Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Grüß Gott, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen
Kabinettssitzung mitgeteilt: Zur Lage der Forschung
in Deutschland.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, Ulrich Kasparick.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Opposition hat der Bundesregierung, indem
sie sich dankenswerterweise die Mühe gemacht hat, über
150 Fragen zu stellen, die Gelegenheit gegeben, die Forschungspolitik in Deutschland einmal im Gesamtzusammenhang darzustellen. Wir haben diese Möglichkeit sehr
gerne ergriffen und die Grundzüge der deutschen Forschungspolitik in einer Antwort auf Ihre Große Anfrage
dargestellt. In meinem einleitenden Beitrag darf ich Ihnen nun die zentralen Punkte vortragen.
Das Wichtige ist: Deutschland ist ein leistungsstarker
Forschungs- und Technologiestandort. Der zweite wichtige Trend ist: Es kommen zunehmend junge Leute zurück nach Deutschland. In Deutschland gibt es mehr ausländische Studierende als Studierende, die das Land
verlassen. Hier haben wir eine Trendumkehr erreicht.
Die Ausgaben für die Forschung steigen kontinuierlich.
Mittlerweile betragen sie 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Unser Ziel ist, 3 Prozent zu erreichen. Aus
diesem Grunde haben wir vorgeschlagen, Subventionen
abzubauen. Die Entscheidung, ob dies getan wird, liegt
zurzeit bei den Ländern. Die Länder würden vom Subventionsabbau ebenso profitieren wie der Bund.
Die Forschungsförderung des Bundes hat beispielsweise bei den optischen Technologien dazu geführt, dass
sich Deutschland in diesem Bereich von einem Importland zu einem Exportland entwickelt hat. Noch in den
80er-Jahren mussten wir optische Technologien importieren; mittlerweile stammen 40 Prozent aller in der Materialbearbeitung eingesetzten Laser aus Deutschland.
Hier sind wir also deutlich stärker geworden.
Ein zweites Stichwort ist die biotechnologische Forschung. Auf diesem Gebiet gehört Deutschland im internationalen Vergleich zur Spitzengruppe.
Ein drittes Forschungsfeld, das wir mit Bundesprogrammen unterstützen, ist der Zukunftsbereich der Nanotechnologie. Sie wissen: Nanotechnologie ist eine
Querschnittstechnologie. Wir erwarten, dass von den
Entwicklungen auf diesem Forschungsfeld auf alle anderen Bereiche, insbesondere auf die Grundlagenforschung, sehr starke Impulse ausgehen werden. Ich
möchte darauf hinweisen, dass wir die für die Nanotechnologie bereitgestellten Mittel seit dem Jahr 2001 um
über 40 Prozent erhöht haben. Daran erkennen Sie die
klare politische Priorität, die das BMBF bei der Vergabe
seiner Mittel setzt.
Ein zentrales Forschungsfeld ist für uns die Forschung für den Menschen. Hierbei geht es im Wesentlichen um die Gesundheitsforschung.
Es geht aber auch darum, den globalen Wandel und
das System Erde besser zu verstehen. Wir müssen uns
den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts stellen.
Deswegen hat das BMBF ein großes Programm mit dem
Titel „Forschung für die Nachhaltigkeit“ aufgelegt und
es für die nächsten fünf Jahre mit einem Volumen von
800 Millionen Euro ausgestattet.
Wir müssen uns den globalen Herausforderungen
stellen. Hier ist die Forschung in besonderer Weise gefordert. Es geht nicht nur um Geld, sondern auch um
Strukturwandel. Unser Anliegen war es, den Wettbewerb
zwischen den Forschungsorganisationen sowie zwischen
den Hochschulen zu stärken und etwas gegen das zu tun,
was die Fachleute „Versäulung“ der Wissenschaftslandschaft nennen. Das ist in Anfängen sehr gut geglückt:
Wir arbeiten sehr viel mehr in Netzwerken zusammen
als noch 1998. Ich darf den Pakt für Forschung und Innovation erwähnen; das ist ein ganz zentraler Baustein,
Redetext
mit dem wir gemeinsam mit der Industrie auf neuen Forschungsfeldern vorankommen wollen.
Einen Punkt möchte ich besonders hervorheben: Die
Zahl der Studierenden in Deutschland, insbesondere in
den Naturwissenschaften und in den Ingenieurwissenschaften, muss größer werden. Wir haben einen Zuwachs
bei den Studienanfängern der Ingenieurwissenschaften
von plus 35,4 Prozent, bei den Naturwissenschaften von
plus 71 Prozent. Das ist ein ganz wichtiger Trend, weil
die jungen Leute, die jetzt das Studium solcher Fächer
anfangen, der Volkswirtschaft in den nächsten Jahren zur
Verfügung stehen werden.
Im Moment fangen 35,7 Prozent eines Jahrgangs ein
Studium an. Wir wollen, dass es 40 Prozent eines Jahrgangs werden. Ob die Entscheidungen, die jüngst getroffen worden sind, dazu beitragen, dass mehr junge Leute
studieren, werden wir in den nächsten Monaten erleben.
Wir brauchen mehr Studienanfänger. Wir müssen politisch alles unternehmen, damit mehr junge Leute ein
Hochschulstudium aufnehmen.
Die Juniorprofessur war ein ganz wesentlicher
Schritt. Wir wollen, dass die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler früher selbstständig forschen
können. In diesem Zusammenhang darf ich einen Preis
erwähnen, der in der Öffentlichkeit noch nicht bekannt
genug ist, der es aber verdient, bekannt zu werden: den
Sofja-Kovalevskaja-Preis, benannt nach einer russischen
Naturwissenschaftlerin. Er ist knapp unter dem Nobelpreis dotiert. Wir verleihen diesen Preis jungen Spitzenwissenschaftlern, um ihnen ein hohes Maß an Selbstständigkeit zu geben. Wir haben kürzlich mit jungen
amerikanischen Wissenschaftlerinnen gesprochen, die
diesen Preis erhalten. Sie sagen: Wir sind deswegen in
Deutschland, weil wir mit solcher Unterstützung Studienbedingungen vorfinden, die wir woanders auf der
Welt nicht haben. - Solche Trends müssen wir verstärken. Wir brauchen die besten jungen Leute in Deutschland. Deswegen ist es an der Zeit, einmal eine Zwischenbilanz zu ziehen.
Wichtig ist die Fokussierung auf die Themenfelder,
die ich angesprochen habe. Wir sagen - etwas verkürzt,
aber in der Sache zutreffend -: Wir fördern das, was Arbeit schafft. Wir orientieren uns in der Forschungsförderung an den Technologiefeldern, die das höchste Innovationspotenzial haben und die stärksten Auswirkungen
auf die Volkswirtschaft. Diesen Kurs werden wir fortsetzen. Wir freuen uns, dass auch die Privatwirtschaft wieder deutlich mehr in Forschung investiert; wir sind da
sozusagen in einem wechselseitigen Wettbewerb. Gemeinsam mit der Wirtschaft wollen wir diesen Trend
verstärken und ich bin guter Dinge, dass wir das auch
schaffen können.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Ich bitte, zunächst
Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. Gemeldet hat sich der Herr Kollege Braun.
Herr Staatssekretär, Sie haben die Bedeutung der Gesundheitsforschung angesprochen. Gerade war der Pharmagipfel beim Kanzler. Dabei ist es nicht dazu gekommen, dass die festbetragsgebundenen Arzneimittel, die
innovativ sind, aus der Festbetragsregelung herausgenommen wurden. Welche Bedeutung hat das für den
Innovationsstandort Deutschland?
({0})
Nein, ich kenne Herrn Braun gut genug, um ihm solche Interessen nicht zu unterstellen.
Ich weise auf den wirklich wichtigen Punkt hin: Das
Gespräch, das Sie angesprochen haben, bezog sich auf
Preisregelungen. Unser Thema heute ist, wie wir die
Forschung voranbringen können. Was wir auf der Forschungsseite tun wollen, habe ich beschrieben: Der
Bund stattet im Wesentlichen große Forschungsrahmenprogramme aus, deren Mittel dann im Wettbewerb vergeben werden. Ich bin gerade bezüglich der Gesundheitsforschung in Deutschland sehr zuversichtlich, dass
wir unsere Spitzenposition nicht nur halten, sondern sogar ausbauen können.
Jetzt bekommt die Kollegin Reiche das Wort.
Herr Staatssekretär, laut Angaben des Bundesfinanzministeriums sinken die Gesamtausgaben der Bundesregierung für Bildung, Wissenschaft und Forschung in diesem Jahr von 11,6 Milliarden Euro auf 11,3 Milliarden
Euro.
Im Jahre 2003 hat das BMBF die Mittel für die Projektforschung um 4 Prozent gekürzt und in diesem Jahr
will es diese um noch einmal 12 Prozent kürzen. Hinzu
kommt der so genannte Dudenhausen-Erlass, durch den
es außeruniversitären Forschungsorganisationen in Zukunft verboten sein soll, sich in größerem Rahmen an
Drittmittelausschreibungen zu beteiligen. Allein die
Max-Planck-Institute werben 7 Prozent ihrer Haushalte
über Drittmittel ein. Sie wollen ihnen 3 Prozent mehr geben und nehmen ihnen gleichzeitig 7 Prozent weg, was
ein Minus von 4 Prozent bedeutet.
Wie verträgt sich das mit den von Ihnen eben gemachten Aussagen zu einer Stärkung des Forschungsstandortes Deutschland?
Frau Reiche, ich darf Ihnen die Zahlen, die ich bereits
vorgetragen habe, noch einmal nennen: Diese Bundesregierung hat den Anteil der Ausgaben für Forschung und
Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt - darüber reden
wir heute - von 2,3 Prozent auf 2,5 Prozent gesteigert.
Das ist nicht so wenig, wie es zunächst klingt. Ziel ist es,
3 Prozent zu erreichen. Allein bei der Projektförderung
betrug das Plus zwischen 1998 und 2004 8,6 Prozent.
Wenn wir die institutionelle und die Projektförderung
zusammenzählen, dann kommen wir bei den Forschungseinrichtungen auf eine Steigerung von 13 Prozent. Wir haben den großen Forschungsorganisationen
Deutschlands im Pakt zugesagt, diesen Prozess bis zum
Jahr 2010 zu verstetigen. Das ist eine gemeinsame Verabredung und wir beabsichtigen, diese einzuhalten.
Ich mache jedoch auf Folgendes aufmerksam: Die
Steigerungsraten, die wir den großen Forschungsorganisationen zugesagt haben, werden nicht ausreichen, um
den Forschungsstandort Deutschland nach vorne zu bringen. Wir brauchen wesentlich mehr Geld im System.
Von 1998 bis jetzt sind wir lediglich um etwa
0,2 Prozentpunkte nach vorne gekommen. Insgesamt
wollen wir noch 0,5 Prozentpunkte mehr erreichen. Daran erkennen Sie, wie enorm die Herausforderungen
sind.
Deshalb auch von dieser Stelle aus noch einmal
meine ausdrückliche Aufforderung: Wir müssen die
Subventionen für alte Technologien abbauen, damit wir
das Geld für Zukunftsinvestitionen frei bekommen. Insbesondere für die Projektförderung benötigen wir wesentlich mehr Geld. Dort haben wir gemeinsame Interessen. Das Geld muss uns durch die Streichung alter
Subventionen zur Verfügung stehen. Sie kennen das
Stichwort: Eigenheimzulage. Es spricht sich allmählich
herum, dass nicht nur der Bund, sondern auch die Länder
und Kommunen von der Streichung dieser Subvention
profitieren würden.
Ich werbe an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich
für die Streichung, weil wir im finanziellen Bereich
enorme Anstrengungen unternehmen müssen, um insbesondere bei der Projektförderung zu einer Steigerung zu
kommen.
Ist eine Nachfrage möglich oder nicht?
Eine Nachfrage der Kollegin Reiche.
Bitte, ja.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade zu Recht darauf
hingewiesen, dass es das Ziel ist - dies wurde auch in
der Lissabon-Strategie verabschiedet -, 3 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung
aufzubringen.
Bei dem jetzt von den Forschungsinstituten prognostizierten Wirtschaftswachstum wäre ein 6,4-prozentiges
Wachstum des Forschungshaushalts notwendig. Selbst
wenn man ein Nullwachstum annähme, müssten wir den
Forschungshaushalt um 4,3 Prozent steigern. Auch in
diesem Jahr sind wir weit davon entfernt.
Richtig, ja.
Wie wollen Sie innerhalb der Koalition dafür werben
und durchsetzen, dass es in diesem Bereich tatsächlich
zu einer Umorientierung kommt?
Unsere Argumentation lautet, dass wir eine nationale
Kraftanstrengung benötigen. Ich sage Ihnen: Die Forderung, die an uns gestellt wird, nämlich das Gesamtinnovationssystem in Deutschland wirklich nach vorne zu
bringen, kann nicht erfüllt werden, wenn nur einer der
beteiligten Partner herangezogen wird. Wir brauchen ein
breites gesellschaftliches Bündnis für Innovation und
mehr Forschung.
Deswegen sage ich: Wir haben vorgeschlagen, den
politischen Mut aufzubringen, an alte Subventionen heranzugehen. Allein im nächsten Haushaltsjahr hätten wir
dadurch 600 Millionen Euro mehr für die Forschung.
Das würde sich bis zu einem Volumen von 1,2 Milliarden Euro steigern, die wir mehr in die Forschung stecken
könnten. Aus diesem Grund meine herzliche Bitte an
Sie: Springen Sie mit auf den Zug, sodass wir mehr Geld
für Forschung und Innovationen zur Verfügung stellen
können! Der Vorschlag liegt auf dem Tisch. Wir brauchen aber Ihre Zustimmung dafür.
Herr Kollege Tauss, bitte.
Nachdem Frau Kollegin Reiche glaubte, vermeintliche Kürzungen kritisieren zu müssen, möchte ich Sie
fragen, ob Sie mir nochmals darstellen könnten, wie die
Entwicklung des Bundeshaushaltes vor und nach 1998
war, und ob es Erkenntnisse darüber gibt, dass die Vorschläge der Bundesregierung, beispielsweise durch die
Kürzung der Eigenheimzulage zu mehr Einnahmen im
Haushalt für Bildung, Wissenschaft und Forschung zu
kommen, bei der Union bereits erste Früchte tragen.
Ihre Frage bezog sich auf die Zeit bis 1998. Ich habe
mir die Zahlen für den Zeitraum von 1992 bis 1997 geben lassen. Für den uns interessierenden Bereich der
Forschung ergibt sich ein Minus von 7,8 Prozent.
({0})
- Ein Minus von 7,8 Prozent. Man kann das auch anders
ausdrücken: Das ist ein Minus von 688 Millionen in diesem Zeitraum.
({1})
Unsere Schwierigkeit war, diesen Trend umzudrehen.
Mittlerweile haben wir im Forschungsbereich ein Plus
von 886 Millionen Euro erreicht. Das sind etwa
10,9 Prozent.
({2})
- Seit 1998. Aber ich sage auch: Das reicht bei weitem
noch nicht, wenn man die Anstrengungen der internationalen Mitbewerber sieht, etwa die der Vereinigten Staaten, Japans oder die der skandinavischen Länder. Wir
müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir in einer
dramatisch alternden Gesellschaft nur einen einzigen
Weg haben, um Wohlstand zu sichern, nämlich Investitionen in Forschung. In diesem Bereich müssen wir die
Mittel verstärkt einsetzen. Hierfür brauchen wir eine gemeinsame Kraftanstrengung.
Mittlerweile spricht sich auch bei den Ländern herum,
dass von der Abschaffung der Eigenheimzulage auch die
Länder profitieren würden. Ich bin deswegen nicht mehr
ganz so skeptisch wie noch vor einigen Wochen, dass
das Gespräch darüber endgültig beendet ist. Vielmehr
habe ich die Hoffnung, dass das Gespräch zwischen
Bund und Ländern wieder in Gang kommen wird. Man
muss schauen, in welcher Form das gelingt. Aber ich
sage noch einmal ausdrücklich: Von der Abschaffung
dieser Subvention profitieren nicht nur der Bund, sondern auch die Länder und Kommunen.
Herr Kollege Feibel, bitte.
Herr Kollege Kasparick, Sie haben für die Forschung
eine Perspektive aufgezeigt, die eigentlich optimistisch
in die Zukunft blicken ließe, wenn es vor Ort nicht andere Entwicklungen gäbe. Wie vereinbart sich Ihr optimistischer Blick in die Zukunft mit dem Abbau der Forschung im Kernforschungszentrum Karlsruhe oder in
Oberschleißheim,
({0})
wo gerade der Bereich von Forschung und Studium auf
etwa 10 bis 15 Prozent zurückgefahren wird, worunter in
der Zukunft nicht nur die Atomkraftwerke und das Behandeln der Abfälle dieser Atomkraftwerke, sondern sicher auch die Nuklearmedizin leiden werden? Wie beurteilen Sie diese Entwicklung vor Ort im Hinblick darauf,
was Sie in der Zukunft gerne sehen würden?
Ich habe vorhin in meinem Einführungsstatement auf
die Herausforderungen im 21. Jahrhundert hingewiesen.
Sie wissen, dass die rot-grüne Koalition im Einvernehmen - das betone ich immer, weil das gerne vergessen
wird - mit der deutschen Industrie einen Ausstieg aus
der Atomwirtschaft beschlossen hat. Wir haben uns darauf geeinigt, diesen Pfad zu verlassen und uns auf das
zu konzentrieren, was nach der Überzeugung sehr vieler
Wissenschaftler weltweit erforderlich ist, nämlich einen
Pfad der nachhaltigen Energieversorgung zu beschreiten.
Das hat insbesondere mit Effizienzgewinnen - dabei
geht es um Materialwissenschaften - und mit dem Zuwachs an erneuerbaren Energien zur Bereitstellung von
Energie zu tun.
Das hat natürlich auch Auswirkungen auf den Forschungsbereich. Die Studienanfängerzahlen in diesem
Bereich sind stark rückläufig. Wir müssen in Deutschland große Anstrengungen unternehmen, um den Sachverstand in der Sicherheitstechnik zu halten. Hier arbeiten wir mit den Großforschungszentren des Bundes
zusammen. Aber die prinzipielle Entscheidung, bei der
Energieversorgung einen anderen Pfad zu beschreiten,
wurde im Konsens mit der deutschen Industrie getroffen.
Was die wissenschaftliche Ausrichtung von Großforschungszentren wie beispielsweise Karlsruhe anbetrifft,
bin ich nicht ganz so skeptisch wie Sie. Sie haben Ihre
Skepsis anhand einer Disziplin deutlich gemacht. Wenn
Sie sich die Geschichte dieser Institute anschauen, beispielsweise die des Hahn-Meitner-Instituts in Berlin, des
Forschungszentrums Jülich oder des Forschungszentrums Karlsruhe, dann sehen Sie, dass solche Einrichtungen immer wieder auf neue technologische Entwicklungen und neue Forschungsfelder umschwenken. Ich
nenne als Beispiel das Atomforschungszentrum hier in
Berlin, das Hahn-Meitner-Institut. Das ist im Moment
das führende Institut für erneuerbare Energien. Gute
Physiker, die aus der Atomphysik kommen, sind auch in
der Lage, Herausforderungen in der Materialwissenschaft und in anderen Bereichen der Physik zu bewältigen. Das beherrschen unsere Wissenschaftler. Es ist deshalb nicht zwingend, dass das Beschreiten eines neuen
Themenfeldes mit einem Abbau von Arbeitsplätzen für
Wissenschaftler einhergeht. Wir haben solche Umstrukturierungsprozesse in Deutschland mehrfach erlebt.
Diese werden sich fortsetzen, weil es neue thematische
Herausforderungen gibt, die wir bearbeiten müssen.
Herr Kollege Rossmann, bitte.
Herr Kollege Kasparick, ich muss eine Vorbemerkung
machen. Die CDU/CSU hat 150 Fragen gestellt. Mir ist
aufgefallen, dass ständig die Bezugsbasis wechselt. Einmal wird nach Daten aus dem Jahr 1984 gefragt, dann
nach Daten aus den Jahren 1987, 1988 und 1989,
({0})
dann aus den Jahren 1990, 1991 und 1998. Darf ich Sie
fragen, was Sie von der wissenschaftlich-politischen
Durchdringung einer Frage halten, die ständig wechselnde Bezugsgrößen hat? Was könnten die Motive dafür
sein,
({1})
dass man in einer Rückschau ständig die Bezugsbasis
wechselt? Vielleicht verbinden Sie das mit der Antwort
auf die Frage danach, welche gerade Linie diese Bundesregierung seit 1998 kontinuierlich in den verschiedenen
Handlungsfeldern verfolgt, sodass wir dort keine wechselnden Daten für die Zukunft zu fürchten brauchen.
Herr Kollege Rossmann, über die Beweggründe der
CDU/CSU kann ich nur Vermutungen anstellen. Das
will ich aber gar nicht tun.
({0})
Jede politische Partei im Deutschen Bundestag verfügt
über Ressourcen und kann sie nutzen, um Große Anfragen zu formulieren. Mir ist in der Tat aufgefallen, dass
die Bezugsgrößen wechseln und man nicht so richtig
weiß, was als Basis angenommen wird. Ich glaube, das
ist nicht der zentrale Punkt.
Natürlich wird eine Große Anfrage vonseiten der Opposition genutzt, um zu sagen, dass die Regierung das,
was sie vorhat, nicht erreicht, und um die Regierung auf
die Diskrepanz zwischen dem, was als Ziel formuliert
worden ist, und dem, was tatsächlich erreicht worden ist,
hinzuweisen. Deswegen ist mein Petitum heute in dieser
Befragung, dass wir den Zusammenhang zwischen einer
dramatisch alternden Gesellschaft und der Wohlstandssicherung verstehen lernen. Wenn wir das wirklich erreichen wollen, dann brauchen wir eine gemeinsame nationale Kraftanstrengung, bei der sich alle Players, die
dazugehören - Regierung, Opposition, Wirtschaft, Verbände, Länder und Kommunen -, in eine Richtung auf
den Weg machen müssen.
Wir haben damit 1998 begonnen. Wir haben ein klares Ziel formuliert. Wir wollen 3 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt erreichen. Wir sind jetzt bei 2,5 Prozent.
Wenn wir in dem Tempo wie bisher weitermachen, dann
werden wir das Ziel nicht erreichen. Deswegen sagen
wir: Wir müssen jetzt schmerzhafte Operationen vorschlagen, nämlich den Abbau von Subventionen. Das ist
immer schmerzhaft, weil die Menschen, die davon profitieren, wollen, dass es so bleibt, wie es ist. Wir von der
Forschungsseite aber sagen: Wir müssen an die Subventionstatbestände heran, um den kontinuierlichen Aufwuchs bei Bildung und Forschung konsequent fortsetzen
zu können. Diesen haben wir 1998 begonnen und wir
sind sehr gut weitergekommen. Wir haben insgesamt ein
Plus von etwa 35 Prozent bei den Mitteln für Bildung
und Forschung. Ich habe die Hoffnung noch nicht verloren, dass wir bei diesem Thema auch unter den Kollegen
auf den Oppositionsbänken Verbündete gewinnen können.
Herr Kollege Fischer, bitte.
Herr Staatssekretär, heute Morgen hat der Kollege
Fell in der Ausschusssitzung darauf hingewiesen, dass es
ein aus Forschungsmitteln finanziertes Büro in Brüssel
gebe, das dafür da sei, den Europaabgeordneten deutlich
zu machen, wie wichtig die Fusions- und die ITER-Forschung ist und dass weiterhin Geld in diese Forschung
fließen soll. Meine Fragen lauten in diesem Zusammenhang, welche Forschungsmittel seitens des Bundes bzw.
welche Bundesmittel insgesamt in dieses Projekt fließen
und welche Mittel vonseiten des Bundes für Agenturen
wie dena, BINE oder DEWI aufgebracht werden und
wie Sie das Ganze bewerten. Wenn Sie die Fragen nicht
gleich beantworten können, bin ich auch mit einer
schriftlichen Aufstellung einverstanden.
Bei dem konkreten Projekt handelt es sich, wenn ich
richtig informiert bin, um ein Büro der Max-Planck-Gesellschaft. Ich gehe dem gerne noch einmal nach, um zu
klären, ob tatsächlich erhebliche Mittel investiert werden. Denn das würde uns aufseiten des Bundes auch interessieren, weil wir die Auffassung vertreten, dass solche Mittel für die Forschung eingesetzt werden sollten.
Ich gehe der Frage aber gerne nach, auch um im Vergleich darzustellen, wie hinsichtlich der Mittelausstattung von Vertretungen in Brüssel verfahren wird.
In der Sache selber - Sie haben das Thema Fusionsforschung angesprochen - müssen wir aus nationaler
Sicht sehr darauf achten, dass uns die Kosten nicht davonlaufen. Wir sehen, dass die Entwicklungen, insbesondere beim ITER und in den anderen Projekten der
Fusionsforschung, mittlerweile eine Dimension angenommen haben, die selbst international kaum noch darstellbar ist. Wir haben Kostengrenzen erreicht und müssen strikt darauf achten, dass die Kosten nicht ins
Unermessliche steigen. Deswegen hat sich der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages dafür entschieden, in diesem Themenfeld keine Mittelaufwüchse
vorzusehen. Wir wollen in diesem Bereich eine Deckelung mit einem festen Betrag erreichen, der nicht ansteigen soll. Weil die Max-Planck-Gesellschaft aber insgesamt mehr Mittel bekommt, wollen wir, dass die
Aufwüchse im Energietitel zugunsten einer größeren Effizienz und für erneuerbare Energien eingesetzt werden.
Wir glauben, dass diese Entwicklung richtig ist.
Was die konkrete Finanzierung des angesprochenen
Büros angeht - ich vermute, dass es sich um ein Büro
der Max-Planck-Gesellschaft handelt; es ist jedenfalls
kein Büro der Regierung -, gehe ich dieser Frage gerne
noch einmal nach.
Herr Kollege Mayer, bitte.
