Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Der Kollege Lothar Ibrügger feierte am
24. Dezember seinen 60. Geburtstag, der Kollege
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr am 8. Januar ebenfalls seinen 60. Geburtstag und der Kollege Franz Müntefering
beging am 16. Januar seinen 65. Geburtstag. Im Namen
des Hauses gratuliere ich den genannten Kollegen sehr
herzlich und wünsche alles Gute!
({0})
Sodann teile ich mit, dass die Kollegin Antje
Hermenau am 19. Dezember 2004 auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet hat. Als
Nachfolgerin hat die Abgeordnete Monika Lazar am
21. Dezember 2004 die Mitgliedschaft im Deutschen
Bundestag erworben. Ich begrüße die neue Kollegin sehr
herzlich.
({1})
Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, dass der Kollege
Hans-Peter Kemper als Mitglied aus dem Gremium nach
Art. 13 Abs. 6 des Grundgesetzes ausscheidet. Als
Nachfolger wird jeweils der Kollege Dr. Hans-Ulrich
Krüger vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist der Kollege
Krüger als Mitglied in das Gremium nach Art. 13 Abs. 6
des Grundgesetzes gewählt.
({2})
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Beratung der Verordnung der Bundesregierung: Dritte Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung
- Drucksache 15/4642 ({3})
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Haltung der Bundesregierung zu überhöhten Dioxinwerten in
Hühnereiern aus Freilandhaltung
({5})
ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({6})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria Eichhorn,
Dr. Maria Böhmer, Claudia Nolte, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU: Deutsch-russischen Jugendaustausch weiter entwickeln
- Drucksache 15/4655 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({7})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Haupt, Ina
Lenke, Dr. Heinrich L. Kolb, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP: Weichenstellungen für ein
deutsch-russisches Jugendwerk
- Drucksache 15/1240 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({8})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
({9})
a) Beratung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses ({10}): Übersicht 9 über die dem Deut-
schen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem
Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 15/4663 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({11}) zur Dritten Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung
- Drucksachen 15/4642, 15/4674 Berichterstattung:
Abgeordnete Gerd Friedrich Bollmann
Werner Wittlich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Birgit Homburger
Redetext
Präsident Wolfgang Thierse
ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:
Vorstoß des Bundeskanzlers zur Lockerung der Kriterien
des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes, um
mehr Flexibilität bei der Neuverschuldung zu erhalten
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll - soweit erforderlich - abgewichen werden.
Die Tagesordnungspunkte 10, 13 und 20 sollen abgesetzt werden.
Außerdem ergeben sich folgende weitere Änderungen
im Beratungsverlauf: Nach dem Tagesordnungspunkt 9
werden zunächst der bisher ohne Debatte vorgesehene Tagesordnungspunkt 24 g - Aussetzung der Wehrpflicht mit 30 Minuten und dann der bisher für Freitag vorgesehene Tagesordnungspunkt 18 - Elektro- und Elektronikgerätegesetz - beraten. Ferner soll Tagesordnungspunkt 12 mit Tagesordnungspunkt 11 getauscht werden.
Am Freitag wird der Tagesordnungspunkt 22 bereits
nach Tagesordnungspunkt 17 aufgerufen.
Außerdem mache ich auf nachträgliche Überweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 148. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich
dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({12}) zur Mitberatung überwiesen werden.
Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Neuordnung der Reserve der Streitkräfte und zur
Rechtsbereinigung des Wehrpflichtgesetzes ({13})
- Drucksache 15/4485 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({14})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss
Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? -
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({15})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla
Burchardt, Jörg Tauss, Dr. Hans-Peter Bartels,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD sowie der Abgeordneten Hans-Josef Fell,
Volker Beck ({16}), Cornelia Behm, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Forschung für Nachhaltigkeit - Motor für
Innovationen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Katherina
Reiche, Thomas Rachel, Dr. Maria Böhmer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Mit Innovationen auf Wachstumskurs - eine
einheitliche Strategie
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach,
Cornelia Pieper, Christoph Hartmann ({17}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Innovationsstrategie für Deutschland - Wis-
senschaft und Wirtschaft stärken
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung
Bundesbericht Forschung 2004
- Drucksachen 15/3452, 15/2971, 15/3332,
15/3300, 15/4216 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrike Flach
Katherina Reiche
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Katherina Reiche, Thomas Rachel, Dr. Maria
Böhmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Informatives Berichtswesen als Grundlage einer guten Forschungs- und Technologiepolitik
- Drucksache 15/4497 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({18})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Ulla Burchardt, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zu Beginn möchte ich Ministerin Bulmahn ganz
herzlich zum ausgesprochen glücklichen Auftakt des
Einstein-Jahres gratulieren. Ich denke, so setzt man Zeichen.
({0})
Ob Zufall oder Absicht, es passt ganz gut, dass es am
heutigen Tage nicht nur um die Themen Forschung für
Nachhaltigkeit und Innovation geht, sondern dass später
am Nachmittag auch die Nachhaltigkeitsstrategie der
Bundesregierung auf der Plenartagesordnung steht. Bei
beiden Punkten geht es um zentrale Weichenstellungen
und Wege, wie Politik eine Entwicklung einleiten soll,
die nicht nur für den Standort Deutschland, sondern auch
im globalen Maßstab zukunftsfähig ist.
Eine ganze Reihe von Ihnen wissen es: Bei der Weltkonferenz in Rio haben sich die damaligen Regierungen
darauf verständigt, ihre nationalen Politiken auf das
Leitbild der Nachhaltigkeit auszurichten. Die damalige
deutsche Bundesregierung hat die Agenda 21 mit beschlossen, in der stand, dass man die nachhaltige Bildungs- und Forschungspolitik vorantreiben will.
Wie hat das in der Bundesrepublik ausgesehen? Kolleginnen und Kollegen, ich denke, man kann selbstbewusst feststellen, dass insbesondere der Deutsche Bundestag für die deutsche Politik wesentliche Arbeiten zur
Konkretisierung des Leitbildes der Nachhaltigkeit und
der nachhaltigen Entwicklung geleistet hat. Das darf
man auch einmal ganz laut sagen.
({1})
Daran waren auch viele Kollegen von Ihnen, der Opposition, beteiligt. Daher brauchen Sie nicht so verlegen in
Ihren Zetteln zu blättern.
Ganz entscheidend waren dabei die Arbeiten der Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“, deren Handlungsempfehlungen 1997 in einer
Beschlussempfehlung des Forschungsausschusses zu
dem Antrag „Forschungspolitik für eine zukunftsverträgliche Gestaltung der Industriegesellschaft“ mündeten.
Wenn ich mich hier umschaue, muss ich feststellen:
Viele, die heute in den Ausschüssen sitzen, sind damals
nicht dabei gewesen. Dieser Text hat die Qualität eines
politischen Innovationsprogramms. Deswegen möchte
ich kurz daraus zitieren:
Ziel einer Innovationsoffensive für eine nachhaltige
Entwicklung sollte es sein, „wirtschaftlichen und
sozialen Fortschritt so zu gestalten, daß die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes dauerhaft gesichert wird“ … Deshalb ist eine Modernisierung von
Wirtschaft und Gesellschaft nötig, die die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen, den Erhalt
der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, die gerechte Verteilung von Arbeit, Einkommen und Lebenschancen als gleichrangige Ziele verfolgt …
Neues Wissen und seine intelligente Nutzung sind
der Schlüssel zur Lösung der ökologischen und
ökonomischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts … Für diesen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Innovationsprozess ist eine Neuorientierung staatlicher Innovationspolitik und ihrer
Instrumente entscheidend.
({2})
Fast auf den Tag genau acht Jahre ist es her, dass dieser Text einstimmig - das heißt, auch mit den Stimmen
der damaligen Mehrheitsfraktionen CDU/CSU und
FDP - hier im Deutschen Bundestag beschlossen wurde,
übrigens auf der Basis eines Antrages der SPD-Fraktion.
({3})
Nun meinen einige von Ihnen vielleicht: „Schnee von
gestern“. Aber wenn man sich die ökonomischen, ökologischen und sozialen Problemlagen in der Welt ansieht,
muss man feststellen: Die Fragestellung nachhaltiger Innovationspolitik ist aktueller denn je.
Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren,
sehe ich mir Ihre Anträge zu Innovationen an. Dabei fällt
mir auf, dass alle vernünftigen Forderungen, die aufgestellt werden, bereits in Angriff genommen wurden bzw.
erledigt sind. Noch auffälliger ist, dass bei Ihnen weder
Nachhaltigkeit noch eine andere Gestaltungsperspektive
überhaupt vorkommt. Ihr Innovationsverständnis ist
buchstäblich von gestern und wird den Herausforderungen von heute und morgen in keiner Weise gerecht.
({4})
Im Gegensatz dazu hat die rot-grüne Mehrheit 1998
mit der Umsetzung begonnen. Die Nachhaltigkeitsstrategie mit den vier Zielen Generationengerechtigkeit, Lebensqualität, sozialer Friede und internationale Verantwortung wurde in Angriff genommen und im Dialog mit
allen gesellschaftlichen Gruppen weiterentwickelt.
Heute Nachmittag wird der erste Fortschrittsbericht
diskutiert. In der letzten Legislaturperiode wurde die
Neuausrichtung der Forschungspolitik zugunsten von
Nachhaltigkeit zu einer systemisch ausgerichteten Innovationsstrategie begonnen. Mit dem neuen Rahmenprogramm „Forschung für Nachhaltigkeit“ wird diese weiterentwickelt. Ganz konkret geht es bei den Projekten
darum, Ideen und Konzepte für innovative Produkte,
Verfahren und Dienstleistungen zu entwickeln, mit denen es gelingt, dass Unternehmen, aber auch ganze
Branchen oder Regionen weniger Energie und Ressourcen verbrauchen. Innovationspolitik - da kommt uns die
nachhaltige Entwicklung in unserem Verständnis von Innovation ausgesprochen gut zupass - ist weit mehr als
Technikförderung; das ist zwischenzeitlich eine wissenschaftliche Binsenweisheit. Es geht auch um organisatorische, institutionelle und soziale Innovationen. Deswegen beinhaltet das Rahmenprogramm richtigerweise
auch Themen, zum Beispiel wie sich die Potenziale älterer Menschen in der Gesellschaft des langen Lebens besser erschließen lassen oder wie die Globalisierung sozial
und ökologisch gestaltet werden kann - sie ist kein
Schicksal, sie muss im Interesse der Menschen gestaltet
werden. Allein für die Nachhaltigkeitsforschung stehen
in den nächsten Jahren im Schnitt 160 Millionen Euro
pro Jahr zur Verfügung.
Doch das Geld alleine ist nicht das Entscheidende,
sondern die Frage ist: Was wird gefördert? Worüber wird
geforscht? Wissenschaftliche Erkenntnisse und technische Entwicklungen werden erst dann zu einer Innovation, wenn sie Nutzen stiften, wenn sie auf Nachfrage
stoßen - das hat etwas mit Märkten zu tun, auf denen
Produkte nachgefragt werden - und wenn die Menschen
diese Innovation auch wollen.
Das beste Negativbeispiel für eine Sache, die die
Menschen nicht wollen, ist die Kernenergie, auch wenn
sie von der Opposition noch immer als Heilsbringer für
nahezu alles mystifiziert wird. Man muss festhalten, dass
die Menschen hier in Deutschland sie nicht wollen.
Ohne massiven Staatsinterventionismus wäre sie nirgendwo auf der Welt durchgesetzt worden und hätte sie
nirgendwo auf der Welt die Chance, genutzt zu werden
oder gar rentabel zu sein. Manchmal sollten Sie sich Ihre
Forderung vor dem Hintergrund Ihrer ordnungspolitischen Vorstellungen ein bisschen genauer überlegen.
({5})
Von den Lasten, die der nächsten Generation durch
1 000 Jahre lang strahlenden Atommüll aufgebürdet
werden, will ich erst gar nicht reden.
Wer für die Kernenergie spricht, sollte das Wort „Generationengerechtigkeit“ besser nicht in den Mund nehmen.
({6})
Generationengerecht ist das, was die Umwelt schützt
und Arbeitsplätze schafft. Der Handwerker, der Solaranlagen wartet, der Mann im Blaumann, der Windanlagen
baut, die Ingenieurin, die Wärmedämmungstechniken
für Altbauten entwickelt, und die Betriebswirtin, die in
einer Ratingagentur für umweltorientierte Geldanlagen
arbeitet - sie alle verdanken ihren Arbeitsplatz der Tatsache, dass sich die Nachhaltigkeit zunehmend zu einem
bedeutsamen Wirtschaftsfaktor entwickelt hat.
({7})
Wenn man sich allein den statistisch erfassbaren Bereich
des Umweltschutzes, also einen kleinen Teil des gesamten Nachhaltigkeitsbereichs, ansieht, dann stellt man
fest, dass in diesem mittlerweile 1,5 Millionen Menschen beschäftigt sind. Damit sind dort mehr Menschen
als im Maschinen- oder im Fahrzeugbau tätig.
Deutschland ist weltweit Spitze bei den umweltrelevanten Patenten und der nationale Technikvorsprung
zahlt sich aus. Weltweit sind wir zweitgrößter Exporteur
von Umweltgütern. „Made in Germany“ ist längst Synonym für global nachhaltige Produkte, Dienstleistungen
und Konzepte geworden. Wenn ich mir beispielsweise
die durch das Hause Bulmahn unterstützten Wasserversorgungstechniken für den Iran anschaue, dann stelle ich
fest, dass diese global zukunftsfähig sind und sich ausgesprochen gut verkaufen.
Auch wenn Sie es nicht glauben: Die Wissenschaftscommunity stellt uns für die Nachhaltigkeitsforschung
ein ausgesprochen gutes Zeugnis aus. Das tut auch die
EU-Kommission in einer Vergleichsstudie, in der mehrere europäische Länder, die Nachhaltigkeitsforschung
betreiben, bewertet worden sind. Dieses Lob der EU
sollte uns Verpflichtung sein, beim 7. Forschungsrahmenprogramm darauf zu drängen, dass nicht nur noch
große Forschungscluster und die Interessen der Großindustrie gefördert werden und dass es in punkto Forschungsförderung für Nachhaltigkeit nicht zu einem
Rückfall kommt, weil der gesellschaftliche Innovationsbedarf und die kleinen innovationsorientierten Forschungseinrichtungen sonst unter die Räder kommen.
Das möchten wir der Bundesregierung an dieser Stelle
gern mit auf den Weg nach Brüssel geben.
({8})
Der Schlüssel für nachhaltige Innovationen - dies war
bereits in der Agenda 21 nachzulesen und wurde auf der
Weltkonferenz in Johannesburg noch einmal bekräftigt ist die Ressource Wissen und das Ausschöpfen derselben, das heißt mehr Bildung. Auch dazu kommen von
der Opposition nur die altbekannten altbackenen Vorschläge. Wenn man sich das alles einmal zu Gemüte
führt, dann stellt man fest, dass Ihre Vorstellung von bildungspolitischem Fortschritt im Festschreiben eines Bildungssystems aus dem vorletzten Jahrhundert und dem
Verschließen von Hochschultüren für sozial Schwächere
gipfelt. Das mag ideologisch sauber sein, ist aber innovationsfeindlich. Nötig sind das Fördern und das
Ausschöpfen aller Bildungspotenziale. Wir haben die
Initiative ergriffen: von der Vorschulbildung, die wir nun
fördern, über Ganztagsschulen, den Ausbildungspakt
und die Modernisierung der beruflichen Bildung bis hin
zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses sowie insbesondere von Frauen in der Wissenschaft.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihnen liegt
der Antrag „Forschung für Nachhaltigkeit - Motor für
Innovationen“ vor. Wir knüpfen damit an die Plattform
an, die wir vor einigen Jahren gemeinsam beschlossen
haben. Wir bauen sie aus und geben zukunftsweisende
Hinweise darauf, was in der Forschungspolitik noch
weiter zu tun ist. Ich lade Sie ganz herzlich ein, sich dieser damals gemeinsam formulierten Position anzuschließen und an ihrer Weiterentwicklung mitzuarbeiten.
({9})
Ich erteile Kollegin Katherina Reiche, CDU/CDUFraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland braucht wieder mehr Wachstum. Ludwig Erhard hat
in seinem Werk „Wohlstand für alle“ ausgeführt - ich zitiere -:
Es ist viel leichter, jedem Einzelnen aus einem immer größer werdenden Kuchen ein größeres Stück
zu gewähren, als einen Gewinn aus einer Auseinandersetzung um die Verteilung des Kuchens ziehen
zu wollen, weil auf diese Weise jeder Vorteil mit einem Nachteil bezahlt werden muss.
Wenn es richtig ist, dass sieben Achtel des Wirtschaftswachstums mit Innovationen zusammenhängen,
dann hat Rot-Grün hier kläglich versagt. Trotz des Jahres der Technik bzw. der Innovationen passierte im letzKatherina Reiche
ten Jahr wenig bzw. gar nichts. Auch die Bilanz der Vorjahre nimmt sich erschreckend kläglich aus - kläglich
deshalb, weil wir im OECD-Vergleich ins Mittelfeld abgerutscht sind, kläglich auch deshalb, weil seitens des
Staates zu wenig in Bildung und Forschung investiert
wird, kläglich auch deshalb, weil die notwendigen Strukturreformen entweder ausgeblieben sind oder vor die
Wand gefahren wurden.
({0})
Was war das für ein Tamtam zur Eröffnung des Jahres
der Technik! Was war das gestern für eine Show zur Eröffnung des Einstein-Jahres!
({1})
Aber wo sind die handfesten Ergebnisse? Wo ist die
Aufbruchstimmung? Fehlanzeige bei Rot-Grün!
Vor rund vier Wochen haben wir hier in diesem Hause
bereits die Bilanz des Jahres der Technik debattiert.
Meine Einschätzung heute unterscheidet sich nicht von
meiner Einschätzung von vor vier Wochen. Im Bericht
zur technologischen Leistungsfähigkeit, der Ende des
letzten Jahres vorgestellt wurde, wird überdeutlich:
Deutschland ist zu langsam und hinkt beim Technologietransfer hinterher.
Der Anteil des Staates an FuE-Finanzierung ist von
Mitte der 90er-Jahre bis heute von 38 Prozent auf
31 Prozent gesunken. Das liegt in Ihrer Verantwortung,
meine Damen und Herren von Rot-Grün. Der Anteil der
Wirtschaft ist im betrachteten Zeitraum von 60 auf
66 Prozent gestiegen. Wenn sich in unserem arbeitsteiligen System der Forschungsförderung die Wirtschaft
eher mit der anwendungsorientierten Forschungs- und
Produktentwicklung beschäftigt und der Staat für die
Grundlagenforschung zuständig ist, dann heißt das, dass
wir einen Einbruch bei den Basisinnovationen zu befürchten haben. Genau das ist für den Produktionsstandort Deutschland schädlich. Da liegen die Verantwortung und das Versagen von Rot-Grün.
So resümiert der Bericht: Deutschland hat bereits
Rangplätze verloren und droht weiter zurückzufallen,
wenn nicht Entscheidendes geschieht. - Ich habe nicht
den Eindruck, dass etwas geschieht. Diesen Eindruck
habe nicht nur ich nicht, sondern den hat unter anderem
auch Fraunhofer-Chef Bullinger nicht, der im
Dezember 2004 beklagte, es sei bislang nichts geschehen und es gebe kein klares Regierungsprogramm und
keine Strategie zum Lissabon-Prozess.
Die Defizite sind bekannt - diese können Sie nicht länger leugnen -: Die Hochschulen sind unterfinanziert
- nicht nur seitens des Bundes; das gebe ich gerne zu und unterliegen einem anachronistischen Rahmengesetz.
Es wird öffentlich wie privat zu wenig in Bildung und
Forschung investiert. Der Anteil der Ausgaben für Bildung und Wissenschaft stagniert seit 1995 bei 9,1 Prozent. Im Forschungssystem wird eine „Versäulung“ und
„Erstarrung“ sowie die Erosion der universitären Forschung beklagt. Der innovative Mittelstand kämpft mit
Kapitalknappheit. Der Fachkräftemangel ist zum Greifen nahe.
Hinzu kommt, dass diejenigen, die hier hervorragend
ausgebildet werden, abwandern, und zwar meistens ins
Mekka der Forschung, in die USA. 15 000 bis
20 000 Deutsche arbeiten nach den Daten des Current
Population Survey hochschulnah oder in den Hochschulen der Vereinigten Staaten. Wer dort erst einmal seinen
PhD gemacht hat, bleibt meist dort.
Aber die Bundesregierung und auch Sie von der Koalition wollen das nicht hören. Sie diffamieren jeden, der
Ihnen unangenehme Wahrheiten sagt, als Schwarzmaler.
({2})
Aber ich sage Ihnen: Wir haben kein Problem mit der
Schwarzmalerei. Wir haben ein Problem mit dem Schönreden und dem Ignorieren einer brisanten und bitterernsten Situation.
({3})
Frau Bulmahn hat vor fast genau einem Jahr zu Beginn des Jahres der Technik - Zitat - „eine radikale Modernisierung des Forschungssystems“ angekündigt. Wo
ist sie denn? Um sich nicht an den Worten von gestern,
heute und auch morgen erinnern zu müssen, stürzen Sie
sich in die nächste PR-Schlacht. Diese heißt seit diesem
Jahr Einstein-Jahr und kostet 10 Millionen Euro. In der
FAZ vom 15. Januar dieses Jahres stand ein kleiner Bericht über eine Sitzung des SPD-Präsidiums. Am Schluss
der Vorhabenliste soll der Vorsitzende Franz
Müntefering gesagt haben:
Dann haben wir noch Einstein-Jahr. Einstein kennt
jeder. Hat die Relativitätstheorie erfunden.
Was immer das auch sein mag.
Nun muss der Bundeskanzler Schröder nicht wissen,
was die Relativitätstheorie ist.
({0})
Aber aus dem Artikel wurde eines überdeutlich: Es geht
gar nicht um die Faszination und die Folgen dieser wirklich alles verändernden Theorie. Es geht ausschließlich
um das Instrumentalisieren von Albert Einstein. Es wird
ein kulturelles Jahr mit Einstein als Popikone mit, wie
gesagt, 10 Millionen Euro inszeniert. Wenn das Ihre Forschungspolitik ist, dann gute Nacht Deutschland!
({1})
Man kann in der Tat mit hervorragenden Vorbildern
und Leistungen junge Menschen faszinieren und für
Wissenschaft und Forschung begeistern. Nur taugt weder die Bundesbildungsministerin noch die Bundesregierung tatsächlich als Vorbild.
Es ist richtig, dass wir 100 Jahre Relativitätstheorie
feiern. Einstein hat mit der Speziellen und mit der Allgemeinen Relativitätstheorie unsere Weltsicht verändert, er
hat eine neue Physik mitbegründet und er ist auch noch
heute ein Faszinosum für Jung und Alt. Aber was würde
uns Einstein heute lehren? Einstein hat schon damals gesagt: Persönlichkeiten werden nicht durch schöne Reden
geformt, sondern durch Arbeit und eigene Leistung.
({2})
Aber darum geht es bei Rot-Grün nicht - Einstein als
Popikone.
Was verbessert sich für die Wissenschaft, wenn mit
viel Geld, das die Forschung so dringend braucht,
Einstein-Zitate an öffentliche Gebäude gestrahlt werden? Was hat das eigentlich mit der Aufgabe des Forschungsministeriums als Impulsgeber, als Treiber des
Wandels zu tun?
Wahrscheinlich haben Sie von der Relativitätstheorie
noch eines in Erinnerung: Das war die Sache mit der
Krümmung. Nun hat Albert Einstein die Krümmung des
Lichts und nicht die Krümmung des Forschungshaushaltes gemeint. Die Staatsverschuldung ist so hoch wie
nie. Der Forschungshaushalt muss mit bluten. Die Forschungs- und Innovationspolitik der Bundesregierung ist
in der Tat sehr „relativ“, nämlich relativ ziel-, plan- und
erfolglos.
Das liegt im Kern an folgenden Defiziten: einem geradezu epidemischen Kurzfristdenken und einem auf
schnelle Effekte ausgerichteten Handeln, einen Verlust
von Denken in Zusammenhängen und Ursachenketten
und einem fatalen Verständnis von Forschung und Wissenschaft, von Bildung und Hochschulen, die man zuletzt auf Missionen ausrichten zu müssen glaubte. Innovation ist eine Kette, deren Glieder Schulen,
Hochschulen, Forschung und die Vernetzung von Forschung mit Wirtschaft und innovativen Unternehmen
sind. Das muss man als Einheit betrachten, sonst endet
man wie Rot-Grün in Schubladendenken.
Wir haben bereits Anfang des vergangenen Jahres
eine komplette Innovationsstrategie in den Deutschen
Bundestag eingebracht - Köpfe, Konzepte, Kapital und
Klima. Wir sind am Beginn dieses Einstein-Jahres keinen Schritt weiter, als wir am Beginn des Jahres der
Technik waren.
({3})
Die Wahrheit ist doch: Es gab 2004 für Bildung und Forschung keinen Cent mehr aus dem Bundeshaushalt. Es
gab Minderausgaben, Sparauflagen und Sperrungen.
Jetzt steht die Sperrung der Eigenheimzulage für 2005
an. Auch das wird in diesem Jahr wohl wieder als Minusgeschäft enden.
Auch für die Hochschulen war 2004 ein verlorenes
Jahr. Angefangen hat das mit dem Placebo der Eliteuni
und der Kürzung der Hochschulbaumittel. Das Einzige,
was wir mit Hängen und Würgen geschafft haben, war,
für die Universitäten eine Selbstauswahl für die zulassungsbeschränkten Fächer von 60 Prozent hinzubekommen. Das zweite Halbjahr hat das BMBF damit
verbracht, sich vom Nackenschlag des Bundesverfassungsgerichtsurteils zur Juniorprofessur zu erholen.
Nach diesem Urteil sind wir wieder auf dem Stand von
2002. Eine verfassungskonforme Einführung der Juniorprofessur hätten Sie haben können; aber Sie wollten mit
dem Kopf durch die Wand und sind vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert.
Frau Bulmahn, Sie verweigern sich zudem einer Debatte über Studienbeiträge und machen einen auf Vogel
Strauß.
({4})
Doch wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
({5})
Vielleicht ahnen Sie schon, was Karlsruhe nächste Woche sagt. Sie scheinen sich nicht vorzubereiten, sondern
wiederholen stoisch Ihren Satz: Mit mir sind Studiengebühren nicht zu machen. - Doch ist seit langem klar,
dass die Hochschulen mehr Geld brauchen. Warum ergreifen Sie nicht die Initiative und diskutieren mit uns
und den Ländern über ein sozialverträgliches Studienbeitragsmodell? Wir brauchen grundlegende Veränderungen in der Bildungsfinanzierung für ein lebenslanges
Lernen. Es ist ungerecht, wenn Kindergartenplätze
500 oder 600 Euro pro Kind und Monat kosten, Hochschulbildung aber umsonst zu haben ist.
({6})
Hochschulbeiträge sind unabdingbar. Die Einführung ist
Sache der Länder und Hochschulen; aber Sie, Frau
Bulmahn, könnten den Weg dafür frei machen.
Noch einmal zurück zu den Eliteunis. Eliteunis kauft
man nicht wie einen Sack Kartoffeln. Wissenschaft redet
übrigens nicht von Elite,
({7})
Wissenschaft redet von Exzellenz. Damit Exzellenz entstehen kann, bedarf es bestimmter Voraussetzungen.
Man braucht Universalität, Transdisziplinarität, die Befreiung von Strukturen wie dem jetzigen HRG, der ZVS,
dem Professorenbesoldungsgesetz und vor allem ein offenes Klima für Forschung und Entwicklung.
({8})
Der Glaube soll ja bekanntlich Berge versetzen können. Ich wäre schon zufrieden, wenn ich glauben könnte,
dass Sie endlich die Geröllhalden Ihres mentalen Widerstandes gegen notwendige Reformen im Hochschulsystem abräumen würden. Wir sollten zum Beispiel - um
einen konkreten Vorschlag zu machen - die Vollkostenrechnung in der Forschung einführen und der DFG die
notwendigen Mittel zur Verfügung stellen, damit sie bei
Drittmittelprojekten einen Overhead für die Grundausstattung finanzieren kann. Wir werden dazu einen entsprechenden Antrag vorlegen.
Der nächste Punkt betrifft die Strategien. Wenn Forschung und Entwicklung zu Innovationen werden sollen,
dann brauchen wir Strategien. Wir haben in diesem Haus
bereits Strategien für die Biotechnologie, die Nanotechnologie und die Energieforschung vorgelegt. Chip- und
Mikrosystemtechnik kurzerhand in Nanotechnik umzubenennen ist hingegen noch keine Strategie.
({9})
Ohne Kerntechnik wird es auch in Deutschland nicht
gehen, Frau Burchardt. Es dauert zehn Jahre, bis wir das
aufgeholt haben, was wir zurzeit im Bereich der Kernforschung verpassen.
({10})
Der Fadenriss ist sichtbar und Sie haben ihn zu verantworten.
({11})
Die Ampel für die Grüne Gentechnik steht auf Dauerrot. Während die Gesamtanbaufläche im vergangenen
Jahr weltweit um 20 Prozent auf rund 81 Millionen Hektar gestiegen ist - das wurde zu Beginn des Jahres vermeldet -, versinkt bei uns die Grüne Gentechnik im politischen Treibsand von Rot-Grün.
Der DFG-Präsident Winnacker hat in seiner Neujahrsansprache sein Augenmerk auf das Gentechnikgesetz gerichtet. Er hat deutlich gemacht, dass junge Wissenschaftler im Ausland die Entwicklung hier sehr genau
beobachten und sich Gedanken darüber machen, ob sie
nach Deutschland zurückkehren sollen. Diese jungen
Wissenschaftler verstehen Wissenschaft nämlich als Einheit und sehen in einer solchen in der Tat sehr spezifischen Entscheidung eine Gefahr für das Ganze. So werden wir die Köpfe für den Innovationsstandort
Deutschland nicht zurückholen.
Frau Bulmahn, die Impulskreise, Working Groups,
Horizontpapiere und Pionieraktivitäten - dabei handelt
es sich um das, was im Jahr der Technik 2004 herausgekommen ist - sind keine Innovationen. Wenn Sie uns
schon nicht glauben, dann aber vielleicht dem alten
Goethe, der gesagt hat: Die Macht soll handeln und nicht
reden.
({12})
Ich erteile Kollegen Hans-Josef Fell, Bündnis 90/Die
Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Reiche, Sie haben in Ihrer bekannten polemischen Art ausgeführt, Deutschland versage unter RotGrün, die Wirtschaft, die Wissenschaft und andere Bereiche lägen am Boden. - Man kann das kaum noch hören und glauben.
({0})
Wir haben mit der grünen Bundestagsfraktion - Frau
Reiche, ich bitte Sie, zuzuhören ({1})
in den Räumen von General Electric in Garching bei
München einen Kongress durchgeführt. General Electric
ist, wie Sie wissen, kein kleiner, sondern ein sehr großer
Player im Weltkonzert der Wirtschaft. Für uns war es
sehr erstaunlich, dass die Vorstände in ihren Vorträgen
immer wieder gesagt haben: Wir haben unsere Entscheidung für dieses neue Forschungszentrum hier getroffen,
weil Deutschland ein starker Wirtschaftsstandort ist,
weil in Deutschland die Forschung besonders stark ist
({2})
und weil durch diese Regierung in Deutschland ganz
neue Strategien und Wege aufgezeigt wurden. Deswegen, Frau Reiche, haben wir einen Kongress zur Forschung im Energiebereich mit dem Schwerpunkt erneuerbare Energien durchgeführt.
Wenn Sie von Strategien in der Energieforschung
reden, dann meinen Sie - wir kennen das bereits - immer nur Kernfusion und Kernenergie. Das haben Sie
auch hier wieder bestätigt. Es sollte Ihnen aber klar sein,
dass General Electric gerade deshalb nach Deutschland
gekommen ist, weil hier eine andere Energiepolitik betrieben wird. Wir beharren eben nicht mehr auf den alten, überkommenen Strategien, die Sie für richtig halten
und die seit 50 Jahren gescheitert sind. General Electric
hat gemeinsam mit der rot-grünen Bundesregierung und
anderen den Blick nach vorne gerichtet - ganz im Gegensatz zu Ihnen.
({3})
Dieser neue Weg nicht nur in der Energiepolitik, sondern auch in vielen anderen Fragen wird zeigen, dass wir
eine wesentlich bessere Forschungspolitik betreiben, als
Sie es darstellen.
Übrigens enthält der Bundesbericht Forschung 2004,
der der heutigen Debatte zugrunde liegt, eine riesige
Menge an Daten und Fakten betreffend Bund und Länder, die eigentlich diese Tendenzen - im Gegensatz zu
Ihren Äußerungen - aufzeigen.
Ich will Ihnen zugestehen, dass Ihr Antrag auf Verbesserung des Berichtswesens irgendwo Sinn macht; denn
es ist sinnvoll - deshalb werden wir ja das Berichtswesen
verändern und umstellen -, beispielsweise die entsprechenden Daten auf die Wirkung der eingesetzten Mittel in
den verschiedenen Bereichen hin zu analysieren. In diesem Zusammenhang komme ich auf das Beispiel Energie
zurück. Es muss doch einmal analysiert werden, dass wir
50 Jahre lang für Kernenergie und Kernfusion in erheblichem Umfang Gelder ausgegeben haben, die praktisch
wirkungslos geblieben sind. Mit der Kernfusion wird bis
heute keine Kilowattstunde Strom erzeugt. Das wird auch
in den nächsten 50 Jahren so sein.
({4})
- Das sagen uns alle Wissenschaftler. Gehen Sie doch
einmal zum IPP in Garching! Dort wird man Ihnen das
bestätigen.
Sie beharren aber auf Ihrem Standpunkt und wollen
weiter Gelder für Kernenergie und Kernfusion ausgeben.
Wo bleibt denn die Effizienz der dafür ausgegebenen
Gelder? Es ist richtig, dass wir das Berichtswesen genau
analysieren müssen, um herauszufinden, ob die Gelder
effizient eingesetzt werden. Dann werden viele Ihrer
Vorstellungen sicherlich in einem ganz anderen Licht erscheinen.
Es ehrt Sie ja, dass Sie die Daten und das Berichtswesen so hoch halten; denn aus dem Bundesbericht Forschung 2004 geht ganz klar hervor, dass wir den Anteil
von Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt von 2,3 auf 2,5 Prozent im Jahre 2002 angehoben
haben. Im Vergleich zu Ihrer alten Regierungspolitik hat
es also unter Rot-Grün eine Steigerung, eine Verbesserung gegeben. Es ist gut, dass Sie immer wieder darauf
beharren, dass diese Ergebnisse der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Wir wollen mehr Geld für die Forschung bereitstellen.
({5})
Wir wissen ebenfalls, wie wir das finanzieren wollen.
Beispielsweise wollen wir die Eigenheimzulage, die sehr
wenig effektiv und kaum zukunftsfördernd ist, abbauen.
Wir warten nun gespannt ab, was der Vermittlungsausschuss tun wird. Auf dem Papier sitzen dort lauter Leute,
denen bereits seit 1956 die Bedeutung von Forschung
und Innovationen klar ist und denen die Förderung dieser Bereiche am Herzen liegt. Wir sind gespannt, was bei
den Verhandlungen im Vermittlungsausschuss herauskommt, ob es endlich einen Durchbruch für mehr Geld
für Bildung und Forschung gibt, so wie Sie es verlangen.
Wir erwarten, dass Sie hier mitmachen.
({6})
Wir brauchen nicht nur mehr Geld für die Forschung,
sondern auch eine bessere Forschung für die öffentlichen
Gelder. Deswegen sehen wir sowohl in der Stärkung von
Grundprinzipien wie dem der Nachhaltigkeit in der Forschung - Frau Burchardt hat hierzu vieles ausgeführt als auch in neuen Rahmenkonzepten - als Beispiel nenne
ich nur die in der Nanotechnologie eroberten Märkte wichtige Schwerpunkte. Ich möchte hier nicht auf alle
Felder eingehen, sondern nur die Biotechnologie als Beispiel nennen. Es gibt sicherlich sehr viele Bereiche - ob
es der Gesundheits-, der Energie-, der Ernährungsbereich oder die Stoffwirtschaft ist -, in denen es Probleme
gibt, die wir dringend lösen müssen. Aber wir werden
uns nicht wie Sie von der Union auf einen winzigen
Bereich der Biotechnologie, die Gentechnologie, beschränken, sondern wir werden das weite Feld der Biotechnologie beispielsweise für die Entwicklung neuer
Kraftstoffe und neuer Chemieprodukte aus nachwachsenden Rohstoffen nutzen. Uns ist Ihr Biotechnologiebegriff viel zu verengt. Genau deswegen schadet er
einem weiteren Vorangehen in der Biotechnologie.
Ein weiteres wichtiges Anliegen sind für uns notwendige Verbesserungen der Rahmenbedingungen für die
Umsetzung von Forschungsergebnissen in unternehmerisches Handeln, was ebenfalls einigen Anträgen zur
heutigen Debatte zugrunde liegt. Ich nenne nur den
Hightech-Masterplan der Bundesregierung, die Gründungsinitiative sowie den Pakt für Forschung und Innovation.
Ich möchte außerdem darauf hinweisen, dass wir einen Dachfonds für Venturecapital eingeführt haben.
Dieser Dachfonds beginnt seine Wirkung zu entfalten.
Die ersten Fonds sind geschlossen. Wir werden darauf
achten, dass dieser Dachfonds in Zukunft auch zur Förderung neuer Technologien im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe genutzt werden kann.
Ich glaube, dass wir angesichts des Aufwuchses der
Mittel auf einem guten Weg sind, das Ziel zu erreichen,
dass der Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt insgesamt bei
3 Prozent liegt. Wir werden unsere gemeinsamen Anstrengungen dafür verstärken. Dies wird die Attraktivität
des Standortes Deutschland weiter verbessern. Vielleicht
gibt es dann noch mehr große Firmen, die zu uns kommen, weil Deutschland ein starker Wirtschafts- und Forschungsstandort ist.
({7})
Ich erteile das Wort Kollegin Ulrike Flach, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Geist
Albert Einsteins weht hier sozusagen durch den Raum.
Liebe Frau Reiche, ich glaube, nicht nur der Bundeskanzler ist nicht so ganz in der Lage, die Relativitätstheorie wirklich nachzuvollziehen, sondern auch viele
andere hier. Einstein hat eines gesagt, was auch wir alle
verstehen können: Masse verschwindet nicht, sondern
sie wandelt sich in Energie um. Liebe Frau Bulmahn, ich
bin der Meinung, dass Sie diese Theorie für sich offensichtlich ganz neu entwickelt haben. Die Entwicklung in
Deutschland sieht folgendermaßen aus: Die Masse der
Investitionen in Forschung und Entwicklung verschwindet; aber die entfaltete Energie, die Dynamik, die
wir alle für dieses Land erhoffen - darüber diskutieren
wir hier immer wieder -, ist relativ gering.
({0})
Deutschland kommt auch 2005 dem Ziel, 3 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts als Investitionen in Forschung und Entwicklung fließen zu lassen, nicht näher.
Der Aufwuchs von Mitteln im Forschungshaushalt wird
durch den Abbau bildungs- und forschungsrelevanter
Bereiche in den Haushalten vieler anderer Ministerien
relativiert. Als besonders schlechtes Beispiel nenne ich
den Verteidigungshaushalt, der im Forschungsbereich
um 50 Millionen Euro gekürzt wird, und das in einer
Zeit, in der alle mit uns konkurrierenden Länder die Mittel in genau diesem Bereich hochfahren.
Der beste Kronzeuge für die Absenkung der Mittel ist
übrigens das Bundesfinanzministerium: Es bestätigt,
dass die Gesamtausgaben für Bildung, Wissenschaft und
Forschung von 11,6 Milliarden Euro auf 11,3 Milliarden
Euro in 2005 sinken. Das ist, was die Forschungsmittel
angeht, kein Aufschwung, sondern das sind ganz eindeutig 300 Millionen Euro weniger. Das sollte man im
Einstein-Jahr verstehen und auch so werten.
({1})
Auch der Aufwuchs im Etat von Frau Bulmahn ist
nicht sicher. Frau Reiche hat schon eben auf die Eigenheimzulage verwiesen. Ich glaube nicht, dass wir erleben
werden, dass das entsprechende Vorhaben so umgesetzt
wird. Die globale Minderausgabe könnte noch größer
werden. Es ist für uns nicht zufriedenstellend, wie die
500 Millionen Euro für die Flutopfer finanziert werden.
Wir wollen natürlich wissen, wo das im Etat auftaucht.
({2})
Hinzu kommen die unterschiedlichsten Blockaden.
Darüber haben wir schon gestern im Ausschuss diskutiert. Ihr Programm zur Förderung von Exzellenz an
Hochschulen, das die FDP immer ausdrücklich unterstützt hat, wird von den unionsregierten Ländern deutlich und sichtbar blockiert. Wir haben noch immer
keinen Ansatz für ein modernes Wissenschaftstarifvertragsrecht. In diesem Fall wird sowohl von SPD- als
auch von CDU-geführten Ländern blockiert. Den sinnvollen Ansätzen bei Bio- und Nanotechnologie im
BMBF stehen Blockaden des Koalitionspartners, von
Teilen der SPD und natürlich auch von Teilen der CDU
gegenüber.
In der Energieforschung haben Sie sich von den Grünen zu dem Kurs eines überteuerten, übersubventionierten Energieerzeugungssystems verleiten lassen. Liebe
Frau Burchardt, Staatsinterventionismus mit Windmühlen ist das ganz bestimmt.
({3})
Der Chemiestandort wird durch die Chemikalienrichtlinie aus Brüssel schwer belastet. Denken Sie an die
Gesundheitsreform! Gerade in dieser Woche hören wir:
Der Kanzler spricht wieder mit den Vertretern der
Pharmaindustrie. Sie bitten händeringend darum, dass
forschungsintensive Produkte endlich so bezahlt werden,
wie sie bezahlt werden müssten. Denken Sie an den
Hightech-Masterplan! Lieber Herr Fell, im Dezember
haben Sie ihn endlich notdürftig „zum Rumpeln gebracht“. Ich hoffe für Sie alle, dass er voll und ganz umgesetzt wird. Der Streit in der Bundestaatskommission
über die Zuständigkeiten in Bildungs- und Forschungspolitik zwischen Bund und Ländern ist eine Blockade,
die uns alle hier massiv tangiert.
Ich glaube nicht, dass irgendein Mensch hier in
Deutschland Verständnis dafür hat, was wir uns auf diesem Gebiet zurzeit leisten.
({4})
Wir, die Bundesregierung und die Landesregierungen
- sie sind wieder einmal nur spärlich anwesend - blockieren uns gegenseitig auf den wichtigsten Feldern, und
das in einem Jahr, das wir zum Jahr der Innovationen
machen möchten. So wird das nicht funktionieren, Frau
Bulmahn.
Da die Zeit der FDP leider immer sehr kurz bemessen
ist,
({5})
möchte ich nur noch Folgendes sagen: Liebe Frau
Bulmahn, Herr Wowereit hat gestern gesagt, man sollte
jetzt an den Verhandlungstisch zurückkehren. Deshalb
will ich an dieser Stelle einmal einen ganz deutlichen
Appell an die Ministerpräsidenten richten. Dieses Land
wird sich in Bildung und Forschung nur dann weiterentwickeln, wenn die Ministerpräsidenten endlich aufhören,
politisch zu taktieren, und wenn sie die Kompetenz wieder an die Fachminister zurückgeben. Dann werden wir
in der Lage sein, eine Lösung für dieses Land zu finden,
damit endlich alle gemeinsam einen Schritt nach vorn
gehen können und wir die Bürger nicht weiter mit Diskussionen über Sachen langweilen, die in anderen Ländern längst entschieden sind.
({6})
Ich erteile Kollegin Andrea Wicklein, SPD-Fraktion,
das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist das richtige Signal, „Forschung und Innovation“ heute, in der ersten Plenarwoche des neuen
Jahres, zu diskutieren. Wir wissen, dass Forschung und
Innovation die zentralen Handlungsfelder für Wohlstand,
für Arbeitsplätze, für soziale Sicherheit und für nachhaltige Entwicklung sind, nicht nur für Deutschland, sondern für Europa insgesamt. Deshalb werden wir den
erfolgreichen Weg der rot-grünen Regierungskoalition
fortsetzen.
({0})
Es ist an dieser Stelle ganz wichtig, dass wir uns noch
einmal an etwas erinnern, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition. Unter der Regierung Kohl
wurde der Forschungsetat bis 1998 dramatisch abgebaut.
Der staatliche Finanzierungsanteil bei Forschung und
Entwicklung sank pro Jahr um 1,2 Prozent. Deutschland rutschte im internationalen Vergleich von Platz drei
auf Platz neun ab - mit negativen Folgen für den Standort Deutschland und für unsere Gesellschaft, Folgen, die
die Regierung unter Bundeskanzler Schröder nun Schritt
für Schritt, auch durch die Umsetzung der Agenda 2010,
in den Griff bekommt.
Ich freue mich darüber, dass die vorliegenden Anträge der Opposition zeigen: Union und FDP unterstützen heute mit ihren Forderungen nach mehr Innovation
in weiten Teilen die Politik der Regierungskoalition. Im
Prinzip fordern sie jetzt zum Teil das, was Rot-Grün
schon seit dem Regierungsantritt 1998 verwirklicht.
Seitdem sind die Ausgaben des Bundes für Bildung und
Forschung um mehr als 2,7 Milliarden Euro auf jetzt
rund 10 Milliarden Euro gestiegen.
({1})
Das ist eine Steigerung um fast 40 Prozent gegenüber
1998.
Bei den Spitzentechnologien verzeichnet Deutschland
einen Exportüberschuss von 132 Milliarden Euro. Bei
den forschungsintensiven Gütern liegt Deutschland mit
einem Weltmarktanteil von 14,9 Prozent nach den USA
weltweit auf Platz zwei. Mit 127 weltmarktrelevanten
Patenten je 1 Million Einwohner liegt Deutschland im
internationalen Vergleich auf Platz zwei hinter Japan.
Wir konnten erreichen, dass sich 72 Prozent mehr junge
Menschen für ein Studium der Naturwissenschaften und
Technik entscheiden als noch 1998. Rund 35 Prozent
sind es bei den Ingenieurwissenschaften. Das kommt
nicht von ungefähr.
({2})
Das ist eine Bilanz, die eindeutig zeigt: Die Prioritätensetzung der rot-grünen Regierungskoalition auf Bildung
und Forschung trägt Früchte.
Ein Aspekt ist für mich besonders wichtig. Er ist in
den letzten Jahren zum Markenzeichen rot-grüner Politik
geworden und spiegelt einen Politikstil wider, der von
Teilen der Opposition, wie wir auch gerade wieder hören
mussten, kritisiert wird, weil Sie von der Opposition
offensichtlich nicht verstanden haben, worum es dabei
geht. Der Bundesregierung ist es gemeinsam mit vielen
Partnern gelungen, einen breiten Dialog von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft zu initiieren. Hervorzuheben ist dabei vor allem die Initiative „Wissenschaft
im Dialog“, die von allen großen Forschungsorganisationen, dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung getragen wird. Seit 2000 wird in jedem Jahr ein
bestimmtes Wissenschaftsgebiet in den Fokus der breiten Öffentlichkeit gerückt und damit werden Verständnis, Neugier und Begeisterung für Wissenschaft und Forschung geweckt. Deshalb ist es völlig absurd, wenn Frau
Reiche, wie jüngst und auch heute wieder hier im Bundestag, die über 1 100 erfolgreichen Veranstaltungen mit
mehr als 1 Million Besuchern im Jahr der Technik 2004
als Rummel oder die Eröffnungsveranstaltung, die sehr
erfolgreich war, als Show bezeichnet.
({3})
Mit dem Einstein-Jahr 2005 werden wir diese Erfolgsgeschichte weiterschreiben.
({4})
Ich finde es geradezu phänomenal, dass sich deutschlandweit etwa 20 000 Schulen an diesem Projekt beteiligen.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade die jüngsten
wissenschaftlichen Fortschritte im Bereich der Biomedizin, der Genomforschung und der grünen Gentechnik
machen deutlich, dass nur die Wissenschaft Unterstützung und Akzeptanz findet, die die Erwartungen und die
Kritik der Menschen aufnimmt und entsprechend berücksichtigt. Gerade da sehe ich gravierende Unterschiede zwischen den Auffassungen von Regierung und
Opposition.
Ein Beispiel, das heute schon des Öfteren genannt
wurde, ist die Energieforschung. Sie verlangen die
Rücknahme der Entscheidung für den schrittweisen
Ausstieg aus der Kernenergie, obwohl es einen breiten
gesellschaftlichen Konsens für diesen Ausstieg gibt. Ich
frage Sie: Haben Sie Lösungen für die Aufbereitung und
Endlagerung? Was passiert 2035, wenn die Uranvorkommen zur Neige gehen? Sind die vereinbarten Restlaufzeiten nicht vernünftige Kompromisse zwischen Sicherheit, Ökologie und Wirtschaftlichkeit?
({6})
Auch bei der Kernfusion haben die immensen finanziellen Aufwendungen immer noch nicht zu einer nutzbaren Anwendung geführt. Nach Ansicht führender Forscher wird die Kernfusion auch in den nächsten
50 Jahren keinen entscheidenden Beitrag zur Energieversorgung leisten können. Die Fusion bleibt zwar auch
für uns ein wichtiges Feld für die Grundlagenforschung,
aber es ist doch sinnvoll - das wird auch von der Bevölkerung so gesehen -, die staatlichen Forschungsmittel
im Energiebereich schwerpunktmäßig für erneuerbare
Energien, Energieeinsparung und Energieeffizienz einzusetzen.
({7})
Ein weiteres Beispiel ist die Grüne Gentechnik. Sie
fordern die Rücknahme der gesetzlichen Regelungen zur
Grünen Gentechnik, obwohl 87 Prozent der Bevölkerung gentechnisch veränderte Nahrungsmittel ablehnen.
Hier ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Das Gentechnikgesetz enthält deshalb wichtige Rahmenbedingungen, um die Sicherheit der Verbraucher zu gewährleisten, und trägt dazu bei, Vertrauen und Akzeptanz zu
erhöhen.
({8})
Vertrauen und Akzeptanz der Menschen gegenüber
der Wissenschaft - das sind die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die auch die Forscherinnen und Forscher brauchen. Wir brauchen ein Klima in der Gesellschaft, das Fortschritt unterstützt und dazu führt, dass
wissenschaftliche Ergebnisse schneller in absatzfähige
Produkte überführt werden.
({9})
Ich freue mich, dass auch EU-Forschungskommissar
Potocnik die Wissenschaft und die Forschung auf die
Marktplätze holen will.
({10})
Mit einem breiten Angebot an Partizipationsmöglichkeiten ist es uns gelungen, die noch vorhandenen Elfenbeintürme der Wissenschaft zu öffnen und mehr und mehr
vor allem junge Menschen zu begeistern und auf diesem
Weg mitzunehmen.
Mit dem Beschluss von Lissabon im Jahre 2000 haben die EU-Mitgliedstaaten das ehrgeizige Ziel beschlossen, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung
bis zum Jahr 2010 auf 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern. Natürlich ist auch hier ganz klar die
Wirtschaft gefragt.
({11})
Wir wissen, dass bis dahin noch ein steiniger Weg vor
uns liegt. Unser Ziel ist es, dem Einzelnen die Chance
auf Teilhabe zu bieten, auf ein Leben in einer lebenswerten Umwelt, verbunden mit einem hohen Maß an sozialer Sicherheit. Wir werden alles daransetzen, dieses Ziel
zu erreichen. Forschung und Wissenschaft werden von
Menschen für Menschen gemacht. Gut gebildete Menschen sind die wichtigste Ressource, um das Morgen zu
gestalten.
Ein guter Forschungsstandort braucht Investitionen
in die Köpfe und das kostet Geld. Damit bin ich beim
Punkt Finanzen, bei der Abschaffung der Eigenheimzulage, die dem Bund, den Ländern und den Kommunen
bis 2012 fast 6 Milliarden Euro bringen würde. Sie beharren auf der Eigenheimzulage; wir dagegen wollen die
Mittel in die Zukunftsförderung investieren. Sicher ist
die Abschaffung der Eigenheimzulage hart für diejenigen, die heute diese staatliche Förderung brauchen; aber
wir müssen uns entscheiden. Mit mehr Bildung verbessern sich zukünftig für viele Menschen die Aussichten,
ihr Heim mit ihren eigenen Mitteln, mit ihrem eigenen
Einkommen zu finanzieren. Die Politik muss sich entscheiden, ob sie Fische verschenken will oder Angeln.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns allen muss klar
sein, dass unser Land nur über Investitionen in Ideen, in
Wissen und Kompetenzen im globalen Wettbewerb bestehen kann. Wir setzen dabei auf die Hebelwirkung unserer Maßnahmen in Bildung und Ausbildung, in Wissenschaft und Forschung. Dazu bedarf es einer besseren
Zusammenarbeit von Bund und Ländern. Daran ändert
auch der vorläufige Ausgang der Föderalismusdebatte
nichts. Bund und Länder müssen gemeinsam einen Weg
in die Zukunft finden, damit es nicht zu einem Stillstand
in der Bildungs- und Forschungspolitik kommt. Wir sind
offen für Gespräche.
Wir richten die Bildungs- und Forschungspolitik am
Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung aus und setzen
uns dafür auch auf europäischer Ebene innerhalb des
7. Forschungsrahmenprogramms ein. Nachhaltigkeit ist
das Lösungsmodell, um die globalen Herausforderungen
der Zukunft zu meistern. Die Zukunft für Deutschland
hat schon begonnen.
Vielen Dank.
({12})
Ich erteile das Wort Kollegen Michael Kretschmer,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle vier
Jahre kommt der Bundesforschungsbericht heraus und
gibt eine Bestandsaufnahme der Forschungsförderung in
Deutschland. Von Mal zu Mal wird er dicker. Mit rund
800 Seiten ist das aktuelle Werk im Vergleich zum vorherigen Bericht noch einmal um 200 Seiten angeschwollen. Die Frage ist allerdings: Hält der Inhalt, was die Optik verspricht? Schon Georg Christoph Lichtenberg
meinte, bei manchem Werk möchte man lieber lesen,
was weggestrichen wurde, als das, was man hat stehen
gelassen. So verhält es sich auch hier.
Wir vermissen zum Beispiel einen Hinweis auf die
soeben angesprochene Lissabon-Strategie, immerhin
ein Schwergewicht der europäischen und nationalen Forschungsförderung, die Ihr Kanzler durch seine Unterschrift mit angestoßen hat. Die Halbzeitbilanz der Lissabon-Strategie ist für die Bundesregierung sehr
unschmeichelhaft ausgefallen. Die Sachverständigen kamen zu dem Schluss, dass sich die Fortschritte viel zu
langsam einstellen und dass es am entschlossenen politischen Handeln fehlt. Asien und Nordamerika haben es
geschafft, auch unter schwierigen weltwirtschaftlichen
Rahmenbedingungen den Abstand zu Europa zu vergrößern. 74 Prozent der 300 führenden IT-Unternehmen und
46 Prozent der Top 300 bezüglich Ausgaben für Forschung und Entwicklung sind mittlerweile in den Vereinigten Staaten von Amerika ansässig.
Und Deutschland? Als größte Volkswirtschaft in der
Europäischen Union hätte die Bundesregierung im Sinne
der Lissabon-Strategie erheblich größere Anstrengungen
unternehmen müssen. Mit Mühe haben Sie es geschafft,
Herrn Eichel wenigstens einen geringen Aufwuchs Ihres
Haushalts abzuringen. Dafür, Frau Bulmahn, verdienen
Sie zunächst einmal Respekt. Wir wissen aber auch: Dieser Aufwuchs existiert nur virtuell. Die Erhöhungen verpuffen durch Sparpakete und globale Minderausgaben.
({0})
Darüber hinaus schadet es Deutschland, dass Sie andauernd versuchen, Frau Minister, das BMBF von einem
Innovationsministerium zu einer Schulbehörde umzufunktionieren.
({1})
Hören Sie endlich auf, zweifelhafte Bildungsprojekte zu
initiieren, die maximal am Rande Ihrer Zuständigkeit
liegen! Beenden Sie die Geisterfahrt, die Sie ständig auf
Kollisionskurs mit den Ländern bringt!
({2})
Forschung, Innovation und Hochschulbau sind Ihre Baustellen. Die brauchen dringend mehr Aufmerksamkeit
vonseiten des Bundesforschungsministeriums.
({3})
Deutschland ist durch seine Wachstumsschwäche
maßgeblich verantwortlich dafür, dass auch die Europäische Union insgesamt nur ein geringes Wachstum aufzuweisen hat. Das hat natürlich Auswirkungen auf das Lissabon-Ziel.
Besonders schlimm ist aber, dass die Bundesregierung und vor allem ihr grüner Teil Zukunftstechnologien
mit großem Wachstumspotenzial behindert. Nehmen Sie
nur die Grüne Gentechnologie. Hier hat die Bundesregierung die Gesetzeslage zum Nachteil unserer Forscher
und Anwender erheblich verschärft. Mit der Einführung
der verschuldensunabhängigen Haftung ohne Haftungsobergrenzen haben Sie die Hürden unerträglich hoch gesetzt und die Stimmung in unserem Land für diese Zukunftstechnologie vergiftet.
({4})
Statt die Chancen zu sehen und den Menschen Mut zu
machen, konstruieren Sie Risiken und sorgen für Skepsis
gegenüber dieser neuen Zukunftstechnologie. Mit Ihrem
Gesetz haben Sie die Anwendung der Grünen Gentechnik faktisch ausgeschlossen. Sie haben so willentlich die
Chancen engagierter Wissenschaftler zerstört. Sollen
doch die Pflanzen von morgen wachsen und gedeihen,
wo sie wollen: Hauptsache nicht bei uns in Deutschland.
Die Folgen sind klar. Um mit Ihren Worten, Frau Minister, zu sprechen: Wenn ich heute schon das Morgen
denke, dann sehe ich eine Forschung, die ins Ausland
abgewandert ist, und mit ihr das Wissen und die guten
Ideen, die in der Vergangenheit aus Ihrem Etat finanziert
worden sind. Warum haben wir überhaupt seit 1998 über
100 Millionen Euro in die Pflanzenbiotechnologie investiert? Wir haben diese Förderung begrüßt und haben
sogar mehr Geld gefordert. Dabei hatten wir aber die Erwartung, dass die Förderung der Forschung auch zur Anwendung in Deutschland führt, wodurch Arbeitsplätze
geschaffen werden können, die wir so dringend brauchen.
({5})
Es ist eine Tatsache, dass seit dem Amtsantritt der rotgrünen Regierung über 1 Million Arbeitsplätze in diesem Land verloren gegangen sind. Von einem wirtschaftlichen Aufschwung kann ebenfalls keine Rede
sein. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Jetzt machen Sie
auch noch diese Zukunftstechnologien, in denen unsere
Chance auf neue Arbeitsplätze liegt, kaputt.
Ich will noch einige wenige Bemerkungen zu ITER,
zur Kernfusion und Kerntechnologie machen. Was Sie
sagen, ist einfach nicht richtig: Die USA, Japan und die
Europäische Union setzen sich für die Kernfusion ein
und streiten darum, wo der nächste Kernfusionsreaktor
gebaut werden soll. Aber Deutschland, also das Land, in
dem diese Technologie erfunden worden ist und das bei
der Kernfusion führend ist, vollzieht derzeit einen Rollback und steigt aus dieser Technologie aus.
({6})
Die Wissenschaftler reiben sich verwundert die Augen,
weil sie über diese Entwicklung so erstaunt sind. Sie betreiben den Abbau des wissenschaftlichen Potenzials.
Das schadet dem Standort Deutschland ganz stark.
({7})
Die genehmigten Versuchsfelder in Golm, in Pillnitz
und in Quedlinburg - ich weiß nicht, ob die Frau Minister jemals dort gewesen ist - sind von Ökoterroristen
zerstört worden. Dies zeigt, was passiert, wenn sich die
Politik nicht hinter Zukunftstechnologien stellt, sondern
mit ihren Gesetzen Stimmung gegen diese neuen Technologien macht. Wir brauchen ein klares Ja zur Biotechnologie und kein Hin und Her, das die Menschen verunsichert.
({8})
Vor wenigen Tagen ist das Jahr der Innovation zu
Ende gegangen. Der Laie staunt, weil er sich kaum noch
an diesen Schwerpunkt erinnern kann, und der Experte
ist enttäuscht, weil außer PR und Reden nichts wirklich
Innovatives in diesem Jahr passiert ist. Nehmen Sie die
Förderung der Gründungs- und Wachstumsfinanzierung.
Sie beschreiben das Problem in Ihrem Forschungsbericht. Dort steht, dass gerade den F-und-E-intensiven
Unternehmensgründungen Eigenkapital fehlt. Der Befund ist richtig; aber Sie handeln nicht.
Nichts ist in diesem und im vergangenen Jahr passiert. Im Gegenteil: Sie haben eines der wichtigsten Programme, nämlich das Programm Futour, gestrichen, obwohl sein Fortbestand dringend notwendig gewesen
wäre. Denn es war das letzte Programm, mit dem Forschungs- und Entwicklungsausgründungen aus Hochschulen gefördert wurden. Genau das ist Ihr Fehler: Entweder Sie erkennen das Problem, sind aber nicht fähig,
es zu lösen, oder aber Sie dürfen mit Rücksicht auf den
grünen Partner - wie bei der Grünen Gentechnik und der
Kernfusion - die Probleme nicht angehen und lösen.
Wir haben diese Denkblockaden nicht. Wir setzen uns
für eine umfassende Reform unserer Forschungsförderung ein. Unsere Forscher sollen sich in Deutschland so
wohl fühlen, dass sie gar nicht daran denken, dauerhaft
das Land zu verlassen. Wir stellen uns damit auch dem
Problem des Braindrain. Ich kann es nicht ertragen,
wenn die Forschungsministerin und auch ihre Kollegen
in der Fraktion die Augen vor diesem Problem verschließen und bestreiten, dass es eine Abwanderung von jungen Wissenschaftlern gibt. Tatsache ist doch: Die besten Wissenschaftler verlassen unser Land in Richtung
Amerika. Wir müssen diesen Trend ganz schnell stoppen. Dazu müssen wir uns aber dem Problem stellen.
({9})
Ein Lösungsansatz ist die Forschungsprämie. Frau
Minister, anstatt einen Elitewettbewerb auszuloben
- mittlerweile spricht man nicht mehr von Elite-, sondern von Spitzenuniversitäten -, der konträr zu den Interessen der Länder organisiert worden ist, wäre diese Prämie ein vernünftiger Ansatz gewesen.
({10})
Die Resonanz aus der Wissenschaft zeigt, dass wir damit
auf einem richtigen Weg sind. Wir möchten Sie herzlich
einladen, mit uns gemeinsam über eine Forschungsprämie und über einen Overhead-Bonus für eingeworbene
Drittmittel der Universitäten und Hochschulen zu diskutieren. Wir glauben, dass die Vollkostenfinanzierung ein
innovativer Ansatz ist. Dieser neue Ansatz der Finanzierung würde Ihrem Forschungsbericht deutlich mehr
Klasse und der Forschung mehr Gewicht geben.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort Kollegen Reinhard Loske, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich meine eigenen Argumente darstelle, eine kleine
Replik auf die Dinge, die meine Vorredner angesprochen
haben. Zunächst zu der Philippika von Frau Reiche, die
sie wieder einmal abgelassen hat. Ich habe mir die Worte
aufgeschrieben; es war von „kläglicher“ Forschungspolitik, von einem „Einbruch bei den Basisinnovationen“
und davon die Rede, dass Wissenschaftler abwandern.
({0})
Richtig ist, dass man Dinge nicht schönreden soll; man
braucht eine realistische Problemanalyse.
({1})
Aber ganz schlimm ist - das muss ich einmal sagen - die
Art der Schwarzmalerei, die Sie hier betreiben.
({2})
Wir haben in Deutschland in der Klima- und Geoforschung, der Bioforschung, der Biotechnologieforschung,
in der Nanotechnologie, der Energie-, der Verkehrs- und
der Materialforschung Institute von Weltrang. Es wundert mich in ganz besonderer Weise, dass Ihnen, Frau
Reiche, als Abgeordnete aus Brandenburg nicht einfällt,
dass wir im Bereich der Klima- und Geoforschung Institute von Weltrang haben.
({3})
Sie reden alles schlecht. Das ist absolut unakzeptabel.
({4})
Herr Kretschmer, ich kenne Sie zwar nicht persönlich; aber ich glaube, Sie kommen aus Sachsen. Es wäre
schön gewesen, wenn Sie darauf hingewiesen hätten,
dass wir mit dem Umweltforschungszentrum LeipzigHalle im Bereich der Umweltsanierung ein Institut von
Weltrang haben. Auch dazu kein Wort! Sie können nur
mies machen und schlechtreden. Das ist vollkommen
unakzeptabel.
({5})
Ein weiterer Themenkreis betraf die Mitteldefizite.
Wir alle sind uns einig: Wir brauchen mehr Geld für die
Forschung; das ist gar keine Frage. Nur, ich muss darauf
hinweisen, dass bei Ihnen eines nicht zusammenpasst:
Sie blockieren die Abschaffung der Eigenheimzulage
und den Pakt für Forschung und Innovation.
({6})
Sie blockieren das Exzellenzprogramm für die Hochschulen. Ich fordere Sie auf: Verlassen Sie den Pfad der
Blockade bei der Eigenheimzulage! Nehmen Sie Einfluss auf die von Ihrer Partei regierten Länder und machen Sie den Weg frei für zusätzliche Mittel für die Forschung! Das ist ganz wichtig.
({7})
Jetzt zu Frau Flach. Auch da gibt es viel zu sagen; ich
will nur zwei Punkte ansprechen. Frau Flach, Sie haben
beklagt, dass Deutschland - ich habe es mir aufgeschrieben - die Mittel für die militärische Forschung nicht
hinreichend aufstockt. Ich muss hier ganz klar festhalten: Wir haben kein Problem damit, dass wir die Mittel
für die Forschung an Bio-, Chemie- und Nuklearwaffen
nicht aufstocken.
({8})
Ich möchte an den viel zitierten Herrn Einstein erinnern, den wir alle zu Recht bewundern. Vielleicht können nicht mehr alle von uns die Relativitätstheorie rekonstruieren; das ist wohl wahr. Aber wir alle haben in
Erinnerung, dass Einstein sich dafür eingesetzt hat, dass
mit dem Wettrüsten Schluss sein muss, weil das die
Menschheit ins Verderben führt. Auch dazu hätte ich
gern ein Wort gehört.
({9})
Einstein steht für Wissenschaft in Verantwortung. Das ist
genau unser Punkt.
({10})
- Ich möchte jetzt keine Zwischenfrage zulassen. ({11})
Das, Frau Flach, unterscheidet uns auch beim Thema
Biowissenschaft. Nehmen Sie doch bitte endlich einmal
zur Kenntnis, dass in diesem Hohen Hause insgesamt die
Meinung vorherrscht, dass man bei der Diskussion über
das Thema Biowissenschaften und Gentechnik auf ein
ausgewogenes Verhältnis zwischen Chancen auf der einen und ethischen Grenzen auf der anderen Seite zu achten hat. Sie sehen immer nur die eine Seite der Medaille.
Das wollen die Menschen nicht. Das werden auch Sie
merken und das sollten Sie zur Kenntnis nehmen.
({12})
Eine reine technische Durchbrecherstrategie ist unakzeptabel.
Herr Kretschmer - auch wenn Sie gerade telefonieren -,
der Blödsinn, den Sie gerade erzählt haben, dass nämlich
Ökoterroristen nachgerade durch die Politik aufgefordert würden, Felder zu zertrampeln,
({13})
ist wirklich Mist. Entschuldigung, dass ich das so sage!
({14})
Wir haben ein Gesetz, mit dem wir Transparenz und
die Einhaltung des Verursacherprinzips sicherstellen.
Das ist der einzige Grund für dieses Gesetz. Dies ist voll
und ganz angemessen und diese Einsicht wird sich über
kurz oder lang durchsetzen.
({15})
Wir wollen nicht, dass die Biotechnik auf einen Bereich
reduziert wird. Auch dieser Bereich soll zwar seine
Chance haben; das ist gar keine Frage.
({16})
Aber auch für viele andere Bereiche, ob es die Biokatalyse, die Bionik oder der Biolandbau ist, brauchen wir
Forschungsmittel. Es kann nicht alles auf eine Karte gesetzt werden, wie Sie das wollen. Das geht nicht. Das
machen wir nicht.
({17})
Der letzte Punkt meiner Vorbemerkungen betrifft die
Kerntechnik. Es ist ganz klar und offenkundig: Wir
wollen einen anderen Weg. Im Zentrum unseres Weges
in der Energiepolitik und Energieforschung stehen Einsparungen, mehr Effizienz und der Einsatz erneuerbarer
Energien. Sie wollen auf den nuklearen Pfad zurück. Das
ist ein klarer Unterschied und diesen Unterschied werden wir herausarbeiten, wenn es darum geht, dass die
Menschen darüber abstimmen, welchen Weg sie wollen.
({18})
Jetzt zu den Innovationsfeldern. Mir bleibt noch eine
Redezeit von zwei Minuten; zwei Drittel meiner Redezeit habe ich schon verbraucht.
({19})
Erstens. Im Bereich der Energie bestehen im Moment
riesige Möglichkeiten. Das Fenster der Möglichkeiten
wird sich in den nächsten zehn bis 15 Jahren öffnen, weil
eine Kraftwerksleistung von 30 000 bis 40 000 Megawatt vom Netz gehen wird. Hier besteht ein Reinvestitionsbedarf von 30 Milliarden Euro. In dieses Fenster
der Möglichkeiten müssen wir mit modernsten Technologien einsteigen. Das ist ganz wichtig.
In diesem Bereich verfügen wir über exzellente Unternehmen und über exzellente Forschung. Dabei geht es
nicht immer nur um jene großen Unternehmen, die hier
beschworen werden, sondern auch um mittelgroße Unternehmen wie - wenn ich ausnahmsweise einmal einen
Namen nennen darf - die Firma Vaillant in NordrheinWestfalen, die in der Brennstoffzellenforschung sehr innovativ ist. Diese Technologien sind klimaverträglich
sowie exportfähig und wirtschaftlich. Dafür setzen wir
uns ein.
({20})
Zweitens zur Mobilität: Verliefe die Entwicklung in
allen Ländern so, wie sie historisch bei uns verlaufen ist,
stellte dies im Hinblick auf den Klimawandel ein riesiges Problem dar. Deswegen brauchen wir anspruchsvolle Verbrauchsstandards bei den Automobilen. Die
Automobilindustrie täte gut daran, zur Kenntnis zu nehmen, dass zum Beispiel in China und bald auch in Kalifornien klare Verbrauchsstandards eingeführt werden. In
Zukunft wird also auf diesen Märkten nur noch derjenige
mitspielen können, der verbrauchsarme Autos anbietet.
Dies müssen wir pushen, denn auf diesem Gebiet haben
wir etwas anzubieten.
({21})
Auch beim Dieselrußfilter ist ein mittelständischer
Unternehmer aus Nordrhein-Westfalen führend. Ich
nenne jetzt keinen Namen; wir haben ihm im letzten Jahr
den Umweltpreis verliehen. Der Dieselrußfilter ist vorhanden. Die Partikelemissionen, die viele Menschen
krank machen, können in unseren Städten deutlich - fast
auf null - reduziert werden. Diese Technologie ist
schnell einzuführen; dies wollen wir.
Ich hätte noch viel zur Materialforschung zu sagen,
die ebenfalls viele Möglichkeiten aufweist, was die Ressourceneffizienz oder den Ersatz von energieintensiven
chemischen Prozessen durch biologische Prozesse anbetrifft. Wir nennen dies Weiße Biotechnologie. Auch hier
gibt es ein riesiges Feld der Möglichkeiten.
Bei all dem dürfen wir - auch dies ist ganz wichtig die Sozial- und Geisteswissenschaften nicht vergessen.
({22})
Einseitig nur auf Technologie zu setzen und außen vor
zu lassen, was dies für die Gesellschaft bedeutet, wäre
falsch. Die Notwendigkeit der sozial- und geisteswissenschaftlichen Begleitforschung gilt insbesondere für den
Bereich der Bio- und Nanotechnologie.
Ich komme zum Schluss. Es geht nicht darum, die Situation schönzureden. Wir brauchen eine realistische
Problemanalyse und wir können und müssen besser werden. Was wir aber wirklich nicht gebrauchen können,
meine Damen und Herren von der Opposition, ist das
Schlechtreden des Forschungsstandorts Deutschland.
Dies entspricht auch nicht der Realität.
({23})
Ich erteile Kollegen Hellmut Königshaus, FDP-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die bisherige Diskussion hat gezeigt, dass wir uns wieder einmal
alle im Grundsatz einig sind, uns aber bei den konkreten
Details Welten von der Koalition trennen. Der Forschungsbericht und die Redebeiträge, speziell der des
Kollegen Loske, den wir gerade gehört haben, haben gezeigt, dass Sie ganz wesentliche Bereiche des Forschungsspektrums vernachlässigen und darauf auch
noch stolz sind. Ich will dies nicht wiederholen; das ist
alles schon erörtert worden.
Herr Kollege Loske, nicht alles, was man Ihnen anlastet, wird dem Standort Deutschland angelastet. Wir haben eine schlechte Bundesregierung; aber damit ist der
Standort Deutschland nicht schlecht. Bei einer anderen
Regierung wäre er deutlich besser.
({0})
Hören Sie doch auf, alles in Ihren knallbunten Farben
zu malen. Die Tatsache, dass Ihre Anträge von zweifelhafter Qualität sind, haben Sie damit belegt, dass Sie
sich einbilden, in den Forschungsansätzen des Militärhaushalts seien nur Waffenforschungsmittel enthalten.
Das ist so abstrus und dumm, dass man wirklich fast verzweifeln kann, meine Damen und Herren.
({1})
- Fragen Sie doch den Kollegen Tauss. Er hätte längst
einen Zwischenruf gemacht, wenn er nicht auch dies
besser wüsste.
({2})
- Er ist wirklich nicht so primitiv, wie er manchmal
wirkt. Er kann Ihnen zu diesen Themen Hervorragendes
sagen.
({3})
Forschungspolitik taugt nur dann, wenn sie die richtigen Rahmenbedingungen setzt. Wo haben wir darüber
etwas in Ihrem Bericht lesen können? Die Grundlagen
für die Innovation, die Sie hier immer beschwören,
müssten organisiert werden, damit wir nachhaltiges
Wachstum, Strukturwandel und Arbeitsplätze schaffen
können. Wo steht denn dies in Ihrem Bericht oder in Ihrem Antrag? Nirgendwo! Nichts war davon zu hören.
Die Bundesregierung darf sich doch nicht von Ideologen
und Kleinmütigen bedrängen lassen. Sie tut es aber.
Auf immer mehr Gebieten werden wir forschungspolitisch isoliert. Das Ergebnis ist klar erkennbar: Das Defizit bei den Patenten und Erfindungen, aber auch bei Ingenieurleistungen wird immer größer; wir müssen sie
weltweit einkaufen. Dies zeigt die Bilanz der technologischen Dienstleistungen in erschreckender Deutlichkeit.
Der Negativsaldo beträgt 1,7 Milliarden Euro. Ich habe
leider nicht so viel Zeit, Ihnen das im Detail zu erläutern.
