Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/27/2005

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Sitzung ist eröffnet. Der Kollege Peter Rauen hat gestern seinen 60. Geburtstag gefeiert. Ich darf ihm dazu im Namen des Hauses die besten Wünsche übermitteln. ({0}) Außerdem gebe ich bekannt, dass der Kollege JannPeter Janssen mit Wirkung vom 24. Januar 2005 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet hat. Als Nachfolger hat der Abgeordnete Lars Klingbeil am selben Tag die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße den neuen Kollegen sehr herzlich. ({1}) Hinsichtlich der Besetzung von Gremien möchte ich Sie informieren, dass ich auf Vorschlag des Haushaltsausschusses die Kollegen Bernhard Brinkmann für die Fraktion der SPD, Jochen-Konrad Fromme für die Fraktion der CDU/CSU und Otto Fricke für die Fraktion der FDP sowie die Kollegin Anja Hajduk für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen als Mitglieder des Verwaltungsrates der neu errichteten Bundesanstalt für Immobilienaufgaben benennen werde. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU Unterschiedliche Meinungsäußerungen aus Koalition und Bundesregierung zu Studiengebühren ({2}) ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({3}) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Jörg Tauss, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Grietje Bettin, Volker Beck ({4}), Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Cornelia Pieper, Dr. Karl Addicks, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Impulse für eine internationale Ausrichtung des Schulwesens - Den Bildungsstandort Deutschland auch im Schulbereich stärken - Drucksache 15/4723 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({5}) Innenausschuss ZP 3 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache ({6}) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({7}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Entwurf eines Rahmenbeschlusses über die Vorratsspeicherung von Daten, die in Verbindung mit der Bereitstellung öffentlicher elektronischer Kommunikationsdienste verarbeitet und aufbewahrt werden, oder von Daten, die in öffentlichen Kommunikationsnetzen vorhanden sind, für die Zwecke der Vorbeugung, Untersuchung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten, einschließlich Terrorismus Ratsdok.-Nr. 8958/04 - Drucksachen 15/3696 Nr. 2.15, 15/4748 Berichterstattung: Abgeordnete Axel Schäfer ({8}) Michael Grosse-Brömer Jerzy Montag Sibylle Laurischk ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Börnsen ({9}), Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Immobilienwirtschaft sicherstellen - Immobilien und Versicherungsmakler stärken - Drucksache 15/4714 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({10}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Darüber hinaus ist vorgesehen, die Tagesordnungspunkte 10, 12, 13, 16, 18 und 23 d abzusetzen und Redetext Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner morgen den Tagesordnungspunkt 20, Änderung des Bundeswahlgesetzes, bereits nach dem Tagesordnungspunkt 15, Änderung der Art. 35 und 87 a des Grundgesetzes, aufzurufen. Schließlich mache ich auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam: Der in der 152. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Tourismus ({11}) zur Mitberatung überwiesen werden. Gesetzentwurf der Abgeordneten Olaf Scholz, Hermann Bachmaier, Sabine Bätzing, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck ({12}), Jutta Dümpe-Krüger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien - Drucksache 15/4538 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({13}) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss gemäß § 96 Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahreswirtschaftsbericht 2005 der Bundesregierung Den Aufschwung stärken - Strukturen verbessern - Drucksache 15/4700 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({14}) Finanzausschuss Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresgutachten 2004/2005 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung - Drucksache 15/4300 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({15}) Finanzausschuss Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister Wolfgang Clement.

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005301

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem bedrückend beeindruckenden Gedenken an die unfassbaren Verbrechen der Deutschen ist es nicht ganz leicht, jetzt über den Jahreswirtschaftsbericht zu sprechen, über ökonomische Daten und Fakten, über Statistiken und Perspektiven. Gerade in einer Zeit, in der rechtsradikale Geister in unserem Land sich wieder zu Wort melden, und zwar in einer die Opfer schmähenden und, wie ich meine, damit uns beleidigenden, geradezu obszönen Art und Weise, ist das Bemühen um Wachstum, um Arbeitsplätze und um eine neue Balance der sozialen Gerechtigkeit sicher nicht die einzige Antwort, die wir zu geben haben, aber eine der Antworten, die in einer solchen Phase der Geschichte der Bundesrepublik wichtig sein können. ({0}) Ich möchte mich vor diesem Hintergrund auch gegen so manches Zerrbild wehren, das von unserem Land gezeichnet wird. Diese Bundesrepublik Deutschland ist ungeachtet aller Diskussionen eine der wirtschaftsstärksten Nationen der Welt; das wissen wir. Es ist ein Land der sozialen Marktwirtschaft. Es ist ein soziales und ökologisch verantwortetes Land, in dem wir leben. Es gibt nicht viele Länder auf der Welt mit vergleichbaren ökonomischen Daten, mit einer vergleichbaren sozialen Sicherheit und mit einer vergleichbaren ökologischen Ausstattung zum Schutz von Klima und Umwelt. ({1}) Deshalb wenden wir uns mit dem Jahreswirtschaftsbericht, den Sie offensichtlich schon seit Tagen in der Hand haben - das entnehme ich der zum Teil munteren Kritik -, auch gegen den immer noch grassierenden Negativismus in Deutschland; das ist darin auch im Einzelnen belegt. Wir tun das mit Hinweis auf die Stärken, auf die Pluspunkte unseres Landes. Davon will ich Ihnen einige nennen: Erstens. Man muss offensichtlich häufig wiederholen, dass dieses Land so exportstark ist wie zurzeit kein anderes auf der Welt. ({2}) Kein anderes Land auf der Erde hat im Jahre 2003 mehr Waren erfolgreich exportiert als die Bundesrepublik Deutschland. Es spricht alles dafür, dass dies auch im vergangenen Jahr der Fall gewesen ist, dass wir also von dieser Exportstärke nichts verloren haben. Ich verweise zweitens auf die hohe preisliche Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Wir haben nämlich in unserem Land in den letzten Jahren eine außerordentlich moderate und konstante Entwicklung der Lohnstückkosten zu verzeichnen gehabt - anders als in den meisten anderen Ländern des Euroraums. Nicht zuletzt dadurch hat sich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, gemessen an den realen Lohnstückkosten, erheblich verbessert. Im Verein mit dem guten Image der deutschen Wirtschaft und der hohen Qualität deutscher Produkte hilft dies, Marktanteile auch angesichts eines im Verhältnis zum Euro schwachen Dollars zu verteidigen. Ich verweise als dritte Stärke auf die geringen Inflationsraten in Deutschland. Der harmonisierte Index der Verbraucherpreise ist in Deutschland zwischen 1995 und 2004 jährlich um 1,3 Prozent gestiegen. Im gesamten Euroraum betrug die Inflationsrate 1,9 Prozent. Ich verweise viertens auf die außerordentlich niedrige Steuerquote in Deutschland: 21,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Mit dieser Steuerquote stehen wir im internationalen Vergleich hervorragend da. Wenn ich noch die Abgabenquote nennen darf - sie erhält man, wenn man zu der Steuerquote die Sozialversicherungsbeiträge hinzurechnet -: Wir liegen mit 36,2 Prozent nach Großbritannien mit 35,9 Prozent an zweiter Stelle; wir liegen aber deutlich vor Frankreich mit 44,2 Prozent oder Italien mit 41,1 Prozent. Der Prozess der Senkung der Steuerquote geht ja weiter. Gerade haben wir die letzte Stufe der Steuerreform 2000 umgesetzt, die die Unternehmen und die Bürger noch einmal um 6,8 Milliarden Euro entlastet. Ebenso geht der Prozess der Senkung der Lohnnebenkosten weiter. Ab 1. Juli werden die Unternehmen - das kommt insbesondere den kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland zugute - durch die Senkung der Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung um rund 4,5 Milliarden Euro entlastet. All dies sind Instrumente und Maßnahmen, mit denen wir die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft in Deutschland verbessern. Ich will fünftens noch auf die hohe technologische Leistungsfähigkeit in Deutschland verweisen. Auch da liegen wir international vorn. Nach den Erfindern aus den USA haben deutsche Erfinder im Jahr 2003 die meisten Patente in der Welt angemeldet. Der deutsche Anteil am Aufkommen aller Patente in der Welt liegt bei 19 Prozent. Als sechsten Pluspunkt verweise ich darauf, dass die Forschungs- und Entwicklungsausgaben bei uns in Deutschland seit Jahren ansteigen. Wir liegen jetzt bei 2,5 Prozent des Bruttosozialprodukts. Ich bin damit nicht zufrieden; wir alle sind damit nicht zufrieden. Das muss weiter steigen. Aber wir haben diese Ausgaben Schritt für Schritt erhöht und liegen zurzeit vor den großen europäischen Industrienationen, aber beispielsweise nicht vor den USA oder Japan. Wir müssen dringend die Aufwendungen für Wissenschaft und Forschung erhöhen. Deshalb werden wir ja nicht müde, an Sie, die Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP - insbesondere der Union -, zu appellieren, durch Zustimmung zum steuerlichen Subventionsabbau dazu den Weg frei zu machen. Ich denke hier etwa an die Eigenheimzulage. ({3}) Die deutsche Position in diesem Bereich ist trotzdem gut. Wir haben bei allem, was wir im Bildungssystem zu korrigieren und zu reformieren haben - wir alle wissen, worüber wir sprechen -, dennoch keinen Grund, unser Licht gleich völlig unter den Scheffel zu stellen. Es ist schon bemerkenswert, dass nur in den USA und in der Schweiz der Anteil derjenigen Bürgerinnen und Bürger, die über einen Abschluss des Sekundarbereichs II, nämlich das Abitur, verfügen, höher ist. Aber wir wissen, dass unser Schulwesen deutlich besser werden muss. Ferner wissen wir - jetzt greife ich einen Aspekt aus meinem Geschäftsbereich auf -, dass wir das Verhältnis zwischen Schulen und Betrieben dringend verbessern müssen. Ich setze darauf, dass wir mit dem Ausbildungspakt auf diesem Gebiet weiterkommen. Deshalb begrüße ich ausdrücklich die Kampagne wichtiger deutscher Unternehmen, die gestern in Berlin gestartet worden ist. Unter dem Stichwort „Wissensfabrik“ wollen sie 1 000 Unternehmen zusammenbekommen, die durch Patenschaften mit Schulen und ihr Engagement dazu beitragen wollen, dass die Orientierung in unseren Schulen auf das Berufs- und Wirtschaftsleben intensiver und der Übergang in das Berufs- und Arbeitsleben für viele Schülerinnen und Schüler verbessert wird. Ich habe darauf schon in unserer letzten Debatte hingewiesen. Ich verweise auf den siebten Pluspunkt, nämlich die hervorragende Infrastruktur in Deutschland, und zwar nicht nur im verkehrlichen Bereich, sondern auch in den Bereichen der Nachrichtenübermittlung und der Energieversorgung. Angesichts der Diskussion, die wir um das Energiewirtschaftsgesetz führen - achter Pluspunkt -, ist es mir sehr wichtig, deutlich zu machen, dass wir, bezogen auf die Strom- und Gasnetze, zwar selbstverständlich Wettbewerb brauchen, dabei aber auch darauf achten müssen, dass die Investitionsfähigkeit unserer Energieversorgungsunternehmen erhalten bleibt; denn wir brauchen eine sichere Energieversorgung. Ich unterstreiche noch einmal das, was ich gestern schon öffentlich gesagt habe: Daneben müssen die energieintensiven Unternehmen in Deutschland ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten können. Das sind insbesondere die Unternehmen, die in außerordentlich hohem Maße auf die Versorgung mit Strom angewiesen sind, wie beispielsweise die Aluminiumindustrie. Wir müssen alles tun, damit diese Unternehmen, diese Industrien, diese Branchen am Standort Deutschland bleiben können. ({4}) Sie gehören zum Cluster der Automobilindustrie in Deutschland und zu anderen. Deshalb müssen wir bei der sehr wichtigen Reform des Energiewirtschaftsrechts mit Augenmaß vorangehen. Als neunten Punkt hebe ich die Bedeutung des sozialen Friedens in Deutschland hervor. Ich habe den Eindruck, bei mancher Diskussion wird vergessen, wie wichtig es ist, dass in Deutschland zwischen Unternehmen und Gewerkschaften ein hohes Maß an sozialem Frieden erzeugt worden ist, sodass beispielsweise die Zahl der durch Streik verloren gehenden Arbeitstage im internationalen Vergleich außerordentlich niedrig ist. Und zwar wurde trotz der vielen Warnungen und Befürchtungen von Ihrer Seite und ungeachtet der Forderungen, die Gesetze zu ändern, auf dem Wege der betrieblichen Vereinbarungen in den Unternehmen in Deutschland eine Flexibilität herbeigeführt, Herr Kollege Brüderle, die ihresgleichen sucht: 50 Prozent der heute in Deutschland Erwerbstätigen arbeiten nach flexiblen Arbeitszeiten. Ich weiß nicht, wie viele Volkswirtschaften schon so weit sind. 40 Prozent der deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer arbeiten auf der Basis von Arbeitszeitkonten. Wir brauchen diese Flexibilität, die auf freiwillige Weise, ohne gesetzliche Änderungen, ohne Eingriffe in die Tarifhoheit und -freiheit hergestellt worden ist. Wir setzen darauf, dass dies weitergeht. ({5}) Meine Damen und Herren, das sind einige der Aspekte, die uns veranlassen, zu sagen, dass es in Deutschland wirtschaftlich aufwärts geht. Das zeigt das wirtschaftliche Wachstum, das wir im vergangenen Jahr hatten, und das, was wir für dieses Jahr erwarten. Die 1,6 Prozent sind nicht zu hoch veranschlagt. Das wissen alle Beteiligten. Wir brauchen mehr wirtschaftliches Wachstum, um in Deutschland mehr Beschäftigung erzeugen zu können. Aber wir sind auf dem Pfad des wirtschaftlichen Wachstums. Es bleibt richtig: Die Phase der Stagnation ist vorbei. Es kommt jetzt darauf an, uns insbesondere mit einer Fortsetzung der zügigen Reformarbeit darauf zu konzentrieren, den Aufschwung in Deutschland in einen lang anhaltenden Wachstumsprozess übergehen zu lassen und dazu alle unsere Kräfte zu mobilisieren. ({6}) - Richtig, Herr Kollege. Deshalb werde ich nicht müde werden, dies auch jetzt wieder zu sagen. Darin finde ich immer mehr Unterstützung, Herr Kollege Hinsken. Das ist vielleicht etwas, was Sie beachten sollten. ({7}) Es ist sehr gut, dass gerade heute die Gesellschaft für Konsumforschung nach einer Befragung von 2 000 Bürgerinnen und Bürgern mitgeteilt hat, dass sich das Konsumklima in Deutschland im Dezember deutlich verbessert habe, dass die aus den Untersuchungen dieser Gesellschaft seit Oktober 2004 berechneten Daten eindeutig nach oben zeigten, dass sich alle Einzelindikatoren - die Einkommenserwartungen der Bürger, die Konjunkturerwartungen der Bürger und ihre Neigung zu Anschaffungen - in einem deutlichen Aufwärtstrend befänden und dass die Zuversicht vieler Bürgerinnen und Bürger hinsichtlich der Entwicklung der Einkommen aufgrund des größten Schrittes, den wir getan haben, wachse. Sie werden verstehen, dass ich dies sehr begrüße. Ich versuche ja entgegen Ihren Unkenrufen, die Bürgerinnen und Bürger zum Konsum zu ermutigen. Ich begrüße natürlich, dass gerade jetzt der Ifo-Geschäftsklimaindex, die ZEW-Konjunkturerwartung der Analysten und die Ergebnisse der Untersuchung der GfK veröffentlicht wurden. Alle Indikatoren, die uns zurzeit vorliegen, weisen nach oben. Deshalb ist meine Bitte an Sie: Verabschieden Sie sich von Ihrer Neigung zum Pessimismus und zur Schwarzmalerei ({8}) und wirken Sie daran mit, alles zu tun, was notwendig ist, um die Stimmung in Deutschland zu verbessern und die wirtschaftliche Erholung zu unterstützen. In unserem Jahreswirtschaftsbericht sagen wir sehr deutlich - das habe ich gestern noch deutlicher zu sagen versucht -: Es dauert länger als erwartet, bis sich die wirtschaftliche Erholung auch auf den Arbeitsmarkt auswirkt. Ich habe bezüglich der aktuellen Daten darauf hingewiesen: Anfang Januar dieses Jahres haben wir die bisherigen Systeme der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe, der staatlichen und der kommunalen Fürsorge, zu einem System zusammengeführt. Dadurch nehmen wir einige 100 000 Menschen - niemand von uns weiß zur Stunde, wie viele es genau sind; es können 200 000, 300 000 oder noch mehr Menschen sein -, die bisher Sozialhilfe bezogen haben und erwerbsfähig sind bzw. als erwerbsfähig gelten, aber nicht in der Arbeitslosenstatistik aufgeführt waren, in die Arbeitsvermittlung auf. Der Effekt ist, dass wir die Dunkelziffer des Arbeitsmarktes um diese Arbeit suchenden Menschen verringern. Gleichzeitig entsteht dadurch im Januar dieses Jahres vom Arbeitsmarkt in Deutschland ein Bild, das viel komplizierter als je zuvor ist. Darauf will ich in aller Klarheit und Deutlichkeit hinweisen; denn ich weiß, wie solche Entwicklungen auch interpretiert werden können. Die momentan stattfindende saisonal begründete Verschlechterung der Situation auf dem Arbeitsmarkt, die Tatsache, dass sich die Arbeitsagenturen auf die Technik des Zusammenführens von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe konzentrieren mussten, vor allen Dingen aber, dass jetzt Menschen, die bisher Sozialhilfe bezogen haben, in der Arbeitslosenstatistik auftauchen - all dies wird dazu führen, dass die Arbeitsmarktzahlen, die wir für die kommenden Monate erwarten, mit denen, die wir bisher gewohnt waren, nicht vergleichbar sein werden. Dennoch sage ich: Wir müssen damit rechnen, dass die durchschnittlichen Arbeitslosenzahlen in diesem Jahr steigen. Das hat mit dem Überhang aus dem Jahr 2004 zu tun. Ende des Jahres 2004 gab es in Deutschland etwa 90 000 Arbeitsuchende mehr, als zuvor kalkuliert worden war. Im Jahr 2005 wird sich dieser Überhang - gerechnet auf den Jahresdurchschnitt - in einer Größenordnung von etwa 50 000 bemerkbar machen. Wenn wir den aus der Hartz-IV-Reform resultierenden statistischen Effekt berücksichtigen - das haben weder die Sachverständigen in ihrem Gutachten noch wir getan; wir können ihn auch nur ungefähr beziffern -, dann rechnen wir für das Jahr 2005 im Jahresdurchschnitt mit einer Erhöhung der Arbeitslosenzahlen um 150 000. ({9}) - Das ist nur schwer zu verstehen, Herr Kollege. Dennoch wird es zu der Entwicklung kommen, dass die Arbeitslosigkeit - das jedenfalls ist unsere Erwartung, die in unseren Darstellungen auch belegt ist - im Jahresverlauf um etwa 200 000 sinken wird, sodass die Arbeitslosenzahlen Ende 2005 - das erwarten wir - um etwa 200 000 niedriger sein werden als Ende 2004. ({10}) Das alles ist noch nicht die große Wende am Arbeitsmarkt, die ohnehin niemand auf Knopfdruck herbeiführen kann und für die es auch kein Patentrezept gibt. Aber das ist der Beginn einer Phase - wir sind überzeugt davon -, die peu à peu zu einer Reduzierung der Arbeitslosigkeit in Deutschland führen wird, auch wenn sich die Zahlen zu Beginn dieses Jahres in einer für diejenigen, die sich nicht mit den einzelnen Effekten beschäftigen können, erschreckenden Weise verschlechtern werden. Das ist die gegenwärtige Situation. Eine weitere Bitte, die ich an alle, die mithelfen wollen, richte, ist: Lassen Sie uns vor allen Dingen darauf konzentrieren, die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland zu senken. Uns allen, den Arbeitsagenturen, den Arbeitsgemeinschaften und den Kommunen stehen die entsprechenden Instrumente zur Verfügung. Wir alle haben andere und mehr Instrumente zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit als je zuvor. Ich setze darauf, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger, diejenigen, die in Unternehmen, Verwaltungen, Instituten und Institutionen Verantwortung tragen, Manager, Unternehmer, Personalräte, Betriebsräte und vor allen Dingen diejenigen, die in der Jugendarbeit Verantwortung tragen, dabei helfen, dass nach Möglichkeit - darum habe ich schon einmal gebeten - in vielen, möglichst in allen Regionen Deutschlands Jugendkonferenzen stattfinden und dass wir uns auf jeden Fall mit dem Thema Jugendarbeitslosigkeit beschäftigen; denn es ist dringend notwendig, der allgemeinen Arbeitslosigkeit den Nachwuchs zu entziehen. Ich habe gesagt, dass wir die Reformarbeit fortsetzen müssen. Dazu sind im Jahreswirtschaftsbericht die Ansätze genannt. Es geht um die Fortsetzung der Reform der sozialen Sicherungssysteme. Wir nennen als Ziel, die Lohnnebenkosten in Deutschland mittelfristig unter 40 Prozent zu bringen. Ich nenne die Marktliberalisierung und den Bürokratieabbau. Ich habe schon auf die Notwendigkeit eines unverfälschten Wettbewerbs im Hinblick auf die Strom- und Gasnetze hingewiesen. Ich verweise auf das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, das wir jetzt an das europäische Recht anpassen müssen; das bedeutet dann weniger Bürokratie für die Unternehmen und mehr Eigenverantwortung in der Rechtsanwendung. Ich verweise auf die von uns beabsichtigte Reform des Vergaberechts für die öffentliche Beschaffung. Auch wenn der BDI und andere das kritisieren: Das ist wichtig, weil das öffentliche Auftragswesen auf diese Weise transparenter und anwendungsfreundlicher wird. Ich verweise auf die Notwendigkeit der Reform der Mittelstandsfinanzierung, der Gründungsfinanzierung, an der wir arbeiten und von der ein Teil auch davon abhängt, ob wir durch den Wegfall der Eigenheimzulage die Mittel bekommen, um mit der Wirtschaft zusammen einen Seed-Kapital-Fonds für die Gründung von technologieorientierten Unternehmen aufzubauen. ({11}) Ich verweise auf den Aufbau Ost, bei dem wir durch die stärkere Konzentration auf die regionalen und sektoralen Potenziale in Ostdeutschland - beispielsweise durch Innovationskonferenzen, beispielsweise durch Clusterkonferenzen - mehr Bewegung in die wirtschaftliche, in die strukturelle Entwicklung zu bringen versuchen. Es werden im Laufe dieses Jahres eine Reihe von Innovationskonferenzen und eine Reihe von Clusterkonferenzen stattfinden, die wir schon angekündigt haben. Ich will aber auch deutlich machen, meine Damen und Herren, dass zum Erfolg, zum Wachstum in Deutschland auch die Einordnung unserer Politik in den europäischen und in den weltweiten Rahmen gehört. Deshalb haben wir - der Bundeskanzler, der Bundesfinanzminister und ich - sehr deutlich gemacht und ich will das unterstreichen: Jawohl, wir brauchen in Deutschland eine Weiterentwicklung des Stabilitätsund Wachstumspaktes. Wir müssen dafür sorgen, dass dieser Pakt auch dem Ziel dient, das die Staats- und Regierungschefs uns und sich in Lissabon gesetzt haben: das Wachstum zu fördern. Das können wir nicht mit einer mechanistischen Politik erreichen, sondern dafür müssen wir mit Rücksicht auf die konjunkturellen Entwicklungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union angemessen flexibel reagieren können. Ich verweise auf die Notwendigkeit, den Binnenmarkt in Europa zu vervollkommnen, insbesondere durch eine weitere Öffnung der Dienstleistungsmärkte, und plädiere deshalb für eine konstruktive und zügige Beratung und Verabschiedung der Dienstleistungsrichtlinie - selbstverständlich, wie wir es in unserem Bericht deutlich machen, unter Wahrung der berechtigten Schutzbelange der Mitgliedstaaten etwa im Arbeitsrecht, etwa im Gesundheitsrecht, etwa im Bereich der inneren Sicherheit. Ich verweise auf die Notwendigkeit der Modernisierung der europäischen Industriepolitik. Wir brauchen - und dazu haben der Bundeskanzler, der französische Präsident und der britische Premier die Signale gesetzt eine Erneuerung, eine Renaissance der Industriepolitik hier in Europa. Wir sind auf dem Wege, dies zu praktizieren, beispielsweise bei der Automobilindustrie, bei der europäischen Chemikalienpolitik und auf anderen Feldern. Gerade auf den Märkten in der Welt, auf denen die deutsche und die europäische Industrie im weltweiten Wettbewerb stehen, brauchen wir ein „level playing field“, also gleiche oder zumindest annähernd gleiche Wettbewerbsbedingungen. Wir müssen uns von der Vorstellung lösen, wir in Deutschland oder Europa könnten die Maßstäbe für den weltweiten Wettbewerb allein setzen. Nein, diese Maßstäbe werden auch in Japan, in den USA und anderswo gesetzt und darauf muss sich unsere Industrie einstellen können. Meine Damen und Herren, es ist natürlich schwer, in 20 Minuten darzustellen, ({12}) was in einem Jahreswirtschaftsbericht enthalten ist; darum konnte ich es nur mit wenigen Strichen zu skizzieren versuchen. Zudem musste ich noch zum Sachverständigenbericht Stellung nehmen. An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen, den Sachverständigen für ihre Arbeit zu danken. Ich bin überzeugt, dass wir mit dem, was wir hier auf den Weg bringen bzw. gebracht haben, und mit dem, was wir - ich kann es hier nur skizzenhaft andeuten - auf den Weg bringen werden, die Voraussetzungen für mehr Wachstum und mehr Beschäftigung in Deutschland verbessern können. Diese Voraussetzungen sind zur Stunde günstig wie seit Jahren nicht mehr. Wir müssen die Gunst der Stunde nutzen. Damit werden wir dann auch das schaffen können, was wir uns vorgenommen haben: das Vertrauen der Konsumenten und der Investoren zu stärken und so den Aufschwung zu festigen und auf diese Weise unseren Beitrag für mehr Beschäftigung und weniger Arbeitslosigkeit in Deutschland zu leisten. Das ist das Hauptziel, das wir verfolgen, nämlich die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland, die uns alle bedrücken muss und viele von uns auch bedrückt, endlich zu verringern. Damit wir das schaffen können, dürfen wir von unserem Weg nicht abweichen. Wir müssen den Weg unserer Reformen, den wir mit der Agenda 2010 und dem, was daraus abzuleiten ist, eingeschlagen haben, konsequent weitergehen. Dazu lade ich ein und bitte ich um Unterstützung. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Ronald Pofalla, CDU/CSUFraktion. ({0})

Ronald Pofalla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001726, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundeswirtschaftsminister, ich stimme Ihnen zu: Nach dem politischen Terminkalender ist es in der Tat leider manchmal so, dass unmittelbar im Anschluss an eine bewegende Gedenkstunde eine Wirtschaftsdebatte stattfindet. Bei allen Unterschieden, die wir haben, sind uns allen in der Gedenkstunde die Gemeinsamkeiten der Demokraten des Deutschen Bundestages zu Recht deutlich geworden. Dafür will ich mich bedanken. ({0}) Herr Bundeswirtschaftsminister, ich habe Ihrer Rede sehr aufmerksam zugehört und habe natürlich auch den Jahreswirtschaftsbericht gelesen. Ich kann es Ihnen nicht ersparen, zu sagen, dass ich nicht nur von Ihrer Rede, sondern noch mehr vom Inhalt des Jahreswirtschaftsberichts enttäuscht bin, weil Sie dem deutschen Parlament trotz der höchsten Arbeitslosigkeit seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland hier und heute und auch in dem Bericht keinen einzigen Vorschlag unterbreitet haben, wie Sie als der zuständige Minister diese höchste Arbeitslosigkeit beseitigen wollen. Das ist ein erstklassiger politischer Offenbarungseid. ({1}) Der Bundeskanzler hat zum Jahreswechsel mitgeteilt - Herr Clement, das werden Sie registriert haben -, dass der Bundeswirtschaftsminister für das Gelingen von Hartz IV persönlich verantwortlich ist. Ich finde, dass war eine bemerkenswerte Mitteilung. Als diese Mitteilung kam, habe ich mich gefragt, was Wolfgang Clement schon wieder angestellt hat. Warum betont der Bundeskanzler die ohnehin eindeutige politische Verantwortlichkeit des Bundeswirtschafts- und -arbeitsministers? Die Antwort ist relativ klar: Ihr Bundeskanzler wollte sich vorsorglich von ihm absetzen. In der Politik bezeichne ich das als prophylaktische Distanzierung. ({2}) Herr Clement, um die Jahreswende herum sind Sie für verschiedene Hintergrundberichte interviewt worden. Ihrer Nervosität zum Jahreswechsel habe ich entnehmen können, dass Sie genau diese Gefahr gesehen haben. Sie mussten wissen, dass dieser Bundeskanzler für die einzelnen Bundesminister nicht verlässlich ist, wenn es schwierig wird. ({3}) Nun zum Layout des Jahreswirtschaftsberichts. Dort ist ein Kind auf der Schaukel abgebildet. Was soll uns das sagen? ({4}) Wollten Sie uns damit sagen, dass sich Deutschland im freien Fall befindet oder dass Deutschland die Bodenhaftung verloren hat? Vielleicht wollten Sie uns hier im Deutschen Bundestag auch nur verschaukeln. Meine Antwort ist klar: Sie wollen uns verschaukeln! Das wollen Sie nicht einmal mehr verheimlichen, was Sie durch ein entsprechendes Layout deutlich machen. ({5}) In den letzten Wochen und Monaten habe ich die Prognosen des Bundeswirtschaftsministers immer wieder verfolgt. Ich erlaube mir die Anmerkung, Herr Clement: Sie sind der Prognosemeister dieser Bundesregierung. Aber die Realität hat gezeigt, dass Ihre Prognosen nicht nur nicht zutreffend sind, sondern sie auch überholt werden: Jahr für Jahr, Monat für Monat. Zwischenzeitlich ist die Halbwertszeit Ihrer Prognosen nur noch im Tagesrhythmus zu messen. Bei allen wirtschaftlichen Determinanten - darauf werde ich gleich eingehen - liegen wir in Europa im Tabellenkeller. Dafür sind Sie persönlich verantwortlich. ({6}) Vor zwei Jahren, am 14. Februar 2003, sagte Herr Clement bei der Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht - ich zitiere wörtlich -: Wir erwarten … ein Wiederanziehen des Wachstums im zweiten Halbjahr. Anstatt des versprochenen Wachstumsschubs betrug das Wachstum in 2003 minus 0,1 Prozent, der zweitniedrigste Wert seit der Wiedervereinigung und das drittschlechteste Wachstum seit 1980. Im letzten Jahr haben Sie hier im Hohen Hause in dieser Debatte erklärt - ich zitiere wieder -: Aufgrund dieser und anderer Reformen wird die Arbeitslosenzahl weiter sinken. Ab Sommer wird sie sich … verringern. Die Wirklichkeit sah - ich betone: leider - erneut anders aus. Die Arbeitslosigkeit im vergangenen Jahr war, rechnet man Ihre Statistiktricks heraus, die höchste, die jemals in der Bundesrepublik Deutschland seit ihrem Bestehen registriert worden ist. Keine Ihrer Prognosen ist eingetreten, und zwar auf Kosten von Millionen von Arbeitslosen. ({7}) In diesem Jahr setzen Sie Ihre wundervollen optimistischen Ankündigungen nahtlos fort, die aber leider nur wenig mit der Realität gemein haben. ({8}) Am 2. Januar dieses Jahres - ich rede nicht vom vorigen oder vorvorigen Jahr - hat der Bundeswirtschaftsminister im Blick auf die Arbeitslosenzahlen gesagt, sie befänden sich „in einem Gleitflug nach unten“. Am 8. Januar, also wenige Tage später, hieß es dann, die Arbeitslosenzahlen würden um 15 bis 20 Prozent sinken; das wäre ein Rückgang um fast 900 000. Die Aussage ist gerade einmal 19 Tage alt, Herr Bundeswirtschaftsminister. Im Jahreswirtschaftsbericht heißt es jetzt: Die Arbeitslosigkeit wird im Jahresdurchschnitt bei oberhalb von 4,5 Millionen liegen. - Herr Minister, das ist kein Gleitflug, sondern ein Sturzflug auf dem Arbeitsmarkt. Dafür sind Sie persönlich verantwortlich. ({9}) Kommen wir zu den entscheidenden Wirtschaftsdaten; dabei können wir uns auf Datenmaterial, das der Bundesregierung und auch dem deutschen Parlament zugänglich ist, berufen. Schauen wir einmal in den Jahreswirtschaftsbericht des Sachverständigenrates aus dem Winter des vergangenen Jahres. ({10}) In diesem großen Werk von über 1 000 Seiten entwickeln die Wissenschaftler zwei Größen, die sie einander gegenüberstellen: Dem vermuteten tatsächlichen Wachstum auf der einen Seite steht das so genannte Potenzialwachstum auf der anderen Seite gegenüber. ({11}) - Herr Poß, wenn Sie schon die Gutachten nicht lesen, sollten Sie wenigstens die Gelegenheit nutzen und zuhören, damit Sie den Sachverstand dieses Gutachtens zur Kenntnis nehmen können. Die Gutachter haben beim Vergleich dieser beiden Größen Folgendes festgestellt: Das tatsächliche Wirtschaftswachstum der Bundesrepublik Deutschland ist bereits an der oberen Schwelle des Potenzialwachstums angekommen. ({12}) Anders ausgedrückt: In Deutschland gibt es nicht mehr Wachstumspotenzial als die 1,7 Prozent des vergangenen Jahres und die von Ihnen für dieses Jahr erwarteten 1,6 Prozent. Das bedeutet, dass die Reformen, die in den letzten Jahren von Ihnen begonnen worden sind, eben nicht ausreichen, ({13}) um zu einer substanziellen Veränderung in Deutschland zu kommen. ({14}) Wir haben ein zweites Problem. Das besteht darin, dass die Wachstumsschwelle, deren Überschreitung zur Schaffung von Vollarbeitsplätzen führt, bei circa 2 Prozent liegt. ({15}) Anders ausgedrückt: Bei dem von Ihnen selbst prognostizierten Wachstum von 1,6 Prozent werden wir substanziell in diesem Jahr auf dem Arbeitsmarkt nicht nur keine Veränderungen, sondern im Jahresdurchschnitt ohne den Hartz-IV-Effekt 50 000 zusätzliche Arbeitslose in der Bundesrepublik Deutschland haben. Damit wird deutlich, dass der Reformprozess, der von dieser Bundesregierung zu Recht an der einen oder anderen Stelle in Angriff genommen worden ist, eben nicht ausreicht, um zu Wachstum und zu einer Verringerung der Arbeitslosenzahlen in Deutschland in diesem Jahr und in den nächsten Jahren zu kommen. Sie haben nicht gesagt, mit welchen Gesetzen und mit welchen Initiativen Sie versuchen, diese Probleme zu lösen. ({16}) Ich finde es sehr schön, dass auf der Regierungsbank zwei Minister beieinander sitzen, von denen der eine heute hier die bundesrepublikanische Situation in rosaroter Farbe gemalt hat, während der neben ihm sitzende noch im Dezember für den Haushalt der Bundesrepublik Deutschland im vergangenen Jahr die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts festgestellt hat. Was stimmt denn jetzt? Ist die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, das Herr Eichel im Dezember des vergangenen Jahres im Nachtragshaushalt hat feststellen lassen, gegeben oder kommt - was unserer Meinung aber jeder Realität entbehrt - die wirtschaftliche Entwicklung in Fahrt, sodass die Euphorie von Herrn Clement berechtigt ist? Ich glaube, dass leider - ich betone: leider - Herr Eichel Recht hat, wenngleich ich der Auffassung bin - aber das wird in Karlsruhe geklärt -, dass die Feststellung der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, wie Sie sie vorgenommen haben, verfassungswidrig war. Das war nur der Versuch, den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu entsprechen. Sie sind sich nicht einmal auf der Regierungsbank darüber einig, wie die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist. ({17}) Sie sollten versuchen, sich untereinander abzustimmen, ob wir die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts feststellen müssen oder ob wir eine positive Entwicklung nehmen. Wir können hier angesichts der enormen Zunahme der Arbeitslosenzahlen feststellen, dass die Entwicklung in Deutschland nicht ausreichend ist und die Situation in Deutschland weitere Reformen erfordert. ({18}) Wir sind beim Wirtschaftswachstum EU-weit die Bremse Nummer 1. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs ist in den beiden vergangenen Jahren um fast 1 Million gesunken, Tendenz weiter fallend. Es ist bemerkenswert und bezeichnend, Herr Bundeswirtschaftsminister, dass Sie darauf in Ihrem Jahreswirtschaftsbericht mit keinem einzigen Satz eingegangen sind. Offensichtlich wollen Sie genau diese Tatsache politisch ignorieren. Die deutschen Unternehmen haben im letzten Jahr über 50 000 Arbeitsplätze ins Ausland verlagert. Auch dazu kein einziger Satz im Jahreswirtschaftsbericht! ({19}) Während in allen anderen Euroländern die Beschäftigung in den vergangenen Jahren teilweise deutlich zugenommen hat, stagniert sie in Deutschland. In keinem Euroland war der Zuwachs so gering wie bei uns. Ausländische Firmen ziehen ihr Kapital aus Deutschland ab. Wir leben in dem einzigen großen Industrieland, in dem die Direktinvestitionen zurückgehen. Noch niemals zuvor gab es so viele Unternehmenspleiten wie im vergangenen Jahr. Rund 40 000 Unternehmen ({20}) - zu den Gründungen sage ich gleich etwas - haben im vergangenen Jahr in Deutschland leider die Tore schließen müssen. Auch dazu finden sich nur ganz wenige Anmerkungen im Jahreswirtschaftsbericht. Herr Minister, Sie haben gestern die steigende Zahl der Existenzgründungen erwähnt. Das ist sicherlich eine gute Entwicklung. Aber Sie können nicht leugnen - diese Zahlen finden sich nur sehr verklausuliert im Jahreswirtschaftsbericht -, dass der Prozentsatz von neu gegründeten Unternehmen, die Zuschüsse vom Staat in Anspruch nehmen, in den vergangenen Jahren enorm gestiegen ist. 1986 betrug dieser Anteil 2 Prozent und 1998 20 Prozent. Mittlerweile sind in 65 Prozent der Fälle staatliche Zuschüsse Voraussetzung für eine Existenzgründung. Diese falsche Entwicklung ist eingetreten, weil Sie die entsprechenden wirtschaftlichen Rahmendaten nicht gesetzt haben, damit Unternehmen in Deutschland ohne Staatsgeld gegründet werden können. ({21}) Herr Bundeswirtschaftsminister, damit deutlich wird, dass zumindest die Opposition im Deutschen Bundestag zu weiteren Reformen bereit ist, schlage ich Ihnen namens meiner Fraktion einen Pakt für Deutschland vor. ({22}) Dabei möchte ich Ihnen zehn Reformvorhaben vorschlagen, die wir noch in diesem Jahr im Deutschen Bundestag gemeinsam bewältigen können, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, um Wachstumsimpulse zu geben, damit Deutschland und die Menschen in Deutschland wieder eine Perspektive haben: Erstens. Wir senken noch in diesem Jahr - die Möglichkeiten dazu gibt es - den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 1,5 Prozentpunkte. ({23}) Zweitens. Wir führen endlich die betrieblichen Bündnisse für Arbeit ein. Ich verstehe gar nicht, warum Sie sich dagegen so sträuben. Wir sind dazu bereit, solche betrieblichen Bündnisse vor dem Hintergrund gesetzlicher Veränderungen zu ermöglichen, damit in den deutschen Unternehmen mehr Flexibilität möglich ist, als es bisher der Fall ist. ({24}) Drittens. Wir sorgen dafür, dass Arbeitnehmer die Chance erhalten, ihren Job zu sichern, indem sie länger arbeiten dürfen, wenn Not am Mann ist. ({25}) Dazu muss das Günstigkeitsprinzip geändert werden. Auch dazu stehen wir bereit. ({26}) Viertens. Wir wollen im Tarifvertragsgesetz klar regeln, dass als Einstieg eine 10-prozentige untertarifliche Entlohnung möglich wird, um insbesondere Langzeitarbeitslosen, um die Sie sich in Ihrer Fraktion mehr kümmern müssten, wieder Möglichkeiten des Einstiegs in den Arbeitsmarkt zu geben. ({27}) Fünftens. Wir modernisieren das Kündigungsschutzrecht so, dass es vor allem im Mittelstand wieder zu Einstellungen anregt, und zwar auch in Zeiten unruhiger Konjunktur, wie wir sie derzeit haben. ({28}) Sechstens. Das Jugendschutzgesetz wird so gefasst, dass Betriebe mehr Möglichkeiten haben, jungen Menschen eine Chance zu geben. ({29}) Auch Sie haben es ja auf Ihre Agenda geschrieben, sich insbesondere um junge Menschen zu kümmern. Siebtens. Wir fördern die Einstellung von Teilzeitkräften, indem bei allen Schwellenwerten Teilzeitbeschäftigte nur entsprechend ihrer Arbeitszeit berücksichtigt werden. Achtens. Wir bauen das Betriebsverfassungsgesetz so um, ({30}) dass die betriebliche Mitbestimmung für alle Beteiligten kostengünstiger wird, ohne dass in der Substanz eine Beeinträchtigung eintritt. ({31}) Neuntens. Wir flexibilisieren das Arbeitszeitgesetz entsprechend dem EU-Recht und schaffen zugleich die rechtlich klaren Optionen für langfristige Arbeitszeitkonten. Zehntens. Wir entlasten den Mittelstand, indem die Pflicht zur Bestellung von Sicherheitskräften und Betriebsärzten sowie zur Aufstellung teurer Statistiken in kleinen Betrieben ausgesetzt wird, damit bei uns vor allem auch mittelständische Betriebe wieder atmen und existieren können. ({32}) Herr Bundeswirtschaftsminister, im Zusammenhang mit diesem Pakt für Deutschland, den wir Ihnen anbieten und bezüglich dessen aufseiten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Bereitschaft besteht, die Gespräche darüber mit der Bundesregierung sofort aufzunehmen, will ich einen weiteren Punkt nennen: Das deutsche Arbeitsrecht ist überreguliert. Es ist auch im nicht kodifizierten und durch die Rechtsprechung entwickelten Recht völlig überbordet. ({33}) Wir bieten Ihnen an, noch in diesem Jahr in einer Arbeitsgruppe aus Vertretern von Regierungskoalition und Oppositionsfraktionen an einem Arbeitsgesetzbuch zu arbeiten mit dem Ziel, das kodifizierte und nicht kodifizierte Recht so zu reduzieren und zusammenzufassen, dass sowohl Unternehmer als auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wissen, welche Rechte und Pflichten sie haben, und damit einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Beschäftigungsschwelle beim Wachstum eben künftig nicht mehr so hoch ist, wie es derzeit der Fall ist. ({34}) Herr Bundeswirtschaftsminister, ich befürchte, dass Sie selber nicht mehr die Kraft aufbringen, auf diese Vorschläge einzugehen. Schließlich hatten Sie ja auch nicht die Kraft, sich der Vorlage des Kabinetts zum so genannten Antidiskriminierungsgesetz zu widersetzen. Als Bundeswirtschaftsminister predigen Sie tagein, tagaus, dass die Bürokratie überbordet. Aber als Kabinettsmitglied billigen Sie ein solches bürokratisches Monster wie diesen Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes. Ich hätte von Ihnen erwartet, dass Sie im Kabinett deutlich machen, dass dieser Aberwitz, der vor allem mittelständische Unternehmen treffen wird, in die falsche Richtung geht und dass Sie als Bundeswirtschaftsminister einen solchen Gesetzentwurf nicht mittragen. ({35}) Wir alle bedauern sicherlich die Tatsache, dass es in Deutschland Millionen von Arbeitslose gibt. ({36}) - Mit dem Helfen ist das so eine Sache, Herr Poß. Der neue Armutsbericht zeigt, dass in Ihrer Regierungszeit die Zahl der armen Menschen in Deutschland um fast 3 Prozent gestiegen ist. Das ist eine sozialdemokratische Leistung, auf die Sie wahrlich nicht stolz sein können. ({37}) Wenn Sie schon nichts tun, dann sollten Sie sich zumindest vorhalten lassen, dass die Armut in Deutschland - übrigens durch die Arbeitslosigkeit bedingt - in Ihrer Regierungszeit exorbitant angestiegen ist. ({38}) Herr Bundeswirtschaftsminister, ich hoffe, dass Sie die Kraft finden, auf den Pakt für Deutschland einzugehen. Bringen Sie die Kraft auf, sich über Widerstände Ihrer Regierungskoalition hinwegzusetzen und weitere notwendige Reformvorhaben in Angriff zu nehmen, damit es Deutschland wieder besser geht! Die Deutschen haben das verdient. Herzlichen Dank. ({39})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Werner Schulz, Bündnis 90/Die Grünen.