Herr Staatssekretär, nachdem aus Ihren Ausführungen
deutlich geworden ist, dass die Bundesregierung nicht in
der Lage ist, ausreichende Finanzmittel für die Forschung bereitzustellen, frage ich Sie: Sind Sie wenigstens bereit, sich dafür einzusetzen, dass beispielsweise
die Haftungsregelungen, die in der Grünen Gentechnik
die Forschung erheblich behindern, forschungsfreundlicher gestaltet werden?
Ich muss Ihnen in zwei Punkten vorsichtig widersprechen.
({0})
Beim ersten Punkt geht es um die Aussage, die Bundesregierung sei nicht in der Lage, ausreichende Mittel zur
Verfügung zu stellen. Ich habe bereits darauf aufmerksam gemacht, dass die Forschungsförderung in der Regel von mehreren Partnern bestimmt wird. Wie Sie wissen, kommen in Deutschland zwei Drittel aus der
Wirtschaft und ein Drittel aus der öffentlichen Hand. Allein dieses Mischungsverhältnis macht deutlich, dass es
einer gemeinsamen Anstrengung bedarf.
In der Wirtschaft sind glücklicherweise Wachstumsraten zu verzeichnen. Erlauben Sie mir deshalb auch an
dieser Stelle noch einmal den Appell: Wir müssen zusätzliche Mittel für den öffentlich finanzierten Bereich
aufbringen und alte Subventionstatbestände angehen.
Ich glaube, dass Ihr Bundesland dabei besonders zurückhaltend ist. Deshalb ist meine direkte Bitte: Vielleicht sehen Sie die Möglichkeit, mit Ihrem Ministerpräsidenten
über diese Frage zu sprechen.
Was die Haftungsregelungen in der Grünen Gentechnik angeht, muss der Gesetzgeber darauf achten, dass die
verschiedenen in der Gesellschaft bestehenden Interessen zu einem Ausgleich gelangen. Es gibt starke gesellschaftliche Gruppen, die mit dem Argument der Forschungsförderung für eine klare Entgrenzung sind. Sie
wollen sozusagen freie Bahn für das, was auch in anderen Ländern möglich ist. Es gibt aber innerhalb der Bevölkerung ebenfalls starke Gruppen, die das nicht wünschen. Der Bundesgesetzgeber ist aufgerufen, zwischen
diesen Gruppen zu einem Ausgleich zu kommen. Ich
glaube, dass das, was wir in der Gesetzgebung geleistet
haben, diesem Anliegen gerecht wird.
Frau Kollegin Wicklein, bitte.
Herr Staatssekretär Kasparick, die Opposition kritisiert immer wieder den öffentlichen Dialog zwischen
Wissenschaft, Politik und Gesellschaft, der von der Bundesregierung sehr offensiv vorangetrieben wurde und
gerade jetzt im Einstein-Jahr fortgesetzt wird.
({0})
Welche Erwartungen verbindet die Bundesregierung mit
der Initiative „Wissenschaft im Dialog“, die von allen
großen Forschungsorganisationen und vom Stifterverband der Wissenschaft mitgetragen wird?
Ich glaube, dass diejenigen in der Gesellschaft Recht
haben, die der Auffassung sind, dass es einer besonderen
Anstrengung bedarf, die Forschung zu einem gemeinsamen Anliegen der Gesamtgesellschaft machen zu wollen. Wissenschaft hat nämlich häufig mit sehr abstrakten
Themen zu tun. Wenn wir wollen, dass die große Mehrheit der Bevölkerung den Pfad von Innovation und mehr
Investitionen in Forschung mitgeht, dann brauchen wir
zwingend Dialogprozesse, die der interessierten Bevölkerung, den Fachwissenschaftlern und Unternehmern
Gelegenheit geben, sich an dem Diskurs über Forschung
zu beteiligen. Dem dienen die Jahre der Wissenschaft,
wie beispielsweise das Jahr der Technik oder das Jahr
der Physik. Wir wollen vonseiten der Bundesregierung
diesen Dialogprozess fördern. In diesem Jahr haben wir
aufgrund des Einstein-Jahres eine besondere Gelegenheit dazu.
Ich setze darauf sehr große Hoffnungen; denn ich bin
der festen Überzeugung, dass wir den von mir erwähnten
Kraftakt, den wir brauchen, um die gesamte Gesellschaft
stärker auf Forschung und Innovation auszurichten, ohne
Dialog nicht schaffen werden. Deswegen brauchen wir
Dialogangebote; sie sind ein ganz zentraler Punkt. Die
Jahre der Wissenschaft sind ein geeignetes Instrument,
um den Dialog voranzubringen. Das sehen wir daran,
dass in der Vergangenheit mehrere Hunderttausend Menschen solche Angebote wahrgenommen haben.
Herr Kollege Schummer, bitte.
Herr Staatssekretär, vor dem Hintergrund, dass Forschung und Innovation die Schwerpunkte der Bundesregierung sein sollen, möchte ich Sie fragen: Wie erklären
Sie sich und uns, dass der forschungsintensive Sektor
der Volkswirtschaft mit 0,5 Prozent weit hinter den anderen Sektoren zurückliegt und dass viele forschungsintensive Unternehmen der Meinung sind, dass das
weniger am Geld liege als an den bürokratischen Hemmnissen, die zusätzlich aufgebaut wurden? Teilen Sie
diese Auffassung?
Bei solchen Fragen muss man genau schauen, mit
wem man spricht.
({0})
Denn davon hängt ab, welche Vermutungen über die
Gründe angestellt werden, warum wir besser werden
könnten. Ich nenne Ihnen einmal einen Grund aus unserer Sicht: Wir hatten sehr viel aufzuholen.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Was heißt
„aus unserer Sicht“?
- Wenn ich Ihnen als Staatssekretär antworte, dann heißt
das: aus Sicht der Bundesregierung.
Wie gesagt, wir hatten sehr viel aufzuholen. Wir haben einen Rückstand und einen Abwärtstrend bei den
Forschungsinvestitionen vorgefunden.
({1})
Der Abwärtstrend ist gestoppt und umgedreht worden.
Der Haushalt weist nun ein Plus von 36 Prozent auf, verehrter Herr Kollege. Wir sind durchaus mit Ihnen der
Meinung, dass Deutschland insbesondere im Vergleich
zu den Vereinigten Staaten, zu Japan und zu einigen
skandinavischen Ländern noch nicht dort ist, wo es sein
müsste. Gerade deswegen sage ich: Wir müssen gemeinsam mit Ihnen Anstrengungen unternehmen, damit mehr
Mittel in Forschung und Bildung fließen.
Herr Kollege Kretschmer, bitte.
Herr Staatssekretär, wie bewerten Sie die Aussage des
Deutschen Hochschulverbands, der heute erklärt hat:
„Das Maß ist voll“; die Ministerin müsse zurücktreten
und Verantwortung für ihre verfehlte und verfassungswidrige Politik übernehmen?
Ich halte diese Forderung für so abwegig, dass ich sie
nicht näher kommentieren möchte.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich lasse die mir
vorliegenden fünf Wortmeldungen noch zu, nehme aber
keine neuen Wortmeldungen mehr an.
Herr Kollege Braun, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben unter anderem von dem
Saldo der Abwanderung und Zuwanderung bei Studenten und Wissenschaftlern in Deutschland gesprochen.
Wie sehen Sie vor dem Hintergrund innovativer Technologien den Umstand, dass insbesondere Sozial- und Kulturwissenschaftler in Deutschland studieren, während
Natur- und Technikwissenschaftler vorwiegend in die
USA gehen? Das zeigt sich auch daran, dass die letzten
vier deutschen Nobelpreisträger ihre Auszeichnung aufgrund ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit in den USA erhalten haben.
Herr Kollege Braun, wir haben über dieses Thema
schon mehrfach gesprochen. Unter anderem hat es eine
Kleine Anfrage - ich glaube: unter Ihrer Federführung und eine gemeinsame Veranstaltung zu diesem Thema
an der Humboldt-Universität gegeben. Ich stimme Ihrer
Einschätzung nicht zu. Wenn man sich die Zahlen genau
anschaut - wir finden, dass das eine wichtige Aussage
ist -, dann stellt man fest: Es ist offensichtlich durch gemeinsame Anstrengungen insbesondere unserer Wissenschaftsförderorganisationen gelungen, das Marketing
deutscher Hochschulen deutlich zu verbessern, sodass
im Saldo mehr Studenten und Wissenschaftler nach
Deutschland kommen als unser Land verlassen.
Deutschland ist nach England das Land in der Welt, in
das am meisten Menschen zum Studieren gehen. Das ist
eine wichtige Trendumkehr.
({0})
Nein, Herr Kollege, ich lasse die Nachfrage nicht
mehr zu.
Jetzt hat die Kollegin Reiche das Wort.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin die vorausschauende Politik der Bundesregierung gelobt. Wir haben in der letzten Debatte gerade von Ihnen gehört, dass
Sie zum Beispiel besonderen Wert auf das Projekt „System Erde“ legen. Nun ist es aber so, dass Sie gerade die
Mittel für das Projekt „System Erde“ um 5 Millionen Euro, nämlich von 83 Millionen Euro auf 78 Millionen Euro - diese Zahlen habe ich dem Haushalt entnommen -, gekürzt haben.
Der Haushalt des GFZ - welches hervorragende wissenschaftliche Leistungen erbringt und aktuell einen großen Beitrag zu einem Tsunami-Frühwarnsystem leistet wurde überrollt. Zählt man die Tarifsteigerungen hinzu,
kommt man auf ein Minus. Wir unterstützen alles, was
zu einem solchen Frühwarnsystem führt.
In diesem Zusammenhang folgende Frage: Woher
werden die versprochenen 40 Millionen Euro genommen? Werden sie dem BMBF-Haushalt entnommen?
Wird innerhalb dieses Haushaltes umgeschichtet? Oder
plant die Bundesregierung tatsächlich, mehr Geld zur
Verfügung zu stellen?
Diese Frage ist insofern interessant, als mir der Zusammenhang zwischen dem Geoforschungszentrum
Potsdam und Ihrem Wahlkreis natürlich klar ist.
Der Punkt ist: Wie Sie wissen, kennen wir Herrn Professor Emmermann sehr gut und arbeiten mit ihm sehr
eng zusammen, nicht zuletzt was das Frühwarnsystem
anbetrifft. Wir haben dieses Programm im Herbst vergangenen Jahres - ich bin mir jetzt nicht sicher, ob Sie
dabei waren - im Rahmen einer großen Veranstaltung
vorgestellt.
Wir streben mit diesem Programm an, die großen Forschungszentren, in denen Einzeldisziplinen betrieben
werden, beispielsweise die Meereswissenschaft, die Geowissenschaften, interessanterweise auch die Sozialwissenschaften und die Fachwissenschaften, in denen es um
Satellitentechnik geht, erstmals zu einem gemeinsamen
System zu verknüpfen. Das geht übrigens auf eine Anregung des GFZ in Potsdam zurück.
Ich erinnere mich, dass alle an dieser Veranstaltung
beteiligten Forschungsorganisationen diesen Ansatz ausdrücklich gelobt haben und sich einig waren: Wir brauchen einen solchen Ansatz; denn wir müssen gerade in
Bezug auf das System Erde von den Einzelerkenntnissen
wegkommen, hin zu einer Gesamtschau.
Was die Mittelausstattung anbetrifft: Herr Professor
Emmermann sagt, die finanzielle Ausstattung dieses
Programms sei aller Achtung wert.
Herr Kollege Tauss, bitte.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, dass im Gegensatz zu dem, was der Kollege
Feibel vorgetragen hat - Herr Kollege, Sie als Reiseunternehmer lade ich gerne einmal ein, in meinen wunderbaren Wahlkreis zu fahren; wir gehen dann miteinander
zum Forschungszentrum Karlsruhe; ich habe einen
Hausausweis und dadurch kommen wir dort leicht zusammen herein -, gerade die Haushalte der großen Forschungszentren, so zum Beispiel die Helmholtz-Gemeinschaft und damit auch das Forschungszentrum
Karlsruhe, in den letzten Jahren einen jährlichen Aufwuchs von 3 Prozent aufwiesen?
Können Sie mir bestätigen, dass die Kürzungen im
medizinischen Bereich, die der Kollege Feibel angesprochen hat, ausschließlich aufgrund einer internationalen
Evaluierung - es erfolgten Umschichtungen innerhalb
der Helmholtz-Gemeinschaft; in Karlsruhe wurden demgegenüber die Bereiche Mikrosystemtechnik, Nanotechnologie und andere erheblich gestärkt - vorgenommen
wurden? Täuscht mich meine Erinnerung oder hat der
Kollege Feibel Recht?
Wir haben innerhalb der HGF, also der Gemeinschaft
der Großforschungszentren des Bundes, das Wettbewerbsverfahren eingeführt. Wir wollen, dass die HGF in
Programmen arbeitet. Beispielsweise beschäftigt sich
ein großes Programm mit Gesundheit, ein anderes mit
neuen Materialien und ein weiteres mit Energie. Wir
wollen, dass die Institute innerhalb dieser Programme
miteinander in den Wettbewerb treten; wir wollen, dass
sich innerhalb der HGF die Besten durchsetzen.
Das führt dazu, dass Fachbereiche von Programmen,
die evaluiert werden, reduziert und gegebenenfalls
- auch das haben wir erlebt - ganz geschlossen werden.
Dazu sagen wir als Politiker: Die Entscheidung darüber,
welcher Bereich reduziert und welcher gestärkt wird,
treffen nicht wir, sondern trifft die Wissenschaft selbst.
Diese Entscheidung ist das Ergebnis einer Evaluierung
von - darauf achten wir sehr - international renommierten Fachleuten. Das kann in einzelnen Forschungszentren dazu führen, dass bestimmte Fachbereiche reduziert
und andere dafür gestärkt werden. Unser Ziel ist: Wir
wollen die besten Themenbereiche nach vorn bringen.
Die Bereiche, von denen wir glauben, dass wir zur
Weltspitze durchstoßen können, wollen wir stärken.
({0})
Herr Kollege Fischer, bitte.
Herr Staatssekretär, die Antwort, die Sie eben gegeben haben, hat eigentlich Bände gesprochen. Sie haben
vorhin auf meine Frage geantwortet, dass es Ihr Ziel ist,
in die Forschung zu investieren und mit Forschungsmitteln wirklich Forschung zu betreiben. Sie haben das Einsteinjahr ausgerufen. Deshalb meine Frage: Wie viel
Prozent der 13 Millionen Euro, die Sie für das Einstein Jahr verwenden, fließen in die Forschung?
Ich habe Ihnen vorhin folgenden Zusammenhang zu
verdeutlichen versucht: Wenn wir es schaffen wollen,
dass die gesamte Gesellschaft eine Orientierung auf Forschung und Innovation mitgeht, dann brauchen wir den
Dialog.
({0})
Das ist zwingend. Wir brauchen den Dialog, weil es uns
sonst nicht gelingen wird, die Gesellschaft bei der Orientierung hin zu mehr Innovation und Forschung mitzunehmen.
({1})
Die Investitionen, die jetzt Kommunikation und Dialog
zugute kommen, werden sich auszahlen: auch in der
Form, dass das Bewusstsein für die Notwendigkeit von
Bildung und Forschung im Deutschen Bundestag und in
dessen Fraktionen künftig noch stärker sein wird als
heute.
({2})
- Nein, das heißt 100 Prozent.
({3})
Die letzte Frage hat der Kollege Rossmann.
Herr Staatssekretär, bei meiner letzten Frage haben
Sie gezeigt, dass Sie ein höflicher Staatssekretär sind,
der nämlich bestimmte Dinge nicht bewertet. Deshalb
will ich Folgendes sagen: In den 150 Fragen der CDU/
CSU wird alles Mögliche gefragt, aber es wird darin
nicht nach der Beteiligung der Länder an der Steigerung
der Aufwendungen für die Forschung gefragt. Mein
knappes Fazit: Da will eine Fraktion gar nicht die ganze
Wahrheit wissen. Deshalb bitte ich Sie herzlich, diesen
Teil der Wahrheit zu ergänzen: Wie haben sich, wenn der
Bund die Mittel für die Forschungsförderung um 36 Prozent erhöht hat, parallel die Mittel bei den Ländern für
diese echte Bund/Länder-Gemeinschaftsaufgabe entwickelt?
Wir haben leider die Beobachtung machen müssen,
dass die Länder die Aufwüchse beim Bund dafür nutzen,
ihre eigene Beteiligung nach unten zu korrigieren.
({0})
In den Länderhaushalten gibt es eine gegenteilige Entwicklung. Ich halte das für gefährlich. Wir brauchen, wie
ich glaube, auf allen Ebenen, auf der Bundesebene, auf
der europäischen Ebene und auf der Länderebene, einen
deutlichen Aufwuchs bei der Forschung.
({1})
Wenn wir das nicht schaffen, dann sind wir nicht gut beraten. Den Versuch der Finanzminister, zu sagen: „Wenn
sich der Bund an bestimmten Stellen stärker engagiert,
dann können wir unsere Haushalte herunterfahren“ - das
kann man verstehen -, halte ich für ausgesprochen kurzsichtig.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen.
Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettsitzung? - Das ist nicht der Fall. Damit beende ich
die Themenbereiche der heutigen Kabinettsitzung.
Gibt es darüber hinaus Fragen an die Bundesregierung? - Auch das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 15/4689, 15/4711 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Ziffer 10
Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen des Abgeordneten Bernhard Kaster auf.
Zunächst die dringliche Frage 1:
Trifft es zu, dass der Prozessvertreter der Bundesregierung, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „FAZ“, am
25. Januar 2005 berichtet, im Zivilprozess eines Journalisten
gegen Regierungssprecher Béla Anda die Auffassung vertreten hat, dass der Regierungssprecher in der Frage der verschwundenen Fotodiskette gelogen habe und Lügen nicht
strafbar sei?
Die Beantwortung der Fragen übernimmt der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach.
Herr Kollege Kaster, wünschen Sie, dass ich die
dringlichen Fragen 1 und 2 im Zusammenhang beantworte, oder möchten Sie nach jeder Antwort Ihre Zusatzfragen stellen?
({0})
- Gut. Dann beantworte ich die dringliche Frage 1 wie
folgt: Die Bundesregierung sieht keinen Anlass, aufgrund von Presseberichten zu einem noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Gerichtsverfahren Stellung zu
nehmen.
Sie haben zwei Zusatzfragen. Ihre erste Zusatzfrage,
bitte.
Die Frage ist auf Veröffentlichungen über Äußerungen gerichtet, die in der Öffentlichkeit bekannt sind. Der
Prozessvertreter der Bundesregierung soll in einem Verfahren geäußert haben, dass der Regierungssprecher die
Unwahrheit gesagt hat und dass Lügen nicht strafbar ist.
Ich möchte nur die Frage beantwortet haben, ob das, was
berichtet worden ist, bestätigt wird; es war eine öffentliche Verhandlung.
Das war die erste Zusatzfrage?
Das war die erste Zusatzfrage.
Die zweite Zusatzfrage steht im Zusammenhang mit
dem gesamten Sachverhalt: Wie bewertet die Bundesregierung die zwischenzeitlich als Lüge enttarnte Behauptung eines Staatssekretärs, nämlich von Herrn Anda,
dass er - wie auch in der „Süddeutschen Zeitung“ vom
gestrigen Tag nachzulesen ist - seine Tasche einem älteren Herrn übergeben habe und im Hinblick auf das Verschwinden der Fotos vermute, dass der CIA dahinter stecken könne? Diese Dinge sind ja in der Öffentlichkeit
dargelegt und inzwischen auch belegt worden.
Sie gestatten, dass ich diese beiden Zusatzfragen zusammen beantworte: Verehrter Herr Kollege, diese
Bundesregierung lehnt es grundsätzlich ab, über Zeitungsberichte Wertungen vorzunehmen oder dazu Stellungnahmen abzugeben. Dies ist zugleich auch die Antwort auf Ihre zweite Zusatzfrage.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Feibel.
({0})
Ich enthalte mich einer Wertung, Herr Kollege. - Befürchtet die Bundesregierung nicht, dass das Ausmaß
dieser ganzen Angelegenheit einschließlich des Eingeständnisses der Lüge dazu führt, dass die Spekulationen
über die bekannten Details bezüglich des Inhalts der Fotos hinausgehen?
Da weder Sie noch ich, verehrter Herr Kollege Feibel,
und vor allem auch nicht die Bundesregierung den Inhalt
dieser Fotos kennen, kann ich dazu nichts sagen.
Im Übrigen teile ich Ihre Meinung hinsichtlich des
Begriffes „Lüge“, den Sie da gebraucht haben, nicht.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Kampeter.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin ausgeführt, dass
Sie sich nicht zu laufenden Prozessen äußern wollen.
Tatsache ist allerdings, dass der Prozessbevollmächtigte
der Bundesregierung in einem Verfahren für die Bundesregierung erklärt hat, dass der Staatssekretär Anda, der ja
Regierungssprecher ist und dessen Aufgabe die Information der Bundesbürger über die Arbeit der Bundesregierung ist, gelogen hat, und darüber hinaus ausgeführt hat,
dass es zu keiner Dienstpflichtverletzung hätte kommen
können, weil es sich nicht um eine dienstliche Lüge, sondern um eine private Lüge gehandelt habe. Dieser
Rechtsauffassung, dass dienstliche Lügen und private
Lügen zu unterscheiden seien, ist das Gericht offenbar
gefolgt. - Das scheint der unstreitige Sachverhalt zu
sein, auf den ich mit meiner Frage abziele.
Angesichts der Äußerungen des Prozessbevollmächtigten über den Status von Lügen - dienstlich oder privat frage ich Sie: Wie bewertet die Bundesregierung die
Einlassung des Staatssekretärs zu diesem Sachverhalt,
unter anderem vor den Ausschüssen des Deutschen Bundestages, und wie ist in diesem Zusammenhang die von
dem Prozessbevollmächtigten als Lüge charakterisierte
Sachverhaltsdarstellung gegenüber dem Parlament zu
bewerten?
Herr Kollege Kampeter, wenn ich Sie richtig verstanden habe, unterstellen Sie einen unstreitigen Sachverhalt
hinsichtlich von Äußerungen eines Prozessbevollmächtigten der Bundesrepublik Deutschland und damit der
Bundesregierung, die dieser in einem Prozess gemacht
haben soll, die Sie aber vermutlich wie alle anderen hier
auch, die bei diesem Prozess nicht anwesend waren, nur
aus Zeitungsberichten kennen. Ich kann also Ihre Zusatzfrage, die man in zwei Teilfragen - a und b - unterteilen kann, wie folgt beantworten:
Zu a: Auch hier gilt, dass ich mich, genauso wie die
Bundesregierung insgesamt, nicht zu irgendwelchen Zitaten oder möglichen Angaben, die sich in Zeitungsberichten wiederfinden, äußern werde.
Zu b: Wenn der Staatssekretär, also der Pressesprecher Béla Anda, bereits in Ausschüssen zu dieser Frage
Stellung genommen hat, dann muss ich heute dazu keine
Antwort mehr geben. Sie verlangen ja von mir, eine Bewertung zu angeblichen Äußerungen des Prozessbevollmächtigten und zu protokollierten Äußerungen des
Staatssekretärs - ich kenne sie im Einzelnen nicht; Sie
kennen sie scheinbar und werden sie gleich in Ihrer
nächsten Zusatzfrage zitieren - abzugeben. Dazu stelle
ich nur fest, dass ich Ihrer Wertung nicht folgen kann.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Fischer.
Die Bundesregierung steht derzeit vor einer großen
Reihe von Problemen. Ein Problem - darüber sprechen
wir im Moment - ist die Glaubwürdigkeit ihres Regierungssprechers. Vor diesem Hintergrund interessiert
mich, welche Maßnahmen die Bundesregierung ergreifen wird, um die Glaubwürdigkeit ihres Regierungssprechers in der Öffentlichkeit wiederherzustellen, was für
die Darstellung nach außen wichtig wäre.
Herr Kollege, ich teile Ihre Einschätzung hinsichtlich
der Glaubwürdigkeit des Regierungssprechers nicht. Die
Bundesregierung sieht keinerlei Veranlassung, irgendetwas zu unternehmen.
({0})
Ich rufe die dringliche Frage 2 des Kollegen Bernhard
Kaster auf:
Sieht die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass vom
Landgericht laut dem „FAZ“-Bericht eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Journalisten festgestellt worden ist, indem der Regierungssprecher unter Hinweis auf seine unwahre
Behauptung, die Diskette nie erhalten zu haben, Medien zu einer Negativberichterstattung über diesen Journalisten anstachelte, ein Anzeichen für ein strafbares Verhalten von Béla
Anda und welche Konsequenzen wird die Bundesregierung
aus diesem Vorgang ziehen?
Das wird genauso spannend. - Verehrter Herr Kollege
Kaster, ich darf zunächst auf die Antwort auf die dringliche Frage 1 verweisen. Ich gehe aber noch ein bisschen
weiter. Das Landgericht hat bislang lediglich wie folgt
tenoriert: Die Klage wird abgewiesen. Wie ich schon in
meiner Antwort auf die Frage des Kollegen Fischer gesagt habe, sieht die Bundesregierung keinen Anlass,
Konsequenzen zu ziehen.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Betrachten Sie es als seine private Angelegenheit
oder hat es etwas mit seiner Funktion zu tun, wenn der
Regierungssprecher beispielsweise die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ bittet, seine Darstellung des
Vorgangs bezüglich der Fotodiskette, über den wir hier
sprechen, zu verbreiten?
Die Klage - Beklagte war die Bundesrepublik
Deutschland, vertreten durch die Bundesregierung und
diese wiederum vertreten durch das Bundeskanzleramt wurde mit der Amtshaftung begründet. Aus der Tatsache, dass das Landgericht diese Klage abgewiesen hat,
können Sie den Schluss ziehen, dass das Gericht keine
Amtshaftung festgestellt hat.
Kann ich Ihre Antwort so verstehen, dass Sie das Vorgehen Herrn Andas, das ich eben beschrieben habe, seinem Privatbereich zuordnen?
