Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
({0}) zu der Unterrichtung durch die
Bundesregierung
Vierter Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland:
Risiken, Lebensqualität und Versorgung
Hochaltriger - unter besonderer Berücksichtigung demenzieller Erkrankungen
und
Stellungnahme der Bundesregierung
- Drucksachen 14/8822, 15/345 Nr. 62, 15/4192 Berichterstattung:
Abgeordnete Angelika Graf ({1})
Walter Link ({2})
Klaus Haupt
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Riemann-Hanewinckel.
Herr Präsident! Sehr verehrte, liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir debattieren heute den Vierten Altenbericht,
einen Bericht, den die Bundesregierung Anfang 2002
vorgelegt hat. Dieser Bericht ist jetzt zwar schon ein
paar Jahre alt; aber sein Thema ist nach wie vor hochaktuell. An dieser Stelle möchte ich der Expertenkommission herzlich für die Arbeit danken, die sie geleistet
hat, um diesen Bericht vorlegen zu können. Er ist in sehr
kurzer Zeit entstanden. Nichtsdestotrotz ist er sehr detailliert, sehr umfangreich sowie sehr fundiert und vor
allem für unsere politische Arbeit nützlich.
Ich habe schon gesagt: Dieser Bericht ist zwar schon
etwas älter; aber er ist überhaupt nicht von gestern. Im
Gegenteil, aufgrund des voranschreitenden demographischen Wandels hat dieser Bericht immer noch allerhöchste Aktualität. Der zentrale Leitgedanke des Berichtes ist, dass Menschen in allen Lebensabschnitten - ob
sie jung sind, im Arbeitsleben stehen oder ob sie alt bzw.
sogar hochaltrig sind - ein selbstbestimmtes, selbstständiges und würdevolles Leben führen wollen. Das gilt
insbesondere für die Menschen, die mit Behinderungen
oder Krankheiten alt werden, und für demenziell erkrankte Menschen. Deshalb will ich in meinen Ausführungen hier einen Schwerpunkt setzen.
Der Kommission war es sehr wichtig, festzustellen,
dass es kein einheitliches Bild des Menschen im hohen
Alter gibt. Weder gibt es den hochaltrigen Menschen
noch haben sie alle gleiche Bedürfnisse und Möglichkeiten. So verschieden die Menschen ihr Leben gelebt haben, so verschieden ihre Ansichten, Bedürfnisse und
Wünsche sind, so verschieden sind sie auch im Alter. Individuelle Unterschiede nehmen im Alter sogar eher zu.
Es gibt sie hinsichtlich der Befindlichkeit und der psychischen und körperlichen Gesundheit. Daher muss die
Unterstützung, die vor allem hochaltrige und an Demenz
erkrankte Menschen erfahren müssen, individuell sehr
verschieden sein. Die Unterstützung und die Hilfen, die
sowohl vonseiten der Politik als auch vonseiten der Gesellschaft angeboten werden müssen, müssen dem Rechnung tragen.
Meine Damen und Herren, um entsprechend handeln
zu können, braucht man verlässliche Daten. Deshalb
sind genaue Analysen durch die Forschung unumgänglich. Sie wissen, dass das Ministerium für Seniorinnen
und Senioren für die Grundlagenforschung nicht zuständig ist. Die Grundlagenforschung wird im Bundesministerium für Bildung und Forschung und im Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung
betrieben.
Redetext
Diese beiden Ministerien haben die relevanten Altersthemen im Rahmen des Gesundheitsforschungsprogramms bearbeitet. In diesem Zusammenhang nenne ich
vor allem das Kompetenznetz Demenzen, in dem einheitliche Richtlinien für Diagnostik und Therapie entwickelt werden. Das ist erforderlich, weil Teile dieses Forschungsgebietes noch relativ neu sind. Wir müssen über
neue Erkenntnisse über die Entstehung und den Verlauf
von demenziellen Erkrankungen genauestens informiert
sein, um dementsprechend handeln zu können.
Dieses Kompetenznetz hatte eine Projektlaufzeit von
gut vier Jahren. Sie wissen vielleicht, dass 14 klinische
oder universitäre Zentren, 120 Hausarztpraxen und
3 000 Patientinnen und Patienten daran beteiligt waren.
Auch Industrieunternehmen und Einzelprojekte haben
zur Forschung beigetragen. Wichtig an diesem Kompetenznetz Demenzen ist, dass hier sowohl vertikal als
auch horizontal gearbeitet worden ist. Wissenschaftliche
Erkenntnisse können auf diese Art und Weise sehr
schnell umgesetzt werden und denen zugute kommen,
die vor Ort arbeiten, zum Beispiel Selbsthilfegruppen
oder auch der Deutschen Alzheimer Gesellschaft.
Ich möchte noch auf ein paar andere Projekte unseres
Hauses eingehen, so auf das Aktionsprogramm
„Demenz“. Wir wissen inzwischen, dass sich viele in
der Bevölkerung gar nicht klar machen, dass fast alle in
unserer Gesellschaft vom Phänomen Demenz betroffen
sind. Wer in Gruppen darüber redet, dem wird sehr
schnell klar, dass jeder und jede entweder in der Familie
einen betroffenen Angehörigen hat oder aber im näheren
Bekanntenkreis jemanden kennt und erlebt hat, der von
Demenz betroffen ist. Trotzdem steht diese Erkrankung
nach wie vor unter einem bestimmten Tabu. Angehörige
schämen sich oft dafür und haben große Probleme, die
Hilfen, die es jetzt schon gibt, in Anspruch zu nehmen.
Deshalb ist dieser Bericht wichtig, um deutlich zu machen, welche Bedürfnisse die Menschen haben, die erkrankt sind, und welche Bedürfnisse die Menschen haben, die Demenzerkrankte pflegen, unabhängig davon,
ob es im häuslichen Bereich geschieht oder in einer stationären Unterkunft.
({0})
Meine Damen und Herren, unser Haus hat verschiedene Modellprogramme durchgeführt. Ich nenne nur
beispielhaft das Modellprogramm „Altenhilfestrukturen
der Zukunft“. Beispielsweise ist in Daaden/Herdorf in
Rheinland-Pfalz von 2000 bis 2003 ein Projekt durchgeführt worden, das sich vor allen Dingen an so genannte
ehrenamtliche Tagesmütter gerichtet hat. Dabei ist deutlich geworden, dass in diesem Bereich häusliche Versorgung ein wichtiger Punkt ist, dass aber diejenigen,
die diese häusliche Versorgung anbieten, auch Ausbildung und Begleitung brauchen. Dieses Projekt wird wie
alle anderen Projekte so aufgearbeitet, dass die gewonnenen Erfahrungen anderen Betroffenen oder Interessierten zur Verfügung stehen.
Ich nenne ein zweites Projekt in Stuttgart, wo ein
Heim während des Betriebes umgebaut worden ist.
({1})
Die Betroffenen sollen in Zukunft in Wohngruppen nicht
nur leben und wohnen, sondern auch betreut und versorgt werden Die Fachkräfte wurden während der Arbeit geschult und schon während des Umbaus auf die
neue Situation eingestellt. Das ist von ihnen als besonders notwendig, angenehm und hilfreich empfunden
worden. Auch dieses Projekt wird in einem Handbuch
zusammengefasst, damit andere Heime, die in Zukunft
oder jetzt schon umbauen, die gewonnenen Erfahrungen
nutzen können.
({2})
Meine Damen und Herren, wir wissen, dass die pflegenden Angehörigen auf eine zum Teil sehr mühevolle
Art und Weise mit betroffen sind. Deshalb ist es notwendig, auch das zu untersuchen und Projekte zu fördern,
die den Angehörigen und damit letztlich auch wieder
den demenziell Erkrankten zugute kommen. Wir fördern
das Projekt „Leander“, das bis zum 31. Juli 2005 laufen
wird. Das ist eine Längsschnittstudie zur Belastung pflegender Angehöriger von demenziell Erkrankten, durchgeführt von der Freien Universität Berlin.
Es gibt im stationären Bereich ein Projekt, die Deutsche Expertengruppe Dementenbetreuung, die praktische Empfehlungen für die stationäre Betreuung geben
wird. Dabei geht es nicht nur um die Ansprache und die
persönliche Begleitung der betroffenen Patientinnen und
Patienten, sondern auch um solche Dinge wie Brandschutz, Küchenhygiene, Ernährung und Mobilität der
Betroffenen.
Ein besonders wichtiges Kapitel gerade in der Begleitung Hochaltriger oder demenziell Erkrankter ist die
Qualitätssicherung. Nirgendwo ist es so notwendig,
Qualitätsstandards zu entwickeln und diese dann auch zu
sichern, wie bei den Menschen, die auf andere besonders
angewiesen und somit in einer besonderen Art und
Weise von denen abhängig sind, die sie begleiten und
pflegen.
({3})
Deshalb sind die Messung und Sicherung der Qualität
der Pflege dementer Menschen besonders wichtig. Sie
können sprachlich oft nicht mehr reagieren und nicht
mehr sagen, was für sie mühevoll oder auch sehr gut ist.
Aus diesem Grund gibt es das wissenschaftlich evaluierte Praxisprojekt „HILDE“, das „Heidelberger Instrument zur Lebensqualität Demenzerkrankter“, das in
Fachkreisen große Zustimmung erfährt. Es geht um die
Erfassung des subjektiven Erlebens der Betroffenen über
ihre Mimik und um das Umsetzen von beobachtbarem
Verhalten und Erleben in Begleitung, Beratung und Betreuung.
Die Zivilgesellschaft spielt bei der Begleitung von
Demenzerkrankten eine ganz besondere Rolle. Hier
kommt es darauf an, dass diejenigen in der Zivilgesellschaft, die sich ehrenamtlich engagieren, eng mit der
Politik zusammenarbeiten. Eine solche sehr intensive
und sehr gute Zusammenarbeit gibt es zum Beispiel mit
der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Neben zahlreichen anderen Projektträgern ist sie die wichtigste Partnerin im Aktionsprogramm.
Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft leistet Aufklärung, Beratung und den Aufbau von Netzwerken. Als
Beispiel möchte ich hier das Alzheimer-Telefon nennen,
wodurch seit drei Jahren ganz besonders betroffenen Angehörigen geholfen wird. Diese Beratung soll weiter
ausgebaut werden. In Zukunft soll sie auch online möglich sein. Damit wird die Zielgruppe derer, die angesprochen werden sollen, vergrößert. Hier geht es vor allen
Dingen um diejenigen, bei denen sehr frühzeitig eine
mögliche Alzheimererkrankung diagnostiziert wurde.
Die Betroffenen sollen sich selbst online beraten lassen
können, wodurch sie Hilfe für sich und in Zukunft auch
für ihre Angehörigen erhalten können.
Das Bundesministerium hat einen Leistungsvertrag
mit der Deutschen Alzheimer Gesellschaft abgeschlossen. Die Dauer dieses Leistungsvertrages ist jetzt bis
zum Jahre 2007 verlängert worden. Die Förderung beträgt insgesamt über 1,9 Millionen Euro.
An dieser Stelle möchte ich der Deutschen Alzheimer
Gesellschaft und vor allen Dingen der Vorsitzenden,
Frau von Lützau-Hohlbein, ganz herzlich für ihr Engagement - unter anderem durch die Durchführung der
jährlichen Fachtagungen - nicht nur für sich und ihre Familie, sondern vor allen Dingen auch für die Gesellschaft und die Politik danken. Es ist notwendig, in diesem Bereich eine intensive Mitarbeit der gesamten
Zivilgesellschaft zu erfahren.
({4})
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss
und möchte nur noch einige Stichworte nennen, die Sie
bei den verschiedenen Projekten nachlesen können. Sie
wissen, dass es inzwischen eine Weiterentwicklung der
Wohnprojekte gibt, die durch den Zweiten Altenbericht
„Wohnen im Alter“ angestoßen wurde. Vor allen Dingen
für Menschen mit Demenz haben wir innovative Wohnformen - sowohl beim betreuten Wohnen als auch bei
der stationären Versorgung - entwickelt. Insgesamt gibt
es hier 22 beispielgebende Heime quer durch die Republik. Sie können sich auf der Homepage des Ministeriums darüber informieren. Diese Beispiele wurden deshalb eingestellt, weil sie für die Zukunft wirklich
wegweisend sind und zur Nachahmung dringend empfohlen werden.
Sie wissen, dass sich auch der „Runde Tisch Pflege“
dieses Themas intensiv annimmt. Wir hoffen sehr, dass
wir durch die Infokampagne „Demenz“, die die Deutsche Alzheimer Gesellschaft intensiv mit vorbereitet,
dazu beitragen können, dass dieses Thema in Zukunft
nicht mehr tabuisiert wird, dass die Menschen begreifen
und erleben können, dass das Leben im Alter nicht nur
für gesunde Menschen Zukunft hat, weil wir immer älter
werden, sondern auch für die Menschen, die mit besonderen Schwierigkeiten oder Einschränkungen belastet
sind, und dass deshalb das Engagement von Politik und
Zivilgesellschaft notwendig ist.
Auch im Antidiskriminierungsgesetz, das wir hier
demnächst beraten werden, wird dieser Punkt noch einmal besonders hervorgehoben, wenn es darum geht, dass
niemand wegen seines Alters und der Einschränkungen,
die er oder sie im Alter erlebt, ausgegrenzt, isoliert oder
diskriminiert werden darf.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Ich erteile das Wort Kollegen Walter Link, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
dem von der Bundesregierung vorgelegten Vierten Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland ist ein Spezialbericht verfasst worden,
den der Ausschuss einvernehmlich gewürdigt hat.
({0})
Allen Fraktionen des Deutschen Bundestages ist es
gelungen, dazu einen gemeinsamen Entschließungsantrag zu formulieren. Ich bedanke mich heute Morgen besonders bei dem Kollegen Haupt von der FDP-Fraktion
- er kann leider nicht hier sein; Frau Lenke, bitte übermitteln Sie ihm den Dank -, der sich sehr engagiert hat,
der Kollegin Graf von der SPD, der Kollegin ScheweGerigk von Bündnis 90/Die Grünen und meiner Kollegin
Antje Blumenfeld,
({1})
die mehrfach zusammengesessen haben, um diesen gemeinsamen Entschließungsantrag zu formulieren. Ich
sage dies, weil das bei uns im Hause in einer Frage, bei
der es um beinahe ein Viertel der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland geht, die 60 Jahre und älter
sind, gar nicht so selbstverständlich ist.
Der Vierte Altenbericht - erlauben Sie mir die Kurzform - befasst sich mit der Lebensqualität und den spezifischen Risiken sowie der sozialen, medizinischen und
pflegerischen Versorgung alter und hochaltriger Menschen in Deutschland. Ein besonderer Schwerpunkt des
Vierten Berichts sind die Auswirkungen von Hochaltrigkeit und Demenz. Aufgrund der höheren Lebenserwartung ist leider mit einer Zunahme von Demenzerkrankungen zu rechnen. Hierzu wird meine Kollegin Antje
Blumenthal die Schwerpunkte setzen.
Es ist erfreulich, dass die Menschen bei uns in
Deutschland immer älter werden. Die Lebenserwartung
der Männer steigt von jetzt 74,4 Jahren auf 81,1 Jahre im
Jahre 2050 und für Frauen von heute 80,5 Jahren auf
86,6 Jahre. An dieser Stelle möchte ich feststellen, dass
es in Zukunft nur schön sein kann, immer älter zu werden, wenn man gesund alt wird. Mit dem Begriff der
Walter Link ({2})
Hochaltrigkeit, der in der Forschung bei 80 bis
85 Jahren angesetzt wird, verbindet sich der Beginn eines deutlichen Anstiegs des Auftretens von Krankheiten,
die die Lebensqualität der Betroffenen einschränken
können. Es entspricht den Vorstellungen meiner Fraktion, der CDU/CSU, dass Menschen in allen Lebensabschnitten, also auch die Hochaltrigen, ein selbstständiges, selbstbestimmtes und würdevolles Leben führen
können.
Allerdings gibt es für Hochaltrige kein einheitliches
Bild. Die individuellen Unterschiede nehmen in hohem
Alter stark zu. Es gibt die große Gruppe der rüstigen und
die der pflegebedürftigen Menschen. Risikofaktoren
können bei hochaltrigen Menschen depressive Störungen, beginnende Demenzprozesse, schwere Erkrankungen oder negative wirtschaftliche Verhältnisse sein. In
Zukunft müssen wir viel deutlicher sagen, dass es in hohem Maß ein so genanntes normales Altern gibt.
70 Prozent der über 85-Jährigen können ihren Alltag
selbstständig bewältigen. Aus diesem Grund müssen wir
uns bei Beurteilungen des Alterns davor hüten, alles
über einen Leisten zu schlagen.
Von großer Bedeutung sind im Alltag die Familienangehörigen, die Ärzte und die Pflegekräfte. Hier haben
gute Generationenbeziehungen eine herausragende Bedeutung. Mehr als die Hälfte der 90-jährigen Pflegebedürftigen leben in privaten Haushalten. Sie werden von
Frauen, Töchtern oder Enkeln versorgt und gepflegt. An
dieser Stelle muss in unserer Gesellschaft die Frage erlaubt sein:
({3})
Ist die Pflege für unsere ältere Generation weiblich?
Frau Kollegin Schewe-Gerigk, ich nehme Ihren Zwischenruf gerne auf: Wann werden hier Männer verstärkt
mitarbeiten?
Den großartigen Einsatz, den die Menschen in der
Familie für ihre älteren Angehörigen leisten, kann man
also gar nicht hoch genug einschätzen. Deshalb setzt
meine Fraktion, die CDU/CSU, nach wie vor auf generationenübergreifende familiäre Unterstützung und auch
auf die häusliche Pflege.
({4})
Der CDU/CSU erscheint es wichtig, dass das Deutsche Zentrum für Alternsforschung in Heidelberg, das
seit Jahrzehnten international anerkannte Alternsforschung leistet, in der jetzigen Form erhalten bleibt. Hier
erinnere ich an die großartige Arbeit unserer ehemaligen
Bundesministerin Frau Professor Ursula Lehr.
({5})
Bei einer Delegationsreise unseres seniorenpolitischen Ausschusses nach Japan haben wir erkannt, dass
Forscher dort bereits große Fortschritte in der Alzheimerforschung gemacht haben. Man rechnet damit, dass
in wenigen Jahren Erkennungsmethoden, Therapieansätze und Impfstoffe gegen Alzheimer einsatzbereit sein
werden - ein großartiger Erfolg, der vielen Menschen
und ihren Angehörigen das Leben erleichtern und auch
die Pflegekassen entlasten wird. Herr Präsident, hier hat
sich wirklich eine Auslandsreise unseres Ausschusses
gelohnt; denn das, was wir dort gelernt haben, war großartig.
Um auch trotz Hilfe- und Pflegebedürftigkeit ein
selbstständiges Leben im Alter zu führen, ist eine intensive Wohnberatung notwendig. Es bedarf eindeutiger,
klarer Konzepte für Wohnanlagen des betreuten Wohnens. Neben professioneller Begleitung kommt auch der
ehrenamtlichen Hilfe im Alltag eine große Bedeutung
zu. Unsere Zukunftsplanung muss ein individueller
Maßanzug werden, der für die Älteren und Hochaltrigen
alle Lebenssituationen berücksichtigt. In diesem Zusammenhang gebe ich schon heute der Bundesregierung,
Frau Bundesministerin, die Empfehlung und den
Wunsch unserer Fraktion, bei der Reform der Pflegeversicherung den Pflegebegriff dahin gehend zu erweitern,
dass auch ein allgemeiner Zeitraum für Betreuung stärker als bisher berücksichtigt wird.
({6})
Ich fasse zusammen: Meine Fraktion, die CDU/CSU,
will, dass wir neue Wohnformen verwirklichen, die
Selbstständigkeit, gegenseitige Hilfe, nachbarschaftsbezogenes, generationenübergreifendes Zusammenleben
und professionelle Hilfe besser miteinander verbinden.
Eine verstärkte Förderung von ehrenamtlichen Initiativen kann pflegende Familienangehörige entlasten.
Ebenso hilft ihnen der Ausbau von Tagespflegeeinrichtungen, Kurzzeitpflegeeinrichtungen und ambulanten
Diensten.
Vergessen wir nicht: Familien in Deutschland leisten
den Großteil der Pflege.
({7})
Fast 90 Prozent aller Pflegebedürftigen und chronisch
Kranken in Privathaushalten werden von ihren Angehörigen betreut und gepflegt. Es gilt in Zukunft die Prozesse des Alterns noch mehr zu erforschen, um zu erfahren, was zum gesunden und kompetenten Altern beiträgt.
Gerade im Bereich der Prävention fehlen noch vertiefte
Kenntnisse. Wir wollen wissen, wie man im körperlichen, geistig-seelischen und sozialen Bereich die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Menschen bis ins hohe Alter
erhalten kann. Es gilt die Forschungsergebnisse mit der
praktischen Arbeit besser zu vernetzen.
Für meine Fraktion, die CDU/CSU, schlage ich deshalb vor, dass wir im Fünften Altenbericht das Thema
„Alter und Kompetenz“, Frau Bundesministerin, stärker
herausstellen
({8})
Walter Link ({9})
- ich glaube, darin sind wir uns einig -, damit wir die
Zahlen, die ich gerade genannt habe, untermauern können.
Ich habe deutlich gemacht: Alter ist nicht von vornherein Leistungsabbau oder der Abbau körperlicher,
geistiger und sozialer Fähigkeiten; Alter ist vor allem
Kompetenz und Erfahrung.
({10})
Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ältere
Ehrenamtliche sind für unsere Wirtschaft und Gesellschaft notwendig. Wir wollen helfen, den Menschen
Wege zu zeigen, wie man noch besser aktiv altern kann.
Zum Abschluss danke ich den Millionen Menschen in
unserem Land, die in der Wissenschaft, in der praktischen Arbeit und im Ehrenamt Großartiges für unsere ältere Generation leisten, insbesondere denen, die bis ins
hohe Alter im Ehrenamt tätig sind.
Wir müssen uns darüber Gedanken machen, liebe
Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen, wie wir
insbesondere die Arbeit unserer Altenpflegerinnen und
Altenpfleger besser bewerten.
({11})
Denn solange wir die Arbeit an den Menschen schlechter
bezahlen als die Arbeit an der Maschine, läuft etwas
falsch.
({12})
Nochmals herzlichen Dank für den gemeinsamen
Entschließungsantrag. Lassen Sie uns gemeinsam an die
Arbeit gehen. Die alten Menschen in Deutschland haben
es verdient.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({13})
Ich erteile Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
({0})
Ja, Herr Kollege Kauder, jetzt kommt eine junge Alte das ist ja ein guter Start.
Guten Morgen, Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Vierten Altenbericht hat
die Sachverständigenkommission eine umfangreiche Bestandsaufnahme der Risiken, Lebensqualität und Versorgung hochaltriger Menschen vorgelegt. Die Kommission
hat deutlich gemacht, dass die Möglichkeiten, sehr alt zu
werden, in den industrialisierten Ländern erst in allerjüngster Zeit Wirklichkeit geworden sind. Somit ist - ich
zitiere - „die Kultur der Integration alter und sehr alter
Menschen in den Diskurs der Generationen“ eine noch
neue Aufgabe, der wir uns künftig dauerhaft stellen müssen und - das sage ich für meine Fraktion - auch stellen
wollen.
Selbstbestimmtes Leben ist für uns Grüne ein hohes
Gut. Darum können wir uns mit dem Menschenbild der
Kommission - nämlich der Realisierung eines selbstständigen und selbstbestimmten Lebens in Würde auch
im hohen Alter - nachdrücklich identifizieren. Im Zentrum meiner Rede stehen daher folgende Fragen: Was
hindert Hochbetagte daran, ihre letzten Lebensjahre autonom, selbstbestimmt und in Würde leben zu können?
Sind es ausschließlich krankheitsbedingte Einschränkungen oder haben wir ähnlich wie bei den „jungen Alten“
ein verzerrtes Bild von der Realität Hochbetagter? Wer
weiß schon, dass 70 Prozent der über 85-Jährigen noch
allein im Alltag zurechtkommen? Auch Herr Link hat
das eben schon angesprochen.
Die Kehrseite der Medaille ist allerdings, dass
20 Prozent der über 80-Jährigen an Depressionen leiden,
von denen 15 Prozent an einem Suizid sterben. Dass sich
Menschen im Alter so allein und verlassen fühlen, muss
uns ebenfalls zu denken geben.
Aber - das bestätigt die Sachverständigenkommission
eindrücklich - wir wissen zu wenig über die Gesundheit,
die Ressourcen und die Lebenszusammenhänge von
Menschen über 85. Darum brauchen wir Forschungsstrategien, die zu einem besseren Verständnis des so genannten normalen und auch des pathologischen Alterns führen. Erst dann können wir Strategien erfolgreicher
einsetzen.
In Deutschland ist die Versorgungsforschung im Gegensatz zur Medikamentenforschung leider noch sehr
stark unterbelichtet. Dabei liegt es doch in unser aller Interesse, mehr darüber zu erfahren, welche Programme
für die häufigsten Alterserkrankungen am erfolgreichsten sind. In diesem Zusammenhang stellen sich folgende
Fragen: Welche Programme zur Frührehabilitation helfen Schlaganfallpatienten am besten dabei, wieder auf
die Beine zu kommen? Welche Therapieformen helfen
Menschen, die an einer Demenz erkrankt sind, am besten? Wie kann durch eine fördernde Umgebung und
durch Maßnahmen, die die Angehörigen einbeziehen,
die Entwicklung einer schweren Form von Demenz hinausgezögert werden? Welche Sturzprophylaxen verhindern, dass hochbetagte Menschen dauerhaft gebrechlich
werden?
Obwohl die Bundesregierung in den letzten Jahren
bereits einige Forschungsprojekte zur Hochaltrigkeit auf
den Weg gebracht hat, sind in den nächsten Jahrzehnten
weitere Forschungsressourcen auf die genannten Bereiche zu konzentrieren. Um den Einsatz der Mittel zu optimieren, ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Wissenschaftsdisziplinen in Netzwerken
dringend geboten.
Schließlich müssen wir dafür sorgen, dass neue Erkenntnisse möglichst schnell bei den Berufsgruppen ankommen, die am häufigsten mit alten Menschen in Kontakt stehen. Sie werden es ahnen: Es geht hier um die
Schlüsselrolle der Hausärzte und Hausärztinnen. Sie
müssen in der Lage sein, frühe Hinweise auf eine Demenzerkrankung bei ihren alten Patienten und Patientinnen zu erkennen. Sie müssen diagnostische und therapeutische Maßnahmen in die Wege leiten und die
Patienten und ihre Angehörigen beraten und begleiten.
Denn wir wissen: Zwei Drittel der über 900 000 Demenzerkrankten werden zu Hause gepflegt. Nicht nur
die hohen volkswirtschaftlichen Kosten, sondern auch
die psychischen und die physischen Belastungen für die
Familienangehörigen, die Patientinnen und Patienten sowie die Professionellen müssen uns dazu veranlassen,
die Ressourcen in diesem Bereich zu bündeln. Das heißt
aber auch, dass bei der anstehenden Reform der Pflegeversicherung die Situation der Demenzerkrankten, die
einen hohen Betreuungs- und Beaufsichtigungsaufwand
haben, sehr dringlich berücksichtigt werden muss. Liebe
Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, Sie wissen, dass wir dafür die Zustimmung des Bundesrates
brauchen. Sie sollten sich nicht länger unseren Vorschlägen zum Subventionsabbau verweigern; denn dadurch
frei werdende Gelder dienen auch dazu, die Situation
dieser alten Menschen endlich zu verbessern.
({0})
Ich kehre nun zu meiner Ausgangsfrage zurück, welches die förderlichen Bedingungen sind, unter denen wir
nicht nur älter werden, sondern die gewonnene Lebenszeit auch so selbstbestimmt und autonom wie möglich
verbringen können. Aufgrund des Verhaltens der Älteren
wissen wir, dass die Mehrheit ein Leben in der selbst gewählten Häuslichkeit anderen institutionellen Lösungen
vorzieht. 90 Prozent aller alten Menschen möchten nicht
in ein Heim, so das Ergebnis einer Befragung. Auch deshalb liegt das Durchschnittsalter beim Einzug in ein
Heim bei 84 Jahren. Die in den letzten Jahren entstandene bunte Landschaft verschiedener Wohnprojekte,
die sich als Alternative zum traditionellen Heim verstehen, bewerten wir als Indiz für diese erfreuliche Entwicklung.
Wir erleben vermehrt, dass sich junge Menschen und
junge Alte - Herr Kauder, so haben Sie mich ja gerade
genannt - ab 50 engagieren, um ihre Wohnsituation ihren Wünschen und Anforderungen an das Leben in hohem Alter anzupassen. Bei einigen Projekten spielen der
gezielte Aufbau von sozialen Netzwerken und die Suche
nach Wahlverwandten eine große Rolle, um Vereinsamung und Angewiesensein auf Fremdhilfe zu vermeiden. Zu der vielfältigen Landschaft neuer Wohnformen
zählen Mehrgenerationenwohnen - hier leben also Jung
und Alt zusammen -, Wohngemeinschaften für ältere
Menschen, Haus- und Wohngemeinschaften für Demenzerkrankte - diese gibt es ansatzweise schon in Berlin sowie Pflegewohnungen für sechs bis acht Personen in
einem Stadtteil.
Bündnis 90/Die Grünen tritt entschieden für eine Verbesserung der Wahlmöglichkeiten von Älteren ein. Wir
wollen, dass jeder und jede selbst entscheiden kann, ob
er oder sie im Heim oder in einer anderen Wohnform leben will. Erfreulicherweise gibt es mittlerweile auch
eine Reihe von Heimträgern, die sich mit der Frage befassen, wie sie diesem Trend folgen können, und die bereit sind, ihr Dienstleistungsangebot zu verändern. Experten gehen mittlerweile davon aus, dass eine
Wohnumwelt, die an die Bedürfnisse älterer Menschen
angepasst ist und eigenständiges Wohnen ermöglicht,
das Risiko der Pflegebedürftigkeit vermindert. Wir ziehen daraus die Schlussfolgerung, dass überprüft werden
muss, wie der Staat diese Entwicklungen fördern kann.
Oberste Priorität hat für uns die Förderung von Hilfe
zur Selbsthilfe. Darüber hinaus ist zu überlegen, welche
Maßnahmen geeignet sind, um Alternativen zum Heim
auch für die Bevölkerungsgruppen zu erschließen, die
nicht in der Lage sind, die entsprechenden Schritte zur
Projektentwicklung selbst durchzuführen. Der Koalitionsantrag zur Stärkung des genossenschaftlichen Wohnens ermöglicht die Förderung von Modellvorhaben und
Pilotprojekten unter ausdrücklicher Einbeziehung älterer
Menschen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.
({1})
Die neuen Angebotsformen des betreuten Wohnens
professioneller Anbieter bedürfen flankierender Maßnahmen zur Sicherung der Qualität solcher Angebote.
Die Erfahrungen mit dem Qualitätssiegel „Betreutes
Wohnen für ältere Menschen“ in Nordrhein-Westfalen,
Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Bayern und
beispielsweise die Aktivitäten des Vereins für Selbstbestimmtes Wohnen im Alter in Berlin sind in solche Überlegungen einzubeziehen. Ergänzend zur Förderung von
selbstbestimmten Wohnformen im Alter benötigen wir
aber weiterhin ein ausreichendes Angebot neuer und alter Dienstleistungen in den Bereichen Hauswirtschaft,
Handwerk, ambulante Pflege, Gesundheitsförderung sowie spezielle Reiseangebote für ältere Menschen und die
sie begleitenden Personen.
Angesichts der Vielfalt von Wahlmöglichkeiten für
ältere Menschen haben wir in dem fraktionsübergreifenden Antrag zu diesem Thema - ich begrüße es ausdrücklich, dass wir es geschafft haben, einen solchen Antrag
vorzulegen - bewusst auf integrierte Beratungsangebote gesetzt, um die Übersichtlichkeit der vorhandenen
Hilfsangebote im Pflege- und Gesundheitsbereich zu erhöhen.
Aus unserer Sicht zählt zu diesen Beratungsangeboten auch der weitere Ausbau der Wohnberatung. Sie wird
besonders bei Wohnungsanpassungen - die ja notwendig
sind, wenn ältere Menschen in ihrer Wohnung bleiben
wollen - tätig und kann nachweislich Heimeinweisungen vermeiden oder zumindest hinauszögern. Hier müssen wir tätig werden.
Angesichts der Reichweite dieses Themas begrüße
ich noch einmal das Zustandekommen dieser Beschlussempfehlung. Wir haben noch viel zu tun. Lassen Sie uns
das gemeinsam anpacken! Ich bitte die Kolleginnen und
Kollegen von der CDU/CSU wirklich darum, ihre Blockade aufzugeben, damit wir für die alten Menschen
bald etwas tun können.
Vielen Dank.
({2})
Ich erteile das Wort Kollegin Ina Lenke, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kollegen und Kolleginnen! Erlauben Sie mir zu
Anfang ein Lob. Wir haben es gemeinsam geschafft, dafür zu sorgen, dass der Vierte Altenbericht heute Morgen
in der Kernzeit diskutiert wird. Das war nicht immer so.
Wenn wir uns hier so ansehen, die jungen Alten und die
etwas älteren Alten, dann stellen wir fest: Auch wir persönlich haben es nötig, hier darüber zu diskutieren.
({0})
Ich möchte an dieser Stelle natürlich ganz besonders
Herrn Haupt danken.
({1})
Durch seine Anregungen wurde das, was heute Morgen
vorliegt, überhaupt erst möglich.
Wir haben in der Diskussion schon deutlich gemacht,
dass sich der Vierte Altenbericht dem Thema Hochaltrigkeit - das ist das Alter jenseits des 80. Lebensjahres widmet. Das Alter und das Altern gewinnen angesichts
der demographischen Entwicklung ständig mehr Bedeutung. Wir reden zwar immer darüber, aber wir ziehen
meines Erachtens nicht die richtigen Schlussfolgerungen. Da müssen wir noch besser werden. Wir müssen
uns mit den Chancen und den Anforderungen einer älter
werdenden Gesellschaft intensiv auseinander setzen.
Das erfordert Umdenken in der Wirtschaft, in der Politik
und natürlich auch in der Gesellschaft.
Wir alle wissen: Senioren und Seniorinnen verfügen
über vielfältige Kompetenzen und Erfahrungen und wollen sich einbringen. Schauen Sie einmal vor Ort, wo das
möglich ist: Wohin soll ein 55- oder 60-Jähriger gehen,
wenn er etwas machen will? Wir wissen ebenfalls: Auch
Männer wollen ehrenamtlich tätig sein. Aber in unserer
Gesellschaft muss der Zugang zu ehrenamtlicher Tätigkeit für Männer wirklich verbessert werden. Da muss
uns auf der kommunalen Ebene, auf der Landesebene
und auf der Bundesebene noch etwas einfallen.
({2})
Der medizinische Fortschritt ist unaufhaltsam. Deshalb werden wir alle unser Alter aktiv und selbstbestimmt leben können. Gleichzeitig steigt natürlich die
Zahl der Menschen über 80 und die der Krankheiten.
