Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich zur ersten Plenarsitzung des Deutschen Bundestages im neuen Jahr und bekräftige all die guten Wünsche, die die meisten von uns bereits in den letzten Tagen mehrfach mündlich und schriftlich ausgetauscht
haben.
Bevor wir zur Regierungsbefragung kommen, möchte
ich darauf hinweisen, dass interfraktionell vereinbart
wurde, die heutige Tagesordnung um die Beratung der
Verordnung der Bundesregierung zur Dritten Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung zu erweitern und diese jetzt gleich als Zusatzpunkt 1, allerdings ohne Aussprache, aufzurufen. Besteht dazu
Einvernehmen? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann
ist das so beschlossen.
Nun rufe ich den soeben auf die Tagesordnung gesetzten Zusatzpunkt 1 auf:
Beratung der Verordnung der Bundesregierung
Dritte Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung
- Drucksache 15/4642 Dazu wird interfraktionell vorgeschlagen, die Vorlage
auf Drucksache 15/4642 zu überweisen, und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung
an den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit sowie an
den Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das
ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 1:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettsitzung mitgeteilt: Einführung der LKW-Maut.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Dr. Manfred Stolpe. Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Gerne berichte ich darüber, was heute im Kabinett zur Verhandlung anstand.
Es ging um die Situation bei der LKW-Maut in Deutschland. Wir haben die Maut am 1. Januar dieses Jahres eingeführt. Ich kann Ihnen zunächst einmal bestätigen, dass
das, was Sie zu diesem Thema in den Zeitungen gelesen
haben, stimmt. Die Erhebung der Maut findet statt.
Heute können wir Ihnen berichten, dass die Technik einwandfrei funktioniert.
Mittlerweile befinden wir uns nicht mehr in der Anlaufphase, in der es zu einer geringeren Inanspruchnahme kam; seit Mitte voriger Woche trägt das System
die volle Last. Es konnte festgestellt werden, dass seit
dem 12. Januar 500 000 gebührenpflichtige Fahrzeuge
unterwegs waren. Sie wurden erfasst und eingebucht und
die Abrechnung ist in Gang gesetzt worden. An diesem
Tag haben wir, was die Einnahmen pro Tag betrifft, zum
ersten Mal die 10-Millionen-Euro-Grenze überschreiten
können.
Im Vorfeld der Mauteinführung hatten wir Sorge bezüglich der Situation an den deutschen Grenzen, die allerdings sowohl durch den Einsatz einer Vielzahl von
Helferinnen und Helfern als auch - das möchte ich
sagen - durch die Umsicht der Fuhrunternehmen und der
Fahrzeugführer bewältigt werden konnte. Sie alle haben
das System akzeptiert und dazu beigetragen, dass auf
den deutschen Autobahnen alles reibungslos ablief.
Hinsichtlich der Einbuchungstechniken darf ich berichten, dass ein sehr großer Anteil der Einbuchungen
mithilfe der Automaten vorgenommen wurde: 75 Prozent der Einbuchungen wurden über On Board Units,
rund 20 Prozent über Terminals und etwa 5 Prozent über
das Internet abgewickelt. Die Gesamtzahl der eingebauten und funktionierenden On Board Units bewegt sich
gegenwärtig in einer Größenordnung von etwa
350 000, mit aufwachsender Tendenz.
Redetext
Zum Schluss noch ein Satz zu den Kontrollen. Wir
sind von Anfang an die Linie gefahren, in den ersten
Wochen keine Kulanzregelungen zuzulassen. Die Zeit,
die wir in Deutschland zur Vorbereitung auf die Maut
hatten, war lang genug. Sie alle haben mitgelitten. Jeder
konnte sich darauf einstellen. Wir haben von Beginn an
Kontrollen durchgeführt. Bisher sind eine halbe Million
Fahrzeuge kontrolliert worden. Die Beanstandungsquote
beträgt etwas mehr als 3 Prozent. Das ist mit Blick auf
die Mautpreller eine geringe Quote. Daran zeigt sich,
dass das neue System akzeptiert und ernst genommen
wird.
Alles in allem kann man sagen: Wir haben das erste
Ziel erreicht: On Board Unit 1 läuft. Wir wissen, dass
wir keine Veranlassung haben, uns jetzt zurückzulehnen:
Das System wird erst dann vollwertig sein, wenn wir ab
1. Januar 2006 die volle Technologie einsetzen können,
die eine höhere Flexibilität bedeutet, die aber auch einen
Qualitätssprung im Blick auf Telematik bedeutet.
Schönen Dank. Zunächst so viel; ich stehe gern für
die Beantwortung von Fragen zur Verfügung.
({0})
Vielen Dank, Herr Minister. Die erste Frage im neuen
Jahr stellt der Kollege Fischer.