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich schließe mich meinen Vorrednern an: Es ist sicherlich für jeden Redner schwierig, nach dieser eindrucksvollen Gedenkfeier zur politischen Tagesordnung überzugehen. Ich glaube, unsere Aufgabe wird darin bestehen, durch eine verbesserte parlamentarische Arbeit, mehr Transparenz und auch durch die Streitkultur, die wir pflegen, den rechtsradikalen Tendenzen im Land Paroli zu bieten. ({0}) Was die wirtschaftliche Situation im Land betrifft, Kollege Pofalla, ist bereits eine Verbesserung zu verzeichnen. Man muss schon ignorant sein, will man die wirtschaftliche Dynamik, die sich im vergangenen Jahr entwickelt hat, übersehen. Dass sie sich weiter fortsetzt, zeigen die Indikatoren und der Ifo-Geschäftsklimaindex. Auch der Jahreswirtschaftsbericht weist dies eindeutig aus. Ich glaube, es ist uns nicht damit geholfen, wenn wir der Nation permanent schlechte Laune einreden. ({1}) Ich meine, wir haben die Trendwende geschafft, die uns der Sachverständigenrat im vergangenen Jahr mit dem Titel seines Gutachtens „Erfolge im Ausland - Herausforderungen im Inland“ empfohlen hat. Dort hieß es: Wir haben die Chance, die Wirtschaftsschwäche, die sich in der Binnenkonjunktur zeigt, selbst abzustellen, weil wir die Möglichkeiten dazu haben, unsere Stärken besser herauszuarbeiten. In der Fußballersprache würde das neudeutsch heißen: Wir sind gut aufgestellt. - Die deutsche Wirtschaft ist leistungsfähig. ({2}) Es gibt eine leistungsfähige Unternehmerbasis, die es sogar geschafft hat, in den zurückliegenden schwierigen Jahren die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung für sich zu nutzen. Der Außenbeitrag ist einfach gut. Der Export liegt deutlich oberhalb des Imports. Viele Theorien, die derzeit auf dem Markt sind - wie die der so genannten Basarökonomie des Ifo-Professors Sinn -, sind barer Unsinn. ({3}) Die Wertschöpfung findet in diesem Land statt und nicht im Wege des Imports überzogener Vorleistungen. Der Jahreswirtschaftsbericht 2005 liefert den Optimismus, den wir brauchen. Vielleicht müssen wir manchmal nur die Sichtweise ändern. Anfang dieses Jahres sind die Mautgebühr und Hartz IV - sicherlich nach großen Anstrengungen - eingeführt worden. Aber anstatt das gebührend zu würdigen, lautet der Tenor der Berichterstattung: Chaos und Katastrophe sind ausgeblieben. Wenn wir so herangehen, dann gute Nacht! Dann werden wir nie etwas schaffen. ({4}) Hüten wir uns gleichermaßen vor überzogenem Pessimismus und Optimismus. Vielleicht kann uns hier der russische Lyriker Jewgeni Jewtuschenko weiterhelfen, der gesagt hat: „Grenzenloser Optimismus ist Mangel an Wissen. Grenzenloser Pessimismus ist Mangel an Fantasie.“ Ich glaube, in der Wirtschaftspolitik kommt es darauf an, den richtigen Mix aus Wissen und Kreativität auf der Basis von soliden Zahlen, Daten und Analysen zu finden sowie tragfähige, praktikable Ideen zu entwickeln, damit eine hoffnungsvolle Perspektive aufgezeigt werden kann. Das tut der vorliegende Jahreswirtschaftsbericht. ({5}) Kollege Pofalla, ich finde es unangemessen, wenn Sie in Ihrer ersten Rede als stellvertretender Vorsitzender Ihrer Fraktion im Zusammenhang mit dem Jahreswirtschaftsbericht von einem Offenbarungseid sprechen. Offensichtlich haben Sie den vorliegenden Jahreswirtschaftsbericht mit dem zweiseitigen CDU-Antrag aus der letzten Woche verwechselt. Dieser Antrag ist wirklich ein Armutszeugnis und enthält nicht viel Substanzielles. Es tut mir Leid, aber auch der „Pakt für Deutschland“, den Sie vorhin mit großer patriotischer Geste Werner Schulz ({6}) angeboten haben, kommt mir wie eine Packung alter Hüte vor. ({7}) Sie glauben doch nicht im Ernst, dass wir durch eine Lockerung des Kündigungs- und des Jugendschutzes sowie durch Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Betriebsverfassungsgesetz, mit Statistiken und Sicherheitsdiensten im Mittelstand oder durch all die anderen zündenden Ideen, die der von Ihnen vorgeschlagene Pakt enthält, die Arbeitslosigkeit massiv senken werden! Natürlich ist Ihre zentrale Forderung, die Lohnnebenkosten zu senken, diskussionswürdig; denn die hohen Lohnnebenkosten machen uns allen zu schaffen. Man sollte aber fairerweise hinzufügen, dass die Höhe der Lohnnebenkosten von 42 Prozent eine schwere Hypothek der Regierung Kohl ist, die wir nun abtragen müssen. Das sollte man nicht vergessen. ({8}) Wie schwer das ist, können Sie an der Wirtschaftspolitik der letzten Jahre sehen. Als es 1990 um Patriotismus ging, hätten Sie ja das nationale Kapital in die Verantwortung nehmen können. Aber Sie haben die Vermögensteuer abgeschafft und mit der Einführung der Pflegeversicherung für eine weitere Belastung der sozialen Sicherungssysteme gesorgt. Das ist Ihr Beitrag zu der momentan schwierigen Situation gewesen. Außerdem ist das, was Sie dazu gesagt haben - runter mit den Lohnnebenkosten um 1 Prozent und schon gibt es 100 000 Arbeitsplätze mehr -, eine Milchmädchenrechnung. Wir wissen nur, dass der Anstieg der Lohnnebenkosten um 1 Prozentpunkt uns 100 000 Arbeitsplätze gekostet hat. Ob das leicht reversibel gemacht werden kann, muss noch bewiesen werden. Ich rate an dieser Stelle auf jeden Fall zur Vorsicht. Sie können gerne versuchen, die Lohnnebenkosten durch die Herausnahme der versicherungsfremden Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung um 1,5 Prozentpunkte zu senken. Aber dann müssen Sie auch sagen, wie Sie künftig Beschäftigungspolitik und Qualifizierungsmaßnahmen bezahlen wollen. Sie müssen über den Rand des Bierdeckels des Kollegen Merz hinausschauen, wenn Sie das mit Steuermitteln finanzieren wollen. ({9}) Nehmen wir einmal Ihre naive Vorstellung von Wachstum als Beispiel. Ich möchte Ihnen erst gar nicht die Namen der Sachverständigen aufzählen, deren Gutachten Sie nicht gelesen haben. Nur so viel: Allein die Lektüre des Artikels von Professor Kurt Biedenkopf, der im November letzten Jahres in der „Zeit“ erschienen ist, wäre an dieser Stelle sehr hilfreich. Er warnt im Hinblick auf den Leitantrag zum CDU-Parteitag, in dem es um Wachstum und Beschäftigung geht, vor der naiven Vorstellung, dass mehr Wachstum zu mehr Beschäftigung führt. Er weist auf die Ergebnisse seiner Zukunftskommission hin und schreibt: Es gibt keine Korrelation zwischen Wachstum und Beschäftigung. Im Gegenteil: Wenn man sich die Entwicklungen im letzten Jahrhundert anschaut, dann stellt man fest, dass es zwar einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts, des Pro-Kopf-Einkommens und der Pro-Kopf-Produktivität gab, dass aber gleichzeitig das Arbeitsvolumen abgenommen hat. Wir sollten daher vielleicht die Formel „mehr Wachstum ist gleich mehr Beschäftigung“ vom Kopf auf die Füße stellen und eher sagen: Mehr Beschäftigung schafft mehr Wachstum. ({10}) Dass ein Beschäftigungspotenzial vorhanden ist, zeigt die Äußerung des Geschäftsführers des DIHK, der großzügig angekündigt hat, dass die Wirtschaft bereit sei, Menschen auf der Basis von 1-Euro-Jobs einzustellen. Das kann es wohl nicht sein. Eine solche Äußerung zwingt fast dazu, die Einführung eines Mindestlohns zu fordern. ({11}) Ich möchte mich gar nicht wegducken, wenn es um Wachstum geht. Natürlich brauchen wir Wachstum, aber ein nachhaltig-ökologisches. Wir brauchen eine ökonomische Entwicklung auf ökologischer Basis. Dabei sind zwei Aspekte für uns entscheidend: Ein Aspekt ist der Klimawandel, der andere die schwindende Rohstoffbasis. Beispielsweise hat Tony Blair in Davos interessanterweise verkündet - er hat es erkannt! -: Der Klimawandel bedroht uns; wir müssen uns mehr um erneuerbare Energien kümmern. Das sagen wir, die Bündnisgrünen, seit Jahren. Ich freue mich über das, was Tony Blair sagt. Steigen wir ein! Wir haben eine Doppelstrategie entwickelt. Sie sieht zum einen vor, mit den Ressourcen sparsamer umzugehen, und zum anderen, stärker auf nachwachsende Rohstoffe zu setzen. Das brauchen wir. Wir sagen: vier mal 25, und zwar bei der stofflichen Nutzung, bei der Wärmenutzung, bei Kraftstoffen und bei der energetischen Nutzung. Darauf kommt es in den nächsten Jahren an. Auch an einem Tag wie heute sage ich: Das ist nicht nur eine Chance für Arbeitsplätze, für neue Technologien und für neue Entwicklungen, sondern auch für die internationale Sicherheit und für den Weltfrieden. Die alte Faustregel der Ungerechtigkeit „20 Prozent der Weltbevölkerung verbrauchen 80 Prozent der Rohstoffe“ stimmt nicht mehr. Heute sind es 50 Prozent der Weltbevölkerung, die 50 Prozent der Rohstoffe verbrauchen. Durch China, Indien, Brasilien, Russland und dergleichen hat sich etwas verändert. Es gibt einen Kampf um die Rohstoffe. Wer heute dafür sorgt, dass wir von Erdöl auf nachwachsende Rohstoffe umsteigen und dass wir uns von der Abhängigkeit vom Erdöl befreien, der tut etwas dafür, den Weltfrieden zu erhalten. Krieg wird uns keine neuen Ölquellen sichern. Wir haben in der Geschichte die bittere Erfahrung gemacht, dass Kämpfe um Rohstoffe im Grunde genommen nur sehr viel Zerstörung Werner Schulz ({12}) dessen, was man eigentlich bekommen möchte, hinterlassen. Das sollten wir uns heute vielleicht merken. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Rainer Brüderle, FDP-Fraktion.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alle Redner haben betont, dass es nach einer so bewegenden Gedenkstunde schwer fällt, eine normale Wirtschaftsdebatte zu führen. Vielleicht ist das für den Ältestenrat eine Anregung, bei zukünftigen Terminplanungen ein Stück mehr Distanz zwischen einer solchen Gedenkstunde und „business as usual“ zu schaffen. Ich glaube, so, wie es heute läuft, ist es nicht gut. ({0}) Herr Minister Clement, Sie haben Recht: Auch in einer solchen Gedenkstunde wird uns als Demokraten einmal mehr drastisch vor Augen geführt, wie wichtig eine bessere wirtschaftliche Entwicklung ist. Wir brauchen mehr Wachstum, wir brauchen mehr Arbeitsplätze und wir brauchen mehr Beschäftigungsmöglichkeiten, um radikalen politischen Kräften in Deutschland den Boden für ihre hinterhältige Agitation zu entziehen. ({1}) Herr Minister, Sie haben gestern im Kabinett den Jahreswirtschaftsbericht vorgestellt. Die Opposition hatte bis zur heutigen Parlamentsdebatte noch nicht einmal 24 Stunden Zeit, sich damit zu beschäftigen. Ich finde das nicht gut. Das gab es noch nie. Das ist kein guter Stil. ({2}) Natürlich müssen wir uns dazu äußern. Sie haben vorhin die ironische Bemerkung gemacht: Der Bericht ist zwar kaum bekannt, aber die Opposition äußert sich schon. Es ist doch unsere Aufgabe, sich zu äußern! Wir sind doch keine zu Ihrer Beweihräucherung bestellten Akklamateure. ({3}) Das hier ist der Deutsche Bundestag. Er muss sich mit den Schicksalsfragen dieses Landes beschäftigen. Deshalb gehört es sich, die notwendige Distanz zu schaffen, damit man sich mit dem Inhalt des Berichts, über den debattiert wird, beschäftigen kann. Es ist nicht gut, dass sich der Wirtschaftsausschuss erst nach der abschließenden Beratung im Plenum damit beschäftigt. Das sollten wir zukünftig nicht mehr machen. Es drängt sich ein bisschen der Eindruck auf, dass die Landtagswahl in Schleswig-Holstein da Regie geführt hat, so nach dem Motto: ruhige Hand, zweiter Teil. Sie scheuen den Realitätstest, Stichwort: Arbeitslosenzahlen im Januar. Diese Zahlen werden nicht gut sein. Sie lassen die Rekordzahlen aus Nürnberg einen Tag vor Fastnacht verkünden. Tatsache ist: Sie und diese Regierung stehen für die höchste Arbeitslosigkeit der Nachkriegszeit. Im letzten Jahreswirtschaftsbericht haben Sie großspurig angekündigt - ich zitiere -: Die Zahl der Arbeitslosen wird 2004 um bis zu 100 000 unter dem Durchschnitt des Jahres 2003 liegen. In Wahrheit ist die Durchschnittsarbeitslosigkeit weiter gestiegen. Noch nie waren im Jahresdurchschnitt so viele Menschen arbeitslos wie im Jahr 2004. Sie erwarten für dieses Jahr einen weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit. Die üblichen blumigen Versprechen zum Abbau der Arbeitslosigkeit helfen uns nicht weiter. Ihre Art, der Opposition Schlechtreden vorzuwerfen, ist sehr durchschaubar. Sie machen eine schlechte Wirtschaftspolitik. Das ist die Tatsache. ({4}) Wenn Sie der Opposition nicht glauben: Schauen Sie in den aktuellen „Spiegel“ hinein! Der „Spiegel“ hat ein Meinungsbild der Deutschen wiedergegeben. Erste Frage: Kann Grün-Rot die Wirtschaft ankurbeln? 74 Prozent sagen: Nein. Zweite Frage: Kann Grün-Rot die Rente sichern? 80 Prozent der Bevölkerung sagen: Nein. Dritte Frage: Kann Grün-Rot die Arbeitslosigkeit bekämpfen? 84 Prozent sagen: Nein. Das ist die Stimmung in Deutschland. Die Deutschen trauen Ihnen nichts zu. Daran ist auch Ihre verfehlte Politik schuld. ({5}) Sie, Herr Clement, sind, wie ich hörte, Liebhaber von Trickfilmen. Ihr Lieblingstrick im letzten Jahr war das Wort Innovation. Mehr als eine Mickymaus ist bei dem so genannten Jahr der Innovation nicht herausgekommen. Kommen Sie bitte nicht mit dem Projekt Airbus! Dafür müssten Sie eher Franz Josef Strauß noch eine Kerze auf sein Grab stellen. ({6}) Ansonsten ist außer Ankündigungen nichts gewesen. Zur Gentechnik hat der Kanzler gesagt - ich zitiere -: Die Technikskepsis schadet unserer Position auf dem Weltmarkt. - Er hat Recht. Sie verteidigen öffentlich die Stammzellenforschung. Sie haben Recht. Nur, das Handeln der Regierung ist ein anderes. ({7}) Grün-Rot hat ein Gentechnikverhinderungsgesetz verabschiedet. Frau Künast hat sich allen Ernstes auf eine Studie von 1940 über das Kreuzungsverhalten von Mais im Kaukasus berufen. ({8}) Im Innovationsfeld Energie sieht es ähnlich aus. Ein energiepolitisches Konzept der Bundesregierung mit markwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die nächsten Jahrzehnte kenne ich nicht. Sie haben es im letzten Jahr angekündigt. Es ist immer noch nicht da. ({9}) Ihre chaotische Energiepolitik erfüllt wettbewerbliche Maßstäbe nicht. Die Regulierung lädt die Konzerne geradezu ein, Preiserhöhungen vorzunehmen. Ein vernünftiger Rechtsrahmen fehlt bis zum heutigen Tag. Bei der roten Steinkohle und den grünen Windrädchen schaltet die Koalition den Preismechanismus durch Subvention aus. Aus purer Ideologie wird die Kernkraft verboten. Grün-Rot ist für die gigantische Fehlleitung von Kapital und Arbeitskraft verantwortlich. ({10}) Sie sind auch für monopolistische Strukturen verantwortlich. Die Fusion von Eon und Ruhrgas liegt in Ihrer Verantwortung. Herr Müller und Herr Tacke lassen freundlich grüßen. Alles, was Sie da gemacht haben, war nicht in Ordnung. ({11}) Man kann doch nicht, wie es der Bundeskanzler getan hat, das Ansteigen der Gaspreise beklagen und gleichzeitig durch Entscheidung der Regierung monopolistische Strukturen zulassen. Das ist nicht redlich. Das ist Pharisäertum. ({12}) Bei Investitionen und Fortschritt stehen Sie auf der Bremse. Beim Schuldenmachen geben Sie Gas. Jetzt ist der europäische Stabilitätspakt dran. Das ist erneut ein Anschlag auf die Grundachsen deutscher Wirtschaftspolitik. ({13}) Gerhard Schröder hat den Euro einmal als kränkelnde Frühgeburt bezeichnet. Sein Vorstoß zum Aufweichen des Stabilitätspakts darf nicht noch zu einer Spätabtreibung der Gemeinschaftswährung führen. ({14}) Ich kann nur warnen: Der Weg in eine Inflationsgemeinschaft endet in einer Renationalisierung der Geldpolitik und der Währungspolitik. Das kommt am Schluss dabei heraus. Um die Prinzipien der Wirtschaftspolitik geht es Ihnen schon lange nicht mehr richtig. Sie wollen mit neuen Schulden und mehr Inflation das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Nur, mehr Schulden zementieren die starren Strukturen. Übrigens frage ich Sie - diese Bundesregierung ist ja Schuldenmeister -: Wie viele Schulden bräuchten wir denn noch, damit die Wirtschaft in Gang kommt? ({15}) Das war doch schon an der Obergrenze dessen, was verfassungsrechtlich überhaupt noch zulässig ist. ({16}) Bei einer Staatsquote von fast 50 Prozent sind die Schulden von heute die Steuern von morgen. Sie registrieren nicht, was sich draußen in der Welt tut. Ich rede nicht nur von Asien; ich habe es letzte Woche angesprochen. In Amerika ist man erneut dabei, einen Sprung in der Produktivität und Effizienz zu schaffen. Was Bush in seinem Konzept - am letzten Wochenende hat es eine große Sonntagszeitung unter dem Titel „Bush-Revolution“ dargestellt - als Ownership Society bezeichnet, das Reprivatisieren von Verantwortung, das Privatisieren sozialer Sicherungssysteme, des Gesundheitswesens, wird, wie schon bei Reagan - den haben Sie auch nicht gemocht, nur beschimpft -, erneut einen Schub an Wettbewerbsfähigkeit und Wettbewerbskraft geben. Wir dümpeln unverändert im KleinKlein und sehen nicht, was sich draußen tut. Herr Clement, Sie sind gelernter Journalist. Sie denken eher in Schlagzeilen, weniger in strukturökonomischen Zusammenhängen. Als ich letzte Woche gesagt habe, das Wachstum sei eine Leihgabe der Weltwirtschaft, haben Sie sich breit über diese Aussage ausgelassen und sie moniert. Ich entgegne Ihnen mit einem Verweis auf die Überschrift des Sachverständigengutachtens: „Erfolge im Ausland - Herausforderungen im Inland“. Auf Schlagzeilenniveau reduziert heißt das: außen hui, innen pfui. So wird das vielleicht auch für Sie verständlich. ({17}) Ohne einen Aufschwung in der ganzen übrigen Welt kommen wir nicht mehr auf die Beine. Früher war Deutschland das Land, das als Lokomotive Europa und die Weltwirtschaft mitgezogen hat. Heute sind wir dankbar, wenn Chinesen, Japaner und Amerikaner erfolgreich sind; denn so können wir unsere Produkte verkaufen. Ja, Sie haben Recht, wir haben gute Produkte. Wir haben fleißige und fähige Arbeitnehmer, gute Forscher und Wissenschaftler. Deshalb können wir draußen in der Welt viele Produkte gut verkaufen. Das zeigt sich an unseren Exporterfolgen. Aber wir schaffen es nicht, mehr von den gleichen guten Produkten, hergestellt von den gleichen guten Arbeitnehmern und Ingenieuren, in Deutschland abzusetzen, weil die Rahmenbedingungen für den Binnenmarkt nicht stimmen. Hierfür ist die nationale Ebene verantwortlich. Sie tragen dafür Verantwortung, dass von den gleichen guten Produkten in Deutschland nicht mehr abgesetzt werden. ({18}) Die Wirtschaftsweisen haben festgestellt, dass der Kern des Problems ist - ich teile das -, dass unser Potenzial- bzw. Trendwachstum zu gering ist. Der Sachverständigenrat sagt: Die Ursachen liegen in binnenwirtschaftlichen Fehlentwicklungen und Versäumnissen. Mit anderen Worten: Grün-Rot trägt die Hauptverantwortung für die Wachstums- und Beschäftigungsprobleme. ({19}) Die Vereinigten Staaten haben ein Wachstumspotenzial, das über 3 Prozent liegt. In Deutschland liegt das Wachstumspotenzial bei 1 bis 1,5 Prozent. Selbst wenn ich die von Ihnen vertretene optimistische Variante - mit Ihrer Prognose liegen Sie sicherlich am oberen Rand aller Prognosen - nehme, schöpfen Sie gerade einmal dieses Potenzial aus. Das ist dann schon die Spitze des grün-roten Booms. Aber auch die Bundesbank geht davon aus, dass die Beschäftigungsschwelle unverändert bei knapp 2 Prozent liegt. ({20}) Gestern hat deren Präsident, Herr Professor Weber, hier dargelegt, dass die Beschäftigungsschwelle bei etwa 1,9 Prozent liegt. Bei 1,6 Prozent Wachstum wird die Beschäftigungsschwelle nicht überschritten und gibt es keine Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, die wir so dringend brauchen. Da liegen also die Probleme. Weshalb ist das Potenzialwachstum also so schwach? Wachstumsmöglichkeiten steigen, wenn wir Steuern senken. Sie aber machen das Gegenteil. Frau Simonis macht Wahlkampf mit der Propagierung eines Steuererhöhungspaketes in einem Umfang von 20 Milliarden Euro. ({21}) Die Mehrwertsteuer will sie erhöhen. Sie, Herr Minister, widersprechen nicht öffentlich, Herr Eichel widerspricht nicht öffentlich, Herr Müntefering widerspricht nicht und lässt diesen Unsinn weiterlaufen. Wachstumsmöglichkeiten steigen, wenn es auf dem Arbeitsmarkt mehr Flexibilität gibt. Aber da ändert sich ja nichts. Das Kartell wird nicht aufgebrochen. Weshalb lassen Sie nicht betriebliche Bündnisse der Arbeitnehmer mit ihren Unternehmensleitungen ohne Genehmigung der Kartellbrüder zu? Freiheit auch für die Arbeitnehmer im Betrieb und weniger Kartellierung und Zementierung von Machtpositionen! ({22}) Wachstumsmöglichkeiten steigen, wenn wir mehr arbeiten. Das hat ja das letzte Jahr gezeigt. Wir hatten vier Feiertage weniger und plötzlich über 0,5 Prozent mehr Wachstum. Es ist eine Illusion, zu glauben, eine 35-Stunden-Woche bringe mehr. Sie sind Jahr und Tag zusammen mit der IG Metall zur Erreichung dieses Ziels marschiert. Nichts hat das gebracht. Das hat Arbeitsplätze zerstört. Wir müssen die paritätische Mitbestimmung modernisieren, da sie ein Standortnachteil ist. Wir müssen uns darum bemühen, die Entscheidungszentralen der Wirtschaft in Deutschland zu behalten. Die Erfahrung lehrt nämlich, dass, wenn abgebaut wird, zuerst an den Außenstellen abgebaut wird und nicht am Sitz des Unternehmens. Deshalb müssen wir uns bemühen, die Unternehmenssitze in Deutschland zu halten. Seit der EU-Erweiterung gibt es Länder mit einer Flat Tax, mit einer Finalbesteuerung von unter 20 Prozent, im gemeinsamen europäischen Markt. In Ländern wie Polen liegen die Arbeitskosten bei Facharbeitern um den Faktor zehn niedriger als in Deutschland. In diesem Wettbewerb können wir nur bestehen, wenn wir durch mehr Leistung, intelligentere Konzepte und mehr Effizienz gegenhalten. Noch ein Beispiel: Ihre Regelungen zum Ladenschluss. Sie wollen Bürokratie abbauen. Der Bundesrat hat nach dem Verfassungsgerichtsurteil einstimmig gefordert - also auch Ihre Gesinnungsfreunde waren daran beteiligt -, dass den Ländern die Möglichkeit gegeben wird, eigenständig über den Ladenschluss zu entscheiden. Wo ist da der große Bürokratieabbauer, der selbst ernannte Siegfried, der das Monster „Bürokratie“ besiegen will? ({23}) Er sagt nichts. Er schweigt, weil die Gewerkschaften dagegen sind. Geben Sie den Ländern die Möglichkeit, im Rahmen des Wettbewerbsföderalismus die Entscheidung selbst zu treffen. ({24}) Denn sie wissen besser, was für Bayern oder Hamburg gut ist. Lasst sie so machen, wie sie es im Bundesrat einstimmig gefordert haben, und ihre eigene Entscheidung treffen. Wachstumsmöglichkeiten steigen auch, wenn es dem Mittelstand gut geht. Sie aber machen gerade mit der Umwidmung eines Teils des ERP-Sondervermögens Fördermöglichkeiten für den Mittelstand zunichte. Das ist keine gute Basis, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Wir brauchen keine oberflächliche Politik, sondern mehr Grundsatztreue. Wir müssen die Grundachsen der deutschen Wirtschaftspolitik in Ordnung bringen. Das Land ist gut und stark. Es hat eine bessere Rahmensetzung verdient, als Sie sie ihm bisher gegeben haben. ({25})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ludwig Stiegler.

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon seltsam, dass Sie, Herr Brüderle, unsere im Vergleich zu den Amerikanern minimale Verschuldung lauthals geißeln, aber die exzessive Verschuldung der Amerikaner einfach ignorieren und auch noch sagen: Nehmt euch daran ein Beispiel! ({0}) Das ist wirklich eine gehobene Form der Bewusstseinsspaltung. Ich möchte nicht wissen, wie Sie reagieren würden, wenn wir in dieser Lage wären. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben letztes Jahr durch Wolfgang Clement ankündigen lassen, ({1}) dass wir den Aufschwung in Gang setzen. Am Ende des Jahres 2004 konnte er im Gegensatz zu Herrn Merz, der damals das Gegenteil vorausgesagt hatte, zusammen mit dem Sachverständigenrat feststellen: Er ist in Bewegung gekommen. ({2}) Wenn er so gehandelt hätte wie Sie, also immer nur gezaudert, gezögert und gestritten hätte, dann wären wir keinen Millimeter vorangekommen. Was wollten Sie - etwa bei Hartz IV - nicht alles vertagen! Der Clement ist gestanden wie eine Eins. Er wurde jetzt vom Erfolg belohnt. Sie können Ihren Erfolg an den Umfragen ablesen. ({3}) Ich danke ausdrücklich auch Hans Eichel. ({4}) Unsere Finanzpolitiker haben die eingebauten Stabilisatoren wirken lassen. Wären wir Ihnen gefolgt, wäre der Aufschwung abgewürgt worden. Deshalb ein herzlicher Dank ausdrücklich auch an unsere Finanz- und Haushaltspolitiker. ({5}) Ich freue mich, dass sich auch in der Europäischen Union hinsichtlich des Stabilitäts- und Wachstumspaktes etwas tut. Sie haben in Oberbuchhaltermentalität nur Zahlen zusammengerechnet und Prozentzahlen gewogen, während die Wirtschaftspolitik ihr Recht wiederbekommt. Es war ausgerechnet Herr Regling, der Ihrem Lager zuzurechnen ist, der gestern bei einer Veranstaltung der Bundesbank deutlich gemacht hat, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt strikt eingehalten und voll angewendet wird und dass insbesondere bei der jahresmäßigen Verteilung auf die besonderen Leistungen der Deutschen in Bezug auf die deutsche Einheit Rücksicht genommen wird. Das ist der richtige Weg, den wir miteinander einzuschlagen haben. ({6}) Ich danke Wolfgang Clement ausdrücklich auch für das, was er für den Ausbildungspakt geleistet hat. Dieser Pakt, Herr Pofalla, hat über 50 000 neue Ausbildungsplätze gebracht. Mit der von Ihnen vorgeschlagenen Sozialabbauorgie hätte sich die Situation nur verschlechtert. ({7}) Manche reden so leichthin gegen unsere weltwirtschaftlichen Erfolge. Walther Rathenau hat einmal geschrieben: Die Wirtschaft ist unser Schicksal. Helmut Schmidt hat geschrieben: Die Weltwirtschaft ist unser Schicksal. ({8}) Deshalb ist es eine Freude und ein Grund zum Jubeln, dass die deutsche Wirtschaft weltweit so gut aufgestellt ist. ({9}) Lasst uns alles tun, dass es auch in Zukunft so bleibt. Weil wir nur ein relativ kleines Land sind - unser Land ist nicht viel größer als ein chinesischer Kanton -, sollten wir unsere weltwirtschaftlichen Leistungen ausbauen und verteidigen. ({10}) Lasst uns daran arbeiten - wir haben jetzt auf einer Achse einen Antrieb der Konjunktur gehabt -, dass wir nächstes Jahr in der Binnenwirtschaft den Allradantrieb bekommen! Dazu sind hier die Voraussetzungen geschaffen worden. Wenn Sie eine solche Steuerreform hingebracht hätten, wie wir das getan haben, würden Sie jubeln und Feste feiern. Dagegen wäre der Tanz um das Goldene Kalb im Alten Testament ein kleiner Event gewesen. Sie haben nichts zustande gebracht. Wir haben das zustande gebracht. ({11}) Das Verbrauchervertrauen und auch die Bereitschaft zu langfristigen Anschaffungen sind insgesamt wieder gestiegen. Das Wichtigste ist, dass die Investitionen in Gang kommen. Eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür ist, dass wir die Kommunen wieder handlungsfähig gemacht haben. ({12}) Nach hartem Ringen mit Ihnen, die Sie im Bremserhäuschen saßen, haben Joachim Poß und seine Truppe mit der Gewerbesteuerreform die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Städte und Gemeinden wieder beginnen können, an Investitionen zu denken. Das ist das Entscheidende. ({13}) Mit der Hartz-IV-Reform wird in diesem Zusammenhang ein zweiter Teil umgesetzt. Gerade in BadenWürttemberg sind die Kommunen wieder investitionsfähig geworden, wenn das auch noch nicht in allen Ländern der Fall ist. Eine der Hauptaufgaben ist, dass wir die Städte und Gemeinden wieder voranbringen. ({14}) Wir haben es erreicht, dass sich die großen Unternehmen entschuldet haben und dass bei den großen Unternehmen inzwischen wieder Voraussetzungen für Investitionen gegeben sind. Wir sind dabei, den kleinen und mittleren Unternehmen wieder die Möglichkeit zu geben zu investieren. Es ist eine Freude, dass die großen Banken wieder den Mittelstand entdecken. Ich war kürzlich in Mannheim; da hat ausgerechnet die Deutsche Bank ihre Räume für einen Mittelstandsempfang zur Verfügung gestellt. ({15}) Die Commerzbank hat sogar wieder angefangen, einen Vorstand für kleine und mittlere Unternehmen einzurichten. Die wahre Wachstumsbremse war, dass viele kleine und mittlere Unternehmen von Banken erdrosselt worden sind, die an der Londoner Börse und anderswo große Teile ihres Kapitals verspekuliert hatten und den Mittelstand hinterher mit einer Überrisikosensibilität erdrosselt haben. Mit der Mittelstandsbank des Bundes haben wir wieder die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Existenzgründer, aber auch kleine und mittlere Unternehmen wieder investieren können. Lasst uns an diesem Projekt weiterarbeiten! Das ist die Voraussetzung für Wachstum und Beschäftigung. ({16}) Wir haben auch beim Aufbau Ost - dazu habe ich von Herrn Pofalla nichts gehört; das wird immer wieder weggewischt - einiges erreicht. Der Sachverständigenrat hat allen Schwadroneuren mit ihren Forderungen nach Sonderwirtschaftszonen das Notwendige ins Stammbuch geschrieben. Wir werden mit den Ländern Schritt für Schritt daran arbeiten, dass die Investitionspotenziale genutzt werden. Ob Rolls-Royce, Lufthansa Technik, DHL in Leipzig, Airbus Deutschland oder Rapid Eye usw., es gibt im Osten Erfolge. Darauf sollten wir gemeinsam stolz sein. ({17}) Ich sage für unsere Fraktion: Wir haben um die Fortführung der Gemeinschaftsaufgabe Ost wirklich gekämpft. Unsere These war immer: Es darf im Osten keine Investition am Mangel an Fördermitteln scheitern. ({18}) Das haben wir Herrn Milbradt anlässlich der letzten Debatte so entgegengehalten. Wir haben die Gemeinschaftsaufgabe zusammen mit unseren Haushältern erhalten. ({19}) Es wird im Osten keine Investition an fehlenden Fördermitteln scheitern. Wir halten an der Gemeinschaftsaufgabe fest. Ich sage für unsere Fraktion auch: Wir teilen die Auffassung des Sachverständigenrates, die I-Zulage abzuschaffen, nicht. Wir meinen, alle Chancen sollten genutzt werden, damit sich die Situation verbessert. ({20}) Herr Pofalla hat hier die alten Merz-Reden wieder hervorgeholt. Er hat ja fast so begonnen. Aber wo sind denn Ihre Helden? Letztes Jahr ist Friedrich Merz hier noch wie das Krokodil am Nil aufgetreten. Jetzt ist er fort; jetzt hat er seinen Bierdeckel abgegeben und ist verschwunden. ({21}) Wo ist der Held Horst Seehofer? ({22}) Als er mit Ede, dem Wolf, streiten sollte, hat er Zahnweh bekommen und hat aus dem Blätterwald gezischelt. Das sind mir die wahren Helden! ({23}) Herr Pofalla, Sie sind mir vorgekommen wie der schneidige Merz: nur Anklagen, keine eigenen Rezepte, nur der alte Krampf. Sie tun mir fast Leid. Wenn so ein junger Kerl wie Sie bei dem Begriff „Schaukel“ an „Verschaukeln“ denkt, dann muss ihn die Sozialisation in der CDU schon ziemlich ruiniert haben. Er nimmt gar nicht mehr wahr, dass für jeden normal sozialisierten Menschen eine Schaukel die Metapher für Schwung und Lebensfreude ist und dass man allenfalls die Bremse nach oben braucht. Sie sind in diesem Bereich ein armer Kerl. ({24}) Sie haben hier auch über das Wachstumspotenzial schwadroniert. Herr Brüderle hat von den Amerikanern geredet, wohl wissend, dass es dort ein irres Potenzial an Bevölkerungszuwachs gibt. Viel Wenig ergibt eben doch mehr. Unsere Bundesregierung setzt mit ihrem Innovationsprogramm, mit Forschung und Entwicklung auf die Qualität des Wachstums und auf Dynamik, damit wir in einer älter werdenden Gesellschaft mit einem schrumpfenden Arbeitskräfteangebot ein höheres Wachstumspotenzial haben. Herr Brüderle, das sollten Sie als alter Liberaler eigentlich begeistert mitmachen, anstatt herumzumäkeln. Ihre Lust, Herrn Clement am Zeug zu flicken, hat Sie aber wieder einmal in die Irre geleitet. ({25}) Auch Sie wissen, Herr Brüderle, dass unsere Wachstumswerte, verglichen mit dem EU-Durchschnitt, gesunken sind. Ich empfehle Ihnen die Lektüre des Gutachtens des Sachverständigenrats aus dem Jahr 2002. Darin steht, dass es die Herstellung der deutschen Einheit - eine Leistung der Deutschen - ist, die unsere Wachstumswerte vorübergehend belastet. Herr Pofalla, Ihre Vergangenheitsbetrachtungen können Sie sich schenken. ({26}) Norbert Blüm hat kürzlich gesagt: Ich habe an einem so genannten Beschäftigungsförderungsgesetz mitgewirkt. Auf die Arbeitsplätze warte ich heute noch. - So Norbert Blüm, Ihr „Täter“ von damals, der dieses Gesetz mit beschließen musste. Hören Sie auf mit dem alten Krampf! Lasst uns neue Wege gehen und dem Mittelstand helfen, indem wir durch Investitionen und Existenzgründungen wieder breitflächig zu Wachstum und Beschäftigung beitragen. Danke. ({27})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Dagmar Wöhrl. ({0})

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und lieben Kollegen! Lieber Kollege Stiegler, wir hören es schon gern, allein uns fehlt der Glaube an das, was Sie hier alles erzählt haben. ({0}) Ich finde es schon fantastisch, wie Sie dargestellt haben, was im Jahreswirtschaftsbericht über den Osten steht. Sie scheinen aber einige Passagen überlesen zu haben. Ich habe es mir eben noch einmal angeschaut: bei den Fördermitteln beträchtliche Mängel, kein Königsweg in Sicht, kein Aufholprozess, Diskussion über Sonderwirtschaftszonen unergiebig usw. Das ist ein total negatives Zeugnis über Ihre Ostpolitik. Sie können deshalb hier nicht einfach sagen, wie toll es ist, dass alles in den richtigen Bahnen läuft. Mit Ihnen läuft nichts in den richtigen Bahnen, vor allem nicht im Osten, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot und Grün. ({1}) Sie alle wissen, dass wir das Einstein-Jahr haben. Uns sollte eigentlich bewusst sein, wie wichtig Fantasie und Kreativität sind. Einstein hat einmal gesagt, Fantasie sei wichtiger als Wissen. Wenn ich mir Ihren Jahreswirtschaftsbericht anschaue, habe ich fast das Gefühl, dass Sie diesen Gedanken vollkommen missverstanden haben. Es ist kaum zu glauben, was für ein Fantasieprodukt Sie uns hier vorgelegt haben. Es lässt jeden Bezug zur Realität vermissen. Gut, wir sind es inzwischen gewohnt und werden langsam resistent gegen Ihre geschönten Zahlen und die Verharmlosung der Risiken. Es scheint inzwischen zur Tradition geworden zu sein, uns mit zuversichtlichen Prognosen und unverbindlichen Aussagen hinzuhalten. Mit Ihrer Konjunkturprognose von 1,6 Prozent stehen Sie inzwischen ziemlich allein da; das muss man einmal klar und deutlich sagen. Sogar der designierte Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Bert Rürup, sieht das skeptisch. Die Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre Prognosen nach unten korrigiert: auf nur noch 0,8, allerhöchstens auf 1,2 Prozent. Was interessant ist: Ihr eigener Haushaltsplan geht von 1,7 Prozent aus. Das müssen Sie mir schon erklären; dazu ist nichts gesagt worden. Das heißt, Sie müssen eigentlich mit weniger Steuereinnahmen und damit rechnen, dass Sie mehr Ausgaben im Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt haben. Wie Sie diese Finanzierungslücke, die sich aus Ihren eigenen Prognosen ergibt - einmal des Finanzressorts, das andere Mal des Wirtschaftsressorts -, schließen wollen, haben Sie nicht dargelegt. Als ganz großes Manko empfinde ich in diesem Jahreswirtschaftsbericht, dass jegliche Visionen fehlen. Wir sind in wirtschaftlich schweren Zeiten; das ist überhaupt keine Frage. Wir leben auch nicht mehr in der Zeit des Wirtschaftswunders. Außerdem haben wir die Folgen der Wiedervereinigung zu schultern. Sie müssten aber sagen, wie Sie das angehen wollen. Wo sind die Konzepte? Wo sind Ihre Strategien? Wie wollen Sie hier wieder Arbeitsplätze schaffen? Wie wollen Sie den Standort Deutschland nach vorn bringen? Dazu vermisse ich im Jahreswirtschaftsbericht jegliche Aussage. Richtig ist, wenn Sie schreiben: Das geschieht über Beschäftigung und über Wachstum. Das ist vollkommen richtig. Volltreffer, könnte man sagen. Aber Sie stellen nicht dar, wie es zu mehr Wachstum kommen soll und welche Reformen Sie zukünftig in Angriff nehmen wollen. Sie sagen zwar: Die Reformanstrengungen des Jahres 2003 haben sich gelohnt; endlich bewegt man sich nach vorn. Es ist richtig, dass Sie Reformen in Angriff genommen haben - das will ich gar nicht leugnen -, auch unter unserer Mithilfe. Dass es unsere Mithilfe bei Hartz IV gegeben hat, können Sie nicht bestreiten. Aber mit Hartz IV werden keine Arbeitsplätze geschaffen. ({2}) Mit Hartz IV soll dazu beigetragen werden, dass die Vermittlung besser funktioniert. Aber von den Gesetzen, die Sie ansonsten auf den Weg gebracht haben, war keines wachstumsorientiert. Alle sonstigen Gesetze und Reformen haben im Gegenteil noch mehr Auflagen, noch mehr Bürokratie und noch mehr Hemmnisse gebracht. Das kann man auch beim Antidiskriminierungsgesetz, Ihrem letzten Gesellenstück, sehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot und Grün, im Jahreswirtschaftsbericht ist vom Anspringen der Inlandsnachfrage und des privaten Konsums die Rede. Lassen wir einmal das Prinzip Hoffnung außer Acht! ({3}) Sie wissen ganz genau, dass das nur dann eintreten wird, wenn auch wieder Investitionen getätigt werden, übrigens auch Investitionen des Staates, des Bundes, Herr Stiegler. Wie schaut es denn in dieser Beziehung beim Bund aus? In Ihrer Regierungszeit gab es allein 5 Milliarden Euro Investitionen weniger. Das heißt, es wird gespart bei der Straße, bei der Schiene, überall, also bei der Infrastruktur - das hat auch der Minister angesprochen -, die für die Wirtschaft wichtig ist. Unsere Infrastruktur ist immer ein Standortvorteil gewesen. Diese vernachlässigen Sie vehement. Wenn im Bereich der Unternehmen nicht investiert wird, dann fehlen Bürogebäude oder Fabrikgebäude und man braucht sich nicht darüber zu wundern, wenn in der Bauindustrie im letzten Jahr 75 000 Arbeitsplätze verloren gegangen sind und in diesem Jahr voraussichtlich 50 000 Arbeitsplätze verloren gehen werden. Jetzt haben Sie ein ganz neues Feld entdeckt. Anstatt wachstumsorientierte Reformen anzugehen, ist es bei Ihnen zu einer seltsamen Mutation gekommen. Früher hat Ihr Kanzler gesagt: Wir machen keine Programme zulasten unserer Kinder und Kindeskinder. - Richtig! Dafür haben Sie auch unseren Beifall bekommen. Jetzt heißt es: Kurzfristig können staatliche Maßnahmen zur Anhebung des Wachstumspotenzials wichtiger sein als Konsolidierung. Das heißt: Bei Ihnen ist Sparen out und Schuldenmachen in. Sie wollen Wachstum nur noch auf einem Weg erreichen: auf Pump, Pump, Pump. ({4}) Es ist eine verantwortungslose Politik, die Sie machen. Wir geben schon jetzt ein Sechstel des Bundeshaushalts nur für Zinsen aus. Dabei wissen Sie ganz genau, dass die Zinsen bei uns nicht auf dem niedrigen Stand bleiben werden, auf dem sie momentan sind, und dass diese Zinsen gezahlt werden müssen. Dabei habe ich von der Tilgung noch gar nicht gesprochen. Sie werden das nicht mehr zurückzahlen müssen, aber unsere Kinder und Enkel. ({5}) Deswegen ist die Politik, die Sie machen, das Verantwortungsloseste, was ich in diesem Bereich je erlebt habe. ({6}) Anstatt Maßnahmen für die Nachfrageseite anzugehen und den Arbeitsmarkt aufzulockern, betonieren Sie ihn immer mehr zu. Aber selbst bei der Angebotsseite, meine Damen und Herren von Rot und Grün, funktioniert es nicht. Schauen wir uns doch einmal die Vermittlungstätigkeit der Bundesagentur an. Was ist denn passiert? Wir hatten 2004 gerade noch 446 000 Vermittlungen durch die Bundesagentur, 44 Prozent weniger als im Jahr 2002. Das bedeutet, dass es pro Monat durchschnittlich nur 1,4 erfolgreiche Vermittlungen auf regulär nicht geförderte Stellen gab. Das ist doch ein Musterbeispiel von Ineffizienz. Von 90 000 Mitarbeitern der Bundesagentur sind nur 12 000 für die Vermittlung eingesetzt. Diese Zahl wird inzwischen weiter reduziert. Hier ist also Reformbedarf angesagt. Damit will ich nicht die Mitarbeiter der Bundesagentur oder deren Führung angreifen, sondern die Regierung, die die Riesenadministration von Hartz IV auf die Bundesagentur übertragen und sie damit sozusagen zu einem zweiten Bundessozialamt gemacht hat, dabei aber nicht daran gedacht hat, dass dies alles voll auf Kosten der Vermittlungstätigkeit geht. Sie haben die Arbeitslosenzahlen angesprochen. Lassen Sie uns doch die Statistiken anschauen. Sie weiten den staatlich geförderten Beschäftigungsbereich permanent aus; aber damit lösen Sie keine Probleme. Kein einziges Problem wird dadurch gelöst, dass Leute irgendwo geparkt sind; denn anschließend stehen sie doch wieder auf der Straße und suchen Arbeitsplätze. Sie wissen ganz genau, dass wir noch Hunderttausende Arbeitslose mehr hätten, wenn Sie die Statistik nicht geändert hätten: Die 1-Euro-Jobs fallen heraus, die Trainingsmaßnahmen fallen heraus usw. Ich will gar nicht näher auf diesen Bereich eingehen. ({7}) Wenn jetzt noch die neue Bewertung nach ILO kommen und ab 1. März eine monatliche Statistik erstellt werden wird - liebe Kollegin Dückert, Sie wissen es ganz genau - und dadurch nur derjenige, der weniger als eine Stunde die Woche arbeitet, als arbeitslos gelten wird, dann werden künftig 700 000 Arbeitslose aus dieser Statistik herausfallen. Mit diesen Gegebenheiten werden Sie sich dann auseinandersetzen müssen. Dabei nützen uns die geschönten Zahlen, die Sie uns vorlegen, überhaupt nichts. Unser Ticket für die zukünftige Entstehung von Arbeitsplätzen ist Innovation. ({8}) - Sie haben das Jahr 2004 zum Jahr der Innovation ausgerufen, aber dabei ist es leider auch geblieben, lieber Kollege Stiegler. ({9}) Allein in den letzten Jahren haben wir 3 Millionen Arbeitsplätze in der Industrie verloren. Wir haben eine schleichende Deindustrialisierung; das dürfen wir nicht wegwischen. Das müssen wir bedenken, wenn wir Wirtschaftspolitik machen. ({10}) Das ist eine Zeitbombe, auf der wir sitzen; denn was in diesem Bereich nicht produziert und nicht verdient wird, fehlt natürlich auf der anderen Seite als Nachfrage beim Handel, beim Handwerk und bei Dienstleistungen. Auf diese Weise werden wir keine neuen Arbeitsplätze schaffen, sondern sie zukünftig vernichten. Früher waren wir in allen Spitzentechnologien Pionier. Woher kommen jetzt die Flachbildschirme und die Digitalkameras? Sie kommen aus dem Fernen Osten. Früher waren wir die Apotheke der Welt; jetzt sind wir auf Platz fünf abgerutscht, hinter den USA, Japan, England und Frankreich. ({11}) Kollege Brüderle hat die Gentechnik angesprochen, eine für die Zukunft sehr wichtige Schlüsseltechnologie. Aber Ihre Novelle des Gentechnikgesetzes erschwert die Anwendung der Grünen Gentechnik und treibt diese Schlüsseltechnologie ins Ausland. ({12}) Die ersten Konzerne haben schon angekündigt, ihre Forschung ins Ausland zu verlagern. Ist sie erst einmal weg, wird sie nicht mehr zurückkommen. Dessen können Sie ganz sicher sein. Wir werden dahin kommen, dass wir alle gentechnisch veränderten Produkte, die im Ausland erforscht, entwickelt, angebaut und zur Marktreife gebracht worden sind, hier in Deutschland nur noch konsumieren. Eine Zeitung hat es vor kurzem sehr treffend angemerkt: Deutschland scheint vom Land der Pioniere, das wir einmal gewesen sind, zur Provinz der Endabnehmer zu werden. Das kann man angesichts der Politik, die Sie hier auf den Weg bringen, nur unterstreichen. Herr Minister, in Ihrem Ministerium wird es hinter vorgehaltener Hand ebenfalls gesagt: Das ist eine Spielwiese für die Grünen, eine Spielwiese für die Ökopartei, damit sie sich bei ihrer Klientel profilieren kann. ({13}) Leider wird hier aber nicht gesehen, dass dies dem Standort schadet. Wir müssen uns darum bemühen, vor allem auf dem Gebiet der Innovationen wieder nach vorn zu kommen. In Bezug auf Patentanmeldungen sind wir gut; vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen liegen hier an der Spitze. Auch müssen wir neue Produkte schnell auf den Markt bringen. Hier sind wir langsamer als alle anderen Länder. ({14}) Deswegen haben viele andere Länder immer die Nase vorn. Hier müssen wir einen sehr schwierigen Aufholprozess bewältigen. Wir müssen in diesem Bereich besser werden, die Eigenverantwortung unserer Hochschulen stärken und, indem wir die entsprechenden Rahmenbedingungen setzen, dafür sorgen, dass Hochschulen und Wirtschaft noch intensiver zusammenarbeiten. Erfreut habe ich zur Kenntnis genommen, dass endlich auch der Energiepolitik in Ihrem Jahreswirtschaftsbericht breiterer Raum gegeben worden ist. Endlich haben Sie erkannt, dass Energiepolitik Standortpolitik und Wirtschaftspolitik ist; darüber sind wir froh. Aber die Energiepreise - einen der wichtigsten Aspekte - haben Sie in Ihrem Jahreswirtschaftsbericht mit keinem einzigen Wort erwähnt. Sie hatten nicht einmal den Mut, Ihre Preistreiberei zu begründen und zu sagen, warum Sie die Staatsabgaben auf die Energiepreise seit 1998 um 10 Milliarden Euro erhöht haben. Kollege Stiegler, das könnte man als Subvention bezeichnen, da die Verbraucher diese Umlage zahlen müssen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, denken Sie an Ihre Redezeit.

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie vergessen, dass hiervon über 600 000 Arbeitsplätze in der energieintensiven Industrie betroffen sind. Herr Minister Clement, ich glaube, auch für die Aluminiumindustrie sind die hohen Energiepreise, die Sie zu verantworten haben, ein wichtiges Thema. Wir brauchen Vertrauen, um aus der Krise zu kommen. Das schaffen wir nur durch Wachstum, aber nicht durch ein Wachstum auf Pump. Sie müssen endlich die richtigen Richtungsentscheidungen treffen. Der Minister hat Anfang dieses Jahres gesagt: „Eine kräftige und nachhaltige Trendwende für den Arbeitsmarkt erwarte ich erst 2006.“ Das erwarten auch wir; denn dann werden wir wieder an der Regierung sein. In diesem Sinne bedanke ich mich. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Thea Dückert.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Pofalla, vorhin haben Sie in Ihrer ersten Rede, die Sie als Nachfolger von Herrn Merz gehalten haben, Ihre Enttäuschung über den Jahreswirtschaftsbericht zum Ausdruck gebracht. Ich muss Ihnen sagen: Als ich Ihre Rede gehört habe, war auch ich enttäuscht; denn Sie als neuer Stern am wirtschaftspolitischen Himmel der Union haben die Chance vertan, die Gelegenheit zu ergreifen, uns zu sagen, wohin es mit Ihrer Wirtschaftspolitik geht. ({0}) Ich muss Ihnen zugute halten, dass Sie einiges gesagt und einen Zehnpunktepakt angeboten haben. Wenn man sich seinen Inhalt ernsthaft ansieht, wird die Enttäuschung wirklich grenzenlos. ({1}) Sie haben zehn Punkte vorgeschlagen, die von vorne bis hinten alter Wein in alten Schläuchen sind. Sie wollen zum Beispiel den Kündigungsschutz einschränken und die Tarifautonomie abbauen. Sie müssten mir übrigens einmal erklären, warum die Abschaffung von Betriebsärzten in kleinen Betrieben einen großen beschäftigungspolitischen Boom bringen soll. All dies haben Sie hier vorgetragen. Aber Sie haben sich in keinem einzigen Punkt Ihres Zehnpunktepaktes zu den Zukunftsfragen Innovation, Bildung und Investitionen geäußert. Ich verstehe das; denn Sie haben keine Begründung dafür, warum Sie, gerade was die notwendigen Investitionen in Bildung und ihre Finanzierung anbelangt - als Stichwort nenne ich die Eigenheimzulage -, auf der Bremse stehen. ({2}) Es gibt viele andere Punkte, zu denen Sie ebenfalls geschwiegen haben, und das angesichts einer Debatte, in der es um die Zukunft der wirtschaftlichen Entwicklung geht. Sie haben sich sogar verstiegen - so etwas habe ich von der Union überhaupt noch nicht gehört -, zu sagen, es sei schädlich, wenn Existenzgründerinnen und Existenzgründer in diesem Lande öffentliche Fördermittel erhielten. ({3}) Es tut mir wirklich Leid, Herr Pofalla, aber ich muss Ihnen sagen: Wir brauchen in Deutschland auch den Mut von Bürgerinnen und Bürgern zur Existenzgründung. Dabei helfen wir ihnen gerne. Ich bin froh, dass die Hilfe, die wir hier leisten, wirkt. ({4}) Meine Damen und Herren, wer heute die Zeitung aufschlägt, kann die Überschrift lesen: „Deutsche Unternehmen starten optimistisch ins neue Jahr“. Das ist gut, weil es bestätigt, was im Jahreswirtschaftsbericht an vielen Stellen belegt ist. Wenn man sich vor diesem Hintergrund noch einmal die Rede von Herrn Pofalla zu Gemüte führt, muss man feststellen, dass Sie mit ihrer Negativ- und Schwarzmalerei der Situation der deutschen Wirtschaft wohl ziemlich einsam dastehen. Die Wirtschaft ist, gesamtwirtschaftlich gesehen, längst aus dem Jammertal heraus. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sitzen offenbar noch im politischen Jammertal. ({5}) - Die Realität, das sage ich Ihnen gerne, ist, dass die starken Branchen der deutschen Wirtschaft heute volle Auftragsbücher haben. Der Maschinenbau beispielsweise rechnet für 2005 mit Rekordumsätzen. „Made in Germany“ ist in dieser Branche, aber auch in anderen ein Label, auf das wir wirklich stolz sein können. ({6}) Sie reden das klein - auch die Entwicklung im Export -, Sie nehmen noch nicht einmal zur Kenntnis, dass die Überschüsse im Export von Jahr zu Jahr zunehmen. Nein, Sie recyceln wieder diese abgestandene These der Basar-Ökonomie; sie ist für die deutsche Wirtschaft eigentlich nichts anderes als üble Nachrede. ({7}) Die Achillesferse ist im Jahreswirtschaftsbericht genannt: die Binnenkonjunktur. Dort ist aber auch beschrieben, dass genau hier sehr positive Zeichen zu sehen sind. Der Wirtschaftsminister hat auch auf eine aktuelle Meldung von Klaus Wübbenhorst aus der Gesellschaft für Konsumforschung hingewiesen, der gerade heute noch einmal an ganz aktuellen Zahlen dargelegt hat, dass die Reformen positiv auf die Binnennachfrage, auf die Konsumnachfrage wirken und dass wir als Folge der jüngst umgesetzten letzten Stufe der Steuerreform bei der Konsumnachfrage vorankommen. Das ist die Situation: Die Daten und die Fakten in Deutschland zeigen deutlich, dass Sie Ihre Schwarzmalerei langsam einstellen sollten. Aber die Entwicklung zeigt auch - das sehen wir zum Beispiel am Arbeitsmarkt, auf dem es, wenn auch nur Schritt für Schritt, vorwärts geht -, dass wir die erfolgreichen Reformen, die in die richtige Richtung gehen, definitiv fortsetzen müssen, dass wir in den Reformanstrengungen nicht nachlassen dürfen. Der Minister hat hier eine zentrale Zielmarke in den Raum gestellt, die wir in den Mittelpunkt unserer Bemühungen stellen müssen: Das Senken der Lohnnebenkosten auf unter 40 Prozent. ({8}) Das ist extrem wichtig für den Arbeitsmarkt, aber es ist auch ein extrem schwerer Schritt. Wir haben es in den letzten Jahren immerhin geschafft, den CDU-Trend der 90er-Jahre, steigende Lohnnebenkosten, zu stoppen und ein wenig umzukehren. ({9}) Eingedenk zentraler Rahmenbedingungen wie der schwierigen demographischen Entwicklung und im Sinne unserer politischen Zielsetzung, weiterhin belastbare, sichere soziale Sicherungssysteme zu haben, müssen wir jetzt mit der Reform der sozialen Sicherungssysteme fortfahren. Das ist eine sehr schwere Aufgabe, deren Lösung noch einige Jahre dauern wird. Auch dazu, lieber Herr Pofalla, habe ich von Ihnen nichts gehört. Das ist auch gut so. Ich kann verstehen, dass Sie den CDU-Murks zur Reform der Krankenversicherung nicht vorgetragen haben. Ich kann auch verstehen, dass Sie sich zu den notwendigen Reformen, die jetzt zeitnah anstehen, etwa jener der Pflegeversicherung, nicht geäußert haben. Aber da, wo Sie sich geoutet haben, wo Sie einmal den Mut gehabt haben, über Ihre eigene Forderung nach Senkung der Lohnnebenkosten auf unter 40 Prozent zu sprechen, da war das, was Sie uns vorgetragen haben, wirklich traurig. Sie haben gesagt, wir sollten die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung hier und sofort um 1,5 Prozent auf 5 Prozent senken. Sie haben aber nicht gesagt, wie Sie das finanzieren wollen bzw. wie Sie das Geld woanders einsparen wollen. Alle in diesem Saal wissen, warum Sie hier schweigen. Das ist nämlich exakt die Summe - etwa 20 Milliarden Euro -, die notwendigerweise in die aktive Arbeitsmarktpolitik gesteckt wird, um die Menschen, die viel zu lange arbeitslos waren, mithilfe von Qualifizierung, Umschulung, Lohnkostenzuschüssen oder auch den von Ihnen so beklagten Zuschüssen für Existenzgründungen wieder an den Arbeitsmarkt heranzuführen. Mit Ihrer Strategie, die Sie hier inhaltlich nicht aufbauen, kappen Sie für die Langzeitarbeitslosen die Brücken in den Arbeitsmarkt. Leider haben Sie nicht den Mut, das hier deutlich zu sagen. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Denken Sie bitte an die Redezeit.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich denke an die Zeit. - Eines möchte ich Ihnen noch sagen, weil Sie auch das hier bestritten haben: Die im Jahreswirtschaftsbericht belegten Indikatoren zeigen deutlich, dass die Reformen gewirkt haben. Die Schwarzarbeit ist definitiv zurückgegangen. ({0}) Im europäischen Vergleich sind wir übrigens das einzige Land, das 2003 bei der Entwicklung der Schwarzarbeit einen Knick aufweisen kann. ({1}) Die Beschäftigtenzahlen steigen langsam, und zwar auch durch eine höhere Quote bei der Selbstständigkeit. Die Differenz zwischen Neugründungen und Insolvenzen ist positiv. Die Zahl der Neugründungen in diesem Land steigt weiter.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, Sie müssen jetzt zum Schlusssatz kommen.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. ({0}) Wir haben noch vieles zu lösen, ({1}) zum Beispiel die Probleme mit den Hinterlassenschaften bei den Zuverdienstmöglichkeiten. Wir werden darangehen, die Brücken in den Arbeitsmarkt zu stärken. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ernst Hinsken. ({0}) - Die FDP hat bisher am meisten überzogen, Herr Niebel.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Dr. Dückert, Sie haben hier die Aussage getroffen, dass Kollege Pofalla in seiner Rede ständig schwarz gemalt habe. ({0}) Damit liegen Sie weit daneben. Es war eine fulminante und richtungsweisende Rede, ({1}) in der er vor allen Dingen aufgezeigt hat, welche Politik die Bundesrepublik Deutschland braucht, um in der Welt künftig besser dazustehen, um bei uns Arbeitsplätze zu sichern und ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu erreichen. ({2}) Verehrter Herr Minister Clement, im Geleitwort zum Jahreswirtschaftsbericht schreiben Sie unter anderem: Die Bundesregierung trägt mit den Maßnahmen der Agenda 2010 dazu bei, dass der Investitionsstandort Deutschland attraktiv bleibt usw. ({3}) Das ist er aber nicht. ({4}) Wir brauchen deshalb keine Agenda 2010, sondern eine Agenda für 2005; denn in wenigen Wochen erreichen wir in der Bundesrepublik Deutschland mit ungefähr 5 Millionen Arbeitslosen die höchste Arbeitslosigkeit seit Bestehen der Republik. Hier können wir nicht weiter zusehen. ({5}) Wir verlieren jeden Tag über 1 000 Arbeitsplätze. Jeden Tag gehen weitere 100 Betriebe über die Wupper. ({6}) Jeden Tag wächst die Staatsverschuldung um 250 Millionen Euro. Jeden Tag zahlen die Bundesbürger über 100 Millionen Euro nur an Zinsen. ({7}) - Herr Kollege Stiegler, nehmen Sie das einmal zur Kenntnis und seien Sie bereit, hier eine Umsteuerung vorzunehmen! - Jeden Tag zahlen die mittelständischen Betriebe 165 Millionen Euro Ökosteuer. Jeden Tag wächst die Bürokratie weiter. Des Weiteren ist anzuklagen, dass die Verschuldung der Bundesrepublik Deutschland allein seit 1998 um 13 Prozent gestiegen ist. ({8}) - Ich spreche von 1998 bis jetzt. - Von 1999 bis jetzt sind über 203 000 Unternehmen in Konkurs gegangen. Lassen Sie mich dazu einen Vergleich anstellen: In dem Zeitraum zwischen 1993 und 1998 haben 112 000 Unternehmen Konkurs angemeldet, also etwa die Hälfte. So weit sind wir schon gesunken. So weit haben Sie die Bundesrepublik Deutschland nach unten geritten. Das kann so nicht weitergehen. Wir wollen umsteuern. Deshalb bringen wir Konzepte ein, die in die richtige Richtung weisen. ({9}) Allein im letzten Jahr sind über 400 000 Arbeitsplätze verloren gegangen. Seit 1998 ist die Zahl der versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse um 1,4 Millionen gesunken. Dafür brauchen Sie sich nicht zu rühmen. Unser Wirtschaftswachstum ist das niedrigste in der Europäischen Union. Allein das Handwerk befürchtet in diesem Jahr den Verlust von weiteren 200 000 Arbeitsplätzen. ({10}) Das ist eine Negativzahl nach der anderen. Aber Sie, Herr Minister Clement, malen ein rosarotes Bild, als wäre alles in Ordnung. ({11}) Wie schreibt Friedrich Schiller, dessen 200. Todestag wir dieses Jahr gedenken? „Herr, dunkel war der Rede Sinn.“ ({12}) Auch das sei Ihnen ins Gedächtnis gerufen. Herr Clement, seit drei Jahren versprechen Sie eine Wende auf dem Arbeitsmarkt und bei den Staatsfinanzen. Was haben Sie erreicht? Ihre Politik - das sagte ich soeben - macht die Bürger arbeitslos und arm. Sie und Bundeskanzler Schröder können es einfach nicht. Frau Kollegin Wöhrl hat zu Recht gesagt, dass wir alle auf das Jahr 2006 warten, in dem eine Wende kommen wird und wir die Bundesrepublik Deutschland auch auf wirtschaftlichem Gebiet wieder nach vorne bringen werden. Mit Schönreden allein ist es nicht getan. Bedauerlich ist nur, Herr Minister, dass Sie das, was Sie uns sagen, selbst glauben. ({13}) Dazu fällt mir ein Sprichwort ein, das ich entsprechend abwandeln möchte: Kräht der Clement wie der Gockel auf dem Mist, dann ändert sich die Wirtschaft, aber sie bleibt, wie sie ist. ({14}) - Das habe ich speziell auf Herrn Clement umgemünzt. Ich darf bei dieser Gelegenheit noch sagen: Ein Land nach dem anderen überholt uns beim Wohlstand: Das Wirtschaftswachstum in den USA beträgt 4,4 Prozent, ({15}) in Großbritannien 4,4 Prozent und in Frankreich 2,5 Prozent. Der österreichische