Folgende Zahlen müssen wir uns vielleicht einmal genauer ansehen: Deutschland hat heute 82 Millionen Einwohner und Einwohnerinnen. In 50 Jahren werden es,
wenn die Zahl der Zuwanderer in unser Land nicht steigt
und wenn nicht mehr Kinder geboren werden, statt
82 Millionen Einwohnern nur noch 65 Millionen sein.
Wenn Sie nur an die Infrastruktur vor Ort denken, dann
werden Sie sehen, wie dramatisch die Folgen auf allen
Ebenen sind:
({3})
Im Jahre 2050 werden auf 100 Personen im Erwerbsalter
circa 80 Rentnerinnen und Rentner kommen. Heute sind
es nur die Hälfte, nämlich 40.
Also: Die Lebenserwartung steigt. Das hat auf unser
tägliches Leben enorme Auswirkungen. Wie Frau
Schewe-Gerigk gesagt hat, geht es dabei auch um Barrierefreiheit im öffentlichen Raum und im persönlichen
Umfeld. Beispielsweise wird der eigenen Wohnung bei
häuslicher Pflege natürlich ein wesentlich höherer Stellenwert als heute zukommen.
Wir haben uns in unserer Beschlussempfehlung vier
Themenschwerpunkte gesetzt:
Erstens. Stärkung der Alternsforschung. Ich meine,
die Alternsforschung besitzt in Deutschland derzeit noch
nicht den Stellenwert, den sie eigentlich haben sollte.
Mit dem demographischen Wandel gehen gesellschaftspolitische, pflegerische, ökonomische und medizinische
Herausforderungen einher. Da müssen wir wirklich etwas tun. Diese Probleme kann nicht allein der Bundestag
bewältigen; dazu gehört eine verbesserte Alternsforschung.
({4})
Das Anliegen der FDP ist es, die Forschung in diesem
Bereich zu fördern und die Datenbasis zu verbessern, damit wir hier die richtigen Beschlüsse fassen. Genau wie
Frau Schewe-Gerigk und andere will ich darauf hinweisen, dass die Hausärzte natürlich die Ersten sind, die die
besonderen, nicht gleich erkennbaren Symptome von
Demenz und Depression erkennen könnten. Herr Parr
hat mir eben noch den Tipp gegeben - Herr Parr, ich
möchte das gerne weitergeben -, auf Folgendes hinzuweisen: Die FDP hat als erste Fraktion im Deutschen
Bundestag dafür gesorgt, dass eine Anhörung über diese
Schwierigkeiten und diese Probleme stattfindet.
({5})
Zweitens. Wohnen und Leben im Alter. Genau wie
für die SPD, für die CDU/CSU und für die Grünen ist es
für uns Liberale eine Selbstverständlichkeit, dass die
Selbstständigkeit und Unabhängigkeit für jeden Einzelnen in jedem Lebensalter besonders wichtig sind. Ich
habe vorhin schon davon gesprochen, dass wegen der
eingeschränkten Mobilität die Wohnungen anders gestaltet werden müssen.
Drittens. Pflegerische und medizinische Betreuung.
Wir möchten gern eine integrierte Beratung schaffen.
Diese Beratung soll den Bürgern ermöglichen, im Irrgarten der künftig zahlenmäßig immer mehr werdenden
Hilfsangebote im Pflege- und Gesundheitsbereich den
roten Faden nicht zu verlieren. Die Beratung sollte systemübergreifend sein und eine enge Verknüpfung von
Altenhilfe und Rehabilitation gewährleisten.
Ich will noch darauf hinweisen - das ist für die FDP
ganz wichtig -, dass Pflege, Betreuung und Beratung
wesentlich individueller gestaltet werden müssen. Außerdem müssen wir auf sprachliche und kulturelle Besonderheiten Rücksicht nehmen. Wir haben Menschen in
unser Land geholt, für die wir natürlich auch im Alter da
sein müssen. Dafür haben wir noch keine Konzepte.
({6})
Viertens. Demenzrisiko und Leben mit Demenz. Die
Zahl der Demenzkranken wächst. Bei den über 80-Jährigen ist heute jeder Dritte betroffen; das sind 900 000. Im
Jahr 2020 werden es statt 900 000 dann 1,4 Millionen
sein. Im Jahr 2050 - ich hoffe, dass viele von uns das
Jahr noch erleben werden - werden es über 2 Millionen
sein. Diese gesellschaftliche Herausforderung ist groß.
Liebe Freunde, liebe Kollegen und Kolleginnen, lassen
Sie das bitte nicht die letzte Diskussion sein! Die nächste
Diskussion muss mit klaren und guten Konzepten verbunden sein.
Zum Schluss möchte ich noch darauf hinweisen, dass
für die FDP eine Neuorientierung der Gesellschaftspolitik unumgänglich ist. Wir brauchen eine neue Generationensolidarität. Damit meine ich nicht, dass zum Beispiel
auf dem Rücken der Zivildienstleistenden die Pflege der
älteren Bevölkerung gesichert wird. Dafür müssen wir
ganz andere Formen finden. Das Internationale Jahr der
Senioren war schon 1999. Es hat viele Erkenntnisse gebracht. Aber leider ist danach Ruhe eingekehrt. Die FDP,
ganz besonders Herr Haupt, wollte mit diesem Anstoß
die Diskussion wieder beleben
({7})
und mit der heutigen Debatte im Bundestag erreichen,
dass die Seniorenpolitik wieder ins Blickfeld gerückt
wird.
Vielen Dank.
({8})
Ich erteile Kollegin Angelika Graf, SPD-Fraktion, das
Wort.
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr alt, biblisch alt zu werden war schon immer
der Traum der Menschheit, nicht nur wegen der angeblich damit verbundenen Weisheit. Der britische Schriftsteller und Gelehrte Tolkien, der Verfasser von „Herr der
Ringe“, formuliert das so:
Und schließlich gibt es das älteste und tiefste Verlangen, die große Flucht: Dem Tod zu entrinnen.
Unsterblich ist freilich auch heute noch niemand.
Trotzdem: Johannes Heesters tritt mit über 100 Jahren
noch auf die Bühne. Berichte über ernst zu nehmende
Forschungen erwecken den Eindruck, es sei künftig
möglich, dem Menschen weit über sein 100. Lebensjahr
hinaus ein Leben mit hoher Qualität zu ermöglichen.
Wie hochaltrige Menschen, also Menschen, die das
80. oder 85. Lebensjahr überschritten haben, heute in
Deutschland leben, wie sich ihre Situation in den letzten
Jahrzehnten verändert hat, was die Gründe dafür sind,
wo aber auch die Probleme dieser Altersgruppe liegen,
beschreibt der vorliegende Altenbericht. Wir können
diesen Bericht aus dem Jahre 2002 heute hier behandeln,
weil - Herr Link und alle anderen Vorredner haben das
schon angesprochen - es in einer gemeinsamen Anstrengung aller Fraktionen gelungen ist, ihn aus der letzten
Legislaturperiode sozusagen herüberzuholen. Ich bedanke mich ausdrücklich bei all denen, die daran mitgewirkt haben.
({0})
Das ist, meine ich, ein gutes Beispiel dafür, dass allen
Medienberichten zum Trotz in diesem Parlament eine
konstruktive und sachorientierte Zusammenarbeit möglich ist und dass wir die Chance dazu auch nutzen.
Der Bericht umfasst über 400 Seiten und ist ein gutes
Kompendium für alle, die sich mit der gestiegenen Lebenserwartung, dem kollektiven und dem individuellen
Altern der Menschen in Deutschland in den letzten Jahrzehnten sowie den Folgen und Chancen dieser Entwicklung auseinander setzen wollen.
Ein weiteres plakatives Zahlenbeispiel dazu: 1965
wurden im Gebiet der alten Bundesrepublik 158 Menschen 100 Jahre und älter; 1998 waren es hier bereits
16-mal so viele, nämlich 2 501. Insgesamt feierten in
ganz Deutschland 1998 fast 3 000 Personen ihren
100. Geburtstag, und das, obwohl zwei Weltkriege Unglück und Vernichtung über diese Generation gebracht
haben, abzulesen etwa auch am Familienstand derer,
über die wir sprechen.
Unter anderem wegen der in den letzten 60 Jahren
verbesserten Lebenssituation wird die Zahl der Hochund Höchstaltrigen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten deutlich zunehmen. Professor Andreas Kruse, einer
der profiliertesten Altersforscher der Bundesrepublik,
geht von einem Anteil Über-60-Jähriger an der Gesamtbevölkerung im Jahre 2030 von 70,9 Prozent aus. Heute
machen sie 43,9 Prozent aus. Der Prozentsatz der Hochaltrigen wird dann von heute 3,9 Prozent auf 7,3 Prozent
der Gesamtbevölkerung angestiegen sein. Im Jahre 2050
wird jeder neunte Deutsche über 80 Jahre alt sein.
Dabei muss uns bewusst sein und bewusst werden:
Wie jede Altersgruppe stellen auch Hochaltrige eine
Gruppe dar, die weder bezüglich ihrer materiellen Ressourcen noch bezüglich ihrer Ansprüche und ihrer sozialen Integration oder ihrer geistigen, physischen und psychischen Lage homogen ist. Um menschenwürdiges
Altern zu ermöglichen, müssen wir deshalb künftig individuelle Angebote für Pflege und gesellschaftliche Partizipation entwickeln.
({1})
Die Kollegin Riemann-Hanewinckel hat bereits auf die
Modellprojekte der Bundesregierung hingewiesen, die in
diese Richtung gehen.
Angelika Graf ({2})
Wer darüber nachdenkt, dem wird das Paradoxe an
unserem Umgang mit dem Aspekt des hohen Alters klar
werden. Während gesellschaftliche Rahmenbedingungen, eine verbesserte Ernährung und der medizinische
Fortschritt auf komplexe Weise Langlebigkeit und demographischen Wandel vorantreiben, werden das Alter
und insbesondere das hohe Alter in den Diskussionen
nicht selten nur als Last und Bedrohung interpretiert. Ich
erinnere an die vielfältigen Diskussionen um die zukünftige Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme und
an die unselige „Hüftgelenkdebatte“ in den Reihen der
Jungen Union, die deutlich gemacht hat, wie sehr der gesellschaftliche Umgang mit Menschen hohen Alters auf
dem Prüfstand steht.
Für die Kommission, die den Vierten Altenbericht
verfasst hat, stand die Legitimität der Solidarleistungen
für Menschen hohen Alters übrigens völlig außer Frage.
Dem schließe ich mich für die SPD-Bundestagsfraktion
ausdrücklich an.
({3})
Trotz der in dieser Debatte vorherrschenden Harmonie
sei die Bemerkung erlaubt, dass das SPD-Konzept einer
Bürgerversicherung dafür wohl mehr Gewähr bietet als
das Unionskonzept einer Kopfpauschale.
({4})
Eine umfassende Aufarbeitung des Themas Hochaltrigkeit, wie sie der Vierte Altenbericht vornimmt, in
wenigen Minuten zu würdigen und alle Details zu beleuchten ist schier unmöglich. Das zeigen auch die Redebeiträge der Vorredner. Deshalb einige kurze Ausblicke auf wesentliche Themen, die uns neben der
angesprochenen Versicherungsproblematik, welche sicher auch einen wichtigen Aspekt darstellt, in den nächsten Jahren stark beschäftigen müssen.
Da ist einerseits die Wohnsituation, die schon angesprochen wurde. Mindestens 85 Prozent der Menschen
aus der Altersgruppe jenseits der 80 leben im eigenen
Haushalt oder in Privathaushalten ihnen nahe stehender
Personen. Die Anzahl der allein lebenden hochaltrigen
Personen nimmt deutlich zu. Insbesondere alte Frauen
wollen, solange es irgend geht, in den eigenen vier Wänden leben. Ich kann das gut verstehen. Wir sollten alle
unsere Ressourcen in Forschung und Entwicklung
- Stichwort Gerontotechnik - nutzen, um ihnen dieses
selbstbestimmte Leben so lange wie möglich zu ermöglichen.
({5})
Dazu gehört auch eine Wohnung, die ihren Bedürfnissen
entgegenkommt, eine Wohnung zum Beispiel, in der
Türschwellen nicht zu Stolperfallen werden, wo das Bad
auch für bewegungseingeschränkte Menschen nutzbar
ist, eine Wohnung, die es schon allein von ihrer Lage zulässt, dass soziale Kontakte weiterhin gepflegt werden
können. Eine Wohnung im vierten Stock ohne Lift macht
das in vielen Fällen unmöglich. Das sind Kriterien, die
übrigens nicht erst für Hochaltrige, sondern auch schon
für Familien wichtig sein können. In dieser Hinsicht
fehlt - ich denke, da sind auch die Bundesländer
gefragt - ein entsprechendes Beratungsnetz, Stichwort:
Networking. Beispielhaft sei in diesem Zusammenhang
die verstärkte Zusammenarbeit von Pflegekasse, Kommune und Koordinierungsstelle im Kreis Ennepetal in
Nordrhein-Westfalen erwähnt.
Verbessert werden muss generell auch die Integration
von familiärer, professioneller und ehrenamtlicher Arbeit im Bereich der Betreuung und Pflege. Wir sind da
auf einem guten Weg. Ich verweise auf die von der
Staatssekretärin angesprochenen ausgezeichneten Modellprojekte des Bundes für neue Altenhilfestrukturen.
Moderne Pflegestrukturen werden auch bei der künftigen Ausgestaltung der Pflegeversicherung zu beachten
sein. Ebenso muss der im hohen Alter beobachtete starke
Anstieg demenzieller Erkrankungen berücksichtigt
werden. Insbesondere die Alzheimerdemenz, gegen deren Ausbruch trotz weltweiter Forschung im pharmakologischen Bereich - der Kollege Link hat es hier
schon angesprochen - noch kein klinisch einsetzbares
Mittel gefunden wurde, wird uns vor immer größere Herausforderungen stellen. Ist doch inzwischen erwiesen,
dass für den Verlauf dieser Erkrankungen neben der
rechtzeitigen Erkennung der Symptome - die Schulung
der Hausärzte sei hier angesprochen - zum Beispiel auch
die räumliche Umgebung, sprich: die Wohnsituation,
eine große Bedeutung hat. In Japan und Italien gibt es inzwischen Wohnprojekte mit dörflichem Charakter für
demente Seniorinnen und Senioren, durch die die Lebenssituation der Betroffenen sehr positiv beeinflusst
werden kann. Aus den skandinavischen Ländern erwähne ich die „heilenden Gärten“ für Demenzerkrankte.
Dieser Beitrag der Landschaftsarchitektur zeigt, dass
auch die Versorgung der Hochaltrigen den Einbezug
vielfältiger gesellschaftlicher Gruppen erfordert.
So wie in Altenheimen Frauen den Großteil der Bewohner stellen - es ist schon gesagt worden, dass das Alter weiblich ist -, sind Frauen über 80 Jahre auch prozentual doppelt so häufig von Demenz betroffen wie
Männer. In der leider etwas männerdominierten Alternsforschung kommt dieser Gesichtspunkt bislang eher zu
kurz. In dem Entschließungsantrag wird deshalb zu
Recht die Förderung der Alternsforschung unter besonderer Berücksichtigung frauenspezifischer Lebensläufe
gefordert, die eben auch ein frauenspezifisches Altern
beinhalten.
({6})
Hier wird in Zukunft mehr und mehr die Tatsache
eine Rolle spielen, dass sich die Lebens- und Familiensituation von Frauen in Deutschland in den vergangenen
Jahrzehnten stark verändert hat. Ich halte es deshalb für
dringend notwendig, wissenschaftliche Forschungsinitiativen zu dieser Thematik auch im Hinblick auf die
Hochaltrigkeit stärker einzufordern. Nicht unerwähnt
möchte ich lassen - auch das ist schon angesprochen
Angelika Graf ({7})
worden -, dass auch im Bereich der Pflege das Alter vorwiegend weiblich ist. Viele Frauen sind oft unter Hintanstellung eigener Bedürfnisse und bis an die Grenze ihrer
Kraft für ihre pflegebedürftigen Angehörigen da. Ihnen
gebührt Dank.
({8})
Wir haben neulich das Einstein-Jahr ausgerufen. Als
Vertreterin einer Generation, die sozusagen an der
Schwelle des Alters ist, möchte ich deshalb ein Zitat dieses großen Deutschen bemühen. Einstein sagte:
Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die
Zukunft. Denn in ihr gedenke ich zu leben.
({9})
Die Altenberichte der Bundesregierung beschreiben,
auf welcher Grundlage ich und wir alle dies tun können
und wo die politischen Handlungsfelder sind. Sie geben
Anleitung, wie wir ganz persönlich Vorsorge treffen
können und müssen. Geistige Beweglichkeit und Lebensqualität können zum Beispiel trotz altersbedingter
Beschwerden erhalten werden durch Lesen, Begegnung
mit Gleichaltrigen oder der Jugend und die Teilnahme
am öffentlichen Leben.
Lebenslanges Lernen wird ein Stichwort sein, mit
dem wir uns im nächsten, also im Fünften, Altenbericht
beschäftigen. Er hat das aktive Altern zum Thema und
zeigt die Potenziale auf, die die „geschenkten Jahre“,
wie unsere Bundesministerin Renate Schmidt die Zeit
zwischen Beendigung des Arbeitslebens und Hochaltrigkeit nennt, in sich bergen.
Wir müssen - davon bin ich fest überzeugt - wegkommen von der pessimistischen Diskussion über die
Last des Alterns und wir müssen, ohne Altern, Pflege
und Tod zu verharmlosen, hinkommen zu einer optimistischeren Wahrnehmung der Chancen, die dieser Lebensabschnitt in sich birgt. Denn Menschen - auch das bestätigt der Altenbericht zur Hochaltrigkeit -, die das Leben
positiv sehen, werden älter - biblisch alt.
({10})
Ich erteile das Wort Kollegin Antje Blumenthal,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Präsident, gestatten Sie mir eine Bemerkung vor
Beginn meines Debattenbeitrages. Lieber Walter Link,
es ehrt mich, dass der Name meines Hamburger Kollegen Erik Blumenfeld hier noch so lange nachwirkt. Aber
ich bin mit einem Mann namens Blumenthal verheiratet;
darauf lege ich Wert.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in dem
Vierten Altenbericht aus dem Jahre 2002 wird erstmals
der Schwerpunkt auf eine umfassende Analyse der
Situation hochaltriger Menschen unter besonderer Berücksichtigung von Demenzerkrankungen gesetzt; das
ist hier schon mehrfach erwähnt worden. Diesen Bericht
haben wir im Ausschuss einstimmig gewürdigt. Die
Analyse wurde von allen nachdrücklich begrüßt. In dem
bereits mehrfach erwähnten gemeinsamen Entschließungsantrag haben wir die notwendigen Konsequenzen
dargelegt: die Stärkung der Altersforschung, die Erarbeitung neuer Konzepte zum Wohnen und Leben im Alter,
die Verbesserung der pflegerischen und medizinischen
Betreuung und die Verbesserung der Früherkennung.
Der Bericht widmet sich dem zentralen demographischen Problem, das unser Land in den kommenden
Jahrzehnten zu meistern hat: der Zunahme des Bevölkerungsanteils hochaltriger Menschen, also derjenigen
Menschen, die das 80. Lebensjahr überschritten haben.
Sehr alte Menschen sind schon heute sehr zahlreich in
unserer Gesellschaft vertreten. Es werden in Zukunft
noch mehr sein.
Es ist natürlich höchst erfreulich, dass uns allen der
medizinische Fortschritt ein immer längeres Leben beschert. Deshalb müssen wir als die Verantwortlichen in
der Politik die Herausforderung annehmen, die eine
zunehmende Alterung der Gesellschaft mit sich bringt.
Inwieweit der demographische Wandel unsere Gesellschaft vor neue Herausforderungen stellt, hat uns die Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ eindringlich vor Augen geführt. Ich denke, die in der
Enquete-Kommission erarbeiteten Zahlen und Berechnungen dürften uns allen noch hinlänglich bekannt sein.
„Umgedrehte Alterspyramide“, „Kinderlosigkeit“,
„Überalterung der Gesellschaft“ oder auch „kinderfeindliche Gesellschaft“ sind zu mahnenden Begriffen geworden, wenn es darum geht, die Zukunft unter sich wandelnden demographischen Vorzeichen zu gestalten. Die
dramatische Veränderung der Altersstruktur in Deutschland muss daher unbedingt aus dem richtigen Blickwinkel betrachtet werden.
({1})
Heute hat Deutschland 82 Millionen Einwohner.
Schätzungen zufolge wird die Bevölkerung in 50 Jahren
nur noch 65 Millionen stark sein.
({2})
Die Gründe liegen wie bereits in den vergangenen drei
Jahrzehnten in einer höheren Sterbe- als Geburtenrate und das nicht etwa deswegen, weil die Sterberate in
Deutschland so unglaublich hoch wäre. Nein, die Brisanz der Zahlen liegt vielmehr darin begründet, dass wir
eine erschreckend niedrige Geburtenrate bei gleichzeitig
abnehmenden Sterberaten haben.
Aber heute sind nicht die niedrigen Geburtenraten das
Thema; heute sollen uns vielmehr die Konsequenzen der
gleichzeitig abnehmenden Sterberaten interessieren, die
nachhaltig zu einer Zunahme des Anteils alter Menschen
an der Gesamtgesellschaft und insbesondere zu einer
Zunahme des Anteils der Hochaltrigen führen. Dieser
Anteil wird sogar überproportional zunehmen und entsprechende Umstrukturierungen in Gesellschaft und
Wirtschaft unumgänglich machen. Genau diese Umstände werden in dem Vierten Altenbericht unter dem
Leitbild dokumentiert, dass Menschen in allen Lebensabschnitten, das heißt auch in der Hochaltrigkeit und
bei Demenzerkrankungen, ein selbstständiges und
selbstbestimmtes Leben führen können.
In dem Vierten Altenbericht wird insbesondere festgehalten, dass die rasch anwachsende Gesellschaft der
Hochaltrigen keineswegs homogen ist. Hochaltrige
Menschen bilden weder eine Gruppe der Rüstigen noch
sind sie in der Gesamtheit als stark pflegebedürftig einzustufen. Im Gegenteil: Individuelle Unterschiede nehmen mit dem Alter zu.
Allerdings ist ein Problem immer wieder mit dem hohen Alter in Verbindung zu bringen: das Problem demenzieller Erkrankungen. Mit steigendem Alter nimmt
das Risiko einer solchen Erkrankung deutlich zu. Der
Vierte Altenbericht befasst sich also aus gutem Grund
mit diesem zentralen Problem. Es wird ein erheblicher
Handlungsbedarf in den Bereichen Forschung, Früherkennung, Behandlung und Pflege festgestellt.
Vor allem im Hinblick auf den Bereich der Pflege demenzkranker Menschen zeichnet die Kommission der
Sachverständigen ein erschreckendes Bild. Zwei Drittel
der Menschen mit Demenzerkrankungen werden zu
Hause von ihren Angehörigen versorgt, für die die Betreuung und Pflege nicht nur eine große Herausforderung, sondern auch eine Belastung darstellt. Wenn nun
aber die ehrenamtliche Hilfe durch professionelle Hilfe
ersetzt werden muss, das familiennahe Pflegepotenzial
wegen sinkender Geburtenrate, erhöhter Mobilität und
zunehmender Berufstätigkeit der Frauen zurückgeht, die
familiäre Solidarität durch hohe Scheidungsraten abnimmt und auch die Bereitschaft und die Fähigkeit der
Angehörigen, Demenzkranke zu pflegen, abnimmt, dann
rollt eine ganz gewaltige Kostenlawine auf uns zu, die
im Grunde genommen nur eine Option zulässt, nämlich
jetzt zu handeln und nicht erst, wenn es zu spät ist.
({3})
Dabei sollten wir auch die Erfahrungen anderer
Länder berücksichtigen, zum Beispiel Japans, das weltweit eine der höchsten Lebenserwartungen ausweist. Die
Japanreise von sechs Mitgliedern unseres Ausschusses
hat uns gezeigt, dass dort große Fortschritte in der Demenzforschung gemacht werden, etwa bei der Früherkennung und der Entwicklung eines Impfstoffes. Der
Blick über den Tellerrand kann uns allen hier nur nützlich sein. Ich denke, das sind wir den älteren Menschen
schuldig.
({4})
Ich möchte auf zwei Bereiche unseres gemeinsamen
Entschließungsantrags ganz besonders hinweisen: die
pflegerische und medizinische Betreuung sowie das Demenzrisiko bzw. das Leben mit Demenz. Die zunehmende Alterung der Gesellschaft bedingt automatisch
einen Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen. Nach den
Schätzungen des Statistischen Bundesamtes dürfte die
Zahl der Frauen und Männer, die ambulante häusliche
oder stationäre Pflege benötigen, von 2 Millionen Bedürftigen im Jahre 2001 auf 2,8 Millionen Bedürftige im
Jahre 2020 steigen. Schon jetzt hat sich die Situation der
Einrichtungen der stationären Altenhilfe bundesweit
grundlegend geändert. Altenwohnheime bzw. Altenheimplätze wurden in Pflegeheimplätze umgewandelt. Bei
neuen Einrichtungen dominiert ganz eindeutig die Zahl
der Pflegeplätze. Das durchschnittliche Einzugsalter
liegt bei über 80 Jahren. Nicht zuletzt ist die Altersdemenz mehr und mehr Ursache für den Umzug in eine
stationäre Pflegeeinrichtung. Allein aufgrund dieser Veränderungen wird von der Altenpflege eine deutlich höhere Leistungsqualität gefordert.
Angesichts der veränderten Familien- und Haushaltsstrukturen wird die Nachfrage nach professionellen Pflegekräften und einer teilstationären Betreuung künftig
weiter ansteigen. Die in Deutschland zu erwartenden demographischen Herausforderungen sind jedoch nicht allein mit einer Verschiebung zur stationären Versorgung
zu lösen. Daher muss die einseitige Orientierung an den
Vorschriften für die traditionelle Versorgungsform eines
herkömmlichen Alten- und Pflegeheimes durch alternative Wohnkonzepte ergänzt werden, die den Betrieb von
ambulanten und teilstationären Hausgemeinschaften fördern. Meine Heimatstadt Hamburg geht hier mit gutem
Beispiel voran: Zusammen mit den Pflegekassen werden
dort jährlich etwa 250 000 Euro für Modellprojekte und
Angebote zur Weiterentwicklung der ambulanten Betreuung insbesondere von demenzkranken Menschen zur
Verfügung gestellt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Deutschland ist
im stationären und im ambulanten Bereich in naher Zukunft flächendeckend ein Pflegepersonalmangel zu erwarten, der die pflegerische Versorgung der Menschen
gefährlich infrage stellt. Das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung benennt hier drei zentrale Problemfelder: personelle Engpässe, eine steigende Arbeitsbelastung und die abnehmende Eignung der Bewerber.
Schon jetzt führt dieser Mangel dazu, dass zum Teil
ethisch bedenkliche Entscheidungen getroffen werden.
Die Früherkennung und die Frühbehandlung von Demenzkrankheiten können helfen, diese Probleme zu vermindern. Wenn die betroffenen Menschen länger in ihren Familien oder auch allein leben können, zum
Beispiel in den eben angesprochenen Wohnmodellen, ist
das mit einem deutlichen Zuwachs an Lebensqualität bei
möglicherweise gleichzeitiger Reduzierung der Pflegekosten verbunden. Die Demenzfrüherkennung muss daher dringend optimiert werden, um den Menschen die
Möglichkeit zu geben, über eine frühzeitige Behandlung
möglichst lange ein eigenständiges Leben zu führen und
die Lebensqualität zu verbessern bzw. zu erhalten.
({5})
Wir reden hier heute über einen gemeinsamen Antrag
unseres Ausschusses. Es gibt jedoch einige Unstimmigkeiten. So sprechen Sie, Frau Schewe-Gerigk, hier von
einer Blockadehaltung unserer Fraktion.
({6})
Nennen Sie lieber Ihre Einschätzungen der Verbesserung
der Pflegesituation! Meines Wissens werden die Entscheidungen von der SPD-Fraktion hinausgeschoben. Es
wird ausgesessen. In dieser Legislaturperiode soll es hier
zu keinen Entscheidungen mehr kommen.
({7})
Ich weiß jetzt nicht, wo hier bei uns eine Blockadehaltung vorliegt.
({8})
- Von der hat sie hier nicht gesprochen, Herr Winkler.
Ich glaube, Sie waren zu diesem Zeitpunkt nicht hier.
({9})
Schauen Sie nachher einmal im Protokoll nach!
Leider haben Sie, meine Damen und Herren von den
Regierungsfraktionen, auch eine weitere wichtige
Chance vertan: die Frühbehandlung von Demenz zu
verbessern. Sie haben im Mai vergangenen Jahres einen
Antrag zur Demenz eingebracht. Darin heißt es lediglich, dass die bereits ergriffenen Initiativen zur Verbesserung der Früherkennung und zur Therapie von Demenzerkrankungen zügig weiterzuführen sind. Wenn Sie
genau nachlesen, stellen Sie jedoch fest: Der Vierte Altenbericht rügt gerade diese Initiativen als nicht ausreichend. Diese nicht ausreichenden Initiativen wollen Sie
also weiterentwickeln.
Deshalb hat meine Fraktion bereits in einem Entschließungsantrag vom Januar des vergangenen Jahres
unter anderem den Ausbau der Gerontologie gefordert.
Der Ausbau der Alters- und Demenzforschung allein
wird nicht ausreichen, um den genannten Problemen entgegenzutreten. Die Herausforderung durch die wachsende Zahl demenzkranker Menschen erfordert eine
gesellschaftlich breit angelegte Informations-, Qualifizierungs- und Präventionskampagne. Auch in diesen Bereichen können wir von den Erfahrungen in anderen
Ländern profitieren.
Zum Abschluss insbesondere wieder an die Regierungskoalitionen gerichtet: Der Vierte Altenbericht endet mit 77 konkreten Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Lage Demenzkranker. Wenn wir mit
unserem Entschließungsantrag, der Ihnen heute vorliegt,
diese 77 Handlungsempfehlungen gemeinsam auf den
Weg bringen können, tun wir eine ganze Menge zur Verbesserung der Situation demenzkranker Menschen. Wir
sollten uns hier nicht gegenseitig Vorwürfe machen, sondern uns gemeinsam im Interesse der älteren und demenzkranken Menschen einsetzen.
Vielen Dank.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend zum Vierten Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland und
zur Stellungnahme der Bundesregierung, Drucksache 15/4192. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis des
Berichts auf Drucksache 14/8822 eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe damit den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Wolfgang Bosbach, Dr. Wolfgang Schäuble,
Hartmut Koschyk, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({0})
- Drucksache 15/4658 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollege Hartmut Koschyk, CDU/CSU-Fraktion.
({2})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der
Bundespräsident hat schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken gegen das mit Mehrheit des Hauses
verabschiedete Luftsicherheitsgesetz erhoben. CDU und
CSU sowie die Mehrheit der vom Innenausschuss des
Bundestages angehörten Rechtsexperten hatten bereits
im Gesetzgebungsverfahren darauf hingewiesen, dass
dieses Luftsicherheitsgesetz verfassungsrechtlich bedenklich ist.
({0})
Der Verteidigungsminister und die betroffenen Piloten
haben mit diesem Gesetz keine Rechtssicherheit. Es ist
unverantwortlich, dass die Koalition eine verfassungskonforme Lösung bislang wider besseres Wissen abgelehnt hat, weil der Koalitionsfrieden wichtiger war.
({1})
Sowohl Bundesinnenminister Schily als auch Verteidigungsminister Struck hatten sich am Beginn der Debatte
einer grundgesetzlichen Klarstellung nicht verschlossen. Dass sie sich nicht durchsetzen konnten, ist bedauerlich; das neue Gesetzgebungsverfahren eröffnet aber
eine neue Chance. Bundesinnenminister Schily hat
mehrmals, unter anderem vor einem Jahr, am 30. Januar
letzten Jahres, in diesem Hause gesagt:
Unser Gesetzentwurf sieht keine Änderungen des
Grundgesetzes vor. Im weiteren Verlauf der Beratungen sollten wir aber vorurteilsfrei prüfen, ob
eine Klarstellung in Art. 35 des Grundgesetzes notwendig erscheint oder empfehlenswert ist ...
Verteidigungsminister Struck hat am 12. Januar 2003
unmittelbar nach dem Frankfurter Luftzwischenfall gesagt:
Ich habe den Eindruck, dass wir ohne eine solche
Klarstellung im Grundgesetz, auch für solche Fälle,
wie wir sie gerade erlebt haben, nicht auskommen.
({2})
Der Minister fügte hinzu:
Ich bin in der Lage, zu entscheiden, ob man militärisch gegen ein solches Flugzeug vorgeht, aber ich
habe den Eindruck, dass es dafür nicht die geeignete Rechtsgrundlage gibt.
({3})
Im Gesetzgebungsverfahren war die verfassungsrechtlich erforderliche Rechtsklarheit über Bundeswehreinsätze im Innern am Widerstand der Grünen
gescheitert. Eine Politik, die den rot-grünen Koalitionsfrieden zum Maß aller Dinge macht, nicht aber die erforderliche Sicherheit für unsere Bürger schafft, schadet unserem Land.
({4})
Leider müssen wir in diesen Tagen feststellen, dass dies
nicht nur für das Thema Luftsicherheit gilt, sondern auch
für die notwendige Verschärfung des Versammlungsrechts oder die dringend erforderliche Ausweitung der
DNA-Analyse.
({5})
Neben den vielfältigen auch handwerklichen Mängeln,
({6})
auf die Rot-Grün im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens
zum Luftsicherheitsgesetz hingewiesen wurde, möchte
ich die Aufmerksamkeit auf einen anderen Punkt lenken,
dessen Brisanz nach meiner Auffassung von Rot-Grün
nicht hinreichend berücksichtigt wurde. Das Luftsicherheitsgesetz behebt nur einen Teil der bestehenden Sicherheitslücken. Vernachlässigt werden die Bedrohungen durch den maritimen Terrorismus, also das Risiko
terroristischer Angriffe auf Schiffe und Häfen. Auch
hierbei stellen sich bislang ungelöste Fragen, was klare
Rechtsgrundlagen für das Zusammenspiel von Polizei
und Streitkräften anbelangt. Diese Gefahr wird bislang
kaum wahrgenommen, obwohl die Szenarien der Sicherheitsexperten Bedrohungen erkennen lassen, die mit
dem Ausmaß des 11. September vergleichbar sind.
Ein Beispiel: Sollte es Terroristen gelingen, einen mit
mehreren Tausend Tonnen brennbarer Flüssigkeit beladenen Tanker zu entführen, ihn in eine Hafenstadt zu
steuern und dort zu sprengen, gäbe es Zerstörungen gigantischen Ausmaßes. Alles nur Theorie? Weit gefehlt.
Ich möchte in Erinnerung rufen: Im Oktober 2002 griffen Selbstmordattentäter von al-Qaida mit mit Sprengstoff gefüllten Motorbooten vor der Küste Jemens
Schiffe an. Erst wurde der französische Tanker
„Limbourg“ getroffen, ein Seemann starb. Sechs Tage
später wurde das US-Kriegsschiff „Cole“ angegriffen,
17 Amerikaner starben. Denken wir an die Entführung des italienischen Kreuzfahrtschiffes „Achille
Lauro“ 1985. Palästinensische Terroristen brachten mehrere Hundert Urlauber in ihre Gewalt, töteten einen an
den Rollstuhl gefesselten Amerikaner und warfen ihn
über Bord.
