Vertrages werden zur Regel.
Angesichts dieser Tatsachen fragt man sich: Was tut
die Regierung? Es gibt Erkenntnisse, die dafür sprechen,
dass ernsthaft an einer Erhöhung der Mehrwertsteuer gebastelt wird. Meine Recherchen haben ergeben, dass im
Finanzministerium der eine oder andere auf die Frage
„Bereitet ihr eine Mehrwertsteuererhöhung vor?“ antwortet: So wie die Lage der Finanzen ist, gibt es keine
Denkverbote mehr. Ich möchte heute von demjenigen,
der für den Finanzminister redet, wissen: Trifft es zu,
dass Sie eine Erhöhung der Mehrwertsteuer vorbereiten,
oder nicht? Sehen Sie dazu Alternativen? Frau Simonis
in Schleswig-Holstein hat den Anfang gemacht. Sie fordert seit Jahren eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Ich
möchte gerne wissen, ob Sie eine gleichermaßen verhängnisvolle Finanz- und Haushaltspolitik machen wie
Schleswig-Holstein. Das muss hier heute aufgeklärt werden.
({6})
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.
({0})
Letzter Satz, Frau Präsidentin. - Sie haben das Land
in die Krise geritten, sodass Sie im nächsten Jahr praktisch nur noch mit Überziehungskrediten arbeiten können, gewissermaßen mit dem Dispo des Steuerzahlers.
Sie müssen uns erklären, wie Sie aus dieser Falle, die Sie
selbst gestellt haben, wieder herauskommen. Wir jedenfalls tragen diesen Bruch von Gesetzen, Verfassung und
des Maastricht-Vertrages nicht mit. Wir wollen zu einer
soliden Finanz- und Haushaltspolitik und damit zu sinkenden Arbeitslosenzahlen zurück.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Brigitte Schulte, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen!
In einer Stunde und 14 Minuten trifft sich der Vermittlungsausschuss. Er trifft sich deshalb, weil eine unverantwortliche Opposition und die Mehrheit des Bundesrates bis heute verhindert haben, dass der Bundeshaushalt,
den wir in diesem Parlament Ende November mit Mehrheit korrekt beschlossen haben, immer noch nicht in
Kraft treten konnte.
({0})
Sie tun das auf der Grundlage von politischen Gesichtspunkten, die genauso durchsichtig sind wie der
Anlass für diese Aktuelle Stunde.
({1})
Gäbe es am Sonntag keine Landtagswahl in SchleswigHolstein, Herr Kollege Austermann, dann hätten wir
jetzt korrekt unsere Haushaltsausschusssitzung fortsetzen und über den Stabilitätspakt nachdenken können.
({2})
- Darauf komme ich gleich. Sie als Opposition und die
Mehrheit des Bundesrates verhindern, dass wir den
Haushalt, den dieser Bundestag mit seiner Mehrheit
Ende November beschlossen hat, ordnungsgemäß in
Kraft setzen können.
({3})
- Auf die Verfassungsmäßigkeit komme ich gleich. Das
ist der nächste Punkt. Für den Stammtisch und für Ihre
eigene Klientel erklären Sie, es müssten weitere Steuersenkungen und -vergünstigungen durchgeführt werden.
Mit Solidität hat das überhaupt nichts zu tun.
({4})
Ich will als langjährige Parlamentarierin nicht so weit
gehen, zu sagen, dass Sie verantwortungslos handeln.
Aber verantwortlich handeln Sie in dieser Situation weiß
Gott nicht.
Es geht aber noch ein bisschen weiter. Gemeinsam
haben Bundesrat, Bundesregierung und Bundestag in
den letzten fünf Jahren eine steuerliche Entlastung von
52 Milliarden Euro netto beschlossen, Herr Kollege
Austermann. Hätten wir dies nicht gemeinsam gemacht,
dann würden wir uns über bestimmte Finanzprobleme
wahrscheinlich nicht zu unterhalten haben. Wir haben es
aber getan, weil wir gemeinsam die Konjunktur ankurbeln wollten und weil wir davon ausgingen, dass dadurch die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands erhöht
wird. Genau dies ist erfolgt, Herr Kollege. Wir haben es
in Deutschland 2004 geschafft, im Export alle internationalen Rekorde zu brechen.
({5})
Brigitte Schulte ({6})
Ich war mit einer Delegation unserer Kollegen zum
National Prayer Breakfast. Der Kollege Grassley, seines
Zeichens amerikanischer Senator und langjähriger Vorsitzender des Finanzausschusses, hat mich erstaunt gefragt:
({7})
Wie erreichen Sie als ein Land, das kürzere Wochenarbeitszeiten hat, eine so gewaltige Effizienz, effizienter
als jeder große Industriestaat der westlichen Gesellschaften?
({8})
- Ich komme gleich darauf.
Es wunderte ihn deshalb auch nicht, dass die Amerikaner
({9})
so viel Kapital nach Deutschland exportieren und dort
Investitionen tätigen. Schauen Sie sich einmal an, wer
sich alles um unsere Anleihen schlägt. Schauen Sie sich
einmal an, wie die amerikanischen Finanzdienstleister
auf den europäischen Märkten agieren. Das kann doch
wohl kaum daran liegen, dass wir eine unbefriedigende
Finanzpolitik machen.
({10})
Sie von der CDU stellen - nur ein bisschen von der CSU
gebremst - noch weiter gehende Forderungen nach Steuersenkungen.
({11})
Ich habe mir die entsprechenden Zahlen angesehen. Ich
kann es kaum glauben, weil ich Sie der Beherrschung
der vier Grundrechenarten für fähig halte. Sie fordern
eine weitere Steuersenkung in Höhe von 32 Milliarden
Euro.
({12})
- Das haben wir schon bei den 52 Milliarden Euro geglaubt. Sie loben immer Herrn Kirchhof.
({13})
Ich habe das zweifelhafte Vergnügen, ihn seit 29 Jahren
in haushaltspolitischen und finanzpolitischen Fragen zu
begleiten. Er glaubt, wir müssten die Steuern sogar in
Höhe von 42 Milliarden Euro senken.
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: Erstens.
Der Euro ist so stark wie nie. Zweitens. Die deutsche
Volkswirtschaft ist so stark wie nie.
({14})
Drittens. Wir haben ein Einnahmeproblem, das Bund,
Länder und Gemeinden in Schwierigkeiten gebracht hat.
({15})
Das will ich überhaupt nicht bestreiten. Anstatt dem Finanzminister in den Rücken zu fallen, müssen wir jetzt
aufpassen, dass sich dieser Stabilitätspakt weiterentwickelt.
({16})
Ich bin nämlich nicht gewillt, den Unfug der 90er-Jahre
mitzumachen, der darin bestand, dass wir mehr als alle
anderen für Europa gezahlt und gleichzeitig die deutsche
Einheit geschultert haben. Das brauchten andere Länder
nicht. Wir können nicht alles gleichzeitig leisten.
Ich glaube schon - da sind wir uns einig, Herr Kollege Austermann -,
({17})
dass wir die Verschuldung des Staates in Grenzen halten
müssen.
({18})
Das ist meine tiefe Überzeugung. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass das, was Sie heute hier machen,
nichts anderes als billige Wahlkampfpolemik ist.
Ich danke Ihnen.
({19})
Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Andreas
Pinkwart, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Nachrichten zum Stabilitätspakt und zum
Wachstum vom heutigen Tage lassen die durch die dramatischen Arbeitslosenzahlen hervorgerufenen ohnehin
schon dunklen Wolken über unserem Land noch dunkler
erscheinen.
({0})
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ macht mit der
Überschrift auf: „Die deutsche Wirtschaft schrumpft“.
Die „Financial Times Deutschland“ titelt: „Deutschland
hebelt Defizitverfahren aus“.
Die rot-grüne Koalition - Frau Schulte, Sie haben das
eben exemplarisch deutlich gemacht - versucht, angesichts der dramatischen Lage den Eindruck zu vermitteln, als sei der von Deutschland durchgesetzte Stabilitäts- und Wachstumspakt verantwortlich für die Krise in
unserem Land. In Wahrheit verhält es sich aber so, dass
sich Rot-Grün seit drei Jahren eben nicht an diesen Vertrag hält, sondern ihn - genauso wie das Grundgesetz 14576
permanent verletzt. Sie sind für die Krise in unserem
Land verantwortlich.
({1})
Ihre Politik führt im Ergebnis zu 5 Millionen Arbeitslosen, zu exorbitanten Schulden und über kurz oder lang,
wenn Sie so weitermachen, zum Staatsbankrott. In dem
Maße, in dem die Staatsverschuldung angestiegen ist,
sind auch die Arbeitslosenzahlen angewachsen. Zugleich wird der Stabilitätspakt im Jahr 2005 nach allem,
was wir wissen, zum vierten Mal hintereinander gebrochen. Für ein Aufweichen der Verschuldungsgrenzen des
Stabilitätspaktes spricht daher nichts, aber auch gar
nichts. Gegen Stagnation wegen hoher Kosten und Steuern, wegen zunehmender Regulierungsdichte und wegen
grüner, ideologisch begründeter Wachstumskiller helfen
keine Nachfragespritzen.
Ich zitiere das „Handelsblatt“ vom heutigen Tage.
Frau Schulte, Sie sollten es sich vielleicht einmal anschauen.
({2})
- Lesen ist auch gut. - Es heißt dort mit Blick auf das,
was Sie über Deutschland als Exportweltmeister gesagt
haben, im Kommentar auf der ersten Seite:
Schließlich ist 2004 selbst das gewaltige, kostenlose Konjunkturprogramm aus dem Ausland verpufft.
Warum ist es verpufft? Hierzu stellt „Die Welt“ in einem
Kommentar auf der ersten Seite fest - ich zitiere aus der
heutigen Ausgabe -:
Während die Wirtschaft weltweit 2004 so stark gewachsen ist wie seit fast drei Jahrzehnten nicht
mehr, hat Deutschland das Kunststück vollbracht,
bei diesem Aufschwung in erster Linie Zuschauer
zu bleiben.
