Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/21/2005

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Ich wünsche Ihnen allen einen guten Morgen und uns gute Beratungen. Wir beginnen mit dem Tagesordnungspunkt 16: Erste Beratung des von den Abgeordneten Olaf Scholz, Hermann Bachmaier, Sabine Bätzing, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Irmingard ScheweGerigk, Volker Beck ({0}), Jutta DümpeKrüger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien - Drucksache 15/4538 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1}) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss gemäß § 96 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Olaf Scholz für die SPD-Fraktion das Wort.

Olaf Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003231, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor etwas mehr als 200 Jahren haben die Menschen in Frankreich, in England und in den späteren Vereinigten Staaten von Amerika die Demokratie erkämpft und sich für Grundfreiheiten und Grundrechte eingesetzt. Viele der Dinge, die damals gesehen worden sind, sind noch heute Bestandteil unserer Verfassungsordnung und der Verfassungsprinzipien. Dazu gehört auch und ganz zentral, dass der Staat niemanden wegen seines Geschlechts, wegen seiner Behinderung, wegen seines Alters, wegen der sexuellen Identität oder ethnischen Herkunft diskriminieren darf. ({0}) Heute, etwa 200 Jahre später, besteht eine Situation, in der wir das so selbstverständlich finden, dass wir sagen: Solche Prinzipien sollen nicht nur gelten, wenn es um die Beziehung zwischen Staat und Bürgern, wenn es um Abwehrrechte geht, sondern auch dann, wenn es um die Beziehung von Bürgerinnen und Bürgern, jedenfalls mächtigeren Bürgerinnen und Bürgern, zu anderen geht. Das heißt, solche Prinzipien, wie sie unsere Verfassungsordnung mittlerweile für jeden von uns selbstverständlich hat werden lassen, sollen auch im Zivilleben und in der Zivilgesellschaft gelten. Das ist die mittelbare Wirkung der Grundrechte, etwas, das wir unterstützen, das aber niemals oder fast nie unmittelbar durchgesetzt wird; der Gesetzgeber muss aber auch etwas tun, damit es dazu kommt. Die in manchem Kommentar gern geschriebene und an vielen Stellen wiederholte Behauptung, dass durch unsere Gesetzgebung bereits alles geregelt sei, ist nicht richtig. Manche künstliche Aufregung wäre nicht erklärbar, wenn sie richtig wäre. Was wir hier tun, ist also schon etwas Notwendiges. ({1}) Worum geht es? Wir als anständige Bürgerinnen und Bürger wollen Folgendes einfach nicht mehr hinnehmen: Eine Gruppe Behinderter hat ein Hotel gebucht, erscheint dort und dann wird ihr gesagt: Ihr könnt hier nicht sein; wir wollen nicht, dass ihr als behinderte Menschen, als Rollstuhlfahrer die übrigen Gäste stört. - Das ist die Situation, die unerträglich ist und die wir nicht mehr hinnehmen wollen. Redetext ({2}) Meine Damen und Herren, das ist die Situation, die Sie immer vor Augen haben müssen, wenn Sie das, was Sie hier vorhaben zu sagen, sagen, ({3}) wenn Sie aufschreiben, was Sie an verschiedenen Stellen schon aufgeschrieben haben und was Sie auch anderswo nachlesen können, nämlich dass es uns angeblich darum gehe, in die Privatbeziehungen der Bürger hineinzugehen. ({4}) Wenn man sich klar macht, was die Gefühle eines behinderten Menschen sind, der dort nicht eingelassen wird, ({5}) dann kommt man zu dem Schluss, dass es zynisch ist, wenn man liest und hört, dass es ein unangemessenes Vorgehen des Staates wäre, sich in diese Angelegenheit einzumischen. Wir wollen uns einmischen - im Sinne des Anstands, den wir hier in diesem Land zu vertreten haben. ({6}) Es ist auch so, dass wir ein sehr pragmatisches Gesetz gemacht haben. Das wichtigste Kennzeichen für den Pragmatismus, den wir in diesem Gesetz haben walten lassen, ({7}) ist, dass man sich ohne besondere Lektüre dieses Gesetzes gesetzeskonform verhalten kann. ({8}) Wer so ist, wie wir alle sein wollen - trotz Ihrer Aufregung glaube ich, dass Sie persönlich etwas für das Gesetz übrig haben - und wie ein anständiger Bürger sein sollte, der wird mit diesem Gesetz keine Probleme haben und braucht auch keinen Rechtsanwalt. ({9}) Es ist auch nicht notwendig, dass jetzt viele Unternehmen die teuren Seminare besuchen, die überall angeboten werden: „Wie bereite ich mich auf das Antidiskriminierungsgesetz vor?“ Das ist verschwendetes Geld; das sollten die sparen. ({10}) Wer sich schon angemeldet hat, sollte sich wieder abmelden. Das ist nicht notwendig. Wenn Sie einen Rechtsanwalt gefunden haben, der sagt, man müsse vorsorgen und dokumentieren - was man überhaupt nicht muss -, ({11}) dann sollten Sie ihn auf Schadenersatz verklagen, weil er Sie falsch beraten hat. Das ist die Situation. ({12}) Ich glaube, dass wir uns in einer rechtlichen Kultur befinden, die man folgendermaßen beschreiben kann: Verbandsvertreter, Rechtsanwälte und alle, die einen beraten - auch Politiker -, handeln ganz marktwirtschaftlich: Wenn man laut schreit, gibt es mehr Geld. Sicherlich hat die Tatsache, dass wir unseren Gesetzentwurf vor Weihnachten vorgestellt haben, auch dazu beigetragen, dass mancher Verbandsvertreter mehr an die Weihnachtsprämie und an die Zusatzvergütung gedacht hat, als er gesagt hat: Ihr müsst noch einmal Geld an meinen Verband überweisen, weil ich euch vor etwas warnen muss. Das war aber falsch und nicht notwendig. ({13}) Insofern, glaube ich, ist hier eine angemessene Betrachtung angebracht. Das beliebteste Beispiel zu diesem Thema - ich will es gerne aufgreifen; jeder darf dabei etwas Falsches sagen und sich dennoch gut fühlen - ist immer wieder - in verschiedenen Varianten falsch nacherzählt -, dass jemand, der sich um eine Wohnung beworben und sie nicht bekommen habe, nur behaupten müsse, er werde diskriminiert, weil er homosexuell sei; schon müsse der Vermieter beweisen, dass das Gegenteil der Fall sei. Das ist grober Unfug. Das steht nicht im Gesetz. Das Gesetz wird auch niemals so ausgelegt werden können. Aber all die, die das immer wieder behaupten, leben davon, dass sie auf lauter Leute treffen, die erst einmal annehmen: Ein Abgeordneter lügt nicht. ({14}) Diese Leute denken sich: Wenn er das sagt, wird das wohl so im Gesetz stehen. - Es steht aber nicht im Gesetz. Deshalb sage ich Ihnen: Das werden Sie im Gesetz nicht finden. ({15}) Damit Sie es nicht so leicht haben, haben wir uns bei der Gesetzgebung einen ganz wichtigen Schritt überlegt. Wir haben nämlich gesagt: In der Frage der Beweiserleichterung, die uns die EU in vielen Fällen vorgeschrieben hat und die wir auch gerne umsetzen wollen, greifen wir das auf, was wir schon in unserer Rechtsordnung haben. In § 611 a BGB steht, dass es eine Beweiserleichterung gibt, wenn jemand im Arbeitsleben wegen seines Geschlechts diskriminiert worden ist. Das ist eine pragmatische Regelung, bei der man all die unwahren, schrillen Töne abtesten kann, die jetzt erklungen sind. Es gab wegen dieses Paragraphen nämlich keine Prozessflut. Es hat auch keine Dokumentationspflichten und keinen strukturellen Missbrauch wegen dieser Regelung gegeben. Ja, am Anfang haben sich fünf naseweise männliche Jurastudenten auf Frauenjobs beworben, in der Hoffnung, dass jemand sagt: Ich nehme keine Männer. Das hat halb geklappt, halb nicht. Nun hat die Rechtsprechung das klargestellt. Sie können jedenfalls an wenigen Händen abzählen, wie viele Verfahren es zu diesem Thema gibt. Dann wissen Sie, dass es einfach die Unwahrheit ist, zu sagen, hier drohe Bürokratie und hier drohe eine Prozessflut. Das ist nichts weiter als Propaganda, die keine Rechtfertigung in diesem Gesetzesvorhaben hat. ({16}) Die letzte der beliebten falschen Behauptungen lautet, wir gingen hier unglaublich über die Vorgaben der Europäischen Union hinaus. Zunächst einmal ist dazu zu sagen: Wir machen das Gesetz nicht, weil die EU uns dazu zwingt, sondern deshalb, weil wir das für richtig halten. Wir bekennen uns zu dem, was wir da machen. ({17}) Es ist auch richtig, dass es mittlerweile vier Richtlinien gibt, die wir umsetzen müssen. Aber jeder, der den Satz sagt oder schreibt, wir gingen über die Vorgaben hinaus, hofft, dass ihn keiner fragt, was er eigentlich damit meint. Denn dann müsste man antworten, dass damit nicht gemeint ist, wir gingen bei der Ausgestaltung der Rechte zu weit, etwa in Bezug auf Beweiserleichterung, in Bezug auf die Unterstützung durch Antidiskriminierungsverbände oder in Bezug auf ähnliche Dinge - diese sind ja vorgeschrieben; das sollen wir machen -, sondern dass wir in dem Punkt darüber hinausgehen, dass wir zum Beispiel Menschen mit Behinderungen einbeziehen. Wenn Sie der Meinung sind, wir sollten für die Menschen mit Behinderungen nichts tun, dann sagen Sie das auch, statt sich auf einen so abstrakten, nicht hinterfragbaren Satz wie den zurückzuziehen, wir gingen über die Vorgaben hinaus. ({18})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Scholz, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?

Olaf Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003231, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin zwar fast am Ende meiner Rede, aber bitte.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Scholz, vielleicht sind Sie gleich mit Ihrem Latein am Ende, wenn Sie auf meine Frage antworten sollen. Ich frage Sie, ob es richtig ist, dass Sie die Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000 nicht, wie die EU es vorgeschrieben hat, bis zum Dezember 2003 umgesetzt haben. Sie sagten, dass Sie die Vorgaben der EU gar nicht brauchten; aber bis 2003 haben Sie gar nichts gemacht. ({0}) Es war fast ein Vertragsverletzungsverfahren anhängig. Vielleicht können Sie sich einmal dazu äußern.

Olaf Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003231, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bedanke mich für Ihre Frage. ({0}) Es ist in der Tat so, dass mittlerweile eine ganze Reihe von Richtlinien, die umgesetzt werden müssen, aufgelaufen ist, und manche davon hätten schon umgesetzt sein müssen. Das ist gar nicht zu bestreiten. ({1}) Ein wenig müssen Sie sich - ich weiß nicht, wie Sie sich hier einlassen wollen - oder wenigstens die Vertreter Ihrer Partei und von der Union schon darauf verständigen, was Sie sagen wollen. Wollen Sie sagen, wir gingen zu weit, oder wollen Sie sagen, wir seien nicht rechtzeitig genug fertig geworden? Beides ist nicht dasselbe. ({2}) Deshalb will ich Ihnen gerne sagen, dass wir das sehr bewusst so gemacht haben. Manchmal ist es nämlich so, dass eine längere Beratungszeit dazu beiträgt, dass man einen umfassenden und sorgfältig abgewogenen Gesetzentwurf zustande bringt, so wie wir es jetzt geschafft haben. ({3}) Deshalb glaube ich, dass sich die lange Beratungszeit in einem guten Ergebnis niedergeschlagen hat. ({4}) Letzte Bemerkung: Wir hielten es für richtig, auf der Ebene der Zivilgesellschaft und des Privatrechts zu bleiben. ({5}) Wir haben uns das, was die französischen konservativen Juristen im Rechtsausschuss vorgetragen haben, nicht zu Eigen gemacht. Diese haben vorgeschlagen, eine hohe Behörde einzurichten, die in alle Privatbeziehungen intervenieren kann, und das Strafrecht zu verschärfen. Wir haben gesagt, die Menschen sollen das untereinander regeln. Dabei helfen wir ihnen. Das ist ein Fortschritt für dieses Land. Schönen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Maria Eichhorn, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Scholz, wir sind zwar in der Faschingszeit, aber dieses Gesetz ist so weit reichend, dass es es verdient hätte, sich ernsthaft mit ihm auseinander zu setzen. Das werden wir tun. ({0}) Meine Damen und Herren, vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich. Art. 3 unseres Grundgesetzes und verschiedene Vorschriften schützen die Bürgerinnen und Bürger vor Benachteiligungen aufgrund bestimmter Merkmale wie Geschlecht, Abstammung, Religion, Behinderung usw. Dieses unbestrittene Grundrechtsprinzip hat Konsequenzen: Einer Frau darf nicht deshalb ein Arbeitsplatz verweigert werden, weil sie eine Frau ist. Wie lässt sich dieses nachweisen? Steht dem nicht das Prinzip der Vertragsfreiheit entgegen? Es sollte doch jeder Verträge abschließen können, mit wem er will. Die Umsetzung der EU-Gleichbehandlungsrichtlinien durch das vorliegende Gesetz gibt der Politik der Antidiskriminierung in Deutschland einen völlig neuen Stellenwert. Der Gesetzentwurf geht weit über die von der EU vorgeschriebenen notwendigen Regelungen hinaus. ({1}) Das gilt sowohl für die Diskriminierungstatbestände als auch für die betroffenen Rechtsgebiete. Die EU verlangt nur ein zivilrechtliches Diskriminierungsverbot aufgrund der Rasse und der ethnischen Herkunft. ({2}) Mit der Ausweitung der Diskriminierungstatbestände auf Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Identität und Geschlecht verfolgen Sie eine bestimmte Ideologie ({3}) und ändern die Wertmaßstäbe. ({4}) Es drängt sich die Frage auf, ob das Ziel wirklich die Beseitigung von Diskriminierung ist oder bereits der Schritt zur Bevorzugung von Bevölkerungsgruppen mit bestimmten Merkmalen. ({5}) Diese Frage muss erlaubt sein. So sucht man den Schutz der Familie bei den geschützten Gruppen vergeblich. ({6}) Sie bildet unverändert auch heute noch die Basis unserer Gesellschaft und die Basis der Finanzierung unserer Sozialversicherungssysteme. Es stellt sich daher die Frage, ob nicht auch gesellschaftliche Gruppen ohne politische und weltanschauliche Extrempositionen den Schutz unserer Gesellschaft verdienen. ({7}) Das Gesetz bringt weit gehende Einschnitte im arbeitsrechtlichen Bereich mit analoger Anwendung auf Beamte. Im Zivilrecht sind das Versicherungs- und das Mietrecht besonders betroffen. So schaffen Sie zusätzliche Bürokratie und sorgen für eine noch stärkere Überregulierung unserer Gesellschaft. ({8}) Kleine und mittelständische Betriebe werden besonders darunter leiden. Das Gesetz ist ein Arbeitsplatzverhinderungsgesetz, ({9}) und das bei einer Rekordzahl von 4,4 Millionen Arbeitslosen. Das ist unverantwortlich. ({10}) Mit der Einrichtung einer Antidiskriminierungsstelle, die beim Familienministerium vorgesehen ist, geht der Gesetzentwurf ebenfalls über die EU-Richtlinien hinaus. Diese Richtlinien sehen eine solche Stelle nur für die Benachteiligung wegen Rasse, ethnischer Herkunft und Geschlecht vor. Zusätzliche Bürokratie entsteht bei dieser Stelle durch die detaillierte Regelung der Rechtstellung des Leiters und durch einen 16-köpfigen Beirat, der Anspruch auf umfangreiche Geldleistungen hat. Eine der Hauptaufgaben dieser Stelle ist die Öffentlichkeitsarbeit, und das für schätzungsweise 5,6 Millionen Euro jährlich. Aber bei unserer hervorragenden Haushaltslage sind das ja nur Peanuts. Wenn man die eigentlichen Aufgaben der Stelle nachliest, stellt sich zugleich die Frage nach der Wirksamkeit dieser Einrichtung. Erfahrungen mit der Ombudsmannstelle in Schweden zeigen jedoch, dass diese Stelle zwar vermittelt, aber faktisch nichts durchsetzen kann. Also viel Wind, aber kein Erfolg. ({11}) Was ist Diskriminierung? Diskriminieren bedeutet herabsetzen, herabwürdigen. Eine Rollstuhlfahrerin berichtet, ein Hotelbetreiber, der nach seinen eigenen Worten über einen barrierefreien Zugang verfügt und auch Zimmer anbietet, die für Rollstuhlbenutzer geeignet sind, habe ihr mitgeteilt, dass er nicht gerne Zimmer an Rollstuhlfahrer vermiete. Weiter sagte er zu der daraufhin sprachlosen Frau, nebenan gebe es ein Altenheim; sie solle doch dort nachfragen, ob ein Zimmer zur Anmietung frei sei. ({12}) Behinderte erfahren ebenso Diskriminierungen zum Beispiel bei Reisen, bei Veranstaltungen, in der Gastronomie, beim Abschluss von Versicherungsverträgen. Dies wurde bei einem Werkstattgespräch der CDU/CSUFraktion im Oktober bestätigt. ({13}) Diese Diskriminierungen müssen wir aufdecken und für Abhilfe sorgen. ({14}) Die Behindertenverbände haben zum vorliegenden Gesetzentwurf bereits Verbesserungsvorschläge gemacht. Diese werden wir aufgreifen und im Gesetzgebungsverfahren wohlwollend prüfen. Ich will einen weiteren Fall schildern. Einem 70-jährigen Bankkunden wurde mit Hinweis auf sein Alter der Dispositionskredit gekündigt, obwohl sich seine Vermögensverhältnisse nicht geändert hatten. Auch Jüngere sind von Diskriminierung betroffen. Über 50-Jährige - das wissen wir - haben kaum noch Chancen auf dem Arbeitsmarkt. ({15}) Trotz aller Gleichstellungsbemühungen seit Jahrzehnten fließt das Merkmal „Geschlecht“ in die Bewertungspraxis der Arbeit, die überwiegend von Frauen verrichtet wird, immer noch mit ein. ({16}) Frauenarbeit wird systematisch unterbewertet. Selbstverständlich gilt der Rechtsanspruch „gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit“. Doch gibt es andere Möglichkeiten, Frauen- und Männerarbeit unterschiedlich zu bezahlen. Das gilt auch bei höherem Ausbildungsniveau. So lag der durchschnittliche Nettoverdienst im Jahre 2002 bei Männern in höheren Positionen bei 2 454 Euro und bei Frauen in gleicher Position bei durchschnittlich nur 1 626 Euro. Wir sind uns einig: Auch hier gibt es noch viel zu tun. ({17}) Aber gibt das Antidiskriminierungsgesetz darauf die richtige Antwort? Das ist die Frage. ({18}) Die unklaren Definitionen im Gesetzentwurf werfen viele Fragen auf. Die Formulierungen sind vielfach weder rechtlich noch fachlich durchdacht. Rechtsanwälte und Gerichte können sich über viel zusätzliche Arbeit freuen. Wer meint, diskriminiert worden zu sein, braucht diesen Verdacht nur noch glaubhaft zu machen. Der Beschuldigte muss dann vor Gericht seine Unschuld beweisen. Dies führt zu langen und schwierigen Gerichtsverhandlungen. Ein Vermieter wird danach künftig nachweisen müssen, dass er einen Mieter abgelehnt hat, weil er an seiner Zahlungsfähigkeit zweifelt, und nicht etwa deswegen, weil er zum Beispiel eine dunkle Hautfarbe hat. Die Beweislastumkehr wird für viele zur Diskriminierungsfalle. ({19}) Das zeigen Erfahrungen in den USA und in Großbritannien. Bereits in der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass Regelungen, die eigentlich schützen sollten, kontraproduktiv waren. Ich erinnere nur an die von Ihnen eingeführte gesetzliche Regelung zur Teilzeitarbeit. Meine Damen und Herren, das Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfes, bestimmte Personenkreise umfassend zu schützen, mag vielleicht juristisch erreicht werden. Es ist jedoch äußerst zweifelhaft, ob der Schutz dieser Personen tatsächlich erreicht werden kann. Hinzu kommt, dass das Risiko von Schadensersatzansprüchen dazu führen kann, dass der Kontakt mit den Geschützten von vornherein vermieden wird. So sagt der Haus- und Grundbesitzerverein: Die geplanten gesetzlichen Veränderungen im Bereich des Mietrechts helfen nicht den geschützten Personen, sondern erschweren die Integration von Minderheiten. Andere wiederum, die wie der Deutsche Juristinnenbund das Gesetz begrüßen, stellen fest, dass die Verbesserungen gering ausfallen. ({20}) Nikolaus Piper warnt in einem Kommentar der „SZ“ vom 1. Dezember 2004 - Herr Scholz, die „Süddeutsche Zeitung“ ist ja keine Zeitung, die Ihnen schlecht gesonnen ist - vor einer überzogenen Antidiskriminierungspolitik, die in eine Falle gerate. Ich zitiere: Das gut Gemeinte richtet sich in der Überdosis gegen das eigentlich verfolgte Ziel. Nicht der Erfolg der potenziell Diskriminierten ist das Ergebnis, sondern die ökonomische und gesellschaftliche Lähmung. ({21}) Er fährt fort: Die Bundesregierung wäre gut beraten, die von Brüssel verordnete Politik so behutsam wie möglich umzusetzen. ({22})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Beitrag der Union lässt mich - das muss ich Ihnen gestehen - etwas ratlos zurück. ({0}) Man sollte sich schon entscheiden, ob man, wie es manche, insbesondere die betroffenen Verbände, tun, kritisieren will, dass man noch mehr hätte machen können und wir nicht weit genug gegangen seien, oder ob man kritisieren will, dass wir viel zu weit gegangen seien. Da sollte man sich schon entscheiden. ({1}) Die Tatsache aber, dass es in beide Richtungen Kritik an unserem Gesetzentwurf gibt, zeigt, dass wir einen ausgewogenen Kompromiss ({2}) zwischen einerseits einem wirksamen Diskriminierungsschutz und andererseits keiner unnötigen Belastung der Wirtschaft und der Anbieter von Dienstleistungen gefunden haben. Ziel dieses Gesetzes ist es, jedem Bürger und jeder Bürgerin in unserem Land einen gleichberechtigten Zugang zum Markt, zum Handel mit Waren und Dienstleistungen und zum Arbeitsmarkt, zu verschaffen. Ziel dieses Gesetzes ist es nicht, den Bürgerinnen und Bürgern vorzuschreiben, wie sie zu denken haben. ({3}) Ein gleichberechtigter Zugang zum Markt gewinnt in Zeiten, in denen sich der Staat aus immer mehr Bereichen zurückzieht und das Angebot privaten Trägern überlässt, zunehmend an Bedeutung. Wer heute keinen gleichberechtigten Zugang zu Waren und Dienstleistungen und zum Arbeitsmarkt hat, hat keine Chance, sich in dieser Gesellschaft frei zu entfalten und sich selbstverantwortlich zu engagieren, wie wir es aber bei der Agenda 2010 von den Menschen erwarten. Deshalb ist das, was wir mit diesem Gesetz bewirken wollen, nur fair. Man muss die Dinge auch zu Ende denken, Frau Kollegin Eichhorn. Es ist richtig: In diesem Gesetzentwurf steht nicht das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Familienstandes. Würden wir dies aber in das Gesetz aufnehmen, handelten wir mit Zitronen. Dann dürfte nämlich niemand mehr Ehepaare und Familien bevorzugen, sie würden den Sanktionen dieses Gesetzes unterliegen. ({4}) Wir respektieren den verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie. Wir haben mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass dies offensichtlich nicht mehr der Frauenpolitik der Union entspricht. ({5}) In der Tat gehen wir mit diesem Gesetz an einer Stelle deutlich über das uns von der EU Vorgeschriebene hinaus: Wir wollen die Diskriminierung im Zivilrecht nicht nur hinsichtlich Rasse, ethnischer Herkunft und, wie wir dies neuerdings tun müssen, Geschlecht untersagen. Man soll auch Behinderte, alte Menschen, religiöse Minderheiten wie Juden und Muslime sowie Homosexuelle nicht diskriminieren dürfen; das scheint Sie, wenn ich das richtig vernommen habe, am meisten zu stören. Ich kann mir angesichts unserer Geschichte - wir werden jetzt den 60. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus begehen - schlichtweg nicht vorstellen, dass wir in Deutschland ein Antidiskriminierungsgesetz verabschieden, nach dem Behinderte und Juden nicht vor Diskriminierung geschützt werden. ({6}) Die Werteordnung des Grundgesetzes erteilt der Diskriminierung und der Ausgrenzung aufgrund bestimmter Persönlichkeitsmerkmale eine klare Absage. Das ist in Art. 3 des Grundgesetzes geregelt. Art. 3 des Grundgesetzes bindet aber unmittelbar nur den Staat und seine Organe. Das heißt: Der Staat darf den Bürger nicht diskriminieren. Wir wollen aber, dass die Bürger die gleichen Möglichkeiten haben, wenn es zum Beispiel darum geht, Versicherungsverträge abzuschließen oder eine Volker Beck ({7}) Wohnung zu mieten, und nicht aufgrund bestimmter Merkmale, zum Beispiel weil sie zu alt sind, weil sie eine Frau oder eben ein Mann sind, weil sie schwul oder heterosexuell sind oder weil sie behindert sind, davon ausgeschlossen sind. Wir wollen jedem die gleichen Chancen und Möglichkeiten eröffnen. Was ist heute Realität? Es ist zwar nicht flächendeckend der Fall, kommt aber immer wieder vor, dass Frauen höhere Tarife bei Kranken- und Lebensversicherungen zahlen. Homosexuellen werden Lebensversicherungsverträge pauschal verweigert. Menschen nicht deutscher Herkunft, Schwule und Lesben sowie Behinderte erfahren vergleichbare Diskriminierungen im Gastronomiebereich. Solche Leute will man nicht bedienen, man will sie dort nicht haben. Ausländisch aussehenden jungen Männern wird der Zugang zu einer Diskothek verweigert. Behinderte Menschen werden oft in einem Ferienhotel nicht aufgenommen, weil man unterstellt, sie würden die anderen Gäste stören. Das wollen wir abstellen. Bislang ist dies durch unsere Rechtsprechung gedeckt. Es gibt Gerichtsurteile, nach denen der Wert der Leistung eines Reiseveranstalters gemindert werden kann, wenn Behinderte am Nebentisch ihre Mahlzeit einnehmen. Das ist eine Ungeheuerlichkeit. Sie können doch nicht wollen, dass das so bleibt. ({8}) Besonders gravierend sind die Benachteiligungen im Arbeitsleben, bei der Einstellung, beim beruflichen Aufstieg, bei den Arbeitsbedingungen und bei der Entlohnung. Deshalb haben wir dafür gesorgt, dass das abgestellt wird. Lassen Sie mich kurz zum Schluss kommen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Möchten Sie, bevor Sie zum Schluss kommen, eine Zwischenfrage zulassen?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber selbstverständlich.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Scheuer hatte sich gemeldet. Bitte schön.