Herr Präsident! Herr Minister! Wir sind natürlich alle
glücklich, dass das System jetzt funktioniert und dass die
Einnahmen erzielt werden, die der Planung des Bundeshaushaltes zugrunde gelegt worden sind. Können Sie
aber dem Parlament und der deutschen Öffentlichkeit in
dieser Stunde auch darüber Auskunft geben, wie hoch
- über den Rufschaden, den der Standort Deutschland
politisch und industriell erlitten hat, hinaus - der materielle Schaden ist, der durch Regierungsversagen und
durch Probleme im Konsortium entstanden ist? Wir haben ja das Vignettenabkommen gekündigt, bevor das
neue System funktioniert hat. Dadurch haben wir seit
dem 31. August 2003 überhaupt keine Einnahmen mehr
aus dem LKW-Verkehr für die Benutzung der Bundesautobahnen gehabt. Was in dieser Zeit an Ausfallschaden
entstanden ist, muss beziffert werden.
Seinerzeit hat der Gesetzgeber, haben Bundestag und
Bundesrat einstimmig beschlossen, dass die Einnahmen
aus der Maut abzüglich der Systemkosten zusätzlich für
die Verkehrsinfrastruktur eingesetzt werden sollen. Jetzt
haben wir den Tatbestand zu beklagen, dass es hier nicht
um die Nutzerfinanzierung einer besseren Infrastruktur
bzw. des Ausbaus der Infrastruktur geht, sondern um ein
Abkassieren für den Haushalt.
({0})
So sind im Jahr 2005 einschließlich der Einnahmen aus
der Maut weniger Mittel für die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur verfügbar als 2003 und 2004 ohne
Maut. Wie rechtfertigt die Bundesregierung diese
schwere Gesetzesverletzung?
Herr Minister.
Danke. - Ich darf auf Ihre Fragen eingehen. Wir haben einen materiellen Schaden in einer Größenordnung
von 4,6 Milliarden Euro. Diesen haben wir in vollem
Umfang gegenüber dem Konsortium geltend gemacht.
Wir sind der Überzeugung - und haben uns das sehr genau überlegt und es auch von Fachleuten überprüfen
lassen -, dass dieser Schaden von den Partnern ersetzt
werden muss. Sie haben während der Entwicklung viel
versprochen und auch zwischendurch beteuert, dass der
Stand der Technik ausreichend sei; anderes wurde erst
im Spätsommer 2003 erkennbar. Wir sind mit unserer
Forderung in ein Schiedsverfahren eingestiegen. Das
Schiedsgericht hat sich inzwischen gebildet; wir haben
die Möglichkeit, uns mit der anderen Seite unter Vorsitz
von Herrn Hirsch auseinander zu setzen; die Beisitzer
sind Herr Eidenmüller und Herr Canaris. Ich bin eigentlich ganz frohgemut, dass wir einen erheblichen Teil dieser Ausfälle wieder hereinholen können.
Sie haben auf einen Punkt aufmerksam gemacht, der
mir sehr am Herzen liegt: dass von den Mauteinnahmen
nicht ein Cent für andere Zwecke verloren geht, sondern
dass die Mauteinnahmen zu 100 Prozent für Verkehrsinfrastrukturinvestitionen zur Verfügung stehen. In den
letzten Jahren war die Situation ja etwas kompliziert;
1998 lagen die Verkehrsinfrastrukturinvestitionen bei
7 Milliarden Euro. Dann erfolgten Überbrückungsfinanzierungen, der Verkauf der UMTS-Lizenzen, sodass wir
in Richtung 10 Milliarden Euro kamen. Eigentlich
wusste jeder Kundige, dass diese Überbrückungsfinanzierungen nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen, sondern dass alles darauf angelegt war, durch die Mauteinnahmen die nach meiner Überzeugung zwingend
gebotene Größenordnung von 10 Milliarden Euro zu erreichen. Wir haben den Ansatz von 10 Milliarden Euro
auch in dem schwierigen Jahr durchhalten können, in
dem die Mauteinnahmen entgegen unserer Planung noch
nicht geflossen sind, sodass für uns die Gefahr bestand,
zurückzufallen. Diese 10 Milliarden Euro standen also
2003, 2004 und 2005 zur Verfügung.
Ich hoffe sehr, dass der Haushalt bald rechtskräftig
sein wird, und kann nur dafür werben, dass Sie bei den
noch anstehenden Beratungen im Vermittlungsausschuss
mithelfen, dass ausreichend Mittel zur Verfügung stehen
werden.
Frau Kollegin Rehbock-Zureich.
Herr Minister, ich habe eine Frage zum definitiv positiven Start der Maut: Wie sehen Sie die Exportchancen
für dieses deutsche Produkt?
Daneben geht es mir um die vonseiten Frankreichs
sehr zögerliche Bestellung von On Board Units. Wie hat
sich diese beim Mautstart an der deutsch-französischen
Grenze ausgewirkt?