Genau das ist der Punkt. Sie - vor allem die Regierung,
die nahezu vollständig durch Abwesenheit glänzt - verschwenden Ihre Zeit und Ihr Engagement darauf, in
Brüssel die Regeln des Stabilitätspakts aufzuweichen,
statt endlich im Land die notwendigen Maßnahmen
durchzuführen, um Wachstum und Arbeitsplätze zu
schaffen.
({3})
Statt entschlossen zu handeln, schwebt der Kanzler. Er
schwebt aber nicht auf einer Woge des wirtschaftlichen
Erfolges; er schwebt in Wahrheit als Pleitegeier über dem
Stabilitäts- und Wachstumspakt. Mit Rabulistik fordert er
eine Ausweitung des Verschuldungsspielraums. Das ist
ökonomisch falsch gegenüber den Arbeitslosen und den
Steuerzahlern und verantwortungslos gegenüber der
künftigen Generation. Statt die Regeln auszuhebeln und
kreative Buchführung zu betreiben, ist es erforderlich,
dass die Regierung endlich die Probleme, die in die Misere geführt haben, klar benennt und löst.
({4})
Es muss endlich Schluss sein mit einer Politik fehlerhafter Prognosen, gebrochener Versprechen, hektischer
Ankündigungen, ungerechter und unverständlicher Steueränderungen und bürokratischer Hemmnisse. Was unser
Land braucht, ist eine nachhaltige Politik für mehr
Wachstum und Beschäftigung, die Konsumenten und Investoren von der Last zu hoher Steuern und Abgaben
und einer überbordenden Bürokratie befreit und den
Menschen - das ist das Entscheidende - wieder eine
klare Perspektive und Vertrauen gibt, damit sie verstärkt
konsumieren und investieren. Dieses Vertrauen wird
aber durch Ihre Politik, durch die Verletzung der Regeln
und die Untätigkeit in Fragen, in denen Sie handeln
müssten, beschädigt.
({5})
Wir fordern Sie daher auf: Beenden Sie den schädlichen Basarhandel um den Stabilitäts- und Wachstumspakt in Brüssel und legen Sie endlich - diese Woche böte
die Gelegenheit dazu - dem Bundestag die notwendigen
Konzepte vor! Ihr Bundeswirtschaftsminister hat einige
vorgelegt, die aber vom Finanzminister und anderen umgehend wieder zurückgenommen wurden. Legen Sie in
dieser Notlage endlich das vor, was unser Land braucht,
und lassen Sie die Finger von dem, was unserem Land
weiteren Schaden zufügen würde!
({6})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Anja Hajduk,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
- Keine Vorschusslorbeeren, Herr Kollege!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich hatte gehofft, dass es Herr Austermann am
Ende seines sicherlich engagierten Wahlkampfeinsatzes
für Schleswig-Holstein heute schaffen würde, einen
Grundwiderspruch der Union aufzulösen. Beantragt
wurde eine Aktuelle Stunde zur Verschuldung und zum
europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt. Es geht
um ernste Ziele und wichtige Themen.
Ich möchte aber deutlich sagen: Der Grundwiderspruch der Union liegt darin, ihre manchmal auch mit
ideologischer Verve vorgetragene Forderung einer Politik der Steuersenkungen im zweistelligen Milliardenbereich mit der wichtigen Einhaltung der Stabilitätskriterien zusammenzuführen. Sie haben noch vor einigen
Wochen eine gemeinsame Anhörung zu diesen Themen
zustande gebracht. Sie hätten dabei eine echte Chance
gehabt, diesen Grundwiderspruch aufzulösen. Das hätte
einen Lernfortschritt aufseiten der Opposition bedeutet,
den dieses Land nötig hat.
({0})
Ich möchte begründen, warum dieses Land das so nötig hat.
({1})
Vorhin wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass heute
der Vermittlungsausschuss tagt. Dabei geht es auch um
den Subventionsabbau.
({2})
Wenn bis tief in Ihre Reihen hinein heute die Tatsache
anerkannt wird, dass wir mit der bestehenden Steuerquote in der Haushaltspolitik auf keinen verlässlichen
Zweig kommen,
({3})
wenn sich auch bei Ihnen offiziell die Erkenntnis durchsetzt, dass es nicht angebracht ist, massive Steuerentlastungen zu versprechen, sondern dass es darum geht, das
Steuersystem zu verändern, und wenn Sie die unselige
Verknüpfung einer von Ihnen nicht mehr verfolgten Einkommensteuersenkung mit der Verhinderung des Subventionsabbaus aufgeben, dann kommen wir mit Blick
auf nachhaltige Haushalte hoffentlich einen Schritt weiter, auch wenn Sie sich nicht getraut haben, das hier zuzugeben.
({4})
Ich will noch einmal deutlich festhalten: Die Experten
haben sich von Ihnen abgewandt. In der Einkommensteuerdiskussion sind Sie nun aufgrund Ihrer absurden
Orientierung an Tarifsenkungen statt einer Verbreiterung
der Bemessungsgrundlage isoliert.
({5})
Da ich glaube, dass Sie diese Isolation nicht wollen,
habe ich Hoffnung auf Bewegung in den nächsten anderthalb Jahren.
({6})
Das gilt im Übrigen auch für die Unternehmensteuerreform.
({7})
Sie werden sicherlich ein paar Jahre brauchen, um zu
verstehen, dass es notwendig ist, die Zusammenhänge
zwischen Tarif und Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen. Wir sind auf die zukünftigen Auseinandersetzungen gespannt.
Ich komme nun auf das Thema europäischer Stabilitäts- und Wachstumspakt zu sprechen und möchte ausdrücklich Stellung dazu nehmen, was ich an der aktuellen Reformdiskussion für richtig und wichtig und was
ich für falsch halte. Ich halte es für maßgeblich, dass die
europäische Koordinationsinstanz für die Finanz- und
die Wirtschaftspolitik erhalten bleibt.
({8})
Deswegen würde ich es kritisieren und bedauern, wenn
es besondere nationale Gründe gäbe, die die Einleitung
eines Defizitverfahrens verhinderten; das will ich hier
ganz deutlich sagen.
({9})
Ich hielte auch nichts davon, wenn es eine beliebig lange
Liste mit Ausnahmen, eine Art Wunschliste, gäbe.
({10})
Ich bin davon überzeugt, dass wir dann bei der Reform
des Stabilitäts- und Wachstumspakts nicht in die richtige
Richtung gingen. Ich halte es aber für falsch, sich einer
Reformdiskussion nicht zu stellen. Sie haben nicht gesagt, welche Richtung die Reform einschlagen muss, damit Sie sie mittragen. Ich will ganz deutlich sagen:
({11})
Wenn ein Land die Latte beim Defizitkriterium reißt
- davon ist Deutschland momentan betroffen -, dann ist
es nach meiner Meinung berechtigt, zu schauen - ich
glaube, zu sehen, dass die Europäische Union in diese
Richtung argumentiert, und zwar zu Recht -, ob das betreffende Land genügend Reformeifer beim nachhaltigen
Abbau der impliziten Verschuldung zeigt oder nicht.
({12})
Damit will ich sagen, dass die Europäische Kommission
es positiv bewerten sollte,
({13})
wenn ein Land schwierige Reformen in der Renten- und
der Arbeitsmarktpolitik durchführt.
({14})
Wenn man in der Reformdiskussion zu dem Ergebnis
käme, dass der Abbau der impliziten Verschuldung ein
Merkmal für eine gute, qualitätsvolle Haushaltspolitik
ist, dann kämen wir einen Schritt weiter. Ich würde das
begrüßen.
({15})
Des Weiteren finde ich es richtig und wichtig, darzulegen, wo die Diskussion über die Lissabon-Strategie
mit der über die Stabilität zusammengeführt werden
muss. Das heißt, eine wirkliche Stärkung der Ausgaben
im Bereich von Bildung und Forschung ist notwendig.
({16})
Wenn Sie von der Opposition uns wegen der schwierigen Haushaltslage geißeln, dann will ich Ihnen sagen:
Sie sind Vorschläge für eine wirkliche Reform der sozialen Sicherungssysteme schuldig geblieben, die unsere
Haushalte langfristig gesunden lässt. Sie ergehen sich
vielmehr ständig in haushaltspolitischem Aktionismus.
Das ist unglaubwürdig und führt nicht weiter.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. - Deswegen haben Sie nicht
zu einer Lösung beigetragen.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Bartholomäus Kalb,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was sich die Bundesregierung nun
in Sachen Stabilitäts- und Wachstumspakt leistet, schadet in hohem Maße Europa insgesamt, der europäischen
Gemeinschaftswährung und in besonderem Maße den
europäischen Institutionen. Es schwächt vor allem das
Vertrauen und verstärkt die Zweifel hinsichtlich der Verlässlichkeit getroffener Vereinbarungen und Regelwerke.
({0})
Was noch schwerer wiegt: Schröder und Eichel gefährden das Vertrauen der Menschen in die Politik. Es
kommt einem Vertrauensbruch gleich, was hier begangen wird. Bekanntlich haben wir, die Bundesrepublik
Deutschland, besonders darauf Wert gelegt, dass mit
dem Vertrag von Maastricht ein klares Regelwerk vorhanden ist. Wir haben den Menschen versprochen, dass
der Euro genauso stabil sein wird wie die D-Mark.
({1})
Dieses Versprechen muss auch gehalten werden. Hier
wird es mit Füßen getreten.
({2})
Das jetzige Vorgehen wird dem Euro auch langfristig
schaden. Wir dürfen uns von den aktuellen Kursrelationen hier nicht irritieren lassen. In einer früheren Debatte
ist vom Kollegen Bernhardt schon darauf hingewiesen
worden: Die momentane Euro-Dollar-Relation hat etwas
damit zu tun, dass der Dollar - vermutlich absichtlich vergleichsweise schwach gehalten wird.