Andreas Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003625, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Beck, Sie malen hier das Bild von einer Gesellschaft in Deutschland, die voller diskriminierter Gruppen und voller ekliger verschiedener Auffassungen ist. Sind Sie allen Ernstes der Meinung, dass in Deutschland solch eine Gesellschaft voller Diskriminierung, Neid und Hass vorherrscht?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin der Meinung, dass ich die Gesellschaft richtig beschrieben habe und dass sie nicht voller Diskriminierung ist. Ich habe das eben in meiner Rede ausgeführt: Solche Diskriminierungen kommen nicht flächendeckend vor, aber in bestimmten Bereichen immer wieder. Kürzlich lief bei RTL eine Fernsehsendung, in der zehn Versicherer befragt wurden, wie sie es mit Lebensversicherungen für Homosexuelle, die eine eingetragene Partnerschaft haben, halten. Das Ergebnis war: Lebensversicherungen und Krankenversicherungen verweigern einen Vertrag, weil sie Homosexuelle offensichtlich für krank halten und deshalb ein höheres Risiko befürchten. Wenn Sie einmal unsere Frauenpolitiker fragen, wie die Konditionen für Versicherungsverträge aussehen, dann werden sie Ihnen sagen, dass Frauen bei Verträgen im Bereich der Lebensversicherung einfach überall mehr zahlen als Männer. - Sie bleiben bitte stehen, bis ich Ihre Frage beantwortet habe, Herr Scheuer. Wenn man eine Frage stellt, muss man die Antwort aushalten. Das ist unsere Regel hier. ({0}) Gibt es dafür, dass Frauen mehr zahlen als Männer, einen guten Grund? Wir wissen aus versicherungsmathematischen Berechnungen, dass es andere Kriterien gibt, die für den Schadensverlauf und für das Risiko des Versicherers wesentlich relevanter sind. Wir werden mit diesem Gesetz dafür sorgen, dass Versicherer in Zukunft nur aufgrund von versicherungsmathematischen Kriterien unterschiedliche Tarife ausloben können. - Sie wollen nicht mehr lernen, deshalb erspare ich Ihnen den Rest. Bitte setzen Sie sich, Herr Kollege! ({1}) Geschlechtergerechtigkeit und der Ausbau des Diskriminierungsschutzes sind keine Luxusartikel, sondern notwendige Zutaten einer wirksamen Modernisierungspolitik. International kann keine Volkswirtschaft bestehen, die nur nach Altvätersitte geführt wird. Im Zeitalter der Globalisierung ist die Anerkennung von Diversity ein wichtiges Element für wirtschaftlichen Erfolg. Niemand hat die Illusion, dass Diskriminierung nun per Knopfdruck über Nacht verschwindet. Ein Antidiskriminierungsgesetz ist aber ein wichtiges gesellschaftspolitisches Signal der Integration: ein Signal für das ernsthafte Bemühen um Geschlechtergerechtigkeit und ein Signal gegen die Herabwürdigung und Ausgrenzung von Menschen, weil sie anders sind. Es wäre schön, wenn wir wenigstens darüber einer Meinung wären. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Heinrich Kolb für die FDP-Fraktion.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zu Beginn meiner Rede hier sehr deutlich und unmissverständlich sagen: Die FDP-Bundestagsfraktion wendet sich wie schon bisher auch heute und in der Zukunft mit aller Entschiedenheit gegen Diskriminierung und Intoleranz. ({0}) Wir treten dafür ein, bestehende Diskriminierungen zu beseitigen und die Rechte von Minderheiten zu stärken. Wir wollen die gleichen Rechte und auch die gleichen Chancen für alle Menschen, ({1}) und das unabhängig von ihrer Rasse, ihrer ethnischen Herkunft, ihrem Geschlecht, ihrer Religion, ihrer Weltanschauung, ihrer Behinderung, ihres Alters oder ihrer sexuellen Identität. ({2}) Die FDP-Bundestagsfraktion steht auch für EU-Vertragstreue. Herr Kollege Beck, für uns folgt daraus unzweifelhaft, dass die geltenden EU-Antidiskriminierungsrichtlinien in nationales Recht umzusetzen sind, und zwar in einer Weise, die sicherstellt, dass die mit den Richtlinien verbundenen Zielsetzungen erreicht werden. Dabei fangen wir übrigens nicht bei null an; denn schon bisher tragen viele Vorschriften unseres deutschen Rechts dazu bei, Diskriminierung und Benachteiligung zu verhindern und Chancengleichheit zu fördern. ({3}) Ich denke, die FDP-Bundestagsfraktion kritisiert mit Recht, dass die Bundesregierung ihrer Verpflichtung zur Umsetzung der Richtlinien 2000/43/EG und 2000/78/EG nicht rechtzeitig nachgekommen und erst nach Androhung eines Vertragsverletzungsverfahrens tätig geworden ist. Das steht doch in klarem Widerspruch dazu, dass Sie, Herr Scholz, und Sie, Herr Beck, sich hier hinstellen und sagen: Das ist uns ein wichtiges Anliegen. - Wenn ich heute hier auf die Regierungsbank schaue, muss ich feststellen: Nicht ein Minister Ihrer Regierung ist hier vertreten! Das zeigt, wie ernst und wie wichtig Sie dieses Thema nehmen. ({4}) Wahrscheinlich sind Frau Renate Schmidt und Frau Zypries gerade noch dabei, sich über die Zuständigkeit zu streiten; sonst wären sie möglicherweise hierher gekommen. Die Besetzung der Regierungsbank ist ein Skandal, Herr Beck. ({5}) Die FDP-Bundestagsfraktion - Herr Beck, das sage ich, um Gemeinsamkeiten festzuhalten - will, dass die geltenden EU-Antidiskriminierungsrichtlinien umgehend umgesetzt werden, ({6}) und zwar nicht nur diejenigen, die überfällig sind, weil ihre Umsetzungsfrist bereits abgelaufen ist, sondern auch die Richtlinien, deren Umsetzungsfrist noch läuft. Es macht aus unserer Sicht keinen Sinn, jetzt nur das Überfällige zu erledigen und in einem Jahr oder in zwei Jahren wieder anzufangen. ({7}) Wir sagen Ja zur Umsetzung der Richtlinien aus einem Guss. ({8}) Die FDP-Bundestagsfraktion - Herr Beck, das unterscheidet uns; ich bitte Sie, jetzt zuzuhören - will eine Eins-zu-eins-Umsetzung der Richtlinien - nicht weniger, aber auch nicht mehr. ({9}) Wir lehnen den Gesetzentwurf der Koalition ab, weil er nach unserer Auffassung - das will ich in der Folge beleuchten - weit über die EU-Richtlinien hinausgeht. Dieser Gesetzentwurf ist für uns ein erneuter Ausdruck der rot-grünen Staatsgläubigkeit. Er atmet den Geist der Gutmenschen, die den widerspenstigen Bürger mit der Keule des Gesetzes Mores lehren wollen. ({10}) Aber wir meinen: Der Abbau von Diskriminierungen lässt sich nicht - jedenfalls nicht allein - per Gesetz verordnen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir brauchen eine Veränderung des Bewusstseins, keine Prozessflut; denn damit wäre niemandem, der diskriminiert wird, geholfen. Was wir brauchen und entwickeln müssen, ist eine Kultur des Miteinanders, in der Diskriminierung und Vorurteile geächtet und Vielfalt und Unterschiedlichkeit akzeptiert und toleriert werden. ({11}) - Ich will Ihnen ja sagen, was unserer Meinung nach getan werden kann und soll. Bei der Umsetzung der Richtlinien muss man eines sehen: ({12}) Nicht alles, was im Hinblick auf die EU-Richtlinien neu zu regeln ist, muss in einem eigenen Gesetz geregelt werden. ({13}) Wir glauben zum Beispiel, dass der zivilrechtliche Regelungsteil der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien - sowohl aus rechtssystematischer Sicht als auch um für die Bürger die Übersichtlichkeit und Verständlichkeit des Rechtssystems zu erhalten und zu vergrößern - besser im BGB als in einem Antidiskriminierungsgesetz enthalten sein sollte. ({14}) - Herr Beck, am Schluss meiner Rede mache ich Ihnen ein Angebot. ({15}) Die FDP-Bundestagsfraktion lehnt den von der Koalition vorgelegten Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes insbesondere aufgrund folgender Regelungen des Gesetzentwurfs ab: ({16}) Die nach § 24 des Entwurfs vorgesehene Unterstützung durch Antidiskriminierungsverbände und die Ermöglichung der Abtretung der Forderung Benachteiligter auf Schadensersatz oder Entschädigung in Geld an diese Verbände führt zu einem modernen Ablasshandel in Sachen Antidiskriminierung. ({17}) Es mag sein - ich bin mir sogar sicher -, dass hier ein neuer, blühender Wirtschaftszweig einstehen würde und dass es in Antidiskriminierungsverbänden und in der Folge auch in Rechtsanwaltskanzleien und bei Gerichten zu Beschäftigungswundern käme. Aber die Wirkung der Regelungen des § 24 auf weite Bereiche unseres Alltagsund Wirtschaftslebens wäre verheerend. Hier - das muss man sagen - schütten Sie das Kind mit dem Bade aus. Unsere Zustimmung bekommen Sie für diese Regelung nicht. ({18}) Die im Gesetzentwurf vorgesehene Umkehr der Beweislast geht nach unserer bisherigen Einschätzung zu weit. Sie öffnet dem Missbrauch Tür und Tor. Hier müssen im Hinblick auf die im deutschen Rechtssystem ansonsten geltende Unschuldsvermutung die in den Richtlinien vorgesehenen Spielräume bei der Anpassung des nationalen Rechts genutzt werden. Mit dem § 18 des Gesetzentwurfs werden den Gewerkschaften neue Rechte im Betrieb zugewiesen. Dieser Vorschrift zufolge sollen sie, wenn ich das richtig lese, quasi als arbeitsrechtlicher Antidiskriminierungsverband auch ohne den Willen oder die Zustimmung eines Benachteiligten tätig werden und vor Gericht Rechte geltend machen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen - wahrscheinlich insbesondere von der SPD -, das mag ja als ein Stärkungsmittel für die an Mitgliederschwund leidenden Gewerkschaften gedacht sein, ist aber weder erforderlich noch sachgerecht. ({19}) Die Schaffung einer neuen Antidiskriminierungsstelle als eigener Behörde mit umfassendem bürokratischen Apparat und Stellenkegel ist wahrscheinlich der Beitrag der Grünen zum Antidiskriminierungsgesetz. Hier wird erneut - ich will sagen: ziemlich hemmungslos - die grüne Klientel bedient. ({20}) Frau Schewe-Gerigk hat, wie es heute Morgen in einer Tickermeldung hieß, gesagt, dass sich die Grünen noch mehr Stellen gewünscht hätten. Auch diese Aussage spricht Bände. Wir meinen, die EU-Richtlinien machen diese Bürokratie nicht erforderlich. Stattdessen wäre nach unserer Auffassung die inhaltliche Stärkung der auch schon bisher vorhandenen Beauftragten sinnvoll; Frau Beck und Herr Haack sind ja heute Morgen hier oder waren zumindest hier. Eventuell auftretende Lücken hinsichtlich der nach EU-Recht notwendigen Kompetenzen und Zielgruppen können durch eine Stelle im Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend geschlossen werden. ({21}) Aber wir brauchen kein neues bürokratisches Monstrum, keine neue Behörde. Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen, will ich an Sie appellieren - Herr Kollege Beck, wenn Sie mir freundlicherweise Ihre Aufmerksamkeit schenken würden -: Es wäre schön, wenn es gelingen könnte, für das wichtige Vorhaben der Umsetzung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien einen breiten Konsens in diesem Hause herzustellen. ({22}) Wir sind dazu bereit, bisher wollen Sie das aber offensichtlich nicht. Jedenfalls ist der Entwurf, den Sie, ohne auch nur ansatzweise Rücksprache mit der Opposition zu halten, vorgelegt haben, hierfür keine Basis. Das ist bedauerlich, weil wir in der Vergangenheit bei ähnlichen Vorhaben, etwa bei der Verbesserung der Rechte behinderter Menschen, einen solchen Konsens immer haben herstellen können. ({23}) Deswegen meine Bitte, bei den jetzt anstehenden Ausschussberatungen den Versuch dazu zu unternehmen - auf der Basis des jetzt gültigen Rechts wird unsere Zustimmung zum ADG jedenfalls nicht möglich sein. Danke schön. ({24})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich hätte die Redezeit des Kollegen Kolb ja allzu gern durch eine Zwischenfrage verlängert. Der Wunsch nach einer Zwischenfrage hätte aber rechtzeitig angezeigt werden müssen. ({0}) - Um Gottes Willen, diese Anregung habe ich nicht einmal gehört. Nun hat die Kollegin Christel Humme für die SPDFraktion das Wort.

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Ich freue mich von ganzem Herzen, dass es uns gelungen ist - nach zähem Ringen; das gebe ich zu -, heute endlich ein Antidiskriminierungsgesetz in der ersten Lesung im Bundestag zu haben. Ich danke beiden Fraktionen und allen Beteiligten recht herzlich dafür. ({0}) Denn ich weiß ganz genau, dass dieses Antidiskriminierungsgesetz von den Betroffenen wirklich sehr ungeduldig erwartet worden ist. Leider zeigt ein Blick in die Wirklichkeit - Frau Eichhorn, Sie haben das ja schon durch viele Beispiele beschrieben -, dass dieses Antidiskriminierungsgesetz dringender denn je vonnöten ist. Erst im letzten Jahr wurde eine Studie von Professor Heitmeyer von der Universität Bielefeld veröffentlicht, die bestätigt hat, dass wir es in unserer Gesellschaft zunehmend mit Fremdenfeindlichkeit zu tun haben. Was uns fehlt, ist eine Antidiskriminierungskultur, wie sie in angelsächsischen Ländern und auch in nordeuropäischen Ländern in den letzten 30 bis 50 Jahren zu einer Selbstverständlichkeit entwickelt worden ist. Darum - das sage ich Ihnen ganz offen - habe ich überhaupt kein Verständnis dafür, dass Sie, meine Herren und Damen von der Opposition, mit so einer Vehemenz und mit viel Polemik gegen unser Gesetz agieren. ({1}) Denn Schutz vor Diskriminierung sollte unsere gemeinsame Aufgabe sein. Diesem Schutz haben wir uns verpflichtet - Sie in Ihrer Regierungszeit auch -: In den letzten 50 Jahren haben wir die verschiedensten völkerrechtlichen Übereinkommen ratifiziert. Wir haben damit den Schutz vor Diskriminierung als allgemeines Menschenrecht anerkannt und zu einem zentralen Wert unserer Gesellschaft gemacht. Auf der Grundlage internationaler Verpflichtungen haben wir Gott sei Dank schon viele Vorschriften zur Antidiskriminierung entwickelt. Die Richtlinien gehen aber darüber hinaus: Einen umfassenden arbeits-, sozial- und zivilrechtlichen Schutz, wie ihn die europäischen Richtlinien jetzt vorschreiben, gibt es bei uns in Deutschland noch nicht. Diesen schaffen wir jetzt mit diesem Antidiskriminierungsgesetz. Wir wollen, dass es Diskriminierung wegen des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, der Religion, der Weltanschauung, der sexuellen Identität, des Alters und der Behinderung künftig nicht mehr gibt. Dazu setzen wir die Richtlinien im Arbeitsrecht eins zu eins um. Im Zivilrecht gehen wir über die Richtlinien hinaus: Wir nehmen die Behinderung als Merkmal hinzu. Ich frage Sie: Wollen Sie denn allen Ernstes, dass in Zukunft ein Mensch mit Behinderung und weißer Hautfarbe weniger geschützt ist als ein Mensch mit Behinderung und dunkler Hautfarbe? Das wäre die Konsequenz Ihres Vorschlages! ({2}) Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, ich habe gestern mit Erstaunen in der „Welt“ gelesen, die Arbeitgeber fühlen sich durch unser Antidiskriminierungsgesetz diskriminiert. ({3}) Diese Arbeitgeber sagen, wir brauchten kein neues Gesetz, unsere gesetzlichen Regelungen seien ausreichend. Genau diese Arbeitgeber frage ich, warum Frauen - Frau Eichhorn hat das bestätigt - für eine gleichwertige Arbeit heute noch immer im Durchschnitt 30 Prozent weniger Gehalt bekommen als Männer. Im europäischen Vergleich ist das übrigens ein Negativrekord. Warum verdienen Frauen weniger, haben aber höhere Aufwendungen für die Kranken- und Rentenversicherung? Warum müssen Frauen aufgrund der Tatsache, dass sie Kinder bekommen, noch immer Benachteiligungen am Arbeitsplatz befürchten? Ich frage die Arbeitgeber, die so argumentieren, weiter: Wie erklären Sie den Menschen, die über 50 Jahre alt sind, dass sie allein aufgrund ihres Lebensalters und völlig unabhängig von ihrem Können, ihrer Erfahrung und ihrer Einsatzbereitschaft aus dem Arbeitsleben ausgegrenzt werden? Welche Begründung geben Sie den Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe als nicht deutsch wahrgenommen werden und denen die Teilnahme am öffentlichen Leben - in Discos und Kneipen, bei der Wohnungssuche, bei Auswahl- und Bewerbungsgesprächen - allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe erschwert wird? Ich denke, diese Beispiele machen deutlich, dass wir unserer Verantwortung, die Menschen vor Diskriminierung zu schützen, noch nicht ausreichend gerecht geworden sind. Kritiker - vor allen Dingen Sie von der Opposition warnen davor, dass Unternehmen durch eine Klageflut, durch Bürokratie und durch Verwaltungsaufwand belastet würden. Ich halte das für Horrorszenarien und vorgeschobene Argumente. ({4}) Ich möchte das anhand eines Beispiels belegen. Am vergangenen Dienstag hat die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände eine Veranstaltung zum Antidiskriminierungsgesetz durchgeführt. Ziel war es natürlich, das Antidiskriminierungsgesetz in wesentlichen Punkten zu kritisieren. Erstaunlich dabei war, dass am Nachmittag, als die eingeladenen Unternehmer zu Wort kamen und ihr Unternehmenskonzept vorstellten, ganz schnell klar wurde, dass sie sich vor dem Gesetz nicht fürchten. Gerade die mittelständische Industrie ist im Großen und Ganzen sehr gut vorbereitet; denn viele Unternehmer haben bereits heute erkannt, dass es ihnen auch ökonomisch nützt, wenn sie dazu beitragen, ein tolerantes, offenes und familienfreundliches Arbeitsklima mit dem Blick auf Vielfalt zu schaffen. Kurzum: Wer eine Personalpolitik betreibt, die den Pluspunkt Vielfalt in der Personalstruktur erkennt, der wird bereits präventiv Benachteiligungen verhindern. Lassen Sie uns das ganze Gesetz ein wenig unaufgeregter diskutieren. Ich glaube zwar, dass die gesellschaftliche Wirklichkeit auf der einen Seite viel Diskriminierung widerspiegelt, auf der anderen Seite gibt es in ihr aber bereits Entwicklungen, die sehr weit über das hinausgehen, was wir hier diskutieren. Es geht um Schutz vor Diskriminierung. Dieses Ziel erreichen wir mit unserem Gesetz, wenn es nicht mehr zu Klagen und Schadensersatzprozessen kommt. Optimal wäre es deshalb, wenn sich Arbeitgeber und Tarifparteien bereits im Vorfeld für Antidiskriminierung einsetzen würden, wie es im Gesetz ja auch vorgesehen ist. An dieser Stelle sage ich aber auch sehr deutlich: Funktioniert das im Vorfeld, also präventiv, nicht, dann nützt den Benachteiligten ein Gesetz als Papiertiger überhaupt nichts. ({5}) In Konfliktsituationen brauchen sie Hilfe und Beistand durch Verbände, um ihre Rechte durchzusetzen. Ich denke, das ist von großer Bedeutung; denn Personen, die sich, allein auf sich gestellt, gegen eine Benachteiligung wehren müssen, schrecken zunächst einmal vor einer Durchsetzung ihrer Rechte zurück, weil sie wiederum persönliche Benachteiligungen erfahren bzw. befürchten. Das hat die jetzige Praxis gezeigt. Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist - das sage ich hier noch einmal ganz deutlich -, mit dem Gesetz auch die Verbände zu stärken, die sich seit Jahrzehnten in verantwortungsbewusster und beeindruckender Weise für die Verhinderung und Beseitigung von Diskriminierung eingesetzt haben. Diesen Verbänden, die die Diskussion des Antidiskriminierungsgesetzes positiv begleitet haben, sage ich auch an dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank. ({6}) Lassen Sie mich zum Abschluss noch zu einem wichtigen Baustein des Gesetzes kommen, nämlich der Einrichtung der nationalen Gleichstellungsstelle. Ich halte diese Stelle wirklich für den wichtigsten Baustein; denn dort werden die Betroffenen nicht nur beraten, sondern dort wird auch Öffentlichkeitsarbeit betrieben. Herr Scheuer, Sie haben vorhin gesagt, dass unsere Gesellschaft umdenken muss und dass wir eine Antidiskriminierungskultur benötigen. Nur diese Stelle kann das erreichen. Dieser Stelle wird ein Beirat zugeordnet, in dem Nichtregierungsorganisationen zusammen mit den Tarifparteien vertreten sind. Dadurch haben die Tarifparteien Einflussmöglichkeiten und die Chance - das werden wir mit dieser Stelle bewirken -, präventive Streitschlichtung zu erreichen. Darum geht es. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle haben es in der Hand. Die Gleichbehandlung aller Menschen muss selbstverständlich sein. Damit dies selbstverständlich wird, brauchen wir dieses Gesetz. Vielen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun das Wort KarlJosef Laumann. ({0})

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass wir einvernehmlich der Debatte vorwegstellen dürfen, dass die Diskriminierung eines Menschen wegen äußerer Merkmale oder Veranlagung für einen anständigen Menschen schlicht und ergreifend etwas Unanständiges ist. ({0}) Gerade für uns Unionsabgeordnete hängt das zutiefst mit unserem christlichen Menschenbild zusammen; denn das christliche Menschenbild ist immer von der unverletzbaren Würde eines jeden Menschen ausgegangen und hat im Übrigen immer ein sehr tolerantes Menschenbild vertreten. Das wird es auch in Zukunft tun. ({1}) Ich halte es für völlig richtig, dass sich eine Gesellschaft Regeln gibt, die allen deutlich machen, dass Diskriminierung schlecht ist und geahndet werden muss. Ich habe also im Grundsatz nichts gegen ein Antidiskriminierungsgesetz. Uns liegt heute ein Gesetzentwurf vor, mit dem wieder einmal EU-Recht umgesetzt wird. Wir wissen, dass Brüssel gerne und viel regelt. Das ist auch hier passiert. Es liegen uns drei EU-Richtlinien vor, die die Diskriminierung wegen des Geschlechtes, die Diskriminierung wegen Rasse und ethnischer Herkunft und die Diskriminierung wegen Religion, Weltanschauung, Alter, Behinderung und sexueller Ausrichtung verbieten und sanktionieren. Diese Richtlinien betreffen überwiegend den Bereich des Arbeitsrechtes, also das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten. Die Richtlinie zur Nichtdiskriminierung wegen Rasse und ethnischer Herkunft betrifft darüber hinaus auch den zivil- und sozialrechtlichen Bereich. In einem vereinten Europa, in dem die nationalen Grenzen immer mehr an Gewicht verlieren, ist es richtig und im Interesse aller, einheitliche Regelungen festzuschreiben. Trotzdem betreffen die drei EU-Richtlinien Deutschland in anderer Weise als andere Länder. So kennen zum Beispiel der angloamerikanische, aber auch der skandinavische Rechtsraum kaum Arbeitnehmerschutzrechte. Sie haben den Arbeitnehmerschutz vorwiegend über Antidiskriminierungsgesetze geregelt. Was hier bei uns passiert, ist, dass wir im Grunde unserer Rechtstradition eines ausgeprägten Arbeitnehmerschutzes die Antidiskriminierungsgesetze an die Seite stellen, die teilweise den gleichen Sachverhalt regeln. Da haben jetzt die Arbeitgeber - das kann ich auch nachvollziehen - das Gefühl, von zwei Rechtsräumen eingeschränkt zu werden. Ich finde, das hätten Sie schlicht und ergreifend bedenken müssen. ({2}) Was ziehe ich daraus für eine Schlussfolgerung? Wenn unsere Rechtstradition nun einmal so ist, dass sie Schutzrechte vorsieht, dann hätten Sie bei der Umsetzung der EU-Richtlinie darauf achten müssen, dass Sie sie restriktiv umsetzen. Dass die EU-Richtlinie umgesetzt wird, ist in Ordnung. Aber Sie hätten nicht über den Standard der EU-Richtlinie hinausgehen müssen. ({3}) - Dazu komme ich gleich. Ein weiterer Tatbestand: So wie die Bundesregierung das EU-Recht umsetzen will, befürchte ich, dass sich das Zusammenleben in den Betrieben in Deutschland verändern wird. Ich nenne Ihnen einmal ein Beispiel. Ein vorsichtiger Arbeitgeber wird in Zukunft bei Einstellungen immer darauf achten, sich an formale, objektiv nachweisbare Kriterien zu halten. ({4}) Das sind - das ist auch die Einstellungspraxis des öffentlichen Dienstes - vor allen Dingen Zeugnisnoten und Benotungen von Abschlüssen. Auf der anderen Seite wissen wir doch auch, dass bei jeder Einstellung neben den Noten die Sympathie, Empfehlungen und die Frage, ob der Bewerber ins Team passt, wichtig sind. Dieses Gesetz wird in Wahrheit dazu führen, dass diejenigen, die gemessen an den objektiven Kriterien vielleicht nicht so gute Bewerbungsunterlagen haben, aber durch ihre Persönlichkeit einiges wettmachen könnten, bei denjenigen, die jetzt nur noch formal entscheiden, den Kürzeren ziehen. Glauben Sie bloß nicht, dass diese Regelung für alle nur gut ist. ({5}) Der Mensch ist mehr als die Summe formaler Kriterien. Er ist vielmehr - das wissen wir alle - auch eine Persönlichkeit. Ich finde, sie darf dabei nicht auf der Strecke bleiben. Letzten Endes können Kriterien wie Persönlichkeit, Sympathie und Teamfähigkeit vor Gericht nicht so eindeutig nachgewiesen werden wie Examensnoten, Schulnoten oder Noten von Gesellenbriefen. ({6}) Deswegen geht damit ein gutes Stück Menschlichkeit in der Arbeitswelt verloren. ({7}) Es gibt noch einen weiteren Punkt. Natürlich sieht die EU-Richtlinie vor, dass Diskriminierung geahndet werden muss. Aber es wäre richtig gewesen, wenn wir, wie es bisher in Deutschland in § 611 a des Bürgerlichen Gesetzbuches geregelt ist, die Höhe des Schadenersatzanspruchs begrenzt hätten, damit das kalkulierbar ist. ({8}) Die unbegrenzte Höhe des Schadenersatzes schreibt die EU-Richtlinie nicht zwingend vor. ({9}) Sie hätten sich an dem § 611 a orientieren und damit mehr Kalkulierbarkeit und Rechtssicherheit in den Arbeitsbeziehungen erreichen können. Ich will ein anderes Beispiel nennen. Ich meine die so genannten Abmahnvereine. Sie wissen, dass ich immer dafür war, dass Verbände ihre Mitglieder vor Gericht vertreten können. Ich habe es immer für richtig gehalten, dass Gewerkschaften, Behindertenverbände oder der VdK ihre Klientel vor Sozialgerichten oder Verwaltungsgerichten in ihren sozialen Angelegenheiten vertreten, weil ich weiß, dass viele kleine Leute nicht vor Gericht gehen würden, wenn sie das Prozessrisiko tragen müssten. Es ist völlig in Ordnung, dass das über einen Beitrag beispielsweise zum VdK geschieht. Ich habe auch nichts dagegen, dass Antidiskriminierungsverbände die Vertretung ihrer Leute vor Gericht übernehmen. Was aber machen Sie? Sie haben die neue Idee, dass ein Mensch einem Verband seinen Schadenersatzanspruch abtreten kann, der Verband diesen Anspruch vor Gericht geltend macht und unter Umständen das Geld oder Teile des Geldes behält, das als Schadenersatz gezahlt wird. Das ist gegenüber dem bisherigen Zustand eine ganz andere Qualität. ({10}) Damit tun Sie sich keinen Gefallen. Viele Antidiskriminierungsverbände werden in Zukunft geradezu für Fälle werben. Sie werden medienwirksam Prozesse führen, um weitere Fälle zu finden. Sie werden sich daran auch noch bereichern. Ich verstehe nicht, was an dieser Politik sozial sein soll. ({11}) Ich befürchte, dass Sie auch noch auf die Idee kommen, das Klagerecht im Sozialrecht und im Verwaltungsrecht für den VdK und andere in dieser Weise zu ändern. ({12}) Sie sollten sich wegen dieser Denke wirklich schämen, weil Sie das Kind mit dem Bade ausschütten. ({13}) Ich will Ihnen ein weiteres Beispiel nennen. Die EURichtlinie sieht auch nicht die Haftung der Arbeitgeber wegen des diskriminierenden Verhaltens Dritter vor. ({14}) In Ihrem Gesetzentwurf ist sie aber enthalten. Das hätten Sie nicht zu tun brauchen. Unterstellt, in eine Bank, in der viele weibliche Mitarbeiter beschäftigt sind, kommt ein muslimischer Mitbürger - das ist ein sehr realer Fall, den ich jetzt beschreibe -, der sich in Geldangelegenheiten nicht von einer Frau beraten lässt. Es ist völlig klar, dass das eine Diskriminierung ist. Das ist nicht in Ordnung. Da sind wir uns völlig einig. Aber was soll jetzt der arme Arbeitgeber machen? Er könnte die Frau auf einen Arbeitsplatz ohne Kundenkontakt versetzen und einen Mann mit ihrer Aufgabe betrauen, damit das Problem für diesen Kundenbereich - diese Kunden will man ja behalten - gelöst wird. Wenn die Frau aber mit dieser Versetzung nicht einverstanden ist und der Kunde sein Verhalten nicht ändert, ist der Arbeitgeber dafür haftbar. Er kann aber für diese Situation nichts. Es ist doch geradezu irrsinnig und weltfremd, was Sie hier vorschlagen. Dafür werden wir Ihnen unsere Hand nicht reichen können. ({15}) Ich glaube, dass dieser Gesetzentwurf sehr deutlich macht, dass Rot-Grün von unserer Gesellschaft ein völlig anderes Bild hat als wir von der Unionsfraktion und wahrscheinlich auch die FDP-Fraktion. ({16}) Dieses Bild beruht auf der Vorstellung, dass man alles bis in die letzte Kleinigkeit durch Gesetze regeln und strafbewehren muss. ({17}) Das würde bedeuten, dass man den Menschen nicht mehr traut. Wir hingegen trauen den Menschen zunächst einmal und setzen auf wenige Regelungen und Grundsätze, die durchschaubar sind. Machen Sie sich klar, dass es bei diesen Fragen nicht in jedem Punkt der Keule des Gesetzes bedarf! Das hat sich schon in der Vergangenheit gezeigt. Erforderlich ist vielmehr die Zivilcourage der Menschen, die sich einmischen, wenn sie Diskriminierungen beobachten, und deutlich machen, dass ein solches Verhalten zu weit geht. Das ist viel wirksamer. ({18}) Wir trauen den Menschen in Deutschland etwas zu. Wir wollen keinen Staat, der in jeden Lebensbereich hineinplant und mit der Gesetzeskeule kommt. Wir haben Vertrauen zu unseren Bürgern und deswegen können wir es uns auch erlauben, in vielen Punkten auf staatliche Eingriffe zu verzichten. Das unterscheidet uns sehr von Rot-Grün. Schönen Dank. ({19})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Laumann, Sie haben sich heute nicht gerade als Vorsitzender des Arbeitnehmerflügels geoutet. ({0}) Es waren die Grünen, die vor 20 Jahren als erste ein Antidiskriminierungsgesetz vorgelegt haben, das den Schutz vor Ungleichbehandlung von Frauen zum Ziel hatte. Heute beraten wir ein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz, ({1}) das alle Diskriminierungsmerkmale erfasst und sowohl für das Arbeits- als auch für das Zivilrecht gilt. Ich frage Sie, Herr Laumann, welchen Sinn es machen soll, wenn man Frauen vor Diskriminierung schützt, aber behinderte Menschen nicht. ({2}) - Weil das im Zivilrecht nicht zwingend vorgeschrieben ist. Wir machen ein Gesetz, das Diskriminierung und Ausgrenzung aufgrund bestimmter Persönlichkeitsmerkmale eine klare Absage erteilt. Es ist ein Gesetz mit Augenmaß, das nicht jegliches unterschiedliches Handeln verbietet, sondern Differenzierung zulässt, wenn es dafür eine sachliche Begründung gibt. Ich nenne nur die Stichwörter Jugendtarife, Seniorenteller und Frauensauna. All dies wird noch möglich sein. Trotzdem macht der von uns eingebrachte Gesetzentwurf deutlich, dass Privatautonomie da endet, wo andere Menschen diskriminiert werden. Das Gesetz wird zur Modernisierung der Gesellschaft beitragen. Ich frage mich, was der Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände und CDU-Abgeordnete Göhner - leider ist er heute nicht anwesend, aber wir wissen ja, dass er sein Abgeordnetenmandat als Nebentätigkeit betreibt; wenn es um die eigenen Angelegenheiten geht, kann man wohl nicht immer hier sein - mit seinen Horrorszenarien über das Gesetz beabsichtigt. Ich halte das, was in diesem Zusammenhang betrieben wird, für eine ganz miese Stimmungsmache. ({3}) Selbstverständlich ist auch mit Klagen zu rechnen. Blieben diese aus, dann wäre ein solches Gesetz gar nicht notwendig; dann hätten wir uns die Arbeit sparen können. Aber von einer Klagewelle zu sprechen soll nur die Menschen im Lande verunsichern. Gerade für die Geschlechtergerechtigkeit ist das Antidiskriminierungsgesetz ein wichtiger Baustein. Darum war uns Grünen der horizontale Ansatz - das heißt, dass alle Diskriminierungsmerkmale erfasst werden - besonders wichtig. Denn gerade Frauen sind häufig von Mehrfachdiskriminierung betroffen. Frauen mit Migrationshintergrund oder Behinderung sowie ältere Frauen tragen das höchste Risiko, auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt zu werden. Das schon bestehende arbeitsrechtliche Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts werden wir jetzt erweitern. Vor Benachteiligung im Arbeitsleben, bei der Einstellung, dem beruflichen Aufstieg, den Arbeitsbedingungen, aber auch bei der Entlohnung, gibt es jetzt einen wirksamen Schutz. Dieser ist gerade bei der Entlohnung notwendig; denn heute, im 21. Jahrhundert, verdienen Frauen im Durchschnitt immer noch 30 Prozent weniger als Männer. Ich finde, es ist an der Zeit, dies zu beenden. ({4}) Bei einem groben Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot können jetzt der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft vom Arbeitgeber verlangen, die Benachteiligung zu unterbinden. Das ist doch wohl eine Selbstverständlichkeit. Anderenfalls können sie auch dagegen klagen. Das Benachteiligungsverbot gilt nun auch für privatrechtliche Versicherungen aller Art. Unisextarife werden damit zwar noch nicht automatisch durchgesetzt, wenn Versicherungsunternehmen aber wegen des Geschlechts differenzieren, unterliegen sie einer gesteigerten Darlegungspflicht. Künftig können auch Frauenverbände benachteiligte Personen in zivilrechtlichen Verfahren unterstützen oder eine Abtretung verlangen. Von großer Bedeutung ist für uns die Einrichtung einer Antidiskriminierungsstelle. Frau Eichhorn, Sie haben gesagt, das alles sei aufgeblasen. Wir haben jedenfalls die bestehenden Strukturen mit den Behindertenbeauftragten und den Integrationsbeauftragten genutzt, damit das Modell möglichst klein bleibt. 30 Personen für das gesamte Bundesgebiet sind sicherlich nicht zu viel. Alle Opfer von Diskriminierung werden dort eine Anlaufstelle haben. Wichtig ist uns Grünen auch ein wirksamer Schutz vor Altersdiskriminierung. Frau Eichhorn, das haben Sie ebenfalls aufgegriffen. Obwohl Sie vorhin Beispiele für die Diskriminierung alter Menschen genannt haben, wenden Sie sich gegen unser Gesetz. Sie sollten sich entscheiden, welche Linie Sie verfolgen wollen. Gerade bei der Altersdiskriminierung belegt Deutschland einen traurigen Spitzenplatz. 60 Prozent der Betriebe beschäftigen keine über 50-jährigen Menschen mehr. Ich finde, das können wir nicht länger hinnehmen. ({5}) Für mich ist das Entscheidende an dem Gesetz der Perspektivwechsel. Bisher waren Diskriminierte Opfer und Bittsteller. Nun sind sie es nicht mehr. Sie können mithilfe des Gesetzes ihre Rechte einfordern und durchsetzen. Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Ich möchte nur noch darauf hinweisen, dass 2005 nicht nur das Einstein-Jahr, sondern auch - das wird oft vergessen das Schiller-Jahr ist. Da wir in diesem Jahr den 200. Todestag Schillers begehen, haben wir darüber nachgedacht, ob es nicht sinnvoll ist, einige seiner Zitate hier im Bundestag zu verwenden. ({6}) - Nein, es ist ganz kurz. - Ich finde, zu unserer heutigen Debatte passt nach 20-jähriger Diskussion über ein Antidiskriminierungsgesetz folgendes Schiller-Zitat ganz gut: „Der Worte sind genug gewechselt, nun lasset Taten folgen.“ ({7}) - Doch, das ist das Original. Ich danke Ihnen. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich habe keinen Zweifel, dass uns der gute Schiller in diesem Jahr noch sehr oft begleiten wird. ({0}) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert Ich weise nur vorsichtshalber darauf hin, dass das innerhalb der Redezeit erfolgen sollte. ({1}) Ich erteile nun das Wort der Kollegin Petra Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die PDS im Bundestag begrüßt, dass endlich der Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes zur Beratung vorliegt; denn ein solches Gesetz ist überfällig. Der Anspruch auf Schutz vor Diskriminierung ergibt sich aus Art. 1 des Grundgesetzes, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist, und zwar die Würde jedes Menschen, und aus Art. 3 des Grundgesetzes, wonach alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Der Anspruch auf rechtlichen Schutz ergibt sich aber vor allem aus dem täglichen Leben. Denn es gibt vielfach Diskriminierungen im Alltag und im Arbeitsleben: Diskriminierung von Frauen, Migranten, Juden sowie Menschen mit Behinderungen. Man könnte diese Liste ohne weiteres fortsetzen. Wir begrüßen ebenfalls, dass SPD und Bündnis 90/ Die Grünen den umfassenden Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes vorgelegt haben. Das war nicht immer so beabsichtigt, obwohl es die PDS ständig gefordert hat. Der vorliegende Gesetzentwurf sieht die Ahndung von Diskriminierungen wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität vor. Diesem komplexen Ansatz stimmen wir zu, allemal weil es bereits hinreichend Widerspruch dagegen gibt, und zwar nicht nur aus der Wirtschaft. ({0}) Unsere grundsätzliche Zustimmung gilt dem Anliegen und dem Ansatz, nicht aber allen Details und vorgeschlagenen Lösungen. Der Entwurf lässt zum Beispiel zu viele und zu vage formulierte Ausnahmen zu. Wir haben außerdem Fragen zur Berechnung und zur Wirksamkeit der Sanktionen, wenn wider das Gesetz diskriminiert wird. Wir haben des Weiteren Diskussionsbedarf hinsichtlich der Ausgestaltung und der Arbeitsweise der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Darüber sollten wir in den kommenden Wochen im Interesse der Menschen, deren Würde im Alltag durch das Gesetz geschützt werden soll, sachlich streiten. Die PDS ist jedenfalls bereit, den Gesetzentwurf zu verbessern. Deshalb werden wir uns zugleich gegen alle Versuche wenden, den Entwurf zu verwässern. Danke schön. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Renate Gradistanac für SPD-Fraktion.