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Deutschland liegt bereits weit hinter uns. - Ist das für diese Bundesregierung nicht ein Armutszeugnis? Wir können ja nichts dafür. Sie in der Regierung haben in Ihrer Regierungszeit viele Fehler gemacht. Das ging los mit dem Scheinselbstständigengesetz, der Abschaffung der 630-DM-Regelung, der Aufblähung der Mitbestimmung, dem Rechtsanspruch auf Teilzeit - allein dadurch sind 250 000 Arbeitsplätze verloren gegangen - und der Einführung der Ökosteuer. Sie haben die Bürokratie ausgeweitet, anstatt sie abzubauen. Sie haben die Investitionshaushalte gekürzt und Sie haben die Ich-AGs eingeführt. Meine Damen und Herren, was bringen uns diese 180 000 vom Staat subventionierten Ich-AGler mit einem Kostenvolumen von circa 1 Milliarde Euro? Die Ich-AGs bringen die regulären Betriebe in Schwierigkeiten, die brav und fleißig Steuern und Sozialabgaben zahlen, damit die Ich-AGs überhaupt finanziert werden können. Da stimmt doch etwas nicht. ({0}) Die Wirtschaftskrise hat praktisch alle Bereiche erfasst. ({1}) Im letzten Jahr sind in der Bauwirtschaft 50 000 Arbeitsplätze verloren gegangen. Für dieses Jahr ist ein weiteres Minus von 32 000 Arbeitsplätzen zu erwarten. Ich meine, so kann es doch nicht weitergehen. Herr Clement, ich bitte Sie, dies endlich zu verstehen, die Probleme zu erkennen und die Sorgen und Nöte der Bürger ernst zu nehmen. In dieser Zeit, in der wir alle bei Neujahrsempfängen als Redner auftreten, ({2}) ergibt sich vielfach die Möglichkeit und Gelegenheit, nach der Veranstaltung mit den Anwesenden zu sprechen. Da kommen Klagen über Klagen. Es kann nicht weggewischt werden, dass zum Beispiel das Handwerk - das Rückgrat des Mittelstandes - mit dem Rücken zur Wand steht. Ein Drittel der Betriebe macht keinen Gewinn mehr. Allein in den letzten fünf Jahren hat das Handwerk 20 Prozent seiner Beschäftigten verloren. Es fällt auf den Stand der 70er-Jahre zurück. Es ist kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Frau Kollegin Wöhrl hat darauf hingewiesen, was wir brauchen. Wir brauchen vermehrt Innovationen. Wir müssen - das soll gerade im Einsteinjahr nachdrücklich gesagt werden - mehr für die Bildung tun. Da sind wir alle zusammen gefordert, ganz gleich, auf welcher Seite. ({3}) Deshalb darf es in Bezug auf PISA für uns alle nicht „Geiz ist geil“ heißen, sondern es muss „Geist ist geil“ heißen. Daran müssen wir arbeiten. ({4}) Ich habe die Rede von Herrn Minister Clement aufmerksam verfolgt. Ich habe festgestellt, dass sie vieles an Inhalt hatte, aber keine einzige Vision. Herr Minister, ich möchte wissen, wie Sie die Probleme der Bundesrepublik Deutschland bewältigen wollen, damit es wieder besser wird. Was ist deshalb insbesondere für den Mittelstand zu tun? Ich meine, sechs Vorhaben müssen ganz oben stehen, nämlich einmal die Arbeitslosigkeit reduzieren, dann die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland stoppen und die Verschuldung und Bürokratie abbauen, wie es mein Heimatland Bayern macht. Da kann die Bundesregierung lernen, wie man vernünftige Politik macht. ({5}) - Da brauchen Sie, Herr Pronold, überhaupt nichts zu sagen, Sie 17-Prozent-Mann. Sie haben das niedrigste Wahlergebnis in der Bundesrepublik Deutschland erreicht. Immer den Mund aufreißen, aber keine Ahnung haben und nichts verstehen. ({6}) Es gilt vor allen Dingen die Ich-AGs abzuschaffen, den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit und das Betriebsverfassungsgesetz auf den Prüfstand zu stellen, daraus Konsequenzen zu ziehen und es anders auszurichten. ({7}) Wir brauchen in der Bundesrepublik Deutschland eine dritte Aufbruchstimmung, eine Aufbruchstimmung, wie wir sie nach der Fußballweltmeisterschaft 1954 hatten und wie wir sie nach der Wiedervereinigung im Jahre 1990 hatten. Ich hoffe, dass die dritte Aufbruchstimmung spätestens im Jahre 2006 kommt. ({8}) Lassen Sie mich nochmals Schiller zitieren. In „Don Carlos“ von Schiller heißt es: „Kardinal! Ich habe das Meinige getan. Tun Sie das Ihre!“ In Abwandlung dieses Zitats, sage ich Ihnen, Herr Minister: Minister! Ich habe das Meinige getan! Tun Sie das Ihre! Machen Sie eine vernünftige Politik, damit es in der Bundesrepublik Deutschland auch in Sachen Wirtschaft endlich wieder nach oben geht! Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Danke schön. - Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Brandner.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Kollege Hinsken hat seine Rede mit den Worten beendet: Wir brauchen eine dritte Aufbruchstimmung. - Bei der Schwarzmalerei ({0}) kann es keine Aufbruchstimmung geben. Wenn jemand so schwarz malt, dass er im Kohlenkeller noch Schatten wirft, Herr Hinsken, dann kann keine Bewegung in diesem Land entstehen. ({1}) Das ist eine Rede gegen die Wirklichkeit in diesem Land gewesen; denn tatsächlich ist die Schwächephase überwunden, tatsächlich haben wir den Pfad des kontinuierlichen Wachstums beschritten. Das hängt konkret mit unserer Politik zusammen. Umfassende Konzepte sind gefragt und wir sind in der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik, die sich ergänzen müssen, mit umfassenden Konzepten angetreten. Arbeitsmarktpolitik und Beschäftigungspolitik bedingen sich gegenseitig. Ich will gerne auf das eingehen, was Frau Wöhrl angesprochen hat, nämlich dass Hartz IV nur zu einer besseren Vermittlung führe. Genau darin liegt der Casus knacksus, um es deutlich zu sagen. ({2}) Natürlich ist bei der Arbeitsmarktpolitik das Vermittlungsgeschäft wesentlich. Wir alle wissen, dass durch bessere Vermittlung freie Arbeitsplätze deutlich schneller und besser besetzt werden können. Es sind 300 000 Arbeitsplätze gemeldet, das IAB und manche Unternehmensverbände gehen von 900 000 freien Stellen aus. Wenn wir also rund 1 Million freier Arbeitsplätze durch eine qualifiziertere Vermittlung besetzen können, dann organisieren wir einen Wachstumsschub in diesem Land. Wir sollten die Angelegenheit nicht kleinreden. ({3}) Es gibt ein viel zu hohes Potenzial an Überstunden. Auch insofern kann die Arbeitsmarktpolitik natürlich Implikationen für die Beschäftigungspolitik liefern. Auch gibt es in diesem Lande, was alle beklagt haben, zu wenige Existenzgründungen. Jetzt hat die Arbeitsmarktpolitik Facetten dafür geliefert, zusätzliche Beschäftigung durch Existenzgründungen zu organisieren. Das reden Sie jetzt schon wieder klein. Statt zu helfen, statt notfalls unterstützend tätig zu sein, sodass der Bestand dieser Existenzgründungen gesichert wird, tun Sie wieder so, als wäre die Arbeitsmarktpolitik nur eine Frage besserer Vermittlung. Sie ist viel mehr. Sie liefert beschäftigungspolitische Implikationen, und zwar in einem außerordentlich großen Maß. ({4}) Wenn wir über Beschäftigungspolitik reden, dann möchte ich Ihnen auch klar sagen, dass unsere Agenda 2010 neben der Arbeitsmarktpolitik natürlich noch viele andere beschäftigungspolitische Implikationen hat, weil wir auch die Sozialpolitik den neuen Herausforderungen anpassen. Das haben Sie bisher nicht geschafft, wie Sie selbst nur zu gut wissen. Auf Details dazu werde ich noch eingehen. Richtig ist doch, dass Arbeitsmarktpolitik mit einer nachhaltigen Beschäftigungspolitik ergänzt werden muss, damit die Arbeitslosigkeit in diesem Land reduziert werden kann. Aus internationalen Vergleichen wissen wir, dass es dabei keinen Königsweg gibt. Vielmehr kommt es auf ein stimmiges Gesamtkonzept an. Der Sachverständigenrat sagt in diesem Zusammenhang über unsere Arbeitsmarktpolitik, dass dies die bedeutendsten Reformen sind, die in den letzten Jahrzehnten durch eine Regierung angepackt worden sind. ({5}) Auch die internationale Anerkennung dieser Reformen ist groß. Wir haben den Mut gehabt, diesen schwierigen Weg zu gehen. Menschen aus anderen Ländern Europas fragen uns, woher wir den Mut dazu haben. Sozialdemokraten werden von anderen Parteien nach Brüssel eingeladen und gefragt, woher wir den Mut genommen haben, ob wir nicht Angst gehabt haben davor, dass uns wegen dieses mutigen Schrittes die Mehrheit in diesem Lande entzogen wird. Wir haben den Mut gehabt und werden dafür belohnt werden, meine Damen und Herren. Ihre Eierei gerade in der Arbeitsmarktpolitik nach dem Motto „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“ wird nicht erfolgreich sein. ({6}) Unser Leitmotiv, der aktivierende Sozialstaat, wird mit dem Bild der Schaukel sehr schön beschrieben. Besser als Ludwig Stiegler das getan hat, kann ich das nicht beschreiben. Aber ich weiß natürlich nur zu gut, Herr Pofalla, dass eine Schaukel dann sicher ist, wenn man sich mit ihr bewegt. Je schneller und stärker man sich bewegt, umso mehr macht die Bewegung Spaß und Freude. Vielleicht hatten Sie als Kind keine Schaukel. Wir brauchen diese Bewegung in unserem Lande. Wir müssen weg von „passiv“ und hin zu „aktiv“. Das ist der Weg, den wir beschreiten müssen. Diesen Weg werden wir mit unseren Reformen offensiv gehen. Insofern waren viele Ihrer Redebeiträge, sowohl der von Herrn Pofalla als auch der von Herrn Brüderle, nichts anderes als der Versuch, wieder etwas schlechtzureden, was nicht so schlecht ist. Damit meine ich auch die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen. Das sage ich, obwohl wir uns darauf einstellen müssen, dass sie weiter steigen. Der Grund dafür liegt vor allem darin, dass wir jetzt endlich eine ehrliche Statistik haben, die ehrlichste, die es in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands gegeben hat. ({7}) - Herr Kollege, Sie wissen doch genau, dass Trainingsmaßnahmen und andere arbeitsmarktpolitische Maßnahmen einzeln ausgewiesen werden, dass die Statistik also auch von daher völlig transparent ist. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich möchte meinen Gedanken jetzt zu Ende bringen. Herr Pofalla hat eben wieder gesagt, wir hätten zurzeit den höchsten Stand der Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung. ({0}) Nach einer dreijährigen Stagnationsphase, Herr Austermann, gibt es in der Tat einen hohen Stand bei der Arbeitslosigkeit. Aber bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass die Arbeitslosigkeit im Durchschnitt des Jahres 2004 immer noch unter dem Niveau des Durchschnitts dessen war, was wir im Jahre 1997 von Ihnen übernommen haben. Der Jahresdurchschnitt im letzten Jahr Ihrer Regierungsverantwortung ist höher gewesen, als er jemals war. ({1}) - Sie brauchen sich da gar nicht aufzuregen. Bei den Lohnnebenkosten ist die Situation ähnlich. Wir alle wissen, dass die Lohnnebenkosten für die internationale Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere aber für die Dienstleistungen in diesem Land ein wichtiger Faktor sind. Deshalb haben wir die Sozialsysteme nachhaltig reformiert und werden den Reformprozess weiter vorantreiben. Sie sind aber auch ein sozialer Pfeiler unserer Arbeit in Deutschland. Angesichts der harten Daten müssen Sie zur Kenntnis nehmen, dass in den 80er-Jahren - in Ihrer Regierungsverantwortung - die Lohnnebenkosten bei 32 Prozent lagen. In den 90er-Jahren sind sie von 35,5 Prozent auf über 42 Prozent im Jahr 1998 gestiegen. ({2}) Wir haben in dieser Situation trotz der viel größeren Herausforderungen einen Pfad der Kontinuität beschritten. ({3}) Die deutsche Wiedervereinigung ist in der Tat zu berücksichtigen. Der demographische Wandel hat sich verstärkt und die Arbeitslosigkeit lag beständig auf einem hohen Niveau. Aber unter diesen Bedingungen haben wir es geschafft, die Lohnnebenkosten sechs Jahre lang zu stabilisieren und jetzt sogar systematisch zu senken. ({4}) Das ist die Leistung dieser Regierung. Insofern besteht die beste Politik, um die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest zu machen, in Investitionen in Bildung, Ganztagsschulen und in einer Innovationsoffensive, um die Grundlagen für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu schaffen. Dafür treten wir ein und das ist der Weg, den wir kontinuierlich weiter beschreiten werden. ({5}) Lassen Sie mich etwas zu den Ausführungen von Herrn Pofalla zur Arbeitslosenversicherung anmerken. In einem Presseartikel hat er gefordert, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung auf 5 Prozent zu senken. In dem Artikel heißt es weiter, dass er eigentlich 4 Prozent betragen müsste. Man muss sich einmal eine Vorstellung davon machen, was das konkret bedeuten würde. Eine Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung auf 4 Prozent der Grundlohnsumme hätte einen Rückgang der Beitragseinnahmen um 18,75 Milliarden Euro zur Folge. Konkret bedeutet das, die aktive Arbeitsmarktpolitik, durch die Menschen in Beschäftigung kommen und für die wir zurzeit 14,1 Milliarden Euro ausgeben, zu ändern. Wer diesen Vorschlag ernsthaft verfolgt, muss dazu sagen, dass er das Arbeitslosengeld kürzen und keine aktivierenden Maßnahmen mehr anbieten will. Wer das will, der will die Bundesagentur für Arbeit aufgeben und zu einer reinen Lohnausfallversicherungsanstalt machen. Wer das will, muss mit dem erbittertsten Widerstand der Sozialdemokraten rechnen. ({6}) - Seien Sie doch froh, dass sie zurückgegangen sind. Das ist doch ein Beleg dafür, dass die Effizienz der Arbeitsmarktpolitik und der Bundesagentur für Arbeit kontinuierlich verbessert wird und dass nur die notwendigen Ausgaben getätigt werden. Seien wir doch froh darüber, statt es zu beklagen! ({7}) Mich hat allerdings überrascht, was in Fragen der Arbeitsmarktpolitik sonst üblich ist. Was zum Beispiel die Altenpflegeausbildung angeht, hätten die Länder längst reagieren müssen. Es ist doch interessant, dass auf der einen Seite gefordert wird, Beiträge zu senken und keine Mittel für entsprechende Maßnahmen mehr zur Verfügung zu stellen, und auf der anderen Seite im Parlament in einem Antrag gefordert wird, den Ländern mehr Mittel zuzuweisen, damit sie ihre Aufgaben besser wahrnehmen können. Eine solche Politik dem Motto „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“ können wir Ihnen nicht durchgehen lassen, Herr Pofalla. Das ist Populismus - auch im Wahlkampf -, den wir offen ansprechen und Ihnen nicht durchgehen lassen werden. ({8}) Lassen Sie mich kurz auf einige weitere Punkte zu sprechen kommen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Nein, Herr Kollege, Sie haben Ihre Redezeit überschritten. Ihnen bleibt nur noch die Zeit für einen Schlusssatz.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann will ich mich auf die Feststellung beschränken, dass unsere Reformen für den Fortschritt stehen. Das ist auch schon deutlich geworden. Bei dem von Herrn Pofalla vorgetragenen Reformkonzept handelt es sich um nichts anderes als um ein Abbaukonzept, das Angst macht. Wir brauchen aber Mut in der Gesellschaft. Wir müssen dafür eintreten, dass Reformen in der Gesellschaft wieder als etwas Positives begriffen werden. Wir haben dafür den Grundstock gelegt und werden in dieser schwierigen Phase mit Mut und Zuversicht dafür sorgen, dass Deutschland in der Aufwärtsentwicklung bleibt. ({0}) Es befindet sich nicht im freien Fall, wie es hier dargestellt worden ist. Ich lade Sie dazu ein, dabei konstruktiv mitzuhelfen. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung für das Jahr 2005 gibt eine vorsichtige Wachstumsprognose für das Bruttoinlandsprodukt in Höhe von 1,7 Prozent an. Zugleich wird eine noch höhere Arbeitslosenzahl als 2004 angenommen. Der Trend ist also genau umgekehrt, als noch im Herbst vorausgesagt und auch im Deutschen Bundestag von der Bundesregierung verkündet wurde. Das Hauptproblem für 4,5 bis 5 Millionen unmittelbar Betroffene und damit auch eines der Kardinalprobleme für die Sozialsysteme bleibt also unverändert riesengroß. Die Massenarbeitslosigkeit nimmt sogar zu. Das ist das belastende Minus der Wachstumsprognose der Bundesregierung. Als Wirtschaftshemmnisse wird gern auf die hohen Ölpreise und den im Vergleich zum Dollar zu starken Euro verwiesen. Dass beide Faktoren Einfluss auf die Wirtschaft und ihre Entwicklung haben, liegt auf der Hand. Aber das sind nicht die einzigen Faktoren, die hemmend wirken. Die entscheidende Schwachstelle ist nach wie vor der Binnenmarkt. Diese Schwachstelle ist hausgemacht; denn die Agenda-2010-Politik der Bundesregierung stärkt nicht den Binnenmarkt, sondern schwächt ihn weiter. Allein durch Hartz IV und das Arbeitslosengeld II wurden dem Binnenmarkt Milliarden Euro an Kaufkraft entzogen. Das senkt die Nachfrage und gefährdet insbesondere kleine und mittelständische Betriebe. Ergo sind weitere Arbeitsplätze gefährdet und es werden keine neuen geschaffen. Deshalb hat die PDS im Bundestag immer gesagt: Hartz IV ist nicht nur unter sozialen Gesichtspunkten falsch. Hartz IV ist vielmehr auch in wirtschaftlicher Hinsicht kontraproduktiv, allemal in ohnehin strukturschwachen Regionen, und zwar sowohl im Osten als auch im Westen der Republik. Obendrein werden Begehrlichkeiten geweckt, die unter dem Strich ebenfalls negativ zu Buche schlagen werden. Die so genannten 1-Euro-Jobs für Arbeitslosengeld-II-Empfänger im Bereich der gemeinnützigen Leistungen waren noch nicht einmal eingerichtet, da riefen schon die Unternehmerverbände: Hier sind wir! 1-Euro-Jobs sollten auch in der Wirtschaft geschaffen werden, so die gesetzwidrige Forderung. Ausgerechnet der für den Aufbau Ost zuständige Minister Stolpe wurde in der vergangenen Woche mit den Worten zitiert, er könne sich das gut vorstellen. Die PDS lehnt dies konsequent ab. Wir fordern stattdessen, alles zu unterlassen, was Lohndumping befördert, die Kaufkraft der Beschäftigten senkt und den Binnenmarkt weiter schwächt. Es ist höchste Zeit für eine Grenze, damit Beschäftigte von ihrer geleisteten Arbeit wirklich leben können. Deshalb begrüße ich, dass nach Verdi nun auch die IG Metall wieder über einen gesetzlich fixierten Mindestlohn nachdenkt. Nach Berechnungen vieler Sozialwissenschaftler müsste ein Mindestlohn oberhalb von 1 400 Euro brutto angesiedelt werden. Die PDS schließt sich dieser Auffassung an. Ich erwarte von den Fraktionen der SPD und der Grünen, dass sie sich ebenfalls in Richtung eines Mindestlohngesetzes bewegen. Es gibt weitere Faktoren, die ihre Schatten vorauswerfen und auf soziale Standards zielen sowie den Binnenmarkt weiter schwächen werden. Ich verweise nur auf die EU-Dienstleistungsrichtlinie. Bleibt sie so, wie sie derzeit geplant ist, dann wird sie einen EU-weiten Wettlauf um niedrigste Sozial- und Umweltstandards eröffnen. Das ist weder im Sinne der Bürgerinnen und Bürger noch im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung. Deshalb fordert nicht nur die PDS: Die EU-Dienstleistungsrichtlinie muss gründlich überarbeitet werden, und zwar auch im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung. Zugleich gilt es, gemeinsam mit Polen und Tschechien die EU-Anschlussregionen gezielt und beschleunigt zu entwickeln, so wie es Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern mit der Oderregion gemeinsam vorhaben. Das ist umso dringlicher, als die anhaltende und notwendige EU-Förderung für ostdeutsche Regionen zumindest bislang nicht gesichert zu sein scheint. Die EU-Osterweiterung birgt große Chancen für alle Beteiligten. Sie birgt aber auch Gefahren für ganze Regionen. Auch das gehört zur Wirtschaftsprognose. Schließlich werden der Binnenmarkt und die Wirtschaftsentwicklung so lange schwächeln, solange die Kommunen als Auftraggeber ausfallen. Anders gesagt: Wir brauchen eine Steuerreform, mit der die Nachfrage angekurbelt und nicht weiter gedrosselt wird. Die rotgrüne Politik bewirkt allerdings das genaue Gegenteil. Gerechtigkeit halber muss man allerdings sagen, dass die bekannten Forderungen von CDU/CSU das Manko sogar noch potenzieren würden. Ich wiederhole: Die meisten Probleme, die wir heute behandeln, sind in politischer Hinsicht hausgemacht.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Joachim Poß. ({0})

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Pau, ein paar Sätze zu Ihnen. Ich glaube, dass Sie sich mit dem Leugnen der Notwendigkeit struktureller Veränderungen wirklich an dem versündigen, was Sie zu tun vorgeben. Insbesondere gegenüber den Menschen in Ostdeutschland geben Sie vor, deren Interessen zu vertreten. Derjenige, der sich der Gestaltung verweigert, versündigt sich aber an den Menschen, die auf Arbeit hoffen. Das muss man ganz klar feststellen. ({0}) Ich glaube und prognostiziere, dass sich der Optimismus von Wolfgang Clement und dieser Koalition durchsetzen wird. Das, was wir hier heute Morgen erlebt haben, nämlich die Premiere von Herrn Pofalla sozusagen als Verkörperung der Opposition, hat eines deutlich gemacht: Die Opposition wird immer ideenloser und immer kraftloser. Das ist die Zustandsbeschreibung des heutigen Tages. ({1}) Die Menschen in unserem Lande sind leider - das zeigen auch die Umfragen - verunsichert. Aber sie sehen gleichwohl immer stärker die Notwendigkeit, Veränderungen vorzunehmen, um den gesellschaftlichen Wandel zu gestalten. Außerdem sehen sie in dieser Koalition aus SPD und Grünen immer stärker diejenige Kraft, die Erneuerung in sozialer Verantwortung in Deutschland anpackt und auch schafft. Auch das ist die Botschaft des heutigen Tages. ({2}) Die Antwort der Opposition ist altbekannt: Sie besteht in schiefen internationalen Vergleichen; da werden Äpfel mit Birnen verwechselt. Immer wieder wird die Lokomotivfunktion der Bundesrepublik Deutschland beschworen. Wann hatten wir denn diese Lokomotivfunktion? Das war Ende der 70er-Jahre, als Jimmy Carter Helmut Schmidt sagte, Deutschland solle eine solche Funktion übernehmen. Unter den zu Beginn der 80er-Jahre herrschenden Umständen hatte die Bundesrepublik Deutschland die Lokomotivfunktion. Ich möchte, wie es Frau Merkel in den letzten Tagen getan hat, die Statistik bemühen: Deutschland sei im Ranking der OECD auf dem 18. Platz. Schauen Sie doch einmal genau nach: Auf dem 18. Platz standen wir auch 1988, also vor der großen Aufgabe der Vereinigung. Das ist die Wahrheit. ({3}) Sie werden dieses Spiel weiterspielen, und zwar mit schiefen Vergleichen, die nicht weiterführen und die vor allem eines nicht bewirken: dass die Probleme gelöst werden und dass Menschen verstärkt in Arbeit kommen. Das ist die Folge Ihres Schwarzredens und entsprechenden Handelns. ({4}) Ich glaube, dass das, was wir in den letzten Jahren unter der Überschrift „Agenda 2010“ verstärkt und auch schon vorher angepackt haben - das zeigen der Jahreswirtschaftsbericht und auch die Äußerungen des Sachverständigenrates -, ein großer Schritt in die richtige Richtung ist. Das, was Sie, Kollege Pofalla, vorgetragen haben, bedeutet im Klartext: Lohnabbau, Sozialabbau, Abbau von Arbeitnehmerrechten. In der gleichen Rede konfrontieren Sie uns mit tatsächlichen oder vermeintlichen Daten aus dem Armuts- und Reichtumsbericht. Was meinen Sie denn? Ihrer Auffassung nach sind unsere Standards doch viel zu hoch. ({5}) Ich empfehle Ihnen einmal eine Stunde der Einkehr. Offenkundig haben bisher weder die Oppositionsfraktion CDU/CSU noch die Oppositionsfraktion FDP ihre Strategie gefunden. Das, was Sie hier geboten haben, ist doch hilflos. ({6}) Da passt doch eines nicht zum anderen. Sie verbreiten hier ökonomischen und gesellschaftlichen Unsinn. Sie blenden zum Beispiel den Umstand aus - meine Vorredner haben es schon erwähnt; der Sachverständigenrat hat diesen Bereich sehr intensiv bearbeitet; er hat in seinem aktuellen Bericht noch einmal auf seine vorherigen Studien verwiesen -, dass die Situation in Ostdeutschland die Wachstumsperspektive Gesamtdeutschlands nach wie vor entscheidend tangiert. Das betrifft die Arbeitslosigkeit, den Rückgang der Erwerbstätigkeit und die unterdurchschnittliche Zuwachsrate Deutschlands beim Bruttoinlandsprodukt. Die Wahrheit ist, dass der Aufholprozess in Ostdeutschland ins Stocken gekommen ist. Deswegen müssen wir dieses Stocken gemeinsam überwinden. Das bedeutet aber kein Abschreiben des Ostens. Die Wiedervereinigung ist für uns vielmehr ein historischer Glücksfall gewesen. Zur Vollendung der Einheit brauchen wir weiterhin erhebliche West-Ost-Transfers. Die CDU/CSU spielt das alte Spiel, indem sie behauptet, wir seien das wirtschaftliche Schlusslicht Europas. Das stimmt nicht. Wenn Sie sich die strukturellen Probleme des Gesundheitswesens in Großbritannien und bei der Rente und den Pensionen in anderen Ländern anschauen, werden Sie feststellen - das hat auch ein Mitglied des Sachverständigenrates, Frau Weder di Mauro, kürzlich in einer Rede in Basel getan -, dass wir durch die Anstrengungen der letzten Jahre inzwischen weiter als andere europäische Staaten sind und dass wir das Potenzial haben, die Zukunftsfähigkeit Deutschlands zu sichern. Nur wir, so der Sachverständigenrat, haben die große Herausforderung der Bewältigung der Vereinigung wirklich schultern können. Keine andere europäische Volkswirtschaft wäre dazu in der Lage gewesen. Deswegen haben wir auch das Potenzial, die Probleme nach und nach zu lösen. Das Ausland sieht das so. Warum Sie das nicht so sehen und damit potenzielle ausländische Investoren sogar abschrecken, versteht im Ausland niemand. Im Zusammenhang mit der Finanzpolitik und dem Stabilitäts- und Wachstumspakt frage ich: Warum haben Sie, wenn der EU-Währungskommissar Almunia kein Problem damit hat, die enorme Herausforderung der deutschen Einheit zur Beurteilung der deutschen Finanzlage im Rahmen des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes heranzuziehen, damit ein Problem? ({7}) Herr Pofalla oder Frau Merkel, Sie tragen vor, Sie hätten tragfähige Konzepte zur Verbesserung der Wirtschaftsentwicklung und der Beschäftigung in Deutschland. Frau Merkel hat gesagt: „Der inhaltliche Diskussionsprozess in der Union war sicherlich nicht immer einfach; aber diese Phase ist jetzt vorbei.“ Frau Merkel ist klug genug, zu wissen, dass das, was sie da gesagt hat, nicht stimmt. Es gibt in keinem einzigen Bereich ein Unionskonzept, das die Differenzen und Widersprüche zwischen CDU und CSU auflöst. Ihr so genanntes Steuerreformkonzept oder Ihr Gesundheitsreformkonzept kaschiert die Widersprüche, mehr nicht. Deswegen haben Sie diese misslungenen Entwürfe auch in der Schublade verschwinden lassen. In der Anhörung des Finanzausschusses in der letzten Woche wurde Ihnen noch einmal attestiert: Ihr Steuerreformkonzept ist unsozial, unfinanzierbar, fehlerhaft. Es fehlt der gesamte Bereich der Unternehmensbesteuerung. Das wollen Sie bis zum Jahresende nachliefern. Das heißt, Sie haben kein Konzept für Bereiche, für die Sie sich reklamieren, ein Konzept zu haben. ({8}) Das gilt auch für den Bereich Familie. Jetzt endlich wollen Sie ein Konzept zur Familienpolitik erstellen ebenfalls bis zum Jahresende. Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Was erzählen Sie im schleswig-holsteinischen Landtagswahlkampf oder in Nordrhein-Westfalen oder überhaupt bis zum Ende des Jahres? Wie sind Sie überhaupt konzeptionell aufgestellt? Sie konstatieren, dass Sie für die Familienpolitik noch etwas erarbeiten müssen. ({9}) Sie konstatieren, dass Sie für andere Bereiche noch etwas erarbeiten müssen. Sie sind weder inhaltlich noch taktisch noch personell aufgestellt. Das ist Ihre Situation. ({10}) Ihr Prozess der inhaltlichen Klärung ist nicht abgeschlossen. Überall Fehlanzeige! Ihre rein mechanistische Sichtweise des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts würde zur Schwächung von Wirtschaft und Beschäftigung in Deutschland führen. Auch in 2005 bleiben Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, offensichtlich das, was Sie seit Jahren sind: unverbindlich und widersprüchlich. Das ist keine Alternative, jedenfalls keine Alternative, die man den Bürgerinnen und Bürgern in der Bundesrepublik ernsthaft zumuten sollte. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dietrich Austermann.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Poß hat gefragt, was wir denn den Bürgern in Schleswig-Holstein vor der Landtagswahl erzählen. ({0}) Ich will die Frage beantworten. Wir sagen ihnen: Frau Simonis ist ökonomisch gescheitert. Wir sagen ihnen: Die Bundesregierung ist ökonomisch gescheitert. Ich will dafür den Beweis antreten. Wir sind am Anfang einer Debatte oder am Ende einer Debatte, ({1}) die sich mit dem Jahreswirtschaftsbericht befasst, der im Januar, also zu Beginn des Jahres, Aussagen darüber trifft, in welche Richtung sich das Land entwickelt. Wenden wir uns dem zu, was die Bürger am meisten betrifft! Ich vermute, das ist die Frage: Hast du Beschäftigung, hast du ein Einkommen, ja oder nein? Dazu erklärt die Regierung im Jahreswirtschaftsbericht selbst, dass die Zahl der Arbeitslosen, also der Menschen, die keine Arbeit haben, im Jahresverlauf steigt. ({2}) Das heißt, die Situation verschlechtert sich, Herr Kollege Stiegler. ({3}) Ich will Ihnen das konkret an einem Beispiel belegen. Als der Bundeshaushalt für das Jahr 2005 aufgestellt wurde, im Juni letzten Jahres, ging das Kabinett für dieses Jahr von einer Arbeitslosenquote von 4,2 Millionen aus. Im Herbst kam die Bundesagentur zu dem Ergebnis, dass sie 4,35 Millionen betragen wird. Der Jahreswirtschaftsbericht geht jetzt von knapp 4,6 Millionen Arbeitslosen aus. Das heißt, allein seit der Vorstellung des Kabinettvorschlages für den Haushalt dieses Jahres hat sich nach Einschätzung der Bundesregierung die Zahl der voraussichtlich Arbeitslosen um 400 000 erhöht. Für diesen Personenkreis zumindest hat sich also die persönliche Perspektive verschlechtert. Der Kollege Hinsken hat das ein bisschen anders formuliert, indem er sagte: Rot-Grün macht arm und arbeitslos. Genauso ist das. Sie machen arm, weil ein größerer Teil der Bevölkerung weniger zu tun und damit weniger Einkommen hat und weil die Zahl derjenigen Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind, immer größer wird. Sie machen auch den Staat arm, denn der Versuch, über hemmungsloses Schuldenmachen den Arbeitsmarkt anzukurbeln, ({4}) hat ja nicht funktioniert. Wir haben die höchsten Schulden - 53,7 Milliarden Euro an Schulden hat der Bund im letzten Jahr aufgenommen -, die wir je hatten, und wir haben eine steigende Arbeitslosen- bzw. sinkende Beschäftigtenzahl. Dennoch wird hier immer wieder versucht, den Eindruck zu erwecken, dass man dadurch, dass man irgendwoher einfach immer mehr Kredite aufnimmt, die Situation verbessern könnte. Genau das Gegenteil ist der Fall. Spätestens nach ein bis zwei Jahren rächt sich dieses Schuldenmachen auf grausame Weise. So liegen die Wachstumserwartungen im Vergleich zum Vorjahr schon niedriger. Jetzt ist die Frage, welche Perspektiven der Wirtschaftsminister dafür aufgezeigt hat, dass es später besser wird. Wir sind es von ihm gewohnt, dass er jeweils zu Beginn des Jahres sagt, die Situation im Moment sieht zwar so und so aus, aber am Ende des Jahres wird es 200 000 Arbeitslose weniger geben. ({5}) Im Jahreswirtschaftsbericht gibt es jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass das so kommen wird. Auch aus Ankündigungen von konkreten Maßnahmen kann man das nicht ableiten, denn es wurden keine konkreten Maßnahmen angekündigt. Der Einzige, der konkrete Vorschläge unterbreitet hat, wo man ansetzen könnte, um über das Miniwachstum, das keine konkrete Verbesserung der Beschäftigungssituation mit sich bringt, hinauszukommen, war der Kollege Pofalla. Er hat ein ZehnPunkte-Programm vorgestellt. ({6}) Kein anderer, und erst recht niemand aus den Regierungsparteien, hat einen einzigen konkreten Vorschlag gemacht. Sie haben nur über erneuerbare Energien und Ähnliches gesprochen. Dazu möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Der Kollege Schulz, der hier ein Gesicht macht, als hätte er die konkreten Wirtschaftsdaten der Bundesregierung gelesen, sagte, Sie hätten etwas für erneuerbare Energien getan. Dazu sage ich Ihnen: Wir haben schon im Bereich erneuerbare Energie gehandelt, da hatten Sie noch die Eierschalen der Göttinger Hausbesetzerszene abzustreifen. Da haben wir uns schon um Windenergie, nachwachsende Rohstoffe und vieles andere mehr gekümmert. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Der Herr Kollege Schulz hat, wie ich glaube, mit Göttingen nichts zu tun. ({0})

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es ist erfreulich, dass die Präsidentin mitdenkt. Ich will ganz klar sagen, wen ich gemeint habe: Es war der Kollege Trittin. Wir waren beide zu der Zeit in Göttingen. ({0}) Damals musste ich als Stadtdirektor dafür sorgen, dass er aus einem besetzten Haus verschwindet und sich ordentlichen Dingen zuwendet. ({1}) Meine Damen und Herren, ich bin gefragt worden, was wir in Schleswig-Holstein täten. Ich sage Ihnen noch einmal: Was im Großen für den Bund gilt, gilt in gleicher Weise für die rot-grün regierten Bundesländer. Rot-Grün macht arm und arbeitslos. In Schleswig-Holstein gibt es 40 000 Arbeitslose mehr als zu der Zeit, als Frau Simonis Ministerpräsidentin wurde. ({2}) Im letzten Jahr haben 10 000 Menschen ihre Beschäftigung verloren. Innerhalb eines Jahres 10 000 Menschen! Die Situation bezüglich der Armut ist so schlimm, dass 45 000 Kinder in Schleswig-Holstein heute Sozialhilfe beziehen. Sie haben sich auf aktuelle Daten bezogen. So hat der Wirtschaftsminister darauf verwiesen, dass die GfK herausgefunden hat, dass es im Dezember eine Veränderung beim Konsum gegeben hat. Das hängt wohl irgendwie mit Weihnachten zusammen. Schauen Sie sich einmal die tatsächliche Situation an. Heute konnte man in einer neuen Studie lesen, dass sich die Kluft zwischen Arm und Reich seit der Amtsübernahme durch die rotgrüne Bundesregierung vergrößert habe. ({3}) Deutlicher kann man, glaube ich, gar nicht darstellen, dass Sie auf dem falschen Wege sind. Die Energiepolitik ist hierfür ein gutes Beispiel. Der Wirtschaftsminister des Landes Schleswig-Holstein redete davon, dass er im ersten Halbjahr 2004 im Vergleich zum Jahr 2003 ein gutes Wirtschaftswachstum gehabt habe. Worauf ist das zurückzuführen? Im ersten Halbjahr 2004 war das Kernkraftwerk Brunsbüttel am Netz, im ersten Halbjahr 2003 nicht. Indem Sie mit Ihrer Wirtschaftspolitik für höhere Strompreise und insgesamt für höhere Energiekosten sorgen, verschlechtern Sie zugleich die Situation der Menschen und der Betriebe. Lassen Sie mich abschließend ein Beispiel nennen, das meines Erachtens deutlich macht, wo und wie etwas falsch läuft und warum es anders laufen muss. Die Firma Dräger in Lübeck, die 1 500 Mitarbeiter beschäftigt, überlegte, mit dem Teilkonzern Dräger Medical nach Tschechien zu gehen. Man hat mit dem Betriebsrat verhandelt. Die Ministerpräsidentin des Landes SchleswigHolstein hat - das war ihr einziger Beitrag zu diesem Thema - die Geschäftsleitung beschimpft. Nach langem Hin und Her gab es eine Einigung zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung. Jeder hat gedacht, damit sei die Kuh vom Eis. Wochen später jedoch war in der Zeitung zu lesen, der Aufsichtsrat könne das Projekt noch nicht abschließen, weil der Bundesvorstand der IG Metall in Frankfurt noch keinen Termin gefunden habe, um sich mit dem Vorhaben zu befassen. Wenn Sie etwas für die Wirtschaft tun wollen, dann sorgen Sie dafür - das hat der Kollege Pofalla vorhin gesagt und das hat ja auch der Bundeskanzler im Rahmen seiner Agenda 2010 einmal angekündigt -, dass betriebliche Bündnisse möglich sind! Sorgen Sie dafür, dass in den Betrieben selbst entschieden wird, was für die Betriebe gut und richtig ist, und dass nicht Gewerkschaftsfuzzis weit weg darüber entscheiden, was zum Wohle - in diesem Falle: zum Schaden - des Landes gemacht wird. Rot-Grün macht arm und arbeitslos und die Büchsenspanner der Gewerkschaften stehen dabei und reiben sich die Hände. Das muss anders werden, damit es in Schleswig-Holstein und in ganz Deutschland besser wird. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/4700 und 15/4300 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: Beratung des Berichts des Rechtsausschusses ({0}) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Dr. Norbert Röttgen, Hartmut Koschyk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Verbrechen wirksam bekämpfen - Genetischen Fingerabdruck konsequent nutzen - Drucksachen 15/2159, 15/4732 Berichterstattung: Abgeordnete Joachim Stünker Christine Lambrecht Dr. Norbert Röttgen Jerzy Montag Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich vernehme keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Wolfgang Bosbach.

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! So tragisch die Ermordung Rudolph Moshammers war, so erfreulich ist die rasche Aufklärung des Verbrechens. Wir verdanken sie der DNA-Analyse einer Körperspur, die am Tatort - genauer gesagt: am Tatwerkzeug - gefunden wurde, und dem Abgleich mit einer bereits beim BKA gespeicherten Spur. Der Beschuldigte hatte sie in einem anderen Strafverfahren zuvor abgegeben. Er konnte rasch identifiziert werden. Hätte diese Identifizierung nicht erfolgen können, hätten möglicherweise langwierige Vernehmungen und Untersuchungen erfolgen müssen. Das gesamte Milieu hätte befragt werden müssen. Wir wissen nicht, ob die Straftat überhaupt aufgeklärt worden wäre. ({0}) Die DNA-Analyse ist keine Wunderwaffe beim Kampf gegen das Verbrechen. Aber sie ist ein äußerst wirksames Instrument, um Straftaten aufzuklären, Straftäter zu überführen, neue Straftaten zu verhindern, aber auch zu Unrecht Verdächtigte zu entlasten. In den USA sind über 100 rechtskräftig zum Tode verurteilte „Straftäter“ durch DNA-Analysen entlastet und dann entlassen worden. In Deutschland wurden zwischenzeitlich dank der DNA-Analyse 18 000 Straftaten aufgeklärt, darunter 340 Tötungsdelikte und 820 Sexualstraftaten. Wir registrieren in Deutschland 6,5 Millionen Straftaten pro Jahr. Seit drei Jahren steigt diese Zahl an. Die Gewerkschaft der Polizei schätzt, dass nur jede zehnte Straftat entdeckt und zur Anzeige gebracht wird. Die Aufklärungsquote beträgt nur 53 Prozent. Am höchsten ist sie in Bayern mit fast 65 Prozent. Allein der Freistaat Bayern hat 20 Prozent aller DNA-Datensätze an das BKA geliefert. Zu viele Straftaten bleiben unaufgeklärt; zu viele Straftäter kommen ungeschoren davon. Das wollen wir ändern. Wir wollen Deutschland sicherer machen. ({1}) Wir wollen die Bürger besser, als es zurzeit möglich ist, vor Straftaten schützen. Dabei kann der so genannte genetische Fingerabdruck helfen. Deswegen wollen wir ihn zukünftig stärker nutzen, als es derzeit möglich ist. Die jetzige Rechtslage ist zu restriktiv. Die Voraussetzungen für die Abnahme und Speicherung sind restriktiver, als sie aus rechtsstaatlichen und verfassungsrechtlichen Gründen sein müssten. Der genetische Fingerabdruck ist der Fingerabdruck des 21. Jahrhunderts. Deshalb wollen wir ihn zur Standardmaßnahme bei jeder erkennungsdienstlichen Behandlung machen. ({2}) Das heißt, nicht jeder Täter, nicht jeder Beschuldigte, nicht jeder Tatverdächtige muss eine Speichelprobe abgeben, sondern nur derjenige, der ohnehin erkennungsdienstlich behandelt wird. Die immer wieder gerne aufgestellte Behauptung, zukünftig müsse jeder Eierdieb, jeder Ladendieb und jeder Schwarzfahrer ({3}) eine Speichelprobe abgeben, erfüllt den Tatbestand des groben Unfugs. Man möge hier einmal die Namen der Eierdiebe und der Schwarzfahrer nennen, die in den vergangenen Jahren erkennungsdienstlich behandelt worden sind. Das alles ist Unfug. Nur 12,7 Prozent aller Beschuldigten werden erkennungsdienstlich behandelt, das heißt, die große Masse nicht. Im Übrigen ist die im „Tagesspiegel“ gemachte Aussage, dass die Union einen DNA-Test für alle Verdächtigen fordert, schlicht falsch. Wer gute Argumente hat, braucht keine absurden heranzuziehen. Wer absurde benutzt, hat keine guten. ({4}) Zudem ist es schlicht falsch, dass die Polizei wahllos und willkürlich erkennungsdienstliche Maßnahmen durchführen kann. Sie kann es nur, wenn die Voraussetzungen der Strafprozessordnung gegeben sind. Zurzeit umfassen diese Maßnahmen die Abnahme des klassischen Fingerabdrucks, die Aufnahme des berühmten dreigeteilten Bildes und die Beschreibung körperlicher Merkmale. Hinzutreten soll der so genannte Mundschleimhautabstrich, die genetische Analyse. Mehr ist nicht geplant. Die dagegen vorgebrachten Argumente überzeugen nicht. Das erste Argument ist die viel beschriebene Angst vor dem gläsernen Menschen. Wir wollen keinen gläsernen Menschen; wir wollen keinen Überwachungsstaat. Wir haben vor 15 Jahren einen Überwachungsstaat abgeschafft. ({5}) Beim BKA gibt es 80 000 anonyme Datensätze und 300 000 bekannte Personen. Da müssten wir in Deutschland 300 000 gläserne Menschen haben. Sagen Sie uns doch einmal, wo diese 300 000 gläsernen Bürger sind! Was wissen wir von ihnen außer einer Zahlenkombination, die beim BKA gespeichert ist? Schon die Bezeichnung „genetischer Fingerabdruck“ ist falsch. Untersucht werden nicht die Gene, die Träger von Erbinformationen, sondern das Füllmaterial dazwischen, der nicht codierende Teil des menschlichen Erbgutes. Was kann man damit machen? ({6}) Man kann die Spur einer Person zuordnen oder man kann ausschließen, dass die Spur von einer bestimmten Person stammt. Das ist exakt das Gleiche wie beim klassischen Fingerabdruck. Es gibt eine Ausnahme: Man kann noch das Geschlecht bestimmen. Das ist alles; mehr ist naturwissenschaftlich nicht möglich. ({7}) Wer daran einen Zweifel hat, lese den „Stern“ - er ist hundertprozentig politisch korrekt und eine Lieblingslektüre von vielen - von dieser Woche, Seite 148/149. Das zweite Argument ist, dass man falsche Spuren legen kann. Das ist das Lieblingsargument der Bundesjustizministerin. Es ist ein geniales Argument; denn es stimmt. Aufgrund dieses Arguments muss man aber auch den klassischen Fingerabdruck verbieten. Es gibt doch beim Legen falscher Spuren keinen Unterschied darin, ob ich eine Kippe mit Speichel oder eine Zigarettenpackung mit einem Fingerabdruck am Tatort deponiere. In beiden Fällen kann man falsche Spuren legen. Das dritte Argument ist, dass jemand zu Unrecht in Verdacht geraten kann. Richtig, das kann auch beim klassischen Fingerabdruck der Fall sein. Wer so argumentiert, unterstellt den ermittelnden Polizeibeamten nichts anderes, als dass sie ihre Arbeit nicht beherrschen. ({8}) Es ist doch einfach Unfug, zu sagen: Spur gefunden, Spur analysiert, Spur verglichen, Täter gefunden! Nein, es muss doch gefragt werden: Hatte der Verdächtige eine Tatgelegenheit? Hatte er ein Tatmotiv? Wo war er zum besagten Zeitpunkt? Das alles gehört doch zur Arbeit der ermittelnden Polizeibeamten. Die DNA-Spur ersetzt die Kriminalistik nicht. Dann kommt das vierte Argument, das Hauptargument: dass man die Analyse auch missbrauchen könne. Wer so argumentiert, unterstellt den Labors bzw. den Landeskriminalämtern nichts anderes als kriminelle Energie. Bei Autofahrern sind wir übrigens völlig schmerzfrei. Eine Blutprobe enthält allerfeinstes genetisches Material. In Deutschland dürften Hunderttausende Blutproben abgezapft worden sein. Mir ist nicht ein einziger Fall bekannt, in dem jemals etwas anderes untersucht worden wäre als die Blutalkoholkonzentration. Wir wollen nur wissen, wie viel Schnaps der Betreffende im Blut hat, und nicht, ob er Träger von Erbkrankheiten ist oder welche gesundheitlichen Merkmale er hat. Dazu schrieb mir vorgestern ein leitender Kriminalbeamter, ein Kriminalhauptkommissar: Mittlerweile wundert es mich, dass ein junger Polizeibeamter eine Blutprobe ({9}) wegen Trunkenheit im Straßenverkehr anordnen und auch mit Zwang durchführen lassen darf, OHNE Richtervorbehalt, dass ein Gerichtsmediziner eine Alkoholbestimmung durchführen darf, OHNE dass die Probe anonymisiert ist. Kann sich Herr Beck - gemeint ist der von den Grünen nicht vorstellen, dass ein krimineller Mediziner eventuell ein wenig Blut an Krankenkasse und Versicherung schickt? Der Mann - er ist ein Praktiker - hat völlig Recht. Hier wird ja auch noch anonymisiert untersucht. Das heißt: Der Untersuchende weiß gar nicht, wer der Spurenleger ist. Was soll er denn mit dem Material anderes machen, als lediglich einen Zahlencode herzustellen? Als fünftes Argument sind natürlich, wie bei fast allem, die Bürgerrechte in Gefahr. Um welche Bürgerrechte geht es hier? Das Recht auf Erbinformation ist selbstverständlich schützenswert. Es bleibt geschützt, das interessiert niemanden. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann erkennbar nicht gemeint sein; denn der Mensch wird nicht entschlüsselt durch den nicht codierenden Teil. Mir geht es aber um andere Bürgerrechte. Es gibt kein Bürgerrecht, unentdeckt eine Straftat zu begehen. Der Straftäter hat nicht das Bürgerrecht, ungeschoren davonzukommen. ({10}) Aber es gibt das Recht der Bürger, vom Staat geschützt zu werden. Wir reklamieren für uns das staatliche Gewaltmonopol. Wir sagen, dass nur eine Instanz Gewalt ausüben darf, und das ist der Staat. Wenn wir das Monopol reklamieren, dann haben wir die Verpflichtung, unsere Bürger so wirksam, wie wir können, vor Verbrechen, vor Straftaten in allen Erscheinungsformen zu schützen. Der Bundeskanzler ist dafür, der Bundesinnenminister ist dafür. Die Bundesjustizministerin weiß noch nicht genau, wofür oder wogegen sie ist. Die Innenminister und die Justizminister der Länder sind dafür. Welche unbekannte Macht hindert diese Bundesregierung eigentlich daran, das zu tun, was sie tun müsste? ({11}) Sie auf der Regierungsbank müssen sich entscheiden, was Ihnen wichtiger ist: der stärkere Schutz der Bevölkerung vor Straftaten oder der Frieden in der Koalition. Diese Frage müssen Sie beantworten. ({12}) Kommen wir zum letzten Punkt. Besteht nicht angesichts des Antrags der Union doch Anlass zur Sorge? Ich kann nur sagen: Ja. Wissen Sie, wer sich Sorgen machen muss? Die Ganoven müssen sich Sorgen machen. Sie müssen die Sorge haben, demnächst schneller überführt und dingfest gemacht zu werden. ({13}) Damit sie sich Sorgen machen, haben wir diesen Antrag gestellt. Danke fürs Zuhören. ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Frau Justizministerin Brigitte Zypries. ({0})

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bosbach, der Höhepunkt der Karnevalszeit ist nächste Woche. ({0}) Das Thema, das wir heute hier behandeln, ist eines, über das man wirklich ernsthaft diskutieren sollte. ({1}) Ich habe mich über Ihren Einstieg in dieses Thema gefreut, weil Sie nämlich konzediert haben, dass der Mord an Herrn Moshammer innerhalb kürzester Zeit aufgeklärt werden konnte, und zwar auf Grundlage des geltenden Rechts. ({2}) - Das ändert nichts daran, dass dies geltendes Recht ist, verehrter Herr Dr. Röttgen. Mit anderen Worten: Dieser Fall bietet keinen Anlass für eine aufgeregte Debatte. ({3}) Es ist auch nicht unsere Art, eine aufgeregte Debatte zu führen. Wir wissen nämlich schon seit einer ganzen Zeit, dass wir im Zusammenhang mit DNA-Untersuchungen etwas ändern müssen. Das haben wir bereits in diesem Hause diskutiert, erst letzte Woche. Im Bundesministerium der Justiz wurde eine Prüfung begonnen, bei der wir uns mit den Ländern zusammengeschlossen haben. Ein Ergebnis unserer Prüfung haben wir bereits in geltendes Recht umgesetzt: Seit dem 1. April des letzten Jahres kann bei allen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung die DNA des Täters gespeichert werden, wenn davon ausgegangen werden muss, dass er in Zukunft weitere erhebliche Straftaten begehen wird. Das heißt, im letzten Jahr haben wir bereits für Sexualstraftäter eine Erweiterung des Rechts vorgenommen. Sie haben aus der Verabredung mit den Justizministern zitiert. Ich weiß nicht, worauf Ihr Zitat beruht. Offenbar wissen Sie schon, was die Minister wollen, ich zumindest weiß es nicht. ({4}) - Ich weiß nicht, woher Sie den haben. ({5}) Es gibt keinen abgestimmten Entwurf der Justizminister. Die Verabredung war, dass sie das im April gemeinsam vorstellen. Die Justizminister der Länder Bayern und Hessen haben sich aber offenbar nicht daran gebunden gefühlt, die Ergebnisse einer von ihnen mit eingesetzten Arbeitsgruppe abzuwarten, und stattdessen einen Gesetzentwurf vorgelegt. Das verschafft uns die Möglichkeit, unsere eigenen Vorstellungen offen zu legen. ({6}) Denn an die Verabredung brauchen wir uns dann nicht mehr zu halten. ({7}) Ich habe eben schon gesagt: Es wäre sinnvoll, wenn man insofern eine ernsthafte Debatte führen würde. Der Antrag, über den wir hier heute diskutieren, ist - das konzedieren Sie wahrscheinlich inzwischen selbst - in Teilen überholt. Ich habe es eben bereits gesagt: Sexualstraftaten sind bereits aufgenommen, und das ist das, was Sie in Ihrem Antrag fordern. ({8}) Was Sie ansonsten fordern, bleibt unklar. Denn Sie fordern auf der einen Seite eine Gleichstellung der DNAAnalyse mit dem Fingerabdruck - das hat eben ja auch Herr Bosbach gemacht - und halten auf der anderen Seite in dem Antrag daran fest, dass eine Speicherung nur dann zulässig sein soll, wenn von dem Beschuldigten erhebliche Straftaten zu erwarten sind. So lautet aber auch der geltende Gesetzestext. Das entspräche dann nicht der hundertprozentigen Gleichstellung in § 81 b StPO. ({9}) - § 81 b beträfe die Gleichstellung mit dem Fingerabdruck und dem Lichtbild. ({10}) Genau das wäre es nicht. Das wird ja selbst von den Ländern Hessen und Bayern nicht gefordert. ({11}) - Doch. Lesen Sie den Antrag! Den kann ich Ihnen geben; den habe ich nämlich. ({12}) Das sind nur zwei Beispiele dafür, wie leicht man sich in diesem Geflecht verlaufen kann. Das zeigt, dass man mit diesem Spannungsfeld sehr sorgfältig umgehen muss. ({13}) Das ist in der Tat ein grundrechtssensibler Bereich. Denn es ist völlig unstreitig, dass die Feststellung und die Speicherung des Identifizierungsmusters einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung darstellen. ({14}) Dies kann nur geschehen, wenn es in überwiegendem Interesse der Allgemeinheit ist und wenn dabei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird. Das ist tägliches Geschäft bei der Grundrechtsdogmatik. Auf der anderen Seite - dies ist bei einer Abwägung natürlich auch zu berücksichtigen - ist der Staat verpflichtet, die Bürgerinnen und Bürger bestmöglich vor Straftaten zu schützen. Dazu gehören sowohl die Prävention als auch die schnellstmögliche Aufklärung von Straftaten. Darin sind sich die Regierungskoalition, die Rechts- und Innenpolitiker von SPD und Grünen und darin bin ich mir auch mit dem Herrn Bundesinnenminister einig. ({15}) Was wollen wir nun ändern? Es werden im Moment vor allem drei Punkte diskutiert. Der eine Punkt ist der Richtervorbehalt; das findet sich auch in Ihrem Antrag. Wir werden zunächst - darüber wird auch schon länger diskutiert - eine Modifizierung bei der Spurenuntersuchung vornehmen. Das heißt, bei der Untersuchung von anonymen Spuren am Tatort ist der Richtervorbehalt entbehrlich. In Bezug auf die Entnahme von Körperzellen beim Beschuldigten und die sich anschließende molekular-genetische Untersuchung wollen wir am Richtervorbehalt grundsätzlich festhalten. Das soll in einem für die Praxis wichtigen Fall nicht gelten, nämlich im Fall der Freiwilligkeit, also dann, wenn die Betroffenen damit einverstanden sind, dass ihre Daten gespeichert werden. Dann bedarf es künftig auch nach dem Gesetz keiner richterlichen Anordnung mehr. Bei Gefahr im Verzuge gilt weiterhin: Der Richter muss nicht eingeschaltet werden, wenn die Untersuchung unaufschiebbar ist und der Ermittlungserfolg sonst gefährdet wäre. Gestatten Sie mir, dass ich noch einmal darauf hinweise: Es geht hier nur um künftige Strafverfolgung. Für die Feststellung während eines laufenden Verfahrens zur Aufklärung einer Straftat sind jede DNA-Untersuchung und jeder DNA-Abgleich heute grundsätzlich zulässig. Das ist gar nicht das Problem. Wir reden nur über die Speicherung mit Blick auf künftige Verfahren. ({16}) Auch da wollen wir die DNA-Analyse ausweiten. Neuere Studien des Bundeskriminalamtes zeigen uns, dass zum Beispiel ein Vergewaltiger in der Regel ein kriminelles Vorleben hat, das nicht unbedingt einen Sexualbezug haben muss, sondern in sehr vielen Fällen einen Bezug zu kleineren Straftaten aufweist. Das gibt uns die verfassungsrechtliche Legitimation, zu sagen: Wenn wir aufgrund empirischer Erkenntnisse wissen, dass das so ist, dann dürfen wir die entsprechende Vorsorgemaßnahme auch treffen. Deswegen werden künftig auch mehrfach begangene einfache Straftaten eine Speicherung rechtfertigen, wenn von diesem Täter in Zukunft Straftaten zu erwarten sind. Ob das so ist, muss eine Prognose zeigen. Das ist das, was man unter „Negativprognose“ diskutiert. Für diese ist entscheidend - so hat es das Bundesverwaltungsgericht formuliert -, dass man angesichts aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere angesichts der Art, der Schwere und Begehungsweise der Taten, des Anlassverfahrens und der Persönlichkeit des Täters, Anhaltspunkte für die Annahme hat, dass der Betroffene künftig mit guten Gründen als Verdächtiger wieder in den Kreis von potenziellen Beteiligten an einer noch aufzuklärenden Straftat kommen könnte. Wenn es darum geht, eine Straftat aufzuklären oder sie zu verhüten - Letzteres wäre noch besser -, dann muss der Eingriff gegen das Grundrecht des Täters auf informationelle Selbstbestimmung in dieser Weise abgewogen werden. Damit wird eine Abwägung getroffen, wie sie auch bei anderen Eingriffen vorgenommen wird, insbesondere beim normalen Fingerabdruck oder bei der Erstellung von anderen erkennungsdienstlichen Merkmalen. Wir wollen in Zukunft auch die Zulässigkeit von so genannten Reihengentests gesetzlich regeln. Bei diesen Tests werden Teile der Bevölkerung zur Abgabe ihrer Speichelprobe aufgefordert, um an der Aufklärung einer Straftat mitzuwirken; in der Regel geht es um Mord oder Vergewaltigung. In diesem Bereich sind in der Praxis erhebliche Unsicherheiten aufgetreten, weil unklar war, ob dies ohne eine richterliche Entscheidung angeordnet werden darf. Wir wollen deshalb eine klare Rechtsgrundlage schaffen, die insbesondere klären soll, ob dies durch einen Richter anzuordnen ist, und die die Aufklärungspflichten gegenüber den Betroffenen beschreibt. Meine Damen und Herren, aus diesen Eckpunkten können Sie entnehmen, dass es eine völlige Gleichstellung der DNA-Analyse mit Lichtbildern und Fingerabdrücken nicht geben wird. Ich habe es eben schon einmal gesagt: Davon gehen auch der hessische und der bayerische Antrag nicht aus, denn sie ändern eben nicht § 81 b, sondern § 81 a und erhalten damit auch den Richtervorbehalt. Genetische Daten sind etwas Besonderes und die Forschung hinsichtlich ihrer Auswertung ist noch lange nicht abgeschlossen. Selbst wenn wir heute sagen können, dass zuverlässig nur bestimmte Dinge gemacht werden, muss der Gesetzgeber darauf Rücksicht nehmen, dass er eine richtige, sachgerechte und verfassungsmäßige Ausgestaltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips vornimmt. Dabei muss er natürlich auch die Realität sowie die Tatsache berücksichtigen, dass auch heute erkennungsdienstliche Maßnahmen nur bei einem ganz bestimmten Teil der Beschuldigten durchgeführt werden, nämlich nur bei ungefähr 12 bis 14 Prozent von ihnen. Der Eindruck, dass jedem Beschuldigten in einem Strafverfahren und überhaupt jedem, der vernommen wird, der Fingerabdruck abgenommen werden würde, ist schlicht falsch; darauf hat Herr Bosbach eben bereits hingewiesen. Aber diese Tatsache hindert nicht, dass eine Norm als solche verfassungsgemäß sein muss, unabhängig davon, wie oft sie dann angewandt wird. Wir können davon ausgehen, dass sie richtig angewandt wird. Es ist unstreitig, dass unsere Justiz und unsere Polizei ordentliche Arbeit leisten und sich an die Gesetzestexte halten; die müssen allerdings auch so formuliert sein, dass sie damit umgehen können. Das, was wir bis jetzt mit den Regelungen erreicht haben, ist gut. Wir sollten deshalb unsere Erfolge nicht klein- und schlechtreden. ({17})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Danke schön. - Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jörg van Essen.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt kaum eine Entwicklung in der Kriminalistik, die eine solche Erfolgsgeschichte darstellt wie die Genanalyse, und zwar auch deshalb, weil sie nicht nur zur Ergreifung von Tätern geführt, sondern in einigen Fällen auch deutlich gemacht hat, dass es leider gravierende Fehlurteile gegeben hat. Ich habe das in meiner eigenen dienstlichen Tätigkeit erlebt; ich war an einem Verfahren beteiligt, bei dem sich aufgrund der neuen Möglichkeiten ergeben hat, dass ein wegen Mordes zu lebenslänglicher Haft verurteilter britischer Soldat mit Sicherheit nicht der Täter war. Das macht deutlich, dass dies ein Bereich ist, den wir in der Rechtspolitik in besonderer Weise betrachten müssen. Ich bedauere, dass das in den letzten Wochen nicht mit dem Tiefgang und nicht mit der Sorgfalt geschehen ist, die man gerade bei einem solch wichtigen Thema erwarten kann. ({0}) Ich bedauere dies auch deshalb, weil ich der Auffassung bin, man sollte, bevor man Forderungen nach neuen gesetzlichen Bestimmungen stellt, erst einmal die alten Regelungen beurteilen. ({1}) Dazu müssen nach meiner Auffassung zwei Feststellungen getroffen werden: Erstens hat der Fall Moshammer gezeigt, dass ein so schwerwiegendes Verbrechen offensichtlich mit den bestehenden Bestimmungen ganz schnell aufgeklärt werden konnte. ({2}) Das ist die erste Feststellung. Meine zweite Feststellung ist, dass Datensätze nach den bestehenden Bestimmungen, wenn es um Alttäter geht, an das Bundeskriminalamt geliefert werden dürfen. Ich stelle dankbar fest: Dort, wo Justizminister meiner Partei, der FDP, Verantwortung tragen - in BadenWürttemberg und in Rheinland-Pfalz -, ist dies in vollem Umfang geschehen. ({3}) Aber in meinem Heimatland, in Nordrhein-Westfalen, sind 3 000 Spuren leider noch immer nicht an das Bundeskriminalamt geliefert worden. Wer weiß, wie wichtig es ist, neue Fälle mit alten Spuren vergleichen zu können, der legt natürlich erheblichen Wert darauf, dass ein solcher Missstand - in Nordrhein-Westfalen besteht ein gravierender Missstand - abgebaut wird. ({4}) An der Diskussion, die wir bisher geführt haben, ist mir aufgefallen, dass wir die Urteile des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Frage nur gestreift haben. ({5}) Das bedauere ich; ({6}) denn das Bundesverfassungsgericht hat uns Vorgaben gemacht. ({7}) Es ist immer gut, wenn die Politik die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, das für uns die Verfassung auslegt und damit die Grundlage unseres politischen Lebens schafft, beachtet. ({8}) Wir, die FDP, legen Wert darauf, dies zu tun. Dennoch denke ich, wir sollten in dieser Diskussion offen sein und die Spielräume, die uns das Bundesverfassungsgericht eröffnet, nutzen. Immerhin geht es um die Aufklärung, gegebenenfalls sogar um die Verhütung schwerster Straftaten. Diese klare und eindeutige Haltung wird in dieser Diskussion unsere Linie sein. Da von den anderen Fraktionen angesprochen wurde, mit welchen Positionen sie in diese notwendige Debatte gehen, will auch ich das für meine Fraktion tun. Erstens. Wir haben bereits den Antrag eingebracht, bei anonymen Spuren in Zukunft auf den Richtervorbehalt zu verzichten. ({9}) Diese Auffassung teilt auch der Bundesdatenschutzbeauftragte. Eine anonyme Spur, durch die keine Rechte einer bestimmten Person verletzt werden können, soll in Zukunft ohne die Einschaltung eines Richters untersucht und gegebenenfalls auch gespeichert werden dürfen. Das ist der erste Punkt. ({10}) Auch der zweite Punkt ist sehr wichtig. Wir wissen, dass insbesondere nach Morden an Kindern an der Bevölkerung, die als Täter in Betracht kommt, ein Massengentest durchgeführt wird. Wir machen das im Augenblick ohne jegliche rechtliche Grundlage. Vor allen Dingen ist völlig unklar, wie mit jemandem, der sich weigert, daran teilzunehmen, umzugehen ist. Ist er nur aufgrund seiner Weigerung bereits ein Beschuldigter oder nicht? ({11}) Daran wird deutlich, dass wir diese wirklich wichtige rechtliche Frage auf ein vernünftiges Fundament stellen müssen. Auch müssen wir über die Aufbewahrung der Proben diskutieren. Sofern es sich um freiwillige Tests handelt - auch hierzu gibt es unterschiedliche rechtliche Auffassungen -, habe ich eine klare Meinung: Wenn jemand freiwillig seinen Speichel - beispielsweise für eine gentechnische Untersuchung - abgibt, bedarf es grundsätzlich keines Richtervorbehaltes. Jeder ist selbst Herr über seine Daten. Wenn man sie freiwillig hergibt, wie es auch im Fall Moshammer geschehen ist, dann ist selbstverständlich keine Beteiligung eines Richters notwendig. ({12}) - Herr Gehb, das ist eben nicht selbstverständlich. ({13}) Wie Sie wissen, gibt es hierzu unterschiedliche rechtliche Entscheidungen. ({14}) Ich habe hier lediglich meine Auffassung deutlich gemacht. Sie können ganz ruhig sitzen bleiben. Meine Position jedenfalls ist klar und eindeutig. ({15}) Ein letzter Punkt ist mir ebenfalls außerordentlich wichtig. Es ist so, dass für eine Untersuchung im Augenblick nur einzelne Straftaten von Gewicht in Betracht kommen. Wie die Justizministerin, deren Auffassung in dieser Frage ich teile, bin ich der Meinung: Auch eine Fülle von kleineren Straftaten kann insgesamt das Bild ergeben, dass ein Krimineller Straftaten von Gewicht begangen hat. In diesem Fall muss er anders behandelt werden als derjenige, der beispielsweise eine Flasche Bier oder etwas anderes in einem Kaufhaus hat mitgehen lassen. Das sind die Eckpunkte, mit denen wir in diese Debatte gehen. Wir sind offen für eine Diskussion, orientieren uns gleichzeitig aber ganz klar an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Vielen Dank. ({16})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Christian Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen heute über den Bericht des Rechtsausschusses zu dem Gesetzentwurf und Antrag der Union reden. Ich habe für die Union zwei gute und zwei schlechte Nachrichten. Die erste schlechte Nachricht: Die Koalition hat sich bei der Debatte über den so genannten genetischen Fingerabdruck nicht zerstritten und wird dies auch nicht tun. ({0}) Wir haben uns gestern noch einmal zusammengesetzt: In wesentlichen Punkten sind wir uns einig. ({1}) Jetzt kommt eine gute Nachricht für Sie ({2}) ich will einmal aus dem Ritual ausbrechen, das in diesem Hause sonst üblich ist -: Es gibt auch Anträge der anderen Seite, also der Opposition, bei denen man nach vielen Diskussionen und nach umfangreicher öffentlicher Debatte sagen muss: Das Ziel dieses Gesetzentwurfes ist richtig. - In diesem Sinne sage ich Ihnen: Das, was Sie im Dezember 2004 in Ihrem Antrag geschrieben haben - dass bei anonymen Spuren der Richtervorbehalt wegfallen sollte -, ist richtig. ({3}) Ich habe - das hatten Sie von mir im Rechtsausschuss ja verlangt bzw. erbeten - aus den vielen Diskussionen, an denen ich beteiligt war, gelernt; das sage ich hier so klar. Da sind wir uns offenbar schon alle einig. Ich habe eine weitere gute Nachricht für Sie: ({4}) Auch in weiteren Punkten, die Sie in Ihrem Antrag vom Jahr 2003 angesprochen haben, bahnt sich eine weitgehende Verständigung an, also auch in der Frage: Was ist, wenn eine Speicherung freiwillig erfolgt? In diesem Fall bin auch ich der Auffassung, dass Einschränkungen der Grundrechte, hier: des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, für den Grundrechtsinhaber disponibel sind. Das tun wir ja auch selber, zum Beispiel wenn wir jemanden mithören lassen, wenn wir telefonieren. ({5}) Ja bereits dann, wenn wir in der Wohnung einmal laut sind, lassen wir andere mithören. Das ist zwar ein Eingriff, aber einer, der mit Einverständnis geschieht. Dasselbe gilt für diesen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Auch über andere Punkte kann man durchaus reden - Sie haben das angesprochen und dem habe ich mich nie verschlossen -, etwa über die Frage, ob es sich um eine Straftat von besonderer Bedeutung handelt. Natürlich muss man dabei einbeziehen, ob ein Täter das erste Mal, das zweite Mal, das zehnte oder das 16. Mal straffällig wird; dass das bei der Beurteilung eine erhebliche Rolle spielt, ist für jeden Strafjuristen eigentlich selbstverständlich. Ich füge noch einen Punkt hinzu, der mir in den vielen Diskussionen immer wieder vorgehalten worden ist: Es gab in Niedersachsen den Fall einer versuchten Vergewaltigung, bei dem gar nicht einmal der Richter einen Fehler gemacht hat, sondern offenbar die Staatsanwaltschaft: indem die Prognose nicht gestellt wurde, dass so etwas wieder passieren könnte, dass der Täter wieder straffällig werden könnte. Deshalb ist keine Speicherung erfolgt. Da wird man darüber nachdenken können und müssen, ob man, damit so etwas nicht wieder passiert, dem Richter - so ähnlich wie das auch beim Haftrecht ist - bei besonders schweren Straftaten, bei denen die begangene Tat eine Wiederholung geradezu indizieren könnte, Vorgaben macht. - Das war die zweite gute Nachricht für Sie. ({6}) Jetzt komme ich zur zweiten schlechten Nachricht für Sie: Wir werden uns dem Antrag, den Sie gestellt haben, trotzdem nicht anschließen. ({7}) Es ist schon darauf hingewiesen worden - und das müssen auch Sie erkennen -: Ihr Antrag spiegelt eigentlich nicht mehr den aktuellen Diskussionsstand wider. In ihm wird nur ein Punkt angesprochen. Doch inzwischen haben wir eine ganze Reihe von zusätzlichen Punkten, die geregelt werden müssen. Wir müssen uns jetzt die Zeit nehmen, uns anhand der Tatsachen, die uns die Justizminister der Länder hoffentlich mitteilen, genau zu überlegen, welche Bereiche wir wie regeln müssen. Dann müssen wir da relativ zeitnah herangehen. Die schlechte Nachricht geht noch weiter: Ich folge Ihrer Auffassung nicht, Herr Bosbach - das können Sie auch nicht ernsthaft vertreten, wenn Sie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gelesen haben -, dass es sich hier nicht um einen Grundrechtseingriff handelt. Natürlich handelt es sich um einen Eingriff, nämlich in das Grundrecht auf informationelle SelbstbestimHans-Christian Ströbele mung. Für mich sind weiterhin die beiden Kriterien maßgebend, die das Bundesverfassungsgericht in allen seinen Entscheidungen immer wieder betont hat: Erstens. Nicht bei jeder Straftat - es muss sich um eine schwerwiegendere Straftat handeln - ist eine solche Maßnahme richtig und vom Grundgesetz her zulässig. Das ergibt sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und daraus, dass es sich hier um einen Grundrechtseingriff handelt. Zweitens. Den Richtervorbehalt möchte ich grundsätzlich bis auf die Fälle beibehalten wissen, die wir hier angesprochen haben, bei denen ein genetischer Fingerabdruck nämlich keinen Sinn macht. Der Richter kann bei anonymen Spuren keine Abwägung vornehmen, wenn es gar keinen Beschuldigten gibt und er somit auch keinen Beschuldigten kennen kann. Wie soll er dann eine Prognose erstellen, ob dieser wieder straffällig wird? Das heißt, hier wäre das einfach unsinnig. Deshalb habe ich das am Anfang auch gesagt. Mit anderen Worten: Bei vielen Dingen liegen wir in der Grundanalyse noch auseinander, bei vielen Einzelforderungen sind wir uns aber auch mit der Opposition einig. Wir werden ein Gesetz verabschieden, das sicherlich nicht in allen Punkten dem entspricht, was Sie in der Öffentlichkeit gefordert haben, durch das aber dem Rechnung getragen wird, was auch ich für richtig halte. Das habe ich immer wieder betont. Ich glaube, es herrscht Einigkeit hier im Saal - natürlich auch in meiner Fraktion - darüber, dass wir erstens die Begehung schwerer Straftaten so gut es irgendwie geht verhindern wollen und dass wir zweitens an einer schnellen Aufklärung interessiert sind, wenn solch schreckliche Straftaten wie zuletzt in München begangen werden. Unter dieser Voraussetzung gehen wir daran. Für uns ist das Grundgesetz der Maßstab, an dem wir unsere Gesetzgebung ausrichten. ({8}) Ich habe manchmal den Eindruck, dass das bei Ihnen nicht der Fall ist. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Götzer, CDU/ CSU-Fraktion.