({3})
Außerdem sind bei der Einführung des Euro viele internationale Finanzanleger und Zentralbanken nicht in den
Euro gegangen, sodass es dort wohl einen gewissen
Nachholbedarf zu decken gilt.
({4})
Nun fordern Sie Flexibilisierung. Dazu muss man
schon sagen: Wenn 3 Prozent - das sind gesamtstaatlich
rund 65 Milliarden Euro - keine ausreichende Flexibilität bieten, dann weiß ich nicht, was Flexibilität sein soll.
({5})
Bei einer guten, vernünftigen Politik müsste es möglich
sein, auch schwierige Situation im Rahmen dieser
3 Prozent zu bewältigen.
Die 3 Prozent sind ja nicht aus der Luft gegriffen.
Man hat damals vernünftigerweise unterstellt, dass es
mit der Einhaltung der 3-Prozent-Grenze unter der Voraussetzung einer durchschnittlichen Inflation und bei einem mittleren Wachstum gelingen könnte, die gesamtstaatliche Verschuldung innerhalb der 60-ProzentGrenze zu halten. Das wird meistens nicht gesagt.
Am 14. Juni 2002 hat uns Herr Eichel regierungsamtlich versprochen - ich habe das dokumentiert -, auf der
Basis der vereinbarten Eckwerte bereits im Jahre 2004
einen „nahezu ausgeglichenen“ und im Jahre 2005 einen
nach der EU-Abgrenzung „ausgeglichenen“ Staatshaushalt vorzulegen.
({6})
Davon sind Sie heute Lichtjahre entfernt.
({7})
Noch schlimmer ist: Sie bemühen sich nicht mehr,
diese Kriterien zu erfüllen. Sie bekämpfen nicht mehr
die Verschuldung und die Defizite, sondern die Kriterien
und den Stabilitäts- und Wachstumspakt.
Andere Länder gehen einen anderen Weg. Bayern
versucht, den Haushalt zu konsolidieren. Auch viele andere Länder und Gemeinden versuchen, die Haushalte
zu konsolidieren. Das ist aber ein dornenreicher Weg,
beispielsweise in Ländern wie Hessen und Niedersachsen, wo die Spitzen der SPD einstmals regiert haben.
Wenn man sich die Verschuldungs- und die Wachstumskurven anschaut, dann erkennt man: Die Verschuldung ist steil angestiegen und die Wachstumsraten sind
genau in dem Moment weggesackt,
({8})
wo Sie angefangen haben, die Steuer- und Abgabenlast
durch Ökosteuer, durch Energiesteuer, durch Tabaksteuer, durch UMTS-Lizenzen - auch das war für eine
bestimmte Branche eine Sondersteuer ({9})
und durch eine chaotische Steuer- und Sozialgesetzgebung zu erhöhen. Es gab in den letzten sechs Jahren über
90 steuerrechtsändernde Gesetze und über 50 Gesetze
zur Änderung des Arbeits- und Sozialrechtes; zum Teil
gab es die Korrektur der Korrekturen.
({10})
Das hat zu Verunsicherung und zu mehr Bürokratie geführt.
Jetzt kommen Sie auch noch mit dem Antidiskriminierungsgesetz. Wenn das in Kraft tritt, dann brauchen
wir uns um Wachstumsimpulse nicht mehr zu bemühen,
weil wir jedes sprießende Pflänzchen sofort tottrampeln.
({11})
Dazu kann ich nur sagen: Gute Nacht, Freunde von RotGrün.
({12})
Was wir brauchen, ist eine Politik der Berechenbarkeit anstelle einer Politik der Beliebigkeit. Es ist wichtig,
dass wir uns gemeinsam bemühen und auch von der
Bundesseite her mit Blick auf Länder und Kommunen
alle Ausgaben genau durchforsten.
({13})
Es ist wichtig, dass wir durch die Bundesgesetzgebung
es auch den Ländern und Gemeinden ermöglichen, ihre
Haushalte zu konsolidieren.
Herr Kollege, auch Sie haben nur fünf Minuten.
Ich komme sofort zum Ende, Frau Präsidentin. - Der
Bundesrat hat den Entwurf eines kommunalen Entlastungsgesetzes eingebracht, weil die Ausgaben in den Gemeinden explosionsartig steigen und die Gemeinden
keine Chance mehr haben, die Ausgaben zu begrenzen.
Herr Kollege Kalb, es hilft nicht, wenn Sie darauf
nicht reagieren.
Deswegen kann ich nur darum bitten, dass wir diesen
Gesetzentwurf des Bundesrates hier ernsthaft diskutieren
und ihm im Ergebnis zustimmen.
({0})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
beim Bundesminister der Finanzen, Karl Diller.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! „Aktuelle Stunde“ heißt dieser Tagesordnungspunkt. Was ist an diesem Thema eigentlich aktuell?
({0})
Vor drei Wochen haben wir auf Ihren Antrag hin über
das gleiche Thema diskutiert. Seit dieser Zeit hat sich an
der Haltung der Bundesregierung nichts geändert.
({1})
Es ist in den Ausschüssen darüber diskutiert worden.
Es hat eine Anhörung im Bundestag stattgefunden. Es ist
im Bundestag debattiert worden.
({2})
Die Position der Bundesregierung ist bekannt: Wir wollen den Stabilitäts- und Wachstumspakt weder abschaffen noch aufweichen.
({3})
Aber im Unterschied zu Ihnen beteiligen wir uns auf der
europäischen Ebene an der Diskussion über die Fortentwicklung. Sie sind die Einzigen, die im Abseits stehen.
Wenn Sie wollen, lassen wir Sie weiter im Abseits stehen. Sie wissen ja, was es bedeutet, wenn auf dem Sportplatz einer im Abseits steht.
({4})
Wir bekennen uns zum Stabilitäts- und Wachstumspakt,
weil - ich sage es noch einmal - die EU eine Koordinierung und eine Regelbindung für die Finanzpolitik
braucht.
Nun sind einige Redner mit neuen Anwürfen gekommen, darunter der Kollege Austermann. Deswegen sei
ihm klar gesagt: Derartige Planungen gibt es nicht.
({5})
Professor Pinkwart hat gemahnt, es sollte neue Steuersenkungen geben.
({6})
Neben ihm sitzt der Herr Kollege Michelbach, dem ich
heute auf seine mündliche Frage hin aufgelistet habe,
({7})
wie wir die Steuern gesenkt haben, beispielsweise auch
für sehr gut verdienende Unternehmen.
Erstes Beispiel:
({8})
Eine GmbH mit 250 000 Euro Gewinn vor Steuern, die
ihren Gewinn zu zwei Dritteln an ihren alleinigen Anteilseigner ausschüttet,
({9})
hatte zu Ihrer Regierungszeit, 1998, noch Gewerbe-,
Körperschaft-, Einkommensteuer und Solizuschlag von
128 000 Euro zu bezahlen.
({10})
Das waren 51,3 Prozent Gesamtbelastung. In diesem
Jahr beträgt die Gesamtbelastung nur noch 111 000 Euro
oder 44,4 Prozent.
({11})
Damit werden immerhin 13,5 Prozent Steuern gespart.
({12})
Ein Einzelunternehmer musste zu Ihrer Regierungszeit
({13})
bei einem Gewinn von 250 000 Euro - das ist für einen
Einzelunternehmer ein extrem hoher Gewinn; die Prozentzahlen, die ich Ihnen als Entlastung angebe, sind bei
geringer Verdienenden natürlich viel größer ({14})
132 000 Euro an Gewerbe- und Einkommensteuer sowie
Solidaritätszuschlag zahlen.
({15})
Das entsprach einer Gesamtbelastung von 52,9 Prozent.
Die war damit zu Ihrer Regierungszeit höher als die steuerliche Belastung einer Kapitalgesellschaft.
Wir haben das geändert. Heute zahlt dieser Unternehmer nicht mehr 132 000 Euro, sondern nur noch
105 000 Euro Steuern.
({16})
Das ist, bezogen auf den Gewinn vor Steuern, nur noch
eine Belastung von 42,1 Prozent.
({17})
Damit liegt sie sogar um zwei Prozentpunkte niedriger
als bei einem vergleichbar hohen Gewinn einer GmbH.
({18})
Die Steuerbelastung ist um ein Fünftel, um 20 Prozent,
gesunken; darauf sind wir stolz. Das halten wir im Interesse unserer Volkswirtschaft auch für geboten.
({19})
Nächstes Beispiel: Wenn Sie unsere Vorschläge für
den Subventionsabbau mitgetragen hätten,
({20})
hätten wir 17,5 Milliarden Euro eingespart.
({21})
Das hätte bedeutet, dass wir beim Maastricht-Kriterium
um 0,75 Prozentpunkte besser abgeschnitten hätten.
({22})
Dass wir jetzt also um 0,75 Prozentpunkte schlechter abschneiden, ist ausschließlich Ihre Schuld, meine Damen
und Herren.
({23})
Nun komme ich noch einmal zu Ihren Vorschlägen für
einen besseren Haushalt.
({24})
Die Parteifreunde von den Damen und Herren, die hier
rechts sitzen, haben im Bundesrat dafür gesorgt, dass unser Haushalt noch nicht in Kraft ist.
({25})
Das bedeutet, dass vom Staat keine Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung ausgehen, denn der Verkehrsminister und alle anderen Minister dürfen die Mittel, die
für neue Projekte vorgesehen sind, nicht bewilligen,
({26})
weil wir immer noch keinen rechtskräftigen Haushalt haben. Sie halten die wirtschaftliche Entwicklung auf,
nicht wir!
({27})
Nun ein paar Worte zur Solidität Ihrer Vorschläge bezüglich des Haushaltes.
({28})
Sie wollten - das haben Sie eben auch in Ihren Zwischenrufen wieder bestätigt - den Zuschuss für die
Steinkohleförderung auf null zurückführen.