({4})
- Stellen Sie doch eine Zwischenfrage.
Wir bekommen von Ihnen keine Antworten auf die
drängenden Fragen. Die Bundesregierung hat uns
800 Seiten Papier abgeliefert, aber keine Antwort gegeben. Das ist Ihr Bericht, Frau Ministerin.
({5})
Warum haben wir in Deutschland per Saldo eine so
große Abwanderung von wissenschaftlichen Kräften?
Sie fragen gar nicht, warum sie in die USA, nach Großbritannien und in die Schweiz gehen. Sie ignorieren die
Motive der Abwanderung. Was mich besonders wundert,
da Sie dieses Thema doch sonst immer in den Vordergrund stellen, ist, dass Sie nicht die erbärmlichen Bedingungen für junge Mütter im Wissenschaftsbereich aufgreifen. Nichts davon ist in Ihrem Bericht zu lesen.
Nichts davon ist von Ihnen zu hören. Sie reden immer
nur in Ihren Sonntagsreden darüber.
({6})
- Wenn Sie eine Frage zu diesem Thema haben, dann
stellen Sie doch eine Zwischenfrage.
Meine Damen und Herren, mit Wirklichkeitsverweigerung, wie wir sie aus der Rede von Herrn Loske und
Ihren Zwischenrufen heraushören können, ist dem Wissenschaftsstandort Deutschland nicht geholfen. Lassen
Sie uns entschieden die Aufgaben im Bereich der Forschungs- und Technologieförderung angehen! Lassen
Sie uns endlich die Zuständigkeiten bündeln und damit
über die Ressortgrenze hinaus die Bundesregierung dazu
drängen, sich insgesamt dafür verantwortlich zu fühlen.
Bisher gibt es doch überall ideologische Vorbehalte,
Kleinmütigkeit und im Übrigen auch Ressortegoismen.
Verehrte Frau Bundesministerin, die Bundesregierung
erschlägt uns und die Wissenschaft durch Ihren Bericht
mit vielen Worten. Was uns aber fehlt, sind Taten und
Mut. In diesem Kabinett könnten Sie doch wirklich der
stärkste Mann sein, Frau Ministerin. Trauen Sie sich
doch einmal etwas!
({7})
Ich erteile Bundesministerin Edelgard Bulmahn das
Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Herren und Damen! Wir starten das Jahr 2005 mit einer
Debatte zur Innovation. Das ist gut und auch richtig.
Gleichzeitig haben wir dieses Jahr mit einer großen Veranstaltung zum Gedenken an Einstein gestartet, da es
ein Einstein-Jahr sein wird. Ich glaube, wir sollten in
dieser Debatte deutlich machen, wofür Einstein steht. Er
steht für Kreativität, Experimentierbereitschaft und Neugier. All das ist Voraussetzung für ein leistungsfähiges
Forschungssystem und für die Innovationsfähigkeit unseres Wirtschaftssystems. Dies wiederum sind die beiden Eckpfeiler für Wirtschaftswachstum, die Schaffung
zukunftssicherer Arbeitsplätze und für soziale Sicherheit.
Der Bundesforschungsbericht 2004 enthält die ganz
eindeutige Feststellung, dass Deutschland seit 1998 auf
Innovationskurs ist.
({0})
Die Bundesregierung setzt klare Schwerpunkte; das wird
im Bundesforschungsbericht deutlich herausgestellt. Wir
bauen die Forschungsförderung in wichtigen Zukunftsbranchen aus. Entscheidend ist, dass unsere Politik auch
Wirkung zeigt. Von daher wäre es gut, den Bundesforschungsbericht zur Kenntnis zu nehmen.
({1})
Der Bericht zeigt auf, dass Deutschland seine Position
auf den internationalen Märkten verbessert hat. Mit einem Weltmarktanteil von 15,6 Prozent bei den forschungsintensiven Gütern in der Hoch- und Spitzentechnologie liegen wir weltweit hinter den USA auf Platz
zwei. Auch bei den weltmarktrelevanten Patenten liegen
wir auf Platz zwei. Nach dem Report des World Economic Forum liegen wir bei der Wertschöpfung in diesem
Bereich sogar auf Platz eins. So sieht es in der Realität
aus. Das heißt: Wir können uns sehen lassen.
Wir sind vom Importeur der Lasertechnik in den 80erJahren inzwischen zum Weltmarktführer geworden.
({2})
- Sicherlich, Frau Flach, ist es in der Forschung oft so,
dass Erfolge nicht im ersten oder zweiten Jahr festgestellt werden können, sondern erst im dritten oder vierten oder auch erst im sechsten oder siebten Jahr. Was wir
hier aber auf vielen Feldern erreicht haben, belegt ausdrücklich, dass wir ein forschungsstarker Standort sind.
Ich werde nachher deutlich machen, dass wir auf die
richtigen Forschungsfelder setzen: auf die Materialwissenschaften, auf die Biotechnologie, auf die Informations- und Kommunikationstechnologien, auf die Nanotechnologie und auch auf die Umwelttechnologie. Im
Bereich der Nanotechnologie haben wir die Forschungsausgaben in den letzten Jahren erheblich gesteigert.
({3})
Das zeigt sich auch an den Erfolgen. In der Nanotechnologie sind wir weltweit führend. Das wissen Sie. Wenn
Sie hier so tun, als wenn wir in diesem Bereich überhaupt keine Rolle spielten, ist das wirklich absurd.
({4})
Wir gehören auf dem Feld der Biotechnologie in Europa
und auch weltweit zu den führenden Nationen; wir stehen in Europa an der Spitze, was die Zahl der neu gegründeten Unternehmen angeht. Wir haben das aufgeholt, was in den 80er- und teilweise in den 90er-Jahren
durch die alte CDU/CSU-FDP-Bundesregierung verspielt worden war. Das ist die Realität.
({5})
Ich sage noch einmal ausdrücklich: Auch in der Nanotechnologie, die ja Wachstumstreiber für eine ganze
Reihe wichtiger Industriebranchen ist, ist unser Land
stark. Wir sind in diesem Bereich führend in der Forschung und wir haben durch unsere Strategie der Ausrichtung der Nanotechnologie auf die wirtschaftlich
wichtigen Branchen, wie die Automobilbranche, die Optoelektronik, die Elektronikbranche und das Gesundheitswesen, genau die Verbindung zu den für unsere
Volkswirtschaft wichtigen Bereichen hinbekommen. Ich
muss fragen: Wo ist da eigentlich Ihre Strategie? Frau
Reiche, Sie sagen immer: „Wir haben eine Strategie“ dann erklären Sie sie doch einmal.
({6})
Sie haben kein einziges Wort über eine eigene Strategie
gesagt.
({7})
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Flach?
Ja.
Frau Ministerin Bulmahn, stimmen Sie mit mir überein, dass das Wachstum der Biotechnologieunternehmen
von einer Regierung begründet wurde, die nicht von Ihrer Partei gestellt wurde, dass vielmehr der Impetus
durch eine Initiative erfolgte, die wir beide sehr gut kennen, nämlich Bio-Regio, und dass in den Jahren danach
natürlich ein Aufwuchs stattfand, aber dass wir uns jetzt
in einem Stadium befinden, in dem auch die Biotechnologieunternehmen selbst davon reden, dass es sich um
eine Konsolidierungsphase handelt, dass wir also im Augenblick nicht davon reden können, dass in jedem Jahr
auf diesem Gebiet zügig neue Arbeitsplätze geschaffen
werden, dass wir es somit mit einer Stabilisierungsphase
zu tun haben? Auch darauf können wir ja in der Zukunft
stolz sein.
({0})
Ich stimme Ihnen nicht zu, Frau Flach, weil der BioRegio-Wettbewerb, der zweifelsohne unter der damaligen CDU/CDU-FDP-Regierung gestartet wurde und der
ein wichtiger Ansatz
({0})
war - er ist ja in der Innovationspolitik seit langem gefordert worden -, nicht zu dem Erfolg geführt hätte,
wenn diese Bundesregierung ihn nicht weiterentwickelt
hätte.
({1})
Wir haben ihn zum Beispiel über Biochance weiterentwickelt, weil der Bio-Regio-Wettbewerb keine speziellen Ansätze für die Förderung von Existenzgründungen
und von Jungunternehmen beinhaltete.
({2})
- Doch, was ich sagte, ist genau richtig. Er beinhaltete
keine Komponenten für die Förderung von Nachwuchs.
Darüber hinaus wäre es falsch gewesen, wenn man
sich auf die Förderung von drei Regionen und einer kleinen Restförderung einer vierten Region beschränkt
hätte. Wir hätten dann nicht die Entwicklung nehmen
können, die wir genommen haben.
({3})
Wir haben daher über die zusätzlichen Wettbewerbe wie
Biochance, über die Wettbewerbe der Nachwuchswissenschaftler, aber auch über die weitere Förderung von
Regionen, über die Förderung von kleinen und mittleren
Unternehmen und schließlich durch den Start des Genomforschungsnetzes einen qualitativen Sprung hinbekommen. Das bedeutete eine deutliche Verbesserung
und Stärkung der Entwicklung,
({4})
die wir allein durch das Verharren beim bzw. die Finanzierung des Bio-Regio-Wettbewerbs nicht geschafft hätten.
Ich stimme Ihnen im Übrigen auch nicht zu, wenn Sie
sagen, dass in diesem Bereich Stagnation herrscht.
({5})
Vielmehr gibt es hier im Vergleich zu anderen Ländern
auf der Welt eine sehr positive Entwicklung, weil die
Zahl der Arbeitsplätze immer weiter wächst und weil
immer wieder neue Unternehmen entstehen. Die Zahl
der Unternehmen, die den Crash des New Market nicht
nur überstanden haben, sondern die sich auch behauptet
haben, ist ziemlich groß, wohingegen die Zahl der Unternehmen, die Pleite gegangen sind, tatsächlich viel
kleiner ist, als es alle Experten erwartet haben. Sie ist
sehr klein.
({6})
- Wenn ich das Gelächter da höre, möchte ich einfach
nur sagen: Bei allen neuen Technologien ist es so, dass
es nicht 100 Prozent der an den Start gegangenen Unternehmen schaffen werden. Wenn die Zahl der erfolgreichen Unternehmen größer ist als die der Pleite gegangenen - das ist bei der Biotechnologie der Fall -, dann ist
das wirklich ein Erfolg. Daran zeigt sich, dass die Förderstrategie der Bundesregierung wirklich erfolgreich
war.
({7})
Investitionen in Bildung und Forschung - das sind
die Position und die Politik der Bundesregierung - sind
die wirkungsvollste Strategie, um unser Land zukunftsfähig zu machen. Mit dem Haushalt 2005 haben wir ein
klares Bekenntnis zu Bildung und Forschung abgegeben.
Wir stellen insgesamt rund 10 Milliarden Euro zur Verfügung. Das, was wir hier trotz des Konsolidierungsdrucks, der auf dem Bundeshaushalt lastet, erreicht haben, ist ein historischer Höchststand.
({8})
Von vielen Rednern ist gesagt worden, dass Geld
wichtig ist; das unterstreiche ich ausdrücklich. Ich sage
ganz klar: Ich halte es für verantwortungslos, dass die
Opposition - das gilt für die CDU/CSU - die Streichung
der Eigenheimzulage, die ihre Funktion nicht mehr erfüllt, wie sie es noch vor wenigen Jahren getan hat, blockiert. Das führt dazu, dass uns die notwendigen finanziellen Ressourcen, die wir für Bildung und Forschung
brauchen und die übrigens zu 60 Prozent den Ländern
zukommen würden, in Zukunft nicht zur Verfügung
stehen werden. Das ist Ihre Verantwortung. Das müssen
Sie gegenüber den Schulen, den Hochschulen und den
Forschungseinrichtungen rechtfertigen.
({9})
Wir werden nicht lockerlassen und die wichtigen
Strukturreformen, die wir in den vergangenen Jahren
eingeleitet haben, weiterführen. Die Opposition hat sich
ja nie getraut, diese Themen anzupacken. Wir haben
zum Beispiel die wettbewerbliche Förderung erheblich
ausgebaut. Als Beispiel nenne ich nur die Umstellung
der Finanzierung der Helmholtz-Gemeinschaft. Im Forschungsausschuss wurde seit Ende der 80er-Jahre über
die Notwendigkeit, dies zu tun, diskutiert. Ich selbst
habe - wie viele andere, die hier sitzen - an diesen Diskussionen teilgenommen und es umgesetzt. Das ist der
Unterschied zwischen denjenigen, die vor mir geredet
haben, und denjenigen, die jetzt politische Verantwortung tragen.
({10})
Wir machen Ernst mit dem Abbau bürokratischer
Hemmnisse. Wir haben den Forschungsorganisationen
erheblich mehr Freiheiten übertragen. Inzwischen haben
sie Globalhaushalte. Das ist genau der richtige Weg. Ich
würde mir wünschen, dass diejenigen, die genau das vehement verlangen, dann auch ihre eigenen Ministerpräsidenten - das betrifft insbesondere die CDU-regierten
Länder - auffordern, dies in ihrem Verantwortungsbereich zu tun;
({11})
denn die Hochschulen leiden nicht unter dem Bundesgesetz, sondern unter den restriktiven Landeshochschulgesetzen. Wer das völlig ignoriert, verkennt die Wirklichkeit.
({12})
Unsere geowissenschaftliche Forschung ist äußerst
leistungsfähig; darauf ist bereits hingewiesen worden.
Mit dem Konzept zum Aufbau eines Tsunami-Frühwarnsystems, das ich gestern in Kobe vorgestellt habe, hat
insbesondere die Helmholtz-Gemeinschaft erneut ihre
Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt.
({13})
Für uns als hoch entwickelte Industrienation ist es selbstverständlich, das Know-how und die Kompetenzen, die
wir in diesem Bereich haben, anzubieten und einzusetzen, um Menschenleben zu retten und zu schützen.
Die Initiative „Partner für Innovation“ ist ein weiteres Beispiel dafür, wie die Bundesregierung das Klima
für Innovationen in Deutschland spürbar verbessert. Gemeinsam mit Vertretern aus Wissenschaft und Wirtschaft
schaffen wir den Rahmen für einen nachhaltigen Innovationsprozess, an dem die gesamte Gesellschaft beteiligt
ist. Für die Zukunftssektoren Energie, Mobilität, Medien, Vernetzung und Gesundheit werden Pionieraktivitäten aufgezeigt und ganz konkrete Schritte formuliert,
wie die vielen guten Ideen, die es in Deutschland gibt
und die auch durch Forschungsförderung entstanden
sind und sich entwickelt haben, schneller in marktfähige
Produkte umgesetzt werden können.
Um neue Forschungsergebnisse schneller in Fortschritt und wirtschaftliches Wachstum umzusetzen, fördern wir gezielt den Wissenstransfer zwischen Forschungseinrichtungen, Hochschulen und Unternehmen.
Wir haben eine ganze Reihe von Programmen aufgelegt,
mit denen wir genau dies unterstützen. Dabei handelt es
sich teilweise um fachbezogene Programme und teilweise um breit angelegte Programme wie zum Beispiel
das Programm „EXIST“, mit dem wir Ausgründungen
aus Hochschulen generell unterstützen. Das tun wir aber
auch innerhalb der Fachprogramme.
({14})
Daher ist es falsch, was vorhin gesagt wurde, nämlich
dass das letzte Programm beendet worden sei.
({15})
Das Bundeswirtschaftsministerium führt ebenfalls
weiterhin Programme durch, um neue Unternehmen zu
unterstützen; das ist auch richtig. Denn nur so bleibt eine
Volkswirtschaft dynamisch und nur so können sich neue
Unternehmen zu starken und wachsenden Unternehmen
entwickeln.
({16})
Im Übrigen finde ich es erwähnenswert, dass gerade
kleine und mittlere Unternehmen, die das Rückgrat
unserer technologischen Leistungsfähigkeit bilden, unter
dieser Bundesregierung verstärkt in die Netzwerke der
Spitzenforschung eingebunden worden sind. Die Anzahl
der geförderten kleinen und mittleren Unternehmen ist
im Rahmen der Projektförderung des BMBF von 1998
bis 2003 um über 70 Prozent auf knapp 1 900 Unternehmen angewachsen. Auch das ist ein Erfolg der Politik
dieser Bundesregierung.
({17})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Deutschlands Reichtum sind seine Menschen. Ihre Kompetenz,
ihr Wissen und ihr Einsatz sind die Voraussetzungen für
unseren leistungsstarken Forschungsstandort. Diesen
Reichtum dürfen wir nicht aus der Hand geben. Deshalb
ist es falsch, wenn hier ein Gegensatz zwischen Bildung
und Forschung aufgebaut wird. Natürlich brauchen wir
in unserem Land sehr gute Schulen. Dafür haben die
Länder die Verantwortung. Die Bundesregierung unterstützt die Länder dabei mit dem Ganztagsschulprogramm. Natürlich brauchen wir - das ist jedenfalls unsere Auffassung - deutlich mehr sehr gut ausgebildete
junge Menschen. Ich bin sehr stolz darauf, dass die Zahl
der Studierenden unter dieser Bundesregierung wirklich
deutlich gestiegen ist: auf jetzt fast 37 Prozent eines
Jahrgangs.
({18})
Das heißt, wir nähern uns massiv der Zielmarke von
40 Prozent eines Jahrgangs. Dieser Anteil lag bei unter
28 Prozent, als ich Bundesministerin wurde. Von daher
kann die Opposition nicht behaupten, dass sie da während ihrer Regierungszeit etwas geschafft hat. Wir haben
etwas geschafft und wir werden das auch fortsetzen.
({19})
Es geht aber auch - ich sage das ausdrücklich - um
die jungen Wissenschaftler. Auch hier ist die Realität
völlig verzerrt dargestellt worden.
({20})
Mit mir hat eine Bundesministerin, hat eine Bundesregierung dieses zum ersten Mal überhaupt thematisiert;
ich denke, das wird auch jeder anerkennen. Ich kann Ihnen zahlreiche junge Wissenschaftler nennen, die in den
80er- und in den 90er-Jahren in die USA gegangen sind,
weil sie hier keine Karrieremöglichkeiten hatten. Inzwischen hat sich die Richtung gedreht. In der OECD-Studie wurde festgestellt, dass Deutschland inzwischen wieder zu den Gewinnern der so genannten Brain
Circulation gehört.
({21})
Es wäre gut, wenn Sie zur Kenntnis nehmen würden,
dass das nicht von allein gekommen ist. Es hängt damit
zusammen, dass wir neue Karrierewege eröffnet haben,
dass wir attraktive Preise wie den Sofia-KovalewskajaPreis ausgelobt haben, dass wir das Ausländerrecht insgesamt verändert haben und dass wir gerade durch die
Juniorprofessur einen wirklich attraktiven Karriereweg
eröffnet haben.
Deshalb meine eindringliche Bitte, mein Appell an
die Opposition: Blockieren Sie nicht länger die notwendigen Weichenstellungen und die weiteren Schritte, die
wir brauchen. Die Exzellenzinitiative ist entscheidend
für die Weiterentwicklung unseres Hochschulsystems.
Es ist falsch, wenn zwar die außeruniversitäre Forschung, auch durch die massive Förderung des Bundes,
sehr gut ist - was für sich allein notwendig ist und woran
uns gelegen sein muss -, die Universitäten aber zu den
Verlierern werden. Die Bundesregierung hat die Finanzierung der Hochschulen deutlich verbessert, aber wir
brauchen darüber hinaus die Exzellenzinitiative, die die
CDU/CSU-Länder seit mehreren Monaten blockieren.
Frau Ministerin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Diese Initiative ist zum Spielball geworden. Das schadet den Universitäten. Geben Sie diese Blockade deshalb
endlich auf! Nutzen Sie Ihren Einfluss auf Ihre Ministerpräsidenten
({0})
und machen Sie ihnen deutlich, wie wichtig das für unser Land und unser Wissenschaftssystem ist!
Vielen Dank.
({1})
Ich erteile Kollegen Heinz Riesenhuber, CDU/CSUFraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Bulmahn hat hier voller Begeisterung festgestellt, dass Deutschland seit 1998 auf Innovationskurs
ist. Frau Wicklein, Sie haben hier ganz konkret über die
Zahl der Hochschulabsolventen gesprochen. Wir freuen
uns, dass die Zahl der Hochschulabsolventen zunimmt.
Aber wir haben mit Vergnügen den Nachtrag zu dem Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands gelesen. Darin ist immer dieser wunderbare Stern
abgebildet, den ich Ihnen hier zeige. Gelb ist dargestellt,
wo wir Anfang der 90er-Jahre standen. Rot ist, wo wir
jetzt stehen. Das heißt, unser Kompetenzkern schmilzt.
Frau Wicklein, ich muss zugeben: Die Zahl der Hochschulabsolventen in den technischen Fächern hat zugenommen. Aber im Vergleich der betrachteten Länder
- das sind die G 7 plus Schweiz, Schweden, Finnland,
Niederlande und Südkorea - sind wir von Platz fünf auf
Platz zehn zurückgefallen. Dies gilt auch für viele andere Bereiche: Unsere IuK-Ausgaben gehen zurück, bei
den Bildungsausgaben rutschen wir von Platz fünf auf
Platz acht, bei der Forschungsbeachtung - trotz EinsteinJahr und Jahr der Innovation - von Platz vier auf Platz
acht.
({0})
Wir sind vielleicht schrittweise besser geworden, andere sind aber schneller besser geworden. Es kommt darauf an, dass wir im Wettbewerb die Nase vorn behalten.
Das ist die entscheidende Frage.
({1})
- Nein, nein, Entschuldigung, wir sprechen hier von Anfang der 90er-Jahre und nicht von einem Vergleich der
80er-Jahre mit den 90er-Jahren. Wir waren damals besser, als Sie es heute sind. Verstehen Sie das?
({2})
Das ist die Logik der Sache. - Die Lektüre der Berichte, die der Debatte zugrunde liegen, ist eine intellektuelle Herausforderung - ich weiß das -, sie hilft bei der
rationalen Debatte aber enorm.
({3})
Herr Loske hat zu Recht gesagt, wir sollten die Situation nicht schlechtreden. Herr Loske, damit haben Sie
natürlich Recht. Deshalb reden wir voller Begeisterung
von der von uns geförderten glanzvollen Forschung der
Grünen Gentechnik in Deutschland. Gleichzeitig weisen
wir aber darauf hin, was mit den Gesetzen geschieht.
Man kann mit den Händen aufbauen und mit dem Hintern umstoßen.
({4})
Wenn dies der Beschluss der Bundesregierung ist, dann
muss das hingenommen werden.
Sie reden voller Begeisterung von dem Geo-Forschungszentrum. Natürlich ist das ein großartiges Zentrum. Jetzt aber wird der Haushaltsansatz überwälzt und
es gibt keinen Aufwuchs - nicht einmal entsprechend
der Tarifsteigerung.
({5})
Sie sprechen hier mit Begeisterung von der Geoforschung. Seit wir sie mit dem Kontinentalen Tiefbohrprogramm hochgezogen haben, ist das eine glanzvolle Wissenschaft in Deutschland. Die Projektmittel sind aber
von 83 Millionen Euro auf 78 Millionen Euro gesunken.
Das ist die Realität.
({6})
Reden Sie nicht über den Glanz der Verhältnisse, sondern tun Sie etwas dafür, dass die Wirklichkeit so wird,
wie sie sein soll!
Wir können auch über die Maut reden. Ich finde es
prima, dass das Mautsystem funktioniert. Ich bin glücklich und dankbar. Gleichzeitig könnten wir uns aber darüber auseinander setzen, ob die Bundesregierung nicht
zunehmend lernen könnte, wie man mit PPP - Public
Private Partnership - umgeht und dass man keine Verträge macht, in denen knappe Termine vereinbart werden
und auf die entsprechende Haftung verzichtet wird.
({7})
Ich habe das, was der Debatte zugrunde liegt, nämlich
den Bericht und die Beschlussempfehlung, mit Vergnügen gelesen. Die Koalition hat acht Punkte aufgezählt
- diese hat sie mit ihrer Mehrheit beschlossen -, die sie
als wichtig ansieht. Ich kann das hier nur ganz kurz angehen.
Lieber Herr Fell, Sie sind Physiker. Ich freue mich
über jeden Naturwissenschaftler, der im Parlament sitzt.
Das ist eine beglückende, wenn auch rare Erfahrung.
({8})
Ich finde es prima, dass wir alle uns darin einig sind,
dass mehr Geld nötig ist. Sie sind in Ihrem Antrag übrigens bescheidener als Frau Bulmahn. Frau Bulmahn hat
in ihrem Bundesforschungsbericht geschrieben: Wenn
wir auf 3 Prozent in Europa kommen wollen, müssen wir
in Deutschland 3,5 Prozent des Bruttosozialprodukts für
Forschung aufwenden. Das sind die Zahlen.
({9})
Wenn wir das wollen, dann müssten wir selbst bei einem
Nullwachstum noch 600 Millionen Euro zusätzlich veranschlagen. Wo soll das Geld herkommen?
({10})
- Die Diskussion über die Eigenheimzulage im
Jahre 2005 entspricht der Diskussion über den Starfighter von früher.
Erwägen Sie bitte eines - es geht um Punkt 3 Ihres
Antrages -: Für die erneuerbaren Energien gibt es Ansätze von etwa 260 Millionen Euro im Jahr.
({11})
- Stellen Sie eine Zwischenfrage, dann kann ich länger
reden. - Ein Zehnfaches davon wurde für die Förderung
der Windenergie eingesetzt. Dass sie nicht im Haushalt
stehen, ist ein Schönheitsfehler bzw. -gewinn, ganz wie
Sie wollen. 2,5 Milliarden Euro für eine einzige Energieart - das ist eine abenteuerliche Angelegenheit außerhalb
jeder vernünftigen Proportion. Setzen Sie das Geld für
das ein, was wir wirklich brauchen!
({12})
Setzen Sie die Prioritäten so, dass die Forschung vorangebracht wird! Das sind gewaltige Beträge.
Hier wurde eine ergiebige Debatte darüber geführt, ob
die Kerntechnik notwendig ist oder nicht. Darüber können wir uns noch lange streiten. Eine große Aufgabe der
Politik ist es, dafür zu sorgen, dass die Debatte ein kleines Stück an Rationalität gewinnt. Das wäre schon viel.
Wenn Sie ein Energieprogramm vorlegen würden - ich
würde es mir mit Freude ansehen und darüber mit Ihnen
diskutieren -, würde sich zeigen, was Sie täten, wenn die
Kernenergie als Grundlastträger der Stromversorgung
wegfiele.
(Hans-Josef Fell ({13}):
Geothermie, Wasserkraft, Bioenergie!
- Biomasse und Geothermie? Was passiert mit dem
CO2-Ausstoß? Ich kann Ihnen zu jedem Thema eine
Rede halten, wenn mir der Präsident dafür eine reichliche Zeit zumisst.
({14})
Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen, dann werde ich
das zu Ihrer Erleuchtung in allen Einzelheiten erläutern.
({15})
Ich möchte ein Konzept der Bundesregierung sehen.
Wie bringen Sie die Teile zusammen? Jedes für sich genommen ist wunderbar. Aber machen Sie daraus ein Gesamtkonzept, eine Strategie. Legen Sie etwas vor! Dann
werden wir darüber diskutieren, was möglich und sinnvoll ist und jeder einzelne Energieträger leisten kann.
Ich kann leider die vielen wunderbaren Punkte nicht
nach Kräften würdigen. Sie haben viele prächtige Vorschläge gemacht. Die Idee, Steuergutschriften - Tax Credits - für FuE-Ausgaben zu prüfen, finde ich prima; darüber ist in verschiedenen anderen Ländern schon lange
diskutiert worden und viele Länder haben sie. Bitte sprechen Sie sorgfältig darüber, damit nicht wieder nur ein
Beschluss auf einem Parteitag herauskommt, von dem
man nie wieder etwas hört - so geschehen im Zusammenhang mit der Wesentlichkeitsgrenze bei Beteiligungen: Der Beschluss war zwar vernünftig, aber es ist
nichts umgesetzt worden. So unwahrscheinlich das
klingt: Sie sind in der Regierung. Sie müssen nicht nur
intelligent diskutieren, sondern auch entscheiden und die
Wirklichkeit verändern.
({16})
Sie sprechen hier - auch darin stimme ich Ihnen zu von der Steigerung der Mittel für Projektforschung im
Haushalt. Das ist eine prächtige Sache. Aber diese Mittel
gingen im vorletzten Jahr um rund 4 Prozent und im
letzten Jahr um rund 11 Prozent zurück. Jetzt sollen sie,
in der Theorie, um 2,8 Prozent aufwachsen; aber wir
wissen ja, dass das real immer weniger wird.
Ich kann hier den reichen Strauß der Falschinformationen, den Frau Bulmahn dargereicht hat, nicht nach
Kräften würdigen. Was haben wir in den frühen 80erJahren - zuvor regierte ein SPD-Kanzler - bei der Biotechnologie vorgefunden? Nicht ein einziges Institut in
Deutschland hat hauptamtlich Gentechnologie betrieben! Es gab fünf Dutzend Institute, die sich einmal damit
beschäftigt hatten. Wir haben eine Forschungslandschaft
aufgebaut - Bioforschungszentren, Centers of Excellence, das EMBL, das Europäische Molekularbiologische Labor, haben wir nach Deutschland gebracht und
gleichzeitig eine Strategie der Gründung von Unternehmen betrieben, deren Dynamik in den 90er-Jahren zum
Tragen gekommen ist. Sie ernten!
Genauso verhält es sich mit dem Airbus: Ich sehe mit
Begeisterung, wie Schröder voll Fröhlichkeit vor dem
neuen Airbus steht. Das finde ich prima.
({17})
Ich freue mich über die Technikbegeisterung des Bundeskanzlers. Ich freue mich auch, dass er das Wort Innovation in den Mund nimmt. Das ist eine große intellektuelle Leistung.
({18})
Aber auch wenn das Projekt damals alle möglichen
Leute bekämpft haben: Gemacht hat es Franz Josef
Strauß. Er wird auf seiner rosaroten Wolke im Himmel
sitzen und sich über Schröder und seine Technikbegeisterung freuen.
({19})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen
vor einer schwierigen Aufgabe. Ich würde gerne mit Ihnen über die restriktiven Ländergesetze diskutieren,
liebe Frau Bulmahn. Ein Beispiel: Die Technische Universität Darmstadt ist völlig liberalisiert. Sie kann über
alles entscheiden: von den Berufungen über die Vermögensverwaltung bis zur Prüfungsordnung. So etwas
möchte ich in ganz Deutschland sehen. Das wäre ein
strahlender und offener Wettbewerb. Die Länder sind
dynamisch, wenn der Bund nicht versucht, sie mit irgendwelchen Rahmengesetzen - an der Grenze der Verfassungsmäßigkeit - von dem abzuhalten, was rational
nötig ist. Hierüber werden die Bundesgerichte entscheiden.
({20})
Ich wünsche uns einen fröhlichen und entschlossenen
Aufbruch. Ich wünsche uns, dass die Regierung dort
handelt, wo es notwendig ist. Ich wünsche uns, dass wir
mit wachsender Begeisterung über das reden können,
was in Deutschland gut ist, weil es die Regierung in ihrer
Weisheit und Schaffenskraft so gefügt hat, dass wir alle
nur begeistert sein können. Dann können wir ein gutes
Deutschland übernehmen.
({21})
Ich erteile das Wort Kollegin Gesine Lötzsch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin Abgeordnete der PDS. - Nachhaltigkeit ist
ein schönes, viel missbrauchtes Wort. Jeder führt es gern
im Munde. Sogar Harald Schmidt erklärt auf die Frage
der „Welt am Sonntag“ - ich zitiere -:
Sie machen seit 1990 im Grunde das gleiche, egal
wie die Show heißt. Können Sie Ihr Image überhaupt ändern?
Darauf Harald Schmidt:
Das ist meine neue Aufgabe. Nachhaltigkeit ist das
Stichwort.
Ich finde, ironischer kann man den Begriff Nachhaltigkeit gar nicht auf den Punkt bringen. Die rot-grüne
Regierung ist seit 1998 auf Sendung und hat in beiden
Koalitionsvereinbarungen die Notwendigkeit nachhaltiger Entwicklung als Programm ausgegeben. Doch wenn
man den Koalitionsantrag „Forschung für Nachhaltigkeit - Motor für Innovationen“ liest, könnte man den
Eindruck bekommen, dass die Regierung erst seit ein
paar Tagen im Amt ist. Im letzten Jahr - fünf Jahre nach
dem Regierungswechsel - wurde die Einrichtung eines
Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung
beschlossen.
({0})
Ich gehe davon aus, dass diese Legislaturperiode zu
Ende geht und wir noch keine verwertbaren Ergebnisse
dieses Beirats haben werden.
Ich will mich nur auf einen Aspekt konzentrieren, der
auch in Ihrer Koalitionsvereinbarung völlig zu Recht
verankert ist. Ihr erklärtes Ziel, meine Damen und Herren von Rot-Grün, war es, Ökonomie, Ökologie und soziale Gerechtigkeit zu einer nachhaltigen Entwicklung
zu verbinden. Ich will über soziale Gerechtigkeit sprechen. Sie werden mit einer nachhaltigen Politik keinen
Erfolg haben, wenn es Ihnen nicht gelingt, Ihre Politik
sozial gerecht zu gestalten.
({1})
Die soziale Schieflage in Deutschland gefährdet eine
wirklich nachhaltige Entwicklung. Die Bundesregierung war mit dem Versprechen angetreten, die Gerechtigkeitslücke zu schließen. Sie hat sie nicht geschlossen,
sondern vergrößert. Ich weiß nicht, ob Sie es nicht besser
können oder ob Sie es gar nicht anders wollen.
Übrigens, Wissenschaftspolitik haben Sie in Ihrem
Antrag gleich ganz weggelassen. Sie verkürzen alles auf
Forschung, Technologie und Innovationen. Doch Sie
müssen bei den Wissenschaften ansetzen, um langfristig
Erfolg zu haben.
({2})
Sie denken nur noch in Begriffen von Produkt- und
Technologieinnovationen, doch wir müssen an die Wissenschaften höhere Anforderungen stellen. Unsere Gesellschaft braucht dringend soziale Innovationen. Ich
meine damit Innovationen, die die Menschen nicht gegeneinander aufbringen, sondern wieder zusammenbringen, die die Menschen nicht entwerten, sondern in ihrem
Wert schätzen und in die Gesellschaft einbinden.
Da die Regierung keine sozialen Innovationen von
der Wissenschaft gefordert und soziale Innovationen
nicht gefördert hat, hat Rot-Grün auf alte amerikanische
Konkurrenzmodelle zurückgegriffen. Die Menschen
werden gegeneinander in Stellung gebracht. Eine Armee
von Ich-AGs, Minijobbern und 1-Euro-Jobbern wird gegen die Menschen ins Feld geführt, die noch versicherungspflichtige Vollzeitjobs haben. Ich kenne keine einzige soziale Innovation dieser Bundesregierung. Alle
Reformen, von Hartz I bis Hartz IV genauso wie die Gesundheitsreform, waren Abriss- und Rückbaureformen.
Der rheinische Kapitalismus, den Sie jetzt zu Grabe tragen, war im Verhältnis zu dem, was Sie jetzt machen,
wirklich sozial innovativ.
({3})
Wir, die PDS, verfolgen in unserer Wissenschaftspolitik einen breiteren Ansatz. Wir sind der festen Überzeugung, dass soziale Innovationen dringend notwendig
sind. Die besten Produkte und Technologien werden uns
nicht aus der Krise führen, wenn wir nicht gleichzeitig
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ermuntern
und ausreichend finanzieren, um über soziale Innovationen nachzudenken und Konzepte zu entwickeln. Ich will
nicht behaupten, dass die PDS die sozialen Innovationen
und Konzepte im Keller hortet; aber wenn die Regierung
den von mir vorgeschlagenen Weg gehen will, dann sind
wir von der PDS gern dabei. Es muss nur eine Voraussetzung erfüllt sein: Soziale Innovationen müssen immer
den Solidargedanken zur Grundlage haben.
Vielen Dank.
({4})
Ich erteile das Wort Kollegin Marion Seib, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Dem Anwenden
muss das Erkennen vorausgehen.“ Dieses Zitat stammt
nicht von Albert Einstein, sondern von Max Planck. Dieses Zitat bringt die Sache aber auf den Punkt. Wir müssen erkennen, dass Deutschland in vielen Bereichen der
technologischen Entwicklung von anderen Ländern abgehängt worden ist. Wir müssen erkennen, dass unserem
Land ein mühsamer Aufholprozess bevorsteht, um mit
den dynamischen Wirtschafts- und Forschungsregionen
in anderen Teilen der Welt Schritt halten zu können.
Die Ausgangsbedingungen sind nicht schlecht.
Deutschland verfügt über eine im Kern beeindruckende
und leistungsfähige Forschungslandschaft.
({0})
Zitiert seien die Max-Planck-Gesellschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft und die
Leibniz-Gemeinschaft. Diese Einrichtungen tragen in erheblichem Maße dazu bei, dass in Deutschland wissenschaftliche Spitzenleistungen erzielt werden können.
Durch die Einsatzbereitschaft der Wissenschaftler in den
Forschungseinrichtungen konnte Deutschland in einigen
Bereichen seine Spitzenposition wahren.
({1})
Der Bericht zur technologischen Leistungsbereitschaft Deutschlands 2003/2004 zeigt aber, dass die finanziellen Aufwendungen des Staates und der Wirtschaft nicht ausreichen, um mit der technologischen
Dynamik in anderen Staaten Schritt halten zu können.
Wenn wir im internationalen Vergleich nicht ins Hintertreffen geraten wollen, dann müssen wir Hochschulen
und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen stärker
verknüpfen, die Autonomie ausweiten und die Interdisziplinarität fördern.
Wir müssen aber auch auf Forschung und Entwicklung in der Wirtschaft Wert legen. Die technologische
Forschung und Entwicklung in den Unternehmen macht
nämlich den harten Kern eines innovativen Landes aus.
Allein in Deutschland stellt die Wirtschaft 70 Prozent aller Forschungskapazitäten bereit. Mehr als 60 Prozent
der Wissenschaftler sind in der Wirtschaft beschäftigt. In
konkreten Zahlen bedeutet das: Die deutsche Wirtschaft
investiert 36 Milliarden Euro in den Bereich Forschung
und Entwicklung. Über 300 000 Menschen arbeiten in
diesem Bereich.
Weltweit vollzieht sich ein Verlagerungsprozess der
Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten nach Nordamerika und Asien. Das macht uns zu schaffen, darüber
können wir nicht hinwegsehen. Die Achillesferse dabei
ist der deutsche Mittelstand. Im Mittelstand aber werden
75 Prozent aller Patente entwickelt und 18 Prozent des
Forschungspersonals beschäftigt. 12,5 Prozent aller Forschungsaufwendungen erfolgen in diesem Bereich. Die
Zahl der forschenden mittelständischen Unternehmen ist
jedoch in den vergangenen Jahren um gut 5 Prozent zurückgegangen.
Wir brauchen in der Forschungsförderung eine einheitliche und langfristige Strategie für den Mittelstand.
Unsere Vorschläge dazu liegen bereits vor: Zusammenlegung der Mittelstandsprogramme, mehr Transparenz
und Beständigkeit, Förderinstrumente für längerfristige
Innovationspartnerschaften zwischen Mittelstand und
Hochschulen, verbesserte Zugangsmöglichkeiten zum
Kapitalmarkt und vor allem eine Wirtschaftspolitik, die
den Potenzialen des Mittelstands bessere Chancen einräumt.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, der
Aspekt der Nachhaltigkeit, auf den sich der Antrag der
Koalition bezieht, ist nur ein Ansatzpunkt. Ich warne davor, in politischer Selbstgerechtigkeit den Begriff der
Nachhaltigkeit zu missbrauchen.
({2})
Wenn wir Deutschland nachhaltig vorwärts bringen wollen, dann kommt es darauf an, dass wir nicht nur die Risiken sehen, sondern vor allem auch die Chancen wahrnehmen. Die Zweifel überwiegen allerdings, wenn man
im Antrag von SPD und Grüne liest:
Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass die Bundesregierung mit dem neuen Rahmenprogramm …
„Forschung für Nachhaltigkeit“ die in der letzten
Legislaturperiode begonnene Neuausrichtung der
Bildungs- und Forschungspolitik … konsequent
weiterführt.
Bedeutet ein „konsequentes Weiterführen“, dass die
Grüne Gentechnik weiter verhindert wird? Bedeutet das
wirklich, dass die nukleare Energieforschung weiterhin
keinen Stellenwert hat?
({3})
Bedeutet das auch, dass der Dialog zwischen Politik und
Wissenschaft weiterhin dürftig bleibt?
({4})
Bedeutet das, dass die Bürokratie nicht abgebaut wird?
Bedeutet das, dass der Mittelstand weiterhin zu wenige
Chancen im Forschungs- und Entwicklungsbereich hat?
Ich hoffe, nicht.
Der den Mittelstand betreffende Teil der Forschung
muss eine höhere Priorität bekommen. Im Mittelstand
sind nämlich die Strukturen vorhanden, die die Ergebnisse der Entwicklungen schnellstmöglich in den Wirtschaftskreislauf befördern. Zentralistische und wirtschaftsferne Vorgaben für Forschung und Entwicklung,
wie sie in Ihrem Forderungskatalog vorliegen, sind das
Letzte, was wir in Deutschland brauchen können.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die
Herausforderungen in der Forschungspolitik sind zu
groß, als dass sie nur mit halber Kraft bewältigt werden
können.
({5})
Wenn wir Deutschland als ein innovatives und wettbewerbsfähiges Land erhalten wollen, dann brauchen wir
eine Ministerin, die sich mit ganzer Kraft für den Forschungsstandort Deutschland einsetzt und sich nicht im
Streit mit den Ländern verzettelt.
({6})
Die Länder müssen mit den notwendigen Finanzen
ausgestattet werden, um die im Grundgesetz festgelegten
Aufgaben ordentlich erfüllen zu können.
Ich bedanke mich sehr herzlich.
({7})
Ich erteile Kollegen Jörg Tauss, SPD-Fraktion, das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Lieber Kollege Riesenhuber, Sie haben in Ihrer leidenschaftlichen Art fast gefleht, dass wir auch einmal
die Leistungen anerkennen sollten, die Sie früher erbracht haben. Ich bestätige Ihnen gerne: Wir haben nie
behauptet, dass Sie nur Mist gemacht hätten. Sie haben
ganz Ordentliches auf den Weg gebracht. Aber eines haben wir von Ihnen nicht übernommen: Ihre Kürzungen
im Haushalt für Bildung und Forschung. So sah Ihre
Erbschaft aus.
({0})
Ihre Begeisterung für die Universität Darmstadt teilen
wir in vollem Umfang. Dort ist ein großartiges Reformprojekt auf den Weg gebracht worden. Aber ich bitte, der
Korrektheit halber, auch die andere Seite der Medaille zu
erwähnen. Der Präsident der von Ihnen so hochgelobten
Universität hat sich in einer Anhörung des Deutschen
Bundestages nachdrücklich dagegen gewandt, Ihr Studiengebührenmodell in die Realität umzusetzen, weil er
der Meinung ist, dass es uns weder zum gegenwärtigen
Zeitpunkt noch in Zukunft etwas nutzt.
({1})
Da Sie Hessen angesprochen haben - Sie kommen ja
aus diesem Bundesland -: Schauen Sie sich einmal das
Hochschulgesetz an, das in Hessen auf den Weg gebracht worden ist und das alles, was wir hier gemeinsam
auf den Weg gebracht haben - Tenure-Track, Berufung
von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern usw. -, nicht enthält! Die Universitäten in Hessen
laufen Sturm gegen dieses Hochschulgesetz. In Hessen
sind also noch viele Hausaufgaben zu erledigen. Ich
würde mich freuen, wenn wir uns einig würden. Das gilt
übrigens auch für andere Hochschulgesetze, zum Beispiel für das von Baden-Württemberg.
Im Unionsantrag steht drin:
Die Freiheit der Forschung ist zu gewährleisten und
gegen jede politische Einmischung und Einflussnahme zu schützen.
Ein wunderbarer Satz, den ich Ihnen sofort unterschreibe! Aber in Baden-Württemberg bringen Sie ein
Hochschulgesetz auf den Weg, das die Einsetzung von
externen Aufsichtsräten aus der Wirtschaft vorsieht, die
der Wissenschaft genau diese Freiheit nehmen sollen.
Die dortigen Hochschulen sind dann in ihren Entscheidungen nicht mehr selbstständig. Deswegen laufen die
Hochschulen in Baden-Württemberg - genauso wie die
in Hessen - gegen ihre Hochschulpläne Sturm. Erledigen Sie also Ihre Hausaufgaben vor Ort!
({2})
Der Kollege Königshaus hat in seiner Rede - er ist
leider nicht mehr anwesend - einen ganz wichtigen
Punkt angesprochen, nämlich die Bedingungen für
junge Mütter in der Wissenschaft. Ich halte dies für einen wesentlichen Punkt, über den wir diskutieren müssen, und zwar nicht nur unter dem Gesichtspunkt Betreuung an Ganztagsschulen. Ende letzten Jahres habe ich
das Forschungszentrum in Karlsruhe als Mitglied des
Senats dieses Zentrums bzw. der Helmholtz-Gemeinschaft besucht. Dort haben wir einen Betriebskindergarten eingeweiht, wie wir ihn an allen Helmholtz-Zentren
realisieren wollen.
({3})
Zu Ihrer Zeit hätte das Forschungszentrum Mittel des
Bundes nicht für die Errichtung eines Betriebskindergartens ausgeben dürfen. Heute darf man das und es wird
gemacht. Es wird also auch hier ein Stück weit dessen
realisiert, was Sie fordern.
({4})
Zum Hochschulbau: Lieber Herr Kretschmer, da Sie
nun Generalsekretär der CDU Sachsen sind, bin ich gespannt, was Sie uns demnächst in Sachsen servieren
werden. Sie haben hier leidenschaftlich die Verantwortung des Bundes für den Hochschulbau gefordert. Aber
die Ministerpräsidenten - darunter auch der sächsische
Ministerpräsident - haben den Hochschulbau einstimmig als zukünftige und alleinige Aufgabe der Länder definiert. Wenn Sie der Auffassung sind, dass die Ministerpräsidenten an dieser Stelle irren, ist das kein Problem.
Dann liegen unsere Positionen nämlich sehr nah beieinander. Auch ich halte das in der Tat für unvernünftig.
Es muss zwar nicht sein - darin stimme ich Ihnen völlig
zu -, dass Bund und Länder jede Kantine gemeinsam
realisieren. Aber im Bereich der Großgeräte, auch bei
denjenigen mit regionaler Bedeutung, sollte eine Zusammenarbeit von Bund und Ländern doch möglich sein.
Lieber Herr Kretschmer, es würde uns freuen, wenn Sie
uns dabei helfen würden und wenn es in Sachsen zu einer veränderten Politik käme. Dort gibt es ja inzwischen
eine bessere Regierung unter SPD-Beteiligung. Die
Chancen stehen also gut. Aber sorgen Sie in Ihrer Partei
ebenfalls für Veränderungen!
({5})
Kollege Tauss, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kretschmer?
Selbstverständlich. Bitte schön. - Lieber Kollege
Kretschmer, vielleicht können Sie auf das, was ich gesagt habe, gleich antworten.
Bitte, Herr Kretschmer.
Lieber Herr Kollege Tauss, herzlichen Dank, dass Sie
so gut zugehört haben, als ich über den Hochschulbau,
den die Ministerin vernachlässigt, gesprochen habe.
Ich bin immer aufmerksam.
Stimmen Sie mir zu, dass in den vergangenen Jahren
und in der Finanzvorschau für die kommenden Jahre
eine deutliche Abschmelzung der Bundesmittel für den
Hochschulbau vorgenommen worden ist und dass deswegen meine Kritik an der Ministerin und der Hinweis,
sich diese Aufgabe genauer anzuschauen, berechtigt
sind?
Nein, lieber Kollege Kretschmer, darin stimme ich Ihnen nicht zu; denn ich habe noch sehr gut in Erinnerung
- damals waren Sie noch nicht Mitglied des Bundestages -, dass unsere Vorgängerregierung ihren Anforderungen und Verpflichtungen im Hochschulbau nicht
nachgekommen ist. Damals sind wir immer mehr in die
Miesen geraten; das machte über 1 Milliarde Euro aus.
Das haben wir erst einmal mühsam ausgeglichen. Dann
wurde im letzten Jahr in der Tat eine Kürzung vorgenommen. Hier habe ich ein gewisses Verständnis für
Hans Eichel. Denn die Ministerpräsidenten haben mitten
in den Haushaltsberatungen gesagt: Der Hochschulbau
sollte nicht mehr eine Aufgabe des Bundes sein. Diese
wollen wir künftig alleine erledigen. Ein Finanzminister
wäre mit dem Klammerbeutel gepudert - bitte bleiben
Sie stehen, Herr Kretschmer -, wenn er eine solche Steilvorlage nicht nutzen würde. So war die Realität, um das
noch einmal zu sagen.
Lieber Kollege Riesenhuber, ich komme auf Sie zurück; denn Sie waren wirklich der Einzige, dessen Rede
wenigstens ein bisschen spannend war. Ich kenne Sie als
jemanden, der immer leidenschaftlich, aber seriös gewesen ist. Bitte, halten Sie uns jetzt nicht die niedrigen Absolventenzahlen im Bereich der Ingenieurwissenschaften
vor. Diese Absolventen haben ihr Studium begonnen, als
Sie regiert haben, und sie haben es beendet, als wir regiert haben. Wenn man schon einen Vergleich zieht,
dann sollte man die Studienanfängerzahlen vergleichen. Diese Zahlen trage ich Ihnen gerne vor: 1998 haben das Studium der Ingenieurwissenschaften 44 900 begonnen, jetzt sind es 60 800. Das ist eine Steigerung um
sage und schreibe 35 Prozent. In den anderen Naturwissenschaften ist es noch besser: Dort liegt die Steigerung
bei 72 Prozent.
Jetzt stellt sich die spannende Frage - ich bin gern bereit, mit allen über Studienkonten, Studiengebühren und
Studentensteuern zu diskutieren -, was nach der Einführung von Studentensteuern eigentlich passiert: Wird die
Anzahl derjenigen, die ein naturwissenschaftliches Studium beginnen, aufrechterhalten werden können oder
werden die jungen Menschen sagen: „Das Risiko, ein
Studium zu beginnen und hinterher 40 000 Euro oder
80 000 Euro Schulden zu haben, ist mir zu groß“? Ich
fände es sehr sympathisch, wenn wir darüber einmal diskutieren.
({0})
Bitte ziehen Sie nicht diese merkwürdigen Vergleiche
zwischen Studiengebühren und Kindergartengebühren.
Auch da sollten Sie einmal konsistent werden. Wenn die
Studenten mehr zahlen sollen, damit die Universitäten
mehr Geld bekommen, dann fließt davon kein einziger
müder Euro an die Kindergärten. Wenn die Studierenden
die Kindergärten finanzieren, dann fließt kein einziger
müder Euro an die Universitäten. Das passt nicht zusammen. Die Folge Ihrer Politik wäre, dass die Eltern zunächst Kindergartengebühren und später für ihre erwachsenen Kinder Studiengebühren zahlen. Damit
würden die Familien doppelt belastet.
({1})
Was die Weiterbildung angeht - Sie haben dieses
Thema angesprochen -, warten wir auf ein interessantes
Konzept. In Bezug auf Schülerinnen und Schüler sowie
Schulen kann ich Ihnen nur sagen: Ich stimme Ihnen in
vielem zu. Heute sitzen auf der Besuchertribüne viele
Fachleute. Viele Schülerinnen und Schüler sind da. Der
Unterricht in vielen Ländern ist schlecht. Wir haben zu
wenige Ganztagsschulen und es gibt insgesamt zu wenig
Betreuung.
Eines ist zunächst einmal klar: Der Bund trägt dafür
keine Verantwortung. Herr Koch aus Hessen fordert,
dass der Bund künftig überhaupt keine Zuständigkeiten
mehr hat. Überlegen Sie sich bitte, was Sie von uns fordern: das Eintreten für mehr oder für weniger Bildungszuständigkeit des Bundes? Ich akzeptiere aber nicht,
dass wir es über die Entwicklungshilfe oder sonst wie ermöglichen sollen, dass in Afrika mehr Schulen errichtet
werden, während hier in Deutschland keine Schulen
mehr gebaut werden dürfen, noch nicht einmal dann,
wenn sich Bund und Länder darauf verständigt haben.
Das ist doch keine Politik, das ist doch keine Innovation,
das ist doch nichts Zukunftsgerichtetes, sondern blanker
Unfug.
Was das Stiftungsrecht angeht, warten wir auf Ihre
Initiativen. Frau Reiche, wir sind ins Mittelfeld nicht
abgerutscht, sondern hochgerutscht. Ich stimme Ihnen
völlig zu, wenn Sie sagen, dass das alles noch nicht ausreicht. Unter anderem deswegen gibt es das Einstein-Jahr.
Wenn Sie die Beteiligung von 15 000 Schulen als Show
diskreditieren, dann kann ich dazu nur sagen: Hoffentlich haben nicht eine Schülerin und nicht ein Schüler zugehört. Wir kümmern uns um Einstein, Sie um Einbau.
Das ist eine gute Aufgabenverteilung.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung auf Drucksache 15/4216. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die
Annahme des Antrags der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/3452 mit
dem Titel „Forschung für Nachhaltigkeit - Motor für In-
novationen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschluss-
empfehlung ist damit mit den Stimmen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/
CSU und FDP angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 15/2971 mit dem Titel
„Mit Innovationen auf Wachstumskurs - eine einheitli-
che Strategie“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Be-
schlussempfehlung ist mit der gleichen Mehrheit wie
zuvor angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der FDP auf Drucksache 15/3332 mit dem Titel
„Innovationsstrategie für Deutschland - Wissenschaft
und Wirtschaft stärken“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthal-
tungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
Präsident Wolfgang Thierse
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stim-
men der FDP bei Enthaltung der CDU/CSU angenom-
men.
Unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/4216 empfiehlt der Ausschuss, in Kennt-
nis des Bundesberichts Forschung 2004 auf Druck-
sache 15/3300 eine Entschließung anzunehmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grü-
nen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ange-
nommen.
Tagesordnungspunkt 3 b: Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 15/4497 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b
auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Johannes Singhammer, Dagmar Wöhrl, KarlJosef Laumann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Standort Deutschland - Innovation und
Wachstum stärken durch Verbesserung der
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen
- Drucksache 15/4503 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({0})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst
Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Wider die Vertrauenskrise - Für eine konsistente und konstante Wirtschaftspolitik
- Drucksache 15/1589 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({1})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin
Dagmar Wöhrl, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Wenn es um unseren Standort geht, brauchen wir weder
Schwarzmalerei noch Schönfärberei. Was wir brauchen,
ist eine nüchterne und ehrliche Bestandsaufnahme. Lieber Herr Minister, ich frage Sie: Würden Sie, wenn
Deutschland ein börsennotiertes Unternehmen wäre,
eine Aktie kaufen? Ich würde es tun, ich glaube, Sie
auch; denn unser Standort hat viel Substanz und viel Potenzial. Aber es gibt auch eine Gefahr, und zwar besteht
die Gefahr, dass diese Aktie durch Ihr Missmanagement
immer mehr an Wert verliert. Das wird so bleiben, wenn
Sie so weitermachen, wenn nichts passiert, wenn Sie
nicht eingreifen.
({0})
Liebe Kollegen von Rot-Grün, Sie fantasieren hier
vom Aufschwung, Sie sagen, Deutschland sei wieder auf
dem Wachstumspfad. Sie wissen aber ganz genau - Sie
sind die größten Statistikakrobaten, die es in diesem
Hause je gegeben hat -:
({1})
Wenn man den Effekt zusätzlicher Arbeitstage herausrechnete, würden wir dieses Jahr ein Wachstum von nur
1,1 Prozent haben, und das, obwohl wir letztes Jahr
durch eine wachsende Weltwirtschaft, wie es sie seit
1976 nicht mehr gegeben hat, ein kolossales kostenloses
Konjunkturprogramm hatten. Hier muss man sich schon
fragen: Warum konnten wir auf dieses Pferd nicht mit
aufspringen?
({2})
Warum sind wir im Vergleich zu vielen anderen unserer
europäischen Nachbarn von dieser Entwicklung abgekoppelt?
Wir haben eine immens starke Exportwirtschaft, aber
wir schaffen es nicht, dass der Funke dieser Exportwirtschaft auf unsere Binnenkonjunktur überspringt. Es ist
ein Aberglaube, dass Exportüberschüsse gleichzeitig
für die Wettbewerbsfähigkeit eines Standorts sprechen.
Das Gegenteil kann der Fall sein. Wir haben gemerkt,
dass Exportüberschüsse gerade dann erzielt werden,
wenn die Investoren und Unternehmer von einem Land
weggehen und im Ausland Arbeitsplätze schaffen. Wir
importieren immer mehr Vorleistungen. Immer mehr
Wertschöpfung findet im Ausland statt. Wir haben eine
zu starke Regulierung. Wir haben zu hohe Lohnnebenkosten. Wir haben zu hohe Steuern und Abgaben und wir
haben zu hohe Energiekosten.
Energiepolitik ist Wirtschaftspolitik. Wenn man sich
die Entwicklung unserer Strompreise seit 1998 anschaut,
die Sie zu verantworten haben, stellt man fest: Der staatliche Anteil an den Strompreisen betrug 1998 noch
2,3 Milliarden Euro. Inzwischen sind es fast
15 Milliarden Euro. Wenn man sich klar macht, dass allein 1,5 Millionen Arbeitsplätze von der energieintensiven Produktion abhängen und dass Sie auch jetzt noch
über weitere Erhöhungen nachdenken, dann muss man
sich schon fragen, wie Sie es schaffen wollen, diese Arbeitsplätze im Land zu halten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was tun Sie, um
neue Arbeitsplätze zu schaffen? Was tun Sie, um für die
Unternehmer Anreize zu schaffen, damit sie investieren
und auch hier Jobs schaffen? Der Funke, der von der Exportwirtschaft überspringt, genügt nicht; das hat man gesehen. Allein im letzten Jahr ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten um 430 000 gesunken
und auch für dieses Jahr ist mit sinkenden Beschäftigungszahlen zu rechnen. Es gibt doch eine ganz einfache
Gleichung, von deren Richtigkeit auch ich felsenfest
überzeugt bin: Was gut für ein Unternehmen ist, ist auch
gut für die Volkswirtschaft.
Sie wissen doch auch, dass die Unternehmen die Arbeitsplätze schaffen und nicht der Staat. In unserem Mittelstand steckt ein großes Innovationspotenzial und Innovation ist das Ticket für die Zukunft. Sehen Sie sich
nur einmal die Patentanmeldungen an! Zwei Drittel aller Patentanmeldungen sind entweder Einzelanmeldungen oder kommen von mittelständischen Unternehmen.
Von 61 der wichtigsten Erfindungen dieses Jahrhunderts
stammen nur zwölf von Großunternehmen. Deshalb
müssen Sie sich aufraffen und erkennen, dass wir eine
positive Vision „Mittelstand 2020“ brauchen.
Sicher ist Hartz IV ein Schritt in die richtige Richtung, aber Hartz IV wird ein Torso bleiben, weil Sie nur
auf der Angebotsseite ansetzen, statt neue Jobs zu schaffen. Der Beschäftigungsabbau geht ungebremst weiter.
Allein im Handwerk wurden im letzten Jahr 180 000
Jobs abgebaut, in diesem Jahr wird mit weiteren 100 000
gerechnet.
Es ist doch grotesk bei uns. Ihre Politik belastet den
Unternehmer, der sich aufrafft und den Mut hat, hier
noch Arbeitsplätze zu schaffen, durch immer mehr kostentreibende Auflagen: Arbeitsstättenverordnung, Betriebsverfassungsgesetz, Kündigungsschutzgesetz, Teilzeit- und Befristungsgesetz. Wir haben ein Minenfeld
von Schwellenwerten in unserem Land. Ab fünf Mitarbeitern kann ein Betriebsrat gegründet werden. Ab elf
Mitarbeitern greift der Kündigungsschutz und muss den
Beschäftigten ein Pausenraum eingerichtet werden. Ab
16 Mitarbeitern hat jeder Mitarbeiter einen Anspruch auf
Teilzeit. Bei 199 Beschäftigten muss man sich überlegen, ob man den 200. Mitarbeiter noch einstellt, weil der
als Betriebsrat ja freizustellen wäre. Er würde nicht arbeiten, aber Kosten bis zu 60 000 Euro verursachen. Bei
insgesamt 160 solcher Schwellen in unseren Gesetzen
muss man sich doch fragen: Wie soll ein kleiner Unternehmer hier überhaupt den Überblick behalten?
({3})
Und dann kündigt der Minister einen Masterplan an.
Der Plan ist gut, Herr Minister Clement; wir haben ihn
befürwortet. Doch wie sieht die Bilanz aus? Von den
über 1 000 Vorschlägen, die die Wirtschaft eingebracht
hat, beschloss das Kabinett 29 und von diesen 29 Vorschlägen wurden im letzten Jahr neun verabschiedet.
Wenn Sie mich jetzt fragen, ob darin ganz große Dinge
enthalten waren, muss ich sagen: Mir fällt nichts ein. Mir
fällt lediglich ein, dass Sie die Arbeitsstättenverordnung
dahin gehend geändert haben, dass der Schwellenwert
von sechs Mitarbeitern, ab dem getrennte Toilettenräume für Männer und Frauen einzurichten sind, zukünftig entfällt. Dazu sage ich: Herzlichen Glückwunsch!
Damit haben Sie wirklich eine ganz tolle Entbürokratisierung auf den Weg gebracht.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, den
allergrößten Bock Ihrer politischen Arbeit werden Sie jedoch mit Ihrem Antidiskriminierungsgesetz schießen.
({5})
Das Ziel, Minderheiten zu schützen, ist richtig und ehrenhaft. Deshalb unterstützen wir es auch. Aber was
wird zukünftig sein? Zukünftig wird man diese Minderheiten meiden, weil man Angst hat, von ihnen verklagt
zu werden. Die Zeiten, in denen Rechtsverhältnisse nach
eigenem Willen und ohne staatlichen Einfluss geschlossen werden können, sind damit vorbei. Ludwig Erhard,
der Vater der sozialen Marktwirtschaft, würde sich im
Grabe umdrehen, wenn er so etwas mitbekäme.
({6})
Sie fassen bei diesem Gesetz den Personenkreis so weit,
dass jeder, der eine Wohnung oder einen Arbeitsvertrag
haben möchte, aber nicht zum Zuge kommt, weil der
Vertrag mit einem anderen Bewerber abgeschlossen
wird, wegen Ungleichbehandlung klagen kann. Die Beweislast liegt zukünftig beim Vermieter oder beim Arbeitgeber. Er wird beweisen müssen, dass er nicht diskriminieren wollte, sondern dass er sachliche Gründe für
die Ablehnung des Bewerbers hatte. Wie soll das in der
Praxis geschehen? Der Vermieter oder Arbeitgeber wird
den Beweis nie erbringen können. Er muss damit rechnen, dass er zukünftig im zivilrechtlichen Bereich mit
von ihm nicht gewünschten Partnern einen Vertrag abschließen muss. So schaffen Sie doch kein Wirtschaftswachstum in unserem Land, meine Damen und Herren.
({7})
Ich will hier gar nicht auf irgendwelche internationalen Berichte eingehen, sei es der „Global Competitiveness Report 2004-2005“ vom World Economic Forum
oder der „Economic Freedom“-Report. Sie alle bescheinigen uns unisono, dass unser größtes Problem die Überregulierung unseres Arbeitsmarktes ist. Von 95 untersuchten Nationen liegen wir bezüglich der Regulierung
auf Platz 94.
({8})
Wir brauchen gar nicht so weit zu gehen; schauen wir
doch einmal in unsere Nachbarschaft, zum Beispiel nach
Österreich. Dort liegt die Produktivität so hoch wie bei
uns; die Löhne aber liegen 20 Prozent niedriger und
Kündigungsschutz und Arbeitsrecht sind liberalisiert
worden. Das Ausmaß der Bürokratie ist bei weitem niedriger als bei uns; so werden Genehmigungsverfahren binnen drei Monaten abgeschlossen. Was ist das Resultat?
Die EU-Kommission prophezeit Österreich nächstes
Jahr ein Wachstum von 2,4 Prozent. Während Sie hier
das Grab des Stabilitätspaktes schaufeln, wird Österreich
in diesem Jahr eine Neuverschuldung von 2 Prozent haben. Auf Irland, den Musterstandort schlechthin, will ich
jetzt gar nicht eingehen. Es reicht, auf unseren Nachbarn
Österreich zu schauen.
Lassen Sie mich weitere Vergleiche anstellen bezüglich des Klimas für Unternehmensgründungen und Unternehmer in unserem Land. Wir haben hier im Vergleich
zu anderen europäischen Ländern immense Defizite.
Unsere Selbstständigenquote liegt bei nur noch
9 Prozent. Im Vergleich zu Frankreich und Großbritannien haben wir 700 000 Selbstständige weniger. Da
muss man doch schauen, wie wir es schaffen können,
den Standort Deutschland wieder unternehmerfreundlicher zu machen. Es darf doch nicht sein, dass 90 Prozent
der Bevölkerung fragen: „Wer stellt mich ein?“ und sich
nur 10 Prozent Gedanken darüber machen, wie sie selbst
Arbeitsplätze schaffen können. Ein Blick auf unsere
Schulen und auf unsere Universitäten zeigt den Grund:
Wo wird denn da noch eigenverantwortliches, risikoorientiertes Handeln und unternehmerisches Denken
vermittelt?
Wir müssen eine neue Unternehmerkultur in Deutschland schaffen. Die Unternehmer in unserem Land sind
doch die wirtschaftliche Lokomotive. Sie bringen das
Land nach vorne, investieren und schaffen Arbeitsplätze.
Deshalb müssen wir schauen, dass wir die Menschen
dazu bekommen und sie ermutigen, wieder gerne unternehmerisch tätig zu sein und Lust auf Leistung zu haben.
Unter Ihrer Regierung braucht man allerdings sehr oft
großen Wagemut, wenn man sich selbstständig machen
will.
Sie machen wahnsinnig viele Marketingkampagnen
in eigener Sache, um Ihre verkorkste Politik in der Öffentlichkeit mit Hochglanzbroschüren ganz toll darzustellen. Ich fordere Sie nun auf, auch einmal eine andere
Marketingoffensive zu starten: Machen Sie eine Marketingkampagne, die herausstellt, inwiefern es positiv ist,
wenn man sich selbstständig macht und unternehmerisch
betätigt! Degradieren Sie unsere Leistungsträger nicht zu
Lastenträgern, sondern stilisieren Sie sie zu Hoffnungsträgern! Das waren sie ja auch wirklich in der Vergangenheit.
Aber was machen Sie? Sie diskutieren wieder über
eine höhere Erbschaftsteuer. Frau Simonis hat dieses
Thema wieder in die Diskussion gebracht. Man muss
sich da schon fragen, ob diese Frau nicht weiß, dass allein in diesem Jahr 70 000 Unternehmen an Nachfolger
übergeben werden und dass Zehntausende dieser Betriebe allein aufgrund der Erbschaftsteuer nicht mehr
fortgeführt werden können, sondern verkauft werden
müssen.
({9})
Angesichts dessen ist es nicht richtig, über eine Erhöhung der Erbschaftsteuer nachzudenken, sondern richtiger wäre es, diese Betriebe zu entlasten, indem man
jemandem, der den Betrieb übernimmt, die Erbschaftsteuer stundet und sie ihm nach zehn Jahren ganz erlässt.
Das Fortführen eines Betriebes über zehn Jahre bringt
nämlich mehr für die Volkswirtschaft als die einmalige
Abführung der Erbschaftsteuer, die oft nur dadurch möglich ist, dass man den Betrieb verkauft.
({10})
Wir müssen uns zum Ziel setzen, dass die deutsche
Wirtschaft im internationalen Wettbewerb so viel besser
ist, wie sie teurer ist. Wir müssen uns zum Ziel setzen,
1 000 Arbeitsplätze am Tag zu schaffen, statt zuzulassen, dass, wie es momentan der Fall ist, täglich
1 000 Arbeitsplätze abgebaut werden. Wir haben das
Potenzial. Wenn man die Chancen nutzt, was Sie leider
nicht tun, bin ich ganz sicher, dass wir zukünftig in der
Weltwirtschaft wieder ganz weit vorne mitspielen werden.
Vielen Dank.
({11})
Ich erteile das Wort Kollegen Klaus Brandner, SPDFraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Wöhrls Rede und der Antrag der
CDU/CSU geben, so finde ich, ein hervorragendes Bild
über die wirtschafts- und finanzpolitischen Vorstellungen der Opposition.
({0})
Es ist eine Aneinanderreihung von Banalitäten, Allgemeinplätzen und Unverbindlichkeiten.
Ich habe mich beim Lesen des Antrags gefragt: Was
ist nun die Konzeption, wo ist die Kritik und was sind
die konkreten Forderungen der CDU/CSU?
({1})
Ich wollte auch wissen, sehr geehrter Herr Singhammer,
mit welchen Konzepten Ihr Kollege Laumann in den
nordrhein-westfälischen Wahlkampf geht, um dort Arbeitsminister zu werden.
({2})
Wenn Ihre Forderungen in diesem Antrag aber die
Grundlage Ihrer Wirtschaftspolitik sein soll, dann kann
der Standort Deutschland froh sein, dass CDU und CSU
hier in der Opposition sind.
({3})
Herr Schartau kann sich beruhigt zurücklehnen; denn
das, was Sie bisher inhaltlich an Positionen geboten haKlaus Brandner
ben, ist sicherlich nicht dazu geeignet, Ihre Regierungsfähigkeit zu zeigen.
Ich habe in den letzten Tagen sehr aufmerksam die
Presse zu wirtschaftspolitischen Themen gelesen. Frau
Wöhrl, Sie mögen noch so rackern und mögen sich noch
so abmühen und in Allgemeinplätzen überbieten: Die
Auffassung der Wirtschaftspresse ist eindeutig. Beispielsweise schreibt das „Handelsblatt“ unter der Überschrift „Union verliert“:
Das Vertrauen in die Regierungsfähigkeit von CDU
und CSU schwindet, nicht nur in Meinungsumfragen. Auch in der Wirtschaft, einst unerschütterliche
Basis von Union und FDP, wachsen die Zweifel an
der Kompetenz der heutigen Opposition.
Ich finde, das „Handelsblatt“ hat gut beobachtet. Dem ist
im Kern nichts hinzuzufügen.
Ich unterstelle, dass Sie Ihren Antrag ernst nehmen
und ihn als Grundlage Ihrer Wirtschaftspolitik nehmen
wollen und dass Sie keine Showdebatte führen wollen.
Deshalb möchte ich daraus einen Ihrer Allgemeinplätze
zitieren:
… den kausalen Zusammenhang zwischen der technologischen Kompetenz … und dem Erhalt und
Aufbau von Arbeitsplätzen zu akzeptieren …
Dieser Satz ist so vielsagend, dass ich ihn gern wiederhole:
… den kausalen Zusammenhang zwischen der technologischen Kompetenz … und dem Erhalt und
Aufbau von Arbeitsplätzen zu akzeptieren …
Über eine solche Neuigkeit bin ich wirklich überrascht.
Wer akzeptiert denn diesen Zusammenhang nicht? Wir
jedenfalls haben unsere Politik auf Innovationen ausgerichtet und mit unseren Rahmenbedingungen Innovationen gefördert. Mit Ihren Allgemeinplätzen hingegen haben Sie die Wirtschaft in unserem Land nicht einen
Millimeter vorangebracht.
({4})
Wir haben die Weichen für einen erfolgreichen Forschungs- und Innovationsstandort gestellt. Die vorherige
Debatte hat das noch einmal deutlich gemacht. Die Erfolge werden schon sichtbar. Beispielsweise entstehen in
Dresden, dem Silicon Valley des Ostens, zusätzlich
10 000 direkte Arbeitsplätze in der Hochtechnologie.
({5})
In München investiert General Electric in ein großes
Forschungszentrum. Damit werden zukunftsfähige Arbeitsplätze geschaffen. Das zeigt beispielhaft, dass
Deutschland als Forschungsstandort attraktiv ist.
Lassen Sie mich noch anfügen: Die Stärkung der
technologischen Kompetenz heißt für uns auch Ausbau
von Ganztagsschulen, Qualifizierung der Arbeitnehmer und Nutzung der Mitbestimmung in den Betrieben.
Das sind Standortvorteile, auf die wir zukünftig noch
stärker bauen müssen.
Ihr Antrag enthält aber nicht nur Banalitäten, er ist
auch in sich widersprüchlich. So fordern Sie
… industriepolitische Interventionen zu unterlassen und zu verhindern, dass benachbarte EU-Mitgliedstaaten ihrerseits mit solchen Interventionen
den freien Wettbewerb … unterbinden oder verfälschen …
Welch eine Binsenweisheit! Wofür haben wir denn die
europäische Beihilfepolitik organisiert? Sie ist erfolgreich, wenn es um gleiche Wettbewerbschancen für alle
Länder geht. Welche industriepolitische Interventionen
meinen Sie eigentlich? Sie sind doch die Ersten, die die
Regierung in Krisensituationen auffordern, die Unternehmen nicht allein zu lassen. Ich frage mich also, wie
Ihre Forderung nach industriepolitischer Enthaltsamkeit
mit Ihrer Forderung im gleichen Antrag zusammenpassen soll, wonach deutschen Unternehmen mehr Hilfestellung bei internationalen Aktivitäten zu leisten sei.
Das ist eine Aufgabe, die auch wir sehen. Bei Ihnen ist
aber eine eindeutige Linie absolut nicht erkennbar. Ihr
Hin und Her ist keine Linie, auf die sich die Wirtschaft
in diesem Land verlassen kann. Sie müssen sich nämlich
schon entscheiden, ob Sie deutsche Unternehmen unterstützen wollen oder nicht.
Die SPD jedenfalls beurteilt Industriepolitik positiv.
Natürlich helfen wir deutschen Unternehmen auf Auslandsmärkten. Sie sehen, dass die breite außenwirtschaftliche Kompetenz und das Instrumentarium, das
wir vorhalten, wirken. Dies sind die Hermesbürgschaften, die Messeförderung, die Förderung des Exports von
erneuerbaren Energien, die Bundesagentur für Außenwirtschaft und die Förderung von Direktinvestitionen in
Deutschland. Allein für 2005 hat die Bundesregierung
die Mittel für die Außenwirtschaftsförderung noch
einmal von 100 Millionen auf 114 Millionen Euro aufgestockt. Für uns hat die Außenwirtschaftsförderung
hohe Priorität.
Bei Ihnen scheint eine gewisse Beliebigkeit Fuß zu
fassen. Einerseits wollen Sie industriepolitische Interventionen abschaffen, andererseits wollen Sie Unternehmen bei Auslandsaktivitäten unterstützen. Klarer kann
Ihr wirtschaftspolitischer Zickzackkurs nicht deutlich
gemacht werden.
Der Rückzug von Herrn Merz aus der Wirtschaftsund Finanzpolitik scheint aus meiner Sicht eine deutliche Lücke hinterlassen zu haben. Die Wirtschaftsverbände haben erst in dieser Woche das Fehlen eines
Unionskonzepts zur Unternehmensbesteuerung bemängelt. Eine Wirtschaftszeitung kommentiert zu Recht, wie
ich finde, dass die dünnen Thesen des Unionspapiers in
erstaunlichem Kontrast zum pompösen Titel „Konzept 21“ stehen.