Frau Abgeordnete, nachdem wir bezüglich der Situation an der Grenze zu Frankreich zunächst Sorgen hatten, haben wir uns dann doch angenehm überrascht gesehen. Ich will nicht verhehlen, dass einige Zeit lang die
Einschätzung bestand, dass die sehr zögerliche Bestellung von On Board Units der französischen Unternehmen möglicherweise zu ganz erheblichen Staus an der
Grenze führen könnte. Das ist nicht eingetreten. Offenbar hat man auch vonseiten der französischen Unternehmen die Möglichkeiten des Internets genutzt und sich
auf eine zügige Inanspruchnahme der Terminals eingestellt. Dies ist problemlos abgelaufen. Inwieweit französische Unternehmen jetzt in größerem Umfang On
Board Units kaufen werden, kann ich heute nicht einschätzen. Ich weiß nur so viel: Die Störungen sind zum
Glück vermieden worden.
Wir mussten ja befürchten, dass an Deutschlands Ost-,
West- und Südgrenzen große Probleme auftreten könnten. Zum Glück war das nicht der Fall. Wir haben lediglich eine Überraschung erlebt: An der Ostgrenze war das
Interesse an der Bareinbuchung sehr viel größer, als wir
es erwartet hatten. Das heißt, der Einsatz von Bargeld
spielte eine weitaus größere Rolle als angenommen.
Dies hat zeitweilig dazu geführt, dass die Automaten für
die Bargeldeinbuchung völlig verstopft waren, weil sich
zu viel Bargeld darin befand. Unsere Techniker bemerkten einen Fehler und dachten zunächst an ein riesiges
Problem in der Hochtechnologie, bis man herausfand,
dass die Automaten aufgrund der hohen Bargeldzahlungen lediglich verstopft waren. An den Grenzen ist es also
ruhig geblieben.
Die Möglichkeiten für den Export schätze ich gut ein.
Bereits in den letzten Monaten hat das Ausland den
Deutschen zu meiner Überraschung voll zugetraut, das
Problem in den Griff zu bekommen. Es war für mich immer eine gewisse Erholung, wenn ich nach Terminen im
Inland, in denen Sorgen geäußert wurden, mit internationalen Partnern - sei es in Brüssel oder auf bilateraler
Ebene - Kontakte hatte. Diese rechneten fest damit, dass
die Deutschen das schon hinbekommen. Sie haben sich
immer sehr genau erkundigt, wie der Stand ist.
Auch in den nächsten Tagen und Wochen werden wir
eine Reihe von Informationsveranstaltungen durchführen. Diejenigen, die jetzt mit der Einführung einer Maut
beginnen werden, lassen sich sehr intensiv darüber berichten, welches System sie anwenden könnten. Es gibt
natürlich einen Wettbewerb mit den anderen Systemen.
Für mich war es eine sehr angenehme Erfahrung, herauszufinden, dass sich auch die Unternehmen, die jetzt das
einfachere System auf der Mikrowellenbasis anbieten,
sehr intensiv erkundigen, wie man dieses System in absehbarer Zeit auf ein satellitengestütztes System umstellen kann. Diesem gehört einfach die Zukunft. Das muss
man sagen dürfen, ohne als besonders stolz wirken zu
wollen.
Ich glaube, wir alle miteinander haben gut daran getan, die notwendige Geduld aufzubringen, um das bessere System zum Laufen zu bringen. Ich durfte in unserem Fachausschuss bereits sagen, dass es wichtig war,
dass bei aller harten Kritik, die wir im Parlament erlebt
haben, doch immer auch zu spüren war: Wir alle miteinander wollten, dass das System funktioniert. Jetzt
funktioniert es. Daher wird es im Ausland sicher stark
nachgefragt werden.
Bevor ich der Kollegin Blank das Wort zur nächsten
Frage gebe, weise ich darauf hin, dass es bei der allgemeinen Neigung zu ausführlichen Fragen und Antworten
schwer fallen wird, die bereits notierten Wortmeldungen
innerhalb der halbstündigen Regierungsbefragung abzuwickeln. - Frau Blank.
Herr Präsident, vielen Dank für den Hinweis. In dem
Fall müssen aber nicht nur die Fragen, sondern auch die
Antworten präzise und kurz sein.
Herr Minister, Sie haben ausgeführt, dass der Anteil
der Mautsünder - aus welchen Gründen auch immer, ob
aus Versehen oder mit Absicht - etwas über 3 Prozent
ausmacht. Das sind aber bis jetzt immerhin, in konkreten
Zahlen ausgedrückt, circa 16 000 LKWs. Da interessiert
natürlich, um welche Bußgeldsummen es sich dabei handelt und wie Sie zu Ihrem Geld kommen wollen.
Frau Abgeordnete, es wäre jetzt reine Spekulation, zu
sagen, dass wir im Rahmen der Kontrollen und der Erfassung der Nichtbeachtung der Mautpflicht eine Größenordnung von zig Millionen ermitteln können. Ich
kann Ihnen das aber gerne nachreichen. Das ist eine interessante Frage. Den heutigen Tag einbezogen, werden
wir Ihnen die genauen Zahlen übermitteln.