({29})
Damit würden wir in der Tat 1,6 Milliarden Euro sparen.
Gleichzeitig hätten wir aber einen Vertrag gebrochen,
({30})
den ein FDP-Wirtschaftsminister, der leider Gottes verstorben ist, nämlich Herr Rexrodt, selbst unterschrieben
hat. Der damalige Wirtschaftsminister Rexrodt hat als
Mitglied der Kohl-Regierung diesen Vertrag unterschrieben.
({31})
Wir sind an diesen Vertrag gebunden. Mit Ihrem Antrag
auf Streichung der Kohlesubventionen fordern Sie uns
zum Vertrags- und Rechtsbruch auf. Was ist denn das für
ein Vorschlag, meine Damen und Herren?
({32})
Sie haben zweitens vorgeschlagen, den Etatansatz für
die Arbeitslosenhilfe in diesem Haushaltsjahr um
1 Milliarde zu senken. Wenn wir diesem Vorschlag gefolgt wären, hätte das bedeutet, wir hätten den Arbeitslosenhilfeempfängern
({33})
am Ende des Monats Dezember, wo sie nach altem
Recht ihre Arbeitslosenhilfe ausgezahlt bekommen,
({34})
zwei Drittel der ihnen zustehenden Arbeitslosenhilfe gar
nicht auszahlen können.
({35})
Es ist unglaublich, dass Sie in diesem Parlament eine
solche Täuschung der Menschen wagen.
({36})
Drittens haben Sie beantragt, die Ausgaben für Zinsen
und Gewährleistungen um 1,8 Milliarden zu kürzen.
({37})
Wenn wir das gemacht hätten, wären wir ein Risiko eingegangen, das eigentlich nur ein Zocker eingeht.
({38})
Die Wahrscheinlichkeit nämlich, dass wir in diesem Jahr
1,8 Milliarden an Zinsen und Gewährleistungen einsparen könnten, liegt bei 15 Prozent.
({39})
Wer bei einer Wahrscheinlichkeit von 15 Prozent
1,8 Milliarden Euro einsparen will, der muss von absoluter Zockermentalität geprägt sein.
({40})
Das hat nichts mehr mit seriöser Haushaltsplanberatung
zu tun.
({41})
Schließlich die Krönung des Ganzen: Die Union hat
vorgeschlagen, alle flexibilisierten Mittel um 10 Prozent
zu kürzen. Das hätte bedeutet, mehrere tausend Bedienstete des Bundes
({42})
hätten sich samt ihren Familienangehörigen mit Wirkung vom 1. Januar 2005 in Luft auflösen müssen, weil
wir ihnen kein Gehalt mehr hätten überweisen können.
({43})
Wer solche Vorschläge macht, hat keinen Anspruch, hier
als seriös wahrgenommen zu werden.
({44})
Nächster Redner ist der Kollege Leo Dautzenberg,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär, das
Thema der Aktuellen Stunde lautet: Verschuldung und
europäischer Stabilitäts- und Wachstumspakt. Zu den
entsprechenden Punkten, zu denen sich der Finanzminister in den letzten Wochen und sogar noch Tagen eingelassen hat, haben Sie hier kein Wort verloren.
({0})
Wir haben kein einziges Wort gehört, wie Sie dem Stabilitäts- und Wachstumspakt demnächst entsprechen wollen.
({1})
Eine weitere Frage haben Sie auch nicht beantwortet,
nämlich die Frage nach der Mehrwertsteuererhöhung.
Dazu gibt es ja in Ihrem Hause konkrete Überlegungen.
Diese Frage haben Sie nicht beantwortet.
({2})
Sie haben zu bestimmten anderen steuerpolitischen Fragen Stellung bezogen, aber nicht konkret die Frage beantwortet, ob Sie an einer Mehrwertsteuererhöhung arbeiten.
({3})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, es ist erforderlich, noch einmal in Erinnerung
zu rufen, worauf der Stabilitäts- und Wachstumspakt beruht. Er beruht auf den Maastricht-Verträgen, die wiederum Aufnahmekriterien für den Beitritt zum Euroverbund beinhalten. Alle politisch Verantwortlichen waren
sich nach langem Ringen einig, dass es nicht nur einen
Maßstab für die Aufnahme zum Euroverbund, sondern
auch einen Maßstab für eine dauerhafte Festigung dieses
Gebildes geben muss, dass also ein Stabilitätspakt geschaffen werden muss, aus dem sich ein Wachstumspakt
entwickeln kann.
({4})
- Denn nur durch Stabilität, Herr Kollege Schultz, lässt
sich dauerhaftes Wachstum generieren.
({5})
Umgekehrt - wie Sie es in der Bundesrepublik Deutschland schon seit einigen Jahren praktizieren - funktioniert
das nicht.
Das war die Grundlage. Deutschland - vor allen Dingen durch Kohl und Waigel - war führend, als dem Stabilitäts- und Wachstumspakt 1997 auf europäischer
Ebene zum Durchbruch verholfen wurde.
Dazu darf ich hier vielleicht eine kleine Reminiszenz
anbringen. Was antwortet das Bundesfinanzministerium
im Internet auf die Frage: „Was ist der Stabilitäts- und
Wachstumspakt?“? Zitat:
Insbesondere Deutschland als traditionell stabilitätsorientiertes Land hat die Initiative für den Pakt
ergriffen und sich maßgeblich für ihn eingesetzt.
Aber auch andere, kleinere Mitgliedstaaten haben
den Pakt nachdrücklich befürwortet. Alle Staaten
haben ihm zugestimmt.
Das war damals die Grundlage. Wenn wir nun sehen,
wie vonseiten des Finanzministers und des Kanzlers seit
Monaten an diesem Pakt gerüttelt wird, dann müssten
Sie diese aktuelle Haltung auch auf den Internetseiten
des BMF darstellen.
({6})
Es ist ein Unding, meine Damen und Herren! Insofern
haben Sie Recht, Herr Diller. Diese Thematik beraten
wir seit Monaten: Stabilitäts- und Wachstumspakt und
dessen mögliche Flexibilisierung und Weiterentwicklung. Man müsste das auch semantisch klären. Es werden Vorschläge gemacht, die als Änderung oder als Fortentwicklung des Paktes dargestellt werden. Manche
sagen, der Stabilitätspakt sei tot. Wenn das so weitergeht, ist er tot. Das darf nicht passieren. Warum unterbreitet der Finanzminister oder auch der Kanzler seine
Vorstellungen nicht zuerst hier im Parlament - wir haben
das im Finanzausschuss schon oft beraten -, ehe er sie in
Brüssel immer wieder neu unterbreitet?
({7})
Wir haben Beispiele dafür, meine Damen und Herren.
Noch vor zwei Tagen war von zehn Punkten die Rede,
heute liest man in der „Financial Times Deutschland“,
dass es um sechs qualitative Punkte gehe. Man verständigt sich darauf, dass es Sanktionen bei groben Verstößen geben müsse. Schon in Art. 104 des EU-Vertrages
steht, dass Vorkehrungen hinsichtlich grober Verstöße
gegen die Haushaltspolitik und damit hinsichtlich einer
Verschuldungspolitik getroffen werden müssen.
Dies wird im parlamentarischen Bereich nicht thematisiert. Dass Sie auf europäischer Ebene dafür keine
Bündnisgenossen finden, ist klar. Klar ist auch, dass auf
europäischer Ebene vieles, wie Sie sagen, im Konsens
geschieht. Die Länder, die voraussichtlich gegen die Kriterien verstoßen, werden Sie in Bezug auf Veränderungen schnell ins Boot bekommen. Aber wir täten diesem
Pakt einen Tort an, wenn er aufgeweicht würde.
({8})
Es ist schon mehrmals betont worden: Die Stabilität
des Euros hängt auch damit zusammen, dass die anderen
Teilnehmerländer in den letzten Jahren eine hohe Stabilität hatten. Wenn wir dieses Kriterium aufweichen, wird
das nachhaltig zu Instabilität führen. Dafür gibt es auch
in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Beispiele.
Deshalb geht es darum, dass wir uns hier im Plenum
über die Kriterien auseinander setzen, ehe der Finanzminister im Ecofin-Rat über eine Aufweichung der Kriterien spricht. Diesen Weg können wir nicht mitgehen.
Wir müssen uns im Rahmen des Art. 104 des EU-Vertrages bewegen. Er sorgt für genügend Flexibilität. Die bisherige Diskussion macht deutlich, wie wir in Zukunft
verfahren sollten. Wir stehen dazu und würden diese Regierung auch unterstützen, wenn es um die Einhaltung
der Kriterien geht.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Anna Lührmann, Bündnis 90/
Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich möchte zu Beginn zwei wichtige Fragen
stellen, die es im Zusammenhang mit dem Stabilitätspakt zu beantworten gilt. Erste Frage: Hätten wir in
Deutschland weniger Probleme in den öffentlichen
Haushalten, wenn es den Stabilitätspakt nicht gäbe? Die
klare Antwort darauf ist Nein. Auch dann hätten wir sowohl im Bundeshaushalt als auch in den Länderhaushalten ein enormes Problem mit der Verschuldung. Zweite
Frage: Hat denn der Stabilitätspakt geholfen, ein zu hohes Defizit des Bundes und der Länder zu verhindern?
({0})
Die Antwort darauf ist ebenfalls Nein.
({1})
Deshalb muss es das erklärte Ziel einer Reform des
Stabilitätspaktes sein, den Pakt wirksamer zu machen.
({2})
In konjunkturell guten Zeiten muss daran gearbeitet werden, Defizite zu reduzieren und Haushalte auszugleichen. Dann hätte man in konjunkturell schlechten Zeiten
einen gewissen Spielraum nach unten.