Dr. Wolfgang Götzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000707, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte ist von der Union gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung erzwungen worden, weil unser Antrag, um den es heute geht, seit über einem Jahr nicht behandelt und diskutiert wird. Die rot-grüne Regierungskoalition hat mit ihrer Mehrheit eine Beratung und Beschlussfassung darüber verhindert. ({0}) Wir sind der Meinung, dass dieses Nichthandeln unverantwortlich ist; ({1}) denn jeder verlorene Tag ist ein Tag, an dem Verbrechen mit DNA-Analysen aufgeklärt und neue möglicherweise verhindert werden könnten. ({2}) - Regen Sie sich wieder ab! Sie können gleich gerne zustimmen und unsere Forderungen umsetzen. Darauf freuen wir uns. Es gibt zwar eine Menge öffentlicher Erklärungen der Bundesjustizministerin und des Bundesinnenministers, die uns alle sehr vernünftig vorkommen; die Behandlung und Umsetzung dort, wo es sich gehört, nämlich nicht in irgendwelchen Interviews von Illustrierten, sondern hier im Parlament, sieht aber ganz anders aus. Das erinnert ein wenig an die Überschrift in der „Bild“-Zeitung, in der der Bundeskanzler bezogen auf die Sicherungsverwahrung mit den Worten „Wegsperren für alle Zeit“ zitiert wurde, und das, was nachher dabei herausgekommen ist. Wir haben in unserem Antrag ganz klar formuliert, dass in Zukunft in all den Fällen, in denen bisher der klassische Fingerabdruck genommen werden kann, auch die DNA-Analyse möglich sein soll. In allernächster Zeit werden wir vonseiten der CDU/CSU-Fraktion hierzu einen Gesetzentwurf einbringen mit dem Inhalt, dass der genetische Fingerabdruck zum erkennungsdienstlichen Standard wird und dass ein gesonderter richterlicher Beschluss in Zukunft nicht mehr notwendig ist. Mit anderen Worten: Die Polizei soll in Zukunft selbst über die Anwendung der DNA-Analyse entscheiden können. ({3}) Sie wissen, dass das bayerische Kabinett bereits gestern einen Gesetzentwurf beschlossen und damit auf dem Gebiet der Verbrechensbekämpfung wie so oft die Initiative ergriffen hat. ({4}) - Frau Ministerin, ich darf Ihnen die kleine Empfehlung geben, sich den Gesetzentwurf etwas näher anzusehen. Möglicherweise hatten Sie noch nicht die Zeit dazu. Auch mir liegt er vor. In § 81 a Abs. 2 Nr. 3 dieses bayerischen Entwurfs ist ganz klar davon die Rede, dass die DNA-Analyse von der Polizei in Zukunft eigenverantwortlich durchgeführt werden kann. Nichts anderes haben wir gesagt. Dabei bleiben wir auch. ({5}) Bayern sucht jetzt Verbündete im Bundesrat. Es gibt einige Landesinnenminister, deren Meinungen in unsere Richtung gehen und die Zustimmung signalisieren. Frau Ministerin, ich darf hierzu den schon vom Kollegen Bosbach zitierten Bericht der Arbeitsgruppe der JuMiKo erwähnen. Da steht klipp und klar - ich darf zitieren -: Die Arbeitsgruppe kommt mit großer Mehrheit ({6}) zu einer grundsätzlich positiven Bewertung der DNA-Analyse als Standardmaßnahme.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schily?

Dr. Wolfgang Götzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000707, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön, Herr Kollege.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, Sie beschäftigen sich mit dem bayerischen Entwurf. Ich hatte Gelegenheit, mit dem Kollegen Beckstein über diesen bayerischen Entwurf zu reden. Er sieht auch in der Systematik der Strafprozessordnung keinen Unterschied zwischen der Entnahme von Körperzellen für eine DNA-Untersuchung zum Zwecke der Speicherung nicht quantifizierender Elemente und der Entnahme von Körperzellen für andere Zwecke, beispielsweise eine Blutuntersuchung. Die Systematik der Strafprozessordnung besagt: Die gewaltsame Entnahme von Körperzellen ist ein Eingriff, der einen Richtervorbehalt erfordert. Das ist meines Wissens - so hat es mir jedenfalls der Kollege Beckstein geschildert - die Auffassung der bayerischen Landesregierung. Ich bin erstaunt, dass Sie hier etwas anderes vortragen. Wem soll ich jetzt glauben? Ich muss ehrlich sagen: Ich traue eher dem Kollegen Beckstein als dem, was Sie hier vorgetragen haben. ({0})

Dr. Wolfgang Götzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000707, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schily, ich bin gerne bereit, diese Frage mit Ihnen, zusammen mit der bayerischen Justizministerin und dem bayerischen Innenminister in einem intensiven Gespräch zu klären. Ich kann Ihnen nur sagen, dass in der Neufassung des § 81 e Abs. 2 StPO steht, dass Untersuchungen in Zukunft an den beim Beschuldigten erlangten oder nach § 81 a StPO entnommenen Körperzellen zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren ohne Einschränkung zulässig sein sollen, wenn die Polizei wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Beschuldigten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme hat, dass gegen ihn künftig Strafverfahren zu führen sind. Künftig kann die Polizei also in diesen Fällen eigenverantwortlich die Entscheidung über die DNA-Analyse treffen. Meine Informationen sind, dass dies aus rechtssystematischen Gründen nicht in § 81 b angesiedelt ist, sondern der neue § 81 e StPO geschaffen wird. ({0}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie können sich unserer Forderung eigentlich nicht verweigern, wenn Ihnen die Sicherheit unserer Bürger am Herzen liegt. Die Bürger haben ein Recht darauf, mit modernsten Methoden vor Kriminellen geschützt zu werden. Die DNAAnalyse ist nun einmal eine der modernsten Methoden und ein Glücksfall für die Verbrechensaufklärung. Sensationelle Erfolge bei bekannten Fällen sind schon erwähnt worden, zum Beispiel der Fall Moshammer oder der Briefbombenattentäter in Bayern. Insgesamt wurden seit 1998, seit der Einführung der DNA-Datenbank durch die Regierung Kohl, 320 Tötungsdelikte, 820 Sexualstrafdelikte und 2 000 Körperverletzungs- bzw. Raubdelikte aufgeklärt. Es könnten aber noch viel mehr Straftaten aufgeklärt und weitere verhindert werden, wenn man die rechtlichen Voraussetzungen für einen weiter gehenden Einsatz der DNA-Analyse schafft. Zurzeit sind bundesweit circa 380 000 Datensätze erfasst. Ich habe mir auch die Zahlen aus Bayern - Sie werden das bei mir als bayerischem Abgeordneten verstehen - geben lassen. Der bayerische Anteil an diesen Datensätzen beträgt über 73 000. Das ist fast ein Fünftel und damit bundesweit der höchste Anteil aller Datensätze. Ich sage das nicht einfach nur aus einem gewissen Stolz heraus und um zu zeigen, wie gut die bayerischen Behörden arbeiten. Denn wenn man weiß, dass jede vierte Spur, die in die DNA-Datei eingestellt wird, trifft, dann weiß man auch, dass Erfolge bei der Aufklärung in hohem Maße vom Umfang des Datenbestandes abhängig sind. Deswegen wiederholen wir einmal mehr unsere Forderung nach Ausweitung der DNA-Analyse. ({1}) Von den Linken bei der SPD und von den Grünen kommen nur Bedenken über Bedenken. Dass die von uns gewollte Ausweitung der DNA-Analyse im Einklang mit dem Grundgesetz steht, kann niemand ernsthaft bezweifeln. Die DNA-Analyse greift in die Rechte des Bürgers nicht mehr ein als der klassische Fingerabdruck. Auch hier wurde die Gefahr des Missbrauchs beschworen, die man natürlich nicht negieren kann. Dazu will ich nur so viel sagen, weil Kollege Bosbach dazu sehr ausführlich Stellung genommen hat: Bei einer forensischen DNA-Analyse wird lediglich der nicht codierende Bereich des menschlichen Genoms untersucht. Erbinformationen mit Ausnahme des Geschlechts können damit nicht erlangt werden. Mit unseren und den bayerischen Forderungen ändert sich daran überhaupt nichts. Das hat damit nichts zu tun. Außerdem haben wir jetzt schon das Anonymisierungsgebot in der Strafprozessordnung. Es gibt eine Beschränkung auf das Bundeskriminalamt und die Landeskriminalämter und dort auf ausgesuchte verantwortliche Personen. Wir haben - Herr Kollege van Essen, Sie haben das angesprochen - bei den Massenscreenings, also den freiwilligen DNA-Reihenuntersuchungen, schon jetzt den Zustand, dass diese nicht gespeichert werden. Es gibt andererseits die Gefahr des Missbrauchs auch bei schon jetzt zulässigen und möglichen erkennungsdienstlichen Maßnahmen, zum Beispiel bei der Blutentnahme im Rahmen einer Alkoholkontrolle. Obwohl so viele Sicherungsmechanismen eingebaut sind, haben wir kein Problem damit, Missbrauch unter Strafe zu stellen und alles zu tun, was möglich ist, wenn jemand Angst vor Missbrauch hat. ({2}) Lassen Sie mich zum Schluss kommen. ({3}) - Ich glaube, dass Ihnen das nicht gefällt, was ich sage. Zuhören ist aber eine parlamentarische Tugend, auch wenn einem der Inhalt nicht immer gefällt. Die DNA-Analyse muss zum Standard moderner Ermittlungsmethoden und damit zum Fingerabdruck des 21. Jahrhunderts werden. Unsere Kernforderung lautet, dass die DNA-Analyse künftig in all den Fällen möglich sein muss, in denen eine erkennungsdienstliche Erfassung mit Lichtbild oder Fingerabdruck zulässig ist. Selbstverständlich muss der Schutz vor Missbrauch sichergestellt werden. Er wird auch sichergestellt. Aber eines muss klar sein: Datenschutz darf nicht zum Täterschutz werden. ({4}) Vorrang für uns hat der Schutz der Bürger vor Verbrechen. ({5}) Daran werden wir Sie messen. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU will in größerem Umfang als bisher üblich DNA-Analysen zur Identifizierung potenzieller Straftäter verarbeiten. Bundesinnenminister Schily will das auch. Die PDS im Bundestag will das so nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 14. Dezember 2000 die Ermittlungsarbeit mit dem so genannten genetischen Fingerabdruck für grundgesetzkonform erklärt, aber zugleich hohe Hürden gesetzt. Diese sollen mit dem vorliegenden Unionsantrag erheblich gesenkt werden. Nicht nur Straftaten von erheblicher Bedeutung, auch andere Delikte sollen künftig zur DNA-Analyse berechtigen. Diesem Vorschlag stimmen wir nicht zu. Nun führen die Befürworter der DNA-Analyse ganz harsche Worte im Mund. Bayerns Ministerpräsident spricht sogar von Technikfeinden, die Angst schürten, anstatt Kriminalität zu bekämpfen. Ich finde: Das ist schlecht gebrüllt. Es geht nicht um Technikfeinde, es geht aber sehr wohl um Bürgerrechtsfreunde. Denn die DNA fällt unter das informationelle Selbstbestimmungsrecht und das ist durch das Grundgesetz geschützt. Deshalb teilt die PDS im Bundestag grundsätzliche Bedenken, die nicht nur von Datenschützern erhoben werden. Aus demselben Grund lehnen wir auch Verharmlosungen ab, die ins Feld geführt werden, wie etwa die, der genetische Fingerabdruck sei überhaupt nichts anderes als der herkömmliche Fingerabdruck. Natürlich ist er etwas anderes; denn er enthält mehr Informationen über die jeweilige Person. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, Sie sollten durchaus den Forschern folgen, die Ihrer Position relativ nahe stehen, wie zum Beispiel Matthias Platzer aus Jena, der im Nachsatz zu einer Befürwortung der DNA-Analyse mahnt, dass die Forschung neue Erkenntnisse über weitere Erbinformationen einer DNA bringen wird und damit aus seiner Sicht sehr wohl ein Datenschutzproblem entsteht. Deshalb sage ich: Der Umgang mit der DNA muss restriktiv bleiben. Ich bitte auch, zu bedenken: Es geht heute nicht nur um polizeiliche Ermittlungen. Es geht bei diesem Antrag und bei der gesamten Debatte um ein weit reichendes politisches Signal. Längst stehen Versicherungsunternehmen Schlange. Sie wollen Gentests, ehe sie überhaupt eine Versicherungspolice abschließen. Ähnliche Begierden gibt es in Unternehmen in Zusammenhang mit der Einstellung von neuen Mitarbeitern. Dort sind die Missbrauchsgefahren riesig und sie wachsen noch. Dort nimmt dann auch der „gläserne Bürger“ Gestalt an. Deshalb ist die PDS dagegen, an dieser Stelle die Büchse der Pandora zu öffnen. Mit Blick auf die Antragsteller von CDU und CSU bemühe ich daher abschließend gern die einschlägige Literatur: Genug, ich traue den Geschenken nicht, die mir von solchen Freunden - ich füge hinzu: des Grundgesetzes kommen! Danke.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Christoph Strässer, SPDFraktion.

Christoph Strässer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003644, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn meiner Ausführungen möchte ich mich bei all denjenigen bedanken, die einen Beitrag zur Versachlichung dieser Debatte geleistet haben, ({0}) weil diese Debatte nur in der gebotenen Sachlichkeit verantwortlich geführt werden kann. Hierbei geht es nämlich nicht um eine Lappalie, um irgendetwas, was mit populistischen Parolen und hitzigen Beiträgen zu einem vertretbaren Ergebnis geführt werden könnte. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als einen verfassungsrechtlichen Zielkonflikt. Deshalb sollten wir mit diesem Thema sehr verantwortungsbewusst umgehen. ({1}) Auf der einen Seite steht das Interesse der Gesellschaft an einer möglichst weit gehenden Verhinderung bzw. Aufklärung von Straftaten. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Auf der anderen Seite steht selbstverständlich - da muss ich mich über einige Beiträge, die ich hier gehört habe, wirklich wundern - das durch Art. 2 und 1 des Grundgesetzes verbürgte Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das seinen Trägern Schutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe der auf sie bezogenen individualisierten oder individualisierbaren Daten gewährt. Das ist eine klare Aussage, die sich aus beiden zentralen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aus den Jahren 2000 und 2001 ergibt. ({2}) Wir debattieren hier also über grundlegende Werte, die unsere Gesellschaft gestalten. Ich bedanke mich ausdrücklich bei der Bundesregierung und der Bundesministerin der Justiz. Sie hat mit der erforderlichen Sachlichkeit und Vernunft Vorschläge gemacht, die den Fortgang der Debatte auf rationaler Ebene ermöglichen und auf deren Grundlage wir nach gründlicher Diskussion hier zu guten Ergebnissen kommen werden. Diese Ernsthaftigkeit vermisse ich auch heute wieder in den Beiträgen von Ihnen aus der CDU/CSU. Sie suchen leider auch mit dem Antrag, den Sie hier vorgelegt haben, aus meiner Sicht nicht die sachliche Diskussion. Den Vorwurf des Nichtstuns hätten Sie doch sehr leicht dadurch beseitigen können, dass Sie frühzeitig beantragt hätten, diesen Antrag auf die Tagesordnung zu setzen, statt dies erst dann zu tun, wenn ein spektakulärer Fall diskutiert wird, von dem Sie glauben, Sie könnten ihn für Ihre politischen Zwecke instrumentalisieren. Das ist doch die Wahrheit. ({3}) Wir wollen die Debatte um die Möglichkeiten und die Chancen, aber auch die Risiken einer DNA-Analyse, weil wir wissen, dass dies eine effektive, erfolgreiche und ausbaufähige Methode zur Verhinderung bzw. Aufklärung von Straftaten ist. Wir stehen, wie ich noch ausführen werde, jeder Ausweitung des Anwendungsbereichs der DNA-Analyse natürlich nicht von Anfang an und grundsätzlich ablehnend gegenüber. Das wissen Sie. Wer hier etwas anderes behauptet und das hier vorführen will, hat nicht richtig zugehört. Wir wollen aber keine Schnellschüsse und kein Stückwerk, wie es sich aus Ihrem Antrag ergibt. Es ist schon mehrfach darauf hingewiesen worden, dass in dem Antrag zum Teil überholte Dinge noch einmal thematisiert werden. Wir wollen ein Gesamtpaket mit verfassungsrechtlich vertretbaren Lösungen unter Einbeziehung der unterschiedlichen Rechtspositionen. Wie die Frau Ministerin eben ausgeführt hat, wird die Justizministerkonferenz erst im April dieses Thema abschließend beraten. Wir warten sehr gespannt auf die Ergebnisse dieser Tagung, weil wir wissen, dass diese Ergebnisse für unsere Arbeit und auch für das Gesetzgebungsverfahren, das hier angekündigt worden ist, von sehr großer Bedeutung sind. Wir wissen, dass wir den genetischen Fingerabdruck, die DNA-Analyse, auf der Grundlage des geltenden Rechts, das sich, wie niemand hier wird bestreiten können, bewährt hat, fortentwickeln können, ja fortentwickeln müssen. Das wird auf der Basis der Vorstellungen von CDU/CSU, wie sie auch heute noch einmal geäußert worden sind, nicht gelingen. Ich gehe nämlich davon aus, dass Sie dann, wenn Sie den vom Bundesverfassungsgericht an dieser Stelle definierten Gleichklang von erstens Richtervorbehalt, zweitens qualifizierter Negativprognose und drittens Vorliegen einer erheblichen Straftat mit einem Federstrich in vollem Umfang streichen, nach dem, was das Bundesverfassungsgericht immer wieder erklärt hat, mit einem entsprechenden Vorhaben dort auf dem Bauch landen werden. Das können wir uns aber nicht erlauben. ({4}) Lassen Sie mich abschließend Folgendes festhalten: Wir haben auf der Grundlage der geltenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Erfolge, die mit der Genanalyse erzielt worden sind, einer Modifizierung der Rechtslage zugestimmt und werden das - das werde ich anhand einiger Beispiele kurz skizzieren - auch in Zukunft tun und bei dem Gesetzgebungsverfahren mit berücksichtigen. Erstens, zu den Anlassstraftaten: Wir sind bereit und werden dies auch mittragen, bei den Anlassstraftaten nach § 81 g StPO über eine Modifizierung im Sinne der Absenkung der Schwelle der Zulässigkeit zu diskutieren. Hier ist nach unserer Auffassung bei einer entsprechenden Auslegung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Einsatz der DNA-Analyse auch dann zulässig, wenn es sich um Verurteilungen oder Wiederholungsstraftaten handelt, bei denen auch - wie bisher gefordert - eine nicht erhebliche Gefährdung vorliegt. Allerdings - ich glaube, darin sind wir uns einig - kann dies nicht bei Bagatellstraftaten gelten. ({5}) Zweitens. Wir sind auch weiterhin der Auffassung, dass eine qualifizierte Prognose für die Anwendbarkeit der DNA-Analyse vorliegen muss. Ich denke, das muss unter rechtsstaatlichen Aspekten auch und erst recht dann gelten, wenn wir die Schwelle bei den Anlassstraftaten senken. Ich halte das für unverzichtbar. Drittens. Zum Richtervorbehalt: Es gibt eine Vielzahl von Vorurteilen gegenüber dem Richtervorbehalt. Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass sich ein Praktiker - wir zitieren schließlich immer wieder gerne die Praktiker - wie der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes sehr deutlich zu der AufheChristoph Strässer bung der Schranken geäußert hat, wie sie von Ihnen vorgeschlagen wird. Wir wollen, dass der Richtervorbehalt so ausgestaltet wird, dass seine Handhabung praktikabel ist. Auch das ist sicherlich unstreitig. Wir wollen aber den Richtervorbehalt in den Bereichen, in denen wir ihn nicht für erforderlich halten, nicht weiter in den Vordergrund stellen. Die Gründe dafür wurden schon genannt. Hinsichtlich der Untersuchung und Speicherung anonymer Spuren sind wir der Auffassung, dass der Richtervorbehalt nicht mehr erforderlich ist. Insofern sind wir auf der Seite derjenigen, die in diesem Zusammenhang seine Abschaffung fordern. Wir sollten auch eine Änderung des Richtervorbehalts bei Gefahr im Verzug und Eilbedürftigkeit - diese Fälle wurden schon angesprochen -, zugunsten der Zuständigkeiten von Polizei und Staatsanwaltschaft in Erwägung ziehen. Ich denke, auch darüber sollen wir mit dem entsprechenden Verantwortungsbewusstsein nachdenken. Für sehr wichtig - ich bin froh, dass das Thema heute angesprochen worden ist - halte ich die Frage der so genannten Massengentests. Ich bleibe hier bei meiner Meinung, auch wenn sie in meiner eigenen Fraktion umstritten ist. Auch an dieser Stelle gilt: Ein genetischer Fingerabdruck umfasst hinsichtlich seiner Qualität mehr als der normale Fingerabdruck, wie wir ihn kennen. Er liefert nämlich Genmaterial. Diese Tatsache wird von Wissenschaftlern und zum Beispiel auch vom Vorsitzenden des Deutschen Richterbundes nicht bestritten. Insofern sollten wir die beiden Möglichkeiten auseinander halten. Aber nichtsdestotrotz sind wir der Meinung, dass wir an dieser Stelle die Aufweichung des Richtervorbehalts mittragen können. Das werden wir auch tun. Wir wollen zügig verhandeln und zu einem guten Ergebnis kommen. Dabei wollen wir dafür sorgen, dass das Sicherheitsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger zufrieden gestellt wird. Wir wollen die Sicherheitsbehörden und die Polizei in ihrer verantwortungsvollen Arbeit unterstützen und ihnen eine verfassungsrechtlich abgesicherte Grundlage bieten. Wir wollen aber auch für die Werte unserer Verfassung eintreten, zu deren Erhaltung wir uns alle verpflichtet haben. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a bis d sowie Zusatzpunkt 2 auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Statistikregistergesetzes und sonstiger Statistikgesetze - Drucksache 15/4696 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({0}) Innenausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 16. Oktober 2001 zu dem Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union - Drucksache 15/4230 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({1}) Innenausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Übereinkommens vom 29. Mai 2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union - Drucksache 15/4232 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({2}) Innenausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. Mai 2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union - Drucksache 15/4233 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({3}) Innenausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Jörg Tauss, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Grietje Bettin, Volker Beck ({4}), Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Cornelia Pieper, Dr. Karl Addicks, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Impulse für eine internationale Ausrichtung des Schulwesens - Den Bildungsstandort Deutschland auch im Schulbereich stärken - Drucksache 15/4723 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({5}) Innenausschuss Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis c und 23 e bis l sowie Zusatzpunkt 3 auf. Dabei handelt es sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Tagesordnungspunkt 23 a: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 5. April 2004 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der Republik Polen und der Tschechischen Republik über den Bau einer Straßenverbindung in der Euroregion Neiße, im Raum zwischen den Städten Zittau in der Bundesrepublik Deutschland, Reichenau ({6}) in der Republik Polen und Hrádek nad Nisou/ Grottau in der Tschechischen Republik - Drucksache 15/4467 ({7}) aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({8}) - Drucksache 15/4697 - Berichterstattung: Abgeordneter Henry Nitzsche bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({9}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 15/4698 Berichterstattung: Abgeordnete Bartholomäus Kalb Gunter Weißgerber Jürgen Koppelin Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4697, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 23 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes - Drucksache 15/3351 ({10}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({11}) - Drucksache 15/4730 Berichterstattung: Abgeordneter Gero Storjohann Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4730, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der CDU/CSU und Enthaltung der FDP angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung angenommen. Tagesordnungspunkt 23 c: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Apothekengesetzes - Drucksachen 15/4293, 15/4643 ({12}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung ({13}) - Drucksache 15/4749 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Wolf Bauer Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4749, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der CDU/CSU und Enthaltung der FDP angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung angenommen. Tagesordnungspunkt 23 e: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung luftversicherungsrechtlicher Vorschriften - Drucksache 15/4637 ({14}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({15}) - Drucksache 15/4747 Berichterstattung: Abgeordnete Dirk Manzewski Ingo Wellenreuther Rainer Funke Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4747, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 23 f: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungsurkunden vom 18. Oktober 2002 zur Konstitution und zur Konvention der Internationalen Fernmeldeunion vom 22. Dezember 1992 - Drucksache 15/3879 ({16}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({17}) - Drucksache 15/4678 Berichterstattung: Abgeordnete Gudrun Kopp Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4678, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 23 g: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren im Sozialrecht ({18}) - Drucksache 15/4228 ({19}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung ({20}) - Drucksache 15/4751 Berichterstattung: Abgeordneter Andreas Storm Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4751, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 23 h: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({21}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Entscheidung des Rates zur Ermächtigung Frankreichs zur Staffelung der Steuern auf Kraftstoffe ({22}) KOM ({23}) 597 endg.; Ratsdok. 12534/04 - Drucksachen 15/4001 Nr. 1.9, 15/4462 Berichterstattung: Abgeordnete Lothar Binding ({24}) Georg Fahrenschon Kerstin Andreae Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 23 i: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({25}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Weißbuch zur Überprüfung der Verordnung ({26}) Nr. 4056/86 über die Anwendung der EG-Wettbewerbsregeln auf den Seeverkehr KOM ({27}) 675 endg.; Ratsdok. 13808/04 - Drucksachen 15/4213 Nr. 2.49, 15/4675 Berichterstattung: Abgeordneter Wolfgang Börnsen ({28}) Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der CDU/ CSU und der FDP angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Tagesordnungspunkt 23 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({29}) Sammelübersicht 177 zu Petitionen - Drucksache 15/4667 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 177 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 23 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({30}) Sammelübersicht 178 zu Petitionen - Drucksache 15/4668 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 178 ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 23 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({31}) Sammelübersicht 179 zu Petitionen - Drucksache 15/4669 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 179 ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP bei Gegenstimmen von CDU/CSU angenommen. Zusatzpunkt 3: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({32}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Entwurf eines Rahmenbeschlusses über die Vorratsspeicherung von Daten, die in Verbindung mit der Bereitstellung öffentlicher elektronischer Kommunikationsdienste verarbeitet und aufbewahrt werden, oder von Daten, die in öffentlichen Kommunikationsnetzen vorhanden sind, für die Zwecke der Vorbeugung, Untersuchung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten, einschließlich Terrorismus Ratsdok.-Nr. 8958/04 - Drucksachen 15/3696 Nr. 2.15, 15/4748 Berichterstattung: Abgeordnete Axel Schäfer ({33}) Michael Grosse-Brömer Jerzy Montag Sibylle Laurischk Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich- tung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthal- tungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- men von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU bei Gegenstimmen der FDP angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der beruflichen Bildung ({34}) - Drucksache 15/3980 ({35}) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Uwe Schummer, Werner Lensing, Katherina Reiche, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung der dualen Berufsausbildung in Deutschland durch Novellierung des Berufsbildungsrechts - Drucksache 15/2821 ({36}) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Christoph Hartmann ({37}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Berufsausbildungsrechts - Drucksache 15/3325 ({38}) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Cornelia Pieper, Christoph Hartmann ({39}), Ulrike Flach, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Berufsbildungsgesetzes - Drucksache 15/3042 ({40}) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Berufsbildungsgesetzes - Drucksache 15/4112 ({41}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({42}) - Drucksache 15/4752 - Berichterstattung: Abgeordnete Willi Brase Grietje Bettin b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner und Technikfolgenabschätzung ({43}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Berufsbildungsbericht 2004 - Drucksachen 15/3299, 15/4752 Berichterstattung: Abgeordnete Willi Brase Grietje Bettin Zum Entwurf eines Berufsbildungsreformgesetzes der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen, wobei die FDP neun Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Willi Brase. ({44})