Das können Sie so nicht verstehen; denn darauf kann
ich keine Antwort geben. Ich habe nur gesagt, welche
Folgerungen man aus dem Urteil des Landgerichts Berlin ziehen kann.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Feibel.
Herr Staatssekretär, angesichts dessen, was nun in der
Öffentlichkeit über diese gesamte Angelegenheit bekannt geworden ist, muss es der Bundesregierung doch
ein besonderes Anliegen sein, den Sachverhalt aufzuklären. Denn wie würde ein Regierungssprecher im Ausland wahrgenommen werden, wenn die Beschuldigung,
er habe gelogen, nicht widerlegt werden könnte. Haben
Sie die Hoffnung oder auch die Befürchtung, dass die
Fotodiskette doch noch auftaucht, sodass die Öffentlichkeit die Wahrheit erfahren kann?
Frau Präsidentin, das waren jetzt zwei Zusatzfragen.
Herr Kollege Feibel hatte eine Zusatzfrage.
Ich meine, es seien zwei Zusatzfragen gewesen.
({0})
- Gut, dann unterteile ich Ihre Frage, Herr Kollege
Feibel, in a und b, wie ich es vorhin schon einmal gemacht habe.
Zu a: Die Bundesregierung kann nicht nachvollziehen, was Sie sagen. Denn die Bezichtigungen in diesem
Fall sind bisher nicht gerichtsfest bestätigt. Es gibt
außerdem eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft Berlin, ein Verfahren gegen Herrn Anda einzustellen.
Zu b: Sie operieren hier mit Unterstellungen und Vermutungen. Die Bundesregierung hat aber nicht die Absicht, sich zu Unterstellungen oder Vermutungen zu äußern.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Kampeter.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin in Ihrer Antwort
auf die zweite dringliche Frage des Kollegen Kaster auf
den Tenor des laufenden Gerichtsverfahrens hingewiesen. Da Sie sich vor dem deutschen Parlament zu dem
Tenor des Gerichtsverfahrens äußern, gehe ich davon
aus, dass Ihnen die entsprechenden Prozessvorbereitungen bzw. der in der Presse veröffentlichte Tenor bekannt
sind. Ich weise zurück, dass die Berichte der Presse über
die in einer öffentlichen Verhandlung getätigten Äußerungen falsch sind. Diese werden von niemandem bestritten.
Von daher meine Frage: Ist die Position in dieser öffentlichen Verhandlung, dass es beim Handeln des Regierungssprechers eine Unterscheidung zwischen einer
privaten, nicht strafbaren Lüge und einer dienstlichen,
gegebenenfalls zu Dienstverletzungen führenden Lüge
geben müsse, mit dem Justizministerium abgeklärt und
ist dies die Rechtsauffassung der gesamten Bundesregierung?
Herr Abgeordneter Kampeter, ich kann auf Ihre vielschichtige Frage nur wieder antworten: Natürlich stellen
wir gewisse Äußerungen so hin, wie sie gemacht worden
sind, nämlich als Pressemeldung. Wir werden uns hüten,
irgendwelche Wertungen vorzunehmen, wie Sie sie hier
pausenlos gegenüber dem Staatssekretär im Kanzleramt
vornehmen.
Es gibt für uns keinen Anlass, hier in irgendeiner
Form rechtsberatend tätig zu werden. Als Bundesministerium der Justiz haben wir auch nicht die Aufgabe,
quasi als Generalstaatsanwalt Ermittlungsverfahren einzuleiten oder durchzuführen. Deswegen kann ich Ihnen
dazu nur sagen: Solange eine solche Frage keine offizielle Frage ist, die wie bei Ihnen nicht nur auf Mutmaßungen beruht, hat das Bundesministerium der Justiz
keine Veranlassung, hierzu rechtstheoretische Untersuchungen anzustellen.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Fischer.
Ich werde meine Frage ganz einfach stellen, damit Sie
Ihre Antwort nicht in a und b unterteilen müssen: Welches Bild gibt ein der Lüge überführter Regierungssprecher - das hat er selber immerhin eingeräumt - an der
Seite des deutschen Bundeskanzlers in der Öffentlichkeit
ab?
Mir ist nicht bekannt, dass so etwas eingeräumt worden ist. Da mutmaßen Sie wieder. Wer so wie Sie von
der Union mit dem Lügenausschuss kläglich gescheitert
ist, sollte mit dem Wort „Lüge“ etwas vorsichtiger umgehen.
({0})
- Natürlich, das war meine Antwort. Besser ging es
nicht.
({1})
- Das war hohes Niveau.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Gewalt.
Herr Staatssekretär, Sie haben von der Einstellung des
Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Berlin gesprochen. Können auch Sie bestätigen - mir ist das bekannt -,
dass die Staatsanwaltschaft Berlin das Verfahren nur
deshalb eingestellt hat, weil die Beweismittel auf dem
Weg von der Staatsanwaltschaft Bonn zu der dann federführenden Staatsanwaltschaft Berlin auf merkwürdige
Weise verloren gegangen sind?
Herr Kollege Gewalt, ich habe die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft gelesen, die genauso ist, wie
sie nach § 170 Abs. 2 StPO sein soll. Alles andere sind
wieder Mutmaßungen Ihrerseits.
({0})
- Dann müssen Sie den Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses Berlin fragen.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Fromme.
Herr Staatssekretär, wenn Sie schon dieses Verhalten
hinnehmen und Herrn Béla Anda im Amt belassen, wie
beurteilen Sie dann den Vorgang, dass er seine Stellung
dazu benutzt hat, die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ aufzustacheln, gegen den entsprechenden Journalisten tätig zu werden? Ist das auch eine Privatsache
bzw. etwas, was auf das dienstliche Verhältnis nicht zurückstrahlt?
Herr Kollege Fromme, ich weiß zunächst einmal
nicht, was Sie unter „dieses Verhalten hinnehmen“ verstehen. Ich sehe da kein Verhalten.
({0})
Nachdem die dringlichen Fragen aufgerufen und beantwortet worden sind, rufe ich jetzt die Fragen auf
Drucksache 15/4689 in der üblichen Reihenfolge auf.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf. Die Beantwortung der Frage übernimmt Herr
Staatssekretär Erich Stather.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Peter Weiß
auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die geplante Vereinbarung zwischen Geberländern der International Development
Association, IDA, der Weltbankgruppe, nach der die IDA den
Anteil der direkten Zuschüsse an ihrer Entwicklungshilfe innerhalb von drei Jahren von derzeit 19 auf rund 30 Prozent erhöhen soll - vergleiche „Frankfurter Allgemeine Zeitung“
vom 17. Januar 2005 -, und welche Folgen hat dies für den
künftigen Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur IDA?
Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter, bei den noch andauernden Wiederauffüllungsverhandlungen zu IDA 14
haben sich die Geber darauf verständigt, dass die länderspezifische Schuldentragfähigkeit in Zukunft die alleinige Entscheidungsgrundlage dafür sein muss, ob ein
IDA-Empfängerland Zuschüsse, Kredite oder eine Mischung aus beidem erhält. Das vereinbarte Bewertungsmodell, das von der Weltbank auf der Grundlage von
Schuldentragfähigkeitsanalysen entwickelt wurde, wird
von der Bundesregierung und allen anderen Gebern begrüßt. Zu diesem Modell gehört auch ein Zuschussanteil von circa 30 Prozent des IDA-Gesamtvolumens.
Durch die Erhöhung des Zuschussrahmens bei IDA 14
vermindert sich der Gesamtbetrag der Zins- und Tilgungszahlungen, der nach Ablauf der zehn Freijahre,
das heißt ab dem Jahr 2015, von den IDA-Empfängerländern an die Weltbank geleistet werden muss. Finanzielle Mittel zur Kompensation dieser Einnahmenverluste sind jetzt noch nicht quantifizierbar. Dies wird
Bestandteil zukünftiger Wiederauffüllungsverhandlungen zur IDA sein.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, auch wenn Sie keine konkreten
Zahlen nennen können, bedeutet dies doch, dass der
deutsche Beitrag zur Wiederauffüllung der IDA spätestens ab dem Jahr 2015 deutlich erhöht werden muss,
weil die Weltbank Rückflüsse aus den Zinsleistungen
Peter Weiß ({0})
der Empfängerländer nicht mehr in der bisherigen Höhe
erhält. Können Sie in etwa beziffern, um welchen Prozentsatz die Bundesrepublik Deutschland ihren Beitrag
zur Weltbank bzw. zur IDA-Wiederauffüllung erhöhen
muss?
Herr Abgeordneter, das lässt sich nicht genau beziffern. Wenn wir aber davon ausgehen, dass der bisherige
Zuschussanteil in Höhe von etwa 19,1 Prozent auf in Zukunft 30 Prozent erhöht wird, können Sie den Betrag errechnen, der zusätzlich finanziert werden muss. Man
muss also davon ausgehen, dass das Gesamtvolumen für
IDA zukünftig um etwa 11 bis 12 Prozent steigen muss,
wenn das Gesamtniveau beibehalten wird. Sie wissen,
dass es Verhandlungen unter den Gebern gibt und die jeweiligen Anteile unterschiedlich sind. Es gibt keine Verpflichtung, einen bestimmten Anteil zu erbringen. Wir
sind im Augenblick bei der Wiederauffüllungsrunde zu
IDA 14. Dabei ist noch eine Finanzierungslücke zu füllen; dies wird sich aber im Laufe der Monate März und
April ergeben.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, Sie haben heute Vormittag im
Bundestagsausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auch darüber berichtet, dass seitens der Bundesregierung die Idee einer internationalen
Finanzierungsfazilität unterstützt wird, womit wir durch
neue Anleihen, die wir ausgeben werden, zukünftig Verpflichtungen eingehen, die eines Tages durch den Bundeshaushalt für die Entwicklungszusammenarbeit abgedeckt werden müssen. Hält es die Bundesregierung
tatsächlich für darstellbar, dass wir ab dem Jahr 2015 für
zwei neue Finanzierungsinstrumente der Entwicklungszusammenarbeit eine so deutliche Steigerung unserer
Ausgaben für internationale Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit vorsehen?
Ich glaube, es ist verfrüht, jetzt über Finanzierungsfragen des Jahres 2015 zu reden, weil das eine Frage des
Gesamthaushalts und auch der Entwicklungspolitik ist,
wobei wir davon ausgehen, dass insgesamt Steigerungen
stattfinden werden. Ich glaube, dass wir, wenn ich Ihre
Äußerungen richtig verstanden habe, da Ihre Unterstützung haben.
Man sollte die internationale Finanzierungsfazilität,
die im Gespräch ist und die im Rahmen des G-7- bzw.
des G-8-Prozesses im Laufe dieses Jahres diskutiert werden wird, nicht mit dieser Frage vermengen. Das ist ein
anderes Instrument. Auch die Realisierung dieses Instruments befindet sich noch in der Diskussion.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung
der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts
auf. Die Fragen wird Frau Staatsministerin Kerstin
Müller beantworten.
Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Peter Weiß auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Ankündigung der
Regierung Kubas, die Beziehungen Kubas zur Europäischen
Union, EU, normalisieren zu wollen, hinsichtlich der Frage
einer möglichen Aussetzung der bestehenden Sanktionen der
EU gegen Kuba und wie wird sich die Bundesregierung bei
der Sitzung des Rates der EU-Außenminister am 31. Januar
2005 zur künftigen Kubapolitik positionieren?
Die Bundesregierung geht nicht davon aus, dass sich
das kubanische Regime unter Fidel Castro grundsätzlich
reformieren und politisch öffnen wird. Dennoch ist die
erfolgte Wiederaufnahme regulärer diplomatischer Kontakte in Havanna ebenso wie die Freilassung erkrankter
Dissidenten ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Verbesserung der Beziehungen zu Kuba.
Die Bundesregierung ist sich mit allen EU-Mitgliedstaaten darin einig, dass die künftige Kubapolitik der EU
die Lage der gesamten kubanischen Bevölkerung berücksichtigen und deshalb auch den Dialog mit den Dissidenten intensivieren und regelmäßiger gestalten muss.
Es ist derzeit allerdings noch offen, ob das in der Frage
genannte Thema auf die Tagesordnung des Rates für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen am
31. Januar gesetzt werden wird. Derzeit finden dazu
noch Konsultationen statt. Sofern es zur Behandlung
dieses Themas kommt, würde die Bundesregierung einen EU-Konsens mittragen. Im Rahmen der Wiederaufnahme des politischen Dialogs wird die Bundesregierung auch prüfen, ob eine schrittweise Wiederaufnahme
der Kooperation, zum Beispiel im Bereich der kulturellen Zusammenarbeit, möglich ist.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatsministerin, auch wenn angeblich noch offen ist, ob dieses Thema am 31. Januar auf dem Rat tatsächlich behandelt und dazu ein Beschluss gefasst wird:
Ist für die Bundesregierung überhaupt vorstellbar, dass
die derzeitigen EU-Sanktionen gegenüber Kuba aufgehoben werden, ohne dass die rund 75 politischen Häftlinge, die es zurzeit in Kuba gibt, freigelassen werden?
Ich kann dazu heute noch keine abschließende Aussage machen. Sie wissen, dass alle EU-Mitgliedstaaten
den bisherigen Spaltungsversuchen seitens der kubanischen Regierung widerstanden haben. Die gemeinsame Politik der Europäischen Union hat schon zu
einigen kleineren Erfolgen geführt, zum Beispiel zu der
Freilassung von 14 der 75 politischen Gefangenen - Sie
erwähnten sie -, die im April 2003 verurteilt wurden.
Darüber hinaus haben wir natürlich ein Interesse an einer
schrittweisen Normalisierung der Beziehungen. Allerdings ist für uns völlig klar, dass wir den Dialog gerade
mit den Dissidenten intensivieren wollen. Zu diesen Fragen laufen derzeit die Konsultationen, in denen es darum
geht, wie das weitere Vorgehen der EU-Mitgliedstaaten
sein wird.
Sie haben noch eine Zusatzfrage? - Ja.
Frau Staatsministerin, für die kubanische Regierung
und für das Regime von Fidel Castro war der Anlass dafür, den Kontakt zu den Botschaften der EU-Länder weitestgehend einzufrieren, dass der deutsche Botschafter
und auch die anderen EU-Botschafter zu den Empfängen
anlässlich der jeweiligen Nationalfeiertage - bei uns ist
das der 3. Oktober - Dissidenten als Gäste eingeladen
haben. Wird das Auswärtige Amt den deutschen Botschafter in Kuba anweisen, auch künftig Dissidenten
zum Empfang anlässlich des deutschen Nationalfeiertages einzuladen, oder stehen diese Einladungen zur Disposition, damit dem Wunsch nach einer Normalisierung
der Beziehungen zu Kuba nachgekommen werden kann?
Die Einladung von Dissidenten zu den Empfängen
anlässlich der Nationalfeiertage ist ein Teil der so genannten Juni-Maßnahmen der Europäischen Union. Sie
werden auch weiterhin aufrechterhalten, bis die EU etwas anderes beschließt; das ist völlig klar. Es finden zurzeit Beratungen über die Frage statt, wie die nächsten
Schritte unserer Kubapolitik ausgestaltet werden sollen.
Sie wissen vielleicht, dass der Auswärtige Ausschuss
heute den Beschluss gefasst hat, auch künftig Dissidenten zu den Empfängen anlässlich der Nationalfeiertage
der EU-Mitgliedsländer einzuladen. Selbstverständlich
wird sich die Bundesregierung in den Konsultationen
mit den EU-Partnern für diese Empfehlung des Bundestages einsetzen.
Wir setzen in dieser Frage auf einen Konsens in der
EU und wollen uns von der kubanischen Regierung nicht
spalten lassen. Dennoch bleibt abzuwarten, wie der EUKonsens zu diesem Thema aussehen wird. Es ist, wie gesagt, auch noch gar nicht klar, ob dieser Komplex am
31. Januar überhaupt auf der Tagesordnung stehen wird.
Bis dahin bleibt es - das ist völlig klar - bei den JuniMaßnahmen.
Die Frage 3 des Kollegen Dr. Egon Jüttner wird
schriftlich beantwortet. Deshalb sind wir am Ende dieses
Geschäftsbereichs. Vielen Dank, Frau Staatsministerin,
für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf. Die Fragen 4 und 5 des Kollegen HansMichael Goldmann wurden zurückgezogen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf.
Die Frage 6 des Kollegen Dr. Egon Jüttner wird
schriftlich beantwortet.
Deshalb rufe ich jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend auf. Die Fragen wird die Parlamentarische Staatssekretärin Marieluise Beck beantworten.
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Andreas Scheuer
auf:
Für welchen Verwendungszweck und welchen Verteilerkreis wurde die Dokumentation „Familie im Spiegel der amtlichen Statistik“ in englischer Sprache unter dem Titel „Families in Germany - Facts and Figures“ durch das
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
veröffentlicht?
Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Scheuer, die Veröffentlichung dient der internationalen Öffentlichkeitsarbeit des Ressorts. Dazu präsentiert das BMFSFJ auf einer Minidisc im Flyer „Families in Germany - Facts and
Figures“ eine Kurzfassung im Umfang von etwa
50 Seiten der deutschen Langfassung mit dem Titel „Die
Familie im Spiegel der amtlichen Statistik“. Diese Kurzfassung wurde inhaltlich auf die internationale Verwendung zugeschnitten, durch internationale Vergleichsdaten ergänzt und mit Links zu weiterführenden
Informationsquellen versehen.
Der Flyer dient dem zunehmend notwendigen internationalen Erfahrungsaustausch über die soziale Situation von Familien und über demographische Fragen. Er
deckt den Bedarf an Informationen auf internationalen
Kongressen und Tagungen sowie bei Kontakten mit ausländischen Delegationen und Besuchergruppen sowie
bei Besuchen im Ausland.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Entschuldigen Sie, aber ich musste auf der Regierungsbank gerade klarstellen, dass die Anrede „Herr
Dr. Scheuer“ korrekt ist und gratuliere Ihnen hiermit zur
Promotion!
Danke schön, Frau Staatssekretärin. Ich werde meine
Zusatzfragen trotzdem stellen.
({0})
Frau Staatssekretärin, danke für die Auskunft. Gibt es
denn auch bei den europäischen Nachbarn und Freunden
Werbemittel in ähnlicher Form: aufwendig aufgemacht,
in englischer Sprache und als Minidisc?
Das kann ich Ihnen so nicht sagen. Wir haben keinen
Abgleich vorgenommen. Ich glaube, es ginge auch zu
weit, hier eine internationale Vereinheitlichung vorzunehmen. Wir machen die Erfahrung, dass es sinnvoll und
notwendig ist, uns auf internationalen Tagungen informativ zu verhalten. Sie werden mir sicher darin zustimmen, dass die Verwendung der englischen Sprache diesem Anliegen sehr dienlich ist.
({0})
Ihre weitere Zusatzfrage.
Ich stimme Ihnen gerne zu, Frau Staatssekretärin,
dass es wichtig ist, die Familienpolitik nach außen darzustellen.
({0})
Insofern mache ich Ihnen auch keinen Vorwurf. Ich
wüsste jedoch gern, in welcher Auflage dieses aufwendige Informationsmaterial hergestellt wird und wie lange
dieses Material und der Bericht „Die Familie im Spiegel
der amtlichen Statistik“ aktuell bleibt bzw. wann eine
Neuauflage geplant ist.
Das waren eine ganze Menge Fragen. Die Auflage beträgt 5 000 Stück. Innerhalb von vier Wochen war bereits die Hälfte davon angefragt und verteilt. Ich gehe
davon aus, dass auch Sie als Abgeordneter des Deutschen Bundestages ein Interesse daran haben, dass die
Familienpolitik der Bundesregierung auf moderne und
transparente Art und Weise dargestellt wird. Wir wollen
uns nicht abschotten, sondern im Gegenteil mit den anderen Ländern kommunizieren, von ihnen lernen und
auch selber etwas an diese weitergeben.
Zur Umfänglichkeit würde ich gerne auf die folgende
Frage verweisen, kann die Antwort aber gerne schon
vorwegnehmen: Die Frage der Umfänglichkeit ist immer
sehr relativ, Herr Kollege Scheuer. Die Idee, sich öffentlich zu präsentieren, stammt übrigens nicht aus dieser
Legislaturperiode, sondern wurde von uns lediglich wieder aufgegriffen. Die Idee als solche stammt von der verehrten Frau Ministerin Claudia Nolte, die im Jahre 1997
eine ähnliche Broschüre hat erstellen lassen, allerdings
mit einer sehr viel kostenträchtigeren Übersetzung in
mehrere Sprachen. Insofern hat unser Ministerium eine
in der Form modernere und gleichzeitig kostengünstigere Art der Veröffentlichung gewählt.
({0})
Frau Staatssekretärin, jetzt rufe ich die Frage 8 des
Kollegen Dr. Andreas Scheuer auf:
Welchen Anlass gab es für die Veröffentlichung und welche finanziellen Mittel sind hierfür eingestellt?
Danke.
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend; Beauftragte der Bundesregierung für Migration,
Flüchtlinge und Integration:
Ich lese meine Antwort, auch wenn der Kollege eigentlich nicht so schwer von Begriff ist, gerne noch einmal vor: Der Anlass bestand in der notwendigen Aktualisierung der Datenbroschüre, die erstmalig im Jahr 1997
unter Ministerin Claudia Nolte erstellt und damals ins
Englisch, ins Französische und sogar ins Spanische
übersetzt und als Broschüre publiziert wurde.
Bei ihrer Neuauflage im Jahr 2003 wurde aus Kostengründen auf die sehr kostenintensiven und umfangreichen fremdsprachigen Ausgaben verzichtet, die durch
eine einzige, nämlich die vorliegende englischsprachige
Kurzfassung, ersetzt wurden. Damit wird nicht nur eine
deutliche Kostenreduzierung erreicht, sondern auch ein
Produkt erstellt, das medientechnisch auf dem neuesten
Stand ist, leichter und vielseitiger verwendbar ist und
von den Multiplikatoren sehr positiv aufgenommen
wurde. Insgesamt sind für die Erstellung von
5 000 Flyern mit Minidisc für Layout, Übersetzung und
Druck einmalig 8 844,65 Euro gezahlt worden.
Ihre Zusatzfragen, Herr Kollege, bitte.
Frau Staatssekretärin, ich bedanke mich sehr herzlich
für Ihre genaue Angabe. Wenn ein Abgeordneter eine
Frage stellt, muss das nicht heißen, dass er dadurch das
Handeln der Bundesregierung kritisieren will; als Abgeordneter will man sich auf dem eigenen Fachgebiet einfach kundig machen.
({0})
- Ja, Herr Tauss, ich habe Sie gerade gelobt. Jetzt machen Sie sich einmal locker.
({1})
Frau Staatssekretärin, da Sie die Kosten sehr genau tituliert haben, habe ich nur noch eine Zusatzfrage: Welche Agentur hat diesen Auftrag erhalten?
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend; Beauftragte der Bundesregierung für Migration,
Flüchtlinge und Integration:
Da bin ich überfragt, Herr Kollege Scheuer. Die Antwort auf diese Frage bekommen Sie aber gern schriftlich
nachgereicht; denn wir sind bemüht, unser Handeln
transparent zu machen, und wir freuen uns, wenn unsere
Arbeit in dieser Weise von den Abgeordneten auch der
Opposition gewürdigt wird.
Danke schön.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Die Fragen beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Körper.
Ich rufe Frage 9 des Kollegen Roland Gewalt auf:
Welche Informationen hat die Bundesregierung seit Januar
2001 von den Innenministern und -senatoren der Länder über
Vaterschaftsanerkennungen erhalten, bei denen - erstens - das
Kind nicht die deutsche Staatsangehörigkeit hatte und die
Mutter zur Ausreise verpflichtet war und es - zweitens - Hinweise gibt, dass die Anerkennung nur zum Schein erfolgte,
also nicht aufgrund tatsächlicher leiblicher Abstammung oder
zumindest sozial-familiärer Beziehung, sondern aus sachfremden Gründen, insbesondere zur Erlangung von Rechtsansprüchen auf Sozialleistungen oder Aufenthaltstitel?
Herr Gewalt, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die
Bundesregierung hatte von den Ländern zunächst Verdachtshinweise erhalten, dass deutsche Männer - zumeist solche, die Sozialhilfe beziehen - gegen Bezahlung die Vaterschaft von Kindern ausreisepflichtiger
Ausländerinnen bewusst wahrheitswidrig anerkennen
würden, um den Müttern der somit deutschen Kinder zu
einer Aufenthaltserlaubnis zu verhelfen. Die Innenministerkonferenz hatte dieses Problem am 6. Dezember
2002 erörtert und beschlossen, durch eine bundesweit
bei den Ausländerbehörden durchzuführende Datenerhebung zu empirischen Erkenntnissen über die Zahl der
Verdachtsfälle zweckwidriger Vaterschaftsanerkennungen zu gelangen.
Aus dem vom Arbeitskreis I der Innenministerkonferenz dazu erstellten Bericht, der auf einer bei den Ausländerbehörden durchgeführten Datenerhebung in der
Zeit - das ist wichtig - vom 1. April 2003 bis zum
31. März 2004 beruhte, ging Folgendes hervor: In
2 338 Fällen wurde eine Aufenthaltsgenehmigung an
eine unverheiratete ausländische Mutter eines deutschen
Kindes erteilt. Davon waren 1 694 Mütter zum Zeitpunkt der Vaterschaftsanerkennung ausreisepflichtig. In
1 449 Fällen beruhte die deutsche Staatsangehörigkeit
eines Kindes und daraus folgend die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an eine ausreisepflichtige Ausländerin
auf einer Vaterschaftsanerkennung durch einen Deutschen.