({3})
Wir brauchen zwei Reformmaßnahmen, um den Pakt
wirksamer zu machen. Mit der ersten Maßnahme soll sichergestellt werden, dass früher eingegriffen werden
kann. So kann verhindert werden, dass zu hohe Defizite
entstehen. Der präventive Teil des Stabilitätspaktes muss
also - darin sind sich viele Finanzminister der Europäischen Union einig - gestärkt werden.
({4})
Dieser Gedanke ist auch schon im Protokoll zur Verfassung ausgedrückt. Die Kommission und der Ecofin-Rat
müssen das Recht haben, Auflagen zu erteilen, damit
Staaten in konjunkturell guten Zeiten Konsolidierungsprogramme fahren und Defizite abbauen. So können wir
langfristig eine nachhaltige Haushaltspolitik erreichen.
({5})
Mit der zweiten Maßnahme - auch diese sorgt dafür,
dass der Stabilitätspakt wirksamer wird - sollen die nationalen Gebietskörperschaften, also die Länder und die
Kommunen, stärker in die Pflicht genommen werden.
({6})
Denn wir reden bisher immer nur über die Probleme
des Bundeshaushalts. Aber die Probleme, die in den
Haushalten der Länder und der Kommunen bestehen,
werden nicht diskutiert.
Früher eingreifen und den nationalen Stabilitätspakt
forcieren sind also die beiden wesentlichen Reformschritte in Bezug auf den Stabilitätspakt.
({7})
Ich sage ganz klar: Erst wenn diese beiden Bedingungen
erfüllt werden - und nur dann -, kann man darüber nachdenken, ob man das Defizitverfahren am Ende anpasst.
({8})
Aber auch im Zuge einer solchen Reform muss man
sich von dem Gedanken leiten lassen, dass 3 Prozent Defizit immer 3 Prozent zu viel sind.
({9})
Die Reform des Stabilitätspakts in Bezug auf das Defizitverfahren kann nur durchgeführt werden, wenn die
folgenden drei Kriterien erfüllt werden:
({10})
Erstens. Reformen, die zu einer Verminderung des
strukturellen und impliziten Defizits führen - sie wurden
unter Kohl nicht angepackt -,
({11})
- leider, ansonsten hätte er vielleicht anders gehandelt ({12})
sollten in einem Defizitverfahren positiv angerechnet
werden.
Zweitens. Die Bildungs- und Forschungsausgaben
müssen erhöht werden. So wird die Perspektive für mehr
Wachstum und mehr Beschäftigung langfristig verbessert.
({13})
Das sind die einzigen Kriterien, nach denen man Länder
in einem Defizitverfahren nachsichtiger beurteilen kann.
Denn es macht keinen Sinn, ein Land, das daran arbeitet,
seine strukturelle Verschuldung zu senken, indem es
sinnvolle Reformen angeht, zu Strafzahlungen zu verpflichten.
Ich fasse zusammen: Das Ziel muss sein, dass der Stabilitätspakt wirksamer wird. Das heißt, dass wir frühzeitiger eingreifen, um einen ausgeglichenen Haushalt
hinzubekommen. In konjunkturell guten Zeiten muss
konsolidiert und müssen ausgeglichene Haushalte und
Haushalte mit einem Einnahmenüberschuss gewährleistet werden. Bund und Länder müssen im Rahmen eines
nationalen Stabilitätspaktes Verantwortung übernehmen.
Das ist für mich die Richtung, in die eine Reform des
Stabilitätspaktes gehen kann.
({14})
Nächster Redner ist der Kollege Jochen-Konrad
Fromme, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Staatssekretär, Sie suchen die Schuld immer bei anderen
und niemals bei sich selber. Was nützt es, wenn man den
Haushalt schnell verabschiedet? Bei den Bahninvestitionen haben wir es gesehen. Monatelang haben Sie diese
verzögert. Die vorgesehenen Mittel konnten nicht ausgegeben werden, obwohl sie bewilligt waren.
Sie sprechen hier von „Zockern“. Sie sollten sich einmal an Ihre eigene Adresse wenden. Schon zum dritten
Mal hintereinander haben Sie bewusst einen Haushalt
mit riesigen Lücken vorgelegt.
({0})
Am Ende haben Sie dann erstaunt die Augen aufgemacht, als die Realität Sie eingeholt hat. Was unterscheidet uns eigentlich von den Griechen? Ob ich von vornherein mit getürkten Zahlen vorgehe oder hinterher die
Zahlen verändere, das Ergebnis bleibt das gleiche.
({1})
Die Regierung hat natürlich nicht zum Stabilitätspakt
gesprochen; denn das wäre ihr - das ist völlig klar peinlich. Das macht sie immer; sie spricht immer über
andere Punkte und nicht über diejenigen, die auf der Tagesordnung stehen.
Herr Eichel hat erklärt: Zukunftsvorsorge statt Zinsausgaben! Wenn ich mir das Ergebnis anschaue, dann
kann ich feststellen, dass wir genau das Umgekehrte haben: mehr Zinsausgaben, weil Sie ständig Defizite aufhäufen.
Statt darüber zu lamentieren, wie man den Stabilitätspakt verändert, sollten Sie sich einmal darum kümmern,
ihn einzuhalten.
({2})
Denn das ist doch keine Formvorschrift. So wie Sie vorgehen, macht das doch keinen Sinn. Der Sinn ist, dass
man sich selber diszipliniert. Der Stabilitätspakt beinhaltet Korsettstangen gegen überflüssige Ausgaben. Genau
das sehen Sie nicht. Dies ist doch ein System zur Sicherung der Nachhaltigkeit. Die Schulden von heute sind
die Steuern von morgen. Sie mindern dadurch, dass Sie
sich nicht um diese Fragen kümmern, den Handlungsdruck.
Sie haben immer mehr ausgegeben, als Sie eingenommen haben.
({3})
Als die Kreditmöglichkeiten nicht mehr reichten, haben
Sie jede Menge Tafelsilber verscheuert. Was machen Sie
denn eigentlich, wenn Sie nichts mehr haben? Jeder
fünfte Euro im Haushalt 2005 ist nicht durch ordentliche
Einnahmen gedeckt.
({4})
Das heißt, irgendwann ist das Tafelsilber verkauft. Was
kommt dann? Steuererhöhungen! Frau Simonis spricht
ganz offen darüber. Sie ist die Einzige, die sich das traut.
Sie machen es still und heimlich. Das Ergebnis wird
sein, dass Sie es tun werden.
Sie haben alles verkauft, was nicht niet- und nagelfest
ist. Nicht einmal das Gold der Bundesbank ist Ihnen heilig. Sie haben den Posttreuhandfonds aufgelöst. Sie gehen an das ERP-Sondervermögen. Sie kümmern sich
nicht um das, was tatsächlich notwendig wäre, nämlich
Einnahmen und Ausgaben in Einklang zu bringen, und
zwar auf der Ausgabenseite. Nichts anderes wird helfen.
Alle Vorschläge, die wir dazu in den Bundesrat eingebracht haben, haben Sie vom Tisch gewischt. Sie haben
es mehr oder weniger zum Ausdruck gebracht: Im
„Finanztreff“ findet sich heute die Aussage des Finanzministeriums, auf der Ausgabenseite sei nichts zu beschicken, deswegen brauche man sich damit nicht zu beschäftigen. Sie haben dieses Ziel doch aufgegeben. So
kann es nicht weitergehen.
Wenn wir all Ihren Vorschlägen gefolgt wären und
nicht einiges für eine vernünftige Steuerreform aufgehoben hätten, dann hätten Sie schon in diesem Jahr die
Pleite erklären müssen. Denn wenn wir voriges Jahr all
das gemacht hätten, was Sie wollten, hätten Sie dieses
Jahr nichts mehr gehabt, was Sie vorzeigen können. In
Wahrheit wollen Sie Ihre Vorschläge ja gar nicht umsetzen. Die Eigenheimzulage ist bei Ihnen der Jäger 90. Sie
wird für jede Maßnahme vorgeschoben, damit Sie keine
vernünftige und seriöse Begründung finden müssen. Am
Ende machen Sie dann Schulden, anstatt bei dem zu
bleiben, was richtig ist.
({5})
Wenn man den Haushalt in Ordnung bringen will,
heißt das, auch diejenigen zu pflegen, die einem die Einnahmen bringen. Ich muss die Kuh füttern, die ich melken will. Was haben Sie denn mit dem Mittelstand gemacht? Sie haben dem Mittelstand das Wirtschaften
täglich durch immer neue Bürokratieauflagen, durch die
Ökosteuer und Ähnliches erschwert und wundern sich
am Ende, wenn dieser Motor nicht läuft.
({6})
Der Export führt zu nichts, und zwar auch deshalb, weil
der Anteil an der Wertschöpfung immer kleiner wird.
Deswegen werden wir immer weniger von einem guten
Export profitieren.
Der zweite Punkt ist die Situation auf dem Binnenmarkt. Wenn Sie - das ist die Aussage seitens der Bundesbank - der Bevölkerung jedes Jahr ein halbes Prozent
an realer Kaufkraft nehmen, dürfen Sie sich nicht wundern, wenn der Binnenmarkt keinen Beitrag zur Konjunkturbelebung leisten kann und damit die Staatsfinanzen ruiniert werden; denn wenn wenig umgesetzt wird,
wenn keine Arbeit vorhanden ist, werden nicht mehr
Steuern gezahlt, sondern nur hohe Sozialausgaben geleistet.
Ich rate Ihnen, sich einmal unseren Zehn-Punkte-Plan
anzusehen. Die Maßnahmen kosten keinen einzigen
Euro. Sie erfordern nur ein Tätigwerden des Gesetzgebers und ein bisschen Mut, sich mit der Interessengruppe
Gewerkschaft anzulegen. Durch die Umsetzung dieses
Plans könnten wir einen Riesenschritt machen und wieder Vertrauen erwecken. Wenn wir die Konjunktur beleben und den Stabilitätspakt einhalten wollen, müssen wir
Vertrauen in die zukünftige Entwicklung erwecken, damit die Menschen sich wieder betätigen.