Das Eintreiben der Gelder ist das geringere Problem.
Wenn der Mautpreller erfasst worden ist, machen wir sofort unsere Ansprüche geltend. Das entsprechende Instrumentarium beginnt zunächst einmal mit Gebühren in
der Größenordnung von 75 Euro je Einzelfall. Diese Gebühren können aber bei Wiederholungsfällen bis zu
20 000 Euro betragen. Rechtlich haben wir auch die
Möglichkeit des Festhaltens der Fahrzeuge. Das kann
dann interessant werden, wenn Mautpreller ihren Sitz
nicht in Deutschland haben, sodass die Gefahr besteht,
dass sie sich einem weiteren Verfahren entziehen. Bisher
hat es noch keinen Fall gegeben, bei dem wir mit so
drastischen Maßnahmen operieren mussten, obwohl es
tatsächlich - Sie haben die Zahl berechnet - etwa
16 000 bis 17 000 Beanstandungsfälle gegeben hat.
Herr Kollege Beckmeyer.
Herr Minister, ich habe eine Frage im Zusammenhang
mit der Mauthöhe. Der Bundestag und der Bundesrat haben im Mai letzten Jahres dazu Beschlüsse gefasst. Nun
haben sich schon kurz nach Einführung der Maut am
Anfang dieses Jahres die ersten Zeitgenossen gemeldet
und eine Erhöhung der Maut gefordert.
Meine Fragen: Erstens. Wie ist die aktuelle Haltung
der Bundesregierung zur Mauthöhe? Zweitens. Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die heute in der
Presse zu lesende Meldung der Centralen Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft, CMA, anlässlich der Grünen Woche, dass es nach ihrer Einschätzung
nicht zu steigenden Lebensmittelpreisen infolge der
Maut in Deutschland kommen wird?
Herr Abgeordneter, wir hatten eine Mauthöhe von
15 Cent vorgesehen. Diese 15 Cent beziehen sich auf
Festlegungen auf der europäischen Ebene, auf der wir
intensiv an einer Novellierung bzw. Präzisierung der
Eurovignetten-Richtlinie arbeiten. Die von uns vorgesehene Mauthöhe deckt sich mit den dortigen Vorstellungen.
Im Rahmen der Verabredungen zwischen Bundestag
und Bundesrat haben wir eine Senkung auf 12,4 Cent
vorgenommen, weil es nicht möglich gewesen ist, zum
Zeitpunkt der Einführung bereits ein Mautermäßigungsverfahren zur Verbesserung der Wettbewerbssituation
deutscher Unternehmen umzusetzen. Die nun eingeführte Größenordnung bleibt erst einmal. Rein technisch
können wir uns erst dann wieder auf 15 Cent zubewegen, wenn die On Board Units 2 in Betrieb sind. Das
wird erst am 1. Januar 2006 der Fall sein. Ich würde
dringend raten, es bei diesen Sätzen zu belassen. Ein
Überschreiten der 15 Cent würde mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Diskussionen auf europäischer Ebene führen
und darüber hinaus den Nebeneffekt haben, dass es zu
einer weiteren Belastung auch unserer Unternehmen
kommt.
Die Einschätzung des Agrarmarketingverbandes teile
ich. Wir haben berechnet, wie sich die Kosten real entwickeln würden, wenn die Maut auf das Einzelprodukt
umgelegt würde. Die Größenordnung liegt bei den Nahrungsmitteln bei 0,09 Prozent und bei dem von mir geschätzten Tabak bei 0,11 Prozent. Das würde keine
Preiserhöhung rechtfertigen. Man muss darauf achten,
dass die Mauteinführung nicht für Preistreiberei benutzt
wird.
Schönen Dank.
Herr Kollege Feibel.
Herr Minister, über dem Jubel der möglicherweise gelungenen Mauteinführung sollten wir nicht vergessen,
warum es so viele Probleme im Vorfeld gegeben hat.
Dazu liegt ein ausführlicher Bericht des Bundesrechnungshofes bei der Geheimschutzstelle des Deutschen
Bundestages. Wann gedenken Sie diesen Bericht öffentlich zu machen und ihn parlamentarisch diskutieren zu
lassen?
Es hat eine Reihe von sehr gründlichen Untersuchungen des Bundesrechnungshofes gegeben. Er hat Hinweise erarbeitet, die wir schon - der Bericht ging auf die
Zeit zurück, bevor ich Verantwortung übernommen
habe - durch Projektmanagement und strafferes Controlling berücksichtigen konnten. Ich muss natürlich respektieren, dass der Bundesrechnungshof bis zur Stunde bei
seiner Geheimhaltungsfestlegung bleibt. Das ist die Ausgangsbasis, auf der ich zu arbeiten habe.
Kollege Brunnhuber.