Renate Gradistanac (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003134, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich beginne nicht mit Schiller, sondern mit Kant: Wenn die Gerechtigkeit untergeht, hat es keinen Wert mehr, dass Menschen auf Erden leben. Das ist ein hartes Wort. Aber wir alle wissen, wie es ist, wenn wir ungerecht behandelt werden, und wie sensibel wir reagieren, wenn wir das Gefühl haben, einer Benachteiligung oder einer Diskriminierung ohnmächtig gegenüberzustehen. Mit der heutigen ersten Lesung unseres Antidiskriminierungsgesetzes wollen wir erreichen, dass die Antidiskriminierungskultur in Deutschland einen höheren Stellenwert erfährt. ({0}) Die Antidiskriminierungskultur muss als wesentlicher gesellschaftlicher Wert gesehen werden. Dazu braucht es eine breite öffentliche Unterstützung und auch Ihre Unterstützung, Herr Kolb. Mit diesem Gesetz werden wir nicht nur vier EUGleichbehandlungsrichtlinien umsetzen; es steht darüber hinaus in engem Zusammenhang mit der internationalen Weiterentwicklung des Schutzes aller Menschen vor Diskriminierungen. Das Gesetz verbietet - das ist heute schon mehrmals angesprochen worden - die Benachteiligung von Menschen aufgrund des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, des Alters, aufgrund einer Behinderung oder der sexuellen Identität. Als Sozialdemokratin bin ich stolz auf unser Lebenspartnerschaftsgesetz und das Ergänzungsgesetz mit Verbesserungen für gleichgeschlechtliche Partnerschaften. ({1}) Es geht doch darum, dass zwei erwachsene Menschen füreinander Verantwortung übernehmen. Im Gegensatz zu Frau Merkel bin ich der Meinung, dass auch hier Treue, Verlässlichkeit, Bindung, Geborgenheit, Halt und soziale Verantwortung weitergegeben werden. Nach der Ermordung von Rudolph Moshammer geisterten Begriffe wie - ich zitiere - „Ermittlungen im Homosexuellenmilieu“ durch die Medien. Niemand titelte später „Täter aus dem Heterosexuellenmilieu“. Dies käme uns auch absurd vor. Dass Homosexualität dadurch in die Nähe von Kriminalität gerückt wurde, haben nur die Betroffenen, also die Schwulen und ihre Verbände, öffentlich kritisiert. Der CSU-Kollege Norbert Geis bezeichnete Homosexualität gar als Perversion der Sexualität. Für andere ist Homosexualität immer noch wider die Natur, eine Sünde, eine Krankheit oder eine Krise der Identität. Rückblickend auf meine sechs Jahre Abgeordnetentätigkeit muss ich feststellen: Ich habe bei keinem anderen Thema so viele unangemessene und abstoßende E-Mails und Briefe erhalten, vor allem von Männern. ({2}) Ich wünsche mir, dass sich die Menschen endlich mit ihren eigenen Ängsten und Vorurteilen auseinander setzen und sie nicht auf andere projizieren. Und ich wünsche mir, dass zu guter Letzt auch die Kirchen ihre Standpunkte überdenken. ({3}) Wir jedenfalls setzen mit unserem Antidiskriminierungsgesetz ein weiteres Zeichen zur Anerkennung unterschiedlicher sexueller Identitäten. Lesben und Schwule, aber auch bisexuelle, transsexuelle und zwischengeschlechtliche Menschen ({4}) können künftig selbstbewusster und selbstverständlicher ihre Identität leben und besser am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, so auch am Arbeitsplatz. Viele Schwule und Lesben verheimlichen ihre sexuelle Identität, weil sie Diskriminierungen durch Kollegen und Kolleginnen oder auch durch Vorgesetzte befürchten. Eine Studie kommt zu dem Ergebnis, dass nur 4 Prozent am Arbeitsplatz immer offen mit ihrer Homosexualität umgehen konnten. Man könnte jetzt einwenden, dass die sexuelle Identität etwas Privates ist. Dieser Einwand kann nicht gelten, wenn Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität gegen Vorurteile und Benachteiligungen im Beruf zu kämpfen haben, wenn sie in der Angst leben, den Arbeitsplatz zu verlieren oder erst gar nicht zu bekommen. ({5}) Lesben und Schwule sollen zukünftig auch weniger Probleme bei der Wohnungssuche, beim Abschluss von Versicherungen, bei der Hotelsuche und bei Restaurantbesuchen haben; da würde sich noch einiges mehr anführen lassen. Als Feministin mit dem typisch schwäbischen Namen Gradistanac ({6}) weiß ich, dass Gesetze Diskriminierungen, die Herabsetzung und Entwürdigung von Menschen nicht immer verhindern. Aber künftig können sich die Betroffenen besser und wirkungsvoller zur Wehr setzen. Unterstützung erfahren sie einmal durch die Antidiskriminierungsstelle, die berät, informiert und vermittelt, und zum anderen durch die Verbände, die Diskriminierte ermutigen - das wünsche ich mir jedenfalls -, damit Diskriminierte zu ihrem Recht kommen. Vielen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Norbert Röttgen für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden heute in dieser Debatte der Sache nach über ein Gesetz zur Bekämpfung der Vertragsfreiheit. Das ist das Thema dieses Gesetzes. ({0}) - Das ist kein Unsinn. - Kollege Scholz, wenn sich in Zukunft, nachdem dieses Gesetz in Kraft getreten sein wird, die Vermieter in Deutschland nicht mehr den als Mieter aussuchen können, den sie gern als Mieter hätten, dann hat Vertragsfreiheit in unserem Land nicht mehr die gleiche Qualität. ({1}) Sie legen die Axt an die Vertragsfreiheit in unserem Land. ({2}) Einen vergleichbar massiven Angriff auf die Vertragsfreiheit in unserem Land hat es seit Jahren, selbst in Ihrer Regierungszeit, nicht gegeben. ({3}) Vertragsfreiheit ist nicht irgendeine Petitesse. Vertragsfreiheit ist ein elementarer Bestandteil der Freiheit der Person. Unsere Rechtsordnung basiert auf den Grundrechten. Unser Grundgesetz nennt das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit gleich nach Art. 1, ganz vorn. Das ist ein Basiswert unserer Grundrechtsordnung. ({4}) Unsere Gesellschaftsordnung, unsere Wirtschaftsverfassung sind ohne Freiheit nicht denkbar. ({5}) Darauf zielen Sie ab. Die Freiheit ist Element der Menschenwürde. ({6}) Unsere Vorstellung vom Menschen ist die, dass er ein freier Mensch ist. ({7}) - Ich komme gleich auf die Normierung im Grundgesetz zum Thema Diskriminierung zu sprechen. - Weil das so ist, weil Freiheit ein Fundamentalwert in unserer Gesellschaft ist, weil unsere Gesellschaft davon lebt, macht dieser Gesetzentwurf die grundlegend unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Vorstellungen von CDU/CSU, auch FDP, auf der einen Seite und Rot-Grün auf der anderen Seite deutlich. ({8}) Wir wollen diese Gesellschaft, die sich vom Einzelnen ableitet, die sich von der Autonomie des Einzelnen ableitet, die auf die Freiheit des Einzelnen setzt, ({9}) auch auf die Verantwortungspflicht des Einzelnen setzt. Wir wollen sie, weil wir dem Einzelnen etwas zutrauen. Wir trauen ihm Leistung zu. Wir trauen ihm allerdings auch Anstand zu. Dafür braucht er nicht einen Gesetzgeber, der ihn über das belehrt, was anständiges Verhalten ist. ({10}) Sie trauen dem Einzelnen offenbar nicht. Sie sind darin auch ganz offen. Herr Kollege Ströbele hat eben dazwischengerufen: Kontrolle ist besser als freie Entscheidung des Einzelnen. - Sie haben ein anderes Staatsverständnis. Sie wollen den Staat, der den Einzelnen bevormundet, der den Einzelnen erzieht, der den Einzelnen moralisch bewertet. Sie wollen sozusagen den freien Menschen überwinden zu einem guten Menschen. Was gut ist, bestimmt die rot-grüne Regierung. Darin kommt Ihre politische Ideologie zum Ausdruck. ({11}) - Sie brauchen sich gar nicht zu bemühen. Sie sind in der heutigen Debatte sehr offen gewesen - das begrüße ich sehr -; damit werden die fundamentalen Unterschiede deutlich. Kollege Scholz hat hier wörtlich gesagt „Wir“ - also Sie, der eine Teil des Hauses und der Bevölkerung - „als anständige Bürgerinnen und Bürger“. Ihr Kollege Beck sagte - ich habe das mitgeschrieben -: Wir wollen doch den Menschen nicht vorschreiben, was sie denken. Welche Großzügigkeit spricht daraus, dass Sie den Menschen das Denken nicht vorschreiben können! ({12}) Ich möchte Sie als Kollege im Haus und als Bürger dieses Landes fragen: Wer gibt Ihnen das Recht zu einer derartigen Hybris und Arroganz, wissen zu wollen, was für die Menschen gut ist und wie der Einzelne leben soll. Wie können Sie wollen, dass es der Staat ihnen vorschreiben soll? Wer gibt Ihnen das Recht zu einer solchen Hybris und Arroganz? ({13}) Sie wollen nicht die Freiheit des Einzelnen. ({14}) Sie setzen den Einzelnen, der von seiner Freiheit Gebrauch macht, auf die Beklagtenbank des Gerichts. Technisch heißt das Beweislastumkehr. Für die Nichtjuristen, die vielleicht zuhören, möchte ich erklären, was das wirklich heißt. In der Realität heißt das, dass derjenige, mit dem kein Vertrag abgeschlossen wurde, der also nicht durch einen Vertragsabschluss begünstigt wurde, nur noch plausibel Tatsachen behaupten muss, die für eine Diskriminierung sprechen. Er muss die Tatsachen nicht beweisen, er muss nur die Behauptung aufstellen, er sei diskriminiert worden. Danach muss sich derjenige, der den Vertrag abgeschlossen hat, vor Gericht entlasten. ({15}) Er muss den Beweis führen, dass er sich nicht diskriminierend verhalten hat. Sie bringen den Bürger in eine Beklagtenposition, er muss sich für sein Verhalten rechtfertigen. Das ist das Gegenteil von Freiheit, wie wir sie definieren. ({16}) Ich will noch einmal betonen: Wir führen heute eine fachliche Debatte, aber es ist auch eine Grundsatzdebatte gesellschaftspolitischer Art. Der intellektuelle Keim Ihres Gesetzentwurfs ist das Misstrauen. Wer die fachliche Debatte verlässt und ideologisch anfängt, den Menschen zu misstrauen, der handelt in dem Geist Ihres Gesetzentwurfs. ({17}) Wer anfängt, das Misstrauen zu organisieren, der endet ganz zwangsläufig in Bürokratie, ({18}) in Regulierungswut, in Absurditäten und am Ende auch in Ungerechtigkeiten, von denen ein paar schon dargestellt worden sind. ({19}) Dass kein einziges Mitglied der Bundesregierung an dieser Debatte teilnimmt, unterstreicht die Bedeutung des Gesetzentwurfs. ({20}) - Vielleicht schauen Sie einmal ins Grundgesetz. Die Bundesregierung besteht aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern. Manche fühlen sich vielleicht wie Mitglieder der Bundesregierung, sind es gleichwohl nicht. Kein Mitglied der Bundesregierung ist bei dieser Debatte anwesend. Sie sollten sich also überlegen, ob es gerechtfertigt ist, die Abwesenheit einzelner Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion in denunziatorischer Weise zu kritisieren, wie das die Kollegin getan hat. ({21}) Sie werden in Ungerechtigkeit landen und die Verlierer sind diejenigen, die unternehmerische Freiheit geltend machen wollen oder Mietverträge abschließen wollen. Die Bürger sind die Verlierer. Eine Familie, die sich nicht auf eine diskriminierende Eigenschaft berufen kann - Familien gehören in diesem Land nach Ihrer Auffassung nicht zu den Diskriminierten -, hat keinen Schutz vor Ihnen. Normale Bürger, die nicht irgendeinen Minderheitenstatus aufweisen, sind die Verlierer Ihres Gesetzentwurfs. Die Mehrheit ist der Verlierer. ({22}) Nun sagen Sie, dagegen sei schon argumentiert worden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Röttgen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rezzo Schlauch?

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gern.

Rezzo Schlauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002777, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Röttgen, ich gehe davon aus, dass Sie mit mir der Meinung sind, dass ein Land, das wir alle kennen, nämlich die USA - das von sich selber behauptet, es sei der Hort der Freiheit; ob das so ist, kann jeder selber beurteilen -, und seine Repräsentanten den Gedanken der Antidiskriminierung in viel schärferem Maße als wir gesetzlich festgelegt haben. Würden Sie daraus den Schluss ziehen, dass dieses Land die Freiheit genauso missachtet, wie Sie es unserem Gesetzentwurf unterstellt haben? ({0})

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bedanke mich für die Frage, die Sie mir als Abgeordneter gestellt haben. Ich möchte sie Ihnen auch unter Berücksichtigung Ihrer Eigenschaft als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium beantworten. Ich will die Antwort offen gestanden nicht selbst formulieren, sondern antworten, indem ich Ihnen Teile eines Schreibens der amerikanischen Handelskammer in Deutschland, das an mich gerichtet ist, zitiere. ({0}) Ich glaube, dass die amerikanische Handelskammer in Deutschland eine Vorstellung vom amerikanischen Diskriminierungsrecht hat. Ich zitiere nun aus dem Schreiben, das an mich und sicherlich auch an viele andere gegangen ist - vielleicht hören Sie zu, Herr Schlauch, während ich zitiere -: Wir - die amerikanische Handelskammer sind aber der Meinung, dass das deutsche Rechtssystem einen wirksamen Schutz gegen Diskriminierungen jeglicher Art bietet. ({1}) Wir befürchten, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung die Wirtschaft belasten wird. Das Gesetzgebungsvorhaben könnte eine massive Einschränkung der unternehmerischen Freiheit bedeuten. ({2}) Diese Sorgen machen sich amerikanische Unternehmer in Deutschland. Deren Interessen werden nämlich von dieser Handelskammer vertreten. ({3}) Das ist also eine klare Aussage darüber, wie amerikanische Unternehmer in Deutschland dieses Gesetzgebungsvorhaben beurteilen. Es handelt sich völlig zutreffend um eine Einschränkung von Freiheit, ({4}) die es in Amerika in dieser Weise nicht gibt. Sie gibt es, wie Kollege Laumann dargestellt hat ({5}) - vielleicht hören Sie einfach einmal zu -, in Form einer Kumulation und Kombination eines hohen, detailorientierten Arbeitsschutz- und Kündigungsschutzrechts mit einem Diskriminierungsrecht in den USA definitiv nicht. Die Kombination beider Rechte gibt es nirgendwo. So etwas wird es in Zukunft nur in Deutschland geben. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Röttgen, lassen Sie eine weitere Zwischenfrage zu?

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die lasse ich gerne zu.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Rezzo Schlauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002777, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Röttgen, ich kann Ihnen in diesem Punkt nicht folgen, ({0}) und zwar deswegen, weil das amerikanische Antidiskriminierungsgesetz, wie Sie genau wissen, viel schärfere Normen vorsieht als unseres. Stimmen Sie mit mir überein, dass die amerikanische Handelskammer in Deutschland eine eindeutige Interessenvertretung der Industrie ist und dass ihre Aussagen nicht mit den Intentionen eines amerikanischen oder deutschen Gesetzgebers zu vergleichen sind, der selbstverständlich die politische Aufgabe hat, unterschiedliche Interessen auszugleichen? ({1})

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich stimme mit Ihnen völlig überein, dass die amerikanische Handelskammer in Deutschland die Interessen amerikanischer Unternehmen und Investoren in Deutschland repräsentiert. Darum ist dieses Gesetz, das Sie heute einbringen, ein schlechtes Signal für den Standort Deutschland, wenn es darum geht, für Investitionen ausländischer Unternehmen in Deutschland zu werben. ({0}) - Ja, meine Damen und Herren, so ist es. Sie sagen immer, das Gesetz sei gut. Wir reden heute aber nicht allein über einen innenpolitischen Tatbestand, sondern auch über Wirtschaftspolitik, lieber Kollege Schlauch aus dem Wirtschaftsministerium. ({1}) Wir sind eine exportorientierte Nation. Wir brauchen ausländische Investitionen. Wir als CDU/CSU wollen, dass Deutschland attraktiv für Investitionen ausländischer Unternehmen ist, weil diese Arbeitsplätze in Deutschland schaffen. Deshalb dürfen wir sie nicht abschrecken. ({2}) Mit diesem Gesetz schrecken Sie aber Unternehmen, insbesondere auch ausländische, von Investitionen in Deutschland ab. Darum ist dieses Gesetzesvorhaben falsch. ({3}) Ein weiterer Gesichtspunkt: Sie wollen dieses Gesetz dadurch rechtfertigen, dass Sie auf die Bedeutung des Schutzes vor Diskriminierung verweisen. Das war durchgängig Ihr Argument. Gegen dieses Argument muss ich Ihnen vortragen - Sie selber haben das zum Teil ausgeführt -, dass im geltenden deutschen Recht, vom Zivil- über das Arbeitsrecht bis hin zum Grundgesetz - die Vorschriften sind zitiert worden -, ein umfassender Diskriminierungsschutz gewährleistet ist. Dieser reicht vom einfachen Recht bis hin zum Grundgesetz. Art. 3 und Art. 1 des Grundgesetzes bilden schon die Grundlage für einen umfassenden Diskriminierungsschutz. Was es im geltenden Recht allerdings nicht gibt - insofern ist die Aussage richtig, dass Ihr Gesetz etwas Neues bringt -, ist die so genannte Beweislastumkehr. Es wurde ja schon darüber gesprochen, dass sich nun der Einzelne rechtfertigen muss. Was es im geltenden Recht nicht gibt, ist der so genannte Kontrahierungszwang mit Schadensersatzfolge, dass also einem ein Vertragspartner durch ein Gerichtsurteil aufgezwungen werden kann. Das gibt es bislang nicht. Was es im geltenden Recht nicht gibt, ist die Möglichkeit zur Verbandsklage in der Form, dass Ansprüche abgetreten werden können und unter dem Vorwand des Diskriminierungsschutzes Geschäfte gemacht werden können. Es besteht die Gefahr, dass sich hier ein eigener Geschäftszweig in Deutschland entwickelt. ({4}) All das haben wir nicht und es ist gut, dass wir das nicht haben. ({5}) Ihr zweiter Vorwand lautet, dass Sie europäische Richtlinien umsetzen müssen. Dazu will ich Ihnen zwei Punkte sagen. Erstens. Es gibt drei europäische Richtlinien, die fristgerecht umzusetzen Sie versäumt haben. Das lässt zumindest Rückschlüsse auf Ihre Motivation und Ihr Engagement zu. Wenn die CDU/CSU die Bundesregierung gestellt hätte, dann hätte sie anders verhandelt. Die Richtlinien hätten dann im Ergebnis anders ausgesehen. Auch das wäre eine Einwirkungsmöglichkeit gewesen. Zweitens. Sie setzen nicht nur diese Richtlinien um. Sie gehen sogar weit über das hinaus, was das europäische Recht verlangt. ({6}) Nun mögen Sie nicht akzeptieren, dass wir es sind, die das kritisieren. Darum möchte ich an dieser Stelle die Bundesjustizministerin als Zeugin sprechen lassen. ({7}) Es ist ganz interessant, was sie zu diesem Thema gesagt hat. Im Übrigen hätte ich es gut gefunden, wenn sie heute an dieser Debatte teilgenommen hätte. ({8}) Denn die Minister haben auch Pflichten gegenüber dem Parlament. Die Bundesjustizministerin Zypries hat dieses Gesetz von Anfang an und bis zum heutigen Tage abgelehnt. Man stelle sich einmal vor: Die verantwortliche Ministerin der von Ihnen gestellten Bundesregierung lehnt dieses Gesetz dezidiert ab. Sie hat sich auch - das ist nichts Neues - in vielen anderen Punkten in der Koalition nicht durchgesetzt. Aber dieser Gesetzentwurf ist das wahrscheinlich wichtigste rechtspolitische Vorhaben in dieser Legislaturperiode, das nicht von der Bundesjustizministerin getragen wird. Dass die Federführung vom Justizministerium auf das Familienministerium übertragen wurde, dokumentiert ihre Niederlage und ihre Schwächung als politisches Führungsorgan in dieser Bundesregierung. ({9}) Da die Ministerin in dieser Debatte nicht anwesend ist, möchte ich wenigstens zitieren, was sie in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 8. März 2003 geäußert hat. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, Sie müssen jetzt gegebenenfalls die Kurzfassung dieses Zitats vortragen. Sonst klappt es auch bei großzügiger Interpretation Ihrer Redezeit nicht mehr. ({0})

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich denke, dass es alle - insbesondere die Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen - interessiert, was die Justizministerin dazu sagt. Ich verkürze das Zitat und führe nur die schönsten Passagen an. Sie wendet sich gegen das Gesetz ihrer Amtsvorgängerin DäublerGmelin ({0}) mit dem Argument, es würde die Privatautonomie in weiten Bereichen aushebeln. ({1}) Weiterhin sagt sie, dass zudem etliche Ausnahmeregelungen erforderlich seien, etwa um Frauenparkplätze und Altenrabatte zu gestalten. Ohnehin glaube sie nicht, dass es im Alltagsleben so viele Diskriminierungen gebe, dass neue Vorschriften erforderlich seien. Sie glaube ebenfalls nicht, dass man durch Rechtspolitik eine Gesellschaft gestalten könne. Frau Zypries hat Recht. Aber sie ist bei Ihnen zum Schweigen verurteilt. ({2}) Eine allerletzte Bemerkung. ({3}) Es ist eine grundsätzliche gesellschaftspolitische Debatte, die wir führen werden. Ihr Gesetzentwurf ist eine Kampfansage an die Freiheit in unserem Land. Dementsprechend werden wir diese Debatte mit Ihnen führen. Herzlichen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Edathy für die SPD-Fraktion.

Sebastian Edathy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003111, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Röttgen, ich bin nicht ganz sicher, was ich für schlimmer halten soll: Ihre unsägliche Rede oder den starken Beifall, den Sie für diese Rede bekommen haben. ({0}) Wer sagt, wir wollen den Geist des Grundgesetzes auch zur Grundlage für das Arbeits- und Zivilrecht nehmen, der hat Recht. Aber wer sagt, das sei wider die Freiheit gerichtet, der hat Unrecht. Der Freiheitsbegriff, den Herr Röttgen hier für die CDU/CSU vorgetragen hat, beinhaltet die Freiheit, zu diskriminieren. Das ist aber nicht die Freiheit, die wir meinen. ({1}) Ich finde die Rolle der Liberalen in diesem Bereich besonders problematisch. Ich werde gleich noch darauf eingehen. ({2}) - Frau Lenke, schreien Sie hier bitte nicht herum! ({3}) Wir sind der Gesetzgeber in diesem Land. Was wäre eine zentralere Aufgabe des Gesetzgebers in Deutschland, als Bürgerrechte zu sichern und gerade denen beizustehen, die in einem freien Markt immer die Schwächeren sind? Es ist Aufgabe der Demokratie und des sozialen Rechtsstaates Bundesrepublik, für einen Ausgleich zu sorgen. Das kann man doch nicht ernsthaft infrage stellen. ({4}) Wir handeln übrigens - das sei in Richtung einiger Kollegen gesagt, die gemeint haben, wir gingen zu weit - lange nicht so weitgehend wie zum Beispiel Großbritannien und die Niederlande. Auch die USA sind in diesem Zusammenhang vom Kollegen Schlauch mit Recht erwähnt worden. Wir handeln mit Grund. ({5}) Wir tun gut daran, an einer Stelle über eine Eins-zu-einsUmsetzung der EU-Richtlinien hinauszugehen, nämlich an der Stelle, wo es um die Frage geht: Schaffen wir durch eine Beschränkung auf den Aspekt „Diskriminierung wegen ethnischer Herkunft und Zugehörigkeit“ und durch Ausblendung anderer Diskriminierungsmerkmale eine Hierarchisierung von Diskriminierungsopfern oder wollen wir das nicht? Wir wollen das nicht. Frau Eichhorn, mich würde einmal interessieren, was Sie der Behinderten antworten, die sich an Sie gewandt und gesagt hat, es sei für sie verletzend, nicht nachzuvollziehen und empörend, dass sie von einem Hotel nicht aufgenommen wurde. Was sagen Sie ihr denn? Sie sehen zwar das Problem. Aber wie sieht Ihre Antwort aus? Rot-Grün gibt eine Antwort. ({6}) Es soll keine Selektion mehr in Diskotheken und keine Abweisung von Behinderten und homosexuellen Paaren in Hotels geben. Das alles, Herr Röttgen, ist nicht durch das Grundgesetz gedeckt; das wissen Sie doch ganz genau. ({7}) Art. 3 des Grundgesetzes bindet die staatlichen Organe bzw. staatliches Handeln. ({8}) Es ist aber so, dass das Zivilrecht kein grundrechtsfreier Raum in diesem Land sein kann. ({9}) Ich will etwas zum Thema „Angriff auf die Freiheit“ sagen. Herr Röttgen hat gesagt, das, was wir machten, sei ein Angriff auf die Freiheit. Er hat weiter ausgeführt, die Vertragsfreiheit in diesem Land nehme, wenn der Entwurf, den wir vorgelegt haben, beschlossen werde, Schaden. ({10}) Herr Röttgen, dazu will ich sagen: Zur Vertragsfreiheit gehören immer zwei Parteien. Wenn Sie sagen, Sie wollten die Vertragsfreiheit wahren, dann heißt das für mich, dass Sie den Regelungen, die wir schaffen wollen und die den Menschen die Gewährleistung geben, dass sie nicht aufgrund eines bestimmten Merkmales willkürlich von der Eingehung eines Vertrages ausgeschlossen werden dürfen, zustimmen müssten. Denn, ({11}) Herr Röttgen, auch sittenwidrige Verträge sind nicht zulässig. ({12}) Wer für eine maximale Vertragsfreiheit ist, ist vielleicht auch dafür, den Drogenhandel freizugeben; auch das wollen wir nicht. Es ist doch vollkommen klar, dass die Vertragsfreiheit in einem demokratischen Rechtsstaat der Ausgestaltung bedarf. Das, was wir tun, ermöglicht es erst ganz vielen Menschen, Vertragsfreiheit überhaupt in Anspruch zu nehmen. ({13}) Was ist denn mit der Vertragsfreiheit der Behinderten, die abgewiesen worden ist, des Jugendlichen, der ausländisch aussieht und nicht in die Diskothek kommt, und des älteren Menschen, dem der Dispositionskredit gekündigt wird? ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Edathy, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke?