Was ist mit einem weiteren Aspekt des maritimen
Terrorismus, dem Missbrauch des weltweiten Güterverkehrs mit Containern? Terroristen könnten sich selbst
oder Sprengstoff in Containern von einem Land ins andere schmuggeln, einen Container als Bombe umfunktionieren und in einem Hafen zur Explosion bringen.
({7})
Wissen Sie, was das für ein Land wie Deutschland heißt,
wo 90 Prozent des Containerverkehrs der Binnenschifffahrt auf dem Rhein und dem Main-Donau-Kanal abgewickelt werden, und welche Gefahren dadurch auf deutschen Wasserstraßen bestehen?
Sicherheitsanalysen der fünf Küstenländer, die erst
kürzlich bei einer Veranstaltung im Auswärtigen Amt
diskutiert wurden, sehen solche Gefahren für Fähren und
Kreuzfahrtschiffe. Wenn man sich vor Augen hält, dass
Kreuzfahrtschiffe schwimmende Kleinstädte mit bis zu
2 000 Passagieren sind, dann weiß man, dass ein Anschlag auf solche Schiffe höchste Gefahren für Leib und
Leben Tausender Menschen bedeuten würde.
Wir jedenfalls wollen den Koalitionsfraktionen und
der Bundesregierung durch die erneute Einbringung unseres Gesetzentwurfes den Weg eröffnen, den verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundespräsidenten, der
Union und vieler Rechtsexperten in unserem Land durch
ein erneutes parlamentarisches Gesetzgebungsverfahren
Rechnung zu tragen.
({8})
Auch meinen wir, dass es notwendig ist, die vom Bundespräsidenten grundsätzlich aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen im Rahmen einer erneuten
Expertenanhörung vertiefend zu behandeln.
({9})
Unser Ziel ist, durch ein erneutes Gesetzgebungsverfahren schlussendlich ein verfassungskonformes Gesetz zu
verabschieden.
({10})
Auch wollen wir, dass die verfassungsrechtliche
Klärung hier im Parlament erfolgt.
({11})
Den Gang zum Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe halten wir nicht für den besten Weg; denn die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes erwarten zu Recht,
dass wir in unserem Land bestehende Sicherheitsprobleme hier im Parlament lösen und sie nicht von vornherein dem Bundesverfassungsgericht überantworten.
({12})
Ich will allerdings sehr deutlich sagen: Wenn sich RotGrün bei der Beratung dieses Gesetzentwurfes in den
zentralen Sicherheitsfragen unseres Landes erneut uneinsichtig zeigt, dann werden wir den Weg der Klärung
durch das Bundesverfassungsgericht nicht scheuen.
Wir jedenfalls bieten Ihnen, werte Kolleginnen und
Kollegen der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung, an, durch ein erneutes parlamentarisches Beratungsverfahren hier im Deutschen Bundestag zu einer
gemeinsamen Lösung zu kommen. Es wäre ein gutes
Zeichen für unser Land, wenn in derart entscheidenden
und existenziellen Sicherheitsfragen für die Zukunft unseres Landes und seiner Bürger im Deutschen Bundestag
eine Konsenslösung gefunden werden könnte.
Herzlichen Dank.
({13})
Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Fritz
Rudolf Körper das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU ist
keineswegs neu.
({0})
Ich glaube, er entpuppt sich relativ schnell als leicht erkennbares Manöver, um nicht das Wort „Mogelpackung“ zu gebrauchen.
({1})
Ich rufe Ihnen in Erinnerung: Bereits im letzten Jahr
sind CDU und CSU mit zwei völlig gleich lautenden Initiativen gescheitert. Die Initiative Ihrer Bundestagsfraktion hat der Deutsche Bundestag abgelehnt, die Initiative
der Länder Bayern, Hessen, Sachsen und Thüringen ist
in den Deutschen Bundestag nicht einmal eingebracht
worden. Der Präsident des Bundesrates hat sie auf ausdrücklichen Wunsch der antragstellenden Länder wieder
von der Tagesordnung abgesetzt, nachdem ihnen klar geworden war, dass für eine solche Initiative keine Mehrheit zu erzielen ist.
({2})
Das Einzige, lieber Herr Koschyk, was nach meinem
Dafürhalten an Ihrem jetzt dritten Vorstoß neu ist, ist
schlichtweg sein Etikett.
({3})
Die Antragsteller lassen nunmehr verlauten, sie wollten
durch die erneute Einbringung ihres Gesetzentwurfes
den verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundespräsidenten gegen das Luftsicherheitsgesetz Rechnung tragen.
({4})
Ebenfalls haben sie angekündigt, eine erneute Sachverständigenanhörung durchführen zu wollen. Hierzu haben
sie die nach meinem Dafürhalten erstaunliche Auffassung vertreten, die Kritik des Bundespräsidenten decke
sich mit der Auffassung der Mehrheit der Sachverständigen, die im Gesetzgebungsverfahren zum Luftsicherheitsgesetz angehört wurden.
({5})
Das sehen wir nicht so. Dies stimmt in der Tat nicht.
({6})
Die Auffassungen der Sachverständigen sind in den Protokollen nachzulesen.
({7})
Ich sehe überhaupt keinen Anlass für eine erneute
Durchführung einer Sachverständigenanhörung.
Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Luftsicherheitsgesetzes sind in dem vorausgegangenen Gesetzgebungsverfahren intensiv und, wie ich glaube, auch
zur Genüge diskutiert worden. Was der erneute Vorstoß
der CDU/CSU-Fraktion überhaupt mit der Kritik des
Bundespräsidenten am Luftsicherheitsgesetz zu tun haben soll, erklärt sich mir jedenfalls nicht.
({8})
Die Kritik des Bundespräsidenten betrifft, Herr
Binninger, nämlich im Wesentlichen zwei Punkte: Er hat
Zweifel an der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für
die Regelungen des Luftsicherheitsgesetzes über den
Einsatz der Streitkräfte geäußert,
({9})
da Einsätze der Bundeswehr nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2
und Abs. 3 des Grundgesetzes auf der Ebene des einfachen Rechts dem Landesrecht zu folgen hätten. Er hat
zudem Bedenken zu § 14 Abs. 3 des Luftsicherheitsgesetzes geäußert,
({10})
jener Regelung, die häufig sehr missverständlich und
pauschal als „Abschussregelung“ bezeichnet wird. Der
Bundespräsident hat hierzu die Frage aufgeworfen, ob
die Bestimmung im Einklang mit dem Grundrecht auf
Leben stehe,
({11})
da sie in schwersten Ausnahmelagen auch die Rettung
des Lebens von Menschen am Boden um den Preis des
Lebens Unbeteiligter an Bord eines Luftfahrzeugs zulasse.
Den Standpunkt der Bundesregierung brauche ich
hier wohl nicht im Einzelnen zu erläutern und zu wiederholen; er ist Ihnen hoffentlich bekannt, ebenso wie die
Auffassung der Bundesregierung zu dem von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf. Ich möchte mich deshalb auf
folgende Bemerkungen beschränken:
Erstens. Die Initiatoren des vorliegenden Gesetzentwurfs müssen sich die Frage gefallen lassen, was der von
ihnen erneut geforderte Einsatz der Bundeswehr zum
Schutz ziviler Objekte in terroristischen Bedrohungslagen mit der Diskussion über die verfassungsrechtlichen
Grundlagen des Luftsicherheitsgesetzes zu tun haben
soll.
({12})
Hier wird im Gewande der Behauptung, zur Klärung
verfassungsrechtlicher Fragen beitragen zu wollen, zum
wiederholten Male die politische Forderung erhoben,
dass die Streitkräfte polizeiliche Aufgaben der Länder
übernehmen. Das ist nicht unsere Meinung.
({13})
Das bleibt für uns weiterhin inakzeptabel. Im föderativen System des Grundgesetzes ist die Wahrnehmung originärer polizeilicher Aufgaben grundsätzlich Sache der
Länder.
({14})
Wir alle sind uns darüber im Klaren, dass die neuen terroristischen Bedrohungen Bund und Ländern erhebliche
Anstrengungen abverlangen. Sie erfordern aber keine
Verschiebung der seit langem bewährten Trennlinie zwischen polizeilichen und militärischen Aufgaben.
({15})
Es kann nicht angehen, dass der Bund Aufgaben übernimmt, welche die Verfassung den Ländern zuweist und
die diese mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln
grundsätzlich selbst zu erfüllen vermögen. Damit würde
den Streitkräften ohne einen zwingenden Grund eine
Rolle zugedacht, die sie nach unserer Sicherheitsarchitektur nicht haben sollen. Die Entlastung von Polizeikräften ist kein genügender Grund für eine Verschiebung
des Gefüges zwischen polizeilichen und militärischen
Aufgaben.
({16})
Zweitens. Ich vermag nicht zu erkennen, dass der Gesetzentwurf irgendetwas enthält, was die Auffassung der
Initiatoren rechtfertigen könnte, er trage zur Klärung der
Frage bei, ob das Grundgesetz die Rettung des Lebens
von Menschen um den Preis des Lebens anderer Menschen zulässt. Das Grundrecht auf Leben konkretisiert
die Unantastbarkeit der Menschenwürde und damit einen der Grundsätze, die Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes einer Verfassungsänderung entzieht. Die sich hoffentlich nie stellende Frage, ob das Grundgesetz im
äußersten Fall auch die Rettung des Lebens von Menschen um den Preis des Lebens anderer Menschen zulässt, kann also durch eine Ergänzung des Grundgesetzes
gar nicht entschieden werden, sondern nur durch eine
Auslegung des geltenden Verfassungsrechts. Der Pflicht
zu einer Entscheidung kann sich der Staat, will er handlungsfähig bleiben, freilich nicht entziehen, gleich übrigens, ob und inwieweit er den denkbaren Worstcase gesetzlich regelt oder nicht.
In dem Gesetzentwurf wird auch nirgends die vom
Bundespräsidenten aufgeworfene Frage thematisiert, ob
Einsätze der Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und
Abs. 3 des Grundgesetzes auf der Ebene des einfachen
Rechts einer Regelung durch Bundesgesetz zugänglich
sind. Stattdessen halten es die Initiatoren nach wie vor
für erforderlich, im Grundgesetz klarzustellen, dass die
Streitkräfte nicht nur zur Bewältigung der Folgen einer
Katastrophe oder eines besonders schweren Unglücksfalles, sondern bereits zu deren Verhinderung eingesetzt
werden dürfen. Der Standpunkt der Bundesregierung
hierzu und die Auffassung der Mehrheit der Sachverständigen im Gesetzgebungsverfahren zum Luftsicherheitsgesetz sind bekannt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Binninger?
Nein, an dieser Stelle nicht.
({0})
- Meine Damen und Herren, ich glaube, Sie müssen es
akzeptieren, wenn ich hier im Zusammenhang argumentieren möchte. Das Thema ist ernst genug.
({1})
- Herr Kauder, wenn Sie nicht umblättern müssen, dann
ist das gut.
({2})
Drittens. Auch der Vorschlag, Art. 87 a Abs. 2 Grundgesetz um eine Regelung für Einsätze der Streitkräfte
aus der Luft und von der See her zu ergänzen, ist nicht
neu. Er erhebt originäre Polizeiaufgaben undifferenziert
zu einer neuen Hauptaufgabe der Streitkräfte neben ihrem Verteidigungsauftrag. Für eine derart weit gehende
Umgestaltung unserer Sicherheitsarchitektur in dieser
Allgemeinheit sehe ich jedenfalls derzeit keinen genügenden Anlass.
({3})
Herr Kauder, ich habe jetzt auch dieses Blatt umgeblättert.
({4})
Meine Damen und Herren, die Sicherheitsarchitektur
des Grundgesetzes hat sich über einen langen Zeitraum
bewährt. Wir alle, glaube ich, sind gehalten, kritisch zu
prüfen, ob sie den Anforderungen genügt, die uns die
neuen terroristischen Bedrohungen aufzwingen. Ob neue
Bedrohungspotenziale einschneidende Veränderungen
erfordern, muss - das ist unsere Auffassung - in jedem
Fall sorgfältig geprüft werden. Ohne einen zwingenden
Grund gibt es jedoch keinen Anlass - ich wiederhole
dies -, bei der bewährten Trennung zwischen polizeilichen und militärischen Aufgaben etwas zu verändern.
Die mittlerweile zum dritten Mal eingebrachte Initiative vonseiten der CDU/CSU-Fraktion ist deswegen abzulehnen. Sie enthält nichts Neues;
({5})
denn Sie beschränken sich auf die Wiederholung von
Vorschlägen, die der Deutsche Bundestag mit Recht bereits abgelehnt und der Bundesrat nicht aufgegriffen hat.
Dem selbst erhobenen Anspruch der Antragsteller, mit
der erneuten Einbringung eine vertiefte Klärung verfassungsrechtlicher Fragen im Zusammenhang mit dem
Luftsicherheitsgesetz ermöglichen zu wollen, wird der
Entwurf nicht einmal im Ansatz gerecht.
Vielen Dank.
({6})
Ich erteile das Wort Kollegen Max Stadler, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte gibt der FDP-Fraktion die Gelegenheit, die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen
das Luftsicherheitsgesetz noch einmal zu präzisieren.
Uns geht es dabei nicht wie der CDU/CSU in erster Linie um Kompetenzfragen und Fragen der Ausgestaltung
der Amtshilfe, sondern um den gewichtigeren Kritikpunkt der Einschränkung der Menschenwürde und des
Grundrechts auf Leben. Darüber muss hier noch einmal in aller Sorgfalt beraten werden.
({0})
Die Fragen, die die CDU/CSU aufwirft, ob der Bundestag überhaupt die Gesetzgebungskompetenz hat und
ob die Zustimmung des Bundesrats erforderlich ist, sind
ebenfalls wichtig. Ich möchte Ihnen zum Inhalt Ihres
Antrags aber sagen: Wir als FDP sind der Meinung, dass
es immer besser ist, wenn man versucht, neuen Bedrohungen, wie etwa terroristischen Bedrohungen, mit den
Regeln des bestehenden Systems zu begegnen.
({1})
Das heißt, es muss bei einer klaren Trennung der Aufgaben von Polizei und Militär bleiben.
({2})
Das Argument von Bundesinnenminister Schily - er
trägt es oft vor -, dass die Grenzen zwischen polizeilichem und militärischem Handeln verschwimmen würden, überzeugt jedenfalls uns nicht.
({3})
Aber der Bundespräsident hat uns aufgegeben, noch
einmal die Frage aufzuwerfen, ob es wirklich richtig
war, dass in § 14 des Luftsicherheitsgesetzes in einem
extremen Notfall künftig zugelassen wird, ein Passagierflugzeug abzuschießen und damit das Leben der Besatzung und unschuldiger Passagiere nicht nur aufs Spiel zu
setzen, sondern als sichere Folge zu vernichten.
Dies ist in der Tat eine außerordentlich schwierige
Frage; denn diejenigen, die das Gesetz mit Mehrheit im
Bundestag beschlossen haben, nehmen für sich als moralische Legitimation in Anspruch, weitere Schäden in einem solchen Extremfall - dem 11. September 2001 ähnlich - zu verhüten. Dennoch sind wir der Meinung, dass
es besser gewesen wäre, wenn der Gesetzgeber hier Zurückhaltung geübt hätte; denn derjenige, der in einer solchen Extremsituation den Abschussbefehl zu verantworten hat, befindet sich immer in einem unauflöslichen
moralischen Dilemma. Wenn er eine solche Entscheidung wirklich trifft, dann tut er es in guter Absicht, um
Leben zu retten, aber in vollem Bewusstsein, unschuldiges Leben preiszugeben. Diese Abwägung von Leben
gegen Leben ist nach dem bisherigen Verständnis unserer Verfassung mit dem Grundgesetz unvereinbar.
({4})
Nun könnten Sie für sich in Anspruch nehmen, dass
Sie als Parlament dem Bundesverteidigungsminister, der
die Entscheidung zu treffen hat, eine Vorgabe machen
wollen. Ich sage noch einmal: Das ist ehrenwert. Aber
dabei wird eines verkannt: Es gibt Extremsituationen, in
denen es besser ist, dass sich das Parlament einer gesetzgeberischen Regelung von vornherein entzieht. Auch
das ist keine befriedigende Position. Aber wir meinen:
Das ist die angemessene. Wenn in einer Extremlage nach
sorgfältiger und gewissenhafter Prüfung ein solcher Abschussbefehl gegeben wird, dann handelt der, der dies
tut, zweifellos ohne persönliche Schuld. Dies ist ihm
dann nicht vorzuwerfen. Deswegen ist es die richtige
rechtliche Kategorie, dass wir jemandem, der sich in einem unauflösbaren moralischen Dilemma so oder so entscheidet, dies anschließend nicht strafrechtlich zum Vorwurf machen.
Das Luftsicherheitsgesetz, das Sie mit rot-grüner
Mehrheit und in diesem Punkt mit Billigung der CDU/
CSU beschlossen haben, geht aber über diese Position
deutlich hinaus;
({5})
denn es hebt einen etwaigen Abschussbefehl auf die
Ebene der Rechtmäßigkeit.
({6})
Wenn der Abschussbefehl durch ein Gesetz zugelassen
wird und er geradezu verlangt wird, dann gibt damit der
Gesetzgeber zu erkennen, er sei rechtmäßig. Dies ist
keine Unterscheidung, die nur für Juristen interessant ist,
sondern das ist die richtige Kategorisierung des Themas.
({7})
Ein solcher Abschussbefehl wäre ohne Schuld, aber
er kann nicht von vornherein für legitim und rechtmäßig
erklärt werden. Dies ist zwar eine schwierige Gratwanderung, aber unserer Meinung nach die richtige Lösung
im Geiste des Grundgesetzes.
({8})
Kollege Stadler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Wiefelspütz?
Ja.
Verstehe ich Sie richtig, Herr Kollege Stadler, dass
wir uns als Gesetzgeber in schwierigsten Grenzsituationen aus der Verantwortung stehlen sollen und den staatlichen Entscheidungsträgern nichts anderes anzubieten
haben als bestenfalls ein Schulterzucken? Wie sehen Sie
das?
Ich glaube, Herr Kollege Wiefelspütz, Sie haben das
nicht so gemeint. Ich habe unsere Position ohne Polemik
dargestellt und auch die respektablen Absichten der anderen Meinung anerkannt. Wir gehen also über das Problem nicht mit leichter Hand hinweg. Aber noch einmal
- das ist der entscheidende Gesichtspunkt -: Wenn Sie
sich als Gesetzgeber dafür entscheiden, in der Extremsituation, dass ein Flugzeug entführt, als Waffe benutzt
und dadurch das Leben Dritter bedroht wird, zu sagen,
dass dann der Abschuss gerechtfertigt ist,
({0})
dann nehmen Sie die Abwägung von Leben gegen Leben
vor.
({1})
Sie wägen das Leben, das bedroht ist, gegen das Leben
ab, das sicher vernichtet wird, nämlich der Insassen des
Flugzeuges, also der Flugzeugbesatzung und der unschuldigen Passagiere.
({2})
Eine solche Abwägung von Leben gegen Leben ist unserem Recht völlig fremd.
({3})
Vielmehr ist die richtige Kategorie: Wenn jemand in
die Situation kommt, dass er diese fürchterliche Abwägung treffen muss, dann können wir ihm nicht vorwerfen, wenn er sich für den Abschuss entscheidet. Das
scheint nur für Juristen von Interesse zu sein, aber es gibt
aus gutem Grund verschiedene Kategorien, nämlich die
Kategorie der Handlung, als Nächstes die Kategorie der
Rechtmäßigkeit der Handlung und als letzte die Kategorie der persönlichen Vorwerfbarkeit und der persönlichen Schuld. Wir meinen, hier geht es um die Frage der
Schuld. Wir verneinen die Schuld dessen, der so entscheiden müsste. Aber dafür braucht man keine Regelung, die den ganzen Vorgang auf die Ebene der Rechtmäßigkeit zurückführt. Genau dies sind die Bedenken,
die der Bundespräsident kraft der Autorität seines Amtes
({4})
und kraft der Autorität seiner Argumente formuliert hat.
Das war mutig, erforderlich und das verdient Dank und
Respekt.
({5})
Deswegen sollten wir die Initiative der CDU/CSU
zum Anlass nehmen, diese Bestimmung über den
Abschussbefehl aus dem Luftsicherheitsgesetz zu streichen.
({6})
- § 14 Abs. 3, Herr Kollege Ströbele, Sie wissen es genau.
({7})
Tun wir das nicht in diesem Gesetzgebungsverfahren,
dann wird das Bundesverfassungsgericht hierüber entscheiden. Der frühere Bundestagsvizepräsident Burkhard
Hirsch hat bereits als Anwalt von etwaig betroffenen
Piloten eine Verfassungsbeschwerde in dieser Woche erhoben, auch im eigenen Namen,
({8})
eine Verfassungsbeschwerde, die der Herr Bundespräsident übrigens zur Klärung ausdrücklich angeregt hat.
Ich schließe mich dem Kollegen Koschyk an: Es ist
besser, wenn das Parlament in dieser schwierigen Lage
selber die Entscheidung trifft. Sie kann unserer Meinung
nach nur lauten, die Bestimmung über den Abschussbefehl zu streichen. Das ist allemal besser, als wenn wir auf
Nachhilfe aus Karlsruhe warten.
Vielen Dank.
({9})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans-Christian
Ströbele, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Stadler, Sie haben Recht, die entscheidende Frage ist: Gibt dieses Gesetz irgendjemandem,
zum Beispiel dem Bundesverteidigungsminister, das
Recht, einen Befehl zum Abschuss zu geben? Ich sage
Ihnen - Sie haben darauf hingewiesen, dass auch andere
Meinungen respektabel seien und die Gründe dafür respektabel sein können -: Die Auffassung, die Sie vertreten haben, nämlich dass Sie einen Abschuss nicht wollen, ist nicht nur eine respektable Auffassung, sondern
das ist auch eine Auffassung, die wir teilen. Das Bündnis 90/Die Grünen und ich persönlich wollen auch keine
Legitimation zum Abschuss eines Flugzeuges mit möglicherweise Hunderten von unbeteiligten Menschen geben.
({0})
Nur, Herr Kollege Stadler, schauen Sie einmal in das
Gesetz hinein. Steht das denn so darin?
({1})
Ich sage: Entgegen den öffentlichen Behauptungen gibt
das Luftsicherheitsgesetz keine Lizenz zum Töten von
unschuldigen und unbeteiligten Menschen. Dieses Gesetz regelt vielmehr die Befugnis, wer in solchen Extremfällen überhaupt zu entscheiden hat. Ich glaube, wir
sind uns alle einig, dass man das nicht dem einzelnen
Piloten, dem Polizeibeamten oder dem Polizeipräsidenten vor Ort überlassen kann, sondern dass dann, wenn
eine solche Entscheidung zu treffen ist, diese auf hoher
Ebene angesiedelt sein muss. Wir haben die Entscheidung beim Bundesverteidigungsminister angesiedelt.
Die Frage ist doch: Steht in diesem Gesetz, das wir
gemacht haben, etwas von Abschuss? Nein. Darin heißt
es nämlich: „den unmittelbaren Einsatz von Waffengewalt“. Dieser Einsatz kann sehr unterschiedlich erfolgen.
Wenn zum Beispiel bei dem Vorfall in Frankfurt das
Flugzeug auf einen Tower zugeflogen wäre und Menschenleben in der Stadt akut bedroht gewesen wären,
dann hätte das Gesetz die Möglichkeit geboten, unmittelbar Waffen einzusetzen, und zwar möglicherweise
auch zum Abschuss. In dieser Situation wären keine unbeteiligten Menschen bedroht gewesen; vielmehr wäre
nur der Täter bedroht gewesen, der bei einem Einsatz
wahrscheinlich sein Leben verloren hätte.
Mit dem Gesetz werden gerade keine Rechtsschranken geöffnet. Vielmehr entscheidet sich die Frage, was
im jeweiligen Konfliktfall zu geschehen hat, nach den
geltenden allgemeinen Regeln des Polizeirechts und des
übergesetzlichen Notstands.
Wie war denn die Rechtslage vor dem In-Kraft-Treten des Gesetzes? Schließlich sind schon bei dem Vorfall
in Frankfurt Hubschrauber aufgestiegen und die Bundeswehr wurde zu Hilfe gerufen. Es ist nicht davon auszugehen, dass in dieser Situation, wenn entsprechende konkrete Anhaltspunkte vorgelegen hätten, nichts passiert
wäre. Vielmehr hätten die Verantwortlichen - wer auch
immer zuständig war - vor der schwierigen Entscheidung gestanden, ob der Fall eines übergesetzlichen Notstands gegeben wäre. In diesem Fall hätte eine Person
möglicherweise ein Leben gegen das andere abwägen
und eine rechtswidrige Handlung begehen müssen, für
die sie sich gegebenenfalls später vor Gericht zu verantworten gehabt hätte. Das Gericht hätte dann feststellen
müssen, ob das Verhalten schuldhaft und strafbar ist.
Diese Situation bleibt durch das In-Kraft-Treten des
Gesetzes unverändert. Das heißt, welche konkrete Maßnahme im Einzelfall zu treffen und welche gerechtfertigt
ist, richtet sich nach den allgemeinen Regeln, die schon
vor dem In-Kraft-Treten des Gesetzes gegolten haben.
Insofern sind die in der Öffentlichkeit verbreiteten Darstellungen nicht richtig.
Ich denke, das Gesetz regelt die Zuständigkeit und besagt konkret, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren ist und die polizeilichen Kriterien entscheidend sein müssen,
({2})
dass militärische Kriterien oder sonstige der Bundeswehr eigene Kriterien keine Rolle spielen dürfen und
dass die Abwägung der zu ergreifenden Maßnahmen
nach allgemeinem Recht erfolgen muss.
Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, berührt
dieses Thema aber in keiner Weise. Darin geht es nämlich um ganz andere Fragen. Zunächst einmal geht es um
die Frage, ob die Bundeswehr über die Möglichkeiten,
die sich aus den Art. 35 und 87 a des Grundgesetzes hinaus ergeben, im Inneren eingesetzt werden soll.
({3})
Dazu sage ich Ihnen eindeutig: Mit Bündnis 90/Die Grünen und dieser Koalition ist keine Ausweitung der Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Inneren machbar.
({4})
Das wollen wir nicht und das haben wir nie gewollt. Wir
sehen uns damit in der Tradition der Diskussionen über
die Wiederbewaffnung in den 50er-Jahren und die Notstandsgesetze Ende der 60er-Jahre,
({5})
in denen wir immer wieder gesagt haben: Mit der Schaffung der Bundeswehr besteht die Gefahr, dass ihre Befugnisse über die vielfältigen Aufgaben hinaus, für die
sie im Inneren eingesetzt werden kann, immer weiter
ausgedehnt werden. Damals wurde uns versichert, das
werde nie eintreten. Heute stehen wir vor der Situation,
dass Sie genau das fordern. Das ist aber mit uns nicht zu
machen. Das darf nicht geschehen.
({6})
Sie fordern eine Erweiterung auf die Situation einer
terroristischen Bedrohung. Dem halte ich entgegen,
dass Ihrer Formulierung entsprechend die Bundeswehr
in den vergangenen drei Jahren seit dem 11. September
2001 ständig im Inneren hätte eingesetzt werden können.
({7})
Es wird allgemein von einer aktuellen und bis heute bleibenden terroristischen Bedrohung in Deutschland ausgegangen. Das heißt, wenn heute ein Land wie Bayern,
Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg mit Hinweis darauf, dass die eigenen polizeilichen Kräfte nicht
ausreichten und auch der Bundesgrenzschutz die Aufgaben nicht bewältigen könne, den Einsatz der Bundeswehr zum Objektschutz bzw. für alle möglichen polizeilichen Aufgaben anfordern würde, dann wäre das mit
einem Gesetz, wie Sie es wollen, schon heute möglich.
Das darf nicht sein. Das wollen wir nicht und das werden
Sie auch nicht durchsetzen.
Sie behaupten des Weiteren - hier nehmen Sie tatsächlich die Kritik des Bundespräsidenten auf -, dass
das Luftsicherheitsgesetz, so wie wir es beschlossen haben, nicht mit Art. 35 des Grundgesetzes zu vereinbaren sei. Aber auch hier empfehle ich Ihnen: Lesen Sie
das Gesetz doch einmal genau! Art. 35 Abs. 3 des
Grundgesetzes besagt, dass dann, wenn Gefährdungen
von einem besonders schweren Unglücksfall oder von
einer Naturkatastrophe ausgehen und über Ländergrenzen hinausgehen, der Einsatz der Bundeswehr im Innern
im äußersten Fall in Betracht kommen kann. Nichts anderes steht in unserem Gesetz. In § 13 unseres Gesetzes
ist festgelegt - darauf haben wir ausdrücklich Wert
gelegt -, dass nur von den in Art. 35 Abs. 2 und 3 des
Grundgesetzes enthaltenen Befugnissen Gebrauch gemacht werden darf. Die vom Bundespräsidenten geäußerten Bedenken fanden auch in der Anhörung keinerlei
Mehrheit. Ich glaube, es waren nur ein oder zwei Sachverständige, die sich mit seinen Bedenken ernsthaft beschäftigt haben.
({8})
Der von Ihnen benannte Sachverständige Professor
Scholz hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er unseren Gesetzentwurf in diesem Punkt durchaus als
grundgesetzkonform ansieht.
({9})
Wir sind der Meinung, dass das Grundgesetz nur so
ausgelegt werden kann, wie wir das tun. Es kann nicht
darauf ankommen, ob bereits ein besonders schwerer
Unglücksfall, ein Schaden oder eine Naturkatastrophe
eingetreten ist, ob zum Beispiel das Wasser schon über
die Ufer getreten ist oder ob die Deiche schon gebrochen
sind. Vielmehr sind Maßnahmen, die den Einsatz der
Bundeswehr im Innern notwendig machen, auch dann
zulässig - nur so kann man das Grundgesetz auslegen; so
haben das auch die Sachverständigen gesagt -, wenn
eine Gefahr unmittelbar bevorsteht. Es wäre ja unsinnig,
wenn man abwarten müsste, bis ein Schaden eingetreten
ist.
Unser Gesetz ist grundgesetzkonform und wird deshalb auch vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand
haben.
({10})
Ich erteile das Wort Kollegen Clemens Binninger,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Anlass
der heutigen Debatte ist das Luftsicherheitsgesetz. Es
lohnt sich, noch einmal einen Blick auf dieses Gesetz als
Ganzes zu werfen. Der Anspruch ist, dass in Zeiten der
Bedrohung wie diesen, in denen entführte Maschinen als
Waffen benutzt werden, alles getan werden muss, um
Anschläge aus der Luft zu verhindern. Das ist das Ziel
und darin sind wir uns, glaube ich, auch einig. Die entscheidende Frage ist aber, ob mit dem Gesetz dieses Ziel
erreicht wird. Wenn man es sich genauer anschaut, dann
stellt man fest, dass dieses Gesetz Sicherheitslücken
schafft, unpraktikabel und verfassungswidrig ist. Deshalb ist es in keiner Weise geeignet, die angestrebten
Ziele zu erreichen.
({0})
Die Art und Weise, wie das Gesetz zustande kam
- ich glaube, das ist ein interessanter Hinweis für die
deutsche Öffentlichkeit, wie die Regierung Gesetze
macht -, ist eine Mischung aus Arroganz und Ignoranz.
Sie haben das Gesetz vor der zweiten und dritten Lesung
so geändert, dass es nicht mehr zustimmungspflichtig
war; denn Sie wussten, dass es in seiner ursprünglichen
Fassung im Bundesrat scheitern würde. Sie haben außerdem die Ergebnisse einer Sachverständigenanhörung
ignoriert, bei der fünf von sechs Sachverständigen gesagt haben - Herr Ströbele, ich habe gestern noch einmal
das Protokoll der Sachverständigenanhörung zurate gezogen und es von vorne bis hinten gelesen und dabei
festgestellt, dass nur Herr Robbers, der von Ihnen bestellte Sachverständige, eine andere Meinung vertritt;
Sie haben uns das schon das letzte Mal falsch
vorgehalten -, eine Verfassungsänderung sei notwendig
oder zumindest sinnvoll.
({1})
So viel zu dem Thema, dass die meisten Sachverständigen gegen unsere Bedenken waren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, Sie
haben des Weiteren alle Hinweise des Verbandes der
Kampfpiloten ignoriert. Ich möchte das gern an einem
praktischen Beispiel deutlich machen. § 14 des Luftsicherheitsgesetzes regelt den Einsatz der Bundeswehr
im Innern. Sie verstehen darunter fälschlicherweise
Amtshilfe. Ich komme darauf später noch zu sprechen.
§ 14 regelt folgendes abgestuftes Verfahren: Eine entführte Maschine ist durch ein Militärflugzeug zunächst
abzudrängen, bevor mit Signalschüssen, dann mit Warnschüssen und - nur im äußersten Notfall und auf Anordnung des Verteidigungsministers - mit Waffengewalt auf
die Maschine eingewirkt werden darf.
({2})
So weit klingt es durchaus logisch und sinnvoll.
Die Kampfpiloten - sie müssen diese Maßnahmen
ausführen - sind ganz anderer Meinung: Der Versuch,
eine entführte Linienmaschine Boeing 737 mit einem Jet
abzudrängen, ist etwa so tauglich wie der Versuch, einen
LKW mit einem Mofa von der Autobahn abzudrängen.
Das funktioniert gar nicht.
Kollege Binninger, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Ströbele?
Ein paar Sätze noch, dann gestatte ich sie gerne. - Signalschüsse abzugeben, wie vorgesehen, funktioniert
nicht, weil die Maschinen mit der entsprechenden Munition gar nicht ausgerüstet sind.
({0})
Warnschüsse abzugeben, wie in diesem Gesetz vorgesehen, funktioniert auch nicht, weil die Munition an Bord
wärmegelenkt ist und jeder Schuss sofort sein Ziel finden wird. Sie haben eine Bestimmung frei von jeglichem
Sachverstand und unbelastet von Fachwissen geschaffen. Deshalb ist es ein theoretisches Konstrukt, das keine
Sicherheit schafft, sondern Unsicherheit produziert.
Jetzt dürfen Sie Ihre Frage stellen.
({1})
Herr Kollege Binninger, geben Sie mir Recht, wenn
ich feststelle, dass die CDU/CSU während der gesamten
Beratung dieses Gesetzes zu keinem Zeitpunkt die in
§ 14 des Luftsicherheitsgesetzes enthaltene Vorschrift
kritisiert hat, dass Sie zu keinem Zeitpunkt die von
Kampfpiloten geäußerten Bedenken geltend gemacht haben und dass Sie zu keinem Zeitpunkt - auch heute
nicht, da Ihr Gesetzentwurf behandelt wird - Änderungsvorschläge gemacht haben?