({7})
Das werden Sie niemals erreichen, weil Sie kein Konzept haben. Sie haben hier überhaupt nichts vorgetragen.
({8})
Der eine sagt, steuerliche Änderungen müssten vorgenommen werden, der andere, dies müsse nicht geschehen. Wie soll die Wirtschaft denn kalkulieren können,
wenn Sie noch nicht einmal innerhalb der Bundesregierung zu einer einheitlichen Meinung kommen? Sehen
Sie sich doch nur Clement und Eichel an.
({9})
Herr Kollege, darf ich Sie an Ihre Redezeit erinnern.
Solange diese Stümper an der Regierung bleiben,
wird sich in diesem Lande nichts verändern.
({0})
Das ist die Wahrheit. Deshalb brauchen wir ein Ende.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Schultz,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin ganz verlegen, hier nach dem Universalgenie namens Fromme reden zu dürfen.
({0})
In Demut verneige ich mich vor Ihrem fulminanten konzeptionellen Beitrag, der uns allen eine klare Zukunft eröffnet hat.
({1})
Ich glaube, die rhetorische Wanderdüne, die Sie vor dem
Hintergrund der Wahlen in Schleswig-Holstein gegeben
haben, war es nicht wert, hier vorgetragen zu werden.
({2})
Ich kann mich eigentlich nur dafür bedanken - insofern ist der Zeitpunkt dieser neuerlichen Debatte über
den Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht schlecht
gewählt -, dass die Bundesregierung durch den Bundeskanzler und den Bundesfinanzminister an drei ganz
wichtigen Fronten eine neue Dynamik in die europäische
Diskussion bringt.
({3})
Dazu gehört die Entwicklung der Finanzen auf europäischer Ebene und auch, welchen Anteil daran wir aufzubringen haben. Starke Volkswirtschaften - und zu diesen
zählen wir - haben einen größeren Anteil ihres Wachstums abzugeben, und zwar an diejenigen, die nicht so
stark wachsen. Das beeinflusst natürlich auch das 3-Prozent- und das 60-Prozent-Kriterium und deren Wertung.
({4})
Wir diskutieren über eine Fortentwicklung der Lissabon-Strategie, damit zukunftsorientiertes Wachstum in
die Gänge kommt, welches die Voraussetzung dafür ist,
Geld zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte zu
erwirtschaften.
({5})
Wir reden über die Neuauslegung des Stabilitäts- und
Wachstumspakts, ohne das 3-Prozent- und das 60-Prozent-Kriterium infrage zu stellen. Jedoch sind die Rahmenbedingungen, unter denen diese Kriterien bewertet
werden, neu zu definieren. Man kann hier doch nicht so
tun, als machten Minister Eichel und der Bundeskanzler
dies alleine, als würden sie in einem Feldzug über das
Europa der 25 herfallen und diktieren, was zu geschehen
hat. Das Bedürfnis, den Stabilitäts- und Wachstumspakt
Reinhard Schultz ({6})
einvernehmlich neu auszulegen, ist offensichtlich sehr
breit angelegt. Zu Recht wird diese Diskussion in fast allen Volkswirtschaften Europas geführt.
({7})
- Über Nebentätigkeiten können wir gerne diskutieren,
mein Lieber. Ich finde mindestens 30 auf Ihrer Seite, mit
denen ich in froher Gemeinschaft darüber diskutieren
könnte. Das kann ich so sagen, ohne in das Handbuch zu
sehen. Einer sitzt bei Ihnen ganz hinten. Herr Meyer, ich
grüße Sie.
Zum Thema Stabilitätspakt gehört auch, dass wir uns
auf eine Balance zwischen Konsolidierung und Wachstumskräften verständigen müssen. Wir haben die Entwicklung in Deutschland unterschätzt. Keiner von Ihnen
und auch keiner von uns hat geahnt, dass wir gut drei
Jahre wirtschaftliche Stagnation haben würden, was natürlich dazu beigetragen hat, dass die Einnahmeerwartungen des Staates, aller öffentlichen Ebenen, auch der
Sozialkassen, nicht erfüllt wurden.
Natürlich hätte man darauf in der Art antworten können, wie einige von Ihnen es immer wieder vorschlagen,
dass man immer weitere drastische Einschnitte zum Beispiel bei den Sozialleistungen oder bei der Bildung vornimmt. Das Ergebnis wäre gewesen, dass der Staat seinen sozialen Auftrag genauso vernachlässigt hätte, wie
er auch keinen eigenständigen Beitrag zum Wachstum
hätte leisten können, indem er selber Nachfrage erzeugt.
All das übersehen Sie bei Ihren ständigen Debatten, obwohl Sie es selber natürlich viel besser wissen.
Die Krönung ist dann allerdings, dass Sie immer neue
Steuerreformdiskussionen mit dem Ziel führen, milliardenschwere Geschenke zu machen.
({8})
Sie haben doch jetzt erst einmal etwas für die Einkommensteuer, die von Privaten zu entrichten ist, vorgelegt.
({9})
Bis zur Unternehmensteuer sind Sie überhaupt nicht vorgestoßen. Es kann ja sein, dass Sie jetzt Herrn Clement
irgendetwas nachplappern. Von Ihnen gibt es kein Konzept. Im Finanzausschuss kommen wir mit Ihren Anträgen zur Einkommensteuerreform seit Wochen nicht weiter, weil Sie in der Anhörung, die Sie selber beantragt
haben, gemerkt haben, dass Sie auf dem falschen Dampfer sind und dass Sie selber in Bezug auf die Unternehmensteuerreform nachbessern müssen, weil Sie dazu
kein einziges Wort verloren haben.
({10})
In der Anhörung haben die Sachverständigen durch die
Bank - einschließlich derjenigen der Wirtschaftsverbände - gesagt: Es gibt im Bereich der Einkommensteuer keinen Bedarf für eine Entlastung, weil ansonsten
der Staat nicht mehr handlungsfähig wäre. Das ist vom
Vertreter des Deutschen Industrie- und Handelstages genau so wie vom Vertreter des BDI, aber auch von vielen
Wissenschaftlern, die dort am Tisch saßen, gesagt worden. Sie haben anerkannt, dass das, was an Entlastung
geleistet werden kann, von dieser Bundesregierung und
dieser Koalition geleistet worden ist.
({11})
Vor kurzer Zeit ist ja erst die letzte Stufe einer großen
Steuerreform in Kraft getreten. Insofern wird Ihnen der
Wanderdünensand, den Sie den Schleswig-Holsteinern
heute auf den letzten Drücker noch in die Augen zu
streuen versuchen, auch nicht viel nützen. Sie sehen
ziemlich klar im Norden.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat der Kollege Georg Fahrenschon, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Schultz, liebe Frau Kollegin
Lührmann, Sie werden dem Ernst der Lage nicht gerecht.
({0})
Der Stabilitätspakt ist und war das Versprechen der Politik an die Bürger, in Europa eine solide und stabile Finanzpolitik zu entwickeln. Zusätzlich haben wir uns alle,
die wir für die Einführung des Euros gekämpft haben,
der Verpflichtung unterworfen, genauso konsequent an
einer sparsamen, soliden und stabilen Finanzpolitik zu
arbeiten. Und nur damit haben wir die Menschen im
Lande im Grunde davon überzeugt, die D-Mark abzugeben und in den Euro zu investieren.
({1})
Bereits mit der Unterzeichnung des Maastricht-Vertrags
und mit der Annahme des Stabilitätspaktes haben wir
uns bewusst allgemein gültigen Regeln innerhalb der
Europäischen Union unterworfen, um das Ziel, dass
die neue Währung genauso hart und stabil wie einst
die D-Mark sein soll, zu erreichen.
({2})
Keine sechs Jahre nach Einführung des Euros fordert
der deutsche Bundesfinanzminister jetzt das glatte Gegenteil. Ich zitiere aus der „Financial Times Deutschland“ von heute:
Verfahrensschritte in einem Defizitverfahren …
können nur eröffnet werden, wenn dem Mitgliedsstaat tatsächlich schwerwiegende Fehler vorzuwerfen sind.
Damit ziehen Sie dem Automatismus, der Tatsache, dass
wir uns den allgemein gültigen Regeln innerhalb der
Europäischen Union unterwerfen, den Zahn.
({3})
Das ist der zentrale Fehler Ihrer Politik.
({4})
Der Finanzminister fordert damit die EU auf, sich aus
der nationalen Finanz- und Haushaltspolitik gefälligst
herauszuhalten. Das ist der Fehler Ihres Ansatzes.
({5})
Denn wir brauchen den Automatismus in dem Moment,
in dem wir zwar einen einheitlichen Währungsraum,
aber unterschiedliche nationale Wirtschafts- und Haushaltspolitiken fahren. Er ist ein zentraler Punkt.
({6})
Sie haben erst mit einer Sperrminorität den Stabilitätspakt ausgehebelt, dann sind Sie vor dem Europäischen Gerichtshof gescheitert und haben mit diesem
Verfahren zu einer erheblichen institutionellen Verunsicherung auf europäischer Ebene beigetragen.
({7})
Jetzt verlangen Sie flexiblere Interpretationen. Man
muss Ihnen allerdings entgegenhalten: Durch eine noch
weiter gehende Interpretation wird das gesamte System
des regelgebundenen Verfahrens innerhalb der Europäischen Union aufs Spiel gesetzt. Deshalb machen wir dabei nicht mit.
({8})
Wir brauchen das genaue Gegenteil: klar definierte, vorhersehbare und transparente Regeln, die der beste Garant
dafür sind, dass eine effektive, vernünftige und auf Stabilität ausgerichtete Haushaltspolitik, die auch zur Nachhaltigkeit beiträgt, durchgesetzt werden kann.
Mir sei noch ein zweites Zitat erlaubt; denn Herr
Eichel fordert heute - ich zitiere so viel Zeit, wie der Mitgliedsstaat benötigt, um
seine Wirtschafts- und Finanzpolitik wieder auf
mehr Wachstum, Beschäftigung und gesunde
Staatsfinanzen umzustellen.