Die erhobenen Zahlen belegen nach Auffassung des
Arbeitskreises I der Innenministerkonferenz nicht, in
wie vielen Fällen es sich tatsächlich um zweckwidrige
Vaterschaftsanerkennungen, bei denen also keine leibliche oder soziale Beziehung zum Kind gegeben ist, handelte. Diese Frage wurde im Rahmen der Untersuchung
nicht behandelt; das war den Ausländerbehörden auch
nicht möglich. Die im Bericht genannten Zahlen wurden
von der Innenministerkonferenz allerdings als starkes Indiz dafür angesehen, dass es in nicht unerheblicher Anzahl zu Vaterschaftsanerkennungen kommt, die primär
der Vermittlung eines Bleiberechts dienen. Aufgrund
dieses Berichtes hat die IMK, die Innenministerkonferenz, in ihrem Beschluss vom 19. November 2004 die
Auffassung zum Ausdruck gebracht, dass bei Vaterschaftsanerkennungen ein befristetes Anfechtungsrecht
für einen Träger öffentlicher Belange im Bürgerlichen
Gesetzbuch geschaffen werden sollte.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, dass dem
Bundesministerium des Innern mittlerweile vier detaillierte Berichte der Senatsverwaltung für Inneres über
konkrete Fälle des Missbrauchs des Kindschaftsrechts in
dieser Form vorliegen?
Herr Kollege Gewalt, ich habe in meiner recht ausführlichen Antwort versucht, den Sachverhalt aus Sicht
der Innenministerkonferenz darzulegen. Ich denke, es ist
wichtig, die Sachverhalte in dieser Ausführlichkeit zu
diskutieren. Wir nehmen dieses Thema weiter auf. Auch
dies geht aus meiner Antwort hervor.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich dann die
Stellungnahme des Bundesjustizministeriums gegenüber
dem ARD-Magazin „Fakt“, dass dem Justizministerium
keine gesicherten Erkenntnisse über Missbräuche vorliegen? Kommunizieren Sie nicht miteinander?
Wir haben beste Kontakte zum Bundesjustizministerium. Ihre nächste Frage wird von meinem Kollegen
Alfred Hartenbach als Vertreter des Justizministeriums
beantwortet. Er kann Ihnen Entsprechendes dazu sagen.
Ich glaube, dass wir mit der Frage, wie sich angeblicher Missbrauch darstellt, sehr sorgfältig umgehen müssen. Was die Frage der Aufklärung anbelangt, haben wir
auch ein Stück weit Fürsorgepflicht.
Herr Schröder, Ihre Zusatzfrage bitte.
Herr Staatssekretär, welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass Schleuserbanden die Scheinväter für die ausländischen Mütter organisieren?
Herr Kollege Dr. Schröder, wir sind dabei, den Sachverhalt aufzuklären. Ich habe deutlich gemacht, dass es
das Bemühen der Innenministerkonferenz war, Licht in
die Fallgestaltungen zu bringen. Hierbei wird es eine
Rolle spielen, inwieweit es gegebenenfalls solche Beziehungen bzw. Hintergründe gibt. Diese Frage kann ich
jetzt aber nicht definitiv mit Ja beantworten.
Die Fragen 10 und 11 des Kollegen Johannes
Singhammer werden schriftlich beantwortet, ebenso die
Fragen 12 und 13 des Kollegen Hartmut Koschyk. Auch
die Fragen 14 und 15 des Kollegen Ralf Göbel werden
schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung
der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz auf. Die Fragen beantwortet Herr Parlamentarischer Staatssekretär Alfred Hartenbach.
Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Roland Gewalt
auf:
Warum hat die Bundesregierung bislang keine Gesetzesvorlage in den Deutschen Bundestag eingebracht, die den Behörden bei dem Verdacht auf eine Scheinvaterschaft ein Anfechtungsrecht gibt oder die Anerkennung der Vaterschaft
zum Schein unter Strafe stellt?
Herr Kollege Gewalt, die Bundesregierung nimmt das
Anliegen ernst, missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennungen entgegenzuwirken. Angesichts der Komplexität
der Thematik mit ihren ausländer- und familienrechtlichen Bezügen hält sie es jedoch für geboten, den gesetzgeberischen Handlungsbedarf und die möglichen Handlungsalternativen sehr sorgfältig zu prüfen.
Bevor dazu ein Gesetzentwurf vorgelegt werden
kann, ist der gesamte Themenbereich gründlich aufzuarbeiten. Angesichts des in den letzten Wochen wahrnehmbaren großen Interesses der Öffentlichkeit an familienpolitischen Themen bedarf es auch hier eines hohen
Maßes an Sensibilität.
An erster Stelle sollte die Ermittlung des tatsächlichen
Umfangs von Missbrauchsfällen stehen. Ein nächster
Schritt könnte eine weitere Rückkopplung mit den Ländern hinsichtlich ihrer Erfahrungswerte, zum Beispiel im
Bereich der Jugendämter, sein.
Der Abschlussbericht des Arbeitskreises der Innenministerkonferenz, der der Justiz- und der Jugendministerkonferenz zugeleitet wurde, und der Beschluss der Innenministerkonferenz vom 18. und 19. November 2004
enthalten eine Anregung zur Lösung des Problems. Man
muss sich jedoch in rechtlicher Hinsicht bewusst sein,
dass der Gesetzgeber mit einem behördlichen Anfechtungsrecht Neuland betreten würde, da das geltende
Recht nur Anfechtungsrechte für Vater, Mutter und Kind
vorsieht. Dies entspricht den Wertungen der Kindschaftsrechtsreform von 1998, die übrigens unter der
Federführung der schon einmal erwähnten damaligen
Familienministerin Claudia Nolte und unter dem Patronat des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl ein sehr
gutes Ergebnis gebracht hat, weil die Rechtsstellung und
die Verantwortung der Mutter eines nicht ehelich geborenen Kindes durch die Abschaffung der Amtspflegschaft ganz bewusst gestärkt wurden. Seitdem setzt eine
wirksame Vaterschaftsanerkennung nur noch die Anerkennungserklärung des Vaters und die Zustimmung der
Mutter voraus.
Weil wir das Problem ernst nehmen, wird - das habe
ich bereits eingangs gesagt - das Bundesministerium der
Justiz mit den Justizministerien der Länder erörtern, ob
und inwieweit hier Einschränkungen möglich und sinnvoll sind.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, dass die
Berliner Senatsverwaltung für Inneres bereits vor dreieinhalb Jahren detaillierte Berichte an die Bundesregierung geliefert hat, und wie erklären Sie sich, dass Ihre
genaue Prüfung der Missbrauchsfälle, die ja richtig ist,
mittlerweile drei Jahre dauert und offensichtlich noch
weitere drei Jahre dauern wird?
Herr Kollege Gewalt, anscheinend haben wir erhebliche Auffassungsunterschiede in Bezug auf detaillierte
Berichte und belastbare Materialien. Die Senatsverwaltung in Berlin hat hierzu in der Tat Verdachtsfälle gemeldet. Verdachtsfälle sind durchaus überprüfbar. Dies ist
aber nicht die Aufgabe des Bundesjustizministeriums
gewesen.
Das Bundesjustizministerium ist der Ansicht - damit
nehme ich Ihre nächste Frage vielleicht vorweg -, dass
für eine Gesetzesänderung immer ein entsprechendes
Bedürfnis vorliegen muss, das durch belastbares Material belegt sein muss, zum Beispiel durch rechtstatsächliche Untersuchungen oder durch eingehende Evaluationen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Nach Ihrer Darstellung handelt es sich nur um Verdachtsfälle. Wie erklären Sie sich dann die vor Kameras
abgegebenen Erklärungen in zehn Fällen von Scheinvaterschaften allein in Berlin, wo klipp und klar gesagt
wurde, dass ausschließlich zur Erreichung des Aufenthaltsrechts der Mutter und von Sozialhilfeansprüchen
des Kindes eine Vaterschaft zum Schein anerkannt
wurde? Das sind Fakten, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Gewalt, ich will es einmal so sagen: Wir
können zunehmend einen gewissen Hang zum Exhibitionismus vor laufenden Kameras feststellen, dem Scheinväter oder angebliche Scheinväter genauso unterliegen
wie Politiker. Ich glaube nicht, dass wir auf solchen Äußerungen etwas in irgendeiner Form begründen können.
Ich bin viele Jahre Staatsanwalt gewesen und würde aufgrund solcher Äußerungen kein Ermittlungsverfahren
gegen irgendjemanden einleiten.
({0})
- Ich wollte es nur gesagt haben.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Schröder.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie die Folgen für
die Kinder? Die Anerkennung durch einen falschen Vater beeinträchtigt ihre Rechte auf Kenntnis ihrer Abstammung und den Umgang mit dem leiblichen Vater. Ich
wundere mich, dass Sie Ihr Handeln davon abhängig
machen, wie viele Betroffene es gibt. Reichen der Regierung nicht schon wenige Missbrauchsfälle aus, um einen
solchen Missbrauch auszuschließen? Wie viele Missbrauchsfälle müsste es denn nach Ihrer Meinung geben?
Herr Dr. Schröder, Missbrauchsfälle sind für mich
solche Fälle, in denen wir einen Missbrauch exakt nachweisen können, etwa dass jemand in der Tat missbräuchlich eine Vaterschaft anerkannt hat. Zu den angesprochenen Verdachtsfällen möchte ich Folgendes sagen: Der
Kollege Fritz Rudolf Körper - wir tauschen uns übrigens
sehr intensiv aus, damit Sie das wissen - hat doch deutlich berichtet, dass lediglich die Fälle mitgeteilt worden
sind, in denen Frauen, die ausreisepflichtig gewesen wären, nach der Geburt ihres Kindes die Anerkennung der
Vaterschaft eines Mannes vorgelegt haben, der deutscher
Abstammung ist oder über eine dauerhafte Aufenthaltsberechtigung verfügt. Daraus nun zu schließen, dass all
diese Fälle - wenn ich das richtig im Kopf habe, sind es
1 964 Fälle - Missbrauchsfälle sind, halte ich für grob
fahrlässig.
Die Frage 17 des Kollegen Manfred Kolbe wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe nun die Frage 18 des Kollegen JochenKonrad Fromme auf:
Welche Auswirkungen hat nach Ansicht der Bundesregierung das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom
13. November 2003 in der Rechtssache C-313/01 - Christine
Morgenbesser/Consiglio dell’Ordine degli Avvocati di
Genova - hinsichtlich der Anerkennung ausländischer Studienabschlüsse wie der französischen Maîtrise en droit als Voraussetzung für die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst für Deutschland, und zwar sowohl hinsichtlich der EUAusländer als auch für deutsche Staatsbürger, die diesen Abschluss im Ausland erworben haben?
Ich freue mich, Herr Kollege Fromme, dass wir uns
gestern noch getroffen haben, und ich Sie überredet
habe, hierher zu kommen. Sie haben nämlich wirklich
interessante Fragen gestellt.
({0})
- Auch er war gestern Abend dabei. Aber ich habe ihn
nicht überredet, hierher zu kommen.
({1})
- Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Kollege Fromme, zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Prüfung, ob und inwieweit ein ausländischer juristischer Abschluss als ein der ersten juristischen Prüfung gleichwertiger Abschluss anzuerkennen
ist, den Landesjustizverwaltungen obliegt. Bei dieser
Prüfung müssen alle relevanten Gesichtspunkte, gegebenenfalls auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs einschließlich der genannten Entscheidung
vom 13. November 2003 in der Rechtssache Morgenbesser, berücksichtigt werden.
Eine entsprechende Prüfpflicht für deutsche Behörden ist jedoch nicht mit einem Anspruch des Bewerbers
auf unmittelbaren Zugang zum deutschen Vorbereitungsdienst gleichzusetzen. Aus dem Urteil kann lediglich abgeleitet werden, dass eine im Ausland erworbene juristische Ausbildung oder entsprechende Berufserfahrung
bei der Entscheidung über die Zulassung ausländischer
Absolventen von den deutschen Behörden zu berücksichtigen ist. Im Hinblick auf die nötigen Kenntnisse des
deutschen Rechts dürften ausländische juristische Abschlüsse in der Regel nicht den nationalen Vorschriften
für die zur Zulassung erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zum Vorbereitungsdienst entsprechen. Dies
gilt unabhängig davon, ob deutsche Staatsbürger oder
EU-Ausländer einen entsprechenden Abschluss im Ausland erworben haben. - Soll ich die nächste Frage auch
direkt beantworten?
({2})
Dann rufe ich die Frage 19 des Kollegen JochenKonrad Fromme auf:
Wann und wie wird die Bundesregierung dieses Urteil bei
der Reform der Juristen- und Anwaltsausbildung berücksichtigen?
Die Justizministerkonferenz hat den Ausschuss zur
Koordinierung der Juristenausbildung beauftragt, eine
Stellungnahme zum Thema „Der Bologna-Prozess und
seine möglichen Auswirkungen auf die Juristenausbildung“ abzugeben. In diese Überprüfung wird auch einbezogen, ob und inwieweit europarechtliche Vorgaben
zur Anerkennung von im Ausland absolvierten juristischen Prüfungen, zu denen auch die genannte Entscheidung gehört, zumindest mittelbar Einfluss auf das deutsche Konzept der das Studium abschließenden Prüfung
sowie auf den deutschen juristischen Vorbereitungsdienst haben. Der Ausschuss wird im Laufe des
Jahres 2005 einen abschließenden Bericht vorlegen.
Jetzt haben Sie vier Zusatzfragen, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich, dass andere
Länder anders verfahren? Das Verhältnis der Rechtsordnung zu einem Ausländer ist nicht nur ein deutsches Problem, sondern ein Deutscher hat in Polen oder England
dasselbe Problem. Wie erklären Sie sich, dass das in anderen Ländern anders gehandhabt wird? Ist das nicht ein
erheblicher Nachteil für unsere jungen Leute?
Herr Kollege Fromme, das von mir eingangs zitierte
Urteil des Europäischen Gerichtshofes beruht gerade
darauf, dass eine Studentin mit dem Namen Christine
Morgenbesser, die in Frankreich ihre Maîtrise en droit
gemacht hat und in Italien - nicht in Deutschland - zum
Vorbereitungsdienst für den Anwaltsberuf zugelassen
werden wollte, dort ohne Begründung abgewiesen worden ist. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs
besagt, dass nicht einfach abgewiesen werden darf, sondern geprüft werden muss, ob die Bewerberin zugelassen werden kann.
Schauen wir uns einmal die ganze Palette der europäischen juristischen Dienste an. Es gibt nicht sehr viele europäische Länder, die solch einen Vorbereitungsdienst
wie wir haben. Das hat übrigens mit der Niederlassungsfreiheit nichts zu tun; es geht nur um den Vorbereitungsdienst. Die Rechtssituation in anderen europäischen
Ländern kann man gar nicht mit dem deutschen Recht
vergleichen.
Gibt es Vergleichsfälle in Deutschland, in denen die
Zulassung versagt wurde?
Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie diese Frage stellen,
weil das eine ganz interessante Sache ist. Mir liegt ein
Beschluss des Verwaltungsgerichtes Hannover vor, das
in einem Verfahren eines Rechtspraktikanten - ich werde
keine Namen nennen -, der im Bereich des Oberlandesgerichts Celle zugelassen werden wollte und einen ausländischen vergleichbaren Abschluss hatte, einen Vergleichsvorschlag unterbreitet hat. Ich weiß im Moment
nicht, ob er akzeptiert worden ist. Es wurde gesagt, die
zuständige Behörde müsse das prüfen und der Person die
Gelegenheit geben, in sechs Pflichtklausuren und drei
mündlichen Prüfungsgesprächen nachzuweisen, dass sie
die gleichen Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Absolventen einer deutschen Hochschule hat, die das erste juristische Staatsexamen gemacht haben. Man kann diesem Menschen nur empfehlen, sofort das erste
juristische Staatsexamen zu machen.
Herr Staatssekretär, gibt es Bestrebungen in Europa,
auch im juristischen Bereich die Niederlassungsfreiheit
zu verwirklichen? Wenn wir eine einheitliche Wirtschaftsordnung wollen, dann muss das möglich sein.
Sie wissen, dass die Richtlinie, über die derzeitig verhandelt wird und die noch lange nicht abgeschlossen ist,
bezüglich der Dienstleistungsfreiheit gerade in den juristischen Berufen Einschränkungen macht. Deswegen
kann ich Ihre Frage im Moment leider nicht beantworten. Vielleicht sind unsere beiden Söhne einmal so weit,
dass sie das zu Ende bringen können.
Danke schön.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Herr Staatssekretär, vielen Dank für die Beantwortung
der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Die Fragen wird Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks beantworten.
Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Michael
Kretschmer auf:
In welchem Umfang ist die Berichterstattung der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 13. Januar 2005 zutreffend,
dass die Bundesregierung in einem internen Papier zur
Finanzplanung der Europäischen Union eine Reduzierung bei
den Strukturfonds plant, und welche Auswirkung hätte dies
für die neuen Bundesländer?
Herr Kollege Kretschmer, das in der Presseberichterstattung angesprochene interne Papier liegt dem Bundesministerium der Finanzen nicht vor und ist hier auch
nicht bekannt. Es ist allerdings zutreffend, dass die Bundesregierung eine Reduzierung des von der Kommission
für die Strukturfonds vorgeschlagenen Mittelvolumens
fordert. Die Bundesregierung spricht sich für eine Rückbesinnung auf das zentrale Ziel der europäischen Strukturpolitik aus. Sie fordert, die Förderung verstärkt auf
die bedürftigsten Regionen in der erweiterten Union zu
konzentrieren, das heißt die Ziel-1-Förderung.
Überwiegend liegen die Ziel-1-Regionen in den
neuen EU-Mitgliedstaaten. Aber auch die ostdeutschen
Regionen werden in der nächsten Förderperiode noch
überwiegend Ziel-1-Gebiet sein und damit in den Genuss einer substanziellen europäischen Förderung gelangen. Der Bund setzt sich gemeinsam mit den Ländern für
die Gleichbehandlung der Regionen unabhängig vom
Wohlstandsniveau des jeweiligen gesamten Mitgliedstaates ein.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Frau Staatssekretärin, vielen Dank für diese Antwort.
Daraus ergibt sich die Frage, wie man mit den Regionen
umgeht, die aus statistischen Gründen - also deswegen,
weil das Wohlstandsniveau im Durchschnitt der Europäischen Union sinkt - aus der Ziel-1-Förderung herausfallen. Wenn man den Presseberichten glauben kann, denen zufolge die wirtschaftliche Entwicklung in den
neuen Ländern nicht sehr gut verläuft - davon gehen zumindest die Ökonomen aus -, dann ist es besonders
wichtig, an dieser Stelle die Förderung aufrechtzuerhalten. Welches Konzept verfolgt die Bundesregierung hinsichtlich dieser Regionen?
Herr Kretschmer, zunächst einmal macht sich die
Bundesregierung die Überlegung eines so genannten statistischen Effekts nicht zu Eigen. Dass die Gemeinschaft
infolge der Erweiterung im Durchschnitt insgesamt ärmer wird, ist ein nicht zu bestreitender Tatbestand. Das
ist nicht nur ein statistischer Effekt; es ist vielmehr die
ökonomische Wirklichkeit. Eine europäische Strukturförderung, die sich auf die ärmsten Regionen der Gemeinschaft konzentriert, muss diesem Umstand Rechnung tragen. Aber - das habe ich eben bereits festgestellt - die allermeisten Gebiete in den neuen Bundesländern werden auch nach den vorgesehenen Änderungen
im Ziel-1-Fördergebiet verbleiben.
Daneben unterstützt die Bundesregierung prinzipiell
die von der Kommission vorgesehenen Übergangsregelungen für ausscheidende Ziel-1-Regionen. Insofern ist
es zwar möglich, dass in Einzelfällen in eng begrenzten
Regionen innerhalb der neuen Bundesländer einzelne
Teilbereiche aus der Ziel-1-Förderung ausscheiden; dafür sind aber Übergangsregelungen vorgesehen.
Die Ausgestaltung ist im Detail noch nicht abgeschlossen. So kommt eine Differenzierung nach dem
Stand des sozioökonomischen Entwicklungsprozesses in
Betracht. Der Kommissionsvorschlag erscheint insoweit
als eine geeignete Grundlage für die weitere Diskussion.
Die Bundesregierung wird also auf eine Befristung und
faire Ausgestaltung dieser Übergangsregelungen hinwirken.
Im Rahmen der notwendigen Reduzierung des von
der Kommission vorgeschlagenen Gesamtmittelvolumens sind aber auch die vorgesehenen Mittel für die
Übergangsförderung aus unserer Sicht zu reduzieren.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, nach meinen Informationen
setzt die Bundesregierung vor allen Dingen bei den so
genannten Wachstumskernen an, in die sie besonders
stark investieren möchte. Bei den Wachstumskernen
handelt es sich aber leider um diejenigen Regionen, die
aus der Ziel-1-Förderung herausfallen, also die wenigen
Regionen, von denen Sie gesprochen haben. Deswegen
frage ich Sie, wie die zukünftigen Förderungen, die Sie
als angemessen bezeichnet haben, aussehen. Was sind
die konkreten Ziele und wie müsste die Förderung für
solche Ziel-1a-Regionen oder wie man sie nennen will
aussehen, damit das wirtschaftspolitische Ziel des Aufbaus gerade bei den Wachstumskernen erreicht werden
kann?
Herr Kollege Kretschmer, für die aus der Förderung
herausfallenden Gebiete, die es in den neuen Bundesländern geben mag - das sind in der Tat diejenigen, die man
zu den jetzigen Wachstumskernen zählen kann -, wird
es, wie gesagt, eine Übergangsförderung geben, deren
Umfang ich derzeit nicht im Einzelnen darlegen kann,
weil wir noch Verhandlungen auf europäischer Ebene
führen. Sie dürfen aber nicht vergessen, dass es neben
der europäischen Förderung die Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, den
Korb 2 des Solidarpakts II und eine besondere Förderung von Forschungsschwerpunkten in den neuen Bundesländern aus dem Bundeshaushalt gibt. Dies zusammengenommen wird auch für die dann nicht mehr in die
Ziel-1-Förderung fallenden Gebiete - die jetzigen
Wachstumskerne in den neuen Bundesländern - sicherlich zu einer weiteren angemessenen Förderung der
Wachstumspotenziale ausreichen.
Des Weiteren darf nicht vergessen werden, dass das,
was in den jetzigen Wachstumskernen in den neuen Bundesländern schon erreicht worden ist, eine solche Attraktivität entfaltet, dass auch ohne die weitere Förderung
Investitionsentscheidungen zugunsten dieser Wachstumskerne gefällt werden.
Die Fragen 21 und 22 des Kollegen Bernhard Kaster
wurden zurückgezogen. Die Frage 23 des Kollegen
Albert Rupprecht wird schriftlich beantwortet.
Deshalb rufe ich die Frage 24 des Kollegen Georg
Fahrenschon auf:
Wie stellt sich die Bundesregierung die konkrete rechtliche Umsetzung ihrer Vorschäge zur Änderung des Stabilitätsund Wachstumspakts vor und hält sie für eine Durchsetzung
ihrer Vorschläge eine Änderung des EG-Vertrages und/oder
eine Änderung der Verordnung ({0}) Nr. 1467/97 des Rates
vom 7. Juli 1997 über die Beschleunigung und Klärung des
Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit für notwendig?
Herr Kollege Fahrenschon, die Vorschläge der Bundesregierung sind Beiträge zur Diskussion über den Stabilitäts- und Wachstumspakt, die derzeit im Rat und mit
der Europäischen Kommission geführt wird. Nach Abschluss der Meinungsbildung wird sich zeigen, ob Änderungen des bestehenden Sekundärrechts notwendig sind.
Sollte das der Fall sein, bedürfte es dafür eines entsprechenden Vorschlags der Kommission. Eine Änderung
des Primärrechts ist nicht vorgesehen und auch nicht
notwendig, da sich die Diskussion am geltenden EGVertrag orientiert.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, herzlichen Dank für Ihre Antwort. - Ich nehme Bezug auf den Namensartikel des
Bundeskanzlers in der „Financial Times Deutschland“
vom 17. Januar. Ich nehme einmal seinen Gedanken auf
- ich zitiere -:
Eine richtige Finanzpolitik, die Stabilität und
Wachstum gleichermaßen fördert, kann nicht alleine an dem Einhalten der Drei-Prozent-Defizitgrenze gemessen werden.
Wenn ich das unterstelle, dann stellt sich die Frage,
auf welchem Wege die Bundesregierung diese Erweiterung und damit die Änderung nicht des Primärrechts,
aber mindestens des Sekundärrechts einbringen will.
Wenn die Bundesregierung nicht eine Änderung einbringt, wäre die Forderung des Bundeskanzlers in den
Wind gesprochen und sie würde nicht weiter verfolgt.
Das heißt, wir müssen doch wenigstens mit einer Ergänzung der notwendigen Verordnung rechnen.
Davon ist nicht zwingend auszugehen. Herr Kollege
Fahrenschon, ich sagte Ihnen eben, dass es möglicherweise zu einer Änderung kommt. Die Initiative dafür
müsste dann aber natürlich von der Kommission ausgehen. Das heißt, die Bundesregierung beabsichtigt nicht,
dort initiativ zu werden, der Kommission also entsprechende Vorschläge zu machen.
Was die Vorschläge der Bundesregierung betrifft, so
darf man nicht vergessen, dass die Europäische Kommission schon jetzt bei der Beurteilung des öffentlichen
Defizits - ich zitiere Art. 104 Abs. 3 Satz 2 des EG-Vertrags - „alle sonstigen einschlägigen Faktoren“ einzubeziehen hat. Dies ist also geltendes Recht. Die Bundesregierung beabsichtigt, abweichend von der bisherigen
lediglich mechanistischen Anwendung des EU-Vertrags
durch die Europäische Kommission in Zukunft eine Umsetzung des geltenden Rechts tatsächlich zu erreichen.
Die Debatte geht in diese Richtung. Die Europäische
Kommission hat, wie Sie wissen, ihrerseits entsprechende Vorschläge gemacht.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Setzen wir uns mit dem Gedankengang des Herrn Bundeskanzlers auseinander. Er sagt, er wolle weitere Prüfkriterien einführen. Er spricht von drei Gruppen von Prüfkriterien: „Reformen“, „makroökonomische Kriterien“
und „spezifische Sonderlasten der Mitgliedstaaten“.