Unser Kritikpunkt, Herr Ströbele, war zunächst immer, dass die verfassungsrechtliche Grundlage fehlt und
dass das Gesetz damit insgesamt nachbesserungsbedürftig ist. Diese Kritik haben wir auch formuliert. Nur - das
habe ich vorhin mit „Ignoranz“ und „Arroganz“
gemeint -: Das interessiert Sie doch gar nicht. Seien Sie
doch ehrlich! Was interessiert Sie die Meinung von
Sachverständigen? Sie wollen sie gar nicht hören. Sie
sind in Ihrer ideologischen Meinung festgelegt. Was
Sachverständige und Berufspiloten sagen, das interessiert Sie doch nicht.
({0})
Zu den inhaltlichen Mängeln dieses Gesetzes - sie
zeigen, dass es am Schreibtisch und für den Schreibtisch,
aber nicht für die Praxis entwickelt worden ist - kommen die verfassungsrechtlichen Bedenken hinzu. Durch
dieses Gesetz wird der Einsatz der Bundeswehr im
Innern geregelt. Sie beziehen sich dabei auf Art. 35
Grundgesetz. Der Bundespräsident sagt zu Recht:
Art. 35 Grundgesetz regelt die Amtshilfe. Ein Kernelement der Amtshilfe besteht darin, dass nicht diejenige
Einheit, die eingesetzt wird, das Sagen hat, sondern diejenige Einheit, die anfordert. Das heißt in diesem Fall,
dass irgendein Polizeiposten in Hessen, der Unterstützung braucht, darüber entscheidet, ob die Bundeswehr
zum Einsatz kommt oder nicht. Es ist aber keine Amtshilfe, weil der Bundeswehr eine eigenständige Aufgabe
dauerhaft übertragen wird, über die der Verteidigungsminister zu Recht entscheidet. Damit wäre ein solcher
Vorgang von Art. 35 Grundgesetz nicht gedeckt. Ihr Vorhaben ist damit im Kern ganz und gar verfassungswidrig.
({1})
Herr Ströbele, Ihre Beiträge waren in gewisser Hinsicht entlarvend.
({2})
Sie haben heute einmal dargelegt, worum es den Grünen
hier wirklich geht: nicht um die Sicherheit in unserem
Land, sondern darum, alte ideologische Bedenken gegen
die Bundeswehr wieder zu entfachen. Sie haben - vielleicht aus Ihrer Jugend - immer noch das Feindbild Bundeswehr im Kopf. Aber dieses Bild hat mit der Realität
heute nichts mehr zu tun. Wir brauchen eine Bundeswehr, die sich mit innerer und auch äußerer Sicherheit,
soweit notwendig, befasst. Sie wollen das nicht.
({3})
Herr Ströbele, erklären Sie der deutschen Bevölkerung
doch einmal,
({4})
warum Sie dafür sind, die Bundeswehr an allen Krisenherden dieser Welt für Aufgaben wie Objektschutz, Seesicherheit und Luftsicherheit einzusetzen, obwohl Sie
dagegen sind, die Bundeswehr zum Schutz der Menschen im eigenen Land einzusetzen, weil dazu die verfassungsrechtliche Grundlage fehlt. Das ist doch absurd.
({5})
Deshalb haben wir heute einen Gesetzentwurf zur
Änderung des Grundgesetzes eingebracht. Ich will die
Punkte deutlich machen, die wir damit verbinden:
Punkt 1. Wir greifen den ersten Kritikpunkt des Bundespräsidenten auf und sagen: Art. 35 Grundgesetz
reicht nicht aus. Wir schlagen eine konkrete Änderung
zu Art. 35 Grundgesetz vor.
({6})
Punkt 2. Es geht um das Problem „Leben gegen Leben“, auf das der Kollege Stadler zu Recht schon hingewiesen hat. Sie können das doch nicht ernsthaft mit
Art. 35 Grundgesetz abvespern. Deshalb schlagen wir
eine Änderung des Art. 87 a Grundgesetz vor.
({7})
In Abs. 2 sollen nach den Worten „Außer zur Verteidigung“ die Worte „und zur Abwehr von Gefahren aus der
Luft und von See her ...“ eingefügt werden.
({8})
- Es gilt kein Kriegsrecht. Aber wir müssen diese Bestimmung weiterentwickeln. - Staatssekretär Körper hat
mir nicht erlaubt, eine Frage zu stellen, aus gutem
Grund. Er hat genau dieses Problem „Leben gegen Leben“ beschrieben. Da hilft die heutige Rechtslage einfach nicht weiter. Da müssen wir im Prinzip die Verfassung weiterentwickeln.
({9})
Im Gegensatz zu seinem Minister hat er eingeräumt,
dass es bei diesem schwierigen Fall - entführte Maschine mit unschuldigen Passagieren an Bord/mögliche
Opfer am Boden - im Kern natürlich um die Abwägung
„Leben gegen Leben“ geht. Der Herr Minister hat den
Herrn Bundespräsidenten ja etwas oberlehrerhaft dahin
belehrt, dass es nicht um „Leben gegen Leben“ geht.
Doch, darum geht es leider. So bitter ist die Realität. Sie
können das nicht klären, indem Sie einfach die Frage negieren,
({10})
indem Sie zu § 14 des Luftsicherheitsgesetzes sagen:
Wir wirken nur auf das Flugzeug ein; ob Menschen darin
sitzen, interessiert uns nicht.
({11})
Sie brauchen an dieser Stelle zwei Verfassungsänderungen, nämlich in Art. 35 und in Art. 87 a Grundgesetz.
({12})
Beides schlagen wir vor.
Wir schlagen außerdem vor, eine Sachverständigenanhörung zu diesem komplizierten Fragenbereich „Leben gegen Leben“ durchzuführen.
({13})
Wenn Sie es nicht tun, werden wir einen Gesetzentwurf zur Änderung des Luftsicherheitsgesetzes einbringen, mit dem die praktischen Mängel dieses Gesetzes
korrigiert werden.
Eines muss ich zum Abschluss schon noch sagen: Bei
diesem schwierigen Thema „terroristische Bedrohung,
Anschläge weltweit mit ungeheurem Ausmaß“ hilft es
nicht, wenn man auf halbem Wege stehen bleibt. Sicherheit macht man ganz oder gar nicht. Rot-Grün hat sich
für „gar nicht“ entschieden.
Herzlichen Dank.
({14})
Ich erteile Kollegen Dieter Wiefelspütz, SPD-Fraktion, das Wort.
({0})
Hören Sie jetzt einmal zu, Frau Stokar!
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Ich finde, dass wir heute Morgen
eine etwas krause Debatte führen.
({1})
Ich möchte darauf hinweisen, dass das Luftsicherheitsgesetz seit einigen Tagen in Kraft ist und angewendet
wird.
({2})
- Es ist in Kraft. Der Bundesverteidigungsminister wendet es an. Das ist seine Pflicht.
({3})
Es ist unterschrieben und wird angewendet. In den kommenden Monaten wird es ein Verfahren in Karlsruhe geben.
Aber das Parlament hat entschieden. Das Parlament
hat sich an dieser Stelle mit großer Sorgfalt entschieden.
Wir haben uns die nötige Zeit genommen. Wir haben
eine sehr qualifizierte Anhörung veranstaltet, an die ich
mich gern erinnere. Jetzt liegt uns ein Gesetzentwurf von
Ihnen vor, Herr Koschyk, den ich als Altpapier betrachte.
({4})
Ich weiß gar nicht, was Sie damit wirklich wollen. Wollen Sie eine verlorene Abstimmung korrigieren? Wollen
Sie wirklich, dass das, was Sie da aufgeschrieben haben,
in das Grundgesetz hineinkommt?
({5})
Wissen Sie, was ich hier heute gern gehört hätte? Ich
hätte mir heute gern eine Rede von unserem Kollegen
Dr. Schäuble zu diesem Thema angehört, also dazu, ob
man die Verfassung so verbiegen darf.
({6})
Was wollen Sie eigentlich erreichen? Ich will Ihnen
einmal Folgendes sagen: Es gehört zu den Grundfunktionen unseres Staates, für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger zu sorgen,
({7})
vielleicht auch, wenn wir noch etwas Kraft haben, für
die Sicherheit von Menschen außerhalb unseres Landes.
Wofür haben wir den Staat? Eine der Grundfunktionen
ist, die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Wir haben die Aufgabe, eigentlich täglich
die Sicherheitslage zu analysieren und uns zu fragen:
Wie sieht es mit den Herausforderungen aus, denen wir
zu begegnen haben? Ist unser Normenbestand ausreichend? Sind wir faktisch gut aufgestellt? Haben wir genug Polizei- und Bundeswehreinsatzszenarien? Ist das
alles so in Ordnung?
({8})
Es ist doch völlig klar, dass wir nicht erst seit dem
11. September, aber insbesondere nach dem 11. September Veranlassung haben, hinzuschauen, ob das, was wir
in Deutschland zum Schutz der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger anzubieten haben, in Ordnung ist.
Schauen wir uns einmal die Verfassung an und nehmen Sie dann, darum bitte ich, Folgendes zur Kenntnis:
Wenn ein Angriff von außen auf Deutschland droht, sei
er militärischer oder terroristischer Natur, wird unser
Land verteidigt.
({9})
Dann wird die Bundeswehr nach Maßgabe von Art. 87 a
Abs. 1 Satz 1 eingesetzt; denn hierbei handelt es sich um
Landesverteidigung. Für einen solchen Einsatz brauchen Sie übrigens die Zustimmung des Deutschen Bundestages; bezüglich einer Entscheidung über den Einsatz
von Streitkräften gilt nämlich der konstitutive Parlamentsvorbehalt.
({10})
- In eiligen Fällen, Herr Binninger, wird das nachgeholt.
So war es beispielsweise bei der Evakuierungsaktion in
Tirana.
({11})
Es ist seit Jahr und Tag geltendes Verfassungsrecht, dass,
wenn ein Angriff von außen kommt, die Bundeswehr
eingesetzt wird, und zwar unabhängig davon, ob der Angriff aus der Luft oder von See her erfolgt. Da kommen
Sie jetzt und wollen etwas klarstellen, was schon längst
im Grundgesetz enthalten ist.
({12})
Unsere Verfassung wäre doch völlig verfehlt konzipiert,
wenn wir nicht längst für solche Fälle entsprechend aufgestellt wären.
Bei einem Angriff von außen spielt es auch keine
Rolle, ob er von Militärs oder vonTerroristenkommandos, die den gleichen Schaden wie eine militärische Aktion anrichten können, durchgeführt wird. Für solche
Fälle müssen wir doch aufgestellt sein. Wenn Sie das
noch nicht begriffen haben, bin ich gerne bereit, Ihnen
das an anderer Stelle noch einmal etwas genauer zu erklären, Herr Binninger.
({13})
- Herr Schäuble, da ich mir sowieso einen Beitrag von
Ihnen gewünscht habe,
({14})
gebe ich Ihnen jetzt gerne das Wort zu einer Frage.
Herr Kollege Wiefelspütz, ich kann und will jetzt Ihrer Bitte nicht entsprechen, sondern möchte Sie nur fragen, wie Sie in Zeiten der Bedrohung durch internationalen Terrorismus und asymmetrischer Kriegsführung
- damit erreicht die Bedrohung ja eine neue Qualität unterscheiden wollen, ob ein Angriff von außen oder
von innen kommt. Sie argumentieren ja mit großer Emphase, dass wir dann, wenn ein Angriff von außen
kommt, unsere Bürger verteidigen können, wofür wir
auch gut aufgestellt sind. Aber woher wissen wir, ob ein
Angriff von außen oder von innen kommt? Beim ersten
Anschlag auf das World Trade Center in New York war
das nicht klar und beim zweiten war es auch nicht klar
zu entscheiden. Genau hier tut sich die Lücke auf. Sie
müssen die Antwort darauf geben, wie Sie sich da verhalten wollen.
({0})
Wir haben hier in Form eines Gesetzentwurfes eine Antwort gegeben.
Schönen Dank für diese Frage. Herr Dr. Schäuble, die
Antwort auf die Frage, ob ein Angriff von außen oder
von innen kommt, kann sehr schwer fallen.
({0})
Eines darf nicht passieren: Wir dürfen nicht tatenlos zusehen. Das ist doch wohl klar.
({1})
- Moment, ich bin noch nicht ganz fertig mit meinem
Beitrag. - Ob der Angriff von außen kommt, kann ich
nur nach Maßgabe dessen einschätzen, was ich weiß.
Die Entscheidung kann sehr schwierig sein. Jedenfalls
ist, wenn der Angriff von außen kommt, nach Maßgabe
unserer Verfassung der Fall der Landesverteidigung gegeben und dann kann die Bundeswehr eingesetzt werden.
({2})
Wenn das zweifelhaft ist, sollte man sich meiner Meinung nach für die wirksamste Möglichkeit einsetzen, um
die Gefahr zu bekämpfen, weil unser Land nicht schutzlos sein darf. Das ist doch wohl völlig klar.
({3})
Ich bitte Sie darum, Herr Kollege Binninger, mit dem Instrument unserer Verfassung durchaus intelligent umzugehen. Dann kann man auch zu entsprechenden Ergebnissen kommen
({4})
und muss nicht tatenlos an der Seite stehen.
({5})
Die Völkergemeinschaft, Herr Dr. Schäuble, hat übrigens nach dem 11. September einmütig festgestellt, dass
es sich hierbei um einen Angriff von außen handelte,
weil die Urheber dieser Tat von außen kamen. Deshalb
hat ja auch die NATO gesagt, dass es sich im Grunde genommen um einen Verteidigungsfall handelt.
({6})
Typisch für das Eintreten des Verteidigungsfalls ist der
Angriff von außen. Das ist jetzt geklärt. Trotzdem wollen Sie § 87 a Abs. 2 verändern. Diese Veränderung
halte ich für völlig überflüssig.
Wie ist der Sachverhalt, wenn der Angriff im Innern
erfolgt?
({7})
Darauf antworte ich, dass in diesem Fall Art. 35 des
Grundgesetzes gilt.
({8})
- Hören Sie doch bitte zu! - Sie schlagen nun eine Ergänzung vor. Herr Binninger, diese Ergänzung wird auch
in der Rechtswissenschaft diskutiert.
({9})
Eine Meinung in der Wissenschaft besagt, die Bundeswehr dürfe nur dann eingesetzt werden, wenn der
Unglücksfall schon eingetreten sei. Herr Ströbele und
ich sagen: Die Bundeswehr darf auch schon dann eingesetzt werden, wenn beispielsweise der Angriff unmittelbar bevorsteht, wenn also die Gefahr noch abwendbar
ist.
({10})
Im Zweifel, lieber Herr Koschyk, ist die Verfassung also
vernünftiger als mancher ihrer Interpreten.
Die Staatspraxis sieht folgendermaßen aus: Herr
Struck wartet nicht, bis beispielsweise ein Damm gebrochen ist, bevor er seine Soldaten einsetzt. Er befiehlt den
Einsatz bereits dann, wenn der Damm noch nicht gebrochen, sondern nur gefährdet ist.
({11})
Wenn der Schaden noch abwendbar ist, warten wir doch
nicht so lange, bis er eingetreten ist. Es handelt sich um
eine absurde Auslegung unseres Grundgesetzes, wenn
man hineinliest, dass man erst auf den Eintritt des Schadens warten muss, bevor man handelt, obwohl er noch
abwendbar ist.
({12})
Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass die Verfassung
vernünftiger ist als mancher ihrer Katastropheninterpreten, Herr Binninger. Ich rate sehr davon ab, das Grundgesetz zu ändern, da es schon entsprechende Regelungen
enthält.
Herr Binninger möchte eine Zwischenfrage stellen.
Ich möchte meinen Gedanken kurz zu Ende führen.
Zur Semantik. Selbst Verfassungsrichter sprechen
häufig von „Klarstellungen“.
({0})
Entweder enthält die Verfassung Regelungen zu einem
bestimmten Sachverhalt oder nicht. „Klarstellungen“ bedeuten offenbar etwas ganz anderes.
({1})
Sie wollen eine Verfassungsänderung. Wenn es nur um
eine Klarstellung ginge, dann würde ich sagen, dass sie
überflüssig ist. Denn wenn in der Verfassung etwas
schon geregelt ist, dann bedarf es keiner Klarstellung.
Sie müssen jetzt beweisen, warum eine Verfassungsänderung nötig ist. Ich sage Ihnen aber: Sie ist völlig überflüssig, weil in der Verfassung längst steht, dass die Bundeswehr schon eingesetzt werden kann, wenn der
Schaden noch abwendbar ist. Es wäre völlig unsinnig,
wenn uns unser Grundgesetz zwingen würde, so lange
zu warten, bis der Schaden eingetreten ist, statt schon
vorher tätig zu werden. Unsinnig ist unser Grundgesetz
aber zum Glück nicht.
Ich rate Ihnen dringend: Geben Sie Ihren Antrag zum
Altpapier oder recyceln Sie ihn! Aber bitte führen Sie
keine ernsthafte Debatte über dieses Thema! Es gehört
sich nun wirklich nicht,
({2})
dass wir unser Grundgesetz so verunstalten, lieber Herr
Binninger, wie Sie es uns hier vorschlagen.
Auch folgende Fragestellung finde ich sehr interessant: Was wollen Sie eigentlich wirklich erreichen?
Würden Sie das Luftsicherheitsgesetz für verfassungskonform halten, wenn wir Ihrem Antrag zustimmten?
Ich halte Ihre Beiträge zu diesem Thema für eine völlig
schiefe Veranstaltung. Ich habe zwar Verständnis dafür
- ich akzeptiere das -, dass Sie nach Karlsruhe gehen.
Aber hier sozusagen auf der Überholspur Änderungen zu
fordern führt in eine Sackgasse. Das werden wir nicht
mitmachen.
Schönen Dank.
({3})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Pau.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es geht heute um einen Wiederholungsantrag. CDU und
CSU stellen ihn mit verlässlicher Regelmäßigkeit, wohl
wissend, dass die Väter und Mütter des Grundgesetzes
aus gutem Grund anderes wollten.
Die Opposition zur Rechten will die Bundeswehr im
Innern als Ersatzpolizei einsetzen. Weil das aus historischen, fachlichen und rechtlichen Gründen nicht zulässig ist, will sie das Grundgesetz ändern. Die PDS im
Bundestag wird dem nicht zustimmen. Mehr noch: Wir
haben das bisher abgelehnt und wir lehnen das auch weiterhin ab.
Es gibt bereits Sonderfälle - darüber ist heute schon
gesprochen worden -, bei denen ein Bundeswehreinsatz im Inneren möglich ist. Jetzt aber geht es um Versuche, die Sonderfälle zu normalisieren und auszuweiten.
Nun ist allerdings seit einigen Tagen das Luftsicherheitsgesetz in Kraft; auch darüber wurde heute schon
gesprochen. Es soll ermöglichen, dass entführte Passagierflugzeuge durch die Luftwaffe der Bundeswehr abgeschossen werden können. Dieses Gesetz birgt ein
rechtliches und ein ethisches Problem. Auf das rechtliche Problem hat der Bundespräsident verwiesen. Aber
das ethische Problem bleibt uns erhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün und von der CDU/CSU.
Denn wer entführte Passagiere zum Abschuss freigibt,
der erteilt eine Lizenz zum Töten. Ich finde, das geht
weiter als die gefährliche Debatte über das Pro und Kontra von Folterpraktiken. Das rechtliche Problem könnten
Sie - vielleicht - durch eine Änderung des Grundgesetzes formal beseitigen. Das ethische Problem aber beseitigen Sie nicht, auch nicht mit einer Zweidrittelmehrheit
im Bundestag.
Hinzu kommt der Generalverdacht, den Sie mit solchen Gesetzesinitiativen immer wieder nähren. Damit
meine ich nicht nur die CDU/CSU, sondern auch die Regierungskoalition, also SPD und Grüne. Wir erleben eine
zunehmende Militarisierung der Außenpolitik und wir
erleben, dass innenpolitisch aufgerüstet wird, Stichwort:
Otto-Pakete. Werden nun beide Tendenzen miteinander
vermischt, dann geht es tatsächlich an die Substanz der
Bundesrepublik. Das alles will die PDS im Bundestag
aus guten Gründen nicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und
der CSU, Sie sind immer vorneweg, wenn es darum
geht, das Grundgesetz zu verschlechtern. Das war beim
Asylrecht und in der Militärpolitik so, in der Innen- und
Sozialpolitik sowieso. Wenn es aber um Verbesserungen,
um mehr Demokratie, zum Beispiel um Volksabstimmungen auch zur EU-Verfassung, geht, dann spielen die
beiden Parteien die drei Affen, die nichts sehen, nichts
hören und nichts sagen wollen, jedenfalls nichts Positives.
Kurzum, die PDS will etwas anderes, etwas Besseres.
Deshalb werden wir Nein sagen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jürgen Herrmann.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten
heute erneut die Änderung des Grundgesetzes, die einen
erweiterten Einsatz der Bundeswehr im Inneren unseres Landes ermöglichen und zugleich Rechtsklarheit
und Rechtssicherheit für die Anwender bringen soll.
Der Bundespräsident hat das mit der Mehrheit dieses
Hauses verabschiedete Luftsicherheitsgesetz trotz erheblicher verfassungsrechtlicher Bedenken inzwischen
ausgefertigt. Diese Bedenken wurden auch in den vorausgegangenen Debatten von der CDU/CSU-Fraktion
und den unionsregierten Ländern vorgebracht. Kollege
Koschyk hat es eben schon angedeutet: Uns ist daran gelegen, eine Lösung dieses Problems hier im Bundestag
zu finden, nicht vor dem Bundesverfassungsgericht. Das
ist die vorrangige Aufgabe. Deshalb bringen wir heute
noch einmal diesen Gesetzentwurf ein. Es sei noch einmal darauf hingewiesen: Es geht hier zwar um verfassungsrechtliche Fragen, aber im Nachklang auch um inhaltliche Einzelheiten des Luftsicherheitsgesetzes,
({0})
die wir entsprechend nachbessern müssen, um Rechtssicherheit zu erlangen.
({1})
Wir alle hoffen, dass es niemals erforderlich sein
wird, ein durch Terroristen gekapertes und mit Zivilisten
besetztes Passagierflugzeug abschießen zu müssen, um
zum Beispiel einen Anschlag wie auf das World Trade
Center zu verhindern. Wir dürfen jedoch nicht außer
Acht lassen, dass unsere Soldaten, die das Luftsicherheitsgesetz in der Zwischenzeit anwenden sollen - der
Verteidigungsminister hat dies bereits angekündigt -,
jetzt und heute Rechtssicherheit brauchen. Dies wird
umso deutlicher, da es immer wieder zu Einsätzen der
Luftwaffe im deutschen Luftraum kommt, die sofortige Entscheidungen erfordern.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Verband
der Besatzungen strahlgetriebener Kampfflugzeuge
heute mehr Bedenken gegen das Luftsicherheitsgesetz
anmeldet, als er es bisher getan hat. Nach Aussage des
Verbandes werden sogar Befehlsverweigerungen in Betracht gezogen, sofern es zu einem Abschussbefehl kommen würde. Dies sollte uns sehr nachdenklich machen.
({2})
Aber auch der Hinweis von Piloten der Luftwaffe auf
eklatante Mängel in der Ausstattung der Flugzeuge
- Kollege Binninger hat dies eben angesprochen -, etwa
darauf, dass keine Voice Recorder vorhanden sind, die
einen entsprechenden Befehl dokumentieren, oder auf
das Fehlen von Leuchtspurmunition, muss hinterfragt
werden.
Übrigens bin ich schon sehr gespannt auf den von uns
vom Bundesverteidigungsminister eingeforderten Bericht hinsichtlich der Anzahl der Flugstunden der Bundeswehrpiloten, die nach vorliegenden Berichten deutlich
geringer als die erforderlichen bzw. die von ausländischen Kameraden geleisteten Flugstunden sein sollen.
Sollten sich diese Befürchtungen bewahrheiten, stellt sich
natürlich gleich im Anschluss die Frage nach den operativen Möglichkeiten und Fähigkeiten der Piloten, diesen
schwierigen und weit reichenden Anforderungen zu entsprechen.
Neben den zuvor genannten operativen Beschwernissen ist es daher dringend geboten, die Rechtsunsicherheit durch die Änderung des Art. 87 a Abs. 2 des Grundgesetzes auszuräumen und die Streitkräfte unmittelbar
durch das Grundgesetz zu legitimieren, die ihnen zugedachte Aufgabe „Schutz des Luftraumes“ erfüllen zu
können.
Das Grundgesetz soll aber nicht nur in Bezug auf eine
rechtlich einwandfreie Anwendung des Luftsicherheitsgesetzes geändert werden. Die Vorschläge der CDU/
CSU-Fraktion gehen deutlich weiter. Als ein Grund sind
die Veränderung der sicherheitspolitischen Lage und
die sich daraus ergebende neue Aufgabenstellung für die
Sicherheitsbehörden unseres Landes anzusehen. Wir
wissen heute, dass der internationale Terrorismus in
Verbindung mit Massenvernichtungswaffen die militärische Auseinandersetzung zwischen Militärblöcken als
die wahrscheinlichste Bedrohung unseres Landes abgelöst hat. Gleichzeitig verschwimmen die Bereiche der inneren und äußeren Sicherheit - darin sind wir uns sicherlich einig -, und das aus mehreren Gründen: zunächst
einmal, weil Terroristen sowohl von innen als auch von
außen Angriffe auf die Bundesrepublik ausüben können,
({3})
aber auch, weil die im Rahmen des Terrorismus benutzten Waffen heute Schäden anrichten können, die man
bislang nur von militärischen Angriffen erwarten konnte.
Daher ist es wenig verständlich - das sieht ein Großteil
der deutschen Bevölkerung ebenso -, dass wir nicht alle
uns gegebenen Möglichkeiten nutzen, diese Gefahren
abzuwehren.
({4})
Eine dieser Gefahren droht uns auch von der See her;
das ist bereits angesprochen worden. Ich will nicht näher
auf die vielen, zum Teil unüberschaubaren Zuständigkeiten einzelner Behörden eingehen, die die Koordination
beispielsweise bei einem Schiffsunglück erschweren. Im
Licht der angestrebten Verfassungsänderung soll ein
Streitkräfteeinsatz auch zur Gefahrenabwehr auf See
möglich sein. Ähnlich wie bei den Anforderungen, die
Luftsicherheit zu gewährleisten, gibt es Einsätze, die
ohne die Hilfe der Streitkräfte nicht bewältigt werden
können. Der Fantasie sind hier sicherlich keine Grenzen
gesetzt. Aber ein durch Terroristen gekapertes Frachtschiff mit Chemikalien oder ein Öltanker, der sich auf
die deutsche Küste zubewegt, sind denkbare Szenarien.
Polizei und Grenzschutz wären mit ihren Mitteln sicherlich nicht immer in der Lage, ein solches Schiff aufzuhalten. Hier sind die Fähigkeiten unserer Streitkräfte gefragt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen
uns wirklich fragen, inwieweit unsere Bevölkerung mit
den Standards der Vergangenheit noch zu schützen ist.
Auf die neuen Gefahren müssen wir jetzt reagieren, wir
müssen heute handeln.
Es hat bereits eine Verfassungsänderung gegeben. Ich
erinnere an den aufgrund der Flutkatastrophe von 1962
in das Grundgesetz aufgenommenen Einsatz der
Bundeswehr bei Naturkatastrophen. Wir sind heute
gefordert, hier bezüglich der terroristischen Bedrohung
nachzubessern und uns im Vorfeld Möglichkeiten einzuräumen, angepasst zu reagieren.
({5})
Mit dem vorliegenden Entwurf wird die Einsatzmöglichkeit der Streitkräfte im Rahmen eng gefasster verfassungsrechtlicher Schranken ergänzt. War der zivile Objektschutz bisher nur im Verteidigungsfall sowie im Fall
des inneren Notstands möglich, soll dies nun auf eine
terroristische Bedrohung ausgeweitet werden. Dies ist
sicherlich nur die Ultima Ratio - das sage ich als Polizeibeamter -; denn generell zeichnen Polizei und Grenzschutz für diese Aufgabe verantwortlich. Die Streitkräfte
sollen und werden nicht als Lückenbüßer für fehlende
Länder- und Bundesressourcen benötigt, sie sollen nur
dort unterstützend tätig werden, wo es die Einsatzlage
ausdrücklich erfordert.
({6})
Es gibt hierfür sicherlich einige Beispiele. Ich nenne nur
den Schutz lebenswichtiger Infrastruktur bei einer terroristischen Gefährdung oder den Fall, dass Flughäfen
weiträumig abzusichern sind, was von der Polizei nicht
gewährleistet werden kann.
Eine rechtliche Klarstellung durch den Gesetzentwurf
erfährt auch der Einsatz der Streitkräfte im Vorfeld eines unmittelbar drohenden Unglücksfalls im Sinne
des Art. 35 des Grundgesetzes. Ist die Rechtslage bei einem bereits eingetretenen Unglücksfall unstrittig - das
haben Sie bereits gesagt, Herr Wiefelspütz -, so ergeben
sich bei einem unmittelbar bevorstehenden Schadensereignis jedoch unterschiedliche Rechtsauslegungen. Die Bundesregierung geht heute noch von der strittigen Annahme aus, dass dieser Tatbestand
verfassungsrechtlich durch Art. 35 Abs. 2 des Grundgesetzes erfasst wird.
({7})
Da sich die Verfassungsrechtler hierüber aber streiten,
kann ich nur empfehlen, im Interesse der Rechtssicherheit einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen
bzw. unseren Gesetzentwurf anzunehmen. Wir haben
diese Problematik aufgenommen und sehen in unserem
Gesetzentwurf eine Regelung im Vorfeld vor.
Meine Damen und Herren, wir erwarten im Interesse
der Sicherheit der Menschen in unserem Land zukunftsweisende Lösungen, die weiter gehende Möglichkeiten
nicht von vornherein ausschließen. Wir Verteidigungspolitiker haben uns im letzten Jahr bereits Modelle überlegt, wie wir die Sicherheit der Menschen in unserem
Land erhöhen können. Wir haben Ihnen ein Regionalbasenmodell mit Wehrpflichtigen und Reservisten vorgestellt, die für den Heimatschutz eingesetzt werden
können. Wir könnten auf diese Ressourcen ohne Probleme zugreifen, wenn es denn nötig wäre, aber natürlich nur in diesem Fall.
Die Menschen in unserem Land haben einen Anspruch darauf, bestmöglich geschützt zu werden. Es
macht in diesem Fall keinen Sinn, ideologische Lösungen nach vorn zu schieben, wie Sie von Rot-Grün es tun.
Wir müssen alles tun, um die Menschen in Deutschland
zu schützen. Ich denke, mit unserem Gesetzentwurf sind
wir hier auf dem richtigen Weg.
({8})
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 15/4658 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Siebzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes
- Drucksache 15/4492 ({0})
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1})
- Drucksache 15/4733 Berichterstattung:
Abgeordnete Barbara Wittig
Thomas Strobl ({2})
Silke Stokar von Neuforn
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({3}) zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Wahlkreiskommission für die
15. Wahlperiode des Deutschen Bundestages
gemäß § 3 Bundeswahlgesetz
- Drucksachen 15/2375, 15/2499 Nr. 1, 15/4733 Berichterstattung:
Abgeordnete Barbara Wittig
Thomas Strobl ({4})
Silke Stokar von Neuforn
Zu dem Gesetzentwurf liegt ein Änderungsantrag des
Abgeordneten Jürgen Koppelin vor.
Die Abgeordneten Wittig, Grund, Stokar von
Neuforn, Stadler und Mantel haben gebeten, ihre Reden
zu Protokoll geben zu dürfen1). Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
({5})
Es liegen Erklärungen der Abgeordneten Klaus
Barthel ({6}), Angelika Graf ({7}),
Dr. Bärbel Kofler, Horst Schmidbauer ({8}), Erika
Simm, Jella Teuchner, Fritz Schösser und Gabriele
Fograscher2) sowie der Abgeordneten Otto Fricke3) und
Eduard Oswald4) gemäß § 31 der Geschäftsordnung vor,
die wir mit Ihrem Einverständnis zu Protokoll nehmen.
Damit kommen wir zur Abstimmung über die eben
genannten Punkte. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4733, in
Kenntnis des genannten Berichts der Wahlkreiskommission auf Drucksache 15/2375 den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung anzunehmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag des Abgeordneten Jürgen Koppelin auf Drucksache 15/4756? ({9})
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Ände-
rungsantrag ist mit den Stimmen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der CDU/CSU
und Zustimmung aller Abgeordneten der FDP abgelehnt.
1) Anlage 5
2) Anlage 2
3) Anlage 3
4) Anlage 4
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen fast des ganzen Hauses gegen die Stimmen des
Abgeordneten Fricke und des Abgeordneten Oswald bei
Enthaltung des Abgeordneten Deittert angenommen
worden.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit dem gleichen Stimmverhältnis wie in der Abstimmung zuvor angenommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 sowie Zusatzpunkt 4 auf:
17 Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Wolfgang Börnsen ({10}), Karl-Josef
Laumann, Dagmar Wöhrl, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Zukunft der Immobilienwirtschaft
- Drucksachen 15/3116, 15/3928 ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Börnsen ({11}), Karl-Josef
Laumann, Dagmar Wöhrl, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Immobilienwirtschaft sicherstellen - Immobilienund Versicherungsmakler stärken
- Drucksache 15/4714 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({12})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Einen Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Wolfgang Börnsen.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Antwort der rot-grünen Bundesregierung auf
die Große Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
zur Zukunft der Immobilienwirtschaft ist kein Ruhmesblatt verantwortungsbewusster Regierungsarbeit, Herr
Staatssekretär. Es fehlen Daten und Fakten, Zahlen und
Darstellungen gesamtwirtschaftlicher Zusammenhänge.
Es fehlt die Anerkennung, dass die Immobilienwirtschaft ein Jobmotor ersten Ranges ist. Es fehlen konkrete Aussagen zu konkreten Fragen. Es fehlt der steuerliche Aspekt immobilienwirtschaftlicher Prozesse fast
Wolfgang Börnsen ({0})
vollständig. Es ist nur in Ansätzen ein Wille spürbar,
sich mit einer bedeutenden und einflussreichen Branche
unserer deutschen Volkswirtschaft offensiv auseinander
zu setzen.
Diese Art von Antwort ist wieder einmal typisch für
diese Regierung, die mehr redet als nachdenkt, mehr
schreibt als liest,
({1})
mehr ausgibt als einnimmt und so viele Worte macht,
dass sie gar nicht mehr weiß, zu welchen sie stehen soll.