({9})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lieber Herr
Staatssekretär, wie viel Zeit brauchen Sie eigentlich
noch, um wieder Ordnung in Ihren Haushalt zu bringen?
({10})
Sie sind seit über sechs Jahren an der Regierung. Unter Ihrer Führung explodieren die Schulden seit Jahren.
Die Arbeitslosigkeit steigt und steigt. 5 Millionen Arbeitslose in unserem Land, das ist Nachkriegsrekord. Parallel dazu steigen die Schulden; auch hier sind Sie
Rekordhalter. Derzeit beträgt die Schuldenlast
1 415 Milliarden Euro. Darauf gehen Sie in dieser
Aktuellen Stunde in keinem Punkt ein. 1 415 Milliarden
Euro - das ist eine Summe, die sich selbst fantasievollste
Menschen nicht mehr vorstellen können.
Jeder fünfte Steuer-Euro geht mittlerweile für Zinsen
drauf.
({11})
Das Dramatische ist: Die Gesamtverschuldung steigt
weiter. Sie betrug einmal knapp unter 60 Prozent. Mittlerweile beträgt die Staatsverschuldung insgesamt fast
70 Prozent.
({12})
Eine Trendumkehr ist nicht in Sicht. Anstatt jetzt Schulden abzubauen, versuchen Sie, die Grundpfeiler unserer
gemeinsamen europäischen Währung über Brüssel zu
zerschießen.
({13})
Eine solche Politik ist fahrlässig, gefährlich und verlogen. Sie ist fahrlässig, weil sie der Willkür Tür und Tor
öffnet.
({14})
Sie ist gefährlich, weil sie die Preisstabilität und die
Geldpolitik der Eurozone gefährdet.
({15})
Und sie ist verlogen, weil der Stabilitätspakt damals und
noch heute ein Versprechen der Regierungen an die Bürger war, sich an allgemein gültige finanzpolitische Spielregeln zu halten. Wenn Sie sich jetzt nicht mehr an diese
Regeln halten wollen, weil sie Ihnen unbequem geworden sind, dann belügen Sie die deutsche und die europäische Öffentlichkeit und sägen den Ast einer gemeinsamen, stabilen und erfolgreichen Währung in Europa ab.
Dabei machen wir nicht mit.
({16})
Das Wort hat der Kollege Axel Schäfer, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Thema „Verschuldung und europäischer Stabilitätsund Wachstumspakt“ steht heute zum wiederholten Mal
auf der Tagesordnung des Bundestages.
({0})
Das meiste von dem, was die Kolleginnen und Kollegen
von CDU/CSU und FDP dazu gesagt haben, hatte bereits
vor einem Jahr der luxemburgische Ministerpräsident,
der einer christlich-liberalen Koalition vorsteht, festgestellt.
({1})
Er hat gesagt: So wie diese Diskussion zurzeit in
Deutschland geführt wird, geschah es auch im Jahr 1992.
Er, der letzte aktive Vertreter derjenigen, die den Stabilitäts- und Wachstumspakt ins Leben gerufen haben,
führte aus: So dogmatisch, wie Sie den Pakt sehen, war
er nicht gedacht. Das alles können Sie nachlesen. In dem
einen Jahr, in dem diese Diskussion geführt wurde, haben Sie aber leider nichts dazugelernt.
({2})
Deshalb will ich bewusst auf einzelne Punkte eingehen. Zunächst zur Währungsstabilität. Die Inflationsrate
in der Eurozone liegt konstant unter 2 Prozent.
({3})
Während einige EU-Länder eine höhere Teuerungsrate
haben, weist Deutschland die niedrigste Inflationsrate
überhaupt auf, wodurch es entscheidend zur Stabilität in
Europa beigetragen hat.
({4})
Erstaunlicherweise hat auch der starke Euro der deutschen Ausfuhr nicht geschadet.
({5})
Wir alle wissen noch, welche Sorgen bestanden, dass
eine ungünstige Relation zwischen Euro und Dollar zu
Schwierigkeiten führen könnte. Diese negative Prognose, die Sie aufgestellt haben, ist nicht eingetreten.
Als zweiten Punkt nenne ich das Thema Haushaltsdisziplin.
({6})
Anfang der 90er-Jahre, während Ihrer Regierungszeit,
betrug die Neuverschuldung 2,9 Prozent. Dieses und die
Zahlen anderer Länder waren dafür entscheidend, dass
man sich ausdrücklich darauf verständigt hat: 3,0 Prozent sind 3,0 Prozent. Im Unterschied zu damals befinden wir uns jetzt in der Situation, dass das Minus in Europa eben nicht mehr bei 5 Prozent liegt, sondern im
Durchschnitt bei 2,5 Prozent.
({7})
Das heißt, wir haben in Europa durch den Stabilitätsund Wachstumspakt insgesamt Fortschritte erreicht
({8})
und wir sind besser aufgestellt als zum Beispiel vergleichbare Wirtschaftsräume wie Japan mit minus
4,2 Prozent oder die Vereinigten Staaten von Amerika
mit minus 7,1 Prozent.
({9})
Nun zu Deutschland: Was Deutschland an besonderen
Anstrengungen unternommen hat, hat die EU-Kommission in allen ihren Stellungnahmen ausdrücklich gewürdigt.
({10})
Leider ist das bei Ihnen bis heute nicht angekommen.
({11})
Der zweite Punkt: Lassen Sie uns über die spezifische
Situation in Europa reden. Wir haben heute in der Gemeinschaft gravierende Unterschiede, was die Strukturen anbelangt; darauf müssen wir Antworten finden.
Deutschland ist bevölkerungsmäßig im Durchschnitt
zehn- bis 20-mal so groß wie andere Länder. Das hat
Konsequenzen dafür, wie man Politik in Deutschland
umsetzen kann.
({12})
Deutschland hat als eines von wenigen Ländern ein föderales System. Wir wissen doch ganz genau, welche
Entscheidungen damit erschwert werden.
({13})
Sie wissen das doch, weil Sie ständig Dinge blockieren.
Das gibt es in anderen Ländern überhaupt nicht, wenn
sie sich intern verändern: Die haben ein Ein-KammerAxel Schäfer ({14})
Parlament, da wird etwas entschieden und entsprechend
umgesetzt.
({15})
Der dritte Punkt, die aktuellen Dinge. Der EU-Währungskommissar Almunia hat am 14. Februar dieses Jahres festgestellt, dass sich der Stabilitäts- und Wachstumspakt in der gegenwärtigen Ausgestaltung nicht bewährt
hat, weil er zum Beispiel prozyklische Wirkung auf die
Länder hat und sie damit im Falle eines Falles weiter in
die Rezession treibt.
({16})
Er hat deshalb gesagt: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt muss weiterentwickelt werden. Er muss vor allen
Dingen auch deshalb weiterentwickelt werden, weil wir
von Indikatoren der 80er-Jahre ausgegangen sind, als er
1992 formuliert wurde. Damals lagen die Wachstumsraten bei über 3 Prozent. Mittlerweile sind Probleme wie
Rezession und Stagnation und internationale Schwierigkeiten auf uns zugekommen, Stichwort Terrorismus.
Darauf muss die Politik antworten können - alles andere
wäre Dogmatismus.
({17})
Und die Bundesregierung antwortet darauf: Sie stellt
sich auf die Positionen der Kommission ein,
({18})
sie leistet Überzeugungsarbeit für ein gemeinsames Ergebnis in Europa. Der Kollege Schultz hat darauf hingewiesen: Dass das in engem Zusammenhang damit steht,
wie wir uns künftig positionieren, zeigt doch die finanzielle Vorausschau, Stichwort 1-Prozent-EU-Haushalt.
Fünf Länder haben sich dem angeschlossen und auch die
CDU/CSU und die FDP haben diese gute Position von
Hans Eichel und Gerhard Schröder ausdrücklich unterstützt und wollen auf den Haushalt nicht noch irgendwie
draufsatteln.
Ich komme zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({19})
Wie Sie von der Opposition die Diskussion führen,
könnte man zusammenfassen als „in Einfalt geteilt“. Europa muss aber in Vielfalt geeint werden. Das werden
wir leisten.
({20})
Das Wort hat der Kollege Otto Bernhardt, CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich will zu Beginn meines Beitrages noch einmal feststellen, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt
die Geschäftsgrundlage für die Einführung des Euros
war und ist.
({0})
Bis vor einem Jahr bestand hier im Hause Einigkeit über
diese Feststellung. Herr Diller sagt, es gibt keinen Anlass, darüber zu sprechen. Herr Schultz sagt, das Thema
ist sehr aktuell, schon dadurch, dass der Herr Bundeskanzler und der Herr Finanzminister jeden Tag außerhalb dieses Hauses Vorschläge zu diesem Thema unterbreiten, aber nicht bereit sind, mit uns hier im Hause zu
diskutieren. Das ist dem Parlament gegenüber unverschämt.
({1})
Ein solches Thema gehört nicht zunächst in die europäischen Gremien und in die Zeitungen, sondern muss
hier im Bundestag diskutiert werden.
({2})
Meine Damen und Herren, der letzte Haushalt, für
den wir die Verantwortung getragen haben - das war
1998 -, wies eine Nettoneuverschuldung von 2,2 Prozent auf. Dann kamen Sie. Im ersten Haushalt, den Sie
damals vorgelegt haben - einige erinnern sich noch an
den Finanzminister; ich glaube, er hieß Lafontaine -, haben Sie 15 Milliarden Euro an zusätzlichen Ausgaben
veranschlagt.
({3})
Ein Jahr später war es das Verdienst von Herrn Eichel,
dass er genau diese 15 Milliarden Euro wieder eingesammelt hat. Er ließ sich als Sparminister feiern. Mehr,
als das zurückzunehmen, was Lafontaine zugelegt hatte,
hat er nicht geleistet.