Sebastian Edathy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003111, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege Edathy, man kann auch durch eine gewisse Lautstärke andere Leute diskriminieren. Auch das ist eine Art Diskriminierung. ({0}) Ich frage Sie, ob Sie es vorhin wirklich ernst gemeint haben, als Sie gesagt haben, dass das Zivilrecht der Bundesrepublik Deutschland ein grundrechtsfreier Raum sei. Ist es nicht vielmehr so, dass wir dahin gehend übereinstimmen, dass die Regelungen des Grundgesetzes in das Zivilrecht an sehr vielen Stellen dadurch hineingekommen sind, dass wir dort Allgemeinklauseln haben, in denen klar geregelt wird, dass das Grundrecht Drittwirkung auch zwischen Zivilpersonen entfaltet? ({1})

Sebastian Edathy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003111, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ich will Ihnen eine Geschichte erzählen; ich versuche, mich kurz zu fassen. ({0}) Ich habe zu Beginn dieser Wahlperiode in Berlin die Wohnung wechseln wollen. Ich habe mir eine Wohnung angesehen. Der Hausbesitzer wohnt in Frankfurt. Es ging also nicht um eine Einliegerwohnung; ihm gehört vielmehr ein ganzes Mietshaus. Ich habe dann ein entsprechendes Formular ausgefüllt und Angaben zu meinen Einkommensverhältnissen und zu dem, was ich beruflich tue, gemacht. ({1}) Ich dachte, es würde ein paar Tage dauern und dann bekäme ich den Mietvertrag zugeschickt. Stattdessen rief der Hausbesitzer meine Mitarbeiterin in meinem Büro an und sagte: Edathy, das klingt irgendwie ausländisch. Was ist das denn für einer? Meine Mitarbeiterin hat am Telefon geantwortet: Der Vater ist gebürtiger Inder. Dann kam die Nachfrage, ob auch ich Inder sei. Daraufhin meinte meine Mitarbeiterin richtigerweise, dass man deutscher Staatsbürger sein müsse, um Mitglied des Bundestages werden zu können. Daraufhin sagte dieser Vermieter: Wenn der Vater Inder ist, kocht der Sohn doch bestimmt mit ganz scharfen Gewürzen. Den Gestank bekomme ich nicht mehr aus der Wohnung, vermutlich muss ich den Putz abklopfen. - Ich habe die Wohnung nachher zwar angeboten bekommen - ich habe sie aus Anstand nicht genommen -, aber eines kann ich Ihnen sagen: Wäre ich nicht der Abgeordnete Edathy gewesen, sondern der Schlossermeister oder der Student Edathy, wäre mir die Wohnung nicht angeboten worden und das ist eben keine schützenswerte Freiheit im Zivilrechtsverkehr, sondern diskriminierendes Handeln. ({2}) Wir sollten Diskriminierungsopfern die Möglichkeit in die Hand geben, dagegen tätig werden zu können. Das muss möglich sein. Ich würde gar nicht in einem Land leben wollen, in dem der reine Markt herrscht. Es kann doch nicht sein, dass wir in diesem Hause grundsätzlich darüber diskutieren müssen, dass auch der Markt Regelungen braucht. Ich persönlich halte es für überfällig - das hat auch etwas damit zu tun, dass wir im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern keine Kultur der Antidiskriminierungsgesetzgebung haben -, die Bestandteile des Grundgesetzes, die staatliches Handeln im Sinne einer fairen demokratischen Gesellschaft binden, auf den Zivilrechtsverkehr zu übertragen. Ich verstehe nicht, was dagegen einzuwenden ist, es sei denn, Sie sagen, dass Sie auch in Zukunft wollen, dass sich der Gastwirt aufgrund bestimmter Merkmale wie Behinderung, ausländisches Aussehen oder offensichtliche Homosexualität aussuchen kann, wen er bedient und wen nicht. Das kann aber doch nicht ernsthaft die Position der Liberalen sein. Lassen Sie mich als Abschluss der Beantwortung Ihrer Frage einen Satz von Hannah Arendt zitieren, der in der Bibliothek des Bundestages im Marie-ElisabethLüders-Haus nachgelesen werden kann. Dieser Satz - man kann ihn nur unterstreichen - lautet: Freiheit ist denkbar als Möglichkeit des Handelns unter Gleichen. Sie wissen ganz genau, dass dies auch für Betriebe gilt, auch für das Angebot und das Entgegennehmen von Leistungen. ({3}) Diese Gleichheit bei der Wahrnehmung von Chancen muss durch Spielregeln unterstützt werden, die der Gesetzgeber mit Augenmaß definiert. Genau dies machen wir mit dem Gesetzentwurf, den wir vorgelegt haben. ({4}) Ich wünsche uns intensive Beratungen. Wir werden uns natürlich in den Ausschüssen hinreichend Zeit nehmen, um mit den Vertreterinnen und Vertretern der Opposition darüber zu diskutieren. Eines aber müssen wir im Auge behalten: Dieses Gesetz ist kein Selbstzweck. Es wird, soll und muss einen Beitrag dazu leisten, dass wir unserer Gesellschaft einen besseren Rahmen für ihr Handeln geben. Damit ist kein Misstrauen verbunden. Herr Röttgen, es hat mich gewundert, dass Sie als Rechtspolitiker - das war einer Ihrer zentralen Vorwürfe - gesagt haben, in diesem Gesetz werde unterstellt, die Menschen verhielten sich falsch. Dass ein anständiger Mensch nicht Mord und Totschlag verübt, ist klar. Trotzdem sind Mord und Totschlag verboten. Dass man, wenn man eine Dienstleistung anbietet, einen Menschen mit Behinderung nicht ablehnt, muss auch klar sein. Ebenso muss selbstverständlich sein, dass kein Mensch wegen seines Alters, seiner sexuellen Orientierung oder seines Geschlechts abgelehnt werden darf. In vielen Fällen ist dies auch selbstverständlich. Ich bin ganz sicher, dass dieses Gesetz nur zur Anwendung kommen wird, dann aber eben begründet, wo diese Selbstverständlichkeit im Handeln verletzt wird. Ich glaube daher auch nicht, dass wir Prozesslawinen zu erwarten haben. Aber jedem Bürger in diesem Lande, egal in welcher Eigenschaft er auftritt, ob als Arbeitgeber, als Kneipenbesitzer oder als Wohnungsvermieter, muss klar sein, dass die Grundlagen des Zusammenlebens in diesem Land Respekt und Achtung sind. Nichts anderes als die Erreichung von Respekt und Achtung und die Durchsetzung von Bürgerrechten ist Ziel dieses Gesetzes. Noch einen Satz zum Schluss: Es ist mehrfach gesagt worden, dass Ministerin Renate Schmidt heute nicht hier ist. Sie ist erkrankt und daher entschuldigt. ({5}) Diese Diskriminierung gegenüber einem Mitglied der Bundesregierung wollen wir Ihnen bis zur Verabschiedung des Gesetzes noch durchgehen lassen. Vielen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/4538 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas Strobl ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Probleme mit der Türkei nicht ausblenden - Drucksache 15/4496 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({1}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Aussprache 45 Minuten dauern. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem Kollegen Thomas Strobl für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mit Genehmigung des Herrn Präsidenten mit einem Zitat beginnen: Die leitenden Staatsmänner der europäischen Nationen und die Mitglieder der bisherigen wie der neuen EU-Kommission sind im Begriff, uns alle leichtfertig zu überfordern. Überforderung und Übereifer können zum Zerfall des Jahrhundert-Vorhabens der Integration Europas führen. Am Ende könnte eine bloße Freihandelszone übrig bleiben. Das war am 25. November vergangenen Jahres in einem großen Artikel in der „Zeit“ nachzulesen. Der Artikel stand unter der Überschrift: „Bitte keinen Größenwahn“. Der Verfasser dieses Artikels ist kein Geringerer als Altbundeskanzler Helmut Schmidt, der ja bekanntermaßen der Sozialdemokratischen Partei angehört. Nun, die SPD hat nicht immer auf Helmut Schmidt gehört und auch in dieser Frage scheint sie es nicht zu tun. Denn in dem Artikel warnt Helmut Schmidt eindringlich vor einem Beitritt der Türkei zur EU und am Ende des Artikels lehnt er ihn mit guten Argumenten rundweg ab. Ich zitiere nochmals aus demselben Artikel: Monnet und Schuman, Adenauer und de Gaspari, Churchill und de Gaulle waren Staatsmänner von ungewöhnlichem Weitblick - keiner von ihnen hat die europäische Integration bis über die kulturellen Grenzen Europas ausdehnen wollen. Die heutigen Epigonen sollten jedenfalls wissen: Nur dann, wenn sie sorgfältig einen Schritt nach dem anderen tun, können sie hoffen, ihre Nationen auf dem Wege mitzunehmen. Davon ist diese rot-grüne Bundesregierung allerdings meilenweit entfernt. ({0}) Sie haben sich dafür entschieden, einen EU-Beitritt der Türkei zu unterstützen. ({1}) Sie haben sich in der EU massiv dafür eingesetzt, Verhandlungen mit der Türkei zu führen, die einen Beitritt dieses großen Landes in die EU zum Ziel haben. Beides sind politische Entscheidungen, die diese Bundesregierung kraft ihres Mandates fällen kann. Sie wird sie allerdings 2006 vor den Wählerinnen und Wählern auch zu verantworten haben. ({2}) Eigenartig mutet jedoch die Art und Weise an, mit der diese Regierung einen EU-Beitritt offensichtlich erzwingen will. Während bei innenpolitischen Reformen zwischenzeitlich wieder des Kanzlers ruhige Hand zu spüren ist, wird der EU-Beitritt der Türkei mit großem Druck und einer fast schon fahrlässigen Leichtfertigkeit im Umgang mit den Problemen, die die Türkei nach wie vor hat und macht, betrieben. Viel schlimmer noch: Es scheint, als würden jegliche Bedenken und viele doch tatsächlich vorhandenen Probleme mit der Türkei schlicht unbeachtet beiseite geschoben. Es hat doch wahrlich nichts mehr mit vernünftiger und verantwortlicher Politik zu tun, wenn Berichte und Fakten über massive Verletzungen von deutschem oder internationalem Recht und internationalen Gepflogenheiten durch die Türkei von der Bundesregierung offiziell nicht zur Kenntnis genommen werden. ({3}) Manche solcher Vorgänge werden von der Bundesregierung regelrecht vertuscht und vor der deutschen Öffentlichkeit zurückgehalten. ({4}) Rot-grüne Politiker sprechen immer gern davon, man müsse die Menschen mitnehmen, wenn man sie von etwas überzeugen wolle. Das ist wahr. Aber in Sachen Türkei-Beitritt haben Sie sich offensichtlich dazu entschlossen, gar nicht erst zu versuchen, die Menschen von Ihrer ja wahrlich falschen und unvernünftigen Politik zu überzeugen. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. ({5}) Meine Damen und Herren von Rot-Grün, Sie müssen sich den Problemen schon stellen und deswegen haben wir heute diesen Antrag eingebracht. Eines der genannten Probleme betrifft die Praxis rechtsmissbräuchlicher Wiedereinbürgerungen ehemals Türkischer mit deutschem Pass. Was ist geschehen? - In § 25 des deutschen Staatsangehörigkeitsgesetzes ist vorgesehen, dass ein Deutscher seine Thomas Strobl ({6}) Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit verliert. Das heißt: Ein türkischstämmiger Deutscher, der sich in der Türkei wiedereinbürgern lässt, verliert kraft Gesetzes die deutsche Staatsangehörigkeit. Diese Regelung hat ihren Grund. Wir haben immer gesagt - und an diesem Standpunkt hat sich nichts geändert -, dass wir keine doppelten Staatsbürgerschaften wollen. Wer Deutscher werden will, soll und muss sich zu unserem Staat bekennen und dies dadurch dokumentieren, dass er sich für eine, nämlich die deutsche Staatsbürgerschaft entscheidet. Nun war nachzulesen, dass es von der türkischen Regierung einen Runderlass gibt, in dem den Gouverneursämtern die Weisung erteilt wird, die in Deutschland verlangten Registerauszüge zu manipulieren ({7}) und so den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit gegenüber den deutschen Behörden zu vertuschen. Nach Angaben des türkischen Außenamtsstaatsekretärs handelt es sich um 40 000 bis 50 000 Fälle - möglicherweise mehr - von türkischen Staatsangehörigen, die durch Verstoß gegen die Regeln des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts illegal im Besitz eines deutschen Passes sind. ({8}) Meine Damen und Herren, verehrte Frau Staatssekretärin, ich frage Sie ganz konkret: Wie gehen Sie mit diesem schweren Verstoß gegen unser deutsches Recht um? Haben Sie diesen Vorgang überhaupt zur Kenntnis genommen? Haben Sie das gegenüber der türkischen Regierung thematisiert? ({9}) Oder ist das ein Fall, der erneut beweist, dass es die Bundesregierung mit der Durchsetzung deutschen Rechts nicht so genau nimmt, wenn es ihr politisch nicht in den Kram passt, ({10}) wie wir es auch vom im Zusammenhang mit dem Fischer/Volmer-Erlass entstanden Schleuserskandal um die massenhafte und unkontrollierte Erteilung von Schengen-Visa durch verschiedene deutsche Botschaften kennen? ({11}) Diese und andere Fragen werden wir Ihnen heute und in Zukunft stellen, bis die deutsche Öffentlichkeit von Ihnen, meine Damen und Herren von der rot-grünen Bundesregierung, eine zufrieden stellende Antwort bekommt. Es wäre wirklich unerträglich, wenn diese skandalöse Vertuschungsaktion der türkischen Regierung nachträglich durch die Bundesregierung legalisiert würde. Wir fordern die Bundesregierung auf, mit der türkischen Regierung eine klare Vereinbarung zu treffen, um diesen Vorgang aus der Welt zu schaffen. Wie glauben Sie eigentlich, meine Damen und Herren von Rot-Grün, die deutsche Bevölkerung von einem Beitritt der Türkei zur EU überzeugen zu können, wenn Sie bei solch eklatanten Verstößen der Türkei gegen elementare Regeln des zwischenstaatlichen Zusammenlebens eine so laxe, ja desinteressierte Haltung an den Tag legen? Solange solche Vorgänge passieren können, ist die Türkei für einen Beitritt zur EU nicht bereit. Viel mehr noch: Das Unterlassen solcher Rechtsverstöße ist eine elementare Grundvoraussetzung, um überhaupt über einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union verhandeln zu können. Das gilt auch für einen anderen in der Presse dokumentierten Fall. Es gibt in der Türkei offensichtlich nach wie vor eine Rechtspraxis, um missliebigen Staatsbürgern, die sich im Ausland aufhalten, die türkische Staatsbürgerschaft zu entziehen, um ihnen die Rückkehr in die Türkei zu versperren. Dadurch werden auch Abschiebungen aus Deutschland in die Türkei unmöglich. ({12}) Von dieser Praxis profitieren nach Erkenntnissen der Polizei auch Schwerstkriminelle, deren Abschiebung in die Türkei durch die Ausbürgerung blockiert wurde. Einschlägige Fälle sind in Berlin, Essen und anderswo dokumentiert. Auch hier liegen einige Fragen auf der Hand: Warum hat der Bundesinnenminister nicht nachhaltig gegenüber der Türkei interveniert? Warum ist diese Frage nicht im Vorfeld der Entscheidung darüber, ob Beitrittsgespräche mit der Türkei geführt werden, thematisiert worden? ({13}) Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um dieser völkerrechtswidrigen Praxis ein Ende zu setzen? Auch hier gilt: Es reicht nicht aus, auf die anstehenden Beitrittsverhandlungen zu verweisen, wie es die Bundesregierung immer gerne tut. Sie verfahren nach dem Motto: Das alles wird sich schon klären. Nein, die Beendigung solcher Vorgänge ist erst die Voraussetzung dafür, dass man mit der Türkei in Beitrittsverhandlungen eintritt. Ich zitiere noch einmal Helmut Schmidt im bereits genannten Artikel der „Zeit“: ... so kann es doch nicht Aufgabe der EU sein, ihren Mitgliedsstaaten den Rechtsstaat, Demokratie und persönliche Freiheit zu bringen. Alle bisherigen Mitgliedsstaaten haben diese Grundwerte entscheidend aus eigenem Antrieb im eigenen Land verwirklicht, bevor sie sich der EU angeschlossen haben - und nicht etwa zum Zwecke des Beitritts. Die Bundesregierung scheint angesichts der gravierenden Sicherheitsprobleme, die die Türkei mit sich bringt, ganz ähnlich verfahren zu wollen. Dem jüngsten Verfassungsschutzbericht zufolge sind in den aktiven Thomas Strobl ({14}) islamistischen Organisationen, die eine Mitgliederzahl von über 30 000 Personen aufweisen, 27 000 türkische Staatsangehörige. ({15}) Daraus folgt zunächst einmal, dass Millionen Menschen türkischer Herkunft in Deutschland friedlich leben. ({16}) Aber auch der Verweis auf die friedliebende und schweigende Mehrheit darf nicht dazu führen, dass man die Augen vor den Problemen mit den extremistischen Islamisten unter der türkischen Bevölkerung verschließt, wie es die rot-grüne Regierung bis heute tut. ({17}) Meine Damen und Herren, Sie verschließen die Augen vor der „türkischen Realität“ in Deutschland. ({18})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit!

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das hat auch die öffentliche Anhörung des Deutschen Bundestages zum Thema „Islamistische Einflüsse auf die Gesellschaft und ihre Auswirkungen auf Integration und Sicherheit“ klar erbracht. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege!

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- Ich komme sofort zum Ende. Meine Damen und Herren, wir können nicht zulassen, dass die Türkei auf diese Art und Weise ihre eigenen Probleme nach Deutschland verlagert - übrigens insbesondere wegen der großen Mehrheit der hier lebenden Türken: Auch deren Integration wird durch eine solche Politik letztlich erschwert. Besten Dank fürs Zuhören. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Ute Vogt das Wort.

Ute Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002823, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ganz herzlichen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Strobl, Sie haben Fragen gestellt, die ich Ihnen gern beantworten möchte. Ich kann Ihnen einen Blick ins Gesetz empfehlen; das erleichtert zuweilen die Rechtsfindung. ({0}) Wie mit dem Sachverhalt umzugehen ist, ist relativ klar. Nach unserer Schätzung sind etwa 48 000 türkische Staatsangehörige betroffen. Nach § 25 des Staatsangehörigkeitsgesetzes haben diese durch die Annahme der türkischen Staatsbürgerschaft die deutsche Staatsbürgerschaft verloren. Ab dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme dieser Tatsache durch den Betroffenen, zum Beispiel anlässlich der Verlängerung eines Passes oder wenn er heiraten möchte, hat der Betroffene nach dem neuen Zuwanderungsgesetz bzw. nach dem neuen Aufenthaltsgesetz sechs Monate Zeit, eine Aufenthaltserlaubnis zu beantragen. In diesen sechs Monaten besteht auf diese Aufenthaltserlaubnis auch ein gewisser Anspruch. Die deutsche Staatsbürgerschaft muss schlichtweg neu beantragt werden. Die Sache ist also nicht rückgängig zu machen, sondern der Betroffene muss ganz neu die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben, weil diese durch Gesetzeskraft verloren gegangen ist. Was die weitere Praxis angeht, so kann ich Ihnen sagen, dass es mit der jetzigen türkischen Regierung natürlich ein Übereinkommen gibt; die Praxis, die türkische Staatsangehörigkeit, die zuvor entzogen wurde, unbemerkt erneut zu erteilen, wurde inzwischen abgestellt. Zur Frage der Ausbürgerungen kann ich Ihnen sagen - Sie können das ja nicht wissen, weil Sie nicht jedes Mal dabei sind, wenn der Herr Innenminister mit seinem türkischen Kollegen spricht -, dass diese sehr wohl auch Inhalt der Gespräche sind. Wir hoffen, da sehr bald zu einer gemeinsamen Regelung zu kommen. Sie brauchen also nicht zu befürchten, dass wir Themen, die in der Tat problematisch sind, nicht mit entsprechender Klarheit zum Ausdruck bringen. Ich will darauf hinweisen, dass die positive Aussicht auf einen Beitritt sicherlich sehr viel dazu beiträgt, die Verhandlungen mit der Türkei zu beschleunigen und einfacher zu gemeinsamen Übereinkommen zu kommen, als es noch vor ein paar Jahren der Fall war. In diesem Sinne: Helfen Sie mit, dass zum Beispiel die Staatsbürger informiert werden. Diese Probleme betreffen übrigens nicht nur die Gruppe der Türken. Ähnliche Probleme gibt es bei Aussiedlern aus Russland, die deutsche Staatsbürger sind: Sobald sie ihren russischen Pass verlängern lassen, haben sie genau dasselbe getan, nämlich eine zweite Staatsbürgerschaft angenommen, ohne eine Genehmigung dafür zu haben. Damit verlieren auch sie ihre deutsche Staatsbürgerschaft. Es liegt an uns allen - insoweit kann ich nur appellieren -, die Folge eines solchen Verhaltens, nämlich den Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft, publik zu machen, darüber zu informieren. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zur Erwiderung, Herr Kollege Strobl. ({0})

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Ich bin dankbar, dass Frau Staatssekretärin Vogt hier einräumt - ich höre das im Übrigen zum ersten Mal von einem Mitglied der Bundesregierung -, dass es ein handfestes Problem gibt. Vielleicht sagen Sie auch zu anderen angesprochenen Problemen etwas, zum Beispiel zu den Ausbürgerungen, die die Türkei vornimmt und mit denen sie Abschiebungen aus Deutschland verhindert, oder zu den 27 000 extremistischen, islamistischen Türken, die in der Bundesrepublik Deutschland leben. Ich bin jedoch schon dankbar, dass Sie zu dem einen Punkt konzedieren, dass es ein Problem gibt. I Frau Staatssekretärin, ich möchte Ihnen dazu eine Frage stellen. Am 5. Januar 2005 stand in der „Frankfurter Rundschau“ - das ist ja nicht gerade ein rechtsradikales, ausländerfeindliches Hetzblatt -: Die Europäische Union ({0}) muss sich langfristig auf den Zustrom von nahezu drei Millionen Zuwanderern einstellen, wenn sie den Türken nach einem eventuellen Beitritt Freizügigkeit gewährt. Zu dieser Einschätzung kommt die Statistikbehörde DIE in Ankara. Einer Studie des staatlichen Statistikamts der Türkei zufolge wollen 2,7 Millionen Türken in den ersten 15 Jahren nach einem EU-Beitritt ihres Landes in eines der 25 Mitgliedsländer auswandern. ({1}) In den Mitgliedstaaten der Europäischen Union leben ungefähr 4 Millionen Türken, 2,5 Millionen davon in Deutschland. Im gleichen Artikel ist davon die Rede, dass bis zu 4 Millionen Türken nach Europa kommen könnten. Ein Großteil davon wird wiederum nach Deutschland kommen. ({2}) Schauen Sie sich diese Zahlen an! Das wird dazu führen, dass die Anzahl der in Deutschland lebenden Türken massiv zunehmen und sich möglicherweise verdoppeln wird. Frau Staatssekretärin, ich möchte Sie, die Bundesregierung und die kommenden Redner der rot-grünen Koalition fragen: ({3}) Glauben Sie wirklich, dass diese massiven Probleme - ein Problem hat Frau Vogt gerade eben eingeräumt kleiner werden, wenn die Anzahl der aus der Türkei nach Deutschland kommenden Menschen sehr viel größer wird und es durch die Freizügigkeit und den EU-Beitritt möglicherweise sogar zu einer Verdoppelung der in Deutschland lebenden Türken kommen wird? ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Lale Akgün, SPDFraktion. ({0})

Dr. Lale Akgün (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003492, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Strobl, ich danke Ihnen für Ihre Ausführungen; denn seit ich diesen Antrag gelesen habe, habe ich mir wirklich Gedanken darüber gemacht, was Sie mit diesem Bauchladenantrag „Probleme mit der Türkei nicht ausblenden“ wollen. Sie haben nach dem Motto gehandelt: immer rein in den Antrag. Sie selbst haben jetzt gesagt, dass der Antrag vom 14. Dezember 2004 der vergebliche Versuch war, drei Tage vor dem Europäischen Rat der Öffentlichkeit noch einmal die letzten Argumente zu präsentieren, um in Deutschland Stimmung gegen die Türkei zu machen. Ihr Wunsch war es ja, die Türkei als nicht europatauglich darzustellen und damit den Beschluss der EU zu torpedieren, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzunehmen. Wir alle wissen, dass sich der Europäische Rat von Ihrem Papier nicht sonderlich hat beeindrucken lassen. Er hat die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen beschlossen. Das ist gut so. Trotzdem müssen wir uns heute mit Ihrem Gemischtwarenantrag beschäftigen. ({0}) - Es sind Gemischtwaren, weil Sie ganz unterschiedliche Probleme in einen Topf geworfen haben. Ich nenne das Problem der Islamisten, das Problem der Staatsbürgerschaft usw. Ich will versuchen, Ordnung in diesen Antrag zu bringen, und beginne mit dem ersten Punkt, bei dem es um die Staatsangehörigkeit geht. Sie behaupten, türkischstämmige Deutsche würden sich mithilfe der türkischen Regierung heimlich und illegal eine zweite Staatsangehörigkeit aneignen. ({1}) - Hören Sie doch einmal zu. - Um es klarzustellen: Es gibt keine rechtsmissbräuchliche Wiedereinbürgerung. Jede und jeder Deutsche ist völlig frei darin, jede Staatsangehörigkeit jedes Staates anzunehmen, die ihm erteilt wird. ({2}) Das Problem dabei ist, dass die Annahme einer ausländischen Staatsangehörigkeit den automatischen Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft zur Folge hat. ({3}) Das steht in § 25 des Staatsangehörigkeitsgesetzes. Diese Regelung gilt seit dem 1. Januar 2000, also seit In-Kraft-Treten des von uns initiierten Staatsangehörigkeitsrechts. Bis dahin galt das alte Staatsangehörigkeitsrecht, durch das allen in Deutschland lebenden und eingebürgerten Türkischstämmigen und anderen sehr wohl die Möglichkeit eingeräumt wurde, eine zweite Staatsbürgerschaft wiederzuerlangen, ohne die deutsche zu verlieren. Viele der jetzt Betroffenen haben die Wiedereinbürgerung übrigens schon lange vor dem 1. Januar 2000 beantragt. ({4}) Sie haben dadurch die deutsche Staatsangehörigkeit verloren, oft ohne sich dessen bewusst zu sein. Diese Menschen haben schlichtweg den Fehler begangen, die Änderungen in einem Paragraphen des Staatsangehörigkeitsrechtes im Jahr 2000 nicht verfolgt zu haben und die Rechtsfolge des Verlustes der deutschen Staatsangehörigkeit nicht zu kennen. ({5}) Dies betrifft die Wiedereinbürgerung in die Türkei, wie die Staatssekretärin eben ausgeführt hat, aber auch ehemalige sowjetische Staatsbürger, die die Staatsangehörigkeit eines der Nachfolgestaaten der Sowjetunion beantragt haben. Diese Menschen werden für ihr fehlendes Wissen sanktioniert, und zwar mit dem Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft. Sie hingegen, Kolleginnen und Kollegen von der Union, dürfen Ihr geballtes juristisches Unwissen sogar in Form eines Antrages in die Welt hinausposaunen. Ich frage Sie: Sind Sie wirklich nicht in der Lage, zwischen einer Rechtsfolge und einem Rechtsmissbrauch zu unterscheiden? Das kann ich nicht glauben. Ich fürchte, Sie vertauschen die Begriffe absichtlich, weil sich der Ausdruck Rechtsmissbrauch leichter dazu benutzen lässt, Menschen in die Nähe krimineller Handlungen zu rücken und einen ganzen Staat als nicht rechtsstaatlich zu diskreditieren. ({6}) In der Tat gibt es in diesem Themenbereich einen Problemdruck. ({7}) Es geht aber nicht etwa darum, die Handlungsweise türkischer Behörden infrage zu stellen, sondern darum, dass wir uns der etwa 50 000 betroffenen Menschen in Deutschland annehmen. Wir müssen sie dabei unterstützen, wieder einen sicheren Aufenthalts- und Staatsangehörigkeitsstatus zu erlangen. Unser Anliegen ist es, die Betroffenen zu beraten und ihnen Wege aufzuzeigen, wie sie ihre eigene Rechtsunsicherheit beenden können, wie sie eine Aufenthaltserlaubnis, eine Niederlassungserlaubnis und eine erneute Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft erreichen können. In dieser Sache sind wir intensiv tätig, seitdem das Problem auf dem Tisch ist. Das geschieht nicht, wie Sie wieder unterstellen, indem wir Gesetzeserleichterungen schaffen, Sondervereinbarungen, Geheimabkommen oder Ähnliches anstreben. Nein, wir beraten die betroffenen Menschen in diesem Land, wie sie im Rahmen der bestehenden Gesetze vorgehen können, um möglichst unbürokratisch ihren Status zu verbessern. Ich halte das nicht für rechtsmissbräuchlich oder falsch, sondern für die Pflicht einer verantwortungsvollen Regierung. ({8}) Wir sind dabei, eine Broschüre in deutscher, türkischer und russischer Sprache herauszubringen, um die Betroffenen aufzuklären und ihnen Wege aufzuzeigen, im Rahmen der bestehenden Gesetze wieder einen sicheren Aufenthaltsstatus zu erlangen. Im zweiten Punkt Ihres Antrages geht es um eine Anzahl von circa 300 bis 400 Personen, die der türkische Staat ausgebürgert hat - in der Regel wegen Nichtableistung des Wehrdienstes -, und zwar unabhängig davon, ob diese Leute kriminell sind oder nicht, und auch unabhängig davon, ob sie durch die Ausbürgerung staatenlos werden oder nicht. Diese Praxis ist ein Problem. Wir sind damit überhaupt nicht einverstanden. ({9}) Im Gegensatz zum Titel Ihres Antrages jedoch blenden wir diese Probleme nicht aus, sondern gehen sie seit langem und nachdrücklich an. Besonders Bundesminister Schily hat dies in den vergangenen Monaten bei der türkischen Seite nachdrücklich angemahnt. Dies betrifft insbesondere die Reform des türkischen Staatsangehörigkeitsrechts und die Harmonisierung im Rahmen der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Dieser Prozess ist auf dem Weg und wir werden ihn kritisch begleiten. Der dritte Punkt Ihres Antrages hat nun wirklich nichts mehr mit Unwissenheit zu tun. Entschuldigen Sie, aber er ist schlicht eine Unverschämtheit, weil Sie erneut die Anwesenheit türkischstämmiger Menschen als ein Sicherheitsrisiko darstellen. ({10}) Sie schüren Ängste, um politisch Stimmung zu machen, indem Sie die Begriffe Kriminalität, Islamismus, Extremismus, Türken, Mitgliedschaft der Türkei in der EU, Bildungsferne und Einbürgerung einfach aneinanderreihen, muslimische Jugendliche als tickende Zeitbomben bezeichnen und alle Bemühungen um eine Integration gezielt torpedieren. ({11}) Sie fragen nach dem Gesamtkonzept dieser Bundesregierung zur Bewältigung von Sicherheitsrisiken. Wenn Sie sich anschauen, was diese Regierung im Bund tut, und wenn Sie sich einmal vor Augen führen, was sozialdemokratisch geführte Landesregierungen in Deutschland tun, dann werden Sie ein Gesamtkonzept erkennen. Unser Gesamtkonzept besteht aber eben nicht nur aus sicherheitspolitischen Maßnahmen. Ein Gesamtkonzept zur gesellschaftlichen Integration besteht aus vielen politischen Bereichen. Dazu gehören das Bekämpfen von Extremismus, das Fördern des demokratischen Islam in Deutschland, aber auch eine gezielte Förderung von Arbeit, Bildung und Ausbildung. Ihr Gesamtkonzept lautet hingegen: Bildung kürzen, Schüler früher selektieren, bundesweite Studiengebühren, die Politik aus dem Bemühen um Ausbildungsplätze heraushalten, Gelder für Integration in den von Ihnen regierten Bundesländern kürzen, Turbokapitalismus und Entsolidarisierung. Ihr politisches Konzept ist ein Risiko für Integration und Sicherheit in unserem Land. ({12}) Der Berliner „Tagesspiegel“ schrieb am 7. Januar dieses Jahres zu Ihrer ratlosen Programmatik: In CDU und CSU geht Angst um. Es ist die Angst vor der eigenen Schwäche. Ihre Schwäche soll nicht unsere Sorge sein. Aber wir können es nicht tolerieren, wenn Sie versuchen, Ihre eigene Angst vor Bedeutungslosigkeit zu bekämpfen, indem Sie in der Gesellschaft Vorurteile gegenüber anderen Menschen schüren, indem Sie Angst vor notwendigen politischen Veränderungen schüren. Das können wir nicht zulassen. Ich werde Ihnen bei jedem Versuch dieser Art immer ganz deutlich sagen: Ihre Politik ist schäbig. ({13}) Ich würde mir wünschen, Sie würden in den Zugewanderten, vor allem in den muslimischen Zugewanderten, nicht nur Gewalt und Terrorismus sehen. ({14}) Ich würde mir wünschen, Sie würden auch die Bereicherung durch die Zuwanderung sehen. ({15}) Auch positive Annäherungen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, sind möglich. Ich möchte ein Beispiel geben. Heute ist Opferfest. Das ist der höchste islamische Feiertag. Ich möchte daher allen Muslimen in Deutschland ein gesegnetes und friedliches Opferfest wünschen. Das tue ich auch in Ihrem Namen. ({16})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Ernst Burgbacher, FDP-Fraktion.