Herr Minister, Sie haben auf die Frage des Kollegen
Fischer entweder in Unkenntnis des § 11 des Mautgesetzes geantwortet oder bewusst die Unwahrheit gesagt.
({0})
Sie haben damals im Vermittlungsausschuss selber an
der Formulierung des § 11 mitgewirkt. Darin ist festgelegt - das ist vom Bundestag und vom Bundesrat beschlossen worden -, die Einnahmen aus der Maut dem
Verkehrshaushalt und da überwiegend dem Straßenbau
zur Verfügung zu stellen, und zwar auf der Basis des
Haushaltsjahres 2003. Wie kommt es dann, dass der
Haushalt 2005 weniger Mittel für den Straßenbau enthält? Halten Sie dies nicht für einen eklatanten Gesetzesbruch?
Herr Abgeordneter, wir haben den § 11 gemeinsam
ausgehandelt. Wir haben dort klare Orientierungen festlegen können, an die wir uns gebunden fühlen. Ich kann
nur mit aller Klarheit sagen, dass die Einnahmen, die aus
der Maut kommen werden, wirklich bis auf den letzten
Cent für Verkehrsinfrastrukturinvestitionen zur Verfügung stehen. Wir werden das Geld überwiegend für die
Straßen einsetzen, da feststeht, dass gerade der aktuelle
Bedarf im Straßenbau sehr groß ist. Ihr Hinweis darauf,
dass Zahlen des Haushaltes variiert sind, ändert nichts an
der Tatsache, dass wir uns bei der Prioritätensetzung im
Straßenbau wie auch bei den Schienenverkehrsinfrastrukturinvestitionen in erster Linie nach dem dringlichen Bedarf richten. Dass wir noch mehr einsetzen
könnten, liegt auf der Hand.
Ich möchte noch eine Anmerkung machen: Ich bin
sehr froh, dass wir ein außerordentlich wichtiges Nebenprodukt der Mauteinführung in der VerkehrsinfrastrukBundesminister Dr. h. c. Manfred Stolpe
turfinanzierungsgesellschaft haben. Das gibt uns die
Möglichkeit, überjährig zu operieren und über die einzelnen Verkehrsträger hinaus die Mittel so einzusetzen,
wie wir es für die Sicherung der Mobilität in Deutschland am besten brauchen.
Herr Kollege Sebastian.
Herr Minister, ich frage Sie zu den Harmonisierungsmaßnahmen für unser deutsches Gewerbe: Im Vorfeld
der Beratungen wurde unserem Gewerbe vor der Beschlussfassung über die Einführung der LKW-Maut zugesagt, dass die Nachteile gegenüber den ausländischen
Kollegen ausgeglichen würden und dass eine entsprechende Harmonisierungsmaßnahme vorgesehen sei. Es
gibt zwar inzwischen einen abgesenkten Mautsatz, aber
der Nachteil gegenüber den ausländischen Kollegen
wird dadurch nicht aufgehoben.
In der Kanzlerrunde hat der Kanzler persönlich unserem Gewerbe das Wort gegeben, dass die Harmonisierungsmaßnahmen mit der Einführung und Erhebung der
Maut umgesetzt würden. Warum wurde nicht Wort gehalten? Wann rechnen Sie mit der Einlösung dieses Wortes?
Herr Abgeordneter, wie Sie wissen, bewegen wir uns
in dieser Frage im europäischen Rahmen; das heißt, dass
uns die Möglichkeit einseitiger Festlegungen nicht gegeben ist. Aus den verschiedenen Beratungen und Tagungen auf europäischer Ebene kann ich Ihnen berichten,
dass am liebsten alle kostenlos durch Deutschland fahren
würden. Die zentrale Lage unseres Landes, die im Wettbewerb einen Vorteil darstellt, ist insofern eine zusätzliche Last. Die ausländischen Kollegen haben die Erwartung, hier mit einem möglichst geringen Aufwand zu
reisen.
Wir vertreten trotzdem nach wie vor die klare Überzeugung, dass die Wettbewerbsbedingungen der deutschen Unternehmen ausgesprochen ungünstig sind. Sie
haben einen Wettbewerbsnachteil gegenüber ihren Konkurrenten im westlichen Europa dadurch, dass dort Stützungen hinsichtlich der Treibstoffkosten erfolgen. Gegenüber den osteuropäischen Wettbewerbern haben sie
den Nachteil, dass dort mit Lohndumping operiert werden kann. Unsere Unternehmen sind insofern in einer
ungünstigen Situation. Deshalb müssen wir für eine Verbesserung der Lage sorgen.
Der zwischen Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung einvernehmlich vollzogene Zwischenschritt, die
Maut von 15 Cent auf 12,4 Cent zu senken, bedeutet
zwar eine leichte Verbesserung der Kostenlast, aber
keine Harmonisierung. Deshalb setzen wir unsere Bemühungen in diese Richtung fort.