Meine Damen und Herren, Deutschland hat in den
vergangenen anderthalb Jahren weitgehende Reformen
hinter sich gebracht. Mit der Agenda 2010 haben wir
richtige Antworten auf die Globalisierung, die Demographie und den Strukturwandel gegeben. Wir haben Kurs
gehalten und uns nicht von populistischem Schlechtreden abbringen lassen. In den jüngsten Umfragen wird
gerade das honoriert. Kurs halten, Klarheit schaffen und
den Menschen Vertrauen geben - auch das ist wirtschaftspolitische Kompetenz.
In einer aktuellen Umfrage des „Business-Monitor International“ bewerten ausländische Manager die Reformfortschritte in Deutschland als sehr positiv. Der
Standort Deutschland sei der Aufsteiger des Jahres,
({6})
so sagt das Meinungsforschungsinstitut Psephos, das regelmäßig für das „Handelsblatt“ aktiv ist. Herr
Singhammer, ich möchte Sie auf Folgendes hinweisen:
Nicht die Bundesregierung, sondern ein bedeutendes
Wirtschaftsmagazin hat dieses Meinungsforschungsinstitut beauftragt. Dessen positive Ergebnisse sollten Sie
zur Kenntnis nehmen.
Ihnen gehen die Reformen nicht schnell und nicht
weit genug; wir wissen das. Sie gefallen sich im
Schlechtreden. Wissen Sie eigentlich, dass Sie damit
dem Land und der Wirtschaft einen Bärendienst erweisen? Die Miesmacherstimmung irritiert zumindest die
öffentliche Meinung.
Die Zahlen, die eine wirtschaftliche Besserung belegen, sprechen eine völlig andere Sprache:
Erstens. Nach drei Jahren Stagnation haben wir im
vergangenen Jahr ein Wachstum von 1,7 Prozent gehabt, und zwar trotz des hohen Eurokurses und trotz der
sehr hohen Rohstoffpreise. Ich will an Folgendes erinnern: 1996 und 1997 hatten wir unter Ihrer Regierung
Wachstumsraten von 0,8 bzw. 1,4 Prozent.
({7})
- Ihre Erinnerung ist schlecht, Herr Fuchs. - Meckern
Sie also nicht immer darüber, wie mager alles ist!
Zweitens. Die deutschen Unternehmen verdienen
deutlich mehr. In 2004 stiegen die Gewinne aus Unternehmertätigkeit und Vermögen um 10 Prozent. Das
zeigt: Am Standort Deutschland kann man gutes Geld
verdienen.
({8})
Drittens. Im Jahr 2004 ist die Zahl der Erwerbstätigen - das zeigt, dass in den Standort Deutschland investiert wird - um 128 000 gestiegen. Ich bin fest davon
überzeugt, dass wir das in diesem Jahr deutlich toppen
werden.
({9})
- Regen Sie sich doch nicht auf! Die 1-Euro-Jobs gab es
doch noch gar nicht in 2004. Die haben wir doch erst am
1. Januar 2005 eingeführt. Herr Singhammer, Sie sind
nicht auf der Höhe der Zeit. Bleiben Sie ganz ruhig, helfen Sie der Wirtschaft durch sachliche Arbeit und stören
Sie nicht durch Ihre hektische Polemik!
Ich sage Ihnen: Unternehmensgewinne dürfen auch in
Zeiten des Shareholder-Value nicht nur für die Finanzmärkte erwirtschaftet werden. Der Anstieg der Ausrüstungsinvestitionen um 1,2 Prozent in 2004 ist ein erstes
ermutigendes Zeichen, dem weitere folgen müssen. Unternehmensgewinne sind kein Selbstzweck. Sie müssen
sich immer auch an gesellschaftlichen Zielen messen
lassen. Nur so ist das Ziel zu erreichen, Wohlstand für
alle zu mehren und soziale Gerechtigkeit in Deutschland
dauerhaft zu ermöglichen.
Viertens: Deutschland ist auch im Jahr 2004 Exportweltmeister. 2004 stiegen die Exporte noch einmal um
10 Prozent gegenüber dem bisherigen Rekordjahr 2003 ein Zeichen hoher Wettbewerbsfähigkeit.
Das positive Bild zeigt sich auch an den Direktinvestitionen: In den 90er-Jahren war, wie wir alle wissen, der
Saldo der Direktinvestitionen durchgängig negativ. In
den Jahren 2000, 2002 und 2003 gab es hingegen einen
positiven Saldo. Das heißt, es kamen mehr Direktinvestitionen nach Deutschland als umgekehrt.
Diesen Trend wollen wir durch eine solide Wirtschaftspolitik beibehalten. Deshalb fordere ich Sie auf,
das Land nicht weiter schlechtzureden. Sie haben bisher
kein Konzept vorgelegt. Helfen Sie durch positive Unterstützung mit, die Kultur der Zuversicht und der Ermutigung zu stärken, anstatt der Wirtschaft durch Ihr
Schlechtreden einen Bärendienst zu erweisen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Ich erteile dem Kollegen Rainer Brüderle, FDP-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach drei
langen Jahren der Rezession und der Stagnation wächst
die deutsche Wirtschaft zum Glück wieder. Das Wirtschaftswachstum im Jahre 2004 stellte aber eine zweifache Leihgabe dar: Die erste Leihgabe kam von der Weltwirtschaft. Der Rest der Welt ist dreimal so schnell wie
Deutschland gewachsen. Während die Weltwirtschaft
das größte Wachstum seit 20 Jahren zu verzeichnen
hatte, hinken wir hinterher. Die zweite Leihgabe war ein
erheblicher Kalendereffekt mit einigen zusätzlichen Arbeitstagen. Dies sollten sich vor allem diejenigen hinter
die Ohren schreiben, die 20 Jahre Seit’ an Seit’ mit der
IG Metall für Arbeitszeitverkürzung und die 35-Stunden-Woche gekämpft haben.
({0})
2005 muss Deutschland ohne die Sondereinflüsse des
Kalenders und der Weltkonjunktur auskommen. Normalerweise springt der Exportboom auf die Binnenkonjunktur über und stimuliert zusätzliche Binnennachfrage.
Unter Grün-Rot stellt sich aber die klassische ChoreoRainer Brüderle
graphie des Aufschwungs schon lange nicht mehr ein;
der Exportboom springt nicht über. Bundesbank, Wirtschaftsweise und Konjunkturinstitute sagen immer wieder, das Wachstumspotenzial für Deutschland sei für einen selbsttragenden weiteren Aufschwung und für mehr
Beschäftigung zu schwach.
({1})
Nun wollen Sie offenbar mit neuen Schulden das
Wachstum ankurbeln. Anders ist der durchsichtige Vorstoß des Bundeskanzlers zur faktischen Abschaffung des
Stabilitätspaktes nicht zu deuten.
({2})
In den letzten Jahren hatten wir in Deutschland Nullwachstum bei gleichzeitiger Rekordverschuldung. Ich
frage Sie: Wie hoch hätte nach Meinung der Regierung
die Verschuldung in Deutschland sein müssen, um einen
positiven Wachstumsbeitrag in unserem Lande zu erzielen? Nach meiner Auffassung kostet Verschuldungspolitik Wachstum. Ihr Parteifreund und Wirtschaftsweiser
Professor Wiegard hat mit dem von ihm im letzten Jahresgutachten des Sachverständigenrats ausführlich dargelegten Zusammenhang von öffentlichem Sparen und
Wirtschaftswachstum völlig Recht. Stabile Preise und
solide Staatsfinanzen sind Voraussetzung für mehr
Wachstum. Sie sind offenbar vom Gegenteil überzeugt;
Sie wollen mit weniger Preisstabilität und mehr Schulden die Wachstumsbasis verstärken. Dies ist absurd.
({3})
Doch Sie wollen nicht nur die Verschuldung ausweiten, Sie wollen offenbar auch Steuern erhöhen. Das Trojanische Pferd für Ihre Steuererhöhungsfantasien steht in
Kiel. Frau Simonis und ihr wild gewordener Finanzminister machen Wahlkampf mit einem Steuererhöhungspaket von rund 20 Milliarden Euro. In der größten
Konsumflaute wollen sie allen Ernstes die Mehrwertsteuer auf 19 Punkte erhöhen und damit den privaten
Haushalten die Chance auf mehr Kaufkraft und mehr
Konsum wegnehmen.
({4})
Allein die Ankündigung von Steuererhöhung durch
Kiel ist ein Stück wirtschaftspolitischer Vaterlandsverrat.
So etwas verunsichert die Menschen und Unternehmen
und schafft die Angststarre nicht ab, sondern verstärkt
sie. Erzählen Sie nicht, Sie wollten mit den Steuermehreinnahmen die Lohnnebenkosten senken; dies hat schon
bei der Ökosteuer nicht geklappt.
({5})
Die Grünen haben kein Interesse, die Angststarre in
Deutschland zu beseitigen; sie sind selbst ein Produkt
der Angstgesellschaft. Sie profitieren von der Angst. Sie
verbreiten auch Angst vor der Gentechnik. Das Resultat
ist, dass synthetisch sauberes Insulin heute ein Importgut
ist. Der damalige hessische Umweltminister Joseph
Fischer hat mit seiner Angstpolitik die Produktion dieses
Stoffes durch die Farbwerke Hoechst verhindert. Damit
hat er die Basis dafür gelegt, dass 20 Jahre später die
pharmazeutische Produktion durch die Farbwerke
Hoechst dort nicht mehr stattfindet. So sieht nachhaltige
Politik der Grünen aus!
({6})
Mit der Grünen Gentechnik geschieht heute durch Frau
Künast das Gleiche. Sie macht Wahlkampf für gentechnikfreie Bundesländer. Damit werden wir keine Aufbruchstimmung in diesem wichtigen Sektor erreichen.
Der Kanzler hat längst die Parole „ruhige Hand
Teil 2“ ausgegeben. Das Kabinett gleicht einer Ansammlung von Wacholderdrosseln. Sie flattern heftig mit den
Flügeln, aber bewegen nichts. Die Probleme in Deutschland lassen sich aber nicht „wegflattern“.
Der Bundeskanzler hat Ihnen, Herr Clement, persönlich die Verantwortung für die Situation auf dem
Arbeitsmarkt zugeschoben. Man bekommt den Eindruck, dies sei ein neuer Karrieresprung vom Superminister zum Sündenbock. Die Regierung verspricht seit
sechs Jahren etwas anderes: Zuerst sollte die Arbeitslosigkeit auf 3,5 Millionen Arbeitslose gesenkt werden; da
war das Thema Beschäftigung noch Chefsache von
Herrn Schröder. Peter Hartz hat dann 2 Millionen Arbeitslose weniger versprochen. Sie behaupten, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2010 zu halbieren. Die Realität aber sieht anders aus: Auch ohne die Hartz-IVEffekte haben wir die höchste Arbeitslosigkeit seit der
Wiedervereinigung zu verzeichnen. Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe war richtig.
Dies war jedoch nur eine isolierte Maßnahme, aber kein
Konzept für mehr Wachstum und Beschäftigung.
Sie lassen das Tarifkartell unangetastet. Helmut
Schmidt wird nicht müde zu mahnen, dass hier aus seiner Sicht die entscheidende Schwachstelle liegt. Er hat
Recht. Die Lohnnebenkosten gehen eher hoch als runter.
Die Steuerlast der Unternehmen macht sie immer noch
nicht wettbewerbsfähig. Der Schlüsselbegriff lautet
„mehr Wettbewerb“. Man könnte in Analogie zu einer
erfolgreichen Handelswerbung sagen: Wettbewerb ist
geil. Vielleicht verstehen Sie es so besser. Sie müssen
dies aber auch konkret umsetzen. Das Gegenteil aber ist
der Fall: Die Regulierung nimmt eher zu. Im Arbeitsrecht gibt es eine absurde Anzahl von Schwellenwerten,
von der Pflicht für getrennte Toiletten bei einem EinFrau- oder einem Ein-Mann-Betrieb bis zur paritätischen
Besetzung der Aufsichtsräte in Großkonzernen.
Eine Reform des Arbeitsrechts kostet keinen Cent,
nur ein paar Pfründe der Gewerkschaftsfunktionäre.
({7})
Ich kann mich gut daran erinnern, als von Rot-Grün im
letzten Jahr ein Antrag zur Fusionsrichtlinie eingebracht
wurde, mit dem Herr Clement aufgefordert wurde, in
Brüssel für die paritätische Mitbestimmung in deutschen
Aufsichtsräten zu kämpfen.
({8})
Er konnte und wollte sich nicht durchsetzen. Am deutschen Mitbestimmungswesen wird Europa eben nicht
genesen.
({9})
Wir müssen etwas tun. Ansonsten nimmt die Zahl der
Firmensitze in Deutschland ab. Wir wissen doch aus Erfahrung, dass in den Firmenzentralen entschieden wird,
wo am Schluss die Zahl der Arbeitsplätze vermindert
wird.
({10})
Wenn wir die Kommandozentralen aus Deutschland vertreiben, werden wir unserem Standort nichts Gutes tun.
Sie müssen in Deutschland gehalten werden.
({11})
Eines wird in dieser Debatte völlig übersehen: Bush
ist in Deutschland zwar nicht sehr populär. Viele lehnen
ihn ab, begründet oder unbegründet. Er ist aber dabei, in
den USA etwas fundamental Neues auf den Weg zu bringen. Dies ist auch ein Schlüsselbegriff seiner Kampagne.
Die Ownership Society, die Eigentümergesellschaft,
wird - ähnlich wie bei Ronald Reagan - einen weiteren
Effizienz- und Produktivitätssprung der amerikanischen
Wirtschaft auslösen. Die USA haben schon heute einen
volkswirtschaftlichen Produktivitätsvorsprung von etwa
30 Prozent. Ganz simpel gesprochen: 1 000 Personen
produzieren in zehn Stunden bei gleicher Maschinenzahl
30 Prozent mehr Autos. Das Gap, der Abstand, ist in der
Tendenz eher steigend. Diese Umstrukturierung, die ich
für Deutschland so nicht empfehle, etwa die Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme, wird die USA bezüglich der Wettbewerbselastizitäten weiter nachhaltig
stärken.
Neben dem zu geringen Wachstumspotenzial ist die
mangelnde Elastizität, die mangelnde Anpassungsfähigkeit unserer deutschen Volkswirtschaft, bei externen Veränderungen unsere zweite Schwäche. Sie ist in Bezug
auf die vielen Risiken zu schwach.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Deshalb sind wir anfällig, wenn es draußen entsprechende Veränderungen gibt. - Herr Lammert, das war
der letzte Satz.
({0})
- Ich bin noch lange nicht am Ende, aber Ihre Zwischenrufe zeigen: Ihnen fällt nichts ein.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Fritz Kuhn, Bündnis 90/
Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man für die Wirtschaft in Deutschland und damit
für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit etwas Gutes tun
will, dann muss man offen und klar über die Stärken in
Deutschland reden; man muss aber ebenso offen und
klar über die Schwächen reden. Das habe ich bisher in
der Debatte vermisst. Sie verharren in den Ihnen zugewiesenen Rollen. Frau Wöhrl muss sagen, dass es
schlecht sei; Herr Brüderle hat ein paar ordnungspolitische Bedenken vorgetragen.
({0})
- Was Sie über Deutschland und Österreich gesagt haben, darf man ja in Bayern nicht laut sagen,
({1})
wenn ich mir die Probleme der bayerischen Wirtschaft
anschaue.
({2})
So meine ich das.
Ich will jetzt einen Überblick darüber geben, was eigentlich los ist.
({3})
Wenn Sie sich einmal die Entwicklung des letzten Jahres
und die Prognose für 2005 anschauen, dann sehen Sie,
dass die Reformen in Deutschland anziehen. Vor allem
das Ausland erkennt an, dass sich dieses Land bewegt.
({4})
Daran können Sie auch mit all Ihrem Schlechtreden
nicht rütteln: Im Ausland erkennt man an: Deutschland
reformiert sich Schritt für Schritt. Nicht alles schaffen
wir sofort, aber der Wille und die Konzepte sind da und
die Richtung stimmt.
({5})
Dies wird positiv bewertet.
Schauen Sie sich doch die ökonomischen Indikatoren
an. Wir haben Waren und Dienstleistungen im Wert von
731 Milliarden Euro aus Deutschland exportiert.
({6})
Damit sind alle Vorleistungsanteile ausgeglichen. Die
These der Basar-Ökonomie ist ja albern. Wir sind also
im Export erfolgreich. Die Lohnstückkosten in Deutschland sind in den letzten Jahren fast konstant geblieben;
seit 1995 sind sie nur um 2 Prozent gestiegen, während
sie im EU-Durchschnitt um 10 Prozent gestiegen sind.
({7})
Diese Indikatoren zeigen doch, dass es auf der einen
Seite eine maßvolle Lohnentwicklung und auf der anderen Seite eine gute Steigerung der Produktivität gegeben
hat. Denn anderenfalls wären solche Lohnstückkosten
nicht zustande gekommen.
({8})
Frau Wöhrl, solche Entwicklungen sollten Sie einfach
anerkennen, wenn Sie vernünftig und richtig über die
Bundesrepublik Deutschland und ihre wirtschaftliche
Fähigkeit sprechen wollen.
({9})
Ich will Ihnen einmal drei Beispiele für die Alternativen, die die Union in dieser Reformwerkstatt Bundesrepublik Deutschland fabriziert, nennen, Beispiele, bei denen ich der Meinung bin: Sie sollten noch einmal in sich
gehen.
({10})
Erstens. Sie brüten über ein halbes Jahr - und langweilen damit die deutsche Öffentlichkeit - darüber, wie
zum Zweck der weiteren Senkung der Lohnnebenkosten
die Krankenversicherung reformiert werden soll. Alle,
auch Sie selber in den eigenen Reihen, gestehen ein:
Das, was bei den merkelschen Kopfpauschalen herausgekommen ist, ist nichts anderes als ein Murks. Alle,
auch Leute von Ihnen, Vertreter der Wirtschaftsverbände, sagen: Selbstverständlich werden wir diesen
Merkel- und Stoiber-Murks nicht unterstützen, weil er
keinen Fortschritt hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit
der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung darstellt.
({11})
Das, was der erste Meilenstein beim Reformpaket der
Union sein sollte, stellt sich als Murks bei der weiteren
Reform der sozialen Sicherungssysteme heraus.
Ferner haben Sie steuerpolitische Vorschläge gemacht. Da bin ich gespannt, wie Sie von denen wieder
herunterkommen wollen. Gestern, am 19. Januar, gab es
dazu eine Anhörung des Finanzausschusses. Ich will Ihnen vortragen, wie von den Professoren Rürup,
({12})
Wiegard und Christoph Spengel vom ZEW in Mannheim die Vorschläge von Union und FDP bewertet worden sind.
({13})
- Danach können wir sehen, ob Sie, Herr Michelbach,
noch in der Lage sind, eine Zwischenfrage zu stellen.
Sie von der Union haben im Wesentlichen eine Einkommensteuerreform vorgeschlagen, in der Sie die Steuersätze weiter senken wollen. Dazu sagen die Sachverständigen - ich darf zitieren -:
Gemessen am internationalen Niveau besteht aus
deutscher Sicht derzeit jedoch keine Notwendigkeit
zur Senkung der Einkommensteuersätze. Seit dem
1. Januar 2005 gelten die niedrigsten Werte seit Bestehen der Bundesrepublik.
Die Professoren führen weiter aus:
Im EU-Vergleich ist der Spitzensteuersatz ({14}) äußerst moderat, der Eingangssteuersatz
({15}) liegt sogar um über fünf Prozentpunkte unter dem europäischen Durchschnittswert.
Zu den körperschaftsteuerpflichtigen Betrieben heißt es:
Die tarifliche Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften würde nach den Vorstellungen beider Parteien
- gemeint sind Union und FDP steigen.
Mein Fazit dieser Bewertung lautet: Sie legen ein
Einkommensteuerpaket vor, das überflüssig ist und uns
die Mittel für Investitionen, zum Beispiel in Forschung
und Bildung, raubt. Bei den Unternehmensteuern tendieren Sie zu einer zusätzlichen Steuerbelastung.
({16})
Dazu kann ich nur sagen: Das ist ein Volltreffer im Reformpaket der Reformwerkstatt Union. Offensichtlich
schaden Sie durch Ihre Steuerpolitik dem Standort
Deutschland. Deswegen sollten Sie ganz leise, ruhig und
vorsichtig sein, wenn Sie die Steuerpolitik, die die Bundesregierung in den letzten Jahren betrieben hat, angreifen.
({17})
Herr Kollege Kuhn!
Nein, ich möchte weitermachen.
Der dritte Punkt. Offensichtlich haben Sie nicht verstanden, wie man in Deutschland Innovationen schafft.
({0})
- Ihnen steht noch Redezeit zu. All Ihre neuen Sprecher
können reden. ({1})
Innovation erreichen wir nur dann, wenn wir in Deutschland mehr für Forschung, Bildung, Schule, Ausbildung
und Weiterbildung tun. Das ist der Kernpunkt der gesamten Innovationsdebatte. Alle Vorschläge, die wir gemacht haben, damit in diesem Bereich mehr geschieht,
werden von der Union blockiert, weil Sie die Finanzierungsinstrumente, die wir vorsehen - zum Beispiel den
Abbau von Subventionen wie der Eigenheimzulage -,
nicht mittragen; denn Sie brauchen sie, um Ihren absurden Vorschlag, die Einkommensteuersätze zu senken,
umzusetzen.
Durch Ihre Steuerpolitik verhindern Sie Innovationen,
weil Sie Forschung, Bildung und Forschungsdienstleistungen in Deutschland nicht stärken wollen und nicht
stärken können. Die Vorschläge, die Sie gemacht haben,
sind innovationsfeindlich. Das müssen Sie sich anhören,
wenn Sie hier so locker und fröhlich über den Standort
Bundesrepublik reden.
({2})
Sie sagen, wir sollen uns nicht weiter verschulden.
Das ist richtig und das wollen wir auch nicht tun. Aber
die Finanzierung der Vorschläge, die Sie zur Steuerpolitik gemacht haben, ist in einer Größenordnung von mindestens 10 Milliarden Euro nicht gedeckt. Die Steuerpolitik von Union und FDP würde dazu führen, dass die
Bundesrepublik Deutschland zusätzliche Schulden machen müsste. Sie müssen es sich leider gefallen lassen,
dass mein Fazit lautet: Sie haben keine stimmige Konzeption zur Reform der Bundesrepublik Deutschland.
Es ist wirklich leichter, in der Opposition Konzepte
zu erarbeiten, als sie in der Regierung umzusetzen.
({3})
Ich glaube, das ist eine Binsenweisheit, die sowohl für
die Länder als auch für den Bund gilt. Aber man muss
sich von der Öffentlichkeit fragen lassen - diese Frage
wird auch gestellt -: Wenn die Reformvorschläge, die
die Union, wenn sie in der Opposition ist, produziert, nur
Murks sind, wie es zum Beispiel bei den Kopfpauschalen und in der Steuerpolitik der Fall ist, was wird dieses
Land erst erwarten dürfen, wenn Sie im Jahr 2006, was
Gott verhindern möge, wieder an die Regierung kommen?
Die Bevölkerung in Deutschland merkt das. Sie hat
verstanden, was es bedeutet, dass Frau Merkel das Personal wegläuft. Ihre kompetenten Leute, die etwas von
Wirtschaftspolitik verstehen, wollen diesen Murks nicht
mehr nach außen repräsentieren. Sie verziehen sich lieber in Steuer- bzw. Rechtsanwaltskanzleien. Jetzt müssen Sie Herrn Kauder schon fünfmal einsetzen, um Ihre
Personalvorschläge überhaupt noch politisch realisieren
zu können. Genau das ist der Punkt, an dem es bei Ihnen
hakt. Sie haben für die Bundesrepublik Deutschland
keine Konzepte. Ich glaube, diesen Eindruck hat auch
die Bevölkerung.
Herr Kollege Kuhn, würden Sie nun eine Zwischenfrage des Kollegen Brüderle gestatten?
Nein, ich will weitermachen
({0})
- ich habe noch eine Minute Redezeit -; denn ich habe,
was die Zwischenfragen von Herrn Brüderle betrifft, die
Erfahrung gemacht, dass sie nicht als ernste Fragen, sondern als Polemik gemeint sind. Deswegen will ich mir
diese Zeit sparen.
({1})
Ich will noch einen Punkt ansprechen, der uns Grünen
wichtig ist:
({2})
Herr Minister Clement, wir betrachten die Reformen, die
wir durchgeführt haben, vor allem für die Arbeitsmarktpolitik als entscheidend. Aber die Reformwerkstatt
Bundesrepublik Deutschland darf nicht aufhören, weiter zu reformieren. Das trifft natürlich für die gesetzliche
Krankenversicherung zu; das ist innerhalb der Koalition
Konsens. Wir brauchen ferner eine Reform der Pflegeversicherung. Da steht die Union auf der Bremse und
blockiert, weswegen es schwierig ist, da weiterzukommen. Und wir müssen beim Bürokratieabbau vorankommen. Ich will ganz deutlich sagen, dass ich das Vorgehen, jetzt Vorschläge einzusammeln und sie nach
Schwerpunkten abzuarbeiten, für richtig halte.
({3})
Wir müssen weitere Bürokratieabbauinitiativen unternehmen.
({4})
Dazu gehört auch eine Steuerreform, bei der es nicht um
die Senkung der Steuertarife geht, sondern bei der die
systematische Vereinfachung unseres Steuerrechts in den
Vordergrund rückt. Die Betriebe klagen über Bürokratie,
weil sie ganz stark unter unserem zu komplizierten Steuerrecht leiden und unter der Notwendigkeit, Firmengestaltungen zum Teil im Hinblick auf das Steuerrecht vorzunehmen statt nach ökonomischer Vernunft.
Ich sage Ihnen klar: Wir müssen bei den Innovationen
vorankommen. Die Finanzierung innovativer Betriebe,
insbesondere über Venturecapital, ist in Deutschland im
internationalen Vergleich noch nicht konkurrenzfähig.
Das ist ein unangenehmes Thema, es ist ein schwieriges
Thema. Wir haben jetzt Erfolge erzielt: Über die Dachfonds hat sich ein bisschen was bewegt, aber in der
Summe sind wir - wie gestern im „Handelsblatt“ nachzulesen war - an der Stelle noch nicht so weit, wie wir
sein müssten.
Deswegen heißt unsere Botschaft - damit komme ich
zum Schluss -: Wir sind auf einem guten Weg bei den
Reformen. Die Menschen draußen spüren das. Die Wirtschaft spürt das: Die Stimmung ist wieder positiver.
Aber wir sind nicht am Ende.
({5})
Wir müssen und wir werden weiterreformieren, ganz
egal ob die Union blockiert oder nicht. Wir werden konsequent - auch ordnungspolitisch - den Weg für eine
bessere Wirtschaftsordnung und mehr Arbeitsplätze in
Deutschland gehen.
Vielen Dank.
({6})
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege
Michelbach das Wort.
Herr Kollege Kuhn! Sie haben hier ein falsches Zitat
verwandt. Die Professoren Wiegard, Spengel und Rürup
waren gestern bei der Sachverständigenanhörung gar
nicht anwesend.
({0})
Sie manipulieren damit eine Sachverständigenanhörung
des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages. Tatsache ist: Die Steuerreformvorschläge der CDU/CSU
wurden von den anwesenden Professoren Kirchhof,
Eekhoff, Arndt und Bareis als Schritt in die richtige
Richtung ausdrücklich gelobt und als positiv angesehen.
({1})
Damit ist der Nachweis erbracht, dass eine Steuerreform,
wie sie CDU und CSU vorschlagen, notwendig und dringend ist. Wir benötigen die volkswirtschaftlichen Vorteile, die Effizienzgewinne einer Vereinfachung des
Steuerrechts für den Standort Deutschland. Die Finanzierung kann letzten Endes geleistet werden, weil die
Mittel dafür durch die Konjunkturbelebung und die
Wachstumseffizienz, die mit dieser Vereinfachung einhergehen, frei werden. Reformstillstand und Manipulation sollten wir uns in diesem Land in einer solch wichtigen Frage nicht leisten, Herr Kollege Kuhn. Ein
Reformstillstand in der Steuerpolitik durch Herrn Eichel
bis 2008 wäre das Schlimmste, was dem Wirtschaftsstandort passieren könnte. Gehen Sie deshalb mit uns gemeinsam mit dem Konzept 21 in die Offensive!
({2})
Herr Kollege Runde, Zwischenfragen bei Kurzinterventionen gibt es nicht. Aber es gibt die Möglichkeit der
direkten Erwiderung durch den Angesprochenen. Herr
Kollege Kuhn, bitte schön.
Wir können es ganz kurz machen: Lieber Herr
Michelbach, ich habe sauber und präzise aus einer Stellungnahme der drei genannten Professoren anlässlich der
Anhörung zitiert; der schriftliche Text liegt ja vor, er lag
Ihnen auch gestern als Material zur Anhörung vor.
({0})
- Ich habe ihn doch nicht vom Christkind geschenkt bekommen.
({1})
Der Text lag anlässlich der Anhörung vor und daraus
habe ich vorgelesen. Es ist ein öffentliches Dokument;
({2})
wir können es Ihnen auch kopieren, falls Sie keine Kopierer in der Fraktion haben; darüber brauchen wir nicht
zu streiten.
Ich wollte die Auffassung dieser Professoren, die Sie
gerne zitieren, wenn es für Sie günstig ist, hier kundtun.
({3})
Sie haben klar und einfach gesagt - jetzt hören Sie doch
einmal zu, Herr Michelbach -, wie unsere Position aussieht: Das Volumen der Steuertarifsenkung beträgt seit
1998 insgesamt 60 Milliarden Euro. Im internationalen
Vergleich betrachtet, gibt es bei der Einkommensteuer
keinen Bedarf für weitere Steuersenkungen. Es gibt sicher einen Reformbedarf bei der Unternehmensteuer.
Deswegen verfolgen wir auch in unseren Reihen die Diskussion über die Möglichkeit eines dualen Steuersystems, wie es im Finanzministerium ebenfalls beraten und
erarbeitet wird, sehr aufmerksam; das ist doch logisch.
Man hat Ihnen nachgewiesen: Das, was Sie vorgelegt
haben, ist ein überflüssiges Konzept für eine Einkommensteuerreform. Das betrifft nicht die Vereinfachung,
die nicht überflüssig ist. Sie sind mit Ihrem Konzept aber
auf dem Bauch gelandet und haben es nicht richtig vorangebracht. Deswegen wird diesem Steuerkonzept in
der politischen Auseinandersetzung der nächsten Monate keine Strahlkraft innewohnen. Es tut mir Leid für
Sie, dass es so ist.
({4})
- Gut, wir wollen ehrlich bleiben: Arg Leid tut es mir
nicht. - Sie müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass
Sie mit dem Konzept durchgefallen sind.
({5})
Ich erteile nun dem Kollegen Johannes Singhammer,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Clement, bei 4,5 Millionen offiziell
gemeldeten Arbeitslosen und mindestens 6 Millionen
Menschen ohne Beschäftigung muss sich in Deutschland
etwas ändern. Deutschlands Wirtschaft wird abgehängt,
während in anderen Ländern erfreuliche Wachstumsraten zu verzeichnen sind. Zu Recht kommentiert der
Chefökonom des Ifo-Instituts:
Obwohl der Rest der Welt wächst wie seit einem
Vierteljahrhundert nicht mehr, kommt Deutschland
nicht voran.
Wir reden Deutschland nicht schlecht, Sie reden die Arbeitslosenzahlen aber schön. Das ist das Problem.
({0})
Hier wird immer die Exportkraft der deutschen
Wirtschaft angeführt. Wir sind stolz, dass es so ist. Die
Aussagekraft der Statistik bezogen auf den Export hat
aber abgenommen. Herr Kuhn, ich nenne Ihnen ein ganz
einfaches Beispiel, falls Sie es noch nicht kennen: Der
Porsche Cayenne - ein schönes Auto - wird in Leipzig
hergestellt. Die Vorfertigung geschieht in der Slowakei.
Dieses Auto mit einem gewissen Wert wird exportiert
und erscheint in der Exportstatistik. Die tatsächliche
Wertschöpfung in Deutschland - in Leipzig - beträgt nur
15 Prozent des Wertes. Das ist doch das Problem. Wenn
Sie auf die Exportstatistik abstellen, dann müssen Sie
doch auch die andere Seite der Medaille kennen.
({1})
Auf dem Weg der Deindustrialisierung Deutschlands
sind Sie leider ein gutes Stück vorangekommen. Ich
nenne zwei Bereiche:
Die Pharmaindustrie. Deutschland war einst die Apotheke der Welt, heute ist es ein Filialunternehmen, in
dem zwar verkauft, aber immer weniger produziert wird.
In den letzten 14 Jahren ist in unserem Land die Zahl der
Beschäftigten nur in dieser Branche um 5 Prozent zurückgegangen, während die Zahl der Beschäftigten in
diesem Bereich in den Vereinigten Staaten im gleichen
Zeitraum um 10 Prozent gewachsen ist. Das zeigt das
Problem.
Die Wehrtechnik. Sie ist durch die Demontage des
Rüstungshaushaltes nur noch ein Schatten ihrer selbst.
Ich sage an dieser Stelle: Ohne Industrie geht es nicht
und ohne eine breite industrielle Basis gibt es auch keinen starken Dienstleistungsstandort. Hinzu kommt: Mit
Dienstleistungen wird auf dem Weltmarkt eine bei weitem nicht so hohe Wertschöpfung erzielt wie mit industrieller Produktion. Deutschland war traditionell das
Land der Ingenieure und Innovationen und bleibt es
auch. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, ist
Deutschland nach wie vor besser als viele andere.
Um aus der Misere herauszukommen, brauchen wir
täglich statt eines Verlusts von tausend sozialversicherungspflichtigen Vollarbeitsplätzen tausend Arbeitsplätze mehr. Wir brauchen einen Wachstumsschub. Die
zukunftssichersten Arbeitsplätze gibt es meist im industriellen und im hochtechnologischen Bereich. Nur die
Technologieführerschaft sichert Wirtschaftlichkeit und
damit das langfristige Überleben im globalen Wettbewerb.
Ich sage es auch hier noch einmal: Deutschland muss
um so viel besser sein, als unsere Produkte oft teurer
sind. Das trifft vor allem auch für die wirtschaftlich etwas schwächeren Regionen in unserem Land zu.
Notwendig ist ein neues Denken in Wertschöpfungsketten zwischen Forschung, Entwicklung und Produktion. Ganz entscheidend ist auch die enge örtliche Nachbarschaft, die Vernetzung zwischen Hochschulen,
Unternehmen, Zulieferern und Entwicklern. Das neudeutsche Wort dafür ist Clusterbildung.
Einige Bundesländer haben erfolgreich vorgemacht,
wie es funktioniert. Ich nenne einmal Bayern - das wird
Sie nicht wundern, aber ich darf es trotzdem sagen - und
seine Neutronenquelle. Die Neutronenquelle in Garching ist gegen heftigsten Widerstand durchgesetzt worden. Dieses Spitzeninstitut der Forschung zieht jetzt andere Entwicklungsunternehmen an. Heute ist mehrfach
General Electric genannt worden, das sich mit einem
Entwicklungszentrum in der Nähe von Garching angesiedelt hat. Die Grünen haben vorhin in der Debatte darauf hingewiesen, dass sie dorthin eingeladen worden
seien und wie wunderbar es gewesen sei. Das ist schön
für sie. Glauben Sie denn wirklich, dass General Electric
nach Garching gezogen ist, weil der Herr Trittin in
Deutschland Umweltminister ist? Die Firma ist deswegen nach Garching gezogen, weil dort die Neutronenquelle gebaut worden ist und sie diese räumliche Nähe
wollte.
({2})
Sachsens Zentrum für Mikrochips bei Dresden ist ein
anderes glänzendes Beispiel. Auch viele andere Bundesländer haben es vorgemacht. Aber Deutschland als Ganzes fehlt dieser Masterplan, wo was mit Aussicht auf
Erfolg angesiedelt werden kann. Was sind die Schlüsseltechnologien dieses 21. Jahrhunderts? Welche administrativen Hemmnisse stören uns? Wo muss sich die Bundesregierung im Interesse Deutschlands in der EU
durchsetzen? Ich nenne einmal das Beispiel REACHProgramm. Das ist für die chemische Industrie wichtig.
Wo ist der zentrale Standort der Chemieindustrie in Europa? Er ist in Deutschland. Deshalb trifft diese Richtlinie und ihre Wirkungen kein anderes Land mehr als
Deutschland. Wir erwarten von der Bundesregierung,
dass sie diesen Gesichtspunkt nicht nur erkennt, sondern
auch Gegenmaßnahmen ergreift.
({3})
Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich, um keine
Missverständnisse aufkommen zu lassen: Wir wollen
keine staatliche Industriepolitik; denn Deutschland profitiert vom freien Welthandel und von international ungehindert fließenden Investitionsströmen. Wir wollen
keinen neuen Protektionismus. Nun wird aber in der
SPD über die Errichtung einer eigenen staatlichen Agentur zur Unterstützung der Industrie nachgedacht. Ich
habe gestern in einer dpa-Meldung gelesen, dass der
saarländische SPD-Chef Heiko Maas erklärt hat, er halte
es für richtig, eine eigene Stelle zu schaffen, die allerdings wegen der Haushaltslage nicht mit einer allzu üppigen Förderung rechnen könne. Mit Letzterem hat er
Recht, mit dem Ersteren befindet er sich auf dem Irrweg.
Wir brauchen keine neue Bürokratie. Wir brauchen
keine neue Behörde für nationale Industriepolitik - Herr
Kollege Brandner, jetzt hören Sie gut zu; Sie haben ja
vorhin behauptet, in unserer Argumentation sei ein Widerspruch -,
({4})
sondern wir brauchen eine Bundesregierung, Herr Minister Clement, die auch gegenüber unseren Partnern
und Freunden nationale deutsche Industrieinteressen
vertritt. Ich nenne hier nur die Stichworte Sanofi,
Aventis, Siemens und Alstom. Ich frage die Bundesregierung: Was ist, wenn in anderen europäischen Staaten
die Grundsätze staatlicher Nichteinmischung verletzt
und nationale Champions mit einem klaren politischen
Regierungskonzept auf europäischer Ebene gezielt gefördert werden? Was ist, wenn sich ausländische Konzerne in Deutschland am Markt beteiligen, die selbst von
ihren eigenen staatlichen Regierungen gefördert und gelenkt werden?
({5})
Sie wissen, dass es hier eine ganze Reihe solcher Firmen gibt. Ich nenne auch einen Namen, zum Beispiel
EnBW. Der französische Energiemarkt im Strombereich
ist anderen Unternehmen weitgehend nicht zugänglich.
Auf der anderen Seite ist der deutsche Markt offen. Es
genügt nicht, wenn die Bundesregierung, Herr Minister,
hinter vorgehaltener Hand kritische Worte flüstert. Es
genügt auch nicht, wenn Gespräche mit der französischen Regierung angekündigt, aber konkrete Ergebnisse
nirgendwo sichtbar werden. Es liegt nicht im deutschen
Interesse, wenn folgender Trend an Fahrt gewinnt: Unternehmenszentralen in Paris, Filialen in Berlin.
Der Chef des Ifo-Instituts, Professor Sinn, schreibt
zutreffend:
Wo die Unternehmenszentralen sind, entstehen
auch hochwertige und gut bezahlte Jobs, es bilden
sich qualifizierte Dienstleistungsunternehmen heraus. Solche Zentralen sind auch im Sponsoring für
kulturelle und soziale Zwecke tätig.
Wo glauben Sie, Herr Minister, werden im Zweifelsfall
die Arbeitsplätze zuerst eingespart, in der Filiale oder in
der Zentrale?
({6})
Airbus und EADS: Vor zwei Tagen ist der europäische Supervogel A380 zum ersten Mal aus der Produktionshalle in Toulouse gerollt. Das war ein Quantensprung in der Entwicklung von modernem Fluggerät. Es
war Franz Josef Strauß, der 1968 mit anderen Partnern
den Airbus auf diesen erfolgreichen Weg gesetzt hat.
Das war richtig und erfolgreich.
({7})
Der Erfolg von Airbus wird heute nicht durch mangelnde technologische oder Marketingfähigkeiten aufgehalten; zunehmend erweist sich als Störfaktor, dass die
deutsch-französische Balance in der Unternehmensführung systematisch gekippt werden soll. Wenn Sie uns
nicht glauben, dann hören Sie wenigstens auf die Vertreter des Gesamtbetriebsrats. Frau Ingrid Lüllmann hat gesagt, die Belegschaft befürchte, von den Franzosen
dominiert zu werden, und in Deutschland fehle es an industriepolitischer Sorgfalt.
({8})
Das ist der Punkt.
Wenn sich eine uns in Freundschaft verbundene Partnerregierung sehr massiv einbringt, dann hilft Leisetreterei nicht, um auch nur einen einzigen deutschen Arbeitsplatz zu sichern.
({9})
Deutschlands Zukunft besteht nicht darin, Vertriebsorganisationen und Filialen ohne eigene Produktion und ohne
eigene Konzernzentralen zu beherbergen. Deshalb erwarten wir von der Bundesregierung, unfaire und wettbewerbsschädigende Attacken zu verhindern und strategische deutsche Interessen mit dem Ziel einzubringen,
Vorsprung durch Technologieführung zu erreichen.
Der Flugzeugbauer in der Montagehalle bei Airbus
und der Chemiefacharbeiter bei Sanofi - früher Hoechst
in Frankfurt - erwarten, dass sich die Bundesregierung
für die deutschen Arbeitsplätze genauso einsetzt wie die
französische Regierung für die Arbeitsplätze in Frankreich - nicht mehr, aber auch nicht weniger.
({10})
Für die Bundesregierung hat nun der Bundesminister
für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich habe mich bisher gefragt, warum die Debatte jetzt auf der Basis dieses Antrags stattfindet.
({0})
Ich bin vorhin von einer Kollegin gefragt worden: Worüber diskutieren Sie eigentlich gleich? Ich habe gesagt:
Ich kann das an diesem Antrag auch nicht erkennen. Es
fällt mir wirklich schwer.
({1})
Aber jetzt, nachdem Herr Kollege Singhammer gesprochen hat, habe ich es begriffen. Es muss gelingen, den
Airbus A380 oder anderes in irgendeiner Weise auf
Franz Josef Strauß zurückzuführen. Das ist Ihnen in
meisterhafter Weise gelungen. Niemand hat bemerkt,
dass dieser wirklich gepflegte Übergang von der damaligen auf die gegenwärtige europäische Industriepolitik
auf Franz Josef Strauß zurückzuführen ist.
({2})
Das war wirklich mustergültig und bewunderungswürdig.
({3})
Der Antrag, den Sie hier vorgelegt haben, enthält
nichts, was die Bundesregierung nicht täte oder nicht
schon getan hat.
({4})
Er enthält aber einiges, was frühere Bundesregierungen
hätten tun sollen.
({5})
Ich lese beispielsweise in Ihrem Antrag, wir sollten
„Forschung und Wissenschaft deutlich … verstärken“.
Ich muss Ihnen sagen: Hätten Sie das mal früher getan.
({6})
Vorhin in der Debatte hat Herr Kollege Riesenhuber gesprochen. Sie hätten sich doch erinnern können, was in
seiner Zeit und auch noch in der seines Nachfolgers in
Sachen Forschung und Wissenschaft geschehen ist.
({7})
Sie fordern auch, technologisch wichtige Branchen, beispielsweise die Rüstungswirtschaft, vor Eingriffen „anderer Regierungen zu Lasten der deutschen Interessen
am Erhalt technologischer Kompetenz …“ zu schützen.
Wir waren es, die ein Gesetz eingebracht - nicht mit Ihrer Unterstützung und auch nicht auf Ihre Initiative hin und dafür gesorgt haben, dass in Zukunft Unternehmen,
die in Deutschland Rüstungsgüter produzieren, nicht
ohne Genehmigung der Bundesregierung übernommen
werden können.
Ich wüsste ganz gerne, was Sie eigentlich mit dem
Antrag bezwecken. Einen Passus haben wir schon vorhin gehört. Er ist grammatisch nicht ganz in Ordnung,
aber das - das unterstelle ich einmal - ist ein Druckfehler.
({8})
Dann aber lese ich, wir sollten „den kausalen Zusammenhang zwischen der technologischen Kompetenz …
und dem Erhalt und Aufbau von Arbeitsplätzen … akzeptieren“. Was Sie einem damit zumuten, ist doch
Klippschule.
({9})
Des Weiteren fordern Sie allen Ernstes, die Bundesregierung solle deutschen Unternehmen mehr Hilfestellung bei internationalen Aktivitäten leisten. Der Exporterfolg der deutschen Wirtschaft ist doch nicht völlig
ohne unsere Mitwirkung zustande gekommen. Irgendwann müssten Sie zu der Erkenntnis kommen, dass alles
auf Ursachen zurückzuführen ist, an denen diese Bundesregierung in irgendeiner Form positiv mitgewirkt haben könnte.
({10})
Sie müssen uns ja nicht gleich loben.
Herr Brüderle, Sie haben vorhin, glaube ich, von einem „geliehenen Aufschwung“ gesprochen und damit
wohl gemeint, dass die Exportwirtschaft die deutsche
Wirtschaft bestimmt. Sie stellt doch das Zentrum der
deutschen Wirtschaft dar. Was ist in diesem Zusammenhang geliehen? Es sind deutsche Unternehmen, die diese
Exportkraft haben, deutsche Technologen, deutsche Arbeitnehmer und deutsche Ingenieure. Was wollen Sie
mehr, als dass diese die weltweit stärkste Exportwirtschaft in der Geschichte der Bundesrepublik stellen?
({11})
Zudem ist die stärkste Zunahme der deutschen Exportkraft zu verzeichnen. Sie aber bezeichnen den Aufschwung als geliehen. Was ist das für ein verschrobenes
Bild, das Sie verbreiten? Das ist doch Unsinn.
({12})
Es trifft zu, was der Kollege Kuhn vorhin ausgeführt
hat. Solche Debatten machen relativ wenig Sinn. Das
sind nur Rituale.
({13})
Wir befinden uns in Deutschland in einem Prozess der
Veränderung. Sie müssen zur Kenntnis nehmen - wenn
Sie das nicht tun, werden Sie den Anschluss verpassen -,
dass der wissenschaftliche Sachverstand auf internationaler Ebene - darauf hat der Kollege Kuhn hingewiesen - und auch in Deutschland den von uns verfolgten
Kurs zugunsten von Wachstum und Innovation als prinzipiell richtig bestätigt. Wir sind zwar noch lange nicht
am Ziel, aber ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass wir im vergangenen Jahr ein Wachstum von
1,7 Prozent erzielt haben. Ich muss fast sagen: Sie haben
das wohl nicht gewollt.
({14})
Als wir in unserer Projektion von 1,8 Prozent ausgegangen sind, haben Sie versucht, mich lächerlich zu machen. Sie haben mich als Berufsoptimist bezeichnet und
davon gesprochen, dass ich blauäugig sei und alles nur
schönrede.
({15})
Es muss verdammt schwer für Sie sein, dass es Deutschland besser geht und dass wir auf einem vernünftigen
und guten Weg sind, den wir auch weiter beschreiten
werden.
({16})
Herr Minister, darf Ihnen der Kollege Brüderle eine
Zwischenfrage stellen?
Selbstverständlich darf er das.
({0})
- Selbstverständlich werde ich das auch tun. Vor allen
Dingen werde ich etwas zum Bürokratieabbau sagen.
Wenn ich bedenke, was Sie uns im Vermittlungsverfahren zu Hartz IV an zusätzlicher Bürokratie aufgebürdet
haben ({1})
die wir, die Bundesagentur, die Kommunen und viele andere zurzeit abarbeiten müssen -, dann muss ich Ihnen
entgegenhalten: Das war zwar kein Beitrag zum Bürokratieabbau, aber wir schaffen es trotzdem.
Herr Kollege Brüderle.
Herr Minister, um Ihnen den Begriff „geliehener Aufschwung“ zu erläutern, frage ich Sie, ob Sie mir zustimmen, dass die Produkte, die wir im Binnenmarkt anbieten, von genauso tüchtigen deutschen Arbeitnehmern
und begabten Ingenieuren hergestellt werden wie die Exportgüter, dass aber in Deutschland nicht entsprechend
mehr verkauft wird, weil die Rahmenbedingungen nicht
stimmen. Die Binnennachfrage macht 60 Prozent des
Sozialprodukts aus. Wir müssen zu einem intakten Binnenmarkt kommen. Das ist die Begründung für das, was
ich als geliehene Wirtschaftsentwicklung bezeichne.
Der Ausdruck ist und bleibt verschroben, Herr Kollege. Falsch ist auch - ich glaube, das haben Sie ausgeführt, Frau Kollegin Wöhrl -, dass der Export vor allen
Dingen auf die Produktionsverlagerung zurückzuführen
sei und dass er hier zu Verlusten geführt habe. Das ist
ebenfalls ein Irrtum, der auf Herrn Sinn zurückgeht.
({0})
Alles, was Sie ausgeführt haben, beruht auf dem, was
Herr Professor Sinn in der Öffentlichkeit verbreitet.
({1})
Das lohnt zwar durchaus eine Auseinandersetzung, aber
es ist letztlich falsch. Die Exportleistungen der deutschen Wirtschaft haben zwar auch mit der Kostenreduktion durch Produktionsverlagerung zu tun, aber nach allem, was wir wissen, führen sie nicht zu einem
Arbeitsplatzabbau. Vielmehr kommt das, was wir an
wirtschaftlicher Kraft gewinnen, in Deutschland zum
Tragen.
Insofern ist auch Ihre Unterstellung falsch, Herr Kollege Brüderle. Die Wirtschaft springt nämlich an. Auch
wenn Sie es nicht gerne zur Kenntnis nehmen wollen,
nehmen die Ausrüstungsinvestitionen in Deutschland
wie auch die Investitionen insgesamt zu - das ist nach
einer langen Phase der Stagnation unausweichlich notwendig - und die Nachfrage springt wieder an. Wenn Sie
sich nicht so viel Mühe gäben, die Leute zu deprimieren,
dann würde das vielleicht noch etwas schneller gehen.
({2})
Kurz und gut:
({3})
Durch das, was in Deutschland mit dem Reformprozess
in Gang ist, haben wir schon wesentliche Voraussetzungen dafür geschaffen, ein lang anhaltendes wirtschaftliches Wachstum zu erreichen. Ich lade Sie gerne ein, daran mitzuarbeiten. Ihr Antrag könnte ein Signal sein. Sie
wollen im Grunde genommen nichts anderes als das,
was wir bereits tun.
Ich könnte jetzt jeden einzelnen Punkt durchbuchstabieren. Es ist völlig unstrittig, dass wir REACH ändern,
Herr Kollege Singhammer.
({4})
Daran arbeiten der Verband der Chemischen Industrie,
die Chemiegewerkschaft und die Bundesregierung. Herr
Verheugen hat dieses Thema gerade in die Europäische
Kommission eingebracht und deutlich gemacht, dass vor
allen Dingen nichts zulasten der kleinen und mittleren
Unternehmen unternommen werden darf.
Besser als an diesem Beispiel kann man kaum aufzeigen, wie präzise die Industriepolitik der Bundesregierung arbeitet. Der Bundeskanzler, der französische
Präsident und der britische Premier haben dafür gesorgt,
dass wir zurzeit eine Änderung der europäischen Industriepolitik erleben. Das wird sich auch auf andere Bereiche auswirken.
Herr Minister, darf auch der Kollege Niebel Ihnen
eine Zwischenfrage stellen?
Er darf nicht fehlen. Natürlich.
Bitte, Herr Niebel.
({0})
Vielen Dank, Herr Minister.
Die Passage, zu der ich eine Frage stellen möchte,
liegt leider schon etwas zurück.
Dann verzichten Sie doch einfach darauf.
Nein. Die Passage ist ja durchaus interessant. Sonst
würde ich zu ihr keine Frage stellen, wie Sie sich vorstellen können, Herr Minister.
Sie haben gesagt, dass ein Wirtschaftswachstum von
1,7 Prozent im letzten Jahr ein gutes Ergebnis sei. Vor
dem Hintergrund, dass die Beschäftigungsschwelle in aller Regel zwischen 2 und 2,5 Prozent liegt und dass im
letzten Jahr mit 4,5 Millionen Arbeitslosen das erklärte
Ziel der Bundesregierung deutlich verfehlt worden ist,
kann ich nur die Frage stellen, ob Sie das tatsächlich als
einen so großen Erfolg ansehen, ob sich mit einem Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent tatsächlich die Probleme dieses Landes bewältigen lassen.
Das tue ich nicht. Das habe ich auch nicht gesagt. Ich
bitte Sie, mich richtig zu zitieren. Ich habe einfach darauf hingewiesen, dass wir nach einer langen Phase wirtschaftlicher Stagnation im vergangenen Jahr ein Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent hatten und dass es in
diesem Jahr ebenfalls ein wirtschaftliches Wachstum geben wird, das wir, wie ich gerade gesagt habe, in einen
Pfad lang anhaltenden, starken Wachstums münden lassen müssen. Das ist das eine.
Das andere ist: Die Unterstellungen in Ihrer Frage
sind falsch. Erstens. Ein positiver Beschäftigungseffekt
setzt in Deutschland nun schon bei einem Wachstum von
1 Prozent ein. Dann nimmt die Erwerbstätigkeit in
Deutschland zu, beispielsweise in den Bereichen der gering qualifizierten Jobs und der Selbstständigkeit. Frau
Kollegin Wöhrl, wenn Sie über Existenzgründungen
sprechen, dann empfehle ich Ihnen, auch zu erwähnen,
dass wir in diesem Bereich seit langem wieder einen
positiven Saldo haben.
({0})
Es gibt über 100 000 Existenzgründungen mehr als Insolvenzen.
({1})
Wie gesagt, bereits ab einem Wirtschaftswachstum
von 1 Prozent erhöht sich die Erwerbstätigkeit in
Deutschland. Deshalb gibt es nun eine enorme Erhöhung
der Erwerbstätigkeit. Bei einem Wirtschaftswachstum
von 1,5 Prozent nimmt das Arbeitsvolumen zu. Das
wirkt sich positiv auf die Vollzeitbeschäftigung aus, allerdings mit einer gewissen Verzögerung. Das sind ungefähr die Daten. Es gibt also nicht erst bei einem Wirtschaftswachstum von 2 oder 2,5 Prozent einen positiven
Beschäftigungseffekt.
Herr Kollege Niebel, damit Sie mich nicht falsch verstehen: Das heißt nicht, dass ich ein Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent für ausreichend halte. Ich weise Sie
nur auf den Sachverhalt hin, dass es im Bereich der gering qualifizierten Jobs einen positiven Beschäftigungseffekt schon ab einem Wirtschaftswachstum von
1 Prozent gibt. Nicht, dass Sie demnächst behaupten,
dass mir ein Wachstum von 1 Prozent ausreicht. Tatsächlich brauchen wir ein Wirtschaftswachstum von deutlich
über 2 Prozent. Aber positive Beschäftigungseffekte treten, wie gesagt, schon vorher ein. So ist das.
Ich empfehle Ihnen, uns sachlich zu begleiten. Wie
kann man ausgerechnet in einem Monat, in dem die
letzte Stufe unserer Steuerreform wirksam geworden
ist, fordern - ich weiß nicht mehr, ob dies der Kollege
Singhammer oder Herr Michelbach gesagt hat -, dass für
weitere steuerliche Erleichterungen gesorgt werden
müsse? Wir tun das Notwendige, um das wirtschaftliche
Wachstum zu stärken. Es ist doch nicht zu bestreiten,
dass Sie hier auf dem falschen Bein Hurra schreien. Die
Einkommensteuer ist nicht mehr das Entscheidende in
Deutschland. Die Steuern sind niedriger, als Sie es sich
jemals erträumt haben. Der Eingangssteuersatz liegt nur
noch bei 15 Prozent. Das ist die wahre Situation.
Zweitens. Herr Kollege Brüderle, es ist falsch, dass
die Lohnnebenkosten weiter steigen. Im Gegenteil: Sie
sinken. Zum 1. Juli dieses Jahres werden die Unternehmen, und zwar vor allen Dingen die kleinen und mittleren, durch die Maßnahmen, die wir getroffen haben
- hier haben Sie nicht mitgemacht -, erneut um 4,5 Milliarden Euro bei den Lohnnebenkosten entlastet. Aber
Sie lamentieren nur, wenn es um die kleinen und mittleren Unternehmen geht. Irgendwann werden auch Sie registrieren müssen, dass sich das, was wir tun, tatsächlich
zugunsten der kleinen und mittleren Unternehmen auswirkt. Das ist einfach nicht zu übersehen.
Da ständig von Bürokratieabbau die Rede ist: Frau
Kollegin Wöhrl, wir sind beim Bürokratieabbau noch
lange nicht am Ende. Ich wäre dankbar, wenn auch in
den Ländern, in denen die Union maßgeblich Verantwortung hat, etwas beim Bürokratieabbau geschehen würde,
und zwar bis in die Kommunen hinein; denn das betrifft
alle Ebenen. Wir haben unter anderem eine Reform der
Handwerksordnung umgesetzt. Das ist nichts anderes als
Bürokratieabbau. Aber Sie, meine Damen und Herren
von der Union, wollten das nicht. Sie suchen sich - genauso wie die Kolleginnen und Kollegen von der FDP die Felder aus, auf denen Sie sich bewegen wollen, und
behaupten anschließend, dass Sie für Bürokratieabbau
seien. Das sind Sie aber nicht gewesen. Sie waren gegen
diese Reform. Sie sehen doch - gestern Abend konnten
Sie es buchstäblich mit Händen greifen -, wie wichtig
diese Reform für das Handwerk ist.
Wir haben außerdem die berufliche Ausbildung - das
setzen wir fort - und die Arbeitsstättenverordnung reformiert. Wir haben die statistischen Belastungen der Wirtschaft reduziert. Wir haben eine Reform im Bereich der
Geräte- und Produktsicherheit realisiert. Die 29 Vorschläge aus den Regionen befinden sich zurzeit in der
gesetzlichen Umsetzung. Wir haben für Entlastungen im
Bereich der Außenhandelsstatistik gesorgt. Zurzeit sind
im Gang - bei all dem können Sie mitmachen -: Verschlankung des Vergaberechts, Vereinfachung der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure, Mediakomm-Transfer, Modernisierung des Eichwesens,
Neuordnung des deutschen Akkreditierungswesens. Die
Umsetzung dieser Vorhaben ist teuflisch schwer. Sie reden hier über Bürokratieabbau. Wenn ich unterwegs bin,
dann begegne ich aber nur den Gegnern des Bürokratieabbaus.
Herr Minister, die Opposition möchte Ihre Redezeit
gerne verlängern. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Michelbach?
Aufgrund ihres Antrages - darin steht ja nichts - kann
ich verstehen, dass sie jetzt wissen will, worum es in
Deutschland wirklich geht. Das ist Wissbegierde.
Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Minister, vielen Dank. Sie haben mich in Sachen Steuerpolitik angesprochen. Können Sie bestätigen, dass die Steuerreform zum
1. Januar 2005 zwar eine Entlastung von 6,75 Milliarden
Euro gebracht hat, dass es in diesem Jahr aber zu einer
zusätzlichen Belastung von 8,5 Milliarden Euro kommt,
wodurch die konjunkturelle Entwicklung, die notwendig
ist, um am Arbeitsmarkt und in der Binnenwirtschaft Lösungen zu finden, nicht in Gang kommt? Können Sie
ebenfalls bestätigen, dass es zum Beispiel bei der Gesellschafterfremdfinanzierung und bei der Mindestbesteuerung zu Erschwernissen gekommen ist, wodurch Investitionen gewissermaßen zwangsläufig im Ausland getätigt
werden?
Das kann ich Ihnen nicht bestätigen, Herr Kollege.
Damit betrachte ich Ihre Frage als beantwortet.
An dem, was Sie in Bezug auf die Industriepolitik
angesprochen haben, ist etwas dran. Allerdings kann
man nicht nach der Schlachtordnung vorgehen, die Sie
hier dargestellt haben. Sagen Sie beispielsweise einmal
etwas zum Fall Aventis. Was dort geschehen ist - unter
anderem die Orientierung in Richtung Frankreich -, ist
nicht in meiner Zeit als Minister geschehen. Sagen Sie
einmal, welches deutsche Unternehmen in der Lage gewesen wäre, dort statt Sanofi einzusteigen. Sie müssen
doch einmal konkret werden. Es hat doch keinen Zweck,
hier anklagend die Hände zu erheben.
Die deutsche Automobilindustrie ist noch immer sehr
gut. Wir sind diejenigen, die jetzt unter der Federführung
des EU-Kommissars Verheugen dafür sorgen wollen,
dass die Automobilindustrie in Europa wirklich ein Levelplaying Field mit Japanern, mit Amerikanern und anderen bekommt. Hier in Europa sind nämlich einige Bedingungen geschaffen worden, die die weltweite
Wettbewerbsfähigkeit gefährden können. Was wir dort
betreiben, ist Industriepolitik.
Was die Chemikalienpolitik angeht, habe ich Ihnen
gesagt, was dort stattfindet. Was die Energiewirtschaft
angeht, werde ich Ihnen sagen, was dort zu tun ist. In
Bezug auf die Textilindustrie haben wir das Nötige getan. Wo sollen wir eigentlich antreten? Was meinen Sie
konkret? Wenn französische Unternehmen mit staatlicher Beteiligung in Deutschland aktiv werden wollen,
beispielsweise im Schiffbau, dann sagen wir in aller
Deutlichkeit: Nein, solange französische Unternehmen
mit staatlicher Beteiligung agieren, wird es keine Beteiligung unsererseits geben.
Außerdem ist der deutsche Schiffbau im Werftenverbund wesentlich weiter als alle anderen europäischen
Schiffbaunationen. Unsere Situation dort ist zurzeit völlig konsolidiert. Was meinen Sie eigentlich, wenn Sie
unsere Industriepolitik so pauschal kritisieren? Lassen
Sie uns einmal ernsthaft und in der Sache diskutieren.
Sie können nicht mehr bestreiten, dass es dort erhebliche
Fortschritte gibt.
Natürlich haben wir Probleme. Natürlich gibt es auch
in Bayern Probleme. Mit einem großen Problem habe
zurzeit auch ich ein bisschen zu tun; jedenfalls beobachte ich es mit großer Aufmerksamkeit. Lassen Sie
uns doch hier nicht mit diesen pauschalen Vorwürfen
arbeiten.
({0})
- Herr Kollege, Sie benutzen doch wirklich nur Pauschalbegriffe.
Wir befinden uns in Deutschland in einem Erneuerungsprozess, der ein bisschen mehr verlangt, als mit
einem Antrag wie Ihrem zu wedeln. Dieser Antrag ist
doch wirklich kein Beitrag, durch den diese Diskussion
vorangebracht wird.
({1})
Ich habe Ihnen gesagt, was hier stattfindet.
Ich habe Sie auf die Steuerreform hingewiesen. Wir
senken die Steuern, damit es zu mehr Investitionen
kommt. Ich habe darauf hingewiesen, dass die Lohnnebenkosten in Deutschland sinken. Natürlich sinken sie
noch nicht genug. Sie müssen längerfristig deutlich unter
40 Prozent liegen. Aber machen Sie doch dazu einmal
konkrete Vorschläge.
({2})
Die Arbeitsmarktreform - wollen Sie etwas anderes? - wird jetzt realisiert. Machen Sie da lieber mit!
Veranstalten Sie einmal Jugendkonferenzen! Sorgen Sie
in den Ländern dafür, dass dort Jugendkonferenzen stattfinden, damit die Jugendarbeitslosigkeit abnimmt! Machen Sie beim Bürokratieabbau mit! Fragen Sie nicht
immer nur anklagend andere! Wir alle, die wir auf diesen
Sektoren tätig sind, sind gefragt. Was ist mit der Föderalismusreform? Sorgen Sie doch dafür, dass sich auch
die CDU- oder CSU-geführten Länder bewegen.
({3})
Dazu höre ich von Ihnen wirklich schrecklich wenig. In
der Industriepolitik haben Sie wirklich keinen Grund - ({4})
- Was wollen Sie denn bei der Föderalismusreform? Sagen Sie doch einmal, was Sie wollen!
({5})
Halten Sie es für richtig, dass in Bildung, Wissenschaft
und Forschung alles so bleibt, wie es ist? Ich habe von
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nichts Konstruktives,
jedenfalls nichts Weiterführendes dazu gehört.
Zu noch etwas habe ich nichts gehört. Sie reden über
Wissenschaft und Forschung. Da wüsste ich gern einmal, wie Sie sich die Finanzierung der Stärkung dieses
Bereichs vorstellen. Warum blockieren Sie in der Frage
der Eigenheimzulage? Da muss der Subventionsabbau
stattfinden.
({6})
- Selbstverständlich! Sie müssen doch die Frage beantworten, woher die Mittel kommen sollen. Sie agieren allein mit pauschalen Vorwürfen. Das ist ein Ritual. Das
alles ist zu akzeptieren. Man wird das nicht verhindern
können. Sie werden weiterhin solche Anträge wie den
vorliegenden Antrag einbringen. Nur, Sie bleiben am
Wegesrand zurück, wenn Sie die Diskussion so führen,
wie Sie das in diesem Antrag zu Papier gebracht haben.
Der Antrag wird wirklich nicht dazu beitragen, dass die
Bundesrepublik vorankommt.
Die Entwicklung geht weiter. Die Reformprozesse gehen weiter.
({7})
Sie müssen weitergehen. Sie müssen sich vor allem
überlegen, woher in den Bereichen Wissenschaft und
Forschung von Ihrer Seite die Initiativen kommen sollen.
({8})
- Bitte.
Frau Kollegin Kopp.
Herzlichen Dank, Herr Minister. Meine Frage mag Ihnen jetzt die Chance zum Luftholen geben.
Herr Minister Clement, beim Thema Bürokratieabbau fühlen wir als Liberale uns auf den Plan gerufen, Sie
noch einmal sehr konkret nach Ihrem wirklich großspurig angekündigten Masterplan für Bürokratieabbau zu
fragen.
({0})
Das Institut für den Mittelstand in Bonn hat erst kürzlich
in einer Studie festgestellt - Sie wissen das wahrscheinlich -, dass sich während der letzten acht bis zehn Jahre
die Bürokratieausgaben um etwa 50 Prozent erhöht haben,
({1})
nämlich auf 46 Milliarden Euro. Das betrifft gerade mittelständische Unternehmen. Das ist ein alarmierendes
Zeichen.
Sie haben sich von dem ursprünglich versprochenen
Ausrufen von Testregionen für die Experimentierklauseln beim Bürokratieabbau leider verabschiedet. Ich
komme aus einer solchen Testregion. Wir haben uns
viele Hoffnungen gemacht. Aus einer Liste von mehreren Hundert sehr konkreten Vorschlägen zum Bürokratieabbau haben Sie nur eine minimale Anzahl von wirklich kleinen Schritten zum Bürokratieabbau umsetzen
können. Beantworten Sie uns doch bitte die Frage: Wann
endlich kommt denn Ihr großer Wurf, bei dem wir im
Mittelstand oder in der Wirtschaft insgesamt tatsächlich
von Bürokratieabbau sprechen können?
Die Ironie, Frau Kollegin, die aus Ihrer Frage spricht,
ist geradezu niederschmetternd. So freundlich Sie mich
gefragt haben: Ich kann auch Ihnen einen Vorwurf nicht
ersparen. Wir alle haben unsere Sünden auf diesen Feldern. Sie haben die Sünden beispielsweise im Bereich
des Handwerksrechts begangen. Da haben Sie alles blockiert.
({0})
- Sie können natürlich immer Nein sagen. - Im gesamten Gesundheitsbereich verweigern Sie bis heute jeglichen Ansatz zur Stärkung des Wettbewerbs.
Bei den Vorschlägen aus den Regionen, die Sie genannt haben - Sie reden da immer von
1 000 Vorschlägen -, handelt es sich überwiegend um
Vorschläge der Wirtschaftsverbände. Zum großen Teil
betreffen sie materielles Recht. Materielles Recht können wir im Zuge des Bürokratieabbaus nicht ändern. Flächendeckend kommt da die Forderung, den Kündigungsschutz abzuschaffen. Das wird dann mit dem Begriff
Bürokratieabbau etikettiert. Ich werde anschließend gefragt: Was tun Sie auf diesem Feld? Darauf antworte ich
klar: Der Kündigungsschutz ist reformiert, wird von uns
nicht weiter reformiert und hat im Übrigen mit Bürokratieabbau nichts zu tun. Punkt, aus.
({1})
Sie werden das nicht akzeptieren. Deshalb werden Sie
Ihre Polemik dazu fortführen.
Wir haben 29 Vorschläge. Das ist nicht viel; das gebe
ich zu. Ich bin mit dem, was wir da bisher erreicht haben, auch wirklich nicht zufrieden.
({2})
Ich habe nicht nur kein Problem damit, das zuzugeben,
sondern ich lade alle ein, mitzumachen.
({3})
Nur, ich erlebe flächendeckend, wie schwierig das ist.
In Kürze kommt der nächste Wurf - da werden Sie
mich wieder fragen: Wo ist Ihr großer Wurf? -, die
Dienstleistungsrichtlinie. In dem Rahmen werden wir
in Deutschland - das ist aus meiner Sicht das Kernstück
dieser Richtlinie - One-Stop-Shops einrichten müssen.
Wenn die Dienstleistungsrichtlinie in Kraft ist, dann
wird für jeden Dienstleister, der hierher kommt, eine einzige Behörde da sein müssen, an die er seine Anfragen
richten kann, bei der er seine Genehmigungen bekommt
etc. Das ist dann wirklich eine Revolution beim Bürokratieabbau. Die gelingt so nicht. Überall - ich erlebe
das in der Regierung, ich erlebe das in der Koalition, ich
erlebe das mit Ihnen - gibt es Einzelkämpfe um jede einzelne Vorschrift. Deshalb ist das Feld, über das wir reden, ein entsetzlich schwieriges Feld. Ich habe es bei der
Honorarordnung für Architekten und Ingenieure sowie
beim Handwerksrecht erlebt.
({4})
Bei all diesen Fragen hat man überall die Widerstände,
in Ihren Truppen doch auch.
({5})
Sie haben mich so freundlich gefragt, deshalb antworte ich: Jawohl, es ist sehr schwierig. Aber Sie haben
auf diesen Feldern bisher überhaupt nichts erreicht.
({6})
Sie waren an allen Regierungen beteiligt. Sie haben immer mehr Gesetze geschaffen. Sie fordern hier auch
ständig Gesetze. Sie fordern, dass wir auf Gesetze verzichten; im selben Atemzug fordern Sie, dass wir die betrieblichen Bündnisse gesetzlich regeln. Was wollen Sie
denn eigentlich? Das ist doch auch falsch.
({7})
Herr Kollege Brüderle, Sie sprechen von Tarifkartell.
Das ist auch nur ein Schlagwort. In Wahrheit ist auf dem
Sektor der Tarifhoheit mehr in Bewegung als je zuvor in
der Geschichte.
({8})
- Nein, es ist wirklich nicht alles prima. Aber wir werden uns auch auf dem Gebiet Bürokratieabbau - es ist in
Wahrheit das komplizierteste Gebiet - vorankämpfen.
Ich werde dort nicht locker lassen. Ich bin inzwischen
schon so alt, dass ich dabei gar nicht mehr müde werden
kann. Auch in Nordrhein-Westfalen habe ich dieses Feld
zu beackern versucht.
({9})
Ich wollte dort eine umfassende Neustruktur der Behörden. Allenfalls ein Drittel dessen, was ich mir vorgenommen hatte, habe ich erreicht. Das stimmt, aber immerhin habe ich etwas erreicht. Etwas Vergleichbares
habe ich vorher von Ihnen nicht erlebt.
Auf europäischer Ebene gab es 300 Vorschläge. Wissen Sie, wie viele dieser Vorschläge jetzt realisiert werden? 15 von 300 Vorschlägen werden realisiert und von
diesen 15 kommen sechs aus Deutschland. Das sind nur
minimale Fortschritte, aber immerhin erzielen wir Fortschritte. Wir werden auf diesem Feld nicht locker lassen
und mit Ihrer freundlichen Unterstützung werden wir es
schaffen, Schritt für Schritt - manchmal sind es auch nur
Schrittchen.
({10})
- Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber bis dahin haben wir
noch ein bisschen Zeit. Ich wünsche Ihnen alles Gute.
({11})
Gibt es noch Fragen, Herr Präsident?
({12})
Das Bemühen, auf diese Weise zusätzliche Redezeit
einzuwerben, ist zwar legitim, scheitert aber offenkundig
an der Einsicht der Opposition, dass es nun gut sei. Deshalb bedanken wir uns für Ihren Redebeitrag.
Wir schließen die Debatte mit den beiden noch ausstehenden Wortmeldungen der Kollegen Fuchs für die
CDU/CSU-Fraktion und Schreck für die SPD-Fraktion.
Danke schön. Die Opposition hat das ja auch tatsächlich festgestellt.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Michael Fuchs.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ausführungen des Bundeswirtschaftsministers
erwecken den Eindruck: In diesem Land ist alles in Ordnung.
({0})
Wir brauchen eigentlich keine weiteren Reformen. Auch
der Bundeskanzler hat gesagt: Wir wollen jetzt alles ein
bisschen langsamer angehen. Bloß keine Härten mehr.
Alles ist gut.
Das ist es aber nicht. Herr Bundesminister, beginnen
wir mit dem Thema Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosenzahl ist der Beweis für das Versagen Ihrer Regierung. Sie
ist der Beweis dafür, dass von Ihrem gesamten Reformwerk bis jetzt eigentlich nichts gegriffen hat. Ich werde
es Ihnen genau erläutern.
({1})
Es dauert nur noch einige Monate bis zum Sommer,
obwohl es draußen noch nicht so aussieht. Bis zum Sommer dieses Jahres sollte nach den Ankündigungen der
Bundesregierung die Arbeitslosigkeit halbiert werden.
2 Millionen weniger Arbeitslose bis zum Sommer dieses
Jahres hat uns Herr Hartz im Französischen Dom verkündet. Er hat dort den göttlichen Beistand herbeigesehnt. Das ist wahrscheinlich das Einzige, was Ihnen
noch hilft. In Wahrheit wird die Arbeitslosigkeit bis zum
Sommer nicht halbiert werden.
Die Ich-AGs sollten 1 Million Arbeitslose in Job und
Arbeit bringen. Was ist passiert? 220 000 Ich-AGs wurden gegründet. Das ist eine ganz ordentliche Zahl, aber
wir müssen die Überlebenszeit dieser Ich-AGs abwarten.
Ob sie dauerhaft bestehen werden, zeigt sich erst im dritten Jahr, wenn sie keine zusätzlichen Leistungen der
Bundesagentur mehr bekommen.
Bei den PSAs sieht es noch schlechter aus.
700 000 erfolgreiche Jobvermittlungen sollte es geben.
Kennen Sie die tatsächliche Zahl? Herr Brandner telefoniert und kennt die Zahl nicht. Ich verrate sie ihm:
Von 700 000 versprochenen Jobvermittlungen wurden
23 000 realisiert.