Ernst Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003063, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Vorbemerkung will ich jetzt doch machen. Ich bin seit 9 Uhr im Plenum. Es wurde heute Morgen - auch zur Kernzeit - noch kein Minister der Bundesregierung hier gesehen. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, ich fordere auch Sie auf, diese Brüskierung des Parlaments durch die Bundesregierung nicht hinzunehmen. Wir dürfen das nicht mitmachen! ({1}) Zur Sache: Dieser Antrag muss unter zwei verschiedenen Aspekten behandelt werden, einmal in Bezug auf die Zielrichtung, zum anderen in Bezug auf die konkreten Punkte. Zunächst zur Zielrichtung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union. Sie haben diesen Antrag am 14. Dezember im Zusammenhang mit der EU-Entscheidung eingebracht. Die Entscheidung, Verhandlungen mit der Türkei aufzunehmen, ist gefallen. Es ist doch keine Frage, dass sich auch eine Nachfolgeregierung im Jahr 2006 an diese Entscheidung halten müsste. Deshalb müssen Sie zumindest den Punkt des Antrages ändern, damit er wirklich ernst genommen werden kann. Kein Mensch kann davon ausgehen, dass eine Regierung die Verhandlungen nicht weiterführen würde. Das sollte man hier klarstellen. ({2}) Was die Einzelfragen, die Sie hier aufgelistet haben, betrifft, muss ich sagen, dass es sicherlich richtig ist, dass der Runderlass der türkischen Regierung bezüglich der Staatsangehörigkeit aus dem Jahr 2001 im März 2004 aufgehoben wurde. Aber, Frau Staatssekretärin Vogt, es kommt jetzt darauf an, wie die Durchführung aussieht. Es ist völlig richtig, Frau Akgün, wir müssen auch an die Betroffenen denken und daran, wie wir denen, die zum Teil aus Unwissenheit gehandelt haben, helfen können. Wir müssen uns aber auch fragen, wie wir eigentlich darüber informiert werden, ({3}) ob diese deutschen Staatsbürger wieder die türkische Staatsangehörigkeit angenommen haben oder nicht. Diese Frage müssen Sie uns schon noch genauer beantworten. Das Problem ist da und das müssen wir lösen. ({4}) Wir müssen auch bei den Ausbürgerungen nicht nur auf das Recht schauen, sondern auch auf die Rechtspraxis. Es kann nicht sein, dass Menschen, die bei uns kriminell werden, ausgebürgert werden und damit nicht mehr abgeschoben werden dürfen. Das werden wir nicht mittragen. ({5}) Auch das ist in der Praxis zu behandeln. Es ist richtig, dass wir ein Gesamtkonzept zur Bewältigung aktueller und künftiger Sicherheitsrisiken brauchen. Ich warne allerdings auch hier vor Verallgemeinerungen und davor, den Islam pauschal zu verurteilen. ({6}) Wir müssen sehr differenziert vorgehen. Darüber, dass wir Sicherheitskonzepte brauchen, sind wir uns, glaube ich, in diesem Hohen Haus alle einig. ({7}) In Wirklichkeit geht es doch um eine andere Frage. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei werden aufgenommen. Tatsache ist, dass heute weder die Türkei beitrittsfähig noch die EU fähig ist, die Türkei aufzunehmen. ({8}) Deshalb gibt es - das hat die FDP in der damaligen Debatte auch deutlich gemacht - für uns zwei unverrückbare Grundsätze. Der eine Grundsatz lautet: Die Verhandlungen werden sehr lange dauern. Ein Zeitraum von zehn bis 15 Jahren ist realistisch. Wir werden uns gegen alles zur Wehr setzen, was zu einem Automatismus der Beschleunigung führt. Die Verhandlungen werden, wie gesagt, sehr lange dauern. ({9}) Der zweite Grundsatz lautet: Die Verhandlungen müssen ergebnisoffen sein. Es geht nicht an, mit der Aufnahme der Verhandlungen das Ergebnis vorwegzunehmen; ({10}) es muss völlig klar sein, dass am Ende der Verhandlungen ein Ja oder ein Nein stehen kann. ({11}) Dabei ist sowohl die Situation in der Türkei als auch die innerhalb der Europäischen Union zu berücksichtigen. Es gibt vieles, was die Türkei selbst leisten muss. ({12}) Der Schutz von Minderheiten ist in der Türkei nach wie vor bei weitem nicht gewährleistet. ({13}) Die Religionsfreiheit ist dort bis heute nicht gegeben. Der Vorrang des Zivilen vor dem Militärischen ist in der Türkei nicht garantiert. Es ist noch nicht zu einer Einstellung jeglicher Art von Folter gekommen. In diesen Punkten muss in den Verhandlungen eine Lösung erzielt werden; ({14}) andernfalls ist der Beitritt der Türkei nicht möglich. Zu berücksichtigen sind auch die von Ihnen angesprochenen Punkte, Herr Strobl. Notwendig sind nicht nur rechtliche Regelungen, sondern es geht auch um die Umsetzung in der Rechtspraxis. Insofern stelle ich abschließend fest: Wenn Ihr Antrag ernsthaft weiter beraten werden soll, dann muss er geändert werden. Wir werden an unseren Prinzipien festhalten. Die Entscheidung ist gefallen. Sie ist auch von einer Nachfolgeregierung 2006 mitzutragen. Aber die beiden Grundsätze - lange Dauer und ergebnisoffene Verhandlungen - müssen gelten und Bestand haben. Herzlichen Dank. ({15})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Josef Winkler, Bündnis 90/Die Grünen.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin immer wieder beeindruckt, wie stark der Einfluss der rot-grünen Bundesregierung auf euro- päischer Ebene aus Sicht der Opposition sein muss. Denn Sie gehen offenbar davon aus, dass wir es mit un- seren verqueren Ansichten schaffen, alle Staats- und Re- gierungschefs der gesamten Europäischen Union von Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer überzeugen zu lassen, wider besseres Wissen Beitritts- verhandlungen mit der Türkei aufzunehmen. Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wenn sie sich in anderen Fragen in Europa auch so einbringen würden, wäre es gut!) - Vielleicht sollten Sie sich zukünftig mit Ihren Außenpolitikern abstimmen, Herr Strobl. - Dieses Lob für die Bundesregierung nehmen wir gerne an. Allerdings sind die Vorschusslorbeeren, die Sie uns gewähren, nicht ganz angemessen. Denn alle Bedenken, die Herr Burgbacher vorgebracht hat, sind in dem Beschluss der Staats- und Regierungschefs berücksichtigt worden. Es trifft nicht zu, dass beschlossen wurde oder von Rot-Grün in irgendeiner Form befürwortet würde, dass die Türkei der EU um jeden Preis beitreten sollte. Die von Ihnen vorgebrachten Bedenken sind Scheinargumente gegen von uns gar nicht vorgebrachte Argumente. Insoweit weise ich es zurück, dass wir uns an einer solchen Diskussion überhaupt beteiligen müssten. Ich komme jetzt zu dem Staatsangehörigkeitsrecht, das Sie angesprochen haben, Herr Strobl. Die von Ihnen aufgeworfene Frage wurde seitens der Bundesregierung schon einmal dem Kollegen Jüttner beantwortet. Das liegt allerdings schon etwas zurück und ist Ihnen vielleicht entgangen, weil er kein Innenpolitiker ist. Aber dass der Erlass im März 2004 aufgehoben wurde, ist schon seit November bekannt und wurde in einer Bundestagsdrucksache schriftlich dokumentiert. Sie haben von einem gewissen Ruch der Illegalität gesprochen. Eines ist sicher: Vor der Reform war es deutschen Staatsbürgern möglich, durch eine Einbürgerung im Ausland bei gewöhnlichem Aufenthalt ganz legal eine doppelte Staatsbürgerschaft zu erhalten. Es handelt sich dabei um eine Gruppe, die ihre Anträge zum Teil weit vor dem In-Kraft-Treten der Reform gestellt hat. Da nicht jeder eine so gute juristische Bildung aufweist wie Sie, konnten nicht alle Betroffenen wissen, dass die Reform mit ihrem In-Kraft-Treten auch rückwirkend für früher gestellte Anträge gilt. ({0}) Die Betroffenen sind jetzt zum Teil in einer sehr miserablen Situation, weil sie aufgrund des Erlasses der türkischen Regierung die deutsche Staatsbürgerschaft verloren haben. Sie sind aber keine Kriminellen. Wir sind uns sicherlich einig, dass die Erlasslage in der Türkei inakzeptabel war. Dies ist inzwischen auch aufgrund der Intervention der Bundesregierung abgestellt worden. Nun muss es darum gehen - wie bereits die Kollegin Dr. Akgün ausgeführt hat -, in Dialog mit den Betroffenen zu treten und ihnen zu helfen, wieder Deutsche zu werden, wenn sie es möchten. - An dieser Stelle wäre ein bisschen Applaus durchaus angemessen, Herr Kollege Ströbele. ({1}) - Ich bin völlig überrascht, dass es keinen spontanen Beifall gab; denn ich finde, dass ich es schlüssig vorgetragen habe. ({2}) - Ich merke es. Von offizieller türkischer Seite ist bestätigt worden, dass es sich um etwa 50 000 Anträge handelt. Ich habe ja bereits ausgeführt, dass die entsprechende Regelung von uns abgelehnt wird. Wenn ich einmal von den aktuellen Fällen absehe und mir die Altfälle anschaue, bin ich dennoch der Meinung, dass wir mehr als 40 Jahre nach der Anwerbevereinbarung mit der Türkei noch einmal darüber nachdenken sollten - ich weiß, dass Sie das nicht gerne hören -, ob nicht zumindest für die erste Generation der Einwanderer, die enorme Hilfe beim Aufbau der Bundesrepublik Deutschland geleistet haben, eine doppelte Staatsbürgerschaft ein gutes Angebot der Bundesrepublik wäre, um ihre Leistungen zu würdigen. ({3}) Ich kann jedenfalls für meine Fraktion sagen, dass wir das nicht für alle Zeiten ausschließen. ({4}) - Herr Strobl, ich gebe es zu: Sie haben mich entlarvt. ({5}) Unsere Beschlusslage dazu ist immer klar gewesen. Ich bleibe dabei, dass auch die Migranten enorme Leistungen beim Aufbau Deutschlands erbracht haben. ({6}) Ich weiß, dass das nicht die Zustimmung des ganzen Hauses findet. Aber wir bleiben dabei, dass das durchaus angemessen wäre. Abschließend möchte ich noch etwas zu Punkt 4 Ihres Antrags sagen, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU. Sie vermischen ständig Extremismus, türkische Mitbürger, Islamismus, Zuwanderung und „Verdoppelung der Türken in Deutschland“ miteinander. Ich bin übrigens der Meinung, dass sich nur die Zahl der Türken verdoppeln kann, dass sich aber die Türken selber nicht verdoppeln können. Bei deutschen Mitbürgern sind Sie vielleicht ein bisschen genauer in der Idiomatik. Ihre Vermischung von Begriffen aus dem Staatsbürgerschaftsrecht mit den eben genannten lehnen wir jedenfalls ab. ({7}) Man kann es schon als schäbig bezeichnen, wenn Sie Dinge, die völlig legal sind, und Mitbürger, die hier bei uns friedlich ihrer Arbeit nachgehen, mit einer extremen Minderheit, die sich prozentual kaum beziffern lässt, in Zusammenhang bringen und fordern, dass man dagegen etwas tun müsse. ({8}) Meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ihren Versuch, sich politisch auf Kosten der türkischstämmigen Migranten in Deutschland zu profilieren, weisen wir entschieden zurück. Das, was getan werden muss, damit die Abkommen mit der Türkei so eingehalten werden, wie wir das als gleichberechtigter Partner erwarten können, wird die rot-grüne Bundesregierung tun. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Hartmut Koschyk, CDU/ CSU-Fraktion.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Winkler, Frau Kollegin Akgün, man merkt an Ihren Ausführungen sehr deutlich, dass die Bundesregierung die Probleme, die im Vorfeld einer Vollmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union bestehen, viel offensiver hätte aufgreifen müssen. Aber dazu sind Sie nicht bereit. Sie versuchen vielmehr, diese Probleme entweder auszublenden oder zu bagatellisieren. ({0}) Herr Kollege Winkler, Sie müssen sich schon entscheiden: Halten Sie es für ein Problem, dass deutsche Staatsangehörige türkischer Herkunft durch zahlreiche Aufrufe türkischer Behörden auch die türkische Staatsangehörigkeit im Sinne einer doppelten Staatsangehörigkeit angenommen haben, und sollte die Bundesregierung Ihrer Meinung nach dagegen vorgehen? Oder sind Sie eigentlich doch für die doppelte Staatsbürgerschaft - Sie haben sich in diesem Sinne geäußert -, und zwar nicht nur von Türken in Deutschland mit deutscher Staatsangehörigkeit, sondern auch von anderen Zuwanderern? ({1}) Sie müssen sich schon entscheiden. Der türkische Staat hat durch Runderlass aktiv für ein Aushöhlen unseres Staatsangehörigkeitsrechts geworben. Das haben Sie quasi als Kavaliersdelikt bezeichnet. ({2}) Sie sagen, dieser Missstand sei beseitigt worden und stelle jetzt kein Problem mehr da. Sie bagatellisieren, was das auch für die Berechenbarkeit der türkischen Politik im Hinblick auf ihre Zusagen auch im Zuge des Beitrittsverfahrens bedeutet. Wir sind nicht bereit, das hinzunehmen. ({3}) Liebe Frau Kollegin Akgün, Sie haben sich über die Formulierung „tickende Zeitbombe“ in unserem Antrag künstlich aufgeregt. Liebe Frau Kollegin Akgün, ich will Sie darauf hinweisen, dass diese Formulierung ein Experte bei der Anhörung des Bundestagsinnenausschusses zum Thema „Probleme des Islamismus in Deutschland“ benutzt hat. Von den rund 30 000 vom Bundesamt für Verfassungsschutz festgestellten Islamisten in Deutschland sind 27 000 türkischer Herkunft. Hinzu kommt all das, was wir bei der Anhörung des Bundestagsinnenausschusses gerade im Hinblick auf die türkische Gemeinschaft in Deutschland von Fachleuten - auch von einem türkischen Journalisten; was er dazu gesagt hat, war sehr beeindruckend - gehört haben. Das blenden Sie hier einfach aus. Daran merkt man, dass Sie in Bezug auf Probleme im Zusammenhang mit der Vollmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union Scheuklappen angelegt haben und dass Sie nicht wollen, dass hier die wirklichen Probleme debattiert werden. ({4}) Es gibt doch ernst zu nehmende Warnungen. Der Kollege Strobl hat Helmut Schmidt zitiert. Ich möchte den sehr bemerkenswerten Aufsatz von Valéry Giscard d’Estaing in der „FAZ“ erwähnen. Ich verweise auf den Historiker Heinrich August Winkler, Mitglied der SPD, und den Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde. Außerdem verweise ich auf die klare Position - dafür bin ich dankbar -, die die beiden großen Kirchen in Deutschland in dieser Frage eingenommen haben. Ich erinnere an das, was Kardinal Lehmann und Bischof Huber dazu gesagt haben. Sie haben auf die ungelösten Probleme in den Bereichen der Religionsfreiheit, der Gleichstellung von Mann und Frau und der Menschen- und Minderheitenrechte in der Türkei verwiesen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gloser?

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Gloser, bitte.

Günter Gloser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002660, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Koschyk, Sie haben aufgegriffen, was Ihr Kollege Strobl vorhin ausführlich dargelegt hat. Auf dem Europäischen Rat 1997 haben die Mitglieder der schwarz-gelben Bundesregierung der Türkei die Perspektive gegeben, der Europäischen Union beizutreten, obwohl die Türkei damals, was Demokratie, innere Strukturen und anderes angeht, weit hinter dem zurücklag, was sie heute aufgrund des eingeleiteten positiven Prozesses erreicht hat. ({0}) 1997 war die Europäische Union der 15 von der Perspektive einer europäischen Verfassung und der damit verbundenen Handlungsfähigkeit weit entfernt. Warum hat die schwarz-gelbe Regierung dann diese Beitrittsperspektive gegeben? Diese Position ist durch den CSU-Landesgruppenvorsitzenden Michael Glos im Dezember 1997 nachdrücklich bekräftigt worden. Wie erklären Sie diesen Widerspruch? Müssten Sie heute nicht wenigstens „Das war zumindest grob fahrlässig“ sagen? ({1})

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Gloser, die Union hat sich immer für enge und über die jetzigen Bindungen hinausgehende Bindungen der Türkei an die Europäische Union ausgesprochen, ganz im Sinne einer privilegierten Partnerschaft, ({0}) wie wir, die Union, und übrigens auch der österreichische Bundeskanzler Schüssel - in Österreich wird es eine Volksbefragung zu diesem Thema geben - sie in dieser Frage vertreten. Eines ist doch interessant, Herr Gloser. ({1}) Sie von der Koalition von SPD und Grünen, die sich immer so offen für plebiszitäre Elemente im Grundgesetz zeigen, haben eines doch schon sehr deutlich gemacht: Es könnte in Deutschland über alles eine Volksabstimmung geben, aber über das Thema Türkei - das haben die Verantwortlichen Fischer und Müntefering klargestellt - würden Sie nie eine Volksbefragung zulassen. ({2}) Das zeigt, Herr Kollege Gloser, dass Sie unsicher geworden sind. Ich möchte in Erinnerung rufen, dass wir vom Innenausschuss im Juni letzten Jahres unter Ihrem Vorsitz, Frau Kollegin Akgün, eine Reise in die Türkei durchgeführt haben, bei der wir sehr deutlich gespürt haben, wie vieles im Hinblick auf die Rechtssituation der Kirchen völlig ungeklärt ist. Wir haben erfahren, dass die Nutzung von Eigentum für religiöse und karitative Zwecke systematisch behindert wird und dass zudem eine ganze Reihe von faktischen Problemen besteht, nicht so sehr - das will ich einräumen - bei den deutschen evangelischen und deutschen katholischen Kirchengemeinden dort, aber - liebe Frau Kollegin Akgün, das haben wir sehr deutlich gehört - bei den assyrischen Christen, bei den orthodoxen Christen und bei den aramäischen Christen. Ich will noch etwas ansprechen, liebe Frau Kollegin Akgün, nämlich die völlig unbefriedigende Situation von Deutschen, die auf Dauer in der Türkei leben, die Probleme, die uns bei unserem Besuch Frauen, die mit türkischen Partnern verheiratet sind, geschildert haben, Fragen des Aufenthaltsrechts, Fragen der Berufsausübung. Beispielsweise können deutsche Frauen manche Berufe nicht ergreifen. All die Probleme sind in unserem Bericht über die Türkeireise sehr eindeutig dokumentiert worden. Ich habe bis jetzt aber keine Initiative der Bundesregierung feststellen können, die darauf abzielt, zum Beispiel die unbefriedigende Rechtssituation von Deutschen zu verbessern, besonders die von deutschen Frauen, die mit türkischen Partnern verheiratet waren, dann geschieden wurden oder verwitwet sind. Professor Böckenförde hat die Entscheidung vom 17. Dezember zu Recht als Stunde der Wahrheit und als Scheideweg für die EU bezeichnet. Die Türkei ist nach geographischer Ausdehnung, Bevölkerungszahl, nationaler und kultureller Identität, ökonomischer und politischer Struktur von einer Bedeutung und Eigenart, dass die Frage nach dem Konzept der europäischen Einigung unausweichlich ist. Wir wollen, dass die Debatte in Deutschland so ernst geführt wird, auch im Parlament, wie sie dankenswerterweise gerade von den Verantwortlichen der großen Kirchen in Deutschland geführt wird. Ich bin sehr dankbar dafür, dass Bischof Huber in einem Interview im Berliner „Tagesspiegel“ vor wenigen Tagen deutlich gemacht hat, ({3}) er habe die große Sorge, dass die Vollmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union die Gefahr in sich birgt, dass sich die Europäische Union nicht mehr zu einer handlungsfähigen politischen Gemeinschaft entwickelt, sondern zu einer Freihandelszone auseinander strebt. Ich mache mir auch die Worte von Kardinal Lehmann zu Eigen, der die Probleme durch einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union, durch eine Vollmitgliedschaft, in eine Frage gekleidet hat: Die Frage ist doch, ob Europa eine Identität hat, die stark auf Christentum und Judentum, auf Antike und Aufklärung gründet. Ergeben sich da nicht Abgrenzungen? - Ich meine, da ergeben sich Abgrenzungen. Lieber Herr Kollege Beck, Sie haben auf die Äußerungen von Bischof Huber im „Tagesspiegel“ mit der Bemerkung reagiert, Sie setzten sich dafür ein, dass Europa Wertegemeinschaft und nicht Christenclub wird. ({4}) Damit haben Sie sich dieses unsägliche Wort von Herrn Erdogan von Europa als Christenclub zu Eigen gemacht - und dies in einer Auseinandersetzung mit dem Vorsitzenden des Rates der EKD. Dies zeigt, welch traurige Wertvorstellungen Sie von Europa als Wertegemeinschaft auf dem christlich-jüdischen Fundament haben. ({5}) Diese Debatte - wir haben die Probleme in unserem Antrag aufgezeigt - muss geführt werden. Der Kollege Winkler hat an einer Stelle seiner Rede schon sehr deutlich auf den Teil des Beschlusses des Europäischen Rates verwiesen, der derzeit in der Türkei Katzenjammer auslöst, nämlich dass die Verhandlungen in der Tat - das ist der große Erfolg der Union beim Beschluss des Europäischen Rates - ergebnisoffen geführt werden ({6}) und dass diese Verhandlungen abgebrochen werden können, wenn zum Beispiel eine bestimmte Zahl von Mitgliedstaaten der Europäischen Union dies will. Das zeigt doch, wie unsicher sich die Staats- und Regierungschefs bei der Entscheidung des Europäischen Rates am 17. Dezember gewesen sind. Es zeigt übrigens auch, dass hier Politik über die Köpfe der Mehrheit der Bevölkerung in den europäischen Ländern hinweg gemacht wird. Sie wissen auch - zumindest spüren Sie es -, dass Sie für Ihre Position in dieser Frage in der deutschen Bevölkerung keine Mehrheit haben. Wir werden nicht zulassen, dass die bestehenden Probleme von Ihnen einfach weggedrückt, ausgeblendet oder bagatellisiert werden. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, SPD-Fraktion.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Koschyk! Meine verehrten Kollegen der CDU/ CSU-Fraktion, offenbar können Sie es nicht lassen. Sie wissen doch, dass die Zeit über Sie hinweggegangen ist, dass die EU am 17. Dezember den Auftakt der Beitrittsverhandlungen beschlossen hat. Sie wissen darüber hinaus, dass Sie sich europäisch isoliert haben. Jetzt spielen Sie die schlechten Verlierer und gerade der letzte Beitrag hat bewiesen: ({0}) Sie müssen stören und sticheln, Sie wollen Angst und Misstrauen säen ({1}) und Sie vermengen in unzulässiger Weise Islamismus mit Türkei. Das geht nicht. ({2}) Ich gebe Ihnen Brief und Siegel: Wir werden, wie Gott sei Dank auch die Mehrheit der Bürger, Ihnen auf diesem Weg nicht folgen. Gerade weil die europäische Einigung ein schwieriger Prozess ist, ist es nötig, damit in aufklärerischer und sachlicher Atmosphäre umzugehen. Er verträgt keine pauschale Verunglimpfung und Hetzerei. Genau das tun Sie. Das ist unzulässig und fahrlässig. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, Sie wissen, dass Sie mit diesem Begriff sehr unparlamentarisch argumentiert haben. Ich bitte Sie, den Begriff zurückzunehmen.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich nehme ihn zurück. Ich glaube, es ist im Beitrag des Kollegen deutlich geworden, was er damit bezweckt. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Kollegen Strobl?