Nach dem Grundverständnis, dass die Kriterien nur dann
angewandt werden können, wenn sie irgendwo niedergeschrieben werden und mit den Regelungen des Stabilitätspaktes zumindest gleichgesetzt oder an sie angedockt
werden, brauchen wir doch eigentlich notwendigerweise
eine Veränderung oder eine Ergänzung des Sekundärrechts.
Nein, Herr Kollege Fahrenschon. Es ist zwar denkbar,
dass die EU- Kommission noch einen solchen Vorschlag
machen wird, aber es ist gewiss nicht zwingend. Ich darf
noch einmal darauf hinweisen, dass die EU-Kommission
schon nach dem geltenden Recht alle sonstigen Faktoren
zu berücksichtigen hat. Die von Ihnen genannten Beispiele, bei denen Sie aus dem Artikel des Herrn Bundeskanzlers in der „Financial Times Deutschland“ zitiert
haben, sind solche denkbaren Faktoren, die Berücksichtigung finden sollen. Obwohl das Ihnen, Herr Kollege
Fahrenschon, natürlich klar ist - wir haben heute Morgen im Finanzausschuss sehr ausführlich über diesen
Sachverhalt debattiert -, möchte ich noch einmal ganz
deutlich klarstellen: Die Bundesregierung beabsichtigt
keinesfalls, die Verschuldungskriterien irgendwie zu verändern, aufzuweichen oder Ähnliches. Auch für uns
bleibt klar, dass die aktuelle oberste Verschuldungsgrenze - 3 Prozent Neuverschuldung und 60 Prozent Gesamtverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt - erhalten bleiben muss. Die Bundesregierung
möchte lediglich erreichen, dass vor Ingangsetzung eines förmlichen Defizitverfahrens denkbare Faktoren, die
vom Herrn Bundeskanzler in seinem Artikel beispielhaft
genannt worden sind, entsprechend gewürdigt werden.
Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Georg
Fahrenschon auf:
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Worin liegen nach Ansicht der Bundesregierung die
Gründe dafür, dass vor dem Hintergrund der mit dem Investmentmodernisierungsgesetz verfolgten Ansätze der Liberalisierung und Deregulierung die Anzahl der von im Inland
ansässigen Anbietern im Inland aufgelegten Investmentfondsprodukte im Vergleich mit den von diesen Anbietern im europäischen Ausland aufgelegten, aber hier vertriebenen Produkten rückläufig ist, und welche Maßnahmen wird die
Bundesregierung hinsichtlich der Beschwerden zur Umsetzung des in der Gesetzesbegründung genannten Ziels der Beschleunigung hiesiger Zulassungsverfahren treffen?
Herr Kollege Fahrenschon, es bleibt das erklärte Ziel
der Bundesregierung, der Investmentfondsindustrie auch
in Zukunft attraktive Standortbedingungen zur Stärkung
des Finanzplatzes Deutschland und zur Steigerung der
Attraktivität des Produktionsstandortes Deutschland zu
bieten und damit den Bestand von qualifizierten Arbeitsplätzen im Inland zu erhalten. Mit dem Investmentmodernisierungsgesetz sind die dafür notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen worden.
Nach den jüngsten Zahlen des Bundesverbandes Investment und Asset Management, BVI, ist in 2004 die
überwiegende Anzahl neuer Fonds aber weiterhin nicht
in Deutschland, sondern im europäischen Ausland, namentlich in Irland und Luxemburg, aufgelegt worden,
weil die mit dem im Dezember 2003 verkündeten Investmentmodernisierungsgesetz verbundenen Liberalisierungen noch nicht zur vollen Entfaltung kommen
konnten.
Die Bundesregierung hat die für die Umsetzung des
Gesetzes und die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren zuständige Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Kurzform: BaFin, bereits frühzeitig
hinsichtlich der notwendigen Änderungen der Verfahrensabläufe und Organisationsmaßnahmen angewiesen.
Anfängliche Umstellungsprobleme sind inzwischen
weitgehend gelöst, sodass für die Zukunft eine nachhaltige Verbesserung der Genehmigungspraxis zu erwarten
sein wird.
Die BaFin wird ab sofort ein Verlaufsprotokoll über
jedes einzelne Genehmigungsverfahren für Vertragsbedingungen anfertigen, um Schwachstellen bei dem Genehmigungsverfahren zeitnah abstellen zu können und
damit das Ziel von drei Wochen als durchschnittliche
Genehmigungszeit zu erreichen.
Darüber hinaus sieht die Bundesregierung aber trotz
der erreichten Harmonisierung von Investmentprodukten
auf europäischer Ebene und der Regelungen zum europaweiten Vertrieb die Notwendigkeit für eine weitere
Harmonisierung der Fondsaufsicht in Europa, um ein
Levelplaying Field für alle Marktteilnehmer und effektiven Anlegerschutz zu erreichen.
Eine auf dieses Ziel gerichtete Verbesserung ist mit
der Zusammenarbeit der Aufseher auf europäischer
Ebene im Rahmen des Gremiums Committee of European Securities Regulators, CESR, geschaffen worden.
Das Ziel dieses Gremiums ist es, die so genannte Aufsichtsarbitrage zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten
abzubauen.
Das Bundesfinanzministerium wird zudem in Kürze
den Vertretern der BaFin, der Verbände und den Marktteilnehmern vorschlagen, im Rahmen eines regelmäßig
tagenden runden Tisches im BMF aufkommende
Probleme frühzeitig zu analysieren und konstruktiv gemeinsam weitere Schritte zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Investmentstandortes Deutschland
einzuleiten.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Frau Staatssekretärin, erst einmal herzlichen Dank für
die Beantwortung der Frage. - Sie haben in der Beantwortung gerade das Ziel einer Bearbeitungszeit von drei
Wochen genannt. Liegen Ihnen Daten vor, wie lange die
Bearbeitung durch das BaFin vor dem Eingreifen des
BMF gedauert hat? Jeder der sich mit solchen Abläufen
ein bisschen auskennt, weiß mit Sicherheit, dass Sie eine
entsprechende Abfrage schon einmal durchgeführt haben.
({0})
Herr Kollege Fahrenschon, ich bin sicher, dass diese
Zahlen dem Bundesministerium der Finanzen bekannt
sind. Ich werde Ihnen die Antwort schriftlich nachreichen. Ich habe die Zahlen im Moment nicht präsent.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Sie haben in der Beantwortung sehr stark auf verwaltungstechnische Abläufe abgehoben. Es stellt sich die
Frage, ob sich der dramatische Unterschied bei der Zahl
der Neuauflagen - Sie haben diesen Unterschied angesprochen -, zum Beispiel zwischen Luxemburg und
Deutschland, nicht auch durch andere Rahmenbedingungen, zum Beispiel steuerlicher Art, erklärt. Es wird
immer wieder vorgebracht, dass insbesondere das Sonderausgabenabzugsverbot bei betrieblichen Fonds ein
wesentlicher Punkt ist. Sieht die Bundesregierung noch
andere Rahmenbedingungen, die geändert werden müssten, um dem erklärten Ziel des Investmentmodernisierungsgesetzes näher zu kommen?
Nein, Herr Kollege Fahrenschon, das tut die Bundesregierung nicht. Wie Sie wissen, haben wir zugleich das
Investmentsteuergesetz verabschiedet. Wir sehen im
steuerlichen Bereich keinen weiteren Handlungsbedarf.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit auf. Die Fragen 26 und
27 des Kollegen Ernst Burgbacher, die Frage 28 des Kollegen Manfred Kolbe, die Fragen 29 und 30 der Kollegin
Dr. Gesine Lötzsch, die Fragen 31 und 32 der Kollegin
Petra Pau und die Frage 33 des Kollegen Albrecht Feibel
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung auf. Zur
Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Franz Thönnes bereit.
Die Fragen 34 und 35 des Kollegen Jens Spahn werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 36 des Herrn Kollegen Dr. Heinrich
Kolb auf:
Trifft es zu, dass die Bundesregierung den ihr bereits seit
Ende des Jahres 2004 vorliegenden 2. Armuts- und Reichtumsbericht dem Deutschen Bundestag bis auf weiteres nicht
vorlegt - Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs bei
der Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung,
Franz Thönnes, vom 13. Dezember 2004 auf meine schriftlichen Fragen 75 und 76 in Bundestagsdrucksache 15/4574 -,
obwohl die Bundesregierung nach dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom 19. Oktober 2001, Bundestagsdrucksache 14/6628, dazu verpflichtet ist, den Bericht „in der Mitte
der Legislaturperiode dem Deutschen Bundestag vorzulegen“?
Werter Kollege Kolb, zunächst möchte ich für die
Gäste auf der Tribüne die Frage noch einmal wiedergeben. Sie fragen, ob es zutrifft, dass die Bundesregierung
den ihr bereits seit Ende des Jahres 2004 vorliegenden
2. Armuts- und Reichtumsbericht dem Deutschen Bundestag bis auf weiteres nicht vorlegt, obwohl die Bundesregierung nach dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom 19. Oktober 2001 dazu verpflichtet ist, den
Bericht in der Mitte der Legislaturperiode dem Deutschen Bundestag vorzulegen.
({0})
Die Antwort lautet: Nein. Der vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung federführend erstellte Entwurf für den 2. Armuts- und Reichtumsbericht, Lebenslagen in Deutschland, wurde mit
den Verbänden und mit Vertretern der Wissenschaft beraten. Er befindet sich zurzeit in der Abstimmung innerhalb der Bundesregierung. Unmittelbar im Anschluss
daran wird der Bericht vom Bundeskabinett verabschiedet werden.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir darin zustimmen,
dass, nachdem sich der Bundestag der 15. Legislaturperiode im Oktober 2002 konstituiert hat, die Mitte der Legislaturperiode etwa im Oktober 2004 gewesen sein
müsste? Wann genau gedenkt die Bundesregierung diesen Armuts- und Reichtumsbericht vorzulegen? Können
Sie schon ein Datum dafür nennen?
Der Beschluss des Bundestages, der damals auf Initiative der Regierungskoalition gefasst worden ist, gibt keinen konkreten und fest definierten Zeitpunkt vor. Ich
will dazusagen: Dass der Entwurf im Dezember 2004 für
die Beratung mit den Verbänden und der Wissenschaft
zur Verfügung gestanden hat, zeigt sehr deutlich, dass
die Bundesregierung den Bericht vorlegen wird. Ich
habe auf den Abstimmungsprozess hingewiesen. Die
Beschlussfassung des Bundeskabinetts soll bis März
2005 erfolgen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege?
({0})
Dann rufe ich die Frage 37 des Kollegen Dr. Heinrich
Kolb auf:
Trifft es zu, dass nach dem 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung die Vermögen von Arbeitnehmerhaushalten in den letzten zehn Jahren um rund 20 Prozent gestiegen sind?
Herr Dr. Kolb, die Bundesregierung hält es nicht für
sinnvoll, Einzelaspekte vor der endgültigen Verabschiedung des 2. Armuts- und Reichtumsberichts durch das
Bundeskabinett zu kommentieren.
Ihre Zusatzfragen.
Dann möchte ich einmal so fragen, Herr Staatssekretär: Liegen der Bundesregierung Informationen des Inhalts vor, dass sich trotz steigender Sozialausgaben von
Bund und Ländern die Einkommen und Vermögen der
unteren und oberen Einkommens- und Vermögensschichten in den letzten Jahren auseinander entwickelt haben?
Der Bundesregierung liegt eine Vielzahl von Daten
und Fakten aus Erhebungen der verschiedenen Institutionen vor, die bei der Erarbeitung des Berichts eine Rolle
gespielt haben. Daraus ist ein Entwurf erstellt worden.
Dieser Entwurf befindet sich zurzeit in der Abstimmung.
Die Bundesregierung hält es nicht für sinnvoll, vor einer
endgültigen Entscheidung im Bundeskabinett zu einzelnen Punkten Stellung zu nehmen.
Meine Frage ging ganz unabhängig vom Armuts- und
Reichtumsbericht dahin, ob der Bundesregierung
Erkenntnisse vorliegen, die die von mir vorgetragene
Feststellung bestätigen könnten.
Da derartige Daten natürlich im Zusammenhang mit
dem Bericht zu sehen sind und darin eine Bewertung
enthalten ist - diese Bewertung befindet sich zurzeit in
der Abstimmung -, werden Sie sicherlich verstehen,
Herr Dr. Kolb, dass die Bundesregierung es nicht für
sinnvoll erachtet, vor der endgültigen Entscheidung im
Bundeskabinett dazu Stellung zu nehmen.
({0})
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur
Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Iris Gleicke zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 38 der Kollegin Sibylle Laurischk
auf:
Gibt es Möglichkeiten der Kofinanzierung mit Mitteln der
EU für den Ausbau der europäischen Bahntransversale Paris-Budapest sowohl für die deutschen Teilabschnitte als auch
für die in den anderen Ländern?
Liebe Kollegin Laurischk, grundsätzlich ist eine Kofinanzierung des Ausbaus der Eisenbahnverbindung Paris-Budapest mit EU-Mitteln des Kohäsionsfonds, der
Ziel-1-Förderung aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, kurz „EFRE“ genannt, sowie durch
Zuschüsse aus der Haushaltslinie für Transeuropäische
Netze, TEN, möglich. Für die Bundesrepublik Deutschland kommt im vorliegenden Fall nur die letztgenannte
Möglichkeit infrage.
Auf eine Förderung aus der Haushaltslinie für Transeuropäische Netze gibt es jedoch keinen Rechtsanspruch. Jedes Projekt muss einzeln beantragt werden.
Voraussetzung für einen Antrag ist, dass die nationale
Finanzierung in Höhe von 90 Prozent bzw. 80 Prozent
der Kosten gesichert ist, die fehlende Finanzierung nicht
anderweitig gedeckt werden kann und die rechtlichen
Voraussetzungen für den Baubeginn gegeben sind. Eine
Kumulation von Mitteln aus verschiedenen EU-Fonds
für ein Projekt ist nicht zulässig.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Frau Staatssekretärin, sind denn für den deutschen
Bereich zum Beispiel Anträge auf Förderung von Planungskosten gestellt worden?
Ja, auch Planungskosten sind förderfähig. Es wurden
auch schon Mittel beantragt. So sind für den Abschnitt
Stuttgart-Ulm Zuschüsse in Höhe von 20 Millionen
Euro für die Durchführung der Planung gewährt worden.
Für den Abschnitt Augsburg-Mering wurden insgesamt
18,5 Millionen Euro für die Durchführung von Planung
und Bauleistungen gewährt. Für den Abschnitt München-Mühldorf-Freilassing wurde 1 Million Euro Zuschuss gewährt.
Der Abruf der Mittel - das sagte ich ja schon ist vom jeweiligen Projektfortschritt abhängig. Für den
Abschnitt Straßburg-Appenweier werden von der
DB AG zurzeit die Kriterien erarbeitet, um einen Antrag
auf Bezuschussung der Planung in Höhe von 50 Prozent
- so viel kann hier gefördert werden - zu stellen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Sind solche Mittel auch für den so genannten Rastatter Tunnel beantragt worden?
Dazu kann ich Ihnen im Moment keine Auskunft geben, weil mir das jetzt nicht vorliegt. Ich werde Ihnen
das schriftlich beantworten.
({0})
Die Fragen 39 und 40 der Kollegin Gitta Connemann
werden schriftlich beantwortet.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Ich unterbreche die Sitzung des Deutschen Bundestages bis zum Beginn der Aktuellen Stunde um
15.30 Uhr.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Unterschiedliche Meinungsäußerungen aus
Koalition und Bundesregierung zu Studiengebühren
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die
Kollegin Frau Professor Dr. Maria Böhmer für die antragstellende Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat deutlich gemacht, dass die Politik dieser Bundesregierung in
Hochschulfragen wieder einmal gescheitert ist.
({0})
Ich bedauere sehr, dass die Bundesforschungsministerin an dieser Debatte nicht teilnimmt. Auch wenn ich
volles Verständnis dafür habe, dass sie heute Vormittag
in Karlsruhe gewesen ist, muss ich doch sagen, dass es
angesichts der heutigen schnellen Verkehrsmittel für sie
durchaus möglich gewesen wäre, jetzt im Parlament anwesend zu sein.
({1})
Man muss ganz klar feststellen, dass nicht nur die
Bundesforschungsministerin, sondern auch der Bundeskanzler, der hinter der Politik seiner Ministerin steht, in
dieser Angelegenheit gefordert ist. Er hat das bisher geltende Verbot von Studiengebühren in Deutschland mit
zu verantworten.
({2})
Deshalb muss ich sagen: Die Bundesregierung hat eine
eklatant falsche Weichenstellung im Hochschulbereich
vorgenommen.
({3})
Die heutige Entscheidung ist gut für unser Land und
gut für unsere Hochschulen. Ich bin sehr froh, dass die
unionsregierten Bundesländer vorangegangen sind und
in Karlsruhe dafür gekämpft haben, dass die Hochschulen die Freiheit bekommen, die sie brauchen, um in Finanzfragen selbstständig handeln zu können. Ab dem
heutigen Tag stehen ihnen diese Möglichkeiten offen.
Ich bin davon überzeugt, dass die unionsregierten Länder schnellstmöglich die Initiative ergreifen werden, um
für eine Verbesserung der Situation an den Hochschulen
zu sorgen.
({4})
Dass die Erhebung von Studiengebühren gerade auch
ein Anliegen der Hochschulen ist, haben einzelne Präsidenten von Hochschulen deutlich gemacht. Ich will an
erster Stelle den Präsidenten der Humboldt-Universität
in Berlin, Professor Mlynek, nennen, der gesagt hat, die
öffentlichen Mittel würden nicht ausreichen. Ich kann
dazu nur sagen: kein Wunder angesichts dieser Politik
der rot-roten Koalition in Berlin.
({5})
Um das zu ändern, sind zusätzliche Einnahmen aus Studiengebühren nötig.
Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Professor Gaehtgens, hat heute das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich begrüßt. Er sprach davon,
dass mit dem Wegfall des Gebührenverbots ein Nachteil
deutscher Hochschulen im internationalen Wettbewerb
beseitigt worden sei. In der Tat ist dieses ein wichtiges
Kriterium. Die deutschen Universitäten und Fachhochschulen müssen sich international behaupten können.
Die Zeit ist gekommen, dass die Bremsen endlich gelöst
werden.
({6})
Ich kenne auch das Argument - Herr Tauss, ich habe
entsprechende Äußerungen von Ihnen im Rundfunk gehört; gleich können Sie hier im Plenum reden
({7})
und müssen daher keine Zwischenrufe machen -, dass
Studiengebühren zu Nachteilen für die Studierenden
führen. Aber ich sage Ihnen, die Nachteile sind doch
ganz andere: Derzeit sind die Hochschulen überfüllt.
Statt 20 Studenten gibt es über 200 Studenten in einem
Seminar. Die Labors sind zum Teil veraltet. Es fehlt an
Büchern und Zeitschriften. Die Studienbedingungen sind
miserabel.
Das führt dazu, dass Studenten in Deutschland im
Durchschnitt vier Jahre länger studieren als Studenten
im Ausland. Das bedeutet, dass sie nicht zügig vorankommen und der Berufseinstieg zu spät erfolgt. Das
führt auch - das möchte ich allen Studentinnen und Studenten sagen - zu Einkommensverlusten. Diese betragen
pro Jahr im Durchschnitt 40 000 Euro. Dagegen sind
Studienbeiträge in Höhe von 500 Euro ein geringer Beitrag. Wenn diese Beiträge dazu führen - und da bin ich
mir sicher -, dass die Qualität der Hochschulen zunimmt, dann sollten wir diesen Schritt auch unternehmen.
({8})
Zwei Bedingungen sind für uns als Union essenziell.
Die erste Bedingung ist: Die Studienbeiträge müssen sozialverträglich gestaltet sein.
({9})
Das heißt, wir brauchen ein leistungsfähiges Darlehenund Stipendiensystem. Dies ist in den Ländern und von
der KfW auf den Weg gebracht worden. Es gilt jetzt,
diese Modelle zu beraten und umzusetzen. Ich appelliere
an die SPD-geführten Länder, sich nicht länger solchen
Regelungen zu verweigern; denn sie nehmen damit den
Studenten die Chancen für ein qualitätsvolles Studium.
({10})
Die zweite Bedingung ist: Diese Studienbeiträge müssen den Hochschulen in vollem Umfang zur Verfügung
stehen. Dazu möchte ich Ihnen eines sagen: In Nordrhein-Westfalen werden derzeit von Langzeitstudierenden Studienbeiträge in Höhe von 650 Euro verlangt.
Diese Studienbeiträge werden nicht an die Hochschulen
weitergegeben.
({11})
Sie fließen in den allgemeinen Finanztopf.
({12})
Das ist SPD-Politik. So wird die Union nicht vorgehen.
Es geht darum, den Studenten mehr Chancen zu bieten. Deshalb werden wir unsere Politik an diesen beiden
Kriterien ausrichten.
({13})
Es gilt, im Bildungswesen Freiheit zu realisieren und
den Universitäten Autonomie zu geben. Es gilt, bessere
Studienbedingungen für Studenten in unserem Land herzustellen.
Herzlichen Dank.
({14})
Das Wort hat jetzt der Kollege Jörg Tauss von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Frau Kollegin, ich bin Ihnen für Ihre Ausführungen
dankbar, weil sie deutlich machen, worin die Unterschiede bestehen. Wir freuen uns nicht. Wir halten den
heutigen Tag für keinen guten Tag für die deutschen Studierenden. Wir bedauern ebenso wie die Interessenverbände der Studierenden und der Deutsche Bundesjugendring das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Wir
stehen an der Seite der Jugendlichen in Deutschland.
({0})
Ihre Aussagen waren gerade in verräterisch. Sie haben gesagt, die Hörsäle seien überfüllt. Sie wollen die
Hörsäle durch die Einführung von Studiengebühren leeren. Das ist die Politik, die Sie beabsichtigen.
({1})
Sie haben dies dankenswert offen angesprochen.
Jetzt sind die Länder am Zuge. Sie haben klar die
Aufgabe zugewiesen bekommen - das war eine deutliche Aussage des Bundesverfassungsgerichts -, die Frage
der Bedingungen der Studiengebühren selbst zu regeln.
Damit ist aber die Gefahr gestiegen, dass es in Deutschland keine einheitlichen Lebensverhältnisse mehr gibt.
Unterschiedliche Länderregelungen führen möglicherweise dazu, dass wir dem Ziel nicht näher kommen,
mehr junge Leute für ein Studium zu gewinnen; dies ist
aber dringend erforderlich. Sie haben mit Ihrer Prozesshanselei, die sich im Hochschulbereich an verschiedenen
Stellen durchgesetzt hat, das Ziel einheitlicher Lebensbedingungen in Deutschland massiv gefährdet.
({2})
Der Hinweis auf einen vermeintlichen Dissens, wie er
in dem Thema dieser Aktuellen Stunde formuliert worden ist, war interessant. Nein, einen Dissens haben Sie
bewirkt. Sie haben die Gemeinsamkeit aufgekündigt.
Noch im Jahr 2000 haben sich alle Kultusminister der
Länder gegen Studiengebühren ausgesprochen. Auf der
Basis dieser Haltung der Kultusministerkonferenz wurde
durch die Bundesregierung bzw. die Koalition ein entsprechender Gesetzentwurf eingebracht.
({3})
Diesen Konsens haben Sie mit Ihren Klagen verlassen.
Die Zielrichtung Ihrer Klagen haben Sie übrigens
nicht im Wahlkampf angekündigt. Noch 2002 hat sich
Herr Stoiber geweigert, eine Antwort zu geben. Im
Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg hat sich
Herr Teufel geweigert, eine Antwort zu geben. Im Gegenteil: Man hat in letzter Minute den Landesparteitag
gebraucht, um händeringend einen Antrag auf Einführung von Studiengebühren abzuwehren. Denn Sie waren
vor den Wahlen zu feige, die Jugendlichen in Deutschland über Ihre eigentlichen Absichten aufzuklären.
({4})
Sie haben die Jugendlichen in Deutschland vor der Wahl
belogen.
Wir bleiben dabei: Studiengebühren für ein Erststudium sind und bleiben sozial ungerecht. Sie sind bildungspolitisch kontraproduktiv.
Interessant ist, wie Sie mit Ihren Hilfstruppen jetzt
auch die Bevölkerung spalten wollen. Von der Initiative
Neue Soziale Marktwirtschaft ist eine Anzeige mit einem perfiden Bild eines Studierenden erschienen, der an
einem eleganten Schreibtisch auf dem Rücken eines Arbeiters thronend, also auf seine Kosten, studiert.
({5})
Ich kann Ihnen nur sagen: Was Sie machen, ist unanständig; das ist nicht die Wahrheit. Sie spalten, Sie hetzen die Bevölkerungsschichten auf, die sich das Studium
ihrer Kinder nicht mehr leisten können, wenn Sie sich
mit Ihren Absichten durchsetzen. Aus diesem Grund
werden wir uns weiterhin gegen die Einführung von Studiengebühren wenden.
({6})
Frau Professor Böhmer, Sie haben hier gesagt, dass
selbstverständlich ein Darlehensystem, ein soziales Modell notwendig ist. Dies haben Sie für den Herbst des
letzten Jahres angekündigt. Wo sind die entsprechenden
Modelle? Alle Modelle, die Sie bisher vorgelegt haben,
gehen auf Kosten der Eltern. Sie zielen darauf ab, das
BAföG abzuschaffen oder Darlehen einzuführen, für die
die Studierenden aufzukommen haben. Sie wollen sie
mit Schulden in Höhe von 40 000 oder 50 000 Euro ins
Berufsleben entlassen.
({7})
Das entspricht Ihren zwischenzeitlich vorgelegten Modellen.
({8})
Aus diesem Grund werden Sie mit den von Ihnen andiskutierten Modellen, wenn sie denn umgesetzt werden,
Studenten aus der Mittelschicht von den Universitäten
vertreiben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Studierenden, egal wo in diesem Lande, müssen wissen, dass
sie uns an ihrer Seite haben. Der Deutsche Bundesjugendring, die kirchlichen Jugendverbände, die gewerkschaftlichen Jugendverbände und die Sportjugend, sie
alle haben gesagt: Macht dies nicht! Wir werden die Forderungen der Betroffenen erfüllen. Dafür steht die Sozialdemokratische Partei Deutschlands.