Wir haben uns einvernehmlich darauf verständigt, als
erstes Modell einer Modernisierung das Mautermäßigungsverfahren in Angriff zu nehmen. Damit wäre mit
Nachweis der in Deutschland angefallenen Tankkosten
eine Erstattung denkbar. Darüber wird zurzeit eine sehr
intensive Diskussion innerhalb der Europäischen Kommission geführt.
Die Generaldirektion Energie und Verkehr haben wir
bereits von diesem Modell überzeugen können. Sie hat
ihre zunächst sehr massiven Vorwürfe zurückgestellt,
dass damit eine Benachteiligung des Auslands verbunden wäre, da die Ermäßigung für jeden gilt, der in
Deutschland tankt.
Zurzeit wird das Modell unter Steuerexperten in Brüssel debattiert - vielleicht kann uns der Finanzminister in
diesem Zusammenhang unterstützen -; dort geht es um
den Verdacht, dass es sich dabei um eine steuerliche
Regelung handelt. Ich hoffe, dass wir diesen Verdacht
ausräumen können. Ich werde mich aber nicht geschlagen geben, wenn wir dieses Modell nicht durchsetzen
können, Herr Sebastian.
Hinsichtlich der Harmonisierung stehen wir im Wort.
Wir müssen uns gegebenenfalls auf andere Varianten zubewegen, die schon zwischen den Experten aller Parteien erörtert worden sind. Unsere Unternehmen brauchen diese Unterstützung, wenn wir nicht in eine
Situation geraten wollen, in der es letztlich kaum noch
deutsche Unternehmen gibt und nur noch ausländische
Unternehmer durch unser Land fahren, zumal wir uns in
der Lage befinden, dass mit Logistik richtig Geld zu verdienen ist.
Herr Kollege Beckmeyer.
Herr Minister, welche Auswirkungen erwarten Sie
hinsichtlich der Wettbewerbsbedingungen zwischen
Straße und Schiene durch die Einführung der Maut? In
diesem Zusammenhang können wir vielleicht auch noch
etwas von den umweltpolitischen Zielen erfahren, die
mit der Mauteinführung, vor allen Dingen vor dem Hintergrund der Differenzierung nach Achslast und Emission, verbunden sind.
Herr Abgeordneter, wir verfolgen in der Tat mehrere
Motive bei dem gesamten Vorhaben. Ein Motiv ergibt
sich aus der Frage der Gerechtigkeit. Wer die Straße
stark in Anspruch nimmt, der muss auch stärker mit herangezogen werden. Jeder weiß, dass ein LKW etwa
60 000-mal mehr die Straße belastet als ein PKW. Darüber, dass Gebühren für LKWs erhoben werden,
herrscht Übereinstimmung.
Wir haben auch den Aspekt der Umweltfreundlichkeit
im Auge gehabt und ein gestaffeltes System eingeführt,
wonach für Fahrzeuge, die die Umwelt weniger belasten,
im Endergebnis geringere Gebühren zu entrichten sind.
Wir beobachten schon jetzt, dass Unternehmen bei ihren
Entscheidungen - bis hin zu Neuanschaffungen - darauf
reagieren; denn wer sich einen LKW mit einem günstigen ökologischen Faktor anschafft, kommt billiger weg.
Wenn Sie die Wirtschaftsentwicklung in den letzten Monaten beobachtet haben, dann werden Sie festgestellt haben, dass der Umsatz der LKW-Hersteller deutlich stärker gestiegen ist als der der PKW-Hersteller; denn die
Fuhrunternehmen merken, dass sie finanziell besser über
die Runden kommen, wenn sie moderne LKWs anschaffen. Das ist sicherlich ein Faktor, der eine Rolle spielt.
In umweltpolitischer Hinsicht wird wohl auch eine
Rolle spielen - ich sage das ganz behutsam -, dass es
keine dramatische Verlagerung von der Straße auf die
Schiene geben wird. Ich bin hier ohne große Illusionen.
Ich glaube nicht, dass wir schlagartig das verkehrspolitische Ziel erreichen werden - das wünschen wir uns ja
alle -, dass das Potenzial der Schiene mehr genutzt wird
und dass mehr Massen- und Güterverkehr auf die
Schiene verlagert wird. Aber angesichts des stetigen
Aufwuchses des Güterverkehrs ist schon jetzt erkennbar,
dass die Schiene etwas günstiger dasteht als die Straße.
Während im letzten Jahr der Aufwuchs bei der Schiene
bei über 2 Prozent lag, betrug er bei der Straße, also bei
den LKWs, unter 1 Prozent. Das könnte vielleicht ein Indiz dafür sein, dass Unternehmer, die Transporte in Auftrag geben, nachrechnen, welches Transportmittel das
preiswertere ist. Nun kommt es sehr darauf an, dass die
Schiene flexibel genug und wettbewerbsfähig bezüglich
Zuverlässigkeit und Zeit ist.
Letzte Frage zu diesem Komplex, Kollege Dirk
Fischer.