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, was veranlasst Sie zu solch schwerwiegenden Vorwürfen gegen die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, die lediglich darauf hingewiesen hat, dass von den 30 000 extremistischen Islamisten, die es in der Bundesrepublik Deutschland gibt und von denen eine erhebliche Gefahr für unser Land ausgeht ({0}) - das können Sie mit mir gemeinsam im aktuellen Verfassungsschutzbericht nachlesen, Herr Kollege Ströbele -, eben 27 000 aus der Türkei kommen? Was ist daran eine unzulässige Vermengung? Was ist daran Hetze? ({1})

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die unzulässige Vermengung geht aus dem Gesamttenor eindeutig hervor. Ich beziehe mich auf die Wortwahl Ihres Antrags. Darin wird gehäuft von „rechtsmissbräuchlicher Wiedereinbürgerung“, von „Schwerkriminellen“, von „Drogen- und Gewaltdelikten“, von „Sicherheitsrisiken“, von „Rechtfertigung von Gewalt“, von „terroristischer Bedrohung“ und von „geistig-politischem Einfluss von Islamisten“ gesprochen. Das ist der Grund dafür, dass ich dies in aller Schärfe anprangern muss. ({0}) - Ich gehe von der Wortwahl Ihres Antrags und vor allem vom Beitrag des Kollegen Koschyk aus. ({1}) - Ich komme jetzt dazu, wenn Sie mir die Gelegenheit geben. Keiner behauptet, Herr Kollege, dass der Beitrittsprozess ein Spaziergang bei schönem Wetter sein wird. Niemand blendet Probleme mit der Türkei aus. Genauso wenig sollten übrigens die Probleme mit anderen Beitrittskandidaten ausgeblendet werden. Es stimmt, dass es Schwierigkeiten bei der Wiedereinbürgerung oder bei der Ausbürgerung gibt. ({2}) Die Türkei ist - auch das muss ich sagen - für ihre Staatsbürger verantwortlich. Sie hat die anstehenden Probleme zu lösen und darf sie nicht bei uns abladen, vor allen Dingen nicht bei den hier lebenden Migranten türkischer Herkunft, aber ebenso wenig bei den in der Türkei lebenden Bürgern aus anderen Staaten. Das ist völlig unstrittig. Um dies zu verdeutlichen, ist die Bundesregierung, wie wir gehört haben, seit langer Zeit tätig. Die bestehenden Konflikte etwa bei der Frage, was mit den Anträgen von Menschen türkischer Abstammung auf Einbürgerung geschieht, die die Anträge schon vor dem 1. Januar 2000 gestellt haben, aber von der Türkei die entsprechenden Bescheide noch nicht bekommen haben, und, da sie sich auf altes Recht bezogen, noch mit ihrer Wiedereinbürgerung rechneten, müssen auf der soliden aktuellen rechtlichen Grundlage gelöst werden, und zwar human. Das ist doch völlig klar. ({3}) All diese Bemühungen haben aber doch viel größere Aussicht auf Erfolg, wenn sie mit der Perspektive eines EU-Beitritts verbunden sind - man kann ruhig sagen, dass das ein permanentes, willkommenes Druckmittel darstellt -, als dann, wenn sie mit einer Politik der Abweisung und des Misstrauens verbunden werden, wie Sie sie betreiben. Das ist ganz offensichtlich. Wir sind uns doch hoffentlich darüber einig, dass es darum gehen muss, dass sich möglichst viele der dauerhaft hier bei uns lebenden Ausländer einbürgern lassen. Dafür haben wir die Bemühungen im neuen Gesetz klar und einfach gefasst. Wir haben Anforderungen an die Sprachkenntnisse und an die Hinwendung zu unserer Verfassung aufgestellt. Wir wollen eben diese Menschen mit vollen Rechten und Pflichten auf gleiche Augenhöhe und mit voller politischer Teilhabe hier bei uns integrieren. Es stimmt schon, dass Mehrstaatigkeit in der Regel vermieden werden soll. Das besagt ja auch das reformierte Staatsangehörigkeitsgesetz. Es stimmt aber nicht, dass generell keine doppelten Staatsangehörigkeiten existieren können. Mehrfachstaatsangehörigkeiten, die nach dem Abstammungsprinzip oder als Folge von binationalen Ehen zustande gekommen sind, bleiben unangetastet. ({4}) Ich darf an die deutsch-türkische Enkeltochter des Altbundeskanzlers Helmut Kohl, an Otto von Habsburg und andere erinnern. Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen. Natürlich gilt auch das Prinzip der Gegenseitigkeit. ({5}) - Ich rede von Ihrer Neigung, schon wieder die doppelte Staatsbürgerschaft zu verteufeln. Viele Menschen streben nun einmal danach - das können Sie doch gar nicht leugnen -, ihre jetzige Staatsangehörigkeit mit der ihres Herkunftslandes zu verknüpfen. ({6}) Dabei müssen sie - das muss man ihnen klar machen die aktuelle Gesetzeslage beachten; ebenso muss das auch der Herkunftsstaat tun. Es ist aber falsch, sie zu Kriminellen abzustempeln. Das tun Sie aber praktisch mit Ihrem Antrag. Dagegen wehren wir uns. ({7}) Es ist, wie ich finde, nicht nur falsch, sondern direkt gefährlich, wenn Sie aus Mängeln der türkischen Rechtspraxis - die, um das noch einmal zu betonen, behoben werden müssen - eine terroristische Bedrohung ableiten. Das haben Sie heute Vormittag getan. Was soll denn in diesem Zusammenhang diese unselige Verquickung mit Kriminalität und islamistischem Extremismus? ({8}) Was soll in Ihrem Antrag der Schwenk zu „Zahlen und Aktivitäten radikaler Islam-Anhänger“ in Deutschland bei Freizeitaktivitäten und in Ferienlagern? ({9}) Ich habe da wahrhaftig nichts zu beschönigen. Es gilt aber schon festzuhalten, Herr Kollege, dass nach jüngeren Untersuchungen die türkischen Zuwanderer, die, wie wir wissen, überwiegend muslimisch geprägt sind, die deutsche Gesellschaftsordnung in hohem Maße akzeptieren und dass lediglich 1 Prozent - das muss ich jetzt einmal Ihren Behauptungen entgegenhalten - der Muslime in Deutschland islamistischen Organisationen zuzurechnen sind. Diese sind aber fest im Blick der Sicherheitsbehörden. ({10}) Was soll also, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Brunnenvergifterei, die offenbar mit diesem Antrag bezweckt wird? ({11}) Ihre Haltung ist sonnenklar, Herr Kollege Strobl: Die Europapolitik der Bundesregierung muss verunglimpft werden, das Klima zwischen Türken und Deutschen muss verschlechtert werden und es muss Stimmungsmache betrieben werden - das alles im Hinblick auf die Landtagswahlen. ({12}) Das ist doch der Sinn Ihres Antrages. Ich prophezeie Ihnen, Sie werden damit Schiffbruch erleiden. Für mein Land Schleswig-Holstein kann ich sagen: ({13}) Wir wollen friedlich mit diesen Menschen leben; wir lassen uns nicht in irgendeiner Weise in eine feindselige Ecke stellen, Herr Kollege Koppelin. Wir pflegen gute Partnerschaft mit den bei uns lebenden Migranten und anderen - nationalen - Minderheiten. In NordrheinWestfalen werden Sie mit solchen Methoden ebenso wenig punkten. Die Zeiten, in denen Doppelpasskampagnen gegen doppelte Staatsangehörigkeit wie in Hessen noch funktionierten, sind vorbei. Das funktioniert jetzt nicht mehr. Schon bei der Kampagne „Kinder statt Inder“ von Herrn Rüttgers hat sich herausgestellt, dass dies nicht mehr zieht. Lassen Sie also solche Manöver bleiben! Eine letzte Anmerkung. Sie fordern wieder einmal schnell ein neues Gesamtkonzept „zur Wahrung der inneren Sicherheit und zum Kampf gegen den islamistisch geprägten Terrorismus“. ({14}) Es gibt aber längst ein Gesamtkonzept. Ich nenne die Anti-Terror-Pakete I und II, die demnächst evaluiert werden. Ich nenne ferner die umfassenden Gepäck- und Sicherheitskontrollen an den Flughäfen, die Verbote islamistischer Organisationen - vom Kalifatsstaat bis alAqsa -, die Maßnahmen gegen Hassprediger, die im neuen Zuwanderungsgesetz enthalten sind. Aber vor allem gilt unser Prinzip: erhöhte Wachsamkeit, hoher Ermittlungsdruck auf der notwendigen gesetzlichen Basis, aber auch verstärkte Bemühungen um Integration und Prävention. Dabei müssen wir - in diesem Punkt unterscheiden wir uns - die Balance zwischen konsequentem Vorgehen gegen islamistischen Terror einerseits und der Wahrung bürgerlicher Freiheitsrechte andererseits halten. Panikmache und Verängstigung gehören allerdings nicht zu unserem Konzept. Das haben Sie sich auf die Fahnen geschrieben. Ihr Ansatz ist offenbar, wie auch Ihr Antrag zeigt: Polarisierung und Desintegration. Machen Sie sich bitte keine Hoffnungen, dass wir Ihnen darin folgen! Danke schön. ({15})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/4496 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 ({0}) - Drucksache 15/4533 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({1}) Innenausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Justizministerin Brigitte Zypries.

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die akustische Wohnraumüberwachung hat von ihrer Einführung im Jahre 1998 bis heute für Diskussionen in der Öffentlichkeit und in der Politik gesorgt wie kaum ein anderes Gesetzgebungsvorhaben im Bereich des Strafprozesses. Dabei wird die Wohnraumüberwachung tatsächlich nur in ganz wenigen Fällen angeordnet. Im Jahre 2003 waren es ganze 37 Fälle und damit sogar etwas mehr als der bis dahin vorhandene Jahresdurchschnitt von 30 Fällen. Die akustische Wohnraumüberwachung stellt in jeder Hinsicht eine Ausnahme dar. Durch kein anderes Ermittlungsinstrument ist es möglich, derartig weit in den privaten Bereich der Bürgerinnen und Bürger einzudringen. Andererseits ist die akustische Wohnraumüberwachung - wenn alle anderen Mittel versagen - das letzte Mittel, um schwer zugängliche Kriminalitätsstrukturen zu erforschen, schwerste Straftaten aufzuklären und für die Zukunft zu verhindern. Seit der Einführung dieses Instruments 1998 sind die Gefahren für die Sicherheit in Deutschland nicht weniger geworden. Die Aufhebung der Grenzen, der verstärkte Reiseverkehr und der verstärkte Tourismus haben zur Folge, dass Hindernisse für international operierende Formen der Kriminalität wegfallen. Das sehen wir zum Beispiel an der Betäubungsmittelkriminalität. Dort wurden in fast 90 Prozent aller Verfahren, in denen man die akustische Wohnraumüberwachung durchgeführt hat, Bezüge zur international organisierten Kriminalität festgestellt. Es ging jeweils um sehr massive Taten. Bei den Drogendelikten wurde pro Verfahren durchschnittlich wegen 62 Kilogramm Heroin bzw. 47 Kilogramm Kokain ermittelt. In Einzelfällen ging es um Rauschgift in einer Menge von 1 000 Kilogramm. Auch die Ereignisse von Madrid haben gezeigt, dass Deutschland Ziel von terroristischen Anschlägen sein kann und dass die Wohnraumüberwachung auch im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den Terrorismus ein wichtiges Mittel ist und bleiben muss. Nun darf aber das Ziel, Straftaten zu bekämpfen und die Rechtsordnung zu schützen, nicht dazu führen, dass der Schutz des Einzelnen vor der staatlichen Kontrolle völlig aufgegeben wird. ({0}) Der Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit zeigt sich hier in zugespitzter Form. Denn die Menschen fürchten sich nicht nur vor terroristischen Anschlägen, sie fürchten sich auch davor, dass sie am Ende keine Rückzugsmöglichkeiten ins Private mehr haben, dass sie am Ende keine Räumlichkeiten mehr haben, wo sie ungeschützt mit nahen Angehörigen oder Freunden sprechen können, ohne dass sie Gefahr laufen müssen, diese Gespräche später einmal ausgebreitet zu sehen. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht zuletzt deshalb in der Entscheidung vom 3. März 2004 deutlich gemacht, dass der Staat durch die akustische Wohnraumüberwachung nicht in den unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung eingreifen darf. Der absolut geschützte Kernbereich privater Lebensgestaltung ist vor Abhörmaßnahmen zu schützen. Die Vorgaben der Entscheidung aus Karlsruhe hat die Bundesregierung in dem Ihnen jetzt vorliegenden Entwurf umgesetzt. Mit diesem Entwurf werden sowohl ein umfassender Schutz der Menschenwürde als auch die Praktikabilität der Maßnahme der Wohnraumüberwachung gewährleistet, soweit sie mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vereinbar ist. Lassen Sie mich kurz auf die Eckpunkte zu sprechen kommen. Abhören wird künftig überhaupt nur dann zulässig sein, wenn es um den Verdacht einer besonders schweren Straftat geht, einer Straftat also, für die das Gesetz eine Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren vorsieht. Ich nenne Mord, Totschlag, schwere Betäubungsmitteldelikte oder die Bildung einer terroristischen Vereinigung. Die Wohnraumüberwachung darf künftig nur dann angeordnet werden, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass keine Äußerungen aus dem absolut geschützten Bereich der privaten Lebensgestaltung erfasst werden. Das kann man natürlich nur garantieren, wenn man quasi live mithört, um sich dann gegebenenfalls auszuschalten. Wir sehen, dass das in der Praxis zu Schwierigkeiten führen wird. Aber dies entspricht den Vorgaben des Gerichts und ist deshalb eins zu eins umzusetzen. Das Abhören von Gesprächen mit Berufsgeheimnisträgern, mit Rechtsanwälten, Notaren, Abgeordneten oder Ärzten, wird generell unzulässig sein. Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf einen zusätzlichen Schutz durch Verfahren vor. Es können künftig nur noch eigens dafür eingerichtete, spezialisierte Kammern bestimmter Landgerichte eine Wohnraumüberwachung anordnen. Sie müssen regelmäßig von Polizei und Staatsanwaltschaft unterrichtet werden. Die Betroffenen müssen nach Beendigung der Maßnahme unterrichtet werden. Sie erhalten damit die Möglichkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes. Auch die Interessen des Parlaments will die Bundesregierung mit diesem Gesetzentwurf weiter stärken. Die Berichtspflicht wird ausgebaut. Künftig wird jährlich zu zwölf verschiedenen Punkten berichtet werden, um die parlamentarische Kontrolle nach Art. 13 Abs. 6 des Grundgesetzes zu stärken. Meine Damen und Herren, die Tatsache, dass über diesen Gesetzentwurf bzw. dieses Verfahren so viel diskutiert wurde, zeigt, dass unsere Demokratie nach wie vor eine Streitkultur im positiven Sinne ist. Das ist gut so. Ich gehe davon aus, dass die Anhörung, die, wie ich gehört habe, beschlossen werden soll, die Diskussion bereichern wird. Ich bin sehr optimistisch, dass wir bis Juni dieses Jahres - zu diesem Zeitpunkt läuft die Frist ab, in der wir eine Regelung getroffen haben müssen; insofern möchte ich die wenigen Augen, die hier sind, darauf richten - einen Gesetzentwurf verabschiedet haben werden, der nicht nur die verfassungsmäßigen Rechte wahrt, sondern auch die staatlichen Interessen im Hinblick auf die Strafverfolgung zum Zuge bringt. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Daniela Raab, CDU/CSU-Fraktion.

Daniela Raab (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Sie sich fraktionsübergreifend zu dieser Mittagsstunde tapfer - ich finde das sehr löblich - zu diesem Thema eingefunden haben! In seinem Urteil vom 3. März 2004 hat das Bundesverfassungsgericht Art. 13 Abs. 3 unseres Grundgesetzes als verfassungsrechtliche Grundlage für die akustische Wohnraumüberwachung für verfassungsgemäß erklärt. Das ist zwar erfreulich, aber für uns alle sicherlich wenig überraschend. Allerdings kommt das Gericht zu dem Schluss, dass die einfachgesetzlichen Regelungen des so genannten großen Lauschangriffs in der Strafprozessordnung zum Teil nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Das Gericht geht von einem bereits erwähnten absolut geschützten Kernbereich der privaten Lebensgestaltung aus. Dieser Kernbereich bezieht sich überwiegend auf die Privatwohnung. Ein Abhören des gesprochenen Wortes soll dort in Zukunft nur unter sehr strengen Voraussetzungen möglich sein. Das Gericht verlangt deshalb von den strafverfolgenden Behörden vor Beginn der Abhörmaßnahme eine Prognose, inwieweit die Gefahr besteht, dass in diesen Kernbereich unzulässigerweise eingegriffen wird. Wird das Abhören nach dieser Prognose durchgeführt, hat es sich auf strafverfahrensrelevante Inhalte zu beschränken. Die Anforderungen an die Rechtmäßigkeit der akustischen Wohnraumüberwachung sollen also umso strenger sein, je größer die Wahrscheinlichkeit ist, dass Gespräche mit höchstpersönlichem Inhalt abgehört werden. Deshalb sollen Überwachungsmaßnahmen auch hier nur dann ergriffen werden dürfen, wenn schon vor der Maßnahme keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass geschützte Gesprächsinhalte zu erwarten sind. Sollten sich diese Gesprächsinhalte dennoch während des Abhörens ergeben - die Frau Ministerin hat das erwähnt -, muss die Abhöraktion sofort abgebrochen werden. - So weit in aller Kürze die Forderungen des Bundesverfassungsgerichts. Ich möchte wirklich keine Majestätsbeleidigung betreiben, aber doch gerne anmerken, dass ich persönlich nicht erkennen kann, weshalb weitere Einschränkungen bei der akustischen Wohnraumüberwachung überhaupt notwendig waren, ({0}) gerade wenn man weiß, dass mit diesem Instrument in der Praxis höchst sensibel umgegangen wird und sein Einsatz immer nur letztes Mittel ist, um Ermittlungen voranzutreiben oder zum Ende zu bringen; die Frau Ministerin hat das bereits angesprochen. Jedem Richter, jedem Staatsanwalt, jedem Polizisten und jedem von uns ist selbstverständlich klar, dass beim Abhören von Privaträumen in Persönlichkeitsrechte eingegriffen wird. Deshalb gibt es ja auch diesen sensiblen Umgang damit. Liegen jedoch Anhaltspunkte vor, dass eine Person schwere Verbrechen begangen haben könnte oder konkret vorhat, sie zu begehen, muss das Schutzbedürfnis unserer Bevölkerung gegenüber dem Persönlichkeitsrecht des Tatverdächtigen klar überwiegen. ({1}) Bisher wurde diese Abwägung immer in verantwortlicher Weise getroffen. Anzeichen für eine leichtfertige Anordnungspraxis gibt es nicht. Leider hat dies das Bundesverfassungsgericht etwas anders gesehen. Die Bundesregierung hat nun versucht, die betreffenden Vorschriften der Strafprozessordnung dem Urteil anzupassen. Man muss zugeben, dass das nicht leicht war. Nun liegt uns dieser wirklich nicht begeisternde Entwurf vor. Besonders bedenklich stimmt meine Fraktion die Neuregelung von § 100 c der Strafprozessordnung, der die konkrete Durchführung einer Abhörmaßnahme regeln soll. Nehmen Sie dessen Abs. 4 in diesem Entwurf: Dieser besagt bekanntlich, dass eine Abhörmaßnahme nur dann angeordnet werden darf, wenn im Vorfeld bereits davon ausgegangen werden kann, dass keine Äußerungen erfasst werden, die dem schon viel zitierten Kernbereich privater Lebensgestaltung unterfallen könnten. ({2}) Dem anordnenden Richter werden hier hellseherische Fähigkeiten abverlangt. Woher soll er das denn wissen? ({3}) Um das Überwachungsverbot für Gespräche im unantastbaren Kernbereich überhaupt einhalten zu können, sind nun bereits vor der Beantragung der Abhörung umfangreiche Ermittlungen nötig; das bestätigen uns die Praktiker. In der Praxis wird man also zunächst feststellen müssen, wie die Wohnung tatsächlich genutzt wird, wer dort wie regelmäßig verkehrt, ob die betreffenden Personen Tatbeteiligte sind oder nicht und wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass tatrelevante Gespräche geführt werden. ({4}) Die Praktiker werden ihre reine Freude damit haben. ({5}) - Richtig, das erfordert Wahrsagerei. ({6}) Der akustischen Wohnraumüberwachung werden so bereits in der Anordnungsphase massive Hindernisse in den Weg gestellt. Warum eigentlich? ({7}) Eine Untersuchung des Max-Planck-Instituts, die von der Ministerin bereits zitiert worden ist, hat ausdrücklich ergeben, dass das Abhören von Wohnräumen im Rahmen von Ermittlungen immer letztes Mittel ist und nur sehr restriktiv angewandt wurde. Im Jahr 2003 wurden bundesweit nur 37 Überwachungsverfahren registriert. Zwar ist die Tendenz seit 2001 steigend. Dies hat aber nichts mit leichtfertiger Anwendung zu tun, sondern schlicht und ergreifend damit, dass die Kriminalität in unserem Lande nun einmal nicht zurückgeht. Besonders häufig wird in Betäubungsmittelverfahren und bei Tötungsdelikten abgehört, auch bei Drogendelikten, um teilweise hochprofessionelle Strukturen zu ergründen, und bei Verdacht auf Totschlag oder Mord, um in einem letzten Versuch die Beweislage zu verbessern oder überhaupt erst in eine beweiswürdige Situation zu kommen. In letzter Zeit geht es natürlich auch sehr häufig darum, Terrorakte zu verhindern oder aufzuklären. In der Studie wird ausdrücklich betont, dass eine Abhörmaßnahme in jedem Verfahren, in dem sie bisher durchgeführt wurde, Einzelfallcharakter hat und immer subsidiär zu anderen Ermittlungsmethoden erfolgt. Noch einmal von mir also die Frage: Warum bereits bei Beantragung diese immensen Hindernisse, die mit zügigen Ermittlungen und Praktikabilität nichts, aber auch gar nichts zu tun haben? ({8}) - Ich habe das Urteil vorhin zitiert und angemerkt, dass ich das sehr kritisch sehe. ({9}) - Das muss man ja auch einmal sagen dürfen. ({10}) - Das sehe ich auch so. Eine weitere Problematik bietet § 100 c Abs. 5 StPO. Entsprechend der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts ist eine Maßnahme sofort zu unterbrechen, wenn höchstpersönliche Unterhaltungen beginnen. Die Ermittlungsbeamten dürfen vom weiteren Gesprächsverlauf keine Kenntnis mehr nehmen; das heißt, die Geräte werden sofort abgeschaltet. Die Abhörmaßnahme kann nur unter den bereits ausführlich erläuterten Voraussetzungen wieder aufgenommen werden. Auch das halten wir für deutlich zu umständlich und zu kompliziert. ({11}) - Und so wird es vom Bundesverfassungsgericht, Herr Ströbele, auch nicht gefordert. Ich empfehle die Lektüre des Urteils. ({12}) Ganz abgesehen davon, dass ein erhöhter Zeit- und Personalaufwand vorprogrammiert ist, was nicht in unserem Sinne sein kann. Ich werde Ihnen gleich sagen, wie wir es regeln würden. Wir sind ja in der ersten Lesung; das heißt, wir können uns nachher gern darüber unterhalten. Der Bundesrat hat zu diesem Gesetzentwurf bereits Stellung genommen und ich möchte erläutern, was der Bundesrat zu § 100 c Abs. 5 StPO vorschlägt. Ich halte diesen Vorschlag für nicht allzu schlecht. Der Bundesrat sagt: Die Aufzeichnungsgeräte dürfen weiter laufen, sobald höchstpersönliche Gespräche beginnen, nur, die Ermittlungsbeamten müssen den Raum verlassen und dürfen nicht mehr weiter zuhören. ({13}) Dem zuständigen Gericht werden dann die kompletten Aufzeichnungen vorgelegt. Der Richter kann dann über die Zulässigkeit dieser Aufzeichnungen und womöglich über den Fortgang der Maßnahme entscheiden. Der Vorteil dieses Vorschlags liegt für mich auf der Hand: Mit der alleinigen Sichtung durch das Gericht, durch einen einzigen Richter, bleibt der Schutz der Privatsphäre erhalten und es gehen dennoch keine Informationen verloren. Denn diese Gefahr besteht schlicht und ergreifend, wenn Sie die Maßnahme abbrechen. Überdies nimmt man den Ermittlungsbeamten vor Ort den enormen Entscheidungsdruck. Denn wie sollen die wissen, wann sie lauschen dürfen und wann nicht mehr? ({14}) Ich denke, diese Lösung widerspricht auch nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Der vorgeschriebene Grundrechtsschutz bleibt genauso, wenn nicht noch besser, erhalten. Unser Ziel muss es schließlich sein, trotz des engen Korsetts, das uns das Bundesverfassungsgericht aufgezwungen hat, den immer noch verbleibenden gesetzgeberischen Spielraum zu nutzen. Was den Straftatenkatalog angeht, regen wir, wie auch der Bundesrat, an, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gemäß den §§ 177 ff. StGB ebenfalls aufzunehmen. Auch bei solchen Straftaten - denken Sie bitte nur an die Kinderschänderringe! - besteht das Bedürfnis, oft wirklich hochprofessionelle kriminelle Strukturen durch eine Wohnraumüberwachung aufzudecken. Warum diese Straftaten bisher nicht in den Straftatenkatalog aufgenommen worden sind, erschließt sich uns nicht ganz. ({15}) Aber ich denke, auch bei dieser Frage gibt es Verhandlungsspielraum. Ich bin der Meinung: Wir tragen die Verantwortung dafür, dass die akustische Wohnraumüberwachung kein zahnloser Papiertiger wird, den keiner mehr anwenden kann, weil er die Voraussetzungen nicht erfüllen kann. Vielleicht ist es möglich, in diesem Fall eine einvernehmliche Lösung zu finden. An uns soll es nicht scheitern. Wir sind selbstverständlich zu Verhandlungen bereit. Vielen Dank. ({16})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Jerzy Montag, Bündnis 90/Die Grünen.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ein Wort zur Vorgeschichte. 1997 haben die CDU/CSU, die FDP und auch die SPD eine Verfassungsänderung zur Ermöglichung der akustischen Wohnraumüberwachung in diesem Hause durchgesetzt. Die FDP hat bei dieser Auseinandersetzung eine Bundesjustizministerin verloren. Die Grünen haben aus verfassungsrechtlichen Bedenken heraus gegen eine solche Regelung gestimmt. Im März letzten Jahres erging eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. In ihr hält das Bundesverfassungsgericht fest, dass die Verfassungsänderung, der neue Art. 13 Abs. 3 des Grundgesetzes, nicht verfassungswidrig ist und dass eben nicht jede akustische Überwachung von Wohnraum gegen die in Art. 1 des Grundgesetzes garantierte Menschenwürde verstößt. Dieser Entscheidung können wir entnehmen, dass darüber auch beim Bundesverfassungsgericht keine Einigkeit bestand. Die Minderheit, zwei Richterinnen, hat eine andere Position vertreten, konnte sich aber nicht durchsetzen. Frau Kollegin Raab, die Mehrheit gilt, auch für uns, die Grünen. Ich persönlich halte an meiner Position fest, dass wir mit der akustischen Wohnraumüberwachung zu weit gegangen sind und dass sie mit der Verfassung nicht vereinbar ist. Das ist meine Position und vielleicht die meiner Fraktionskolleginnen und -kollegen. Vielleicht haben auch Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fraktionen diese Auffassung. ({0}) Aber die Mehrheit des Bundesverfassungsgerichts gilt auch für Sie. Sie können mosern, so viel Sie wollen, Frau Kollegin Raab: Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, dass wir einen engsten Rahmen setzen müssen. Diesen engsten Rahmen haben wir, so gut es geht, praktisch wortgleich in unseren Gesetzentwurf übernommen. ({1}) Meine Damen und Herren, die akustische Wohnraumüberwachung ist erlaubt, sofern sie den absoluten Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht verletzt. Wann das der Fall ist, hängt nicht von den Örtlichkeiten ab. Es kommt nicht darauf an, ob die Küche oder das Schlafzimmer betroffen ist, sondern es kommt auf den Inhalt der Kommunikation und auf das Verhältnis der miteinander kommunizierenden Menschen an. Wenn die Gefahr besteht, dass bei einer solchen polizeilichen Maßnahme Gespräche mit höchstpersönlichem Inhalt betroffen werden, dann darf nicht abgehört werden. Das Bundesverfassungsgericht sagt, dass ein solches Risiko, das zum Ausschluss der Abhörung führt, typischerweise beim Abhören von Kommunikation in privilegierten Verhältnissen besteht: in Ehe und Partnerschaft, mit nahen Familienangehörigen, engsten Freunden und Vertrauten. Mit unserem Gesetzentwurf haben wir den Polizeibehörden und den Richtern die Aufgabe übertragen - Frau Kollegin Raab, hier haben Sie völlig Recht -, im Voraus abzuklären und prognostisch zu bewerten, ob bei der geplanten Maßnahme in den höchstpersönlichen Bereich eingegriffen wird. Dazu sagt das Bundesverfassungsgericht klar und knapp in einem Satz: Das geht auch. Tatsächlich geht es auch. Man muss genau die Bedingungen abklären, von denen Sie gesprochen haben. Das ist keine Kaffeesatzleserei. Diese Bedingungen müssen im Voraus so intensiv wie möglich abgeklärt werden. ({2}) Das ist auch handhabbar; denn dann kann die Polizei dem Gericht nach bestem Wissen und Gewissen einen Bericht vorlegen, in dem sie ihre Prognose tatsachengestützt offen legt. Dann kommt es darauf an, was in diesem Bericht steht. Wenn die geplante Abhörung der Aufdeckung von schwersten Straftaten dient, dann darf sie erfolgen. Die Polizei muss dafür Sorge tragen, dass nicht in den intimen Bereich eingegriffen wird. Das führt in Fällen, in denen man befürchten muss, sowohl Verfahrensrelevantes wie auch Intimes zu hören - das ist in vielen Fällen so -, dazu, dass in Echtzeit abgehört werden muss. Dann muss abgeschaltet werden. In anderen Fällen kann die Polizei prognostisch davon ausgehen, dass keine intimen Gespräche geführt werden. Ich finde, dass dann aufgezeichnet werden könnte; denn das Bundesverfassungsgericht spricht in solchen Fällen von einer Grobsichtung des Materials, um im Nachhinein etwas feststellen zu können. Meine Damen und Herren, die weiteren Kautelen sind in einem Satz rasch gesagt: Durch die akustische Wohnraumüberwachung dürfen nur schwerste Straftaten verfolgt werden. Dieses Gebot dürfen wir nicht umgehen, indem wir Straftaten willkürlich hochsetzen. Und es bleibt dabei: Der absolute Schutz von Berufsgeheimnisträgern bleibt in unserem Gesetzentwurf in vollem Umfang erhalten. Wir laden Sie ein, in den Ausschüssen gemeinsam mit uns über diesen Gesetzentwurf weiter zu diskutieren. Danke. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Petra Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch das Jahr 2004 war für die Bürgerrechte aus meiner Sicht ein verlorenes. Seit 2001 sind sie verstärkt im staatlichen Visier von Rot-Grün, bei der CDU/CSU ohnehin. Der Trend zum autoritären Staat ist leider ungebrochen. ({0}) Einen der wenigen Lichtblicke für verbriefte Grundrechte gab es im März des vergangenen Jahres in Karlsruhe: Das Bundesverfassungsgericht kritisierte wesentliche Teile des so genannten großen Lauschangriffs. Ich habe das für die PDS im Bundestag ausdrücklich begrüßt. Der große Lauschangriff wurde mit den Stimmen der CDU/CSU, der SPD und der Mehrheit der FDP eingeführt. Ich danke Ihnen, Frau Kollegin Schnarrenberger, und auch Herrn Burkhard Hirsch - beide FDP -, dass Sie sich der Mehrheitsmeinung Ihrer Fraktion damals nicht angeschlossen haben und die Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht beantragt haben; Sie bekamen in wesentlichen Punkten Recht. Deshalb diskutieren wir heute über ein modifiziertes Gesetz zum großen Lauschangriff. Das ist aber nur die kleine Lösung. Das Karlsruher Urteil hätte auch eine große Lösung ermöglicht: die Chance zur Umkehr. Seit Jahren werden immer mehr Bürgerrechte einer vorgeblichen Sicherheit geopfert und der Staat dringt immer tiefer in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger ein. Die PDS lehnt das ab, so wie wir 1998 gegen den großen Lauschangriff und 2001 gegen die so genannten Otto-Pakete waren. ({1}) Trotz des Urteils gibt es kein Umdenken. Die tiefer gehende Botschaft des Karlsruher Urteils, nämlich den Staat abzurüsten und die Bürgerrechte bewusst zu stärken, wird mit diesem Gesetzentwurf weiter in den Wind geschlagen, im Übrigen auch von den Grünen. Und natürlich in Bayern: Das Urteil war kaum verkündet, da forderte Innenminister Beckstein mehr statt weniger Überwachung. Auch hier im Bundestag werden Grundrechte weiter angegriffen. Das zeigt sich leider auch im heute vorliegenden Gesetzentwurf. Kommentar der Strafverteidigervereinigung: Der Wille der Bundesregierung zum großen Lauschangriff ist ungebrochen. Selbst dort, wo das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich gegen das Lauschen und Spähen ist, also in der absoluten Privatsphäre, öffnet der vorliegende Gesetzentwurf Hintertüren und weitere Einstiegstore. Zur Bürgerrechtskritik kommt aber auch die Effizienzfrage: Das Max-Planck-Institut Freiburg hat sie gestellt und kam zu dem Ergebnis: Der große Lauschangriff nützt wenig. Ich füge hinzu: Er schadet aber sehr viel. ({2}) Deshalb teilt die PDS im Bundestag den Standpunkt zahlreicher Kritiker: Der große Lauschangriff ist nicht neu zu regeln, er ist schlicht abzuschaffen. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Joachim Stünker, SPDFraktion.