Es gab auch den Jobfloater. Sie mussten englische
Ausdrücke finden, damit nur ja kein Bürger versteht,
was Sie meinen. Der Jobfloater ist ein Jobflopper geworden und hat gar nichts gebracht. Deshalb haben Sie ihn
auch stillschweigend beerdigt.
({2})
130 000 Arbeitsplätze sollten durch dieses Instrument
entstehen; nicht einmal 12 000 sind es geworden.
Ich bin mit Ihnen völlig einer Meinung, dass wir in
Deutschland wieder industrielle Produktion brauchen.
Aber wie sehen die Zahlen bei der industriellen Produktion aus, Herr Minister? Nur noch 22 Prozent der Arbeitsplätze in Deutschland sind Industriearbeitsplätze.
Sie haben unseren tollen Export erwähnt. Auch darauf möchte ich näher eingehen. Es stimmt, wir sind Exportweltmeister. Wir sind aber auch Importweltmeister.
Beides hängt direkt zusammen. Im letzten Jahr stieg der
Export um 10 Prozent; wir hatten aber auch annähernd
10 Prozent Wachstum beim Import, weil wir ja fast alles,
was wir exportieren, zuerst importieren. Die Weltwirtschaft ist um 5 Prozent gewachsen, die deutsche Wirtschaft um 1,7 Prozent. Das heißt, da wir gerade einmal
ein Drittel des weltwirtschaftlichen Wachstums erreicht haben, verlieren wir im internationalen Vergleich
ständig an Fahrt. Das sollte Ihnen zu denken geben, denn
Sie sind dafür verantwortlich.
Die Wirtschaft hat überall auf der Welt geboomt, ob
in China, in den übrigen asiatischen Ökonomien oder in
den USA. Auch in Europa hätte sie geboomt. Wenn es
nämlich nicht die lahmen Deutschen gäbe, wäre das europäische Wachstum ähnlich stark gewesen. Mich bedrückt das sehr und mich stört es, dass wir, Herr Bundeswirtschaftsminister, nach wie vor die rote Laterne
bezüglich des Wachstums in Europa tragen. Sie können
doch nicht hier sagen, alles sei gut.
({3})
Nun komme ich zur Exportbilanz: Die gute Exportbilanz verdanken wir zunächst einmal den Wechselkursschwankungen, die uns auf diesem Sektor in diesem Jahr
besonders geholfen haben. Das wissen Sie. Allerdings ist
der Anteil der Wertschöpfung an den exportierten Gütern in Deutschland in den letzten Jahren immer weiter
zurückgegangen. Das bedeutet: Im Ausland wird gearbeitet, von Deutschland aus das fertige Produkt verkauft.
In der Situation befinden wir uns doch. Der Ifo-Präsident
Sinn nennt dieses Phänomen Basar-Ökonomie. Infolge
Ihrer Politik sind wir da gelandet.
({4})
Deutsche Unternehmen produzieren einen Großteil der
Waren, die sie exportieren, im Ausland. In Deutschland
verbleiben lediglich das Management und einige zentrale Dienste wie Forschung und Marketing. Das Signet
„made in Germany“ dürfen doch viele deutsche Firmen
überhaupt nicht mehr auf ihre Produkte schreiben. Der
Anteil der Innenwertschöpfung an der Gesamtwertschöpfung ist nicht groß genug. Es gibt kein einziges
deutsches Auto mehr, das als „made in Germany“ bezeichnet werden kann.
({5})
Eben ist schon, ich glaube vom Kollegen
Singhammer, das Porsche-Werk in Leipzig angesprochen worden. 700 Mitarbeiter produzieren in diesem
Werk 40 000 Autos. Das zeigt uns doch, was da los ist.
Es handelt sich um eine Assembly Line: Das Auto wird
zusammengebastelt, die Reifen werden angeschraubt
und dann fährt es vom Band. Hier soll dann Wertschöpfung in Deutschland stattgefunden haben. Das kann
nicht gehen. Es weiß jeder, dass man mit 700 Menschen
schlecht 40 000 Autos produzieren kann. Wir sind also
nicht mehr in der Lage, für Wertschöpfung in Deutschland zu sorgen und damit Arbeitsplätze zu schaffen. Das
Ganze führt dazu, dass immer weniger Arbeitsplätze in
der Industrie vorhanden sind.
Sie verantworten 4,5 Millionen Arbeitslose. Wenn Sie
ehrlich wären, müssten Sie auch diejenigen einbeziehen,
die in Weiterbildungsmaßnahmen und all dem, was sich
darum gruppiert, geparkt sind. Damit kämen wir auf weit
über 6 Millionen. Sie, Herr Minister, haben aber vor, der
deutschen Wirtschaft weitere Hemmschuhe in den Weg
zu werfen. Ich bin mir ziemlich sicher: Sie hätten das,
was ich jetzt anspreche, lieber anders geregelt.
({6})
Ich nehme Ihnen auch Ihren guten Willen bezüglich des
Bürokratieabbaus ab. Aber ernst nehmen kann ich Sie
nicht. Nachdem eine Parlamentarische Staatssekretärin
ungestraft und von Ihnen ungerügt folgenden Satz sagen
durfte - es handelt sich um Frau Vogt -: Ein schlanker
Staat, der dünn ist und keine Kraft hat, ist nicht das, was
wir uns wünschen,
({7})
weiß ich, dass Bürokratieabbau für Sie sehr schwierig
ist.
({8})
Angesichts der Tatsache, dass zusätzliche Bürokratie
aufgebaut wird, frage ich mich aber, was Sie tun. Warum
schreien Sie im Kabinett nicht „Aua“ und sagen: So geht
das nicht weiter. Ich denke insbesondere an das sensationelle Gesetz mit dem Namen ADG - Antidiskriminierungsgesetz. Ich bin ziemlich sicher, Herr Minister, dass
Sie nicht in der Kabinettssitzung gewesen sind, in der
das beraten wurde. Ansonsten hätten Sie die deutsche
Wirtschaft vor diesem Unsinn bewahrt. Wir haben es
hier mit einem Beschäftigungsprogramm für arbeitslose
Juristen und Abmahnvereine zu tun. Wir werden eine
Prozessschwemme bekommen, wie wir sie noch nie erlebt haben. Das Gesetz wird auch dazu führen, dass kein
Unternehmen mehr weiß, wie es Einstellungen vornehmen soll. Ich habe mit jemandem von Fraport gesprochen. Dort werden im Jahr 16 000 Menschen eingestellt.
Es wurde mir gesagt, dass das neue Gesetz dazu führt,
dass 16 000-mal dokumentiert werden muss, warum die
Person A eingestellt wurde und nicht die Person B.
Überlegen Sie bitte einmal, was für eine Bürokratie in
den Unternehmen damit geschaffen wird. Verhindern Sie
das bitte. Das wäre Ihre vornehmste Aufgabe.
Statt von Bürokratieabbau zu sprechen, sollten Sie
endlich Bürokratie abbauen. Sie können doch nicht einerseits der Opposition vorwerfen, sie hätte an einigen
Stellen nicht mitgemacht, während andererseits eine
große Anzahl von Vorhaben, die Sie umsetzen wollten,
am Widerstand des Kabinetts gescheitert ist.
Sie haben doch dem Kabinett 56 verschiedene Vorschläge vorgelegt. Übrig blieben 17 Vorschläge. Es gab
1 000 Vorschläge aus den Regionen. Die Menschen dort
waren begierig, mitzumachen und diese Vorschläge umzusetzen. Wo ist denn die Umsetzung auf regionaler
Ebene? Nichts ist passiert. In den Regionen ist man
sauer auf Sie, weil man sich fragt, warum man sich die
überflüssige Arbeit gemacht hat.
Wenn Sie so mit den Menschen umgehen, dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, dass der Bürokratieabbau in Deutschland nicht vorankommt. Er wäre aber
dringend notwendig. Denn die Bürokratie kostet jedes
Jahr - die Kollegin Kopp hat es vorhin völlig zu Recht
gesagt - 46 Milliarden Euro. Das bedeutet, dass pro
Arbeitsplatz Kosten in Höhe von 3 200 Euro anfallen.
Diese Kosten haben Sie zu verantworten, weil Sie nichts
gegen die Bürokratie tun.
Vielen Dank.
({9})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Wilfried Schreck, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem sich
mein Kollege Brandner in erster Linie mit dem Antrag
der CDU/CSU auseinander gesetzt hat und der Bundeswirtschaftsminister einen sehr aktuellen und umfassenden Abriss der deutschen Wirtschaftspolitik gegeben sowie etwas zur Qualität des Antrags der CDU/CSU gesagt
hat, möchte ich mich hauptsächlich mit dem Antrag der
FDP auseinander setzen.
({0})
Der Titel dieses Antrags lautet „Wider die Vertrauenskrise - Für eine konsistente und konstante Wirtschaftspolitik“. Er ist zwar vom 24. September 2003 und damit
schon etwas antiquiert,
({1})
er kann aber sehr gut als Stichwortgeber für die seit diesem Zeitraum sichtbaren Veränderungen dienen. Außerdem haben Sie diesen Antrag nicht zurückgezogen. Daraus kann man schließen, dass Sie weiterhin auf dieser
Grundlage diskutieren wollen.
({2})
Am FDP-Antrag ist bemerkenswert, dass allein auf
der ersten Seite siebenmal das Wort „Krise“ vorkommt.
Zweifellos waren wir Ende 2003 in schwierigem wirtschafts- und gesellschaftspolitischem Fahrwasser. Aber
wer sich daran erinnert, der weiß: Die Agenda 2010 war
im Rohr; wir waren mitten im Gesetzgebungprozess und
hatten noch vor Weihnachten die notwendigen Gesetze
verabschiedet. Bei etwas mehr gutem Willen hätte man
durchaus Dynamik erkennen können.
({3})
Die erste gravierende Fehleinschätzung der FDP war
wohl die Konjunkturprognose für das Jahr 2004. Sie
haben mit der Fortsetzung der Werte von 2002/2003 gerechnet, also nahe Null. Nun wissen wir um die Schwierigkeiten von Prognosen, erst recht, wenn sie weit in die
Zukunft reichen. Sie haben ja auch mit den Prognosen
im Zusammenhang mit der Bundestagswahl Ihre Probleme gehabt. Umso mehr freuen wir uns, dass in 2004
die Konjunktur deutlich angezogen hat. Nach ersten Berechnungen des Statistischen Bundesamtes wird das
Wachstum 1,7 Prozent betragen.
Es wurde uns unterstellt, dass wir bei der Umgestaltung der sozialen Sicherungssysteme eigentlich nur
Schönheitsreparaturen betreiben würden. Ich bin der
Meinung, dass die Gesetze, die auf der Agenda 2010
basieren, die tiefstgreifende Reform der Arbeits- und
Sozialgesetzgebung seit vielen Jahren sind.
Es besteht inzwischen parteiübergreifend und in breiten Schichten der Gesellschaft Konsens, dass das alles
viel früher hätte geschehen müssen.
({4})
Wenn man die Agenda 2010 als Flickenteppich bezeichnet, missachtet man die Komplexität dieses Reformwerkes. Natürlich war es schwer, die fast ein Dutzend Gesetze, die wir zu diesem Zeitpunkt im Rahmen der
Agenda 2010 bearbeitet haben, in Relation zu setzen und
ihre genaue Wirkung einzuschätzen. Heute wird deutlich, dass dieses Puzzle von Maßnahmen ein Bild ergibt
und seine Wirkung entfaltet.
Aber anders als bei einem Puzzle, bei dem man nicht
an den feinen Konturen, an den Ecken und Kanten feilen
darf, muss man bei Gesetzen mitunter an der einen oder
anderen Stelle nachjustieren, um sie der Lebenswirklichkeit anzupassen. Ich bin der Meinung, „Nachbessern“ ist
hierfür nicht der richtige Begriff. Bei der Komplexität
der zu regelnden Sachverhalte ist es notwendig, dass
man nach dem Wirksamwerden der Gesetze immer wieder genau hinschaut und dort, wo Veränderungen notwendig sind, diese auch vornimmt.
Geradezu dreist ist die immer wiederholte Behauptung, dass die arbeitsmarktpolitischen Reformen gescheitert seien. Wir alle wissen, dass erst mit Wirkung
zum 1. Januar 2005 Hartz IV, eines der wichtigsten Elemente der Arbeitsmarktreform, in Kraft getreten ist.
Wenn es nach Ihnen von der Opposition gegangen wäre,
hätten wir auch diesen Zeitpunkt nicht erreicht. Aber Sie
sollten sich vielleicht mit uns freuen, dass trotz einiger
unvermeidbarer und einiger vielleicht vermeidbarer Probleme auch dieser Teil der Reformen angelaufen ist.
Ich warne immer wieder vor der anzutreffenden Fehleinschätzung, dass durch die Arbeitsmarktreformen direkt Stellen auf dem ersten Arbeitsmarkt entstehen. Ich
erinnere daran: Der Grundgedanke der Hartz-Gesetzgebung ist in erster Linie die bessere und stärker zielgerichtete Vermittlung von Arbeitssuchenden, was natürlich in Zeiten einer anspringenden Konjunktur viel
besser gelingt als in einer Stagnationsphase.
({5})
Insofern kommt uns der positive Trend beim Wirtschaftswachstum in 2004 entgegen, der sich laut DIW in
den Jahren 2005 und 2006 fortsetzen wird. Das
Wirtschaftswachstum wird dann voraussichtlich 1,8 bis
2 Prozent betragen.
Auf das Stichwort „Exportweltmeister 2003/2004“ ist
aus unserer Sicht ausreichend eingegangen worden.
Unverständlich ist, was Sie als „Hofieren von Großunternehmen zulasten der mittelständischen Wirtschaft“
bezeichnen. Meine Erlebniswelt in Ostdeutschland belegt das Gegenteil. Gerade den Erhalt und die Ansiedlung von Großunternehmen wie zum Beispiel in der
Kohle- und Energiewirtschaft in meiner Region, in der
Lausitz, bezeichne ich als das wirksamste Mittelstandsprogramm für diesen Teil unseres Landes. Ähnlich
verhält es sich mit der Luft- und Raumfahrtindustrie in
Ludwigsfelde, den Hochtechnologiezentren im Großraum Dresden und Jena und den Autoherstellern in Leipzig, um nur einige Beispiele zu nennen. Die dort stattfindende Wertschöpfung hat eine breite Ausstrahlung auf
den Mittelstand und bringt Aufträge und Arbeit in die
Region.
Um Innovationen und technischem Fortschritt zum
Durchbruch zu verhelfen, muss man manchmal einfach
die Nerven behalten und darf man das Ziel nicht aus dem
Auge verlieren. Als Beispiel hierfür möchte ich die
LKW-Maut anführen. Sie ist zwar verspätet eingeführt
worden, hat aber jetzt das Potenzial, Exportschlager zu
werden. In Deutschland war es in den letzten Jahren
durchaus üblich, das eigene Licht unter den Scheffel zu
stellen. Krisengeschrei und Miesmacherei stehen auf
der Tagesordnung. Ähnlich wie im Handwerk gehört
überall Klagen zum guten Ton. Dieser Ansatz taugt aber
keineswegs zur Bewertung unseres Standorts Deutschland.
({6})
Im Gegenteil: Er richtet erheblichen Schaden an. Was
noch wichtiger ist: Er entspricht nicht den Tatsachen.
Insofern ist es gut, Außenstehende zu befragen. So
fasst Peter Englisch von der weltweit zweitgrößten Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young die Ergebnisse der Untersuchung seiner Firma wie folgt zusammen: Gerade unter ausländischen Investoren ist der
Standort Deutschland deutlich besser als sein Ruf im
Inland. - Die Befragung von über 500 internationalen
Managern hat ergeben: Deutschland zählt hinter China
und den USA zu den drei Topstandorten weltweit. Eine
direktere Einschätzung unserer Reformen kommt in der
Bewertung des Europaökonomen der Bank of America,
Lorenzo Codogno, zum Ausdruck, wenn er sagt:
Deutschland hat deutlich mehr an sich gearbeitet als
andere große europäische Staaten wie Frankreich und
Italien. Das zahlt sich langsam aus. Für ausländische Investoren ist Deutschland dank der Reformen dort deutlich attraktiver geworden.
Ich hoffe, dass auch dieser Prozess weiter an Fahrt gewinnt. Ich bin durchaus kein Umfragefetischist; aber die
wachsende Zustimmung für die Regierungskoalition bedeutet: Unser Mosaik, unser Puzzle ist fast komplett. Die
Konturen sind mehr als deutlich zu erkennen. Die Bürgerinnen und Bürger gewinnen Vertrauen in unsere Politik. Trotzdem gibt es weiter Aufklärungs- und Diskussionsbedarf, insbesondere in Ostdeutschland. Wir
werden uns dem stellen.
Vielen Dank.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/4503 und 15/1589 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das scheint so zu sein.
Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a bis 24 f sowie
die Zusatzpunkte 3 a und 3 b auf:
24 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der soldatenversorgungsrechtlichen
Berufsförderung ({0})
- Drucksache 15/4639 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({1})
Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung luftversicherungsrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 15/4637 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({2})
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung bestimmter Altforderungen ({3})
- Drucksache 15/4640 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({4})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler
- Drucksache 15/4486 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({5})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur
Änderung des Seemannsgesetzes
- Drucksache 15/4638 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({6})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Absatzfondsgesetzes und des Holz-
absatzfondsgesetzes
- Drucksache 15/4641 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
ZP 3 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria
Eichhorn, Dr. Maria Böhmer, Claudia Nolte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Deutsch-russischen Jugendaustausch weiterentwickeln
- Drucksache 15/4655 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({7})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Haupt, Ina Lenke, Dr. Heinrich L. Kolb, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Weichenstellungen für ein deutsch-russisches
Jugendwerk
- Drucksache 15/1240 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({8})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
Hier handelt es sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 15/4638 zum
Tagesordnungspunkt 24 e soll zusätzlich an den Rechtsausschuss, an den Ausschuss für Gesundheit und Soziale
Sicherung, an den Ausschuss für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung und an den Haushaltsausschuss gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen
werden. - Auch hierzu darf ich Einvernehmen feststellen. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 c sowie
die Zusatzpunkte 4 a und 4 b auf. Auch hier handelt es
sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen
keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 25 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung von wegerechtlichen Vorschriften
- Drucksache 15/3982 ({9})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
({10})
- Drucksache 15/4468 Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Friedrich ({11})
Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt auf Drucksache 15/4468, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 25 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung der Bundes-Tierärzteordnung
- Drucksache 15/4023 ({12})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung
({13})
- Drucksache 15/4662 Berichterstattung:
Abgeordneter Karsten Schönfeld
Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
empfiehlt auf Drucksache 15/4662, den Gesetzentwurf
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 25 c:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen ({14}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung 2001 über die
Entwicklung der Kostenunterdeckung im
öffentlichen Personennahverkehr ({15})
- Drucksachen 15/3137, 15/3251 Nr. 4, 15/4212 Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Hofbauer
Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung durch die
Bundesregierung eine Entschließung anzunehmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Zusatzpunkt 4 a:
Beratung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses ({16})
Übersicht 9 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 15/4663 Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Zusatzpunkt 4 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({17}) zur Dritten Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung
- Drucksache 15/4642, 15/4674 Berichterstattung:
Abgeordnete Gerd Friedrich Bollmann
Werner Wittlich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Birgit Homburger
Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf
Drucksache 15/4642 zuzustimmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Diese Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der FDP-Fraktion bei Stimmenthaltung der CDU/CSUFraktion angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wegen des hier im
Plenarsaal um 14 Uhr stattfindenden Staatsaktes zum
Gedenken an die Opfer der Flutkatastrophe an den Küsten des Indischen Ozeans unterbreche ich nun, wie vereinbart, die Sitzung bis 15.30 Uhr.
({18})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Vorstoß des Bundeskanzlers zur Lockerung
der Kriterien des europäischen Stabilitätsund Wachstumspaktes, um mehr Flexibilität
bei der Neuverschuldung zu erhalten
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Michael Meister, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir befassen uns heute in der Aktuellen Stunde
mit einem sehr ernsten Thema, nämlich mit den Vorschlägen des Bundeskanzlers zur Aufweichung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes, letztendlich
mit dem Ziel, die unsolide Verschuldungspolitik dieser
Bundesregierung zu legitimieren.
({0})
Die Folgen dieser ökonomisch unsinnigen Vorgehensweise werden unumkehrbar sein. Was wir jetzt tun, können wir nicht mehr rückgängig machen. Steigende Inflationsgefahr und sinkendes Wirtschaftswachstum im
Euroraum werden die Konsequenzen sein.
Meine Damen und Herren, wir alle haben der deutschen Bevölkerung etwas in die Hand versprochen. Im
Dezember 1992 wurden im Deutschen Bundestag wie
auch im Bundesrat gleichlautende Erklärungen abgegeben - ich darf zitieren -:
Die künftige europäische Währung muss so stabil
sein und bleiben wie die Deutsche Mark.
Deshalb hat Deutschland im Vertrag von Maastricht darauf geachtet, dass neben der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank Stabilitätskriterien für die Haushaltspolitiken der teilnehmenden Mitgliedstaaten vereinbart wurden. Uns allen war damals klar: Nur solide
Staatsfinanzen in den einzelnen Mitgliedstaaten sichern
dauerhaft Preisstabilität, moderate Zinsen und Wirtschaftswachstum im Euroraum. Deshalb haben Bundestag und Bundesrat versprochen - ich darf noch einmal zitieren -, „sich jedem Versuch zu widersetzen, die
Stabilitätskriterien aufzuweichen, die in Maastricht vereinbart worden sind“ und „übermäßige Defizite zu vermeiden“. Das war ein Versprechen von uns allen hier im
Saal und von den Mitgliedern des Bundesrates gegenüber
der deutschen Bevölkerung. Jetzt soll dieses Versprechen
gebrochen werden.
({1})
Mit dem 1997 auf Drängen Deutschlands verabschiedeten Stabilitäts- und Wachstumspakt wurde dieses Versprechen durch ein institutionelles Regelwerk abgesichert, das vor einer expansiven Verschuldungspolitik
schützen sollte. Ohne den Stabilitätspakt - das wissen
wir alle hier im Saal - hätte es die dritte Stufe der Europäischen Währungsunion und den Euro nie gegeben.
({2})
Mit seinem Vorstoß opfert der Herr Bundeskanzler
diesen Stabilitätspakt auf dem Altar der Beliebigkeit. Er
setzt die Regelbindung dieses Pakts außer Kraft. Nach
seinem Vorschlag wird es künftig keine Defizitverfahren
mehr geben, keine europäischen Grenzen für die nationale Schuldenpolitik. Künftig lässt sich jegliche Verschuldung rechtfertigen. Sie haben damit, wie der Vizepräsident der Bundesbank gesagt hat, die Büchse der
Pandora für eine Verschuldungspolitik geöffnet, die die
Menschen in unserem Lande teuer zu stehen kommen
wird: über eine höhere Inflation und erhebliche Wachstums- und Wohlstandseinbußen. Kein Wunder also, dass
die Vertreter der Deutschen Bundesbank und der Europäischen Zentralbank sowie viele Sachverständige in der
gestrigen Anhörung des Finanzausschusses die Vorschläge des Bundeskanzlers als grundfalsch abgelehnt
haben.
Aber das ist es, was diese Bundesregierung will: Sie
will einen Blankoscheck für eine noch höhere Staatsverschuldung ausgestellt bekommen. Sie haben 2002, 2003
und 2004 die in unserer Verfassung festgelegte Verschuldungsgrenze überschritten. Sie haben in diesen drei Jahren die Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspakts
nicht eingehalten, also europäisches Recht verletzt. In
diesem Jahr wird es nach Meinung aller Experten nicht
besser laufen. Der Bundesfinanzminister ist mit seiner
Politik gescheitert. Das hat sein österreichischer Kollege
am 18. Oktober des letzten Jahres in einem Interview mit
der „Wirtschaftswoche“ auf den Punkt gebracht - ich
darf zitieren -:
Nicht der Stabilitätspakt hat versagt, sondern die Finanzpolitik in einigen Mitgliedstaaten wie Deutschland und Frankreich.
Recht hat er, der Herr Grasser.
({3})
In der nationalen Haushaltspolitik werden die Fehler gemacht. Es gibt ein Problem nicht mit dem Pakt, sondern
bezüglich der Einhaltung der Regeln.
({4})
Meine Damen und Herren, mit dem Versagen des Bundesfinanzministers haben Sie nicht nur national, sondern
auch international das Vertrauen in eine solide deutsche
Finanzpolitik verspielt.
({5})
Lassen Sie mich an dieser Stelle mit zwei Irrtümern
aufräumen. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt biete
nicht genügend Flexibilität, ist Ihre Behauptung. Diese
Behauptung ist grundfalsch. Er ist kein Zwangskorsett.
Wir können uns nach diesem Pakt jährlich 3 Prozent neue
Schulden leisten; das sind bei unserem volkswirtschaftlichen Volumen 60 Milliarden Euro. 60 Milliarden Euro
neue Schulden pro Jahr müssen ausreichen, auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten,
({6})
wenn man in konjunkturell guten Zeiten einen Haushaltsausgleich anstrebt. Sie aber geben das Ziel des
Haushaltsausgleichs in konjunkturell guten Jahren auf.
Das ist der Grundfehler Ihrer Politik. Da müssen wir etwas ändern. In konjunkturell guten Zeiten dürfen in
Deutschland keine Schulden gemacht werden.
({7})
Ihr zweiter Irrtum besteht darin, dass Sie künstlich einen Gegensatz zwischen Wachstum und Konsolidierung
konstruieren. Die Geschichte zeigt: Solidität in der Finanzpolitik und der Haushaltsführung ist die wesentliche
Voraussetzung für inflationsfreies, dauerhaftes wirtschaftliches Wachstum. Solide öffentliche Haushalte
stärken das Vertrauen und erleichtern es Investoren und
Konsumenten, langfristige Entscheidungen zu treffen.
Ihr Verhalten führt in Deutschland zu Attentismus: Es
wird nicht konsumiert und nicht investiert, weil alle
Menschen wissen, dass Ihre Schulden von heute die
Steuern von morgen sind. Deshalb würden niedrige Defizitquoten, niedrige Schuldenquoten zu mehr Wachstum
in diesem Land führen.
Herr Kollege, Ihre fünf Minuten sind zu Ende.
({0})
Kehren Sie um und hören Sie auf, diesen Stabilitätsund Wachstumspakt wie einen Schweizer Käse zu
durchlöchern!
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Kollege Joachim Poß, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Meister, die finanzpolitische Position der Union
ist pure Heuchelei.
({0})
Die Anhörung gestern im Finanzausschuss hat gezeigt,
dass die von Ihnen vorgelegten Steuerreformkonzepte
Löcher in zweistelliger Milliardenhöhe in die Haushalte
reißen würden. Das ist die Wahrheit.
({1})
Ihre Vorschläge haben nicht nur gravierende konzeptionelle Mängel. Sie würden auch das Maastricht-Defizit
um mindestens einen halben, wahrscheinlich um mehr
als einen Prozentpunkt erhöhen.
({2})
Solche unfinanzierbaren massiven Steuerentlastungen
immer wieder zu fordern
({3})
und gleichzeitig die Bundesregierung als Totengräber
des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu
bezeichnen, das ist dreist und heuchlerisch.
Sie haben jedes Recht verloren, sich hier als Wächter
der öffentlichen Finanzen aufzuspielen. Denn Sie haben
in den letzten Jahren umfassende Maßnahmen zum steuerlichen Subventionsabbau verhindert - zum Nachteil
des Haushaltes des Bundes und der Haushalte der Länder und der Kommunen.
({4})
Sie waren Blockierer. Sie haben die Sanierung der öffentlichen Haushalte verhindert.
({5})
Kehren Sie bitte zu einer sachlichen Betrachtung zurück!
Nach sechs Jahren Euro, einer lange andauernden
Schwäche des wirtschaftlichen Wachstums in weiten
Teilen Europas und daraus resultierenden hohen öffentlichen Defiziten ist es fachlich geradezu zwingend, die
Anwendung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes neu zu justieren.
({6})
Es gehört nämlich zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme,
festzustellen, dass man sich bei der Konzeption des Paktes in den 90er-Jahren eine dreijährige Stagnation nicht
vorstellen konnte.
({7})
Auch das ist die Wahrheit.
Meine Damen und Herren, hinzu kommt, dass die EU
mittlerweile 25 Mitglieder umfasst. Auch das war damals nicht absehbar.
Es geht also nicht um eine Aufweichung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Es geht darum,
die in den letzten Jahren mit dem Pakt gemachten Erfahrungen auszuwerten.
Wir wollen, dass Europa eine Stabilitätsgemeinschaft
bleibt,
({8})
und wir wollen, dass Europa wachstumsstärker wird.
({9})
Das ist übrigens Konsens in der Europäischen Kommission und bei den europäischen Partnern. Es ist
selbstverständlich, dass sich Deutschland hier mit konstruktiven Vorschlägen beteiligt. Die Vorschläge des
Bundeskanzlers sind solche konstruktiven Vorschläge.
({10})
Diejenigen, die wie Sie bezogen auf den europäischen
Stabilitäts- und Wachstumspakt am liebsten alles beim
Alten lassen würden, nehmen veränderte Realitäten
nicht zur Kenntnis. Es funktioniert bekanntlich nicht alles nach dem Lehrbuch. Der ökonomische Verlauf der
letzten Jahre hat Realitäten verändert.
Wer, wie zum Beispiel die Deutsche Bundesbank, das
Wachstumspotenzial einer Volkswirtschaft fast ausschließlich von der Situation der öffentlichen Haushalte
abhängig macht, greift theoretisch und empirisch zu
kurz. Auch kurzfristig haushaltsbelastende Maßnahmen
können Wirtschaftswachstum und Beschäftigung stärken
und müssen deshalb möglich sein.
Der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt ist
nämlich kein Selbstzweck. Er ist unbestritten ein wichtiges Instrument zur Erreichung übergeordneter wirtschafts- und finanzpolitischer Ziele, zu denen auch die
Intensivierung und Verstärkung des wirtschaftlichen
Wachstums in Deutschland und Europa gehören.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition,
verweigern sich einer vernünftigen Weiterentwicklung
des Paktes. Sie wollen auch dieses Thema lediglich für
parteipolitische Krawallmache nutzen. Dafür sind die
Themen Stabilität und Wachstum aber zu ernst.
({11})
Schwarzmalerei, Chaosgesänge und dreiste Unterstellungen - daraus besteht seit Jahren die Finanzpolitik von
Austermann und Merz. Sie, Herr Kollege Meister, fahren
- ich sage: leider - in diesem Stil fort. Dabei bräuchte
Deutschland gerade in der Haushalts- und Finanzpolitik
eine Opposition, die zu konstruktiver Mitarbeit nicht nur
bereit, sondern auch fähig ist.
({12})
Ich habe den Eindruck, dass Sie weder die Bereitschaft
zu konstruktiver Mitarbeit zeigen noch die Fähigkeit
dazu haben. Eine solche Opposition können wir uns in
diesen schwierigen Zeiten wahrlich nicht leisten.
({13})
Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Andreas
Pinkwart, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Poß, Sie haben es wieder einmal verstanden, in Ihrer Rede überhaupt nicht auf Ihre eigene Verantwortung einzugehen, sondern bei den Konzepten anderer Zuflucht zu suchen.
({0})
Ich will einen Punkt ansprechen, der gestern Gegenstand der Beratungen im Haushaltsausschuss war, dort
vom Bundesfinanzminister vorgetragen wurde und der
über die konstruktive Mitarbeit der Opposition genau
Auskunft gibt. Dabei geht es insbesondere um den Vorschlag meiner Fraktion, die im Haushalt 2005 für die
Bundesagentur für Arbeit veranschlagten Mittel um
1 Milliarde Euro zu kürzen. Daraufhin haben Sie uns
vorgeführt, indem Sie gesagt haben, Sie könnten unserem Vorschlag nicht zustimmen, weil es sich dabei angeblich um eine unsoziale Maßnahme handele. In seinem jetzt vorgelegten Abschluss für das Jahr 2004 hat
aber der Bundesfinanzminister die Mittel für die Bundesagentur für Arbeit um genau 1 Milliarde Euro gekürzt, wie wir es ihm im Ausschuss vorgerechnet haben;
({1})
das ist unsere seriöse Politik. Sie jedoch wollen in Wahrheit gar nicht sparen; das ist Ihre Politik.
({2})
Sie hatten dazu - das belegen die Fakten; darauf hat
auch die EU-Kommission hingewiesen - genug Gelegenheit, und zwar auch in solchen Zeiten, in denen Sie
mit dem Bundesrat hervorragend hätten verfahren können. Nun sind sechs Jahre vergangen. Nur in zwei Jahren
haben Sie einen Beitrag zum Abbau des strukturellen
Defizits geleistet. Das strukturelle Defizit betrug im vergangenen Jahr 3,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
In diesem Jahr, also 2005, reicht die Verschuldung unseres Landes, obwohl der Bundeswirtschaftsminister seit
Monaten einen konjunkturellen Aufschwung ankündigt,
erneut an die 3-Prozent-Marke heran, wie Ihr Finanzminister sagt. Der Bundesbankpräsident gab gestern die
Auskunft, dass die Verschuldung im Jahre 2005 sogar
mehr als 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes betragen
wird.
({3})
Bei wirtschaftlicher Normallage im Jahr 2004 mit einem Wachstum von 1,7 Prozent und bei wirtschaftlicher
Normallage im Jahre 2005, die von Ihrer Regierung auch
als solche benannt wird, reizen Sie die nach dem
Maastricht-Vertrag maximal zulässige Verschuldungsbelastung voll aus bzw. überschreiten sie sogar. Das ist der
Marsch in den Schuldenstaat, den wir - wie ich finde: zu
Recht - kritisieren.
({4})
Das lässt uns natürlich kaum noch Handlungsspielräume, vor allen Dingen dann nicht, wenn tatsächlich
einmal ein konjunkturelles Gegensteuern notwendig
wäre. Sämtliche stille Reserven werden von Ihnen aufgelöst; selbst vor den Goldreserven machen Sie nicht
Halt. Alles wollen Sie infrage stellen. Nichts soll mehr
übrig bleiben. Alles wird in dieser Legislaturperiode verbraten. Lasten werden, wie Sie es auch bei den Pensionsverpflichtungen getan haben, in die kommende Legislaturperiode verlagert, nur damit Sie jetzt nicht das, was
für unser Land notwendig wäre, tun müssen: weitere
Strukturreformen durchführen, damit der Arbeitsmarkt
in Gang kommt und in diesem Land Wachstum entsteht.
Nein, erneut machen Sie die Politik der ruhigen Hand,
die schon in der letzten Legislaturperiode zur Verschlechterung der wirtschaftlichen Entwicklung beigetragen hat, und Sie verfahren nach dem Motto „Wenn
Realität und Regeln nicht zusammenpassen, werden die
Regeln einfach angepasst“. Genau ein solches Verhalten
schafft aber kein Vertrauen, sondern zerstört das Vertrauen in den Standort Deutschland.
({5})
Es ist schon bemerkenswert, was der Bundeskanzler
in einer Wirtschaftszeitung an Überlegungen ausgebreitet hat, wie er sich das künftig vorstellt, nachdem doch
wir in Europa unsere deutsche Stabilitätskultur implementiert hatten.
({6})
Gestern haben Sie, Herr Poß, im Ausschuss erklärt, wie
toll es doch sei, dass Europa sich zu einem Stabilitätsraum entwickelt habe. Dabei ist das doch genau darauf
zurückzuführen, dass die anderen Länder durch diese
strengen Stabilitätskriterien auf unseren Kurs verpflichtet worden sind.
({7})
Sie können diesen Kurs nicht halten, weil Sie die politische Kraft dafür nicht haben, müssen deshalb jetzt mit
denen in Europa nachsichtig sein, die diese Stabilitätskultur in Wahrheit schon damals gar nicht haben wollten,
und versuchen, mit ihnen faule Kompromisse zu schmieden.
({8})
Folgt man den Vorstellungen Ihres Bundeskanzlers - so
haben angesehene volkswirtschaftliche Institute berechnet -, könnte in Zukunft selbst eine Neuverschuldung
von über 8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes von der
EU-Kommission nicht mehr sanktioniert werden!
({9})
Das hieße, Sie wollen sich den Handlungsspielraum für
die gesamtstaatliche Neuverschuldung - die mit gegenwärtig 80 Milliarden Euro ohnehin schon zu hoch liegt auf 160 Milliarden Euro erweitern; so die Beurteilung
der Volkswirtschaftsabteilungen führender national und
international tätiger Banken.
Wenn es nach Herrn Chirac und Herrn Berlusconi
ginge, wenn es nach den Kriterien ginge, die von ihnen
derzeit angedacht werden, würde diese Rate auf über
10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes angehoben werden. Das sind die Aufweichungen, die Sie wollen! Sie
haben eben nicht die politische Kraft, hier im eigenen
Land für das Volk und die nachfolgenden Generationen
das Notwendige zu tun. Sie suchen jetzt nach einem
- scheinbar - einfacheren Weg, nach einem Weg geringeren Widerstands. Wenn Sie diese Politik zu Ende führen könnten, würde das Ganze uns allen auf die Füße fallen.
Herr Kollege, auch Sie müssen zum Ende kommen.
Deswegen haben wir die Aktuelle Stunde: damit Sie
diese Politik nicht mehr fortführen können.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk, Bündnis 90/
Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen, insbesondere von der Opposition! Ich finde es
angemessen, dass Sie hier heute eine Aktuelle Stunde
zum europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt angemeldet haben; das will ich ganz ausdrücklich feststellen.
({0})
Ich bin nur etwas erstaunt, dass Sie von der Opposition
in den ersten beiden Redebeiträgen nicht die Fähigkeit
hatten, zu der aktuellen Diskussion - „Wie soll der Pakt
denn jetzt angewendet werden?“ - auch nur irgendeinen
Vorschlag zu machen.
({1})
- Was Sie wollen, ist mit Ihren Beiträgen von eben nicht
deutlich geworden. Das zeigt wieder: Sobald es schwierig wird in der Anwendung, verfallen Sie in Plattitüden.
Das ist zu wenig.
({2})
Ich will ausdrücklich sagen: Es ist richtig, Herr
Dr. Pinkwart, dass wir eine schwierige Haushaltslage haben. Nun befinden wir uns in einer wirtschaftlichen Erholung und da darf man die Erwartung haben, dass die
Haushaltspolitik wieder in ein besseres Fahrwasser
kommt. Dass Sie als Opposition uns kritisieren und nicht
zufrieden sein können, gehört zu unserem politischen
Wettbewerb. Richtig ist aber auch - Sie haben gerade auf
die Diskussion über den Arbeitsmarkt verwiesen -, dass
ein Kollege von der großen Oppositionsfraktion, Herr
Austermann, der ja in Schleswig-Holstein Wahlkampf
macht,
({3})
uns heuchlerisch dafür kritisiert hat, dass die Bundesagentur für Arbeit im Haushaltsjahr 2004 1 Milliarde
Euro weniger gebraucht hat. Das hat er uns sozialpolitisch angekreidet. Ich empfinde das als eine ziemliche
Frechheit, da Sie sonst sozialabbauerisch gar nicht genug agieren können.
({4})
Das ist widersprüchlich und zeigt Ihre Inkompetenz. Sie
sind unfähig, ernsthafte sozialpolitische und arbeitsmarktpolitische Reformen durchzuführen.
Herr Pinkwart, eingangs Ihres fünfminütigen Beitrags
haben Sie gesagt, dass Sie von der FDP das anders gemacht hätten und dass Sie darauf hinweisen, dass dieser
Haushaltsabschluss eine weitere Herabsetzung des Zuschusses für die Bundesanstalt rechtfertigen würde.
({5})
Ich will Ihnen sagen: Die Veranschlagung im Haushalt
2005 ist niedriger, sie beträgt nämlich nur noch
4 Milliarden Euro. Ich halte dies auch weiterhin für angemessen und wiederhole unsere Kritik an Ihnen, dass
Sie sich bezogen auf die Verlässlichkeit des Haushaltes
weiterhin in einem Widerspruch befinden.
Nun komme ich zur Änderung des Stabilitäts- und
Wachstumspakts,
({6})
weil ich diese Diskussion für wichtig halte. Die Europäische Kommission selbst spricht davon, dass es notwendig ist, diesen Pakt anzupassen und zu reformieren, um
ihm mehr Legitimität und Kraft zu verleihen. Das kann
an Ihnen doch nicht vorbeigehen.
({7})
Deswegen finde ich es gut und bin beruhigt, dass es in
wesentlichen Punkten schnell zu einer Einigung zwischen den Finanzministern gekommen ist: Die Kriterien
werden nicht angefasst, das Defizitverfahren wird weiterhin in der jetzigen Art und Weise eingeleitet und Kriterien für eine Beurteilung sollen keinesfalls vorher greifen.
({8})
Die Meinung der grünen Seite dazu lautet: Das ist richtig. Der Finanzminister hat gestern im Haushaltsausschuss deutlich gemacht, dass es zusätzlich wahrscheinlich präventive Initiativrechte der Kommission für
Frühwarnungen geben soll. Auch das begrüße ich. Deswegen sage ich: Lassen Sie sich doch auch auf die Diskussion ein!
Müssen wir bei Anwendung des Paktes nicht auch andere Dinge ins Auge fassen, die ökonomisch wichtig
sind? Ich glaube, wir müssen raus aus der von Ihnen
ideologisch geführten Debatte. Diese hilft uns im Hinblick auf eine langfristige Haushaltspolitik nicht weiter.
Ziel des Stabilitäts- und Wachstumspakts bleibt: Die
Staatsfinanzen müssen langfristig wirklich stabilisiert
werden. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Die demographische Entwicklung in Europa erfordert das.
({9})
Deswegen ist es zum Beispiel richtig - ich plädiere
dafür -, dass wir die europäischen Institutionen bei der
Beurteilung der Haushaltspolitiken stärken. Wir brauchen eine größere europäische Koordination.
({10})
- Ich finde es wichtig, dass auch das Parlament einen
starken Beitrag leistet. - Ich finde es auch richtig, die
Haushalte zu analysieren und zu schauen, ob sie die
langfristige implizite Verschuldung - dabei ist die Altersversorgung ganz wichtig - wirklich aufgreifen. Deswegen habe ich nichts dagegen, wenn dies bei der tatsächlichen Beurteilung und Anwendung einer nationalen
Haushaltspolitik zum Tragen kommt und gefördert wird.
Ich möchte wirklich dafür werben: Setzen Sie sich damit
auseinander!
Ich habe noch einmal ausdrücklich die Argumente des
Herrn Regling nachgelesen, der sicherlich ein Vertreter
einer stabilitätsorientierten Politik in Europa ist. Herr
Regling, Generaldirektor bei der EU-Kommission, hat
an vier Punkten dargestellt, wie der Reform- bzw. Anpassungsbedarf aus Sicht der Europäischen Kommission
aussieht.
({11})
Er sagt unter anderem, dass die Verschuldung und die
langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte
stärker berücksichtigt werden müssen. Hier gibt es Anpassungsnotwendigkeiten. Auch er plädiert für eine stärkere Berücksichtigung der konjunkturellen Lage.
Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ich komme sofort zum Schluss. - Dabei geht es nicht
darum, die Kriterien zu verändern, sondern darum, zu
überlegen, ob ein Land mehr Zeit braucht. Er plädiert
sehr dafür, auch die europäischen Instanzen zu stärken.
({0})
Ich finde, dass der Finanzminister recht daran tut, an dieser Orientierung mitzuarbeiten.
Frau Kollegin, Sie überziehen Ihre Redezeit deutlich.
Ich glaube, dieses Thema verdient es, dass man sich
seriös und ernsthaft mit ihm auseinander setzt.
({0})
Das Wort hat der Kollege Dietrich Austermann,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
ein Unding, dass der Bundeskanzler in einem Zeitungsartikel eine Debatte zu einer der wesentlichen Fragen der
deutschen und der europäischen Politik anstößt, nämlich
zur Frage des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes, dann aber weder er noch der Finanzminister
heute bei der Debatte anwesend sind. Das heißt, die Debatte mit dem Parlament als einem wichtigen Entscheidungsorgan wird nicht geführt. Ich finde, das geht nicht.
({0})
Hier wird das Verhalten eines Duodezfürsten praktiziert.
Ich finde es auch bemerkenswert, Frau Kollegin
Hajduk - Sie haben über die Frage des Stils der Debatte
gesprochen -, dass die beiden Vertreter der Regierungsparteien schon in der ersten Debatte dieses Jahres gleich
wieder mit Kraftausdrücken anfangen und versuchen
({1})
- Ihre Zwischenrufe beweisen das -, die Debatte auf einem Niveau zu führen, das offensichtlich verrät, dass sie
in dieser Frage ein schlechtes Gewissen haben.
({2})
Das, worum es eigentlich geht - das werden wir den
Menschen auch deutlich machen -, kann man an der
Wirkung dieser Politik ablesen. Schuldenpolitik macht
arbeitslos. Schuldenpolitik führt dazu, dass immer weniger Menschen Arbeit haben. Sie können das in vielen
Bundesländern - Sie haben das Thema angesprochen;
ich brauche Schleswig-Holstein gar nicht zu nennen beobachten. Ich könnte als Beispiel auch den Bund anführen, wo die gleiche Situation vorliegt. Die Tatsache,
dass wir im letzten Jahr inzwischen mehr Geld für Arbeitsmarktpolitik als für Investitionen ausgegeben haben
- diejenigen, die von der Arbeitsmarktpolitik betroffen
sind, sind sicher nicht die Reichsten -, macht deutlich,
dass eine Veränderung der Politik eingetreten ist. Schuldenpolitik macht arbeitslos. Ich sage auch: Rot-Grün
macht arm und arbeitslos. Derjenige, der arbeitslos ist,
gehört in der Regel nicht zu den Betuchten.
({3})
Ich möchte einen zweiten Punkt ansprechen. Sie haben uns unsere Forderung, die Mittel der Bundesagentur
für Arbeit um 1 Milliarde Euro zu kürzen, vorgeworfen.
Dazu stehen wir. Wir halten die PSA für überflüssig.
Gleiches gilt für die Ich-AG. Diese legalisierte Form der
Schwarzarbeit ist überflüssig. Wenn Sie die Mittel für
diese beiden Maßnahmen zusammenrechnen, kommen
Sie auf eine Größenordnung von etwa 1 Milliarde Euro.
Wir haben aber auf der anderen Seite beklagt - das
war der Punkt -, dass die Bundesagentur für Arbeit diesen offensichtlich notwendigen Druck fast ausschließlich in den neuen Bundesländern ausgeübt hat. Sie hat
dort Maßnahmen zusammengestrichen, die sie jetzt über
Fördern und Fordern im Zusammenhang mit Hartz IV
und dem ALG II wieder aufleben lassen will. Zunächst
treibt man die Menschen in die Armut, um dann zu erklären: Wir ergreifen nun ganz überraschend neue Maßnahmen zur Verbesserung der Situation.
Schauen wir uns einmal die genauen Zahlen an. 1996
war das Jahr einer bestimmten Verschuldungshöhe. Damals hatte der Bund einen Finanzierungssaldo von
34,5 Milliarden Euro. Das war zu hoch. Der Finanzierungssaldo von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherung betrug 62,7 Milliarden Euro. Das war eine
Verschuldung von 3,4 Prozent. Im Jahre 2004 betrug der
Finanzierungssaldo des Bundes nicht 40, 41 oder
43 Milliarden Euro, sondern 53,7 Milliarden Euro. Der
Finanzierungssaldo von Bund, Ländern und Gemeinden
lag bei 84,5 Milliarden Euro. Das sind allein beim Bund
20 Milliarden Euro Verschuldung mehr als im Jahr 1996,
dem angeblichen Rekordjahr der Verschuldung. Ich
glaube, damit ist ziemlich klar, wer der Rekordschuldenmacher in Deutschland ist.
({4})
Der Finanzierungssaldo des Gesamtstaates war sogar
22 Milliarden Euro mehr als 1996. Das unterstreicht,
dass eine falsche Politik gemacht wird. Angesichts der
Behauptung, man habe nicht genügend Flexibilität, stellt
sich die Frage: Wie viel brauchen Sie denn noch? Bei einer Flexibilität in der Größenordnung von 53,7 Milliarden Euro wollen Sie noch abweichende Regelungen
haben! Was bedeutet das, was der Bundeskanzler vorgeschlagen hat? Er verlangt eine Verschuldungsgrenze von
3 Prozent plus irgendetwas. All das, was unter dieses Irgendetwas fällt, nämlich die Frage der Konjunkturmaßnahmen im Inland, praktizieren Sie doch schon seit drei
Jahren mit der Wirkung, dass es immer weiter bergab
geht.
Reformen sollen ein Ausweis für eine richtige Politik
sein, um zu Einsparungen zu kommen. Ich bin immer
davon ausgegangen, dass die Reformmaßnahmen dazu
beitragen, dass die öffentliche Hand spart, nicht dazu,
dass sie mehr Geld ausgibt. Das können Sie auch bei den
so genannten Dauerlasten sehen. Herr Regling hat für
die EU-Kommission immer wieder gesagt, das Argument der Kosten für den Wiederaufbau in dem einen Teil
unseres Vaterlandes kann man heute nicht mehr in der
Dimension berücksichtigen, wie man das in den 90erJahren gemacht hat. Wir sagen: Der Stabilitäts- und
Wachstumspakt hat dazu beigetragen, dass in Europa zumindest Ende der 90er-Jahre eine Politik in Richtung
weniger Schulden gemacht wurde. Das war der entscheidende Vorteil. Sie versuchen jetzt das Gegenteil. Sie tragen dazu bei, dass immer weniger Leute Arbeit haben,
immer mehr Schulden gemacht werden und immer unverantwortlicher mit den Finanzen unseres Staates umgegangen wird. Da machen wir nicht mit. Wir sagen: Die
3 Prozent reichen aus. Sie sind die absolute Obergrenze.
Normalerweise ist es richtig - das sagt jeder Privatmann
und auch der Staat -,
Herr Kollege, auch Ihre Redezeit ist vorbei.
dass man sich an den Einnahmen orientiert. Nun zu
sagen, man brauche mehr als 3 Prozent, man brauche
53,7 Milliarden Euro und noch mehr, ist nicht die richtige Einstellung.
({0})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär der
Finanzen, Karl Diller.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Professor Pinkwart hat das Parlament an die Anträge der Oppositionsfraktionen zum Haushalt erinnert.
Das hätten Sie besser unterlassen.
({0})
Denn die Seriosität Ihrer Anträge - nicht nur Ihrer, sondern auch der Anträge der CDU/CSU - kann man einem
breiten Publikum an drei Beispielen ziemlich deutlich
machen.
({1})
Das erste Beispiel ist die Streichung der Arbeitslosenhilfe. Die Menschen haben einen Rechtsanspruch darauf,
dass sie zum 31. Dezember auf ihrem Konto die Arbeitslosenhilfe für den Monat Dezember vorfinden. Dieser
Betrag muss am 1. bzw. 2. Januar in den Büchern des
Bundes gebucht werden. Das wollten Sie streichen. Ihr
Vorschlag der Streichung hätte bedeutet, eine überplanmäßige Ausgabe im Haushalt 2005 zu provozieren.
Diese hätte uns aber nicht genehmigt werden dürfen,
weil nämlich eine solche überplanmäßige Ausgabe für
das Parlament vorhersehbar war und deswegen den Kriterien nicht entsprochen hätte.
({2})
Zweites Beispiel. Die Opposition war so frei, zu fordern, dass sich ungefähr 10 Prozent aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter samt ihren Familienangehörigen
zum 1. Januar 2005 in Luft auflösen.
({3})
Denn Sie haben den Antrag gestellt, 10 Prozent aller flexibilisierten Mittel zu streichen. Der größte Posten bei
den flexibilisierten Mitteln sind aber Personalkosten.
Deswegen hätten wir Tausende von BGS-Beamten
plötzlich am 1. Januar nicht mehr bezahlen dürfen. Wer
solch absurde Anträge stellt, hat jeden Anspruch auf Seriosität verloren.
({4})
Das dritte Beispiel ist das Lieblingsbeispiel von Herrn
Professor Pinkwart - das ist sein „Jäger 90“ -: die Kohlebeihilfen.
({5})
Er hat den Antrag gestellt, die Kohlebeihilfen auf null zu
setzen.
({6})
Das hätte bedeutet, dass wir gegenüber der RAG und gegenüber den Beschäftigten vertragsbrüchig geworden
wären.
({7})
Übrigens hätten wir damit einen Vertrag gebrochen, den
der verstorbene ehemalige Wirtschaftsminister Rexrodt
in der Zeit der Regierung Kohl ausgehandelt hat.
({8})
Ich will noch an die Blockadepolitik dieser Damen
und Herren und ihrer Parteifreunde im Bundesrat und im
Vermittlungsausschuss erinnern. 17,5 Milliarden Euro
hätten Bund, Länder und Gemeinden Jahr für Jahr mehr
in ihren Kassen, wenn Sie nicht Ihre Blockadepolitik im
Bundesrat betrieben hätten. 17,5 Milliarden Euro sind
fast ein ganzer Prozentpunkt vom Bruttoinlandsprodukt
und damit 1 Prozentpunkt nach Maastrichtkriterium. Das
sind Ihre Versäumnisse. Das müssen Sie sich zurechnen
lassen.
({9})
Deswegen lassen Sie mich in aller Deutlichkeit feststellen: Wenn wir Ihrer Position gefolgt wären, dann wären wir in die falsche Richtung marschiert. Wir halten
klar am Maastrichtvertrag fest. Wir brauchen auf der europäischen Ebene in der Währungsunion die Koordinierung, die Regelbindung einer gemeinsamen Finanzpolitik.
({10})
Was wir aber nicht machen können, ist, vor den gemachten Erfahrungen die Augen zu verschließen. Wir müssen
uns den Pakt und den Vertrag einmal genau ansehen.
Darin ist nämlich von Ermessensspielräumen die Rede.
Wir müssen damit aufhören, über Juristereien und
Zehntelprozentpunkte, also Stellen hinter dem Komma,
zu reden. Stattdessen müssen wir über Ermessensspielräume und damit über Inhalte des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts sprechen.
({11})
Nach der Konzeption des EG-Vertrages dient das Instrument der Haushaltsüberwachung durch die Kommission der Vermeidung - ich zitiere - „schwerwiegender
Fehler“ in der Haushalts- und Finanzpolitik der Mitgliedstaaten. Aus dem Vertrag selbst geht hervor, dass es
keineswegs Ziel und Aufgabe der finanzpolitischen Koordinierung ist, den Mitgliedstaaten in ihre täglichen Geschäfte hineinzuregieren. Wenn aber grobe Fehlentwicklungen vorliegen, dann müssen sie gestoppt werden.
({12})
Die Opposition betont immer wieder, wie wichtig die
Einhaltung der Vertragsvorgaben ist. Was dort aufgeführt ist, entspricht genau unserer Position: Wenn ein
Land die 3-Prozent-Grenze überschreitet, dann sollten
selbstverständlich die Alarmglocken läuten.
({13})
Was wir dann aber brauchen, sind keine schematischen
und automatisierten Verfahrensschritte. Notwendig ist
vielmehr ein genauer Blick auf die jeweilige Situation,
die in ihrer Gesamtheit abgewogen und bewertet werden
muss.
Ich erinnere an die Frage, um die es beispielsweise
bei dem Streit über das Verfahren gegen Deutschland
und Frankreich ging: Sollten bei einem Defizit von zum
Beispiel 3,2 Prozent einem Land Sanktionen angedroht
werden,
({14})
obwohl es eine äußerst zurückhaltende Ausgabenlinie
verfolgt, ihm aber die Konjunktur auf der Einnahmeseite
einen Strich durch die Rechnung macht?
({15})
Sollten ihm, obwohl es durch Steuer- oder Rentenreformen Strukturreformen umsetzt, die mehr Wachstum und
nachhaltige Finanzen ermöglichen, kurzfristig aber zu
einem Defizitanstieg über 3 Prozent führen, Sanktionen
angedroht werden? Ich meine, nein.
Wir müssen die Finanz- und Wirtschaftspolitik eines
Landes im Ganzen berücksichtigen und dürfen entscheidende Faktoren nicht ausklammern. Wir unterstützen
deswegen ausdrücklich den Vorschlag der Kommission,
die Beurteilungskriterien gründlich zu überarbeiten.
({16})
Lassen Sie mich noch einige Punkte nennen, die dabei
berücksichtigt werden müssten.
({17})
Nicht nur - wie bisher diskutiert wurde - starke Wirtschaftsabschwünge, sondern auch die Erfahrungen einer
dreijährigen Stagnation müssten berücksichtigt werden.
Berücksichtigt werden müsste auch, ob Reformen auf
dem Arbeitsmarkt erfolgt sind und ob im Haushalt zukunftsorientierte Ausgaben für Forschung, Entwicklung,
Infrastruktur und Bildung vorgesehen sind, um die
Grundlagen für dauerhaftes Wachstum und nachhaltige
öffentliche Finanzen zu legen.
Des Weiteren müsste bedacht werden, welche Sonderlasten ein Mitgliedstaat zu schultern hat. Wir haben
hohe Belastungen durch die deutsche Einheit zu tragen.
Eine weitere Sonderbelastung, die wir zu tragen haben
- sie ist übrigens nationalen Entscheidungen völlig entzogen; wir haben keinerlei Einfluss darauf -, stellen die
hohen Nettotransfers an den europäischen Haushalt dar.
({18})
Auch solche Zahlungen sollten im Rahmen der finanzpolitischen Analyse berücksichtigt werden.
Um es noch einmal zu betonen: Es geht nicht um ein
Herausrechnen. Wir wollen aber, dass eine genaue Analyse erstellt wird, bevor entsprechende Schritte eingeleitet werden. Das hat nichts mit einer Aufweichung zu tun;
es ist vielmehr die einzig sinnvolle Konsequenz aus den
bisherigen Erfahrungen. Kommissar Almunia hat übrigens sehr deutlich gemacht, dass Portugal durch Auflagen der EU praktisch in eine Rezession gelenkt wurde,
weil die Forderungen prozyklisch wirkten.
Insofern besteht Diskussionsbedarf. Wir sind zuversichtlich, dass Ratspräsident Juncker, der selber zu den
Vätern des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts gehört, die Diskussion in die richtigen Bahnen
lenkt und dazu beiträgt, dass wir zu einem guten Ergebnis kommen werden. Wir sind sicher, dass die Diskussion und die folgenden Entscheidungen bei ihm in guten
Händen liegen.
({19})
Das Wort hat der Kollege Peter Hintze, CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Der Bundeskanzler und sein Finanzminister haben bis in die vergangene Woche hinein Stein und Bein
geschworen, sie würden niemals den Stabilitäts- und
Wachstumspakt beschädigen. Wie sagte doch unser Bundeskanzler im Ersten Deutschen Fernsehen: „Wir rütteln
nicht an den Kriterien des europäischen Stabilitätspaktes.“
({0})
Seit Walter Ulbrichts Wort: „Niemand hat die Absicht,
eine Mauer zu errichten“, hat noch nie ein deutscher
Politiker die Öffentlichkeit so dreist in die Irre geführt
wie der Herr Bundeskanzler in dieser Frage.
({1})
Ich möchte es den aufgeregten SPD-Abgeordneten erklären. Hier werden die deutsche Bevölkerung und das
deutsche Parlament von Ihnen für dumm verkauft.
({2})
Ihr Staatssekretär erklärt hier: Das 3-Prozent-Kriterium
wollen wir gar nicht antasten. Im Ausschuss wurde uns
erzählt, der Pakt werde nicht ausgehöhlt, sondern ausgefüllt. Wissen Sie, was Sie mit dem Pakt tatsächlich machen? Sie stopfen ihn aus. Die Hülle bleibt zwar - außen
stehen noch immer 3 Prozent -, aber der Inhalt ist weg.
Das ist ein Bruch nicht nur mit dem Geist, sondern auch
mit den Buchstaben des Stabilitäts- und Wachstumspaktes.
({3})
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem
Maastricht-Urteil klar gemacht, dass die Fortsetzung der
Stabilitätsgemeinschaft konstitutive Voraussetzung für
das Zustimmungsgesetz zum Euro war. Das heißt, wenn
die Bundesregierung einen parlamentarisch legitimierten
Vorgang, das Zustimmungsgesetz, durch einen exekutiven Federstrich zerstört, dann ist das ein ungeheuerlicher
Umgang mit der Materie, aber auch mit dem Parlament.
({4})
Ich empfinde es als Beleidigung - das möchte ich
noch zu den Zurufen von Herrn Schmidt während der
Rede von Herrn Austermann sagen -, wenn der deutsche
Bundeskanzler in einem Namensartikel in einer Tageszeitung seine Absichten zur Änderung des Stabilitätsund Wachstumspaktes bekannt gibt und sich die Bundesregierung dann in dieser Sitzungswoche weigert, auch
nur ein einziges Regierungsmitglied, den Außenminister, den Finanzminister, den Wirtschaftsminister oder
den Bundeskanzler, hier zu diesen öffentlichen Äußerungen Stellung nehmen zu lassen. Das heißt - das ist kristallklar -, dass das Parlament in dieser Frage übergangen
werden soll. Das ist ein Umgang mit der Demokratie,
den wir nicht hinnehmen können.
({5})
Ihre ökonomische Begründung spottet jeglicher Beschreibung. Sie wollen dem deutschen Volk klar machen, dass die Probleme mit der steigenden Arbeitslosigkeit und der wachsenden Wirtschaftsschwäche sowie die
sich ständig verschlimmernden Probleme im sozialen
Bereich durch eine steigende Verschuldung verringert
werden können. Die Wahrheit ist: Das genaue Gegenteil
ist richtig. Nur wenn wir zu einer Politik der Haushaltskonsolidierung zurückkehren, werden wir auch die wirtschaftlichen und die sozialen Probleme dieses Landes lösen können.
({6})
Lassen Sie mich noch einen europapolitischen Gedanken aussprechen. Wir werben in diesen Tagen für die
europäische Verfassung und dafür, dass die Bürger verstehen, dass im 21. Jahrhundert Europa die Antwort auf
ihre Fragen ist. Aber wir erschüttern das Vertrauen der
Bürger in Europa, in seine Institutionen und in seine Regierungen, wenn wir mit der Stabilität der gemeinsamen
europäischen Währung so umgehen, wie Sie das mit
dem Bruch des Stabilitäts- und Wachstumspaktes tun.
({7})
Der Hintergrund ist, dass dieses Land unter der rotgrünen Regierung zum vierten Mal in Folge den Stabilitäts- und Wachstumspakt bricht, einen Pakt, der Voraussetzung für unsere Zustimmung zum Euro und für unser
Werben bei den Bürgern für Europa und den Euro war.
Aber Sie versündigen sich an diesem Pakt und damit an
Europa. Ich sage Ihnen: Kehren Sie um!
({8})
Das Wort hat die Kollegin Christine Scheel,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Herr
Kollege Hintze, ich verstehe, dass Sie hier eine Bewerbungsrede halten müssen.
({0})
Ich kann nicht akzeptieren, dass - nach der gestrigen
Anhörung im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages mit einer sehr sachlichen Diskussion - Sie und der
Kollege Austermann Redebeiträge halten,
({1})
die der Sache einfach nicht angemessen sind.
({2})
Wir brauchen in dieser Debatte Sachlichkeit. Wir brauchen in der Auseinandersetzung ein Stück Kreativität.
Wir brauchen aber keinen gnadenlosen Populismus, wie
Sie ihn hier permanent bieten, ohne dass Sie sagen, was
Sie in Wirklichkeit wollen.
({3})
Fest steht: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt lebt.
Die Defizitverfahren gegen Deutschland und Frankreich
sind ausgesetzt und nicht aufgehoben.
({4})
Die EU-Kommission will neben der 3-Prozent-Nettoneuverschuldungsgrenze den Schuldenquoten oberhalb
des Referenzwertes von 60 Prozent eine größere Bedeutung beimessen.
({5})
Ich halte das für sehr richtig und ich kann es nur ausdrücklich begrüßen.
Alle Länder, die in einem Defizitverfahren sind, müssen der EU-Kommission Stabilitätsprogramme mit Wegen und Zeitfenstern zur Wiedererreichung der Grenzwerte für die staatliche Verschuldung zur Bewertung und
zur Beurteilung vorlegen. Die Ergebnisse des Konsultationsprozesses werden öffentlich gemacht.
Alle Länder werden natürlich auch darüber zu diskutieren haben, inwieweit - auch das hat die gestrige Anhörung gezeigt - Änderungen in der Anwendung des
Defizitverfahrens im Rahmen des Stabilitäts- und
Wachstumspakts - auch darüber wird derzeit verhandelt - notwendig sind. Es gibt nämlich konjunkturelle
Entwicklungen, die Strukturprobleme aufwerfen - darauf muss man mit Strukturprogrammen reagieren - und
die in Zeitphasen ablaufen, die anders sind, als es sich
die Erfinder des Stabilitätspaktes damals vorgestellt haben.
Kommen Sie doch bitte einmal in der Realität an! Als
der Stabilitätspakt geschlossen wurde, gehörten der
Währungsunion sechs oder sieben Länder an.
({6})
Heute sind es zwölf. In zehn Jahren werden es 22 Länder
sein. Wir müssen uns darauf einstellen, dass man nicht
alle Länder über einen Kamm scheren kann. Vielmehr
muss man differenzierte Zeitfenster für individuelle Anpassungsprogramme durch notwendige Strukturreformen, zum Beispiel im Bereich der Rentenversicherung
oder des Arbeitsmarktes, schaffen. Von etwas anderem
auszugehen ist unrealistisch.
({7})
Wir haben es mit einer demographischen Entwicklung zu tun, an die damals niemand von denen, die den
Stabilitäts- und Wachstumspakt geschlossen haben, gedacht hat. Die heutige Situation ist völlig anders. Ich
kann Ihnen nur sagen: Seien Sie nicht so zahlenfixiert,
sondern seien Sie prozessorientiert! Wenn Sie das tun,
dann können Sie einen Beitrag zu einer inhaltlich sinnvollen Debatte leisten.
({8})
Nachhaltige Finanzpolitik muss konjunkturelle Zyklen und strukturelle Veränderungsprozesse natürlich
auch kompatibel gestalten. Der Stabilitätspakt gibt der
EU das Recht, die nationalen Stabilitätsprogramme zu
beurteilen, Änderungsvorschläge zu machen und im Interesse einer sehr stabilen Währungspolitik bei unvernünftigen nationalen Haushaltsentscheidungen fiskalische Sanktionsmittel einzusetzen. Das ist richtig und das
soll auch so bleiben.
Da dies so bleibt, wird der Pakt lebendiger werden. Es
wird realistischere Verfahren im Konsultationsprozess
geben. Ich empfehle, dass man einfache, transparente,
einheitliche und für alle 25 Länder anwendbare Kriterien, die im Rahmen des Defizitverfahrens zur Beurteilung von Stabilitätsprogrammen der Nationalstaaten liegen, anwendet. Eine stärkere Berücksichtigung der
konjunkturellen Lage und eine stärkere Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedingungen der einzelnen
Länder stehen dazu nicht im Widerspruch. Auch eine Einigung auf operationale Indikatoren steht dazu nicht im
Widerspruch, sondern ist ein Stück Notwendigkeit.
Wegen der unterschiedlichen konjunkturellen Wachstumspfade der Länder bedarf es auch unterschiedlich
langer Zeitfenster - man kann auch „Anpassungspfade“
sagen -, um die Defizitgrenzen wieder zu erreichen.
Wichtig wird eine Einigung darüber sein, was Länder in
Phasen konjunktureller Erholung leisten müssen, um einerseits übermäßige Defizite abzubauen und um andererseits dem eigentlichen Ziel des Stabilitätspakts - einem ausgeglichenen Haushalt - näher zu kommen.
({9})
Ich bin für die Operationalisierung von Vorgaben, die in
Zeiten konjunktureller Erholung gelten, damit nationale
Begehrlichkeiten im Prozess der Konsultation mit der
EU zurückgedrängt werden können.
({10})
Ich sage nur: Der Stabilitätspakt lebt, weil es nämlich
keinen Totengräber gibt.
Danke schön.
({11})
Nächster Redner ist der Kollege Georg Fahrenschon,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Noch nie zuvor ist in der Europäischen Union
ein wesentlicher politischer Beschluss im Kern rückgängig gemacht worden. Genau das haben Sie mit den von
Ihnen vorgeschlagenen Änderungen am Stabilitätspakt
vor. Vordergründig wollen Sie den Stabilitätspakt erhalten, aber faktisch wollen Sie ihn außer Kraft setzen.
({0})
Liebe Frau Scheel, Frau Ausschussvorsitzende, ich
muss Sie schon fragen, wo Sie gestern eigentlich waren.
({1})
Ihre Sachverständigen waren es doch, die den Pakt unisono für tot erklärt haben.
({2})
Der Bundesrechnungshof hat in seiner schriftlichen Stellungnahme auf die galoppierende Staatsverschuldung
hingewiesen und sich aus dem Grund gegen Änderungen
am Stabilitätspakt ausgesprochen.
({3})
Sie haben sich mit den Änderungen im Grunde gegen
das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts ausgesprochen.
({4})
Das ist der wahre Hintergrund für das, was Sie hier betreiben. Sie versuchen, Nebelkerzen zu werfen. Der
beste Nebelkerzenwerfer ist der ehrenwerte Herr Staatssekretär, der auf die Vorschläge des Bundeskanzlers im
Grunde in keinem Punkt eingeht, weil er ganz genau
weiß, dass die Vorschläge, die der Bundeskanzler
schriftlich niedergelegt hat, den Pakt zerstören und nicht
wiederbeleben.
({5})
Wissen Sie, warum? Die Regeln, die wir jetzt haben,
sind eindeutig und klar. Die Regeln, die wir jetzt haben,
sind transparent. Was für Rot-Grün noch schlimmer ist:
Die Regeln, die wir jetzt haben, machen die Finanzpolitik europaweit messbar. Das ist genau der Punkt, den Sie
aus der Welt schaffen wollen. Ihnen sind die europaweiten Kontrollen, insbesondere Ihrer Bundespolitik, ein
Dorn im Auge. Sie wollen diese Kontrollen nicht. Aus
dem Grund wollen Sie dem Stabilitätspakt die Basis entziehen. Dabei machen wir nicht mit.
({6})
Wenn Sie jetzt argumentieren, wir bräuchten in einem
größer gewordenen Europa andere Regeln,
({7})
dann erklären Sie mir doch bitte einmal ganz genau, wie
Sie Ausnahmen für Sonderlasten, Abzüge von Nettozahlungen und das Herausrechnen von ganzen Haushaltstiteln - Beispiel: Verteidigung, Beispiel: Forschung - europaweit organisieren wollen!
({8})
- Doch! Das sind Ihre Vorschläge! Lesen Sie doch die
„Financial Times Deutschland“ vom letzten Montag, bevor Sie hier im Deutschen Bundestag reden!
({9})
Mit Ihren Vorschlägen öffnen Sie der Willkür Tür und
Tor. Sie erzeugen immer wieder neue Konflikte. Sie sind
gar nicht in der Lage, die Ausnahmen europaweit zu debattieren. Sie verabschieden sich von klaren Regeln
- 3 Prozent Defizit- und 60 Prozent Schuldengrenze ({10})
und führen eine politische Debatte über gute und weniger gute Finanzpolitik ein.
({11})
Das sind Ihre Vorschläge.
({12})
Dabei machen wir nicht mit, weil das in die falsche
Richtung geht.
({13})
Sie zerstören die Basis der Wirtschafts- und Währungsunion.
Sie müssen einfach einmal zur Kenntnis nehmen: Stabilität kann dann keinen Bestand haben, wenn die Politik
daran herumbasteln kann. Das ist unsere Generalkritik.
Wir müssen uns gegen alle Ihre Vorschläge aussprechen,
mit denen Sie die Kennzahlen einer politischen Debatte
unterwerfen wollen, weil Sie damit versuchen, politische
Einschätzungen der Finanzpolitik zu erreichen. Das ist
der falsche Weg. Dahin wollen wir nicht. Gehen Sie in
die andere Richtung! Halten Sie sich an die Vorgaben
von Maastricht! Halten Sie sie klipp und klar ein! Hören
Sie auf, den Stabilitätspakt zu unterminieren! Leben Sie
den Stabilitäts- und Wachstumspakt! Das wäre der richtige Weg.
({14})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Angelica SchwallDüren, SPD-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe
Kollegen! Wir sind es ja gewohnt, dass zu Wahlkampfzeiten die Opposition versucht, hier Stimmung zu machen, aber dadurch werden die Behauptungen, die Sie
von der Opposition aufstellen, nicht wahrer.
({0})
Erstens. Uns liegt der Entwurf der europäischen Ver-
fassung vor, aus dem ich noch einmal zitieren möchte.
Dort steht:
Die in Art. III-184 Abs. 2 der Verfassung genannten
Referenzwerte für ein übermäßiges Defizit sind
a) 3 Prozent für das Verhältnis zwischen dem geplanten oder tatsächlichen öffentlichen Defizit und
dem Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen,
({1})
b) 60 Prozent für das Verhältnis zwischen dem öffentlichen Schuldenstand
({2})
und dem Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen.
({3})
Niemand, weder diese Bundesregierung noch die sie
tragenden Koalitionsfraktionen, beabsichtigt, hieran etwas zu ändern.
({4})
Zweitens. Herr Hintze hat wieder einmal die Behauptung aufgestellt, wir hätten in den vergangenen Jahren
ständig die Stabilität in Gefahr gebracht.
({5})
Wir können hier heute nur feststellen, dass in den ersten
Jahren der Anwendung des Stabilitäts- und Wachstumspakts die Stabilitätskultur in Europa mithilfe des Paktes
erheblich verbessert worden ist. Und das ist gut so.
({6})
Der Euro steht heute im internationalen Vergleich so gut
da wie nie. Die Inflation ist niedrig, die Preise sind stabil
und die Defizite in der Eurozone sind wesentlich geringer als beispielsweise in den USA und Japan.
({7})
Was uns fehlt, ist Wachstum.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Deutschland spielt hier eine durchaus positive Rolle.
({8})
Denn Deutschland hat in diesem Euroraum die geringste
Inflationsrate überhaupt und hat damit entscheidend zur
Stabilität beigetragen.
({9})
Andere Länder haben eine höhere Inflation. Deutschland
ist also ein Stabilitätsanker.
({10})
An dieser Stelle muss auch einmal gesagt werden,
dass dieser starke Euro dem Export glücklicherweise
nicht geschadet hat; denn das ist eine große Sorge für ein
Land, das so entscheidend vom Export abhängig ist wie
Deutschland. Unser starker Export ist übrigens ein Hinweis auf die Attraktivität unserer Produkte, die Produktivität unserer Unternehmen und den Erfolg unserer Wirtschaft.
Negativ ist: Wir haben hohe Realzinsen.
({11})
Das ist in der Tat eine Wachstumsbremse.
({12})
Kommen wir zur Haushaltsdisziplin, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({13})
Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist auch deswegen
verabschiedet worden, damit dem sorglosen Umgang
mit dem öffentlichen Geld ein Ende gesetzt wird.
({14})
Wenn wir uns die Zahlen anschauen, können wir feststellen, dass wir in 2004 im Euroraum ein Defizit von
2,9 Prozent hatten, in den USA eines von 4,2 Prozent
und in Japan eines von 7,1 Prozent. Durch die finanzpolitische Konsolidierung haben sich die Defizite übrigens
gegenüber der Zeit, als Sie an der Regierung waren, wesentlich verringert.