({2})
Es geht bei der Immobilienwirtschaft um einen bedeutenden Bereich, in dem 2,15 Millionen Menschen unmittelbar und 3,4 Millionen Menschen insgesamt beschäftigt sind. Fürwahr sehr wagemutig, Herr
Staatssekretär, auf unsere Große Anfrage eine Antwort
light vorzulegen! Es geht um einen Wirtschaftszweig,
der - einschließlich der Bauinvestitionen - mit über
500 Milliarden Euro jährlich zur Wertschöpfung in unserem Land beiträgt, der allein durch Immobilientransaktionen Jahr für Jahr dem Staat circa 5 Milliarden Euro
Grundsteuereinnahmen garantiert, dessen Produktionswert allein im Grundstücks- und Wohnungswesen im
Jahr 2002 250 Milliarden Euro und im Baugewerbe circa
200 Milliarden Euro betrug, dessen Bruttowertschöpfung für die beiden genannten beispielhaften Bereiche
jährlich circa 385 Milliarden Euro umfasst, eine Branche, die die Städtebauförderung vonseiten des Bundes
und der Länder um das 18fache im Produktionswert verbessert und dadurch Wirtschaftswachstum und Steuereinnahmen in erheblichem Maße sichert. Die wenigen
genannten Zahlen belegen die große volkswirtschaftliche, aber auch steuerpolitische und arbeitsmarktbezogene Bedeutung der deutschen Immobilienwirtschaft.
Umso enttäuschender sind die teilweise nichts sagenden und oberflächlichen Antworten der Bundesregierung
auf unsere Fragen. Hier hat der Wirtschaftsminister eine
große Chance verpasst, sich eines Wirtschaftszweiges
anzunehmen, in dem über 300 000 überwiegend mittelständische Unternehmen aktiv engagiert sind und mit
Sachkunde zum Funktionieren unserer Wirtschaft beitragen. Aber bei Clements Wirtschaftspolitik ist es wie bei
einem Konzert: Ungeübte Ohren halten das Stimmen der
Instrumente bereits für Musik. An den zahlreichen
Nicht- oder Halbantworten ist ohne viel Fantasie ablesbar, dass es nicht an den Mitarbeitern in den Ministerien
lag, dass auf unsere Fragen keine Flagge gezeigt wurde,
dass vielmehr offensichtlich die politischen Vorgaben zu
diesem Stückwerk geführt haben. Mehr Weitsicht, mehr
Verständnis und mehr Toleranz für eine Branche, die unter anderem auch ganz entscheidend zur Eigentumsbildung in Deutschland beiträgt - das hätte dem Anliegen
durchaus gedient. Aber leider gibt es bei Rot-Grün immer noch ideologische Scheuklappen, was das Eigentum und die Privatisierung des Immobilienhandels und
dessen Bewirtschaftung angeht. Im Hinblick auf die Liberalisierung des europäischen Marktes empfehlen wir
der Bundesregierung ein zügiges Umdenken in beiden
Bereichen.
({3})
Die Debatte über die Große Anfrage der Union findet
vor folgendem Hintergrund statt: Die Bundesrepublik
Deutschland liegt mit 42 Prozent Eigentumsanteil auf
dem vorletzten Platz im europäischen Vergleich. Spitzenreiter in Europa ist Italien mit 77 Prozent und da
müssen wir langfristig auch hin. Während unsere Nachbarstaaten eine offensive Eigentumspolitik betreiben,
verhält sich die Bundesregierung merkwürdig passiv. Sie
gibt so gut wie keine wirtschaftlichen Anreize, hier zu
punkten. So ist die Immobilie im Bereich der Altersvorsorge noch völlig außen vor. Das ist, Herr Staatssekretär,
volkswirtschaftlich und sozialpolitisch unverantwortlich; hier herrscht Handlungsbedarf.
Die Debatte über die Große Anfrage der Union findet
vor dem Hintergrund deutlich zurückgehender Investitionen im Immobilienbereich statt. So schrumpfte der
Umsatz im Jahr 2000 gegenüber dem Vorjahr um Besorgnis erregende 16,3 Prozent. Dieser Prozess setzte
sich im Jahr 2001 mit 4,4 Prozent und im Jahr 2002 mit
3,5 Prozent fort. Auch der Auftragseingang beim Bau ist
seit fünf Jahren rückläufig.
({4})
Vor dem Hintergrund von - wie heute zu lesen
ist - aktuell 4,9 Millionen Arbeitslosen sollte sich die
Bundesregierung - unabhängig davon, dass sich 2,3 Millionen Menschen in einer Warteschleife befinden - bewusst sein, dass sie mehr Wachstumsimpulse geben
muss. Denn es ist für eine Demokratie mehr als besorgniserregend und mehr als problematisch, wenn in ihr insgesamt 7,2 Millionen Menschen ohne Beschäftigung leben. Statt aber beispielsweise Investitionen in den Bau,
den Ausbau und die Renovierung von Wohnimmobilien
zu fördern, beabsichtigt man, die Eigenheimzulage gänzlich aufzugeben, ohne neue Anreize zu schaffen. Das ist
keine verantwortungsbewusste und auch keine kluge Politik.
({5})
Durch die dümmliche Parole „Bildung statt Beton“, mit
der man die Abschaffung der Eigenheimzulage betreibt,
wird außer Acht gelassen, dass verantwortungsvolle
Politik beides forcieren muss; denn ohne Wachstum und
Steuern gibt es keine Investitionen in die Bildung.
({6})
Die Debatte über unsere Große Anfrage findet vor
dem Hintergrund nicht ausreichender Bedingungen für
die Ausbildung zum Immobilienmakler und zu verwandten Berufen statt. Noch immer benötigt man nur einen Gewerbeschein, um diese verantwortungsvolle Tätigkeit auszuüben. Eine Fachkundeprüfung ist noch
immer nicht Pflicht; das halte ich für nicht vertretbar.
Wolfgang Börnsen ({7})
Für viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger ist
der Erwerb einer Wohnung oder eines Hauses die umfangreichste und größte Investition, die sie in ihrem Leben tätigen. Sie sollte durch umfassende Beratung und
viel Sachkunde begleitet werden. Dazu gehört eine qualifizierte und zertifizierte Ausbildung, wie sie in anderen
europäischen Ländern gang und gäbe ist. Wer vernünftigen Verbraucherschutz will, der muss entsprechend handeln. Auch bei uns muss Europa zum Maßstab und Standard werden.
({8})
Das heißt, ein weiteres wesentliches Ziel dieser Debatte muss es sein, auf die bestehende Wettbewerbverzerrung innerhalb Europas zum Nachteil der deutschen
Immobilienwirtschaft hinzuweisen; denn unser unzureichendes und spezifisches Ausbildungssystem wird auf
europäischer Ebene nicht anerkannt. Das führt dazu,
dass Makler aus Mitgliedstaaten der EU zwar bei uns tätig werden dürfen, dass deutsche Makler jedoch auf erhebliche Hindernisse stoßen, wenn sie außerhalb unseres
Landes aktiv werden wollen. Um mit den übrigen Mitgliedstaaten der EU auf gleicher Augenhöhe zu sein, benötigen wir eine spezialisierte, allseits anerkannte und
hoch qualifizierte Berufsausbildung. Dabei geht es um
Chancengerechtigkeit für unsere Mitbürger.
Wir erwarten von der Bundesregierung die Vorlage einer Ausbildungsordnung für immobilienwirtschaftliche
Berufe, die mit anderen Berufsqualifikationen vergleichbar ist. Darüber hinaus erwarten wir, dass sich der Staat
beim Management bundeseigener Immobilien zurücknimmt und der Privatisierung Vorrang gibt. Wir erwarten, dass die Wohnimmobilie, aber auch andere Formen
des Immobilienbesitzes in die geförderte Altersvorsorge
voll integriert und alle Angebote gleich behandelt werden. Und wir erwarten mehr Transparenz. Öffentliche
Register müssen für jedermann, zumindest aber für die
entsprechenden Berufsgruppen leichter einsehbar werden, wie es auch in unseren Nachbarstaaten praktiziert
wird.
Dazu gehört auch der Einsatz der Bundesregierung
für die Europafähigkeit offener Immobilienfonds, um
diesem deutschen Produkt, wenn die Kriterien deckungsgleich sind, zum Eingang in die UCIT-Richtlinie
zu verhelfen. Schließlich ist die Bündelung der über
mehrere Ministerien verteilten Zuständigkeiten für die
Immobilienwirtschaft ebenso notwendig wie eine in Zukunft in zweijährigen Abständen stattfindende Berichterstattung der Bundesregierung zur Lage dieses Wirtschaftszweiges. Fast all diese Forderungen gelten auch
für Versicherungsmakler. Hier ist mehr Dynamik durch
die Bundesregierung notwendig.
Aufgrund unserer gemeinsamen Verantwortung für
die Zukunft der Immobilienwirtschaft in Deutschland erwarten wir zudem Anmerkungen über ernst zu nehmende Belastungen für die gesamte Branche. Neben der
Altersentwicklung in unserer Gesellschaft, die auch für
die Immobilienwirtschaft Herausforderungen und Chancen gleichzeitig bedeutet, sehe ich besonders im anstehenden Antidiskriminierungsgesetz eine folgenreiche,
äußerst negative Entwicklung - nicht nur für die Immobilienwirtschaft, sondern auch für den sozialen Frieden
in unserer Republik. Dieser Gesetzentwurf, Kollegen
Abgeordnete, ist einer der radikalsten Angriffe auf die
Vertragsfreiheit, die es in unserem Land je gegeben hat.
({9})
Er stellt durch die Umkehrung der Beweislast das
Rechtsverständnis unserer Bürger infrage. Er öffnet Verleumdung und Denunziantentum Tür und Tor. Er nötigt
der Wohnungswirtschaft jährlich Hunderttausende von
Dokumentationen ab. Ein Berg neuer Bürokratie entsteht. Er führt zu einer Welle Tausender konfliktreicher
Prozesse.
Dabei bleibt unberücksichtigt, dass bereits die Art. 1
und 3 unseres Grundgesetzes gemeinsam mit dem geltenden Zivil- und Arbeitsrecht einen umfassenden Diskriminierungsschutz gewährleisten. Dieses unmögliche
Antidiskriminierungsgesetz lässt die Verbandsklage mit
der Ergänzung zu, dass Ansprüche abgetreten werden
können, zum Beispiel an den Mieterbund, die Gewerkschaft und andere Institutionen. Das heißt, unter dem
Aspekt des Diskriminierungsschutzes lassen sich künftig
Geschäfte machen.
Es muss doch wohl zu denken geben, dass die eigentlich zuständige Bundesjustizministerin diese Initiative
bis zum heutigen Tag ablehnt. Mit Recht kritisiert der
Haus- und Grundbesitzerverband, der immerhin eine
Million Mitglieder umfasst, vehement diesen Entwurf,
weil er nicht dazu beiträgt, zu schützenden Personen zu
helfen, sondern im Gegenteil deren Integration erschwert. Vermieter in Deutschland werden sich nicht
mehr aussuchen können, wen sie gerne als Mieter hätten.
Das ist tatsächlich ein massiver Angriff auf die Vertragsfreiheit. Dieser Entwurf darf nicht Wirklichkeit werden.
({10})
Man vergisst, dass wir in unserem Land bereits eine
Antidiskriminierungskultur haben, ein verantwortungsbewusstes Verständnis für Minderheiten. Wenn es zu unerträglichen Ausreißern kommt, wenn intolerant gehandelt wird, dann schweigt unsere Gesellschaft nicht, dann
klagt sie an und leistet Widerstand; und das begrüßen
wir. Einen großen Anteil an der Beachtung von Benachteiligten in unserer Gesellschaft haben unsere Medien.
Es ist anerkennenswert, mit welcher Sensibilität und
Deutlichkeit sie auf Diskriminierungsfälle reagieren und
sie nicht dulden.
Zusammenfassend stelle ich fest: Hier wird einer
überzogenen Antidiskriminierungspolitik das Wort geredet. Die Folgen: Es wird zu mehr Konflikten in unserer
Gesellschaft kommen, zu weniger Investitionen, zu deutlich mehr Bürokratie und zu einem Weniger an Freiheit
für alle Bürgerinnen und Bürger in unserem Land.
„Nein, so nicht!“, ist unsere Antwort auf dieses Gesetz.
({11})
Wolfgang Börnsen ({12})
Kritisch haben wir uns aber auch eines Sachverhalts
anzunehmen, der die Branche Immobilienwirtschaft aktuell und direkt betrifft: Die Korruption in der Immobilienwirtschaft ist ein skandalträchtiges, oft verdrängtes
Thema. Sie schadet dem Image des gesamten Wirtschaftszweiges, sie schadet dem Image des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Die aktuellen Frankfurter Vorgänge decken auf: Es gibt zu viele schwarze Schafe in
diesem Bereich. Gängige Vorurteile über Bestechung
und Bestechlichkeit werden bestätigt, ebenso das wiederkehrende Ritual: Wenn die Skandale aus den Schlagzeilen heraus sind, geht man zur Tagesordnung über. Damit muss Schluss sein!
({13})
Diese Erkenntnis hat sich in einigen Bereichen dieser
Branche anerkennenswerterweise durchgesetzt. So erstellt der Immobilienverband Deutschland derzeit einen
Ehrenkodex, andere suchen den Dialog mit Transparency International, die sich mit der Bekämpfung von
Korruption in über 100 Ländern befassen. Die Royal
Institution of Chartered Surveyors weist mit Recht auf
den eigenen, funktionierenden Verhaltenskodex hin, dessen Einhaltung streng überwacht wird. Bemerkenswert
ist auch die „Initiative Corporate Governance der deutschen Immobilienwirtschaft“.
Aber auch wenn es solche Maßnahmen gibt, gute
Worte allein genügen nicht in einem Wirtschaftszweig,
in dem es oft um hohe Geldsummen geht. Schwarze
Schafe gehören gebrandmarkt und ausgeschlossen. Einsicht, dass die Einhaltung moralischer Kriterien und ein
anständiges, ehrliches Verhalten notwendig sind, ist
wichtig; das gilt nicht nur für die Immobilienwirtschaft.
Worauf es ankommt, ist in der Geschichte der Versicherungsmakler zu finden. Bereits vor 200 Jahren galten für
einen qualifizierten Makler die Kriterien Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, Bonität, Eignung und Sachkunde. Vertrauenswürdigkeit war damals das oberste Gebot. Durch
ein strenges Ausleseverfahren wurden nur die berufen,
die diese Tugenden nachweislich vertraten.
Die mit der Gesetzgebung von 1918 begonnene Liberalisierung, die zum heutigen Zustand geführt hat - im
Prinzip kann sich jeder selbst zum Makler ernennen -,
hat dem gesamten Gewerbe nicht gut getan und dem
Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Es ist zwar anerkennenswert, dass es bereits Ansätze für eine qualifizierte
Ausbildung gibt, sie muss aber in Form gegossen und zu
einem europäischen Standard werden.
Ich erwarte, dass der Wirtschaftsminister dem Parlament bis zum Ende dieses Jahres ein umfassendes Zahlenmaterial vorlegt; denn die Immobilie ist offenkundig
ein Stiefkind in der Statistik. Das darf sie nicht bleiben.
Über jedes Kalb, das in unserer Republik geboren wird,
muss Buch geführt werden, jedes gelegte Ei wird registriert und über Tod und Teufel gibt es Statistiken, doch
weder über die Anzahl der Beschäftigten in bestimmten
Bereichen der Immobilienwirtschaft noch über jährliche
Kauf- und Mietverträge gibt es genaue Zahlen. Nur mit
belegbaren Zahlen lassen sich Fehlentscheidungen vermeiden.
Herr Staatssekretär, Länder wie die Niederlande, England oder die USA betreiben öffentlich zugängliche Statistiken. Wir befinden uns hier noch im Zustand eines
Entwicklungslandes. Wir benötigen Transparenz, neue,
einheitliche Standards für die Immobilienbewertung,
eine internationale Vergleichbarkeit und eine Reform bei
den genannten Gutachterausschüssen.
Wir von der Union wollen es aber nicht nur bei der
Debatte um eine bessere Zukunft für diesen Bereich belassen. Reden ist zwar gut, wenn man etwas zu sagen
hat, aber konkretes Handeln ist besser. In unserer Republik haben wir nämlich kein Erkenntnis-, sondern ein
Durchsetzungsproblem.
({14})
Deshalb legen wir von der Union einen Antrag vor, mit
dem gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Immobilienwirtschaft sichergestellt werden soll
und die Immobilien- und Versicherungsmakler durch
eine größere Kompetenz gestärkt werden sollen.
Mit unseren Erwartungen, Anregungen und Forderungen verfolgen wir die Ziele, die Marktchancen deutscher
Unternehmen in der EU zu optimieren, Bürokratiehemmnisse abzubauen, den Verbraucherschutz in diesem
Bereich zu verbessern und die Eigenständigkeit dieses
Wirtschaftszweiges im europäischen Wettbewerb zu gewährleisten, um damit den Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt zu festigen, zu fördern und in seinem
Wachstum zu forcieren.
Der notwendige Beitrag der Branche dazu könnte in
mehr Bonität, in der Bündelung aller Interessen in einem
Dachverband und in der Erarbeitung eines eigenen Zukunftskonzepts für die Immobilienwirtschaft bestehen.
Ich bedanke mich bei Ihnen.
({15})
Wir bedanken uns auch.
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär
Gerd Andres.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat in der Antwort auf die
Große Anfrage zur Immobilienwirtschaft deutlich gemacht, welcher wirtschaftspolitische Wert dieser Branche zukommt. Hierzu gehören eine Vielzahl von Berufen
im Bereich der Transaktionen und der Pflege von Immobilien. Wir erkennen insbesondere auch den Beitrag dieser Berufe - vor allem den der Makler - an, der zur Steigerung der Wohneigentumsquote geführt hat. Diese für
die Altersvorsorge und die Vermögensbildung wichtige
Quote hat sich in Deutschland zwischen 1998 und 2002
um fast 2 Prozent erhöht. Bei Haushalten mit Kindern
war erfreulicherweise sogar ein überdurchschnittlicher
Zuwachs um fast 3,5 Prozent zu verzeichnen.
In Richtung der Fragesteller möchte ich trotz der
wichtigen Beiträge einzelner Berufe kritisch anmerken,
dass ich es nicht für sinnvoll halte, mit dem sehr unpräzisen Begriff Immobilienwirtschaft eine einheitliche
Branche von besonderer Größe zu kreieren. Ich möchte
damit die in diesem Bereich tätigen Gewerbetreibenden,
zum Beispiel die Immobilienmakler oder die Bauträger,
nicht kleinreden. Dennoch sollte man die Kirche im Dorf
lassen. So mögen zum Beispiel die vielen Hunderttausend Versicherungsmakler ab und an etwas mit Immobilien zu tun haben. Damit gehören sie aber noch nicht zur
Immobilienwirtschaft, sondern zur Versicherungswirtschaft. Das ist auch in Abgrenzung unserer statistischen
Regelungen so.
Auch eine Studie - so Ihre Forderung - über finanzielle Rückflüsse an den Staat während der Dauer eines
Teilimmobilienzyklus, also Erwerb, Planung, Errichtung, Verkauf etc., über circa 30 Jahre wird zwangsläufig
mit so vielen Imponderabilien belastet sein, dass sie als
Grundlage für wirtschaftspolitische Entscheidungen
wohl kaum zu gebrauchen wäre. Es wurde weiterhin
nach dem Grund gefragt, weswegen für die Gewerbe der
Immobilienwirtschaft relativ wenige Berufszulassungsschranken existieren. Wir haben solche Schranken derzeit zum Beispiel für Makler, Finanzdienstleister und
Notare.
Die Fragestellung suggeriert, dass diese Schranken in
ähnlicher Form auch für Hausverwalter und weitere Gewerbe erlassen werden könnten. Ich frage mich, wie dies
mit der von der CDU/CSU-Fraktion immer wieder erhobenen Forderung nach Bürokratieabbau und -vermeidung zu vereinbaren ist.
({0})
Diese Forderung ist erstaunlich. Dazu muss man hier nur
den Debatten zuhören. Diejenigen, die immer über überbordende Bürokratie, Vorschriften, Behinderung des
Wettbewerbs und Zwang klagen, fordern in der nächsten
Debatte, bei der sie irgendwelche Interessen zu vertreten
haben, genau das. Daher haben wir zu dieser Forderung
ablehnend Stellung genommen und ich halte das für vernünftig.
Wir können unsere Haltung mit den guten Erfahrungen einer Branche gerade aus der Immobilienwirtschaft
begründen, den Immobilienmaklern. Hier haben der
RDM und der VDM, also der Ring Deutscher Makler
und der Verband Deutscher Makler, die sich inzwischen
zusammengeschlossen haben, in jahrelanger mühevoller
Arbeit ein brancheninternes Qualifikationssystem aufgebaut, das nicht nur von den Maklern selbst gerne genutzt,
sondern auch von ihren Kunden honoriert wird.
Dies zeigt, dass eine Branche durchaus in der Lage
ist, mit eigenen Anstrengungen ihre Qualifikation zu organisieren und ihre Reputation beim Kunden zu erhöhen. Es kann nicht in allen Fällen Aufgabe des Staates
sein, mit Gesetzen und Verordnungen die Unterscheidung zwischen guten und schlechten Gewerbetreibenden
vorzunehmen.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Abgeordneten Fricke?
Nein.
({0})
Vielmehr sollten wir den Leistungen der Immobilienmakler Anerkennung zollen und sie als Vorbild für andere Branchen auch außerhalb der Immobilienwirtschaft
darstellen.
Ich will ein Wort zu der Diskussion über Europa sagen. Ich bin ausdrücklich der Auffassung, dass wir dringend etwas dafür tun müssen, um die europäischen
Märkte insbesondere für Dienstleistungen zu öffnen.
Sie wissen, dass gegenwärtig über eine entsprechende
Richtlinie diskutiert wird, nämlich über die Dienstleistungsrichtlinie. Darüber wird es sicher noch viele Auseinandersetzungen geben. Ich teile die Position, dass wir
für eine europäische Öffnung eintreten müssen. Wir
glauben, dass mit solchen europäischen Regelungen verschiedenen Branchen der deutschen Immobilienwirtschaft neue grenzüberschreitende Geschäfte ermöglicht
werden. Daran arbeiten wir. Sie können sich gerne beteiligen.
Wir werden uns bei den Beratungen zu dieser Richtlinie dafür einsetzen, dass den deutschen Immobilienberufen auf Grundlage ihrer hiesigen Qualifikationen
und Erlaubnisse ein möglichst ungehinderter Zugang in
die Märkte der anderen europäischen Staaten eröffnet
wird. Dass das alles schwierig wird, wissen wir selbst.
Dass man daran arbeiten muss, wissen auch Sie. Wir
werden uns bei der Beratung Ihres Antrages in den Ausschüssen mit dieser Branche weiter beschäftigen können.
Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Hettlich.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren!
Eines fiel mir als Sprecher der AG Ost unserer Fraktion
schon beim ersten Lesen der Großen Anfrage der CDU/
CSU auf: Die Probleme der Immobilienwirtschaft in
Ostdeutschland scheinen die Fragesteller nicht zu interessieren und es wird noch nicht einmal nach ihnen gefragt.
({0})
Auch der Antrag der CDU/CSU ist da nicht ergiebiger.
Dabei zeigt die Entwicklung der Immobilienwirtschaft
in Ostdeutschland seit 1990 sehr genau auf, was passiert,
wenn Fehleinschätzungen und Fehlallokationen aufeinander treffen.
({1})
Als ich 1990 als Projekt- und Bauleiter nach Leipzig
kam, gab es wohl keinen der größeren deutschen und internationalen Immobilienmakler, der nicht seine Dependance in dieser Stadt aufgeschlagen hatte. Es herrschte
eine Goldgräberstimmung im wilden Osten und mit Prognosen über sagenhafte Zuwachsraten im Gewerbe- und
Bürobau versuchte man, sich gegenseitig zu übertrumpfen. Nicht zuletzt wegen dieser gravierenden Fehleinschätzungen wurde ein in dieser Größenordnung
historisch einmaliges Förder- und Sonderabschreibungsprogramm seitens der Bundesregierung aufgelegt und
auf Drängen der Immobilien- und Bauwirtschaft noch
verlängert,
({2})
obwohl bereits seit 1994 deutliche Überhitzungserscheinungen am Immobilienmarkt sichtbar wurden.
Der Hype, noch schnell zum Jahresende 1995 Steuern
sparen zu müssen, führte zu den absurdesten Fällen.
Viele Westdeutsche erwarben Immobilien, die sie vorher
gar nicht gesehen hatten. Ich selbst kenne in meinem
weiteren Bekanntenkreis Fälle, in denen sich die Erwerber ihre Immobilien erst dann angeschaut hatten bzw.
durch mich bewerten ließen, als der letzte Mieter ausgezogen war und die Einnahmen ausblieben, auf deren Basis die Finanzierungen - sie standen meist auf wackligen
Beinen - gestrickt worden waren.
Und nun? Die meisten Experten von damals haben
Leipzig und die anderen ostdeutschen Städte schon lange
verlassen. Zurück blieben kleinere Maklerbüros, häufig
von Ostdeutschen in der Hoffnung auf eine strahlende
Zukunft gegründet, und eine aufgeblähte Bauwirtschaft.
Deren schmerzhaften Schrumpfungsprozess begleiten
wir heute. Er belastet nicht nur den Arbeitsmarkt, sondern auch das Wirtschaftswachstum in den neuen Bundesländern nach wie vor sehr stark.
({3})
Wir müssen uns von den Westdeutschen sagen lassen,
dass Ostdeutschland beim Wachstum den Anschluss verliert. Das ist auch deswegen der Fall, weil wir heute
noch mit dieser Fehlentwicklung zu kämpfen haben.
Der aktuelle Leerstand bei Wohnungen, Büro- und
Gewerbebauten lässt sich übrigens nicht nur mit dem
demographischen Wandel erklären; denn seit 1990 hat
sich die Wohnfläche je Bewohner beinahe dem westlichen Wert angenähert, wodurch zum Beispiel der negative Wanderungssaldo zwischen Ost und West zum Teil
ausgeglichen wurde. Aber der demographische Wandel,
den wir in den nächsten Jahren und Jahrzehnten erleben
werden, wird uns und auch die Immobilienwirtschaft vor
völlig neue Herausforderungen stellen.
Ich will hier nicht den Teufel an die Wand malen, aber
es kommt eine Entwicklung auf uns zu, die nicht nur in
Ostdeutschland - dort allerdings verschärft -, sondern
auch in Westdeutschland zu Verhältnissen führen wird,
({4})
an die die Fragesteller der CDU/CSU offensichtlich
nicht gedacht haben und nach denen sie demzufolge
auch nicht gefragt haben. Dankenswerterweise hat die
Bundesregierung in ihrer Antwort auf die erste Frage
darauf hingewiesen. Ich zitiere:
Die sich ändernden demographischen Rahmenbedingungen werden einen besonders großen Einfluss
auf die Immobilienwirtschaft haben, das Wachstum
dieser Branche langfristig begrenzen und neue Herausforderungen mit sich bringen.
Wir haben angesichts eines Wohnungsleerstandes von
mehr als 1 Million Wohneinheiten mit dem Stadtumbau
Ost begonnen, auf diese Herausforderungen zu reagieren. Ich erinnere auch daran, dass der Stadtumbau West
zunehmend an Bedeutung gewinnen wird. Sie wissen
aber genauso gut wie ich, dass diese Programme viel
Geld benötigen - öffentliches Geld, das letztlich die
Steuerzahler aufzubringen haben.
Die Forderung nach einer weiteren massiven öffentlichen Förderung des Wohneigentums kann angesichts
solcher Entwicklungen nicht mehr ernst genommen werden. Es ist den Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr vermittelbar, warum wir einerseits mit 7 Milliarden Euro
- auch in Ostdeutschland - die Eigenheimzulage und andererseits mit mehr als 2 Milliarden Euro den Rückbau
von Wohnungen finanzieren.
({5})
Das ist angesichts der prekären Haushaltslage des Bundes, der Länder und der Kommunen der Wahnsinn im
Quadrat.
({6})
Es darf nicht sein, dass wir Gewinne privatisieren und
Verluste vergesellschaften.
({7})
Wir brauchen intelligente Lösungen, die viel stärker
regionalspezifisch wirken. Wir müssen uns viel stärker
als bisher auch im Westen auf das Bauen im Bestand
konzentrieren. Vor allen Dingen müssen wir uns intensiver auf die Bestandsmodernisierung gerade unter
Nachhaltigkeitsgesichtspunkten konzentrieren. Die Reduzierung des Flächenverbrauchs, die Reduzierung der
Emissionen und eine stärkere Ausrichtung von Neubauten an bereits vorhandener öffentlicher Infrastruktur
müssen und werden stärker in den Vordergrund rücken.
Angesichts des demographischen Wandels haben wir
die Verpflichtung, schon jetzt die Lösungen für die Probleme von morgen zu erarbeiten. Das, was wir zum Beispiel schon heute an öffentlicher Infrastruktur bauen
oder gebaut haben, werden unsere Kinder und Kindeskinder in der Zukunft trotz Bevölkerungsrückgang erhalten müssen. Die Immobilienwirtschaft ist gefordert, sich
in diesen Prozess aktiv einzubringen. Ihre volkswirtschaftliche Bedeutung wird auch weiterhin hoch bleiben,
aber ihr Stellenwert wird sich wandeln.
Tempora mutantur, nos et mutamur in illis - die Zeiten ändern sich und wir uns mit ihnen.
({8})
Diesen weisen Spruch hat Kaiser Lothar I. vor über Tausend Jahren gesagt. Dem kann ich mich nur anschließen.
Danke schön.
({9})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Joachim Günther.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage macht deutlich, dass die Bundesregierung die Bedeutung der Immobilienwertschöpfung im Prinzip erkannt hat. Was aber fehlt - das hat mein Kollege
Börnsen vorhin sehr ausführlich dargelegt -, sind konkrete Antworten auf viele Einzelfragen.
Des Weiteren fehlt eine Antwort darauf, ob die Bundesregierung bereit ist, Rahmenbedingungen zu schaffen, um den stetigen Rückgang der Immobilienwirtschaft seit Mitte der 90er-Jahre endlich zu stoppen. Ich
verweise in diesem Zusammenhang insbesondere auf die
Vorschläge der FDP zur Steuerreform; denn ich bin sicher, dass die Baubranche gerade durch eine Steuerreform neue Impulse erhalten würde.
Die Unionsparteien weisen in ihrem Antrag, dem ich
weitestgehend zustimme, zu Recht darauf hin, dass die
bislang ausgewerteten Statistiken für die Immobilienwirtschaft unzureichend sind. Hierbei wirkt sich meines
Erachtens insbesondere das Fehlen einer eindeutigen
Zuständigkeitsregelung innerhalb der Ressorts der
Bundesregierung aus.
({0})
Dass es in erster Linie um Fragen der Wettbewerbsfähigkeit von für Deutschland wichtigen Branchen geht,
ist richtig. Deshalb sollte die Zuständigkeit in einem Ministerium konzentriert werden.
Die Zukunft der Immobilienwirtschaft ist nicht von
der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung im Lande
zu trennen. Über Zuordnungen und Statistiken hinaus
stellen die konjunkturelle Stabilität der Baubranche, die
Bevölkerungsentwicklung und Bevölkerungswanderungen sowie die Voraussetzungen zur Schaffung von
Wohneigentum die wichtigsten Faktoren auf dem Immobilienmarkt dar.
Wenn die Immobilienbranche funktionieren soll, dann
muss man einen realistischen Blick auf die Situation
der Bauwirtschaft richten und diese auch offen und
ehrlich ansprechen. Die Bauwirtschaft wird voraussichtlich auch in diesem Jahr nicht die konjunkturelle Talsohle erreichen.
({1})
Die gesamtwirtschaftlichen Auftriebskräfte werden aber
bei einer realen Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts von 1,2 Prozent bis 1,5 Prozent zu schwach ausfallen, um dem Bau neue Impulse zu verleihen.
Die Leerstände bei Büroimmobilien wie auch bei
Wohnimmobilien - Leipzig ist ein gutes Beispiel, Herr
Kollege Hettlich, aber das Ruhrgebiet ist nicht mehr weit
von Leipzig entfernt; es ist nämlich inzwischen ein gesamtdeutsches Problem - sind nach wie vor zu hoch. Die
Schwächen des Investitionsstandorts Deutschland bestehen fort.
In dieser schwierigen Situation versucht die Bundesregierung, entlastende Sondereffekte wie die Eigenheimzulage - ich weiß, dass das ein Reizwort ist - zu
kippen. Gerade in dieser Woche hat der Bauausschuss
eine Anhörung zu diesem Thema durchgeführt. Die Experten waren durchgängig der Auffassung, dass die Eigenheimzulage in modifizierter Form auch in Zukunft
für die Stadtentwicklung - ich beziehe dabei alles mit
ein, Herr Spanier -, den Stadtumbau, aber auch für die
Bildung von Wohneigentum wichtig ist.
({2})
Die FDP wird sich deshalb so lange für die Eigenheimzulage einsetzen, bis die Bürger durch eine wirkliche Steuerreform deutlich entlastet werden.
({3})
Keinesfalls wollen wir uns darauf einlassen, die Eigenheimzulage abzuschaffen, ohne zu wissen, welche Rahmenbedingungen dann für die Bildung von Wohneigentum bestehen werden.
Die große Bedeutung von Wohneigentum für die
Altersvorsorge findet sich in der Antwort der Bundesregierung in der aus meiner Sicht sehr knappen Bemerkung wieder, dass Wohneigentum eine wichtige Säule
der privaten Altersvorsorge ist. Aber, Herr Staatssekretär, die entscheidende Frage, ob und inwieweit sich die
Bundesregierung dafür einsetzen wird, die Immobilie in
die staatlich geförderte private Altersvorsorge einzubeziehen, lässt die Bundesregierung in ihrer Antwort völlig
offen.
({4})
Die Stabilisierung der Immobilienwirtschaft als wirtschaftlicher Faktor hängt in großen Teilen mit der gesamtwirtschaftlichen Situation in Deutschland zusammen. Wir müssen also die wirtschaftliche Situation
stärken und dafür sorgen, dass der Mittelstand wieder
verstärkt Investitionen tätigen kann. Wir müssen auch
dafür sorgen, dass die Wohneigentumsquote in Deutschland steigt.
Zu all diesen Themen liegen genügend Vorschläge
aus den verschiedenen Fachbereichen vor. Jetzt kommt
Joachim Günther ({5})
es darauf an, einige Vorschläge endlich umzusetzen.
Dann wird sich auch die Situation dieser Branche wieder
verbessern.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rainer Wend.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten und tapferen
Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein Verdienst der
Union, diese Große Anfrage gestellt zu haben; denn es
ist wichtig, dass wir uns mit dem Thema Immobilienwirtschaft auseinander setzen. Über die Bedeutung dieser Branche ist bereits viel gesagt worden, auch vom
Staatssekretär. Es ist ebenfalls schon über die Probleme
der Branche gesprochen worden. Ich möchte mich auf
ein Thema konzentrieren und versuchen, dazu einiges
auszuführen.
Das Statistische Bundesamt hat am vergangenen
Montag mitgeteilt, dass in den ersten elf Monaten des
letzten Jahres das Auftragsminus beim Bauhauptgewerbe im Vergleich zum Vorjahr auf rund 7 Prozent
gestiegen ist. Die Nachfrage im Hochbau ist nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im November letzten
Jahres um 15,1 Prozent und im Tiefbau um 6,4 Prozent
gesunken. Die Bauwirtschaft selber geht davon aus, dass
im laufenden Jahr etwa 30 000 Stellen abgebaut werden
müssen. Das ist eine bedrückende Situation. Wir müssen
über die Ursachen reden und darüber, was wir als Politiker leisten können, um dies zu verändern.