Joachim Stünker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist wiederholt darauf hingewiesen worden, aber vielleicht sollte ich auch selber darauf hinweisen: Die großen Schlachten zum Thema der akustischen Wohnraumüberwachung - oder dem „Lauschangriff“, wie wir es frei übersetzt immer genannt haben - sind mit dem Karlsruher Urteil vom März letzten Jahres geschlagen. Auch ich gehöre zu den Bekennenden wie Herr Montag, die eher dem Minderheitenvotum gefolgt wären. Nun hat Karlsruhe entschieden - das ist Gesetz und daran haben wir uns zu halten, Frau Kollegin Raab -, dass die untergesetzlichen Regelungen in der Strafprozessordnung den Anforderungen des Art. 13 Abs. 3 des Grundgesetzes eben nicht entsprechen. Von daher wird Ihre Kritik an dem Karlsruher Urteil, wie Herr Bachmaier vorhin zu Recht zwischengerufen hat, kein Erdbeben in Karlsruhe herbeiführen, Frau Raab. ({0}) Wir müssen uns wohl an die Realitäten halten. Die Realität ist ganz einfach, Herr Kollege Röttgen: Das, was 1998 noch unter der Kohl-Regierung verfassungswidrig in der Strafprozessordnung geregelt worden ist, haben wir jetzt verfassungsgemäß zu gestalten. Ich denke, wir haben deutlich gemacht, dass wir die Ausgestaltung jetzt so vornehmen müssen, dass wir sie in den Bereichen, wo wir die Wohnraumüberwachung für unverzichtbar halten, nämlich in den Bereichen der organisierten Kriminalität, des Terrorismus und bei besonders schweren Formen der Kriminalität, zu verbessern haben. Dabei geht es insbesondere darum, mit diesem Ermittlungsinstrument die Hauptverantwortlichen für Straftaten zu erreichen, nämlich die Organisatoren, die Finanziers, sprich die Drahtzieher, die nicht so sehr im Vordergrund stehen, die Hintermänner, die die eigentlichen Täter sind. Vor diesem Hintergrund haben wir den Gesetzentwurf im letzten Sommer erarbeitet. Wir haben uns dabei an den Leitgedanken gehalten, den das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat: Vorkehrungen dafür zu treffen, dass Eingriffe in den absolut geschützten Kernbereich der privaten Lebensgestaltung unzulässig sind. Damit komme ich zu Art. 1 des Grundgesetzes, in dem es um die Würde des Menschen geht. Das Gericht hat uns gesagt, dass wir hier Vorkehrungen treffen müssen. Ich meine, von diesem Leitgedanken haben wir uns in dem Gesetzentwurf stringent leiten lassen. Wir haben diesen Gedanken präzise und rechtsstaatlich umgesetzt. Das heißt, es muss eine Prognose erstellt werden, möglicherweise muss das Gerät abgeschaltet werden und man muss mit den Erkenntnissen, die man dabei gewonnen hat, in einer bestimmten rechtsstaatlichen Weise umgehen. Frau Justizministerin, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass die Bundesregierung in der Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates genau diesen Leitgedanken des Urteils präzise herausgearbeitet und den insgesamt zwölf Vorschlägen des Bundesrates, die zu einer weiteren Aufweichung dieses Leitgedankens vorgetragen worden sind, wie ich meine, zu Recht nicht zugestimmt hat. Ich denke, sie konnte auch gar nicht zustimmen; denn in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts - wir werden das bei den weiteren Beratungen sehen wurden dezidierte Vorgaben dafür gemacht, wie die unterverfassungsrechtliche Ausgestaltung der Wohnraumüberwachung in der Strafprozessordnung letzten Endes aussehen soll. Daran werden wir nicht vorbeikommen, wenn wir hier eine verfassungskonforme Regelung verabschieden wollen. Es ist überhaupt nicht zu bestreiten, dass das zukünftig mit einem höheren Aufwand für die Ermittlungsbehörden verbunden sein wird. Das ist eine der in dem Urteil angelegten Konsequenzen, die so gewollt waren. Ich meine, dieser Mehraufwand ist in der Praxis leistbar. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass in diesem Bereich der Kriminalitätsbekämpfung Männer, Frauen und Gerichte arbeiten, die jahrzehntelange Erfahrungen haben. Diese werden die notwendigen Grundlagenermittlungen durchführen und Prognosen stellen, um Entscheidungen treffen zu können. Das gilt insbesondere für die Gerichte. Einer erfahrenen Strafkammer, die eine Entscheidung zu treffen hat, ist genau bekannt, welche Prognosen, Kautelen und Voraussetzungen sie dabei zu prüfen hat. Wie ich schon sagte: Das Gericht hat diesen Mehraufwand zu Recht bewusst in Kauf genommen, um einen der obersten Werte unserer Verfassung, nämlich die Menschenwürde, zu wahren. Die Menschenwürde ist der letzte schützbare Raum des Menschen im privaten, intimen Bereich. Hier ist die sonst übliche Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Strafverfolgung oder das Einbauen der einen oder anderen Kautele oder Öffnung absolut unzulässig. Von daher kann man das nur so regeln, wie wir das hier getan haben. Ich lade Sie - auch Sie, Frau Kollegin Raab, von der CDU/CSU-Fraktion - ein, mit uns gemeinsam im Rechtsausschuss zu beraten. Wir werden eine Anhörung durchführen. Sollten noch Verbesserungsvorschläge vorhanden sein, so hören wir sie uns gerne an. Den Gestaltungsspielraum, den uns das Gericht vorgeben hat, haben wir aber bis an die Grenzen ausgenutzt. Darüber hinaus wird es nichts geben können. Von daher meine ich, dass wir zügig zu einem Ergebnis kommen können. Somit könnten ab dem 1. Juli 2005 verfassungskonforme Regelungen in der Strafprozessordnung stehen, sodass wir die Geräte nicht abschalten müssen, weil es keine gesetzliche Regelung gibt. Vielen Dank. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Rainer Funke, FDP-Fraktion.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der Diskussion über die akustische Wohnraumüberwachung stehen wir vor der schwierigen Abwägung zwischen der Sicherung und Wahrung der Grundrechte der Bürger auf der einen Seite und der Freiheitsbedrohung durch die organisierte Kriminalität und deren Bekämpfung auf der anderen Seite. Unabdingbar war und ist es für die FDP, dass zum Schutz der Grundrechte der Bürger strenge rechtsstaatliche Kontrollen gewährleistet sein müssen. Vieles konnten wir in den parlamentarischen Verhandlungen im Jahre 1997 - Kollege Montag hat das bereits erwähnt erreichen, einiges ist am Widerstand der großen Koalition aus SPD und CDU/CSU gescheitert. Das ist den Grünen genauso ergangen. Für die FDP war immer wichtig, dass die Anordnung der Wohnraumüberwachung auf einer verfassungsfesten Grundlage beruht. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber klar und eindeutig aufgezeigt, welche Grenzen die Verfassung bei der Wohnraumüberwachung zieht. Die Verwunderung war daher sehr groß, Frau Ministerin, als das Bundesjustizministerium im Juni letzten Jahres einen ersten Referentenentwurf zur Umsetzung des Urteils vorgelegt hat. Darin wurden unter anderem die Überwachungsmöglichkeiten bei Personen, die ein Zeugnisverweigerungsrecht haben, verschärft. Im September letzten Jahres allerdings hat die Bundesregierung daraufhin einen neuen Entwurf vorgelegt. Hier ist anzuerkennen, dass sich das Bundesjustizministerium erstmals ernsthaft mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auseinander gesetzt hat. Der Entwurf bleibt jedoch kritikwürdig. An vielen Stellen werden im Gesetzentwurf unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln benutzt, die die Praktikabilität der novellierten Vorschriften in der Praxis äußerst schwierig gestalten werden. Eine Konkretisierung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ist im Gesetzentwurf an entscheidenden Stellen wenigstens bislang nicht vorgenommen worden. Da müssen wir in der Tat in den Beratungen nachbessern. ({0}) Eine aktuelle Studie des Max-Planck-Instituts kommt zu dem Ergebnis, dass die Praxis - das ist bereits erwähnt worden - ausgesprochen zurückhaltend und behutsam mit diesem Instrument umgeht. Für die FDP ist klar, dass die Regelungen in dem Gesetzentwurf nicht hinter die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurücktreten dürfen. Ich hoffe, dass sich die Bundesregierung dieser Auffassung anschließen wird. Die heutige Debatte gibt mir jedoch auch Gelegenheit, von der Bundesregierung erneut ein politisches Gesamtkonzept für alle Überwachungsmaßnahmen einzufordern. Die Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts zur akustischen Wohnraumüberwachung haben auch für andere Überwachungsmaßnahmen weit reichende Bedeutung. ({1}) Die FDP lehnt es daher ab, immer nur einzelne Ermächtigungsgrundlagen für Überwachungsmaßnahmen zu überarbeiten. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Erkenntnisse aus der Wissenschaft ist die Bundesregierung daher aufgefordert, ein schlüssiges Gesamtkonzept vorzulegen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/4533 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Axel E. Fischer ({0}), Katherina Reiche, Thomas Rachel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Energieforschung zukunftsfähig gestalten - Drucksache 15/4507 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({1}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Axel Fischer, CDU/CSU-Fraktion. ({2})

Axel E. Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht darum, Energieforschung zukunftsfähig zu gestalten. Das ist überaus wichtig; denn das, was die rotgrüne Bundesregierung im Bereich Energieforschung bisher vorgelegt hat, kann man weder als zukunftsfähig noch als nachhaltig bezeichnen. Wenn man es genau betrachtet, herrscht Fehlanzeige. Bis heute gibt es kein Energieforschungsprogramm. ({0}) Wer sich im Vorfeld dieser Debatte mit der Tagesordnung beschäftigt hat, war - das muss man ehrlich sagen - ein wenig irritiert; denn vor zwei Tagen hieß es noch, heute ständen zwei Anträge zur Debatte. Jetzt aber ist nur noch der Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion übrig geblieben; denn der Antrag „Nationales Energieforschungsprogramm vorlegen“, der von Rot-Grün vor Weihnachten eingebracht worden war, ist von der Tagesordnung genommen worden. An diesem Antrag von Rot-Grün war besonders interessant, dass dieser Antrag federführend im Wirtschaftsausschuss behandelt werden sollte. Ich frage mich schon, warum ein solches Forschungsthema nicht im Forschungsausschuss federführend behandelt werden soll, sondern im Wirtschaftsausschuss. Da hat die Bundesforschungsministerin - das muss man klar sagen - auf ganzer Linie versagt. Diese Kritik möchten wir hier ganz deutlich anbringen. ({1}) Frau Bulmahn scheint sich mehr in Bildungsdiskussionen zu gefallen, als sich um das Thema Forschung, das ihr zusteht, zu kümmern. Sie regiert lieber in die Kompetenz von Bundesländern hinein, als das zu tun, was ihre Aufgabe im Ministerium ist, nämlich ein entsprechendes Programm zu erarbeiten. Das ist keine angemessene Forschungspolitik. Die Ministerin sollte sich einmal überlegen, was eigentlich ihre Aufgaben sind. Mit diesem Antrag von Rot-Grün, der eigentlich auch im Ausschuss für Bildung und Forschung am Mittwoch hätte beraten werden sollen, dann aber kurzfristig von der Tagesordnung abgesetzt wurde, verhält es sich wie mit der aktuellen Netzstudie der dena. Da gab es in den letzten Tagen ebenfalls bemerkenswerte Vorgänge. Die dena ist ein Institut, das zur Hälfte von der Bundesregierung getragen wird. Dieses Institut hat eine Studie über die weitere Nutzung der Windenergie erstellt, die am vergangenen Mittwoch hätte veröffentlicht werden sollen. Da die Medien in diesem Zusammenhang von schier unglaublichen Kosten sprechen, die der weitere Ausbau der Windenergie mit sich bringen soll, muss man die Frage stellen, was eigentlich in dieser Studie steht. Laut Aussage der Medien sei in der Studie die Rede von Anschlusskosten in Höhe von 15 Milliarden Euro für Offshore-Windkraftprojekte in Nord- und Ostsee, von weiteren 3 Milliarden Euro Investitionen für den windkraftbedingten Netzausbau und erheblichen Zusatzkosten durch die notwendige Vorhaltung einer wachsenden Zahl von Ersatzkraftwerken. Bundeswirtschaftsminister Clement spricht dieser Tage von einer erwarteten Einspeisevergütung von 5,4 Milliarden Euro, die ab 2015 jährlich hinzukomme. Im Gegensatz dazu spricht die energiepolitische Sprecherin der Grünen, Frau Hustedt, von 1,15 Milliarden Euro Kosten für den Netzausbau, Regel- und Reserveenergie bis 2015 und kritisiert die Äußerung von Bundesminister Clement. Sie sagt, die Angabe über die Einspeisevergütung von 5,4 Milliarden Euro sei zu hoch, so viel werde es nicht sein. Was stimmt denn nun eigentlich? Es ist richtig, dass der Kollege Feibel die Frage an die Bundesregierung gestellt hat. Wir brauchen Aufklärung und müssen wissen, was hier passiert; denn nur mit klaren Zahlen können wir offen vor die Wählerinnen und Wähler treten. Sie sind es, die im Endeffekt für die Politik, die Sie hier machen, bezahlen müssen. Es gibt also in diesem Bereich ohne Zweifel Forschungsbedarf. Die Energieforschung in Deutschland war in der Vergangenheit ein tragender Grundpfeiler für eine zukunftsgerichtete und zukunftsverträgliche Energiepolitik in Deutschland. ({2}) Wichtige Beiträge zum Aufbau, Betrieb und zur Fortentwicklung eines sicheren und kostengünstigen Systems der Energieversorgung sind dringend notwendig. Von dem, was bisher geleistet wurde, zehren wir noch heute, wie übrigens in vielen anderen Forschungsbereichen auch. Wir sind aber schlecht für die Zukunft gewappnet. Axel E. Fischer ({3}) Die Qualität der Energieforschung in Deutschland ist in ernster Gefahr. ({4}) Die Mittel für die Energieforschung des Bundes sinken von 700 Millionen Euro im Jahr 1991 auf etwa 400 Millionen Euro im Jahr 2004. Das ist weniger als die humanitäre Hilfe, die der Bundeskanzler jetzt den Tsunamiopfern zugesagt hat. ({5}) Das ist zudem weit weniger als die 2 200 Millionen Euro, die die Verbraucher mit ihrer Stromrechnung im Jahr 2004 zusätzlich für so genannten Ökostrom zahlen mussten. Zukunftsträchtige Forschungsbereiche werden von Ihnen gezielt ausgedünnt und viel versprechende Entwicklungen abgewürgt. ({6}) Meine Feststellung ist: Diese Entwicklung darf so nicht weitergehen. ({7}) Wir haben derzeit ein grobes Missverhältnis zwischen Forschungsförderung und Markteinführung. Sie sagen, wie wichtig Wissenschaft und Forschung seien, fördern jedoch den Einsatz unrentabler Techniken um ein Mehrfaches stärker als die Forschung zur Verbesserung dieser Techniken. Impulse in der Grundlagenforschung fehlen. Stattdessen setzen Sie auf Markteinführung. Ein Beispiel ist die Förderung der Einführung erneuerbarer Energien. Die Gesamtkosten steigen stark, ohne riesige Subventionen sind sie auf absehbare Zeit nicht marktfähig und mit der geplanten Verteuerung der Energieversorgung durch die Erstellung und den Betrieb unrentabler Anlagen wird von Ihnen gezielt Wohlstand vernichtet. ({8}) Wenn bei einem Auto, das fährt, die Handbremse angezogen wird, braucht man sich nicht zu wundern, wenn die Bremse heiß wird und der Motor zu stottern anfängt. So sieht es aus, meine Damen und Herren. Die langfristige Wirkung dieser Politik ist eine Schädigung der Volkswirtschaft in unserem Land. Gleichzeitig erklärt Umweltminister Trittin, bei der Fotovoltaik fehlten immer noch Entsorgungskonzepte. Was soll denn mit den defekten Solarkollektoren passieren? ({9}) Wo sollen diese entsorgt werden? Auch dafür haben Sie kein Konzept, predigen aber ständig die angeblich umweltfreundliche Energie, ohne dass bisher untersucht wurde, welcher Forschungsbedarf besteht. Auch in diesem Bereich ist Forschung dringend notwendig. ({10}) Bundesumweltminister Trittin mag durchaus Recht gehabt haben, als er am vergangenen Wochenende festgestellt hat: Die Fotovoltaik kann in Regionen ohne Stromnetz schon heute mit Dieselaggregaten konkurrieren. ({11}) Aber in Deutschland gibt es nun einmal ein Stromnetz. Bei unserem bestehenden Stromnetz ist die Fotovoltaik eben nicht rentabel und konkurrenzfähig. Bei Taschenrechnern ist das etwas anderes. Würden die Milliarden in die Forschung statt in die Markteinführung fließen, dann würde das dazu beitragen, dass wir in diesem Bereich entsprechend vorankommen. ({12}) Heute aber werden dank Rot-Grün Investitionen in erkennbar unrentable Anlagen gefördert, in denen auf Jahrzehnte hin das Geld von Stromkunden und Steuerzahlern verbrannt und damit Wohlstand und Volksvermögen vernichtet wird. Ein anderes Beispiel ist die Kernenergie. Die Bedeutung der Kernkraft nimmt weltweit zu. ({13}) Mehr als 30 Kernkraftwerke sind in Bau. Weltweit ist ein Vielfaches davon projektiert. Länder wie China und Südafrika entwickeln in Deutschland stillgelegte Reaktortypen weiter ({14}) und werden diese Reaktoren betreiben und verkaufen. Rot-Grün aber vermittelt ein völlig anderes Bild und vernebelt die Realitäten. Aber es ist eine Tatsache: Die Kernenergie ist weltweit auf dem Vormarsch, auch wenn Ihnen das nicht passen mag. ({15}) Mit dem rot-grünen Ausstieg aus der Kernenergie und der Kernforschung ist es wie mit dem Fahrer auf der Autobahn, der im Radio hört: „Auf der Autobahn kommt Ihnen ein Falschfahrer entgegen. Fahren Sie äußerst rechts und überholen Sie nicht! Wir melden uns, wenn die Gefahr vorüber ist.“ Daraufhin sagt sich der Autofahrer: „Einer? - Tausende!“ ({16}) Ähnlich ist es mit Ihrer Politik, meine Damen und Herren! Axel E. Fischer ({17}) Wie sieht es aktuell in Deutschland aus? In der Sicherheitsforschung war Deutschland früher führend. Der europäische Druckwasserreaktor wird ständig weiterentwickelt und verbessert. Mit dem ITER entwickeln Staaten der EU gemeinsam mit den Vereinigten Staaten von Amerika, Russland, Südkorea, Japan und China einen Kernfusionsreaktor, der im Erfolgsfall sicher verfügbaren Strom an praktisch jedem Ort der Erde erschwinglich machen wird. ({18}) Mit der industriellen Umsetzung der Transmutation wird die Voraussetzung geschaffen, die hoch strahlenden radioaktiven Abfälle bzw. Kernwaffenplutonium zur Stromproduktion zu nutzen. Das Ergebnis sind kurzlebige Spaltprodukte. Das würde in Fragen der Entsorgung radioaktiven Abfalls völlig neue Perspektiven bieten. ({19}) Die Endlagerproblematik würde entsprechend entschärft. Aber dieser Bereich wird von Ihnen stiefmütterlich behandelt. ({20}) In all diesen Bereichen zeichnen sich viel versprechende Entwicklungen ab, an denen sich deutsche Forscher und die Forschung in Deutschland beteiligen sollten. Der Forschungsstandort Deutschland - in der Kerntechnik einst führend - soll hierbei jedoch nach dem Willen von Rot-Grün außen vor bleiben. Sie wollen aus rational nicht nachvollziehbaren, rein ideologischen Gründen nach dem Ausstiegsbeschluss hinsichtlich der Stromproduktion in Kernkraftwerken auch noch aus der Kernforschung aussteigen. Das ist eine einäugige Politik, die wir so nicht mittragen. ({21}) Was sind nun die Ziele einer zukunftsweisenden Energieforschung? Wir müssen eine schlüssige Perspektive für die langfristige Energieversorgung in Deutschland eröffnen. Wir müssen den Zielen der Versorgungssicherheit, der Wirtschaftlichkeit, der Kostengünstigkeit und der Umweltverträglichkeit gleichermaßen Rechnung tragen. Für zukünftige Generationen brauchen wir deshalb Know-how in allen Bereichen. Wir brauchen keine Denkverbote, sondern Freiheit der Forschung. Das muss zu unserer Maxime in diesem Bereich werden. ({22}) Angesichts der Unübersichtlichkeit und der offenkundigen Abstimmungsprobleme zwischen den Ministerien auf Bundesebene wäre die Bündelung der Kompetenzen in einem Ministerium von entscheidender Bedeutung. Energieforschung aus einer Hand! Deshalb fordere ich - genauso wie in unserem Antrag -, die Energieforschung beim Bundesministerium für Bildung und Forschung anzusiedeln. Dorthin gehört sie. ({23}) Wir brauchen wieder Verlässlichkeit und eine positive Sicht des technischen Fortschritts. Wir brauchen eine Chancendebatte und keine Risikodebatte in unserem Land. Nicht 0 : 0 spielen, sondern siegen wollen, das muss unsere Maxime sein. Das ist eine notwendige Voraussetzung für motivierte junge Wissenschaftler und Forscher in Deutschland, die die Grundlagen für unseren Wohlstand von morgen legen. Herzlichen Dank. ({24})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Dr. Axel Berg, SPD-Fraktion.

Dr. Axel Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003036, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Der CDU/CSUAntrag, über den wir heute diskutieren, beinhaltet einige Feststellungen, mit denen meine Fraktion durchaus übereinstimmt. Lieber Axel Fischer, was ich aber nicht ganz verstanden habe, ist, warum Sie so viel über die Netzausbaustudie der dena gesprochen haben. Das ist zwar ein wichtiges Thema. Aber nun geht es um die Forschung. Sie haben ein bisschen wenig zu dem Antrag Ihrer Fraktion gesagt. Insofern fällt es mir nicht leicht, auf Ihre Ausführungen einzugehen. Wir freuen uns jedenfalls, dass viele Erkenntnisse zu Ihnen durchgedrungen sind, zum Beispiel - ich zitiere aus Ihrem Antrag - dass die „energetischen Ressourcen knapp sind“, dass die „Energieforschung in besonderer Weise überlebenswichtig“ für Deutschland ist und dass die „erneuerbaren Energien einen zunehmend wichtigen Beitrag leisten“ sollten. Solche Aussagen kann ich voll und ganz unterstützen. Aber mit dem Erkenntnisgewinn allein ist es noch nicht getan. Wir müssen auch die richtigen Schlussfolgerungen aus den Erkenntnissen ziehen. Hier hapert es bei Ihnen noch ein bisschen. Wie Sie eben zu Recht ausgeführt haben - so steht es auch in Ihrem Antrag -, wollen Sie bei der für Deutschland überlebenswichtigen Energieforschung die Schwerpunkte auf Kernfusion und Kernenergie legen. Sie scheinen Folgendes vergessen zu haben: Trotz 50-jähriger Forschung liegt der Energieversorgungsbeitrag der Kernfusion heute bei 0 Prozent. Zum Thema Kernenergie muss ich Ihnen ebenfalls mitteilen, dass in Deutschland die Stilllegung aller Kernkraftwerke beschlossen wurde, und zwar aus mehreren guten Gründen. Wir wissen nicht, wohin mit dem atomaren Abfall. ({0}) Es gibt nach wie vor noch kein Konzept dafür. Außerdem sind diese Technologien schlichtweg zu teuer. Aus guten Gründen gibt es in der Bevölkerung keinerlei Akzeptanz für ihren Einsatz. Letztlich sprechen noch sicherheitspolitische Gründe dagegen. Seit dem 11. September 2001 ist uns die Gefahr zunehmend bewusst geworden, dass Kernkraftwerke zum Ziel terroristischer Anschläge werden können. Dagegen können wir nichts, aber auch gar nichts tun. Sie mogeln sich ebenfalls um die Beantwortung der Frage nach der Finanzierbarkeit herum. Natürlich wäre es prima, flächendeckend Forschung in allen Bereichen zu betreiben. Doch den Goldesel, der das alles bezahlen soll, haben wir trotz aller Forschung bisher noch nicht züchten können. Insbesondere gilt das für die Kerntechnik. Nach meinem Wissen ist das Verhältnis von Forschungsaufwand zu Energieausbeute auf keinem Gebiet so schlecht wie bei der Atomkraft. Wir müssen sicherlich Schwerpunkte bei der Forschung setzen. Diese dürfen - jedenfalls nach meiner Auffassung - aber nicht auf der Kernfusions- und der Kernenergieforschung liegen. In Deutschland müssen wir Entscheidungen zugunsten bestimmter Forschungsfelder fällen, die sich an unserer langfristigen Energiepolitik orientieren. Priorität sollten dabei die Felder erhalten, die die größten Chancen haben, Innovationen von morgen zu liefern, und die als Wachstumstreiber neue Beschäftigung schaffen. Doch Entschlusskraft bei der Prioritätensetzung vermisse ich leider bei der Union. Sie wollen gerne, dass überall ein bisschen geforscht wird. Ich fürchte, dass uns das letztlich gar nichts bringen wird. In Ihrem Antrag fordern Sie mehr Versorgungssicherheit durch „die Entwicklung hin zu einer dezentralen Energieversorgung“. Aber „die heutige Struktur der Stromversorgung mit Großkraftwerken“ soll erhalten bleiben. Was wollen Sie denn nun? Entscheiden Sie sich doch, ob Sie eine dezentrale oder eine zentrale Stromversorgung wollen. Wie heißt es so schön: Ein entschlossener Mensch kann mit einem Schraubenschlüssel mehr anfangen als ein unentschlossener mit einem ganzen Werkzeugladen. Unser Ziel ist eine am Leitbild der Nachhaltigkeit ausgerichtete, qualitativ hochwertige und umweltverträgliche Energieversorgung. Das erfordert den Einsatz modernster Technologien und natürlich den Ausbau der erneuerbaren Energien. Deutschland ist heute Europas führender Energiestandort in Bezug auf Produktion, Verbrauch und Technologie. Nur mit Spitzenleistungen bei Forschung, Entwicklung und modernsten Energieerzeugungsanlagen wird der Energie- und Industriestandort Deutschland auch weiterhin für hochwertige Dienstleistungen und Produkte international attraktiv und wettbewerbsfähig bleiben. ({1}) Das gilt für die Versorgung in unserem Land genauso wie für den Export. Was brauchen wir dafür? Ich denke, wir brauchen dafür eine optimierte Verknüpfung von privater und öffentlicher Forschung und Entwicklung. Lasst uns bitte auch den Wettbewerb zwischen den Forschungseinrichtungen stärken! Das Ringen um die besten Konzepte und die besten Ergebnisse ist mir noch zu wenig ausgeprägt. Große Fortschritte werden wir nur dann erzielen, wenn das entscheidende Kriterium für die Mittelvergabe die Qualität der Forschung ist. Gut fände ich eine Mittelzuteilung nach Exzellenzen. Wer exzellent forscht, bekommt mehr Mittel und umgekehrt. Die reine Grundlagenforschung müssen wir davon natürlich ausnehmen. Aber lasst uns das Einstein-Jahr als Auftakt für die Änderung mancher Spielregeln nehmen! ({2}) Des Weiteren brauchen wir Markteinführungs- und Modernisierungsanreize. Damit stärken wir wieder die Innovationseffizienz. Damit schaffen wir Wertschöpfung, Investitionen und Beschäftigung in Deutschland. Durch die Liberalisierung ist der Wettbewerbsdruck bereits angestiegen. Deutschland steht unter Handlungsdruck. Da geht es uns nicht viel anders als unseren Nachbarn in der Europäischen Union. Rund 80 Prozent aller Kraftwerke in Europa sind älter als 30 Jahre. Man nimmt an, dass ab 2010 der europaweite Neubaubedarf eine Größenordnung von rund 200 000 Megawatt haben wird. Das ist ungefähr das Doppelte des derzeitigen deutschen Kraftwerkbestandes. Weltweit wird die nachholende Industrialisierung der Entwicklungsländer und der Schwellenländer zu einer ordentlichen Steigerung der Nachfrage nach sicherer, nach umweltverträglicher und nach bezahlbarer Energie führen. Diese Entwicklungen sehen wir alle ganz deutlich in China und in Indien. Der Energiehunger ist enorm und er wird noch steigen. Wir müssen also ohnehin investieren. Bei diesen ohnehin notwendigen Investitionen in Deutschland und im internationalen Kraftwerkspark ergeben sich riesige Chancen, auch für den Klimaschutz. Wir wollen eine Initiative „Hightech für Effizienz und erneuerbare Energien“, deren Früchte wir natürlich auch beim Export ernten werden. Mir ist der Punkt wichtig, wie wir die Ergebnisse bei Forschung und Entwicklung zeitnah in ganz konkrete Investitionsvorhaben umsetzen. Dabei müssen wir Potenziale ausschöpfen, aber auch politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen berücksichtigen. Als Stichworte nenne ich: Emissionshandel, Regulierung, Finanzierung in Bezug auf Binnenmarkt und Steuern. All das müssen wir zusammenbringen. Das Ziel dabei sollte sein: die Stärkung der deutschen Kompetenz im Anlagenbau, bei Forschung und Entwicklung sowie bei IT im Sinne eines Forschungsverbundes. Lasst uns die Komponenten Anlagenbau, Systemtechnik und Netzintegration zusammenführen! Das Erringen der Marktführerschaft auf dem Gebiet der fossilen Kraftwerke bildet die Grundlage für einen hohen deutschen Wertschöpfungsanteil. Was die Modernisierung von deutschen, aber auch von ausländischen Kraftwerken, insbesondere ab 2010, angeht: Pro Kraftwerksblock - nehmen wir einmal, Pi mal Daumen, einen Wert von 600 Megawatt an - können Modernisierungsmaßnahmen im Anlagenbau inklusive Zulieferer, Ingenieure etc. einen Beschäftigungseffekt von über 6 000 Arbeitsplätzen ausmachen. Das ist doch etwas. Hinzu kommt der substanzielle Klimaschutzeffekt. Allein die konsequente Umsetzung auf der Grundlage des heutigen Standes der Technik und eine Steigerung der Effizienz bei deutschen Kraftwerken von 35 Prozent auf 47 Prozent könnte eine Kohlendioxidreduzierung von 2,5 Milliarden Tonnen bis 2020 möglich machen. Das bedeutete bis 2020 eine CO2-Reduktion von 40 Prozent und entspräche damit den Zielen der „Energieagenda 2010“. Wir müssen die Energieforschungsmittel also verstärkt in Technologieforschung auf dem Erneuerbare-Energien-Sektor und in den Sektor der Effizienztechnologien umleiten und die Ergebnisse müssen wir auch den mittelständischen Unternehmen zugänglich machen. ({3}) Public-Private-Partnership-Modelle sind bei diesen Forschungsprojekten unter Beteiligung der Industrie besonders zu fördern. Deswegen schließe ich mich Ihrer Forderung nach einem nationalen ressortübergreifenden Energieforschungsprogramm an. Wir wissen, dass die Zeit des preiswerten, stets verfügbaren Erdöls zu Ende geht. Wir müssen jetzt die Weichen für eine positive wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland stellen. Die Energieforschung gehört genauso wie die Bildungs- und die Wissenschaftspolitik insgesamt zu den Grundpfeilern unserer Vorsorge. ({4}) Inhalte eines solchen Programms müssen sein: Die Verringerung des Energiebedarfs ist anzustreben. Die Effizienz muss mindestens um den Faktor 4 erhöht werden. Erneuerbare Energien und Effizienztechnologien sollten höchste Priorität haben - bei der Grundlagen- und bei der Projektforschung. Die Zusammenarbeit der Forschungseinrichtungen mit dem Forschungsverbund Sonnenenergie und anderen Wissenschaftsbereichen, die etwas mit Energie zu tun haben, muss besser vernetzt werden. Außerdem müssen wir natürlich an die Speichertechnologien denken. Sie sind in Deutschland bisher etwas stiefmütterlich behandelt worden, was auch verständlich ist. Man hat ja kein Problem, Kohle oder Erdöl jahrelang zu lagern; es funktioniert danach genauso gut wie vorher. Aber die Energiespeicherung in dezentralen Systemen und die Mehrfachverwertung von Energie müssen wir jetzt richtig angehen. Wir haben hier Potenziale von bisher nicht vorstellbaren Quellen. Denken Sie an Geothermie! Denken Sie an die Meere, die Wellen-, Strömungs- und Gezeitenkraftwerke! Es gibt viele spannende und schöne Sachen. Ich denke auch an die biogenen Kraftstoffe. Die Großforschungseinrichtungen müssen - auch das ist noch ein sehr wichtiger Punkt - in Zukunft ihre Schwerpunkte verlagern. ({5}) Durch die Aufstockung der Mittel gemäß der LissabonStrategie müsste das locker zu machen sein. Wir haben unseren Antrag mit dem Titel „Nationales Energieforschungsprogramm vorlegen“ im letzten Dezember eingebracht. Nach der politischen Dynamik und auch marketingtechnisch ist es verständlich, dass Sie von der CDU/CSU einen eigenen Antrag vorlegen müssen. ({6}) - Lieber Axel Fischer, Ihre Aufregung darüber, dass heute nicht über den SPD-Antrag beraten wird, ist etwas künstlich. In der sich anschließenden Beratung wird Ihr Antrag einbezogen. In der zweiten und dritten Lesung werden die beiden Anträge gemeinsam behandelt. Vielleicht ist das auch wieder einmal eine Chance, von den üblichen Ritualen entsprechend den herrschenden Mehrheiten abzugehen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Ende kommen.