Herr Minister, worauf stützt sich Ihre geäußerte Zuversicht, im Schiedsverfahren den Anspruch des Bundes
in Höhe von 4,6 Milliarden Euro durchzusetzen, wenn es
doch auf Seite 52 des Vertrages heißt, dass über die im
Vertrag vereinbarten Vertragsstrafen hinausgehende
Strafen und sogar eine verschuldensabhängige Haftung
für Toll Collect und die Konsortialpartner ausgeschlossen sind? Gehen Sie mit Ihrem gediegenen juristischen
Sachverstand davon aus, dass es die Aufgabe des
Schiedsgerichtes sein müsste, nicht nur den Vertrag auszulegen und anzuwenden, sondern sogar einen Vertrag,
der aus der Sicht des Bundes schlecht ist, im Sinne des
Bundes nachzubessern und zu optimieren?
Herr Abgeordneter, ich bin keineswegs blauäugig und
muss mich sehr vorsehen, hier Dinge anzukündigen, die
sich vielleicht schon in wenigen Monaten als Schall und
Rauch erweisen. Deshalb habe ich bei der Berechnung
der Forderungen eine ganze Reihe von unabhängigen
Experten herangezogen, um zu ermitteln, was wir verantwortlich benennen können. Wir sind auf 4,6 Milliarden Euro gekommen. Sie erinnern sich vielleicht daran,
dass andere Zahlen herumgeisterten, die noch deutlich
höher waren. Ich glaube, dass wir damit zurechtkommen, und zwar auch in dem Wissen darum, dass unmittelbar aus der vertraglichen Ausgestaltung vom September
2002 Einschränkungen der rechtlichen Möglichkeiten
bestehen. Allerdings gibt uns das allgemeine Zivilrecht
durchaus die Möglichkeit, uns bei einem Vorgehen der
anderen Seite, das gegen Treu und Glauben sowie alle
Regeln des Vertragsrechtes verstößt - ich möchte nicht
von einem Delikt sprechen -, bemerkbar zu machen.
Darauf haben wir unsere sehr begründeten Forderungen
gerichtet. Lassen Sie uns nach Abschluss des Verfahrens
darüber noch einmal reden.
Vielen Dank, Herr Minister. Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettsitzung oder sonstige
Fragen an die Bundesregierung? - Das ist offenkundig
nicht der Fall. Dann beende ich hiermit die Befragung
der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 15/4649, 15/4654 Bevor wir die eingereichten Fragen in der angegebenen Reihenfolge der Geschäftsbereiche behandeln,
kommen wir zu den beiden Dringlichkeitsfragen des
Kollegen Gewalt. Diese Fragen betreffen den Geschäftsbereich des Bundesjustizministeriums. Zur Beantwortung steht die Bundesministerin der Justiz zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 1 des Kollegen Roland
Gewalt auf:
Wird die Bundesregierung angesichts der Bedeutung für
eine effiziente Polizeiarbeit bei der Aufklärung und Verhinderung schwerer Straftaten die Ermittlung und Speicherung des
genetischen Fingerabdrucks als standarderkennungsdienstliche Maßnahme ermöglichen, zumal die Fraktion der CDU/
CSU die Bundesregierung bereits im Dezember 2003 mit dem
Antrag „Verbrechen wirksam bekämpfen - Genetischen Fingerabdruck konsequent nutzen“ auf Bundestagsdrucksache
15/2159 aufgefordert hat, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen?
Herr Abgeordneter, Bund und Länder erörtern das
von Ihnen angesprochene Thema des Fingerabdrucks
schon seit längerem. Wie Sie wahrscheinlich wissen, gab
es eine Bund/Länder-Arbeitsgruppe der Innenminister,
die zu einer Empfehlung gekommen ist. Diese Empfehlung richtete sich zunächst an die Justizminister von
Bund und Ländern. Die Minister haben daraufhin eine
Arbeitsgruppe eingesetzt, die Mitte letzten Jahres mit
der Prüfung begonnen hat und diese in Kürze abgeschlossen haben wird. Danach wird sie einen Vorschlag
machen.
Ich nehme an, dass Sie mit Ihrer Formulierung „standarderkennungsdienstliche Maßnahme“ den so genannten herkömmlichen Fingerabdruck meinen. Dieser Fingerabdruck wird bei ungefähr 12 Prozent aller
Ermittlungsverfahren durchgeführt.
Wenn man danach fragt, ob man diesen Fingerabdruck mit den DNA-Identifizierungsmustern gleichstellen könne, muss man zunächst darauf hinweisen,
dass die DNA-Analyse für die Aufklärung einer Straftat
schon heute bei jeder vermuteten Straftat zulässig ist und
dass auch der Abgleich mit der DNA-Datenbank schon
heute bei jeder vermuteten Straftat stattfinden kann. Diskutiert wird also lediglich - ich bitte, darauf auch in der
Debatte Wert zu legen -, inwieweit DNA-Daten zur Aufklärung künftiger Straftaten vorsorglich gespeichert werden können. Die Bundesregierung ist der Auffassung,
dass die größtmögliche sinnvolle Nutzung der
DNA-Identifizierungsmuster angestrebt werden muss,
um die Bevölkerung so wirkungsvoll wie irgend möglich
vor weiteren Straftaten zu schützen.