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir verabschieden heute den Entwurf des Berufsbildungsreformgesetzes. Ich möchte zu Beginn darauf hinweisen, dass wir eine sehr gründliche Beratung und im November 2004 eine sehr ordentliche Auswertung der Anhörung vorgenommen haben. Wir haben uns in diesem Gesetzesvorhaben gemeinsam mit der CDU/CSU-Fraktion auf Kompromisse geeinigt. Wir alle wissen, dass dieses Gesetz zustimmungspflichtig ist, also der Zustimmung durch den Bundesrat bedarf. Ich glaube, mit Recht sagen zu können: Das, was wir heute vorlegen und verabschieden werden, begründet unsere Hoffnung, dass ein Vermittlungsverfahren überflüssig wird. ({0}) Ich möchte in diesem Zusammenhang allen Mitstreiterinnen und Mitstreitern für die angenehme, faire und fruchtbare Arbeit danken. Ebenfalls möchte ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesministeriums für Bildung und Forschung bedanken. ({1}) Lassen Sie mich auf einige wenige Punkte eingehen, die die Diskussion und auch die Zielrichtung noch einmal deutlich machen: Erstens. Wir haben nach der Anhörung in unserem gemeinsamen Änderungsantrag die Qualitätssicherung als Aufgabe für die Berufsbildungsausschüsse und für die Landesausschüsse für berufliche Bildung aufgenommen und festgeschrieben. Wir haben nicht festgelegt, in welcher Art und Weise, mit welchen Formen, mit welchen Schritten die Qualitätssicherung in der Berufsbildung herbeizuführen ist. Wir wollten bewusst, dass dies die Partner, die Mitglieder der Berufsbildungsausschüsse und der Landesausschüsse, vor Ort umsetzen. Damit geben wir ihnen einen Gestaltungsspielraum, der bisher nicht vorhanden war. Das ist notwendig und der richtige Weg. ({2}) Wir haben zweitens die Verbundausbildung im Zusammenhang mit Ausbildungspartnerschaften bis hin zum externen Ausbildungsmanagement zur besseren Beteiligung von kleinen und mittleren Unternehmen oder Betrieben aufgenommen. Ich glaube, dass wir damit die Kooperation qualitativ nach vorn bringen. Wir haben die begründete Hoffnung, dass sich durch diese Formen, die wir in den Änderungsantrag aufgenommen haben und die wir somit im Gesetz festschreiben werden, wesentlich mehr Betriebe an der Ausbildung beteiligen können, dass sie auch in der Lage sind, jederzeit die notwendigen Qualitäten sicherzustellen. Das ist ein guter und richtiger Weg. ({3}) Wir haben in der Vergangenheit festgestellt, dass diejenigen Jugendlichen, die ihre Berufsausbildung an Schulen absolvieren, häufig einen sehr erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt haben. ({4}) Vor diesem Hintergrund haben wir Überlegungen dazu angestellt und Formen und Verfahren dafür entwickelt, wie zukünftig die vollzeitschulische Ausbildung mit Kammerprüfung verbessert wird. Dabei war es uns gemeinsam wichtig, dass die Entscheidung darüber, in welcher Art und Weise vollzeitschulische Ausbildung durchgeführt wird, welche Ausbildungsgänge notwendig sind, im Landesausschuss für Berufsbildung mit den beteiligten Sozialpartnern getroffen wird und dass gleichzeitig durch Kriterien die Bundeseinheitlichkeit und das Berufsprinzip eingehalten werden. Gerade diese stärkere Beteiligung der Sozialpartner wird dazu führen, glaube ich, dass die Akzeptanz solcher Ausbildungsgänge steigt und vermehrt Jugendliche nach Abschluss der Ausbildung Zugang zum Arbeitsmarkt finden, also von Betrieben eingestellt werden. Auch das ist notwendig und richtig. ({5}) Dass wir die Bildungsgänge für vollzeitschulische Ausbildung entsprechend den inhaltlichen Kriterien in § 43 Abs. 2 konzipiert haben, sollte dazu führen - das möchte ich hier noch einmal deutlich machen -, dass man nicht nur darauf schaut, den Kammerstempel zu bekommen; entscheidend ist in diesem Fall, dass die inhaltliche Qualität vollzeitschulischer Ausbildung nach vorn gebracht wird; denn dann haben die Jugendlichen auch eine bessere Perspektive. ({6}) An die Länder geht daher der Appell: Bitte keine neue Sparpolitik zulasten der Jugendlichen, sondern Qualitätsoffensive für Beruflichkeit und Berufsprinzip! Das ist der richtige Weg. ({7}) Wir haben zur Neuausrichtung der Stufenausbildung den Passus aufgenommen: im Ordnungsverfahren stets zu prüfen, ob es sinnvoll und möglich ist. Auch nach unserer Entschließung sollen bestehende Ausbildungsordnungen daraufhin überprüft werden, ob Stufenausbildung sinnvoll ist und wie sie vernünftig gemacht werden kann. Das soll der Hauptausschuss in Form von Empfehlungen auf den Weg bringen. Wenn wir stärker in die Stufenausbildung hineingehen, dann wollen wir auch, dass die Ausbildungsverträge über die Regelausbildungszeit laufen. Damit wird den Jugendlichen mehr Sicherheit gegeben. Alle Formen der zweijährigen Ausbildungsverhältnisse werden davon nicht tangiert. Das wollten wir nicht. Aber wir sorgen dafür, dass es nicht wahllos zu verkürzter Ausbildung en masse kommt, ({8}) wovon manche träumen. Das ist nicht unser Ziel. Wir haben ebenso verhindert, dass es zu einer weiteren Absenkung der Ausbildungsvergütungen kommt. Wir wissen, dass einige hier im Hause dies wollten. ({9}) Wie das im Kompromissverfahren so ist, muss man an einer Stelle etwas geben, damit man an einer anderen Stelle etwas bekommt. Ich bin dankbar dafür, dass wir in dieser Frage standhaft geblieben sind. Die Verringerung der Ausbildungsvergütungen wäre der falsche Weg. ({10}) Wer sich die Zahlen vom Bundesinstitut für Berufsbildung anschaut, wird uns darin Recht geben. ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Zuge der Debatte haben wir das Ganze noch einmal durchdacht und Maßnahmen aufgenommen, die auch die Interessen benachteiligter Jugendlicher stärker berücksichtigen. Ich glaube, dass wir so zwischen Berufsausbildungsvorbereitung und Ausbildung eine bessere Durchlässigkeit erreichen. Unser Ziel ist es, dass gerade auch in der Berufsausbildungsvorbereitung wieder mehr Jugendliche mit mehr Praxis in Berührung kommen. Das haben wir in der vergangenen Legislaturperiode schon beschlossen, aber das fügt sich jetzt gut ein. Ich glaube, dass diese Dualität bei der Förderung der beruflichen Ausbildung richtig ist. Deshalb haben wir ja im Entschließungsantrag darauf hingewiesen, dass die bestehenden unterschiedlichen Förderinstrumente der Bundesagentur für Arbeit, der Länder und der Wirtschaft im Bereich der so genannten Benachteiligtenförderung besser und mehr miteinander verzahnt werden müssen. ({12}) Wir haben sehr lange darüber diskutiert, wie wir die Mitbestimmung und Beteiligung der Lehrer bei einer Verbesserung der Kooperation der Lernorte ein Stück weit sicherstellen können. Ich glaube, dass wir das nun klar formuliert und festgelegt haben. Wir haben die Möglichkeit eröffnet, dass Prüfungsausschüsse gutachterliche Stellungnahmen Dritter, insbesondere der Berufsschulen, einbeziehen können. Nicht zuletzt solche Maßnahmen führen dazu, dass die Kooperation zwischen den schulischen und den betrieblichen Ausbildungsstätten verbessert wird. Aus der Debatte heraus hat das ja Eingang in das Gesetz gefunden. Weil es auch im Sinne der Jugendlichen ist, war es uns wichtig, dass zukünftig die Kooperation zwischen Betrieb und Berufsschule verbessert wird. ({13}) Lassen Sie mich zusammenfassen: Das Berufsbildungsreformgesetz eröffnet in Verbindung mit den gemeinsam eingebrachten Änderungs- und Entschließungsanträgen ein breites Handlungsfeld in der beruflichen Bildung für alle Beteiligten, es wird die Modernisierung der Ausbildung vorantreiben und die betriebliche Ausbildung sichern, die ja das entscheidende Qualitätsmerkmal der Ausbildungspraxis in Deutschland ist. Angesichts der Tatsache, dass wir im europäischen Vergleich weniger arbeitslose Jugendliche als andere Länder haben - es sind immer noch zu viele -, kann man festhalten, dass der Weg richtig ist, der auf die Sicherung von Qualität und die Ausweitung betrieblicher Berufsausbildung setzt und einheitliche Berufsbilder im Bundesgebiet sicherstellt. Ich danke für das geduldige Zuhören. ({14})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Uwe Schummer, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Bulmahn, es gibt einen Konflikt innerhalb der Regierung um die so genannten Elite-Unis, bezüglich des Verbots von Studiengebühren ist die Regierung vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert, ({0}) es gibt einen Konflikt um die Einheitsschule, es gibt aber auch Konsens - das ist der Lichtblick -, nämlich bezüglich der Berufsbildungsreform, zwischen Rot-Grün und den christlichen Demokraten bzw. den christlichen Sozialen. Wenn Sie also pragmatisch und ohne ideologische Scheuklappen ein Thema anpacken, dann sind wir gerne vonseiten der Opposition bereit, mitzuziehen, ({1}) damit sich etwas bewegt zugunsten der Menschen in unserem Land. ({2}) Das Berufsbildungsgesetz stammt aus dem Jahre 1969; damals gab es eine große Koalition. ({3}) - Herr Kollege Rossmann, Sie sind heute aber geladen. Dabei besteht doch Konsens; gewöhnen Sie sich daran, zumindest bei diesem Thema. - Die letzte große Novellierung fand 1977 statt. Vor diesem Hintergrund hat die Unionsfraktion bereits im März 2003 als erste Fraktion Eckpunkte für eine Novellierung des Berufsbildungsgesetzes in den Deutschen Bundestag eingebracht. Wir haben im März 2004 einen konkreten Gesetzentwurf nachgeliefert. Es ist gut, dass auch die Bundesregierung im Oktober 2004 entsprechend gesprungen ist. Wir haben durch die wirre Debatte über eine Ausbildungsplatzabgabe Zeit vertan. Uns war immer klar, dass der sinnvolle und notwendige Ausbildungspakt durch eine längst überfällige Modernisierung der Berufsausbildung ergänzt werden muss. ({4}) Die Erosion bei der betrieblichen Ausbildung muss gestoppt werden. Diese erkennen wir daran, dass im letzten Jahr genauso viele Schulabgänger in Ersatzmaßnahmen gelandet sind wie in betrieblichen Ausbildungsverhältnissen. Deshalb besteht hier Handlungsbedarf. Deshalb ist die Union auch bereit, hier etwas zugunsten der Menschen mitzubewegen. Die duale Ausbildung - das haben Sie vollkommen richtig gesagt, Herr Brase - ist ein Standortvorteil unseres Landes. Bei uns ist die Jugendarbeitslosigkeit im Durchschnitt um ein Drittel geringer als in den europäischen Ländern, in denen es eine verschulte Berufsausbildung gibt. Das gilt sogar für Finnland, dessen Bildungssystem laut PISA-Studie vorbildlich ist. Auch Finnland kann bei der dualen beruflichen Ausbildung von Deutschland lernen. Es gibt eine starke Integrationskraft der dualen Ausbildung in die Arbeitswelt hinein. So ist es gut und richtig, dass auf unser Streben hin in dem Berufsbildungsreformgesetz endlich die Verbundausbildung rechtlich abgesichert wird. 40 Prozent aller Betriebe sind zu klein, um umfassend ausbilden zu können. Sie sind also de facto nicht ausbildungsfähig. Es macht daher Sinn, dass sie im Verbund mit anderen Betrieben oder mit überbetrieblichen Ausbildungsstätten in die Lage versetzt werden, betriebliche Ausbildungsplätze bereitzustellen. Das STARegio-Programm im Rahmen des Ausbildungspaktes ist ein gutes Instrument, das fortgesetzt werden muss. Zusammen mit den Kammern muss dafür gesorgt werden, dass die noch nicht ausbildungsfähigen Betriebe informiert und begleitet werden, damit sie verstärkt betriebliche Ausbildungsplätze bereitstellen. Das wäre eine wirkliche Entstaatlichung der Berufsausbildung. ({5}) Für uns war auch wichtig, eine engere Lernortkooperation zwischen Betrieb, Berufsschule und Kammer festzuschreiben. Dazu gehört auch die frühzeitige Information der Bundesländer über berufliche Neuordnungskonzepte, damit sich die Berufsschulen rechtzeitig darauf einstellen können. Unser Herzblutthema ist in der Tat die Aufwertung der Stufenausbildung. Wir haben im Gesetzentwurf festgelegt, dass sie von einer Ausnahme zu einer gleichwertigen Option wird. Wir haben des Weiteren im Gesetzentwurf festschreiben können, dass bei allen neuen Berufsbildern eine Regelanfrage nach einer Stufenausbildung beantwortet werden muss. Es bedarf einer Begründung, wenn sie nicht stufenweise organisiert wird. Das dritte Element im Entschließungsantrag ist die Überprüfung, ob die bestehenden 360 Berufsbilder im Nachhinein stufenweise organisiert werden können. Wir appellieren an die zuständigen Tarifparteien, dass sie das von uns entwickelte Schlichtersystem anwenden. Aus den Arbeitskämpfen wissen wir, dass Streik und Aussperrung nicht alles sein können - das wäre verantwortungslos -; denn dadurch werden die Konflikte nicht beendet. So muss auch bei den Verhandlungen über neue Berufsbilder zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden eine Schlichtung stattfinden, damit in absehbarer Zeit und nicht irgendwann der Knoten durchgeschlagen werden kann und nicht die eine Seite die andere Seite blockiert. ({6}) Wenn dies durch Schlichter nicht möglich ist, dann ist der Wirtschaftsminister gefordert. Mit der Stufenausbildung verfolgen wir das Ziel, dass die 1,3 Millionen Schulabgänger bis 29 Jahre ohne eine Berufsausbildung zumindest im Rahmen der ersten Stufe, also einer zweijährigen Ausbildung, die Chance auf einen Einstieg bekommen. Das würde die berufliche Perspektive dieser jungen Menschen verbessern. Wir wollen damit Berufsbilder für Hauptschüler im Bereich der Heil- und Pflegeberufe wie auch im Bereich der KfzMechatroniker öffnen. Wir müssen auch - entweder gemeinsam oder wir alleine - die Umsetzung einer zu erwartenden europäischen Richtlinie über den Ausbildungspass anpacken. Uns liegt daran, dass der Auszubildende, wenn er nach der ersten Stufe aufhört, über Ausbildungsmodule und über die betriebliche Praxis im Rahmen eines Ausbildungspasses die zweite Stufe später nachholen kann. Wir brauchen eine Verzahnung von Erstausbildung und beruflicher Weiterbildung. Diese Verzahnung fehlt noch im Gesetzentwurf. Wir werden dies aber im Rahmen der Umsetzung der europäischen Richtlinie, die wir erwarten, politisch einfordern. Für uns ist es wichtig, dass die Stufenausbildung grundsätzlich über drei Jahre geht. Aber wir sollten dafür sorgen, dass die Möglichkeiten im Rahmen einer zweijährigen Berufsausbildung - beispielsweise im Baubereich - weiterhin erhalten bleiben. Hier sollte es einen Bestandsschutz für diese Berufsbereiche geben. Wir wollen am Ende nicht weniger, sondern mehr Stufenausbildung, damit ein Einstiegskorridor für praktisch Begabte in die berufliche Ausbildung geschaffen wird. ({7}) Wenn wir es erreichen, dass in den nächsten zwei Jahren durch die Regelüberprüfung auch bei den bestehenden Berufsbildern der Anteil der Stufenausbildung von derzeit 8 Prozent auf ein Drittel erhöht werden kann, dann würde dies bedeuten, dass etwa 40 000 Schulabgänger nicht mehr in Ersatzmaßnahmen landen, sondern eine konkrete betriebliche Ausbildung erfahren. Das wäre eine echte Entstaatlichung der Berufsausbildung. Wir haben für die Zulassung der vollzeitschulischen Ausbildung zur Kammerprüfung klare Kriterien festgelegt. Die Zulassung muss sich am Berufsbild orientieren. Es muss ein hoher Praxisanteil im Betrieb stattfinden. Mit dem Landesbildungsausschuss wie auch mit den Kammern sowie den Wirtschafts- und Sozialpartnern muss Benehmen hergestellt werden. Diese Festlegung ist bis zum Jahre 2011 befristet. Dann muss sie überprüft werden. Das heißt, die betriebliche Ausbildung hat weiter Vorrang und die Verschulung sollte nur eine Ausnahme sein. Eine gemeinsame Aufforderung ist, verstärkt betriebliche Bündnisse für Ausbildung zu schließen. Hierfür sind natürlich ausbildungshemmende Vorschriften abzubauen, indem wir beispielsweise fordern, dass von einem Betrieb, der über Bedarf ausbildet, nicht erwartet werden kann, dass er eine Übernahmeverpflichtung eingeht. Bereits heute besteht nach Richterrecht die Möglichkeit, dass man in Verträgen und betrieblichen Vereinbarungen den gesetzlich festgelegten Tarif um 20 Prozent unterschreiten kann, wenn im Gegenzug mehr Ausbildungsplätze bereitgestellt werden. Solche betrieblichen Bündnisse für Ausbildung sind wichtig. Wir müssen dafür sorgen, dass alle Schulabgänger eine Chance haben, betrieblich ausgebildet zu werden. ({8}) Die Verlängerung der Probezeit auf vier Monate ist eine Antwort darauf, dass 25 Prozent der Auszubildenden ihre Ausbildung abbrechen und hiervon ein Drittel sagt, dass sie aus persönlichen Gründen abbrechen, da sie den falschen Betrieb oder den falschen Beruf gewählt haben. Wir wollen verstärkt Blockunterricht einführen. Das bedeutet aber auch, dass innerhalb der ersten drei Monate sechs Wochen in der Schule verbracht werden. Es bleibt zu wenig Zeit, um den Betrieb und den Beruf kennen zu lernen. Deshalb ist es sinnvoll, dass wir gemeinsam die Ausweitung der Probezeit auf vier Monate erreicht haben - mit der Zielsetzung, dass sich sowohl der Jugendliche als auch der Betrieb frühzeitiger entscheiden kann. Meine Damen, meine Herren, ich danke Ihnen für die konstruktive Zusammenarbeit, die wir in diesem Hause miteinander erlebt haben. Natürlich werden wir in zwei Jahren mit einer unionsgeführten Bundesregierung das neue Recht überprüfen. Wir werden Sie als Opposition einladen, pragmatisch und ohne ideologische Scheuklappen mit uns über eine weitere Verbesserung zu reden. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Monika Lazar, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Monika Lazar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003714, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sieben von zehn jungen Leuten in Deutschland werden beruflich ausgebildet. Sie absolvieren entweder eine betriebliche Ausbildung oder einen schulischen Lehrgang. Leider gibt es viele, die in Warteschleifen auf eine Ausbildung warten müssen. Unsere Gesetzesreform beschäftigt sich also mit einem ganz drängenden Problem unseres Bildungswesens. Mit der Novelle zum Berufsbildungsgesetz, die wir heute abschließend beraten, machen wir einen wichtigen Schritt in Richtung Zukunftsfähigkeit der beruflichen Bildung in Deutschland. ({0}) Damit schaffen wir Perspektiven für viele junge Menschen in unserem Land. Deshalb freut es mich besonders, dass wir diese Reform mit einer großen Mehrheit in diesem Hause verabschieden können. Diese Reform ist ein gutes Beispiel dafür, dass der Föderalismus in unserem Lande im Bildungsbereich durchaus vernünftig funktionieren kann. Alle haben sich auf die Arbeitsteilung eingelassen. Die Bundesebene regelt die Mobilität und die Einheitlichkeit der Abschlüsse. Dabei arbeiten die Bildungs- und Wirtschaftsseite zusammen. Der Weg zu diesen Abschlüssen wird aber von denen gestaltet, die am nächsten dran sind: von den Sozialpartnern für die betriebliche Seite der Ausbildung und von den Bundesländern für die schulische. Ein besonderer Knackpunkt der Reform war für uns die Frage: Wie gehen wir in Zukunft mit den so genannten vollzeitschulischen Ausbildungen um? Ich freue mich, dass wir die Möglichkeit der Zulassung zur Kammerprüfung für diese Ausbildungsgänge jetzt deutlich verbessern. Mit der Zulassung zur Kammerprüfung sichern wir die tatsächliche Gleichwertigkeit von schulischen und betrieblichen Ausbildungen. Ich bin mir darüber im Klaren, dass nicht alle in diesem Hause restlos davon überzeugt sind. Fest steht für mich aber, dass die Schule unter den klaren Anforderungen, die wir jetzt in das Gesetz geschrieben haben, eine sinnvolle Alternative zur dualen Ausbildung ist und auch sein muss. Das ist eine Aufwertung, die gerade vor dem Hintergrund der Lehrstellenknappheit dringend notwendig ist. Die Zulassung vollzeitschulischer Ausbildungsgänge zur Kammerprüfung bringt neue Flexibilität mit sich und ist keine Gefahr für das duale Ausbildungssystem, sondern eine sinnvolle Ergänzung. ({1}) Eine weitere Verbesserung sehe ich in den neuen Regelungen zur Arbeitszeit während der Ausbildung. Es war bisher schon möglich, die Ausbildungszeit insgesamt zu verkürzen, sofern das Ausbildungsziel in dieser Zeit erreicht wird. Unser neuer Gesetzentwurf geht noch mehr auf persönliche Bedürfnisse ein, indem er eine Verkürzung der täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit einschließt. Das ist für viele junge Leute eine große Hilfe, zum Beispiel für Mütter mit kleinen Kindern oder für Menschen mit pflegebedürftigen Angehörigen. Damit wird klar, dass es nicht nur um persönliche, sondern auch um wichtige gesellschaftliche Anliegen geht. Diese Reform kann und darf aber nicht unser letztes Wort in Sachen beruflicher Bildung gewesen sein. Wir müssen mehr tun. ({2}) Wir Bündnisgrünen haben schon lange eine gute Idee: die Stiftung Betriebliche Bildungschance. Ausgehend von unserer Grundidee einer eigenverantwortlichen Bürgergesellschaft wollen wir die Ressourcen für mehr Ausbildung besser erschließen. Betriebe, die innovativ ausbilden, werden ideell und finanziell durch die Stiftung direkt gefördert. Jeder Betrieb, der ausbildet, kann aus den Stiftungsmitteln einen Teil der Ausbildungskosten erstattet bekommen. Eine weitere Aufgabe dieser Stiftung soll in der Vernetzung von Akteuren wie Unternehmen, Kammern, Arbeitsvermittlungen und Schulen bestehen. Bildung ist nicht mit der beruflichen Ausbildung abgeschlossen. Wer auf dem neuesten Wissensstand bleiben will, muss sich auf lebenslanges Lernen einstellen. Leider ist es uns Grünen nicht gelungen, die Fortbildung mit in das Gesetz aufzunehmen, obwohl nur eine stetige berufliche Weiterbildung die Innovationsfähigkeit in unserem Land sichern und stärken kann. Mit dem Gesellenbrief oder dem Diplom in der Hand mögen die Lehrjahre vorbei sein, lernen müssen wir aber unser ganzes Leben lang. Wir brauchen einfache und bürgernahe Anreize, um die Bereitschaft zur Weiterbildung in der Gesellschaft zu erhöhen. ({3}) Das gilt insbesondere für die Menschen, die nur eine geringe Qualifikation haben oder ganz ohne Berufsausbildung dastehen. Ihr Armutsrisiko ist höher als das jeder anderen gesellschaftlichen Gruppe. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Novelle zum Berufsbildungsgesetz hat der Gesetzgeber einen großen Teil seiner Hausaufgaben erledigt. Für die jungen Menschen in unserem Land werden die Veränderungen aber nur dann positiv erlebbar sein, wenn alle Beteiligten in unserer Gesellschaft an einem Strang ziehen. In Sachen Ausbildung sind nun die Unternehmer gefragt. Sie müssen die Verbesserungen nutzen, damit mehr junge Leute als in den vergangenen Jahren eine berufliche Perspektive erhalten. ({4}) Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Lazar, Sie haben heute Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag gehalten. Ich gratuliere Ihnen recht herzlich und wünsche Ihnen persönlich alles Gute. ({0}) Nächste Rednerin ist die Kollegin Cornelia Pieper, FDP-Fraktion.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Lazar hat eben zu Recht festgestellt, dass junge Menschen ohne Schul- oder Berufsabschluss die sozialen Härtefälle von morgen darstellen. Es muss Aufgabe dieses Parlaments sein, nicht nur der Sozialpolitiker, sondern auch der Bildungspolitiker, jungen Menschen, die keinen Schul- oder Berufsabschluss schaffen, zu helfen; denn auch sie sollen ihren Lebensunterhalt verdienen, sich selbst eine Zukunft schaffen können. ({0}) Deswegen glauben wir Liberale, dass das Berufsbildungsreformgesetz der Schlüssel ist, um diesen jungen Menschen die Chance auf eine hervorragende und qualitätsorientierte Ausbildung zu verschaffen, insbesondere den praxisorientierten jungen Menschen. Die FDP-Fraktion hat daher bereits im Jahre 2001 einen Antrag eingebracht, der darauf abzielt, ein duales und modulares Berufsausbildungssystem in Deutschland einzuführen. Für uns ist das heute zu verabschiedende Gesetz, Herr Tauss, ein Lohn dafür, dass wir sehr frühzeitig den Finger in die Wunde gelegt haben und Sie auf den richtigen Weg gebracht haben. ({1}) Ich weiß: Sie winken jetzt ab. Aber ich darf Sie daran erinnern: Die Modularisierung und die Stufenausbildung waren für Sie am Anfang nicht selbstverständlich. Für uns dagegen ist es, wie gesagt, der Schlüssel für die Zukunft eher praxisorientierter junger Menschen. Trotzdem ist Ihr Berufsbildungsreformgesetz nur ein halber Schritt nach vorn. Für die FDP war und ist - ich sagte es schon - die Modernisierung der Berufsbildung und des Berufsbildungssystems eine äußerst wichtige Aufgabe. Sie haben in Ihren Gesetzentwurf einige wichtige Punkte aufgenommen, die auch uns wichtig sind; das hebe ich hier ausdrücklich hervor. Das betrifft nicht nur die Verbesserung der Lernortkooperation, sondern auch die Möglichkeit gestreckter Abschlussprüfungen. Ebenfalls betrifft es die Verwertbarkeit von berufsbegleitenden Qualifikations- und Fortbildungsmaßnahmen. ({2}) Trotzdem sage ich: Sie sind nicht weit genug gesprungen. Die Wirtschaft, insbesondere der Zentralverband des Deutschen Handwerks, bestätigt jetzt genau das, was wir immer befürchtet haben, dass nämlich mit einer nur halbherzigen Einführung der Stufenausbildung - ich denke insbesondere an die entsprechende Ergänzung des § 21 des Berufsbildungsgesetzes im Änderungsantrag zweijährige Berufsausbildungen eigentlich konterkariert werden. Wir wollten die Stufenausbildung von Anfang an in allen Berufsbildern; wir wollen eine zweijährige Berufsausbildung mit einem ordentlichen Abschluss, damit die jungen Menschen, die eher praxisorientiert sind, schnell einen Arbeitsplatz finden. Darum geht es doch. ({3}) Von daher glauben wir, dass Ihre Reform nur halbherzig ist. Einen anderen Punkt möchte ich ebenfalls ansprechen: Die Gefahr der Abwertung der dualen Berufsausbildung durch vollzeitschulische Ausbildung ist aus unserer Sicht nicht grundlegend gebannt. Die Zuständigkeit für die Zulassung von staatlichen Vollzeitschülern zur Kammerprüfung kann der Sache nach nur bei den Berufsbildungsausschüssen der Kammern liegen. In Ihrem Gesetzentwurf wird das den Landesregierungen übertragen. Ob dazu das geforderte Benehmen mit den Landesausschüssen ausreichend ist, ist aus meiner Sicht der Dinge mehr als fraglich. ({4}) Ferner glauben wir, dass eine vernünftige Verschlankung der Berufsbildungsausschüsse in Ihrem Gesetzentwurf nicht vorgesehen ist. Das ist schlecht. Stattdessen wird das am besten arbeitende Gremium, der Ständige Ausschuss beim Berufsbildungsinstitut, abgeschafft - eine Entscheidung, die von der Wirtschaft, aber auch von den Gewerkschaften kritisiert worden ist und auf Unverständnis stößt. ({5}) Zum Bürokratieabbau tragen Sie mit Ihrem Gesetzentwurf letztlich auch nicht bei; das wissen Sie. Sie wollen aufwendigere Berufsbildungsstatistiken einführen, die natürlich auch mehr Kosten für die Kammern, für die Wirtschaft, in Sonderheit für die kleinen und mittelständischen Betriebe, bedeuten. Auch das kann nicht das Ziel eines solchen Gesetzentwurfes sein. Last, but not least möchte ich auf Folgendes hinweisen: Es hat schon seinen Sinn, dass heute der sachsenanhaltinische Minister für Wirtschaft, Dr. Rehberger, den Bundesratsgesetzentwurf einbringen wird. Wir wollen flexiblere Ausbildungsvergütungen zulassen. Ich frage mich, warum Sie dabei nicht mitmachen. ({6}) Ihr Bundeswirtschaftsminister, Herr Clement, hat einen vernünftigen Vorschlag gemacht, nämlich die lokale und regionale Arbeitsmarktsituation bei den Ausbildungsvergütungen zu berücksichtigen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Pieper, Sie müssen zum Schluss kommen.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Auch das ist ein Punkt, den wir noch einmal aufgreifen wollen. Wir werden dem Gesetzentwurf des Bundesrates zustimmen. Im Interesse der Jugendlichen werden wir uns heute bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung der Stimme enthalten. Wir werden diesen Gesetzentwurf nicht blockieren. Ein halber Schritt ist aber noch kein ganzer; es gibt also noch viel zu tun. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Ministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Mit dem Berufsbildungsreformgesetz, das wir heute in der abschließenden dritten Lesung gemeinsam erörtern, hat die Bundesregierung die umfassendste Novelle zum Berufsbildungsgesetz seit seinem In-Kraft-Treten im Jahre 1969 vorgelegt. ({0}) Der Gesetzentwurf enthält genau die Innovationen, mit denen die duale Berufsausbildung auch in Zukunft einen ganz wesentlichen Beitrag für die Qualifizierung sehr vieler Menschen in unserem Land, aber auch dafür leisten wird, dass Unternehmen auch in Zukunft hervorragend ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben werden. ({1}) In den letzten Wochen und Monaten gab es zahlreiche Gespräche zwischen den Regierungsparteien, zwischen Regierung und Opposition, zwischen Ländern und Bund sowie mit den Sozialpartnern. In diesen Gesprächen, die ganz überwiegend von einem konstruktiven Miteinander getragen waren - das empfand ich als sehr positiv -, ist es uns gelungen, tragfähige Kompromisse zu erarbeiten, ohne die grundsätzlichen Ziele der Reform infrage zu stellen. Das, was wir hier erreicht haben, halte ich für ein gutes Ergebnis. ({2}) In diesem Zusammenhang bedanke ich mich ganz ausdrücklich bei den Berichterstattern, die hierbei eine wichtige Aufgabe erfüllt haben, und ebenso dafür, dass die Verabredungen und Absprachen von allen Beteiligten zuverlässig eingehalten worden sind. Dies ist eine sehr wichtige Voraussetzung, um zu einem tragfähigen Kompromiss zu kommen. Ich muss leider feststellen, dass Absprachen und Vereinbarungen in anderen Bereichen nicht immer zuverlässig eingehalten worden sind. ({3}) Dies trifft, wie einer meiner Vorredner angesprochen hat, zum Beispiel auf die Absprachen in Bezug auf Spitzenuniversitäten und Exzellenzzentren zu. Hinsichtlich dieses Punktes waren sich die Wissenschaftsminister auch einig, aber ihre Einigung ist dann leider von CDU-Seite - nicht von der Bundestagsfraktion, sondern von der Länderseite - infrage gestellt worden. ({4}) Zuverlässigkeit ist insofern ein wichtiger Punkt, um gute Kompromisse und Ergebnisse tatsächlich umsetzen zu können. Meine sehr geehrten Herren und Damen, das System der dualen beruflichen Bildung ist wirklich zu Recht weltweit anerkannt; darüber sind wir uns wohl einig. Diese hohe Anerkennung liegt darin begründet, dass es tatsächlich allen jungen Menschen die Chance bietet, eine qualifizierte Beschäftigung aufzunehmen und damit ihr Leben selbstverantwortlich zu gestalten. Gleichzeitig sichert das System der beruflichen Ausbildung der Wirtschaft die Fachkräfte der Zukunft. Damit trägt es ganz entscheidend zur Wettbewerbsfähigkeit und zum Wohlstand unserer Gesellschaft bei. ({5}) Damit dies so bleibt, muss sich die duale Berufsausbildung immer wieder neuen Herausforderungen stellen. Ziel der Bundesregierung war es deshalb von Anfang an, das Berufsbildungsgesetz auf der Grundlage bewährter Prinzipien so zu modernisieren, dass Ausbildung für alle sichergestellt ist, dass neue Chancen sowohl für Betriebe als auch für Jugendliche eröffnet werden, dass Qualität und Attraktivität der beruflichen Ausbildung weiterentwickelt werden, dass die Arbeitsmarktverwertbarkeit der Berufsausbildung verbessert und die Mobilität der Fachkräfte gesteigert wird. An diesen Zielen haben wir festgehalten, wir haben sie mit der Novellierung zum Berufsbildungsgesetz auch erreicht. Der vorliegende Kompromiss knüpft an die bewährten Strukturen der beruflichen Bildung an, integriert aber auch die Erkenntnisse aus über 30 Jahren Berufsbildungsforschung und aus der Entwicklung der vergangenen zwei, drei Jahrzehnte. Er wird damit den Ordnungsrahmen für eine moderne berufliche Ausbildung darstellen. An dieser Stelle will ich noch einmal einige Kernpunkte herausstellen, weil der gesamte Entwurf weitaus umfassender ist und viele Aspekte enthält: Erstens. Wir haben in der Vergangenheit festgestellt, dass diejenigen, die eine Berufsausbildung an einer Vollzeitschule absolvieren, einen erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Dabei handelt es sich vorwiegend um Mädchen, die überwiegend gute Schulabschlüsse vorweisen können. Rund ein Drittel dieser Jugendlichen haben trotz dieser guten Ausbildung erhebliche Schwierigkeiten bzw. schlechtere Berufschancen als diejenigen, die eine betriebliche Ausbildung absolviert haben. Deshalb wollen wir ihnen die Möglichkeit erschließen, eine Kammerprüfung abzulegen. ({6}) Das von uns hier Vorgelegte halte ich für einen vernünftigen Vorschlag. Damit geben wir dem Drittel der Jugendlichen, die sonst nach einer erfolgreich abgeschlossenen Berufsausbildung an einer Vollzeitschule erneut eine vergleichbare berufliche Ausbildung durchlaufen, die Chance, eine Kammerprüfung abzulegen. Dadurch erreichen wir - das ist hier schon gesagt worden -, dass die jungen Leute weder Lebenszeit noch Ressourcen vergeuden, indem sie zum zweiten Mal die gleiche berufliche Ausbildung machen. Vielmehr bekommen sie im Anschluss an die Kammerprüfung einen erleichterten Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Beschäftigung. Ich erwarte - das möchte ich ausdrücklich feststellen, weil ich das auch in meinen Gesprächen mit den Vertretern von Kammern und Schulen immer wieder klar gesagt habe - eine stärkere und bessere Zusammenarbeit zwischen Kammern, Betrieben und vor allen Dingen Vollzeitschulen, also den Fachschulen. ({7}) Das ist für mich ein ganz wichtiger Punkt; denn die Fachschulen und Kammern können, wenn sie schon vor der Prüfung gut zusammenarbeiten, gewährleisten, dass die Ausbildungen sehr nah beieinander liegen, wodurch die Beschäftigungschancen gewahrt bleiben. Zweitens. Jedes Jahr kämpfen wir für ein ausreichendes Ausbildungsplatzangebot. Durch unsere Sonderprogramme und die Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit können wir, was den Mangel an Ausbildungsplätzen betrifft, nur bedingt Abhilfe schaffen. Mit dem Pakt für Ausbildung haben wir in diesem Jahr wirklich einen deutlichen Erfolg erzielt; denn es sind über 53 000 neue betriebliche Ausbildungsplätze entstanden. Ich weiß allerdings sehr wohl, dass wir diese Aufgabe auch weiterhin mit großem Engagement anpacken müssen. Nun erleichtern wir die Anrechnung von Qualifikationen, die im Rahmen dieser Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit erworben wurden, auf die sich anschließende Ausbildungszeit. Das ist mir besonders wichtig, weil wir als einen Bestandteil des Paktes für Ausbildung Qualifikationsbausteine und Praktika hervorheben, wodurch die Jugendlichen in Form einer Einstiegsqualifikation Teile einer vollständigen Berufsausbildung erwerben. Es ist für beide Seiten - sowohl für die Betriebe als auch für die Jugendlichen - wichtig, dass diese Qualifikationen nicht als nutzlos wahrgenommen werden, sondern ohne Probleme als Teil der beruflichen Ausbildung anerkannt werden. ({8}) Genau das ist die Zielsetzung, die wir mit dieser Bestimmung verfolgen. Von mehreren Kollegen ist auf die Stufenausbildung eingegangen worden. Diese Kollegen bitte ich, daran zu denken, dass wir bis jetzt schon 320 Berufe geschaffen haben. Das Spektrum unterschiedlicher Qualifikationsebenen innerhalb der Berufsausbildung ist also sehr breit. Es gibt Berufe, die auch mit einem niedrigeren schulischen Qualifikationsniveau erlernbar sind, und es gibt Berufe, die sehr hohe Qualifikationsanforderungen stellen. Die Anforderungsebenen in diesen 320 Berufen sind sehr unterschiedlich. Deshalb sollte und darf man nicht alle Berufe über einen Kamm scheren. Die Ausbildung zu manchen Berufen dauert drei Jahre, andere kann man in nur zwei Jahren erlernen. Deshalb war es mir immer sehr wichtig, aus der Ausbildungsdauer kein Dogma zu machen, sondern aufgrund der Anforderungen des Berufsbildes zu entscheiden, in welchem Zeitraum man einen Beruf erlernen kann. ({9}) Ich denke, genau das ist der richtige Weg, den wir gehen sollten und müssen. Drittens. Das duale Berufsbildungssystem hat sich in Deutschland bewährt. Das kann man auch daran ablesen, dass die Jugendarbeitslosigkeit bei uns im internationalen Vergleich gering ist. Was bisher zu kurz kam, ist die internationale Ausrichtung der beruflichen Ausbildung. ({10}) Das neue Berufsbildungsgesetz eröffnet auch hier die richtigen Möglichkeiten. So ist es möglich, eine Ausbildung, die man im Ausland gemacht hat, in die Gesamtausbildung zu integrieren. ({11}) Dabei handelt es sich also um keine Vergeudung von Zeit, sondern um einen wichtigen Ausbildungsbestandteil. Viertens. In diesem Gesetzentwurf geben wir keinen Königsweg vor, sondern wir bauen die Flexibilität aus und verstärken die Qualität. Kurz gesagt: Das Berufsbildungsgesetz enthält ein umfassendes Instrumentarium zur Sicherung der Qualität der beruflichen Bildung, ({12}) gestattet aber auch eine flexible Anpassung an die Bedürfnisse einzelner Berufsbereiche. Dieses Instrumentarium wird durch die im Änderungsantrag enthaltenen Regelungen zur Qualitätssicherung ergänzt, deren stetige Entwicklung als Aufgabe für den Landesausschuss und den Berufsbildungsausschuss in den Gesetzentwurf aufgenommen wird. Fünftens. Im Bereich des Prüfungswesens haben wir die Durchführung von Abschlussprüfungen in zwei Teilen ermöglicht. Diese Erfahrung haben wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten gewonnen. Nun schaffen wir hier Klarheit und führen diese Möglichkeit ein. Dadurch wird die Durchführung von Prüfungen für beide Seiten erheblich erleichtert. Sechstens. Wir haben die Gelegenheit genutzt, um die Verfahren im Bereich der beruflichen Bildung zu verschlanken, Gremien abzuschaffen oder zusammenzulegen und damit auch die Zuständigkeitsregelungen transparenter zu gestalten. Ganz sicher werden wir in den kommenden Jahren auch die Verbundausbildung ausbauen und das STARRegio-Programm weiter stärken. Ebenfalls werden wir die Berufe immer wieder modernisieren, wie wir das auch in den letzten Jahren unter großen Anstrengungen gemacht haben. Wir haben von den 320 Berufsausbildungen rund 160 modernisiert. Kurz: Ich denke, wir schaffen mit diesem Gesetz den Rahmen für eine gute Ausbildung für alle Jugendlichen, von der gleichzeitig auch die Unternehmen profitieren. Vielen Dank. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Werner Lensing, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lassen Sie sich überraschen, Herr Tauss! Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin Bulmahn, ich habe Sie selten so entspannt und mit solch strahlenden Augen gesehen ({0}) wie heute bei Ihrem Beitrag, bei dem Sie auf einem Kompromiss aufbauen konnten, den wir zwischen unseren Fraktionen erzielt haben. Ich denke, dass Ihnen diese Novellierung ein Aufatmen beschert, nachdem unser höchstes deutsches Gericht gleich zweimal - mit seinen eindeutigen Urteilen zur Juniorprofessur und zu den Studiengebühren - aus verfassungsrechtlichen Gründen die Umsetzung von Kernpunkten Ihrer Bildungspolitik verhindert hat und verhindern musste. ({1}) Sie, Frau Bulmahn, plagt halt zu sehr die unselige Umständlichkeit einer überstürzten Bildungspolitik und Ideologie. ({2}) Wir hingegen haben uns, unter anderem unter Federführung von Herrn Brase, den es einmal zu loben gilt ({3}) - natürlich nicht zu viel -, bei unseren interfraktionellen Gesprächen mit der Bundesregierung vom Gedanken - und das ist jetzt entscheidend - realitätsbezogener Überlegungen und pragmatischer Handhabe leiten lassen. ({4}) Von daher begrüße ich den erzielten Konsens generell, unterstützt er doch nicht nur die ausbildenden Betriebe: Er nützt vor allem auch den vielen jungen Menschen, die eine duale Ausbildung absolvieren wollen. Der heutige Tag kennt letztlich eine eindeutige Gewinnerin: die Jugend. Sie wird und sie soll zu unser aller Freude die wahre Nutznießerin des neuen Berufsbildungsgesetzes sein - und sie wird es sein. ({5}) Dies ist umso wichtiger, weil Ende Oktober 2004 zwar 9 500 Ausbildungsplätze unbesetzt waren, aber zugleich immer noch 34 500 Jugendliche nach einem Ausbildungsplatz suchen mussten - eine entschieden zu hohe Anzahl! Allerdings sind die Ausbildungsvoraussetzungen immer noch nicht akzeptabel. Der Berliner SPD-Bildungssenator hat es in einem völlig unerwarteten Akt der Einsicht Anfang dieser Woche auf den Punkt gebracht - ich zitiere -: Wir entwickeln eine Schülergeneration, die auch nicht annähernd die Anforderungen der Wirtschaft erfüllt. Hierauf mussten wir bei unseren Überlegungen zur Novellierung des Berufsbildungsgesetzes Rücksicht nehmen und wir haben es getan. Wir haben auch berücksichtigt, was man traurigerweise feststellen muss: dass die Mängel der jungen Menschen nicht zuletzt auch mit der Bildungsferne und dem Desinteresse ihrer Familien zusammenhängen. Genau an diesem Punkt beginnt bekanntlich ein verhängnisvoller Kreislauf: zuerst keine ausreichende Schulbildung, dann keine Lehrstelle und schließlich keine Beschäftigung. Hier müssen wir gegensteuern, und mit dem neuen Gesetz steuern wir auch gegen. Deswegen ist für die berufliche Bildung ein dringender Handlungsbedarf angezeigt und nicht etwa, Frau Bulmahn, Ihre verhängnisvolle Devise zu verteidigen: „Wir werden alles ändern, wenn wir das gegliederte Schulwesen abschaffen und die Einheitsschule einführen.“ ({6}) Ihre Vorstellungen in diesem Bereich sind fataler Ausdruck blanker Illusion. Der Leiter des neu gegründeten Berliner Instituts für Qualitätssicherung im Bildungswesen, Professor Dr. Köller, mahnt zu Recht eine grundlegende Reform berufsvorbereitender Schulen an. Daher sollen gerade den Schulen, die zur Ausbildungsfähigkeit hinführen wollen, Chancen zur verstärkten Sozialarbeit, Chancen zur Sprachförderung und Chancen zur Vermittlung von Basiskompetenzen eröffnet werden. Wir brauchen eine stärkere Anbindung der Lehrkräfte in den Schulen an die Praxis. Daher fordere ich: Praktiker in die Schulen und Lehrer in die Betriebe! ({7}) Das fördert den Weitblick und wird ein Mittel gegen berufliche Langeweile sein. Wir, die CDU/CSU, haben wesentliche Aspekte, die zum Teil heute auch schon gewürdigt wurden, bei der Novellierung umgesetzt. Ich will nur drei benennen: Erstens. Durch die von der Unionsfraktion erreichte Einführung sicherer Kriterien für die Zulassung vollzeitschulisch Ausgebildeter zur Kammerprüfung können besagte Absolventen eine reguläre Kammerprüfung ablegen, wenn deren schulischer Bildungsgang nach Inhalt, Anforderung und zeitlichem Umfang einem anerkannten Ausbildungsgang entspricht. ({8}) - Herr Dr. Rossmann, ich merke Ihnen an, wie begeistert Sie von dieser Idee meiner Fraktion sind. ({9}) Einer drohenden Verschulung der dualen Ausbildung haben wir durch diese Bedingungen einen Riegel vorgeschoben. Daneben haben wir uns bemüht, das Problem der zeitraubenden Warteschleifen ebenfalls zu lösen. Gleichwohl - das ist schon angesprochen worden - können die Länder die entsprechenden Rechtsverordnungen nur im Benehmen mit dem Landesausschuss für Berufsbildung erlassen. Pragmatisch gesprochen: Es ist alles frei von Ideologie. Zweiter Gedanke. Entsprechend den Vorschlägen von Baden-Württemberg können auf dem Kammerzeugnis nun entweder die Abschlussnote der Berufsschule als Ganzes oder auch einzelne Zeugnisnoten der Schulen gesondert ausgewiesen werden. Ich halte das deswegen für enorm wichtig und entscheidend, weil auf diese Art und Weise der dringenden Notwendigkeit entsprochen werden kann, Schüler und Lehrkräfte bei ihrer Arbeit zu motivieren. Drittens. Mit der Einführung eines Stimmrechts für Lehrerinnen und Lehrer in den Berufsbildungsausschüssen konnte die CDU/CSU-Fraktion die Attraktivität der Berufsschulen in einem vertretbaren Maß weiter steigern. Ich weiß wohl, wie problematisch das ist. Wir sind jedoch begeistert und freuen uns. Ich komme auf den Anfang meiner Ansprache ({10}) und auf die Begeisterung der Ministerin darüber zurück, dass wir folgende Ziele erreicht haben: Erstens nenne ich die Aufwertung der Stufenausbildung, die Bündnisse für Ausbildung und das Schlichtermodell für die Schaffung moderner Berufsbilder. Zweitens nenne ich die Verbundausbildung und die Kooperation der Lernorte. Drittens haben wir mit der Unterbreitung und Durchsetzung von 15 weiteren ausbildungsfördernden Vorschlägen nur einem gedient, nämlich unserer Jugend. ({11}) Frau Präsidentin, ich komme zu meinem Schlussgedanken. Wenn allerdings die Bundesregierung die Fesselung durch die Überregulierung am Arbeitsmarkt nicht endlich löst, ({12}) dann wird es sowohl mit einem als auch ohne ein novelliertes Berufsbildungsgesetz keine ausreichende Arbeit und auch keine Aussicht auf eine qualitätsreiche Ausbildung für unsere Jugend geben. Ich bedanke mich, nicht zuletzt für die Begeisterung in den Reihen der SPD. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lensing, Herr Schummer, wenn sich Ideologen wechselseitig Ideologie vorwerfen, dann sollten wir uns darauf besinnen, dass Sie genauso Interessen vertreten wie wir; das ist auch so in Ordnung. ({0}) Damit ist aber niemand frei davon, dass er sie engagiert vertritt. Wenn wir ein gemeinsames Ergebnis erreichen, dann gehört dazu auch eine ausdrückliche Anerkennung der Tatsache, dass dieses Ergebnis auf dem fußt, was die Regierung vorgelegt hat. Dies im Nachhinein immer auseinander zu rechnen - hier Sie und da wir -, entfernt uns ein bisschen von dem Geist, den man sich beim gemeinsamen Arbeiten souverän wechselseitig bescheinigen könnte. ({1}) Ich fühle mich deshalb ermutigt, Gemeinsamkeiten hervorzuheben, wobei vielleicht ein Blick in die Geschichte hilft. Dieses Berufsbildungsgesetz ist jetzt 35 Jahre alt und ist schon damals ein hervorragendes Gesetz gewesen. Es ist in erster Lesung 1966 entstanden. Das war übrigens in der Zeit, als die FDP aus der Regierung ausschied und es zur großen Koalition kam. Es ist in der großen Koalition unter dem Arbeitsminister Katzer beschlossen worden. Folgende kleine Bemerkung sei mir erlaubt: Das waren noch Sozialausschüsse, Herr Schummer. ({2}) Es war insoweit ein gutes Ergebnis, als auch in den Debattenbeiträgen gesagt wurde - wenn ich das richtig nachgelesen habe, war das der Kollege Diebäcker, CDU -: Eine Reform der Berufsbildung ist in den seltensten Fällen spektakulär. Sie ist dann gut, wenn sie konsensual ist, weil sie viele Beteiligte braucht und viele Beteiligte mitnehmen muss. Sie ist dann erfolgreich, wenn sie sich auf Veränderungen einstellt. Ich will einmal einen Blick zurück wagen: Was war vor 35 Jahren, was ist jetzt? Damals gab es zwar noch keine Berufsbildungsstatistik, aber sicher ist, dass damals die Quote der Betriebe, die ausgebildet haben, deutlich höher war, als sie es jetzt ist. Heute liegt die Kennzahl bei 25 Prozent, vor 20 Jahren lag sie bei 35 Prozent, vor 35 Jahren wahrscheinlich sogar bei 40 bis 50 Prozent. Jetzt Verbundausbildung, Berufsbildungsplanung in der Region und Lernortkooperationen zu verbessern, ist eine adäquate Reaktion darauf. ({3}) Wir wissen auch, dass es damals nicht so viel schulische Ausbildung gab. Heute liegt die Zahl der schulischen Ausbildungsverhältnisse bei rund 500 000, die der vollzeitschulischen bei 200 000. Ich bin sicher, damals lag diese Zahl eher bei 20 000 oder 30 000. Das heißt für unseren Blick in die Zukunft: Es ist wichtig, das duale Berufsbildungssystem als zentralen Teil zu stärken. Gleichzeitig müssen wir anerkennen, dass es mittlerweile in der beruflichen Bildung einen Dualismus gibt. Auf diesen Dualismus - neben einer qualifizierten schulischen Ausbildung muss eine berufliche Ausbildung stehen - können wir nicht mehr verzichten; wir müssen beide Elemente weiterhin anbieten und uns um sie bemühen. Das wird für die Zukunft - insofern wird daraus ein Trialismus - noch wichtiger werden: Damals war es noch unvorstellbar, dass es berufliche Bildung in diesem Sinne auch an Hochschulen geben würde. Aber natürlich kommen wir in eine solche Entwicklung hinein, dass auch an den Hochschulen die Bachelor- und Masterabschlüsse mehr und mehr zu einem Maßstab der beruflichen Ausbildung werden. Das wird die Reformperspektive für das sein, was in 20 Jahren neu diskutiert werden wird. Inwieweit hat man es geschafft, das klassische duale System mit der Perspektive für eine hochschulische Ausbildung zu verbinden? Dies ist bisher noch ungenügend geschehen, aber diese Durchlässigkeit muss hergestellt werden: duale Ausbildung, schulische Ausbildung, hochschulische Ausbildung. ({4}) Ich spreche dies deshalb an, weil wir hier auch eine Zukunftsperspektive über das hinaus gewinnen können, was wir alles schon geregelt haben. Dies sollten wir im Interesse der Jugendlichen und der Qualitäten am Wirtschaftsstandort Deutschland angehen. Eine kleine Bemerkung möchte ich machen, um eine fachliche Differenz anzusprechen. Was passiert jetzt mit der Stufenausbildung? Dazu gibt es zwei verschiedene Blickwinkel. Der eine Blickwinkel ist, dass man die Stufenausbildung, die gesetzlich schon lange möglich ist, so durchstrukturiert, dass sich gewissermaßen eine Führung ergibt, in deren Zuge man sich von Stufe zu Stufe weiterentwickeln kann. Wenn es Ihnen darum geht - eine neue Strukturierung -, dann sollten wir uns zusammen engagieren. Wenn es Ihnen bei der Stufenausbildung - das ist der andere Blickwinkel - darum geht, diese abbrechen zu können, und zwar gegen den Willen desjenigen, der den Einstieg geschafft hat, dann unterscheidet uns das. ({5}) An der Stelle jetzt den Kompromiss gefunden zu haben, dass derjenige, der für drei Jahre ein Ziel und anschließend eine Qualifikation hat, auch sicher sein kann, dass ihm für drei Jahre diese Chance bleibt, ist etwas, wofür wir uns ganz vehement und ganz ideologisch immer wieder einsetzen, weil wir ein Interesse an diesen jungen Menschen haben. ({6}) Ich will mit einem Bezug auf die damaligen Debatten enden. Das Berufsbildungsgesetz ist gegen Ende der großen Koalition verabschiedet worden. Es gab damals fantastische Anträge - mich zumindest hat es gefreut, das lesen zu können -, unterzeichnet von Stücklen, CDU/CSU, und Genossen. ({7}) Das hatte historischen Wert. Willi Brase und Herr Schummer, vielleicht geht das, was jetzt von Ihnen parlamentarisch mit erarbeitet worden ist, in eine spätere Debatte einmal so ein: Anträge Brase/Schummer, große Mehrheit, Berufsbildungsreform gut verbessert. Wir bedanken uns dafür. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Minister für Wirtschaft und Arbeit des Landes Sachsen-Anhalt, Dr. Horst Rehberger. Dr. Horst Rehberger, Minister ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war eine sehr gute Entscheidung, dass im Jahre 2004 keine Ausbildungsplatzabgabe eingeführt worden ist. ({1}) Trotz schwieriger Rahmenbedingungen hat es die gewerbliche Wirtschaft geschafft, den nationalen Ausbildungspakt einzuhalten und durch die Schaffung von 54 000 neuen Ausbildungsplätzen einen tatsächlichen Zuwachs von immerhin rund 14 000 Arbeitsplätzen zu erreichen. Marktwirtschaft braucht eben nicht staatlichen Zwang, sondern die Freiheit, unternehmensbezogen die richtigen Entscheidungen treffen zu können. ({2}) Die Zahl der Ausbildungsplätze, insbesondere in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit, hätte noch deutlich gesteigert werden können, wenn wir eine flexiblere Regelung der Ausbildungsvergütung hätten. ({3}) In den beiden zurückliegenden Jahren waren bei mir im Ministerium wiederholt mittelständische Unternehmer mit Lehrlingen. Weder die Unternehmer noch die Lehrlinge konnten es fassen, dass das Lehrverhältnis von der zuständigen IHK nicht anerkannt werden durfte, weil die zwischen ihnen vereinbarte Lehrlingsvergütung von 200 bis 250 Euro pro Monat mehr als 20 Prozent unter der im einschlägigen Tarifvertrag festgelegten Höhe lag. ({4}) Für die jungen Leute hatte dies einen fatalen Doppeleffekt und das war das Gegenteil einer vernünftigen Lösung. ({5}) Erstens mussten sie sich mit einer außerbetrieblichen und damit eindeutig schlechteren Ausbildung zufrieden geben und zweitens erhielten sie nicht die 200 bzw. 250 Euro Vergütung im Monat, wie es im Vertrag stand, sondern die staatlich festgelegten 150 Euro für die außerbetriebliche Ausbildung. Welchen Vorteil soll das für junge Menschen bringen? ({6}) Minister Dr. Horst Rehberger ({7}) Jeder, der sich nur ein wenig in Ostdeutschland auskennt, ({8}) wird bestätigen, dass das, was ich hier geschildert habe, keine ungewöhnlichen Fälle sind. ({9}) Inzwischen ist es offenbar auch nicht mehr ungewöhnlich, dass Lehrherr und Lehrling zwar die tarifvertraglich vorgegebene Vergütung in den Vertrag aufnehmen, in der Praxis aber niedrigere Vergütungen bezahlt werden. ({10}) Ich sage Ihnen offen: Ich finde es bedrückend, dass gestandene Handwerksmeister und junge Auszubildende den Weg eines Rechtsverstoßes gehen müssen, um etwas bildungspolitisch Gewolltes mit dem ökonomisch Machbaren auf einen Nenner bringen zu können. ({11}) Hier im Bundestag muss ich sagen: Welches Bild von unserem Staate bekommen 16-, 17- und 18-Jährige, wenn sie schon bei der Ausbildung einen solchen Weg gehen müssen? ({12}) Der Bundesrat schlägt deshalb vor, anstelle der bisherigen Regelung der Ausbildungsvergütung im Berufsbildungsgesetz nur noch eine Untergrenze festzulegen, die bei circa 180 Euro in den alten Bundesländern und circa 150 Euro in den neuen Bundesländern liegt. Damit wir uns nicht missverstehen: Selbstverständlich ist es den Tarifvertragsparteien sowie den einzelnen Unternehmern und Auszubildenden völlig unbenommen, für ihren jeweiligen Verantwortungsbereich höhere Vergütungen festzulegen. Das steht also gar nicht zur Debatte. ({13}) Aber man kann nicht alle über einen Leisten schlagen. Das ist das Entscheidende.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pieper? Dr. Horst Rehberger, Minister ({0}): Ich bin mit meinen Ausführungen gleich am Ende und bin dann gern bereit, die Zwischenfrage zuzulassen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nein, am Ende der Redezeit kann ich keine Zwischenfrage mehr zulassen. Dr. Horst Rehberger, Minister ({0}): Ich bitte um Nachsicht. Ich möchte dann - - Ach, Frau Pieper! Dann gerne. ({1}) - Wenn jemand aus der Fraktion der SPD oder aus der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hätte fragen wollen, dann wäre es noch lebendiger geworden. Aber bei der Kollegin Pieper ist es kein Problem. ({2})

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Auch wenn das vielleicht überraschend ist, so möchte ich doch eine Zwischenfrage stellen. Herr Minister Dr. Rehberger, ich möchte Sie fragen, ob es richtig ist, dass das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit unter der Leitung von Herrn Clement an einer Lösung der Frage der Angemessenheit der Ausbildungsvergütungen sehr interessiert war und gern wollte, dass die lokale und regionale Arbeitsmarktsituation angemessen berücksichtigt wird, und somit den Gesetzentwurf des Bundesrats unterstützt hätte, wobei dieser Gesetzentwurf nicht nur von CDU/FDP-Landesregierungen im Bundesrat unterstützt wurde, sondern auch von einigen anderen. ({0}) Dr. Horst Rehberger, Minister ({1}): Frau Pieper, das ist gar nicht überraschend, sondern das ist Gedankenübertragung; denn genau darauf wollte ich eben hinweisen. ({2}) Es ist in der Tat so, dass den Betroffenen größere Spielräume für die Vergütungsregelung eingeräumt werden müssen. Im Interesse einer guten Ausbildung der jungen Generation bitte ich Sie, dem Vorschlag des Bundesrats zu folgen. Nicht zuletzt wegen der von Frau Pieper zu Recht angesprochenen weitgehenden Übereinstimmung zwischen der Auffassung des Bundeswirtschaftsministers und dem, was ich hier vorgetragen habe, fände ich es wunderbar, wenn man dem Konsens, der in anderen Fragen bereits gefunden worden ist, hier noch einen Konsens hinzufügen würde. Das käme der jungen Generation zugute. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte Sie eindringlich: Helfen Sie mit, dass möglichst vielen jungen Menschen gute Ausbildungsplätze in der gewerblichen Wirtschaft angeboten werden können. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Petra Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das geltende Bundesbildungsgesetz stammt aus dem Jahre 1969. Es ist also mehr als 35 Jahre alt. Allein das zeigt, dass das Gesetz erneuert und den Bedingungen des 21. Jahrhunderts angepasst werden muss. Hinzu kommt, dass es zwischen uns im vergangenen Jahr einen auch bis jetzt noch nicht ausgestandenen Konflikt gab über die Zahl der verfügbaren Ausbildungsplätze und über den Weg, allen Jugendlichen eine Ausbildung zu ermöglichen. Dieser Streit, Ausbildungsumlage oder Ausbildungspakt, beantwortet allerdings noch nicht die Frage nach der Ausbildungsqualität. Hierzu muss das Berufsbildungsreformgesetz, über das wir hier sprechen, Maßstäbe setzen. Die Frage, die sich logisch stellt, lautet also: Entspricht der vorliegende Kompromissentwurf den Kriterien für eine qualifizierte Berufsausbildung im 21. Jahrhundert? Nach Prüfung der Vorlage und Beratung mit den zuständigen Abgeordneten in den PDS-Fraktionen der Landtage lautet meine Antwort, dass diese Qualitätskriterien leider nicht gegeben sind. Sie wissen, dass wir mit unserer Kritik nicht allein stehen. Zum Beispiel auch der DGB hat grundsätzliche Bedenken und hat deshalb einen eigenen Entwurf in die Debatte gedrängt. Er kommt den Vorstellungen der PDS näher als die Entwürfe, die heute zur Abstimmung stehen. Wir halten zum Beispiel die Qualitätsansprüche an eine moderne Berufsausbildung für unzureichend normiert. Dazu bedürfte es anspruchsvollerer Standards bei den Auszubildenden und ehrgeiziger Ziele für die Auszubildenden. Ich habe bereits in der ersten Lesung festgestellt, dass die vorgeschlagene Arbeit mit Ausbildungsmodulen sinnvoll sein kann. Sie darf allerdings nicht dazu führen, dass die Gesamtausbildung aus dem Blick gerät. Diese Gefahr ist mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht gebannt. Auch das viel gelobte duale Ausbildungssystem wird durch den vorliegenden Gesetzentwurf nicht gestärkt, im Gegenteil. Wie Sie wissen, ziehen sich immer mehr - insbesondere große - Unternehmen aus der Berufsausbildung zurück. Diesem Trend müsste ein modernes Gesetz Einhalt gebieten. Stattdessen versuchen Sie, die außerbetriebliche Ausbildung aufzuwerten. Die Praxis zeigt, dass dies pure Theorie ist. Denn außerbetriebliche Ausbildung kann nicht auf demselben anerkannten Niveau angeboten werden, wie es den Betrieben möglich ist. Außerdem geht Ihr Ansinnen wieder einmal zulasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Schließlich ist noch ein weiterer wichtiger Aspekt anzuführen, der zwar immer wieder betont wird, im Gesetzentwurf aber unzureichend berücksichtigt ist: der richtige und wichtige Anspruch auf lebenslanges Lernen. Kurzum: Die Reform der Berufsausbildung ist überfällig, aber sie geht uns, der PDS im Bundestag, nicht weit genug.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Alexander Dobrindt, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir sind gemeinsam angetreten, um die längst fällige Novellierung des Berufsbildungsgesetzes zu erreichen, ({0}) und zwar nicht deshalb, weil wir ein ausgesprochenes Harmoniebedürfnis gegenüber Rot-Grün haben, sondern weil im Interesse der jungen Menschen in unserem Land ein modernes Berufsbildungsrecht dringend notwendig ist, das von zwei Leitgedanken geprägt ist. Erstens brauchen wir mehr Ausbildungsplätze für die jungen Menschen in unserem Land und zweitens ist der Erhalt des dualen Ausbildungssystems in Deutschland zwingend erforderlich. Wir, die CDU/CSU, haben die wesentlichen Beiträge zur Erreichung dieses Ziels in den vorliegenden Gesetzentwurf aufnehmen können. Die maßgeblichen Punkte aus dem Gesetzentwurf der CDU/CSU wurden übernommen, sodass wir trotz der von Ihnen zum Schluss eingeschmuggelten Änderungen, die das Ergebnis - und die Zufriedenheit unserer Wirtschafts- und Arbeitspolitiker; darauf komme ich gleich noch - etwas trüben, im Endeffekt von einer zukunftsweisenden und substanziellen Verbesserung für die ausbildungswilligen jungen Menschen in unserem Land sprechen können. ({1}) Ich will aber ausdrücklich betonen, dass mehr Ausbildung in Deutschland nur dann möglich ist, wenn es auch der Wirtschaft in unserem Land wieder besser geht. Deswegen will ich es an dieser Stelle nicht versäumen, den Unternehmen und Betrieben zu danken, die trotz der schwierigen Situation in einem hohen Maß die erfolgreiche Nachvermittlung an Lehrstellen - nämlich doppelt so viele wie im vergangenen Jahr - erreicht haben. Das ist das Ergebnis von freiwilligen Kraftanstrengungen Tausender von Betrieben, die ihrer Verantwortung nachkommen, und zwar ohne die staatliche Zwangsregulierung durch eine rot-grüne Ausbildungsplatzabgabe. ({2}) Wenn wir mit einem neuen Berufsbildungsgesetz diese freiwillige Bereitschaft noch erhöhen können, dann wäre das sehr positiv. Der vorliegende Gesetzentwurf stellt zwar einen Kompromiss dar, aber dies rechtfertigt nicht, dass die IG Metall in ihrer gestrigen Pressemeldung von einem „faulen Kompromiss“ gesprochen hat, nur weil darin keine Ausbildungsplatzabgabe vorgesehen ist. Meine Damen und Herren von Rot-Grün, nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr und erklären Sie den Gewerkschaften, dass es unverantwortlich ist, wenn es um die existenziellen Belange der jungen Menschen in unserem Land geht, alle Leistungen schlechtzureden, nur weil wir der ideologischen Zwangsregulierung des Ausbildungsmarktes nicht folgen! Darin liegt Ihre Verantwortung. ({3}) Die CDU/CSU hat substanzielle Verbesserungen in den Gesetzentwurf eingebracht. Wir haben Ihnen deutlich gemacht, dass es uns auf drei entscheidende Punkte ankommt. Erstens muss die Anzahl der ausbildungsfähigen Betriebe gesteigert werden. Zweitens muss die Entwicklung neuer Berufsbilder beschleunigt werden. Drittens muss es zu einer stärkeren Flexibilisierung und Kostensenkung in der Ausbildung kommen. Dies alles muss mit der Stärkung des dualen Ausbildungssystems einhergehen, weil dies das oberste Qualitätsmerkmal unserer Berufsausbildung darstellt und weil es wichtig ist, dass die Ausbildung praxisbezogen und anwendungsorientiert in den Betrieben stattfindet. Deswegen bin ich außerordentlich froh darüber, dass die beabsichtigte Gleichstellung von dualen Berufsbildungssystemen und schulischer Berufsausbildung vom Tisch ist und in dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht festgelegt wird. Wir haben klare Grenzen gezogen, die eine praxisfremde Ausbildung nicht zulassen. Ein angemessener Anteil an fachpraktischer Ausbildung muss gewährleistet sein. Dies soll durch Lernortkooperation erreicht werden. Die Wirtschaftsverbände und die Kammern entscheiden mit, wie ein angemessener Teil fachpraktischer Ausbildung auszusehen hat. Wir haben die entsprechende Regelung zeitlich befristet, sodass eine schleichende Verschulung der Berufsausbildung nicht möglich ist. CDU und CSU haben „betriebliche Bündnisse“ in den Entschließungsantrag hineingeschrieben. Wir haben damit einen Meilenstein im Hinblick auf die weiter gehende Frage gesetzt: Was kann zukünftig vor Ort in den Betrieben, abweichend von tarifvertraglichen Vereinbarungen, an Regeln getroffen werden? Wörtlich heißt es: Der Deutsche Bundestag begrüßt ausdrücklich bestehende betriebliche Bündnisse für mehr Ausbildung und fordert die betrieblichen Partner auf, dieses Instrument der Steigerung des Ausbildungsplatzangebotes verstärkt zu nutzen. Ich hoffe darauf, dass dieses Instrument verwendet wird, um einmal ohne jegliche Aufgeregtheiten über die Höhe der Ausbildungsvergütungen zu reden. Denn ich bleibe dabei: Mir ist jeder Ausbildungsplatz lieber, der für 500 Euro geschaffen wird, als derjenige, der für 750 Euro nicht geschaffen wird. ({4}) Wir hätten eine klare Aufwertung der Stufenausbildung erreicht, wenn Rot-Grün nicht zuletzt noch Änderungen vorgenommen hätte, die die Wirkung der Stufenausbildung leider nicht voll entfalten lassen. Herr Kollege Brase, darüber haben wir bereits in der gestrigen Ausschusssitzung diskutiert und wir haben deutlich darauf hingewiesen, dass wir das so nicht akzeptieren können. Darüber werden wir in aller Deutlichkeit noch einmal reden müssen. Natürlich muss praktisch begabten Auszubildenden, die in den heutzutage oft theorieüberlasteten Ausbildungsgängen vielleicht gar keine Chancen hätten, in einer gestuften, theoriegeminderten Ausbildung ein „echter“ Abschluss ermöglicht werden. Natürlich muss es also denjenigen möglich sein, einen Ausbildungsvertrag auch auf die erste Stufe abzuschließen. Darin liegt doch die echte Chance, die Verbreiterung der Ausbildungsplatzangebote zu schaffen. Der von Ihnen kurzfristig geänderte Gesetzentwurf untersagt dies jetzt leider. Der Ausbildungsvertrag muss über die komplette Regelausbildungsdauer abgeschlossen werden. Damit wird teilweise der Zweck der Stufenausbildung konterkariert. Sie vertun hier eine echte Chance, mehr Ausbildungsstellen in den Betrieben zu schaffen. Aber wie gesagt, darüber werden wir noch einmal reden müssen. „Wir brauchen nicht mehr Bürokratie, sondern mehr Flexibilität in der beruflichen Bildung.“ Das hat Frau Ministerin Bulmahn in der ersten Lesung des vorliegenden Gesetzentwurfs gesagt. Daraufhin habe ich sie auf die von Ihnen vorgesehenen regionalen Berufsbildungskonferenzen hingewiesen. 180-mal in Deutschland, bei jedem Arbeitsamt, haben Sie sich so ein Ungeheuer vorgestellt. Über 30 Personen hätten jeder Konferenz angehört. Ich erspare Ihnen die Aufzählung der einzelnen Personen. Der Kollege Tauss hat damals von „lauter Fachleuten“ gesprochen, die hier zusammenkommen. Herr Tauss, ich bin froh und glücklich darüber, dass wir diesen Dschungel von Fachleuten verhindert haben. ({5}) Sie können es dennoch nicht lassen - egal wie oft wir hier über Bürokratieabbau reden -, immer wieder eine Schaufel draufzulegen. So haben Sie diesmal kurz vor knapp einen Art. 2 a in den Gesetzentwurf eingefügt auch darüber haben wir in Verhandlungen nicht gesprochen -, der die bestehenden Regelungen betreffend die Berufsbildungsstatistik erheblich erweitert. Die Datenmenge wird ausgeweitet und eine Einzeldatenerhebung wird gefordert. Aber auch darüber - so haben wir es vereinbart - werden wir noch einmal reden müssen. Frau Ministerin, CDU und CSU haben ihren Beitrag für ein modernes Berufsbildungsgesetz geleistet. Erfüllen Sie bitte nun Ihre Aufgabe ordentlich und setzen Sie den Gesetzentwurf ohne den weiteren Ausbau von bürokratischen Mauern um. Danke schön. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Reform der beruflichen Bildung, Drucksache 15/3980. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol- genabschätzung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 15/4752, in Kenntnis des Berufsbildungsberichtes 2004 auf Drucksache 15/3299 - Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Tagesordnungspunkt 5 b - den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetz- entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der CDU/ CSU bei Enthaltung der FDP angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetz- entwurf ist damit mit derselben Mehrheit wie zuvor an- genommen. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/4753. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Ent- haltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stim- men der Koalition bei Enthaltung der CDU/CSU und bei Zustimmung der FDP abgelehnt. Abstimmung über den von der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Gesetzentwurf zur Modernisierung der dualen Berufsausbildung in Deutschland durch Novel- lierung des Berufsbildungsrechts, Drucksache 15/2821. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik- folgenabschätzung empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 15/4752, den Ge- setzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetz- entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der CDU/CSU und der FDP abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäfts- ordnung die weitere Beratung. Abstimmung über den von der Fraktion der FDP ein- gebrachten Gesetzentwurf zur Reform des Berufsausbil- dungsrechts, Drucksache 15/3325. Der Ausschuss emp- fiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetz- entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der FDP und der CDU/ CSU abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäfts- ordnung die weitere Beratung. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung zu dem von der Fraktion der FDP ein- gebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 15/3042 zur Änderung des Berufsbildungsgesetzes. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthal- tungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- men des ganzen Hauses angenommen. Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Berufsbil- dungsgesetzes auf Drucksache 15/4112. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 5 seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetz- entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der CDU/CSU und der FDP abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäfts- ordnung die weitere Beratung. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zum Berufs- bildungsbericht 2004, Drucksachen 15/3299 und 15/4752. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 6 seiner Beschluss- empfehlung, in Kenntnis des Berufsbildungsberichtes 2004 eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthal- tungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- men von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 f auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({0}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Fischer ({1}), Dr. Klaus W. Lippold ({2}), Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Deutschland braucht Klarheit bei der Verkehrsinfrastruktur - zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich ({3}), Joachim Günther ({4}), Eberhard Otto ({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Investitionen in Verkehrsinfrastruktur sicherstellen - Drucksachen 15/2603, 15/2423, 15/3938 Berichterstattung: Abgeordneter Albert Schmidt ({6}) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich ({8}), Joachim Günther ({9}), Eberhard Otto ({10}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Keine Kürzungen bei den Verkehrsprojekten in Ostdeutschland - Drucksachen 15/3203, 15/4096 Berichterstattung: Abgeordneter Reinhard Weis ({11}) c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({12}) zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich ({13}), Hans-Michael Goldmann, Joachim Günther Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner ({14}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Kurskorrektur bei Verkehrsinvestitionen - Finanzierung des Bundesverkehrswegeplans 2015 sicherstellen - Drucksachen 15/3470, 15/4097 Berichterstattung: Abgeordneter Reinhard Weis ({15}) d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate Blank, Dirk Fischer ({16}), Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Initiative für EU-Sonderprogramm „Verkehrsprojekte Europäische Einheit“ - Drucksache 15/3720 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({17}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zum Ausbau der Schienenwege 2004 - Drucksache 15/4621 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({18}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus f) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Straßenbaubericht 2004 - Drucksache 15/4609 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({19}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dirk Fischer, CDU/CSU-Fraktion. ({20})