({9})
Wir werden Ihren Weg zur Verdrängung der Mittelschicht an den Universitäten nicht mitmachen.
Sie spielen Eltern gegeneinander aus, indem Sie sagen, dass Kindergartengebühren erhoben werden, aber
keine Studiengebühren.
({10})
Das ist der Gipfel Ihrer falschen Argumentation. Sie
wollen doch zuerst Gebühren für den Kindergarten und
am Schluss auch Gebühren für die Universität. Sie müssen sich aber einmal entscheiden, Frau Kollegin. Sie sagen, dass Sie Studiengebühren brauchen, um die Kindergärten finanziell zu entlasten. Im Endeffekt wird aber
kein Cent dieser Gebühren in die Kindergärten fließen
bzw. wenn dieses Geld tatsächlich dorthin fließt, wird es
den Universitäten fehlen. Nichts von dem, was Sie vorbereitet haben, ist konzeptionell in irgendeiner Form untermauert. Sie haben sich vom Konsens verabschiedet.
Im Übrigen: Wenn Sie sagen, dies sei ein Wettbewerbsnachteil, möchte ich darauf hinweisen, dass es lediglich ein Unterschied zu einigen angelsächsischen
Staaten ist. Skandinavien und andere Länder machen
vor, wie man hervorragende Universitäten ohne Studiengebühren betreiben kann.
({11})
Mit Ihrer Politik führen Sie die soziale Spaltung ein.
Diesen Weg gehen wir nicht mit.
({12})
Das Wort hat jetzt der Kollege Hellmut Königshaus
von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Tauss, Ihre Beiträge im Ausschuss haben meistens hohe
Qualität. Dieser Beitrag hatte die Qualität Ihrer Zwischenrufe, die Sie hier im Plenum machen.
({0})
Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Sie machen sich
hier zum Anwalt der Jugend und der Heranwachsenden.
Sie aber sind diejenigen, die diesen Menschen Zeit stehlen durch das Fortbestehen der Wehrpflicht. Sie stehlen
ihnen auch Zeit durch unzureichende Studienbedingungen; dadurch geht Zeit verloren. Sie nehmen diesen
Menschen Lebenszeit.
({1})
Ich will zur Sache kommen; denn das Bundesverfassungsgericht hat über andere Dinge entschieden. Es wird
Sie nicht wundern, dass die FDP-Fraktion dieses Urteil
begrüßt. Es besagt ganz klar, dass das Verbot von Studiengebühren nicht nur falsch war, sondern sogar nichtig. Diese Bewertung - das sage ich auch in Richtung der
Bundesregierung - ist geradezu vernichtend für Ihre
Politik.
({2})
Endlich ist die Blockade durchbrochen. Endlich können die Länder ihren Hochschulen auch wirtschaftlich
die Autonomie gewähren, die sie brauchen.
({3})
Sie sollten dies jetzt auch schnellstmöglich tun.
({4})
Das von Ihnen durchgesetzte Verbot von Studiengebühren war ein großer Fehler. Ich sage Ihnen auch, warum: Die Hochschulen wurden bis heute daran gehindert, einen Wettbewerb um die Qualität der Lehre zu
führen. Jeder, der mit einem deutschen Studienabschluss
im Ausland erscheint, ist drei oder vier Jahre älter als jemand aus einem anderen Land. Zudem wird er noch
schief angesehen, weil bekannt ist, unter welchen Bedingungen er in Deutschland studiert hat.
({5})
Gut ausgestattete, leistungsfähige Hochschulen liegen
deshalb in unser aller Interesse. Dies liegt aber vor allem
im Interesse des einzelnen Studierenden. Es geht hier
also nicht um Ideologien. Es geht um den Wettbewerb
um die Studierenden; denn nur dadurch wird die Qualität
der Lehre gehoben.
({6})
Und das wird nicht durch Verdrängung, lieber Herr
Tauss, sondern durch die Stärkung der Nachfragemacht
der Studenten ermöglicht. Dazu gehört die Abschaffung
der ZVS und der Studentenlandverschickung;
({7})
dazu gehört die Abschaffung der Kapazitätsverordnungen;
({8})
dazu gehört aber vor allem ein neues, ein ausreichendes
Finanzierungssystem.
({9})
Die Grundfinanzierung bleibt Aufgabe des Staates.
Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen - das sagen Sie
uns doch bei jeder Haushaltsberatung -, dass die öffentlichen Mittel nicht mehr ausreichen, um alle Aufgaben
wirklich vernünftig zu erfüllen. Wir können es uns eben
nicht mehr leisten, unsere Hochschulen finanziell so auszustatten, dass unsere Studenten - nicht nur die Hochschulen - auch international wettbewerbsfähig sind.
Darauf kommt es uns an. Deshalb müssen wir nach
neuen Quellen für die Hochschulfinanzierung suchen.
({10})
- Steinkohle, Herr Tauss.
({11})
Das ist sicherlich beschwerlich und erfordert ein
schmerzliches Abschiednehmen von Gewohntem. Aber
wir werden eben nicht darum herumkommen, die Studierenden angemessen an den Kosten ihrer Ausbildung
zu beteiligen. Sie sind dann ja auch diejenigen, die von
einer qualifizierten Ausbildung profitieren. Das ist eben
- anders, als Sie es darstellen - ein Gebot der Fairness
gerade gegenüber denjenigen, die Kinder großziehen,
denen Sie nach wie vor teilweise sehr hohe Entgelte für
die Kindergärten zumuten.
({12})
- Ach, Quatsch.
Der Zwang, von denjenigen, die von einem Studium
persönlich profitieren, Entgelte zu erheben, ist auch für
uns schmerzlich. Aber wir kommen nicht darum herum,
uns auch schmerzlichen Erkenntnissen zu stellen. Wir
- Sie können gern im Abgeordnetenhandbuch nachschauen, Herr Tauss; ich habe zwei Töchter ({13})
und auch Sie sollten es als Chance betrachten, wenn wir
zu einem grundsätzlichen Überdenken unserer bisherigen Systeme gezwungen sind. Qualitätswettbewerb
erfordert als Voraussetzung vor allem, dass die Hochschulen sich ihre Studierenden und, umgekehrt, die Studenten sich ihre Hochschule aussuchen können. Darum
geht es. Deshalb ist es erforderlich, dass die Hochschulen die Studienentgelte erheben dürfen, um die Qualität
ihrer Lehre zu verbessern.
({14})
- Ich habe BAföG zurückgezahlt, und zwar kräftig. Das
vergessen Sie, lieber Herr Tauss.
({15})
Sie erzählen hier nämlich was vom Pferd. Offenbar
mussten Sie kein BAföG in Anspruch nehmen.
({16})
Wir wissen: Niemals können Studienentgelte kostendeckend sein. Das müssen sie auch nicht, wenn sie von
den Ländern nicht zum Stopfen von Haushaltslöchern
missbraucht werden.
({17})
Sie müssen nämlich neben dem Grundstock der öffentlichen Finanzierung zur Beseitigung von bestehenden
Defiziten der Lehre an den Hochschulen verwendet werden, nicht zur Beseitigung von Defiziten im Landeshaushalt. Deshalb müssen alle Studienentgelte vollständig
bei den Hochschulen verbleiben,
({18})
und zwar zusätzlich zu den bestehenden staatlichen
Finanzierungen. Deshalb muss es den Hochschulen
selbst überlassen bleiben, ob und in welcher Höhe sie
Studienentgelte erheben und wozu sie sie verwenden.
({19})
Herr Präsident, ich komme gleich zum Schluss. Ich
musste ja auf die Zwischenrufe - man muss fast sagen:
die Hochrufe - von Herrn Tauss eingehen.
Es muss einer Hochschule auch finanziell nutzen,
wenn sie Qualität anstrebt, sodass ihre Studienplätze von
Studenten nachgefragt werden. Dann wird sich in
Deutschland die Qualität der Hochschulen tatsächlich
verbessern.
Es ist ganz klar: Nur für die Finanzierungsmodelle ist
der Staat zuständig. Genau so, wie es jetzt beim BAföG
ist, wird es auch in Zukunft sein.
({20})
Herr Kollege Königshaus, kommen Sie jetzt wirklich
zum Schluss.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident; vielen
Dank. - Deshalb begrüßen wir die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts. Kommen Sie zur Vernunft!
Sehen Sie die Chancen, die damit verbunden sind!
Danke schön.
({0})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Grietje Bettin von
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Königshaus, Sie haben eben in Ihrem
Debattenbeitrag Äpfel mit Birnen verglichen. Ich
möchte am Anfang klarstellen: Das Bundesverfassungsgericht hat keine Entscheidung in der Sache getroffen;
vielmehr hat es nur entschieden, wer in der Frage von
Studiengebühren zuständig ist.
({0})
Die Länder sind nun in der Pflicht, im Interesse der jungen Menschen gerechte Lösungen zu finden. Das ist die
Hausaufgabe, die das Bundesverfassungsgericht den
Ländern aufgegeben hat.
Wir bedauern dieses Urteil, sind aber in der Sache
nach wie vor von den Inhalten der 6. HRG-Novelle überzeugt. Die Gebührenfreiheit für das Erststudium ist für
uns Grüne ein wichtiges politisches Anliegen.
({1})
Vor allem auf die Studierenden kommt nun eine Zeit
enormer Unsicherheit zu. Einige unionsgeführte Länder
wollen unverzüglich Gebühren einführen. Die Summen,
die die Studierenden in die Landeskassen spülen sollen,
geistern schon seit langem herum. Aber, liebe Opposition, ich frage Sie: Wo ist das Konzept, mit dem Sie die
soziale Auslese in unserem Bildungssystem gerade auch
an den Hochschulen verhindern wollen?
({2})
Wo sind die Stipendiensysteme,
({3})
die Sie in Ihren Landeshaushalten künftig bereitstellen?
Um ganz konkret zu werden: Herr Goppel sollte aufhören, in Sonntagsreden das Wort „Sozialverträglichkeit“
in den Mund zu nehmen und im Alltag die Kinder von
nicht so reichen Eltern bildungspolitisch im Regen stehen zu lassen.
({4})
Bis heute habe ich von Ihnen noch keine vernünftige
Lösung für den Abbau des gewaltigen Schuldenbergs
gesehen, der sich nach dem Studium durch Gebührenund BAföG-Rückzahlungen anhäufen würde. Diese
Schulden belasten genau die jungen Menschen, die eine
Familie gründen wollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, auch diese Frage sollten Sie einmal
in Ihrer Familienkommission diskutieren.
Diese Diskussion zeigt eindeutig: Studiengebühren
zum jetzigen Zeitpunkt in Deutschland einzuführen ist
nicht der richtige Schritt, um zu mehr Bildungsgerechtigkeit zu kommen.
({5})
Als Grüne sehen wir die vordringlichen hochschulpolitischen Ziele darin, erstens die soziale Kluft auch im Studiensystem zu überwinden und zweitens die Mobilität
von Studierenden in Deutschland und Europa zu verbessern, statt zu behindern. Mit der 6. HRG-Novelle wollten
wir in der Koalition einen Beitrag leisten, um die
Schwelle zum Studium so niedrig wie möglich zu halten.
({6})
Wir brauchen mehr und nicht weniger Akademikerinnen
und Akademiker in Deutschland.
Deswegen muss unser politisches Ziel in den Ländern
und im Bund sein, mehr junge Menschen zum Studieren
zu befähigen und zu motivieren. Die Studienanfängerquote ist zwar seit Antritt der rot-grünen Regierung deutlich von 28 auf 36 Prozent gestiegen,
({7})
sie liegt aber noch weit unter dem OECD-Schnitt von
51 Prozent. Die notwendige Steigerung wird nur gelingen, wenn wir junge Menschen nicht von einem Studium
abschrecken.
({8})
Deswegen sind Studiengebühren in Deutschlands derzeitiger Bildungsstruktur kontraproduktiv.
Auch der immer wieder bemühte Blick nach Amerika
hilft uns nicht weiter. Dort gibt es so viele Stipendien,
Kreditformen und Beihilfesysteme, dass Studierende inzwischen Agenturen beauftragen, die für sie besten Finanzspritzen ausfindig zu machen.
({9})
- Und die Akademikerverschuldung steigt, wie der Kollege Tauss zu Recht anmerkt. - Deshalb kann man das
amerikanische Ausbildungssystem überhaupt nicht mit
dem deutschen vergleichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Urteil stellt die
Landesregierungen vor große Herausforderungen. Wir
werden sie daran messen, ob und wie sie einen Rückfall
in die Kleinstaaterei vermeiden
({10})
und tragfähige Lösungen für die studierwilligen jungen
Menschen in unserem Land bieten. Die Länder müssen
ihre Hausaufgaben im Bereich der Bildungsfinanzierung
endlich erledigen. Das ist die eigentlich zentrale Baustelle. Mit uns jedenfalls wird es keine politische Lösung
geben, bei der am Ende der Bund noch die Länderhaushalte aus dem BAföG-Topf mitfinanziert.
({11})
Abschließend bleibt mir zu sagen: Im Interesse der
Zukunftsfähigkeit unseres Landes darf es keine Schnellschüsse in einzelnen Ländern geben, die noch mehr
Menschen vom Studieren abhalten. Wir brauchen eine
Verständigung aus dem Blickwinkel der Studierenden
und der bildungspolitischen Notwendigkeiten und nicht
aus Sicht der klammen Länderkassen.
Danke schön.
({12})
Das Wort hat die Kollegin Katherina Reiche von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Niederlage von Frau Bulmahn heute ist auch
eine Niederlage der Regierung Schröder; denn der Bundeskanzler hält seit Jahren an einer Ministerin fest, die
bei jedem ihrer Projekte vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert ist.
({0})
Der Bundeskanzler hat zudem das größte Reformprojekt, nämlich die Föderalismusreform, genau an diesen
die Hochschul- und Bildungskompetenz betreffenden
Fragen scheitern lassen.
({1})
Das Urteil heute war ein weiterer eindeutiger Beweis dafür, dass die Bildungs- und Hochschulpolitik nicht in
dieser Art und Weise beim Bund verankert werden kann.
Herr Bundeskanzler Schröder hat damit eklatante Führungsschwäche bewiesen. Das hat das Gericht heute
noch einmal dokumentiert.
({2})
Zudem hat das Gericht bereits im Sommer vergangenen Jahres festgestellt, dass der Bund nur Rahmenvorschriften erlassen darf und nur dann ein Gesetzgebungsrecht hat, wenn es um die Herstellung gleichwertiger
Lebensverhältnisse geht. Schon im letzten Sommer
konnte Frau Bulmahn nicht erklären, wie die Juniorprofessur zu gleichwertigen Lebensverhältnissen beitragen
sollte. Seit Juni 2004 wusste Frau Bulmahn, was sie
heute erwarten würde. Statt sich auf den heutigen Tag
vorzubereiten, hat sie dagesessen,
({3})
abgewartet und nichts getan.
({4})
Frau Bulmahn hat erklärt, solange sie Ministerin sei,
gebe es keine Studienbeiträge.
({5})
Was bedeutet diese Aussage eigentlich im Lichte der
heutigen Entscheidung? Ist das die Ankündigung eines
Rücktritts?
({6})
Durch die Novelle des Hochschulrahmengesetzes sollten
Studiengebühren verboten und die verfassten Studierendenschaften an den Hochschulen etabliert werden. Beides ist vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt
worden.
Meine Damen und Herren, es gibt drei Profiteure leistungsfähiger Hochschulen: den Staat, die Wirtschaft und
die Studierenden. Alle drei sind in der Pflicht, sich an
der Finanzierung der Hochschulen zu beteiligen. Schon
jetzt fehlen den Hochschulen zwischen 3 und 4 Milliarden Euro, davon 1 Milliarde für die Lehre. Da der Staat
dieses Geld nicht allein aufbringen kann, wir aber im internationalen Bildungswettbewerb bestehen müssen, ist
es richtig, dass sich alle drei Profiteure an der Finanzierung der Hochschulen beteiligen müssen. Ihnen fällt
dazu nur eines ein: Staatsdirigismus. Sie haben über eine
Erhöhung der Erbschaftsteuer sowie die Einführung einer Vermögensteuer diskutiert und Sie wollen die Eigenheimzulage für Gott weiß was opfern.
({7})
Wir haben von Anfang an gesagt, dass es auf die Eigenverantwortung ankommt und dass auch die Studierenden ihren Beitrag zur Entwicklung leistungsfähiger
Hochschulen erbringen müssen.
({8})
Zudem haben Sie die Entwicklung in anderen Ländern
nicht zur Kenntnis genommen.
({9})
- Herr Tauss, Sie nennen Schweden und Finnland. Sie
sollten sich aber auch einmal mit der Situation in den
Niederlanden beschäftigen; dort kostet ein Undergraduate-Studium 1 500 Euro pro Jahr. Auch in Großbritannien und Österreich wurden Studienbeiträge eingeführt.
({10})
Von einer Studentenflucht ist dort weit und breit nichts
zu sehen. Ganz im Gegenteil: Die Anzahl erfolgreicher
Absolventen steigt,
({11})
während in Deutschland jeder vierte Studierende sein
Studium vorzeitig abbricht.
Das Ziel von Frau Bulmahn ist eindeutig falsch. Sie
will, dass so viele Jugendliche wie möglich eine gewisse
Zeit ihres Lebens an einer Hochschule verbringen. Wir
wollen, dass sie erfolgreich ihren Abschluss machen.
Dazu ist es notwendig, die Qualität von Forschung und
Lehre zu verbessern.
({12})
Es gibt gute Gründe für die Einführung von Studienbeiträgen. Der erste Grund, Herr Tauss, ist die soziale
Gerechtigkeit. Deshalb brauchen wir ein neues Konzept
zur Finanzierung der Bildung in diesem Land. Sie haben
möglicherweise keine Kinder. Aber fragen Sie einmal
junge Eltern, was sie dazu sagen, dass sie für einen Kitaplatz pro Kind und Monat mehrere 100 Euro zahlen
müssen,
({13})
während das Hochschulstudium - ein Jurastudium kostet
25 000 Euro, ein Medizinstudium 135 000 Euro - kostenlos ist.
Es kann nicht richtig sein, dass Nichtakademiker
durch die Steuern, die sie zahlen, bis zu 90 Prozent der
Kosten für akademische Ausbildungen übernehmen,
({14})
während die Hochschulabsolventen keinen Beitrag dazu
leisten.
({15})
Die Kosten tragen die Facharbeiter und die Krankenschwestern, die - wie wahrscheinlich auch Sie, Herr
Tauss - nie eine Hochschule von innen gesehen haben.
({16})
Der zweite Grund, der für Studiengebühren spricht,
ist, dass sie in unserem Hochschulsystem einen Qualitätswettbewerb in Gang setzen würden. Die Beziehungen zwischen Hochschullehrern und Studierenden würden sich verändern. Frau Bulmahn bzw. Rot-Grün muss
endlich in der Realität ankommen. Die Anzahl Ihrer Unterstützer wird von Tag zu Tag geringer. Da gibt es den
Sachverständigenrat der Bundesregierung, den Sozialexperten Rürup, die Hochschulrektorenkonferenz, den
Hochschulverband, der heute den Rücktritt von Frau
Bulmahn fordert,
({17})
Forschungsinstitute und die Wirtschaft - sie alle weisen
darauf hin, dass Studienbeiträge notwendig sind.
Natürlich sitzt der Spaltpilz auch bei Ihnen, meine
Damen und Herren von Rot-Grün. Staatssekretär
Berninger hat sich schon vor langer Zeit für Studienbeiträge ausgesprochen. Herr Clement hat gesagt, er sei,
was die Einführung von Studiengebühren betrifft, nicht
so ablehnend, wie unterstellt werde.
({18})
Als Herr Matschie noch Staatssekretär war und die Einführung von Studiengebühren befürwortete, bekam er
von Frau Bulmahn einen Maulkorb verpasst.
({19})
Auch Herr Wowereit und Herr Gabriel sind Befürworter
von Studiengebühren.
Zum Schluss nenne ich Ihnen die Voraussetzungen für
die Einführung von Studiengebühren. Zum einen muss
das Geld bei den Hochschulen verbleiben; zum anderen
muss ihre Höhe tragbar sein. 500 Euro pro Semester sind
eine gute Richtgröße. Das hat heute auch das Bundesverfassungsgericht in der Begründung seines Urteils klargestellt. Das Bundesverfassungsgericht hat auch festgestellt, dass wir Studienbeiträge als Chance für einen
Qualitätswettbewerb begreifen müssen. Wenn Sie uns
schon nicht glauben, dann vielleicht dem Bundesverfassungsgericht.
Frau Kollegin Reiche, kommen Sie bitte zum Schluss.
Stipendien und sozialverträgliche Darlehen werden
eingerichtet werden, Frau Bettin. Schauen Sie doch einmal zur KfW, die zu 80 Prozent vom Bund und zu
20 Prozent von den Ländern getragen wird; sie hat bereits Vorschläge gemacht.
({0})
Frau Kollegin Reiche, Ihre Redezeit ist seit geraumer
Zeit abgelaufen.
({0})
Schauen Sie, was die KfW gemacht hat! Schließen
Sie sich deren Modell an! Wir brauchen Studienbeiträge
für einen Wettbewerb um Qualität an Hochschulen.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Ute Berg von der SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
habe heute leider wie sehr häufig das Pech, nach Frau
Reiche sprechen zu müssen.
({0})
Ich könnte natürlich die ganze Redezeit, die ich zur Verfügung habe, darauf verwenden, ihre Polemik zu entkräften.
({1})
Ich möchte mich aber lieber inhaltlich auf das konzentrieren, was ich Ihnen zu diesem Thema zu sagen habe.
({2})
Es ist richtig: Auf Sie einzugehen lohnt sich letztlich
nicht.
Die Debatte um Studiengebühren ist mit der Verkündung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts längst
nicht beendet. Im Gegenteil, die Diskussion wird jetzt
erst richtig beginnen.
({3})
Zunächst einmal finde ich es aber wichtig, noch einmal zu unterstreichen, Frau Reiche, dass sich die sechs
Richter und zwei Richterinnen des obersten Gerichts
nicht inhaltlich mit der Frage eines gebührenfreien Erststudiums auseinander gesetzt haben, sondern lediglich
die Kompetenzfrage geklärt haben. Alles, was Sie aus
dem Urteil abgeleitet haben, war also völlig daneben.
({4})
Nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts liegt
die Kompetenz für die Regelung von Studiengebühren
ausschließlich bei den Ländern - leider, füge ich aus
meiner Sicht ausdrücklich hinzu. Wir als politisch Handelnde haben uns aber inhaltlich mit der Frage von Studiengebühren und deren Auswirkungen auseinander zu
setzen. Der bayerische Wissenschaftsminister Goppel
hat das Gegnern von Studiengebühren gegenüber wie
folgt getan:
Bloß weil daheim nichts ist, darf die Universität
nicht als Wärmestube missbraucht werden.
({5})
Eine absolut zynische Bemerkung jungen Menschen gegenüber,
({6})
die eine Universität besuchen, dort eine Ausbildung abschließen und schließlich einen Beruf ergreifen wollen.
Deutlicher kann man soziale Kälte und gesellschaftliche
Unausgewogenheit nicht dokumentieren.
({7})
Wir hingegen wollen die soziale Schieflage, die schon
jetzt besteht, nicht noch mehr verschärfen. Wie Sie wissen, kommen schon jetzt nur 12 Prozent der Studierenden aus sozial schwachen - besser gesagt: aus finanziell
schwachen - Familien. Sie könnten durch Gebühren zusätzlich abgeschreckt werden. Auch für Studierende aus
Mittelstandsfamilien wäre die Belastung stark.
({8})
Für ein Bildungssystem wie das unsere, dem im
OECD-Vergleich allerorten die höchste soziale Selektion
bescheinigt wird,
({9})
ist eine zusätzliche soziale Barriere - eine zusätzliche,
Frau Flach - nicht hinnehmbar.
({10})
Dass Studiengebühren abschreckend wirken, zeigt der
internationale Vergleich: In England wurden 1998 Studiengebühren eingeführt; im vergangenen Jahr wurden
sie noch einmal deutlich erhöht. Dies hatte nachweisbar
einen abschreckenden Effekt. Im Jahr 2002 stieg die
Zahl der Neueinschreibungen in England lediglich um
0,5 Prozent. In Schottland hingegen, wo es keine Gebühren gibt, stieg sie um 5,6 Prozent.
({11})
- Das kann man sehr wohl miteinander vergleichen.
({12})
Wenn Sie glauben, das nicht vergleichen zu können,
nehmen wir ein Positivbeispiel: Irland. Hier galten bis
1996 die höchsten Studiengebühren in Europa. Aus
Gründen der Chancengleichheit wurden die Gebühren
dann abgeschafft. Der positive Effekt ist eklatant: Der
Anteil der 24- bis 35-Jährigen, die einen dem Hochschulabschluss vergleichbaren Abschluss erlangten,
stieg kontinuierlich von 31 Prozent im Jahr 1996 auf
48 Prozent im Jahr 2002.
({13})
Bei uns beginnen nur 37 Prozent eines Jahrgangs ein
Studium. Im OECD-Durchschnitt - das wurde eben
schon von Frau Bettin erwähnt - sind es 51 Prozent. Wir
brauchen also mehr Studierende
({14})
und das erreichen wir garantiert nicht durch Gebühren.
({15})
- Mehr Absolventen selbstredend auch.
Niemand argumentiere bitte, es gäbe keine Alternative zu Studiengebühren. Durch das Studienkontenmodell zum Beispiel, das in NRW und in RheinlandPfalz gesetzlich verankert ist, wird dafür gesorgt, dass
Studierende zügig studieren und Hochschulen ein Studium effizient organisieren können.
({16})
- Die Studenten sehen das manchmal anders. In diesem
Punkt sind wir dann vielleicht nicht einer Meinung.
Generell ist das aber ein wesentlich gerechteres Modell
als das, was Sie jetzt einführen wollen.