({15})
In der Zeit von 1991 bis 1995 hatten wir im Euroraum
noch minus 5 Prozent, in 2004 werden es voraussichtlich
minus 2,4 Prozent des BIP sein.
({16})
- Ich sage ja, dass der Stabilitätspakt hier tatsächlich Erfolge hat.
({17})
Wir haben in Deutschland nicht erreicht, die Defizitgrenze von 3 Prozent einzuhalten. Da muss man sich nun
aber die Frage stellen: Besteht die Lösung nicht eher darin, dass wir Initiativen ergreifen, um das Wachstum anzuregen? Dazu fällt Ihnen nichts anderes ein, als weiter
Steuern zu senken und damit die Schulden zu erhöhen
oder nach weiteren sozialen Einschnitten zu rufen. Auch
wenn Sie sich hier heute aufgeführt haben, als würde die
rot-grüne Koalition die Menschen in die Armut treiben,
({18})
sind Sie es doch, die ständig weitere Einschnitte verlangen.
({19})
Insofern kann ich Ihnen nur sagen: Die Kampagne, die
Sie betreiben, schadet der Nachfrage in Deutschland. Sie
schadet dem Vertrauen. Sie schadet dem Wachstum. Sie
schadet am Ende dem Ziel der Konsolidierung.
({20})
Sie schadet Deutschland und sie schadet Europa.
({21})
Frau Kollegin!
Wir müssen heute Initiativen ergreifen, um die
Wachstumsschwäche zu überwinden. Deutschland als
großes europäisches Mitgliedsland muss nämlich wieder
zur Wachstumslokomotive werden.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Dafür brauchen wir mehr Wachstum. Dafür brauchen
wir Investitionen.
Herzlichen Dank.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Otto Bernhardt,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu dem
Beitrag meiner Vorrednerin nur eine Bemerkung: Der
hohe Wert des Euro ist kein Zeichen für die Stärke des
Euro, sondern vielmehr Ausdruck der Schwäche des
Dollar. Das ist gestern in beiden Anhörungsverfahren
noch einmal deutlich gesagt worden.
({0})
Das Thema, über das wir heute sprechen, ist sehr
ernst. Ich will deshalb versuchen, sehr sachlich zu argumentieren. Jeder, der Mitte der 90er-Jahre dabei war, als
wir der deutschen Bevölkerung verdeutlichen wollten,
dass der Übergang von der D-Mark zum Euro notwendig
ist, um die europäische Integration voranzubringen, der
weiß, auf wie viel Widerstand wir dabei gestoßen sind.
Viele Deutsche hatten die Sorge, wir gäben die stabile
D-Mark ab und bekämen dafür den weichen Euro. Die
Argumentation damals - bitte vergessen Sie das nicht lautete: Wir in Deutschland legen aufgrund unserer historischen Erfahrung einen gesteigerten Wert auf Stabilität. Demgegenüber gaben die anderen Länder in Europa,
insbesondere im Mittelmeerbereich, dem Thema Stabilität bei weitem nicht diese Bedeutung. Es waren der Bundeskanzler Helmut Kohl und sein Finanzminister Theo
Waigel, die deshalb diesen Stabilitäts- und Wachstumspakt erarbeitet und ihre Kollegen in den anderen Ländern davon überzeugt haben. Sie erinnern sich, begeistert waren die meisten nicht. Wir haben das sozusagen
als Deutsche aufgrund unserer Erfahrung durchsetzen
können.
({1})
Der Pakt hat sich bewährt. Ich darf nur einmal auf das
Jahr 2002 verweisen. In diesem Jahr haben acht der
zwölf Euroländer im Wesentlichen ausgeglichene Haushalte vorgelegt. Eine traurige Tatsache der jüngsten deutschen Geschichte ist, dass die Nation, die diesen Pakt
durchgesetzt hat, als erste am stärksten dagegen verstoßen hat
({2})
und dreimal nacheinander die Kriterien nicht eingehalten
hat - das vierte Mal wird es voraussichtlich in diesem
Jahr geschehen.
Bisher hat man uns immer gesagt - ich sage das mit
allem Ernst -, man werde sich bemühen, wieder unter
die 3-Prozent-Grenze zu kommen. Nun setzen sich
plötzlich der Bundeskanzler und sein Finanzminister an
die Spitze jener, die die Auffassung vertreten: Wenn wir
die Regeln nicht einhalten können, dann wollen wir die
Regeln ändern. Das ist mit Sicherheit der verkehrte Weg.
({3})
Natürlich gibt es dafür Zustimmung aus Ländern wie
Frankreich und Italien. Die hätten das damals gerne
schon so gehabt - nur: Kohl hat aufgrund seines politischen Gewichts den Pakt gegen deren Vorstellungen
durchsetzen können.
Dass unsere Argumente die Abgeordneten der Koalition nicht überzeugen, das kann ich noch einsehen und
auch, dass Sie sich nicht davon beeindrucken lassen,
dass mit Ausnahme einer überregionalen Zeitung alle
Zeitungen sehr deutlich sagen: Lasst die Hände vom Stabilitätspakt. Was Sie aber nachdenklich stimmen müsste,
ist der Tatbestand, dass sowohl die Deutsche Bundesbank, die nach wie vor eine hohe Autorität hat, als auch
die Europäische Zentralbank und alle Kreditinstitute
gestern noch einmal deutlich gesagt haben: Lasst die
Hände vom Stabilitätspakt. Sie haben dabei davon gesprochen, dass von Ihrer Politik ein falsches Signal ausgeht.
({4})
Lassen Sie mich abschließend das vielleicht wichtigste Argument im Rahmen dieser Diskussion nennen:
Die deutsche Bevölkerung ist verunsichert. Das hängt
mit den Problemen auf dem Arbeitsmarkt und auch mit
anderen Problemen zusammen, auf die ich hier nicht eingehen möchte.
({5})
- Herr Kollege Poß, die Konsequenz ist Konsumzurückhaltung. Darin liegt einer der Gründe, warum die Wirtschaft in Deutschland nicht so läuft wie im Rest der
Welt.
Ich sage Ihnen eines voraus: Wenn Sie jetzt das 3-Prozent-Kriterium aufweichen - die meisten Fachleute sagen, dass Ihre Pläne zu einer Abschaffung dieses Stabilitätskriteriums führen -, dann wird die Zurückhaltung der
Deutschen in puncto Konsum noch größer werden. Sie
tragen damit dazu bei, dass der notwendige Aufschwung
und das notwendige Wirtschaftswachstum in Deutschland weiter verhindert werden. Denken Sie im Interesse
der Zukunft unseres Landes über dieses Argument einfach noch einmal nach.
({6})
Das Wort hat der Kollege Jörg-Otto Spiller, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Euro ist die härteste Währung der Welt: im
Innern so stabil wie einst die D-Mark und - ähnlich wie
sie - auch nach außen stark und fest. Wir wollen und wir
richten unsere Politik darauf aus, dass dies so bleibt.
({0})
Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion ist
eine Zone der Stabilität. Die jährliche Inflationsrate, gemessen am Anstieg der Lebenshaltungskosten in der Eurozone insgesamt, liegt seit Bestehen dieser Währung
nahe 2 Prozent. Schon allein dieses hohe Maß an Stabilität ist ein sehr beachtlicher Erfolg.
Aber noch besser steht Deutschland da. Innerhalb des
Währungsgebietes gehört Deutschland regelmäßig zu
den Ländern mit einer besonders niedrigen Inflationsrate. Auch der Vergleich mit den Zeiten vor der Euroeinführung ist Anlass zur Genugtuung. In den 80er- und
90er-Jahren war die Inflationsrate der Bundesrepublik
im Schnitt höher als in den letzten fünf Jahren.
Die starke Stellung des Euro an den Devisenmärkten
kann niemand leugnen. In manchen oberflächlichen oder
leider auch bewusst irreführenden Kommentaren wird
sie allerdings abfällig als bloßes Spiegelbild des schwachen US-Dollar hingestellt. Herr Kollege Bernhardt, Sie
selbst haben das eben auch getan. Diese Deutung ist
falsch.
({1})
- Das macht die Sache aber nicht besser.
({2})
- Herr Bernhardt, dieser Unfug, nämlich zu behaupten,
dass die Stärke des Euro lediglich ein Spiegelbild der
Dollarschwäche sei,
({3})
wird nicht dadurch besser, dass Herr Dr. Stark, der Vizepräsident der Bundesbank, dieses gestern wider besseres
Wissen verkündet hat.
({4})
Der Außenwert des Euro hat nicht nur gegenüber dem
US-Dollar, sondern auch gegenüber allen international
wichtigen Währungen zugenommen.
({5})
Seit Einführung des Eurobargeldes am 1. Januar 2002 ist
der Wechselkurs des Euro zum Schweizer Franken um
gut 4 Prozent, zum britischen Pfund um 12 Prozent und
zum japanischen Yen um 18 Prozent gestiegen. Der Unfug, den Herr Stark gestern von sich gegeben hat, entspricht nicht der Würde seines Amtes.
({6})
Warum ist der Euro nach innen und außen so stark?
Das hat erstens ökonomische Gründe. Die Eurozone ist
alles in allem ein sehr leistungsstarker und durch lebhaften Wettbewerb geprägter Wirtschaftsraum. Die ihm angehörenden Volkswirtschaften geben insgesamt nicht
mehr aus, als sie einnehmen. In der Fachsprache der
Ökonomen ausgedrückt heißt das: Anders als die USA
verbucht die Eurozone kein Defizit, sondern einen ansehnlichen Überschuss in der Leistungsbilanz. Dies liegt
nicht zuletzt daran, dass Deutschland seit 2002 zu der
einstigen außenwirtschaftlichen Stärke der alten Bundesrepublik zurückgefunden hat. Nach einer zehnjährigen
Defizitphase in unserer Leistungsbilanz erwirtschaftet
Deutschland wieder stolze Überschüsse gegenüber dem
Rest der Welt.
({7})
Der zweite Grund, weshalb die Währung so stark ist,
sind kluge institutionelle Entscheidungen bei der Errichtung der Wirtschafts- und Währungsunion. Nach dem
Vorbild der Deutschen Bundesbank ist die Europäische
Zentralbank zur Hüterin der Währung eingesetzt worden: mit dem besonderen Status, unabhängig von Regierungen und Parlamenten zu sein, der Geldwertstabilität
besonders verpflichtet und mit dem ausdrücklichen Verbot, öffentliche Defizite zu finanzieren. Dies ist der
Hauptgrund für die Stabilität.
Dann gibt es ergänzend dazu die Verabredung: Wir
werden die öffentlichen Haushalte nur in überschaubaren Grenzen defizitär gestalten, damit es die Zentralbank
nicht so schwer hat.
({8})
Dies ist eine Ergänzung. Wenn man jetzt so tut, als sei
das der Schlüssel, ist das eine Verkennung der Tatsachen.
({9})
Herr Pinkwart, liebe Kollegen von der Union, hinzu
kommt: Ihre Politik ist nicht stimmig. Das war das
Hauptergebnis der gestrigen Anhörung. Sie haben von
den Sachverständigen zunächst einmal bescheinigt bekommen, dass Ihre Steuerkonzepte zweistellige Milliardenlöcher in die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden reißen würden.
({10})
Dann wurde Ihnen bescheinigt, dass Ihr Lippenbekenntnis zu einer strikten, mechanistischen Einhaltung
({11})
des Stabilitäts- und Wachstumspaktes
Herr Kollege, es tut mir Leid, aber auch Sie haben nur
fünf Minuten.
({0})
- überhaupt nicht zu Ihrer Finanzpolitik passt.
({0})
Der ehrenwerte Herr Stark sollte sich vielleicht einmal daran erinnern, wie hoch die gesamtstaatlichen Defizite waren, 14170
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
- als er noch der Finanzmarktrambo von Herrn
Waigel war. Sie lagen zwischen 4 und 3,5 Prozent.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen!
Das war in der Zeit, als Herr Stark Mitverantwortung
für die Finanzpolitik der Bundesregierung hatte.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Steffen Kampeter,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Der Redner der SPD hat es für nötig
befunden, sich hier in diesem Hause in herablassender
Art und Weise über die Repräsentanten der Bundesbank
zu äußern.
({0})
Ich kann Ihren Ärger, Herr Kollege Spiller, verstehen;
denn einer der zentralen Unterschiede zwischen der
Union und der SPD ist: Wir wollen eine unabhängige
Bundesbank und eine unabhängige Europäische Zentralbank.
({1})
Sie wollen, dass die Bundesbank und die Europäische
Zentralbank Ihre falsche Wirtschaftspolitik beispielsweise über eine expansive Zinspolitik finanzieren, die
die Menschen in Europa mit Inflation bezahlen werden.
Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Wir
brauchen unabhängige Zentralbanken und keine gleichgeschalteten Institutionen im Rahmen der Wirtschaftspolitik der sozialdemokratischen Bundesregierung.
({2})
Ich will an dieser Stelle auf ein Missverständnis in
den Redebeiträgen der rot-grünen Koalition hinweisen.
Wer dieser Debatte folgt, könnte den falschen Eindruck
gewinnen, dass im europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt davon ausgegangen wird, dass man jedes Jahr
ungestraft bis zu 3 Prozent des Bruttoinlandproduktes
Schulden machen kann. Wenn wir in Deutschland diese
Entwicklung zulassen würden, wären wir schon binnen
weniger Jahre bei einem Schuldenstand, der ungefähr
100 Prozent unseres Bruttoinlandprodukts entspricht.
Tatsache ist, dass nach dem europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspakt ausgeglichene Haushalte und Überschusshaushalte die Regel der Finanzpolitik sein sollten.
Flexibilität - die braucht man in der Finanzpolitik - wird
durch die Möglichkeit der Verschuldung bis zu einer
Größenordnung von 3 Prozent, bezogen auf die wirtschaftliche Leistungskraft eines Landes, gewährt.
Es ist natürlich eine völlig andere Lage, wenn man
davon ausgeht, dass man Schulden von mindestens
3 Prozent des Bruttoinlandproduktes machen darf und
hier sagt: Vielleicht können wir auch Schulden in Höhe
von 7 oder 8 Prozent machen, auch wenn die Grenze eigentlich bei 3 Prozent liegt.
({3})
- Sie haben heute Vorschläge vorgetragen, die in der
Konsequenz darauf hinauslaufen, dass wir eher bei einer
Regelverschuldung in Höhe von 7 bis 8 Prozent als bei
der Ausnahmeverschuldung in Höhe von 3 Prozent, jeweils gemessen am Bruttosozialprodukt, landen werden.
({4})
Deswegen gefährden alle Vorschläge, die darauf abzielen, dass da, wo 3 Prozent draufsteht, aber keine
3 Prozent, sondern viel mehr drin sind, die Stabilität unserer Währung. Sie führen zu Inflation und werden von
uns entschlossen abgelehnt, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({5})
Nachhaltige Finanzpolitik zielt im Kern darauf ab,
insbesondere die nachfolgenden Generationen davor zu
schützen, dass sie über Zins- und Zinseszinszahlungen in
ihren politischen Handlungsfähigkeiten eingeschränkt
werden. Die gestrigen Anhörungen haben deutlich gemacht, dass die Konsolidierung des Haushalts bei einer
fast sozialistischen Staatsquote von fast 50 Prozent
({6})
- der Staat nimmt dem Bürger von jedem Euro erst einmal 50 Cent weg - nicht auf der Einnahmeseite über höhere Steuern, sondern auf der Ausgabenseite ansetzen
muss. Dies ist die Kernaussage des europäischen Stabilitätspakts.
({7})
Deswegen sind die Unterschiede heute klar und deutlich geworden: Auf der einen Seite befinden sich Union
und FDP, die für eine regelgebundene Finanzpolitik stehen, und auf der anderen Seite die Weichspüler von RotGrün, die für Inflation und Schuldenexplosion stehen.
Um diese klare Alternative geht es heute.
({8})
Die Bürger in diesem Land wissen, dass Schulden
nicht der Ausweg aus einer finanzpolitischen Krise sind.
Schulden sind vielmehr die zentrale Ursache für die
Fehlentwicklung in den vergangenen Jahren. Wenn Sie
einen Blick über die Grenzen Deutschlands hinaus werfen, werden Sie feststellen, dass diejenigen Länder, die
sich sparsam verhalten haben, in ihrer Volkswirtschaft
höhere Wachstumsraten haben. Damit haben sie geringere volkswirtschaftliche Probleme und mehr Wohlstand
für ihre Bürger. Diejenigen, die in die Schuldenkiste geSteffen Kampeter
griffen haben, haben schlechtere Wachstumsraten und
niedrigeren Wohlstand für ihre Bevölkerung. Daher ist
es völlig klar, dass wir für den europäischen Stabilitätspakt und gegen die Weichspülerei von Rot-Grün antreten.
({9})
Abschließend ein Hinweis: Es sind nicht nur protokollarische Gründe dafür verantwortlich, dass heute kein
Vertreter des Bundeskanzleramtes anwesend ist.
({10})
- Nein, er ist inzwischen ins Auswärtige Amt abgeschoben, Herr Kollege.
({11})
- Ach, Herr Schwanitz; Sie habe ich beim europäischen
Stabilitätspakt noch nie als einen besonders kompetenten
Vertreter wahrgenommen. Aber was nicht ist, kann ja
noch werden.
({12})
Die Vorschläge des Bundeskanzlers in der „Financial
Times“ gehen weit über das hinaus, was die EU-Kommission gestern dem Deutschen Bundestag vorgelegt
hat. Sie gehen an den Kern des europäischen Stabilitätspaktes und verhindern, dass er in dem hier beschriebenen Sinne noch eine Zukunft hat.
({13})
Das ist ein Totalangriff. Es besteht ein fundamentaler
Gegensatz zwischen der Position, die heute teilweise
vorgetragen worden ist und die schön klingt, und der
Position des Bundeskanzlers Gerhard Schröder, der seinerzeit nicht für die Europäische Währungsunion gestimmt hat.
Herr Kollege, auch Ihre Redezeit ist überschritten.
Gerhard Schröder möchte jetzt den europäischen Stabilitätspakt kippen. Wir werden dies nicht durchgehen
lassen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({0})
Letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde ist der Kollege Walter Schöler, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als im vorigen Jahr der Vorgänger des jetzigen Bundesbankpräsidenten vorgetragen hat, Erlöse aus dem Goldverkauf für eine Stiftung „Bildung“ zu verwenden, war
es der Kollege Kampeter, der vehement widersprochen
hat. Er sagte damals, es könne nicht Aufgabe der Bundesbank sein, über die Verwendung von Erlösen zu entscheiden. Nur so viel zur Unabhängigkeit der Bundesbank aus Ihrer Sicht, Kollege Kampeter!
({0})
Nachdem in den letzten Tagen auch vom Statistischen
Bundesamt verbreitet wurde, das Staatsdefizit des Jahres
2004 liege bei 3,9 Prozent, lassen Sie mich eines klarstellen: Bevor man solche Ergebnisse veröffentlicht,
sollte man den Jahresabschluss abwarten. Mit dem günstigeren Jahresabschluss werden wir die Marke des Jahres
2003 von 3,8 Prozent verbessern und wohl bei 3,6 und
nicht bei 3,9 Prozent landen.
Gleichwohl sage ich Ihnen: Dieses Staatsdefizit ist
uns immer noch zu hoch. Wir haben die Marke von
3 Prozent einzuhalten; dies ist in 2004 verfehlt worden.
Das gefällt uns nicht, aber Herr Kollege Poß hat gerade
schon gesagt, dass die Opposition daran, dass wir diese
Marke verfehlt haben, ein hohes Maß an Schuld trägt, da
sie durch ihre Blockadepolitik beim Haushaltsbegleitgesetz 2004 und beim Steuervergünstigungsabbaugesetz
mögliche Einnahmeverbesserungen verhindert hat. Damit haben Sie Deutschland nachhaltig geschadet.
({1})
Hätten Sie sich anders verhalten, läge das Defizit in
2005 wahrscheinlich deutlich unter 3 Prozent; denn dies
wirkt über mehrere Jahre. Das trifft den Bund, die Länder und die Gemeinden gleichermaßen. Hätten Sie mit
Ihrer Klientelpolitik nicht immer Nein gesagt, stünden
wir heute sicherlich ein ganzes Stück besser da.
({2})
Das ist im Übrigen, Herr Professor Pinkwart, auch die
Meinung des Sachverständigenrates. Er hat Ihr Verhalten
nämlich sehr harsch kritisiert.
Nun wollen Sie den Bürgern weismachen, Kanzler
und Finanzminister wollten das 3-Prozent-Stoppschild
der EU beiseite räumen, um die Neuverschuldung hochtreiben zu können. Das ist absoluter Blödsinn.
Nun war der haushaltspolitische Sprecher der CDU/
CSU-Fraktion, Herr Austermann, heute äußerst moderat
und staatstragend
({3})
und den Kollegen Kampeter und Hintze seine übliche
Rolle überlassen. Er hat sich aber in der ihm eigenen,
fundamentalistischen Kampfrhetorik noch kürzlich dazu
verstiegen, Minister Eichel als Totengräber des Paktes
zu bezeichnen. Totengräber ist ja noch ein hochanständiger Beruf. Sie aber haben durch Ihre Blockadepolitik
dazu beigetragen, dass die Marke dieses Pakts gerissen
wurde.
({4})
Dennoch wird er nicht sterben.
Herr Hintze, Sie haben zum Schluss gesagt: Kehret
um! Sie haben vergessen zu sagen: Tut Buße! Sie werden dies demnächst als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer tun. Wenn man demnächst jahrelang Frau
Merkel als Oppositionsführerin dienen muss, ist das genug Buße. Das billige ich Ihnen durchaus zu.
Der Kollege Austermann hat im Zusammenhang mit
dem Pakt vom Totengräber und sogar vom Vaterlandsverräter gesprochen.
({5})
Herr Kollege Austermann, Sie waren schon immer sehr
eigenwillig in Ihrer Wortwahl. In Ihren Prognosen aber
haben Sie sich in den letzten Jahren erheblich vertan.
({6})
Noch im Oktober sprachen Sie von einer Neuverschuldung in Höhe von 53,4 Milliarden Euro. Es waren nicht
einmal 40 Milliarden Euro. Damit bleibt die Opposition
und mit ihr Theo Waigel der größte Schuldenmacher aller Zeiten. Das ist Ihre Rolle. Sie haben in den letzten
sechs Jahren Ihrer Regierungszeit die Verschuldung
- das ist eben unwahr dargestellt worden - um 303 Milliarden Euro gesteigert, wir dagegen in den letzten sechs
Jahren gerade einmal um die Hälfte.
Ich sage Ihnen: Wir wollen den Pakt nicht aufweichen. Nein, kein Jota soll an diesem Vertrag geändert
werden; das ist eben noch einmal deutlich geworden.
Das ist auch Inhalt der europäischen Verfassung, der wir
zustimmen werden. Aber es geht darum, dass der Beurteilungs- und Ermessensspielraum, den der Pakt heute
bereits beinhaltet, von der EU sachgerecht zugrunde gelegt wird, und zwar nicht als rigider Automatismus, wie
Sie es wollen und wie ihn die Kommission fast schon
einmal angewendet hätte, sondern unter Berücksichtigung der entsprechenden Sachverhalte.
Es ist ja schon bezeichnend, dass der Kollege
Austermann gestern im Haushaltsausschuss - das ist ja
kein Geheimnis - verlangt hat, man möge noch einmal
den Text des Paktes verteilen. Ich würde Ihnen raten, den
Vertrag aus Ihrem Bücherschrank zu holen, ihn noch einmal zu lesen und erst dann zu schwätzen - oder besser
noch: zu schweigen.
({7})
Wir stehen zu diesem Pakt. Er heißt aber mit Bedacht
Stabilitäts- und Wachstumspakt.
Herr Kollege!
Das zweite Ziel dieses Paktes, Wachstum, soll und
muss gleichberechtigt neben das Stabilitätsziel treten.
Nichts anderes ist unser Anliegen. Wir wollen den Pakt
in Zukunft einhalten.
({0})
Aber wenn Strafen drohen, muss sachgerecht abgewogen werden, was der Staat getan hat, um die Ziele zu verwirklichen, und welche Lasten er zu tragen hat.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist überschritten.
Wenn dies berücksichtigt wird, dann sind wir gemeinsam mit allen europäischen Staaten auf einem guten
Wege.
Danke schön.
({0})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die Perspektiven für Deutschland - Nationale Strategie für eine nachhaltige Entwicklung
Fortschrittsbericht 2004
- Drucksache 15/4100 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Astrid Klug, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste auf den Rängen! Wir diskutieren den Fortschrittsbericht 2004 der Bundesregierung zur nationalen
Nachhaltigkeitsstrategie. Vor etwa drei Stunden haben
wir an dieser Stelle der Flutopfer in Südostasien gedacht.
Das Ausmaß dieser Naturkatastrophe hat uns alle erschüttert: wegen der persönlichen Schicksale, die damit
verbunden waren und insbesondere in den Bildern zum
Ausdruck gekommen sind, vielleicht aber auch, weil sie
in uns das Gefühl dafür an die Oberfläche gespült hat,
wie klein diese Erde doch ist und was uns Menschen erwartet - auch hier in Europa, auch hier in Deutschland -,
wenn wir nur von heute auf morgen denken und nur von
heute auf morgen handeln. Was kann zum Beispiel passieren, wenn das Grönlandeis ins Meer rutscht und der
Meeresspiegel in kürzester Zeit um mehrere Meter
steigt, weil wir nicht rechtzeitig der Klimaveränderung
gegengesteuert haben?
Die ersten Reaktionen auf die Tsunamiflut machen
Hoffnung. Die Welt zeigt sich solidarisch und übernimmt Verantwortung, auch wir hier in Deutschland.
Alle reden von nachhaltiger Hilfe; viele organisieren sie
auch. Aber am nachhaltigsten ist Hilfe, wenn sie präventiv wirkt, wenn Weichen so rechtzeitig neu gestellt werden, dass wir Katastrophen verhindern, Armut erst gar
nicht zulassen und den nächsten Generationen mindestens die Chancen und Lebensbedingungen lassen, die
wir für uns selbst in Anspruch nehmen. Das ist wirkliche
Nachhaltigkeit: von den Zinsen leben und nicht von der
Substanz.
({0})
Deshalb gehört die nationale Nachhaltigkeitsstrategie zu den Hoffnungsschimmern. Sie setzt auf langfristige Weichenstellungen und auf Querschnittsdenken. Sie
vernetzt ökologische, ökonomische und soziale Fragen.
Was sie zweifelsohne noch braucht, ist eine bessere Verankerung in der Tagespolitik, ist mehr Mut bei der Umsetzung, sind mehr Bündnispartner für die Umsetzung
und mehr Offenheit dafür, Zielkonflikte und Wechselwirkungen, die sich durch die verschiedenen Dimensionen der Nachhaltigkeit ergeben, ehrlicher und offener zu
thematisieren.
({1})
Denn es geht sowohl um Generationengerechtigkeit,
also um die Frage, wie wir unseren Kindern, Enkeln und
Urenkeln intakte natürliche Lebensgrundlagen und genügend finanziellen Spielraum hinterlassen können, wie
Zukunftsvorsorge durch genügend und richtige Investitionen in Bildung, in Innovation und in Infrastruktur aussehen muss, als auch um Lebensqualität, um Mobilität,
um saubere Luft, um gesunde Ernährung. Es geht um
den sozialen Zusammenhalt, also um die Verteilung von
Arbeit und Perspektiven für Familien. Es geht auch um
internationale Verantwortung in einer globalisierten
Welt, um unseren Beitrag zur gerechten Verteilung von
Chancen und die weltweite Bekämpfung von Armut.
Die Nachhaltigkeitsstrategie legt die Ziele für die
nächsten Jahre und die nächsten Jahrzehnte fest und definiert Indikatoren, mit denen sich auf dieser Strecke Erfolg und Misserfolg messen lassen. Damit gibt es Kenngrößen, die für Transparenz sorgen und die Kontrolle
von Zwischenschritten möglich machen. Das ist ein
neuer Ansatz von Politikmanagement, den wir ausdrücklich begrüßen.
({2})
Die Bundesregierung hat sich verpflichtet, die 2002 beschlossene Nachhaltigkeitsstrategie regelmäßig zu überprüfen und fortzuschreiben. Die erste Zwischenbilanz
liegt nun mit dem Fortschrittsbericht 2004 vor. Er unterstreicht den Prozesscharakter der Nachhaltigkeitsstrategie und dokumentiert, dass die Bundesregierung den gestarteten Prozess ernst nimmt.
Die Bundesregierung verdient Anerkennung dafür,
dass sie diesen Weg geht. Dieser Weg ist nicht bequem;
man muss sich immer wieder selbst auf den Prüfstand
stellen. Er ist auch nicht immer populär, weil derjenige,
der die Weichen langfristig stellt, nicht sofort die Früchte
ernten und dafür den schnellen Beifall kassieren kann.
Aber dieser Weg ist verantwortlich. Er ist verantwortlicher als andere, weil durch ihn vorausschauende Politik
mehr und mehr zum Kompass werden kann, wenn wir
die richtige Umsetzung einleiten.
({3})
Nachhaltigkeit ist keine zeitlich befristete Aufgabe.
Ganz im Gegenteil: Sie ist eine Daueraufgabe für alle.
So verstehen wir auch den Auftrag des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung, den dieses
Haus im vergangenen Jahr eingesetzt hat. Gestern hat
der Beirat eine Stellungnahme zum Fortschrittsbericht
der Bundesregierung beschlossen. Dabei handelt es sich
um eine gemeinsame Stellungnahme aller Mitglieder des
Beirats, über Fraktionsgrenzen hinweg - das ist in diesem Haus alles andere als eine Selbstverständlichkeit -,
was wahrlich nicht heißt, dass es keine unterschiedlichen
Positionen gäbe. Es gibt sehr wohl unterschiedliche Auffassungen darüber, was Nachhaltigkeit tatsächlich bedeutet. Aber in wesentlichen Fragen besteht ein Grundkonsens. Das ist das Wichtige. Ich danke an dieser Stelle
allen, die daran mitgearbeitet haben, diesen Grundkonsens herauszuarbeiten und sichtbar zu machen.
({4})
Die Ergebnisse des ersten Fortschrittsberichts zeigen,
wie angesichts eines solch kurzen Bilanzierungszeitraums nicht anders zu erwarten war, Licht und Schatten.
Es gibt Themen, bei denen wir gut vorangekommen
sind, wie beim Klimaschutz, den erneuerbaren Energien
und der Energieproduktivität. Es gibt Themen, bei denen
wir auf der Stelle treten, zum Beispiel beim Artenschutz.
Und es gibt Themen, bei denen wir das Ziel - das muss
man ganz klar sagen - deutlich verfehlt haben, zum Beispiel bei der Staatsverschuldung.
Der Beirat macht Vorschläge für die Weiterentwicklung und Konkretisierung einzelner Indikatoren. Für
den Bildungsbereich empfehlen wir zum Beispiel eine
konkrete Zielsetzung, die sich stärker an der Qualität der
Bildung orientiert. Die Studienabschlussquote halten wir
für einen besseren Maßstab als die Quote der Studienanfänger. Die Flächeninanspruchnahme wollen wir nicht
nur quantitativ, sondern auch qualitativ bewertet sehen.
Beim Klimaschutz unterstützen wir die Anstrengungen
der Bundesregierung, die Treibhausgasemissionen in
Deutschland bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren, sofern die EU mitgeht und sich bereit erklärt, ihren Ausstoß um 30 Prozent zu verringern. Da dies aber noch
nicht ausreicht, fordern wir für den Klimaschutz weiter
reichende und längerfristige Zielsetzungen bis zum
Jahr 2050.
({5})
Nicht erst seit der Flutkatastrophe in Südostasien halten wir das international vereinbarte Ziel, für die Entwicklungshilfe 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens zur Verfügung zu stellen, für unverzichtbar. Auch
das Zwischenziel, die Gelder für die Entwicklungshilfe
bis 2006 auf 0,33 Prozent zu erhöhen, halten wir für
dringender denn je.
({6})
Den Koalitionsfraktionen ist außerdem wichtig, dass
der wirtschaftliche Wohlstand in Zukunft nicht nur anhand des Bruttoinlandsprodukts gemessen wird; denn zu
nachhaltigem Wohlstand gehört, dass negative Umweltund soziale Folgekosten vermieden werden. Deshalb
müssen sie in einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht, wie im BIP, positiv, sondern negativ verbucht werden.
({7})
Die inhaltlichen Schwerpunkte im Fortschrittsbericht begrüßen wir. In den Kapiteln über die Potenziale
älterer Menschen, die neue Energieversorgungsstruktur,
die Kraftstoffstrategie und die Flächeninanspruchnahme
werden wichtige Zukunftsfragen angesprochen. Was wir
jedoch kritisieren, ist, dass die Themen Biodiversität und
nachhaltige Finanzpolitik bei der Fortschreibung der
Nachhaltigkeitsstrategie nicht mehr als Schwerpunkte
genannt werden, wie es ursprünglich einmal vorgesehen
war. Beide Themen sind existenziell für künftige Handlungsspielräume. Deshalb erwarten wir von der Bundesregierung, dass beide Themen in Zukunft eine Schlüsselrolle einnehmen.
Der Beirat schlägt weitere Handlungsfelder vor, die
stärker berücksichtigt werden sollen: Bildung für eine
nachhaltige Entwicklung, Forschung und Innovation,
Prävention, Demographie sowie Infrastruktur.
({8})
Wir wollen, dass die nationalen Ziele stärker mit den
Zielen der europäischen Nachhaltigkeitsstrategie vernetzt werden und dass auch die Konsummuster der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie ihre Auswirkungen auf die nachhaltige Entwicklung eine größere Rolle
spielen.
Mit „Perspektiven für Deutschland“ ist die nationale
Nachhaltigkeitsstrategie überschrieben. In den vergangenen zwei Jahren haben die Koalitionsfraktionen und die
Bundesregierung mit zahlreichen Maßnahmen - vom
Klimaschutz über Gesundheit, Bildung und Familie bis
zur Arbeitsmarkt- und Innovationspolitik - die Perspektiven für Deutschland verbessert, indem Probleme eben
nicht ausgesessen und verdrängt, sondern angepackt
wurden. Ich sage an dieser Stelle offen und selbstkritisch: Ich hätte mir gewünscht, dass auch die Ziele der
Agenda 2010 stärker unter dem Gesichtspunkt der nachhaltigen Entwicklung diskutiert und kommuniziert worden wären; ich glaube, wir haben da Chancen ausgelassen, Menschen auf dem Weg in Richtung nachhaltige
Entwicklung mitzunehmen.
({9})
Die Schritte zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie müssen entschiedener und mutiger werden. Dabei
trägt das Parlament eine besondere Verantwortung. Wir
fordern deshalb mit dem Beirat einen ehrlichen Nachhaltigkeitscheck für Gesetzesvorhaben und eine regelmäßige Generationenbilanzierung, die die Lastenverteilung
zwischen den Generationen sichtbarer und transparenter
macht und als Richtschnur für Entscheidungen dienen
kann.
Ich danke der Bundesregierung, dem Kanzleramt und
allen beteiligten Ministerien für die Arbeit, die in diesem
Fortschrittsbericht steckt. Ich danke auch dem Nachhaltigkeitsrat für viele wichtige Anregungen, die den
Fortschrittsbericht bereichert haben - Stichworte „Nachhaltigkeit und Gesellschaft“ oder „Flächeninanspruchnahme“. Ich danke auch den vielen Initiativen, den Unternehmen, den Bürgern vor Ort, die sich für eine
nachhaltige Entwicklung engagieren. Denn Nachhaltigkeit braucht einen langen Atem und Nachhaltigkeit
braucht viele Mitstreiter. Darauf setzen wir.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Helge Braun.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Bundespräsident hat heute hier im Rahmen
des Staatsaktes, bei dem der Opfer des Tsunami gedacht
wurde, deutlich gemacht, dass er sich sorgt: um die Gefahr, dass auch uns einmal eine Naturkatastrophe ereilen
könnte, die Folge von durch Menschen verursachter
Umweltzerstörung ist. Diese Sorge nimmt die CDU/
CSU-Fraktion ernst und sie macht es sich zur Aufgabe,
an einer Politik mitzuwirken und auf eine Politik hinzuwirken, die langfristig die ökologischen Ressourcen unseres Planeten hier vor Ort, aber auch global sichert.
Dazu braucht es eine ausgewogene Politik. Eine solche Politik darf aber nicht im Widerspruch zu den
Säulen der Nachhaltigkeit stehen, die es neben der
Ökologie gibt, die soziale und die ökonomische Nachhaltigkeit. Die Erfahrung der letzten Jahre in Deutschland ist, dass im Rahmen der wirtschaftlichen Not und
der schwieriger werdenden wirtschaftlichen Verhältnisse
der Menschen die Bedeutung der Themen Umwelt, Naturschutz, nachhaltiger Lebensstil immer mehr in den
Hintergrund tritt. Deshalb ist der jetzt vorliegende Fortschrittsbericht der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung ein wichtiger Anlass, darüber zu entscheiden
und zu befinden, ob die eingeschlagenen Wege richtig
sind.
Die Zielsetzung, eine nachhaltige Entwicklung in
Gang zu setzen und fortzusetzen, ist richtig. Die Frage
sei erlaubt: Wird der Fortschrittsbericht dem Anspruch,
Perspektiven für Deutschland aufzuzeigen, auch gerecht? Hören wir dazu die Experten: Am 28. Oktober
2004 haben die Umweltverbände Deutscher Naturschutzring, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland und Naturschutzbund Deutschland in einer gemeinsamen Pressekonferenz den Fortschrittsbericht der
Bundesregierung zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie
bewertet. Ich zitiere den Präsidenten des Deutschen Naturschutzrings, Herrn Weinzierl:
Die Bundesregierung hat in den vergangenen Monaten mehrfach zugesichert, die Themen Bildung,
biologische Vielfalt und Finanzpolitik in den kommenden zwei Jahren als Schwerpunkte zu behandeln. Die entsprechenden Passagen wurden jedoch
kurzerhand aus dem Fortschrittsbericht gestrichen.
So macht sich Rot-Grün unglaubwürdig und erschwert den gesellschaftlichen Dialog über diese
wichtigen Themen.
({0})
Weiter heißt es:
Es ist keine klare Strategie zu erkennen, wie die
Bundesregierung in den kommenden Jahren ihren
langfristigen Nachhaltigkeitszielen näher kommen
will.
Was heißt diese Botschaft für die nächste Generation?
Zukunftsthemen werden in der Nachhaltigkeitsdebatte
von der Bundesregierung nicht besetzt und eine klare
Strategie fehlt an vielen Punkten. Besonders deutlich
wird das an dem heute auch hier schon diskutierten
Thema der Staatsverschuldung. Im Fortschrittsbericht
findet sich dazu eine dreiviertel Seite mit allgemeinen
Bekenntnissen. Ich zitiere aus dem Fortschrittsbericht:
Eine vergleichbare, drei Jahre anhaltende Konjunktur- und Wachstumsschwäche gab es seit Gründung
der Bundesrepublik Deutschland nicht. Wirtschaftliche Stagnation und hohe Arbeitslosigkeit haben
ihre Spuren in den öffentlichen Haushalten hinterlassen. So kam es … zu einer erstmaligen Überschreitung der Maastrichter 3-%-Defizitgrenze.
Diese Überschreitung war aus konjunkturpolitischer Sicht geboten …
Das war eine Aussage des Fortschrittsberichts zur finanziellen Zukunft Deutschlands. So etwas wird der jungen
Generation und ihrem Anspruch auf Nachhaltigkeit - darum geht es nämlich eigentlich - nicht gerecht. Die
junge Generation will gleichwertige Lebensbedingungen
vorfinden und gegenüber der Generation von heute gleiche Chancen für eine gleich gute Entwicklung haben.
({1})
Die CDU/CSU-Fraktion stimmt mit Ihnen überein,
dass die bisherigen Kriterien für wirtschaftliches Wachstum allein nicht ausreichen, um die langfristigen Entwicklungen im Sinne eines vernünftigen Indikatorenmodells gut bewerten zu können. Umso erstaunlicher ist es,
dass sich in dem Fortschrittsbericht zu den Themen Bildung, Forschung und Innovation praktisch überhaupt
nichts findet - und das, obwohl die Bundesregierung in
dieser Woche das Einstein-Jahr ausgerufen hat. Bildung,
Forschung und die zukunftsweisenden Technologien
sind die Bereiche, in denen die Arbeitsplätze von morgen für die nächste Generation entstehen. Wissen ist das
wichtigste Kapital, um die Chancen der Globalisierung
auch in Deutschland für uns nutzbar zu machen.
Im Fortschrittsbericht heißt es, Ziel der Bundesregierung sei es, möglichst allen Jugendlichen einen Ausbildungs- oder Studienplatz zur Verfügung zu stellen. Es
wird darauf verwiesen, dass es mehr Studienanfänger als
noch vor zwei Jahren gibt. Gleichzeitig stellen wir aber
fest, dass in allen Bereichen der Gesellschaft eine Debatte darüber geführt wird, wonach wir im internationalen und immer stärker werdenden Wettbewerb um Bildungs- und Studienchancen ins Hintertreffen geraten.
Die PISA-Studie ist dabei nur ein Stichwort. Das Gebot
einer Politik, die das Prädikat der Nachhaltigkeit wirklich verdient, muss es sein, die Anstrengungen in der
Forschung zu verstärken; denn bei der Forschung geht es
nicht nur um die Arbeitsplätze von morgen, sondern in
der Forschung steckt auch die Chance, dass wir Wachstumseffekte erzielen können, die von dem Verbrauch
von Ressourcen, Umwelt und Natur abgekoppelt sind.
Ein weiterer Punkt im Rahmen der Nachhaltigkeitsdebatte betrifft ein Thema, das der Bundesrechnungshof
vor kurzem aufgegriffen hat. Der Nachhaltigkeitsbeirat
muss die Themen Bürokratie und Gesetzesfolgenabschätzung auf seine Agenda setzen. Denn: Nach Aussagen des Bundesrechnungshofes wendet die Gesamtwirtschaft 46 Milliarden Euro im Jahr allein für
übermäßige bürokratische Regelungen auf. 84 Prozent
der Kosten dafür haben mittelständische Unternehmen
zu tragen. Das ist der Bereich, in dem in Deutschland die
meisten Arbeits- und Ausbildungsplätze geschaffen werden.
Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung hat in seiner Stellungnahme weit über das hinaus,
was die Bundesregierung in ihrem Fortschrittsbericht
formuliert hat, Handlungsaufforderungen formuliert, die
dazu dienen sollen, in einer wahrhaft langfristigen strategischen Politikgestaltung die Nachhaltigkeit in allen ihren drei Säulen zu verwirklichen. Die CDU/CSU-Fraktion wird sich ökologisch, sozial und ökonomisch
intensiv für eine nachhaltige Politik einsetzen.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Winfried
Hermann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Braun, Sie haben Recht: In Sachen
Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeitsstrategie stehen wir
unter einer kritischen Beobachtung. Die Umweltverbände, die Sie zitiert haben, haben uns das Zeugnis
ausgestellt, das wir in den letzten Jahren in einigen
Bereichen - etwa bei der Energieversorgung, beim
Klimaschutz, beim Verbraucherschutz, in der Landwirtschaft oder auch im Bereich der sozialen Sicherungssysteme - wirklich wichtige Weichenstellungen vorgenommen haben.
({0})
Ich sage gleich selbstkritisch dazu: Der ganz große
Strategiewechsel in allen Politikfeldern hin zur Nachhaltigkeit - das haben auch Sie gesagt und diese Einschätzung teile ich - ist noch nicht gelungen. Das liegt aber
auch daran, dass die Nachhaltigkeit eine sehr große und
langfristige Aufgabe ist. Es ist - das ist auch im Beirat
Konsens - eine Aufgabe für Marathonläufer. Um das zu
erreichen, was uns vorschwebt, braucht man Jahre, wenn
nicht gar Jahrzehnte.
Was sind die Gründe dafür, dass es so langsam vorangeht? Wir müssen anerkennen, dass mit dem schönen
Begriff der Nachhaltigkeit die alten Interessenkonflikte
in der Politik nicht einfach verschwinden. Auch die
Fraktionen müssen sich selbstkritisch fragen: Sind wir
tatsächlich immer der Anwalt der Nachhaltigkeit und der
Langfristperspektive? Oder ist es nicht oft so, dass sich
auch in den Fraktionen immer wieder die Lobbyinteressen der alten Strukturen, der Industrien und des Mittelstands, die unter Umständen sehr engstirnig sein können
und nicht der Nachhaltigkeit entsprechen, durchsetzen?
({1})
Ursächlich sind also widerstreitende Interessen, Ressortborniertheit in den Parteien und Fraktionen sowie
manchmal auch ein fehlender Zusammenhang in den
verschiedenen Politikfeldern. Nicht zuletzt ist es so, dass
man sich in der Politik und damit auch im Parlament zu
sehr an der vierjährigen Legislaturperiode orientiert. Das
ist, bezogen auf die Nachhaltigkeit, sehr kurzfristig.
Der Bundesregierung ist es meines Erachtens mit der
Erarbeitung der Nachhaltigkeitsstrategie gelungen, dieses Defizit innerhalb des Regierungsapparates Stück für
Stück zu überwinden und abzubauen. Man muss einfach
wissen, dass es in der Zeit, bevor das rot-grüne Kabinett
seine Arbeit aufnahm, sehr wenig Ressortabstimmung
und schon gar keinen Bezug auf ein Gesamtkonzept der
Nachhaltigkeit gab. Seit wir uns damit beschäftigen, sind
die Ressorts gezwungen, ihre eigenen Politikfelder mit
denen der anderen zu verweben und sich an dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit zu orientieren.
Der Fortschrittsbericht macht auch Folgendes deutlich: Wenn man sich die Indikatoren anschaut, um zu
überprüfen, ob wir auf dem richtigen Weg sind, dann
zeigt sich an vielen Punkten, dass wir in die richtige
Richtung gehen. Das sieht auf den ersten Blick recht gut
aus. Aber bei genauerer Betrachtung der Lage muss man
doch feststellen, dass wir zwar auf der richtigen Spur,
aber viel zu langsam sind. In den meisten Fällen werden
wir mit dem bisherigen Tempo nicht schnell genug da
hinkommen, wo wir hinkommen wollen. Beispiele dafür
sind der Ressourcenschutz, der Klimaschutz, die Innovationen oder der ökologische Landbau. Überall sind wirklich große Fortschritte festzustellen, aber gemessen an
den globalen Herausforderungen und an den absolut notwendigen Zielen sind wir einfach noch zu langsam.
Vielfach wurde kritisiert, dass wir den Nachhaltigkeitsbegriff und die Strategie - so habe ich den Beitrag
des Kollegen Braun ein Stück weit verstanden - zu ökologisch deuten. Aber ich finde, dass die Bundesregierung
mit ihrem Ansatz klar gemacht hat, dass sie alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit berücksichtigen will. Anstatt nach dem Motto „hier ein bisschen sozial und da ein
bisschen ökologisch“ vorzugehen, hat man Querschnittsthemen formuliert und Nachhaltigkeitsziele deutlich gemacht - sozialer Zusammenhalt, Lebensqualität, globale
Verantwortung, Generationengerechtigkeit -, anhand derer man diese Dimensionen verschnürt.
({2})
Ein Wort zu den Zielen. Astrid Klug hat gesagt: Eine
ganze Reihe von Zielen wird unterstützt. Aber wir mussten auch feststellen, dass die Ziele nicht konsistent sind
oder dass es nicht in allen Bereichen kurz-, mittel- und
langfristige Ziele gibt. Auch sind die Zielzeitperspektiven nicht überall gleich. Mal sind es fünf Jahre, mal sind
es zehn Jahre. Ich meine, eine gute Strategie müsste systematisch und konsequent sein und zwischen den verschiedenen Zielen unterscheiden. Zu kritisieren ist auch
- darin unterstütze ich den Kollegen Braun -, dass in
manchen Bereichen, etwa im Bildungssektor, auf falsche
Ziele bzw. Indikatoren gesetzt wird. Die Studienanfängerquote sagt eigentlich nichts aus. Entscheidend ist die
Abschlussquote. Solche Quoten sagen zudem nichts
über die Qualität der Ausbildung aus. Wir brauchen auch
eine Aussage darüber, ob unser Bildungs- und Forschungssystem wirklich nachhaltig ist. Es geht nicht nur
um formale Abschlüsse, sondern es muss sich auch etwas an der Qualität der Bildung ändern. Es gilt also, die
Lücken zu schließen. Wir haben in unserem eigenen Bericht deutlich gemacht, wo es langgehen könnte.
Wir haben ein Problem, die Strategie zu kommunizieren. Das ist ganz offenkundig. Die Öffentlichkeit und die
Medien nehmen die Nachhaltigkeit zu wenig wahr. Wir
hatten auf einer Fraktionsveranstaltung Friedrich
Küppersbusch zu Gast, den manche aus vergangenen Tagen aus den Medien kennen. Wir haben ihm die Frage
gestellt: Warum transportieren Medien das Thema nicht?
Er hat gesagt: Das ist eigentlich offensichtlich. Medien
sind orientiert an Konflikten, an Personalisierung, an
einfachen und schnellen Antworten, möglichst tagesaktuell. - Das alles sind Elemente, denen Nachhaltigkeitsbegriff und -strategie entgegenstehen. Das macht es auch
so schwer, das Thema zu transportieren. Trotzdem müssen wir darauf bestehen, dass auch Medien Verantwortung in der gesellschaftlichen Debatte haben. Sie müssen
dafür sorgen, dass dieses Thema in die Gesellschaft hineingetragen wird.
({3})
Als Politiker bzw. Politikerinnen haben wir auch eine
Verantwortung. Nehmen wir das Beispiel Agenda 2010.
Es bestand die Chance, die Agenda 2010 mit der
Agenda 21, mit dem Konzept der nachhaltigen Entwicklung, zu verknüpfen. Ich unterstütze ausdrücklich die
Aussagen von Astrid Klug. Wenn Politik in diesem Zusammenhang zunehmend die Agenda 2010 als eine Arbeitsvermittlungsstrategie, eine Kosteneinsparstrategie
oder als Strategie kommuniziert, wie wir das Arbeitslosengeld II organisieren, dann trägt sie dazu bei, dass das
eigentliche Konzept verkürzt wird. Als geneigter Bürger
- oder auch nicht - hat man schließlich den Eindruck:
Das Einzige, was die Agenda 2010 und die Agenda 21
gemeinsam haben, ist das schicke Wort „Agenda“. Unsere Aufgabe wird es sein, den Anstoß zu liefern, dass
das Konzept der Agenda 21 mit den Sozialreformen zusammengedacht wird und darüber hinaus deutlich gemacht wird, dass die Agenda 21 weit mehr bedeutet als
die Klärung der Finanzfragen der sozialen Sicherungssysteme.
({4})
Im Fortschrittsbericht der Bundesregierung wurden
neue Schwerpunkte gesetzt: Klima schützen, Energie
effizient nutzen, gesund produzieren, gesund ernähren,
Mobilität sichern, globale Verantwortung übernehmen.
All dies sind Punkte, an denen man deutlich machen
kann, dass es eben nicht nur um abstrakte Handlungsfelder und Ziele geht, sondern um ganz konkrete Aufgaben.
Das waren klug gewählte Schwerpunkte. Es macht Sinn,
dass man im Rahmen einer solchen Strategie nicht alles
auf einmal versucht. Ansonsten erweckt man den Eindruck, dass man zwar die Planwirtschaft der DDR überwunden hat, aber über die Nachhaltigkeitsplanung an
eine neue Form der Planbarkeit der Gesamtgesellschaft
denkt. Das darf nicht sein. Wir müssen Schwerpunkte
setzen und diese unter klaren strategischen Perspektiven
angehen.
Hierzu gehört zum Beispiel die klare Zielformulierung beim Klimaschutz. Ich begrüße, dass die Reduzierung von Treibhausgasen um 40 Prozent angestrebt
wird, sage aber für meine Fraktion dazu: Wer wirklich
globale Verantwortung trägt, der sollte sich nicht damit
herausreden, dass er auf die Verantwortung anderer verweist. Er muss sie vielmehr selbstständig und unabhängig tragen und trotzdem die anderen in Europa auffordern, mit uns mitzuziehen.
Der neue Schwerpunkt „Potenziale älterer Menschen
in Wirtschaft und Gesellschaft“ gefällt uns gut, denn damit kommt man weg vom Jammern über das Altwerden
hin zum Überlegen, was wir tun müssen, um positive Ergebnisse zu erreichen. Bei der Energiepolitik geht es
auch um neue Strukturen, um alternative Treibstoffe und
neue Antriebstechnologien. Wir formulieren dazu den
Kernsatz: Weg vom Öl! - Das sind, Kollege Braun,
wirkliche Zukunftsaufgaben. Sie sind schon etwas arg
kurzsichtig, wenn Sie all diese Themen nicht als Zukunftsaufgaben ansehen.
({5})
Man mag zwar sagen, dass das nicht ausreicht. Bildung
und Innovation sind wichtig - keine Frage -, aber auch
in diesem Bereich werden wichtige Zukunftsaufgaben
angesprochen, die wir deutlich unterstützen wollen.
Wir bedauern, dass der Bereich Biodiversität herausgefallen ist. Wir bedauern, dass die ökologische Finanzreform nicht zu den neuen Schwerpunkten gehört. Klar
ist: Wer für diesen Bereich keine nachhaltige Antwort
findet, der kann keine funktionierende nachhaltige Strategie präsentieren. Ich füge aber gleich hinzu: Wir hängen nicht der einfachen Vorstellung an, dass es bei der
ökologischen Finanzreform nur um die Frage der Staatsfinanzen und Verschuldung geht. Das Thema ist komplexer. Es geht nicht nur darum, welche Einsparungen wir
heute vornehmen können, damit für die nachfolgenden
Generationen etwas übrig bleibt, sondern auch darum,
welche Zukunftsinvestitionen wir heute tätigen, damit
deren Chancen gewahrt bleiben. Beide Aspekte müssen
zusammen bedacht werden, um die Nachhaltigkeit zu
gewährleisten.
Zum Ausblick: Wir haben uns vorgenommen, einige
weitere Denkanstöße zu geben. Wichtig ist unserer Meinung nach nicht nur, dass der Beirat ein kritischer Begleiter der Bundesregierung ist - das werden wir weiterverfolgen -, sondern wir müssen auch neue Aufgaben
angehen und damit die gesellschaftliche Debatte anstoßen. Wir müssen einen Beitrag zur Klärung der Frage
leisten, wie wir unter dem Gesichtspunkt des demographischen Wandels zukünftig die Infrastruktur organisieren und finanzieren können. In diesem Zusammenhang
stellt sich die Frage, was wir wie auch die Kommunen
uns noch leisten können. Wir müssen uns auch die Frage
stellen, wie wir Versorgungssicherheit etwa bei den
Treibstoffen und Energiestoffen realisieren können.
Ich meine, wir sollten uns auch einer weiteren
schwierigen Frage stellen, die im Parlament und in der
Politik zu wenig diskutiert wird -
Herr Kollege, Sie haben Ihre Redezeit schon deutlich
überschritten.
Ich komme zum Schluss. - Wir müssen uns auch der
schwierigen Frage stellen, was wir weiterentwickeln
wollen: Wo wollen wir wachsen und wo nicht? Wie sieht
ein nachhaltiges Entwicklungskonzept für die Gesellschaft aus?
Ich komme jetzt zum Schluss.
Nein. Das ist, glaube ich, ein guter Schlusssatz gewesen, den sicherlich jeder verstanden hat.
({0})
Wenn die Präsidentin das als guten Schlusssatz bezeichnet, dann bedanke ich mich.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Michael Kauch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dem
Parlamentarischen Beirat ist es trotz der gerade in den
Bereichen Finanzen und Soziales nach wie vor bestehenden Unterschiede gelungen, sich in wichtigen Zukunftsfragen fraktionsübergreifend auf Zielsetzungen zu einigen. Das möchte ich vorausschicken; denn das ist
wichtig für unser Land. Regierungen kommen und gehen, aber die Fragen der Nachhaltigkeit haben einen
Zeithorizont von Jahrzehnten und betreffen deshalb das
ganze Haus und seine Strategien.
({0})
Nachhaltigkeit darf aber auch keine neue Verpackung
für sozialromantische Ideen oder alten Ökodirigismus
sein. Wir Liberale legen beim Thema Nachhaltigkeit den
Schwerpunkt auf Generationengerechtigkeit. Auch künftige Generationen haben ein Recht auf faire Lebenschancen, und zwar ökologische, aber auch soziale, finanzielle
und wirtschaftliche.
Generationenbilanzen stellen in diesem Kontext ein
wichtiges Instrument dar, um die Leistungen, aber auch
die Lasten für kommende Generationen transparent zu
machen. Sie schaffen Bewusstsein für die Überlastung
der jungen Generation und schaffen die Grundlage für
eine Generationenverträglichkeitsprüfung in der Gesetzgebung. Es freut mich, dass es auf Initiative der FDP gelungen ist, die Forderung nach Generationenbilanzen in
der Stellungnahme des Parlamentarischen Beirats zu
verankern.
({1})
Erlauben Sie mir als Oppositionspolitiker und angesichts der für die Liberalen knappen Redezeit, die Kritikpunkte der FDP an der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung in den Mittelpunkt zu stellen.
Stichwort Staatsfinanzen: Die jährliche Neuverschuldung und der Umgang mit den Maastricht-Kriterien sind
schon skandalös genug. Doch noch schlimmer ist die
Weigerung der Bundesregierung, entgegen früher geäußerten Plänen, die finanzielle Nachhaltigkeit zu einem
Schwerpunkt des nächsten Fortschrittsberichtes zu machen.
({2})
Das heißt im Klartext: Eichel ist nicht zur Umkehr bereit, sondern stellt die Rechnung auf kommende Generationen aus.
({3})
Zur Finanzpolitik gehört auch eine wachstumsorientierte Steuerpolitik. Denn die Investitionen und das
Wachstum von heute sind die Arbeitsplätze und der
Wohlstand von morgen. Dass Rot-Grün keine weiteren
Steuersenkungen will, wussten wir. Doch auch die CDU/
CSU hat es im Parlamentarischen Beirat abgelehnt, gemeinsam mit der FDP für Steuersenkungen zu plädieren.
Das offenbart die ordnungspolitische Orientierungslosigkeit der Union.
({4})
Stichwort „Demographie“: Wenn wir bei der Rentenversicherung, der Pflegeversicherung und im Gesundheitsbereich weiter mit halbherzigen Reformen arbeiten, die nur kurzfristig Luft verschaffen, wird
entweder meine Generation im Alter unterversorgt sein
oder werden die kommenden Generationen durch explodierende Beiträge überlastet. Für uns Liberale ist klar:
Nur Reformen der sozialen Sicherungssysteme, die in
Richtung Kapitaldeckung gehen, sind tatsächlich nachhaltig.
({5})
Auch die ökologische Bilanz des Fortschrittsberichts
fällt zwiespältig aus. Die Bundesregierung hat sich
klammheimlich von dem nicht mehr erfüllbaren nationalen CO2-Ziel verabschiedet. Die Anteile des Schienenverkehrs und der Binnenschifffahrt am Güterverkehr sinken. Der Index für die Luftreinhaltung hat sich ebenfalls
verschlechtert. Manche Innovationen für Umwelt und
Gesundheit werden vernachlässigt. Ich möchte das an
zwei Beispielen deutlich machen. Wasserstoff als Kraftstoff und Speichermöglichkeit für regenerative Energien
ist eine Technologie, der langfristig die Zukunft gehört
bzw. gehören muss, wenn wir es mit dem Slogan „Weg
vom Öl“ ernst meinen, Herr Hermann; denn die derzeitige Abhängigkeit von Öl und Gas ist schlecht für das
Klima und langfristig ein Risiko für die wirtschaftliche
Stabilität unseres Landes. Doch statt eine Vision zu entwickeln und politische Impulse zu geben, beschränkt
sich der Fortschritt der Bundesregierung beim Wasserstoff auf richtige, aber wirkungslose Analysen. Das entspricht der einseitigen Ausrichtung der grünen Parteistrategie auf Biokraftstoffe. Doch die Energie vom
Acker wird allein nicht den notwendigen Ausgleich
schaffen, um das Öl zu ersetzen. Dafür fehlt es schon an
ausreichenden Anbauflächen.
({6})
Während wir noch analysieren, investieren Länder wie
die USA oder Japan inzwischen Milliarden Dollar in die
Entwicklung der Wasserstofftechnologie. Erneut droht
Deutschland den Anschluss bei einer Zukunftstechnologie zu verlieren. Es ist deshalb Zeit, engagierter als bisher zu handeln.
({7})
Kommen wir zur Landwirtschaft. Erfreulicherweise
haben wir im Parlamentarischen Beirat gemeinsam festMichael Kauch
gehalten - ich finde, das ist für Rot-Grün eine bemerkenswerte Entwicklung -, dass die alleinige Ausrichtung
auf den Flächenanteil des ökologischen Landbaus unzureichend für eine nachhaltige Entwicklung ist. Die FDP
sagt darüber hinaus: In der Forstwirtschaft brauchen wir
eine nachhaltige und erwerbsorientierte Bewirtschaftung
der Wälder. Außerdem brauchen wir die Grüne Gentechnik. Sie wird uns bei der Entwicklung schädlingsresistenter Pflanzensorten helfen und den Einsatz von Pestiziden zurückdrängen.
({8})
Nicht die Bekämpfung, sondern die Förderung der Grünen Gentechnik ist ein Beitrag zu einer nachhaltigen
Entwicklung.
({9})
Der Fortschrittsbericht zeigt, dass noch eine Menge
zu tun ist. Die FDP-Bundestagsfraktion wird engagiert
daran mitarbeiten, dass wir in den künftigen Beratungen
des Parlamentarischen Beirates und in den Ausschüssen
zu einer nachhaltigen Entwicklung kommen. Ich danke
ausdrücklich allen Kollegen, die sich im Parlamentarischen Beirat für gemeinsame Lösungen eingesetzt haben, soweit das politisch möglich war. Ich danke außerdem dem Sekretariat für seine engagierte Arbeit. Wenn
wir auf diesem Weg weitermachen, können wir tatsächlich fraktionsübergreifend einen Schritt vorankommen.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Dr. Maria
Flachsbarth.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Spätestens seit Ende der 80er-Jahre versteht man
Nachhaltigkeit im Rahmen des Drei-Säulen-Modells,
nämlich als Gesamtpaket aus sozialen, ökonomischen
und ökologischen Faktoren. Ziel ist dabei, der Politik
eine Gesamtschau zu ermöglichen, welche die Interessen
zwischen Wirtschaft und Umwelt sowie zwischen Wirtschaft und Sozialem nicht mehr als Gegensätze begreift.
Leider ist diese Chance von der Bundesregierung in ihrem Fortschrittsbericht 2004 nicht wahrgenommen worden.
({0})
In dem Bericht wird der Fokus zwar auf die ökologische
Entwicklung gerichtet. Doch die anderen Säulen der
Nachhaltigkeit kommen dabei zu kurz. Beispielsweise
bekommt der Flächenverbrauch ein eigenes Kapitel. Die
Staatsverschuldung wird dagegen auf einer Seite abgefrühstückt.
({1})
Zudem lässt der Fortschrittsbericht eine weitere zentrale Forderung der Nachhaltigkeit nahezu außer Acht:
den Bedürfnissen der heutigen Generation zu entsprechen, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu
gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, also
die Frage der Generationengerechtigkeit.
Ein genauerer Blick auf die verwaisten Säulen sei mir
daher gestattet. Wie steht es um die Staatsverschuldung? Allein 2004 wurden auf Bundesebene 39,5 Milliarden Euro neue Schulden angehäuft. Die Bundesregierung verwies in der letzten Woche stolz darauf, dass das
4 Milliarden Euro weniger seien als geplant. Ursprünglich geplant waren 29,3 Milliarden Euro und der Rest
kam aus dem Nachtragshaushalt. Ist es tatsächlich generationengerecht, die politische Handlungsfähigkeit zukünftiger Generationen immer mehr einzuschränken, indem wir unsere heutigen Probleme mit ungedeckten
Schecks auf die Zukunft bezahlen?
({2})
Der Bund zahlt 2004 37,7 Milliarden Euro Schulden.
Dagegen stehen 24,6 Milliarden Euro Investitionsmittel.
Hier wird wesentlich mehr Geld in die Vergangenheitsbewältigung gesteckt als in die Ausrichtung der Zukunft.
({3})
Vorschläge zur Behebung der strukturellen Defizite
sucht man im Nachhaltigkeitsbericht wie auch in der aktuellen Regierungspolitik vergeblich. Nehmen wir nur
den Vorschlag der Bundesregierung, die MaastrichtKriterien zu „reformieren“. Da warnt die Bundesbank:
Der Pakt stellt keine ökonomische „Zwangsjacke“
dar …
Als bitteren Schlusssatz fügt sie hinzu:
Kurzfristige haushaltspolitische Erleichterungen
dürfen nicht auf Kosten künftiger Generationen erkauft werden.
Da ist es wieder: das Stichwort der Generationengerechtigkeit, das im bundesdeutschen Staatshaushalt kaum
eine Rolle spielt.
Doch auch die Vorschläge zur Einnahmenerhöhung
durch Steuererhöhungen, wie sie in regelmäßigen Abständen, so auch jüngst wieder, aus Kiel zu hören waren,
sind nicht zukunftsorientiert.
({4})
Ihre Umsetzung nähme den Menschen nämlich noch
mehr Handlungsfreiheit und würde die Binnennachfrage
zudem noch stärker bremsen. Daher hat der Kanzler diesen Vorschlag schnell einkassiert.
Demographische Entwicklung und Familienförderung sind ein weiteres Thema, welches vom Nachhaltigkeitsbericht lediglich gestreift wird, obwohl es zu den
wichtigsten derzeitigen Fragen überhaupt gehört.
Deutschland ist laut einer Studie der Weltbank über Geburtenraten von 190 Staaten auf dem 185. Platz; die Geburtenrate in Deutschland liegt bei 1,3 Kindern pro Frau.
Der Bericht sieht die Lösung dieser Problematik hier
vor allen im Ausbau der staatlichen Kinderbetreuung.
Dies allein geht jedoch an den Wünschen und an den
Problemen der Menschen vorbei.
({5})
Aktuelle Umfragen sowohl vom Allensbach-Institut als
auch von Forsa geben andere Hinweise. Nach Forsa geben 44 Prozent der Befragten als Grund für ihre Kinderlosigkeit an, keinen geeigneten Partner zu haben. Ich
gebe zu: Da sind wir Politiker ziemlich hilflos. Aber
77 Prozent geben an, sich an der mangelnden Kinderfreundlichkeit der Gesellschaft zu stoßen. Ebenso viele
Befragte fordern mehr Anerkennung der Erziehungsleistung. Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, haben daher schon im Rahmen der Beratungen zum Rentenversicherungsnachhaltigkeitsgesetz im vergangenen Frühjahr
die schrittweise Einführung eines Kinderbonus von
50 Euro pro Kind und Monat im Rahmen der Rentenversicherungsbeiträge gefordert - leider ohne Erfolg.
({6})
39 Prozent der Kinderlosen nennen zudem Angst um
den Arbeitsplatz. Grund hierfür ist natürlich die katastrophale Lage auf dem Arbeitsmarkt. 2004 gingen 430 000
sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verloren.
Die Zahl der Arbeitslosen erhöhte sich um nahezu
150 000 Menschen. Es steht zu befürchten, dass sich an
dieser Lage nichts ändert, weil nach der Reform der Arbeitsverwaltung keine Reform des Arbeitsmarktes, des
Kündigungsschutzes oder des Tarifrechts zur Ermöglichung betrieblicher Bündnisse für Arbeit folgt.
Bei Allensbach geben nur 14 Prozent der kinderlosen
Frauen an, die unzureichenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten seien Grund dafür, auf eigene Kinder zu verzichten. Der Ausbau der Ganztagsbetreuung allein ist
also - wie im Nachhaltigkeitsbericht jedoch so verwendet - kein geeigneter Indikator für eine Familienperspektive.
({7})
- Sie äußern sich so.
Der Nachhaltigkeitsbericht sagt hier somit nichts über
den tatsächlichen Stand der Familienentwicklung in
Deutschland aus. Nur am Rand sei angemerkt, dass das
Kindertagesstättenausbaugesetz, in dem die Bundesregierung ihr Heil sucht, allein schon deshalb nicht nachhaltig wirkt, da es unseriös finanziert ist und den Ländern und Kommunen einseitig Belastungen auflegt, wie
selbst die rot-grün regierten Länder Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein in den Beratungen des TAG
im Bundesrat in einem Antrag formuliert haben.
({8})
Selbstverständlich ist der Ausbau der Kindertagesbetreuung wichtig. Insbesondere der Ausbau der Tagespflege
bietet Frauen und Männern individuelle Möglichkeiten,
Beruf und Familie besser miteinander zu vereinbaren.
Eine gute Kinderbetreuung allein schafft jedoch noch
kein kinderfreundliches Klima. Das zeigen die Zahlen
aus den neuen Bundesländern ganz deutlich. Vielmehr ist
ein gesamtgesellschaftlicher Wertewandel erforderlich.
Der Familiengipfel beim Bundespräsidenten ist dabei ein
Schritt in die richtige Richtung, damit Deutschland kinderfreundlicher wird und junge Menschen wieder Lust
und Mut zu Kindern bekommen.
Es sollte eine Bündelung der staatlichen Fördermaßnahmen in den ersten sechs Lebensjahren geben, um
Entwicklungsdefizite, die in erschreckendem Maß zunehmen, zu verhindern, also nicht in die Beseitigung von
Schäden, sondern in die Verhinderung von Schäden zu
investieren; denn das wäre tatsächlich nachhaltig.
Der Nachhaltigkeitsbericht der Bundesregierung wird
seiner Aufgabe, im Rahmen einer Gesamtschau die politischen Entwicklungsnotwendigkeiten in Deutschland
aufzuzeigen, leider nicht gerecht.
({9})
Leider wurde damit wieder einmal eine Chance auf eine
dringend erforderliche Neuausrichtung der Politik vertan.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ernst Kranz.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen!
Werte Kollegen! Seit dem Brundtland-Bericht von 1987
und noch verstärkt seit der UN-Konferenz für Umwelt
und Entwicklung in Rio im Jahr 1992 sind Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung immer mehr zum Bestandteil der Agenda vieler internationaler Organisationen und eines Teils der nationalen Regierungen
geworden. Vor knapp einem Jahr hat der Deutsche Bundestag beschlossen, den Parlamentarischen Beirat für
nachhaltige Entwicklung einzusetzen. Die nun vorliegende und im Beirat gestern einstimmig verabschiedete
Stellungnahme des Beirats zum Fortschrittbericht 2004
der Bundesregierung ist ein erstes gemeinsames Arbeitsergebnis seiner Mitglieder. Ich bin froh darüber, an dieser Stelle sagen zu können, dass es sich bei der Stellungnahme um ein Papier handelt, das in seinen wesentlichen
Punkten überwiegend im Konsens erarbeitet wurde.
Wir haben bisher viel über Nachhaltigkeit und auch
über die Definition von Nachhaltigkeit gesprochen. Von
den vielen zurzeit schon existierenden Definitionen des
Begriffs Nachhaltigkeit ist meines Erachtens die der
Brundtland-Kommission von 1987 besonders zutreffend. Ich möchte sie an dieser Stelle deshalb noch einmal zitieren:
Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die
den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger GeneraErnst Kranz
tionen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu
befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen.
Ich bin der Meinung, dass man dieser Definition noch
eine globale Dimension hinzufügen sollte, die die Ziele
der sozialen Gerechtigkeit und eines größeren Wohlstands für die Ärmsten dieser Welt beinhaltet.
({0})
In Europa ist bei den Nachhaltigkeitsaktivitäten bislang ein starkes Übergewicht der Exekutive feststellbar.
Mit dem Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung übernimmt der Deutsche Bundestag in
Deutschland eine aktive Rolle in der Legislative.
Nachhaltige Entwicklung ist allerdings keine Aufgabe, die allein national zu bewältigen ist. Wir wollen,
dass Deutschland auf der internationalen Ebene auch
weiterhin ein Motor für nachhaltige Politik ist und
bleibt.
({1})
Deshalb sind die eigenen Anstrengungen stärker mit den
Zielen der europäischen Nachhaltigkeitsstrategie, mit
den Zielen der Vereinten Nationen und den hierzu international eingegangenen Verpflichtungen zu vernetzen.
Wir schlagen vor, auf europäischer Ebene eine Diskussion und einen Erfahrungsaustausch über Indikatorensysteme, mit denen die nachhaltige Entwicklung gemessen werden kann, zu initiieren. Ziel muss sein, die
Indikatoren einander anzunähern, um die Transparenz zu
erhöhen und die Vergleichbarkeit zu verbessern.
Die Bundesregierung hat ihren ersten Fortschrittsbericht vorgelegt. Nach der Festlegung der Nachhaltigkeitsstrategie, hauptsächlich in Form des Indikatorensystems, erfolgt mit dem Fortschrittsbericht jetzt erstmals
eine Auswertung. Der vorgelegte Bericht unterstreicht,
dass die Bundesregierung den gestarteten Prozess sehr
ernst nimmt.
({2})
Sowohl die Strategie als auch der Fortschrittsbericht zeigen ehrgeizige und anspruchsvolle Ziele. In einigen Bereichen konnten trotz des kurzen Bilanzzeitraums bereits
Fortschritte erzielt werden. In anderen Bereichen hinkt
man den Ansprüchen hinterher.
Ich möchte einige Punkte herausgreifen:
Stichwort Mobilität. Mobilität ist eine Grundbedingung für unser heutiges Leben und den damit verbundenen Wohlstand auf der Grundlage einer arbeitsteiligen
und feingliedrig werdenden Wirtschaft. Mobilität ist jedoch gleichzeitig Voraussetzung und Möglichkeit zur
Teilhabe jedes Einzelnen am gesellschaftlichen Leben.
Es ist aber eindeutig zu erkennen, dass der heutige Lebensstil die Umwelt überfordert. Wir wissen genau, was
wir mit einer Forderung nach weltweiter Mobilität anrichten würden. Auch die vorliegenden Prognosen sagen
es eindeutig aus.
Wir haben jedoch auch in künftigen Jahren mit weiterem Verkehrswachstum zu rechnen. Unter diesen zunehmend schwieriger werdenden Bedingungen gilt es,
schnellstmöglich umfangreiche Maßnahmen einzuleiten,
die Mobilität nachhaltig sichern. Deshalb ist das Umdenken und Umschwenken von der reinen Verkehrspolitik
zur Mobilitätspolitik ein Bestandteil sozialdemokratischer Reformagenda.
({3})
Stichwort Wasser. Es ist bedauernswert, dass Wasser
als essenzielle Ressource für das Leben nicht im Indikatorensystem enthalten ist. Im Rahmen des Kapitels „Global Verantwortung übernehmen“ wird dem Wasser jedoch eine wichtige Rolle zugewiesen. Das zeigt, dass die
Bundesregierung sich der Bedeutung der Wasserfrage
bewusst ist.
In vielen Ländern mit permanentem Wassermangel ist
es für die meisten Menschen schwierig, Zugang zu genügend sauberem Wasser zu erhalten. In der Entwicklungszusammenarbeit in Bezug auf Wasser ist Deutschland
der größte europäische Geldgeber. Auch dies zeigt, dass
die Bundesregierung das Problem erkannt hat und aktiv
an seiner Lösung oder Beseitigung arbeitet.