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit 1998 jagt nicht nur ein Verkehrsminister den nächsten, sondern auch eine verkehrs- und finanzpolitische Fehlleistung die andere. Dabei ist ein gut funktionierendes Verkehrssystem das Schwungrad für eine positive Wirtschaftsentwicklung. Stolpe und Eichel aber sind mit ihrer jahrelangen Kahlschlagspolitik bei den Verkehrsinvestitionen ({0}) in Wahrheit Bremsbacken für den wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland. ({1}) Die Verkehrsinfrastrukturfinanzierung muss auf die Steigerung der tatsächlichen Verkehrsleistungen in unserem Land dringend wieder angemessen reagieren. Die ProgTrans AG prognostiziert in ihrer gestern veröffentlichen Mittelfristprognose zum Personen- und Güterverkehr - immerhin im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen - im PKW-Verkehr eine Zunahme der Verkehrsleistungen um jährlich 0,4 Prozent bis 2008, im LKW-Verkehr sogar von jährlich 2,7 Prozent. Die am 18. Januar 2005 vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten vorläufigen Zahlen zur Güterverkehrsleistung belegen diesen Trend. Schienengüterverkehr 2004: plus 8,2 Prozent; ({2}) Binnenschifffahrt 2004: plus 6,6 Prozent; Straßengüterverkehr 2004: plus 4,5 Prozent. - Herr Kollege Schmidt, so erfreulich die 8,2 Prozent sind, so muss man doch immer die Basis kennen. 8,2 Prozent von etwa 80 Milliarden sind leider Gottes absolut viel weniger als 4,5 Prozent von 380 Milliarden. ({3}) Das ist der markante Unterschied. Dennoch ist das eine für uns alle erfreulich positive Entwicklung. ({4}) Vor dem Hintergrund dieser Zahlen braucht Deutschland dringend Klarheit über die Verkehrsinfrastrukturfinanzierung. Die Schere zwischen Wachstum und Investitionen öffnet sich aber auch 2005 gegenüber 2004 weiter. Bundesfernstraßen: minus 262 Millionen Euro; Schienenwege des Bundes: minus 697 Millionen Euro; Bundeswasserstraßen: minus 7,3 Millionen Euro. Als i-Tüpfelchen darauf wieder einmal eine globale Minderausgabe, diesmal in Höhe von 244 Millionen Euro! Wo denn, wenn nicht bei den Investitionen, so frage ich, wird dieses Geld am Ende gestrichen? Sie haben die Verteilung noch nicht vorgenommen. Das wird bei den Investitionen noch einmal kräftig negativ zu Buche schlagen. Ich gehe davon aus, dass die Koalition und die Bundesregierung heute wieder einmal den Versuch unternehmen werden, alles zu verharmlosen und alles schönzureden. Aber was für uns und das Land zählt, sind schlicht und ergreifend Fakten, Fakten, Fakten. Diese Fakten können Sie nicht bestreiten. Dirk Fischer ({5}) ({6}) - Herr Kollege Schmidt, wenn man in der Regierungsverantwortung ist und Fakten nicht mehr ernst nimmt, dann ist man wirklich auf der schiefen Bahn. Ich warne Sie! Orientieren Sie sich bitte an Fakten und nicht an Wünschen! ({7}) Insbesondere durch die EU-Osterweiterung wird die Bedeutung unseres Landes als Verkehrsdrehscheibe weiter wachsen. ({8}) Für den grenzüberschreitenden Straßengüterverkehr mit den neuen EU-Nachbarn geht die Verkehrsprognose 2015 von einem erheblichen Anstieg aus, allerdings - das ist auch dabei wieder zu bedenken - auf einer bisher relativ niedrigen Basis. Polen: Steigerung um 275 Prozent gegenüber dem Verkehrsaufkommen von 1997. Tschechien: plus 235 Prozent gegenüber dem Verkehrsaufkommen von 1997. Der nach dem Fernstraßenausbaugesetz und dem Bundesschienenwegeausbaugesetz formal festgestellte Ausbaubedarf bleibt aber vor allem auf den Ost-WestAchsen weit hinter dem realen Ausbaubedarf zurück, obwohl hier aufgrund der Folgen des Zweiten Weltkriegs und der langen Teilung unseres Landes ein besonders großer Nachholbedarf besteht. Selbst dieses festgeschriebene minimale Ausbauziel ist bei der derzeitigen Finanzplanung der Bundesregierung überhaupt nicht zu erreichen. ({9}) Deshalb, Herr Kollege Danckert, kann Deutschland ohne eine finanzielle Beteiligung der Europäischen Union durch ein Sonderprogramm „Verkehrsprojekte Europäische Einheit“ - wir haben beantragt, dass sich die Bundesregierung in Brüssel endlich dafür einsetzt - seiner Funktion als wichtigstes Transitland in Europa niemals gerecht werden. Die Leute sollen hier fahren, aber sie müssen dafür bezahlen, weil wir das sonst nicht leisten können; denn dieses Land trägt besondere Lasten der Europäischen Union. Die nötige Klarheit bei der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung hätte die Einführung der LKW-Maut bringen können. Wann aber hört die Bundesregierung endlich auf, die klare gesetzliche Regelung des § 11 des Autobahnmautgesetzes vorsätzlich zu verletzen und den Nutzern tief in die Tasche zu greifen, ({10}) ohne dieses Geld zusätzlich zugunsten gut ausgebauter, moderner Infrastruktur zu investieren? Das ist die völlige Diskreditierung des Gedankens der Nutzerfinanzierung. ({11}) Gemäß dem genannten Paragraphen sollen die erzielten Mauteinnahmen abzüglich der Systemkosten zusätzlich zu den zur Zeit des Vermittlungsverfahrens bestehenden Haushaltsansätzen des Jahres 2003 in Verkehrsinfrastruktur und dabei überwiegend in den Straßenbau fließen. Sie tun dies nicht. Es ist ja schon ein Jammer, dass trotz der Mauteinnahmen, die, nachdem das System jetzt Gott sei Dank endlich funktioniert, 2005 zur Verfügung stehen, für die Verkehrsinfrastrukturfinanzierung 500 Millionen Euro weniger zur Verfügung stehen als in den Jahren 2003 und 2004, in denen es keine Mauteinnahmen gab. ({12}) Das heißt, wir fallen zurück und die Mauteinnahmen haben überhaupt keinen Effekt auf die Verkehrsinfrastrukturfinanzierung in Deutschland. Das muss man den Leuten draußen immer wieder sagen. ({13}) Der unprofessionelle Umgang der Bundesregierung mit diesem für Deutschland so wichtigen Projekt hat laut Bundesminister Stolpe einen Schaden für unser Land in Höhe von 4,6 Milliarden Euro verursacht. ({14}) Dies ist das schlimme Resultat eines schlimmen Regierungsversagens. ({15}) Ein weiteres Beispiel einer unseriösen Investitionspolitik à la Stolpe: Am 27. Oktober letzten Jahres versprach er unserem Ausschuss, dass die Schiene ab dem Jahre 2008 zusätzlich 1 Milliarde Euro bekommen soll. Darüber sei er mit Eichel einig. ({16}) Wahrscheinlich hat er im Ausschuss in das sorgenvolle Gesicht des Kollegen Schmidt geschaut und gedacht, ihn müsse er dringend beruhigen. ({17}) Auch wir haben es für eine positive Botschaft gehalten, dass es 1 Milliarde Euro mehr geben wird und dieses Geld der Schiene zugute kommt. Was Stolpe uns aber verschwiegen hat, ist: In einem Gespräch nur einen Tag zuvor vereinbarte er mit Eichel, die Finanzierung der zusätzlichen investiven Maßnahmen durch Kürzungen bei den GVFG- und den Regionalisierungsmitteln insbesondere zulasten des Nahverkehrsangebotes in den Ländern sicherzustellen. Ganz erstaunlich, dass Stolpe sich daran nicht mehr so recht erinnern kann; denn das Ministerium behauptet, die Meldung sei falsch. Aber die Vereinbarung mit dem Finanzminister ist ja wohl schriftlich festgehalten worden. Dirk Fischer ({18}) ({19}) Deswegen kann ich nur sagen: Kehren Sie an dieser Stelle zur Darstellung des wahren Ablaufes zurück und führen Sie die Leute nicht an der Nase herum. ({20}) Wie dem auch sei: Der Bundesverkehrsminister muss erklären, wie die versprochene Milliardensumme finanziert werden soll. Gegen den harten Widerstand der Länder, die bei beiden Gesetzen - GVFG und Regionalisierungsgesetz - Zustimmungsrechte haben, wird dies wohl kaum durchsetzbar sein. Wenn aber nicht so, wie dann? Wir verlangen, dass uns der Minister auch erläutert, wie er glaubt, dieses Wort einlösen zu können, und dies mit klaren Beschlusslagen und belastbaren Aussagen unterlegt. Ansonsten bleibe ich dabei, dass er sich im Hinblick auf das Jahr 2006, für das er sein definitives Ausscheiden angekündigt hat, immer mehr als ein Ankündigungsminister im gleitenden Vorruhestand profiliert. Auch bei den Schienenweginvestitionen ist Klarheit bitter nötig. Die Investitionen in die Schienenwege der Eisenbahnen des Bundes betragen im Jahre 2004 nur noch 3,2 Milliarden Euro für Neubau und Bestandsnetz. Das heißt also, in diesem Bereich sind außer den 2,5 Milliarden, die für das Bestandsnetz nötig sind, überhaupt nur noch 700 Millionen für Neu- und Ausbaumaßnahmen verfügbar. Weitere rund 286 Millionen Euro sind von der Schiene zur Straße bzw. zu den Wasserstraßen umgeschichtet worden. Sie sind bis 2008 zurückzuzahlen und werden bei diesen Verkehrsträgern neue Lücken reißen. Es kommt in den nächsten Jahren noch schlimmer. Für Ersatzinvestitionen in das Bestandsnetz sowie für den Neu- und Ausbau der Schienenwege sind für 2005 3,5 Milliarden Euro, für 2006 3,1 Milliarden Euro, für 2007 3,0 Milliarden Euro und für 2008 2,0 Milliarden Euro vorgesehen. Das heißt, die Mittel fallen - anders kann man das nicht bezeichnen - die Treppe herunter. Ich komme zum Schluss. Mit dieser undurchsichtigen und fehlgesteuerten rot-grünen Finanz- und Investitionspolitik muss endlich Schluss gemacht werden. ({21}) Wir brauchen zukunftsorientierte und verlässliche Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, damit es mit dem Wirtschaftsstandort Deutschland wieder aufwärts geht. Stellen Sie Ihre Investitionspolitik endlich auf ein tragfähiges Fundament! Ich denke, die Anträge, die wir gestellt haben, bilden dafür eine sehr gute Basis. ({22})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Herr Staatssekretär Großmann.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wissen, dass Herr Fischer ein Meister der verbalen Aufrüstung ist. Ich will aber dazu beitragen, dass wir wieder mehr über die Sache reden. Wir debattieren über Anträge der Union, die schon ziemlich alt sind. Auch inhaltlich sind sie wahrlich keine Offenbarung. Sie sind teilweise sogar ziemlich unsinnig. Die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur des Bundes lagen 1997 und 1998 bei etwa 9 Milliarden Euro. Von 1999 bis 2004 haben wir zwischen 10 und 12 Milliarden Euro jährlich in die Verkehrsinfrastruktur investiert. ({0}) Wir haben also die Ausgaben deutlich gesteigert, zunächst mithilfe der Zinsgewinne aus dem Erlös der Versteigerung der UMTS-Lizenzen und - als diese wegfielen - mit den Einnahmen aus der Maut. Selbst den Einnahmeausfall bei der Maut im letzten Jahr haben wir durch eigene Vorschläge und mit Unterstützung des Bundesfinanzministers und der Haushälter überbrücken können. ({1}) Generell ist festzustellen, dass seit Übernahme der Regierungsgeschäfte durch die Koalition die Bauinvestitionen des Bundes deutlich angehoben worden sind. ({2}) Die Daten der amtlichen Statistik belegen dies eindeutig. Sie belegen auch, dass der Bund die einzige föderale Ebene ist, die so gehandelt hat. Die Ausgaben der Länder und Gemeinden für Bauinvestitionen hingegen sinken seit 1997 kontinuierlich. Das gilt besonders für die Verkehrsinfrastruktur. ({3}) Es gibt Länder, die dies ehrlicherweise zugeben. Mir liegt hier der Staatsanzeiger für Baden-Württemberg vom 11. Oktober 2004 vor - Herr Brunnhuber spitzt schon seine Ohren -, in dem eine Schlagzeile „Weniger Geld für Universitäten und Straßenbau“ lautet. Gott sei Dank gibt es Länder, die zugeben, dass sie anders handeln als wir. Denn unsere Ausgaben sind in diesem Zeitraum gestiegen. In Ihrem Antrag, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, heißt es - das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen -, dass es bei Straße und Schiene im Jahre 2004 erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland keinen einzigen Neubeginn eines Projektes geben wird. Sie müssten eigentlich schamrot werden. Denn bei der Straße haben wir mit 36 Projekten begonnen. Beispielhaft erwähne ich den Spatenstich bei der A 66 bei Wiesbaden, auf der A 4, Aachen-Köln, bei der B 112, Neuzelle-Guben, bei der B 269, Überherrn-französische Grenze, bei der B 85 bei Cham sowie die Grundsteinlegung für die Talbrücke St. Kilian im Zuge der A 73 und den Tunnelanschlag für den Guggenbergtunnel im Zuge der Ortsumfahrung Peißenberg. Das sind, wie gesagt, nur wenige Beispiele aus den insgesamt 36 begonnenen Projekten. Bei der Schiene wurden 2004 17 Finanzierungsvereinbarungen mit 1,6 Milliarden Euro Investitionsvolumen - das ist der Bundesanteil - abgeschlossen. Mit dem Bau - sprich: Spatenstich - wurde bei folgenden Vorhaben begonnen: Buschtunnel zwischen dem Hauptbahnhof Aachen und der belgischen Grenze - derzeit können die Züge dort nur 30 Kilometer pro Stunde fahren -, Umbau des Bahnhofs Frankfurt-Sportfeld, KLV-Terminal Ulm-Dornstadt, Gleiserneuerung zwischen Hamburg-Harburg und Buchholz, Südhalle Dresden Hauptbahnhof, Gleistragwerke. Außerdem ist Ende 2004 der Großauftrag für den Rohbau des City-Tunnels in Leipzig vergeben worden. ({4}) Ich glaube, das ist eine Bilanz, die sich sehen lassen kann. Leider habe ich nicht die Zeit - es wäre auch ermüdend -, Ihnen die gesamte Liste vorzulesen. Es ist kein Geheimnis, dass es die Deutsche Bahn AG 2004 etwas schwerer hatte. Die Finanzierungsvereinbarungen mussten neu getroffen werden. Das kostet, wie wir wissen, Zeit. Über die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft ist es aber möglich, Mittel zwischen Schiene und Straße umzuschichten. 2004 sind deshalb keine investiven Mittel verfallen. Das war schon einmal anders. ({5}) Damit ist das Maß an Flexibilität ermöglicht, das notwendig ist, um den jeweiligen Verfügungsrahmen vollständig ausschöpfen zu können. Nutznießer ist nicht nur die deutsche Bauwirtschaft, sondern die deutsche Volkswirtschaft im Ganzen. Selbstredend ist diese Flexibilität keine Einbahnstraße zugunsten des Straßenbaus. Ich bin zuversichtlich, dass die gemeinsam mit dem Vorstand der Deutschen Bahn AG vorgenommene Festlegung der einzelnen Investitionsmaßnahmen in die Schieneninfrastruktur zukünftig zu einem vollständigen Mittelabfluss führt. ({6}) Dann will ich mit der Legende aufräumen, was die 1 Milliarde Euro mehr für die Schieneninfrastruktur im Jahr 2008 betrifft. Ich habe das schon gestern im Ausschuss dargestellt; aber auch wenn man den Sachverhalt aufklärt, bedeutet das nicht, dass unwahre Behauptungen nicht aufrechterhalten werden. Wir haben durchgesetzt, dass die 66er-Liste, die mit der Bahn vereinbart worden ist, durchfinanziert wird; ansonsten kann man gar nicht damit beginnen, solche Projekte umzusetzen. Das ist der entscheidende Durchbruch. Das bedeutet, dass wir 2008 mehr Geld zur Verfügung haben. Natürlich ist es Aufgabe des Bundesfinanzministers, uns im Gegenzug zu sagen: Schaut bitte in eurem Haushalt nach - es ist ja nicht nur von den Regionalisierungs-, sondern auch von den GVFG-Mitteln und dem gesamten Haushalt gesprochen worden - und überprüft, wenn die Revision der Gesetze ansteht, ob es da unter Umständen Bewegungsspielräume gibt! Denn wir alle wissen, dass das aufgrund des Realisierungsgesetzes vorgesehene Geld nicht immer in die Projekte fließt, für die wir das Gesetz ausgehandelt haben. ({7}) Von daher ist es ganz normal, dass man die der Agenda 2010 zugrunde gelegte Maßregel, darauf zu achten, welches Geld der Staat für welche Projekte einsetzt, auch an den Verkehrshaushalt anlegt. Angesichts der Leistungsgrenzen der klassischen Haushaltsfinanzierung werden wir im Straßenbau verstärkt die Projektfinanzierung im Rahmen von Betreibermodellen anwenden. Dazu brauchen wir Pilotprojekte; denn wir betreten Neuland. Deshalb sage ich warnend: Auch PPP-Projekte müssen ihre wirtschaftliche Effizienz beweisen und dürfen sich nicht auf eine reine Vorfinanzierung konzentrieren; denn sonst würden die Projekte in Wirklichkeit teurer als das, was wir beabsichtigen: den Bau preiswerter zu machen. ({8}) Demnächst werden wir über die Einleitung der Präqualifikationsverfahren der ersten A-Modell-Projekte entscheiden. Weitere Projekte nach dem F-Modell sollen folgen. Erfahrungen aus bisherigen, auch problematischen F-Modellen - ich habe von Neuland und von Entwicklungen gesprochen, die wir in unserem Land vorantreiben - werden dabei ausgewertet. Die Bundesregierung ist sich der Bedeutung einer leistungsfähigen und modernen Infrastruktur in den neuen Ländern bewusst. Das spiegelt sich natürlich insbesondere in dem hohen Realisierungsgrad und Baufortschritt der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ - hier sind zwei Drittel des Gesamtvolumens von 36 Milliarden Euro realisiert - und an dem nach wie vor hohen Anteil der neuen Länder an den für den Neu- und Ausbau geplanten Investitionen in Höhe von 35 Prozent wider. Herr Fischer, unter Mitwirkung der Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und Bayern ist speziell zur Frage der Kapazitätsauslastung der Straßeninfrastruktur, was die Osterweiterung anbetrifft, eine Untersuchung durchgeführt worden. In dieser Untersuchung kommt man zu dem Ergebnis, dass die jetzt vorhandene Verkehrsinfrastruktur plus der Projekte, die im Bundesverkehrswegeplan stehen, die Anforderungen, die sich durch die EU-Osterweiterung ergeben, grundsätzlich erfüllen. Ein Sonderprogramm ist nun wirklich nicht erforderlich. Einige wenige Sätze zu den vorliegenden Berichten. In den Berichten 2004 über das Jahr 2003 werden der Einsatz von 4,1 Milliarden Euro für die Schiene und der Einsatz von 4,653 Milliarden Euro für die Straße dokumentiert. Hinzu kommen im Straßenbereich nicht investive Mittel von 918 Millionen Euro. Das heißt, wir sind kontinuierlich dabei, die Straßen- und Schieneninfrastruktur unseres Landes aufzubauen. Natürlich wünschen wir uns, dass es mehr Mittel gibt. Dabei können Sie, sehr geehrte Damen und Herren von der Opposition, helfen, beispielsweise dadurch, dass Sie uns darin unterstützen, Subventionsabbau zu betreiben, ({9}) und indem Sie den falschen Subventionsbegriff aus dem Koch/Steinbrück-Papier relativieren. Ich möchte Sie bitten, bei Ihren Ministerpräsidenten darum zu werben, die Blockade des Bundeshaushaltes 2005 zu beenden. Man muss sich das einmal vorstellen: Damit wird verhindert, dass wir in die Straße und in die Schiene investieren. Es gibt also viel zu tun. Vielen Dank. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Horst Friedrich. ({0})

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Jahr 2005 hat mit einem Ereignis begonnen, das wir nicht mehr erwartet hatten: Die LKW-Maut in Deutschland funktioniert. ({0}) Das ist das Positive. Das Negative daran ist, dass die Abgabenbelastung für den Straßenverkehr damit auf die neue Rekordhöhe von 53 Milliarden Euro angehoben wird, Herr Staatssekretär. ({1}) Als Sie die Regierungsverantwortung übernommen haben, lag die Abgabenbelastung für den Straßenverkehr bei knapp 38 Milliarden Euro. Die Differenz ist Ergebnis Ihrer Politik. Sie haben mit Einführung der Ökosteuer und der Maut die Chimäre verbreitet, damit werde eine gigantische Verlagerung der Güterströme von der Straße auf die Schiene stattfinden. Die schon zitierte Prognose von Pro-Trans, von Ihnen selbst in Auftrag gegeben, belegt deutlich, dass zwei Tatsachen unverrückbar sind, auch wenn Sie sie aus ideologischen Gründen noch immer völlig ignorieren: Erstens. Die mit der Ökosteuer von der Bundesregierung angestrebte Verkehrswende zugunsten der Bahn ist in der Realität ausgeblieben. Im Gegenteil: Nach der Langfristprognose bis 2008 verliert die Bahn im ModalSplit gegenüber der Straße. ({2}) Zweitens. Für den LKW-Verkehr wird bis zum Jahr 2008 ein Wachstum von jährlich 2,7 Prozent prognostiziert und damit deutlich mehr als für den Güterverkehr auf der Schiene. Was ziehen Sie daraus für Konsequenzen? Sie halten nach wie vor an einer völlig ungleichgewichtigen Dotierung der Verkehrsträger in Deutschland fest, weil Sie aus ideologischen Gründen nicht eingestehen können, dass der Verkehrsträger Schiene, auch wenn er gut ist, niemals in der Lage sein wird, auch nur annähernd zu einer wirklichen Entlastung des Straßenverkehrs beizutragen. ({3}) Vor diesem Hintergrund ist es besonders interessant, Herr Staatssekretär, dass Sie jetzt behaupten, Sie hätten höhere Ausgaben getätigt. Wenn ich mir die Zahlen auf Seite 33 Ihres Straßenbauberichts auf Drucksache 15/4609 ansehe - diese Zahlen haben Sie visualisiert - und die Säulen vergleiche, komme ich zu dem Schluss, dass Sie hinsichtlich der absoluten Höhe nicht die Verkehrsausgaben des Jahres 1992 erreicht haben. Auch in den Jahren 1999, 2000, 2001 und 2003 lagen die Ausgaben niedriger als die durchschnittlichen Haushaltsansätze in unserer Regierungszeit. Lediglich in den drei Jahren, als die UMTS-Erlöse gegriffen haben, waren die Ausgaben höher. Ich sage es aber noch einmal: Im gleichen Zeitraum haben Sie die Abgabenbelastung für den Straßenverkehr um fast 17 Milliarden Euro erhöht. Das ist die Bilanz, an der Sie sich messen lassen müssen. ({4}) - Das ist weder Quatsch, Frau Kollegin RehbockZureich, noch Unsinn. ({5}) - Der Herr Staatssekretär hat gesagt, unsere Anträge seien unsinnig. In dem gleichen Bericht wird dokumentiert, dass die Ingenieurbauwerke in Deutschland, was ihren Zustand angeht, weiter auf dem Weg nach unten sind. Nur noch ein knappes Drittel ist in der Einstufung gut oder sehr gut. Ein weiteres Drittel ist gerade noch befriedigend. Der Rest ist bestenfalls ausreichend mit der Tendenz nach unten: kritisch oder ungenügend. Das sind auch schon 12 Prozent. Nehmen Sie dies doch einmal zur Kenntnis und kürzen Sie dort nicht weiter! Angesichts Ihrer Mittelfristplanung bis 2008 sind Ihre Zahlen doch eher Wunsch und Wolke und durch nichts unterlegt. Horst Friedrich ({6}) Jetzt komme ich zu Ihren Aussagen von gestern, Herr Staatssekretär. Wenn ich Ihren schriftlichen Bericht, den Sie selbst vorgelegt haben, richtig gelesen habe, steht dort nichts anderes, als dass die 1 Milliarde in 2008 damit im Zusammenhang zu sehen ist, dass zu diesem Zeitpunkt der Mittelansatz für das GVFG und für die Regionalisierung geprüft wird. ({7}) In Kenntnis dessen, was Sie unter „zu prüfen“ verstehen, ist das nichts anderes als ein Tausch von der linken in die rechte Hosentasche. Das haben Sie mit der Maut vorgemacht. Sie haben die Fiktion vermittelt, mit Einführung der Maut sei eine Umstellung der Finanzierung möglich. Was haben Sie erreicht? Den Tausch von Steuermitteln durch so genannte Mauteinnahmen, die Sie immer noch nicht richtig handhaben, weil die von Ihnen selbst gegründete Gesellschaft, die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft, eine taube Nuss ist; denn sie darf ja nichts. ({8}) Mich ärgert es schon ein bisschen, Herr Staatssekretär, dass Sie unsere Anträge als unsinnig bezeichnen und ablehnen. In unserem Antrag vom 28. Januar 2004 haben wir Sie zum Beispiel aufgefordert, die Ausdehnung der Anwendungsmöglichkeiten der A- und F-Modelle vorzubereiten und einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Wieso ist das unsinnig? Jetzt lese ich, dass Sie versuchen, das, was Herr Bodewig im Jahr 2000 - zufälligerweise vor dem Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen - versprochen hat, nämlich die A-Modelle umzusetzen, also den Anbau weiterer Spuren von den Einnahmen aus der LKW-Maut abzutrennen, in trockene Tücher zu bringen? Nur weil dies die Opposition ein Jahr früher gefordert hat, kann es doch nicht unsinnig gewesen sein. Was das F-Modell angeht, sehr verehrter Herr Staatssekretär, weiß ich überhaupt nicht mehr, was ich dazu sagen soll. Herr Stolpe geht durch das Land und sagt, man müsse die Möglichkeiten dieses Modells ausschöpfen. Das heißt nichts weiter, als dass auch der PKW-Fahrer Maut zahlen muss zur Finanzierung dieser Projekte. Gleichzeitig erklärt er vollmundig, mit ihm sei eine PKW-Maut nicht zu machen. Entschuldigung, weiß der Minister überhaupt, wovon er redet und wie die Gesetze aussehen? Wenn Sie mit dieser Verkehrspolitik die Sicherheit der Finanzierung der Infrastruktur gewährleisten wollen, dann ist das ungefähr wie bei der Bahn: Herr Mehdorn sagt, dass er alle Mittel ausgibt, aber die Bauindustrie bescheinigt uns, sie bekomme keine Aufträge und habe deswegen Probleme. Irgendwo muss ein schwarzes Loch sein. Die Frage ist nur, wo. Diese Politik ist nicht seriös und schon gar nicht planbar. Deswegen können Sie nicht von uns erwarten, dass wir diese Infrastrukturpolitik mittragen. Das wäre nicht im Interesse dessen, der hier die Hauptlast trägt, nämlich des deutschen Autofahrers. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Albert Schmidt.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor uns hier noch Tränen der Rührung kommen wegen Ihrer heldenhaften Forderungen nach mehr Geld für Verkehrsinvestitionen, möchte ich in aller Ruhe mit einem Ammenmärchen aufräumen, das Sie uns hier immer wieder erzählen. Es muss Ihnen selbst schon zum Halse heraushängen und durch Wiederholungen wird es nicht wahrer. Das Ammenmärchen lautet: Sie waren die Helden der Investition. Wir haben gekürzt, gespart, Kahlschlag - so hat es der Kollege Fischer gesagt - betrieben. Liebe Leute, jetzt einmal ganz nüchtern und kühl - ich bin ja sehr geduldig, ich versuche es einmal mit Ruhe -: Wie lausig war denn Ihre Abschlussbilanz? Ich will Ihnen nicht ersparen, dies ein weiteres Mal für das Protokoll zu sagen: 1998 habt ihr Investitionsmittel für den Straßenbau in Höhe von 4,4 Milliarden Euro hinterlassen; heute betragen sie 4,7 Milliarden Euro. Was ist jetzt mehr, 4,7 oder 4,4 Milliarden Euro? Politik gegen Adam Riese zu machen heißt die Leute für dumm zu verkaufen. ({0}) Zweitens. Eure lausige Abschlussbilanz bei den Investitionen in die Schiene wies nur noch 2,7 Milliarden Euro auf. Das ist eine Tatsache. Heute stehen wir bei 3,7 Milliarden Euro. Das sind fast 40 Prozent mehr. Was ist denn mehr, 3,7 oder 2,7 Milliarden Euro? Jeder Grundschüler könnte diese Frage richtig beantworten, nur Sie wollen uns das Gegenteil weismachen. Sie können sich Ihre scheinheilige Heldenpose sparen. Sie haben bei den Investitionen am Ende Ihrer Regierungszeit kläglich versagt. Deswegen haben Sie jede Glaubwürdigkeit verloren, uns jetzt belehren zu können. ({1}) Wir haben es mit dieser Koalition aber auch geschafft, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Investitionen in die Schiene mit denen in die Straße gleichzustellen. Wir haben im Jahr 2003, genau dem Jahr, über das uns heute der Bericht zum Ausbau der Schienenwege vorliegt, einen einmaligen Peak - das gebe ich zu - von 4,5 Milliarden Euro für den Schienenbau erreicht. Davon konnten Sie vielleicht einmal träumen. Darüber hinaus haben wir 7 Milliarden Euro im Regionalisierungsgesetz für die Bereitstellung von Nahverkehrsleistungen und für investive Bezuschussung in den Bundesländern für den öffentlichen Nahverkehr bereitgestellt. Wir haben in jedem Jahr 1,5 Milliarden Euro für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, für die Verbesserung der Verhältnisse in den Gemeinden und vor allem im öffentlichen Verkehr bereitgestellt. Diese Gesamtbilanz macht Albert Schmidt ({2}) uns ein kleines bisschen stolz, aber nicht nur deshalb, weil das viel Geld ist, sondern auch wegen des Effektes: Wir hatten im letzten Jahr zum ersten Mal 10 Milliarden Fahrgäste im öffentlichen Verkehr. Diese Erfolgsstory des öffentlichen Verkehrs lassen wir uns von Ihnen nicht kleinreden und auch nicht kaputtmachen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Eine Sekunde. - Auf diesen Erfolg sind wir stolz, wir lassen uns ihn nicht kleinreden und von niemandem kaputtmachen. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Kollegen Friedrich?

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber gern.

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Schmidt, Sie haben uns vorgehalten, wir hätten im Jahr 1998 weniger als 5 Milliarden Euro investiert. Ausweislich des von der Bundesregierung selbst vorgelegten Straßenbauberichts 2004 auf Seite 33 sind die Istzahlen aufgelistet. Wenn ich nicht ganz blind bin, so zeigt die Säule für das Jahr 1998 ungefähr 5,2 Milliarden Euro. Stimmen Sie mit mir überein, dass diese Zahlen richtig sind, oder meinen Sie, dass die Zahlen des Straßenbauberichts nicht die Realität wiedergeben?

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Richtig ist die Zahl 4,4 Milliarden Euro. Ich will Ihnen sagen, warum sie richtig ist: Das sind die Nettoinvestitionen. In Bezug auf die gesamte Berichterstattung spreche ich die ganze Zeit von Nettoinvestitionen. Wir können gern auch über Bruttoinvestitionen sprechen, bei denen wir beim Straßenbau nicht bei 4,7 Milliarden Euro, sondern deutlich über 5 Milliarden Euro liegen. Meine Herrschaften, wir können nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. ({0}) Das alles sind Taschenspielertricks, die den Blick auf die Wahrheit nicht verstellen können. Trotzdem, liebe Kolleginnen und Kollegen, stelle ich gar nicht in Abrede, dass auch ich mir Sorgen mache. Wir machen uns Sorgen um die zukünftigen Investitionen, um die mittelfristige Planung. Wir sind alles andere als zufrieden mit dem Zahlenwerk, das vom Bundesfinanzminister vorgelegt worden ist. ({1}) Ein Absinken der Schienenbauinvestitionen im Jahr 2008 auf unter 2,5 Milliarden Euro - weniger, als allein das Bestandsnetz braucht - wäre in der Tat ein Desaster. ({2}) Deshalb sage ich Ihnen: Die Horrormeldungen der letzten Tage, wonach, um dieses Loch zu vermeiden, Umschichtungsaktionen aus dem Regionalisierungsgesetz, aus dem GVFG, also aus dem Nahverkehr, in den Schienenbau zwischen zwei Ministern vereinbart worden seien, haben uns sehr aufmerksam gemacht. Ich will es ganz klar und deutlich sagen -

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, es möchte noch jemand eine Zwischenfrage stellen, Ihre Kollegin Eichstädt-Bohlig.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lassen Sie mich diesen einen Satz noch sagen, Frau Präsidentin: Einen solchen Verschiebebahnhof vom Nahverkehr zum Schienenbau machen wir nicht mit. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. ({0}) Frau Kollegin, bitte.

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Schmidt, stimmen Sie mit mir - unabhängig von der Erfahrung, wie die Bilanz bei der Opposition aussah, als sie das Zepter an die rot-grüne Regierung abgeben musste -, überein, dass zwei Fraktionen, die dem Bürger ständig Steuersenkungen versprechen, überhaupt nicht in der Lage sind, einen Antrag zu stellen, in dem gefordert wird, mehr Mittel für Investitionen bereitzustellen, egal ob für Schiene, Straße oder Wasserstraße, und dass das praktisch Scheinanträge sind, die überhaupt nicht der politischen Zielsetzung dieser Fraktionen entsprechen?

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrte Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, das Wort „Scheinanträge“ würde ich jetzt nicht unbedingt benutzen. Vielmehr scheint mir das Wort „Scheinheiligkeit“ angebracht zu sein; denn wenn jemand etwas fordert, was er selber viel schlechter gemacht bzw. nicht hinbekommen hat, dann betrachte ich dies zumindest als das Erwecken eines falschen Anscheins. Insofern kann ich Ihrer Einschätzung nur zustimmen. Ich möchte noch etwas zu dieser 1 Milliarde Euro sagen, die im Jahr 2008 angeblich verschoben werden soll. Albert Schmidt ({0}) Wir sind uns erstens in der Koalition absolut einig, dass es ausgeschlossen ist, dass 2008 nur noch 2,3 Milliarden Euro für den Schienenbau zur Verfügung stehen. Weil wir uns in diesem Punkt absolut einig sind, gibt es diese Protokollerklärung zu einer Sitzung des Bundeskabinetts vom Juni 2004, in der Folgendes festgehalten ist: Dieser Betrag muss, vereinfacht gesprochen, um mindestens 1 Milliarde Euro aufgestockt werden. Zweitens sind wir uns absolut einig, dass im Jahr 2007 - so steht es im Gesetz - die Revision des Regionalisierungsgesetzes ansteht. Das heißt, dann muss neu verhandelt werden, wie es weitergehen wird. Eine Bemerkung zum Regionalisierungsgesetz. Es war unser Verdienst, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Dynamisierung hineingeschrieben zu haben. Ich kenne kein einziges Bundesgesetz, in dem mit einem Zuwachs von jährlich 1,5 Prozent - das sind ein paar hundert Millionen Euro - über fünf Jahre eine solche Sicherheit gewährt, ein solches Füllhorn für gute Zwecke ausgeschüttet wird, in diesem Falle für die Zwecke des Nahverkehrs. Es ist eine Sache der Rationalität, dass dies nach fünf Jahren überprüft werden muss, ganz abgesehen davon, dass es im Gesetz so vorgesehen ist. Ich bin sehr dankbar dafür, dass der Staatssekretär Achim Großmann gestern im Ausschuss und heute hier im Plenum deutlich gemacht hat, dass solche schlichten Streichungen und Kürzungen nicht geplant seien. ({1}) Ich sage aber genauso deutlich: Wir werden dies sehr genau überwachen und dieses Thema auch in den Koalitionsverhandlungen 2006 erörtern. ({2}) Auf diesen Punkt werden wir besonders viel Sorgfalt verwenden, Herr Kollege Kalb, denn wir wollen hier in Deutschland nicht weniger Nahverkehr, sondern wir wollen, dass die Erfolgsstory des Nahverkehrs fortgeschrieben wird. Vor dem Hintergrund immer neuer Kürzungsbegehren müssen sich die Länder fragen lassen, was die Regionalisierungsmittel und die GVFG-Mittel in dieser Hinsicht so angreifbar und anfechtbar macht. Ich will es ihnen sagen: Die Mittelverwendung ist nicht transparent genug; das ist das eigentliche Problem. Wir brauchen Nachweise der Bundesländer, dass sie die Mittel, die wir ihnen in großer Fülle überweisen, tatsächlich zweckbestimmt verwenden. An diesem Punkt sind die Länder am Zug. Wenn sie die Revisionsverhandlungen für 2007 selbst so vorbereiten wollen, dass sie für sie erfolgreich verlaufen, dann erwarte ich, dass Berichte auf den Tisch gelegt werden, in denen jedes Bundesland nachweist, wofür es die Mittel für den Nahverkehr, die wir ihm überwiesen haben, in diesem Jahr und in den kommenden Jahren zweckbestimmt einsetzt. Nur dann wird man erfolgreich verhandeln können. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Thema Verkehrsleistung ist bereits angesprochen worden. Nicht nur der öffentliche Verkehr - auf Schiene und Straße, mit Bussen und Bahnen -, sondern auch der Güterverkehr auf der Schiene entwickelt sich positiv. Ich verstehe überhaupt nicht, warum man dazu zynische Bemerkungen machen sollte. ({4}) Herr Fischer hat die Feststellung des Statistischen Bundesamtes vorgelesen, dass die Leistung des Schienengüterverkehrs in Deutschland - gemessen in Tonnenkilometern - allein im letzten Jahr um 8,2 Prozent zugenommen hat. Das ist für mich kein Grund, eine zynische Bemerkung zu machen, sondern vielmehr ein Grund, zu sagen, dass es in diesem Bereich vorangeht. ({5}) Das ist nämlich eine enorme Leistung, erst recht, weil sie trotz eines gedämpften Wirtschaftswachstums erbracht wurde. ({6}) Das ist nicht nur die Leistung der Deutschen Bahn AG; auch das sage ich ganz klar. Vor allem NEBahnen, private bzw. nicht staatliche Eisenbahnen, haben daran aufgrund ihrer zum Teil zweistelligen Zuwachsraten wesentlichen, zunehmenden Anteil. Ihre Angebote sind innovativ. Das ist es, was wir wollen: dass, auch im privaten Güterverkehr, Leben in der Bude bzw. auf dem Schienensystem entsteht. Das ist für uns ein Grund, zu konstatieren, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Sie können sich ausrechnen, wie weit wir in zehn Jahren wären, wenn wir diese Zahlen fortschreiben würden. Ich will aber nicht so vermessen sein und annehmen, dass das möglich wäre; denn der Zuwachs betrug in nur einem Jahr 8 Prozent. Aber dann wären wir von einer Verdopplung der Leistung des Schienengüterverkehrs gar nicht weit entfernt. ({7}) Das überfordert vielleicht die Rechenkünste mancher Kollegen; hierbei geht es nämlich um Prozentrechnung. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zum Schluss sagen: Investitionen in die Verkehrswege sind essenziell und unverzichtbar. Kürzungen sind das falsche Signal. Wer nicht investiert, glaubt nicht mehr an seine Zukunft. Deshalb brauchen wir gesicherte Investitionen in den Bestand, die Erhaltung und die Modernisierung unseres gesamten Verkehrssystems. Dass Straße und Schiene dabei gleich behandelt werden, dafür werden wir auch in Zukunft sorgen. Darauf können Sie sich verlassen. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das war ein lustiges Bild: das Leben in der Bude und auf dem Schienenstrang. Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Renate Blank. ({0})

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Der bisherige Verlauf dieser Debatte zeigt, dass Rot-Grün unser Land auch verkehrspolitisch gegen die Wand gefahren hat. ({0}) Jeder weitere Tag ist ein schlechter Tag für den Innovationsstandort Deutschland und für die Infrastruktur in Deutschland. ({1}) Vor fünf Jahren wurde eine Regierungskommission zum Thema Verkehrsinfrastrukturfinanzierung gebildet, die ermittelt hat, dass der Investitionsbedarf für Straße, Schiene und Wasserstraße pro Jahr mindestens 12 Milliarden Euro beträgt. ({2}) In der aktuellen mittelfristigen Finanzplanung bis zum Jahr 2008 sind weniger als 8 Milliarden Euro pro Jahr ausgewiesen. Das ist ein Armutszeugnis für die Bundesregierung. Aber die Bundesregierung hat ja immer Kommissionen gebildet und Gutachten erstellen lassen, ohne ihre Ergebnisse jemals umzusetzen. Zu wenig Geld für die Infrastruktur ist ökonomisch und ökologisch schädlich; denn pro Jahr entstehen Staukosten in Höhe von rund 100 Milliarden Euro. Im Durchschnitt, Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, steht jeder Autofahrer 65 Stunden pro Jahr im Stau. Diese Zeit könnte sinnvoller genutzt werden, zum Beispiel für Weiterbildung. Zustand und Gebrauchswert der Bundesfernstraßen und der Brücken werden immer schlechter. Die finanziellen Mittel, die für ihre Erhaltung und Nutzungsfähigkeit bereitgestellt werden müssen, steigen von Jahr zu Jahr. Dadurch wird der Spielraum für Neu- und Erweiterungsinvestitionen immer enger. Meine Damen und Herren, der Verkehrsbereich ist kein Zuschussgeschäft, sondern eine sprudelnde Geldquelle. Jährlich fließen mehr als 50 Milliarden Euro an Einnahmen aus der Mineralölsteuer in die Kasse des Finanzministers. Das ist genug Geld, um ein insgesamt komfortables Verkehrsnetz vorzuhalten. Den Verkehrsträger Straße, der zehnmal mehr einbringt, als er kostet, ständig zu schröpfen, ist schlichtweg ungeheuerlich. ({3}) Im Jahr 2003 sind gerade einmal 4,6 Milliarden Euro in den Straßenbau investiert worden; ich rede von Investitionen und von Istzahlen, Kollege Schmidt. Die Gesamtausgaben für die Schienenprojekte nach dem geltenden Bedarfsplan betrugen sage und schreibe nur 2,3 Milliarden Euro; das ist im Bundesschienenwegeausbaugesetz nachzulesen. Obwohl man zu dem Ergebnis gelangt ist, dass allein die Investitionen in den Schienenbestand einen Umfang von jährlich 2,5 Milliarden Euro erreichen sollten, stehen im Haushalt nur 3,2 Milliarden Euro. Für den Neubau bleiben dadurch gerade noch 700 Millionen Euro. Wie und wann dann alle im Bundesschienenwegeausbaugesetz festgestellten Maßnahmen umgesetzt werden, bleibt mir ein Rätsel aber wahrscheinlich nicht nur mir. Ich erwähne zwei Beispiele: Die ICE-Trasse Nürnberg-Erfurt, Teilstück der Transeuropäischen Netze, bleibt dabei auf der Strecke, ebenso der notwendige Ausbau der S-Bahn von Nürnberg nach Erlangen. Rot-Grün vernachlässigt also den öffentlichen Personennahverkehr. Mit bestandserhaltenden Maßnahmen im Umfang von 10 Milliarden Euro bis 2008 versucht man trickreich, für diese Strecke geflossene EU-Fördergelder nicht zurückzahlen zu müssen. Die rot-grüne Verweigerungshaltung beim Wasserstraßenausbau ist gänzlich unverständlich. Die Ablehnung eines noch aus der Opposition heraus geforderten und noch mit dem Investitionsprogramm 1999 folgerichtig in Aussicht gestellten Wasserstraßenausbaugesetzes offenbart, dass Reden und Handeln bei Rot-Grün nicht übereinstimmen. Der umweltfreundliche Verkehrsträger Binnenschifffahrt wird wieder einmal schnöde vernachlässigt. Ausgerechnet die Grünen, die sich immer als Wahrer des Umweltschutzes darstellen, sind hier die wirklichen Blockierer. ({4}) - Da geht es nicht ums Wachstum, es geht um die Ausbaumaßnahmen und um eine ganzjährige Befahrbarkeit der Wasserstraßen. ({5}) Mit der vollzogenen EU-Osterweiterung sind auf die deutsche Verkehrsinfrastruktur zusätzliche Lasten zugekommen: Seit Mai 2004 hat der deutsch-tschechische LKW-Verkehr um 40 Prozent zugenommen, der deutsch-polnische um 30 Prozent. Beide werden garantiert weiter wachsen. Damit diese Zuwächse bewältigt werden können, fordern wir die Bundesregierung auf, sich auf europäischer Ebene initiativ für die Schaffung eines Sonderprogramms „Verkehrsprojekte Europäische Einheit“ einzusetzen. Zum Baurecht. Wir haben insgesamt 150 nicht im Bau befindliche Maßnahmen mit einem Volumen von rund 4,7 Milliarden Euro planfestgestellt. Für 18 Maßnahmen im Volumen von rund 1 Milliarde Euro lief bzw. läuft die Fünfjahresfrist in den Jahren 2004/2005 ab. Damit müssen wir Planungskosten in den Wind schreiben, nur weil Rot-Grün nicht in der Lage ist, die Verkehrsinvestitionen zu erhöhen. Auf die LKW-Maut ist der Kollege Fischer schon eingegangen; dazu will ich nichts weiter sagen. Die Planungskosten, in etwa 15 Prozent, gehen zulasten der Länder. Gerade Baden-Württemberg hat sehr viele planfestgestellte Baumaßnahmen. ({6}) Und da werfen Sie, Herr Staatssekretär, Baden-Württemberg seine Planungskosten vor! Dabei dürfte doch klar sein, dass diese sich irgendwo im Haushalt des Landes widerspiegeln. Ich würde sagen: Bringen Sie die Maßnahmen zum Laufen, dann müssen die Länder die Planungskosten, die sie verausgabt haben, nicht in den Wind schreiben. ({7}) Wie Sie das alles weiter abwickeln wollen, Herr Staatssekretär, wundert mich auch. Denn nach Erkenntnissen der Bundesregierung - das haben Sie in Beantwortung unserer Kleinen Anfrage ausgeführt - betragen die Aufwendungen für Vorhaben mit bestandskräftigem Baurecht etwa 3 Milliarden Euro. Hier ist also auf jeden Fall noch sehr viel zu tun, damit Baurecht nicht verfällt und uns in Deutschland nicht der Verkehrsinfarkt droht. Wir brauchen dringend mehr Geld. Deswegen sind unsere Anträge, Herr Staatssekretär, keinesfalls unsinnig, sondern sie sind folgerichtig gestellt. ({8}) Kollege Schmidt, die Grünen haben sich von einigen Lebenslügen verabschiedet. Ich nenne nur Ihre Aussage, dass mehr Verkehr auf die Schiene verlagert werden kann. ({9}) - Das ist schon länger her. - Die Grünen gibt es jetzt seit 25 Jahren. Herr Kollege Schmidt, es wurde bemerkt, dass Sie das Strickzeug abgelehnt haben - ich will jetzt nicht davon reden, ob das diskriminierend ist oder nicht ({10}) und dass Sie sich lieber einen kleinen VW wünschen. Ich überreiche Ihnen jetzt keinen kleinen VW, sondern einen Transporter, mit dem alle Lebenslügen der Grünen, zum Beispiel die Möglichkeit der Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene, abtransportiert werden können. Ich hoffe, dass Sie nach 25 Jahren irgendwann einmal in der Realität ankommen. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Danckert.

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Irgendwie erhält die Debatte eine interessante Wendung, jetzt werden hier nämlich schon Geschenke verteilt. ({0}) Ich weiß nicht, ob das witzig war.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das ist aber keine Bestechung.

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn man die Anträge der Opposition liest, über die heute mit abgestimmt werden soll, dann hat man das Gefühl, dass ({0}) ein Bild von etwas gemalt wird, das sich irgendwo in der großen weiten Welt, aber nicht in Deutschland abspielt. Das ist wirklich so absurd wie nur irgendetwas. ({1}) Wir haben das modernste Infrastruktursystem Europas, wenn nicht sogar der Welt, und Sie malen ein düsteres Bild von Deutschland. Das ist wirklich grotesk. Die Menschen draußen können sehr gut beurteilen, wie die Situation ist. Unsere Bahn wird immer besser - Frau Rehbock-Zureich wird nachher etwas dazu sagen - und wir haben ein ganz modernes Straßennetz, an dem wir natürlich weiterarbeiten müssen; das ist gar keine Frage. ({2}) Lassen Sie uns heute dort erst einmal eine ganz nüchterne und unaufgeregte Bilanz ziehen. Schauen Sie sich den Straßenbericht 2004 an! Ich meine, diese Bilanz sieht in vielen Details sehr gut aus. Auch Sie haben Ihren Anteil daran gehabt; das will ich gar nicht bestreiten. ({3}) Es ist wirklich absurd, dass Sie jetzt so vortragen, dass man das Gefühl haben muss, man sei im Dschungel. Das können die Leute draußen sehr gut beurteilen. ({4}) Ich möchte zwei Details vor die Klammer ziehen, die uns und der Welt beweisen, wie die Situation in Deutschland ist. Erstens. Im nächsten Jahr gibt es bei uns ein Weltsportereignis, nämlich die Fußball-WM 2006. ({5}) Für dieses Ereignis werden alle zwölf Austragungsorte mit einem Verkehrsleitsystem, das seinesgleichen suchen wird, bestens angebunden sein. Ich kann an dieser Stelle die Bahnhöfe in den Austragungsorten mit einbeziehen. ({6}) Ich danke an dieser Stelle der Bahn, der Bundesregierung und dem Bundesverkehrsministerium. Auch hier werden wir uns nach einem erheblichen Aufwand aller Beteiligten bestens präsentieren. ({7}) Es ist geradezu grotesk, dass Sie an dieser Stelle immer nur das Negative und nicht das Positive nennen. ({8}) In einem zweiten Bereich haben wir - nicht allein, sondern in Fortführung der Arbeit früherer Regierungen - ebenfalls etwas ganz Wesentliches getan. Ich nenne hier das Stichwort „Radwege an den Bundesstraßen“. Inzwischen haben wir 16 000 km Radwege an etwa 40 000 km Bundesstraßen. 40 Prozent der Bundesstraßen werden von Radwegen begleitet. Dieses Thema ist für die Verkehrssicherheit ungeheuer wichtig. Das kann man doch nicht einfach unter den Tisch fallen lassen! In den letzten 15 Jahren ist dafür fast 1 Milliarde Euro zusätzlich aufgewendet worden. An dieser Stelle sollten wir alle auf dem Teppich bleiben und das Positive sehen. ({9}) Radwege sind für die Verkehrssicherheit sehr wichtig. Dies wird auch draußen bemerkt, weil sie nachgefragt werden. Wir tun etwas dafür. Ich denke, das ist etwas ganz Wichtiges. Lassen Sie mich an dieser Stelle etwas zu einem Thema sagen, das in Ihren Anträgen gestreift wird, die Verkehrsprojekte in Ostdeutschland. Diese sind auf einem sehr guten Weg. Wer sich in den neuen Ländern auf den Straßen bewegt, merkt, dass sie inzwischen fast vollkommen sind. Egal, ob man von Berlin aus nach Leipzig, Halle oder Dresden fährt, überall sind die Verkehrswege so weit, wie sie sein sollten. Das, was wir in Fortführung dessen, was Sie getan haben - das will ich gar nicht unter den Tisch kehren -, ({10}) gemacht haben, hat dazu geführt, dass die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ auf einem guten Weg sind. ({11}) Eine Zahl finde ich sehr bemerkenswert. Inzwischen sind seit 1991 154 Milliarden Euro für Verkehrsprojekte und Infrastrukturmaßnahmen ausgegeben worden. Das ist wirklich eine gewaltige Summe. Das ist vielleicht an manchen Stellen nicht immer genug, aber immerhin sind davon 60 Milliarden Euro in die neuen Länder geflossen. Das ist eine großartige Leistung. Diese Summe ist nämlich im Verhältnis zur Bevölkerung überproportional. Auch da ist genügend für die Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur getan worden. Es wurden überproportional Leistungen erbracht, die uns allen zugute kommen und die übrigens auch von den Menschen anerkannt werden. Es ist eben nicht so, dass sie das Gefühl hätten, sie würden an dieser Stelle vernachlässigt. Wir sollten uns gemeinsam bemühen, auf diesem Wege fortzufahren. ({12}) Die wichtigen Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ wie die A 20 sind fast zu 100 Prozent fertig gestellt, 90 Prozent sind tatsächlich fertig und 10 Prozent sind im Bau. Diese West-Ost-Verbindung an der Ostseeküste ist sehr wichtig. Auch da hat sich etwas getan. Ich nenne in diesem Zusammenhang ebenfalls die A 4. Diese ist mit 450 Kilometern im Süden der neuen Länder ein gewaltiges Vorhaben, davon sind inzwischen 330 Kilometer fertig gestellt. Auch das muss man sehen und anerkennen. Das wird ebenso von der Bevölkerung gesehen. Das ist notwendig und muss zu Ende geführt werden. Wir sollten nicht so tun, als ob es große Probleme gegeben hätte. Wir sind dabei, die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ zügig umzusetzen. Ich unterstelle einmal, dass dies auch der gemeinsame Wille des Parlaments ist. ({13}) Diese Projekte werden fortgeführt werden. Das ist auch wichtig, damit notwendige Benachteiligungen - das war der Ausgangspunkt - ausgeglichen werden können. An dieser Stelle haben wir nichts zu beklagen. Es liegt überhaupt keine Gefährdung vor, wie es in einem Antrag heißt. Wir haben also sehr viel erreicht. Wir müssen uns - das will ich auch im Sinne von Albert Schmidt betonen - für die Jahre 2005 und folgende gemeinsam bemühen - in erster Linie wäre ich sehr dankbar, wenn unser Haushalt für 2005 verabschiedet werden könnte; Sie haben im Bundesrat eine völlig unnötige Blockadehaltung eingenommen, aber sei es drum, so sind nun einmal die Spielregeln -, die Mittel bereitzustellen, die wir brauchen, um die Infrastrukturmaßnahmen fortzuführen. Das wird sehr schwierig sein. An dieser Stelle will ich eine allgemeine Bemerkung machen. Auf welcher Seite des Hauses wir auch immer sitzen, müssen wir uns - so will ich es einmal formulieren - eines Tages darüber im Klaren sein, ob wir weiter in dem bisherigen Umfang konsumieren oder ob wir bereit sind, zu investieren. ({14}) - Bitte keinen Beifall von der falschen Seite. ({15}) Wir dürfen nicht nur in Bildung investieren. Wenn wir umsteuern wollen, dann müssen wir uns darüber einig sein. Hier ist das Stichwort Eigenheimzulage zu nennen; das wäre nämlich der erste Schritt in die richtige Richtung. ({16}) Wenn wir auf die Eigenheimzulage verzichten würden, könnten wir diese Mittel in Bildung und meinetwegen auch in Verkehrsinfrastruktur investieren. Darüber müssen wir uns klar sein; denn wir konsumieren sehr viel in Deutschland. Ich weiß nicht, ob Sie, die Sie eben Beifall geklatscht haben, sich dessen bewusst sind, was es bedeutet, wenn wir den Konsum einschränken würden, ({17}) und welche Konsequenzen das für unsere Bevölkerung hätte. ({18}) Ich wiederhole mich: Investitionen in Bildung und Forschung sind unabdingbar, aber - aus unserer Sicht auch in Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen. ({19}) Das wird ein ganz wichtiges Arbeitsfeld sein. Das ist wenig geeignet, um parteipolitische Süppchen zu kochen. Das ist nicht in unserem Sinne. Die Bürger erwarten, dass wir nicht nur fordern, wenn wir über Infrastrukturmaßnahmen reden, sondern auch sagen, woher das Geld kommen soll. ({20}) Wenn wir Ihren Anträgen, Herr Fischer, folgen und das Volumen in Ihren Anträgen hochrechnen, dann kommen wir auf einen Milliardenbetrag. Sie müssten sagen, woher das Geld für diese Maßnahmen kommen soll. Die Antwort auf diese Frage wird mit Ihren Anträgen, die wir ablehnen, nicht gegeben. Vielen Dank. ({21})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Georg Brunnhuber.

Georg Brunnhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000284, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Man wundert sich, wenn man hier hört, wie gut alles funktioniert und wie viele Mittel investiert werden. Jeder Kollege, egal auf welcher Seite des Hauses er sitzt, bekommt jede Woche Briefe von SPD-Bürgermeistern, SPD-Landräten, selbst von SPD-Landtagsabgeordneten - von den Verkehrsministern der SPD und den Ministerpräsidenten der SPD ganz zu schweigen -, ({0}) die alle eines feststellen: Es ist zu wenig Geld für die Verkehrsinfrastruktur vorhanden. ({1}) Das könnten Sie wenigstens einmal zugeben. ({2}) Wir möchten mit Ihnen diskutieren und fragen, wie man zu mehr Geld für diesen Haushaltstitel kommt. Ich werde nachher einige Vorschläge machen, möchte aber zunächst einmal auf die LKW-Maut eingehen. ({3}) Gott sei Dank können wir seit 1. Januar sehen, dass die Technik funktioniert. Aber es gibt auch hier schon wieder Fragen. Diese Fragen müssen im Parlament gestellt und von der Regierung und von Toll Collect beantwortet werden. Alle gingen davon aus, dass täglich circa 800 000 LKWs auf Autobahnen unterwegs sind und bezahlen. Nur so kommt übrigens die Summe von netto 2,1 Milliarden Euro für den Haushalt des Bundes zusammen. Wir haben von Toll Collect gehört, dass in der letzten Woche an einem Spitzentag nur 500 000 LKWs bezahlt haben. Jetzt gibt es drei Möglichkeiten. Entweder war die Berechnungsgrundlage falsch, was fürchterlich fatal wäre, weil dann die Menge und die Summe nicht stimmen, oder aber es gibt so viele Mautpreller, die einfach durchfahren, weil die Kontrolldichte nicht stimmt, oder, was genauso schlimm wäre, die LKWs weichen auf parallele Bundesstraßen aus. Das sind Fragen, die nicht einfach so weggedrückt werden können. Wir möchten vielmehr exakt wissen, Herr Staatssekretär: Was ist wirklich Realität? Nicht nur wir Parlamentarier, sondern auch die Öffentlichkeit hat ein Anrecht darauf, dass diese Fragen richtig und sauber beantwortet werden. ({4}) Es ist merkwürdig, wie die Regierung und auch die Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition mit dem Mautgesetz umgehen. In § 11 Mautgesetz ist schwarz auf weiß festgeschrieben, dass die Einnahmen aus der LKW-Maut zusätzlich zum Haushaltsbasisjahr 2003 insbesondere den Straßeninvestitionen zugeführt werden sollen. Daran besteht überhaupt kein Zweifel. Das wischen Sie kalt lächelnd weg. Damit begehen Sie nicht nur Wortbruch, sondern brechen auch ein geltendes Gesetz. Sie tun so, als wäre das eine Lappalie. ({5}) Das sehen übrigens nicht nur wir so, sondern das haben Sie selbst bei der Debatte über das Mautgesetz im März 2003 genauso gesehen. Ich habe mir aus dem Protokoll der betreffenden Sitzung einen Auszug mit der Rede des Kollegen Albert Schmidt herausgesucht. ({6}) Mit Genehmigung der Frau Präsidentin möchte ich aus diesem Protokoll zitieren: Von daher haben sie - die Transportunternehmen auch Anspruch darauf, verlässlich zu erfahren, dass die Gelder reininvestiert werden. Akzeptanz gewinnen wir nur, wenn wir glaubhaft machen können, dass nicht jedes Jahr darum gezittert werden muss, ob der Bundesfinanzminister das Geld für diesen Zweck einsetzt, … sondern dass dieses Geld - man höre! gleichsam mit einem rosa Schleifchen umwunden wird, in die Schatulle der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft gelegt wird und damit dem Verkehrswegebau gewidmet ist. ({7}) Herr Kollege Schmidt, wenn Sie konsequent wären, dann müssten Sie diese Bundesregierung heute an den Pranger stellen; ({8}) denn sie bricht dieses Wort, das Sie uns hier gegeben haben. ({9}) Bezogen auf das Zitat könnte man noch sagen, dass aus dem rosa Schleifchen inzwischen ein schwarzer Trauerflor geworden ist. ({10}) Die Frage ist jetzt, wie wir dazu kommen, dass mehr für Investitionen bereitgestellt wird. Dazu schlage ich Ihnen im Namen meiner Fraktion vor, ({11}) in aller Sachlichkeit darüber zu diskutieren, ob wir die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft nicht anders ausstatten sollten. Dazu könnten wir uns in Europa umschauen, um zu sehen, welche intelligenten Lösungen andere gefunden haben. Das kleine Land Österreich hatte die gleichen Probleme wie wir. Dort hat man erkannt, dass die Infrastruktur, die für ein modernes Wirtschaftsland gebraucht wird, aus dem Haushalt allein irgendwann nicht mehr zu finanzieren ist. Deshalb sollten wir überlegen, die Einnahmen aus der Maut nicht beim Finanzminister durchfließen zu lassen, sondern sie direkt dorthin zu geben, nämlich an die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft, wo sie auch wieder entsprechend verwendet werden. Dann hätten wir schon einmal 2 Milliarden Euro ausschließlich für die Verkehrsinfrastruktur gesichert. Anderenfalls wird der Finanzminister - ich gebe zu: jeder Finanzminister, auch einer unserer Couleur - dann, wenn Haushaltslöcher vorhanden sind, zunächst einmal seinen Anteil kassieren. ({12}) Daher mein Angebot, dass wir unter uns Verkehrspolitikern vernünftig darüber diskutieren. Wir wollen doch die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur. Wir brauchen uns hier doch nicht gegenseitig Vorhaltungen zu machen, wobei Sie uns sicherlich gestatten werden, dass wir als Opposition mehr fordern als die Bundesregierung. Das wäre ein intelligenter Vorschlag, um zu mehr Investitionsmitteln zu kommen. Auch hätten wir dann die riesige Chance, den Investitionsstau abzubauen. Dass ein Investitionsstau besteht, merken wir doch alle, merken die Bürgerinnen und Bürger, die täglich unterwegs sind. Es muss in diesem Hause doch auch einmal möglich sein, dass vernünftige Ideen, auch wenn sie von der Opposition kommen, von der Bundesregierung nicht sofort in den Papierkorb geworfen werden, sondern dass man gemeinsam darüber diskutiert. ({13}) Wir bieten Ihnen das an. Wenn Sie intelligent genug sind, dann machen Sie mit. Alle profitieren davon, insbesondere unsere Bürgerinnen und Bürger und vor allem die deutsche Wirtschaft, die dann auch wieder Arbeitsplätze schaffen kann. Herzlichen Dank. ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat die Abgeordnete Karin RehbockZureich.