Dr. Axel Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003036, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke. Ich komme zu meinem letzten Satz. - Nach den üblichen Ritualen kommt im Zweifelsfall natürlich unser Antrag durch. Deswegen - das wirklich als letzten Satz - bitte ich Ihre Energiepolitiker und Forschungspolitiker, die wirklich eine konstruktive Arbeitshaltung haben, ihre Vorstellungen einfach in unseren Antrag einzubringen. Es gibt jede Menge Überschneidungen - außer halt bei der Atomkraft. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Hellmut Königshaus, FDPFraktion.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Tat, es gibt viele Überschneidungen - das kann man immer wieder feststellen -, es gibt aber auch viele Unterschiede. Wir haben beispielsweise schon 2003 die Bundesregierung aufgefordert - insofern stimmen wir, glaube ich, mit der CDU/CSU überein -, uns doch endlich einmal ein aktualisiertes Energieforschungsprogramm vorzulegen. Da müssen nicht immer nur die Fraktionen tätig werden; wir haben auch eine Bundesregierung. Eine solche Aktualisierung haben wir immer noch nicht. Obwohl der Bundesregierung eine riesige Schar von Experten im eigenen Apparat sowie auch von vermeintlichen und tatsächlichen Experten aus ihrem politischen Milieu zur Verfügung steht, ist dazu bisher noch nichts gekommen. Alle Ihre Redner tun immer so, als könne man Ihre Parteitagsbeschlüsse eins zu eins umsetzen. Was ist denn nun? Wann kommen Sie da endlich aus dem Knick? Muss die Opposition alles machen ({0}) oder können wir damit rechnen, dass hier auch einmal die Bundesregierung aktiv wird? ({1}) Es geht hierbei schließlich um eine existenzielle Frage für unser Land; denn wir brauchen wirklich neue Energien. Das meine ich jetzt ausnahmsweise einmal ({2}) - auf Sie komme ich gleich zu sprechen - nicht nur im übertragenen Sinn. Energieforschung ist wirklich eine der entscheidenden Herausforderungen unserer Zeit. Noch, trotz der rotgrünen Eskapaden, besitzt Deutschland die Fähigkeiten, die wirtschaftliche Kraft sowie das wissenschaftliche und technische Potenzial, sich den künftigen Herausforderungen und insbesondere der eben schon angesprochenen Verknappung der herkömmlichen Energieträger zu stellen. Aber Sie müssen die Mittel dann natürlich auch zielgerichtet dafür einsetzen. Heute importieren wir bereits über zwei Drittel der Primärenergie und wir befinden uns demzufolge in einer extremen wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeit von anderen. Diese Abhängigkeit - das ist völlig klar wird sich noch weiter verschärfen. ({3}) - Ich gehe gleich auf Sie ein. Für Deutschland steht also sehr viel auf dem Spiel. Wir müssen deshalb bei der Lösung der energiepolitischen Aufgaben ohne ideologische Scheuklappen, dafür mit Verlässlichkeit und Berechenbarkeit vorangehen. ({4}) Rot-Grün tut das, wie wir wissen, nicht. ({5}) Wir reden über die Energieforschung. In der Lehre muss aber ebenfalls Kontinuität gewahrt bleiben; auch das passiert nur zu selten. Denn auch dort, wo es Ihnen nicht in den Kram passt, müssen wir weiterforschen, etwa in der Kernforschung. Ich meine - das habe ich auch in Ihren Beiträgen gehört -, dass es nach wie vor eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen, den Forschungsinstituten und der Wirtschaft in der Energieforschung gibt. Diese müssen wir stärken. 70 Prozent der Forschung werden von der Wirtschaft getragen. Die Wirtschaft braucht aber eine zeitnahe Amortisation; sie kann nicht einfach in die Welt hineinforschen. Sie braucht Verlässlichkeit. Wir können die Rahmenbedingungen nicht beliebig verändern, wie wir das in der Vergangenheit immer wieder erleben mussten. Die Wirtschaft braucht die Möglichkeit, die Ergebnisse ihrer Energieforschung rascher aufzunehmen und umzusetzen. Wir können der Wirtschaft nicht den Schwung nehmen, indem wir sie Ihren grünen Parteitagsbeschlüssen ausliefern. Dabei kommt insbesondere der Weiterentwicklung der konventionellen Kraftwerkstechnik eine entscheidende Bedeutung zu. Sie führen uns regelmäßig die Windenergie vor. 1 000 Windenergieanlagen könnten wir ersetzen, wenn der Wirkungsgrad der herkömmlichen Kraftwerke um 1 Prozent erhöht würde. ({6}) Das ist der entscheidende Weg. Dass Sie ihn nicht gehen wollen, verstehen wir, seit wir wissen, wie in SchleswigHolstein der Windenergieverband argumentiert und sich verhält. Sie haben es gerade nötig, mit dem Finger auf andere zu zeigen. ({7}) Schon heute zeigt sich zudem, dass der Abschied von der Kernenergie als nationaler Alleingang ein Irrweg ist. Sie müssten zumindest für die Sicherheitsforschung in den bestehenden Kraftwerken eintreten. Sie können doch nicht einfach alles abbrechen. ({8}) - Natürlich tun Sie das. ({9}) - Nein, ich höre nicht auf. Auch wenn Sie es nicht gerne hören, müssen wir es Ihnen sagen. Die Bundesregierung geht einen sehr gefährlichen Weg der Abkopplung, den wir uns international überhaupt nicht leisten können. Wir sind jedoch nicht so einseitig wie Sie. Wir haben nie gesagt, dass alles, was Sie machen, falsch sei. Unbestreitbar spielen die erneuerbaren Energien im Gesamtkontext eine bedeutende Rolle. Das wollen wir überhaupt nicht in Abrede stellen. ({10}) Aber sie müssen für einen breiten Einsatz in ein Gesamtkonzept eingebunden sein, insbesondere bei den Energiespeichertechnologien oder beim Wasserstoff. ({11}) Wir wollen zu rationellen Energieübertragungstechnologien kommen. Wir wissen, dass das viel Geld kostet. Wir müssen dieses Geld aber aufbringen, weil uns Sparsamkeit am falschen Ende nach aller Erfahrung teurer zu stehen kommt. Deshalb wollen wir mit Ihnen zusammenarbeiten. Schließlich handelt es sich um Zukunftsinvestitionen in den Standort Deutschland. Wir sind zur Kooperation bereit. Ich danke Ihnen. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Hans-Josef Fell, Bündnis 90/Die Grünen.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will ein paar Worte zu Herrn Fischer sagen. Ein großer Teil Ihrer Rede hat das Thema verfehlt; ({0}) denn wir reden heute über Energieforschung und nicht über Markteinführung, über dena-Studien oder sonst etwas. Ich denke, es hätte Ihnen gut getan, wenn Sie sich darauf konzentriert hätten. Dass Sie die Energieforschungsmittel, die auch aus unserer Sicht zu gering angesetzt sind, mit den Mitteln aufrechnen, die wir als Soforthilfe für die Tsunamiopfer zur Verfügung stellen ({1}) - Sie haben das in Ihrer Rede aufgerechnet -, ist für mich ganz schlimm; denn die Opfer brauchen diese Mittel ganz dringend, und zwar unabhängig davon, wie hoch die Mittel für die Energieforschung sind. Ich muss schon sagen: Das hat mich sehr entsetzt. ({2}) Energie - da stimme ich all meinen Vorrednern zu, ausdrücklich auch denen von der Opposition - ist das Fundament der Weltwirtschaft. 80 Prozent unserer Energie wird aus fossilen und atomaren Ressourcen erzeugt. Dabei muss man wissen, dass dieses Fundament der Weltwirtschaft und das Fundament für unseren Wohlstand selbst die größte Bedrohung für unseren Wohlstand und die Weltwirtschaft darstellt. Warum? Zum einen kommen 80 Prozent aller Klimagasemissionen aus der Verbrennung von Erdöl, Kohle und Erdgas. Wie stark die Klimaveränderungen in dieser Welt bereits unsere Wirtschaft und die Menschen bedrohen, das wissen wir seit einigen Jahren; denn seitdem nehmen die Schäden immer mehr zu. Das hat die Münchner Rück aufschlussreich zusammengestellt. Zum anderen müssen wir feststellen, dass dieses Energiesystem zu fast 90 Prozent auf begrenzten und zur Neige gehenden Ressourcen, einschließlich der atomaren, begründet ist. Dies muss uns doch noch mehr erschrecken. Es stellt sich nicht nur, Herr Königshaus, die Frage, ob Energie aus anderen Ländern geliefert werden kann. Es ist auch die Frage zu stellen, ob in anderen Ländern genügend Energie zur Deckung des Weltenergiebedarfs erzeugt werden kann. Genau dies ist bei einem Rückgriff auf fossile und atomare Ressourcen nicht der Fall. Die neuesten Studien des Geologennetzwerks der Association for the Study of Peak Oil and Gas zeigen uns auf, dass unsere Energieversorgung in den nächsten Jahren in eine Krise kommen wird, insbesondere hinsichtlich Erdöl, aber auch Erdgas. Diese Gefährdung der Energieversorgungssicherheit müssen wir doch viel ernster nehmen, als es in dem Antrag der Union der Fall ist, der ausschließlich vom Tenor getragen ist: Lasst uns bei der Energieforschung so weitermachen wie bisher. Sie setzen damit auf alte Verfahren, für die die Ressourcen nicht ausreichen und die uns viele Probleme bereiten. ({3}) Sie sprechen hauptsächlich von Kernenergie und von fossilen Energien. ({4}) Erneuerbare Energien spielen für Sie nur eine ganz kleine Rolle. Den Aspekt der Energieeinsparung haben Sie übrigens völlig vergessen. Das ist nicht unsere Intention in Bezug auf den Umgang mit Energie. Auch die Energieforschung muss sich anderen Gebieten zuwenden. Es reicht nicht alleine ein Beharren auf der Kernenergie. Das wird schon deutlich, wenn man sich anschaut, wie viele Mittel für die Kernenergieforschung ausgegeben wurden. Mein Kollege Axel Berg ist schon darauf eingegangen. Ich will Ihnen aber die Zahlen noch einmal genau nennen: In den letzten 50 Jahren wurden in der gesamten OECD etwa 80 Prozent aller Mittel für Energieforschung für die Erforschung von Kernspaltung und Kernfusion ausgegeben. Herausgekommen ist dabei ein minimales Ergebnis: Nur 5 Prozent des Weltenergiebedarfs werden so gedeckt. Dieses stellt also den größten Forschungsflop der Welt dar; dem hohen Aufwand an Forschungsmitteln steht ein beschämendes Ergebnis gegenüber. ({5}) Dabei müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass mithilfe der Kernfusion, in die riesige Geldbeträge gesteckt wurden, noch nicht eine einzige Kilowattstunde Strom erzeugt wurde und auch in den nächsten 50 Jahren kein entsprechender Reaktor zu erwarten ist. ({6}) Man redet davon, dass man den ITER implementieren will. 7 Milliarden Euro Forschungsgelder sollen allein in den Bau gesteckt werden. Aber auch dann werden wir erst in 30 Jahren wissen, ob wir in 50 Jahren einen entsprechenden Reaktor zur Stromerzeugung bauen können. Ich halte solche Pläne für absurd. Wir müssen also die Mittel konzentrieren. Vor diesem Hintergrund will ich etwas zur Kohleforschung sagen. Das CO2-freie Kohlekraftwerk rückt ja immer mehr in den Blick. Von der Kohleindustrie werden große Geldbeträge für die Forschung daran angemahnt. Ich kann mich gut erinnern: Letzte Woche hat der Präsident des Worldwatch Institute, Christopher Flavin, angeregt, dass doch die Energiewirtschaft selbst, die in den letzten Jahrzehnten mit ihren Kohlekraftwerken Dutzende, wenn nicht Hunderte Milliarden Euro verdient hat und zugleich die Atmosphäre mit Kohlendioxid vollgepumpt hat, die Mittel für die Finanzierung der Forschung an der Clean-Coal-Technik aufbringen sollte. Ich halte diesen Vorschlag des Präsidenten des Worldwatch Institute für gut. Ich möchte noch einen Vorschlag unterbreiten. Wir sollten heute festlegen - das würde ich gerne mit dem Koalitionspartner diskutieren -, dass ab 2020 kein Kohlekraftwerk mehr CO2 emittieren darf. ({7}) Daraus würde sich eine enorme Dynamik für die Erforschung dieser Technologie ergeben. Dann werden wir sehen, ob sie sich am Markt etablieren kann und ob sie kostengünstig umgesetzt werden kann. Ich glaube aber, dass das nicht der Fall sein wird. Die Enquete-Kommission hat uns vorgerechnet, dass die Zusatzkosten für CO2-Sequestrierung zwischen 3,5 und 9 Cent im Jahr 2020 liegen werden. Diese Kosten kommen zu den Kosten der Stromerzeugung hinzu. Damit würden die CO2-freien Kohlekraftwerke höhere Stromerzeugungskosten haben, als sie heute bei einem großen Teil der erneuerbaren Energien anfallen. Dies kann nicht das Ziel sein. Ich denke, wir sollten uns - so wie wir das vorschlagen - auf erneuerbare Energien und Energieeinsparungen konzentrieren. Im Gegensatz zu den Aussagen von Herrn Axel Fischer ist klar: Hier hat die Bundesregierung bereits neue und effektive Maßnahmen ergriffen. Wir haben beispielsweise bei der solarthermischen Stromerzeugung, bei der Geothermie, bei der Wind- und Wasserkraft herausragende Erfolge zu verzeichnen, die jetzt in unternehmerisches Handeln umgesetzt werden. Auf diesem Weg werden wir weitermachen. Wir werden die Forschungsförderung im Bereich der Energieeinsparung und der erneuerbaren Energien weiter ausbauen. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003124, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Fell, Sie haben von dem Zusammenhang zwischen Wohlstand und Energie gesprochen. In der Tat zeigt die Wirtschaftsgeschichte: Der Aufstieg aller westlichen Industrienationen und der Wohlstand für alle sind immer von der Verfügbarkeit der Energie abhängig gewesen. Die Wirtschaftsmacht China ist ein Beispiel für eine Nation, die einen ungeheuren Energiebedarf hat. Die wichtigste Aufgabe der Energieforschung wird sein, Antworten auf die entscheidende Frage zu finden: Wie können wir die benötigte Energiemenge zur Verfügung stellen, ohne unsere Umwelt zu zerstören? ({0}) Wenn Sie diese Frage mithilfe der exzellenten deutschen Wissenschaftler beantworten wollen, dann müssen Sie optimale Rahmenbedingungen für ihre Arbeit schaffen. Sie von Rot-Grün machen aber genau das Gegenteil. Sie schaffen keine optimalen Rahmenbedingungen, sondern Sie zerstören sie. ({1}) Zum einen kürzen Sie in unverantwortlicher Weise die Forschungsmittel im Energiebereich. Zum anderen verengen Sie das Spektrum der Forschung, indem Sie bestimmte Bereiche von vornherein aus ideologischen Gründen ausblenden. Ich nenne beispielsweise die Kernenergie. ({2}) Sie sind mit dieser Politik dabei, deutsche wissenschaftliche Exzellenzen auf dem Gebiet der Kernenergie, der Sicherheitstechnik und im Bereich des Ingenieurwesens zu gefährden. Nachwuchsforscher verlassen dieses Land - ich sage das, lieber Herr Küster, weil Sie sich vorhin so echauffiert haben -, da sie unter der rot-grünen Regierung in ihrem Forschungsbereich Kernkraft keine Perspektive mehr sehen. ({3}) Sie zerstören damit das volkswirtschaftliche Gut Wissen und Sie schädigen damit das wissenschaftliche Potenzial dieses Landes in unverantwortlicher Weise. ({4}) Herr Berg, Sie haben vorhin Ihren Antrag vom Dezember erwähnt. Darin stellen Sie fest, dass Sie eine nachhaltige Energiegewinnung wollen. ({5}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({6}) Daneben wollen Sie eine größere Unabhängigkeit von den fossilen Energieträgern. Aber Sie ziehen die falschen Schlussfolgerungen. Wenn wir nämlich unabhängig von Öl oder Gas werden wollen, dann dürfen Sie die Kernenergie als alternative Energie zu Öl und Gas nicht ausblenden, sondern müssen sie in den Fokus Ihrer Betrachtungen stellen. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fell?

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003124, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber selbstverständlich.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Dr. Friedrich, Sie haben gesagt, dass die Wissenschaftler und auch die Unternehmen aus Deutschland abwandern würden, weil hier entsprechende Rahmenbedingungen nicht vorhanden wären. Ist Ihnen bekannt, dass in Garching bei München der große Weltkonzern General Electric ein neues Forschungszentrum in Deutschland aufgebaut hat? ({0}) Die Begründung dafür war, dass am Wirtschaftsstandort Deutschland - nicht am Wirtschaftsstandort Bayern die Forschungsaktivitäten herausragend sind und dass die rot-grüne Bundesregierung und das Parlament politische Rahmenbedingungen geschaffen haben, die das Fundament in der Energieforschung in Bezug auf erneuerbare Energien sind, worauf das Unternehmen seine Aktivitäten besonders konzentrieren will.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003124, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Fell, das ist der entscheidende Punkt. Nicht zufällig sind nämlich diese Unternehmer bzw. Investoren nach München gegangen. ({0}) Dort hat die Bayerische Staatsregierung das Thema Garching seit vielen Jahrzehnten zu einem Schwerpunkt der bayerischen Forschungspolitik gemacht. Es ist Bayern gewesen, das die Rahmenbedingungen in dieser Frage sehr exzellent herausgearbeitet hat. ({1}) Darauf sind wir - das sage ich hier als Bayer - stolz. ({2}) Ihre Politik hilft uns nicht weiter. Die Politik des Ausstiegs aus der Kernenergie, liebe Kollegen von RotGrün, macht uns abhängiger von Öl und Gas als jemals zuvor. Wir brauchen deshalb einen Energiemix, einen Mix aus allen Energieträgern, und eine Energieforschung, die innerhalb dieses Mix die Nutzung laufend verbessert und optimiert. Jetzt komme ich auf das Thema Nachhaltigkeit zu sprechen. Nachhaltig heißt, eine Balance zwischen ökologischer, ökonomischer und sozialer Tragfähigkeit herzustellen. Nicht umsonst haben diejenigen Länder in der Welt, die die größten ökonomischen Probleme haben, auch die größten ökologischen Probleme. Diesen Zusammenhang sollten Sie immer sehen. Deswegen ist die Politik von Rot-Grün seit 1998, die Energiepreise in Deutschland um 50 Prozent zu erhöhen, ein Irrweg. ({3}) Diese falsche Politik ist mit dafür verantwortlich, dass täglich Hunderte von Arbeitsplätzen im verarbeitenden Gewerbe ins Ausland verlagert werden. ({4}) Die Energieforschung muss die Wettbewerbsfähigkeit der Energieträger verbessern, selbstverständlich auch die der regenerativen Energien. Aber es ist ein Denkfehler, wenn Sie glauben, die Wettbewerbsfähigkeit der regenerativen Energien dadurch stärken zu müssen, dass Sie die anderen Energieträger sozusagen künstlich verteuern. Die Konsequenz ist nämlich, dass die Industrie und damit Arbeitsplätze aus unserem Land verschwinden und Sie in Deutschland sozusagen künstlich eine Energiekrise schaffen, von der wir wissen, dass sie die Konjunktur abwürgt und Möglichkeiten eines konjunkturellen Aufschwungs vernichtet. ({5}) Die Energieforschung findet - das ist vom Kollegen Berg angesprochen worden - auch in der Wirtschaft in großem Umfang statt, aber leider nicht mehr in dem Umfang, wie es noch vor zehn Jahren der Fall war. Wenn Sie Energieforschung wollen - das hat Kollege Königshaus angesprochen -, dann müssen Sie den Unternehmen die Möglichkeit geben, ihre Kapitalbasis zu verbreitern. Jede Entlastung der Unternehmen ermöglicht es ihnen, mehr - auch in die Energieforschung - zu investieren. ({6}) Deswegen appelliere ich an die Forschungspolitiker: Überlassen Sie die Umsetzung von Forschungsergebnissen den Unternehmen! Denn sie wissen am besten, wie man das, was in der Grundlagenforschung erarbeitet worden ist, in marktfähige Produkte umarbeitet. Dazu brauchen sie keine politischen Ratschläge. ({7}) Letzter Punkt. Es gibt in der Bevölkerung ein Grundbedürfnis nach individueller Mobilität. Das ist ein Stück Freiheit; das brauchen unsere Bürger. Die Energieforschung muss diesen Bereich schwerpunktmäßig einbeziehen; denn die Lebensqualität auch in den ländlichen Räumen in unserem Land hängt davon ab, wie wir diese Mobilitätsmöglichkeiten in der Zukunft absichern. Dr. Hans-Peter Friedrich ({8}) Es wäre gut, wenn wir als Land der Automobilindustrie unsere führende Rolle gerade in der Antriebstechnik behalten würden. Die Energieforschung ist einer der Schlüsselbereiche in der Forschungspolitik. Sie ist ökonomisch, ökologisch und sozial von größter Relevanz. Schaffen Sie in der Energieforschung endlich ein Klima der Vielfalt, der Freiheit, der Innovationen und der Offenheit nach allen Richtungen und hören Sie auf, rot-grüne Ideologie zum Maßstab für die Forschungspolitik in Deutschland zu machen! Nur so können Sie den weiteren Absturz dieses Landes verhindern. Danke schön. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Dieter Grasedieck, SPDFraktion. ({0})

Dieter Grasedieck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Friedrich, wir müssen aus dem Jammertal heraus. Das, was Sie hier dargestellt haben, ist nicht die Realität in Deutschland. ({0}) Ich muss Ihnen sagen: Ich habe manchmal das Gefühl, dass Sie Ihre eigenen Anträge nicht richtig durchlesen. Denn in vielen Bereichen stimmen wir - das muss man feststellen - absolut überein. In einem Kernbereich unterscheiden wir uns natürlich; aber in vielen Bereichen sind wir einer Meinung. Ich will gleich einige Punkte anführen. Herr Königshaus, Sie sprachen von der Sicherheit der Nuklearenergie. Schauen Sie sich doch einmal unseren Haushalt an! Die Bundesregierung fördert schon seit Jahren die Sicherheitsforschung im Bereich der Nuklearenergie, und zwar konstant mit rund 120 Millionen. Sie sollten sich unseren Haushalt einmal etwas genauer ansehen. Wir wollen eine zukunftsfähige und zukunftssichere Energieforschung, die in den kommenden Jahren verantwortungsvoll gestaltet werden kann. Sie fordern von der Bundesregierung mehr Geld für erneuerbare Energien. Wir stellen dafür schon seit 1998 mehr Mittel zur Verfügung und dies bauen wir immer weiter aus. Auch hier ist es wichtig, sich einmal den Haushalt etwas detaillierter anzusehen. ({1}) Sie stellen unter anderem fest - das ist ganz interessant -, dass die Förderung der erneuerbaren Energien zu mehr Arbeitsplätzen führt. Das ist eine völlig neue Erkenntnis seitens der CDU/CSU. ({2}) Schauen Sie sich einmal die Situation in diesem Bereich an! Seit 1998 haben wir eine Steigerung der Zahl der Arbeitsplätze zu verzeichnen. ({3}) - Sie können gleich eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie Lust haben. Das ist ja möglich. ({4}) 1998 gab es 60 000 qualifizierte Arbeitsplätze, heute sind es über 120 000 Arbeitsplätze im Bereich des Maschinenbaus und der Windenergie. Ich könnte noch andere Punkte aufführen. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie fordern auch mehr Forschungsmittel für Biomasse. Das wird bereits seit 1998 gemacht. Außerdem fordern Sie mehr Mittel für Kompetenznetzwerke. Wir fördern Kompetenznetzwerke bzw. Clusterbildungen bereits seit 2000 sehr intensiv. Wir legen Wert darauf, dass die Industrie mit den Universitäten und den Instituten zusammenarbeitet. 94 Clusterbildungen sind dort entstanden. Sie sehen also, dass die Bundesregierung viele Forderungen erfüllt hat. Ich kann nur sagen: Das ist späte CDU/CSU-Erkenntnis. Abschreiben ist wahrlich ein gutes Kompliment für die Politik der Koalition. Die CDU/CSU fordert allerdings auch mehr Forschungsmittel für den Bau von Kernkraftwerken. An dieser Stelle sagen wir: Nein, wir brauchen eine sichere und verantwortungsvolle Forschung. Herr Fischer, Sie haben Nachhaltigkeit in der Forschung gefordert. Ist es nachhaltig, wenn man weiß, dass es keine Lösung für die Endlagerung des radioaktiven Abfalls gibt? ({5}) Nein, wir glauben, dass unsere Kinder eine zukunftssichere und zukunftsfähige Energieerzeugung brauchen. Wir setzen deshalb auf erneuerbare Energien sowie auf effiziente Gas- und Kohlekraftwerke und auf Einsparungen. Die CDU/CSU schreibt in ihrem Antrag, dass wir Kernenergie für die heimische Anwendung brauchen. Wer baut denn Kernkraftwerke und wo werden sie gebaut? Wenn Sie sich einmal mit Vertretern der Industrie unterhalten, werden Sie feststellen, dass niemand ein Kernkraftwerk bauen will. Vor zehn Jahren hat der VebaChef in einer Diskussion in Bonn darauf hingewiesen, dass es sich nicht lohne, Kernkraftwerke zu bauen. Erstens seien sie zu teuer - das ist ein wichtiger Faktor; im Moment kostet es 2 Milliarden - und zweitens sei das Uranvorkommen begrenzt. Seine Aussage war, dass die Uranvorräte in 25 Jahren erschöpft sein werden. Interessant ist auch der Bericht der „Financial Times“, in dem darauf hingewiesen wird, dass die Uranpreise enorm gestiegen sind. Im Januar 2004 kostete ein Pfund Uran noch 7 Dollar, heute müssen 21 Dollar dafür gezahlt werden. Mit weiteren Preissteigerungen ist zu rechnen. So schreibt die „Financial Times Deutschland“. Ferner muss man berücksichtigen: Fast die Hälfte der Uranvorräte stammt aus Militärbeständen. Diese Vorräte werden aber in 15 Jahren zu Ende gehen; das kann man berechnen. Deshalb sagen die Vertreter der Energiewirtschaft: Ein Kernkraftwerk ist nicht wirtschaftlich. Nein, wir brauchen eine zukunftsfähige und sichere Energieforschung. Deshalb setzen wir erstens auf erneuerbare Energien. ({6}) Kollege Fell sprach schon davon, dass dadurch viele Arbeitsplätze geschaffen wurden. 60 000 Arbeitsplätze sind im Bereich der Windenergie entstanden. Sie fordern das doch auch in Ihrem Antrag, Herr Fischer. Lesen Sie sich doch Ihren Antrag einmal durch! Auf diesem Gebiet sind die Bundesregierung und die Koalition erfolgreich. Wir sind bei den erneuerbaren Energien Weltmeister. Zweitens brauchen wir von der Industrie, aber auch von der Bundesregierung Mittel zur Erforschung effizienter Techniken bei der Erzeugung von Strom aus Braun- und Steinkohle. Wir brauchen die Clean Coal Technology, die uns hilft, die Wirkungsgrade erheblich zu verbessern. Wir sind auf diesem Sektor weltweit führend. Da müssen wir weitermachen, weil unser Ziel das CO2-freie Kraftwerk ist. Das wäre zudem auch noch ein Exportschlager für unsere Industrie. Drittens wollen wir auch noch weitere Potenziale bei der Energieeinsparung ausschöpfen. Wir Sozialdemokraten sind für eine sichere, zukunftsfähige und verantwortungsvolle Forschung. Machen Sie einfach dabei mit und lesen Sie sich Ihren Antrag etwas genauer durch! Wir haben ja noch Zeit; wir werden das beraten. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 15/4507 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse zu überweisen, wobei die Federfüh- rung, abweichend von der Tagesordnung, beim Aus- schuss für Wirtschaft und Arbeit liegen soll. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten KarlJosef Laumann, Dagmar Wöhrl, Veronika Bellmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Übergangsfrist bei der Weiterbildungsförderung im Falle gesetzlich festgelegter Ausbildungsdauer - Drucksache 15/4385 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({0}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dirk Niebel, Daniel Bahr ({1}), Rainer Brüderle, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Weiterbildungsförderung bei gesetzlich festgelegter Ausbildungsdauer - Drucksache 15/4147 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({2}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss Die Rednerinnen und Redner Hans-Werner Bertl, Alexander Dobrindt, Markus Kurth und Gudrun Kopp haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Deshalb kommen wir gleich zur Überweisung. Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf Drucksachen 15/4385 und 15/4147 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Friedrich ({3}), Hans-Michael Goldmann, Joachim Günther ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Transparenz und Wettbewerb im öffentlichen Schienenpersonennahverkehr - Drucksache 15/2752 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({5}) Haushaltsausschuss Die Rednerinnen und Redner Karin RehbockZureich, Enak Ferlemann, Albert Schmidt ({6}), Horst Friedrich ({7}) und die Parlamentarische 1) Anlage 2 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Staatssekretärin Angelika Mertens haben ihre Reden ebenfalls zu Protokoll gegeben.1) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/2752 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- ordnung. 1) Anlage 3 Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 26. Januar 2005, 13 Uhr, ein. Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch unseren Zuhörern auf der Besuchertribüne ein schönes Wochenende. ({8}) Die Sitzung ist geschlossen.