({17})
Es bietet zusätzliche Anreize zur Weiterbildung, die kostenlos genutzt werden können, wenn das Studium so zügig abgeschlossen wird, dass das Konto noch nicht aufgebraucht ist.
Falls nach diesem Gerichtsurteil nun einige Bundesländer Studiengebühren für das Erststudium einführen
- was zu erwarten ist -, dann sind bundesweite Regelungen zur Sicherung des freien Zugangs zum Studium und
zur Wahrung gleicher Wettbewerbsbedingungen notwendig.
({18})
Es wäre fatal, wenn Bayern es bei den Hochschulabsolventen wie mit den Abiturienten machen würde: weniger ausbilden, um Kosten zu sparen, und den Bedarf
über Importe aus anderen Bundesländern abdecken.
({19})
Ich kann mir nicht vorstellen, dass das selbst von den
extremsten Föderalisten gewollt ist.
({20})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen gemeinsam dafür sorgen, das es keine eklatanten Ungerechtigkeiten zwischen den Ländern und vor allem für
die betroffenen jungen Menschen gibt.
({21})
Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Kretschmer
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst
einmal sollten wir uns zwei Dinge klar vor Augen führen:
Erstens. Frau Bulmahn und die Bundesregierung haben heute wieder eine große Niederlage erlebt. Das hat
sich bereits mehrfach wiederholt. Beim Verbot der Studiengebühren, bei den verfassten Studierendenschaften
und bei der Juniorprofessur hat das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung in die Schranken verwiesen
und gesagt, was Recht ist und was nicht Recht ist.
Zweitens. Das Bundesverfassungsgericht hat sich
sehr wohl inhaltlich mit den Studiengebühren auseinander gesetzt. Es sagt nämlich, dass es überhaupt kein Problem darin sehen würde, wenn es unterschiedliche Regelungen in unterschiedlichen Ländern geben sollte. Es
sehe darin sogar eine Chance für die Länder, die Qualität
der Hochschulen und die wertbewusste Inanspruchnahme ihrer Leistungen zu fördern.
({0})
Das zeigt ganz eindeutig, dass das Bundesverfassungsgericht die Einführung von Studiengebühren als unproblematisch ansieht und dass die Bundesregierung hier
einmal mehr falsch Maß nimmt.
({1})
Ich sage Ihnen noch eines: Wer so etwas permanent
erlebt, der muss zurücktreten, weil er es nicht kann.
({2})
Das fordert heute unter anderem auch der Hochschulverband. Er sagt: Das Maß ist voll, die Bundesministerin
soll die politische Verantwortung übernehmen und zurücktreten. Wie schlimm muss es denn kommen, bis hier
endlich Konsequenzen folgen?
Ich finde es vollkommen verständlich, dass die Ministerin heute nicht hier ist und ihren Staatssekretär geschickt hat. Bei dem, was heute geschehen ist, ging es
nur um die Spitze einer Reihe von Verantwortungslosigkeiten.
({3})
- Frau Kollegin Berg, wir haben heute eine Diskussion
erlebt, die Sie bereits vor 20 Jahren geführt haben, als
Sie noch auf den bildungspolitischen Barrikaden gestanden, sich darüber aufgeregt haben und uns erzählen
wollten, was alles nicht geht.
Meine Damen und Herren, die Zeit geht über Sie hinweg. Gehen Sie raus und sprechen Sie mit den Studenten! Immer mehr werden Ihnen sagen, dass sie für Studiengebühren sind.
({4})
Das hat einen ganz einfachen Grund; denn anders als Sie
hier erleben die Studierenden, wie die Studienbedingungen sind. Sie wissen, dass zwei Sachen nicht zusammengehen, nämlich mit dem gleichen Geld eine höhere Qualität zu erreichen, noch dazu mit mehr Studierenden. Wir
brauchen frisches Geld in diesem System.
({5})
Deswegen sagen die Studenten: Wenn die Qualität an
unseren Hochschulen dadurch zunimmt, wenn das Geld
also bei uns ankommt, dann sind wir sehr wohl bereit,
etwas dafür zu tun. Das ist auch meine und die Position
der jungen Abgeordneten in der CDU/CSU-Fraktion.
({6})
Vor wenigen Monaten haben wir das Papier „Elf
Schritte zu einem leistungsfähigen Hochschulsystem“
verfasst. Aus diesem geht ganz klar hervor: Studiengebühren können ein Beitrag für ein Hochschulsystem
sein, das uns weiterbringt.
Dazu gehört sicherlich noch mehr und darüber wollen
wir gerne reden. Dazu gehört beispielsweise ein Darlehen- und Stipendiensystem, das im Übrigen national einheitlich sein kann - finanziert durch die KfW -, und es
wäre Aufgabe der Bundesministerin gewesen, ein entsprechendes Modell vorzulegen. Man fragt sich schon,
was sie in den letzten Monaten und Jahren getan hat, als
sie abstruse Gesetze verfasst hat, bei denen absehbar
war, dass sie scheitern. In dieser Zeit hätte sie mit der
KfW verhandeln und ein Modell vereinbaren können,
das uns weiterbringt.
({7})
Eines ist wohl klar: Wir geben in Deutschland sehr
viel Geld für die Hochschulen aus. Wir geben ähnlich
viel Geld wie in Amerika aus, ungefähr 1 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts. Der Unterschied zu Amerika ist
aber, dass dort ungefähr 1,2 Prozent aus privaten Quellen hinzukommen.
({8})
Das macht den Unterschied aus. Das ist der Grund, warum die deutschen Studierenden nach Amerika schauen
und sich wünschen, dass auch ihre Klausuren innerhalb
weniger Wochen bearbeitet werden, dass sie ihre Professoren persönlich kennen und nicht in überfüllten Hörsälen sitzen müssen.
Ich kann Ihnen nur eines sagen: Kommen Sie wieder
auf den Teppich zurück! Schauen Sie sich die Realität
an! Schauen Sie sich an, was in anderen Ländern gemacht wird!
({9})
Dafür brauchen wir gar nicht nach Westen zu schauen.
Ein Blick nach Polen, in die Ukraine oder die Tschechische Republik reicht aus. Dort werden solche Diskussionen nicht geführt. Dort hat man sich gesagt: Leistung
muss zählen und die Qualität muss stimmen. Es geht um
die Zukunft des Einzelnen. Daher ist man für solche
Wege durchaus offen.
Es gehört sicher noch vieles andere dazu. Es gehört
dazu, dass die Hochschulen auch in finanzieller und in
personeller Hinsicht mehr Autonomie bekommen. Es
gehört dazu, dass Forschung an Hochschulen nicht mehr
als Belastung gesehen, sondern gefördert wird. Deswegen haben wir das Modell der Vollkostenfinanzierung
ins Spiel gebracht.
({10})
- Die Exzellenzinitiative ist eine Pleite in einer Größenordnung, wie sie eigentlich gar nicht sein darf.
({11})
- Nein, liebe Kollegen. Wir erkennen durchaus an, was
in einem Rechtsstaat möglich ist.
({12})
Das ist der Unterschied zu Ihnen: Sie wissen gar nicht,
wie Sie die Vorschläge, die Sie machen, finanziell umsetzen wollen. Sie planen mit Geld, das Sie gar nicht haben. Zeigen Sie uns, wo Sie es hernehmen und stellen
Sie es in die Vollkostenfinanzierung ein!
({13})
Dann können wir den Hochschulen und der Wissenschaft in Deutschland wirklich helfen.
Vielen Dank.
({14})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will Ihnen nur
die Information zukommen lassen, dass die Frau Ministerin Bulmahn - das ist mir mitgeteilt worden - aufgrund
der Flugverkehrslage daran gehindert wurde, zu dieser
Aktuellen Stunde pünktlich anwesend zu sein.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Reinhard Loske
vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu
den Flugverkehrsverbindungen möchte ich jetzt nichts
sagen. Vielmehr möchte ich auf das Urteil des heutigen
Tages eingehen. Es ist nun einmal so: Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass es das Prinzip der
Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse nicht rechtfertigt, die Frage der Studiengebühren bundeseinheitlich zu
regeln. Das ist so. Da beißt die Maus keinen Faden ab.
Das ist aus unserer Sicht bedauerlich, aber zu respektieren.
Umgekehrt kann man sagen: Wenn dann ein möglicherweise entstehender Flickenteppich dazu führt, dass
die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse tangiert
wird, dann wäre wieder der Bund gefragt. Aber jetzt ist
es so, wie es ist. Trotzdem sollten wir uns darüber einig
sein, keine Schnellschüsse zu machen. Vielmehr müssen
sich die Bundesländer zusammensetzen, um eine vernünftige Lösung zu finden. Ich glaube, das steht jetzt an.
({0})
Dass an unseren Universitäten nicht alles zum Besten
bestellt ist, kann man ohne weiteres sagen. Ich habe mir
vier Aspekte herausgesucht. Die durchschnittliche Studiendauer in Deutschland - sie ist inzwischen kürzer geworden - liegt immer noch bei sechs Jahren; der OECDSchnitt sind 4,8 Jahre. Der Anteil der Studienanfänger
beträgt in Deutschland 36 Prozent; 1998 waren es
28 Prozent. Zwar ist ein Anstieg zu verzeichnen, aber
der OECD-Durchschnitt liegt mit 51 Prozent wesentlich
höher.
Die Zahl der Studienabsolventen liegt in Deutschland
- auch diese ist seit 1998 gestiegen - bei mittlerweile
20 Prozent; der OECD-Schnitt sind 32 Prozent. Das
heißt, ein Viertel bis ein Drittel der Studierenden - das
ist ein großer Anteil - verlässt die Hochschulen heute
ohne Abschluss. Der vierte und letzte Punkt: Auch mit
der sozialen Zusammensetzung der Studierenden ist es
nicht zum Besten bestellt. 73 Prozent der Beamtenkinder, aber nur 12 Prozent der Arbeiterkinder studieren.
Diese soziale Asymmetrie ist problematisch. Das zeugt
in ganz besonderer Weise von der hohen Selektivität unseres Schulsystems.
Die politische Frage, vor der wir jetzt stehen, ist: Was
können wir tun, damit wir in diesen Bereichen noch besser werden und wir über die Fortschritte hinaus, die wir
zwischen 1998 und heute erreicht haben, weitere Fortschritte erzielen? Ich kann das jetzt nur allgemein beantworten und nicht ins Detail gehen.
Der erste Punkt ist, dass unser Schulsystem besser
werden muss. Der zweite ist - das klang vorhin an -,
dass wir eine größere Autonomie der Hochschulen brauchen, und zwar eine größere Finanzautonomie, Personalautonomie und die Möglichkeit, Schwerpunkte zu setzen.
({1})
Wir brauchen ein modernes Dienstrecht.
({2})
Wir haben mit der Juniorprofessur begonnen. Beim Wissenschaftstarifvertrag müssen wir noch etwas dafür machen.
Jetzt komme ich zur Frage der Hochschulfinanzierung und der Studiengebühren. Wir wehren uns dagegen,
dass das Thema auf die Frage der Studiengebühren verengt wird.
({3})
Was die Finanzierungsquellen betrifft, so gibt es zunächst einmal die Finanzierung durch den Staat, weil das
eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.
({4})
Dann gibt es die Möglichkeiten, Stiftungskapital zu mobilisieren, Forschungsmittel einzuwerben, Hochschulen
zu Weiterbildungsstätten weiterzuentwickeln und durch
Patentverwertungen Geld einzunehmen.
({5})
Das alles sind Finanzierungsquellen, die wir ins Auge
fassen. Wir tun etwas dafür, dass diese genutzt werden.
Die sind für unsere Hochschulen sehr wichtig. Es ist
falsch, das Problem auf Studiengebühren zu reduzieren,
wie Sie das machen.
({6})
- Doch, das tun Sie.
Die Frage ist: Was müssen wir, wenn wir über Bildungsfinanzierung reden, berücksichtigen? Das sind aus
unserer Sicht vor allem drei Dinge: Erstens. Wir müssen
dafür sorgen - das wurde bereits gesagt -, dass soziale
Auslese vermieden wird. Die Bildungsbürokraten sprechen davon, dass Bildungsreserven mobilisiert werden
müssen. Umgangssprachlich kann man sagen: Jeder, der
kann, soll studieren dürfen. Es darf nicht am Geldbeutel
der Eltern scheitern. Das ist ganz wichtig.
({7})
Zweitens. Wir müssen die Mobilität der Studierenden
garantieren. Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass wir
über den Bologna-Prozess und das European CreditPoint-System diskutieren, womit wir die Mobilität der
Studierenden sicherstellen wollen, aber es den Studenten
unmöglich machen, aus finanziellen Gründen von Bonn
nach Heidelberg oder München zu wechseln. Das passt
einfach nicht zusammen.
({8})
Diese Art von Kleinstaaterei ist problematisch.
Drittens. Hier sitzen im Wesentlichen Bildungspolitiker, aber auch - so hoffe ich - einige Leute, die in Sachen Finanzpolitik ein gewisses Urteilsvermögen haben.
Die Gefahr ist sehr real, dass mit der Einführung von
Studiengebühren der Rückzug des Staates aus der Bildungsfinanzierung einhergeht. Heute war in der „FAZ“
zu lesen, dass Ministerpräsident Müller - der es kaum
schafft, einen verfassungskonformen Haushalt im Saarland aufzustellen - Studiengebühren an der Universität
Saarbrücken einführen will. Was wird das zur Folge haben? Dass das Saarland natürlich weniger Geld für seine
Hochschulen ausgibt. Das kann man sich doch an fünf
Fingern abzählen.
({9})
Wir werden in den nächsten Wochen eine intensive
Diskussion haben. Die Kollegin sagte eben, dass das erst
der Anfang der Debatte sei, nicht das Ende. Wir glauben,
dass das System der Bildungsgutscheine bzw. der Studienkonten, wie es in NRW und Rheinland-Pfalz entwickelt worden ist, eine sehr attraktive Alternative ist. Da
haben die Studierenden mehr Gestaltungsfreiheit und
ihre Position wird gestärkt. Wenn man das damit kombiniert, dass die Hochschulfinanzierung mehr durch die
Nachfrage gesteuert wird, dann ist das der richtige Ansatz. Dafür setzen wir uns ein. Das werden wir in den
nächsten Wochen und Monaten noch deutlicher machen.
Danke schön.
({10})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Georg Nüßlein von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem, was
der Kollege Loske gerade gesagt hat, kann man
({0})
in weiten Teilen zustimmen. Auch wir wollen niemanden vom Studium ausschließen, wenn er das Potenzial
hat.
({1})
- Nein, wir wollen das nicht, Herr Tauss. Auch wenn Sie
es lange genug behaupten, es wird nicht wahrer.
Es gibt aber ein ehernes Gesetz in der Wirtschaft: Investitionen hängen von den Erwartungen in die Zukunft
ab. Wenn die Renditeerwartungen fehlen, dann fehlen
die Investitionen. So ähnlich ist das mit dem Studium.
Auch das Studium ist eine Investition in die Zukunft.
Die Renditeerwartungen sind Beschäftigungs- und Verdienstmöglichkeiten.
Ich bin mir sicher, dass Studiengebühren niemanden
vom Studium abhalten, solange die Finanzierung gesichert ist und solange die Renditeerwartungen vorhanden
sind. Sonst müsste es in den USA prozentual weniger
Studienanfänger geben als bei uns. Fakt ist: Es sind laut
OECD fast doppelt so viele.
Nun will ich die USA, bevor Sie gleich Einwände
bringen, nicht als leuchtendes Beispiel darstellen.
({2})
Gebühren bis 30 000 Dollar sind für uns kein Thema.
Trotzdem veröffentlicht die OECD meiner Meinung
nach bemerkenswerte Zahlen.
({3})
In den USA liegen die Bildungsrenditen - das heißt, die
Relation zwischen den Ausgaben und den sich aus dem
Studium ergebenden späteren Verdienstmöglichkeiten bei etwa 15 Prozent. In Deutschland sind es 9 Prozent. In
den USA studieren 19,7 Prozent der Kinder von Nichtakademikern. In Deutschland sind es trotz fehlender Studiengebühren nur 12 Prozent.
Deshalb fordere ich Sie auf: Wenn Sie den Studenten
etwas Gutes tun wollen, dann kümmern Sie sich nicht
um Dinge, die Sie nichts angehen! Kümmern Sie sich
nicht um Studiengebühren! Sorgen Sie vielmehr für
Chancen nach dem Studium! Machen Sie eine bessere
Wirtschaftspolitik!
({4})
Das würde den Studenten in besonderer Weise helfen. Es
geht schließlich um die Möglichkeiten, die sich nach
Abschluss eines Studiums bieten.
({5})
Ein Studium stellt wie die Meisterprüfung im Handwerk eine Investition dar - nur dass der Handwerker
seine Kosten selber trägt. Ich will keine Diskussion darüber beginnen, warum das so ist und ob es gerecht ist.
Entscheidend ist, in was man investiert und welche Qualität das erlangte Gut aufweist.
Es war bereits davon die Rede, dass die internationale
Wettbewerbsfähigkeit unserer Unis auf dem Spiel steht,
weil die Finanzkrise in den öffentlichen Haushalten auch
die Hochschulen erreicht hat. Sie werden sicherlich das
Argument anführen - in diesem einen Punkt sind Sie
sich wahrscheinlich einig -, das sei Ländersache. Aber
auch in dieser Frage steht die Bundesregierung wegen
der verfehlten Politik und wegen ausbleibenden Steuereinnahmen in einer besonderen Verantwortung.
Wir haben heute eine Reihe von guten Argumenten
zugunsten von Studiengebühren gehört.
({6})
- Dazu habe ich leider nicht die Zeit. Wenn Sie zugehört
hätten, Herr Tauss, dann wüssten Sie, welche ich meine.
({7})
Wenn die Studiengebühren durch Stipendien und sozialverträgliche Darlehen abgefedert werden und wenn die
Einnahmen zweckgebunden on top den Universitäten
zugute kommen,
({8})
dann sprechen gute Argumente für ihre Einführung.
Sie haben heute schon Ihre Bedenken geäußert. Ich
sage Ihnen aber offen, dass ich in dieser Frage mehr Vertrauen in die Länder als in die Bundesregierung habe.
Ich nenne nur das Stichwort Maut. Auch in diesem Zusammenhang ist versprochen worden, zusätzliche private Mittel in die Investitionen mit einfließen zu lassen.
Fakt ist: Sie gleichen nur Ihren Haushalt aus.
({9})
Es gibt viele Befürworter von sozialverträglich abgefederten Studiengebühren. Dazu gehören der Sachverständigenrat sowie - laut einer „Forsa“-Umfrage - die
Mehrheit der Studierenden,
({10})
der Bürger und der Ministerpräsidenten - darunter auch
Herr Platzeck - und nach aktuellem Stand auch Wirtschaftsminister Clement. Fragen Sie ihn doch einmal,
warum er Studiengebühren befürwortet!
Die rot-grüne Ideologie hebt sich über alles hinweg:
über die Genossen, Argumente, Kompetenzen und über
die Verfassung. Letzteres hat das Bundesverfassungsgericht glücklicherweise gestoppt.
Schlimm ist aus meiner Sicht, dass Sie die Hoheit
über die Kinderbetten und die Katheder der Professoren
erlangen wollen. Das Schlimmste aber ist, dass Sie in
diesem Punkt die Föderalismuskommission und damit
die Föderalismusreform haben scheitern lassen.
({11})
- Das ist keine Lüge. Weil der Bund Kompetenzen im
Bereich der Bildung gefordert hat, ist die Föderalismuskommission gescheitert.
({12})
Vielleicht bringt Sie jetzt das zweite eindeutige Urteil
des Bundesverfassungsgerichts zum Nachgeben und
Einlenken zugunsten eines Neuanfangs auch in diesem
Bereich. Dann käme Deutschland voran. Das große Ziel
von Bildung ist nicht Wissen, sondern Handeln.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat der Kollege Heinz Schmitt von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Herr Nüßlein, ich möchte nicht auf Ihre komplette Rede
eingehen,
({0})
aber lassen Sie mich dazu Folgendes anmerken: Sie haben einen technologischen Vortrag gehalten. Es geht jedoch bei der Bildung um Menschen. Es geht nicht in erster Linie um Bildungsinvestitionen, sondern um die
Zukunft unserer Gesellschaft. Dabei geht es um Menschen.
({1})
Ich teile auch nicht Ihre Meinung, Frau Böhmer, dass
dies ein guter Tag für unser Land sei. Ich denke, es ist
eher ein schwarzer Tag.
({2})
Wer behauptet, dass es ein guter Tag sei, der lebt meiner
Meinung nach in einer anderen Welt.
({3})
Heute wurde uns nicht die Entscheidung über Studiengebühren abgenommen. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht darüber befunden, ob Studiengebühren
sinnvoll sind oder nicht.
({4})
Das müssen wir auseinander halten. Die Politik steht
auch weiterhin in der Verantwortung. Die Bildungspolitiker müssen nun über die Einführung von Semesterzahlungen entscheiden. Ich betone in diesem Zusammenhang ausdrücklich: Sie tun es nicht nur für ihr eigenes
Land; sie müssen vielmehr auch gegenüber den anderen
Bundesländern und dem gesamten Land Verantwortung
tragen.
Angesichts der Befunde, die wir in den letzten Jahren
über unser Bildungssystem gesammelt haben, wäre es
falsch, zu glauben, es könne jeder in dieser Frage seinen
eigenen Weg gehen. Wir brauchen keine Ad-hoc-Entscheidungen.
({5})
Fakt ist: Die wichtigsten Schätze, über die Deutschland verfügt, sind die Qualifikation und das Wissen der
Menschen. Wir müssen dafür sorgen, dass uns diese
wertvollen Grundlagen auch in Zukunft erhalten bleiben.
Wir müssen bei allen Überlegungen und bei aller Knappheit der Mittel das oberste Ziel im Auge behalten, jungen
Menschen eine erstklassige Qualifikation zu geben. Das
heißt, dass junge Menschen studieren können, wenn sie
die Voraussetzungen haben und es wollen.
Ihnen, Kolleginnen und Kollegen, brauche ich nicht
zu erklären - darauf ist heute schon öfter hingewiesen
worden -, dass in unserem Bildungssystem einiges im
Argen liegt. Wir haben im Vergleich mit anderen Ländern eine relativ niedrige Quote an Hochschulabsolventen, obwohl wir schon vieles verbessert haben. 1998
haben nur 28 Prozent eines Jahrgangs ein Studium aufgenommen. Mittlerweile sind es 37 Prozent. Diese Steigerung haben wir durch eine Verbesserung des BAföG
erreicht. Trotzdem sind wir im internationalen Vergleich
noch immer nicht an erster Stelle.
Wenn nun wie in einigen Bundesländern über die Einführung von allgemeinen Studiengebühren nachgedacht
wird, dann ist dies ein Signal in die falsche Richtung.
Wir reden hier über Zusatzkosten, die gerade auf Schulabgänger aus Haushalten mit geringerem Einkommen,
aber auch aus Haushalten mit durchschnittlichem Einkommen abschreckend wirken. Wenn Studiengebühren
eingeführt sind, muss ein Student länger für die Finanzierung seines Studiums arbeiten. Frau Reiche, Sie haben vorhin einen Vergleich zu Österreich gezogen, wo
Studiengebühren eingeführt wurden. Diese können nur
wenige ohne zusätzliche Arbeit zahlen. 1998 haben dort
über 20 Prozent der Studenten über 35 Stunden pro Woche während des Semesters gearbeitet. Vier Jahre später
waren es 35 Prozent. Nicht erwerbstätig waren im Jahre
1998 50 Prozent. Vier Jahre später waren es nur noch
33 Prozent der Studierenden, die ohne einen Job auskommen. Das sollte man auch beachten, wenn man Modelle anderer Länder als Vergleich heranzieht.
Eine andere Möglichkeit wäre natürlich, dass sich die
Studierenden für die Absolvierung ihres Studiums verschulden. Aber in Zeiten, in denen ein Studium nicht
mehr automatisch ein höheres Einkommen oder einen
sicheren Arbeitsplatz bedeutet, ist auch dies keine verlockende Vorstellung. Wenn Jungakademiker oder
Heinz Schmitt ({6})
Jungakademikerinnen in Zukunft einen eigenen Hausstand gründen, werden sie zuerst ihre Schulden abbauen,
anstatt für eine Eigentumswohnung oder die Einrichtung
eines Kinderzimmers zu sparen. So wird die Realität
sein. Die von Ihnen immer wieder angeführte soziale
Abfederung bleibt relativ diffus und allgemein. Sie bieten keine konkrete Alternative an.
Aus unserer Sicht überwiegt der Abschreckungseffekt
den Nutzen von Studiengebühren bei weitem.
({7})
Wir sind daher für ein gebührenfreies Erststudium, wie
dies zum Beispiel im Bundesland Rheinland-Pfalz durch
ein Modell mit Studienkonten sichergestellt ist, das bundesweit Anreize zum Ausbau von Studienplatzangeboten setzt. Unsere Gesellschaft kann es sich nicht leisten,
Talente brachliegen zu lassen. Wir sollten für junge
Menschen, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft,
keine neuen Hürden bei der Aufnahme eines Studiums
errichten. Bildung und Qualifizierung dürfen nicht zum
Privileg wohlhabender Familien werden.
Wenn unter Ihnen Kolleginnen und Kollegen sind, die
aus Arbeiterhaushalten, aus Nichtakademikerhaushalten
kommen, dann werden Sie sich noch sehr gut daran erinnern, wie wichtig bei der Entscheidung für oder gegen
eine gymnasiale Ausbildung bzw. die Aufnahme eines
Studiums die solide Finanzierung durch BAföG war.
Dieses Kriterium ist noch heute die Grundlage dafür, ob
sich jemand aus einem Arbeiterhaushalt, aus einem
Nichtakademikerhaushalt für oder gegen die Aufnahme
eines Studiums entscheidet. Ich bezweifle, ob die acht
Damen und Herren in Karlsruhe diese Erfahrung gemacht haben; denn sonst wäre es nicht zu der heutigen
Entscheidung gekommen.