Karin Rehbock-Zureich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002756, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Brunnhuber, Ihre Rede hat sich zum Ende hin von allen anderen Reden, die wir gehört haben, etwas unterschieden. ({0}) Wir sind immer zu Gesprächen bereit, wenn es um mehr Verkehrsinfrastrukturinvestitionen geht. Ich bitte aber darum, sich zuerst das Thema vorzunehmen, das ganz oben auf der Tagesordnung steht, und zwar den Subventionsabbau. Bei diesem Thema schleichen Sie sich aber im Bundesrat immer wieder davon. Ich will auf einige Zahlen eingehen, die hier verbreitet werden. Es ist abenteuerlich, wenn man sich bei einem Investitionsvolumen für die Verkehrsinfrastruktur von 10 Milliarden Euro bis einschließlich 2008 - denn die 1 Milliarde wird noch hinzukommen ({1}) von Ihnen sagen lassen muss, wir hätten die Investitionen gegen die Wand gefahren. ({2}) Frau Blank, wenn Sie verbreiten, wir hätten im Jahr 2003 nur 2,3 Milliarden Euro in die Schieneninfrastruktur investiert, ({3}) und aus dem Bericht zum Ausbau der Schienenwege zitieren, dann bitte ich darum, dass auch richtig zitiert wird. Auf Seite 6 werden die Maßnahmen des Bedarfsplans aufgeführt. Was an dieser Stelle nicht genannt wird und was Sie nicht erwähnen, sind die Investitionen in die Erhaltung des Netzes. ({4}) - Die hat sie in der Tat völlig unter den Tisch fallen lassen. Dabei handelt es sich aber um einen beträchtlichen Betrag. Im Berichtszeitraum 2003 geht es um eine Größenordnung von 4,5 Milliarden Euro. ({5}) Es sind auch keine ideologischen Gründe, Kollege Friedrich, aus denen wir noch in dieser Größenordnung in die Verkehrsinfrastruktur, und zwar in die Schiene, investieren; vielmehr sprechen die Gründe der Vernunft dafür. Angesichts der Zuwächse im Güterverkehr muss einem klar sein, dass wir alle Verkehrsträger auf den Weg bringen und für die Zukunft fit machen müssen. ({6}) Dies ist nur dann möglich, wenn Investitionen in der bisherigen Größenordnung in die Schieneninfrastruktur fließen. Wir müssen das Schienennetz Deutschland nicht schlechtreden. Es ist mit einer Streckenlänge von 35 000 Kilometern und einer Gleislänge von 70 000 Kilometern das fünftgrößte Schienennetz der Welt. Wir haben in dem Berichtszeitraum wichtige Projekte auf den Weg gebracht. Die Strecken Berlin-Hamburg und Frankfurt-Köln stellen wichtige Fortschritte dar. ({7}) Die Strecke Berlin-Hamburg zeigt, dass die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ weit gediehen sind. 70 Prozent der Investitionssummen fließen in diese Projekte. ({8}) - Bei dem Projekt Erfurt-Nürnberg geht es nicht um die Frage, ob dieses Projekt auf den Weg gebracht wird; es geht vielmehr darum, wie dies geschehen soll. Sie stellen immer wieder die EFRE-Mittel infrage. Allein für den Schienenausbau im Osten sind in den vergangenen Jahren EU-Mittel in Höhe von 700 Millionen Euro geflossen. ({9}) Da es sich bei dieser Förderung immer um eine Kofinanzierung handelt, kommen entsprechende Bundesmittel hinzu. Wir leiden gegenwärtig im Schienenbereich auch darunter, dass Großprojekte, für die zunächst Kosten in Höhe von 4 Milliarden veranschlagt wurden, letztlich 6 Milliarden gekostet haben. Das haben Sie übrigens in Ihrer Regierungszeit mitverantwortet. Sie haben seinerzeit zugeschaut. ({10}) Die Folge war, dass das Bestandsnetz in Ihrer Regierungszeit verrottet ist. Sie haben nicht darauf geachtet, dass regelmäßig Mittel in den Erhalt des Bestandsnetzes fließen. Der Mittelbedarf bei der Bestandserhaltung ist erst von der rot-grünen Regierung ermittelt worden. Wir sind diejenigen, die seit 1998 dafür sorgen, dass regelmäßig Mittel in den Erhalt des Bestandsnetzes fließen. ({11}) Wir haben außerdem zusätzliche Mittel in den Bereich Schiene fließen lassen. Die Gelder für das Zukunftsinvestitionsprogramm, ZIP, wurden auf die Haushaltsmittel draufgesattelt. Das ZIP hat es im Berichterstatterzeitraum ermöglicht, 18 000 Maßnahmen durchzuführen, zum Beispiel in den Bereichen der Langsamfahrstellen sowie der Leit- und Sicherungstechnik. Nun möchte ich auf die Diskussion über die Mauteinnahmen eingehen. Es ist zwar richtig, dass sie zu den Haushaltsmitteln hinzukommen. Aber, Herr Brunnhuber, nirgendwo ist zu lesen - auch nicht im Protokoll -: Haushaltsmittel plus ZIP-Mittel plus Mauteinnahmen. Dies ist so nicht richtig. ({12}) Als die Mauteinnahmen 2003 ausgelaufen sind, war klar, dass die zukünftigen Mauteinnahmen ein Ersatz für die ZIP-Mittel sein werden. ({13}) - Richtig, Herr Fischer, Haushaltsmittel plus ZIP-Mittel. Aber Sie werfen ständig alles in einen Topf. Sie können sich nicht herausreden. Ihre Bewertung ist nicht richtig. ({14}) Es wurde bereits mehrfach infrage gestellt, ob es möglich sein wird, 2008 Regionalisierungsmittel in Höhe von 1 Milliarde Euro zur Verfügung zu stellen. Eines ist klar: Diese Mittel benötigen wir. Es wurde vonseiten der Bundesregierung mehrfach versichert, dass hier nicht nach dem Prinzip „linke Tasche, rechte Tasche“ verfahren wird und dass die Regionalisierungsmittel nicht in die Investitionsmittel fließen werden. Eines ist aber auch klar: 2007 werden wir bei der Revision sehr genau darauf achten müssen, wohin die Regionalisierungsmittel geflossen sind. Die Länder haben gegenüber dem Bund die Berichtspflicht, darzulegen, für welche Zwecke sie ({15}) die ihnen zur Verfügung gestellten 7 Milliarden Euro verwendet haben. Für mich heißt Revision Berichtspflicht und Transparenz. Das wünsche ich mir.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, denken Sie daran, dass Ihre Redezeit bereits abgelaufen ist.

Karin Rehbock-Zureich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002756, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte nur noch einen kurzen Satz aus einer Pressemitteilung Baden-Württembergs vom April 2004 zitieren, in der es um die Regionalisierungsmittel geht. Darin heißt es, für GVFG-Vorhaben in den Bereichen des ÖPNV und des kommunalen Straßenbaus stünden rund 210 Millionen Euro zur Verfügung; hinzu kämen umgeschichtete Regionalisierungsmittel. So viel zu Transparenz und Verwendung. Hier besteht Handlungsbedarf. Vielen Dank. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf Drucksache 15/3938. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU auf Drucksache 15/2603 mit dem Titel „Deutschland braucht Klarheit bei der Verkehrsinfrastruktur“. ({0}) Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/ CSU und FDP angenommen worden. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/ 2423 mit dem Titel „Investitionen in Verkehrsinfrastruktur sicherstellen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der beiden Oppositionsfraktionen angenommen worden. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf Drucksache 15/4096 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Keine Kürzungen bei den Verkehrsprojekten in Ostdeutschland“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/3203 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist wiederum mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf Drucksache 15/4097 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Kurskorrektur bei Verkehrsinvestitionen - Finanzierung des Bundesverkehrswegeplans 2015 sicherstellen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/3470 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der beiden Oppositionsfraktionen angenommen worden. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/3720, 15/4621 und 15/4609 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung ({1}) zu dem Antrag Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer der Abgeordneten Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, Dr. Heinrich L. Kolb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Zusätzliche Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge bei Versorgungsbezügen durch das GKV-Modernisierungsgesetz rückgängig machen - Drucksachen 15/2472, 15/4451 Berichterstattung: Abgeordneter Detlef Parr Ich weise darauf hin, dass wir über die Beschlussempfehlung später namentlich abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die FDP fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Carl-Ludwig Thiele.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem Antrag möchte die FDP erreichen, dass die von Rot-Grün und der Union beschlossene kalte Enteignung durch die Gesundheitsreform rückgängig gemacht wird. ({0}) Die gesetzlichen Krankenversicherungen haben im letzten Jahr einen Überschuss von 3 Milliarden Euro erzielt. Durch die Verbeitragung der Betriebsrenten und Direktversicherungen wurden Millionen Menschen, die zusätzlich private Altersvorsorge betrieben haben, im letzten Jahr 2 Milliarden Euro abgenommen. Wohlgemerkt: Das war keine Sparmaßnahme, sondern ein zusätzliches Abkassieren bei Menschen, die mühsam gespart und für ihre Altersvorsorge etwas zurückgelegt hatten. ({1}) Diesem Antrag liegt eine - ich bitte sehr um Nachsicht - Riesensauerei zugrunde, mit der das Vertrauen von Millionen Versicherten missbraucht wurde. Jahrelang war trotz anders lautender Äußerungen bekannt, dass die Rente allein den Lebensabend nicht sichern kann. Jahrelang hat es Aufforderungen gegeben, zusätzliche Altersvorsorge zu betreiben. Jahrelang wurde von Gewerkschaften, von Steuerberatern und von Betrieben darauf hingewiesen, zusätzliche Altersvorsorge zu betreiben: durch Betriebsrenten, durch Direktversicherungen. Diesem Appell sind Millionen von Bürgern gefolgt, indem sie auf Konsum verzichteten und Teile ihres Einkommens in Betriebsrenten und Direktversicherungen einzahlten. ({2}) Nachdem dies von diesen Personen nicht nur jahre-, sondern jahrzehntelang betrieben wurde, hat der Gesetzgeber mit den Stimmen von Rot-Grün und der Union durch das GKV-Modernisierungsgesetz Teile der Altersvorsorge von Millionen Menschen mit einem Federstrich kalt enteignet. ({3}) Dies geschah ohne öffentliche Ankündigung, ohne öffentliche Diskussion und ohne öffentliche Vorbereitung. Millionen Menschen konnten und können auf diese gesetzgeberische Willkür nicht mehr reagieren, weil ihre finanzielle Altersplanung längst abgeschlossen ist. Diese Personen haben daran geglaubt, dass Recht in Deutschland Recht bleibt und dass der Gesetzgeber in schon laufende Verträge nicht in einer Form eingreift, die dem Vertrauensschutz voll zuwiderläuft. ({4}) Deshalb muss diese Regelung rückgängig gemacht werden. Ohne Vorwarnung, ohne Übergangsregelung, ohne ein Gesamtkonzept erfolgte eine Mehrbelastung der gesetzlich versicherten Rentnerinnen und Rentner durch das Gesundheitsreformgesetz. Mit diesem Gesetz wurde beschlossen, dass für Betriebsrenten statt des hälftigen Beitrags der volle Krankenversicherungsbeitrag erhoben wird. Zur Kapitalauszahlung von Direktversicherungen, die bis dahin steuer- und abgabenfrei erfolgte, wurde beschlossen, dass auf Verträge, die ab dem 1. Januar 2004 ausgezahlt werden, innerhalb von zehn Jahren der volle Krankenversicherungsbeitrag erhoben wird. Das ist eine kalte Enteignung in Höhe von einem Sechstel des angesparten Betrages. ({5}) Seit 1990 bin ich Mitglied des Deutschen Bundestages. Ich habe es noch nicht erlebt, dass eine so weit reichende gesetzliche Regelung in einer solchen Weise beschlossen wurde. Sie wurde beschlossen, ohne dass dieser Punkt mit dieser Tragweite vorher in einem der Beiträge in den Debatten am 18. Juni, am 9. September, am 26. September 2003 auch nur von einem einzigen Redner, der an den Verhandlungen beteiligt war, überhaupt angesprochen worden war. Das Ganze wurde im Dezember Gegenstand öffentlicher Erörterung. Das Ganze ist auch von den Verhandlungsführern - Gesundheitsministerin Schmidt und Herrn Seehofer - überhaupt nicht angesprochen worden, obwohl sie die Regelung und die Bedeutung dieser Regelung sehr wohl kannten. Das einzige Motiv von Frau Schmidt und Herrn Seehofer war, dass mehr Geld in die Krankenkassen kommt - ohne Rücksicht auf die Versicherten, ohne Rücksicht auf den Rechtsstaat. Allein 2 Milliarden Euro sind im letzten Jahr auf diesem Weg den Menschen abgenommen worden, die eine zusätzliche Altersvorsorge betrieben haben. Die Präsidentin des Bundesfinanzhofs, Frau Ebeling, hat zu Recht festgestellt: „Die Geldnot des Gesetzgebers rechtfertigt nicht jeden Eingriff.“ ({6}) Für die FDP kann ich nur feststellen: Recht hat die Präsidentin des Bundesfinanzhofs. Recht muss auch Recht bleiben. Deshalb muss diese Regelung rückgängig gemacht werden. ({7}) Nach Gesprächen mit vielen Kolleginnen und Kollegen anderer Fraktionen gehe ich davon aus, dass mindestens 80, wenn nicht sogar 90 Prozent der Abgeordneten des Bundestages bei der Abstimmung damals überhaupt nicht wussten, dass diese Regelung Teil des Gesetzes ist. ({8}) Sie sind richtig hinters Licht geführt worden. Auch als Mitglied des Finanzausschusses bin ich, wie die meisten anderen, erst im Dezember auf diese Regelung aufmerksam geworden. ({9}) - Wenn Sie alle das wussten, dann stimmen Sie guten Gewissens gegen unseren Antrag! Sie alle haben ein schlechtes Gewissen. Sie von Rot-Grün hatten die Sorge - das weiß ich -, der erste Baustein der Agenda 2010 würde fallen, wenn diese Regelung zurückgenommen würde. Deshalb haben Sie diese Regelung ohne Differenzierung beibehalten. Parallel dazu ist im Alterseinkünftegesetz beschlossen worden, dass die Lebensversicherungen besteuert werden, aber nur neue Verträge nach dem neuen Rechtsstatus. Im Gegensatz dazu sind hier Altverträge in einer Form betroffen - die Menschen konnten überhaupt nicht mehr umdisponieren -, die Anfang letzten Jahres Zehntausende Mitglieder der SPD dazu trieb, aus der SPD auszutreten. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Abgeordneter.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine sehr verehrte Präsidentin, ich komme zum Schluss.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Altersvorsorge ist wichtig und notwendig. Wer Vertrauen beim Aufbau einer privat finanzierten Altersvorsorge durch einen solch sorgsam geplanten und der Öffentlichkeit verschwiegenen Eingriff verspielt, der hat Schwierigkeiten, dieses Vertrauen wieder zurückzuerwerben. Wenn die Politik nicht mehr planbar ist und nicht mehr berechenbar ist, dann hat sie ein Glaubwürdigkeitsproblem. Lassen Sie uns nicht auf die Gerichte warten, die diese Regelung korrigieren werden! Lassen Sie uns als Gesetzgeber diese Fehlentwicklung selbst korrigieren! Stimmen Sie dem Antrag der FDP zu! Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Kirschner. ({0})

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! ({0}) - Warten Sie doch ab! - Der Antrag der FDP mit dem Titel „Zusätzliche Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge bei Versorgungsbezügen durch das GKV-Modernisierungsgesetz rückgängig machen“ ist - Herr Kollege Thiele, ich sage das ungern, aber das ist leider die Wahrheit - ein schillerndes Beispiel für puren und heuchlerischen Populismus. ({1}) - Doch, das ist so. Meine Damen und Herren von der FDP, Sie tun so, als ob Sie Sachwalter der Krankenversicherten wären, und fordern als Fraktion Vertrauensschutz für die Bezieher von Betriebsrenten, Versorgungsbezügen und anderen Einkünften, während es Beschlusslage der FDP - damit muss man sich doch einmal auseinander setzen - ist, die gesetzliche Krankenversicherung komplett abzuschaffen. ({2}) Nach Ihrer Beschlusslage müssten sich alle bislang gesetzlich Versicherten - darauf gehe ich gerne näher ein privat versichern. Dass dies für die Mehrheit der Menschen in unserem Land, insbesondere für die Kranken, für die Familien, für die Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen und für die Rentner, für die Sie sich ja jetzt angeblich mit Ihrem Antrag einsetzen, erheblich teurer würde, das schert Sie sonst in der Regel nicht. ({3}) - Lieber Herr Kollege Thiele, ich werde Ihnen nicht den Gefallen tun, nur über ein Segment Ihrer Politik zu diskutieren, wie es Ihnen gerade gefällt, sondern ich setze mich mit der Haltung der FDP insgesamt auseinander. Allein die Verwaltungskosten verschlingen bei den privaten Krankenversicherungen mit 12,3 Prozent der Gesamtausgaben mehr als doppelt so viel wie bei den gesetzlichen Krankenkassen. Ginge es nach der FDP - Sie haben ja die Zahl von 2 Milliarden Euro genannt, die die Bezieher von Versorgungsbezügen und Betriebsrenten jetzt insgesamt abführen müssen -, ({4}) müssten von den Rentnerinnen und Rentnern, wenn das Ausgabevolumen der GKV von circa 140 Milliarden Euro jährlich privatisiert würde, allein 9 Milliarden Euro mehr an Verwaltungskosten aufgebracht werden. Dem stehen die von Ihnen genannten 2 Milliarden gegenüber. Auch das muss man einmal der Öffentlichkeit sagen. ({5}) Meine Damen und Herren von der FDP, Sie fordern doch Wettbewerb. Die Verwaltungsausgaben der gesetzlichen Krankenkassen in Höhe von 5,39 Prozent zeigen - ich wusste doch, was Sie sagen; dafür braucht man ja kein Hellseher zu sein -, dass der Wettbewerb die gesetzlichen Kassen - nur dort findet ja überhaupt einer statt; um die Privatversicherten findet ja kein Wettbewerb mehr statt, da die nur theoretisch, aber in der Praxis überhaupt nicht wechseln können - zu wirtschaftlichem Handeln zwingt. Die Verwaltungskosten bei den gesetzlichen Krankenkassen fallen also gegenüber denen der PKV-Unternehmen geradezu bescheiden aus. Ich sage Ihnen noch eines: Aus einer solchen Privatisierung erwächst wahrlich kein Effizienzgewinn, weder in Bezug auf Qualität noch auf Wirtschaftlichkeit. Letzten Endes wären die Versicherten diejenigen, die die Zeche bezahlen müssten. ({6}) Ich möchte jetzt gern auf Ihre Klage, verehrter Herr Kollege Thiele, dass hier überfallartig etwas durchgesetzt wurde, ({7}) eingehen. Vertreter Ihrer Partei waren doch bei den Konsensgesprächen zum GKV-Modernisierungsgesetz im Sommer 2003 dabei. ({8}) Die Kolleginnen und Kollegen Ihrer Partei - Herr Kollege Parr ist ja anwesend - sind ausgestiegen, weil sie mit der einzigen Forderung, die von ihnen gebetsmühlenartig wiederholt worden ist, nämlich nach Einführung von Kostenerstattung - was ja den ersten Schritt in die Privatisierung darstellen würde -, bei keinem der anderen Beteiligten auf Gehör stießen und damit keine Chance zur Umsetzung sahen. Deshalb sind Sie doch ausgestiegen. ({9}) Sie haben sich der Gesamtverantwortung entzogen und versuchen stattdessen jetzt mit Ihrem Antrag, populistisch Stimmen zu fangen. Das wird Ihnen nicht gelingen. Die Menschen durchschauen diese Art von Spielchen, denn Ihre Vorschläge münden immer nur in erhebliche, unnötige finanzielle Mehrbelastungen bei den Versicherten und in die Erschließung zusätzlicher Einnahmequellen für die Leistungserbringer. Darum geht es Ihnen doch eigentlich. Herr Kollege Thiele, bezüglich des in Ihrem Antrag eingeforderten Vertrauensschutzes möchte ich auf ein Urteil des Sozialgerichts München hinweisen. Es hat zu dieser Regelung des GKV-Modernisierungsgesetzes am 30. September letzten Jahres festgestellt, dass sie verfassungskonform ist. Wörtlich heißt es in dem Beschluss: Im Verhältnis zu anderen Einkunftsarten, die zur Beitragsbemessung … herangezogen werden, unterfällt die Heranziehung des Versorgungsbezuges zur Beitragsbemessung dem allgemeinen Gleichheitssatz. Und weiter: § 248 SGB V verstößt nicht gegen das Rückwirkungsverbot, … Solch ein Urteil sollten Sie sich schon einmal zu Gemüte führen, ehe Sie, wie im Antrag Ihrer Fraktion, behaupten, die Neuregelung verstoße gegen den Tatbestand des Vertrauensschutzes. Diesbezüglich will ich Sie auch darauf hinweisen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Neuregelungen, die belastend auf gegenwärtige und zukünftige Sachverhalte einwirken, grundsätzlich zulässig sind. Voraussetzung ist, dass bei der Abwägung das Allgemeinwohl Vorrang hat. Das besagt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die Sie doch kennen. Betriebsrenten, Versorgungsbezüge und Direktversicherungen waren bisher die einzigen nennenswerten beitragspflichtigen Einnahmen, die nicht zum vollen Beitragssatz herangezogen wurden. Auch daran will ich erinnern: Das Bundessozialgericht kommt in einem früheren Urteil zu dem Schluss, dass Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung auch dann beitragspflichtig sind, wenn sie allein auf freiwilligen Beiträgen beruhen und der Rentenbezieher früher keine Berufstätigkeit ausgeübt hat. Deshalb können für Versorgungsbezüge keine anderen Grundsätze gelten als die, die wir aufgestellt haben. ({10}) Ich will zusammenfassend feststellen: Mit Ihrem Antrag wollen Sie, meine Damen und Herren von der FDP, davon ablenken - das werden wir Ihnen aber nicht durchgehen lassen -, dass Ihnen ein gänzlich anderes Gesundheitssystem zugunsten der Besitzstandswahrer und zulasten der Versicherten und Patienten vorschwebt. Sie wollen schlicht die Privatisierung von Gesundheitsrisiken. Das würde insbesondere die 10 Prozent der Versicherten treffen, die 80 Prozent der Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen verursachen. Das sind die chronisch Kranken und die Sterbenskranken. Diesen helfen Sie mit Ihren gesundheitspolitischen Vorstellungen nicht. Die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen - das ist die Konsequenz - würden bei schweren Erkrankungen allein gelassen. Sie wollen die Gesellschaft - das zeigt Ihr Antrag - aus der sozialen Gesamtverantwortung entlassen. Bei der Abwägung und vor die Entscheidung gestellt: volle Beiträge auf Betriebsrenten, Versorgungsbezüge und Direktversicherungen oder Privatisierung der gesundheitlichen Risiken, wird die Entscheidung der Bürger so ausfallen - da bin ich mir ganz sicher -, wie es Ihren Wahlergebnissen entspricht. ({11}) - Ich weiß natürlich, dass Ihnen das nicht gefällt. Aber, verehrter Herr Kollege Dr. Kolb, ob es Ihnen gefällt oder nicht: Wir werden nicht schweigen und werden der Bevölkerung deutlich machen, wohin Ihre Vorstellungen letzten Endes führen. Sie nehmen sich in populistischer Weise ein Segment heraus, das bei der Bevölkerung sicherlich nicht gerade Freude ausgelöst hat. Ich sage aber noch einmal: Wenn die Bevölkerung vor die Alternative gestellt wird: ein Gesamtversorgungssystem mit einem breiten Leistungskatalog oder ein abgespeckter Leistungskatalog, den Sie im Rahmen einer so genannten Grundversorgung einführen wollen, dann wird der Anteil der Bevölkerung, der sich für Ihren Vorschlag ausspricht, nur so hoch sein, wie es Ihren Wahlergebnissen entspricht. ({12}) Deshalb wird es Sie, meine Damen und Herren von der FDP, sicherlich nicht überraschen, wenn ich namens meiner Fraktion ankündige, dass wir Ihren Antrag - wie schon im Ausschuss - auch hier ablehnen werden. ({13})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Michael Hennrich.

Michael Hennrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003551, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP fordert in ihrem Antrag - ich denke, dass dieser Antrag in erster Linie auf Sie, werter Herr Kollege Thiele, zurückzuführen ist - die Rücknahme der höheren Beitragszahlungen auf Betriebsrenten und andere Versorgungsbezüge. Damit finden Sie große Zustimmung bei der Klientel der Rentner und natürlich auch große Zustimmung bei den Angehörigen der freien Berufe, die über die Versorgungsbezüge der entsprechenden Versorgungswerke - bei Ihnen, Herr Thiele, ist es das Versorgungswerk der Rechtsanwälte ({0}) im besonderen Maße betroffen sind. Aber Sie leisten damit keinen Beitrag zur Lösung der Finanzprobleme in den gesetzlichen Krankenversicherungen. ({1}) Wir waren uns darüber im Klaren, dass wir die gesetzliche Krankenversicherung mittelfristig auf ein stabiles finanzielles Fundament stellen mussten, damit wir eine große Gesundheitsreform vorbereiten können. An dieser Stelle muss ich natürlich die rot-grüne Mannschaft anschauen. Wir warten bis zum heutigen Tag auf Ihre Vorschläge. Lieber Herr Kollege Kirschner, Sie haben sich sehr ausführlich mit der FDP beschäftigt, aber mit keinem Wort erwähnt, was Sie gerne durchsetzen würden. ({2}) Ich möchte auf die finanzielle Situation der GKV zurückkommen. Es bestand jährlich ein Defizit von rund 2 Milliarden Euro. Hätten wir denn einfach zuschauen sollen, wie unser solidarisch finanziertes Gesundheitssystem an die Wand fährt? ({3}) - Das denke ich auch. - Also mussten wir handeln. Lieber Kollege Thiele, im Gegensatz zu Ihnen und Ihrer Partei haben wir Verantwortung übernommen, obwohl wir in der Opposition waren. Sie waren, wie es der Herr Kollege Kirschner schon ausgeführt hat, zu Beginn der Konsensgespräche dabei und haben sich dann verabschiedet. ({4}) Jetzt kommt der eigentliche Treppenwitz: Über die Länder Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und BadenWürttemberg, in deren Regierung die FDP vertreten ist, haben Sie im Bundesrat doch wieder zugestimmt. ({5}) Das ist nichts anderes als Populismus. ({6}) Ich hätte erwartet, dass Sie in Ihrem Antrag auch Alternativen aufzeigen. Das haben Sie nicht getan. Ich will Ihnen einmal mögliche Alternativen nennen. Das wären höhere Beiträge oder das Ausgrenzen von Leistungen. Wollen wir einmal die einzelnen Möglichkeiten durchgehen: Höhere Beiträge gingen insbesondere zulasten der jüngeren Generation. Wäre das gerecht vor dem Hintergrund, dass wir alle wissen, dass wir das soziale Netz, das wir momentan haben, für künftige Generationen nicht mehr aufrechterhalten können? Viele junge Familien haben heute keinerlei finanziellen Spielraum. Ist das die Alternative der FDP gewesen? Ich weiß es nicht. Die andere Alternative wäre die Ausgrenzung von Leistungen. Damit hätten wir gerade die finanziell Schwächeren in unserer Gesellschaft getroffen. Das Problem, das wir heute ohnehin schon haben, hätten wir zusätzlich verschärft. ({7}) Entscheidend war, dass wir die Lasten ausgewogen zwischen den Generationen sowie zwischen den finanziell Schwachen und denjenigen, die mehr leisten können, verteilen. Das ist der Grund dafür, dass wir uns entschieden haben, auf die Versorgungsbezüge die vollen Beitragssätze zu erheben. Hinzu kommt - das muss man ausdrücklich erwähnen -: Im Jahr 1970 haben die Rentner mit ihren Beitragszahlungen noch 70 Prozent ihrer Ausgaben gedeckt. Jetzt, in diesem Jahr, sind es gerade noch 40 Prozent. Wenn man das unter dem Grundsatz der Generationengerechtigkeit betrachtet, kommt man zu dem Ergebnis, dass die hier getroffene Entscheidung richtig war. Ich weiß, dass viele Rentnerinnen und Rentner diese Maßnahmen als ungerecht empfinden und diese für viele eine soziale Härte darstellen. Ich habe erst heute wieder mehrere Briefe zu diesem Themenkomplex beantwortet. Weil wir das wissen, haben wir gerade in Bezug auf die Betriebsrenten und die Direktversicherungen, die in Form von Einmalzahlungen ausgezahlt werden, Regelungen getroffen, die sozial abfedern und es ermöglichen, dass die Beiträge gestaffelt geleistet werden können. Ich sage es noch einmal: Wir hatten schlicht und ergreifend keine Alternativen. Herr Thiele, ein rechtlicher Aspekt kommt hinzu. Seit 20 Jahren zahlen freiwillig Versicherte auf die monatlich ausgezahlten Betriebsrenten die vollen Beiträge. Warum sollen diejenigen besser gestellt werden, die sich ihre Betriebsrente oder Direktversicherung auf einmal auszahlen ließen? Weshalb soll der freiwillig Versicherte schlechter gestellt werden als der Pflichtversicherte? Soll er dafür bestraft werden, dass er sich bewusst für das GKV-System entschieden hat? Ist das die Politik der FDP? Ich will gar nicht verschweigen, dass die jetzt gefundene Lösung weitere rechtliche Probleme aufwirft. Stichworte sind auf der einen Seite die Direktversicherung, die vom Arbeitnehmer aus versteuertem Einkommen bedient wird, ({8}) und die Kapitallebensversicherung auf der anderen Seite. ({9}) Warum muss derjenige, der monatlich Beiträge aus seinem versteuerten und der Sozialversicherungspflicht unterliegenden Einkommen in eine Direktversicherung einzahlt, Beiträge an die GKV zahlen und warum ist dies bei der Kapitallebensversicherung nicht der Fall? Da kann ich Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von SPD und Grünen, schon jetzt nur viel Spaß mit der Bürgerversicherung wünschen; diese Probleme haben Sie bei einer Gesundheitsprämie schlicht und ergreifend nicht. ({10}) Die Gerichte setzen sich gegenwärtig damit auseinander. Ich bin zuversichtlich, dass die Regelung weiterhin Bestand haben wird. Herr Kollege Kirschner, Sie haben schon auf das Urteil des Bundessozialgerichts und auf das des Sozialgerichts München hingewiesen. Weitere Urteile werden ergehen. Aber ich bin mir sicher, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben. Weil ich hinter dieser Entscheidung stehe, werde ich auch gegen Ihren Antrag stimmen, meine Damen und Herren von der FDP. Ich hoffe, dass Sie zu der Einsicht gelangen, dass solche populistischen Anträge nicht in die Zeit passen. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Birgitt Bender.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag muss für uns Anlass sein, über die Finanzierungsbasis der gesetzlichen Krankenversicherung zu reden. Der Sachverständigenrat hat uns bereits vor einigen Jahren darauf aufmerksam gemacht, dass die Finanzierungsbasis zu schwinden drohe, weil die Lohnquote sinkt. Denn die Finanzierungsbasis der gesetzlichen Krankenversicherung sind die beitragspflichtigen Arbeitnehmerentgelte. Wenn deren Anteil am Volkseinkommen abnimmt, dann bekommt die GKV ein Problem. Dies wirft ein Licht auf ein Strukturproblem, das darin liegt, dass die Finanzierung der Gesundheitsversorgung in unserem Land einseitig auf die Lohneinkommen ausgerichtet ist. Historisch ist dies gut zu erklären: Zunächst einmal war diese Versicherung eine reine Krankengeldversicherung; das Krankengeld wurde nach der Lohnhöhe ausgezahlt. Auch war es eine reine Arbeiterversicherung; die Arbeiter hatten bekanntlich kein anderes Einkommen als ihren Lohn. Heute aber macht das Krankengeld 5 Prozent der Leistungsausgaben aus, während 95 Prozent der GKV-Ausgaben vom Lohn unabhängig sind. Auch in der Bevölkerung hat sich etwas verändert: Die Einkommensquellen sind heute vielfältiger. Vermögenseinkommen ist nicht mehr ein Privileg weniger Reicher, sondern zum Beispiel auch für die Alterssicherung von Bedeutung. Die einseitige Ausrichtung auf die Lohneinkommen bedeutet kurzfristig aber einen Druck in Richtung Anstieg der Beiträge; langfristig führt sie dazu, dass die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung überhaupt infrage gestellt ist. Darüber hinaus stellt sich ein Gerechtigkeitsproblem, weil in unserem System nicht die Höhe des tatsächlichen Einkommens des Versicherten für die Höhe seines Beitrags maßgeblich ist. ({0}) - Herr Kollege Kolb, vielleicht sollten Sie einmal richtig zuhören. Die FDP scheint das noch nicht verstanden zu haben. Je nach Einkommensquelle kann bei gleicher Höhe des Einkommens der Beitrag durchaus unterschiedlich hoch ausfallen. Daher ist es richtig, alle Einkommensarten gleichzustellen. Dies ist der Hintergrund der Diskussion, die wir heute führen. Es geht nicht nur darum, durch die hier angesprochene Verbeitragung der Betriebsrenten kurzfristig die Beiträge zu stabilisieren, sondern es geht auch um einen Beitrag der Älteren zur nachhaltigen Finanzierung des Systems sowie um mehr Gerechtigkeit. Herr Kollege Thiele, Sie haben sicherlich die Ausführungen des Sozialgerichts München nachgelesen. ({1}) Die Richter haben uns bestätigt, dass die bis zur Gesundheitsreform geltende Besserstellung von Versorgungsempfängern dem Grundsatz der Beitragsgerechtigkeit widersprach, und dem Gesetzgeber attestiert, dass die neue Regelung weitaus eher zur Gleichbehandlung beiträgt. Die Richter haben ferner darauf hingewiesen, dass die volle Beitragspflicht für Versorgungsleistungen einen Beitrag zur Generationengerechtigkeit darstellt. Unser Argument, dass es angesichts der wachsenden Kluft zwischen Beitragseinnahmen und Leistungsausgaben innerhalb der Krankenversicherung der Rentner ein Gebot der Solidarität der Rentner mit den Erwerbstätigen ist, wenn Erstere einen höheren Finanzierungsanteil übernehmen, ist vom Gericht ausdrücklich anerkannt worden. Meine Damen und Herren, die Debatte, die wir heute führen, gibt einen Vorgeschmack auf die Debatten, die wir erleben werden, wenn wir über eine veränderte Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung in einem größeren Rahmen reden. Eines ist ganz sicher: Bei einer Debatte über eine große Reform der Krankenversicherung wird man sich nicht auf Klientelpolitik beschränken können. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Monika Brüning. Sie ist die letzte angemeldete Rednerin in dieser Debatte.

Monika Brüning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003511, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kurz nach In-Kraft-Treten der Gesundheitsreform hat die FDP mehrere Anträge in den Bundestag eingebracht, um einzelne Regelungen dieser Reform - Praxisgebühr, höhere Beitragsbelastung bei der Zusatzversorgung - rückgängig zu machen. Heute stimmen wir über den Antrag ab, der die Anhebung der Beiträge auf Versorgungsbezüge betrifft. Ich möchte auf das Vorgehen der FDP mit einem Wort aus der Bibel antworten: „Alles hat seine Zeit.“ ({0}) Die FDP hätte während der Konsensverhandlungen zur Gesundheitsreform konstruktiv mitarbeiten und ihre Kritik einbringen können. Aber, meine Damen und Herren von der FDP, was haben Sie stattdessen getan? Sie haben sich aus den Gesprächen zurückgezogen. ({1}) Als dann durch das Kommunikationschaos der rotgrünen Regierung viele Bürgerinnen und Bürger verunsichert waren, was mit der Gesundheitsreform auf sie zukomme, da trat die FDP wieder in Erscheinung. Sie forderte öffentlichkeitswirksam die Rücknahme der Praxisgebühr und der Erhebung höherer Beiträge auf Versorgungsbezüge. Ich kann mich leider des Eindrucks nicht erwehren, dass es hier um Populismus ging. ({2}) Es wäre verantwortungsvoller gewesen, sich mit den inhaltlichen Positionen in die Konsensverhandlungen einzubringen und die Reform mitzugestalten, vor allem wenn man bedenkt, dass es um ein so zentrales Thema wie die gesundheitliche Versorgung der Bürgerinnen und Bürger ging. Wir als Union haben uns der Verantwortung gestellt. Durch unsere Teilnahme an den Konsensgesprächen konnten wir sogar einige von der Regierung geplante Einschnitte für Rentner verhindern. Bundesfinanzminister Eichel hatte nämlich vor, die hälftige Zahlung des Krankenversicherungsbeitrages durch Rentenversicherungsträger und Rentner zulasten der Rentner aufzuheben. Davon konnten wir die Regierung abhalten. ({3}) Natürlich haben wir es uns nicht leicht gemacht, die Rentner mit Versorgungsbezügen zusätzlich zu belasten. Aber erinnern wir uns doch, in welcher Situation sich die gesetzliche Krankenversicherung vor der Reform befand!

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thiele?

Monika Brüning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003511, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. Wir wollen alle abstimmen. ({0}) Der durchschnittliche Beitragssatz hatte eine Schwindel erregende Höhe von über 14 Prozent erreicht. Wie wir mittlerweile außerdem wissen, hatten die Krankenkassen Schulden in Milliardenhöhe angesammelt. Die Finanzlage war insgesamt desolat. Um das System zu stabilisieren, gab es kurzfristig keine andere Wahl, als alle Beteiligten maßvoll in die Sparmaßnahmen einzubeziehen: Ärzte, Krankenkassen, Pharmaunternehmen, Versicherte und Patienten. Bei den Rentnern mit zusätzlichen Versorgungsbezügen hatten wir abzuwägen zwischen dem Vertrauensschutz einerseits und der Solidarität zwischen den Generationen andererseits. Die Frage des Vertrauensschutzes ist eine sensible Frage. Darin sind wir uns einig. Sie ist hier sicherlich nicht ganz unproblematisch. Selbstverständlich wäre es uns lieber gewesen, wenn wir mit Übergangsfristen hätten arbeiten können. Die Aussage vonseiten der FDP, dass Vertrauensschutz nicht gewahrt wurde, vermag ich jedoch bei allen Bedenken so nicht zu teilen. Grundsätzlich wird dem Gesetzgeber ein durchaus großer Gestaltungsspielraum eingeräumt, wenn es darum geht, ernste Gefahren für die sozialen Sicherungssysteme abzuwehren. Dass eine Finanzlücke von mehreren Milliarden Euro grundsätzlich hierzu zählt, dürfte unstrittig sein. Die derzeit anhängigen Musterklagen der Sozialverbände werden in der Frage des Vertrauensschutzes sicherlich Klärung bringen. Übrigens hat das Sozialgericht München mit dem Hinweis auf die intergenerative Solidarität die erste Musterklage der Sozialverbände gegen die Verdopplung der Krankenkassenbeiträge auf Versorgungsbezüge abgewiesen. Das Gericht hat am 30. November 2004 entschieden, es sei ein Gebot der Solidarität der Rentner mit den Erwerbstätigen, deren Anteil an der Finanzierung des Gesundheitswesens nicht höher steigen zu lassen. Sicherlich haben die heutigen Rentner während ihres Arbeitslebens die damaligen Rentner mitfinanziert. Das will niemand kleinreden. Aber in früheren Zeiten waren die Beitragssätze niedriger und der Umfang der Leistungsausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung erheblich geringer. Somit mussten die heutigen Rentnerinnen und Rentner nur einen kleineren Anteil der Leistungsaufwendungen finanzieren, als dies heute der Fall ist. Die Entlastungen, die den Kassen aus den zusätzlichen Einnahmen erwachsen, müssen zeitnah an die Versicherten weitergegeben werden. Die Beiträge und damit die Lohnnebenkosten müssen endlich sinken. Das sind wichtige Schritte auf dem Weg zu mehr Wachstum und Arbeit. Denn das muss ganz klar gesagt werden: Wir als Union haben der Gesundheitsreform zugestimmt, weil mit ihr ein Beitrag zur Konsolidierung der gesetzlichen Krankenversicherung und damit zur Senkung der Lohnnebenkosten erreicht werden sollte. Ein Jahr nach In-Kraft-Treten der Reform zeichnen sich schon erste Wirkungen und Erfolge ab. So erzielten die gesetzlichen Krankenkassen im ersten Halbjahr 2004 einen Überschuss von 2,4 Milliarden Euro. Leider ist trotzdem der Beitragssatz in der GKV nur um 0,1 Prozentpunkte zurückgegangen. Das liegt auch an der Finanzsituation der Kassen. Gesundheitsministerin Schmidt hatte in den Konsensgesprächen die Gesamtverschuldung für Ende 2003 noch mit 4 Milliarden Euro angegeben. 2004 wurden dann Berechnungen der Bundesbank bekannt, nach denen es sich um etwa 8 Milliarden Euro handelte. Hier hat das Bundesgesundheitsministerium also mit falschen Zahlen operiert. Das ist nicht akzeptabel und fördert sicher nicht das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Zahlenkünste der rotgrünen Regierung. ({1}) An die Vorgabe, die Rentnerinnen und Rentner nicht weiter zu belasten, hat sich Rot-Grün jedoch nicht gehalten. Die nachgelagerte Besteuerung der Renten, die Verdoppelung des Beitrags zur Pflegeversicherung, die Nullrunden bei der Rente bedeuten eine zusätzliche Belastung der einzelnen Rentner. Wir als Union haben daher Ende November 2004 den Antrag „Wirkungen und Nebenwirkungen des GKV-Modernisierungsgesetzes“ in den Bundestag eingebracht. Darin fordern wir von der Gesundheitsministerin eine kritische Bestandsaufnahme der Gesundheitsreform. Für die Empfänger von Versorgungseinkünften muss geprüft werden, ob gesetzliche Regelungen erforderlich sind, die eine zeitnahe Weitergabe von Beitragssatzänderungen sicherstellen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zu einer Kurzintervention erhält der Abgeordnete Thiele das Wort.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich werde mich kurz fassen. - Sehr geehrte Frau Brüning, nachdem Sie dargestellt haben, wie gut die Gesundheitsreform war, verstehe ich nicht, dass die Union im November einen Antrag mit dem Titel „Wirkungen und Nebenwirkungen des GKV-Modernisierungsgesetzes - Kritische Bestandsaufnahme“ eingebracht hat. Wir haben uns in dem Antrag, der gleich zur Abstimmung stehen wird, ausschließlich auf einen Punkt konzentriert. In Ihrem Antrag, zu dem nur wenige Vorredner in der Sache gesprochen haben, haben Sie ausgeführt - ich zitiere -: Es ist gerechtfertigt, die Regelungen zur Erhebung von Beiträgen auf Betriebsrenten und Direktversicherungen im Hinblick auf deren Auswirkungen und unter dem Aspekt der Wahrung des Vertrauensschutzes durch die Verfassungsressorts prüfen zu lassen und den Deutschen Bundestag über das Ergebnis der Prüfung zu unterrichten. Wenn Sie keine Bedenken hätten, dann hätten Sie diesen Antrag nicht stellen müssen. Wenn Sie aber diese Bedenken haben, dann könnten Sie unserem Antrag zustimmen, weil sie durch seine Annahme ausgeräumt werden würden. ({0}) An dieser Stelle abschließend ein Wort an die Regierung: Wenn das Justizministerium bei der Gesundheitsreform geschlafen hat, dann vermute ich, dass die Antwort auf Ihren Antrag nicht anders ausfallen wird, als sie bisher ausgefallen ist. Die einzige Regelung, diesen Vertrauensbruch rückgängig zu machen und neue, dann aber differenzierte, detailgenaue Beratungen aufzunehmen, bestünde darin, diesen Teil zurückzunehmen und über diesen Aspekt neu zu beraten. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Möchten Sie antworten, Frau Kollegin Brüning? Nein. Dann schließe ich damit die Debatte. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung auf Drucksache 15/4451 zum Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Zusätzliche Krankenund Pflegeversicherungsbeiträge bei Versorgungsbezügen durch das GKV-Modernisierungsgesetz rückgängig machen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/2472 abzulehnen. Die Fraktion der FDP hat namentliche Abstimmung verlangt. Jetzt müssen Sie also über die Beschlussempfehlung des Ausschusses abstimmen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Ist das geschehen? Sind alle Plätze besetzt? - Dann eröffne ich jetzt die Abstimmung. Darf ich hören, ob ein Mitglied des Hauses anwesend ist, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? ({0}) - Das ist offensichtlich der Fall. Dann warte ich noch ei- nen Moment. Zweiter Versuch: Ist ein Mitglied des Hauses anwe- send, das noch nicht abgestimmt hat? - Ich sehe nicht, dass sich jemand meldet. Dann schließe ich die Abstim- mung.1) Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Wir setzen die Beratungen fort. Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Seemannsgesetzes - Drucksache 15/4638 ({1}) a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({2}) - Drucksache 15/4744 - Berichterstattung: Abgordnete Anette Kramme b) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 15/4745 - Berichterstattung: Abgordnete Volker Kröning 1) Ergebnis Seite 14458 A Hans-Joachim Fuchtel Anja Hajduk Otto Fricke Die Abgeordneten Wetzel, Börnsen ({4}), Kurth und Goldmann sowie der Parlamentarische Staatssekretär Andres haben darum gebeten, ihre Reden zu Protokoll geben zu dürfen. Sind Sie damit einverstanden, dass wir so verfahren? - Dann machen wir das so. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Seemannsgesetzes. Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4744, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Darf ich das Stimmverhalten der CDU/CSU erfahren, oder stimmen Sie nicht mit ab? - Es geht um den Gesetzentwurf zur Änderung des Seemannsgesetzes. Stimmt die CDU/CSU zu? - Es wäre doch schade gewesen, wenn Sie nicht abgestimmt hätten. Wer stimmt dagegen? Gibt es Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig, mit den Stimmen des ganzen Hauses, angenommen worden. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Stimmt jemand dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Gesetzentwurf auch in der dritten Beratung einstimmig angenommen worden. Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kretschmer, Ernst Hinsken, Dr. Peter Ramsauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Mineralölsteuerentwicklung und Tanktourismus - Drucksache 15/4387 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({5}) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Otto Bernhardt. ({6}) ({7})

Otto Bernhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei diesem Tagesordnungspunkt geht es um negative Nebenwirkungen der Ökosteuer. Sie wissen, die rot-grüne Mehrheit in diesem Hause hat 1999 im Alleingang die Ökosteuer eingeführt. Unsere Auffassung war von Anfang an, dass man so etwas nur EU-weit machen kann oder es lassen sollte. ({0}) Leider sind Sie unseren Argumenten nicht gefolgt. Ich sage mit aller Deutlichkeit: Einer der Gründe, warum das Wirtschaftswachstum in Deutschland in den letzten Jahren deutlich niedriger war als in der Mehrzahl der anderen EU-Länder, ist die falsche Entscheidung Ihrer Mehrheit für die Ökosteuer. ({1}) Heute geht es um einen Teilaspekt dieses Themas, der unter der Überschrift „Tanktourismus“ bekannt ist. Durch die Ökosteuer ist der Dieselkraftstoff in Deutschland der teuerste innerhalb der EU und bei den Benzinpreisen sind wir die Nummer zwei. Die Abweichungen zu benachbarten Staaten betragen bis zu 25 Cent bzw. 50 Pfennig pro Liter. Das heißt, wer über die Grenze fährt, hat die Möglichkeit, bei einer Tankfüllung 12,50 Euro zu sparen. ({2}) Es kann nicht überraschen, dass dies in einzelnen Regionen dazu geführt hat, dass Tausende von Bürgern kurz über die Grenze fahren und dort tanken. Die Folgen davon sind zum Teil katastrophal: Erstens. Über 100 Tankstellen in diesen Regionen sind inzwischen kaputtgegangen. Das bedeutet die Vernichtung von über 100 Existenzen. ({3}) Wenn wir nichts unternehmen, werden in diesem Jahr weitere 100 oder 200 Tankstellen in den Grenzregionen schließen müssen. ({4}) Zweitens. Mehr als 1 000 Arbeitsplätze sind durch diese Maßnahme vernichtet worden und wenn wir nicht bald handeln, werden weitere Arbeitsplätze vernichtet. ({5}) Ein dritter Punkt müsste insbesondere die Grünen nachdenklich stimmen: Natürlich führt dieser Tourismus zu Staus an den jeweiligen Grenzen und damit zu erheblichen Belastungen der Anwohner und der Umwelt. Gerade in den letzten Monaten hat es wiederholt enorme Protestaktionen gegeben. Schließlich ein Punkt, der den Finanzminister besonders interessieren müsste: ({6}) Die Steuerverluste liegen bei rund 1 Milliarde Euro im Jahr. Das, meine Damen und Herren, sind die Fakten! ({7}) Nun gibt es natürlich auch in den Grenzregionen anderer Länder ähnliche Probleme, wenn sie auch nicht so gravierend sind, weil die Benzin- und Dieselpreise dort nicht ganz so hoch sind. Wie Sie wissen, hat Italien als erstes Land reagiert und gibt seinen Bürgern besondere Möglichkeiten, im Grenzbereich günstiger Benzin einzukaufen. Frankreich plant eine ähnliche Regelung. Es kann nicht überraschen, dass in manchen betroffenen Gemeinden alle politischen Parteien dafür sind, dass bei ihnen besondere Lösungen eingeführt werden. Auch wenn es nicht unbedingt populär ist, sage ich als Finanzpolitiker dazu ganz deutlich: Nein. ({8}) Wir können nicht auf der einen Seite immer kritisieren, dass die Steuergesetzgebung zu kompliziert ist, und einen Subventionsabbau fordern und auf der anderen Seite durch solche Insellösungen neue Subventionen und in erheblichem Umfang auch eine neue Bürokratie beschließen. ({9}) Deshalb kann unsere Antwort nur sein - dies steht auch in unserem Antrag; wir bitten, ihm zuzustimmen -: Die Bundesregierung muss endlich handeln. Sie muss auf die EU-Länder einwirken, sodass die Steuern auf Benzin und Diesel stärker vereinheitlicht werden. Nur so kann man das Problem ordnungspolitisch vernünftig lösen. ({10}) Der Finanzminister hat sich im Rahmen einer Kleinen Anfrage sinngemäß geäußert, dass man wartet, bis die anderen auf dem gleichen Steuerniveau sind. Das wird nichts. Wir werden eine Vereinheitlichung nur erreichen, wenn wir mit unseren Steuern ein Stück heruntergehen. Abschließend sage ich: Wenn hier nicht bald gehandelt wird, dann werden noch in diesem Jahr einige 100 Existenzen mehr kaputtgehen und einige 1 000 Arbeitsplätze gefährdet. Dies kann nicht unser Ziel sein. Deshalb lautet unserer Bitte: Stimmen Sie unserem Antrag zu, mit dem wir die Bundesregierung auffordern, endlich zu handeln. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bevor wir die Debatte fortsetzen, gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung zum Antrag der Abgeordneten Dr. Thomae, Detlef Parr, Heinrich L. Kolb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP mit dem Titel Vizepräsident Dr. Norbert Lammert „Zusätzliche Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge bei Versorgungsbezügen durch das GKV-Modernisierungsgesetz rückgängig machen“ bekannt. Abgegebene Stimmen 527. Mit Ja haben gestimmt 486, mit Nein haben gestimmt 41, Enthaltungen gab es keine. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 526; davon ja: 485 nein: 41 Ja SPD Dr. Lale Akgün Gerd Andres Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr ({0}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel ({1}) Klaus Barthel ({2}) Sören Bartol Sabine Bätzing Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Petra Bierwirth Lothar Binding ({3}) Kurt Bodewig Gerd Friedrich Bollmann Willi Brase Bernhard Brinkmann ({4}) Hans-Günter Bruckmann Marco Bülow Ulla Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Marion Caspers-Merk Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Peter Dreßen Elvira Drobinski-Weiß Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Martina Eickhoff Marga Elser Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Lilo Friedrich ({5}) Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Renate Gradistanac Angelika Graf ({6}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Wolfgang Grotthaus Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({7}) Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Monika Heubaum Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({8}) Walter Hoffmann ({9}) Iris Hoffmann ({10}) Frank Hofmann ({11}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Ulrich Kelber Hans-Peter Kemper Lars Klingbeil Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Dr. Heinz Köhler Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Horst Kubatschka Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({12}) Christine Lehder Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Caren Marks Hilde Mattheis Ulrike Mehl Petra-Evelyne Merkel Ulrike Merten Angelika Mertens Ursula Mogg Michael Müller ({13}) Christian Müller ({14}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Volker Neumann ({15}) Dietmar Nietan Dr. Erika Ober Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Reinhold Robbe René Röspel Karin Roth ({16}) Michael Roth ({17}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({18}) Thomas Sauer Anton Schaaf Axel Schäfer ({19}) Gudrun Schaich-Walch Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Horst Schmidbauer ({20}) Ulla Schmidt ({21}) Silvia Schmidt ({22}) Dagmar Schmidt ({23}) Heinz Schmitt ({24}) Carsten Schneider Olaf Scholz Karsten Schönfeld Fritz Schösser Wilfried Schreck Ottmar Schreiner Brigitte Schulte ({25}) Reinhard Schultz ({26}) Swen Schulz ({27}) Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Erika Simm Dr. Cornelie SonntagWolgast Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Dr. Peter Struck Joachim Stünker Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Ute Vogt ({28}) Dr. Marlies Volkmer Hans Georg Wagner Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Jürgen Wieczorek ({29}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Brigitte Wimmer ({30}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Waltraud Wolff ({31}) Heidi Wright Vizepräsident Dr. Norbert Lammert Uta Zapf Manfred Helmut Zöllmer Dr. Christoph Zöpel CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Altmaier Artur Auernhammer Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({32}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Dr. Rolf Bietmann Clemens Binninger Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({33}) Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Helge Braun Georg Brunnhuber Verena Butalikakis Hartmut Büttner ({34}) Cajus Julius Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Anke Eymer ({35}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({36}) Dirk Fischer ({37}) Axel E. Fischer ({38}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({39}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Georg Girisch Michael Glos Ralf Göbel Dr. Reinhard Göhner Josef Göppel Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Kurt-Dieter Grill Reinhard Grindel Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Gerda Hasselfeldt Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Ursula Heinen Siegfried Helias Uda Carmen Freia Heller Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Robert Hochbaum Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Peter Jahr Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Irmgard Karwatzki Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({40}) Volker Kauder Gerlinde Kaupa Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Kristina Köhler ({41}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Thomas Kossendey Rudolf Kraus Günther Krichbaum Günter Krings Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Werner Kuhn ({42}) Dr. Karl A. Lamers ({43}) Helmut Lamp Barbara Lanzinger Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Ursula Lietz Walter Link ({44}) Dr. Michael Luther Dorothee Mantel Erwin Marschewski ({45}) Stephan Mayer ({46}) Dr. Conny Mayer ({47}) Dr. Martin Mayer ({48}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Laurenz Meyer ({49}) Doris Meyer ({50}) Maria Michalk Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller ({51}) Bernward Müller ({52}) Bernd Neumann ({53}) Henry Nitzsche Michaela Noll Claudia Nolte Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Melanie Oßwald Eduard Oswald Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Christa Reichard ({54}) Katherina Reiche Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Hannelore Roedel Franz Romer Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({55}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({56}) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Andreas Scheuer Georg Schirmbeck Angela Schmid Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({57}) Andreas Schmidt ({58}) Dr. Andreas Schockenhoff Bernhard Schulte-Drüggelte Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Matthias Sehling Heinz Seiffert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Erika Steinbach Christian von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({59}) Lena Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Edeltraut Töpfer Arnold Vaatz Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marko Wanderwitz Peter Weiß ({60}) Gerald Weiß ({61}) Ingo Wellenreuther Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Matthias Wissmann Werner Wittlich Elke Wülfing Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller Willi Zylajew BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({62}) Volker Beck ({63}) Cornelia Behm Matthias Berninger Grietje Bettin Alexander Bonde Ekin Deligöz Jutta Dümpe-Krüger Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Katrin Göring-Eckardt Winfried Hermann Ulrike Höfken Michaele Hustedt Jutta Krüger-Jacob Fritz Kuhn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth ({64}) Dr. Reinhard Loske Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({65}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Friedrich Ostendorff Claudia Roth ({66}) Krista Sager Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt ({67}) Werner Schulz ({68}) Petra Selg Ursula Sowa Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Jürgen Trittin Vizepräsident Dr. Norbert Lammert Marianne Tritz Dr. Antje Vogel-Sperl Dr. Ludger Volmer Margareta Wolf ({69}) Fraktionslose Abgeordnete Martin Hohmann Nein FDP Daniel Bahr ({70}) Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Helga Daub Ulrike Flach Otto Fricke Horst Friedrich ({71}) Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({72}) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Christel Happach-Kasan Ulrich Heinrich Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Markus Löning Dirk Niebel Günther Friedrich Nolting Hans-Joachim Otto ({73}) Eberhard Otto ({74}) Detlef Parr Gisela Piltz Dr. Andreas Pinkwart Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Jürgen Türk Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Wir setzen die Debatte zum Tagesordnungspunkt 9 fort. Ich erteile das Wort der Kollegin Ingrid ArndtBrauer, SPD-Fraktion.