Beim erforderlichen nachhaltigen Umgang mit dieser
wichtigen Ressource ist immer noch ein großes Potenzial vorhanden, und zwar weltweit und hinsichtlich aller
Dimensionen des Wassers. Wasser ist jedoch nicht nur
Trinkwasser; Wasser ist Lebensraum und es ist die
Grundlage allen Lebens. Ich bin der Meinung, dass Wasser im Konzept der Nachhaltigkeit eine ganz wichtige
Dimension ist. Zurzeit wird das allerdings noch nicht angemessen berücksichtigt.
Die meisten grundlegenden Prinzipien der Nachhaltigkeit lassen sich widerspruchslos mit den Prinzipien
der Sozialdemokratie verbinden und sind sogar in ihnen
enthalten. Nachhaltigkeit ist eine zutiefst sozialdemokratische Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung. Sie verbindet ökonomische, soziale und ökologische Entscheidungen zugunsten unserer heutigen
Generation sowie zugunsten nachfolgender Generationen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns
gemeinsam schon heute ein Stück Zukunft gestalten.
Danke.
({4})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Josef Göppel.
Meine Damen und Herren! Frau Präsidentin! Der bisherige Verlauf der Debatte gibt die Stimmung im Beirat
nicht richtig wieder.
({0})
Wir sind im Beirat zu einer gemeinsamen Stellungnahme
gekommen, die einstimmig verabschiedet worden ist.
Ich möchte wiederholen, was der Kollege Kauch von
der FDP besonders betont hat: Es gibt Differenzen über
den Fortschrittsbericht der Bundesregierung zur Nachhaltigkeit, aber die Stellungnahme als Antwort auf den
Bericht ist im Beirat einstimmig angenommen worden.
Man kann diese Antwort etwa so zusammenfassen: Es
gibt Licht und Schatten, aber die Umsetzungsschritte
müssen entschiedener und mutiger werden.
({1})
Natürlich ist die Stellungnahme zum Teil ein Kompromiss zwischen den Oppositionsfraktionen und den
Koalitionsfraktionen. Das Thema Nachhaltigkeit muss
aber gemeinsam getragen werden. Wenn wir uns hier im
Raum umschauen, zeigt sich, dass neben den Kolleginnen und Kollegen, die unmittelbar mit dem Thema zu
tun haben, nicht allzu viele es so wichtig nehmen, dass
sie an der Debatte teilnehmen. Hier braucht man langen
Atem! Wir müssen unabhängig von Legislaturperioden
an diesem Thema arbeiten.
Lassen Sie mich das im Hinblick auf die Kommunalpolitik verdeutlichen. Hier sind immer ganz konkrete
Probleme zu lösen. Nehmen wir das Beispiel Umgehungsstraße: Durch den Bau einer Umgehungsstraße
werden Menschen im Ort vom Durchgangsverkehr entlastet, zugleich werden Geschäfte an der alten Hauptstraße geschädigt und es wird Land auf der grünen
Wiese zugebaut. Diese drei Gesichtspunkte müssen
Kommunalpolitiker abwägen und dann eine Entscheidung treffen. Auch wenn sich das theoretisch alles sehr
gut anhört, ist festzuhalten: In der Kommunalpolitik
wird die Frage nach Nachhaltigkeit ganz konkret.
Ich möchte hier etwas zu den ökologischen Zielen sagen. Für uns in der Union ist Umweltvorsorge immer mit
dem Gesichtspunkt der Arbeitsplatzsicherung zu verbinden.
({2})
- Wenn Sie das auch so sehen, ist das doch wunderbar.
Das steht ja auch in der Stellungnahme drin.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Umweltvorsorge
und Arbeitsplatzsicherung zu verbinden muss Leitbild
für die Umweltpolitik sein. In der gemeinsamen Stellungnahme ist als Ziel formuliert, bis 2020 die Emissionen in Deutschland um 40 Prozent zu verringern, wenn
die anderen Länder in der Europäischen Union im selben
Zeitraum ihre Emissionen um 30 Prozent verringern.
Wenn die Bundesregierung dieses Ziel ernsthaft verfolgt
und sich um europäische Umsetzung bemüht, dann ergeben sich automatisch konkrete Schlussfolgerungen.
Betrachten wir den Gesichtspunkt Flächenverbrauch: Viele Kommunalpolitiker sehen diese Frage
mittlerweile unter dem Kostenaspekt. Wer sich rechtzeitig darum kümmert, der erhält sich finanzielle Freiräume
und auch unverbrauchte Landschaft vor seiner Haustür.
In unserer gemeinsamen Stellungnahme kritisieren
wir, dass für die Bundesregierung das Thema Artenvielfalt keinen Schwerpunkt mehr darstellt. Das ist nicht in
Ordnung.
({3})
Das Thema „Erhaltung der Lebensvielfalt in unserem
Land“ hängt eng mit der Attraktivität des Standortes
Deutschland zusammen. In den letzten Tagen ging ein
schönes Beispiel aus Südafrika durch die Presse; das ist
mir gleich aufgefallen. Da hat ein Vertreter der südafrikanischen Regierung gesagt, dass sein Land die Artenvielfalt und die reiche Flora der Kapregion zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor machen will. Ich denke, das
gilt auch für unser Land, das mit einer reichhaltigen und
unterschiedlichen Natur von Schleswig-Holstein bis zum
bayerischen Watzmann ausgestattet ist. Diese Vielfalt
und Reichhaltigkeit ist gerade auch für die Verwurzelung
der Menschen in den Industrienationen sehr wichtig.
({4})
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, bin ich
persönlich froh, dass wir diese Stellungnahme einstimmig beschlossen haben. Es werden Nagelproben auf uns
zukommen, wenn es darum geht, zu Gesetzesvorhaben,
die die Regierung einbringt, gutachterlich unter dem Gesichtspunkt Stellung zu nehmen, ob das Ziel der Nachhaltigkeit berücksichtigt ist. Ich hoffe sehr, dass es uns
gelingt, über die Fraktionsgrenzen hinweg auch dann zu
einer einheitlichen Stellungnahme zu kommen, wenn es
konkret wird. Die bisherigen Ansätze halte ich für ermutigend. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass wir von
der Union auch weiterhin bei diesem Thema einen
Schwerpunkt setzen. Ich jedenfalls arbeite sehr gerne in
dem Beirat mit.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Müller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Vorsitzende des Nachhaltigkeitsrates, der frühere Kollege
Volker Hauff, warnt davor, das Wort Nachhaltigkeit wie
ein Plastikwort zu begreifen. Ich finde es zwar sehr gut,
dass heute der Begriff Nachhaltigkeit sehr viel verwandt
wird. Aber ich warne davor, dass man ihn überall verwendet, ohne sich über seine Bedeutung im Klaren zu
sein.
({0})
Ich befürchte, es gibt eine gewisse Inflation beim Gebrauch dieses Begriffs. Viele wissen nicht, was eigentlich damit gemeint ist.
Michael Müller ({1})
Man darf Nachhaltigkeit nicht einfach als DreiSäulen-Modell begreifen. Es ist natürlich richtig, dass
man im Rahmen der Nachhaltigkeit einen Ausgleich
zwischen Ökonomie, Ökologie und Sozialem suchen
muss. Wenn man aber ehrlich ist, muss man natürlich
feststellen, dass gerade die heutige Form der Ökonomie
eine der zentralen Ursachen für die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen ist. Wenn man also den Konsens mit der Ökonomie sucht, muss man die Ökonomie
selbst verändern. Ein einfaches Nebeneinanderstellen
dieser drei Säulen wird nicht funktionieren.
({2})
Ich will das Problem an einem weiteren Punkt verdeutlichen. Aus meiner Sicht ist eine Politik der Nachhaltigkeit im Kern Zeitpolitik. Wir müssen einen anderen Umgang mit der vielleicht knappsten Ressource
organisieren, die die moderne Gesellschaft kennt, nämlich der Zeit. Wir wissen, dass die Ressourcen, was die
natürlichen Lebensgrundlagen betrifft, endlich sind und
dass sie überlastet werden können. Wir wissen auch,
dass die Natur hinsichtlich der Regenerationsfähigkeit
andere Zeitrhythmen hat als beispielsweise die Industriegesellschaft. Das bedeutet: Wenn die Zeitrhythmen des
Menschen und die Zeitrhythmen der Natur sowie die beschleunigte Dynamik der Wirtschaft nicht in einen
Gleichklang gebracht werden können, dann gibt es keine
Nachhaltigkeit. Insofern reicht es nicht aus, einfach nur
zu sagen: Wir müssen diese drei Säulen miteinander verbinden; aber ansonsten lassen wir alles so, wie es ist, und
machen nur ein wenig mehr Ökologie. Das ist keine Lösung des Problems. Es geht im Kern vielmehr um ein anderes Verständnis von Entwicklung.
({3})
Die Forderungen nach mehr Wachstum und nach einer Orientierung auf eine kurzfristige Finanzpolitik haben überhaupt nichts mit der Idee der Nachhaltigkeit zu
tun. Vielmehr ist die Idee der Nachhaltigkeit, wie der
Club of Rome völlig zu Recht gesagt hat, ein organisches Ganzes. Es muss eine Entwicklung stattfinden, die
auf Dauer Gleichgewichte schafft. Das ist der wesentliche Punkt in der Nachhaltigkeitsdebatte.
Aus meiner Sicht geht es um vier zentrale Punkte:
Erster Punkt. Es geht darum, dass wir ein in der Richtung verändertes Fortschreiten von Wirtschaft und Gesellschaft organisieren.
Zweiter Punkt. Wir müssen die Globalität erkennen
und daraus die Verantwortung einer Weltinnenpolitik ableiten. Der Begriff von der Weltinnenpolitik wurde heute
auch vom Bundespräsidenten verwendet. Dieser Begriff
ist nicht neu; er hat seinen Ursprung in der ökologischen
Debatte. Es muss ein Bewusstsein für die immer größer
werdenden Interdependenzen geben. Die Erkenntnis
muss sich durchsetzen, dass die Erde immer mehr zu einer zerbrechlichen Einheit wird. Man kann deshalb nicht
sonntags die Nachhaltigkeit beschwören und montags
eine völlig andere Politik machen.
({4})
Dritter Punkt. Die Stärkung von Demokratie und
Partizipation ist aus meiner Sicht ebenfalls wesentlich
für die Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit ist nur mit Aufklärung der Bürger und mit mehr Demokratie zu erreichen. Es muss sich die Erkenntnis durchsetzen, dass jeder Einzelne Verantwortung trägt.
Herr Kauch hat gesagt, der Begriff der Nachhaltigkeit
könne nicht beliebig benutzt werden. Das ist zwar richtig; aber ich habe nicht verstanden, was er mit dem Begriff Ökodirigismus gemeint hat. Denn dieser Begriff
wird in der Fachdiskussion ganz anders verwandt. Er bedeutet nämlich, dass die Naturveränderungen so stark
werden, dass wir nur noch mit harten und wirklich einschneidenden Maßnahmen reagieren können, dass also
die Ökologie unser Handeln diktiert. So wird der Begriff
des Ökodirigismus in der Fachdiskussion verstanden und
nicht so, dass die Politik zu wenig tut. Ich glaube, hier
hat er einfach den Tatbestand verdreht.
Für uns ist wichtig, dass Nachhaltigkeit Ausweitung
der Demokratie, der Verantwortung und der Mitbestimmung bedeutet. Nachhaltigkeit umfasst auch öffentliche
und nicht nur private Güter; das ist ein ganz wichtiger
Punkt.
({5})
Ich weise darauf hin, dass die Definition der Vereinten
Nationen im Hinblick auf den Begriff „Nachhaltigkeit“
auch die öffentlichen Güter einschließt, also beispielsweise die Bildung, die staatliche Verantwortung und die
öffentlichen Systeme. Ich halte das für richtig.
Ich will einen vierten Punkt nennen, der für mich im
Zusammenhang mit dem Begriff „Nachhaltigkeit“ wichtig ist. Nachhaltigkeit ist die europäische Antwort auf
die heutige Form der Globalisierung, auf den Unilateralismus, der meint, mit der Privatisierung und der Militarisierung der Welt Probleme der Zukunft lösen zu können. Das wird nicht funktionieren. Wer die Probleme
treiben lässt, wird in der Welt immer mehr Gewalt produzieren. Nachhaltigkeit ist das Gegenteil: Es ist die
Vermeidung von Gewalt durch eine vorsorgende, vorausblickende Politik, die sich die Frage stellt: Was kann
ich nach dem heutigen Wissensstand auch noch in
30 oder 40 Jahren verantworten? Dabei ist die Zeit immer wieder ein entscheidender Maßstab der Politik.
({6})
Man muss sehen: Die Debatte über Nachhaltigkeit betrifft die Frage, welches Fortschrittsverständnis von Zivilisation wir auf der Basis heutiger Erkenntnisse haben.
Die Antwort darauf ist kein defensives Modell, sondern
ein Weg, der die Zukunft sichert und allen Menschen
mehr Chancen und Gerechtigkeit bietet. Insofern steht er
in der Tradition der sozialen Bewegung; da hat Kollege
Kranz völlig Recht. Die Idee der Nachhaltigkeit ist aus
meiner Sicht eine Erweiterung der Idee der sozialen Demokratie. Genauso verstehen wir das.
Michael Müller ({7})
Wir halten es für richtig, Schwerpunkte zu setzen.
Ich kritisiere aber, dass beispielsweise zu wenig an die
biologische Vielfalt gedacht wird. Der Naturschutz muss
stärker beachtet werden. Dies muss ein Schwerpunkt im
Zusammenhang mit Nachhaltigkeit sein.
({8})
Wir müssen aber vor allem Schwerpunkte auf die Energie- und die Ressourcenwirtschaft, also auf all die absehbaren Knappheiten der Zukunft, setzen. Ich würde sagen: Wir haben große Chancen; denn die auf uns
zukommende Wissensökonomie macht den Menschen
für die eigene Zukunft wieder sehr viel mehr verantwortlich. Nicht mehr das Finanzkapital ist, wie man uns in
Zeiten des Shareholder-Value sagt, der knappe Faktor.
Herr Kollege, denken Sie an Ihre Redezeit?
Ich komme zum Ende. - In Zukunft ist vielmehr der
Umgang mit der Energie und den Ressourcen entscheidend; sie sind der knappe Faktor. Ich finde, das ist der
Kern. Hier müssen wir beweisen, dass wir zu einer nachhaltigen Politik fähig sind. Das werden wir auch.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ralf Brauksiepe.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Debatte, in der viele Aspekte berührt wurden, zeigt,
dass Nachhaltigkeit ein komplexes Thema ist, das mit
Sicherheit, lieber Ernst Kranz, keiner einzelnen Partei
gehört, sondern ein gemeinsames Projekt sein sollte und
auch ist.
({0})
Da Kollege Müller angesprochen hat, dass im Hinblick auf die Nachhaltigkeit nicht nur das Dreisäulenmodell von Bedeutung ist, möchte ich deutlich machen: Natürlich ist wirtschaftliches Wachstum nicht alles.
Natürlich hat wirtschaftliches Wachstum in der Vergangenheit ökologische Konsequenzen gehabt, die problematisch waren. Aber dass mit fehlendem Wachstum, mit
wirtschaftlicher Stagnation überhaupt kein Problem gelöst wird, zeigt zurzeit Ihre praktische Politik.
({1})
Das legt die Bundesregierung ihrem eigenen Bericht zugrunde,
({2})
in dem steht: Wir befinden uns in einer Phase wirtschaftlicher Stagnation, deswegen kommen wir mit den Staatsfinanzen nicht zurecht
({3})
und deswegen reißen wir die Maastricht-Kriterien. Dies war der Anlass dafür, dass wir heute eine Aktuelle
Stunde zu diesem Thema haben durchführen müssen.
({4})
Das zeigt: Ohne Wachstum ist letztlich alles nichts. Dazu
gehört auch eine gute Steuerpolitik; darauf haben einige
Redner hingewiesen.
Der FDP-Kollege war leider nicht in der Lage, dieser
Debatte nachhaltig bis zum Ende zu folgen. Gleichwohl
will ich auf Folgendes hinweisen: Wir als Union müssen
unsere Steuersenkungs- und -vereinfachungsbeschlüsse
nicht in jedes Papier schreiben. Wir beziehen uns in unserem Sondervotum auf das Votum der Wirtschaftsweisen und bringen unter anderem zum Ausdruck: Steuern,
die eine nachhaltige Entwicklung stimulieren sollen,
dürfen nicht wie etwa die Ökosteuer an Punkten angreifen, die kaum Spielräume für eine Lenkungswirkung haben, und daher als reine Abgabenerhöhung wirken.
({5})
Eigentlich hätte es der FDP gut angestanden, diese Kritik an der Ökosteuer mitzutragen.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, lassen Sie mich zum Aspekt der globalen
Verantwortung, die bisher nur gestreift wurde, ein paar
Punkte ansprechen. Herr Kollege Hermann sprach vom
Marathonlauf. Wenn etwas in die richtige Richtung geht,
ist in der Tat schon viel erreicht. Das Problem besteht
aber gerade darin, dass wir an vielen Stellen noch nicht
auf dem richtigen Wege sind. Über Jahre haben wir bestenfalls auf der Stelle getreten, was die Erreichung des
0,33- oder 0,7-Prozent-Ziels in der Entwicklungshilfe
angeht. Ich hoffe sehr, dass die Hilfe, die nun als Konsequenz aus der Flutkatastrophe einsetzt, keine einmalige
Aktion bleibt. Wir dürfen nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit nicht so verstehen, einmal etwas zu tun,
zum Beispiel Schulden zu erlassen. Vielmehr bedeutet
nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit, die Entwicklungshilfe dauerhaft auf jenes Niveau zu bringen, das
wir uns alle gemeinsam schon seit langem vorgenommen haben.
({6})
Davon sind Sie noch weit entfernt.
Natürlich gehört zur globalen Verantwortung eine
vernünftige Handelspolitik. Hier kann ich Sie nur erneut
aufrufen, auch die Chancen zu sehen, die die Globalisierung im wirtschaftlichen Bereich bietet. Es ist nicht am
Deutschen Bundestag, zu entscheiden, ob wir bei der
Globalisierung mitmachen oder nicht. Sie findet statt
und es ist unsere Aufgabe, die Rahmenbedingungen dafür richtig zu setzen. Dies müssen wir gemeinsam angehen.
({7})
Weil das Stichwort „weg vom Öl“ hier genannt
wurde, erinnere ich daran, dass erneuerbare Energien
im Weltmaßstab nach unserer Auffassung dort gefördert
werden sollten, wo diese Förderung am effizientesten ist.
({8})
Auf diesem Gebiet ist von Ihnen noch ziemlich wenig zu
sehen. Hier geht es auch um Joint Implementation und
Clean Development Mechanism. Wir haben es nur mit
Mühe geschafft, diese Aspekte stärker in unsere Stellungnahme einzubringen. Daran müssen wir arbeiten.
Natürlich bleibt nach wie vor die Frage zu beantworten, wie Sie die Probleme des Klimawandels, die wir
gemeinsam beklagen, angesichts der weltweit stattfindenden Planungen mit einem nationalen Kernenergieausstieg bewältigen wollen. In diesem Punkt gibt es keinen Konsens; Sie sind hier Antworten schuldig
geblieben.
({9})
Wie erfolgreich der Beirat für Nachhaltigkeit arbeiten
kann, wird sich in den nächsten Jahren daran zeigen, ob
wir in der Lage sind, parlamentarisches Handeln und Regierungshandeln kritisch zu hinterfragen. Wir sind dazu
bereit und wir sind sehr gespannt, was Sie in diese Debatten einbringen werden.
Vielen Dank.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/4100 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Wolfgang Börnsen ({0}), Dagmar Wöhrl,
Karl-Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
„Wirtschaftsraum Nordsee“ als Wachstumsregion mit Zukunft
- Drucksache 15/4027 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Widerspruch höre ich nicht. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Peter Harry Carstensen.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Global denken, lokal handeln - für viele Regionen im heutigen Europa ist dieser Wahlspruch bereits
Wirklichkeit. Diese Regionen orientieren sich vielfach
nicht mehr an den nationalen Grenzen. Im Zeitalter der
Globalisierung erweisen sich grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Zusammenschlüsse als notwendig.
Wir haben großes Verständnis dafür gehabt, dass in
den letzten Jahren das Augenmerk in Norddeutschland
und im ganzen Land verstärkt auf die Kooperation und
die Entwicklung in der Ostseeregion gerichtet wurde.
Sehr viele politische Entwicklungen der letzten Jahre,
die uns beeindruckt haben, hatten mit den Ländern an
der Ostsee zu tun. Stets wurde das Wachstumspotenzial
dieser Region hervorgehoben. Wer aber schon einmal in
den Atlas geschaut hat, weiß, dass es neben einer Ostküste auch eine Westküste gibt. Schleswig-Holstein ist
das Land zwischen zwei Meeren. Die wirtschaftliche
Entwicklung des Ostsee- und des Nordseeraumes beeinflusst das Land. Wir haben nicht nur die Chance, das
Potenzial des Ostseeraumes zu nutzen; unsere Chance
und Aufgabe liegt auch an der anderen Küste des schönen Norddeutschlands und in der Kooperation mit den
Nordseeanrainern.
({0})
Gemeinsam mit Hamburg, Bremen und Niedersachsen
und natürlich auch mit Unterstützung durch den Bund
müssen wir das Potenzial, das im Wirtschaftsraum Nordsee steckt, nutzen.
Die Nordsee kann mehr als bisher Motor für neue
Entwicklungen und Wohlstand sein. Sie ist leider völlig
aus dem Blickwinkel geraten; dabei hat sie eine viel stärkere Wirtschaftskraft. Die Nordsee ist durchkreuzt von
Wasserstraßen, also von Verkehrsadern. Sie ist auf vielfältige Weise ein Nahrungsmittelreservoir. Sie ist in vielen Ländern ein Tourismusfixpunkt und macht Norddeutschland zu einer der beliebtesten Urlaubsregionen.
Sie ist Träger von Wohlstand durch Rohstoffe und Energie und ökologischer Schutzraum mit unvergleichlicher
Artenvielfalt. Sie ist ein verbindendes Element von Partnern in der Europäischen Union.
Die Anrainerstaaten der Nordsee verfügen über ein
Bruttoinlandsprodukt, das fast 50 Prozent höher ist als
das der Ostsee-Anrainerstaaten.
({1})
Die fortschreitende Stabilisierung der Ostsee-Anrainerstaaten lässt es zu, dass man sich jetzt stärker um die Kooperation der Länder an der Nordsee kümmert.
({2})
Dies ist für uns ein Grund, heute im Deutschen Bundestag anhand unseres umfangreichen Fragenkatalogs zur
Nordseeregion als Wachstumsregion mit Zukunft zu debattieren.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht im Wirtschaftsraum Nordsee einen wichtigen Entwicklungsmotor für unser Land. Entsprechend notwendig ist eine
klare Aussage über die Zielsetzung der Maßnahmen der
Bundesregierung, mit denen sie die Entwicklung dieser
wichtigen Region unterstützen will. Wir erwarten auf
Peter H. Carstensen ({3})
diese umfangreiche und von Fleiß gekennzeichnete Anfrage klare Antworten der Bundesregierung.
({4})
Die Nordseeregion ist ein einzigartiger wirtschaftlicher, kultureller und ökologischer Lebens- und Wirtschaftsraum,
({5})
der im Globalisierungsprozess von der internationalen
Konkurrenz - ({6})
- Bis jetzt haben Sie noch nichts gegen meine Rede einzuwenden gehabt, Frau Kollegin. Oder sehe ich das
falsch?
({7})
- Es wäre schön, wenn das alles so selbstverständlich
wäre. Wir haben diese Anfrage aber formuliert, weil wir
nicht wissen, ob die Bundesregierung bei dieser offensichtlichen Selbstverständlichkeit ihren Pflichten nachkommt. Wir wären ja dankbar, wenn sie für Selbstverständlichkeiten ein bisschen mehr tun würde.
({8})
Die Nordseeregion ist ein einzigartiger wirtschaftlicher, kultureller und ökologischer Lebens- und Wirtschaftsraum,
({9})
der im Globalisierungsprozess von der internationalen
Konkurrenz besonders herausgefordert wird.
({10})
Wir stellen mit einer Bevölkerung von über 60 Millionen
Menschen fast 13 Prozent der EU-25-Einwohner.
({11})
Die sieben Anrainerstaaten zeichnen sich durch eine
hohe Bevölkerungsdichte, ein hohes Bruttoinlandsprodukt und einen hohen Industrialisierungsgrad aus, allerdings mit Unterschieden im Wirtschaftswachstum. Jetzt erwarte ich auch ein Jawohl, damit Sie bestätigen,
dass es Unterschiede bei den Anrainerstaaten gibt.
({12})
Zeigen Sie doch, dass Sie begriffen haben, dass in
Deutschland nichts passiert und wir im Vergleich zu den
anderen Nordseeregionen das Land mit dem schlechtesten Wirtschaftswachstum sind.
({13})
- Nein, ich rede Schleswig-Holstein nicht schlecht.
Schleswig-Holstein ist ein wunderbares Land,
({14})
das viel mehr verdient, vor allen Dingen eine bessere
Regierung.
({15})
- In Schleswig-Holstein? Warum ziehen Sie denn dann
nicht dorthin? Wenn Sie gerne das Schlusslicht sein wollen, dann kommen Sie doch zu uns nach Schleswig-Holstein. Beeilen Sie sich aber; denn das ist bald zu Ende.
({16})
Die Nutzung der Nordsee als Transportweg nimmt
immer mehr zu. Pro Jahr werden mittlerweile über
420 000 Verschiffungen im Seehandel auf der Nordsee
durchgeführt. Wir fragen, wie die Bundesregierung das
künftige Verkehrsaufkommen im Nordseeraum sieht,
insbesondere in Deutschland, wo natürlich die Anbindung durch Schiene, Auto, Flugzeug und Schiff gefordert wird. Wo liegen die infrastrukturellen Hauptvorteile, wo die entscheidenden Schwachpunkte der
Nordseeregion?
Eine Steigerung ist auch bei den direkten Nutzungsansprüchen an die marinen Ressourcen möglich. Die
Nordsee ist zwar von der Fläche her ein sehr kleines
Meer - 0,2 Prozent der weltweiten Meeresfläche -, aber
die geringe Größe täuscht über die eigentliche Bedeutung hinweg. Sie gehört zu den produktivsten Meeresgebieten der Welt. Besonders deutlich wird dies beispielsweise an der Nordseefischerei, die einen Anteil von
4 Prozent an der gesamten Weltmeeresfischerei hat.
Von Bedeutung sind die Küstenzonen, weil hier eine
direkte Wechselbeziehung zwischen den Menschen und
dem Meer besteht. In den Küstenregionen aller Anrainerstaaten hat dies über die Jahrhunderte zu ähnlichen
Wirtschaftsformen und kulturellen Ausprägungen geführt. Das oft harte Klima der Nordsee hat bei den Menschen zu einem starken Bewusstsein der eigenen Identität geführt. Deswegen werden Veränderungen häufig mit
Leidenschaft diskutiert.
Dies gilt besonders für die Nutzung durch Windparks, die wir im Moment diskutieren. Wir wollen den
Bau von Pilotanlagen in der Offshoretechnologie unterstützen, um die Auswirkungen auf Umwelt und Schiffssicherheit abschließend zu klären.
({17})
- Wenn wir sie nicht hätten, meine Liebe, dann säßen
wir in Schleswig-Holstein beim wirtschaftlichen Wachstum noch weiter hinten. - „Meine liebe Frau Kollegin“
wollte ich sagen, nicht „meine Liebe“ - nicht dass da irgendein Gerücht aufkommt.
Peter H. Carstensen ({18})
Schauen Sie sich doch einmal die Kernkraftwerke an
und reden Sie mit Ihren Betriebsräten darüber! Und dann
sagen Sie einmal, ob es richtig und wirksam ist, in anderen Bereichen teuren Strom zu produzieren und den
Kernenergiestrom von woanders zu importieren!
({19})
Darüber müssen wir uns ein paar Gedanken machen.
({20})
Wir wollen in der Frage der Windparks wissen, wie
die Haltung der Bundesregierung ist. Welche weiteren
energetischen Reserven in der Nordsee sind bekannt?
Wie sieht die Bundesregierung das Thema Gezeitenkraftwerke? Ab wann rechnet sie mit Stromgewinnung
aus dieser Technologie?
Für jemanden, der von einer Insel kommt, sind Vorlandgewinnung und Tourismus eine wichtige Frage. Für
uns ist der Tourismus inzwischen der wichtigste Wirtschafts- und Erwerbszweig des Nordseeküstenraums.
Durch den zunehmenden Tourismus wird eine verbesserte Infrastruktur nachgefragt, die manchmal im Widerspruch zur gewünschten ungestörten Naturnähe stehen
kann.
Für uns ist wichtig, dass das Entwicklungspotenzial
der Region nicht durch einen leichtsinnigen Umgang mit
den maritimen Ressourcen gefährdet werden darf. Das
Ökosystem Nordsee ist sensibel und das Wattenmeer ein
weltweit einzigartiger Lebensraum mit empfindlichen
Wechselbeziehungen zu seinen Bewohnern. Gerade dies
macht ihn für den Tourismus so attraktiv. Deshalb sind
die Bewohner und die Nutzer in den notwendigen Schutz
einzubeziehen. Wir wollen deswegen wissen: Welche
Konsequenzen hat die Bundesregierung aus dem Sondergutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen gezogen?
Meine Damen und Herren, um die vielfältigen Ansprüche der Anrainerstaaten zu koordinieren, braucht die
Nordseeregion ein ganzheitliches, transnationales Wirtschafts- und Umweltkonzept. Ein wichtiger Schritt zu
diesem Zweck wurde 1989 mit der Gründung der Nordseekommission unternommen. Durch dieses Gremium
der Anrainerstaaten konnte erreicht werden, dass die
Nordseeregion in die Interreg-Gemeinschaftsinitiative
der Europäischen Union aufgenommen wurde und eine
stärkere Stimme im Wettbewerb der Regionen in Europa
erhalten hat.
Wir unterstützen, dass die Europäische Kommission
das Programm ab 2006 als eigenständiges Ziel 3 in der
europäischen Strukturpolitik aufwerten will. Die Fortsetzung dieses Programms ist deshalb dringend notwendig.
Die Bundesregierung sollte die Nordseekommission bei
ihren Bemühungen darum unterstützen, dass bei der EUKommission ein Interreg-IV-Programm aufgelegt wird,
damit bereits begonnene Projekte weitergeführt werden
können.
({21})
Deutschland kann es sich nicht leisten, das wirtschaftliche Potenzial der Nordseeregion zu vernachlässigen. Die Nordseeanrainer sind das wichtigste Exportziel für die deutsche Wirtschaft. Im Gegenzug ist
Deutschland für fast alle Anrainer der wichtigste Importeur. Ein Viertel der gesamten deutschen Im- und Exporte entfällt auf die Anrainer der Nordsee. Hinzu
kommt die wachsende Bedeutung der deutschen Nordseehäfen. Deutschland trägt den größten Teil zum Bruttoinlandsprodukt der Nordseeregion bei.
({22})
- Leider „noch“. Wenn Sie noch lange regieren, ist es
wirklich berechtigt, dass Sie jetzt „noch“ sagen.
({23})
Daran wird auch die Abhängigkeit des Wachstums
der gesamten Nordseeregion von der Situation in der
deutschen Wirtschaft deutlich. Diese lässt in den letzten
Jahren, wie Sie gerade zu Recht bemerkt haben, bekanntlich zu wünschen übrig. Deutschland hatte das
schwächste Wachstum aller Länder, die an der Nordsee
liegen.
Daher wollen wir von der Bundesregierung wissen:
Wie hoch sind die Investitionen, die die anderen Nordseeanrainer in dieser Region tätigen? Wie hoch sind die
Ausgaben der anderen Anrainer für Forschung und Entwicklung, gemessen an ihrem Bruttoinlandsprodukt?
Wie ist die Haltung der Bundesregierung zur maritimen
Wirtschaft? Wie sehen die Kooperationen mit den anderen Nordseeanrainern aus? Welche Bedeutung kommt
dem Nord-Ostsee-Kanal zu? Was ist mit der Elbvertiefung?
({24})
- Ihr Wahlkreis liegt doch an der Elbe. Äußern Sie sich
bitte einmal zur Elbvertiefung und sagen Sie, ob Sie die
Arbeitsplätze in Hamburg wollen oder nicht. ({25})
Was ist mit der Schiffbauförderung, die nicht ausgenutzt
wird, und mit der Schifffahrtsförderung? Wir fragen die
Bundesregierung, ob wirklich genug getan wird, um die
vielfältigen Chancen der Nordsee durch Kooperationen
zu nutzen.
Meine Damen und Herren, die Landesregierung
Schleswig-Holsteins hat im Wahlkampf die Idee entwickelt, es müsse eine Initiative „Zukunft Meer“ ins Leben gerufen werden.
({26})
Das ist so vielversprechend wie nichtssagend. Sie haben
sich beim Thema Küstenschutz nicht mit Ruhm bekleckert und bei der Bewältigung der Pallas-Katastrophe
haben Sie versagt.
({27})
Peter H. Carstensen ({28})
- Herr Steenblock, genau darauf habe ich gewartet.
Wenn Herr Steenblock jetzt sagt „Das ist Quatsch!“,
({29})
muss man ihn fragen, was Heide damals zu ihm gesagt
hat.
({30})
Sie hat gesagt: Rainder Steenblock, steh auf und geh
endlich mal dorthin, wo die Katastrophe passiert ist. Du
warst für diese Geschichte nämlich mitverantwortlich.
Daher kannst du jetzt nicht einfach sagen: „Das ist
Quatsch!“
({31})
Wer bei der Finanzierung der Biologischen Anstalt
Helgoland Klein-Klein versucht und 17 Jahre lang nicht
in der Lage war, in Büsum ein Ozeaneum zu errichten,
sollte etwas kleinere Brötchen backen. Unser Land und
die Nordseeregion brauchen keine neuen Theorien, sondern praktisches Handeln. Der Wirtschaftsraum Nordsee
braucht als Wachstumsregion mehr Aufmerksamkeit, um
seine Zukunft besser gestalten zu können, nicht nur für
Schleswig-Holstein, sondern auch für die gesamte Bundesrepublik Deutschland.
({32})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rainder
Steenblock.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Carstensen, ich freue mich, dass die
CDU den schleswig-holsteinischen Wahlkampf dazu
nutzt, Themen, auf die andere schon vor langer Zeit aufmerksam geworden sind und die sie bearbeiten, nun
auch zu entdecken und zumindest Fragen zu stellen,
während andere Politik machen. Das zeigt, dass Ihr
Lernbedarf groß ist. Aber Ihre Erkenntnis und die Politikfähigkeit, die Sie in Ihrer Rede demonstriert haben,
({0})
zeigen, dass Schleswig-Holstein die Regierung hat, die
es verdient
({1})
und die es auch weiterhin haben wird. Schleswig-Holstein hat eine solche politische Nullrede und Ihre Perspektivlosigkeit nicht verdient.
({2})
Sie haben kein Wort zu den Häfen, den Zukunftsfragen
hinsichtlich der Technologieentwicklung an der Küste
und der Verkehrsinfrastruktur gesagt, sondern nur allgemeine Fragen gestellt.
({3})
Kollege Carstensen, Sie haben den Nord-OstseeKanal angesprochen und gefragt, welche Bedeutung er
eigentlich hat.
({4})
Sie wohnen doch in diesem Land. Hätten Sie sich Ihre
Statistiken einmal etwas genauer angesehen, dann hätten
Sie festgestellt, welch enormen Aufschwung der NordOstsee-Kanal beim Güterverkehr erfahren hat,
({5})
natürlich mit Unterstützung der Bundesregierung.
({6})
Wir haben dafür gesorgt, dass die Pläne zum Ausbau des
Nord-Ostsee-Kanals, abgesichert über das Europäische
Parlament, im Bundesverkehrswegeplan enthalten sind.
({7})
Das ist das Verdienst unserer Bundesregierung. Während
Sie noch dabei sind, kluge Fragen zu stellen, haben wir
diese Probleme längst in Angriff genommen und gelöst.
({8})
Das ist, glaube ich, das, was uns unterscheidet.
Zur Hafenpolitik. Sie sagen: An der Nordseeküste
passiert nichts. - Ich weiß nicht, in welcher Welt Sie leben. Kommen Sie von Nordstrand vielleicht ab und zu
mal nach Hamburg - vielleicht auf der Durchfahrt nach
Berlin? Schauen Sie sich einmal an, was im Hamburger
Hafen passiert, wie dynamisch die Entwicklung in der
ganzen Region ist, die Wachstumsraten!
({9})
- Das hat nichts mit der neuen Regierung zu tun,
({10})
sondern diese Infrastrukturentwicklung - das wissen Sie
auch ganz genau - wird seit langem von allen Fraktionen
in Hamburg unterstützt. Da können Sie nicht behaupten,
an dieser Stelle sei die wirtschaftliche Entwicklung weit
unterhalb dessen, was woanders an der Nordseeküste
passiert. Nein, wir sind topp!
({11})
Wir haben sogar Rotterdam überholt. Das Gleiche gilt
auch für die anderen Nordseehäfen. Sie leben in der Vergangenheit, Sie haben die aktuellen Entwicklungen
überhaupt nicht zur Kenntnis genommen.
({12})
Zur internationalen Kooperation; Sie haben ja vage
Andeutungen zu Interreg gemacht. Die Interreg-Programme sind ein wesentlicher Bestandteil der Kooperation im Nordseeraum.
({13})
Die Bedeutung dieser Programme ist auf mehreren Konferenzen - auf denen auch Sie die Möglichkeit gehabt
hätten, sich schlau zu machen - betont worden.
({14})
- Ja, ich weiß, das Bildungsbedürfnis von Herrn
Carstensen ist begrenzt; aber das ist ja nicht das Hauptproblem. - Es geht darum, welche Entwicklungen tatsächlich stattfinden, wer diese Entwicklungen unterstützt und wer ihnen die richtige Richtung - die der
Zukunftsfähigkeit dieser Region - gibt. Schauen Sie sich
einmal das Protokoll der Konferenz in Norderstedt vom
24. September des letzten Jahres an, auf der die InterregProgramme dargestellt worden sind. In der ganzen Nordseeregion gibt es insgesamt 54 Interreg-Programme. Davon läuft jedes vierte Programm unter Beteiligung
Schleswig-Holsteins. Wir sind bei diesen interregionalen
Kooperationen im Nordseeraum weit überdurchschnittlich engagiert. Die schleswig-holsteinische Regierung
hat mehr Projekte im Rahmen von Interreg als alle anderen Landesregierungen oder die nationalen Regierungen - von Verkehr über Tourismus und Biomasseförderung bis zur Windenergieförderung.
({15})
Für all die Zukunftsprobleme, die uns an der Küste bewegen, haben wir Projekte angemeldet und sind dabei,
diese zu bearbeiten - während Sie dazu immer noch Fragen stellen.
({16})
Es wäre gut, wenn Sie sich an diesem Dialog beteiligen
würden. Aber Sie stehen daneben und überlegen sich
schlaue Fragen - während wir diese Probleme alle schon
abgearbeitet haben.
({17})
Genau das Gleiche im Tourismus.
Der beste Teil in Ihrer Großen Anfrage ist der, wo Sie
auf die Bedeutung des Ökosystems Wattenmeer hinweisen. Richtig, da gehen wir d’accord, klar! Aber wir
sind es, die die trilaterale Wattenmeerkonferenz eingerichtet haben. Wir Schleswig-Holsteiner und Niedersachsen arbeiten in dieser Kommission intensiv mit.
({18})
Ein wichtiger Bestandteil, Peter Harry Carstensen, ist
natürlich die Ausweisung von Nationalparks, sie sind
das Instrument, um diese Ökosysteme zu schützen. Ich
weiß genau, wer sich dagegen gewehrt hat; da brauchen
wir nicht weit zurückzuschauen.
({19})
- Wer hat den Nationalpark ausgeweitet?
({20})
Ich weiß, welche Kontroversen wir dort hatten, weil ich
diesen Nationalpark auf seine vernünftige Größe gebracht habe, sodass ökosystemale Zusammenhänge auch
wirken können. Nicht nur ein Rumpfgebilde! Sie haben
die Zusammenhänge, die Sie jetzt mit Ihren Fragestellungen aufgreifen, aufs Heftigste bestritten.
Wir stehen für Naturschutz,
({21})
wir stehen für die Nationalparks, weil wir wissen, dass
Umweltschutz und wirtschaftliche Entwicklung vernünftig zusammengeführt werden müssen. Das ist das Thema
dieser Regierung, das ist das Thema der schleswig-holsteinischen Regierung, und das wird auch in Zukunft so
bleiben: weil die Bürger das Vertrauen haben, dass wir
die zentrale Zukunftsfrage Ökosystem/Umweltschutz
tatsächlich vernünftig beantworten und das mit wirtschaftlichen Fragestellungen und neuen Arbeitsplätzen
zu verbinden wissen. Das ist bei Rot-Grün hervorragend
aufgehoben.
Da können Sie mit Ihren Fragen sicherlich viel lernen
- das gestehen wir Ihnen gern zu -, aber handeln wollen
wir selber weiter und das werden wir auch tun.
({22})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jürgen Koppelin.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kollegen! Mit
Großen Anfragen kann man aus diesem Parlament
heraus - das ist ja auch die Absicht - die Regierung
auffordern, doch das eine oder andere zu tun. Insofern
begrüßen wir diese Anfrage ausdrücklich.
({0})
Kollege Steenblock, ich muss Ihnen allerdings sagen,
dass ich hier ein Erlebnis hatte. Sie haben in Ihrer Rede
verkündet, was Sie alles tun und machen - Sie stellen
sich also positiv dar -, und auf den Veranstaltungen in
Schleswig-Holstein verkünden Sie den Leuten zurzeit,
was Sie alles verhindern.
({1})
Das erleben wir immer wieder. Das ist genau das Gegenteil. Hier reden Sie so und draußen reden Sie anders. Ich
werde Ihnen dazu gleich auch Beispiele nennen.
({2})
Wir alle wissen, dass diese Region durch Häfen,
Werften, Handel, Fremdenverkehr und auch die Landwirtschaft, die ich nicht außer Acht lassen will, geprägt
ist. Das alles vollzieht sich auf einem hohen Niveau.
({3})
Diese Branchen fühlen sich in der Region durchaus zu
Hause. Insofern wäre es natürlich wichtig - ich glaube,
darin sind wir alle uns einig -, dass es nicht nur mit den
Bundesländern, sondern natürlich auch mit den anderen
europäischen Staaten, die an die Nordsee anrainen, eine
stärkere Zusammenarbeit gibt. Wichtig dabei ist aber,
dass man mit einer Zunge spricht und dass alle versuchen, das Gleiche zu erreichen, nämlich Arbeitsplätze zu
sichern und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Wenn in dieser Reihe nur einer ausfällt, dann gibt es Probleme in der
Region. Das muss ich mit aller Deutlichkeit sagen.
Schleswig-Holstein ist ein Land, das leider ausfällt, weil
es auf deutscher Seite erhebliche Mängel bei der Zusammenarbeit gibt. Eigentlich ist es traurig, dass man das sagen muss.
({4})
Ich will das verdeutlichen: Ich glaube durchaus, dass
wir mit der Bundesregierung in vielen Punkten - auch
bezogen auf die Anfrage - einig werden könnten. Ich
glaube sogar, dass wir - auch die CDU - mit den Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein in vielen Dingen einig sein werden, weil wir die gleichen Ziele haben.
({5})
Nun kommt es aber - ich will das an einigen Punkten
verdeutlichen -: Der Wirtschaftsminister des Landes
Schleswig-Holstein, Rohwer, sagt, dass mit der A 20 der
Boom kommt. Das sagen wir auch. Es werden Arbeitsplätze entstehen. Nicht nur der Kollege Steenblock, sondern auch die Grünen in Schleswig-Holstein laufen aber
landauf, landab und verkünden, sie wollten die A 20 verhindern. Was ist denn nun richtig? Kommt der Boom mit
der A 20 oder kommt er nicht? Sie wollen das verhindern.
Nächster Punkt. Herr Steenblock stellt sich hier hin
und verkündet ganz stolz, dass sich beim Hafen Hamburg etwas tut. Herr Steenblock, sind Sie es nicht, der die
Elbvertiefung ständig verhindern will?
({6})
Die Grünen verhindern, dass Hamburg mehr Chancen
erhält. Mit den Sozialdemokraten werden wir uns einig.
Sie verhindern das.
({7})
Was ist denn mit der Elbquerung? Wer ist dabei, sie
zu verhindern? Ich kann Ihnen auch noch ein anderes
Beispiel nennen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Steenblock?
Herrn Steenblock gestatte ich sie mit großem Vergnügen.
Sie erhalten dadurch ja auch etwas mehr Redezeit. Bitte.
Lieber Herr Kollege Koppelin, ich will hier keine
große A-20-Debatte führen; ich habe nur zwei Fragen.
Erstens. Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, dass
die Landesregierung Niedersachsen mit ihrem Verhalten
dazu beigetragen hat, dass die Fortführung der A 20 in
Niedersachsen, bezogen auf den weiteren Bedarf, herabgestuft worden ist und dass die Nordumfahrung Hamburg nicht mehr realisiert werden kann, weil die Niedersachsen das so wollen, sodass das Projekt Elbquerung in
den nächsten Jahren überhaupt nicht realisiert werden
kann? Ansonsten wird die Fortführung der A 20 in
Schleswig-Holstein natürlich weiter realisiert.
({0})
Wir werden sie bis zur A 21 bauen. Allerdings werden
wir keine Sackgasse unter der Elbe bauen.
({1})
Zweitens. Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, dass
die Landesregierung - auch die Grünen - bei der Diskussion über die Elbvertiefung in Schleswig-Holstein und
im Rahmen der weiteren Planung eine Reihe von Fragen
zur Deichsicherheit, zur Sicherheit der Bevölkerung und
zu den ökologischen Auswirkungen beantwortet haben
will und nichts anderes? Es gibt keine Diskussion über
die Elbvertiefung in Schleswig-Holstein, in der gesagt
wird, dass man die Elbvertiefung nicht will. Wir haben
eine Reihe von Fragen zur ökonomischen Bedeutung,
zur Deichsicherheit usw.
So, wie Sie hier auftreten, muss ich Sie fragen: Haben
Sie nicht selbst das Gefühl, dass Sie populistisch agieren
und mit Ihrem Sinn für die Wirklichkeit ein wenig auf
dem Kriegsfuß stehen?
Das war eine sehr lange Frage mit vielen Feststellungen, Frau Präsidentin. Ich will aber gerne darauf antworten. Ich bin ja dankbar, weil meine Redezeit dadurch
verlängert wird.
({0})
Bezogen auf das, was Sie zu Niedersachsen gefragt
haben, antworte ich Ihnen: Nein.
({1})
Bezogen auf das, was Sie zu angeblich populistischen
Äußerungen von mir gefragt haben, antworte ich Ihnen:
Nein. Die Frage bezüglich der Elbvertiefung beantworte
ich ebenfalls mit Nein.
({2})
Nun kommt das Entscheidende.
({3})
- Entschuldigung, in der Fragestunde beantwortet die
Regierung unsere Fragen auch ständig so und nicht anders. Ich übe schon einmal.
({4})
Ich komme nun zur A 20. Das ist das Typische bei Ihnen.
({5})
Bestreiten Sie, dass Ihre Spitzenkandidatin in Presseerklärungen verkündet hat, über die A 20 müsse neu verhandelt werden, wenn die Grünen an die Regierung
kommen? Das habe ich vorliegen. Das kennen wir doch
aus Schleswig-Holstein. Weiterhin hat sie erklärt: Der
einzige Kompromiss, den sie sich überhaupt vorstellen
könne, sei, die A 20 bis Bad Segeberg zu bauen und
nicht weiter.
({6})
Das ist Schwachsinn. Aber genau das hat sie gesagt.
Kommen Sie mir nicht mit einer anderen Position als
der, die Ihre Spitzenkandidatin von den Grünen im
Lande verkündet! Das Schlimme ist: Sie wissen es besser. Sie bestätigen mit Ihrer Frage meine Vermutung,
dass Sie hier so und draußen anders reden.
({7})
Herr Kollege Koppelin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grindel?
Selbstverständlich.
Ich muss Sie aber darauf hinweisen, Herr Grindel,
dass Sie nicht auf Herrn Steenblock reagieren dürfen.
Wir machen nicht Debatten über Debatten über Debatten. Ihre Frage muss sich auf die Rede beziehen. - Bitte.
Es darf sich auch nicht darauf beziehen, was ich von
Herrn Steenblock halte.
Frau Präsidentin, da ich in meinem Beruf gelernt
habe, Fragen zu stellen, bitte ich darum, nicht schon vor
meiner Frage einen Verdacht zu äußern. Auch für mich
gilt die Unschuldsvermutung.
({0})
Herr Kollege Koppelin, ich wollte Sie in der Tat zur
Fortführung der A 20 auf niedersächsischem Gebiet fragen, weil das gerade Gegenstand der Debatte ist. Dort ist
es die A 22, die Küstenautobahn. Ist Ihnen bekannt, dass
mit Mitteln des Landes, aber auch der Wirtschaft und der
Landkreise in der Elbe-Weser-Region 2 Millionen Euro
zusammengekommen sind, um die Planungen zu beschleunigen, und dass das Einzige, was insbesondere die
Wirtschaft irritiert, die Frage ist, ob wegen der Position
der Grünen die A 20 in Schleswig-Holstein an der Elbe
irgendwann fertig gestellt wird?
({1})
Das ist mir nicht nur bekannt, Kollege Grindel. Vielmehr begrüße ich ausdrücklich Ihre Frage, weil sie mir
Gelegenheit gibt, auf einen Punkt aufmerksam zu machen, nach dem Sie aber nicht gefragt haben,
({0})
nämlich dass Heide Simonis durchaus anerkennt, dass
die Zusammenarbeit mit Hamburg und Niedersachsen
gerade in diesen Bereichen hervorragend ist. Das hat der
Kollege Steenblock auch noch nicht mitbekommen. Das
wollte ich bei dieser Gelegenheit nur sagen.
({1})
Ich nenne einen anderen Bereich, der noch einmal mit
Hamburg zu tun hat. Waren es denn nicht die Grünen,
Kollege Steenblock, die Arm in Arm mit den Kirchen
die Startbahnverlängerung verhindern wollten? Waren es
nicht Sie in der Region, die uns täglich Schaden zufügen? Sie müssen doch einfach einmal zur Kenntnis nehmen, dass seit 1996, also seit Rot-Grün regiert, in
Schleswig-Holstein 300 Arbeitsplätze pro Monat verloren gehen.
({2})
Ich sage Ihnen, woran es noch liegt. Es liegt nicht nur
an der schlechten Konjunktur und der weltwirtschaftlichen Lage. Es liegt auch dran, dass dann, wenn überhaupt eine Chance besteht, bei uns an der Nordseeküste
in der Region einen Arbeitsplatz zu schaffen,
({3})
Ihr grüner Umweltminister kommt - er tritt immer dann
in Erscheinung, wenn er die Schaffung eines Arbeitsplatzes riecht - und das Gebiet zum FFH-Gebiet erklärt.
Egal ob in Lübeck oder an der Nordseeküste, die Grünen
sind in Schleswig-Holstein die Verhinderer für Arbeitsplätze. Daran führt kein Weg vorbei.
({4})
Da ich gerade beim Thema bin, möchte ich auch dies
noch ansprechen. Herr Kollege Steenblock, nicht nur
Sie, sondern auch Ihr Nachfolger Müller traktieren, schikanieren und drangsalieren beispielsweise den großen
wichtigen Bereich der Landwirtschaft in Schleswig-Holstein. Auch darüber sollten Sie sich einmal informieren.
({5})
Wir können uns aber jetzt vielleicht wieder finden,
Herr Kollege Steenblock. Ich werfe Ihnen das gar nicht
vor; denn das steht in Ihrem Programm. Dass die Leute
Sie dafür wählen, ist in Ordnung. Ich werfe allerdings
den Sozialdemokraten vor, dass sie mit Ihnen paktieren
und eine vernünftige Politik für das Land über viele
Jahre verhindert haben.
({6})
In Mecklenburg-Vorpommern ist die A 20 fertig gestellt,
während wir in Schleswig-Holstein noch immer diskutieren. Daran sind Sie schuld. Die Grünen sind die Verhinderer von Arbeitsplätzen in Schleswig-Holstein.
({7})
Wir wollen die Zusammenarbeit in der Region, weil
wir das für wichtig halten. Die Region braucht das. Ich
sage Ihnen etwas, Herr Kollege Steenblock, weil Sie den
Kopf schütteln: Die Grünen müssen weg vom Fenster,
damit Schleswig-Holstein wieder eine Aussicht bekommt.
({8})
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär
Gerd Andres.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich habe am Anfang über den Sinn dieser Debatte nachgedacht.
({0})
Dann habe ich die Rede von Peter Harry Carstensen gehört.
({1})
Außer gegen die Beschimpfungen der schleswig-holsteinischen Landesregierung habe ich gegen diese Rede gar
nichts einzuwenden.
({2})
Sie bestand daraus, den Einleitungstext und einige Fragen der Großen Anfrage der CDU/CSU zur Nordsee vorzutragen und zu wiederholen. Dazu kann ich nur sagen:
Herzlichen Glückwunsch!
({3})
Dann habe ich mir Folgendes überlegt, Herr Kollege
Carstensen: Wie arm sind Sie eigentlich dran, wenn Sie
zu dieser Uhrzeit, ohne dass irgendein Journalist auf der
Tribüne sitzt, eine solche Debatte führen müssen, die
von Ihrem Möchtegernkoalitionspartner auch noch fortgesetzt wurde? Er hatte im Übrigen nichts anderes beizutragen, als sich auf die Grünen einzuschießen.
({4})
- Darf ich Ihnen ganz ruhig etwas sagen? Für ihre maritime Politik findet diese Bundesregierung in den betroffenen Kreisen ausdrücklich Zustimmung und Anerkennung. Damit Sie das wissen. Ich kann das gerne
wiederholen.
({5})
Wir werden am Montag und am Dienstag in Bremen
eine große maritime Konferenz mit 850 Teilnehmern
durchführen, darunter Reeder, Wirtschaftsvertreter und
Vertreter der Häfen, und das darstellen, was wir gemacht
haben. Das, was die Bundesregierung gemacht hat, kann
sich mit Fug und Recht sehen lassen und wird von den
Betroffenen gelobt. Damit Sie wissen, was Sache ist.
Weil Sie das alles wissen, wissen Sie natürlich auch,
dass die Große Anfrage erst zum Mai beantwortet werParl. Staatssekretär Gerd Andres
den soll. Das ist mit dem Bundestagspräsidenten so verabredet, weil die 73 Fragen, die Sie in der Großen Anfrage formuliert haben, teilweise so umfassend sind, dass
die Antworten zusammengetragen werden müssen, dass
recherchiert und anschließend das Ergebnis dargestellt
werden muss. Dann werden Sie eine ganz ausführliche
Antwort bekommen. Herr Carstensen, ich bin mir relativ
sicher, dass Sie diese als Oppositionsabgeordneter im
Deutschen Bundestag umfassend zur Kenntnis nehmen
können.
({6})
Ich will ein paar Beispiele aus den Bereichen Umweltschutz, Energie und Verkehr nennen und etwas über
die Förderinstrumente wie die Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der regionalen Küstenstruktur“, den
Europäischen Fonds für regionale Entwicklung - Ziel-2Fördergebiet - und die EU-Gemeinschaftsinitiative Interreg-III-B - Nordsee -, die Sie zu Recht genannt haben, sagen. Ich will ausdrücklich betonen: Der Kollege
Steenblock hat Recht. Mit dieser Gemeinschaftsinitiative
werden rund 54 Projekte gefördert. Sie haben wunderbar
in Ihrem Vorspann aufgeschrieben - das wiederhole ich
jetzt -, dass seit 1989 rund 127 Millionen Euro ausgegeben wurden, in dieser Förderperiode noch 10,5 Millionen Euro ausgegeben werden
({7})
und über eine neue Förderperiode im Zusammenhang
mit der Regional- und Wirtschaftsförderung mit der Europäischen Union geredet werden muss. Die Bundesregierung unterstützt auch die Mitarbeit in der Nordseekommission und das, was die Länder SchleswigHolstein, Niedersachsen und Bremen, die dort mitwirken, machen.
({8})
Im Umweltschutz haben wir in der Nordseeregion in
den vergangenen Jahren einiges erreicht. Die Politik der
Bundesregierung ist darauf ausgerichtet, die Einträge belasteter Stoffe kontinuierlich zu vermindern. Wir haben
die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen, in der so
genannten ausschließlichen Wirtschaftszone Maßnahmen des Naturschutzes und der Raumordnung durchzuführen. Wir haben der Europäischen Kommission Vorschläge für Natura-2000-Gebiete in den AWZ vorgelegt.
Das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft hat Grundsätze einer neuen Fischereipolitik aufgestellt.
Die im Rahmen des Oslo-Paris-Übereinkommens
zum Schutz der Meeresumwelt des Nordatlantiks eingegangenen rechtlichen Verpflichtungen sind durch Verordnung umgesetzt worden. Wir werden die Arbeiten in
den entsprechenden Bereichen national wie auf der
Ebene der Europäischen Gemeinschaft fortführen. Noch
in diesem Jahr wird eine Strategie zum integrierten Küstenzonenmanagement erarbeitet sowie die Umsetzung
des Ökosystemansatzes vorangebracht.
({9})
Ein paar Bemerkungen zum Thema Energie. Dabei
verfolgt die Bundesregierung im Nordseeraum das gleiche Leitbild, das sie der Energiepolitik Deutschlands zugrunde legt. Sie strebt einen Energiemix an,
({10})
der die Eckpunkte des Zieldreieckes Wirtschaftlichkeit,
({11})
Versorgungssicherheit und Umweltverträglichkeit optimal erfüllt. Vor diesem Hintergrund sollen die erheblichen Potenziale der Offshore-Windenergienutzung
möglichst schnell erschlossen werden, wofür die im Erneuerbare-Energien-Gesetz festgelegten Vergütungen
eine wichtige Grundlage sind.
({12})
Herr Abgeordneter, Sie haben ja deutlich gemacht, dass
Sie auch dafür sind, das auszuprobieren. Ich glaube, dass
die Bundesrepublik Deutschland in diesem Bereich etwas hinterherhinkt - andere Länder sind schon viel weiter - und dass wir den Ausbau der Offshore-Windenergie
vorantreiben müssen.
Die Öl- und Gasreserven und -ressourcen in der
Nordsee leisten einen wichtigen Beitrag zur deutschen
Energieversorgung. Auch danach haben Sie gefragt. Ich
will Ihnen gleich eine vorläufige Antwort geben.
Nach Angaben der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe liegt die statische Reichweite der
deutschen Reserven unter Zugrundelegung der Förderung des Jahres 2003 bei Öl bei 15 Jahren und bei Gas
bei acht Jahren. Dabei ist davon auszugehen, dass sich
diese Zeiträume durch Zufunde und innovative Technologien zur Gewinnung weiter verlängern werden.
Was das Verhältnis des Umweltschutzes zum Tourismus und der Energiegewinnung betrifft, so ist ein intakter Naturraum in der gesamten Wattenmeerregion eine
Grundvoraussetzung für den Tourismus an der deutschen
Nordseeküste.
({13})
Das wissen alle, die darüber diskutieren und den Tourismus und die Entwicklung an der Küste verfolgt haben.
Deshalb ist ein umwelt- und naturverträglicher Ausbau
der Nutzung der Windenergie auf See ein wesentlicher
Eckpunkt der Offshore-Strategie der Bundesregierung.
Wir müssen darauf entsprechend Rücksicht nehmen.
({14})
- Das werde ich Ihnen auf Ihre Große Anfrage hin beantworten.
({15})
Die Nutzung der Windenergie muss behutsam ausgebaut werden. Das ist notwendig und richtig. Wir gehen
dabei ein ganzes Stück weiter als Sie mit Ihrer modellhaften Erprobung oder Anwendung.
({16})
Sie hätten beispielsweise zur Elbvertiefung Stellung
nehmen können.
({17})
Sie haben aber nichts zu dem Thema gesagt.
({18})
Sie haben nur viele kluge Fragen gestellt. So machen Sie
es immer: Sie stellen viele kluge Fragen, äußern sich
aber nicht zum Thema.
Im Verkehrsbereich geht es uns vor allem darum, den
maritimen Standort Deutschland zu sichern und zu stärken. Der Bund unterstützt die Bemühungen der Länder,
die Standortgunst und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Seehäfen zu steigern. Die leistungsstarken deutschen Seehäfen haben dabei eine erfreuliche Bilanz vorzuweisen. Die Menge der umgeschlagenen Güter hat in
den vergangenen zehn Jahren um insgesamt 71 Millionen Tonnen oder rund 38 Prozent zugenommen. Für das
Jahr 2004 rechnet die deutsche Hafenwirtschaft mit einem Wachstum von rund 6 Prozent.
Die deutschen Häfen an der Nordsee haben sich damit
in den vergangenen Jahren zu einem Jobmotor in der
Region entwickelt. Für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Nordseeraums vor allem mit Blick auf die
deutsche Seeverkehrs- und Hafenwirtschaft ist eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur unabdingbar. Deshalb
hat die Bundesregierung allein im Zeitraum 1997 bis
2003 für den Erhalt und den Neu- und Ausbau ihrer
Verkehrswege in den Nordseeanrainerbundesländern
Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hamburg und Bremen insgesamt mehr als 9,6 Milliarden Euro aufgewendet,
({19})
wobei die Erreichbarkeit der Seehäfen als Ballungs- und
Wirtschaftszentren einen Schwerpunkt darstellt. Der
Bundesverkehrswegeplan 2002 zeigt, dass die Bundesregierung bei ihren Investitionsentscheidungen zur Verkehrsinfrastruktur der Stärkung des Seehafenstandortes
in Deutschland auch weiterhin besondere Aufmerksamkeit widmet.
Dies war, wie gesagt, nur ein kurzer Überblick über
zentrale Initiativen der Bundesregierung. Eine detaillierte Darstellung erhalten Sie mit unserer Antwort auf
die Große Anfrage, die, wie gesagt, Mitte Mai erfolgen
wird.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({20})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang
Börnsen.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich fand, dass die Rede von Peter Harry Carstensen
im Gegensatz zu einigen, die sich sehr kritisch geäußert
haben, ausgesprochen sachkundig, umsichtig und verantwortungsbewusst war.
({0})
Sie war eines Ministerpräsidenten würdig.
({1})
Meine zweite Anmerkung gilt der Kritik von Rainder
Steenblock und den Ausführungen des Staatssekretärs.
Eine so unausgegorene Kritik ist wie eine schlechte
Mahlzeit: Man muss beides möglichst schnell verdauen.
Ein dritter Punkt betrifft Schleswig-Holstein. In der
heutigen Nordseedebatte ist Frau Simonis nicht anwesend. Bei der Ostseedebatte war sie noch hier. Sie muss
sich aber der Auseinandersetzung jetzt stellen.
({2})
Im Hinblick auf den Wirtschafts- und Lebensraum
Nordsee besteht grundsätzlich und aktuell Handlungsbedarf. Erstens. Das zeigt sich zum Beispiel an dem dramatischen Fährunglück, das sich vor zehn Tagen kurz vor
der deutschen Nordseeküste ereignet hat. Ein verunglücktes Fährboot mit hochgiftigen Chemikalien an
Bord hätte fast zu einer Umweltkatastrophe geführt, die
der durch die „Pallas“ verursachten gleichgekommen
wäre. In letzter Minute ist das verhindert worden, und
zwar auch deshalb, weil verschiedene Rettungsvoraussetzungen auf deutscher und niederländischer Seite es
ermöglicht haben, der Katastrophe mit Umsicht rechtzeitig Herr zu werden. Trotzdem wird daran deutlich, dass
wir drei Dinge brauchen: ein nordseeübergreifendes
Rettungskonzept, ein Konzept für den Einsatz von Notfallschleppern und ein neues, nordseeübergreifendes Sicherheitssystem.
Der zweite Punkt bezieht sich - das wird ebenfalls in
unserer Großen Anfrage deutlich - auf den so genannten
Entenschnabel. Sie kennen sicherlich dieses Gebiet, das
300 Kilometer von der Nordseeküste entfernt liegt und
das die Möglichkeit bietet, Gas und Öl zu fördern.
Wolfgang Börnsen ({3})
({4})
Dänemark, England und die Niederlande versuchen, eine
vernünftige Lösung für die Nutzung dieses Feldes zu finden. Aber was macht Deutschland? Es meldet dieses Gebiet im Rahmen von Natura 2000 aus Naturschutzgründen nach Brüssel und möchte in Zukunft eine Erdgasund Erdölförderung verhindern. Drei Länder fördern
weiter, nicht aber Deutschland. Das ist ein Widersinn
hoch drei.
({5})
Ich betone: Deutschland meldet das Gebiet aus Naturschutzgründen nach Brüssel, während die anderen Länder versuchen, dort einen ausgleichenden Naturschutz zu
betreiben. Deutschland verhindert so, dass in Zukunft
das größte Erdgasfeld, das es hat, weiter genutzt werden
kann. Das darf nicht sein.
Der dritte Punkt, um den es geht, ist: Es gibt inzwischen 28 genehmigte Offshore-Windparks. Es gibt nur
zwei Versagungsgründe: Beeinträchtigung des Schiffverkehrs oder der Umwelt. Keine Versagungsgründe
sind aber die Beeinträchtigung der Landesverteidigung,
der Fischwirtschaft, der Nutzung von Bodenschätzen
oder des Tourismus. Ihre einseitige Schwerpunktsetzung
ist unhaltbar. Wir benötigen nach unserer Auffassung sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene eine
maritime Raumordnung.
({6})
Viertens. Ein weiteres Defizit wird deutlich, wenn
man sich die Genehmigungsdauer anschaut. Zeitgleich
mit Schweden, Dänemark und den Niederlanden sind die
ersten Anträge auf Genehmigung von Offshore-Anlagen
bei uns gestellt worden. Doch während sich die Windräder in diesen drei Ländern bereits drehen, ist das Einzige, was bei uns rollt, das Papier für die Anträge auf
Genehmigung. Nicht ein Stück haben wir bisher geschafft. Wir brauchen hier eine völlig neue Dynamik.
({7})
Fünftens. Aktueller Handlungsbedarf besteht auch bei
der Katastrophenabwehr. Ich finde es besorgniserregend, dass wir dieses Thema bei uns so wenig behandeln. Wir verfügen momentan über kein ausreichendes
Katastrophenabwehrsystem und haben erst jetzt Wissenschaftler beauftragt, ihre Forschungen in dieser Richtung
zu intensivieren. Die Sicherheitslage ist für die Menschen nicht ausreichend. Was wir neben dem System für
Sturmflutwarnungen brauchen, ist ein Tsunami-Warnsystem für die gesamte europäische Küste, also auch für
die Nordsee.
({8})
Letzter Punkt. Die Anrainerstaaten haben verschiedenste Interessen bei der Nutzung der Nordsee. Sie reichen von der Schifffahrt über den Sport, den Tourismus,
die Fischerei, militärische Zwecke, Aquakulturen bis hin
zum Naturschutz. Jeder Staat betreibt eine eigene Politik. Kooperation wird klein geschrieben. Was wir brauchen, ist eine Nordseeoffensive, eine viel stärkere Zusammenarbeit in dieser Region, ähnlich derjenigen, die
wir bisher im Bereich der Ostsee vernünftig praktiziert
haben. Wir brauchen ein Treffen der Parlamente und der
Regierungen sowie ein Gesamtkonzept für die Nordsee,
um sicherzustellen, dass wirtschaftliche Nutzung und
Meeresschutz verbunden werden; das ist durchaus möglich.
Wenn man eine erste Regierungskonferenz plant,
dann könnte man sogar Helgoland zum passenden Tagungsort machen.
({9})
Herr Kollege, achten Sie bitte auf die Zeit. Ihr nächster Satz sollte der Schlusssatz sein.
Frau Präsidentin, ich möchte mit folgender Bemerkung schließen - sie bezieht sich auf die Förderprogramme -: Die Förderprogramme, Interreg IV und
andere, gibt es in Zukunft nicht, weil sich die Bundesregierung auf die Förderung der EU-Binnengrenze konzentrieren wird. Das heißt, das, was hier, auch von der
Regierung, vorgetragen worden ist, ist im Grunde genommen eine Vision, ein Traum, aber keine zukunftstaugliche Praxis, und das schadet letzten Endes der Entwicklung der Nordsee.
({0})
Die Abgeordnete Margrit Wetzel erhält nun das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Carstensen, es liegt mir eigentlich ganz fern,
Sie mit einer Nachtigall zu vergleichen. Aber jetzt weiß
ich wenigstens, woher die Worte „Nachtigall, ick hör dir
trapsen“ kommen.
({0})
- Nein, das brauche ich nicht zu erklären. Das ist angesichts der Wahl in Schleswig-Holstein schon klar.
Herr Steenblock hat schon eben darauf hingewiesen,
dass durch Ihre Große Anfrage offensichtlich zum Ausdruck kommt, dass Sie einen ganz gewaltigen Lernbedarf haben. Nach dem, was ich gehört habe, muss ich
ebenfalls sagen: Ich finde Ihre Fragen nicht so sonderlich schlau. Sie reden von der ersten Konferenz, die im
maritimen Bereich durchgeführt werden sollte. Das ist
absoluter Quatsch. In der nächsten Woche steht die
vierte erfolgreiche maritime Konferenz an. Die Plätze
sind ausgebucht, die Nachfrage ist riesengroß. Ich bin
aber sicher, dass von Ihnen keiner dabei sein wird.
({1})
- Nein, die Konferenz findet am Montag und am Dienstag statt. Daran kann man teilnehmen, ohne hier etwas zu
versäumen. Das ist überhaupt kein Problem, Herr
Austermann. Sie sind herzlich eingeladen, um sich zu
überzeugen, wie viel Unterstützung unsere maritime Politik bekommt.
({2})
Völlig falsch schätzen Sie offenbar auch die Initiative „Zukunft Meer“ der schleswig-holsteinischen Landesregierung ein. Man sollte in jedem Fall klarstellen,
dass es sich dabei nicht um eine einsame Idee oder um
eine Veranstaltung der Landesregierung, sondern um
eine Initiative handelt, mit der das Land zusammen mit
den Unternehmen, den Verbänden und den Forschungseinrichtungen zukunftsweisende Politik gestaltet. Auch
da sollten Sie sich besser einbringen. Wenn Sie das täten,
dann brauchten Sie eine ganze Reihe Ihrer Fragen überhaupt nicht zu stellen.
({3})
Das Gleiche gilt für die Nordseekommission. Sie fragen nach der Haltung der Bundesregierung. Herr Andres
hat Ihnen gesagt: Die Bundesregierung unterstützt die
Länder in dieser Frage. Es handelt sich nämlich um eine
Kooperation von Regionen und nicht von Nationalstaaten. Da Sie so großen Wert darauf legen, zu erfahren,
was Schleswig-Holstein an dieser Stelle macht: Schleswig-Holstein ist da federführend für die anderen nördlichen Länder.
({4})
Der Bundesverkehrswegeplan bzw. die A 20 sind
mehrfach angesprochen worden. Ich sage Ihnen eines:
Genauso wie die gemeinsame Seehafenplattform von
Bund und Ländern - diese Plattform ist schon ein bisschen älter - aufrechterhalten wird, ist der Bundesverkehrswegeplan mit den entsprechenden Schwerpunkten
fortgeschrieben worden. Das heißt: Die Hinterlandanbindungen sind ein Schwerpunkt des Bundesverkehrswegeplans; die A 20 gehört, was Schleswig-Holstein angeht,
zum vordringlichen Bedarf; im Hinblick auf Niedersachsen gehört sie nicht nur zum weiteren Bedarf, sondern
unterliegt auch dem Planungsrecht.
Herr Koppelin, Sie haben völlig zu Recht darauf hingewiesen - bloß mit den Zahlen waren Sie nicht ganz auf
dem neuesten Stand -, dass ungefähr 2 Millionen Euro
eingetrieben werden. Die öffentliche Hand hat dabei
feste Zusagen bekommen. Die Wirtschaft ist noch nicht
ganz so weit. Nach dem Stand von gestern hat sie feste
Zusagen in Höhe von 300 000 Euro. Die 750 000 Euro,
die sie bekommen soll, wird man zusammenbekommen.
Wenn das geschehen ist, können wir die Planungen auf
niedersächsischem Gebiet sehr gut vorantreiben.
({5})
So viel dazu.
NOK ist bereits erwähnt worden. Dazu brauche ich
nichts zu sagen.
Schauen wir uns doch einmal an, was von der Nordseeregion, unter anderem von Schleswig-Holstein, an
Wirtschaftskraft ausgeht. Die Schiffsbeteiligung - sie ist
überhaupt noch nicht erwähnt worden - ist ein ganz wesentlicher Wirtschaftsfaktor. Allein im letzten Jahr sind
in Deutschland über 3 Milliarden Euro an Anlegerkapital für Schiffsbeteiligungen eingetrieben worden. Ich zitiere den Geschäftsführer eines entsprechenden Unternehmens:
Im Jahr 2004 stimmte in diesem Markt einfach alles, …, das Wachstum der Weltwirtschaft, des Welthandels, der Umschlagszahlen, der Frachtraten, der
Reedergewinne und nicht zuletzt auch der Erfolge
eines durch den verstärkten Einstieg deutscher Banken ausgebauten Vertriebsmarktes.
Davon geht Wirtschaftskraft aus, die in alle möglichen
Regionen ausstrahlt.
Das Gleiche gilt für die Werften. Werfen wir einfach
einmal spaßeshalber, weil es so schön ist, einen Blick
nach Schleswig-Holstein! Da haben Sie Vorzeigewerften, Herr Carstensen. Darüber sollten Sie sich einmal informieren. Das gilt nicht nur für Lindenau, der im
Grunde weltweit als Vater der Doppelhülle angesehen
wird. Das gilt für die kleine Reederei Braren, die in Bezug auf den Blauen Umweltengel Vorreiter ist. Das gilt
auch für die FSG. Da muss ich Herrn Börnsen ansprechen. Herr Börnsen, Sie haben im Dezember hier eine
wirklich lustige Rede zu diesem Thema gehalten. Deshalb würde ich Ihnen raten: Gehen Sie einmal zur Flensburger Schiffbau-Gesellschaft
({6})
und bestellen Sie da ein Multifunktionsschiff, das dann
schon eine Kreuzung aus Frachter und Fregatte sein
sollte, das Chemikalien tankt, Schleppnetze auswirft und
durch die Flensburger Förde in die Nordsee fährt! - Das
muss Ihre Vorstellung davon sein.
({7})
- Ja, es ist so! Man muss die Rede einmal nachlesen. Sie
ist am 2. Dezember hier im Plenum gehalten worden; extrem belustigend.
({8})
Nehmen wir aus der Initiative „Zukunft Meer“ das
Forschungsnetz Meerestechnik! Herr Börnsen, Sie sind
auch an der Stelle wieder nicht informiert; Herr
Carstensen, Sie sind es noch weniger.
({9})
Das ist ein Trauerspiel für Sie als angeblich maritime
Politiker in Schleswig-Holstein. Da fordern Sie für die
Nordsee ein Tsunami-Frühwarnsystem und wissen offensichtlich nicht einmal, dass aus Schleswig-Holstein
die Initiative GHyCoP kommt. - Sie dürfen im Protokoll
nachlesen, wie man das schreibt und was sich dahinter
verbirgt.