Zu den Ursachen: Natürlich ist es richtig, dass in einem Teilbereich schlichtweg ein Anpassungsprozess
stattfindet. Wir alle wissen, dass in den 90er-Jahren die
Bauwirtschaft überhitzt wurde und dass es klüger gewesen wäre - das möchte ich nicht als einfache, primitive
Kritik verstanden wissen -, Neubauten, die heute leer
stehen, etwas weniger mit steuerlichen Subventionen zu
fördern und stattdessen etwas mehr für den Bestand zu
tun. Das leisten wir nun mit dem Programm „Stadtumbau Ost“.
({0})
Das ist der erste Grund, über den man ruhig so offen
sprechen sollte.
Der zweite Grund ist natürlich in der konjunkturellen
Lage insgesamt zu suchen. Darauf möchte ich nicht näher eingehen; denn darüber tauschen wir uns hier regelmäßig aus.
Der dritte Grund ist: Wir wissen, dass es inzwischen
im Industriehochbau wieder aufwärts geht. Das große
Problem sind aber die fehlenden öffentlichen Investitionen, vor allen Dingen die fehlenden kommunalen Investitionen, die etwa zwei Drittel aller öffentlichen Investitionen ausmachen. Es stellt sich die Frage, was wir tun
können, um insbesondere die Finanzkraft der Kommunen zu stärken. Es fällt mir zwar sehr schwer - das tut es
immer -, aber an dieser Stelle muss ich ansatzweise
polemisch werden. Meine Damen und Herren von der
Opposition, Sie können nicht auf der einen Seite beklagen, dass die Kommunen nicht das Geld haben, um notwendige Investitionen zu tätigen, und auf der anderen
Seite die Abschaffung der Gewerbesteuer fordern, die
die einzige eigenständige Finanzquelle der Kommunen
ist.
({1})
Wir haben einen anderen Weg beschritten, der nach
meiner Meinung vernünftig ist. Wir haben die Gewerbesteuer so reformiert, dass die Einnahmen verstetigt werden, dass die ständige Berg-und-Tal-Fahrt bei den Einnahmen, unter der die Kommunen in der Vergangenheit
gelitten haben, beendet ist. Wir haben darüber hinaus
den Kommunen im Zuge des Prozesses der Sozialreformen, die wir gemeinsam auf den Weg gebracht haben,
2,5 Milliarden Euro zugesichert.
({2})
Dennoch werden wir letztendlich weder durch steuerliche Regelungen noch durch sonstige Transaktionen in
der Lage sein, die finanzielle Situation der Kommunen
nachhaltig und entscheidend zu verbessern. Ich glaube,
dass sich diejenigen, die anderer Meinung sind, Illusionen machen. Wir müssen uns vielmehr auf andere Wege
konzentrieren, um die Investitionstätigkeit auf kommunaler Ebene zu stärken.
In diesem Zusammenhang ist das Thema ÖffentlichPrivate Partnerschaften bzw. Public Private Partnership, PPP, enorm wichtig. Warum? Natürlich hat das etwas mit der Finanzierung zu tun. Wenn die Kommunen
nicht mehr in der Lage sind, Geld aufzubringen, brauchen wir Partner aus dem privaten Bereich, die bei der
Finanzierung öffentlicher Projekte helfen. Es wäre aber
kurzsichtig, Public Private Partnership nur auf die Finanzierung von Projekten zu beschränken. Wir brauchen
vielmehr auch einen marktwirtschaftlichen Wettbewerb
beim Betrieb von Einrichtungen. Also nicht nur die Finanzierung, sondern auch das Betreiben von Einrichtungen gehört zum Thema Public Private Partnership.
Wir haben in Deutschland in diesem Bereich Nachholbedarf; daran besteht überhaupt kein Zweifel. Wir leiden vor allen Dingen sowohl im Steuerrecht als auch im
Vergaberecht unter Regelungen, die einen effektiven
Einsatz von Öffentlich-Privaten Partnerschaften behindern. Deswegen wird die Koalition im Laufe des Frühjahrs gesetzgeberisch initiativ werden, um Hemmnisse,
die Public Private Partnership behindern und damit auch
öffentliche Investitionen verhindern, zu beseitigen.
({3})
Ich glaube, mehr Investitionen auf kommunaler Ebene
sind ein vernünftiger und kluger Weg, mit diesem Problem umzugehen.
Die Immobilienmakler fordern - ich kann mir nicht
ersparen, auch dazu etwas zu sagen - ein neues Standesrecht. Wenn man zwischen den Zeilen liest, dann kann
man erkennen, dass Sie sich damit zumindest angefreundet haben. Die FDP war da deutlicher. Der Staatssekretär
hat dazu einiges gesagt, was ich gerne unterstreichen
möchte. Wir in diesem Haus müssen uns schon entscheiden, was wir wollen: Wollen wir Bürokratieabbau und
wollen wir Deregulierung? Wenn ja, dann können wir
es nicht dabei belassen, uns auf im Arbeitsrecht verankerte Deregulierung bei den Arbeitnehmern zu konzentrieren, während Sie neue Regulierungen anderer berufsständischer Bereiche, die zu Ihrer vermeintlichen
Interessenssphäre gehören, fordern. Wir Politiker machen uns damit unglaubwürdig. Es wäre unvernünftig,
abstrakt Bürokratieabbau zu fordern und konkret neue
Bürokratie zu schaffen.
Besonders witzig ist es - das sage ich in Ihre Richtung, Herr Kollege Börnsen, und in Richtung des Kollegen von der FDP -, dass Sie jetzt auch noch neue Statistiken fordern. Das ist wirklich fast zum Schießen.
({4})
Denn in fast jeder Debatte, in der es um den Wirtschaftsstandort Deutschland geht, wird uns gesagt: Baut Bürokratie ab! Hört mit den Statistiken auf! Verlangt von den
Unternehmern doch nicht, dass sie dieses und jenes tun!
Macht das doch alles einfacher! - Kaum wird es wieder
einmal konkret, fordern Sie die nächste Statistik.
Das ist typisch für diese Diskussion. Für eine solche
Forderung mag es sogar rationale Gründe geben. Aber
fast jede bürokratische Regelung, die es inzwischen
überflüssigerweise gibt, war bei der Einführung plausibel. Daher sage ich Ihnen: Sie müssen damit selbstkritischer umgehen. Sie dürfen die allgemeinen politischen
Phrasen nicht herunterbeten und einen Tag später, wenn
es konkret wird, neue Regulierungen fordern. Dass Sie
das bisher so praktiziert haben, ist ein Widerspruch, mit
dem Sie klarkommen müssen. Wir widmen uns dem
Thema Immobilienwirtschaft mit großem Ernst.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Börnsen?
Ja, das verlängert meine Redezeit
Genau.
- und strapaziert Ihre Geduld.
Herr Kollege, das muss aber sein. - Sie haben sich
dieser Thematik mit großer Umsicht und Sachkunde angenommen. Wollen Sie den Eindruck erwecken, eine
qualifizierte, spezialisierte, bessere Ausbildung im Immobilienbereich - so lautet die Forderung - ziehe mehr
Bürokratie nach sich? Habe ich Sie da richtig verstanden? Sind Sie nicht ebenfalls der Meinung, dass das
nicht sein sollte?
Ja, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu. Gegen eine
qualifizierte, bessere Ausbildung ist nicht nur nichts zu
sagen, sondern sie ist auch wünschenswert. Damit einher
geht die Frage, ob eine solche Ausbildung rechtlich mit
Marktzugangsbeschränkungen verbunden sein muss.
Sollten wir nicht vielmehr dafür sorgen, dass sich die
Branche freiwillig - sie befindet sich auf einem guten
Weg - Bindungen schafft und Qualifikations- bzw. Ausbildungsmöglichkeiten eröffnet, die aber nicht in der
Weise festgeschrieben werden, dass sie auch als Marktzugangsvoraussetzungen dienen? Noch einmal: Marktzugangsbeschränkungen sind eine typische berufsständische Regelung, die aus meiner Sicht überholt ist.
Ich komme zum Schluss. Wir werden uns diesem
Thema mit großem Ernst widmen. Wir werden vor allen
Dingen versuchen, die Investitionskraft der Kommunen
zu stärken. Eine solche Stärkung wäre das Rückgrat im
Hinblick auf eine Verbesserung der Situation im Baugewerbe, vor allen Dingen beim Handwerk. Das liegt uns
besonders am Herzen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang
Spanier.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich einige Anmerkungen aus der Sicht der Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik machen. Wenn man sich mit der Situation der Immobilienwirtschaft auseinander setzt, dann
erkennt man - das ist heute, unter anderem von Herrn
Hettlich, schon angesprochen worden -, dass man natürlich auch die Entwicklung der Wohnungsmärkte in unserem Land betrachten muss. Die Wohnungsmärkte in
Deutschland differenzieren sich immer weiter. Vor allen
Dingen in den neuen Bundesländern sind die Leerstandsquoten hoch. Herr Günther, es stört mich ein
wenig, wenn Sie das hier sozusagen mit einem vorwurfsvollen Unterton in Richtung Bundesregierung ansprechen. Es ist einfach eine Tatsache, dass wir in den neuen
Bundesländern einen deutlichen Bevölkerungsrückgang
haben, dass die Immobilienwirtschaft, die Wohnungswirtschaft, die Kommunen, alle miteinander mit der
Leerstandsproblematik zu kämpfen haben. Stärker, als
Sie das in den Fragen in Ihrer Großen Anfrage erkennen
lassen, müssen wir uns gerade in der Städtebau- und
Wohnungspolitik mit der demographischen Entwicklung
auseinander setzen, viel stärker noch, glaube ich, als
etwa beim Umbau der sozialen Sicherungssysteme, weil
es in unserem Bereich um langfristige Investitionen
geht, die 50, 80 Jahre Bestand haben sollen.
Demographische Entwicklung und Binnenwanderung, das ist die zentrale Herausforderung für die Bauwirtschaft, für die Wohnungswirtschaft, für die Kommunen und natürlich auch für die Immobilienwirtschaft. Bei
allen Argumenten des Inhalts, dass sich zum Beispiel in
den nächsten Jahren die Zahl der Haushalte noch spürbar
erhöhen wird - die jüngste Bevölkerungsprognose hat
das noch einmal bestätigt -, muss berücksichtigt werden,
dass sich der Zuwachs bei der Zahl der Haushalte in erster Linie auf die ältere Generation bezieht. Die Zahl der
Haushalte von Älteren wird wachsen. Das ist eine Situation, auf die sich die Immobilienwirtschaft künftig sehr
viel stärker einstellen wird.
Es wird auf mittlere Sicht natürlich nicht nur eine rasante Veränderung im Altersaufbau geben - das ist schon
im Gange -, sondern auch einen Bevölkerungsrückgang.
Darauf müssen wir alle uns einstellen. Deshalb stört es
mich, dass ich Sie in vielen Bereichen sozusagen als
Vertreter der Tonnenpolitik erlebe, die glauben, eine gute
Bau- und Stadtentwicklungspolitik bestehe darin, wieder
die Fertigungszahlen aus den frühen 90er-Jahren zu erreichen.
({0})
Das ist eine völlige Illusion. Das geht völlig am Markt
vorbei. Die Wohnungswirtschaft hat sich längst auf eine
ganz andere Entwicklung eingestellt.
({1})
Wir diskutieren häufiger, auch in unserem Ausschuss
für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, das Thema Eigenheimzulage. Sie haben auf die Anhörung hingewiesen. In der Tat, einhellige Meinung ist, dass es auch zukünftig eine Wohneigentumsförderung geben soll, aber
ganz gezielt, ganz eng verknüpft mit der Stadtentwicklung. Niemand - bis auf eine Ausnahme - hat der jetzigen Eigenheimzulage das Wort geredet. - Das war das
Ergebnis der Anhörung.
Es wurde wieder einmal die Wohneigentumsquote
in unserem Land beschworen. Es ist richtig: Sie hat sich
in den letzten Jahren verbessert. Für völlig abwegig halte
ich es aber, die Höhe der Wohneigentumsquote in unserem Land zum entscheidenden Maßstab für die Lebensqualität in unserem Land zu machen. Herr Börnsen,
wenn es wirklich ernst gemeint war, dass das politische
Ziel der Union ist, bei uns eine Quote von 77 Prozent
wie in Italien zu erreichen, dann müssen Sie darüber
doch noch einmal nachdenken. Hier zeigt sich ein differenziertes Bild. Es gibt große regionale Unterschiede.
Bei uns in Ostwestfalen, Herr Wächter, haben wir eine
höhere Eigentumsquote als etwa in Berlin, wo die Quote
13 Prozent beträgt. Jetzt überlegen Sie sich einmal, was
in dieser Stadt passieren würde, wenn man sich der
Quote von 77 Prozent auch nur ein Stück weit nähern
würde! Wir sollten aufhören, die Eigentumsquote wie einen Fetisch vor uns herzutragen.
Altersvorsorge. Es ist völlig richtig - so steht es auch
in unserem Koalitionsvertrag -, dass wir die Immobilie
stärker in die Altersvorsorge einbinden müssen.
({2})
Ich muss Ihnen ganz offen sagen: Den Stein der Weisen
in der Frage, wie das denn zu praktizieren ist, hat bisher
niemand gefunden. Es wird sicherlich eine gemeinsame
Aufgabe der nächsten Monate, vielleicht Jahre sein, ein
schlüssiges vernünftiges Konzept dafür zu finden. In der
Sache sind wir uns darüber einig. Ich habe das Gefühl,
dass man im Grunde genommen nur Überschriften vor
sich her trägt und der entscheidende Durchbruch noch
aussteht.
Noch zwei wichtige Anmerkungen, wenn ich das
denn darf, Frau Präsidentin.
Das hängt von der Kürze ab.
In aller Kürze.
Die erste Anmerkung. Aus Ihren Fragen wird wieder
deutlich, dass Sie einen grundsätzlichen Fehler machen.
Sie sehen nur die Wohnung, nur die Immobilie. Wir
müssen aber Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik
im Zusammenhang sehen.
Die zweite Anmerkung; sie betrifft das Antidiskriminierungsgesetz. Herr Börnsen, Sie haben es sich mit der
sehr vehementen pauschalen Ablehnung heute etwas zu
leicht gemacht, glaube ich.
({0})
Wir sind jetzt in der parlamentarischen Beratung. Wir
werden eine Anhörung durchführen. Ich glaube, dass wir
uns mit diesem Gesetz, über dessen Ziel es ja wohl keine
Differenzen zwischen uns gibt, noch differenziert auseinander setzen müssen. Dass wir dabei auch die Belange der Wohnungswirtschaft, gerade weil wir an ausgewogenen Mieterstrukturen interessiert sind, im Auge
haben, werden Sie in den kommenden gemeinsamen Beratungen sicherlich merken.
Herzlichen Dank.
({1})
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/4714 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltauschusses ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dietrich
Austermann, Steffen Kampeter, Bernhard Kaster,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Ausweitung der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung in Zeiten knapper Kassen
- Drucksachen 15/3311, 15/3557 Berichterstattung:
Abgeordnete Walter Schöler
Anja Hajduk
Otto Fricke
Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist auch so beschlossen.
Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Gerhard
Rübenkönig.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vorhin hat einer von den tapferen Abgeordneten gesprochen, die noch hier sind. Ich denke, sie sind nicht nur
tapfer, sondern auch daran interessiert, was in puncto
Öffentlichkeitsarbeit geschieht.
Wir haben vor gut einem halben Jahr, nämlich am
17. Juni 2004, bereits Gelegenheit gehabt, die Große Anfrage der CDU/CSU zu diesem Thema intensiv zu beraten und zu besprechen. Deshalb bin ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, wirklich
dankbar, dass Sie mir erneut die Gelegenheit geben, Ihr
Wissen zu vervollständigen und Ihre unhaltbaren Verdächtigungen richtig zu stellen.
({0})
Auch heute, ein halbes Jahr später, sprechen die Fakten
für sich.
({1})
Der Kollege Kaster hat freundlicherweise die Titel für
Öffentlichkeitsarbeit im Haushalt 2005 in einer Liste zusammengestellt und einer genauen Analyse unterzogen.
Als Mittel für Öffentlichkeitsarbeit der gesamten Bundesregierung sind rund 84 Millionen Euro ausgewiesen.
({2})
Er hat diese Liste vor wenigen Tagen ganz offiziell den
Medien präsentiert und dabei bekannt gegeben, dass er
jetzt 39 Millionen Euro für die Flutopferhilfe einsparen
will. Allein bei den Ausgaben für Fachinformationen,
die er auf rund 81 Millionen Euro beziffert, will der Kollege 28 Millionen Euro einsparen.
({3})
Ich erspare mir hier, Ihnen die detaillierte Aufschlüsselung darzulegen. Sie können sie in der Tageszeitung
„Die Welt“ vom 22. Januar 2005 nachlesen. Ich möchte
nur ein Beispiel daraus zitieren.
Es wird dort vorgeschlagen, die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit des Presse- und Informationsamtes der
Bundesregierung von 19 Millionen auf 9,5 Millionen
Euro zu kürzen. Als formale Begründung hierfür wird
die Aufbringung von Mitteln für die Flutopferhilfe angegeben. Vor dem Hintergrund dieses tragischen Ereignisses sollten Sie aber, wie ich denke, auf diese Art von
Kampagnen verzichten.
({4})
Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung hat seine Pflicht getan und genauso wie das Auswärtige Amt die Bevölkerung über alle mit der Flut zusammenhängenden Fragen informiert, und zwar genau
unter Verwendung der Mittel, die Herr Kaster nun kürzen möchte.
({5})
Mit diesen Mitteln wurde unter anderem eine Sonderausgabe der Onlinezeitung „e.velop“, also des entwicklungspolitischen Internetmagazins der Bundesregierung
erstellt. Als Autoren dieser Ausgabe konnten unter anderem Rudolf Seiters, der Präsident des Deutschen Roten
Kreuzes, und der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, Pater Hans Langendörfer, gewonnen werden.
Vor gut einer Woche hat der Bundespräsident anlässlich des Staatsaktes für die Opfer der Flutkatastrophe unterstrichen, dass die Menschen in Deutschland voller
Hilfsbereitschaft sind und Solidarität mit den Opfern zeigen. Die 500 Millionen Euro, die die Bundesregierung
aus öffentlichen Mitteln bereitgestellt hat, hat er als einen angemessenen Betrag bezeichnet. Ob der jetzige
Antrag des Abgeordneten Kaster ein angemessener Beitrag in der Diskussion um konkrete Flutopferhilfe ist,
({6})
darf man zu Recht bezweifeln. Ich für meinen Teil finde
seine Art, die Flutkatastrophe zu nutzen, um auf sich
aufmerksam zu machen, nicht angemessen und - wenn
ich das so sagen darf - beschämend.
({7})
Es drängt sich der Eindruck auf, dass es nicht um die
Finanzierung von 500 Millionen Euro geht, die - gemessen an dem Gesamtetat von 251 Milliarden Euro - über
einen Zeitraum von fünf Jahren nur 0,44 Prozent des Gesamthaushaltes betragen. Wäre es wirklich darum gegangen, dann hätte unser Kollege nach eigener Berechnung beispielsweise den Etat des Bundespresseamtes
statt um 9,5 Millionen um 83 600 Euro gekürzt. Wenn
Sie nachrechnen, stellen Sie fest, dass dies dem Anteil
von 0,44 Prozent an den Ausgaben für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit entspricht.
Begrüßenswert an diesem Vorschlag ist allein die Tatsache, dass sich die Union endlich zur Höhe der Flutopferhilfe bekennt. Dies war nicht immer so. Der Kollege
Austermann, der heute sicherlich schon auf großer Wahlkampftour in Schleswig-Holstein ist, hatte den Betrag
am 29. Dezember 2004 noch als „Hochstapelei ohne
Schadensbilanz“ bezeichnet.
({8})
Wie wir alle wissen, hat unser Kollege, Finanzminister
in spe,
({9})
auch sonst zu Zahlen ein recht eigenwilliges Verhältnis.
So hat er doch in seiner Pressemitteilung vom
29. Dezember 2004 der Bundesregierung vorgehalten,
allein im Jahr 2004 250 Millionen Euro für Öffentlichkeitsarbeit ausgegeben zu haben.
({10})
Hiervon seien lediglich knapp 100 Millionen Euro offiziell im Etat ausgewiesen.
({11})
Herr Austermann wird nicht müde, wider besseres Wissen - das hätte ich auch gesagt, wenn er heute anwesend
wäre - falsche Zahlen zu verbreiten.
({12})
- Die Sache wird nicht dadurch besser, Herr Kampeter,
dass Sie laufend dazwischenrufen.
Tatsache ist: Im Jahr 2004 sind für Öffentlichkeitsarbeit 86,8 Millionen Euro veranschlagt gewesen. Unser
Kollege hat diese Zahl auf knapp 100 Millionen Euro
aufgerundet, indem er die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit anderer Verfassungsorgane dazugezählt hat. Der
Kollege Kaster hatte gemeinsam mit dem Kollegen
Austermann die vermeintliche Gesamtsumme von
200 Millionen Euro für Öffentlichkeitsarbeit im Jahr
2004 ermittelt.
In Anbetracht des Durcheinanders, welches Sie, Kolleginnen und Kollegen der Opposition, in diese Debatte
immer wieder hineinbringen, können die Menschen in
Schleswig-Holstein froh sein, dass Sie, lieber Herr Kollege, dort nicht die Chance bekommen, Minister zu werden.
Ich möchte Ihnen einen weiteren Beleg Ihrer unverantwortlichen Kampagne gegen die Öffentlichkeitsarbeit
der Bundesregierung vorhalten. In einer gemeinsamen
Pressemitteilung zählen die angeblichen Experten für
Öffentlichkeitsarbeit der CDU/CSU-Fraktion auch die in
Berlin geplante Veranstaltung zur Fußballweltmeisterschaft 2006 dazu, um „die Bundesregierung rechtzeitig
vor der Bundestagswahl in Szene zu setzen“. Auch hier
liegt die Opposition völlig falsch. Die Eröffnungsveranstaltung in Berlin wird von der FIFA finanziert
({13})
und sie dient nicht der Bundesregierung, sondern einem
angemessenen und freudigen Auftakt zu einer WM, der
zugleich deutlich machen soll, dass Deutschland froh
und stolz ist, die Welt bei sich zu Gast zu haben.
({14})
Dies wird im Übrigen auch Ziel der Imagekampagne
für den Standort Deutschland anlässlich der FußballWM 2006 sein. Wir sind gespannt, ob die Herren Kollegen Kaster und Austermann immer noch der Meinung
sind, bei dieser Kampagne handele es sich um Regierungs-PR. Der Geschäftsführer der Werbeagentur Scholz
& Friends, Ihr Parteifreund Herr Heilmann - er ist Ihnen
sicherlich bekannt -, der wie viele andere auch an dieser
Kampagne mitwirken wird,
({15})
würde Ihnen gerne Nachhilfeunterricht geben.
Die SPD-Bundestagsfraktion ist jedenfalls zuversichtlich, dass eine übergreifende und überparteiliche
Imagekampagne unserem Land und den Menschen, die
hier leben und arbeiten, nur helfen kann.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Kaster?
Nein, ich möchte meine Ausführungen zu Ende führen.
({0})
- Herr Koppelin, schön, dass es hier am Freitag so lustig
ist. Damit können wir weitermachen. Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit - viele schauen schon auf die Uhr möchte ich aber die Debatte nicht durch das Zulassen
von Zwischenfragen verlängern.
Der Kollege Kaster hat sich bereits zu Beginn dieses
Jahres mit dem Thema „Flut und Regierungsöffentlichkeitsarbeit“ beschäftigt. Er war damals der Auffassung,
dass es angesichts der Flutkatastrophe nicht angehen
könne, die Bevölkerung der Bundesrepublik über die
zum Jahresanfang anstehenden vielfältigen Veränderungen zu informieren. Ich sage Ihnen, dass die Bundesregierung mit ihrer Information zum Jahreswechsel ihrer
Verpflichtung Rechnung trägt, die Bürgerinnen und Bürger über aktuelle Schwerpunkte der Regierungspolitik zu
informieren. Allein der Umfang der zum Jahreswechsel
in Kraft gesetzten Reformen, darunter die letzte Stufe
der Steuerreform, Hartz IV, die LKW-Maut, das Alterseinkünftegesetz und das Kinderbetreuungsgesetz, rechtfertigt das Erscheinen solcher Informationsbeilagen.
Im Übrigen ist es paradox - das will ich an dieser
Stelle feststellen -, dass Sie noch im Sommer moniert
haben, dass die Bundesregierung zu wenig tue, um die
Öffentlichkeit über Hartz IV zu informieren, und sich
jetzt darüber aufregen, dass sie darüber informiert hat.
Findet Information statt, ist sie falsch oder verfassungswidrig; nimmt sich die Bundesregierung zurück, wird
Information umso heftiger angemahnt.
Lassen Sie mich zum Antrag auf Drucksache 15/3311
zurückkommen. Der Haushaltsausschuss hat bereits Ablehnung empfohlen. Er hat gut daran getan; denn im Antrag heißt es - ich zitiere -:
Insgesamt gibt die Bundesregierung … 2004 über
200 Mio. Euro für öffentlichkeitswirksame Maßnahmen aus.
Sie alle wissen, dass das falsch ist, behaupten es aber immer wieder. Es ist sogar mehrfach nachgewiesen worden, dass das falsch ist. Dies hat die Antragsteller aber
nicht beeindruckt. Stattdessen erhöhen Sie von Mal zu
Mal die Summe. Dieses geheimnisvolle Zahlenspiel
sollten Sie einmal dem Hohen Hause erläutern. Ich bin
mir nicht einmal sicher, ob Sie es selbst können.
({1})
- Ich lasse keine Zwischenfrage zu, Herr Kollege Kaster.
Tatsache ist - bitte hören Sie zu! -, dass Sie einen
Monat vor Heiligabend, am 24. November 2004, in Ihrer
Haushaltsrede davon gesprochen haben, dass die Bundesregierung fast 250 Millionen Euro für Werbung und
Öffentlichkeitsarbeit „verprasst“. Das ist eine viertel
Milliarde nur für Anzeigen und Plakate. Die Summe
wäre in der Tat ein großzügiges Weihnachtsgeschenk der
Opposition. Ein Antrag der Opposition, die Mittel auf
diese Summe anzuheben, ist mir jedoch nicht bekannt.
Der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion hat seinerseits nochmals diese Summe genannt.
Aber wer es schon bei 200 Millionen Euro nicht so genau nimmt, der kommt dann auch leicht auf
250 Millionen Euro.
Noch nie zuvor hat eine Regierung dermaßen viele
notwendige Reformen - diese wurden unter Ihrer Regierung versäumt - durchgeführt. Häufig waren dies Reformen, die den Bürgerinnen und Bürgern etliches abverlangt haben. Medienexperten würden in dieser
Situation immer dazu raten, die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit massiv zu erhöhen. Sie wissen genau: Das ist
nicht der Fall gewesen. Die Bundesregierung hat sich
gerade im vergangenen Jahr diesbezüglich sehr zurückgenommen.
Die PR-Fachzeitschrift „Horizont“ hat in ihrer Ausgabe vom 20. Januar 2005 den Bruttowerbeaufwand in
klassischen Medien zusammengestellt und dabei die
30 werbeintensivsten Branchen des Jahres 2004 vorgestellt. Unter diesen 30 werbeintensivsten Branchen werden Sie die Bundesregierung nicht finden.
Dennoch ist diese Studie deswegen interessant, weil
sie deutlich macht, dass im Jahr 2004 über 18 Milliarden
Euro in Werbung gesteckt wurden. Ich bitte, diese Aussage mit den von der Regierung für Öffentlichkeitsarbeit
ausgegebenen Mitteln in Vergleich zu setzen. Wie kann
die Opposition angesichts dessen von „PR-Regierung“
und dem vermeintlichen „Medienkanzler und seinen
Werbemillionen“ sprechen, wie Sie das in Ihrer Informationsbroschüre im letzten Jahr getan haben?
({2})
Manches von dem, was im Antrag gefordert wird, ist
heute Wirklichkeit, sodass der Antrag überholt ist. Das
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung koordiniert und bündelt stärker als in der Vergangenheit die
Öffentlichkeitsarbeit der einzelnen Ministerien.
Auch die zeitliche Befristung auf eine Legislaturperiode ist in Rahmenverträgen sichergestellt. Diese
Regierung wird im Rahmen ihrer Vorschläge möglichen
Nachfolgeregierungen keine fortwirkenden vertraglichen Verpflichtungen im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit hinterlassen, wie wir sie vorgefunden haben. Die Bundesregierung wird auch daran festhalten,
bei größeren Maßnahmen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit sowohl die Maßnahmen selbst als auch die
damit verbundenen Kosten über Pressemitteilungen zu
kommunizieren, um so viel Transparenz wie möglich zu
erreichen.
({3})
- Wir haben mehrfach darüber gesprochen.
Dies war übrigens auch bei der so heftig kritisierten
Anzeige zum Jahresende der Fall, für die die Bundesregierung rund 520 000 Euro aufgewendet hat. Sie hat darin über die Maßnahmen informiert, die zum 1. Januar
2005 wirksam geworden sind. Wer sich über diese sechsseitige Anzeige hinaus noch informieren wollte, dem hat
das Bundespresseamt knapp 40 Seiten zur Verfügung gestellt - die hätten Sie mal lesen sollen -, auf denen detailliert über die Gesetzesänderungen berichtet wird.
({4})
Hätte die Bundesregierung nicht darüber informiert,
hätte man ihr zu Recht den Vorwurf gemacht, pflichtvergessen zu sein.
Im Jahr 2004 hat das Bundespresseamt aus den Mitteln seines Haushalts für Öffentlichkeitsarbeit auch verschiedene Maßnahmen unterstützt, um insbesondere in
den neuen Ländern im Rahmen von bezuschussten Projekten junge Menschen zur Auseinandersetzung mit dem
Rechtsextremismus anzuregen.
({5})
Die Bundesregierung hat hier eine Vielzahl staatlicher
Maßnahmen ergriffen. Viele Ministerien wirken mit, unter anderem das Wirtschafts- und Arbeitsministerium,
das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend und das Innenministerium sowie das Bundespresseamt.
({6})
Zum Teil werden hierfür auch Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit verwendet. Insbesondere vor dem Hintergrund der entsetzlichen Ereignisse im Sächsischen
Landtag, die wir alle in den letzten Tagen diskutiert haben, ist zu fragen, ob der Abgeordnete Kaster diese Mittel wirklich um 50 Prozent kürzen will. Aber dazu wird
er uns gleich sicherlich etwas sagen.
Jenseits des Wahlkampfgetöses bitte ich darum, dass
wir uns in Erinnerung rufen, was das Bundesverfassungsgericht über die Regierung und ihre Öffentlichkeitsarbeit gesagt hat - ich zitiere -:
Jede verantwortliche Politik kann zu unpopulären
Maßnahmen gezwungen sein. Insbesondere können
im Bereich der staatlichen Wirtschafts- und Sozialpolitik Maßnahmen zulasten der Bürgerinnen und
Bürger oder einzelner Gruppen von ihnen im Gesamtinteresse geboten sein, ohne dass deren Notwendigkeit der Aktivbürgerschaft unmittelbar einsichtig ist. Auch hier ist es Aufgabe staatlicher
Öffentlichkeitsarbeit, die Zusammenhänge offen zu
legen, Verständnis für erforderliche Maßnahmen zu
wecken oder um ein konjunkturgerechtes Verhalten
zu werben.
Ich denke, dies ist richtig.
({7})
Genau das, Herr Kaster, macht die Bundesregierung
im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit. Dies ist im Übrigen auch von den Vorgängerregierungen jenseits aller
strittigen Sachentscheidungen im Kern nie anders gewesen.
Ich komme zum Schluss und ziehe folgendes Fazit:
Ich habe Verständnis für das Wahlkampfgetöse, das Sie
in diesem Hause immer wieder veranstalten. Haben Sie
aber bitte auch Verständnis dafür, dass wir als SPD-Bundestagsfraktion diesem Gepolter, diesem durchsichtigen
Manöver nicht folgen. Es ist Ihnen nicht gelungen - und
es wird Ihnen auch nicht gelingen -, die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung in ein schiefes
Licht zu rücken, auch wenn Sie immer wieder andere
Behauptungen aufstellen.
In diesem Sinne darf ich mich ganz herzlich für Ihre
Aufmerksamkeit bedanken.
({8})
Jetzt hat das Wort der Abgeordnete Bernhard Kaster.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich angesichts
der nicht sehr starken Präsenz der sozialdemokratischen
Fraktion heute feststellen, dass mit dem Thema Öffentlichkeitsarbeit wohl ein gewisses Schamgefühl einhergeht.
({0})
Unser bereits im vergangenen Jahr eingebrachter Antrag zur Begrenzung der Öffentlichkeitsarbeit auf die der
Bundesregierung obliegenden Informationspflichten hat
gerade in dieser Woche eine beschämende Aktualität bekommen. Seit dem vergangenen Montag steht fest, dass
sich die Bundesregierung mit ihrem Regierungssprecher
von seriöser Informationspolitik endgültig verabschiedet
hat. Man glaubt, nicht richtig zu hören, aber der Prozessvertreter der Bundesregierung ließ in einem Landgerichtsprozess gegen die Bundesregierung erklären, der
Regierungssprecher habe hinsichtlich des Verschwindens einer mittlerweile schon berühmt gewordenen Fotodiskette gelogen.
({1})
Mit dieser Erklärung aber nicht genug: Die Bundesregierung lässt in öffentlicher Verhandlung weiter erklären,
der Regierungssprecher dürfe auch lügen.
({2})
Dass Regierungssprecher Béla Anda auch verschiedene Medien zur Verbreitung von Unwahrheiten angestachelt hat, interessiert in dieser Bundesregierung niemand. Herr Anda hat nicht nur seine ganze Funktion
infrage gestellt,
({3})
sondern er hat jegliches Vertrauen in der Öffentlichkeit,
in der Bevölkerung und in der Presse verspielt.
({4})
Herr Kollege, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage
des Kollegen Rübenkönig?
Gerne.
({0})
Ich führe diesen Gedanken nur zu Ende. - Dieser Regierungssprecher - das müsste die Meinung Ihrer Fraktion,
aber auch die Meinung des Kanzlers sein - ist so nicht
mehr tragbar.
({1})
Ich lasse die Zwischenfrage jetzt gerne zu.
Herr Kollege Kaster, in Ihrem Beitrag haben Sie erneut den Rechtsstreit zwischen einem Fotojournalisten
und der Bundesrepublik Deutschland angesprochen, in
dem es um eine verschwundene Fotodiskette geht. Wie
bereits in der Fragestunde am vergangenen Mittwoch
({0})
arbeiten Sie mit Unterstellungen und Vermutungen. Dies
ist einfach unfair, um es einmal vorsichtig und höflich
auszudrücken.
({1})
Nehmen Sie doch schlicht und ergreifend die Tatsache zur Kenntnis,
({2})
dass ein Fotojournalist die Bundesrepublik Deutschland
wegen angeblicher Amtspflichtverletzung durch den Regierungssprecher Béla Anda verklagt hat und dass diese
Klage durch das Landgericht Berlin abgewiesen wurde.