Ingrid Arndt-Brauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003422, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, der vorliegende Antrag „Mineralölsteuerentwicklung und Tanktourismus“ ist einer aus der langen Serie „Ökosteuer - nein danke“ vonseiten der CDU/CSU, die wir jedes Jahr - anfangs mehrmals im Jahr, im Moment gibt es, so glaube ich, nur einen pro Jahr - auf den Tisch bekommen. ({0}) Ich denke, es wird langsam langweilig. Ich warte vor allen Dingen immer noch auf eine Aussage darüber, wie Sie die 10 Milliarden Euro, die zum Beispiel im Jahr 2003 in die Rentenkasse geflossen sind, aufbringen wollen. Dazu habe ich noch keinen Vorschlag gehört. Vielleicht machen Sie sich darüber einmal Gedanken und sagen Sie uns das im nächsten Jahr. ({1}) Zurück zum Antrag. Es ist richtig, dass es die Ökosteuer gibt. Dadurch erhöhten sich die Spritpreise im Laufe der Jahre um 18 Cent. ({2}) Wir wollen aber nicht ganz vergessen, dass die Spritpreise zwischen 1989 und 1994 um 28 Cent erhöht wurden. Diese 28 Cent sind in dem aktuellen Preis noch enthalten. ({3}) Sie schreiben in Ihrem Antrag weiter, dass beachtliche Steuereinnahmen verloren gehen, weil die Leute im Ausland tanken. Ich darf Ihnen kurz erklären, wie das in meinem Wahlkreis ist, der im nördlichen Münsterland an der niederländischen Grenze liegt. ({4}) - Genau, das ist eine schöne Gegend. - Dort ist es üblich, dass die Bevölkerung der Niederlande zu uns herüberfährt - Frau Wülfing wird das wissen - und bei uns Benzin und Super tankt, während die Bevölkerung aus dem Münsterland in die Niederlande fährt und dort Diesel tankt. ({5}) Die jugendliche Bevölkerung aus dem Münsterland fährt in die Niederlande, um Klamotten zu kaufen, während die niederländische Bevölkerung ins Münsterland fährt, um Lebensmittel zu kaufen. ({6}) Es ist also ein munteres Hin- und Hergefahre, das die Straßen natürlich belastet - das ist keine Frage -, aber den kleinen Grenzverkehr am Laufen hält und, so denke ich, uns alle bereichert. ({7}) Sie haben Lösungen angesprochen, die im Ausland praktiziert werden. Ein Beispiel dafür ist Italien. Die Ausnahmeregelung mit Drittstaaten in Italien läuft aus. Nach meinen Erkenntnissen gibt es auch keine Aussicht auf Verlängerung. Da Deutschland von wenig Drittstaaten umgeben ist, wird bei uns die italienische Regelung nicht zum Erfolg führen. Sie haben als weiteres Beispiel Frankreich angeführt. Frankreich hat die Genehmigung bekommen, die Preise regional um höchstens 3,54 Cent zu senken. Dabei geht es allerdings nicht um die Grenzregionen. Wenn Sie in meinen Wahlkreis fahren - ich habe wie Frau Wülfing einen Flächenwahlkreis -, wird Ihnen auffallen: Der Unterschied beim Spritpreis macht mehr als 3,54 Cent aus. Mir selber passiert oft Folgendes: Ich fahre in einen Ort hinein und sehe, dass der Diesel 93,9 Cent kostet. Da ich etwas knapp in der Zeit bin, nehme ich mir vor, auf dem Rückweg zu tanken. Anderthalb Stunden später beträgt der Dieselpreis schon 98,9 Cent. Ich denke, solche Erlebnisse haben auch Sie. Diese Preissprünge sind wesentlich höher als das, was die Franzosen regional ausgleichen wollen. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Scheuer?

Ingrid Arndt-Brauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003422, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Andreas Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003625, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, es ist wunderbar und sehr nett, wenn Sie aus der Lebenswirklichkeit Ihres Wahlkreises erzählen. ({0}) Ich bestreite auch nicht, dass Ihre Region schön ist. Aber ich frage Sie: Sind Sie schon einmal im Grenzgebiet zu Österreich gewesen?

Ingrid Arndt-Brauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003422, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Andreas Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003625, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sind Sie schon einmal im Grenzgebiet zu Tschechien gewesen? Sind Sie schon einmal im Grenzgebiet zu Polen gewesen? Wissen Sie, dass unsere Städte, die an der Grenze liegen, massiv belastet sind? Ich komme aus der unnachahmlich schönen Region Passau. Bereits 6 bis 7 Kilometer vor der Grenze zu Tschechien bilden sich in der Altstadt Autoschlangen zur Tankstelle, weil aus dem Zollhäuschen an der Grenze in Passau leider eine Tankstelle gemacht wurde. Wie reagieren Sie darauf? Diese Lebenswirklichkeit könnten Sie auch einmal in Ihre Überlegungen einbeziehen. Mich interessiert, was Sie bzw. die Bundesregierung dagegen machen wollen.

Ingrid Arndt-Brauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003422, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Kollege, ich kenne Passau sehr gut, Ich habe selber sechs Jahre in Bayern gelebt. ({0}) Aber ich möchte dazu anmerken: An der österreichischen Grenze wird wahrscheinlich nur getankt; im Grenzgebiet in Polen wird zudem noch eingekauft. Das können wir wohl nur verhindern, wenn wir die Grenzen wieder dichtmachen. Das wollen Sie sicherlich nicht. ({1}) Es gibt ein Gefälle zu den Ländern im Osten und teilweise zu den Ländern im Süden, das sich aber nicht nur beim Tanken bemerkbar macht. Dieses Gefälle kann man in meinen Augen - das haben Sie in Ihrem letzten Punkt vorgeschlagen - nur durch eine Harmonisierung ausgleichen. Die Harmonisierung der Steuersätze ist das Endziel. Das wird auch irgendwann kommen. Wenn wir die Ökosteuer absenken, wird es den Tourismus weiterhin geben. Schließlich wird im Nachbarland nicht nur getankt. Ihr Antrag greift nur einen viel zu kleinen Teil des Problems heraus; er löst also das Problem als solches nicht. ({2}) Zu dem, was Sie ansprechen, kann ich nur sagen: Wir können zwar den Spritpreis beeinflussen. Aber ich garantiere Ihnen, dass die Industrie die Preise durchsetzt, die sie am Markt erzielen kann. Das ist auch in den Nachbarländern so. Das wird dazu führen, dass in den Nachbarländern die Spanne immer kleiner wird, weil sich so die Mineralölgesellschaften einen größeren Gewinn verschaffen können. Wenn wir die Preise senken, wird das nicht dazu führen, dass keiner mehr zum Tanken ins Ausland fährt. Im Gegenteil: Die Spannen werden bleiben. Es wird immer Unterschiede geben. Die Unterschiede gibt es bereits innerhalb einer Stadt. Ich wundere mich immer wieder - das ist aber Fakt -, dass Tankstellen in räumlicher Nähe Preise mit einem Unterschied von 3 Cent am Markt durchsetzen können. Sie sind doch eigentlich auf der Seite der Deregulierer und da sollten Sie auch bleiben.Wir machen es ähnlich: Wir lassen alles, wie es ist. ({3}) Wir freuen uns, wenn ({4}) Menschen aus den Nachbarländern zu uns einkaufen kommen. Menschen aus dem gesamten Norden Europas kaufen bei uns Alkoholika ein. Dagegen haben Sie anscheinend nichts einzuwenden und fordern nicht irgendwelche Sondersteuern. ({5}) Wir hoffen auf eine zügige Umsetzung der Energiesteuerrichtlinie durch die benachbarten Mitgliedstaaten. Wir denken, es wird über kurz oder lang eine Harmonisierung geben. Darauf freuen wir uns. ({6}) Bis dahin werden wir mit der Ökosteuer ebenso gut leben wie in den vergangenen Jahren. Vielleicht fällt Ihnen nächstes Jahr, wenn Sie einen Antrag zur Ökosteuer stellen, auch etwas zur Gegenfinanzierung ein. ({7}) Darauf freuen wir uns alle. In diesem Sinne: Einen schönen Abend noch. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Joachim Günther für die FDP-Fraktion.

Joachim Günther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000750, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Stellen Sie sich einmal vor, Sie wohnen in einer grenznahen Region und im Nachbarland ist vieles wesentlich billiger, das Einkaufen, wie in Polen, oder das Tanken, wie in fast allen Ländern um uns herum. Das Ganze verbinden Sie dann noch mit einem schönen Familienausflug und schon scheinen alle glücklich zu sein. Aber der Schein trügt. Das ist das Problem: Dadurch kommt zwar ein Teil unserer Bevölkerung in eine günstige Situation, aber ein anderer Teil wird in eine existenzielle Krise gestürzt. Unserem Land gehen allein durch den Tanktourismus - das kann man der Presse entnehmen - im Jahr rund 1,5 Milliarden Euro verloren. ({0}) Deutschlands Steuerpolitik erlebt ein weiteres Desaster. Ich nenne die rund 5 000 Arbeitsplätze im Tankstellengewerbe und, was in Ihrem Antrag, der sich auf Tankstellen bezieht, natürlich nicht enthalten ist, den Bereich Handel, Handwerk und Gewerbe. Sie sind durch diese ideologisch verbohrte Steuerpolitik von Rot-Grün bedroht. Kaum ist die Maut - hier muss man sagen: bisher ohne Kompensation - auf den Weg gebracht, schon sprechen unsere so genannten Ökogutmenschen von einer weiteren Verteuerung im Mineralölbereich. ({1}) Diese Unterschiede, die zu den Nachbarländern bestehen, hat mein Kollege von der CDU/CSU bereits dargelegt. Die menschlichen Schicksale, die viele unserer Bürger im grenznahen Raum erleiden müssen, scheinen einigen hier ein kleineres Übel zu sein als das Eingeständnis, ({2}) dass diese Ökosteuer eine verfehlte Politik war. Als ich vor Monaten die erste Sonderregelung für grenznahe Gebiete forderte, verschanzte man sich hinter der typischen Ausrede, das sei mit der EU nicht machbar. Inzwischen schlagen aber andere Bereiche ebenfalls Alarm. Schauen Sie sich die Einzelhändler, die Gastronomen, die Bäcker an: Viele sind durch diesen Tanktourismus unmittelbar in Mitleidenschaft gezogen worden und viele kämpfen um ihre Existenz. Nun kann man allgemein dazu sagen, dass es das schon immer gab, dass im Ausland Dinge billiger als hier sind; aber diese Antwort ist zu leicht. Es mag sein, dass es Preisunterschiede gibt; es mag sein, dass es Gehaltsunterschiede gibt. Die Grenzen wollen wir deshalb nicht dichtmachen. Aber die Steuerunterschiede, die hier hervorgerufen wurden, hat Deutschland allein zu verantworten. Wir haben die Chance, hieran etwas zu ändern. ({3}) Vor allem die Ökosteuer - sie ist bereits mehrfach angesprochen worden - hat sich inzwischen zu einem Bumerang und zu einem Preistreiber für unsere Wirtschaft entwickelt. Es ist endlich Zeit, auf diesem Weg umzukehren und Veränderungen herbeizuführen. Beim Tanktourismus heißt das: Abschaffung der Ökosteuer, um konkurrenzfähig zu werden. Wenn das aufgrund des Haushaltes im Moment nicht möglich ist, dann muss man, selbst wenn es bürokratisch ist, einen Sonderweg gehen. Die Italiener haben es uns in einer schwierigen Situation vorgemacht, wenn auch die Maßnahme vielleicht nicht verlängert wird; aber sie haben erst einmal geholfen. Das ist ein Punkt, den wir angehen müssen. Sie sind einfach kreativer in Brüssel. In Frankreich diskutiert man über ähnliche Dinge. Wer genau hinschaut, weiß, was sie im Hinterkopf haben. Auch sie wollen diesen Tanktourismus abschöpfen. Aus unserer Sicht sind Sonderregelungen nicht der große Wurf. Wir brauchen eine radikale Steuerreform, damit es in unserem Land wieder vorangeht. Unsere Fraktion hat dafür ein Modell vorgelegt. Die Chance zum Neuanfang - das werden wir deutlich machen wird 2006 sein. Bis dahin werden aber noch viele Menschen in den Grenzregionen einiges Leid ertragen müssen. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, umgehend Maßnahmen zu ergreifen, um den Steuerabfluss zu verhindern und die Energiekosten in Deutschland wieder auf ein europäisch verträgliches Maß zu bringen. Danke schön. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Peter Hettlich, Bündnis 90/Die Grünen.

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wieder einmal - zum wievielten Mal eigentlich? ({0}) steht das Thema Ökosteuer, dieses Mal in Verbindung mit dem Tanktourismus, auf der Tagesordnung. Gerechtfertigt wird die erneute Diskussion seitens der Opposition mit einer Korrelation zwischen Ökosteuer, Tanktourismus und dem Wegfall von Arbeitsplätzen in grenznahen Regionen. Einer genauen Betrachtung hält diese Behauptung allerdings nicht stand, schon gar nicht dann, wenn die Aspekte gesamtwirtschaftlich betrachtet werden. Zwischen den Jahren 1989 und 1994 wurde die Mineralölsteuer, wie die Kollegin von der SPD-Fraktion eben schon gesagt hat, durch die damalige Bundesregierung Kohl um umgerechnet 28 Cent erhöht. Begründet wurde diese Maßnahme damit, dass die einigungsbedingten Zusatzkosten für die Modernisierung und Erweiterung der Verkehrsinfrastruktur in den neuen Bundesländern diese Erhöhung erforderlich mache. ({1}) So weit, so gut. Ich kann mich jedenfalls nicht mehr an große Proteste in der Öffentlichkeit erinnern, obwohl der damalige Betrag das Doppelte der von Ihnen ach so gescholtenen Ökosteuer ausmachte. ({2}) - Das ist doch Quatsch. - Diese Steuererhöhung wurde damals akzeptiert, weil die Einsicht vorhanden war, dass die Wiedervereinigung nicht zum Nulltarif zu haben war und deshalb auch außergewöhnliche Anstrengungen seitens der Steuerzahler wie die Einführung des Solidarzuschlag erforderlich waren. Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, dass der Kollege Michelbach von der CSU noch in der letzten Woche die sofortige totale Abschaffung des Solidarzuschlags gefordert hat. Damit hätten wir dann eine weitere Lücke. Wir schaffen die Ökosteuer ab, wir schaffen den Solidarzuschlags ab. Dann sind wir bei einer Lücke von 20 Milliarden Euro angekommen. Allerdings müssen Sie mir erklären, wie Sie das gegenfinanzieren wollen. Bei der Sozialversicherung hat die Regierung Kohl der Mut verlassen. Da waren Sie nicht konsequent. Sie haben nicht, wie es hätte sein müssen, die einigungsbedingten Mehrkosten bei der Sozialversicherung über Steuern finanziert, sondern haben die Beiträge weiter erhöht. Seit 1989 sind die Sozialversicherungsbeiträge um insgesamt 7 Prozent gestiegen. Damit wurde der Faktor Arbeit erheblich verteuert. Das trug zu einem nicht unerheblichen Teil zu den aktuellen Problemen am Arbeitsmarkt bei. Unabhängig davon haben wir als Grüne schon lange vor der Endlichkeit der Erdölreserven und den negativen Folgen der verkehrsbedingten Emissionen gewarnt. Lange Zeit hat sich aber nichts geändert. ({3}) - Warten Sie mal ab! - Der Mineralölverbrauch und damit auch die Emission klimaschädlicher Gase stiegen weiter an. Wir haben uns im Jahre 1998 mit unserem Koalitionspartner SPD darauf verständigt, diesem Prozess durch ein geeignetes Lenkungsinstrument entgegenzuwirken, statt dabei einfach nur weiter zuzusehen. ({4}) Mit der Ökosteuer ist uns dies in zweierlei Hinsicht gelungen. Zum einen stagnieren die Jahresfahrleistungen und der Mineralölverbrauch in Deutschland bzw. steigen nur noch in geringem Maße. Zum anderen wurden die Einahmen aus der Ökosteuer dazu verwendet, den Rentenversicherungsbeitrag zu senken und auf einem Niveau von derzeit 19,5 Prozent zu halten. ({5}) Daran, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten Sie sich immer erinnern, wenn Sie die hohen Differenzen bei der Mineralölbesteuerung zwischen Deutschland und einigen unserer Nachbarländer beklagen. Nun zum Thema Tanktourismus. Das ist kein neues Thema; denn das war schon vor 1989 ein Thema in den Grenzgebieten von Luxemburg, die ich recht gut kenne. Daran hat sich bis heute nichts geändert, wobei der Tanktourismus im Bereich von Luxemburg natürlich lokal begrenzt ist. ({6}) Anders sieht es in den Grenzgebieten von Polen und der Tschechischen Republik aus. Hier besteht auf den ersten Blick zunächst einmal ein mengenmäßig größeres Problem. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben Sie sich schon einmal überlegt, was die Tankpreise in Polen oder in der Tschechischen Republik für die dortige Bevölkerung bedeuten? Für die sind das beileibe keine günstigen Treibstoffpreise. Würde man das Durchschnittseinkommen der Polen oder der Tschechen zu den dortigen Treibstoffpreisen in Relation setzen, dann erhielte man einen Äquivalenzpreis, der in Deutschland einem Preis von 2,50 Euro pro Liter entspräche. ({7}) - Rechnen Sie das einfach einmal nach! Aber das kriegen Sie offenbar nicht hin. ({8}) Wollen Sie allen Ernstes, dass in Polen und in der Tschechischen Republik die Mineralölsteuer auf das deutsche Niveau angehoben wird? - Nein, das wollen Sie nicht. Aber Sie wollen die Ökosteuer abschaffen; denn Tanksonderzonen wollen Sie ja nicht. Das hat der Kollege Bernhardt eben ausgeschlossen. Dann sollten Sie den Bürgerinnen und Bürgern aber auch reinen Wein einschenken und ihnen sagen, dass dann eben demnächst mit Rentenversicherungsbeiträgen von mehr als 21 Prozent zu rechnen ist, und sollten sagen, welche Wirkungen auf die Arbeitsplätze eintreten würden. Sie wissen doch genau, dass eine Senkung der Beiträge um 1 Prozentpunkt zwischen 30 000 und 60 000 Arbeitsplätze schafft. Umgekehrt würde eine Steigerung der Beiträge also zwischen 30 000 und 60 000 Arbeitsplätze vernichten. Haben Sie darauf eine Antwort? - Nein. Wann stellen Sie eigentlich eine Anfrage zum Friseurtourismus, zum Lebensmitteltourismus, zum Biertourismus? Mir fallen auch noch andere grenznahe Dienstleistungen ein, die ich jetzt aber nicht benennen will. ({9}) Wollen Sie auch dafür Sonderregelungen oder Chipkarten haben? - Nein, auch das wollen Sie nicht. Sie fordern in Ihrem Antrag immer noch die Einführung des italienischen Chipkartenmodells, obwohl Sie wissen, dass die EU-Energierichtlinie dieses Modell gar nicht mehr zulässt. Sie haben keine Antworten auf diese Fragen. Das erinnert mich an meine alte Englischlehrerin, die in solchen Fällen immer sagte: Kommen Sie mir bloß nicht mit Argumenten! Danke schön. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die letzte Bemerkung war sicherlich keine Aufforderung an den letzten Redner in dieser Debatte. Das Wort hat der Kollege Ernst Hinsken für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Für den tausendfachen Tanktourismus in der Bundesrepublik Deutschland ({0}) trägt einzig und allein die Bundesregierung die Verantwortung. ({1}) Insbesondere der Tanktourismus im Grenzland brennt uns auf den Nägeln. Wir bekommen fast täglich Hilferufe betroffener Tankstellen. Monat für Monat schließen Tankstellen in diesen Regionen. Nach Angaben des Mineralölwirtschaftsverbandes sind bisher insgesamt 300 Tankstellen von der Schließung betroffen. Umsatzeinbrüche von bis zu 80 Prozent sind keine Seltenheit.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Hinsken, schon zu diesem frühen Zeitpunkt möchte der Kollege Rose Ihnen eine Zwischenfrage stellen.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Trotz der Überraschung wird die Zwischenfrage genehmigt. - Bitte schön, Herr Kollege.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Da er mit seiner Feststellung Recht hat, dass einzig und allein die Bundesregierung die Schuld trägt, möchte ich den lieben Kollegen Hinsken fragen, ob er bereit wäre, zu bestätigen, dass die CSULandesgruppe spätestens seit der Verabschiedung des rot-grünen Gesetzes zum Einstieg in die ökologische Steuerreform vom 24. März 1999 auf die schädlichen Auswirkungen auf die Wirtschaft - besonders auf die Energie verbrauchende Wirtschaft - aufmerksam gemacht hat, dass auch ich persönlich in vielen parlamentarischen Anfragen - beispielsweise im Januar 2003, im August 2003, ({0}) im Januar 2004, im März 2004 oder im Juni 2004 - ein Umdenken der Bundesregierung wegen des Riesenproblems des Tanktourismus gefordert habe und dass die Bundesregierung bisher alle entsprechenden Vorstöße und Vorschläge kaltherzig abgeschmettert hat? ({1}) Wären Sie bereit, das zu bestätigen? Ein klares Ja reicht mir.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich, Herr Kollege Rose. Sie treffen den Nagel auf den Kopf. Die Probleme des Grenzlands und auch der Tankstellenbesitzer wurden ebenso wie die Belastung durch die Ökosteuer von der Bundesregierung bisher immer wieder negiert. Deshalb pflichte ich Ihnen bei, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist, dass die Unternehmen in Deutschland - gerade auch mittelständische Betriebe im Grenzland - jährlich bis zu 60 Milliarden Euro zusätzlich aufbringen müssen. Das ist eine Benachteiligung. Eine solche Kostenbelastung kann nicht ohne weiteres getragen werden. Insofern bin ich Ihnen für Ihre Zwischenfrage dankbar, weil sie den Nagel auf den Kopf trifft ({0}) und bestätigt, dass die Bundesregierung nichts für den Bereich übrig hat, um den es heute geht. ({1}) Viele der 1 200 Tankstellen in diesem Bereich stehen auf der Kippe. 5 000 Arbeitsplätze sind in Gefahr. Aus einer Studie der Universität Leipzig geht hervor, dass jährlich Steuerausfälle in Höhe von über 1 Milliarde Euro zu verzeichnen sind. Die Mineralölsteuer erbrachte mit 43,2 Milliarden Euro rund die Hälfte aller Bundessteuern. Hauptursache für den Tanktourismus ist aber nicht die Mineralölsteuer - diese gibt es auch in anderen Ländern -, sondern die Ökosteuer, die Benzin und Diesel in Deutschland um gut 15 Cent pro Liter verteuert hat. Im Jahr 2000 lag der Unterschied noch bei 3 Cent; jetzt beträgt er das Vierfache. Diesel ist mit Ausnahme der Schweiz in Deutschland am teuersten. Benzin ist außer in den Niederlanden überall deutlich günstiger als bei uns. Entlang der deutschen Grenze zu Belgien, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, Polen und Tschechien nimmt der Tanktourismus deshalb zu. Die Bundesregierung steckt den Kopf in den Sand. ({2}) Dabei könnte sie so viel Geld einnehmen. Frau Staatssekretärin Hendricks, wie kann man angesichts leerer Kassen zulassen, dass das Geld wegen der Ökosteuerbelastung ins Ausland fließt, statt es in der Bundesrepublik Deutschland zu halten? ({3}) Das Wichtigste ist, dass Sie endlich etwas dagegen tun. Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Anfrage zeigt, dass sie viel zu wenig über den Tanktourismus weiß. Fehlanzeige Nummer eins: Keine Information über die Anzahl der Tankstellen in den Grenzregionen! Fehlanzeige Nummer zwei: Keine Aussagen darüber, wie viele Tankstellen bereits schließen mussten, wie viele Arbeitsplätze dabei verloren gingen und wie hoch die Steuerausfälle sind! Die Beantwortung der Fragen, die meine Kolleginnen und Kollegen gestellt haben, ist mangelhaft. Während sich die Bundesregierung weigert, etwas zu tun, haben andere Staaten längst reagiert. ({4}) - Das ist schon von meinem Vorredner, dem Kollegen Bernhardt, gesagt worden. Er hat den Finger auf die offene Wunde gelegt. Wenn Sie in der Lage sind, dem zu folgen, was er ausgeführt hat, dann wissen Sie auch, wo Unterschiede und Benachteiligungen für uns bestehen. ({5}) Ich halte es für unmöglich, dass die Bundesminister Eichel und Clement gegen den französischen Vorstoß nichts unternehmen und daraus keine Konsequenzen ziehen. Sie lassen die deutschen Unternehmen im Stich, obwohl es eine Möglichkeit gäbe. Mitte 2003 hat Bundesminister Clement der Forderung der Interessengemeinschaft mittelständischer Mineralölverbände das Wort geredet und sich für eine Senkung des Mineralölsteuersatzes zugunsten grenznaher deutscher Tankstellen ausgesprochen. Gemacht hat er aber bisher nichts. Kleinlaut hat er sich zurückgezogen, obwohl er die Hoffnung geweckt hat, dass er das Problem erkannt hat und lösen will. Wäre der politische Wille vorhanden, würde nicht wochenlang, ja sogar monatelang geprüft, sondern endlich gehandelt. Der Freistaat Bayern hat bereits im Bundesrat die Bundesregierung aufgefordert, sich endlich des Problems anzunehmen. Aber es herrscht Schweigen im Walde. Sie tun einfach nichts. Sie verzögern und halten hin und sehen tatenlos zu, dass viele Existenzen vor die Hunde gehen, obwohl die betroffenen Menschen um jeden Pfennig ringen. Es ist aber noch viel schlimmer - ich muss es leider noch einmal sagen -: Man schafft damit die Voraussetzungen dafür, dass weiterhin Hunderte Millionen, vielleicht sogar 1 Milliarde Euro ins Ausland abwandern, obwohl diese Gelder dringend in der Bundesrepublik Deutschland benötigt werden. Fragen Sie einmal die Grenzlandabgeordneten - ob das nun der Kollege Scheuer, der vorhin eine Zwischenfrage gestellt hat, die Kollegin Kaupa oder der Kollege Dr. Klaus Rose ist -, die sich täglich mit diesem Thema auseinander setzen müssen! Fragen Sie die Kollegen aus den neuen Bundesländern wie Kollegin Veronika Bellmann, die ebenfalls den Finger auf die offene Wunde gelegt hat! Fragen Sie die Mitglieder des Finanzausschusses, die sich mit dem Thema eingehend beschäftigt haben! Leider Gottes ist festzustellen, dass Sie nicht bereit sind, das Notwendige und Erforderliche zu tun. Zum Schluss möchte ich Folgendes anmerken: Die Bundesregierung ist in der Pflicht, die in dem Antrag meiner Fraktion enthaltenen Forderungen umzusetzen und erstens Maßnahmen gegen die im europäischen Vergleich viel zu hohe Energiebesteuerung in Deutschland zu ergreifen, zweitens den enormen Abfluss an Steuereinnahmen durch den von ihr verursachten Tanktourismus in die Nachbarschaften durch entschiedenes und rasches Handeln auf EU-Ebene einzudämmen und drittens die Harmonisierung der Mineralölsteuersätze in Europa voranzutreiben. Ich darf Ihnen versichern: Wir werden nicht ruhen und weiterhin bohren; denn wir sind als Abgeordnete aus dem Grenzland in besonderem Maße berechtigt, auf solche Missstände hinzuweisen, nach dem Rechten zu sehen und so lange den Finger auf die offene Wunde zu legen, bis endlich gehandelt wird. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/4387 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen Entwicklung einer thematischen Strategie für städtische Umwelt KOM ({1}) 60 endg.; Ratsdok. 6462/04 - Drucksachen 15/2793 Nr. 2.25, 15/4280 Berichterstattung: Abgeordneter Peter Götz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so vereinbart. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem Parlamentarischen Staatssekretär Achim Großmann das Wort.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit ihrer Mitteilung vom Februar 2004 „Entwicklung einer thematischen Strategie für städtische Umwelt“ will die Europäische Kommission Ursachen von Umweltproblemen in europäischen Städten angehen. Die Mitteilung soll, so die Kommission, eine erste Stufe für die Entwicklung einer speziellen Strategie zur Bewältigung städtischer Umweltprobleme darstellen. Grundlage für die Thematisierung umweltbezogener städtischer Fehlentwicklungen ist das 6. Umweltaktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaft mit dem Titel „Umwelt 2010: Unsere Zukunft liegt in unserer Hand“. Die Entwicklung dieser Strategie ist eine von insgesamt sieben thematischen Strategien zur Bewältigung von Umweltproblemen auf europäischer Ebene, die ein ganzheitliches Konzept für ökologische Fragen bilden sollen. Das Globalziel der thematischen Strategie ist die Verbesserung der Umwelteffizienz und der Lebensqualität in städtischen Gebieten, um ein gesundes Lebensumfeld für die Stadtbewohner in Europa zu gewährleisten. Der ökologische Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung soll gestärkt und gleichzeitig sollen wirtschaftliche und soziale Fragen berücksichtigt werden. Die Strategie konzentriert sich auf vier Querschnittsthemen: nachhaltige Städtepolitik, städtischer Nahverkehr, nachhaltiges Bauen und nachhaltige Stadtentwicklung. Die lokalen Entscheidungsträger aller europäischen Städte und Gemeinden sind im Rahmen dieser Strategie angesprochen. Als Kern der Strategie schlägt die Europäische Kommission in Bezug auf nachhaltige Städtepolitik und nachhaltigen städtischen Verkehr für Hauptstädte und Städte mit über 100 000 Einwohnern die Aufstellung spezieller Pläne vor. Mit dieser Mitteilung verdeutlicht die Kommission, dass sie eine Reihe von gesetzlichen Vorschriften auf EU-Ebene zu diesem Thema erwägt, die deutsche Regelwerke verkomplizierten und letztlich ineffektiv machten. Des Weiteren würde die kommunale Planungshoheit unvertretbar eingeengt. So möchte die Kommission offenbar umweltpolitische Rechtsvorschriften vorschlagen, die die Bodennutzung, den Städtebau und die Raumordnung berühren. Das Städtebaurecht würde damit in Teilen von der nationalen auf die europäische Ebene verlagert und die kommunale Planungshoheit würde voraussichtlich erheblich eingeschränkt werden. Im Hinblick auf die Struktur- und Kohäsionspolitik beabsichtigt die Kommission eine teilweise Ausweitung dieser Politik über die benachteiligten und strukturschwachen Regionen hinaus auf Städte in vergleichsweise strukturstarken Gebieten. Die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Nachhaltigkeit des Bauens und der Flächennutzung greifen darüber hinaus wesentlich in städtebau- und wohnungspolitische Belange ein, da eine restriktive Flächenausweisung negative Auswirkungen auf Bauleitplanung, Wohnungsversorgung und Bauwirtschaft haben kann. Das Gleiche gilt für die Gewerbeansiedlung. Damit wäre auch eine erhebliche Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Wachstums verbunden. Im Übrigen hat die Kommission keine Kompetenzen für städtebauliche und wohnungspolitische Maßnahmen und sie sollte nach deutscher Auffassung auch keine erhalten. Angesichts der inzwischen engmaschigen Umweltrechtsetzung der EU und offenkundiger Haushalts- und Vollzugsengpässe besteht derzeit - unabhängig von dem hier sicher relevanten Subsidiaritätsprinzip - auch kein Bedarf an neuen Initiativen der Kommission. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die Umsetzung der so genannten EU-Umgebungslärmrichtlinie, über die derzeit im Vermittlungsverfahren beraten wird. ({0}) Aus deutscher Sicht sind zusätzliche rechtlich verbindliche Vorgaben der Kommission nicht der richtige Weg zu einem effektiven und bürgernahen Umweltschutz, sondern führen eher zu zusätzlichem bürokratischen Aufwand bei der Bewältigung der Umweltprobleme in den Städten. Die bestehenden Instrumente auf nationaler und europäischer Ebene sind hinreichend geeignet, das Globalziel einer Verbesserung der Lebensqualität in städtischen Gebieten zu erreichen. Die Bundesregierung hat der Kommission in ihrer Stellungnahme zu dieser Mitteilung die von mir gerade beschriebenen Bedenken und Vorbehalte mitgeteilt. Die Bundesregierung begrüßt also das Anliegen der Kommission. Dies darf aus unserer Sicht jedoch nicht mit einer Einschränkung der kommunalen Selbstverwaltung einhergehen. ({1}) In der vorliegenden Form lehnt die Bundesregierung die Mitteilung der Kommission ab und plädiert allenfalls für eine unverbindliche Empfehlung auf freiwilliger Basis. Nur in Klammern sei hinzugefügt - ich kann das hier aufgrund der kurzen Redezeit nicht weiter ausführen -: Vieles ist bei uns schon nationales Recht; ich habe bereits darauf hingewiesen. Natürlich unternehmen wir große Anstrengungen, weniger Fläche zu verbrauchen. Wir betreiben eine integrierte Städtebau- und Stadtentwicklungspolitik, in der die ökologischen Gesichtspunkte eine große Rolle spielen. Wir sind hierbei insgesamt, glaube ich, sehr gut aufgestellt. Der EU-Umweltrat hat am 14. Oktober 2004 die von der niederländischen Präsidentschaft vorgeschlagenen Ratsschlussfolgerungen zur Mitteilung der Kommission einstimmig angenommen. Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang, dass diese Schlussfolgerungen bedeutende Elemente der deutschen Stellungnahme aufgreifen. Dazu gehören: erstens das Subsidiaritätsprinzip, zweitens der Verweis auf bestehende Rechtsvorschriften, drittens die Freiwilligkeit von Aktionen und Maßnahmen sowie viertens vonseiten der Kommission die Überprüfung der Frage, ob Umweltmanagementpläne und Pläne für einen nachhaltigen Stadtverkehr notwendig sind. Für die Stadtentwicklung in Deutschland ist es von besonderer Wichtigkeit, das Zieldreieck von sozialen, ökonomischen und ökologischen Anliegen ständig im Blick zu behalten. Unsere städtebaulichen Instrumente in Deutschland sind so ausgerichtet, dass diese Entwicklung zukunftsfähig gestaltet werden kann. Wir sollten an diesen bewährten Instrumenten festhalten. Die politische und planerische Herausforderung ist, Lösungen zu finden, die - ich will es noch einmal betonen - für ökonomische, für soziale und für Umweltanliegen gleichermaßen einen Gewinn bringen. Den Mehrwert für alle drei Bereiche sollten wir nicht zugunsten eines einzigen Anliegens opfern. Vielen Dank. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich gratuliere dem Parlamentarischen Staatssekretär Großmann zur Punktlandung bei seiner Redezeit ({0}) und erteile nun dem Kollegen Peter Götz für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort.

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir behandeln heute, Herr Staatssekretär, eine Vorlage der Europäischen Kommission, die für den Umgang Brüssels mit der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland typisch ist. Unter dem Vorwand der Umweltpolitik versucht die Kommission ständig, schleichend Teile des Städtebaurechts von der nationalen auf die europäische Ebene zu verlagern. Dagegen sollten wir uns eindeutig wehren. ({0}) Die Europäische Kommission verfügt über keinerlei Kompetenzen im Bereich der Stadtentwicklung. ({1}) Wir sollten dies vielleicht deutlicher sagen, Herr Staatssekretär, als Sie es eben zum Ausdruck gebracht haben. ({2}) CDU und CSU wollen nicht, dass die kommunale Planungshoheit durch die Europäische Kommission ausgehöhlt wird. In Deutschland sind die Städte und Gemeinden sehr wohl in der Lage, ihre städtebauliche Erneuerung und Entwicklung im Rahmen ihrer verfassungsrechtlich verbürgten Selbstverwaltungsrechte eigenverantwortlich zu steuern und zu gestalten. Umweltschutzbelange - Sie haben es angesprochen müssen bei der städtebaulichen Entwicklung und Erneuerung von den Gemeinden schon heute im Planungsprozess berücksichtigt werden ({3}) und mit den anderen Belangen abgewogen werden. ({4}) Sie sind bereits heute integrierter Bestandteil der Stadtentwicklung. Wir brauchen in Deutschland keinen von der Europäischen Union vorgegebenen zusätzlichen städtischen Umweltmanagementplan. Wir brauchen keinen europäischen Plan für nachhaltigen städtischen Verkehr. Genau das Gegenteil ist notwendig. Wir wollen eine Vereinfachung und Beschleunigung von Planungsprozessen. Wir wollen keine Ausweitung von Kompetenzen der Europäischen Union. ({5}) Wir müssen vielmehr alles daransetzen, dass das Subsidiaritätsprinzip wieder stärker in den Mittelpunkt der politischen Entscheidungen rückt. Alles, was auf der unteren politischen Ebene, also auf der kommunalen Ebene, geregelt werden kann, soll, bitte schön, auch dort geregelt werden. Mit der Weiterentwicklung der europäischen Integration hat die Europäische Kommission nach unserem Verständnis genug zu tun. Sie braucht sich weder um die Gestaltung der Fußgängerzonen in Deutschland noch um die Flächennutzung in den Gemeinden noch um den Verkehr in den Städten, Gemeinden und Kreisen zu kümmern. ({6}) Das Gleiche gilt übrigens auch für die Wasserversorgung. Die Kommission bastelt auch ständig an Vorschriften dafür. Die Wasserversorgung gehört nach unserem Verständnis genauso zum Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung. ({7}) CDU und CSU wollen, dass die kommunale Planungshoheit unangetastet bleibt. Wir wollen keine neue Bürokratie, die sagt, wie es in den Kommunen gehen soll. Wir wollen keine neue Bürokratie, weder aus Brüssel noch aus Berlin. Wir brauchen auch keinen neuen Brüsseler Kontrollapparat, der viel Geld des Steuerzahlers verschlingt. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, schon heute haben nahezu 70 Prozent aller Bestimmungen, die aus Brüssel kommen, Auswirkungen auf die Kommunen. Nach unserem Verständnis gilt es nun, nicht weiter an diesem Rad zu drehen, sondern den Umfang der Bestimmungen wieder auf das Notwendigste zurückzuführen. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich dem Votum des Bundesrates anzuschließen und entsprechend ihrer Stellungnahme dafür zu sorgen, dass diese Strategie auf europäischer Ebene nicht weiter verfolgt wird, vielleicht noch deutlicher, als Sie es, Herr Staatssekretär, eben zum Ausdruck gebracht haben. Wir fordern die Bundesregierung auch auf, sich in Brüssel endlich qualifiziert, frühzeitig und konsequent darum zu kümmern, dass die EUKommission nicht ständig neue Vorlagen produziert, die hier im Parlament nur mehr oder weniger zustimmend zur Kenntnis genommen werden können. Über Belange des Städtebaus, des Wohnens, der Raumordnung müssen nicht teure Beamte in der Europäischen Kommission entscheiden. Die gewählten kommunalen Vertreter vor Ort kennen ihre Gemeinde besser. Sie können durchaus die unterschiedlichen Belange selbst abwägen und ihre Entscheidungen eigenverantwortlich treffen. Deshalb müssen anders lautende Ansinnen der Europäischen Kommission bereits im Keim erstickt werden. ({9}) Ich hätte mir gewünscht - ich sage das an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen im Verkehrs-, Bau- und Wohnungsausschuss -, diese Zielstellung in einem gemeinsamen fraktionsübergreifenden Antrag zu formulieren. Aber leider war das nicht möglich; Rot-Grün hat sich wie bei vielen anderen vernünftigen Vorschlägen im Ausschuss verweigert. In jedem Fall würde uns interessieren, wie Sie den Widerspruch auflösen wollen, dass Sie in Ihrem rot-grünen Koalitionsvertrag das Bestreben der Kommission, die nachhaltige Stadtentwicklung zum Leitbild europäischer Städtebau- und Wohnungspolitik zu machen, begrüßen, die Bundesregierung aber in ihrer Stellungnahme zu der gleichen Thematik zu Recht, wie ich finde, Bedenken gegen diese Strategie geltend macht. Sie sollten sich nach meiner Meinung darauf verständigen, was Sie wirklich wollen. Im EU-Verfassungsvertrag, mit dem wir uns im Deutschen Bundestag demnächst ebenfalls befassen werden, haben die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und damit die kommunale Selbstverwaltung zu Recht einen neuen Stellenwert erhalten. Die nationalen Parlamente werden auf diesem Gebiet gegenüber der EU gestärkt werden. Europapolitik wird mehr denn je zur Innenpolitik. Wir brauchen für die EU-Vorlagen einen wirksamen Parlamentsvorbehalt, damit wir frühzeitig aktiv mitwirken können und nicht immer, wie auch heute bei diesem Tagesordnungspunkt, ohnmächtig hinterherhinken. Deshalb ist es nur zu begrüßen, dass CDU und CSU in diesen Tagen einen Gesetzentwurf zur Ausweitung der Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union eingebracht haben. Ich lade Sie alle ein, dieses Gesetz mitzutragen. Es liegt an uns, wie wir in Zukunft mit Vorlagen der Europäischen Union wie der heutigen umzugehen haben. Wir von der Union wollen weder ein zentral organisiertes Europa noch ein zentralistisches Deutschland. Wir wollen ein Europa, in dem die Menschen stolz auf ihre nationale Identität sein können, ein Europa, das eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung genießt. Dies wird umso leichter erreichbar sein, wenn sich die EU um die für die Gemeinschaft wichtigen Zukunftsthemen kümmert und das, was die Menschen eigenverantwortlich auf kommunaler Ebene entscheiden können, auch dort entscheiden lässt. ({10}) Das sollte unser gemeinsames Ziel sein. Daran sollten wir, wie ich finde, auch gemeinsam arbeiten. Herzlichen Dank. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort der Kollegin Franziska EichstädtBohlig, Bündnis 90/Die Grünen.

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Götz, ich kann schon sagen, warum wir nicht zu einem gemeinsamen fraktionsübergreifenden Antrag gekommen sind. ({0}) Mit Ihrer Rede jetzt haben Sie nämlich ein Stück weit das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. ({1}) Der Herr Staatssekretär hat vorhin sehr deutlich gemacht, dass es um zwei Aspekte geht. Der erste Aspekt betrifft das Konzept, das die EU im Rahmen ihrer Strategie für die städtische Umwelt vorgelegt hat. Dieses Konzept halten wir alle für sehr gut und sehr qualifiziert. Wir empfehlen unseren Ländern und vor allen Dingen unseren großen Städten, es umzusetzen. Ich glaube, dass die Umweltmanagementplanung Stockholms vorbildhaft für unsere großen Städte ist. Jede Stadt sollte bis 2006 folgende Ziele erreichen: einen ökologisch effizienten Verkehr, sichere Produkte, einen nachhaltigen Energieverbrauch, Umweltmanagementplanung, eine ökologisch effiziente Abfallwirtschaft und eine gesunde Innenraumwelt. Das alles sind Ziele, die wir für unterstützenswert halten. ({2}) - Moment! Im Bereich der gesunden Innenraumwelt gibt es durchaus noch viel Handlungsbedarf. Wir wollen keinen bürokratischen Apparat - das hat der Herr Staatssekretär eben sehr deutlich gesagt; in diesem Punkt sind wir uns einig - und auch keine zentralistischen Vorgaben. Aber ich glaube schon, dass wir die Empfehlungen, die sich aus diesem Konzept ergeben, hier sehr ernsthaft diskutieren sollten. Aber dazu haben Sie nicht einen Satz gesagt. ({3}) Für unsere Länder und unsere Städte und zum Teil auch für den Bund besteht an dieser Stelle durchaus noch Handlungsbedarf. Wir sind uns einig - auch darüber haben wir im Ausschuss diskutiert -, dass wir kein zentrales Konzept haben wollen, das eine bürokratische Kontrolle beinhaltet. ({4}) - Die Konsequenz ist, dass wir uns mit den Inhalten befassen müssen und dass wir in den Diskussionen mit unseren Ländern und unseren Städten für diese Inhalte werben. Wir sollten entsprechende Empfehlungen aussprechen. ({5}) Diesen Aspekt habe ich in Ihrem Beitrag hier und auch im Ausschuss vermisst. Ich halte es für sehr wichtig, dass wir so vorgehen. Der zweite Aspekt betrifft den neuen EU-Strukturfonds, den es ab 2007 geben soll. Dabei geht es sowohl um die Geldproblematik als auch um die Problematik der Ausgestaltung. Ich trete dafür ein, dass hierbei die sehr positiven Erfahrungen mit dem Urban-Programm und auch die Erfahrungen mit der Stadterneuerung in umfassender Form berücksichtigt werden. Die Ziele, die von der EU vorgegeben werden, sollten dabei eine zentrale Rolle spielen. Ich halte es für richtig, dass wir jetzt den Verfahrensvorschlag der EU nicht weiter verfolgen; darüber sind wir uns einig. Es reicht aber nicht, nur die Inhalte zu kritisieren. Wir müssen vielmehr sehr genau auf das schauen, was schon erreicht wurde. Darauf hat der Herr Staatssekretär vorhin hingewiesen. Wir müssen sehen, an welchen Stellen wir noch eigenen Handlungsbedarf haben. In diesem Punkt können wir von der EU lernen. Ich fände es gut, wenn unsere Städte ein Umweltmanagement wie Stockholm betreiben würden. Ich glaube, es gibt eine Reihe von Städten, die hinsichtlich des städtischen Nahverkehrs Nachholbedarf haben. ({6}) Dieses Thema muss engagiert weiter verfolgt werden. Auch beim Thema Zersiedelung gibt es einen entsprechenden Handlungsbedarf. Ich hätte es als gut empfunden, wenn es gelungen wäre, im Baugesetzbuch die Erschließung von neuen Gebieten von ihrer Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr abhängig zu machen. Es gibt also noch eine Reihe von Punkten, bei denen wir von der EU lernen können. In dem Sinne danke ich Ihnen ganz herzlich für die Mitarbeit und hoffe, dass wir unsere Vorhaben umsetzen. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Eberhard Otto, FDP-Fraktion.

Eberhard Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003605, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär Großmann, ich bin sehr überrascht über die Rede, die Sie soeben gehalten haben. Denn in vielen Punkten, die Sie genannt haben, stimmen wir überein. Das wird aus diesem Strategiepapier gar nicht ersichtlich. Daraus geht vielmehr hervor: Ziel der Strategie für die städtische Umwelt in der EU sind europarechtliche Vorbereitungen, die die Bodennutzung, den Städtebau und die Raumordnung berühren. Im Ergebnis bedeutet dies eine Verschiebung des Städtebaurechts von der nationalen auf die europäische Ebene. Es ist jedoch so, dass die Europäische Union im Bereich der Siedlungspolitik überhaupt keine Eingriffsrechte besitzt. ({0}) Nach meiner Auffassung ist das Konzept ein Versuch, in die Planungshoheit des Bundes, der Länder und der Kommunen einzugreifen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist: Warum brauchen wir diese Strategie überhaupt? Neben der fehlenden Kompetenz der EU für Raumordnung und Bauleitplanung ist aus meiner Sicht auch kein dringender Handlungsbedarf vorhanden, da es ja bereits ein von den Mitgliedstaaten erarbeitetes europäisches Raumentwicklungskonzept gibt. Dieses enthält Zielstellungen zur Entwicklung der Städte. Die angestrebten Vereinheitlichungen, die den Kommunen Vorgaben machen würden, die den lokalen Bedürfnissen oft nicht entsprechen würden, sind überflüssig und zudem eine unnötige Gleichmacherei. Beispielsweise werden die Mitgliedstaaten angehalten, eine Mindestbesiedelungsdichte bei der Flächennutzung festzulegen. Besiedelungsdichten von weniger als 40 bis 60 Personen pro Hektar sollen vermieden werden. Aber gerade das ist in einem Flächenland, wie mein Heimatland Mecklenburg-Vorpommern eines ist, gar nicht machbar. ({1}) Deswegen muss die Planungshoheit der Kommunen erhalten bleiben. Weiterhin sieht das Konzept Berichtspflichten vor. Diese würden den Verwaltungsaufwand vergrößern und hohe Kosten verursachen. Wir als Liberale stehen ja für den Bürokratieabbau. Alle zusätzlichen bürokratischen Aufwendungen lehnen wir ab. ({2}) Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass bereits mit dem kürzlich verabschiedeten Europarechtsanpassungsgesetz Bau umfangreiche umweltrechtliche Regelungen in das Baurecht einschließlich des Städtebaurechts aufgenommen wurden. Da das so ist, lehnt meine Fraktion die vorgeschlagenen Maßnahmen ab. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Wolfgang Spanier, SPD-Fraktion.

Wolfgang Spanier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002803, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Aus drei Gründen halte ich die abendliche Debatte für wichtig: ({0}) Ich halte sie erstens für wichtig, weil sie zeigt, dass wir uns sorgfältig mit europäischen Vorhaben auseinander setzen. Ich glaube, das ist von Bedeutung und sollte in allen Bereichen so sein. Ich halte sie zweitens für wichtig, weil sie zeigt, dass wir das rechtzeitig tun, zu einem Zeitpunkt, zu dem es noch keine Vorschriften bzw. Richtlinien aus Europa gibt, die wir dann umsetzen müssen. Ich halte sie drittens für wichtig - das möchte ich ausdrücklich betonen -, weil wir uns alle, also alle Fraktionen im Deutschen Bundestag zusammen mit der Bundesregierung und dem Bundesrat, in der Sache einig sind; das ist das Entscheidende. Die Zielsetzung der Europäischen Kommission hat Herr Staatssekretär Achim Großmann vorhin erläutert. Ich möchte, so wie es gerade Frau Eichstädt-Bohlig getan hat, ausdrücklich unterstreichen: In der Sache halten wir diese Zielsetzung für richtig. Sowohl in Europa als auch in der Bundesrepublik Deutschland betreiben wir eine Stadtentwicklungspolitik unter dem Leitbild der Nachhaltigkeit. Daran gibt es nichts zu deuteln. Deswegen spricht nichts dagegen, dass Europa in die gleiche Richtung denkt. Es spricht nichts dagegen, dass möglicherweise Empfehlungen entwickelt werden. Es spricht nichts dagegen, dass es einen Austausch zwischen den Kommunen der einzelnen Mitgliedstaaten über diese Thematik gibt. Das Vorhaben der Europäischen Kommission geht jedoch weiter. Das Übel liegt in den konkreten Absichten. ({1}) Es sind gesetzliche Vorschriften zur Erstellung von Umweltmanagementplänen für alle Hauptstädte und alle Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern und Berichtspflichten geplant. ({2}) Nichts gegen Umweltmanagement; das ist sicherlich ein vernünftiges Instrument. Aber warum muss dies auf europäischer Ebene vorgeschrieben werden und warum müssen Berichte erstattet werden? ({3}) Ich nenne nur den Plan zum nachhaltigen städtischen Nahverkehr. Wir wollen nichts anderes. Deswegen freuen wir uns auch, dass die Europäische Kommission dies für richtig hält. Aber wir sind gegen eine Berichtspflicht der Kommunen gegenüber Brüssel, gegen einen Bericht zur Zersiedlung, zur Flächennutzung. Wir selbst haben uns ehrgeizige Ziele gesetzt, was die Flächennutzung anbetrifft. Aber eine Berichtspflicht unserer Kommunen gegenüber Brüssel halten wir schlichtweg für überflüssig. Die Mindestbesiedlungsdichte bei der Flächennutzung ist ein weiteres Beispiel, das angeführt werden kann. Es ist hier mehrfach gesagt worden - darin stimmen wir im Wesentlichen überein -: Entscheidend ist, dass wir die Übertragung von Teilen unseres Städtebaurechts, von umweltpolitischen Rechtsvorschriften hinsichtlich der Bodennutzung, des Städtebaus und der Raumordnung auf die europäische Ebene ablehnen; denn dadurch würde die kommunale Planungshoheit eingeengt. Ich bin der FDP dankbar, dass sie in ihrem Antrag darauf hingewiesen hat, dass die Selbstverwaltung unserer Kommunen im Grundgesetz verankert ist. Das ist ein hohes Gut, das es zu verteidigen gilt. ({4}) Wir wollen keine überflüssigen EU-Vorgaben. Wir wollen keine überflüssigen bürokratischen Kontrollen durch die EU. Es ist unsere ganz klare Position: Es gibt keine Kompetenz der Europäischen Union in der Städtebaupolitik. Hier wird eindeutig der Grundsatz der Subsidiarität verletzt; das ist bereits gesagt worden. Das heißt aber nicht, dass wir grundsätzlich gegen europäische Richtlinien sind. Das haben wir auch bewiesen, indem wir gemeinsam mit dem Europarechtsanpassungsgesetz europäische Vorgaben fachpolitisch gezielt in nationales Recht umgesetzt haben. Ich denke, das war vernünftig. Genauso sind wir beim UVP-Gesetz und zuletzt bei dem Gesetz zur Einführung der Strategischen Umweltprüfung verfahren, obwohl wir da keine Gemeinsamkeit erzielt haben - das sei hier aber nur ergänzt. Das Entscheidende ist - das ist das gemeinsame Anliegen aller drei Entschließungsanträge -, dass wir diese unterschwellig - ja, ich würde schon sagen: offenkundig - angestrebte Kompetenzerweiterung der Europäischen Union im Bereich der Stadtentwicklungspolitik ablehnen. ({5}) Noch einmal: Die inhaltlichen Ziele, die hier diskutiert werden, sind durchaus vernünftig. Manchmal gelingt es jedoch einfach nicht, zu einem gemeinsamen Antrag zu kommen. ({6}) Die Akzentsetzung ist vielleicht etwas unterschiedlich. Aber das sollte uns nicht hindern, gemeinsam der Bundesregierung den Rücken zu stärken, damit bereits im Vorfeld verhindert wird, dass im Sommer 2005 das umgesetzt wird, was die Kommission hier vorhat. Herzlichen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Klaus Hofbauer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Spanier, da wir uns in den Sachfragen so einig sind, sollten wir uns auch in dem entscheidenden Punkt einig sein, ({0}) dass diese Dinge nicht in Brüssel geregelt werden sollen, dass wir vielmehr national versuchen sollten, diese Ideale und Ziele umzusetzen. ({1}) Wir bemühen uns zurzeit, eine gemeinsame Verfassung zu verabschieden. Zu den Zielen dieser Verfassung gehört unter anderem eine klare Kompetenzabgrenzung, eine Beschränkung der europäischen Regelungswut. Dieser Kommissionsvorschlag widerspricht jedoch allen Idealen der zukünftigen Verfassung. Deswegen müssen wir verhindern, dass dieser Vorschlag in Kraft tritt. Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, erlauben Sie mir, eine Bemerkung zu dem zu machen, was Sie gesagt haben. Sie haben unter anderem angesprochen, dass die Strukturpolitik bei dieser Initiative eine entscheidende Rolle spiele. Aber eines muss uns bewusst sein - hier herrscht zum Teil in diesem Hause Einigkeit -: Wir wollen die Zahlungen nach Brüssel reduzieren. Wir wollen nicht erst die Gelder nach Brüssel überweisen, um dann auf Umwegen mit vielen Auflagen ein paar Cent zurückzubekommen. Gerade das Argument der Strukturpolitik spricht ganz entschieden gegen diesen Kommissionsvorschlag, den wir mit allen Mitteln ablehnen sollten. ({2}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube feststellen zu dürfen, dass wir bereits national so viele Regelungen, so viele Vorschläge, Gesetze und Verordnungen haben, dass man diese Ideale auch mit unseren Regelungen umsetzen kann. ({3}) Wenn Stockholm ein gutes Beispiel ist, warum müssen wir es in ganz Europa regeln? Wir wollen keinen europäischen Einheitsbrei, insbesondere nicht in der Kommunalpolitik, insbesondere nicht auf der untersten Ebene. Wir wollen Vielfalt und Entfaltungsmöglichkeiten der Kommunen, die wir durch einen solchen Vorschlag ganz gewaltig einschränken würden. Ich möchte meine Redezeit nicht in Gänze beanspruchen. Wir sollten alles daran setzen, die Ideale dieser Verfassung, die wir in Zukunft haben werden, durchzusetzen. Deswegen sollten wir verhindern, dass dieser Kommissionsvorschlag in Kraft treten kann. Danke schön. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung über eine Mitteilung der EU-Kommission zur Entwicklung einer thematischen Strategie für städtische Umwelt, Drucksache 15/4280. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung durch die Bundesregierung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Das Erste war die Mehrheit. Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition angenommen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung einer Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu einem Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens zu erweitern und diese jetzt sofort als Zusatzpunkt 5 - wie üblich ohne Aussprache - aufzurufen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe also diesen Zusatzpunkt 5 auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0}) Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens - Drucksache 15/4775 Wir kommen sofort zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt in seiner verteilten Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4775, die Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens zu erteilen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 28. Januar 2005, 9 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen allen noch einen schönen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.