({10})
Eine Kooperation aus kleinen und mittleren Unternehmen, von denen fast alle ihren Standort in SchleswigHolstein haben, tritt jetzt als Anbieter auf, um die Morphologie des Meeresbodens zu vermessen, die Festlandssockel zu vermessen, damit man nicht nur seismographische Warnungen abgeben kann, sondern damit
man auch in Erfahrung bringen kann, wo möglicherweise eine Katastrophe entsteht. Die ist nicht durch die
Schwingungen des Erdbebens bedingt, sondern entsteht
über die Morphologie des Meeresbodens. Das muss vermessen werden.
({11})
Sie haben die Anbieter bei sich in Schleswig-Holstein.
Unterstützen Sie die, sodass sie an Aufträge kommen!
Das wäre wichtig.
({12})
Noch ein Wort zur Windenergie, auch wenn dazu
schon eine ganze Menge gesagt worden ist.
({13})
33 Anträge für Offshore-Windparks liegen aktuell allein beim BSH.
({14})
- 38? Nach meiner Information sind es 33. 38 sind noch
besser. Ich will die Zahl gern akzeptieren.
({15})
Auch da haben wir die technologische Führerschaft. Bisher haben sich Offshore-Windparks grundsätzlich höchstens nasse Füße geholt, aber waren nicht wirklich offshore. Bei richtigen Offshore-Windparks ist die gesamte
Technologie ganz anders, das heißt, es gibt eine ganz andere Logistik, eine ganz andere Wartung, eine ganz andere Statik, eine ganz andere Technik.
Hier möchte ich einmal auf Heide Simonis verweisen.
Das größte Windkraftwerk der Welt wird zurzeit in
Schleswig-Holstein gebaut. Das heißt, Heide Simonis ist
die Mutter der Megawindräder. Das sollten Sie sich merken.
({16})
Die Häfen sind schon erwähnt worden: Umschlagssteigerungen von 8 Prozent; trimodale Transportketten.
Noch ein letztes Wort zu den Nordseehäfen, weil mir
das so wichtig ist. Sie tun so, als hielten Sie die Nordseehäfen hoch. Was machen Sie aber im Verkehrsausschuss
oder im Plenum? Was verstehen Sie vom Thema Port
Package? Die Position, die Sie dazu vertreten haben, ist
wettbewerbsfeindlich; sie ist einfach unglaublich.
({17})
Die Hafenbetriebe, die eine funktionierende Infrastruktur haben, wollen Sie dem Wettbewerb so ausliefern,
dass sie sich nicht mehr behaupten können. Für Hafenbetriebe ist nicht nur das wichtig, was im Hafen passiert;
sie brauchen ihr Hinterland, die Infrastruktur, die Logistik, Kontakte und das Vertrauen der Wirtschaft.
({18})
- Ja natürlich! Sie haben gar keine Ahnung, wovon ich
rede, Herr Carstensen!
({19})
Dieser Zwischenruf ist absolut peinlich.
({20})
Was Ihr Kollege Börnsen im Verkehrsausschuss vorgeschlagen hat, ist so was von wettbewerbsfeindlich, wie
es schlimmer überhaupt nicht mehr geht. Sie wollen den
Ausverkauf unserer Hafeninfrastruktur an asiatische
Monopolisten. Sie wollen, dass Großreedereien mit eigenen Terminals kommen. Sie wollen, dass die Ergebnisse
der Wertschöpfung aus unseren Häfen nicht mehr in der
EU, sondern in asiatischen Ländern abgegriffen werden.
({21})
Sie gefährden damit - das muss man Ihnen einmal klar
sagen - über 300 000 Arbeitsplätze in den Nordseehäfen.
({22})
Kein Wort vom Jade-Weser-Port, kein Wort dazu,
dass sich ein wettbewerbsfähiger, konkurrenzfähiger
Tiefwasserhafen in Planung befindet, der bald in Betrieb
gehen soll!
Zur Schifffahrt will ich gar nichts mehr sagen; dazu
ist genug ausgeführt worden; meine Zeit läuft ab.
({23})
- Schade, nicht? Ich hätte schon Lust, noch weiterzumachen.
Als Letztes möchte ich aber noch zwei Dinge sagen:
Erstens. Ihre Große Anfrage umgibt Sie nicht mit einem
Heiligenschein; sie ist scheinheilig.
({24})
Zweitens. Als Niedersächsin - ich bin nicht aus
Schleswig-Holstein - kann ich Ihnen eines weiß Gott sagen: Wenn Sie glauben, Sie könnten Heide Simonis aufs
Altenteil setzen, dann sind Sie völlig schief gewickelt.
Die Frau ist absolut gut und sie wird die Regierung weiter führen.
Vielen Dank.
({25})
Ich schließe die Aussprache.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich den
nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, teile ich Ihnen
mit, dass sich die Fraktionen darauf verständigt haben,
den Tagesordnungspunkt 11 - Umsetzung von Vorschlägen zu Bürokratieabbau und Deregulierung aus den Regionen und zur Änderung wohnungsrechtlicher Vorschriften - von der heutigen Tagesordnung abzusetzen.
Sind Sie mit dieser Vereinbarung einverstanden? - Das
ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Sören
Bartol, Sabine Bätzing, Uwe Beckmeyer, Ute
Berg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD sowie der Abgeordneten Franziska
Eichstädt-Bohlig, Volker Beck ({0}), Peter
Hettlich und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Das Programm „Soziale Stadt“ weiterentwickeln und ausweiten
- Drucksache 15/4660 Überweisungsvorschlag
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({1})
Innenausschus
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Sören Bartol, SPD.
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das Bund/Länder-Programm „Soziale Stadt“
ist ein wichtiges und unverzichtbares Instrument zur
Stabilisierung benachteiligter Wohnquartiere.
({0})
Dort, wo sich gesellschaftliche und soziale Probleme,
Armut und Arbeitslosigkeit häufen, wo es überdurchschnittlich viele Migrantinnen und Migranten gibt, wo
städtebauliche Missstände herrschen und soziale und
kulturelle Infrastruktur fehlen, bietet das Programm „Soziale Stadt“ die Chance, den Abwärtstrend zu stoppen
und die Lebenschancen der Bewohnerinnen und Bewohner zu verbessern. Das ist ein wesentliches Ergebnis der
Zwischenevaluierung nach fünf Jahren Laufzeit des Programms „Soziale Stadt“.
({1})
Als Rot-Grün das Erfolgsprogramm 1999 startete, bewegten wir uns auf Neuland. Mit seinem integrativen
und aktivierenden Ansatz ist das Programm „Soziale
Stadt“ ein neues und innovatives Instrument der Städtebauförderung.
({2})
Die umfassende Kooperation und Vernetzung unterschiedlicher Akteure auf allen Ebenen nennt der Evaluationsbericht eine „politische Pionierleistung“ in Richtung auf einen ermöglichenden und aktivierenden Staat.
Innovativ ist das Programm in mehrfacher Hinsicht.
Es geht über klassische Städtebauförderung hinaus und
nimmt auch soziale und gesellschaftliche Probleme in
den Quartieren in den Blick. Auf allen Ebenen - Bund,
Land, Kommune - will das Programm Ressortdenken
überwinden. Es setzt auf Kooperation und Mittelbündelung und ergänzt so investive städtebauliche Maßnahmen durch nicht investive, etwa in der Jugendarbeit und
auf dem Arbeitsmarkt.
Innovativ ist das Programm „Soziale Stadt“ auch im
Hinblick auf die Einbeziehung nicht staatlicher Akteure,
insbesondere der Wohnungswirtschaft, aber auch der
Wohlfahrtsverbände. Ohne deren Einsatz könnte das
Programm nur einen Bruchteil seiner Wirkung entfalten.
Die entscheidende Voraussetzung für den Erfolg ist
aber die Mitwirkung der Bewohnerinnen und Bewohner.
So will die „Soziale Stadt“ mehr Bürgerbeteiligung und
nicht nur Stellungnahmen zu bereits geplanten Maßnahmen. Sie möchte eigenständige Bewohnerstrukturen aufbauen, die sich auch langfristig selbst tragen.
({3})
Die Evaluierung hat gezeigt, wie erfolgreich dieser
integrative, aktivierende Ansatz ist. Innerhalb kurzer
Zeit ist in den Projektgebieten eine Aufbruchstimmung
entstanden, Verbesserungen im öffentlichen Raum werden augenfällig, soziale Netzwerke und Infrastruktur
entstehen. Eindrucksvoll war dies zu besichtigen bei der
Verleihung des Preises „Soziale Stadt“ vor einer Woche
hier in Berlin. In diesem Rahmen wurden 18 Projekte
ausgezeichnet, die beispielhaft die Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure - Wohnungsunternehmen, Bürgerinitiativen, Wohlfahrtsverbände und Kommunen verwirklichen und sich um das soziale Miteinander verschiedener Bevölkerungsgruppen - Junge und Alte,
Menschen unterschiedlichster Nationalitäten, Menschen
mit sozialen Schwierigkeiten - verdient machen. Die
Bandbreite der ausgezeichneten Projekte reichte vom
Seniorennetzwerk in Arnsberg über die Belebung und
Gewerbeansiedlung in der Wellritzstraße in Wiesbaden
bis zu einem interkulturellen Garten in meiner Heimatstadt Marburg.
All diese Erfolge sind eine eindeutige Aufforderung
an uns politisch Verantwortliche, das Programm weiterzuführen.
({4})
Die Weichen müssen auf Kontinuität gestellt werden;
das ist bereits geschehen. Wir alle haben die „Soziale
Stadt“ im letzten Jahr im Baugesetzbuch verankert. Die
Koalition hat auf mittelfristige Sicht Finanzmittel auf
hohem Niveau eingeplant. Wir sind zudem entschlossen,
das Programm, laut Evaluation ein „Positivbeispiel für
kooperativen Föderalismus“, als Gemeinschaftsaufgabe
von Bund und Ländern weiterzuführen. Im Lichte der
Zwischenevaluierung muss es nun darum gehen, das
Programm weiter zu verbessern.
Die Ressortkooperation als zentraler Ansatz des
Programms muss auf allen Ebenen vertieft werden. Der
Bund kann dabei ein wichtiger Impulsgeber sein, wie
das Beispiel des Programms E & C „Entwicklung und
Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten“
zeigt. Mit E & C lenkt das Familienministerium Mittel
der Kinder- und Jugendhilfe gezielt in die auch vom Programm „Soziale Stadt“ erfassten Gebiete. Auch die Ressorts Wirtschaft und Arbeit, Bildung, Umwelt, Verbraucherschutz und Inneres sind aufgefordert, in ihren
Zuständigkeitsbereichen den sozialräumlichen Bezug zu
stärken. Ressourcen, Erfahrungen und Anstrengungen
können so in sozialen Brennpunkten konzentriert werden. Nur so kann das ehrgeizige Ziel des Programms
besser erreicht werden, nicht nur die Wohn-, sondern
auch die gesamte Lebenssituation in den Problemquartieren zu verbessern.
({5})
Um die Kooperation abzusichern, sieht unser Antrag die
Einrichtung einer interministeriellen Arbeitsgruppe vor.
Letztlich jedoch sind es die Projektverantwortlichen
vor Ort, in den Kommunen und den Stadtteilen, die die
Bündelung von Mitteln in die Tat umsetzen müssen - neben ihrer alltäglichen Arbeit im Stadtteil. Sie haben dabei jede Unterstützung verdient, sei es in Form von
Beratung oder durch besser abgestimmte Förderprogramme. Gemeinsam mit den Ländern wollen wir prüfen, wie wir für die Kommunen Anreize schaffen können, zusätzliche Fördermittel zu akquirieren.
In drei Bereichen wollen wir die Anstrengungen in
den „Soziale Stadt“-Gebieten vorrangig intensivieren,
weil sie von entscheidender Bedeutung für die Quartiersentwicklung sind. Das sind die Bereiche Bildung, Integration von Migrantinnen und Migranten sowie Beschäftigung und Qualifizierung.
Die Situation in den Schulen ist der zentrale Schlüssel für das Umsteuern der Entwicklung in den Quartieren.
({6})
Die Schulen arbeiten dort unter schwierigsten Rahmenbedingungen. Damit die Kinder optimal gefördert werden können, brauchen sie weitergehende Unterstützung,
etwa durch die Einrichtung von Ganztagsschulen. Wir
wollen, dass Bund und Länder gemeinsam nach Möglichkeiten suchen, das Ganztagsschulprogramm gezielt
in den „Soziale Stadt“-Gebieten einzusetzen. Berlin geht
hier mit gutem Beispiel voran.
({7})
Durch Kooperationen mit dem Stadtteilmanagement und
die Öffnung der Schulen können sie zu einem Kristallisationspunkt für eine positive Trendwende im Stadtteil
werden.
Das Aufeinandertreffen von 30 verschiedenen Nationalitäten ist in „Soziale Stadt“-Gebieten wie zum Beispiel in der Hamburger Lenzsiedlung keine Seltenheit.
Dies macht deutlich, dass die Integration von Migrantinnen und Migranten eines der wichtigsten Handlungsfelder der Stadtteilentwicklung ist. Die Integrationsangebote nach dem neuen Zuwanderungsgesetz
sollten wir dafür nutzen.
({8})
Leider hieße es, das Programm „Soziale Stadt“ zu
überfordern, wenn man von ihm eine Verbesserung der
Beschäftigungssituation in den Quartieren erwarten
würde. Dennoch: Qualifizierung und Beschäftigung sind
entscheidend für die Zukunftsperspektiven der Quartiersbewohner. Wir wollen die neuen arbeitsmarktpolitischen Instrumente daraufhin prüfen, wie sie gezielt in
Problemquartieren eingesetzt werden können.
Als neues Instrument der Städtebauförderung ist das
Programm „Soziale Stadt“ sehr offen angelegt und lässt
Raum für die unterschiedlichsten, den örtlichen Problemen angepasste Projekte. Gut und wichtig ist deshalb
eine intensive Programmbegleitung. Uns ist es ein wichtiges Anliegen, insbesondere den Erfahrungsaustausch
zwischen den Projekten und die Qualifizierung der Projektverantwortlichen weiter auszubauen.
Das Programm „Soziale Stadt“ ist ein lernendes Programm. Dem tragen wir Rechnung, indem wir die Ergebnisse der Zwischenevaluierung nutzen, um das Programm weiterzuentwickeln. Wir wollen die Evaluierung
in ein kontinuierliches Monitoring der einzelnen Projekte überführen. Damit verbessern wir die Qualität und
die Zielerreichung des Programms, ohne die Handlungsspielräume der Verantwortlichen vor Ort einzuschränken.
({9})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich komme
zum Schluss. Ich denke, diejenigen, die aus ihren Wahlkreisen Projekte des Programms „Soziale Stadt“ kennen,
werden mir zustimmen, dass es das Programm verdient,
fortgeführt zu werden. Ich bitte Sie alle zum Schluss:
Wirken Sie daran mit, das Programm weiter bekannt zu
machen. Unterstützen Sie uns jetzt dabei, dieses so wichtige und wirksame Instrument gegen den sozialen Abstieg ganzer Wohnquartiere fortzuentwickeln.
Vielen Dank.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Peter Götz, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es stimmt,
Bund und Länder haben die Städtebauförderung um das
Programm „Soziale Stadt“ ergänzt, um der sich verschärfenden sozialen und räumlichen Spaltung in den
Städten etwas entgegenzusetzen. Es ist richtig und nicht
zu kritisieren, dass vor sechs Jahren, unmittelbar nach
Regierungsübernahme von Rot-Grün, die gute Vorarbeit
und die Vorbereitungen im Bauministerium unter dem
damaligen Bauminister Eduard Oswald für ein solches
Programm aufgegriffen und in politisches Handeln umgesetzt worden sind.
({0})
Wir hätten uns gewünscht, wenn dies auch in anderen
Politikbereichen - bei der Steuer- und Arbeitsmarktpolitik oder bei der Gesundheits- und Rentenpolitik, um nur
einige Beispiele zu nennen - ebenfalls geschehen wäre.
Dann ginge es den Menschen in Deutschland heute besser und wir hätten einige Probleme weniger.
({1})
Zurück zum eigentlich sympathischen Reparaturbetrieb „Soziale Stadt“. Dies ist ein Programm, das mit seinem integrativen Politikansatz quartiersbezogen sowohl auf Partizipation als auch auf Kooperation angelegt
ist. Dies sind Ansätze, die seinerzeit, als das Programm
aufgelegt worden ist, durchaus richtig waren.
Aber reicht das heute aus? Brauchen wir, wenn wir
über Weiterentwicklung unserer Städte reden, nicht zusätzlich neue Kooperationsformen und vor allem Partnerschaften? Müssen wir nicht mehr denn je darüber
nachdenken, wie wir es schaffen, das Verhältnis zwischen Bürgern und Verwaltung auf der einen Seite und
das Verhältnis zwischen Verwaltung und Investoren auf
der anderen Seite zu verbessern? Müssen wir nicht mehr
denn je diese drei zentralen Akteure - also die öffentliche Hand, die privaten Haushalte und Familien sowie
vor allem die investitionsbereite Wirtschaft - zusammenführen, um städtebauliche Qualitäten effizienter zu
sichern?
Stadtentwicklung ist ein dynamischer Prozess.
Städte verändern sich täglich. Vor Ort wird der wirtschaftliche Strukturwandel, die demographische Entwicklung, das Schrumpfen der Bevölkerungszahl, aber
auch eine Veränderung in der Gesellschaft am schnellsten sichtbar. Es sind die Städte und die Gemeinden, die
am ehesten in der Lage sind, ihre erkannten Probleme zu
bewältigen und zu lösen. Man muss sie nur lassen.
Doch wie sieht es nach sechs Jahren rot-grüner Regierung aus? Viele Städte in Deutschland stehen am Rand
des finanziellen Ruins. Sie können schon lange ihre
Hausaufgaben nicht mehr machen. Öffentliche Einrichtungen wie Schwimmbäder und Büchereien müssen geschlossen werden, weil das Geld fehlt. Straßen, Schulen
und Kindergärten werden nicht mehr repariert. Vereinsund Jugendförderung wird mangels Masse zusammengestrichen. Ein Investitionsstau in einer Milliardengrößenordnung baut sich Jahr für Jahr auf. Das sind Probleme,
die sich nicht durch die Förderung von Sozialarbeitern in
Deutschland lösen lassen.
Es macht nach unserem Verständnis wenig Sinn,
wenn der Bund den Städten und Gemeinden erst das
Geld aus der Tasche zieht, um es dann anschließend über
eine Vielzahl von Programmen vor Ort wieder zu verteilen. Was wir in Deutschland dringend brauchen, sind
leistungsstarke Kommunen, die in der Lage sind, eigenverantwortlich ihre Aufgaben wahrzunehmen, damit
kommunale Selbstverwaltung endlich wieder stattfinden kann. Das muss unser oberstes Ziel sein.
({2})
Wir haben vor wenigen Monaten bei der Novellierung
des Baugesetzbuches das Konzept „Soziale Stadt“ einvernehmlich als neue Bestimmung ins Gesetz aufgenommen. Das stimmt. Dort heißt es unter anderem:
Das Entwicklungskonzept
- dieses müssen die Kommunen erstellen soll insbesondere Maßnahmen enthalten, die der
Verbesserung der Wohn- und Arbeitsverhältnisse
sowie der Schaffung und Erhaltung sozial stabiler
Bewohnerstrukturen dienen.
So weit, so gut.
In dieser Debatte, in der offensichtlich ausschließlich
über Programmerfolge diskutiert werden soll, müssen
aber auch Fragen erlaubt sein: Woran wird dieser Programmerfolg gemessen? Was ist die Grundlage für die
Bewertung? Geht es nur um das allgemeine Befinden
oder spielt bei der „Erfolgsbewertung“ auch das im Gesetz vorgeschriebene Ziel eine Rolle? Wenn ich die Rede
meines Kollegen Bartol vorhin richtig verstanden habe,
dann muss ich feststellen, dass sich die Koalition von der
Frage der Arbeitslosigkeit im Zusammenhang mit diesem Programm bereits verabschiedet hat.
({3})
Eine allgemeine Selbstzufriedenheit mit Projekten,
mit denen man vor Ort Gutes bewirken will - das ist
nicht zu bestreiten - und mit denen man vielleicht manchen sozialen Konflikt verhindern kann, ist aus Ihrer
Sicht durchaus verständlich. Aber sie automatisch als
Programmerfolg zu feiern ist schon mutig, vor allen Dingen wenn man die gesetzlich formulierten Ziele als Maßstab nimmt.
Ich nehme als Beispiel die Bereiche Wirtschaft und
Arbeitsmarkt, die wir im Baugesetzbuch verankert haben. Bei der Evaluierung wird die Entwicklung in den
Quartieren am ungünstigsten beurteilt. Von den Akteuren wird die Arbeitslosigkeit als das schwerwiegendste
Problem in den Programmgebieten dargestellt. Das Programm ist bestenfalls dazu geeignet, die negativen Folgen von Arbeitslosigkeit und Armut in den Programmvierteln erträglicher zu gestalten. Die Realität sieht so
aus, dass Armut und Arbeitslosigkeit gerade in den Programmgebieten zunehmen. Wo also bleibt der in das
Baugesetzbuch aufgenommene Nachweis einer nachhaltigen Verbesserung nicht nur der Wohn-, sondern auch
der Arbeitsverhältnisse? Wo bleibt der Nachweis der Beseitigung von Missständen in Bezug auf die gewünschte
stabile soziale Bewohnerstruktur?
Das Programm mit seinem Fördervolumen von
70 bzw. 80 Millionen Euro bundesweit kann vielleicht
ein paar Schmerzen lindern. Eine grundlegende Abhilfe
kann aber nicht erwartet werden, solange diese Bundesregierung nicht bereit und nicht gewillt ist, ihre grundlegenden Defizite in der Sozial-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik einzugestehen und daraus die richtigen
Konsequenzen zu ziehen.
({4})
Das Gleiche gilt für die verfehlte Bildungs-, Jugendund Ausländerpolitik. Hier gilt es endlich anzusetzen. Es
ist zu wenig, ständig neue, schöne Programme zu erfinden. Ein politisches Ziel muss es sein, durch eine erfolgreiche Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik solche
Reparaturprogramme letztlich entbehrlich zu machen.
Dazu gehört eine bessere Finanzausstattung der Kommunen und dazu gehört, Schluss mit dem ständigen Verschiebebahnhof zulasten kommunaler Haushalte zu
machen. Dazu gehört die Einhaltung des Konnexitätsprinzips oder ein Verbot für den Bund, ohne die Gewährung von mehr Geld Aufgaben auf die Kommunen zu
übertragen.
({5})
Herr Kollege Schmidt, wir wollen, dass endlich wieder
der Grundsatz gilt: Wer bestellt, bezahlt.
({6})
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der mir
im Zusammenhang mit dem Programm „Soziale Stadt“
- ich komme zur Sache - sehr wichtig erscheint und der
nichts mit Geld zu tun hat. Die Schaffung und Erhaltung
sozial stabiler Bewohner- und Siedlungsstrukturen ist
sowohl in der Kommunalpolitik als auch in der Wohnungspolitik ein unbestritten anerkennenswertes und bewährtes Ziel. Im Programm „Soziale Stadt“ wird unter
anderem auch dafür das Geld des Steuerzahlers ausgegeben. Ich frage Sie: Wie wollen Sie dieses, wie ich finde,
berechtigte Ziel mit Ihrem Antidiskriminierungsgesetz
vereinbaren? Wie wollen Sie im Rahmen Ihres Antidiskriminierungsgesetzes einen bestimmten Bewerber für
eine Mietwohnung ablehnen, wenn er diesem gesellschaftlich anerkannten Ziel nicht entspricht, ohne dass
dies als Diskriminierung gewertet wird? Ich würde mich
freuen, Herr Staatssekretär, wenn Sie mir in Ihrer Rede
darauf eine Antwort geben könnten.
Der Präsident des Gesamtverbandes der Wohnungswirtschaft, Lutz Freitag, hat vor wenigen Wochen öffentlich erklärt - ich zitiere -, die relative Stabilität und Sicherheit in deutschen Großsiedlungen würde durch die
vorgesehenen Regelungen des Antidiskriminierungsgesetzes massiv gefährdet.
({7})
Frau Kollegin, Sie sollten im Interesse des Programms
„Soziale Stadt“, das Sie vermutlich den ganzen Abend
loben werden, auf den Präsidenten des GdW hören und
Ihren Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes ganz
schnell wieder einsammeln.
({8})
Lassen Sie mich zusammenfassend Folgendes sagen:
Vor Jahren haben die Kommunen viele Probleme selbst
gelöst. Die meisten Projekte, über die wir diskutieren,
fallen in den kommunalen Zuständigkeitsbereich. Heute
können dies die Städte und Gemeinden nicht mehr, weil
das Geld fehlt.
Wenn wir es schaffen - ich lade uns alle dazu ein -,
die Kommunen endlich wieder in die Lage zu versetzen,
eigenverantwortlich zu handeln, dann brauchen wir
keine jährlichen Verwaltungsvereinbarungen zwischen
Bund und Ländern. Wir brauchen weniger aufwendige
Länderprogramme mit ewigen Abstimmungsrunden und
Begutachtungsverfahren. Wir brauchen keine von Ihnen
erneut geforderte, wie dies im Koalitionsantrag zum
Ausdruck gebracht wird, interministerielle Arbeitsgruppe, die die ressortübergreifende Kooperation im
Hinblick auf das Programm „Soziale Stadt“ verbessert.
Darauf können wir alle verzichten. Wir brauchen keine
quer durch Deutschland ziehende Reisekarawane zur
Programmhuldigung, Programmwürdigung und vielem
anderen mehr. Stellen Sie sich vor, welche bürokratische
Entlastung allein auf diesem Gebiet erzielt werden
könnte, wenn Sie endlich eine solide Politik für eine
starke kommunale Selbstverwaltung, eine Politik für finanzstarke Städte und Gemeinden in Deutschland machen würden!
CDU und CSU sind dazu bereit. Wir sind der festen
Überzeugung: Mit leistungsstarken Kommunen geht es
in Deutschland wieder aufwärts. Es lohnt sich, dafür zu
arbeiten.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Franziska EichstädtBohlig, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Götz, ich habe nicht ganz verstanden,
welches das Ziel Ihrer Rede war. Eines meiner Probleme
ist, dass Sie Ihre Rede mit der Bemerkung begonnen haben, die gute Vorbereitung von Bauminister Oswald
habe diesem Programm zu einem guten Ergebnis verholfen. Dies ist schlicht nicht richtig, denn es gab gute Vorbereitungen vonseiten der Länder, insbesondere des Landes Nordrhein-Westfalen, aber auch von Berlin; es
waren überwiegend sozialdemokratisch geführte Länder
daran beteiligt, wie man der Ehrlichkeit halber sagen
muss. Des Weiteren gab es intensive Diskussionen in der
Arge Bau. Das Programm „Soziale Stadt“ haben ganz
konkret der Kollege Achim Großmann, heute Parlamentarischer Staatssekretär, und ich in die rot-grüne Koalitionsvereinbarung hineingeschrieben und damit als ein
Bundesprogramm, das es vorher nicht gab, auf den Weg
gebracht.
({0})
Dann haben Sie gesagt, es gehe hier nur um eine Reisekarawane zur Programmhuldigung. Dies hätten Sie
nicht sagen können, wenn Sie den Antrag gelesen hätten.
Die Ergebnisse der Evaluation sowie der konkreten Auswertungen der Aktiven vor Ort zeigen erfreulicherweise,
dass es sich um ein erstaunlich gutes und treffsicheres
Programm handelt. Dies kann man hier ruhig selbstbewusst darstellen; dessen schämen wir uns überhaupt
nicht. Wir würden uns freuen, wenn alle Beteilgten es so
sähen, wie es die Akteure vor Ort bewerten. Gleichwohl
enthält unser Antrag eine Reihe von Vorschlägen und
Forderungen zur Weiterentwicklung. Auch dessen schämen wir uns nicht; denn ein gutes Programm und eine
gute Weiterentwicklung vertragen sich miteinander sehr
wohl.
({1})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Götz?
Okay, dann kommuniziere ich jetzt hauptsächlich mit
dem Kollegen Götz.
Entschuldigung, Frau Kollegin, Sie haben mich direkt
angesprochen; deshalb sei mir erlaubt, eine Frage zu
stellen. Sie haben kritisiert, dass ich in meiner Rede die
Evaluation falsch eingeschätzt hätte. Ein Ergebnis der
Evaluation betraf die Bereiche Arbeitslosigkeit und Armut. Bei der Arbeitslosigkeit wurde die Bewertung
„deutlich verbessert“ von 0,0 Prozent genannt, „etwas
verbessert“ von 3,2 Prozent, „gleich geblieben“ von
40,6 Prozent, „etwas verschlechtert“ von 31,7 Prozent
und „deutlich verschlechtert“ von 24,5 Prozent. Wenn
Sie dies als Erfolg verkaufen, dann bitte ich Sie, mir zu
sagen, wie Sie dies begründen.
Kollege Götz, Sie selbst sagten - ich sehe dies
genauso -, von diesem Programm könne man nicht verlangen, dass es sämtliche stadtpolitischen Probleme, in
diesem Fall die arbeitsmarktpolitischen Probleme, löse.
Selbstverständlich kann niemand von diesem Programm
erwarten, dass es das zunehmende soziale Auseinanderdriften unserer Gesellschaft in mehr Reichtum auf der einen Seite und mehr soziale Probleme, Arbeitslosigkeit,
Armut und Migrationsprobleme auf der anderen Seite
verhindert. Ich warne jedenfalls davor, so etwas von diesem Programm zu erwarten. Lassen Sie mich dies an einem Beispiel deutlich machen: Einerseits werden mit
6 Milliarden Euro Fördermitteln für die Eigenheimzulage die Menschen aus diesen Quartieren herausgefördert, andererseits soll ein kleines, bescheidenes
Programm, das auf Bundesebene einen Verpflichtungsrahmen von 71 Millionen Euro ausweist - bei Bund,
Ländern und Gemeinden zusammen sind es 210 Millionen Euro -, all das kompensieren, was an negativer
Stadtentwicklung stattfindet. Von diesem Programm darf
man nichts verlangen, was es nicht leisten kann; anderenfalls macht man es kaputt. Hier bitte ich um Fairness,
Herr Kollege Götz.
({0})
Bevor ich zu den Punkten komme, bei denen ich noch
weiteren Entwicklungsbedarf sehe - das bezieht sich
auch auf die arbeitsmarktpolitische Zusammenarbeit -,
möchte ich stichwortartig sagen, was wirklich gut ist:
Der Kollege Bartol hat bereits gesagt, dass es eine
enorme Bürgeraktivierung gibt. Wir haben die wichtigen sozialen und punktuell auch die ökonomischen Akteure in den Stadtteilen aktiviert. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Konzentration eines Programms
auf einen konkreten Ort und die dort lebenden Menschen
- wie bei der Städtebauförderung - offenbar ein sehr effektives Instrument ist. Die Bündelung von ressortübergreifenden, an sich sehr unterschiedlichen Maßnahmen
vor Ort hat sich sowohl für die beteiligten Akteure als
auch für die beteiligten Verwaltungen als sehr sinnvoll
und nützlich erwiesen. Diejenigen, die konkret damit
arbeiten, sagen uns sogar immer wieder, dass dies ein
Stück weit ein Impulsgeber für eine Verwaltungsreform
ist. Man muss daher sagen, dass dieses Programm in erstaunlicher Form treffsicher ist.
Jetzt aber zu den Punkten, bei denen weiterer Entwicklungsbedarf besteht. Sören Bartol hat bereits gesagt,
dass der Bereich „Bildung und Schule“ aktiver angegangen werden muss. Dazu müssen auf der Ebene von
Bund, Ländern und Kommunen Initiativen ergriffen
werden. Dies bezieht sich nicht nur generell auf Bildung, sondern auch auf Schule als Nachbarschaftszentrum. Unsere Förderung der Ganztagsschule ist ein
wichtiger Schritt in diese Richtung.
Der zweite Bereich betrifft die Integration, der dritte
Bereich die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Insofern ist das, was Sie gesagt haben, absolut richtig; das ist
auch meiner Meinung nach die zentrale Forderung. Wir
- damit meine ich unsere Seite - werden besondere Anstrengungen unternehmen, vielleicht auch mit Ihrer Unterstützung - wir fänden das toll; wir würden ein solches
Angebot gerne annehmen -, um das, was sich jetzt durch
Hartz IV an neuer Arbeitsmarktpolitik durch die Jobcenter, die neue Form der Betreuung, ergeben hat, in diesen Stadtteilen aktiv wirken zu lassen. Es ist unseres Erachtens von zentraler Bedeutung, die Vernetzung in
diesem Bereich zu stärken.
Gleichzeitig brauchen wir eine verstärkte Kooperation mit der Wirtschaft. Damit meine ich nicht nur
durch Träger organisierte Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen. Ich werbe bei allen Beteiligten dafür - dabei blicke ich auch auf Rezzo Schlauch und unser Wirtschaftsressort -, die Wirtschaftsförderung nicht
immer nur auf generelle Standorte, womöglich noch auf
Standorte in den Peripherien, zu konzentrieren. Vielmehr
muss ein deutlicher Teil der Wirtschaftsförderung gerade
auch in diese Quartiere gelenkt werden, damit wir dort
schrittweise zu einer Verbindung von sozialer Stabilisierung, Schaffung von Arbeitsplätzen und stabiler Wirtschaft kommen. Ich werbe sehr dafür - das steht auch in
unserem Antrag -, sich auf Bundes- und Länderebene
für eine konkrete Wirtschaftsförderung in den einzelnen
Regionen und Kommunen einzusetzen. Dazu sollten wir
alle unseren Beitrag leisten.
Da meine Redezeit zu Ende ist, möchte ich als Letztes
sagen: Zur Wirtschaft gehört auch die Diskussion über
Corporate Citizenship, wie es bei den Amerikanern
heißt. Die Verbindung von bürgerschaftlichem Engagement und Wirtschaftsaktivität ist ein wichtiger Baustein
dieser Stadtteile.
Wir haben durchaus noch viel zu tun. Wir werden uns
dieser Aufgabe stellen und fänden es toll, wenn Sie mitzögen, statt zu meckern.
({1})
Das Wort hat der Kollege Joachim Günther, FDPFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wer die Überschrift dieses Antrages liest: „Das Programm ,Soziale Stadt‘ weiterentwickeln und ausweiten“,
der kann dem nur zustimmen. Auch wir haben dieses
Programm im Allgemeinen begrüßt. Nun stellt sich die
Frage, wie und wohin dieses Programm weiterentwickelt
wird.
({0})
Nachdem Bund und Länder seit 1999 die Städtebauförderung um den Programmteil „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die Soziale Stadt“ ergänzt haben, wurden erste Erfahrungen mit diesem
neuen Politikansatz gesammelt. Der Zwischenbericht
des IfS macht diese kenntlich.
Die Verankerung des Programms „Soziale Stadt“
im Baugesetzbuch, in § 171 e, war nicht ganz unumstritten. Dies wurde einstimmig beschlossen; das ist richtig. Wir haben letztlich zugestimmt, weil wir das InKraft-Treten der BauGB-Novelle insgesamt nicht gefährden wollten und weil uns bei einigen unserer Forderungen entgegengekommen worden ist. Aber glücklich
waren wir und auch die Kollegen von der Union damals
nicht. Denn wir befürchteten, dass wir mit der Aufnahme
ins Gesetz eventuellen Schieflagen der Bevölkerungsstruktur bzw. unklar definierten Projekten entgegensehen würden. Ob diese Befürchtungen tatsächlich
grundlos waren, ist auch aus diesem Zwischenbericht
nicht endgültig erkennbar.
In den Ländern gibt es verschiedene Maßnahmen aus
Mitteln des Programms „Soziale Stadt“, die bei genauer
Betrachtung zumindest die Frage aufwerfen, ob sie wirklich mit dem Baugesetzbuch in Verbindung stehen. Ich
möchte Ihnen einige Punkte aus dem Projekt Ludwigsburg nennen, die aus diesem Stadtumbauprogramm finanziert wurden: Seminar für Frauen zu Erziehungs- und
Gesundheitsfragen in türkischer Sprache; Alphabetisierungskurs für ausländische Bürger;
({1})
Geburtsvorbereitungskurs für werdende Mütter in türkischer Sprache. Auch der Deutschkurs, den es dort gibt,
ist zwar richtig für die Verständigung in der Stadt. Aber
ich muss fragen: Steht er unmittelbar mit der Stadtentwicklung in Verbindung?
Joachim Günther ({2})
Hier kommt es zu Überschneidungen mit anderen Gesetzen. Ich nenne nur das Zuwanderungsgesetz. Denn
bereits in diesem Gesetz wird die Pflicht zum Lernen der
deutschen Sprache festgelegt. Ob damit eine Aufwertung des betroffenen Stadtquartiers - das ist ja das Ziel
unseres Programmes - erreicht wird, muss man sicher
von Fall zu Fall prüfen. Nichts gegen die unterschiedlichen Programme, die ich genannt habe! Aber die Frage
ist, ob sie wirklich mit dem Stadtumbau verbunden und
dort richtig angesiedelt sind.
Kollege Bartol, Sie haben vorhin selber Programmteile genannt, die von anderen Kostenträgern finanziert
werden. Damit sind wir bei einem Problem. Wenn unbestimmte Rechtsbegriffe - wie in diesem Fall „soziale
Missstände“ in § 171 e - verwendet werden, dann besteht die Gefahr, dass sie in alle Richtungen interpretiert
werden. Wir sind der Meinung, dass der Stadtumbau und
damit das Programm „Soziale Stadt“ sich auf die Kernaufgaben konzentrieren sollen, die wirklich mit dem
Baubereich und hier mit der Stadtentwicklung in Verbindung stehen. Überlassen wir die Bildung denjenigen, die
dafür verantwortlich sind! Das Gleiche trifft auf Gesundheitsfragen zu.
Unsere Aufgabe sind meines Erachtens Maßnahmen
im Baubereich, die man vor Ort am besten bewältigen
kann. Bei der Konzentration auf eine bessere Gestaltung
der Stadtquartiere bleiben genügend Aufgaben, die uns
politisch und finanziell alles abverlangen.
Ich nenne nur das Stichwort „kinderfreundliche Umgebung“. Wie sieht es in der Praxis leider oft aus? Das
wissen wir doch alle; wir diskutieren auch darüber:
„Ballspielen verboten“. Es fehlt nur noch, dass dort
steht: „Lachen verboten“. Gestalten wir die Stadtviertel
so um, dass genügend Spielplätze vorhanden sind, damit
die Kinder sich frei und sorglos entfalten können!
({3})
Gestalten wir Wege und Einrichtungen so, dass sie sicher
sind und von Jung und Alt jederzeit genutzt werden können! Schaffen wir Begegnungszentren, zum Beispiel
Grillplätze, Jugendbegegnungsstätten, Workshops und
Ähnliches! Dort können die Bewohner sich treffen. Dort
können sie einander näher kommen. Solche Dinge sind
nach meiner Meinung Aufgaben im Baubereich, die unter das Stichwort „Soziale Stadt“ fallen.
Wer aber den jetzigen § 171 e ausnutzt, um Spielwiesen für alles Mögliche zu schaffen, der wird am Ende
vielleicht weniger erreichen, als gedacht ist.
({4})
Frau Eichstädt-Bohlig, Sie haben es selbst gesagt: Sämtliche Probleme lassen sich damit nicht lösen. Konzentrieren wir die Aufgaben dort, wo die Zuständigkeit ist!
Besinnen wir uns auf unsere ureigene Aufgabe, solide
Stadtquartiere zu errichten!
Deshalb begrüßen wir als FDP die Diskussion über
die „Soziale Stadt“. Wir werden diesen Vorgang objektiv
begleiten. Wir werden mit Sicherheit zu gegebener Zeit
Vorschläge einbringen, die die effektive Umsetzung der
Mittel im Baubereich innerhalb der Stadtplanung garantieren.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Achim Großmann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Götz, als wir 1998 die
Wahl gewannen und uns daran machten, die Koalitionsvereinbarung zu schreiben, war ich noch nicht Parlamentarischer Staatssekretär. Ich hatte leider nicht die Möglichkeit, die angeblich vorhandenen Vorarbeiten des
Hauses zu nutzen. Wir schrieben uns aufs Panier, ein
Programm „Soziale Stadt“ zu machen. Als ich dann Parlamentarischer Staatssekretär wurde, habe ich fast ein
Dreivierteljahr sehr intensiv arbeiten müssen, um die
Grundlagen für das Programm zu legen; denn nichts war
vorhanden.
({0})
Wir haben die Verwaltungsvereinbarungen völlig neu erarbeiten müssen.
Ich darf Sie auch daran erinnern, dass der Topf für die
Städtebauförderung, den wir vorgefunden haben, fast
geplündert war. Erinnern Sie sich an das Jahr 1994; das
war das traurigste Jahr. Damals gab es für die Städtebauförderung in Westdeutschland - damals gab es noch
die D-Mark - 0 DM.
({1})
Das heißt, wir haben eine Riesenanstrengung unternehmen müssen, um das Programm „Soziale Stadt“ bzw. die
Städtebauförderung insgesamt - später waren es der
Stadtumbau West und der Stadtumbau Ost - richtig aufzustellen, um den Städten dabei zu helfen, mit ihren zunehmenden Problemen fertig zu werden.
Als wir damit begannen, waren wir sehr nervös. Wir
wussten nicht, ob das Programm zündet und wirkt. Denn
dieses Programm war völlig neu. Ihm lag eine ganz neue
Philosophie zugrunde. Es war ein integriertes Programm. Wir wollten weg von der Sektorenpolitik, bei
der wir uns nur um den Wohnungsbau, nur um die Stadt
oder nur um den Verkehr gekümmert haben. Nun haben
wir versucht, diese Themen zusammenzuführen. Deshalb war der Erfolg dieses Programms nicht von vornherein gewährleistet. Ende des Jahres 2004 konnten wir
feststellen: In 252 Städten und Gemeinden wurden
363 Maßnahmen durchgeführt. Im Jahre 2004 waren
31 Neuaufnahmen zu verzeichnen. Das Programm ist ein
absoluter Renner geworden.
({2})
Es ist schon viel über das Programm „Soziale Stadt“
gesagt worden. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, die
ihm zugrunde liegende Philosophie etwas genauer darzustellen. Ich werde erläutern, was am Programm „Soziale Stadt“ - abgesehen vom Integrationsgedanken neu war. Wir haben es im Rahmen der Städtebauförderung beim Stadtumbau Ost und beim Stadtumbau West
fortgeführt. Hier arbeiten wir mit integrierten Stadtentwicklungskonzepten und unterstützen die Gemeinden
dabei, vernünftige Gesamtkonzepte zu entwickeln. Sie
sollen nicht an der einen Stelle helfen, an einer anderen
Stelle aber etwas vernachlässigen, sondern sich mit dem
gesamten Zyklus Stadt beschäftigen und die jeweils
beste Lösung finden.
Beim Gesetz zur sozialen Wohnraumförderung sind
wir ebenfalls so vorgegangen. Dabei ging es um das Zusammenleben, die Integration und Kooperationen mit
der Wohnungswirtschaft. Hier haben wir die soziale
Ausgewogenheit der Stadtteile in den Vordergrund gestellt und uns von dem zunächst durchaus vernünftigen
quantitativen Gesichtspunkt „Wohnungen, Wohnungen,
Wohnungen!“ abgewandt. Nein, wir haben den Schwerpunkt anders gesetzt. Das war dringend nötig. Ich
glaube, auch das ist uns gelungen.
({3})
In vierfacher Hinsicht haben wir Neuland betreten.
Der erste Aspekt - ich habe ihn schon genannt - ist der
integrative Ansatz. Sein Ziel ist die ressortübergreifende Zusammenarbeit auf Bundes- und Landesebene
sowie die Zusammenarbeit mit den Gemeinden und dabei auch die ressortübergreifende Arbeit auf kommunaler Ebene.
({4})
Wir haben Projekte besucht. Niemand reist da herum,
um Schlagzeilen zu machen. Wenn ich nach WürzburgHeuchelhof fahre, dann steht das nicht auf Seite 1 der
Zeitungen. Das will ich auch gar nicht. Ich will wissen,
wie das Programm wirkt. Wir haben erfahren, dass in
vielen Städten beispielsweise Jugendamt und Bauamt
nie miteinander gesprochen haben. Das haben sie nun
gelernt. Dasselbe gilt für die Länder und übrigens auch
für den Bund. Hier müssen auch wir noch besser werden.
({5})
Ein Ergebnis der Zwischenevaluierung, das uns genannt
wurde, ist, dass die Bündelung eine tolle Idee ist, aber
noch weiter ausgebaut werden muss. Das gilt für alle
drei föderalen Ebenen.
Zweitens wird die Verantwortung durch dieses Programm ins Quartier verlagert. Die neu geschaffene Institution des Quartiermanagers symbolisiert das. Wir
müssen nicht nur mit Geld arbeiten, sondern auch dabei
mithelfen, die Zivilgesellschaft aufzubauen.
({6})
Das heißt, wir müssen die Leute ohne direkten finanziellen Anreiz, aber mit finanzieller Hilfe dazu aktivieren,
selbst aktiv zu werden, sich um ihren Stadtteil zu kümmern und etwas aus ihm zu machen. Viele Quartiermanager, die in ihrem Stadtteil ein Anlaufbüro haben,
haben dort eine neue Kultur der Demokratie erschaffen.
Zum ersten Mal haben die Leute das Gefühl, dass sich
jemand um ihre Probleme kümmert und dass die Chance
besteht, eine Reaktion zu bekommen.
Drittens. Das Programm „Soziale Stadt“ ist noch
heute das einzige Städtebauförderungsprogramm, das
sowohl für die alten als auch für die neuen Länder gilt.
Das hört sich einfach an. Aber ich will im Jahre 15 nach
der Wiedervereinigung doch daran erinnern, dass wir
damit ein einheitliches Programm für Ost und West
geschaffen haben.
({7})
Viertens haben wir schließlich versucht - das ist
schwierig genug -, vom Prinzip der Gießkanne wegzukommen und den Verteilungsschlüssel etwas anders zu
gestalten. Der Verteilungsschlüssel für das Programm
„Soziale Stadt“ orientiert sich nun stärker an den Aufgaben und Problemfeldern.
Ich will eine ganze Menge weglassen, was schon gesagt worden ist - es ist sowieso spät und wenn man dann
redundant wird, wird es auch noch ein bisschen langweilig -, aber, Herr Götz, einen Gefallen tue ich Ihnen noch:
Ich möchte zum Schluss einen Wunsch äußern.
({8})
Ich unterstütze die Intention des Antidiskriminierungsgesetzes, das die Koalitionsfraktionen eingebracht haben; es ist der richtige Weg, es ist der richtige Gedanke unabhängig davon, dass wir auch EU-Richtlinien umsetzen müssen, vier an der Zahl. Der Gesetzentwurf darf
aber nicht Ansätze konterkarieren, die wir in anderen
Gesetzen geschaffen haben; ich glaube, das muss bei der
parlamentarischen Beratung einfach auf die Radarschirme. Wir haben beispielsweise im Gesetz über die
soziale Wohnraumförderung mit den Kooperationsverträgen Integrationsinstrumente geschaffen, die wir nicht
außer Kraft setzen dürfen. Dasselbe gilt auch für das
Baugesetzbuch, in das wir das Programm „Soziale
Stadt“ genau vor dem Hintergrund der Integration hineingeschrieben haben. Es gibt also die Gefahr des Widerspruchs zwischen Antidiskriminierung und Integration. Diesen müssen wir - das wäre meine Bitte zum
Schluss - im Gesetzgebungsverfahren auflösen.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Renate Blank, CDU/CSUFraktion.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Herr
Staatssekretär, Ihre Aussage zu den Kommunen werden
von Ihren SPD-Oberbürgermeistern sicherlich nicht mit
Wohlgefallen aufgenommen worden sein. Denn Sie tun
ja gerade so, als ob die Kommunen zur Stadtentwicklung
bislang nie etwas beigetragen hätten.
({0})
- Doch, lesen Sie im Protokoll in der Rede des Staatssekretärs nach, dass er da einiges zusammenbringen
musste.
Meine Damen und Herren, das Programm „Soziale
Stadt“ ist im Jahr 1999 gemeinsam von Bund und Ländern ins Leben gerufen worden.
({1})
- Gemeinsam von Bund und Ländern!
Gerade bei innovativen Ansätzen ist es aber wichtig,
laufend zu überprüfen, ob wir uns auf dem richtigen Weg
befinden, und abzufragen, ob das Programm effektiv
greift. Eigentlich ist das Programm „Soziale Stadt“ klassische Städtebauförderung, verbunden mit einem besonderen sozialen Aspekt; die Aufgaben und Zielsetzungen sind gesetzlich geregelt. An diesen Kriterien sollte
das Programm auch gemessen werden. Staatssekretär
Braune führte unter anderem bei der Veranstaltung anlässlich der Preise „Soziale Stadt 2004“ am 13. Januar
dieses Jahres aus - ich zitiere -, das Programm unterstütze die Integration von Migrantinnen und Migranten,
vermeide Ausgrenzung und helfe bei der Eindämmung
des Rechtsradikalismus. - Klingt sehr gut, ist auch in
Ordnung. Nun zitiere ich aus Ihrem Antrag:
… städtebauliche Missstände, hohe Arbeitslosigkeit, Armut und Segregation entlang ethnischer Zugehörigkeiten konzentrieren sich in bestimmten
Stadtquartieren. Diese Konzentration führt zu einem „Fahrstuhleffekt“ nach unten mit erhöhtem
sozialen Konfliktpotenzial, Überforderung der
Schulen, Abwanderung von einkommensstabilen
Haushalten und sinkender Kaufkraft.
Ein eindrucksvolleres, ehrlicheres Eingeständnis des
Scheiterns von sechs Jahren rot-grüner Politik für
die Kommunen habe ich von Ihnen noch nicht gelesen!
({2})
Alle Achtung! Der rot-grüne Traum von Multikulti
dürfte damit wohl endgültig ausgeträumt sein.
Bei dem Wort „Armut“ fällt mir ein, dass 1998 laut
Armutsbericht rund 10 Millionen Menschen in
Deutschland als arm galten. Über die Definition von Armut möchte ich nicht diskutieren, aber darüber, dass im
Jahr 2004 bereits 11 Millionen Menschen als arm galten.
1 Million Menschen mehr, die in Armut leben - und dies
alles unter rot-grüner Regierung! Je mehr die Armut in
Deutschland in den Städten zunimmt, desto mehr lösen
sich sozial gemischte Quartiere auf. Mittlerweile bilden
sich ganze Stadtteile, in denen der überwiegende Teil der
Bevölkerung von Sozialhilfe lebt.
Wenn man die Programmpunkte aufmerksam studiert,
erkennt man sehr schnell vieles, was vor Jahren noch
ganz selbstverständlich aus den Kommunalhaushalten finanziert wurde und auch eigentlich zu finanzieren wäre.
Die beschriebenen Projekte gehören meist zum Zuständigkeitsbereich der Kommunen. Eine bessere Finanzausstattung würde die Kommunen in die Lage versetzen, die erforderlichen Maßnahmen selbst zu finanzieren.
Die finanzielle Belastung der Kommunen durch Bundesgesetze muss dringend reduziert werden, damit die Kommunen ihren eigentlichen Aufgaben wieder nachkommen
können.
({3})
Ich denke hierbei an die 1998 versprochene Gemeindefinanzreform, die gescheitert ist,
({4})
oder an die große Steuerreform 2000 mit der Erhöhung
der Gewerbesteuerumlage, die auf unseren Druck hin
endlich wieder zurückgenommen wurde. Auch die
Grundsicherung belastet die Kommunen.
Die Union hingegen konnte durch ihre strikte Verhandlungsführung im Vermittlungsverfahren zu den Hartz-IVGesetzen eine tatsächliche Entlastung der Kommunen
durchsetzen.
({5})
So sollen die Kommunen ab diesem Jahr um insgesamt
2,5 Milliarden Euro entlastet werden.
({6})
Aber auch diese Mittel hat Rot-Grün für Ausgaben,
die den Kommunen aufgedrückt werden sollen, schon
wieder verplant. Rot-Grün verteilt schöne Wahlgeschenke an Eltern - Ganztagsschulen und Kinderbetreuung - und lässt die Kommunen diese Geschenke bezahlen.
({7})
Wir brauchen dringend eine finanzielle Entlastung der
Kommunen, damit die Mittel aus dem Programm „Soziale Stadt“ zusätzlich und nicht anstatt verwendet werden können.
Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, in Ihrem
Antrag fehlt das Thema Sicherheit völlig. Von wegen
„weiterentwickeln und ausweiten“, wie Sie es mit Ihrem
Antragstitel suggerieren: Davon kann kaum die Rede
sein. Ich zitiere:
Nicht zuletzt wollen wir unsere Städte für die Bürger sicherer machen … Sicherheit vor Kriminalität
für Bürgerinnen und Bürger ist ein Grundrecht, ein
Bürgerrecht. Insbesondere für diejenigen, die nicht
in der Lage sind, für ihre eigene Sicherheit zu bezahlen, wird das ein Grundrecht von herausragender Bedeutung. Deswegen ist es so wichtig, dass
insbesondere diejenigen, die sich Gedanken über
lebenswerte Städte machen, diesen Aspekt der GeRenate Blank
währleistung von Sicherheit für die Bürgerinnen
und Bürger neben all den Notwendigkeiten zur sozialen Integration nicht unterschätzen.
Das sagte am 7. Mai 2002 anlässlich der Eröffnung des
Kongresses „Soziale Stadt“ in Berlin niemand anderer
als Bundeskanzler Schröder. Sie ignorieren diese Aussage in Ihrem Antrag. Ich hätte von Rot-Grün wirklich
nicht gedacht, dass Ihnen das Zitat des Kanzlers nicht
eine Silbe im Antrag wert ist.
Für uns steht schon lange fest: Wo sich die sozialen
Strukturen ungünstig entwickeln, steigt die Kriminalität;
Vandalismus und Graffitischmierereien, die mancher
von Ihnen gerne zur Kunst erheben möchte, nehmen zu.
({8})
Der Ruf des Viertels wird dann immer schlechter. Nicht
von ungefähr fordern wir seit Jahren, Graffitischmierereien unter Strafe zu stellen. Sie lehnen dies permanent
ab. Im Interesse der Bürgerinnen und Bürger werden wir
jedoch nicht locker lassen. Unsere Anträge liegen den
zuständigen Ausschüssen vor. Sie brauchen ihnen nur
zuzustimmen.
({9})
Sicherheit ist eine grundlegende Bedingung, damit sich
die Bürgerinnen und Bürger an einem Ort wohl fühlen.
Dieser Aspekt der Sicherheit darf nicht außer Acht gelassen werden.
Kolleginnen und Kollegen, das Programm wurde
1999 gestartet. Damals ging man davon aus, dass es sich
bei den „Quartieren mit besonderem Entwicklungsbedarf“ um eine vorübergehende Erscheinung handelt.
Dies ist jedoch nicht der Fall.
({10})
Die Aufgaben und Zielsetzungen sind gesetzlich geregelt. An diesen Kriterien muss der Erfolg des Programms gemessen werden. Hier ist von Meckern und davon die Rede, dass wir kritisieren. Man kann aber alles
besser machen - gemeinsam.
Eine Auswertung der vom Institut für Stadtforschung
und Strukturpolitik vorgelegten Zwischenevaluation
mit einem nicht klar zu messenden Erfolgsfaktor als Ergebnis, nämlich der Tendenzaussage, die Stimmung
habe sich gebessert, sollte deshalb nicht automatisch als
Programmerfolg interpretiert werden, wenn man die gesetzlich formulierte Zielstellung als Maßstab nimmt.
Aussagen über die Entwicklung der Bewohnerstrukturen
bzw. der Wohn- und Arbeitsverhältnisse sollten zugrunde gelegt werden. Die Zwischenevaluation bleibt
hier nur an der Oberfläche der Untersuchungen.
({11})
Da die im Programm formulierten Ziele für die Stadtteilentwicklung deutlich über das hinausgehen, was mit
baulichen Investitionen zu erreichen ist, wäre eine ressortübergreifende Kooperation konsequent und angemessen. Herr Staatssekretär, Sie haben das vorhin von
den Kommunen gefordert. Allerdings sind die Versuche
zu Beginn des Programms, andere Bundesressorts zu einer aktiven Mitarbeit zu motivieren, noch nicht sehr erfolgreich gewesen. Initiativen dazu hat es gegeben, aber
die Festlegungen auf eine programmbezogene Kooperation sind wieder schwächer geworden. Hier ist also noch
Überzeugungsarbeit zu leisten.
Aus Sicht der Zwischenevaluation ist es notwendig,
die Problemdiagnose und die Zielbeschreibung zu präzisieren. Art und Ausmaß der zu bearbeitenden Probleme
müssen geklärt werden und sowohl bei den Zielformulierungen als auch bei den Instrumenten muss eine größere Klarheit geschaffen werden. Ansonsten drohen enttäuschte Erwartungen und mit ihnen Rückschläge für die
Quartierspolitik und ihre politische Rückendeckung.
Wie positiv es sein kann, wenn Bewohner beteiligt
werden, kann man aus zwei Projekten in Nürnberg und
Schwabach ersehen,
({12})
die mit dem Preis „Soziale Stadt“ ausgezeichnet worden
sind. Das sind hervorragende Beispiele.
({13})
Frau Kollegin, bitte schauen Sie auf die Uhr.
Ja, Frau Präsidentin. - Hier handelt es sich um Projekte, die von sehr viel privatem Engagement getragen
werden. Ich möchte deshalb allen Ehrenamtlichen, die
sich für die Belange „Soziale Stadt“ eingesetzt haben
und einsetzen werden, für ihren Einsatz herzlich danken.
({0})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Spanier, SPDFraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das war zumindest ein versöhnlicher Schluss,
Frau Blank. Ich habe mir schon die ganze Zeit überlegt:
War sie noch nie in dem Projekt „Soziale Stadt“ in Nürnberg? Ich hätte Ihnen aber nie unterstellt, dass Sie noch
nicht da waren.
({0})
Es hat uns natürlich gefreut, dass Sie dies am Schluss Ihrer Rede doch noch anerkannt haben.
Später am Abend ist man vielleicht ein bisschen
wohlwollender. Ich verstehe, dass Sie es heute etwas
schwer hatten.
({1})
Schließlich sind wir uns insgesamt alle einig.
({2})
Das Programm „Soziale Stadt“ ist von seiner Konzeption her zukunftsweisend. Die Akzeptanz ist bundesweit, ganz gleich welche politischen Mehrheiten in den
Kommunen und in den Ländern gelten, hervorragend.
({3})
Die Kongresse können sich vor lauter Zulauf gar nicht
retten. Auch die Zwischenauswertung bestätigt die Qualität. Dass das weiter zu verbessern ist und dass hier und
da andere Akzente gesetzt werden sollen, ist das Ziel unseres Antrags. Darüber werden wir sicher noch eingehend reden können.
({4})
Allerdings habe ich bei Ihnen an der einen oder anderen Stelle Zwischentöne herausgehört, auf die ich näher
eingehen möchte. Es ist ein übliches Verfahren, Herr
Götz, dass man die Anforderungen, zum Beispiel an das
Programm „Soziale Stadt“, überhöht, um dann zu sagen:
Die Anforderungen werden nicht erfüllt. Natürlich wird
die Finanzkraft der Städte durch das Programm „Soziale Stadt“ nicht gestärkt. Das werden wir an anderer
Stelle auf den Weg bringen müssen.
({5})
Richtig ist, dass es relativ wenig Projekte gibt. Aber
nicht wir erarbeiten die Projekte, in die aktive Arbeitsmarktpolitik eingebunden ist. Ich denke, dass die
Hartz-IV-Gesetze hier neue Möglichkeiten eröffnen, diesen Aspekt stärker zu berücksichtigen und auch die
Wirtschaftsförderung - das gebe ich gerne zu - noch
stärker in die Konzeption einzubinden.
Herr Götz, eines steht aber fest: Unisono werden wir
vom Deutschen Städtetag und vom Deutschen Städteund Gemeindebund aufgefordert, dieses Programm fortzusetzen und die Mittel dafür bereitzustellen.
({6})
Das hat nichts damit zu tun, dass den Städten die
70 Millionen Euro fehlen, sondern sie halten die Konzeption für richtig.
({7})
Die Städte in Deutschland stehen vor schwierigen
Problemen. Ich nenne hier nur den Strukturwandel, vor
allen Dingen in den altindustriellen Gebieten, und die
demographische Entwicklung. Die Veränderungen beim
Altersaufbau zeichnen sich bereits ab. Andere Stichworte sind die Binnenwanderung und natürlich auch die
soziale Spaltung. Diese gibt es nicht erst seit 1998, sondern sie gab es immer schon. Sie hat sich natürlich in einigen Stadtquartieren verschärft und vor allen Dingen
auf ganz bestimmte Stadtquartiere konzentriert.
Herr Götz, ich möchte Ihnen Folgendes ausdrücklich
sagen: Dass es ein Bund/Länder-Programm ist, halten
wir für den genau richtigen Ansatz. Sie haben das infrage gestellt.
({8})
- Dann habe ich Sie falsch verstanden. Manch einer
stellt infrage, ob das wirklich die Aufgabe des Bundes
sei. Ich glaube, dass es sehr wohl eine Aufgabe des Bundes ist, gemeinsam mit den Ländern solche Innovationen
auf den Weg zu bringen. Ob in allen 16 Bundesländern
so etwas wie das Programm „Soziale Stadt“ entwickelt
und umgesetzt worden wäre, möchte ich einmal mit einem Fragezeichen versehen.
({9})
Um zu dokumentieren, dass dies eine Daueraufgabe
ist, an der sich auch der Bund beteiligen will, haben wir
das ins Baugesetzbuch aufgenommen. Sie alle haben,
wenn auch - das weiß ich - mit Bedenken, zugestimmt.
Das haben Sie heute noch einmal vorgetragen. Entscheidend ist - das wird auch im Baugesetzbuch deutlich -:
Es muss ein Entwicklungskonzept in den Kommunen
geben, das diese selbst erarbeiten; denn es sieht in jeder
Kommune und in jedem Stadtquartier höchst unterschiedlich aus.
({10})
Ganz wichtig sind die Beteiligung der Bürgerinnen
und Bürger und die Verzahnung mit den anderen Instrumenten der Stadtentwicklung wie Städtebauförderung,
Stadtumbau, soziale Wohnraumförderung, die es zurzeit
noch gibt. Wir werden sicherlich gemeinsam Überlegungen anstellen müssen, wie das noch besser verzahnt werden kann, damit diese Programme nicht nebeneinander
stehen. Aber die Schlussfolgerung, die Sie, Herr
Günther, gezogen haben, nämlich den integrativen Ansatz wieder aufzugeben und alles auf rein städtebauliche
Maßnahmen zu reduzieren, halten wir für grundsätzlich
falsch.
({11})
Der integrative Ansatz ist das Entscheidende und das
qualitativ Neue. Wir haben einen Paradigmenwechsel weg von der Städtebaupolitik, hin zu einer Stadtentwicklungspolitik. Das Programm „Soziale Stadt“ ist ein erster
Schritt, dieses zu entwickeln. Es ist beispielhaft für das,
was wir „nachhaltige Stadtentwicklung“ nennen, wozu
nicht nur die ökonomische und ökologische, sondern
auch die soziale Dimension gehört. Das ist ein ganz entscheidender Punkt.
({12})
Es gibt einen Rückgang der Zahl der Sozialwohnungen. Das führt dazu, dass die restlichen Sozialwohnungen in ganz bestimmten Stadtquartieren konzentriert
sind und sich dort die sozialen Probleme ballen. Es geht
darum, ein Stück weit gegenzusteuern, und zwar in jedem Stadtquartier.
Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Ende kommen.
Das werde ich selbstverständlich tun, sehr geehrte
Frau Präsidentin. Wenn ich einen Satz noch sagen darf?
Ich möchte Herrn Großmann ausdrücklich unterstützen. Auch die Wohnungswirtschaft braucht Instrumente
zum Gegensteuern. Die Belegung ist ein wichtiges derartiges Instrument. Wir müssen aufpassen, dass nicht
aufgrund des Antidiskriminierungsgesetzes eine Wohnungsgesellschaft, die eine überalterte Bewohnerstruktur
hat und besonders junge Familien als Mieter haben will,
der Diskriminierung bezichtigt wird. Wir werden in der
parlamentarischen Beratung auch über diesen Punkt
noch eingehend reden.
({0})
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.
Ich entschuldige mich, Frau Präsidentin. - Das Antidiskriminierungsgesetz wird sicherlich ein Thema sein,
das uns noch intensiv beschäftigen wird.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/4660 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse sowie an den Ausschuss für Ver-
braucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf:
8 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Friedbert Pflüger, Dr. Christian Ruck,
Hermann Gröhe, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Den Beziehungen zu Lateinamerika Bedeutung und Zukunft geben
-Drucksache 15/4388 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({0})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Lothar
Mark, Ute Kumpf, Dr. Christine Lucyga, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans-Christian
Ströbele, Dr. Ludger Volmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Intensivierung der Beziehungen zwischen der
Europäischen Union, Lateinamerika und der
Karibik
-Drucksachen 15/3205, 15/3840 Berichterstattung:
Abgeordnete Lothar Mark
Dr. Ludger Volmer
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Klaus-Jürgen Hedrich, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Es ist erfreulich, dass diesmal wieder zu
einer angemessenen Tageszeit Lateinamerika auf der Tagesordnung steht. Ich glaube, dass das insofern wichtig
ist, als uns gerade in den letzten Wochen und Monaten
Dinge unterschiedlicher Qualität und tragischer Natur
beschäftigt haben, die von besonderer politischer Bedeutung waren. In diesem Zusammenhang ist der lateinamerikanische Subkontinent ein bisschen an den Rand des
politischen Interesses gerückt worden. Ich glaube, dass
dieser Kontinent dies nicht verdient und dass Europa gut
beraten ist, wenn wir auch in Zukunft diesem Kontinent
eine entsprechende Aufmerksamkeit zuwenden.
Ich möchte einige Anmerkungen zu drei unterschiedlichen Bereichen machen.
Erstens. Es ist in der Tat richtig, dass Lateinamerika
zwar nicht der entscheidende Kontinent ist, aber er ist
ein Kontinent mit den größten sozialen Gegensätzen und
gefährlichen sozialen Spannungen. Trotz der seit
200 Jahren andauernden Unabhängigkeit ist er weitestgehend von feudalen Grundstrukturen geprägt.
Die „Neue Zürcher Zeitung“ hat - wie ich meine,
nicht ganz zu Unrecht - im Mai die Frage aufgeworfen,
ob diejenigen, die in Lateinamerika Verantwortung tragen, wirklich an einer Änderung der Verhältnisse interessiert sind. Ich glaube, dass die politisch, wirtschaftlich, kulturell und wissenschaftlich Verantwortlichen
durchaus wissen, wie es um ihre Länder und die Beziehungen zwischen den Menschen steht, und dass ihnen
auch bewusst ist, dass das Durchsetzen echter Strukturreformen auch den Verzicht auf Privilegien bedeutet. Vor
diesem Hintergrund werde ich - das will ich nicht verhehlen - das Gefühl nicht los, dass wir unabhängig davon, wer in Lateinamerika am Drücker ist, die Verantwortlichen in viel stärkerem Maße als bisher darauf
aufmerksam machen müssen, dass die Länder in dieser
Region, wenn die Strukturreformen ausbleiben, auf einem Pulverfass sitzen, dessen Risiko möglicherweise
unkalkulierbar ist.
Länder wie Brasilien gehören zu den Ländern mit der
ungerechtesten Einkommensverteilung oder, besser gesagt, der größten Disparität zwischen den Wohlhabenden
und den Have-Nots. Das wird, wie ich glaube, auf Dauer
von der Mehrheit der Bevölkerung in den betreffenden
Ländern nicht akzeptiert.
Damit hängt - damit komme ich zu dem zweiten
Punkt meiner Ausführungen - eine weitere Problematik
zusammen. Die Entwicklung in Lateinamerika in den
vergangenen 20 Jahren zeigt, dass in den 80er-Jahren
eine Militärdiktatur nach der anderen beendet wurde; in
den einzelnen Ländern entstanden zumindest in den äußeren Strukturen demokratische Verhältnisse. Heute ist
festzustellen, dass diese wieder im Kippen begriffen
sind. Die Analyse zeigt, dass es insbesondere neopopulistische und manchmal auch marxistische Bewegungen
gibt. Häufig überlappen sich diese Bewegungen mit der
jeweiligen indigenen Bevölkerung. Auch dies ist letzten
Endes verständlich,
({0})
weil die demokratischen Parteien es nicht geschafft haben, die Demokratie in den Herzen und Gemütern der
Menschen zu verankern und soziale Reformen durchzuführen.
Man kann über Hugo Chávez sagen, was man will,
aber dass er Präsident werden konnte, hat seine Ursachen. Ohne das Versagen der klassischen demokratischen Parteien in diesem Lande würde es Hugo Chávez
nicht geben. Ebenso wenig würde es einen Gutiérrez in
Ecuador oder einen Evo Morales in Bolivien geben.
Wir müssen deshalb an die Verantwortlichen appellieren, wirkliche sozial gerechte Veränderungen herbeizuführen. Dies ist bisher nicht erfolgt. Dass in einigen Ländern immer noch insbesondere die indigene
Bevölkerung am Rande des gesellschaftlichen, politischen und sozialen Lebens steht, verschärft diese Problematik.
Für Europa ist festzustellen, dass wir in Lateinamerika an Einfluss verlieren. Was Mercosur angeht, habe
ich große Zweifel, ob er in der vorgesehenen Struktur
zustande kommt. Die Europäische Kommission äußert
selbst massive Zweifel.
Auch daran, dass es sinnvoll ist, mit der Comunidad
Andina bilaterale Verhandlungen aufzunehmen, habe ich
große Zweifel. Ich halte diese Gemeinschaft nicht für
funktionsfähig. Ich begrüße es, dass die Kommission inzwischen in Erwägung zieht, mit den Ländern bilaterale
Verhandlungen aufzunehmen, die dazu in der Lage
sind. Dafür kommt neben Mexiko und Chile, mit denen
bereits ein Abkommen besteht, sowie Brasilien und Argentinien noch Kolumbien infrage. Ich fordere die Bundesregierung nachdrücklich auf, bei der Europäischen
Kommission auf eine Änderung unserer Position hinzuwirken. Es gibt übrigens positive Zeichen auch aus anderen Regionen der Welt. Völlig unbemerkt von der Öffentlichkeit hat die Europäische Kommission Thailand
und Singapur bilaterale Verhandlungen angeboten, und
zwar weit vor dem Eintritt des tragischen Ereignisses vor
fast drei Wochen.
Das führt mich zu meinem letzten Punkt. Wir stellen
fest, dass sich Einflusssphären verschieben und dass sich
die Bedeutung der Länder verändert. Wen das interessiert, dem empfehle ich, sich die Zahlen betreffend den
Handelsaustausch zwischen Lateinamerika und China
anzuschauen. Dort hat es in den letzten zwei, drei Jahren
eine dramatische Verschiebung der Verhältnisse gegeben. Mit dem Handelsaufkommen ist natürlich auch Einfluss verbunden. Übrigens geht inzwischen ein Drittel
des chinesischen Auslandsinvestments - dieses ist nach
wie vor gering - nach Lateinamerika. Die Chinesen
scheinen begriffen zu haben, dass dieser Subkontinent
für sie von zunehmender Bedeutung ist. Die Europäer
und insbesondere die Deutschen bleiben aufgefordert,
daraus Konsequenzen zu ziehen
({1})
sowie ihre Beziehungen zu Lateinamerika zu reaktivieren und zu vertiefen.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat der Kollege Lothar Mark, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Seit dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EU, Lateinamerikas und der Karibik in Guadalajara sind einige negative Entwicklungsprozesse
eingetreten, die vom Kollegen Hedrich bereits erwähnt
wurden. Erstens. Ein Assoziierungsabkommen mit Mercosur ist bisher nicht zustande gekommen. Zweitens. Es
gibt in der Tat keinen verbindlichen Termin für Verhandlungen mit der Andengemeinschaft und Zentralamerika
über ein Assoziierungsabkommen. Ich bin allerdings der
Auffassung, dass hier Verhandlungen aufgenommen
werden sollten.
Gleichzeitig beobachten wir, wie insbesondere die
Conosur-Länder ihre Wirtschafts- und Handelspartner
zunehmend in anderen Weltregionen suchen. Nicht nur
die Volksrepublik China, sondern auch Russland, die
Südafrikanische Union, Japan und viele andere Länder
profitieren davon. Ich denke, dass der Prozess des politischen Dialogs von uns intensiv verfolgt werden muss
und dass Europa und insbesondere Deutschland sehr
wachsam und aufmerksam diese Entwicklung beobachten müssen.
Wir haben ein originäres Interesse an der sozialen und
politischen Stabilität Lateinamerikas. Wir stellen fest,
dass unsere Regionen in der Zielsetzung einer multilateralen Weltordnung verbunden sind. Ich nenne als Stichworte: Internationaler Strafgerichtshof, Kioto-Protokoll
und die Ottawa-Konvention im Gipfeldokument von
Guadalajara. Beide Regionen sind an einer Reform der
Vereinten Nationen interessiert. Der im CDU/CSU-Antrag erhobene Vorwurf, dass hier nur Gegensätze in starkem Maße geschürt worden seien, ist nicht zutreffend,
auch wenn das eine oder andere Land eine andere Auffassung vertritt. Dies ist auch in Europa so.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
Ihr Antrag enthält viele richtige Aussagen und Forderungen, die auch in unserem Antrag enthalten sind. Gerade
deshalb ist es unverständlich, dass Sie an der Sinnhaftigkeit der aktuellen Ausgestaltung unserer bilateralen Beziehungen zweifeln, in die auch unsere Mittlerorganisationen engagiert eingebunden sind. In Anbetracht der
angespannten Haushaltssituation können die Mittel leider nicht einfach erhöht und nicht alle Aufgaben wahrgenommen werden, so wie wir uns das wünschen. Sie
sollten aber auch hier ehrlich sein. Obwohl es keine Mittelkürzungen gab, musste zum Beispiel die Konrad-Adenauer-Stiftung feststellen:
Die KAS hat deshalb auch die Aktivitäten in
Lateinamerika einschränken müssen.
Deswegen sollten Sie nicht so tun, als ob nur andere gezwungen wären, unter Umständen das eine oder andere
umzuformulieren.
Des Weiteren sprechen Sie in Ihrem Antrag von Zielkonflikten zwischen Entwicklungs- und Handelspolitik.
Keine Frage, es ist wichtig, die unterschiedlichen Politiken, so gut es eben geht, kohärent zu gestalten. Dies ist
der Bundesregierung gerade im Bereich der Außenpolitik besser gelungen als jeder anderen Bundesregierung
zuvor. Die gesamte internationale Politik der Bundesrepublik Deutschland genießt ein bisher nie da gewesenes
Ansehen und das nicht nur in Lateinamerika.
({0})
Ihr Eindruck, die einzelnen Politiken gegenüber Lateinamerika und der Karibik seien nicht aufeinander abgestimmt, ist nicht nachvollziehbar. Weite Bereiche, zum
Beispiel in der Handelspolitik, sind heute EU-Materie.