({4})
Danach ist er zum Spitzenreiter bei der Verschuldung innerhalb der EU geworden. Das ist die Realität.
({5})
Nun sagen Sie natürlich zu Recht, die Nettoneuverschuldung und die Gesamtverschuldung seien das Ergebnis von Bundes- und Landespolitik. Wenn wir uns
einmal die Länder anschauen, dann kann ich Bayern von
dieser Stelle aus nur loben. Wenn alle Länder eine solch
vernünftige Finanzpolitik wie Bayern betrieben hätten,
dann gäbe es in Deutschland keine Probleme.
({6})
Wenn Bayern ein selbstständiges Land wäre, dann
stünde es bezogen auf die Stabilität an der Spitze der
EU-Länder. Auf Platz 2 läge Sachsen und auf Platz 3
Baden-Württemberg.
({7})
Drei unionsregierte Länder haben Stabilität.
({8})
Genau so, wie Rot-Grün in der Finanzpolitik im Bund
versagt, versagen Sie in den Ländern, in denen Sie regieren. Mein schönes Heimatland Schleswig-Holstein hat
Schulden in Höhe von 7 000 Euro pro Einwohner. In
Bayern sind es 1 700 Euro. Ich kann nur sagen: Das ist
ein Skandal.
({9})
Meine Damen und Herren von der Regierungsseite,
ich sage es mit aller Deutlichkeit: Wenn die Regierung
und die sie tragenden Fraktionen so viel Kraft für die Liberalisierung des Arbeitsmarktes wie - ich drücke es
einmal positiv aus - für die Liberalisierung der Stabilitätskriterien aufbringen würden, dann hätten wir in
Deutschland manches Problem nicht. Um die Finanzen
wieder in Ordnung zu bringen, brauchen wir eine andere
Wirtschaftspolitik und andere Maßnahmen für den Arbeitsmarkt.
Sie konnten von der schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin gestern im Fernsehen wieder hören, dass
sie für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer eintritt.
({10})
Herr Austermann hat hier die Regierung gefragt, ob die
Gerüchte aus dem Hause stimmen.
({11})
- Herr Staatssekretär, ich habe nicht gehört, dass Sie dies
dementiert haben. Ich sage: Wir brauchen zurzeit keine
Steuererhöhungen, sondern eine Liberalisierung des Arbeitsmarktes.
({12})
Lassen Sie mich deshalb abschließend feststellen,
dass egal, wo Rot-Grün regiert, ob im Bund oder in den
Ländern, die Finanzen kaputt sind. Der alte Vorwurf, Sozialdemokraten können mit Geld nicht umgehen, bestätigt sich leider. Um das zu erkennen, müssen Sie sich nur
die konkreten Zahlen anschauen.
({13})
Letzte Rednerin in dieser Aktuellen Stunde ist die
Kollegin Bettina Hagedorn, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Bevor ich zu dem komme, was ich eigentlich sagen
wollte, kann ich es mir nicht verkneifen, zunächst einmal
Stellung zu den Unterstellungen zu beziehen, die gerade
von Ihrer Seite gekommen sind.
({0})
Kurz vor der Schleswig-Holstein-Wahl versuchen Sie
massiv, zu unterstellen, hier seien Steuererhöhungen geplant.
({1})
Wenn Sie sich nur einmal das Steuerkonzept der schleswig-holsteinischen Landesregierung anschauen würden,
das seit einem Dreivierteljahr öffentlich auf dem Markt
ist,
({2})
dann wüssten Sie, dass die Vorschläge von Frau Simonis
dahin gehen - ({3})
- Herr Kampeter, es wäre schön, wenn Sie wenigstens so
viel Höflichkeit besitzen würden, mich ausreden zu lassen.
({4})
Es ist schon ein starkes Stück, welche Unterstellungen
und Verdrehungen Sie hier vortragen. Wenn Sie meinen,
dass Sie auf diese Art und Weise an die Macht kommen,
dann unterschätzen Sie die Menschen in Schleswig-Holstein.
({5})
Es geht um Folgendes: Wir haben in Deutschland
kein Problem mit den Steuern, sondern mit den Lohnnebenkosten.
({6})
Das Konzept, das durchaus nicht unvernünftig ist, sieht
vor, die Mehrwertsteuer nur in dem Maße zu erhöhen,
wie gleichzeitig Lohnnebenkosten gesenkt werden.
({7})
Eine Familie mit zwei Kindern, die 37 000 Euro im Jahr
verdient und unter Rot-Grün keine Steuern mehr zahlen
muss,
({8})
kann am Ende nur durch die Senkung der Lohnnebenkosten mehr Geld übrig haben.
({9})
- Es ist ausgesprochen schwierig, gegen Sie anzureden,
aber ich tue mein Bestes.
Liebe Kollegen, ich denke, der Fairness und des Anstands halber sollte man die Frau Kollegin Hagedorn
jetzt sprechen lassen.
({0})
Ich möchte mich in erster Linie mit dem Thema Verschuldung beschäftigen. Mir liegt eine Presseerklärung
von Union und FDP vor - sie ist erst zwei Tage alt -, in
der Sie erneut behaupten, dass die Verschuldung des
Bundes seit drei Jahren massiv zunimmt.
({0})
Ich möchte in diese Diskussion gern ein bisschen Wahrheit bringen. Unbestritten ist doch, dass wir die Verschuldung der öffentlichen Hand alle gemeinsam und
auf allen Ebenen wahrlich nicht auf die leichte Schulter
nehmen
({1})
und wir uns der Verantwortung gerade im Hinblick auf
die junge Generation, die heute noch im schulpflichtigen
Alter und jünger ist, sehr bewusst sind.
({2})
Allerdings entspricht es der Wahrheit, dass seit 1971
der Deutsche Bundestag 34 Jahre in Folge Haushalte
verabschiedet hat, die nicht ausgeglichen waren. Daran
waren Sie von der Union mindestens so beteiligt wie wir.
Am allermeisten war die FDP daran beteiligt, nämlich
insgesamt 28 Mal. Es wäre darum sehr gut, wenn wir
heute im Bundestag zu dieser gemeinsamen Verantwortung für diese Schuldenlast stehen würden, anstatt uns in
ritualisierten, dumpfen Schuldzuweisungen zu üben.
({3})
Wir müssen uns mit dem Thema Schuldenlast ernsthaft
beschäftigen, um unserer Verantwortung gerecht zu werden.
({4})
Um Ihnen Ihre eigene Verantwortung zu verdeutlichen - Sie scheinen ein paar Gedächtnislücken zu haben -, will ich Ihnen noch einmal sagen, dass in den
16 Jahren der Kohl-Regierung knapp 70 Prozent des
heute vor uns liegenden Schuldenberges aufgetürmt
worden sind und mit Zins und Zinseszins ein durchaus
beachtliches und trauriges Erbe dargestellt haben.
({5})
Die Neuverschuldung seit 1998, die unbestritten bedauerlich hoch ist und höher ist, als wir uns das in unseren ehrgeizigen Zielsetzungen vorgenommen haben,
macht einen Anteil von 15,3 Prozent an dem Gesamtschuldenberg aus.
({6})
Weil das so ist, taugen Sie von der Union und der FDP
am allerwenigsten zu Chefanklägern in Sachen Staatsverschuldung.
({7})
Wer mit dem Finger auf andere zeigt, auf den weisen
drei Finger zurück.
({8})
Es wäre schön, wenn Sie das beherzigen würden.
Ich will durch diese Zahlen in keiner Weise relativieren, dass in den letzten Jahren Schulden gemacht werden
mussten. Aber ich will deutlich sagen, dass ich das pharisäerartige Gejammere der CDU/CSU über diese Schuldenentwicklung leid bin.
({9})
Sie haben daran einen so großen Anteil, dass Sie sich
hier nicht mit Unschuldsmiene hinsetzen und so tun können, als ob Sie damit nichts zu tun hätten. Sie rennen lediglich zum Bundesverfassungsgericht; das hat übrigens
auch schon die CDU in Schleswig-Holstein gemacht. Sie
stellen damit der Politik ein Armutszeugnis aus; denn die
finanzielle Handlungsfähigkeit des Gemeinwesens für
die Zukunft zu sichern, ist eine Aufgabe der Politik und
nicht eine Aufgabe der Justiz.
Wir haben im Bundestag viele Vorschläge zum Subventionsabbau gemacht - ich will nur an das Steuervergünstigungsabbaugesetz erinnern - und in den letzten
zwei Jahren diskutiert.
({10})
Sie hätten nicht nur dem Bund beachtliche Mehreinnahmen gebracht, sondern auch - das ist nicht zu vergessen - den Ländern und Kommunen.
({11})
Frau Kollegin, bitte denken Sie an Ihre Redezeit.
Ich komme zum Schluss.
({0})
Aber ich möchte diesen Gedanken noch zu Ende führen.
6,7 Milliarden Euro hätte dieses Gesetz alleine den
Kommunen gebracht. Das magere Ergebnis im Vermittlungsausschuss hat ihnen gerade 9 Prozent, nämlich
600 Millionen Euro, bis 2006 beschert. Sie tragen also
die Hauptverantwortung für die katastrophale Finanzsituation der öffentlichen Hand.
({1})
Frau Kollegin, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.
Ich komme jetzt zum Schluss.
In Wahrheit sitzen wir alle, alle Parteien und vor allen
Dingen Bund, Länder und Kommunen, im gleichen
Boot.
Frau Kollegin, ich drehe Ihnen ungern das Mikrofon
ab, aber Sie haben schon vor einer Minute gesagt, dass
Sie zum Schluss kommen.
({0})
Es wäre gut, wenn wir in eine Richtung rudern würden. Auf dem Wasser weisen uns die rot-grünen Tonnen
den rechten Weg. Die Gefahrguttonnen jedoch sind
schwarz-gelb.
({0})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf morgen, Donnerstag, den 17. Februar 2005,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.