({3})
- Jetzt kommt die Frage:
({4})
Wieso stellen Sie das unter diesen Prämissen heute erneut dar? Das zeigt einfach, dass Sie immer wieder wider besseres Wissen
({5})
falsche Tatsachen hier in den Raum stellen. Ich möchte
wissen, warum Sie das tun.
({6})
Es wäre schön - um die Frage zu beantworten -,
wenn diese Tatsache falsch wäre. Das müssen wir uns eigentlich wünschen. Aber wenn ich von Teilnehmern einer öffentlichen Gerichtsverhandlung höre und der entsprechenden Berichterstattung dazu entnehme, dass die
Bundesregierung durch ihren Prozessvertreter eine Aussage zum Regierungssprecher zu einem Vorgang macht,
der sich während eines Staatsbesuchs abgespielt hat,
kann man das hier durchaus anbringen; denn das, was
dort gesagt worden ist, ist schon bemerkenswert.
Schließlich geht es um einen Staatssekretär, der Regierungssprecher ist, bei dem es besonders auf den
Wahrheitsgehalt der Informationen und seine Glaubwürdigkeit ankommt. Der Prozessvertreter der Bundesregierung hat im Prozess gesagt, der Regierungssprecher habe gelogen und er dürfe das auch.
({0})
Das hat so im Landgerichtsprozess stattgefunden.
Entscheidend ist nicht allein die Fotodiskette. Entscheidend ist, dass der Regierungssprecher nachgewiesenermaßen
({1})
Zeitungen, Medien angerufen und darum gebeten hat,
genau diesen unwahren Punkt zu verbreiten.
({2})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Kampeter?
Ja, die lasse ich gerne zu.
Herr Kollege Kaster, darf ich Ihre Einlassungen so
verstehen, dass der Regierungssprecher zwar erstinstanzlich - ({0})
Sie haben, Herr Kollege, die Verhandlungsführung
nicht zu kritisieren.
({0})
Jetzt hat der Kollege Kampeter das Wort.
Herr Kollege Kaster, darf ich Ihre Einlassung dahin
gehend interpretieren oder so verstehen, dass erstinstanzlich - und noch nicht rechtskräftig - der Regierungssprecher zwar von dem Vorwurf der Amtspflichtverletzung freigesprochen worden ist, dass aber der
Prozessvertreter der Bundesregierung allen Ernstes gesagt hat, es sei zulässig, dass ein Regierungssprecher privat lügt, und dass es nur dann sanktionsfähig ist, wenn er
dienstlich gelogen hat?
Diese Frage kann ich bestätigend beantworten. Ich
will noch hinzufügen, dass die Frage „Privat oder im
Dienst?“ in der Weise in den Mittelpunkt gestellt worden
ist, dass künftig Medienvertreter, die einen Anruf des
Regierungssprechers bekommen, scheinbar die Frage
stellen müssen, ob es ein dienstlicher Anruf oder ein privater Anruf von Herrn Anda ist.
({0})
Die aktuellen Ereignisse dieser Woche haben dazu geführt, dass ich mich so eingehend mit diesem Sachverhalt beschäftigt habe. Ich will in meiner Rede aber auch
zu anderen Dingen kommen, weil ich meine, dass dieser
Vorgang hoffentlich nicht ein vorläufiger, sondern der
letzte Höhepunkt einer unrühmlichen Entwicklung seit
dem Amtsantritt von Herrn Anda ist. Dieser Regierungssprecher hat zudem in seiner zweijährigen Amtszeit öfter
Erwähnung in Rechnungshofberichten gefunden als in
den Medien.
({1})
Ich erinnere an zahlreiche Beanstandungen des Bundesrechnungshofes;
({2})
ich erinnere an zahlreiche Verstöße gegen das Haushaltsund Vergaberecht im Bundespresseamt und ich erinnere
daran, dass die Kernaufgaben des Bundespresseamtes
zwischenzeitlich bei Werbeagenturen liegen. Hier gibt
es inzwischen nicht einen, zwei oder drei, nein, hier gibt
es inzwischen zwölf Rahmenverträge, die der offensichtlich allein vollkommen überforderte Regierungssprecher
abgeschlossen hat. Dazu werden allein im Bundespresseamt - und das mit immer neuen Begründungen - die
Haushaltsmittel auf Rekordniveau gehalten oder sogar
weiter erhöht. Letztes Jahr gab es einen Anstieg von
12 Prozent; als Begründung musste die europäische Osterweiterung herhalten.
({3})
Dieses Jahr - Herr Rübenkönig hat es angesprochen hat man natürlich wieder einen neuen Grund gefunden,
den PR-Etat auf Rekordniveau zu belassen: Wegen der
Fußballweltmeisterschaft im Jahr 2006
({4})
müssen Millionenbeträge schon im Jahr 2005 zur Verfügung gestellt werden.
({5})
Das ist ganz unabhängig davon, dass die deutsche Industrie und andere Mittel für diesen Zweck für 2006 vorgesehen haben.
({6})
Das hat übrigens mit Kommunikationsschwerpunkten
nichts zu tun. Schwerpunkte kann man dann setzen,
wenn man an anderer Stelle entsprechend einspart.
Aber all dies würde uns beim Thema PR nicht dazu
bringen, Kritik und Widerstand so energisch zum Ausdruck zu bringen. Zwischen Regierung und Opposition
hat es in der Vergangenheit immer schon Streit über das
rechte Maß der Öffentlichkeitsarbeit gegeben. Dieses
Thema hat es immer gegeben. Aber Widerstand und Kritik sind spätestens erstens dann angebracht, wenn durch
vollkommen maßlose Ansatzerhöhungen nicht nur beim
Bundespresseamt, sondern durchgehend bei allen Ministerien die regulären PR-Mittel auf ein noch nie da gewesenes Niveau angehoben werden. Widerstand und Kritik
sind zweitens dann angebracht, wenn nicht nur über offizielle Kanäle - über sie hat Herr Rübenkönig
gesprochen -, sondern auch über inoffizielle Haushaltskanäle
({7})
Geld für Anzeigen und Plakate fließt und sich unter
Berücksichtigung von Fachinformationstiteln und Zuschussprogrammen die PR-Ausgaben nicht nur verdoppeln, sondern fast verdreifachen.
({8})
Die Zahlen könnte man hier alle ausbreiten. Widerstand
und Kritik sind drittens angebracht, wenn mit steuerfinanzierter, die Stimmung beeinflussender Imagewerbung auf Landtagswahlen eingewirkt werden soll
({9})
und sich die Bundesregierung für die Bundestagswahl
2006 bereits heute einen PR-Vorteil verschaffen will.
({10})
Es geht hier um etwas Grundsätzliches. Wenn inzwischen eine viertel Milliarde Euro für die Regierungs-PR
ausgegeben wird, die zudem überwiegend nicht der Information, sondern der Beeinflussung politischer Stimmungen dienen soll, muss die Frage nach der Gewährleistung eines fairen politischen Wettbewerbs zwischen
Regierung und Opposition hier im Hause gestellt werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat das auf den Punkt
gebracht. Die obersten Verfassungsrichter haben in ihrem Urteilsleitsatz schon 1977 festgestellt: Den Staatsorganen, also vor allem der Bundesregierung, ist es
von Verfassungs wegen versagt, … insbesondere
durch Werbung die Entscheidung des Wählers zu
beeinflussen.
Das heißt, dass auf stimmungsverbessernde Effekte
zielende Werbeplakate nicht mit Steuergeldern finanziert
werden dürfen.
({11})
Ich sage Ihnen: Wenn Ihr Medienkanzler durch Plakate
und Anzeigen Imageverbesserung betreiben will, dann
muss er sich an seinen Parteichef wenden, damit der das
bezahlt.
({12})
Meine Damen und Herren, je dramatischer unsere
Haushaltslage wird, desto ungehemmter verprassen Sie
Werbemillionen - ich will Ihnen gerne belegen, dass dieses Wort angebracht ist -: Der sich selbst als Sparminister lobende Herr Eichel hat seinen PR-Etat in den
Jahren 2004 und 2005 gegenüber den Vorjahren um
125 Prozent erhöht.
({13})
Ich sage Ihnen, was dabei herauskommt: Es sind Anzeigen und Plakate, auf denen „42 Prozent Spitzensteuersatz“ geschrieben steht und auf denen ein Chinese eine
Parkuhr bedient.
({14})
Ich habe die Botschaft dieses Plakates bzw. dieser
Anzeige bisher nicht verstanden; vielleicht verstehen Sie
sie. Daher habe ich sehr viele gefragt und nach einer
Antwort gesucht. Die eine Hälfte derer, die ich gefragt
habe, hat nur den Kopf geschüttelt, konnte dazu aber gar
nichts sagen.
({15})
Die andere Hälfte hat beim Anblick der veralteten Parkuhr an Abzocke, Knöllchen und Ähnliches gedacht.
({16})
Aber die Lösung, welche Botschaft dieses Plakat beinhaltet, weiß jemand in der Bundesregierung. Aufgrund
meiner Frage hat mir die Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium folgende Antwort gegeben - ich zitiere -:
({17})
Im gewählten Bildmotiv „Spitzensteuersatz von
42 Prozent“ engagiert sich ein ausländischer Investor in Deutschland.
({18})
Dies wird symbolisch durch Einwerfen einer
Münze in die Parkuhr abgebildet.
({19})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, auf den Internetseiten des Bundespresseamtes findet sich der richtige
Hinweis, dass jeder Bundesbürger das Recht auf Information hat - aber nicht zur Duldung solch eines Unsinns,
({20})
der inzwischen in einer Größenordnung von 200 Millionen Euro pro Jahr betrieben wird.
({21})
Das Bundespresseamt nimmt mittlerweile selbst in
den einzelnen Ministerien niemand mehr ernst.
({22})
Wirtschaftsminister Clement hat angesichts des vom
Bundespresseamt im vergangenen Sommer - damals
kam die Kritik insbesondere aus Ihren eigenen Reihen verursachten Kommunikationsdesasters zu Hartz IV
panikartig selbst die Initiative ergriffen. Neben seinem
regulären Etat für Öffentlichkeitsarbeit stehen dem Wirtschaftsminister im Haushalt zusätzlich 14 Millionen Euro für die Kommunikation des Hartz-Konzeptes
zur Verfügung.
({23})
Man glaubt es nicht: Diese 14 Millionen Euro haben
im vergangenen Jahr nicht ausgereicht.
({24})
Staatssekretär Andres schrieb mir vor wenigen Tagen,
das Wirtschaftsministerium - jetzt höre man genau hin habe im September 2004 entschieden, die notwendige
und umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit durch außerplanmäßig beantragte Haushaltsmittel zu verstärken.
Diese Liste ließe sich weiter fortsetzen.
Zwischendurch will ich anmerken: In Großbritannien wird im Moment eine Diskussion darüber geführt,
die Mittel, die Regierungschef Tony Blair für seine Öffentlichkeitsarbeit einsetzt - es handelt sich um 2,3 Millionen Euro -,
({25})
lieber für Schulen und Krankenhäuser zu verwenden.
Über solche Beträge kann man in Deutschland nur
lachen. Mittlerweile sind wir, was den Umfang der
steuerfinanzierten PR für die Bundesregierung anbelangt, Europameister.
({26})
Die Verpackung wird für die Bundesregierung wichtiger als die Inhalte, und die Arbeitslosenzahlen steigen in
neue Rekordhöhen.
({27})
Aber die Bundesregierung hat nichts Wichtigeres zu tun,
als sich beispielsweise am 30. Dezember letzten Jahres
in deutschen Tageszeitungen, unter anderem in der
„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, mit sechs farbigen
Anzeigenseiten selbst zu feiern.
({28})
Im Übrigen geschah das fast zeitgleich mit Spendenaufrufen anlässlich der Flutkatastrophe.
({29})
Herr Kollege Rübenkönig, Sie haben die Flutkatastrophe angesprochen, diese Menschheitstragödie, die
sich in Südasien ereignet hat. Damit hier keine Unklarheiten bestehen - Sie haben ja einige Behauptungen in
den Raum gestellt; dabei wissen Sie genau, wie wir uns
im Haushaltsausschuss dazu geäußert haben -:
({30})
Wir stehen zu dieser Hilfe, zu den 500 Millionen Euro,
die zur Verfügung gestellt werden sollen. Aber, meine
Damen und Herren, dann muss schon die Frage erlaubt
sein, wie wir dieses Geld angesichts der Dramatik in unserem Haushalt aufbringen wollen.
({31})
Wir sind der Auffassung, das ist zu finanzieren: Wenn
man sich, wie ich Ihnen hier aufgezeigt habe, einen PREtat von jährlich 200 Millionen Euro leisten kann, dann
liegt es meines Erachtens auf der Hand, wo Sparpotenziale zu finden sind. Das kann man sehr seriös in die
Diskussion einbringen. Wir können da sparen, wo die
Politik nicht direkt berührt wird, wo aber Übermaß vorhanden ist. Diese Sparpotenziale sind in jedem Fall auszuschöpfen.
Vielen Dank.
({32})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Alexander Bonde.
({0})
Frau Präsidentin! Herr Kollege Koppelin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben heute kurz vor
Schluss der Sitzungswoche die stille Beerdigung eines
Antrages,
({0})
der mit großem Trara der Öffentlichkeit vorgestellt worden ist. Alleine das Geschrei des Kollegen Austermann
kann aber noch nicht „öffentliche Aufregung“ genannt
werden.
({1})
Es läuft immer genau so ab: Mit großem Geschrei
wird ein Antrag vorgestellt, der später still und leise wieder kassiert wird, wenn der angebliche Skandal nicht gezogen hat. Gewisse Ähnlichkeiten gibt es ja mit dem,
was wir diese Woche in Sachen Steuerreformkonzept
der Opposition erlebt haben: Es wird gerade still und
leise in den Ausschüssen verabschiedet. Vom Bierdeckel
von Friedrich Merz ist nichts mehr zu erkennen. Es steht
also ein gewisses System dahinter, Anträge einzubringen, die es nicht schaffen werden, in die Parlamentsgeschichte einzugehen. Der heutige gehört gewiss dazu.
({2})
Ich bin froh, dass Sie in Ihrem Antrag wenigstens einen positiven Hinweis geben: den Hinweis auf das Urteil
des Bundesverfassungsgerichts zum Thema „staatliche
Öffentlichkeitsarbeit“. Bedauerlicherweise wurde dieses
Urteil offensichtlich nicht vollständig gelesen; sonst wären Sie auch auf den interessanten Satz gestoßen:
Eine verantwortliche Teilhabe der Bürger an der politischen Willensbildung des Volkes setzt voraus,
dass der einzelne von den zu entscheidenden Sachfragen genügend weiß, um sie beurteilen, billigen
oder verwerfen zu können.
Was hat Ihr Antrag damit zu tun? Reichlich wenig. Sie
setzen sich mit vermeintlich oder tatsächlich gestiegenen
Budgets für Öffentlichkeitsarbeit auseinander. Mal unterstellt, die Zahlen wären so, wie Sie behaupten: Warum
setzen Sie sich überhaupt nicht damit auseinander, dass
das einen Hintergrund haben könnte?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nun habe
ich großes Verständnis dafür, dass man in 16 Jahren
Nichtstun nichts zu kommunizieren hatte.
({3})
Wenn ich mir dagegen anschaue, was Rot-Grün in den
letzten Jahren angegangen ist, muss ich Sie ernsthaft fragen: Hätten wir das etwa nicht kommunizieren sollen?
({4})
Hätten wir den Bürgerinnen und Bürgern etwa nicht erklären sollen, was passiert? Nehmen wir doch die
Agenda 2010, die der Kollege Kaster schon als Beispiel
in den Raum gestellt hat: Wir haben in einem schmerzhaften Prozess ein hartes Reformpaket verabschiedet,
das fast jede Bürgerin und jeden Bürger betrifft; und
zwar ganz persönlich. Wir mussten erleben, wie die Opposition gleichzeitig gezielt Desinformationen verbreitet
hat. An dieser Stelle schreien Sie nicht - zu Recht.
({5})
Herr Kollege Austermann, die Hälfte Ihrer Fraktion
hat in der Öffentlichkeit verkündet, dass die Regierung
ihre Vorhaben besser kommunizieren müsse, dass sie
mehr kommunizieren müsse und wie sie das tun solle.
({6})
Sie müssen sich einmal entscheiden, was Sie uns eigentlich vorwerfen wollen! War es richtig, dass die Bundesregierung dieses harte Reformkonzept mit großem finanziellen Einsatz kommuniziert hat? Hat das entscheidend
dazu beigetragen, dass die Akzeptanz der Bürgerinnen
und Bürger in dieser Frage inzwischen da ist? Natürlich
hat es damit etwas zu tun!
({7})
Dass Sie sich an dieser Stelle so aufplustern, hat natürlich einen Grund. Sie sprechen von der Chancengleichheit zwischen der Regierung und der Opposition.
Ich sage Ihnen ganz genau, wo über die Chancengleichheit entschieden wird. Das entscheidet sich nämlich an
dieser Stelle hier. Sind Sie in der Lage - dass Sie dazu
bereit sind, gestehe ich Ihnen ja vielleicht noch zu -, sich
innerhalb Ihrer eigenen Reihen bei irgendeinem Reformprojekt auf eine tragfähige Konzeption zu einigen?
({8})
Genau hier stellt sich nämlich die Frage der Chancengleichheit zwischen der Regierung und der Opposition.
Es geht dabei also nicht um die Frage, ob es richtig ist,
dass die Regierung viel tut, und auch nicht darum, dass
sie dies durch ihre Öffentlichkeitsarbeit entsprechend
kommuniziert.
Herr Kollege Kaster, ich kann verstehen, dass Sie
Angst davor haben, dass Informationen über die beschlossenen Reformen nach draußen getragen werden.
Bei der Aufstellung Ihrer Fraktion hätte auch ich hier
Sorgen. Ich kann das nachvollziehen.
({9})
Stellen Sie sich doch einmal der Auseinandersetzung
über die Reformen und versuchen Sie nicht, mit einer
Kritik durch die Hintertür, nämlich am Vehikel der Informationen über die Reformen, hier eine große Nummer
aufzuziehen! Das wäre einmal eine würdige Aufgabe für
die Opposition in diesem Hause.
Sie beklagen die gestiegenen Ausgaben für Fachinformationen und Fachveröffentlichungen. Es ist die
Aufgabe dieser Regierung zu kommunizieren. Was wäre
die alternative Möglichkeit, um komplexe Sachverhalte
in Gesetzesinitiativen und verabschiedeten Gesetzen zu
den Bürgerinnen und Bürger zu transportieren? Wie anders soll die Informationspflicht des Staates erfüllt werden?
Sie haben hier ein Plakat gezeigt. Möglicherweise sehen Sie gar nicht die Zielgruppe dieses Plakats. Ich gestehe Ihnen zu, dass Sie mitbekommen haben, dass wir
eine ambitionierte Steuerreform verabschiedet haben.
Ich glaube wirklich, dass das an Ihrer Fraktion nicht vorbeigegangen ist, Kollege Kaster.
({10})
Dass die Bundesbürger, die nicht in diesem Hause sitzen,
ein gutes Recht darauf haben, mitzubekommen, dass
sich in Sachen Steuerreform etwas bewegt hat, und dass
man darauf hinweist, dass es in Deutschland natürlich
auch bei den Auslandsinvestitionen Impulse gibt, ist
doch völlig richtig.
({11})
Wenn Sie an dieser Stelle fachlich oder aufgrund Ihres
Geschmacks nicht in der Lage sind, das zu erkennen,
dann ist das das eine.
({12})
Das sagt aber überhaupt nichts darüber aus, ob es richtig
ist, Informationen über das, was hier getan wurde, zu
verbreiten.
Möglicherweise haben Sie etwas gegen Parkuhren;
das gestehe ich Ihnen zu. Diese Diskussion kenne ich
aus der Kommunalpolitik. Ich sage Ihnen aber eines: Sie
werden es mit Ihren fadenscheinigen Ausführungen zur
Öffentlichkeitsarbeit und mit Ihrem ständigen Hineingrätschen nicht schaffen, die Reformpolitik dieser Regierung in den Schmutz zu ziehen.
({13})
Kollegen Kaster und Austermann, Sie wären gut beraten, sich einmal in die konzeptionelle Diskussion Ihrer
Partei einzuklinken. Stellen Sie den politischen Wettbewerb an der Stelle her, um die es geht! Legen Sie Konzepte auf den Tisch und hören Sie auf, kurz vor Feierabend, wenn sich im Parlament eigentlich niemand mehr
wirklich dafür interessiert, diese Spielchen zu spielen!
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jürgen Koppelin.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich denke, es ist das gute Recht einer Opposition, nach
der Öffentlichkeitsarbeit einer Bundesregierung zu fragen. Das haben Sie früher getan, als Sie in der Opposition waren, und das tun wir jetzt natürlich auch.
Ich will vorwegschicken: Grundsätzlich ist gegen die
Öffentlichkeitsarbeit einer Bundesregierung nichts einzuwenden.
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Kampeter?
Gerne.
Kollege Kampeter.
Herr Kollege Koppelin, Sie haben gerade festgestellt,
dass gegen die Öffentlichkeitsarbeit einer Bundesregierung nichts einzuwenden ist.
Wie bewerten Sie vor dem Hintergrund dieser Aussage die Tatsachen, dass es der für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung zuständige Leiter des Presseund Informationsamtes, Béla Anda, nicht für nötig befunden hat, an dieser Sitzung teilzunehmen, und dass die
Staatssekretärin Hendricks in Abweichung von den
Usancen im Parlament aufgeregt hin und her marschiert
ist, um zu verhindern, dass wir den Staatssekretär mit
unserer Mehrheit herzitieren?
({0})
Herr Kollege Kampeter, ich finde, Sie müssen ein bisschen Verständnis dafür haben, dass der Staatssekretär
Anda heute und auch in der nächsten Zeit nicht anwesend ist. Er hatte in den letzten Monaten so viel mit der
eigenen Partei und deren Öffentlichkeitsarbeit zu tun,
dass er kaum noch Zeit hat, am Parlamentsgeschehen
teilzunehmen.
({0})
Das, was diese Bundesregierung macht, ist ja keine
Öffentlichkeitsarbeit. Ich hatte den Eindruck, dass sowohl der Kollege Rübenkönig als auch der Kollege
Bonde hier einen Schleiertanz aufgeführt haben. Es ging
nämlich um die Verschleierung von Tatsachen. Hier
muss aber das eine oder andere schon genannt werden.
Was mich allerdings ein bisschen traurig stimmt, ist Folgendes: Jeder andere Kollege oder jede andere Kollegin
aus der Koalition hätte diese Reden halten können; aber
dass Haushälter - also die Leute, die auf die Steuergelder
achten sollen - solche Reden halten, ist eine Zumutung.
({1})
Sie können zwar nicht leugnen, dass die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit erheblich gesteigert wurden und Sie
darüber hinaus kaschieren, dass im Titel Öffentlichkeitsarbeit noch nicht einmal alle Beträge enthalten sind, aber
ich habe sogar noch Verständnis dafür, dass sich der Kollege Bonde hier so aufgeregt hat und die Reformpolitik
heranzieht, um nicht über das Thema Öffentlichkeitsarbeit zu sprechen, und dass der Kollege Rübenkönig wieder die Flut in Südostasien bemüht, um nicht auf das
Thema Öffentlichkeitsarbeit einzugehen.
({2})
Kollege Bonde, nehmen wir einmal den Titel „Ökologischer Landbau“ - Sie wissen, dass ich das ansprechen
muss; wir haben das hier schon einmal diskutiert -: Ihre
Ministerin Künast suggeriert, dass den Landwirten mit
diesen Mitteln geholfen wird, auf den ökologischen
Landbau umzusteigen. Aber weit gefehlt; diese
20 Millionen Euro sind für Propaganda bereitgestellt
worden.
({3})
- Natürlich. Sie hätten nur die Kritik des Rechnungshofes lesen müssen. Auch Kollege Bonde kennt diesen Bericht und ist schon ganz bescheiden. Ich sehe schon, wie
er vorne in der ersten Reihe zusammenzuckt, weil er
weiß, dass das trifft.
({4})
Das Problem, dass die Opposition unsere Öffentlichkeitsarbeit kritisiert hat, hatten wir zwar auch. Aber bei
Ihrer Regierung ist es so, dass die Öffentlichkeitsarbeit
nicht nur von der Opposition, sondern auch vom Bundesrechnungshof ständig kritisiert wird. Darum scheren
Sie sich einen Dreck.
({5})
Ich nenne Beispiele. Der Bundesrechnungshof hat
den Verzicht auf eine europaweite Ausschreibung bei einer Anzeigenkampagne kritisiert. Dann war da noch die
zweifelhafte Auftragsvergabe - so der Rechnungshof an Odeon Zwo. Rein zufällig war das die Agentur der
Sozialdemokraten.
({6})
Dann hat man die Agentur schnell gewechselt. Jetzt ist
es der „Goldene Hirsch“, der rein zufällig die Propaganda für die Grünen gemacht hat.
({7})
Darüber hinaus hat der Bundesrechnungshof die Vergabe
von Kinospots kritisiert.
({8})
All das rührt Sie gar nicht. Aber der Bundesrechnungshof ist dafür da, um darauf zu achten, dass das
Geld der Steuerzahler vernünftig eingesetzt wird. Er hat
nie kritisiert, dass Sie Öffentlichkeitsarbeit betreiben.
Ich könnte hier noch viele solcher Beispiele anführen.
({9})
Entscheidend ist: Hans Eichel muss jedes Jahr mehr
Schulden aufnehmen. Das bedauern wir alle, selbst Sie,
wenn Sie mit uns sprechen. Zur gleichen Zeit wird der
Etat für Propagandazwecke erhöht. Man gewinnt doch
den Eindruck: Je schlechter die Politik, desto mehr Geld
für die Propaganda! Das ist der Punkt.
({10})
Ich nenne noch ein Beispiel, damit die Bürgerinnen
und Bürger sehen, wie Sie Ihre Öffentlichkeitsarbeit machen. Kollege Rübenkönig, Kollege Bonde, ich zeige
dem Plenum jetzt das Ergebnis einer Ihrer Anzeigenkampagnen - die anderen Seiten erspare ich mir wegen
meiner kurzen Redezeit -: Wollen Sie mir sagen, dass
auf dieser Seite, deren eine Hälfte allein der Bundesadler
füllt, Information zu finden ist? Muss der Steuerzahler
so etwas bezahlen? Den Adler kann er sich auch im
Fernsehen anschauen. So etwas brauchen Sie nicht auf
sechs Seiten zu drucken. 520 000 Euro haben Sie für
diese Anzeigenkampagne bezahlt.
({11})
Gleichzeitig belasten Sie den Steuerzahler immer mehr.
Das ist herausgeschmissenes Geld. Daran führt kein Weg
vorbei.
({12})
Ich kann nur das wiederholen, was wir als Freie Demokraten in den Haushaltsberatungen beantragt haben:
Lösen Sie das Bundespresseamt auf! Öffentlichkeitsarbeit billige ich Ihnen zu, aber das kann das Kanzleramt
übernehmen. Lösen Sie die Propagandazentrale von
Herrn Anda auf! Diesen Laden brauchen wir genauso
wenig wie Herrn Anda.
Vielen Dank.
({13})
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist
die Kollegin Ilse Aigner, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte
Damen und Herren! Ich möchte mich dem Kollegen
Koppelin anschließen, der zu Recht darauf hingewiesen
hat, dass gegen Öffentlichkeitsarbeit an sich nichts zu
sagen ist; dazu möchte auch ich mich bekennen. Aber
das Ausmaß der Mittelsteigerungen ist eklatant.
Das ist das eine: Die Gelder steigen innerhalb von zwei
Jahren um 11 Prozent - und das in einer Zeit stagnierender Haushalte. Der Gipfel dabei ist, dass gerade Sie, sehr
geehrte Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuss, dabei vollkommen blind sind, wo wir doch
sonst jede einzelne Position daraufhin untersuchen, ob
wir dort eventuell sparen könnten. Das ist unglaublich.
({0})
Daneben stellt sich die Frage der Qualität. Es sind
schon einige Beispiele genannt worden. Ich möchte zwei
Fälle herausgreifen, die für mich beispielgebend sind.
Die grünen Minister Trittin und Künast werben immer
so sehr für Nachhaltigkeit. Bei den Finanzen vergessen
sie die Nachhaltigkeit vollkommen. Wir sind momentan
bei 40 Milliarden Euro Schulden jährlich und haben ein
erhebliches Strukturdefizit.
({1})
Es gibt eine Anzeige, auf der steht: Was macht Jürgen
Trittin heute? Abschalten. - Der geneigte Leser kann
Herrn Trittin in einem Liegestuhl vor dem AKW in
Stade sehen. Was sagt mir das Ganze? Was ist der Informationsgehalt?
({2})
Was wir Ihnen dabei besonders ankreiden, ist: Diese
Kampagne wird nicht aus dem Titel „Öffentlichkeitsarbeit“ finanziert, sondern aus dem Titel „Erneuerbare
Energien“.
({3})
Es handelt sich aber um reine Öffentlichkeitsarbeit.
({4})
Der Herr Minister begründet das damit, dass die reizüberflutete Gesellschaft durch vorgelagerte Werbemaßnahmen für die rot-grüne Politik sensibilisiert werden
müsse. Das ist doch reine Öffentlichkeitsarbeit, bezahlt
aus einem anderen Titel.
({5})
Ich möchte ein zweites Beispiel nennen: Im Ökolandbauprogramm, welches einen Mittelansatz in
Höhe von 20 Millionen Euro hat - das ist schon angesprochen worden -, ist die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit explizit ausgewiesen, mit einem Soll für das Jahr
2004 in Höhe von 800 000 Euro. Das ist eine stattliche
Summe.
({6})
Der Witz ist Folgender: Ich habe nachgefragt, was tatsächlich für diesen Bereich ausgegeben wurde:
2,4 Millionen Euro - nur für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in diesem einen Titel!
({7})
So sehen die Relationen aus. Für Öffentlichkeitsarbeit
im Ressort Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft sind 1,35 Millionen Euro ausgewiesen. Die Steigerung allein in diesem Titel ist höher als das, was offiziell ausgewiesen ist. Das ist wirklich unglaublich.
({8})
Frau Kollegin Aigner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
Selbstverständlich, gern.
({0})
Da Sie gerade so schön in Fahrt sind, Frau Kollegin
Aigner, hätte ich eine Bitte. Vielleicht sind Sie in der
Lage, diese zu erfüllen. Können Sie uns etwas über „Kater Krümels Bauernhof“ sagen? Sie wissen, um welches
Propagandamaterial es sich dabei handelt.
Lieber Herr Kollege Koppelin, selbstverständlich beantworte ich Ihnen sehr gern diese Frage. Sie sprechen
ein Kindergartenspiel an, welches 1,8 Millionen Euro
gekostet hat. Ich habe mir diese Kiste, die an die Kindergärten verteilt wurde, einmal angeschaut, weiß aber bis
heute nicht, was die Kinder dabei genau lernen sollten.
Das Ganze wurde aus Zuschüssen für Ökolandbauprodukte finanziert.
({0})
Die Mittel stammen aus einem wohlklingenden Programm, dienten letztendlich aber zu nichts anderem, als
eine Wahlkampfkampagne für Rot-Grün zu führen.
({1})
Ich setze noch eines drauf, Herr Kollege Koppelin. Es
gab auch eine Postkartenaktion, die ebenfalls aus dem
Ökolandbauprogramm finanziert wurde. Auf einer
Karte, auf der Erdbeeren im Hintergrund zu sehen waren, stand: Vernasch mich! - Daneben war ein kleines
Püppchen abgebildet. Weil das hätte missverstanden
werden können, sind die Karten mit diesem Motiv eingestampft worden. Die Kosten betrugen 30 000 Euro.
({2})
Es gibt viele Familien in diesem Land, die sich freuen
würden, wenn sie 30 000 Euro im Jahr zur Verfügung
hätten.
({3})
Die 30 000 Euro wurden einfach vergeudet, ohne einen
Zweck erfüllt zu haben.
({4})
- Bitte schön.
({5})
Der Beifall geht schon von der Redezeit ab! Jetzt bitte
ich um ein bisschen Konzentration.
({0})
Diese Aufzählung könnte man beliebig fortsetzen.
Noch einmal: Es geht nicht darum, Öffentlichkeitsarbeit
komplett zu verbieten. Das ist nicht möglich; jede Bundesregierung ist darauf angewiesen. Aber die Kampagnen müssen erstens einen Informationsgehalt aufweisen
und zweitens realistisch ausgewiesen sein.
Lesen Sie einmal die Bemerkungen des Bundesrechnungshofs. Ich zitiere daraus, um sie Ihnen in Erinnerung zu rufen:
Nicht die Fachinformationen, sondern die Werbung
für die politischen Ziele der Bundesregierung steht
dabei im Vordergrund. Die Maßnahmen hätten daher nicht aus dem Bundesprogramm finanziert werden dürfen.
({0})
Damit ist das Ökolandbauprogramm gemeint. Was ist an
dieser Feststellung undeutlich? Klarer lässt es sich nicht
darstellen.
({1})
Seien Sie als Haushälter doch so ehrlich, solche Ausgaben unter den dafür vorgesehenen Titeln zu veranschlagen. Dann können wir gegenüber der Öffentlichkeit
deutlich machen, ob sie gerechtfertigt sind oder nicht.
({2})
Aber seien Sie nicht so scheinheilig, diese Ausgaben irgendwo im Haushalt zu verstecken, wo sie keiner finden
kann. Dieses Tricksen, Täuschen und Tarnen auf der
ganzen Linie werden wir uns nicht gefallen lassen. Deshalb teile ich die Auffassung des Kollegen Kaster, die
auch im Antrag unserer Fraktion zum Ausdruck kommt.
In dem Bereich Öffentlichkeitsarbeit, Veröffentlichungen und Ähnliches gibt es noch so viel Luft, dass
Sie aus den dafür vorgesehenen Mitteln locker die Fluthilfe für Südostasien aufbringen können, ohne in anderen Bereichen Kürzungen vorzunehmen. Sie könnten sogar noch weitere Aktionen daraus bestreiten.
Herzlichen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 15/3557 zu dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion
mit dem Titel „Ausweitung der Öffentlichkeitsarbeit der
Bundesregierung in Zeiten knapper Kassen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/3311
abzulehnen.
({0})
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Das
erste war offenkundig die Mehrheit. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Sportausschusses ({1}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Daniel
Bahr ({2}), Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Initiative des Europäischen Parlaments, des
Europäischen Rates und der UNO zur Förderung des Sports nachhaltig unterstützen
- Drucksachen 15/2418, 15/4690 Berichterstattung:
Abgeordnete Dagmar Freitag
Winfried Hermann
Es wäre schön, wenn diejenigen, die nicht an der Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt teilnehmen können, nun durch eigene sportliche Betätigung den Plenarsaal schnell verlassen könnten, um die notwendige
Konzentration der Beteiligten sicherzustellen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für
diese Debatte eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu
höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Kollege Reinhold Hemker für die SPD-Fraktion.