Zielkonflikte lassen sich daher kaum noch auf nationaler
Ebene lösen. Insofern habe ich die große Hoffnung, dass
die EU insbesondere nach dem Regierungswechsel in
Spanien wiederum verstärkt mit einer Stimme auch gegenüber Lateinamerika sprechen wird.
Wir halten es im Gegensatz zur CDU/CSU nach wie
vor nicht für sinnvoll, weitere Assoziierungsabkommen
mit einzelnen Ländern Lateinamerikas abzuschließen.
Mexiko und Chile waren Ausnahmen. Wir wollen den
offenen Regionalismus in Lateinamerika unterstützen.
Das heißt, wir wollen die Integration in den einzelnen
Subregionen fördern, weil der Integrationsprozess in Lateinamerika sonst geschwächt wird. Die Region muss
stärker in Erscheinung treten können. Wir wollen unseren Teil dazu beitragen. Das gilt auch für Kolumbien.
Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt die jüngst beschlossenen weiteren Integrationsschritte im Mercosur
und insbesondere die Gründung der Gemeinschaft der
Nationen Südamerikas am 9. Dezember 2004. Dieses
mutige Vorhaben unter der Führung Brasiliens gibt Anlass zu vorsichtigem Optimismus. Zwischen Karibikküste und Feuerland entsteht somit nach EU und
NAFTA der weltweit drittgrößte Regionalverbund.
Diese Bemühungen fördern wir von deutscher und europäischer Seite mit allen Kräften. Dort liegen enorme Kooperationsmöglichkeiten, die wir auch in unserem Antrag ansprechen.
Sie fordern unter anderem die Intensivierung der Zusammenarbeit im Energiesektor einschließlich der
Kernenergie. Die Bundesregierung hat mit der brasilianischen Regierung Ende des vergangenen Jahres einvernehmlich die Umwandlung des deutsch-brasilianischen
Abkommens über nukleare Zusammenarbeit in ein Abkommen zur Zusammenarbeit im Energiebereich beschlossen. Deutsche Unternehmen sind weltweit führend
im Bereich der erneuerbaren Energien. Mit dem neuen
Abkommen werden wir zukunftsweisende, nachhaltige
Technologien nach Lateinamerika liefern.
Auch bei dem Thema „auswärtige Kultur- und
Bildungspolitik“ zeichnen Sie ein sehr negatives Bild.
Wenn man sich die Anstrengungen der Bundesrepublik
vor Augen führt - ich bin Berichterstatter für den Haushalt des Auswärtigen Amtes und weiß deswegen über
die Investitionen in Lateinamerika ziemlich genau
Bescheid -, muss man zu dem Ergebnis kommen, dass
Lateinamerika im Hinblick auf die Förderung von Kultur
außerhalb Europas an zweiter Stelle liegt. Zum Beispiel
werden die Goethe-Institute ihre Aktivitäten in Südamerika im Vergleich zu ihren Aktivitäten in anderen Regionen finanziell sogar noch steigern. Ähnlich verhält es
sich bei den meisten Mittlerorganisationen, die von uns
mit gefördert werden: Die meisten Mittel fließen nach
Europa inklusive Osteuropa; danach wechseln sich Lateinamerika/Karibik und Südostasien auf den Plätzen ab.
Lateinamerika/Karibik wird auch weiterhin eine zentrale Rolle in der deutschen auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik spielen. Das bekräftigen wir in unserem
Antrag ausdrücklich. Die Zahl lateinamerikanischer Studierender in Deutschland hat seit 1998 aufgrund der Förderprogramme des DAAD kontinuierlich zugenommen.
Die DAAD-Alumninetzwerke funktionieren hervorragend. Ich will nur daran erinnern, dass mit Brasilien der
deutsch-brasilianische Dialog der Zivilgesellschaften
unter Führung des DAAD ins Leben gerufen wurde.
Selbst auf dem Sektor der Schulpartnerschaften können wir Zuwächse seit 1998 feststellen. Für mich stellt
sich da einfach die Frage: Wie kann man solche Anstrengungen als „sinnentleertes Minimum“ oder „Restbestand
der auswärtigen Kulturpolitik“ bezeichnen, wie Sie es in
Ihrem Antrag getan haben?
Ich will noch kurz auf das spanischsprachige Fernsehprogramm der Deutschen Welle eingehen und darauf hinweisen, dass die Überlegungen zur Einstellung
- die droht nämlich - in Anbetracht der Entwicklung, die
wir mit Blick auf Lateinamerika wollen, kontraproduktiv
sind.
({1})
Ich werde mich auch weiterhin, wie bisher, mit allem
Nachdruck für den Erhalt des spanischsprachigen
DW-TV-Programms einsetzen.
({2})
Der vorliegende CDU/CSU-Antrag fordert des Weiteren die Wiederbelebung der Lateinamerika/Karibik-Forschung an deutschen Universitäten.
({3})
Wie Sie wissen, liegt die Zuständigkeit für das Hochschulwesen bei den Ländern, lieber Kollege Weiß.
({4})
Vor einigen Wochen hätten wir es in der Hand gehabt,
auf dem Gebiet sinnvolle Einwirkungsmöglichkeiten des
Bundes zu schaffen, die auch in Bezug auf Ihre Forderung, die wir unterstützen, Perspektiven eröffnet hätten.
Deswegen ist der gesamte Bildungsforderungskatalog in
Ihrem Antrag meiner Überzeugung nach scheinheilig.
Zur Kubapolitik. Die Bundesregierung setzt sich im
Rahmen der EU für eine vollständige Wiederaufnahme
des politischen Dialogs mit dem Inselstaat ein. Dissidenten kann nur geholfen werden und die wirtschaftliche
und menschenrechtliche Lage kann nur verbessert werden, wenn ein Dialog zwischen den Regierungen möglich ist. Die jüngste Freilassung von sieben Dissidenten
gibt uns in dieser Einschätzung Recht. Die bisherige
harte Linie von beiden Seiten hat keiner Seite ein positives Ergebnis gebracht.
In dieser Frage und insbesondere auch durch ihre
künftige Kolumbienpolitik kann die Europäische Union
ihrem Anspruch als Friedensmacht gerecht werden.
- Ich sehe, dass das Signal für den Ablauf der Redezeit
aufleuchtet. - Ich will nur noch darauf hinweisen, dass
wir versuchen müssen, nach dem Auslaufen des „Plan
Colombia“ und der Neuformulierung den europäischen
Akzent zu verstärken, auch unter Beachtung des Gewaltmonopols.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, dass unsere Intentionen und Bemühungen zu Lateinamerika
dazu geeignet sind, den Stellenwert Lateinamerikas zu
erhöhen. Wir sollten uns konstruktiv bemühen, dies zu
fördern, statt es durch Miesreden quasi schon in den Ansätzen wieder zu zerstören.
Vielen Dank.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Harald Leibrecht,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Unser Spiegel wird die Europäische Union sein
- mit all ihren Institutionen -. Dies ist die Vision der am
8. Dezember 2004 gegründeten Südamerikanischen
Staatengemeinschaft, so formuliert von Eduardo
Duhalde, dem ehemaligen Präsidenten von Argentinien
und derzeitigen politischen Gesicht des Mercosur.
Die Südamerikanische Staatengemeinschaft soll bis
2007 die beiden Freihandelsvereinigungen Mercosur
und Andengemeinschaft in sich vereinigen. Ich bin auch
davon überzeugt, dass das absolut notwendig ist, da die
vorhandenen Zusammenschlüsse für die südamerikanischen Länder selber wie auch für ihre Partner, zum Beispiel für Europa, bisher nicht funktionieren.
Seien wir doch einmal ehrlich!
({0})
Die viel beschworene strategische Partnerschaft zwischen Europa und den verschiedenen bereits bestehenden Zusammenschlüssen in Lateinamerika leidet an
Erschöpfung, und zwar sowohl in wirtschaftlicher wie
auch in politischer Hinsicht. Die biregionalen Gipfeltreffen mit 25 europäischen sowie 34 lateinamerikanischen
und karibischen Staaten sind kaum mehr handlungsfähig. Auch der Abschluss eines Freihandelsabkommens
zwischen der EU und dem Mercosur - wir haben es
gerade schon gehört - ist im Oktober letzten Jahres gescheitert. Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit der Andengemeinschaft und dem Zentralamerikanischen Integrationssystem sind bis heute nicht
aufgenommen worden, was sicherlich bedauerlich ist.
Auf der politischen Seite sieht es nicht viel besser aus.
Der europäische Dialog mit der Rio-Gruppe ist eine
reine Fiktion. Eine Kohärenz der außenpolitischen Positionen existiert nicht.
Eines steht daher fest: Die Europäische Union muss
sich in Bezug auf Lateinamerika neu positionieren. Ein
Teil der Forderungen in Ihren Anträgen bezieht sich auf
einen überholten Zustand. Die Geschichte war wieder
einmal etwas schneller als unsere zum Teil bürokratische
Demokratie.
Liebe Kollegen, bitte verstehen Sie mich nicht falsch.
Die gestellten Anträge sind in der Sache richtig. Auch
die FDP ist dafür, dass wir Lateinamerika unterstützen
und die Zusammenarbeit mit dieser Region weiter ausbauen. Lassen Sie uns deshalb die im Dezember gegrünHarald Leibrecht
dete Südamerikanische Staatengemeinschaft als Chance
betrachten! Das Ziel bleibt dasselbe, das auch in Ihren
Anträgen formuliert wird: die Beziehungen zu Lateinamerika zu intensivieren und ihnen eine Bedeutung und
Zukunft zu geben.
Doch was kann, auch vonseiten Europas, getan werden, damit diese neue Integrationsform auch erfolgreich
wird und sowohl nach innen als auch nach außen wirklich funktioniert? Ich meine, wir sollten dort helfen, wo
wir es am besten können. Die Länder Lateinamerikas
brauchen auf ihrem Weg in eine wirkliche Integration einen kompetenten Berater. Europa könnte ein solcher
Berater sein, denn die Europäische Union hat in den letzten Jahrzehnten viele Erfahrungen auf dem Gebiet der
Integration sammeln können.
Dass dieser Prozess auch für Europa nicht immer
ganz einfach war und dass dabei auch Fehler gemacht
wurden, bestätigt nur die Notwendigkeit, Lateinamerika
bei seiner großen Aufgabe zu unterstützen. Lateinamerika muss eine Chance bekommen, sich selbst zu entwickeln und stark zu werden.
Mit der Gründung der neuen Südamerikanischen
Staatengemeinschaft hat Lateinamerika den richtigen
Schritt getan. Es hat sogar noch mehr getan: Es hat die
EU zu seinem Vorbild, zu seinem Spiegel, erklärt. Lassen Sie uns dieses Vorbild, lassen Sie uns dieser Spiegel
sein! Lateinamerika braucht unsere Unterstützung, damit
es sich zu einem starken Partner entwickeln kann. Andernfalls bleibt der Spiegel nur ein Zerrbild.
Ich danke Ihnen.
({1})
Das Wort hat der Kollege Hans-Christian Ströbele,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe in diesem Bundestag gelernt, dass man
Anträge der CDU/CSU zu Lateinamerika mit spitzen
Fingern anfassen muss.
({0})
Das habe ich insbesondere bezüglich der Anträge, die
Sie im letzten Jahr zu Venezuela hier eingebracht haben
und die von uns abgelehnt wurden, festgestellt. Wären
wir den Anträgen gefolgt, hätten wir nicht nur auf den
falschen Präsidentschaftskandidaten gesetzt - das
kommt ja manchmal vor, auch in anderen Ländern -,
sondern wir hätten eine Opposition unterstützt, über die
Sie sich jetzt viel verständiger geäußert haben, eine Opposition, die Venezuela, einen ehemals stabilen Staat, die
reichste Demokratie in Lateinamerika überhaupt, heruntergewirtschaftet hat. Wir hätten uns damit etwas wesentlich Schlimmeres eingehandelt als das, was jetzt die
Wählerinnen und Wähler in diesem Land entschieden
haben, dass nämlich Präsident Chávez dort weiter regieren kann.
({1})
Sie haben heute einen Antrag zu Lateinamerika insgesamt vorgelegt. Wenn man den Antrag liest, könnte man
den Eindruck gewinnen, die Bundesregierung sei wegen ihrer Politik schuld an vielen der Übel in Lateinamerika, wenn nicht an allen. In Ihrem Antrag steht, die ungeschickte Kampagne der Bundesregierung für einen
ständigen Sitz Deutschlands im UNO-Sicherheitsrat sei
einer der Gründe für die schlechte Politik in Lateinamerika.
({2})
Weiter heißt es, die Entwicklung dort sei rückläufig,
Deutschland befinde sich in einem kontinuierlichen
Rückzug aus Lateinamerika, die Politik sei rückwärts
gewandt und deshalb falsch.
Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Sie haben sich heute
- dieses Kompliment will ich Ihnen durchaus machen,
Herr Kollege Hedrich - viel vernünftiger geäußert, nicht
nur in Bezug auf Venezuela, sondern zu Lateinamerika
insgesamt. Ihr Antrag enthält in der Analyse, in der Beschreibung der Situation, durchaus einige richtige Feststellungen. Lateinamerika befindet sich tatsächlich in einer Krise, wenn man das überhaupt über einen ganzen
Kontinent sagen kann und nicht nach den einzelnen Ländern differenzieren muss. Diese Krise ist für viele Länder Lateinamerikas substanziell.
Zugleich müssen wir aber auch sehen, dass Lateinamerika ein Wachstum hat, von dem man in Deutschland
und in Europa nur träumen kann.
({3})
Für das Jahr 2004 ist eine Wachstumsrate für Gesamtlateinamerika von 5,2 Prozent festgestellt worden. Einzelne Länder haben noch höhere. Venezuela zum Beispiel hat eine Wachstumsrate von 17 Prozent.
({4})
Selbst Argentinien hat ein Wachstum von 8 Prozent.
Aber auch Brasilien hat noch 5 Prozent. Deshalb ist dort
durchaus eine positive wirtschaftliche Entwicklung für
das Jahr 2004 festzustellen.
Die Frage ist, weswegen sich Lateinamerika trotzdem
in einer solch akuten Krise befindet und wieso große
Teile der Bevölkerung in nahezu allen Teilen Lateinamerikas von diesem Wachstum so gut wie keine Vorteile
haben. Am Armuts-Reichtums-Verhältnis hat sich
nämlich auch im Jahre 2004 so gut wie nichts geändert.
Es ist unsere Aufgabe, die Ursachen hierfür festzustellen
und darauf richtig zu reagieren. Ich will nur wenige
Punkte nennen, da ich hier ja nicht so sehr lange reden
kann:
({5})
Wir stellen eine Delegitimierung der Parteien und
demokratischen Institutionen in ganz Lateinamerika
fest.
({6})
Diese reicht von Venezuela über die Staaten Mittelamerikas bis nach Bolivien.
Wir stellen außerdem fest, dass die lateinamerikanischen Länder weltweit in der Korruptionsstatistik an
der Spitze liegen. Das belegen auch die Analysen von
Transparency International und anderen internationalen
Organisationen.
Weiterhin stellen wir in vielen Ländern Latein- und
Mittelamerikas eine Entwicklung der Kriminalität fest
- wir wollen ja Anfang Februar dahin fahren -, die im
Ergebnis mittlerweile durchaus mit der schrecklichen
Gewaltkriminalität in Johannesburg vergleichbar ist.
Bisher hielten wir das ja für ein einmaliges Phänomen.
Auch da müssen wir uns fragen, woher das kommt, was
die Gründe dafür sind und was wir machen können und
machen müssen, damit sich da etwas ändert.
In diesem Zusammenhang ist die Frage zu stellen, ob
die Politik der Entwicklungszusammenarbeit, die wir
und auch Sie, als FDP und CDU/CSU noch die Regierung stellten, in der Vergangenheit verfolgt haben, der
richtige Weg ist, um zu anderen Verhältnissen in Lateinamerika zu kommen, und ob wir dem Umstand genügend Rechnung tragen, dass das Ansehen der Parteien
und der demokratischen Institutionen in Lateinamerika
so gesunken ist. Wir müssen uns anschauen, welche
Gründe es dafür gibt. Wenn wir diese kennen, können
wir uns auch überlegen, was wir anders machen müssen
und auf welche Punkte wir unsere Entwicklungszusammenarbeit in der Zukunft konzentrieren.
Es sind ganz gravierende Mängel bei der Ausübung
der Regierungsgewalt durch die Herrschenden in fast
allen Ländern Lateinamerikas festzustellen. Da wird hingenommen, dass es in vielen dieser Länder keine rechtsstaatlichen Verhältnisse mehr gibt, dass die Menschenrechte nur eine ganz untergeordnete Rolle spielen und
dass viele Menschen, nämlich die große Masse der Bevölkerung, immer ärmer werden. Wenn die große Masse
der Bevölkerung immer ärmer wird, dann muss es auch
angesichts der zunehmenden Kriminalität das wichtigste
Ziel für uns sein, ihnen soziales Fortkommen und Bildung zu ermöglichen. Es müssen ihnen also Perspektiven für das Weiterkommen und damit für ihr Leben und
das ihrer Kinder aufgezeigt werden.
Am meisten benachteiligt sind - auch darauf haben
Sie hingewiesen; das sehe ich genauso - die indigenen
Völker in Lateinamerika, also die Urbevölkerung etwa
in Bolivien, in Guatemala oder in Ecuador. Aber auch in
vielen anderen Ländern ist der Anteil dieser Völker an
der Gesamtbevölkerung noch sehr groß. Angesichts dieser Analyse sollte man überlegen, ob es noch richtig ist,
mit so prosperierenden bzw. reichen Ländern wie Brasilien oder Venezuela eine Entwicklungszusammenarbeit
zu betreiben, die allgemeine Unterstützung gewährt,
oder ob man nicht besser neue Prioritäten setzen bzw.
schon vorhandene Schwerpunkte noch stärker betonen
sollte.
Deshalb kann die Lösung nur sein, dass wir unsere
Entwicklungszusammenarbeit in möglichst allen Ländern Lateinamerikas darauf konzentrieren, rechtsstaatliche Verhältnisse zu sichern. Wir müssen dafür eintreten,
dass die Menschenrechte für alle garantiert sind. Ich beziehe ausdrücklich Kolumbien und Venezuela ein. Wir
müssen den indigenen Völkern endlich die Rechte geben, die in der IAO-Konvention Nr. 169 enthalten sind.
Die Rechte dieser Völker müssen anerkannt werden und
ihre Partizipation am gesellschaftlichen Leben muss gewährleistet sein. Das alles ist bisher nicht der Fall.
Der letzte und wichtigste Punkt ist, dass wir den Herrschenden dort, mit denen wir und unsere Regierung reden, klar machen, dass ohne die Verwirklichung einer
durchgreifenden Landreform in nahezu allen Ländern
Lateinamerikas eine Veränderung der Verhältnisse nicht
möglich ist. Deshalb halte ich es für richtig, dass wir die
wirtschaftlich starken Länder Lateinamerikas, die hohe
Wachstumsraten aufweisen, als Schwellenländer aus der
normalen Entwicklungszusammenarbeit herausnehmen.
Wir sollten uns auf Fragen wie Ökologie, Menschenrechte, Landreform und indigene Völker konzentrieren.
Das scheint mir einer der richtigen Wege zu sein.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Claudia Nolte, CDU/CSUFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zur Situation in Lateinamerika ist in dieser Debatte
schon einiges gesagt worden. Ich denke, in der Beurteilung der kritischen Tendenzen sind wir uns einig.
Herr Kollege Ströbele, es tut mir Leid, aber ich muss
sagen, dass wir in Bezug auf Venezuela eine völlig verschiedene Wahrnehmung haben.
({0})
Hoffentlich müssen wir Sie nicht so verstehen, dass es
für Venezuela ein Segen ist, dass Hugo Chávez immer
noch im Amt ist. Denn er ist meilenweit davon entfernt,
ein Demokrat zu sein oder ein Interesse für die Entwicklung seines Landes zu haben.
({1})
Wenn Sie in den letzten Debatten genau zugehört hätten, dann wüssten Sie - das ist auch in unseren Anträgen
immer deutlich geworden -, dass auch wir darauf hingewiesen haben, dass Hugo Chávez deshalb an die Macht
gekommen ist, weil die politischen Eliten versagt haben.
Diese Tatsache haben wir nie verschwiegen. Außerdem
haben wir immer deutlich gemacht, Herr Ströbele, dass
wir die demokratische Opposition unterstützen. Darum
geht es uns. Ich denke, wir haben, was unsere Kritik an
Hugo Chávez und unsere Unterstützung der demokratischen Opposition angeht, nichts zu korrigieren.
({2})
Wir haben diesen umfassenden Antrag gestellt, weil
wir in dieser Situation nicht einfach nur zuschauen dürfen. Wir müssen uns vielmehr fragen, wie wir zu einer
guten Entwicklung in Lateinamerika beitragen können.
Vor allen Dingen müssen wir dafür sorgen, dass die strategische Partnerschaft, die die Bundesregierung und
die Europäische Union proklamiert haben, mit Leben erfüllt wird.
Unser Eindruck ist aber, dass Lateinamerika im politischen und im kulturellen Bereich, aber auch in vielen anderen Bereichen keinerlei Priorität genießt, obwohl es
genug Handlungsfelder gibt, in denen wir zusammenarbeiten und über strategische Fragen miteinander sprechen müssen. Ich nenne beispielsweise die Themen Sicherheit, Bekämpfung des internationalen Terrorismus,
gerechte Weltwirtschaft, WTO, Multilateralismus und
Umweltpolitik.
({3})
Aber wir gehen nicht strategisch vor. Lieber Herr
Kollege, wenn es eines Beispiels dafür bedarf, wie
sich die Bundesregierung in dieser Angelegenheit verhält, dann kann man ihre Position zu einem Sitz im
UN-Sicherheitsrat anführen. In Bezug auf Afrika wird
ganz klar gesagt: Die Afrikaner sollen das unter sich ausmachen; da können wir schlecht eine Auswahl treffen.
Warum ist das in Bezug auf Lateinamerika nicht auch
der Fall? Natürlich haben wir unsere Partner dort vor den
Kopf gestoßen.
({4})
Wenn der mexikanische Außenminister unseren Kollegen sagt, dass man sich wohl andere Freunde in
Europa suchen müsse, dann ist das für uns ein deutliches
Zeichen, dass wir hier vollkommen falsch agiert und
diese Länder vor den Kopf gestoßen haben. Das wird
uns bei einer Vertiefung der Partnerschaft sicherlich
nicht helfen.
({5})
Ein wichtiger Bereich, in den wir mehr investieren
sollten - hier können wir wirklich viel tun -, ist in der
Tat all das, was mit Kultur, mit Austausch und der Zusammenarbeit in Wissenschaft und Forschung sowie
mit dem Studentenaustausch zu tun hat.
({6})
Lieber Lothar Mark, deine Wahrnehmung vermag ich
nicht zu teilen. Wenn du die Länder besuchst, bekommst
du doch mit, wie die Goethe-Institute ausgestattet sind,
dass die deutschen Schulen Schwierigkeiten haben, die
Auslandsvertretungen ausgedünnt werden usw.
({7})
Natürlich gibt es auch ein paar gute Beispiele. Ich
konnte mir vor einiger Zeit in Santiago das Heidelberg
Center anschauen. Das Land Baden-Württemberg hat
hier sehr wohl einen Schwerpunkt gesetzt. Das können
auch andere Länder tun.
({8})
Ich habe gern zur Kenntnis genommen, lieber Lothar
Mark, dass wir zusammen mit dir und, wie ich hoffe,
deiner Fraktion - ihr habt ja die Mehrheit im Haushaltsausschuss, was sehr günstig ist ({9})
das Deutsche-Welle-Programm erhalten werden.
({10})
Ich hoffe, dass ihr euch - hoffentlich auch die Grünen dafür stark macht; denn man braucht nicht zu erläutern,
warum ein Fernsehprogramm mit Untertiteln auf einem
Subkontinent, auf dem sehr viele Menschen nicht lesen
können, nichts taugt. Natürlich brauchen wir das spanischsprachige Programm - und das auch aus einem anderen Grund: Dabei geht es zwar auch um den Kulturaustausch, um das gegenseitige Kennenlernen und
darum, füreinander Verständnis zu entwickeln. Solche
kulturellen Erfahrungen und Austausche dienen aber
doch vor allen Dingen auch der Wertevermittlung. Durch
eigene Anschauung, dadurch, dass junge Leute eine Zeit
lang hier bei uns sein können, kann die Demokratie vermittelt werden. Das ist ein wichtiger Beitrag, den wir liefern können und liefern müssen. Da haben unsere Stiftungen in den 40 Jahren, in denen sie inzwischen in
Lateinamerika arbeiten, großartige Arbeit geleistet.
({11})
Ich als Haushaltspolitikerin verstehe nicht ganz, dass
man sagen kann: Die Mittel sind eigentlich nicht gekürzt
worden. Aber die Welt hat sich doch verändert; die Aufgaben sind doch um ein Erhebliches mehr geworden.
({12})
Wenn ich sehe, welche Aufgaben die Stiftungen in Osteuropa jetzt wahrnehmen - sie nehmen sie zu Recht
wahr; das ist entscheidend und wichtig -, dann komme
ich zu dem Ergebnis, dass man die Mittelausstattung der
Stiftungen den neuen Herausforderungen und Aufgaben
anpassen muss, lieber Lothar Mark. Die Stiftungen brauchen einfach ein bisschen mehr Unterstützung und mehr
Hilfe. Dann können wir dort mehr tun und einen wichtigen Beitrag zur Demokratieförderung leisten. In diesem
Sinne, liebe Bundesregierung:
({13})
Machen Sie mehr mit diesem strategischen Partner!
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat der Kollege Sascha Raabe, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Beziehungen zu Lateinamerika sind ohne eine Betrachtung der
handelspolitischen Verflechtungen nicht denkbar. Der
WTO-Gipfel in Cancun ist gescheitert. Viele Redner haben angesprochen, dass auch das EU-Mercosur-Assoziierungsabkommen vertagt worden ist.
Die Fälle gleichen sich: Lateinamerikanische Staaten
fordern von uns ein Ende unseres Agrarexportdumpings
und bessere Absatzmöglichkeiten für ihre landwirtschaftlichen Produkte. Denn eigentlich haben sie uns gegenüber meist einen komparativen Vorteil: Fruchtbare
Böden, traumhafte Klimabedingungen sowie günstige
Produktionskosten prädestinieren den Subkontinent zu
einem idealen Erzeuger und Lieferanten für Agrarprodukte. Das Gute dabei ist, dass der Agrarsektor anders als die Bodenschätze eine erneuerbare Ressource ist
und somit eine langfristige wirtschaftliche Entwicklungsperspektive bietet.
Wenn wir von den lateinamerikanischen Staaten fordern, ihre Märkte für unsere Waren und Dienstleistungen
zu öffnen, müssen wir das umgekehrt auch tun, und zwar
gerade in den Sektoren, in denen sie uns überlegen sind.
Es ist unsere Verantwortung und in unserem eigenen Interesse, alles in unserer Kraft Liegende zu tun, damit die
Globalisierung gerecht gestaltet wird.
Wir als SPD-Fraktion haben in dieser Woche einen
wichtigen Schritt für Lateinamerika getan. Wir haben am
Dienstag in unserer Fraktion ein Positionspapier zur Reform des europäischen Zuckermarktes beschlossen, auf
das ich sehr stolz bin. Ich bin glücklich darüber, dass wir
den Mut haben, über unsere deutschen Grenzen hinauszublicken, und wir im Gegensatz zu Ihnen den Weitblick
haben, zu erkennen, dass Verantwortung nicht beim
deutschen Zuckerrübenbauern endet. Denn die Lateinamerikaner wollen und brauchen keine wohlfeile Rhetorik oder blumige Prosa, wie sie teilweise im Antrag der
CDU/CSU vorkommt.
({0})
So zitiere ich Ihre Forderung 15. Hier fordern Sie die
Bundesregierung auf, dass „die internationale Handelspolitik stärker … entwicklungspolitischen Überlegungen
… Rechnung“ trägt. Weiterhin sollen „ländliche Bevölkerungsgruppen … dabei unterstützt werden, statt Drogenpflanzen“ andere Agrarprodukte anzubauen.
Ist Ihnen beim Schreiben dieses Antrags eigentlich
einmal in den Sinn gekommen, dass auch Zuckerrohr ein
solches Agrarprodukt ist, von dem zum Beispiel in Brasilien ganze Bevölkerungsschichten leben? Schmücken
Sie sich nicht mit solchen Globalisierungsphrasen, solange Ihre Bauernlobby gegen die Überwindung dieser
internationalen Ungerechtigkeit ankämpft, als wäre es
ihr letzter Kampf!
({1})
Es geht uns nicht nur um Zucker. Auch Bananen, Baumwolle und Soja sind Produkte, die vor allem in Entwicklungsländern und auch in Lateinamerika hergestellt werden.
Anfang Januar hat die Weltbank eine Studie herausgebracht, die zu folgendem Fazit kommt: Wenn die Industrieländer ihr Agrarexportdumping stoppten und ihre
Märkte für Agrarprodukte öffneten, könnten Entwicklungs- und Schwellenländer gut von der Landwirtschaft
leben und ihre Produkte exportieren. Diese Studie - lesen Sie sie einmal in Ruhe - bestätigt, was alle Experten
seit Jahren sagen: Die beste Entwicklungszusammenarbeit ist und bleibt ein gerechter Handel.
({2})
Bei der CDU finden sich diese Erkenntnisse leider
immer nur in den entwicklungspolitischen Anträgen
wieder, zum Teil auch wieder in der Rhetorik dieses Antrags. Wenn es aber um die echten handelspolitischen
Entscheidungen geht, ist davon keine Rede mehr. An den
beschämenden Auftritten der CDU-Kollegen bei der Debatte um die Reform der europäischen Agrarpolitik oder
eben zur Zuckermarktordnung wurde deutlich, dass Sie
von Kohärenz noch nie etwas gehört haben.
Wenn Cancun ein Gutes gebracht hat, dann ist es ein
neues Selbstverständnis bei den Entwicklungs- und
Schwellenländern. Der G 20 gehörten acht lateinamerikanische Länder an. Diese Gruppe führte durch ihr
selbstbewusstes Auftreten der internationalen Staatengemeinschaft vor Augen, dass auf dem diplomatischen
Parkett ein neues Zeitalter beginnen muss. Alle Länder
dieser Welt haben ein Mitspracherecht, sei es bei Verhandlungen über den internationalen Handel in der
WTO, sei es zu Fragen über Krieg und Frieden im UNSicherheitsrat. Wir sollten dies nicht als Bedrohung, sondern als Chance begreifen.
Unsere Entwicklungszusammenarbeit unterscheidet zwischen Ankerländern, Kooperationsländern und
Schwerpunktländern. Das Ankerländerkonzept des BMZ
enthält im Hinblick auf die Entwicklung Brasiliens, Argentiniens und Mexikos einen anderen Ansatz, als er für
Schwerpunktländer besteht, in denen bittere Armut
herrscht. Für Länder wie Bolivien, Peru, Nicaragua,
El Salvador und Honduras sind andere Formen der Entwicklungszusammenarbeit erforderlich als etwa in Brasilien, wo es um den Schutz der grünen Lunge dieser
Erde, des Amazonaswaldes, geht. Das PTG-7-Programm, in dem wir sehr aktiv sind, ist ein vorbildliches
Projekt, das wir gern fortführen. Hierüber gibt es, wie
ich glaube, keinen Dissens.
Meine Damen und Herren, die letzten Meldungen
über Wirtschaftsdaten geben Anlass zu Hoffnung. Wir
sollten diese Länder ermutigen, die Entwicklung auch
dazu zu nutzen, die Korruption zu bekämpfen sowie effektive Steuergesetzgebungen und soziale Sicherungssysteme aufzubauen.
({3})
Es ist schön, dass sich die gerade gegründete Südamerikanische Union am europäischen Sozialstaatsmodell orientieren will.
Wir möchten mit den Menschen in Lateinamerika
weiterhin für eine gemeinsame Entwicklung arbeiten.
Eine Entwicklung in Zeiten der Globalisierung muss
partnerschaftlich stattfinden. Das heißt, politisch und
wirtschaftlich fair zu kooperieren und Hand in Hand in
beiderseitigem Interesse voranzukommen, denn einen
Tango tanzt man schließlich auch nur zu zweit.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat Herr Kollege Peter Weiß, CDU/CSUFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist gut, dass wir einmal eine Debatte über die gesamte
Lateinamerikapolitik Deutschlands führen. Ich zweifle
in keiner Weise an der Redlichkeit des Engagements der
Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen,
die sich mit Lateinamerika befassen.
({0})
Aber Fakt ist eben, dass die Politik der Bundesregierung
Lateinamerika schleichend, aber konsequent aufs politische Abstellgleis schiebt.
({1})
- Man sieht es einfach, wenn man die Fakten zusammenfasst.
Der Anteil des lateinamerikanischen und karibischen
Raumes an der weltweiten öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit Deutschlands ist seit 1998 rückläufig.
Für Rot-Grün ist Lateinamerika mehr oder minder zu einem entwicklungspolitischen Steinbruch geworden. Ein
Land nach dem anderen wird von der Kooperationsliste
gestrichen, zuerst Argentinien und Uruguay. Jetzt diskutiert man bereits über Paraguay und Chile. Bei allem
Verständnis dafür, dass eine Konzentration in der Entwicklungszusammenarbeit notwendig ist: Sie stellen
aber noch nicht einmal die notwendige Flexibilität her,
um auf Krisen reagieren zu können. Zumindest auf die
Argentinienkrise hätte man reagieren müssen; das ist bis
zum heutigen Tag unterblieben.
({2})
Auch die von Herrn Dr. Raabe erwähnte Liste der Ankerländer des BMZ bleibt Schall und Rauch. Konsequenzen daraus werden für Lateinamerika nicht gezogen.
Auch das Versprechen, dass man die Länder, die aus
der direkten Entwicklungskooperation ausgeschlossen
wurden, wenigstens an regionalen Projekten beteiligt,
wird zunehmend nicht eingelöst. Herr Ströbele, Sie haben gerade auf die Bedeutung der Ökologie in Südamerika hingewiesen. Jüngst ist im Grand Chaco, einem besonders sensiblen Gebiet, an dem Argentinien, Bolivien
und Paraguay partizipieren, ein Projekt storniert worden.
Es ist auch auf die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik hingewiesen worden. Wir mussten GoetheInstitute schließen. Das spanischsprachige Fernsehprogramm der Deutschen Welle soll nach der Aufgabe des
Radioprogramms ebenfalls eingestellt werden. Ich begrüße, dass sich Kollege Lothar Mark so deutlich für die
Beibehaltung dieses Programms ausgesprochen hat. Da
es hierbei um ein Staatsunternehmen geht, gehe ich davon aus, dass diesen klaren Worten von Mitgliedern der
Regierungskoalition Taten folgen. Wir warten darauf.
({3})
Meine Damen und Herren, selbstverständlich setzen
auch wir seitens der CDU/CSU darauf, dass die Europäische Union mit den regionalen Zusammenschlüssen Lateinamerikas Assoziierungs- und Freihandelsabkommen
abschließt; denn wir wollen die regionale Integration
fördern. Fakt aber ist, dass es bis zum heutigen Tag zu
keinem einzigen Abkommen mit einem regionalen Zusammenschluss gekommen ist.
({4})
Wir hegen zwar die Hoffnung, dass die Mercosur-Verhandlungen mit der EU in diesem Jahr zu Ende gebracht
werden. Wenn sich aber die Hoffnung auf Abschlüsse
von Abkommen mit regionalen Zusammenschlüssen in
Lateinamerika letztlich nur als ein Vertrösten und Verschieben mit ungewisser Zukunft erweist, warum schließen wir dann nicht mit den Ländern, die dazu bereit, willens und in der Lage sind, bilaterale EUAssoziierungsabkommen ab?
({5})
Selbstverständlich unterstützen auch wir, die CDU/
CSU, dass Lateinamerika insbesondere mit seinen Produkten aus dem Agrarsektor mehr Chancen auf dem
Weltmarkt erhält.
({6})
Peter Weiß ({7})
Wenn aber die Marktzulassung lateinamerikanischer
Agrarprodukte in Europa und anderswo auf der Welt und
die Absenkung der Handelsschranken nur dazu führen,
dass durch den großflächigen Sojaanbau in Argentinien
die Kleinbauern marginalisiert und verdrängt werden,
nur wenige Großgrundbesitzer davon profitieren und die
Ärmsten der Armen nichts davon haben,
({8})
wenn in Brasilien der großflächige Zuckerrohranbau die
gleiche Wirkung hat und zudem die von Ihnen zu Recht
erwähnten ökologischen Lungen wie das Amazonasgebiet weiter abgeholzt werden, dann ist niemandem bei
uns und erst recht niemandem von den Armen in Lateinamerika geholfen.
({9})
Wir brauchen also eine verstärkte Entwicklungszusammenarbeit mit Lateinamerika, um die notwendigen
Strukturreformen auf dem Agrarsektor zu unterstützen
und voranzubringen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn man
die Frage beantworten will, ob wir mehr oder weniger
mit Lateinamerika zusammenarbeiten müssen, muss
man eine Tatsache berücksichtigen: Wir Europäer können in einer globalisierten Welt nur dann wirtschaftliche
und politische Entwicklungen aktiv mitgestalten, wenn
wir Freunde in der Welt haben. Mit Lateinamerika verbindet uns eine Wertegemeinschaft. Dadurch sind wir
mit Lateinamerika mehr verbunden als mit vielen anderen Regionen dieser Welt. Ich finde, das Thema Wertegemeinschaft ist nicht nur etwas für Sonntagsreden. Es
hat eine reale Grundlage.
({10})
Deswegen sollten wir, wenn wir die Globalisierung mit
denen gestalten wollen, die sich von gleichen Wertevorstellungen leiten lassen, unsere Zusammenarbeit mit Lateinamerika wieder in das Zentrum deutscher Außen-,
Sicherheits- und Entwicklungspolitik stellen. Es muss
Schluss sein mit der um sich greifenden LateinamerikaIgnoranz in Deutschland. Wir brauchen einen entschiedenen Aufbruch für eine neue strategische Partnerschaft.
Vielen Dank.
({11})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/4388 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 8 b: Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
Drucksache 15/3840 zu dem Antrag der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel
„Intensivierung der Beziehungen zwischen der Europäischen Union, Lateinamerika und der Karibik“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/3205
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei
Enthaltung von CDU/CSU und FDP angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 2004
zur Haushalts- und Wirtschaftsführung ({0})
- Drucksache 15/4200 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({1})
Sportausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Gerhard Rübenkönig, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag berät heute auf Ihren
Wunsch, meine Damen und Herren von der Opposition,
({0})
in erster Lesung die Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 2004 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung. Ich denke, das ist ein sehr ungewöhnlicher Vorgang. Die Praxis in den vergangenen Jahren war eine
andere. Dennoch ist der Wunsch der Opposition für mich
ein legitimes, wenn auch wohl eher von wahlkampftaktischen Motiven bestimmtes Ansinnen. Sachliche
Gründe für die Aufgabe der so lange von allen Fraktionen getragenen Praxis erkenne ich nicht. Ich denke,
auch der späte Abend und die zeitliche Nähe zum Staatsakt hätten einen Verzicht auf die Debatte nahe gelegt.
({1})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Bundesrechnungshof ist ein zentrales Element unserer Finanzordnung, um die Kostenverantwortung in der Verwaltung zu schärfen, persönliches Fehlverhalten und
strukturelle Defizite aufzuspüren sowie Vorschläge für
schlanke und effiziente Organisationsstrukturen zu machen. Betriebswirtschaftliches Denken und Handeln
müssen nach meiner festen Überzeugung zu bestimmenGerhard Rübenkönig
den Faktoren und Grundlagen exekutiven Handelns werden.
Dass dies leider nicht immer der Fall ist, zeigen die
Bemerkungen 2004. Nach dem Bericht des Bundesrechnungshofes belaufen sich die einmaligen Ausgabenminderungen und Einnahmensteigerungen, die in den
57 Bemerkungen beschrieben werden, auf knapp
2,4 Milliarden Euro zuzüglich eines jährlich realisierbaren Potenzials von 800 Millionen Euro. Wegen der nur
ausschnittsweisen Prüfung des Haushaltes muss ich davon ausgehen, dass die tatsächlichen Spar- oder Einnahmemöglichkeiten im Bund und, so denke ich, auch
in den Ländern noch um einiges höher sein dürften.
Die Prüfungen des Bundesrechnungshofes zeigen,
dass es zu Fehlern quer durch alle Ministerien gekommen
ist, es aber keine Konzentration von Defiziten, Nachlässigkeiten und fehlender Personalaufsicht und -führung in
einzelnen Häusern gibt. Wichtig ist mir auch, festzuhalten, dass die Fehlerbeschreibungen des Bundesrechnungshofes nicht verallgemeinert und auf die gesamte
Verwaltung übertragen werden dürfen; denn die Bundesverwaltung - so der Präsident des Bundesrechnungshofes, Herr Professor Engels - arbeitet im Großen und Ganzen gut, dies gilt gerade auch im internationalen
Vergleich.
Meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, der Präsident des Bundesrechnungshofes hat wie
die Vorgänger in den Jahren zuvor die Präsentation der
Bemerkungen am 16. November 2004 zum Anlass genommen, auch auf die dramatische Finanzlage des Bundes hinzuweisen.
In der Tat ist die Haushalts- und Verschuldungssituation des Bundes - Gleiches gilt auch für die Länder; auch für die von Ihnen, meine Damen und Herren
von der Opposition, regierten Länder - sehr angespannt.
Ich will nur einige Stichworte nennen: die hohe Staatsverschuldung, die Schuldenlast, die in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auf die Haushalte zukommt, die Belastungen durch die Pensionszahlungen an die Beamten,
die hohen Ausgaben für die gesetzliche Rentenversicherung, die demographische Entwicklung insgesamt, die
finanziellen Belastungen durch die deutsche Einheit
({2})
und die Globalisierung mit der damit einhergehenden
ökonomischen Konkurrenz sowie dem Steuerwettbewerb.
({3})
Für mich besteht - das ist unbestritten - ein massiver
Handlungsdruck, den Haushalt zu konsolidieren, die
Neuverschuldung auf null zurückzuführen,
({4})
zur Aufgabenkritik und zur Konzentration der staatlichen Leistungen auf die wesentlichen und zukunftsfähigen Aufgabenfelder. Vor diesem Hintergrund bedauere
ich die hohe Neuverschuldung im Jahre 2004 sehr. Es ist
richtig, dass sie, wie ursprünglich geplant war, niedriger
sein sollte.
({5})
Aber aufgrund der sehr schwierigen ökonomischen Rahmenbedingungen und der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts müssen wir das akzeptieren.
Dennoch handelt es sich nicht - das sei festgestellt um die höchste Neuverschuldung, die jemals in einem
Jahr zu verzeichnen war. Diese gab es bereits im Jahre
1996. Damals betrug sie 40,1 Milliarden Euro.
({6})
Das war zu Ihrer Regierungszeit, als noch Ihr Kollege,
Finanzminister Waigel, im Amt war. Auch muss ich festhalten, dass es diese Bundesregierung war, die seit 1998,
dem Jahr ihrer Regierungsübernahme, auf der Ausgabenseite des Haushalts 25 Milliarden Euro eingespart
hat.
({7})
Ebenfalls war es diese Regierung, die durch ihre weit
reichenden Reformen im Bereich der Kranken-, Rentenund Arbeitslosenversicherung und durch die Hartz-Gesetze - darüber haben wir hier lange diskutiert - wichtige strukturelle Konsolidierungsschritte durchgeführt
hat, die mittel- und langfristig eine haushaltspolitische
Entlastungswirkung haben werden.
({8})
Ich denke, auch hier sind wir an die Grenzen dessen gegangen, was der Gesellschaft zumutbar ist.
Des Weiteren war es diese Regierung, die mit dem
Gesetz zum Abbau von Steuervergünstigungen und dem
Haushaltsbegleitgesetz 2004 ein umfangreiches und engagiertes Programm zum Subventionsabbau in einer
Größenordnung von über 25 Milliarden Euro aufgelegt
hat,
({9})
von denen das Bundesfinanzministerium - Herr
Fromme! -, weil die Opposition dieses Programm im
Bundesrat und im Vermittlungsausschuss abgelehnt hat,
nicht einmal ein Drittel, nämlich circa 8,6 Milliarden
Euro, erhalten hat.
Keines der von mir genannten Haushaltsprobleme ist
wirklich neu. Die hohe Staatsverschuldung ist in
40 Jahren von allen Fraktionen dieses Hauses aufgebaut
worden. Die Diskussionen über die fiskalischen Konsequenzen der demographischen Entwicklung und der
Pensionslasten sind ebenfalls alt, wie auch die hohen
Arbeitslosenzahlen schon in Ihrer Regierungszeit die Arbeitsmarktlage beschrieben haben.
({10})
Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Opposition: Warum haben Sie in Ihrer Regierungszeit nichts unternommen, um die Staatsverschuldung zurückzuführen?
({11})
Allein von 1990 bis 1998 hat sie sich auf 1,4 Billionen DM - das entspricht 745 Milliarden Euro - mehr als
verdoppelt.
({12})
Das muss man sich einmal vor Augen führen. Neulich
habe ich in einer Schulklasse die Zahl 1,4 Billionen an
die Wand schreiben lassen und den Schülern gesagt:
Diese Zahl beziffert die Höhe der Staatsverschuldung,
die uns unsere Vorgängerregierung überlassen hat.
({13})
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU und FDP,
Sie waren es, die allen seriösen Berechnungen und Planungen zum Trotz erst blühende Landschaften - quasi
zum Nulltarif - versprachen und dann einen gewaltigen
Schuldenberg auftürmten, einen bunten Strauß von Nebenhaushalten schufen, die Sozialversicherungssysteme mit einem großen Teil der Kosten der Wiedervereinigung belasteten und dann nicht in der Lage waren, die
notwendigen gesellschaftlichen Reformen zum Erhalt
der deutschen Wettbewerbsfähigkeit in einer globalisierten Welt durchzuführen.
({14})
Es ist das unbestrittene Recht der Opposition, die
Haushaltspolitik der Regierung zu kritisieren.
({15})
Aber so zu tun, als ob Sie an dem jetzigen Zustand unschuldig seien, das offenbart sich von selbst.
({16})
Das wird auch von den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land so gesehen; das zeigen ja die Meinungsumfragen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen.
({17})
Deswegen wird Herr Austermann sicherlich weiter unser
Kollege bleiben und nicht Finanzminister in SchleswigHolstein werden.
Der Appell des Rechnungshofs zur Sparsamkeit und
Schuldenrückführung richtet sich an beide Seiten des
Hauses und ist nicht für partei- und wahlkampftaktische
Spielchen geeignet. Gerade deshalb ist er auch eine dringende Aufforderung an die Opposition, endlich ihre parteipolitisch motivierte Blockadepolitik im Bundesrat
gegen einen Subventionsabbau aufzugeben - im gesamtstaatlichen Interesse von weniger Schulden und mehr
Bildungs- und Zukunftsinvestitionen.
({18})
Ich kann Sie deshalb nur an das Angebot des Finanzministers erinnern, ein gemeinsames Konzept von Bund
und Ländern zum weiteren Abbau von Steuervergünstigungen zu erarbeiten und gemeinsam zu verabschieden.
Sie sollten dieses Angebot im Interesse dieses Landes
und seiner Zukunftsfähigkeit annehmen.
Ich komme zum Schluss. Der Rechnungsprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages wird unter meinem Vorsitz in den kommenden Monaten jede einzelne
Bemerkung ausführlich, unvoreingenommen und zusammen mit den Vertreterinnen und Vertretern der betroffenen Ministerien und des Bundesrechnungshofs
beraten und nach tragfähigen Lösungen und Verbesserungen für die Zukunft suchen. Für den vorgelegten Bericht und die insgesamt geleistete Arbeit darf ich mich
im Namen - wie ich denke - aller Abgeordneten beim
Präsidenten des Bundesrechnungshofs und bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesrechnungshofs ganz herzlich bedanken. Ich wünsche mir, dass wir
wie in den vergangenen Jahren auch dieses Jahr im
Rechnungsprüfungsausschuss wieder zu einer guten Zusammenarbeit finden und zukunftsorientiert in weiten
Bereichen zu konsensualen Ergebnissen und Vorschlägen kommen.
In diesem Sinne darf ich mich ganz herzlich bei Ihnen
bedanken.
({19})
Nächster Redner ist der Kollege Georg Schirmbeck,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Rübenkönig, per Telefon ließ sich das ganz
leicht feststellen: Dass hier über diesen Punkt heute noch
diskutiert wird, war das Anliegen der Fraktionen, die die
Regierung tragen, also von SPD und den Grünen, ging
also nicht auf uns zurück. Dass wir zu einem so späten
Zeitpunkt diskutieren, liegt an dem Ablauf des heutigen
Tages; schließlich hatten wir heute noch den Staatsakt.
Im Übrigen ist es ja wohl so, dass die Kontrolle der ReGeorg Schirmbeck
gierung die Pflicht des gesamten Parlaments ist, also
eine der wichtigsten Aufgaben, die wir gemeinsam
wahrzunehmen haben. Was hier Wahlkampf sein soll,
kann ich nicht erkennen; jedenfalls kann ich hier im
Raum keine Wahlkämpfer sehen.
({0})
- Gut, jedenfalls bin ich kein Wahlkämpfer und die, die
hier diskutieren, sind auch keine Wahlkämpfer. Es geht
darum, die Kontrolle der Regierung durchzuführen. Damit ist der Rechnungshof beauftragt worden, über dessen
Bericht wir heute zu sprechen haben.
Meine Damen und Herren, manches, was in unserem
Staat abläuft, was in unserem Parlament abläuft, können
sich die Bürger gar nicht einfach genug vorstellen: Alle
Einnahmeansätze sind geschönt, alle Ausgabenansätze
sind geschönt, alle volkswirtschaftlichen Daten werden
geschönt, Tafelsilber wird verhökert.
Ich sagen Ihnen: In den fast zweieinhalb Jahren, die
ich dem Haushaltsausschuss jetzt angehören darf, habe
ich gelernt, dass man sogar einiges verkaufen kann, von
dem ich das bis vor einigen Wochen noch nicht wusste.
Im Ergebnis zieht unser Staat, unsere Volkswirtschaft,
dabei immer den Kürzeren. Dies ist teuer für zukünftige
Haushalte und - das ist noch schlimmer - für zukünftige
Generationen. Als Beispiel nenne ich nur die TelekomPensionen.
Die seit Jahren zu beobachtenden Einnahmelücken
in Milliardenhöhe sollten Anlass geben, bei den
Annahmen zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung mehr Zurückhaltung zu üben und die steuerliche Entwicklung in den Haushalts- und Finanzplänen vorsichtiger einzuschätzen. Gegebenenfalls
sind in den Finanzplänen Planungsreserven zum
Ausgleich für mögliche Mindereinnahmen und
Mehrausgaben vorzusehen ... Nach dem neuen Finanzplan ist nicht mehr damit zu rechnen, dass der
Bundeshaushalt auf absehbare Zeit ohne Neuverschuldung ausgeglichen werden kann. Das noch im
Jahre 2003 erklärte Konsolidierungsziel eines ohne
Nettokreditaufnahme ausgeglichenen Bundeshaushalts ist damit in weite Ferne gerückt.
Das, was ich hier zitiert habe, haben wir in den Ausschüssen wiederholt gesagt. Ich habe aber nicht uns
selbst, sondern den Bundesrechnungshof zitiert. Ich füge
hinzu: Vielleicht haben Sie das Konsolidierungsziel,
ohne Nettokreditaufnahme hinzukommen, schon ganz
aufgegeben.
Es sollte Sie nachdenklich stimmen, dass der Bundesrechnungshof Ihnen das aufgeschrieben hat. Wenn wir
das sagen würden, dann würden Sie von Schwarzmalerei
sprechen und uns vorwerfen, uns mangelte es an Sachverstand. Notfalls halten Sie uns irgendwelche Dinge
vor, die in den 80er- oder Anfang der 90er-Jahre gelaufen sind.
({1})
Dass Sie in der Zwischenzeit seit sechs Jahren regieren
und die Möglichkeit gehabt haben, die Weichen richtig
zu stellen, wird dabei natürlich verschwiegen.
Im Übrigen hilft es uns überhaupt nicht, dass wir uns
die einzelnen Fehler der Vergangenheit vorwerfen. Man
könnte auch sagen, dass die Verschuldung in den 70erJahren versechsfacht worden ist. Was hilft es uns aber,
dass man das feststellt? Das ist mathematisch zwar richtig, löst die Probleme der Zukunft aber überhaupt nicht.
Wir haben uns um diese Probleme zu kümmern.
({2})
- Lesen Sie das noch einmal nach, dann werden Sie die
richtigen Zahlen finden.
Man kann sich hier natürlich über Strategien streiten;
das muss auch geschehen. Wir sollten uns aber nicht
streiten, wenn Schlampereien oder handwerkliche Fehler vorkommen, über die man eigentlich nur staunen
kann und die einen wütend machen können:
Es wurde beispielsweise bemängelt, dass das EG-Vergaberecht nicht beachtet wurde. Ich kann dazu nur feststellen: Das muss man in jeder Gemeindeverwaltung
können. Der Bund mit seinen Institutionen müsste das
also auch können.
Bei Gesetzesvorlagen fehlte eine sachgerechte Gesetzesfolgenabschätzung. Auch das müsste eigentlich
selbstverständlich sein. Dass ein solcher Kritikpunkt hier
vorgetragen werden kann, ist ebenfalls nicht nachzuvollziehen.
Die Beauftragten für die Haushalte der Ressorts sowie die der nachgeordneten Dienststellen sorgen nicht
dafür, dass die Vorschriften und Grundsätze für die ordnungsgemäße Veranschlagung und Bewirtschaftung der
Haushaltsmittel beachtet werden. Auch darüber staunt
man; man kann sich das eigentlich gar nicht vorstellen.
Seit sechs Jahren arbeitet das Innenministerium an einer überfälligen Novellierung des Verwaltungskostenrechts mit der Folge erheblicher Einnahmeausfälle.
Wenn eine sparsame Bewirtschaftung erfolgen soll, dann
geht es eben nicht nur darum, die Ausgaben im Zaum zu
halten, sondern man muss auch zusehen, dass der Staat
seine Einnahmeansprüche tatsächlich verwirklichen
kann.
Bei den IT-Beschaffungen werden kostengünstige
Rahmenverträge nicht genutzt. Im Ergebnis führt das
dazu, dass wir Mehrausgaben in Millionenhöhe haben.
Ich nenne ein einzelnes Beispiel, das besonders plastisch
ist: Bildschirme sind dreimal so teuer wie im Handel.
Auf dem freien Markt sinken die Preise, für den Bund
steigen sie jährlich um 20 Prozent. Während hier das
Geld offensichtlich herausgeworfen wird, sagen wir, wir
hätten kein Geld und wüssten nicht, wie wir Kleinigkeiten finanzieren sollen, sodass wir an jeder Ecke und jedem Ende sparen müssen.
Die Rentenversicherungsträger und ihr Verband haben die Forderungen des Gesetzgebers nach einheitlichen Kosten- und Leistungsrechnungen seit 2001 nicht
erfüllt. Das ist nun wirklich Ihr Bereich. Hören Sie auf,
uns das vorzuwerfen! Vielleicht kommen Sie sogar auf
die Idee, dass auch das die Regierung Kohl zu verantworten hat.
Schlampereien bei Entwicklungen und Schulungen
der Bundeswehr führen zu Mehrausgaben im Millionenbereich und manchmal sogar dazu, dass Soldaten bei ihren Einsätzen gefährdet werden. Im Übrigen ist es so,
dass man den Haushalt nicht über die Einnahmeseite,
sondern wesentlich über die Ausgabenseite sanieren
muss. Sparsamkeit, Solidität, Wahrheit und Klarheit sind
keine Sekundärtugenden, wie es in Ihrem Sprachgebrauch heißt.
Auf manchen Seiten in diesem Bericht traut man seinen Augen nicht. Man liest den Text zwei- oder dreimal
und glaubt es immer noch nicht. So heißt es in der
Bemerkung 15:
Das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
- Bundesministerium! hat aus dem Bundesprogramm Ökologischer Landbau
- Bundesprogramm! in weitem Umfang Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit finanziert, um die politische Grundausrichtung der Bundesregierung darzustellen. Es hat
damit gegen Haushaltsrecht verstoßen.
({3})
Wenn wir diesen Einzelplan im Ausschuss beraten haben, habe ich das der Ministerin in den letzten Jahren
wiederholt vorgeworfen. Als Reaktion darauf werden
wir beschimpft und uns wird alles Mögliche an den Kopf
geworfen. Jetzt lesen wir es im Prüfungsbericht genau
so. So klar und deutlich hätten wir das gar nicht formulieren können.
({4})
Es geht hier nicht darum, einen Wirtschaftsbereich voranzubringen, sondern es ist reine Propaganda. An sachlichen Erfordernissen geht das voll vorbei. Auf der anderen Seite beklagen wir, dass wir kein Geld haben.
({5})
Ich habe vorhin schon gesagt: Bei manchem kann
man sich gar nicht vorstellen, wie einfach das abläuft.
Wenn man den Haushalt 17 Stunden beraten hat, dann
kommt die magische Sekunde, wo plötzlich 10 Milliarden Euro von einer Tasche in die andere verschoben
werden. So ist es auch bei der Jahresrechnung. Kurz vor
Jahresende wird getrickst, dass sich die Balken biegen.
Es geht darum, Ausgaben in Milliardenhöhe in die Folgejahre zu verschieben und Einnahmen, beispielsweise
Privatisierungserlöse, schnell noch zu schöpfen, damit
man eine bestimmte Zahl erreicht - zum Beispiel um unter der Schuldenaufnahme von 1996 zu bleiben. Es geht
dabei nicht um eine sachgerechte Politik, sondern offensichtlich nur um das Trauma, bei der Schuldenaufnahme höher als 1996 zu liegen. Nur, eines sollten Sie
dabei sehen: 1996 ist es Finanzminister Waigel gelungen, die Maastricht-Kriterien für die Folgejahre einzuhalten. Davon sind Sie weit entfernt. Jedes Jahr stellen
Sie hier einen neuen Rekord auf.
Nur zur Erinnerung - vielleicht hört der eine oder andere von Ihnen zu; aber vielleicht stört es auch nur, nach
dem Motto: Fakten machen mich nur nervös -: 2001 lag
das gesamtstaatliche Defizit bei 2,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, 2002 bei 3,7 Prozent, 2003 bei 3,8 Prozent. Nach der vorläufigen Jahresrechnung liegt es 2004
bei 3,9 Prozent. Man muss sich schon davor fürchten,
welche Zahl wohl für 2005 stehen wird. Ich habe eingangs davon gesprochen, dass alle von Ihnen genannten
Zahlen geschönt sind. Sie werden zurechtgebogen, wie
Sie es gerade gebrauchen können. Von Rechnen kann
man hier nicht mehr reden. Daher ist zu befürchten, dass
wir 2005 sogar die 4 Prozent erreichen werden. Das ist
für unsere Volkswirtschaft in Deutschland überhaupt
nicht gut.
Es hat einmal einen großen Nationalökonomen gegeben - für den hat er sich jedenfalls selber gehalten -, der
hieß Helmut Schmidt und war Bundeskanzler. Er hat uns
weismachen wollen, 5 Prozent Inflation seien besser als
5 Prozent Arbeitslosigkeit. Im Ergebnis hatten wir nachher beides. Was die Arbeitslosigkeit angeht, sind das
Zahlen, von denen wir heute nur träumen können. Auch
von dem, was Sie uns in diesem Zusammenhang wiederholt versprochen haben, sind wir meilenweit entfernt.
Die Arbeitslosigkeit liegt nicht bei 5 Prozent, sondern es
ist zu befürchten, dass wir in Deutschland 5 Millionen
Arbeitslose haben. Dafür tragen Sie, die Sie in den letzten sechs Jahren Politik gemacht haben, die Verantwortung.
({6})
Die Schuldenpolitik, die Sie gemacht haben, führt
dazu, dass wir arm werden. Der Bundesbankpräsident
hat gestern deutlich gemacht: Schuldenpolitik macht auf
Dauer vor allen Dingen die Menschen in Deutschland
arm. Dafür tragen Sie die Verantwortung. Dies auch im
Fachausschuss aufzuzeigen, wird unsere Aufgabe sein,
damit wir in Deutschland wieder eine bessere Regierung
bekommen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk, Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich
will mich heute in meiner Rede auf einen Teil dieser
Drucksache beschränken, nämlich auf die Bemerkungen
des Bundesrechnungshofes 2004 zur Haushalts- und
Wirtschaftsführung. Daraus hat mein Vorredner einige
Punkte, die er für besonders kritikwürdig hält, angeführt.
Diese werden wir in den nächsten Monaten im Rechnungsprüfungsausschuss beraten. Die verschiedenen Einzelpunkte will ich heute nicht streifen. Im Übrigen - Herr
Schirmbeck, Sie werden mir Recht geben - ist es im
Rechnungsprüfungsausschuss gewissermaßen Sitte, dass
nicht klassisch Regierungsfraktionen gegen die Oppositionsfraktionen agieren, sondern weitgehend Einvernehmen herrscht.
({0})
Ich wollte nur noch einmal daran erinnern - wir sind uns
darin einig -: In den Bereichen, in denen es auf der exekutiven Ebene nicht gut läuft, sollten wir einvernehmlich
Veränderungen einfordern.
Ich will einen politisch brisanten Punkt ansprechen,
nämlich die Prüfung der Jahresrechnung 2003, die
ebenfalls Gegenstand dieser Berichterstattung ist. Dazu
möchte ich etwas allgemeiner auf die Haushaltslage eingehen. Wir sind beim Haushaltsplan für 2003 mit einer
geplanten Nettokreditaufnahme von 18,9 Milliarden Euro
gestartet und bei einer wesentlich höheren Summe gelandet. Wir hatten nachher eine Nettokreditaufnahme von
38,6 Milliarden Euro. Auch für das Jahr 2004 hat sich
eine wesentliche Verschlechterung ergeben. Ich brauche
mich überhaupt nicht mit Ihnen darüber zu streiten - das
wäre auch nicht klug - dass die tatsächlichen Zahlen in
den Jahren 2002 bis 2004 jeweils deutlich schlechter waren als die Planzahlen. Dazu muss man die Anmerkungen, die der Bundesrechnungshof macht, eingehend analysieren.
Wir kommen nicht umhin, uns zu fragen, worin diese
Differenz begründet liegt. Zur Beantwortung dieser
Frage möchte ich zuerst auf die Ausgabenseite und dann
auf die Einnahmenseite eingehen. Was ist bei der Ausgabenseite passiert und welche Schlüsse sollten wir daraus
ziehen? Wir hatten insbesondere auf dem Arbeitsmarkt
Mehrausgaben und bei den Steuern Mindereinnahmen.
Sie haben auch angesprochen, dass wir die 3-ProzentMarke deutlich überschritten haben. Das steht in ganz
engem Zusammenhang mit der wirtschaftspolitischen
Performance. Wir waren weit von den Wachstumszahlen
entfernt, die prognostiziert waren. Das schlägt sich dann
drastisch im Haushalt nieder.
({1})
- Die Prognosen waren zu hoch. Deswegen sagt der
Bundesrechnungshof in seiner Stellungnahme:
Angesichts dieser negativen Erfahrungen sollten
die Steuereinnahmen künftig zurückhaltender eingeschätzt werden.
Dieser Forderung kann ich mich gut anschließen. Das ist
aber nicht allein eine Angelegenheit der Regierung.
({2})
Da wird gemeinsam beraten, auch der Finanzplanungsrat
und die Länderseite spielen hier eine Rolle. Ich glaube,
wir sollten gemeinsam überlegen - das geht nicht, wenn
Opposition und Regierung im Streit liegen -, wie wir zu
einer belastbareren Zukunftsplanung kommen, die die
Ausgabenplanung zügelt. Das will ich hier zu bedenken
geben.
Ich will noch etwas zur Ausgabenentwicklung sagen, weil daran eine ganze Menge in Bezug auf den politischen Wettbewerb und den Streit, den wir haben, festgemacht werden kann. Der Bundesrechnungshof führt
insbesondere drei Bereiche an. Er nennt einmal die Rentenversicherung und deren starke strukturelle Verankerung im Haushalt. Da haben wir, was die Perspektive der
Rentenzahlung angeht, eine ganze Menge durch die Veränderung des Nachhaltigkeitsfaktors erreicht. Das betrifft nicht nur den Haushalt, sondern auch die implizite
Verschuldung, die wir deutlich zurückgeführt haben.
({3})
- Ja, aber was Sie bis 1998 beschlossen haben, hätte definitiv nicht ausgereicht. Wir haben noch eine Schippe
draufgelegt, Herr Fromme. Das wissen Sie genauso.
Was aber richtig zu greifen beginnt, ist der nächste
Bereich, nämlich der der Arbeitsmarktausgaben. Dazu
will ich Ihnen deutlich sagen: Der Haushaltsabschluss
2004, der uns bereits vorliegt, weist aus, dass der Bundeszuschuss an die Bundesagentur für Arbeit 2 Milliarden Euro niedriger ist als im Jahr 2003. Das hängt mit
den Reformmaßnahmen zusammen, die diese Regierung
beschlossen hat.
({4})
Sie haben im letzten Jahr sehr gewackelt, als es um
den Arbeitsmarkt ging. Das war auch gestern im Haushaltsausschuss wieder zu spüren. Was die Strukturen in
den starken Ausgabenbereichen Rentenversicherung und
Arbeitsmarkt angeht, möchte ich deutlich machen, dass
wir hier große Erfolge erzielen. Diese lösen zwar nicht
kurzfristig unser Haushaltsproblem
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
- ich komme zum Schluss -, aber sollten langfristig
zum Maßstab dafür werden, wie wir unsere Politik zu
bewerten haben. In diesem Zusammenhang greife ich
die Bemerkungen des Bundesrechnungshofs gerne auf.
Er hat nämlich festgestellt:
Es bleibt abzuwarten, ob die eingeleiteten strukturellen Reformmaßnahmen auf dem Arbeitsmarkt …
zu Entlastungen im Bundeshaushalt führen werden.
Wir sind schon einen Schritt weitergekommen, auch
wenn wir das Ziel noch nicht erreicht haben. Aber man
muss auf einem langen Weg Ausdauer zeigen. Insofern
verspreche ich mir einiges von unseren kritischen Beratungen.
({0})
Das Wort hat der Kollege Jürgen Koppelin, FDPFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch ich möchte mit einem Dank beginnen, und zwar
für die gute Zusammenarbeit im Rechnungsprüfungsausschuss. Ich glaube, wer als Gast an einer Ausschusssitzung teilnimmt, könnte kaum feststellen, wer den Regierungsfraktionen und wer der Opposition angehört. Es
geht in erster Linie sicherlich darum, darauf zu achten,
dass das Geld des Steuerzahlers verantwortungsvoll ausgegeben wird.
({0})
Insofern kann ich mich über die Zusammenarbeit nicht
beklagen.
Auch dem Bundesrechnungshof und seinem Präsidenten möchte ich meinen Dank aussprechen. Aber
auch bei meinen Kolleginnen und Kollegen in der FDPBundestagsfraktion möchte ich mich bedanken; denn ich
habe mit großer Freude festgestellt, dass der Bundesrechnungshof viele Anregungen vonseiten der FDP aufgenommen hat. Der ökologische Landbau, der als Titel
im Einzelplan 10 aufgeführt ist, wurde gerade erwähnt.
Wir als Abgeordnete sind ein bisschen stolz darauf, dass
der Bundesrechnungshof unsere Anregungen aufgegriffen hat.
({1})
Man kann zwar über die Zeiten sprechen, in denen es
eine andere Regierung gab, Kollege Rübenkönig, aber
Sie verschweigen die Ausführungen des Bundesrechnungshofs völlig und verweisen nach sechs Jahren Regierungszeit immer noch auf die alte Regierung, obwohl
Sie doch alles besser machen wollten. Ich zitiere eine
Pressemitteilung des Bundesrechnungshofs vom 16. November:
Eigentlich müsste es selbstverständlich sein, dass
der Bund in Zeiten knapper Kassen besonders verantwortungsbewusst mit öffentlichen Mitteln umgeht. Dass dies leider nicht so ist, zeigt unser Jahresbericht.
Das trifft allein auf das eine Jahr zu, das zu prüfen war und dieses fällt in die Verantwortung Ihrer Koalition.
Sie haben erlebt, wie engagiert wir in den Haushaltsberatungen unsere Kürzungsanträge gestellt haben; lediglich im Bildungsbereich haben wir Steigerungen in
Höhe von 12,5 Milliarden Euro vorgeschlagen. Warum
treten wir nicht in einen Wettbewerb ein? Sie müssen
nicht alle unsere Vorschläge übernehmen. Vielleicht ist
auch nicht alles richtig, was wir fordern. Aber wir haben
den Mut gehabt, Kürzungen vorzuschlagen, die bis hin
zu unserer eigenen Klientel reichen. Warum treten wir
nicht zusammen in einem Wettbewerb und haben den
Mut, gemeinsam Kürzungen vorzunehmen?
({2})
Das vermisse ich bislang vonseiten der Koalition. Eine
Woche vor den Haushaltsberatungen wurde uns von den
Grünen versprochen, dass wir alles noch einmal durchgehen. Warum gehen wir nicht die Subventionen und
Zuwendungen an?
({3})
Sie picken sich einzelne Positionen heraus und kommen
uns mit der Eigenheimzulage; Hauptsache, es geht nicht
an Ihre grüne Klientel, Frau Scheel.
({4})
- Ich nenne nur das Stichwort Windkraft. Aber ich
könnte noch andere Beispiele dafür anführen, welche
Positionen Sie aus den Kürzungsvorschlägen herausschmeißen. Herr Clement hat bereits darauf hingewiesen, was uns das in nächster Zeit noch kosten wird. Solchen Ausführungen hören Sie doch gar nicht mehr zu.
Die Kollegin Eichstädt-Bohlig kriegt Schaum vor
dem Mund, wenn irgendeine Streichung im Ressort von
Frau Künast vorgenommen werden soll. Sie würde die
Mittel am liebsten immer weiter erhöhen. Lassen Sie uns
in den Wettbewerb eintreten!
Hartz IV ist bereits angesprochen worden. Können
Sie mir erklären, warum in den Jobcentern und Arbeitsgemeinschaften alle Büromöbel neu gekauft werden
müssen und warum die Vorschriften genau regeln, wo
die Steckdosen anzubringen sind? Haben Sie sich einmal
damit befasst, mit welchen Richtlinien dort gearbeitet
wird? Das ist doch Wahnsinn. Wir reden hier über Bürokratieabbau und dort wird jedem in dicken Broschüren
vorgeschrieben, wie die Büromöbel auszusehen haben.
Ich komme zum Schluss. Wir sollten gemeinsam in
einen Wettbewerb eintreten, damit unsere Schulden abgebaut werden können, die sonst unsere Kinder und Kindeskinder zu verantworten haben werden. Ich freue mich
auf die Zusammenarbeit im Rechnungsprüfungsausschuss, die sicherlich wie immer sachlich und fair sein
wird.
Vielen Dank.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/4200 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 g auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Günther
Friedrich Nolting, Helga Daub, Dr. Werner
Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Wehrpflicht aussetzen - Freiwilligen, militärischen Kurzdienst einführen
- Drucksache 15/4178 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
Die Rednerinnen und Redner aller Fraktionen haben
ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/4178 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die umweltverträgliche Entsorgung
von Elektro- und Elektronikgeräten ({1})
- Drucksache 15/3930 ({2})
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und
die umweltverträgliche Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten ({3})
- Drucksache, 15/4234 ({4})
1) Anlage 3
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({5})
- Drucksachen 15/4666, 15/4679 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Gerd Friedrich Bollmann
Werner Wittlich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Birgit Homburger
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({6}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger,
Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Verwertung von Elektronikaltgeräten ökolo-
gisch sachgerecht und unbürokratisch gestal-
ten
- Drucksachen 15/3950, 15/4666, 15/4679 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Gerd Friedrich Bollmann
Werner Wittlich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Birgit Homburger
Die Rednerinnen und Redner haben ihre Reden zu
Protokoll gegeben.2)
Tagesordnungspunkt 18 a: Wir kommen zur Abstim-
mung über die von den Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen sowie von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwürfe eines Elektro- und Elektro-
nikgerätegesetzes, Drucksachen 15/3930 und 15/4234.
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfeh-
lung, die genannten Gesetzentwürfe zusammenzuführen
und als Entwurf eines Elektro- und Elektronikgerätege-
setzes in der Ausschussfassung anzunehmen, Druck-
sachen 15/4666 und 15/4679. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die
Grünen und CDU/CSU bei Enthaltung der FDP ange-
nommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent-
wurf ist damit in dritter Beratung mit dem gleichen Stim-
menverhältnis wie in der zweiten Beratung angenom-
men.
2) Anlage 4
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Tagesordnungspunkt 18 b: Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf
Drucksache 15/4666 zu dem Antrag der Fraktion der
FDP mit dem Titel „Verwertung von Elektronikaltgeräten ökologisch sachgerecht und unbürokratisch
gestalten“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 15/3950
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU bei Gegenstimmen
der FDP angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas
Dörflinger, Hubert Deittert, Dirk Fischer ({7}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Energieeffizienz in Gebäuden steigern - Unbürokratische Energieausweise entwickeln
- Drucksache 15/4506 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({8})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Die Rednerinnen und Redner haben auch hier ihre
Reden zu Protokoll gegeben.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/4506 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen ({9})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Heidi Wright,
Ludwig Stiegler, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der
Abgeordneten Albert Schmidt ({10}),
Volker Beck ({11}), Franziska Eichstädt-
Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Sicherheit an unbeschrankten Bahnüber-
gängen sofort verbessern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Gero
Storjohann, Gerhard Wächter, Dirk Fischer
1) Anlage 5
({12}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Mehr Sicherheit an unbeschrankten Bahn-
übergängen
- Drucksachen 15/4150, 15/1984, 15/4653 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Gero Storjohann
Heidi Wright
Die Rednerinnen und Redner haben ihre Reden zu
Protokoll gegeben.2)
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen auf Drucksache 15/4653. Der Aus-
schuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfeh-
lung die Annahme des Antrags der Fraktionen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 15/4150
mit dem Titel „Sicherheit an unbeschrankten Bahnüber-
gängen sofort verbessern“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU
auf Drucksache 15/1984 mit dem Titel „Mehr Sicherheit
an unbeschrankten Bahnübergängen“ für erledigt zu er-
klären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenom-
men.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Tätigkeitsbericht 2002/2003 der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post Bericht nach § 81 Abs. 1 Telekommunikationsgesetz und § 47 Abs. 1 Postgesetz
und
Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 81 Abs. 3 Telekommunikationsgesetz
und § 44 Postgesetz
- Drucksache 15/2220 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({13})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Kultur und Medien
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Stellungnahme der Bundesregierung zu dem
Tätigkeitsbericht der Regulierungsbehörde
für Telekommunikation und Post 2002/2003
und zu dem Sondergutachten der Monopol-
kommission von 2003 „Wettbewerbsintensivie-
2) Anlage 6
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
rung in der Telekommunikation - Zementierung des Postmonopols“
- Drucksache 15/4584 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({14})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Kultur und Medien
Auch hier haben alle Rednerinnen und Redner ihre
Reden zu Protokoll gegeben.1)
1) Anlage 7
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 15/2220 und 15/4584 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 21. Januar 2005,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.