({8})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Dies muss auch in Zukunft ein wichtiges Kriterium
bei der Entscheidung für oder gegen Studiengebühren
sein. Ich bitte Sie, bei den anstehenden Diskussionen zu
beachten, dass die soziale Komponente bei der Entscheidung für oder gegen die Aufnahme eines Studiums eine
wichtige Rolle spielt. Ich denke, wir werden in der
nächsten Woche noch intensiv darüber diskutieren.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Günter Krings von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Kollegen! Der heutige Tag ist in der Tat nicht nur
für die Zukunft der Hochschulen ein guter Tag, sondern
auch für den Föderalismus in diesem Lande; er ist
schlecht für all diejenigen auf der linken Seite des Hauses, die in bundespolitischen Allmachtsfantasien schwelgen und glauben, von Berlin aus könne die ganze Republik geregelt und reguliert werden.
({0})
Die Bundesforschungsministerin steht am Tag der
Studiengebührenentscheidung und wenige Monate nach
der Juniorprofessurentscheidung vor dem Scherbenhaufen ihrer Hochschulpolitik. Der Verfassungsgeber hat
aus gutem Grunde nur eine „Rahmenkompetenz“ des
Bundes für die „allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens“ vorgesehen.
({1})
Zudem darf der Bundesgesetzgeber nur dann handeln,
wenn eine bundeseinheitliche Regelung auch erforderlich ist. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach
klargestellt, dass das Leitbild des Grundgesetzes keine
schablonenhafte Gleichheit der Länder, sondern nur
gleichwertige Lebensverhältnisse sind.
Dass die Gleichwertigkeit eine bundesweite Studiengebührenregelung erfordert, haben nicht einmal Ihre eigenen SPD-Ministerpräsidenten in Karlsruhe vortragen
wollen. Sie haben von dem Recht, dort angehört zu werden, nämlich gar keinen Gebrauch gemacht; sie haben
ihre Bundesforschungsministerin dort im Regen stehen
lassen.
({2})
Das Ergebnis lautet: keine Erforderlichkeit, keine Zuständigkeit des Bundes. So einfach kann Verfassungsrecht sein.
({3})
Unbeeindruckt von der klaren Sprache unseres
Grundgesetzes trägt diese Bundesministerin - sie zieht
es heute vor, nicht hier zu sein; wir haben gehört, das
habe flugtechnische Gründe; das akzeptieren wir natürlich - die Verantwortung nicht nur dafür, dass sie die Zuständigkeiten des Bundes überdehnt hat, sondern auch
dafür, dass sie die Verfassungsgrundlage, den Boden des
Grundgesetzes, in den Fragen der Hochschulpolitik eindeutig verlassen hat. Sie, meine Damen und Herren auf
der linken Seite des Hauses, haben dazu die Hand gereicht; Sie haben bei diesem - in doppeltem Sinne Handeln ohne Kompetenz mitgemacht.
({4})
Die Ministerin hat damit auch das Klima zwischen
Bund, Ländern und Hochschulen vergiftet. Es ist gut,
dass der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts
diese Regierung heute - im Übrigen einstimmig - auf
den Boden des Grundgesetzes zurückgeholt hat. Herr
Schmitt, ich finde, es ist fast schon ein bisschen
unverfroren, anzunehmen, dass die Richter in Karlsruhe
die soziale Wirklichkeit gar nicht kennen. Ich weiß von
einigen Richtern dort mit einem sehr einfachen sozialen
Hintergrund; sie mussten sich in diesem Land hocharbeiten. Glauben Sie mir: Das hat nichts mit Studiengebühren zu tun, sondern mit dem Willen, weiterzukommen.
Dieser Wille ist bei jungen Menschen vorhanden. Sie
wollen allerdings gute Studienbedingungen vorfinden,
damit sich ihr Wille in guten Studienergebnissen niederschlagen kann.
({5})
Aufschlussreich für Ihr Verhältnis zur bundesstaatlichen Ordnung insgesamt ist übrigens immer noch die
Begründung für das Hochschulrahmengesetz. Es lohnt
sich, sich diese Begründung noch einmal anzuschauen.
Da tragen Sie allen Ernstes vor, eine Festschreibung der
Gebührenfreiheit sei notwendig, um Rechtssicherheit für
das gesamte Bundesgebiet zu schaffen.
({6})
So stellen Sie sich offenbar unseren Bundesstaat vor.
({7})
Wenn 16 Bundesländer Dinge unterschiedlich regeln,
dann ist das Rechtsunsicherheit; wenn der Bund alles
zentralistisch vorgibt, dann herrscht Rechtssicherheit.
({8})
Da wundert es mich natürlich, dass Sie überhaupt die
Existenz von Landesgesetzgebern akzeptieren.
({9})
Ich frage mich, wann uns hier Gesetze vorgelegt werden,
die endlich mit der unerträglichen Rechtsunsicherheit
von 16 verschiedenen Feiertagsgesetzen und von 16 verschiedenen Landespolizeigesetzen aufräumen. Das entspräche der Logik Ihrer Argumentation. Ich sage sehr
bewusst: Sie bleiben Ihrem sozialistischen Reflex treu,
alles zentralistisch, also von oben anzuordnen und die
kleineren Einheiten am kurzen Zügel zu führen.
({10})
- So weit würde ich nicht gehen, Herr Tauss. „Sozialistisch“ ist, glaube ich, die richtige Beschreibung. - Die
Wahrheit tut weh.
({11})
Das ist nicht das Bild, das wir von der Bundesrepublik haben. Wir haben das Bild von autonomen, also eigenverantwortlich handelnden Hochschulen. Herr Kollege Loske, wenn Sie die Hochschulautonomie wollen,
({12})
dann müssen Sie auch die Konsequenz ziehen und dafür
eintreten, dass die Länder die entsprechende Kompetenz
bekommen, damit sie diese Hochschulautonomie im
nächsten Schritt herstellen können. Was Sie Rechtsunsicherheit nennen, nennen wir Hochschulautonomie.
({13})
Sie glauben ganz offensichtlich noch immer, das
Hauptproblem zwischen Freiburg und Greifswald sei
mangelnde Gleichheit in unserem Hochschulsystem und
in unserem Bildungssystem überhaupt. Wir sind der
Überzeugung, dass unser Hauptproblem die mangelnde
und abrutschende Qualität unserer Hochschulen ist. Das
müssen wir - auch im Interesse des europäischen Wettbewerbs - in Angriff nehmen. Während die Ministerin
um Zuständigkeiten kämpft, kämpfen wir um die Qualität unseres Hochschulsystems.
({14})
Die Erleichterung über die heutige Entscheidung darf
nicht vergessen machen, dass die halsstarrige Haltung
der Ministerin Bulmahn sehr viel mit den Ergebnissen
der Föderalismuskommission zu tun hat. Ehe Sie wieder
schreien, sage ich:
({15})
Sie hatte in der Tat einen maßgeblichen Anteil am Scheitern der Föderalismuskommission. Das ist übrigens nicht
nur meine Auffassung. Lesen Sie beispielsweise die
Äußerung von einem Ministerpräsidenten namens
Steinbrück - der kommt aus Ihren Reihen - nach! Er hat
vor Weihnachten deutlich gemacht, dass die Haltung Ihrer Bundesforschungsministerin maßgeblich zum Scheitern der Kommission beigetragen hat. Das ist leider
wahr.
Das heutige Urteil stellt klar: Die Ministerin hat in
den Verhandlungen über die Föderalismusreform Zuständigkeiten verteidigt, die sie gar nicht hatte. SPD und
Grüne haben damit im Ergebnis die Föderalismusreform
scheitern lassen, um dem Phantom einer umfassenden
Bildungskompetenz des Bundes nachzujagen.
({16})
Die Bundesministerin sollte den Mut aufbringen, die politische Verantwortung für dieses Desaster zu tragen.
({17})
Herr Kollege Krings, kommen Sie bitte zum Schluss.
Mein letzter Satz. - Wenn sie das tut, haben wir realistische Chancen, glaube ich, das wichtige Projekt Föderalismusreform neu anzupacken.
Danke schön.
({0})
Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kasparick.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin ist in Abwesenheit mehrfach angegriffen worden. Deswegen erlaube ich mir, sie jetzt zu verteidigen.
Sie sitzt nach wie vor im Flugzeug, ist auf dem Wege
hierher.
Ich fand es besonders tapfer vom Abgeordneten
Kretschmer,
({0})
zunächst ihren Rücktritt zu verlangen, dann zu beklagen,
dass sie nicht da ist und anschließend den Saal zu verlassen.
({1})
Das fand ich sehr überzeugend.
({2})
Ich fand noch etwas anderes sehr überzeugend. Frau
Böhmer und Frau Reiche haben sich schon gestern zu
dem gesamten Themenfeld öffentlich geäußert. Sie sagen - ich darf aus der Pressemitteilung zitieren -, sie
- gemeint ist die Bundesministerin Bulmahn - müsse
sich jetzt der Realität stellen und in Gespräche mit dem
Parlament und den Ländern eintreten.
({3})
Ich darf Sie auf das Urteil des Verfassungsgerichts
hinweisen. Im Urteil des Verfassungsgerichts heißt es
- ich möchte es zitieren, damit wir der Sache auf den
Grund gehen -:
Dem Bund ist es gemäß Art. 75 Abs. 1 Satz 1 GG in
Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG gegenwärtig
verwehrt, die Gesetzgebung der Länder durch Rahmenvorschriften auf den Grundsatz der Gebührenfreiheit des Studiums und zur Bildung verfasster
Studierendenschaften an den Hochschulen zu verpflichten.
({4})
Dieser Hinweis, dass es dem Bund gegenwärtig verwehrt ist, zieht sich auch durch die Begründung des Urteils. Schauen wir uns einmal genau an, was das im Detail heißt - ich zitiere aus der Begründung -:
Zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse
ist eine bundesgesetzliche Regelung erst dann erforderlich, wenn sich die Lebensverhältnisse in den
Ländern der Bundesrepublik in erheblicher, das
bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender
Weise auseinander entwickelt haben oder sich eine
derartige Entwicklung konkret abzeichnet …
({5})
- Es geht weiter:
Vor allem aber ist davon auszugehen, dass die Länder in eigenverantwortlicher Wahrnehmung der
sie … treffenden Aufgabe zu sozialstaatlicher, auf
die Wahrung gleicher Bildungschancen … bedachter Regelung bei einer Einführung von Studiengebühren den Belangen einkommensschwacher Bevölkerungskreise angemessen Rechnung tragen
werden.
Ich höre jetzt aus einzelnen Landtagen, dass man beabsichtigt, diese Kosten dem Bund zuzuschieben.
({6})
Dazu sage ich nur: Das werden wir nicht mitmachen.
({7})
Nach der Begründung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts - der Kollege legt immer Wert auf korrekte Zitation; deswegen erlaube ich mir, das aus der Begründung korrekt zu zitieren - ist das nicht mehr
Aufgabe des Bundes.
({8})
Damit das völlig klar ist, sage ich: Die Länder sind gefordert, die Sozialstaatlichkeit zu gewährleisten.
Ich freue mich schon sehr auf die Debatte - wir werden sie in den nächsten Tagen bekommen -, in der gesagt werden wird: Ach, wie wäre es denn, Herr Bundesfinanzminister? Wollen Sie nicht? Können Sie
nicht? - Wir werden das nicht mitmachen.
({9})
- Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir noch einen kurzen Moment Gehör schenken würden.
Ich will noch auf etwas anderes hinweisen: Das Bundesverfassungsgericht sieht sehr wohl die Risiken,
({10})
die sich aus der Zuständigkeit der Länder für die Hochschulpolitik ergeben. Ich möchte gerne noch einmal aus
der Begründung zitieren - ich weiß nicht, ob Sie sie
schon vorliegen haben -:
({11})
Die mündliche Verhandlung hat bestätigt, dass eine
Entwicklung dieser Art
- nämlich dass es zu Ungleichgewichten in Deutschland
kommen kann … nicht ausgeschlossen werden kann.
({12})
- Ich bin gleich fertig. - Diese Entwicklung wird vom
Bundesverfassungsgericht nicht ausgeschlossen, aber
- jetzt kommt der interessante Satz - sie zeichnet sich
gegenwärtig noch nicht konkret ab.
({13})
Deswegen darf vorerst der Bund nicht regeln. Ich empfinde das, vorsichtig bewertend gesagt, ein wenig als ein
Verbot vorausschauender Politik.
({14})
Man könnte - auch das sage ich ganz vorsichtig - den
Eindruck gewinnen, als müssten wir erst darauf warten,
bis die Gleichgewichte aus dem Lot geraten sind.
({15})
Ich will noch auf einen weiteren Punkt aus der Begründung eingehen
({16})
- Frau Böhmer, zu Ihnen komme ich gleich auch noch;
dann werde ich Sie ganz persönlich ansprechen -, nämlich dass
… die Erwartung, dass das Aufkommen aus Studiengebühren entsprechend den vorliegenden Konzepten den Hochschulen verbleibt …, nicht von
vornherein … ausgeklammert werden
solle.
({17})
So schreibt das Gericht. Worum geht es? Es besteht eine
reale Gefahr; diese gesteht auch das Gericht ein. Nur
sagt es, man solle die Möglichkeit, dass die Mittel wirklich zweckentsprechend verwendet werden, zunächst
nicht ausschließen.
Frau Professor Böhmer, Sie haben ja in Ihrer Pressemitteilung von heute davon gesprochen, dass jetzt der
Bund gefordert sei.
({18})
Dazu lassen Sie mich sagen: Der Bund ist zu nichts aufgefordert,
({19})
sondern die Länder sind zuständig. Angesichts des Urteils des Gerichtes ist ja zu konstatieren, dass wir heute
so ein wenig eine Phantomdebatte führen. Sie, Frau
Reiche, sind in dieses Thema ja sehr engagiert eingestiegen. Wenn Sie sich zukünftig auch so damit beschäftigen
wollen, müssten Sie allerdings in eine Landtagsfraktion
wechseln, weil die Länder zuständig sind.
Ich danke Ihnen.
({20})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Christoph Bergner
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kasparick, die normale menschliche Reaktion auf
eine Niederlage bei Gericht ist Demut. Was Sie gezeigt
haben, ist Arroganz.
({0})
Ich kann Ihnen nur raten, von solch einer arroganten
Haltung Abstand zu nehmen, wenn Sie wirklich die Fragen des Bildungsföderalismus in der Bundesrepublik
Deutschland angehen wollen.
Nun will ich die Frage, wie sinnvoll und angemessen
in der gegenwärtigen Situation Studiengebühren welcher
Struktur auch immer sind, ein wenig zurückstellen.
({1})
- Ich komme gleich darauf; lassen Sie mich doch einmal
ausreden. - Ich empfehle die Lektüre von Aussagen angesehener Volkswirtschaftler, beispielsweise von Herrn
Professor Weimann aus Magdeburg. Wir als Bildungspolitiker sind ja auch ein bisschen auf die Erkenntnisse der
Volkswirtschaftslehre angewiesen und sollten sie ernst
nehmen. Es lohnt sich, ein wenig vorurteilsfreier als bisher in dieser Debatte darüber nachzudenken, was dort
über Lenkungseffekte, die Möglichkeiten von Subjektförderung und anderem geschrieben wird.
Nachdem ich die Debatte verfolgt habe, beschäftigt
mich folgende Frage: Wenn Ihnen, Herr Kollege Tauss,
Frau Berg und andere, die Gebührenfreiheit oder, wie die
Volkswirtschaftler sagen, die Nullpreissituation
({2})
der akademischen Bildung so viel wert ist, warum haben
Sie dann ein verfassungsrechtlich so untaugliches Instrument wie das Hochschulrahmengesetz benutzt, um eine
solche Regelung zur Geltung zu bringen?
({3})
Sie hätten sich doch bei einer rechtlichen Prüfung davon
überzeugen können, dass die Erforderlichkeitsklausel
nach Art. 72 Abs. 2 des Grundgesetzes in diesem Punkt
wirklich nicht erfüllt ist, wie es ja auch das Verfassungsgericht mit, wie ich finde, großer Einmütigkeit festgestellt hat.
({4})
- Nein, Herr Tauss. - Ich habe einen anderen Verdacht:
Es ist bundespolitisch relativ einfach, Gebührenfreiheit
zu verkünden, wenn die Kosten, die mit der Qualitätssicherung der Lehre verbunden sind, ausschließlich den
Ländern zufallen.
({5})
Ich begrüße das Urteil vor allen Dingen deshalb, weil es
die Entscheidungskompetenz hinsichtlich der Gestaltung
der Lehre und die Finanzierungskompetenz hinsichtlich
der Erschließung von Einnahmequellen endlich zusammenführt.
Wenn ich in der letzten Zeit an etwas gelitten habe,
dann an der Politik von Frau Bulmahn, bei der ich das
Gefühl habe, dass das Interesse an Propaganda nach dem
Motto „Wir sind gegen Studiengebühren!“ weit vor dem
Interesse rangiert, die Probleme zu lösen und eine gute
Qualität der Lehre an den Hochschulen sicherzustellen.
Das ist der Umstand, der mich eigentlich beschäftigt hat.
({6})
Wir sollten auch ein wenig darüber nachdenken, ob
diese Politik der Nichtbeachtung der Länderkompetenzen weiter fortgesetzt werden soll. Ich will einen Fall erwähnen, in dem es nicht um große Beträge geht - es handelt sich nur um 4 Millionen Euro -, den ich aber
besonders perfide finde. Es geht um die Entscheidung
über das so genannte Kompetenzzentrum Bologna, das
von der Hochschulrektorenkonferenz vollzogen wird.
Dieses Förderprogramm wurde nicht mit den Ländern
abgestimmt; die Länder wurden dazu überhaupt nicht
gefragt.
({7})
- Herr Tauss, wir haben schon einmal darüber diskutiert:
Sie greifen damit in die Studiengänge mit Staatsprüfung
ein.
({8})
Dieses Programm hätte mit den Ländern zumindest abgestimmt werden müssen. Dieses Programm ist für mich
ein geradezu subversiver Versuch, in die Länderkompetenz einzugreifen.
({9})
Ich habe die Sorge, dass durch solche Versuche das
Verhältnis zwischen Bund und Ländern weiter vergiftet
wird. Wir sind doch zur Kooperation verpflichtet, wenn
wir die Qualität unserer akademischen Bildung verbessern wollen.
({10})
Wir können doch diesem Kooperationsgebot, das eigentlich über dem gesamten Bildungswesen steht, nicht dadurch nachkommen, dass man einerseits Propagandaziele in den Vordergrund stellt und andererseits versucht,
die Länder auf subversive Weise auszutricksen. Man
schafft dadurch nur ein Klima, in dem praktisch keine
Kooperation mehr möglich ist.
({11})
Meine letzte Bemerkung. Ich appelliere von dieser
Stelle aus an die Länder, dass sie mit der ihr jetzt zugewiesenen Verantwortung umsichtig umgehen. Manche
für die Einführung von Studiengebühren notwendigen
Voraussetzungen werden sich nicht von selbst ergeben.
Ich appelliere auch an die Bundesregierung, sich nicht so
arrogant zu verhalten, wie es der Staatssekretär
Kasparick hier getan hat, indem er aus Nebensätzen der
Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts ableitet, dass die Bundesregierung die ganze Sache nichts
mehr angehe.
({12})
Sie sollten den Verdacht, dass es Ihnen nicht um die
Sache geht, ausräumen. Wir sollten uns in der nachfolgenden Diskussion über die Punkte unterhalten, die unser Land wirklich voranbringen. Spielen Sie nicht weiterhin den schlechten Verlierer, was das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts angeht, sondern wenden Sie
sich sachlich der Lösung der Probleme zu.
Vielen Dank.
({13})
Als letztem Redner in der Aktuellen Stunde erteile ich
dem Kollegen Dr. Ernst Dieter Rossmann für die SPDFraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Staatssekretär hat eben zum Schluss seiner Rede eine juristische Wertung vorgenommen. Herr Bergner, wenn
Sie jetzt auf einmal von Kooperation und anderem reden, dann bekommen Sie offensichtlich schon Muffensausen davor,
({0})
welche Verantwortung Ihnen jetzt zuwächst und wie Sie
mit dieser Verantwortung umgehen wollen. Dazu müssen Sie sich jetzt bekennen.
({1})
Es gibt jetzt eine klare Alternative. Diese Alternative
mögen Sie so darstellen, dass Ihnen viele der 350 HochDr. Ernst Dieter Rossmann
schulrektoren Beifall klatschen werden. Für uns gibt es
den Bezugspunkt von 1,9 Millionen Studenten. Für diese
1,9 Millionen Studenten gibt es jetzt eine klare Botschaft: Es gibt in Deutschland eine Kraft, die maßgeblich will, dass die Studenten viel Geld für ihr Studium
zahlen. Das ist die CDU/CSU. Das geht vom heutigen
Datum aus.
({2})
Sie werden sich dem frohgemut stellen, zum Beispiel
der Herr Kretschmer. Frau Böhmer wird die Studenten
davon begeistern wollen. Sie wird ihnen sagen, dass es
zu ihrem Besten ist, dass sie jetzt Studiengebühren zahlen müssen.
({3})
Viel Vergnügen! Sie haben die Verantwortung dafür.
({4})
Sie müssen sich im Übrigen an vier Kriterien messen
lassen, die Sie positiv in die politische Debatte eingebracht haben. Sie haben gesagt, mit Studiengebühren
werde es mehr Studienanfänger und mehr erfolgreiche
Hochschulabsolventen geben.
({5})
Wir und auch die Studenten werden Sie beim Wort nehmen. Wir wissen schon jetzt, dass Ihre Debatte um die
Einführung von Studiengebühren mit dazu geführt hat,
dass es in den Jahren 2003/2004 erstmals seit 1998 - wir
haben den Studenten seit 1998 einen stärkeren Rückhalt
gegeben - sinkende Studienanfängerzahlen gegeben hat.
({6})
Denn den Konsens, den wir zuvor zwischen SPD und
CDU/CSU und allen Menschen, die etwas für die akademische Bildung tun wollen, hatten, haben Sie zerbrochen.
({7})
Insoweit müssen Sie sich daran messen lassen.
Sie haben zum Zweiten erklärt, die Einführung von
Studiengebühren werde dazu führen, dass mehr junge
Menschen, die aus materiell nicht so gut gestellten Familien kommen, studieren werden. Daran werden wir Sie
messen. Sie werden sich daran messen lassen müssen, ob
Ihre Aussage stimmt, dass mit Studiengebühren die Zahl
dieser Studierenden wächst. Sie haben es versprochen.
Wir werden die Entwicklung abwarten.
Zu beachten ist aber schon jetzt: Da, wo Sie von
500 Euro reden, sprechen andere schon von 3 000 Euro.
({8})
Sie reden von Stipendien. Bei Ihnen gibt es aber Politiker, die gar nicht wissen, dass die Förderung, also das,
was wir als Zuschuss geben, entscheidend dafür ist, ob
junge Menschen die Sicherheit haben, ein Studium aufnehmen und auch durchstehen zu können. Denn wer studiert, nimmt etwas auf sich. Niemand, der studiert, bekommt etwas umsonst, nach dem Motto: Er gewinnt
etwas. Er muss vielmehr schon jetzt viel Zeit und Geld
einsetzen. Er wird noch mehr Geld einsetzen müssen.
Das werden Sie den Studierenden und den betroffenen
Familien erklären müssen. Die werden begeistert davon
sein, in Zukunft damit rechnen zu können, dass die
CDU/CSU sie belastet.
({9})
Sie haben zum Dritten versprochen, mit Studiengebühren würden die Hochschulbedingungen für alle
deutlich besser; dies betreffe die Qualität des Studiums,
die Ausstattung der Hörsäle, die Verbesserung der Lage
der Dozenten und die Tatsache, dass sich die Dozenten
mehr Zeit für die Studenten nehmen können. Wir werden
Sie daran messen, ob dies tatsächlich so eintritt.
Wir haben die Wahrnehmung: Es wird eher anders
kommen. Die Finanzminister werden die Gelder kassieren und es wird eine Umfinanzierung geben. Wenn Sie
sich als CDU/CSU schon so engagieren und als CDU/
CSU-Gebührenpartei Deutschlands für Gebühren streiten, dann hätten Sie im Übrigen auch die Möglichkeit, in
diesem Bereich kurzfristig etwas zu machen, indem Sie
sich in Zukunft dafür einsetzen, dass die Reserven, die
dafür zur Verfügung stehen, dass sich die Länder bewegen können, nämlich die Mittel für die Eigenheimzulage
in Höhe von 3 Milliarden Euro, für die Verbesserung der
Hochschulen und Schulen ausgegeben werden. Immer
wenn Sie vor Studenten und betroffenen Eltern - weit
mehr als 2 Millionen Menschen werden davon unmittelbar berührt sein - sagen: „Wir versprechen Ihnen das
Heil“, werden wir sagen: Für die Förderung von Eigenheimen kämpfen Sie, für die unmittelbare Verbesserung
der Studienbedingungen aber haben Sie nichts übrig, nur
Gebühren.
({10})
Sie sagen zum Vierten, dass es in Deutschland mehr
Mobilität geben wird. Sie wissen doch ganz genau, was
im Föderalismus passiert. Es wird dazu kommen, dass
die einen Länder Studiengebühren einführen und die anderen Länder darauf nur dadurch reagieren können, dass
sie einen so genannten Kinderlastenausgleich einführen.
Prost Mahlzeit, was den kooperativen Föderalismus angeht! Die Bayern verlangen Gebühren und die anderen
Länder rechnen spitz ab, welcher Student aus welchem
Land kommt, damit er dann entsprechend belastet wird.
Man wird dann Landeskinderregelungen treffen.
({11})
Ist das etwas, was für Deutschland und Europa Zukunft
hat? Nein, dies führt zu einem bürokratischen Föderalismus, zu Konkurrenzföderalismus. Dies wird in die gegenteilige Richtung umschlagen und nicht zu dem führen, was Sie den Menschen jetzt versprechen. Viel
Vergnügen mit Ihren Versprechungen und den Niederlagen, die Sie dabei noch erfahren werden!
({12})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 27. Januar 2005,
11.30 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.