({3})
- Das mache ich doch immer, Detlef.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Wer das Europäische Jahr der Erziehung durch
Sport 2004 aufmerksam verfolgt und sich auf den Konferenzen mit den Projekten befasst hat, der weiß, dass
die im FDP-Antrag angesprochenen Ministerien sehr gut
beteiligt gewesen sind. Ob es daran gelegen hat, dass der
Antrag von 2003 stammt und von daher schon etwas älter ist, dass insbesondere Detlef Parr und die Kolleginnen und Kollegen von der FDP trotzdem die Beteiligung
der Ministerien angemahnt haben, will ich dahingestellt
sein lassen. Ich habe jedenfalls bei einigen wichtigen internationalen Konferenzen wie der bekannten Konferenz
der Evangelischen Kirche in Deutschland mit weiteren
Beteiligten aus anderen europäischen Ländern in Sülz
erfahren, dass die Zuständigkeiten bereits innerhalb der
verschiedenen Ministerien verteilt sind.
Was die einzelnen Ressorts wie Forschung, Gesundheit und Familie angeht, haben wir festgestellt, dass die
Verzahnung des Gesamtthemas „Erziehung durch Sport“
gut funktioniert hat. Aus dem Programm der großen internationalen Konferenz, dem Internationalen Forum in
Bad Boll, geht hervor, dass die Akteure, die bereits in
der UNO-Resolution Ende 2003 erwähnt wurden, erneut
beteiligt sind und wichtige Beiträge leisten. Dies wäre
nicht möglich gewesen, wenn wir im letzten Jahr nicht
eine entsprechende Akzentsetzung vorgenommen hätten
und wenn sich nicht auch außerhalb der formalen Strukturen des Sports sehr viele beteiligt hätten. Ich habe zum
Beispiel junge Unternehmer kennen gelernt, die ein Bildungsunternehmen unter dem Namen „Young College“
gegründet haben, das es sich zur Aufgabe gemacht hat,
positive Erfahrungen mit dem Sport über das Internet
und andere neue Medien zu vermitteln und so - um es
deutlich zu sagen - kleine dicke Kinder, die ständig vor
dem PC sitzen, dazu zu bewegen, Sport und damit auch
Gesundheitsprävention zu betreiben. Lieber Detlef
Parr, es ist ganz wichtig, dass wir die positiven Erfahrungen mit dem Sport auch vermitteln.
Eine Chance dafür bietet in der Tat das UNO-Jahr für
Sport und - nun wird es schwierig - „physical education“. Ich habe mir einmal angeschaut, welche deutschen
Übersetzungen es für diesen Begriff gibt. Detlef Parr,
allein in eurem Antrag gibt es verschiedene Übersetzungen. Einmal ist von „Körperkultur“, ein anderes Mal von
„Körpererziehung“ oder von „Leibesertüchtigung“ die
Rede. Vielleicht sollten wir im Sportausschuss einmal
darüber nachdenken, welchen schönen Begriff es in
unserer deutschen Sprache gibt, um „physical education“ adäquat zu übersetzen.
Wichtig ist nun, die Dinge zu berücksichtigen, die
Adolf Ogi, den Beauftragten für das UNO-Jahr des
Sports, veranlasst haben, zu sagen: Deutschland hat bereits eine Vorreiterrolle im Hinblick auf die Ausweitung
der sportlichen Aktivitäten eingenommen. Es wird natürlich erwartet, dass Deutschland seine Vorreiterrolle
weiter wahrnimmt. Das geht selbstverständlich nur,
wenn die inhaltlichen Voraussetzungen, die in den letzten Jahren, insbesondere im letzten Jahr, geschaffen worden sind, auch Eingang in die Projekte und Programme
dieses Jahres finden.
Ich möchte auf zwei Dinge zu sprechen kommen, die
mir im letzten Jahr aufgefallen sind. Für mich ist es eine
wichtige und positive Erfahrung, dass bei der Gesundheitsreform, die unsere Gesundheitspolitiker gemeinsam mit der Bundesregierung auf den Weg gebracht haben, der Aspekt der Prävention durch eine bessere
Ausgestaltung des § 20 SGB V stärker zum Tragen
kommt. Es ist gelungen, das Thema Prävention durch die
Anregungen des Sportausschusses - es gab eine Anhörung und einen fraktionsübergreifenden Antrag - in den
Vordergrund zu rücken, und zwar in Verbindung mit dem
Sport. Wir haben es offensichtlich geschafft, dass nun
auch die Akteure draußen - die Krankenkassen, die
Sportverbände, die Verbraucherberatungsstellen und alle
diejenigen, die sich mit Weiterbildung befassen, wie die
Volkshochschulen - den sich daraus ergebenden Auftrag
sehr ernst nehmen.
Dass wir uns schon im Herbst letzten Jahres mit den
Eckpunkten eines Präventionsgesetzes befassen konnten
und dass wir die Präventionsempfehlungen des Forums
ernst nehmen, zeigt, dass wir Schritt für Schritt Fortschritte erzielen. Wenn wir im laufenden Jahr ein Präventionsgesetz, an dessen Erarbeitung der Sportausschuss sicherlich beteiligt sein wird, verabschieden - ich
hoffe, dass das schon in der ersten Jahreshälfte möglich
sein wird -, dann sind wir wieder ein Stück vorangekommen.
Wenn ich mir die entsprechende UNO-Resolution
anschaue, dann stelle ich fest, dass es in einem Teil um
Erziehung zu mehr Lebenstüchtigkeit durch Sport geht.
Sport wird darin als Mittel der Gesundheitserziehung
verstanden, als Mittel zur Kriminalitätsbekämpfung
- „Sports against Crime“ steht für eine große Kampagne
im südlichen Afrika, die ich vor zwei Jahren kennen gelernt habe -, als Mittel zur Aidsprävention und als Mittel
zur Verbesserung der Grundbildung mit dem Ziel, weltweit die Lebensqualität der Menschen, die sich nicht so
viel leisten können wie wir, durch sportliche Aktivitäten
zu verbessern.
All das haben wir als diejenigen, die sich in diesem
Parlament besonders um den Sport kümmern, bereits in
den letzten zwei Jahren diskutiert und vorangebracht. So
gesehen könnte die heutige Debatte über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der FDP auch ein Stück
Übergang zu dem sein, was wir in den nächsten Monaten
machen werden.
Ich will in diesem Zusammenhang eine Anmerkung
zur Vorbereitung und zur Durchführung der FußballWeltmeisterschaft 2006 in Deutschland - sie wird in
dem Antrag ebenfalls erwähnt - machen. Einen Aspekt
möchte ich besonders herausstellen. Ganz viele in
Deutschland - wahrscheinlich ist es die Mehrheit - sagen: Diese Fußballweltmeisterschaft ist für uns ökonomisch, sportlich und kulturell ganz wichtig. Einige
- dazu gehöre auch ich als Mitglied christlich organisierter Aktionsgruppen - beteiligen sich an Kampagnen wie
„Fit for Fair“. Diese Kampagne wird übrigens in Zusammenarbeit mit Sportausstattern wie Adidas, Karstadt und
anderen durchgeführt. Hinzu kommen viele, die weltweit tätig sind.
Wichtig ist, dass die Menschen, die internationale Solidaritätsarbeit leisten, erkannt haben: Es gibt Spitzensportler und Trainer wie Jürgen Klinsmann, die den Stellenwert sozialer und ökologischer Standards bei der
Produktion von Sportartikeln erhöhen wollen. Offensichtlich kommt es in Deutschland - das habe ich so
noch nie erlebt - zu einem Bündnis zwischen Sportlern
und engagierten Sportfans auf der einen Seite und denjenigen, die internationale Solidaritätsarbeit leisten, auf
der anderen Seite.
An dieser Stelle sage ich all denjenigen ein Dankeschön, die das unterstützen. Die Landesregierung von
Nordrhein-Westfalen - ich komme aus diesem Bundesland - unterstützt das Ganze außerordentlich. Mit dem
Aspekt der „grünen“ Spiele - Herr Staatssekretär, auch
Sie als Roter in der Bundesregierung wissen, wofür das
Wort „grün“ in diesem Fall steht - gehen Initiativen einher, die etwas voranbringen. - Wunderbar! Das bringt
uns den Vorstellungen, die dem „International Year of
Sport and Physical Education 2005“ zugrunde liegen
und in den entsprechenden UNO-Resolutionen formuliert worden sind, näher.
Wenn der Bereich des Sports als Teil der bilateralen
und multilateralen Entwicklungszusammenarbeit nicht
weiter ausgebaut wird, dann wird es sportliche Betätigung in vielen Teilen dieser Welt nur in sehr beschränktem Umfang geben. Über den Ausbau des Sports auf
dem Gebiet der internationalen Kulturbeziehungen haben wir schon vor anderthalb Jahren im Sportausschuss
und auch hier im Plenum auf der Grundlage eines Antrages, den die Koalitionsfraktionen eingebracht hatten,
diskutiert. Das allein ist allerdings zu wenig. Die Fachleute, die zum Beispiel in Sportprogrammen des NOK
tätig waren, sagen: Wir brauchen Antikriminalitätsarbeit, Aidspräventionsarbeit, eine offizielle Beschreibung des Sports, der die Funktion von Erziehungsarbeit
hat.
Wenn das auf dem Hintergrund dessen, worüber wir
heute hier diskutieren, im Laufe dieses Jahres durch die
Begleitveranstaltungen zum UNO-Jahr erreicht wird,
dann könnten wir am Jahresende sagen und unseren
Partnern in den Ländern der so genannten Dritten Welt
versprechen, dass wir das ausbauen. Wenn das nicht geschähe, würden die mit den zahlreichen begonnenen
Projekten verbundenen Aufgaben im Zusammenhang
mit dem „International Year of Sport and Physical
Education 2005“ nicht erfüllt. Das ist einfach so.
Auch in Richtung der Kolleginnen und Kollegen im
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - ich sehe den Kollegen Detlef Dzembritzki und anderer, die sich in ihren Ausschüssen mit Verbraucherschutzfragen beschäftigen, sage ich mit Blick auf
die Diskussionen im Sportausschuss in den letzten Monaten: Mein Wunsch ist, dass diese Aufgaben erfüllt
werden. Wenn das geschieht, hat es sich gelohnt, heute
über den Antrag der FDP, über die Beschlussempfehlung
des Sportausschusses und über die Perspektiven dieses
UNO-Jahres zu diskutieren.
Herzlichen Dank.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Bernd Heynemann,
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die
Generalversammlung der VN hat am 17. November
2003 beschlossen, das Jahr 2005 zum Internationalen
Jahr des Sports und der Leibeserziehung als Mittel zur
Förderung der Bildung, der Gesundheit, der Entwicklung und des Friedens zu erklären, und bittet die Regierungen, Veranstaltungen zu organisieren, die ihr Engagement deutlich machen, und Persönlichkeiten des Sports
für eine diesbezügliche Unterstützung zu gewinnen.
Das Jahr 2005 hat bereits begonnen und es folgt - wie
bereits von meinem Vorredner erwähnt - auf das Jahr der
Erziehung durch Sport in 2004. 104 Initiativen sind aus
Deutschland auch international bekannt. Zeitlich betrachtet befinden wir uns in diesem Jahr zwischen zwei
großen sportlichen Ereignissen: 2004 fanden die Olympischen Spiele statt und nächstes Jahr, 2006, findet die
Weltmeisterschaft im Fußball statt. In diesem Jahr haben
wir die World Games in Duisburg, die die gesamte Palette des Sportes dokumentieren und komplettieren.
Wenn ich sage, das Jahr 2005 habe bereits begonnen,
so meine ich damit: Von den UN und auch vom Europäischen Parlament sind die Staaten und Regierungen aufgefordert worden, dieses Jahr mit Leben zu erfüllen. Bisher gibt es aber für Deutschland kein Konzept, keine
Projekte oder Absichten dazu, wie dieses Jahr auf nationaler und internationaler Ebene mit Leben erfüllt werden
soll.
({0})
Das müssen wir Ihnen, werte Kollegen von Rot-Grün,
vorwerfen.
({1})
Es gibt Ansatzpunkte genug. Denken wir nur an das
Präventionsgesetz - es ist bereits erwähnt worden -,
das die sportliche Seite und das sportliche Tun noch stärker verankern soll, oder an die Initiativen des Deutschen
Sportbundes! Denken wir an die Bewegungsarmut - besser gesagt: die Bewegungsfaulheit - der Kinder und
Schüler in unseren Schulen sowie die Problematik des
Übergewichts! Gestern stand in der „Berliner Morgenpost“, dass Berliner Kinder immer dicker werden. Rund
12 Prozent der Jungen und mehr als 13 Prozent der Mädchen leiden bereits an krankhaftem Übergewicht. Es
geht darum, mindestens zwei Sportstunden, möglichst
drei Sportstunden wöchentlich abzusichern. Aber wir
wissen, dass dies in den meisten Bundesländern noch ein
Wunschtraum ist und dass wir verstärkt auf dieses
Manko hinweisen müssen.
({2})
Mit einem solchen Jahr des Sportes können wir Signale setzen: für den Sportstättenbau und die Sportstättenunterhaltung, für die steuerliche Entlastung der Vereine,
für die Förderung des Behindertensports, für die Initiativen „Frauen und Sport“ und, was nicht zu vergessen ist,
aufgrund unserer demographischen Entwicklung für die
Vorrangigkeit des Seniorensports.
Der Deutsche Sportbund hat bereits vor einiger Zeit
seine sportpolitische Konzeption vorgestellt. Darin betont er, dass unsere Gesellschaft unter anderem auf Netzwerke bürgerschaftlicher Beteiligung angewiesen ist.
Dabei spielt der Sport eine äußerst wichtige Rolle für die
Integration und ist ein weites Feld für Ehrenamtliche.
Sport ist damit das Elixier des Humankapitals unserer
Gesellschaft.
({3})
Dies unterstreicht nochmals, dass der Sport in allen
Politikfeldern mehr Gewicht erhalten muss. Dazu reicht
es nicht, meine Damen und Herren von Rot-Grün, im
Bundesministerium des Innern die Zahl der Planstellen
zu erhöhen und die Abteilungen zu erweitern.
Wenn wir dieses Jahr nutzen wollen, muss ein Konzept auf den Tisch, das nicht nur die Bedeutung des
Sports in sozialer Hinsicht stärkt. Es müssen auch wieder Werte vermittelt werden, unter anderem Fairplay.
Ich betone an dieser Stelle: Schade, dass der Sportstandort Deutschland jetzt mit einer Sportwettenmafia in den
Schlagzeilen steht!
({4})
- Darüber sollten wir reden, Kollege Danckert.
({5})
Weitere Werte sind: die Erziehung zur Körperkultur, der
Leistungswille, die Integration und das Sozialverhalten,
aber auch Teamgeist, Gemeinschaftssinn und Solidarität
sowie Disziplin und Toleranz.
Diese Werte sind nicht nur für das Verhalten im Sport,
sondern auch für das Verhalten in der Gesellschaft wichtig. Deshalb ist es notwendig, dem Doping und der
Gewalt konsequent den Kampf anzusagen. Doping gibt
es nicht nur im Hochleistungssport. Auch im Breitenund Freizeitsport hat es immer mehr Einfluss. Da gilt es,
mit Aufklärungskampagnen zu überzeugen - da wäre
das Geld gut angelegt - und dem Doping den Boden zu
entziehen.
({6})
Gewalt, besonders unter Jugendlichen, die sich nicht
nur auf immer brutalere Weise auf dem Schulhof, sondern auch in Graffitiaktivitäten äußert - Sie wollen die ja
nicht zum Bereich der Straftaten zählen -,
({7})
ist ein weites Feld. Im Jahr des Sports besteht die Möglichkeit, diese Randerscheinungen in den Mittelpunkt zu
rücken und den Wert des Sports für eine friedliche Gesellschaft zu unterstreichen. Partnerschaften im Sport
sollten aufgebaut werden, und zwar auf verschiedenen
Ebenen: Der Starke hilft dem Schwachen, er unterstützt
ihn in seiner Entwicklung und fördert durch den Sport
verschiedenste Aktivitäten.
Ein Schwerpunkt in diesem Jahr ist nicht nur der aktive Sport, sondern auch das Ehrenamt, was in 2004
auch seine Würdigung fand. Jetzt aber gilt es, das Ehrenamt weiterhin zu fördern, zu unterstützen, zu entbürokratisieren und die Vereine auf solide, praxisnahe Füße zu
stellen und sie nicht durch die Administration zu behindern oder gar zu bestrafen.
({8})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stimmen dem FDP-Antrag zu, weil er etwas von Ihnen, von
der Koalition, einfordert, was für ein so wichtiges und
international bedeutsames Jahr 2005 normal ist. Starten
Sie mit uns eine gemeinsame Initiative zum Jahr des
Sports und lassen Sie uns gemeinsam den Sport in den
gesellschaftlichen Fokus stellen, damit alle aktiv werden! Der Sport hat gemeinsame Aktivitäten verdient,
weil er ein zu wertvolles Gut ist, als nur separat für parteibezogene Zwecke benutzt zu werden.
Vielen Dank.
({9})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Detlef Parr für die
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sport ist
längst keine Privatsache mehr, sondern zu einem zentralen gesellschaftspolitischen Thema geworden. So ist es
zu begrüßen, dass sowohl die EU durch das „Europäische Jahr der Erziehung durch Sport“ im vergangenen
Jahr als auch die Vereinten Nationen mit dem soeben
eingeläuteten „Jahr des Sports und der Leibeserziehung“
- ich übersetze das jetzt einmal so, Reinhold ({0})
seine nationale und internationale Bedeutung herausstellen. Die europäische Initiative ist abgeschlossen. Die Resonanz auch bei uns in Deutschland - da muss ich dir
Recht geben - war positiv. Es wurden 120 Projektanträge in Brüssel gestellt; 21 deutsche sind genehmigt
worden. Daneben gab es viele begleitende Ereignisse.
Der erste Teil unseres Antrages scheint damit erledigt.
Ich will aber doch darauf hinweisen, dass dieses „Europäische Jahr der Erziehung durch Sport“ kein Alibijahr
bleiben darf. Wir müssen kontinuierlich daran arbeiten,
den Erziehungsauftrag des Sports im Zentrum unserer
Betrachtungen zu halten, so wie es gerade der Kollege
Bernd Heynemann noch einmal sehr deutlich betont hat,
besonders im Hinblick auf Leistungsbereitschaft, Willenskraft und präventives gesundheitliches und soziales
Verhalten.
Meine Damen und Herren, die Vermittlung von
Werten in Familie, Schule und Gesellschaft ist gerade
vor dem Hintergrund aktueller Skandale so notwendig
wie nie zuvor. Leben und Handeln nach Gesetzen und
anerkannten Spiel- und Verhaltensregeln muss wieder zu
einer Selbstverständlichkeit werden.
({1})
Was nutzen alle intellektuellen Fähigkeiten, wenn die
Hemmschwellen unmoralischen, selbstsüchtigen Handelns immer weiter sinken und sich zunehmend sogar
kriminelle Energien entladen? Der Sport ist Spiegel der
Gesellschaft, er ist selbst betroffen. Betrug durch Doping
oder die Schiedsrichteraffäre sind traurige Beispiele.
({2})
Aber in der Sportbewegung steckt auch genügend Kraft,
um diese Probleme aufzudecken und zu lösen; da bin ich
zuversichtlich. Wir Liberalen setzen mehr auf gesellschaftliche Selbstheilungskräfte als auf die gesetzgeberische Keule - hoffentlich nicht vergebens.
({3})
Der frühere Bundespräsident der Schweiz, Adolf Ogi,
betont als UN-Sonderberater für Sport im Dienst von
Entwicklung und Frieden die besondere Rolle des Sports
als Vorbereiter politischer Entscheidungsprozesse. Erinnern wir uns nur an die vielen sportlichen Begegnungen
zwischen Ost und West vor der Wiedervereinigung unseres Landes! Diese menschlichen Kontakte haben viel
zur Entspannung beigetragen und manche Grenze, vor
allem in den Köpfen, bereits vorher fallen lassen. Gerade
in Krisengebieten kann der Sport integrativ wirken, auch
wenn die Politik noch nicht so weit ist. Ich denke dabei
zum Beispiel an die koreanische Halbinsel. Als stellvertretender Vorsitzender der deutsch-koreanischen Parlamentariergruppe habe ich erfahren, dass Deutschland
dort im Norden wie im Süden eine enorme Wertschätzung entgegengebracht wird. Karl-Heinz Rummenigge
und Franz Beckenbauer zum Beispiel sind selbst im abgeschotteten Norden ein Begriff. Ich glaube, wir täten
gut daran, den Vereinigungsprozess in Korea auch im
UN-Jahr des Sports ein bisschen stärker zu unterstützen.
({4})
So wichtig die Förderung der Integration von Migranten und die Gleichstellung von Mann und Frau auch
sind, wie vom BMI herausgestellt, sollten wir dennoch
unseren Fokus auf Projekte der Erziehung und der
Gesundheitsförderung richten. Die in unserem Hause
gerade anlaufende Debatte über ein Präventionsgesetz
fordert das geradezu heraus. Wir sollten auch laufende
Kampagnen für das UN-Jahr nutzen, zum Beispiel die
Kampagnen „Sport tut Deutschland gut“ oder „Deutschland bewegt sich“. Auch der Behindertensport muss seinen Platz finden, vor allem nach dem eindrucksvollen
Abschneiden bei den Paralympics in Athen im Jahr
2004.
Zum Abschluss möchte ich noch sagen: Wollen wir
auch in Deutschland das UN-Jahr des Sports zum Erfolg
führen, dann, Herr Staatssekretär, sollten Sie Ihre
Öffentlichkeitsarbeit schnellstens auf den Prüfstand
stellen. Auf der Homepage des BMI findet man die verschiedensten Projekte, aber nichts über das UN-Jahr des
Sports. Man erfährt beispielsweise nicht, wie und bei
wem man sich bewirbt. Herr Staatssekretär, schauen Sie
einmal in die Schweiz! Dort wurde unter
„www.sport2005.ch“ eine gute Seite geschaltet.
Unser Antrag hat diese Debatte bewirkt. Er hat Anstöße gegeben - bereits erledigte und noch zu realisierende. Er ist der Zustimmung wert, liebe Kolleginnen
und Kollegen auf der linken Seite.
Herzlichen Dank fürs Zuhören.
({5})
Das Wort hat nun die Kollegin Ursula Sowa, Bündnis
90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich den starken
Plädoyers der anderen Fraktionen nur anschließen.
({0})
- Ja, das sind große Gemeinsamkeiten. Das ist sehr erfreulich.
Aktuell erleben wir eine große Solidarität des Sports
mit den Betroffenen der Flutkatastrophe in Asien. Der
Sport hat hier genauso schnell reagiert wie sehr viele
Hilfsorganisationen. Auch die Sportbeteiligten haben finanzielle Mittel für die humanitäre Hilfe bereitgestellt
und engagieren sich beim Wiederaufbau. Viele kleine
Vereine und Verbände haben ein wirklich großartiges
Engagement gezeigt. Ich denke, das sollte hier einmal
gewürdigt werden.
({1})
Ich würde mir wünschen, dass aus der Fluthilfe dauerhafte Partnerschaften zwischen verschiedenen Organisationen entstehen, was auf politischer Ebene natürlich gewünscht wird. Wenn der Sport hierzu einen Beitrag
leisten kann, dann ist das nur zu begrüßen. Denn diese
Partnerschaften werden durch das Prinzip der Solidarität
und der gemeinsamen Verantwortung getragen.
Diesen Weltgedanken des Sports bringen die Vereinten Nationen in ihrer Resolution vom November 2003
zum Ausdruck. Die Vereinten Nationen nennen die Bereiche Bildung, Gesundheit, Entwicklung und Frieden,
die durch Sport gefördert und vorangebracht werden sollen. Für das Kulturgut Sport ist diese Resolution ohne
Zweifel ein wichtiger Schritt. Als Kulturpolitikerin kann
ich das hier nur unterstreichen.
Die regionalen und nationalen Möglichkeiten und
Funktionen des Sports werden in einem internationalen
Kodex verankert. Damit werden natürlich weitere Möglichkeiten des Sports vorgezeichnet. Sport wird als wichtiger Baustein für zentrale gesellschaftliche Bereiche
- ich nenne hier ganz besonders Frieden und Völkerverständigung - anerkannt. Die Förderung von internationalen Sportprojekten ist also zugleich - dieses Wort ist
nicht zu hoch gegriffen - Friedensförderung. Es war besonders die deutsche Seite, die in den Verhandlungen zur
EU-Verfassung darauf gedrängt hat, den Sport in einem
Verfassungsartikel zu verankern. Für dieses Anliegen
gab es hier eine parteiübergreifende Einigkeit.
Das Auswärtige Amt finanziert zahlreiche Projekte
im Rahmen der auswärtigen Kulturpolitik. Wir fördern
die im Ausland bekannten Trainerlehrgänge an der Uni
Leipzig und - was sehr wichtig ist und was hier noch
nicht genannt wurde - wir stellen im Bundeshaushalt zusätzliche Gelder in Höhe von immerhin 700 00 Euro für
eine gezielte Umsetzung des internationalen Jahres des
Sports bereit.
({2})
Noch eine weitere gute Nachricht. Viele Projekte sind
schon eingereicht worden. Die entsprechende Konzeption ergibt sich aus der UNO-Resolution. Wer setzt sie
um? Diese Regierung.
({3})
- Herr Kollege, ich habe gesagt: zusätzlich.
Auch andere Ministerien sind aufgerufen. Zum Beispiel könnte das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit aus unserer Sicht in Zukunft selbstverständlich wieder mehr Sportprojekte fördern.
({4})
Sportprojekte können helfen, die Zivilgesellschaft weiter
aufzubauen. Es wurde schon genannt - auch wir sehen
das so -: Diese Sportprojekte fördern Fairness, Sozialverhalten, Gesundheit und Konfliktprävention.
Ich möchte betonen, wie wichtig es ist, dass der Deutsche Sportbund und das Nationale Olympische Komitee
bei ihren derzeitigen Fusionsgesprächen die internationale Ausrichtung des Sportes immer wieder betonen.
Dies ist aus meiner Sicht ein Anliegen, das keine sportpolitische Eintagsfliege bleiben soll. Darauf drängen
auch Sie immer wieder; ich denke, die Sportpolitiker
sind da einer Meinung. Es sollte natürlich weiterhin im
Haushalt darauf geachtet werden, dass Projekte, die begonnen worden sind, auch zu Ende geführt werden können. Dass das ohne finanzielle Mittel nicht geht, ist uns
allen klar.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem
Sinne hoffe ich, dass wir das Internationale Jahr des
Sports 2005 als Auftrag verstehen. Bei den kommenden
Sportereignissen wird es eine tolle Gelegenheit geben,
Deutschland als guten Gastgeber vorzustellen. Die Besucherinnen und Besucher sowie die zahlreichen Sportfans
sollen sich im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft
2006 schon in diesem Jahr davon überzeugen können:
Deutschland ist ein tolerantes, sympathisches und gastfreundliches Land. Alle hier Anwesenden, die Sportveranstaltungen besuchen werden, können dazu einen Beitrag leisten. Vielleicht sehen wir uns und vielleicht trägt
jeder zum Bereich Friedensstiftung etwas bei.
Danke schön.
({5})
Frau Kollegin Sowa, es besteht sogar eine gewisse
Chance, dass wir uns auf solchen sportlichen Großveranstaltungen in einer noch größeren Anzahl treffen werden,
als das zu diesem Zeitpunkt im Deutschen Bundestag der
Fall ist.
({0})
Nun erhält zum Schluss dieser Debatte das Wort der
Kollege Klaus Riegert, CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wie die Debatte bisher gezeigt hat, verfügt der
Sport wie kein anderes Medium über ein weltweites
Netzwerk im Sinne der Völkerverständigung, der Körperkultur und der Wertevermittlung. Die Initiativen des
Europäischen Parlaments und der UNO wollen bewusst
machen, welche ureigenste Bedeutung Sport hat: Freude
an der Bewegung, um Körper und Geist in Einklang zu
bringen.
Sport ist in unserem Land in der öffentlichen Wahrnehmung so präsent wie kaum ein anderer gesellschaftlicher Bereich. Wir haben im Sport einen hohen Organisationsgrad. Der Deutsche Sportbund ist mit 27 Millionen
Mitgliedern und 87 000 Vereinen die größte Bürgervereinigung in unserem Land. Das ist eine hervorragende
Bilanz.
({0})
Die mediale Inszenierung des Sports, dessen Kommerzialisierung und der weltweit unerreichte hohe Organisationsgrad des deutschen Sports dürfen aber nicht
darüber hinwegtäuschen, dass der Sport bei vielen Menschen in der täglichen Praxis noch nicht angekommen
ist. Bewegungsarmut nimmt in einem erschreckenden
Maße zu. Stoffwechsel- und Herzkreislauferkrankungen
sind immer häufiger schon bei jungen Menschen die
Folge. Dies betrifft nicht nur Kinder und Berliner, lieber
Bernd Heynemann. Die Zahl der fettleibigen Kinder
und Jugendlichen steigt rapide. Mediziner bezeichnen
jedes vierte Kind als fettleibig. Fehlende Bewegung verbunden mit falscher Ernährung lässt die Zahl der an Diabetes leidenden Menschen in die Höhe schnellen.
({1})
Schon bei Fünfjährigen wurde Altersdiabetes festgestellt.
Wir haben wie in vielen anderen Bereichen keine Erkenntnisdefizite, sondern Umsetzungsdefizite. Die Sachverständigen der Krankenkassen, der Wissenschaft und
des Sports haben in einer Anhörung im Sportausschuss
deutlich gemacht: Geht es mit der gesundheitlichen
Fehlentwicklung von Kindern und Jugendlichen so weiter, dann stehen die Krankenkassen in 20 Jahren vor einer Kostenlawine, die weder von der Gesellschaft noch
vom Einzelnen zu bewältigen ist.
Wir brauchen deshalb Kampagnen, um auf diese Situation hinzuweisen, ein Bewusstsein dafür zu wecken
und Abhilfe zu schaffen.
({2})
Wir brauchen Anreize für mehr aktives Sporttreiben. Der
Deutsche Sportbund bietet dafür qualitativ sehr gute Gesundheitsprogramme an.
Seit Jahren diskutieren wir über den Schulsport, ohne
entscheidend vorangekommen zu sein. Quantität und
Qualität sind nicht gesichert. Eine Schulsportstudie
weist die Beliebtheit dieses Faches nach. Gleichzeitig ist
die Ausfallquote gegenüber anderen Fächern nach wie
vor beängstigend hoch. Schulsport wird von vielen, vor
allem von vielen Eltern, immer noch nicht als gleichwertiges Unterrichtsfach anerkannt.
({3})
Wir müssen Kinder und Jugendliche durch einen überzeugenden Unterricht an den Sport heranführen, damit
lebenslanges Sporttreiben nicht nur Lippenbekenntnis
ist. Die Eltern sollten ihre Kinder aber auch zum Sporttreiben anhalten.
Wir wissen aus einer Befragung der DLRG unter
schulpflichtigen Kindern, dass nur 66 Prozent der Kinder schwimmen können und nur 17,1 Prozent dieser
Kinder das Schwimmen in der Schule gelernt haben. Zu
Recht mahnt der Präsident des Deutschen Sportbundes,
Manfred von Richthofen, dass es auf der einen Seite zu
Schließungen von Bädern kommt, die für den Schwimmunterricht geeignet sind, auf der anderen Seite aber mit
Millionen EU-Mitteln Spaßbäder errichtet werden.
({4})
Diese Spaßbäder sind in der Regel für Schulklassen
nicht zugänglich und für das Erlernen des Schwimmens
ungeeignet. Trotz dieser Erkenntnis schließen wir weiter
Schwimmbäder.
Wir haben in den Ballungsgebieten die Bewegungsräume eng und Spielen und Sporttreiben in unmittelbarer
Wohnnähe fast unmöglich gemacht. Lärm von spielenden Kindern und Jugendlichen wird als unzumutbar
empfunden. Wir tolerieren eher den Lärm des Straßenund Flugverkehrs als lärmende Kinder. Hier muss sich
unser Bewusstsein ändern.
({5})
Meine Damen und Herren, wir wissen aus wissenschaftlichen Untersuchungen: Wer sich regelmäßig bewegt, wer regelmäßig Sport treibt, ist nicht nur gesünder,
sondern auch leistungsfähiger. Diese Erkenntnis liegt
weltweit vor. Wir nehmen sie zur Kenntnis, setzen sie
aber nicht entsprechend um. Die Popularität des Sports
in der täglichen Wahrnehmung findet keinen entsprechenden Niederschlag in der Praxis.
Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist es unverständlich, warum die Sportpolitiker von SPD und Bündnis 90/Die Grünen den Antrag der FDP abgelehnt haben.
Wollen sie nicht, dass der Sport eine besondere Berücksichtigung im Präventionsgesetz erfährt? Sind SPD und
Bündnis 90/Die Grünen gegen eine Stärkung der Kompetenzen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, gegen eine Koordination der Ministerien, gegen
den Abbau von Bürokratie auf europäischer Ebene?
Oder bestreiten die Koalitionsfraktionen den Wert des
Sports für Erziehung und Integration etc.? Bei aller Parteidisziplin hätte ich mir etwas mehr Souveränität in der
Sache seitens der Sportpolitiker gewünscht.
({6})
Wir begrüßen die Programme und Initiativen des
Europäischen Parlaments und der UNO für den Sport.
Sie allein schaffen jedoch keine Abhilfe. Wir hoffen,
dass möglichst viele Aktionen und Events die Bedeutung
des Sports in das Bewusstsein der Menschen bringen
und sie zum aktiven Sporttreiben bewegen.
Danke schön.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Sportausschusses auf Drucksache 15/4690 zum Antrag der FDP-Fraktion mit dem
Titel „Initiative des Europäischen Parlaments, des Europäischen Rates und der UNO zur Förderung des Sports
nachhaltig unterstützen“. Der Ausschuss empfiehlt, den
Antrag auf Drucksache 15/2418 abzulehnen. Immerhin
haben wir inzwischen, was die zahlenmäßige Stärke angeht, in etwa die Beteiligung an einem durchschnittlichen Zweitligaspiel erreicht, was für die Ermittlung der
Mehrheitsverhältnisse vielleicht eine gewisse Erschwernis darstellt. Ich frage einmal, wer dieser Beschlussempfehlung zustimmen möchte? - Das ist doch ziemlich
übersichtlich. Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der
Stimme? - Das Erste ist nach übereinstimmender Auffassung des Präsidiums die Mehrheit. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen.
({0})
- Das habe ich diesmal aus nahe liegenden Gründen unterlassen, Herr Kollege Winkler. Das können wir zweifelsfrei im Protokoll festhalten.
Wir sind damit am Schluss unser heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 16. Februar 2005, 13 Uhr,
ein.
Für die in der Zwischenzeit anfallenden Veranstaltungen, vor allem in den zahlreichen Wahlkreisen, in denen
Karneval bzw. Fastnacht zu den Hochzeiten des Jahres
gehören, wünsche ich allen beteiligten Kollegen einige
interessante, stimmungsvolle und vor allen Dingen unfallfreie Tage. Schönes Wochenende!
({1})
Ich schließe die Sitzung.