Bund, Länder und einzelne Politiker diskutieren jetzt
darüber, an welche verfassungsrechtlichen Grenzen eine
Ausweitung stoßen würde. Das heißt: Inwieweit kann
man eine Gleichstellung von daktyloskopischem Fingerabdruck und DNA-Identifizierungsmuster vornehmen,
ohne dabei verfassungsrechtliche Grenzen zu überschreiten? Denn selbstverständlich liegt in jeder Speicherung von Daten durch den Staat ein Eingriff in
Grundrechte der jeweils betroffenen Bürger. Auch dies
ist eben Gegenstand der Erörterung der Justizminister.
Das Bundesverfassungsgericht hat die derzeit geltende Regelung zur DNA-Daten-Speicherung als verfassungsmäßig eingestuft, und zwar gerade wegen der Gesamtschau der Maßnahmen. Das heißt: Es muss sich um
ein Verfahren wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung handeln; es bedarf einer Prognose der Begehung
weiterer Straftaten von erheblicher Bedeutung; zudem
hat das Bundesverfassungsgericht Wert gelegt auf den
Richtervorbehalt, der zur Einzelfallprüfung zwingt.
In Bezug auf den herkömmlichen Fingerabdruck gibt
es einen Konsens, dass auch eine Anlasstat vorliegen
muss. Es genügt allerdings jede Anlasstat; sie muss nicht
erheblich sein. Eine in die Zukunft gerichtete Negativprognose muss auch beim daktyloskopischen Fingerabdruck gegeben sein. Das steht zwar nicht im Gesetz,
ist aber einheitliche Rechtsprechung. Eine Prognoseentscheidung ist also erforderlich, auch wenn sich diese
wiederum nicht zwingend auf eine erhebliche Straftat
beziehen muss.
Eines Richtervorbehaltes bedarf es nicht; aber selbstverständlich ist auf Antrag des Betroffenen eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen, weil Art. 19 Abs. 4
des Grundgesetzes den Rechtsweg garantiert, wenn jemand durch eine hoheitliche Maßnahme in seinen Rechten verletzt wird.
Umgekehrt ist es so, dass es einer richterlichen Entscheidung bei DNA-Identifizierungsmustern nicht bedarf, wenn der Betroffene damit einverstanden ist.
Diese Fragen, inwieweit man die Voraussetzung des
Vorliegens einer erheblichen Straftat reduzieren kann
und inwieweit der Richtervorbehalt gegebenenfalls variiert werden kann, werden derzeit vor allem unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten erörtert. Die Bundesregierung ist in der Bund/Länder-Arbeitsgruppe
vertreten, wird sich aber auch parallel dazu eine Meinung bilden und unter Berücksichtigung des Votums der
Landesjustizminister, das in Kürze erwartet wird, einen
Gesetzesvorschlag vorlegen.
Zu Ihrer zweiten Frage -
Wenn der Fragesteller einverstanden ist, spricht nichts
dagegen, dass die beiden dringlichen Fragen im Zusammenhang beantwortet werden. Daraus ergibt sich dann
ein entsprechendes Kontingent an Zusatzfragen.
Ich rufe also die dringliche Frage 2 des Abgeordneten
Gewalt auf:
Wird die Bundesregierung am Richtervorbehalt bei der
Anordnung der DNA-Analyse vor dem Hintergrund der daraus resultierenden praktischen Probleme - Gericht als Nadelöhr, zeitliche Verzögerungen - weiter festhalten und wie begründet sie dies?
Bitte schön.
Zu der zweiten Frage also, zum Festhalten am Richtervorbehalt. Ich möchte zunächst die Unterstellung zurückweisen, die man in dieser Frage lesen kann, dass
nämlich die Justiz für die Verzögerung bei Ermittlungsverfahren verantwortlich ist. Dafür gibt es überhaupt
keine Anhaltspunkte. Es ist kein Fall bekannt geworden,
in dem es zu einer Verschleppung von Ermittlungsmaßnahmen gekommen ist, weil die Gerichte nicht rechtzeitig entschieden haben. Vielmehr zeigt gerade der aktuelle Fall Moshammer, dass es möglich ist, innerhalb
von zwei Tagen einen Beschluss des Ermittlungsrichters
herbeizuführen, eine DNA-Analyse vorzunehmen und
den Täter zu überführen. Auch das spricht gegen die Behauptung, das Erfordernis einer richterlichen Anordnung
führe zu einer unvertretbaren zeitlichen Verzögerung.
Im Übrigen ist die richterliche Entscheidung entbehrlich - das sagte ich eben schon einmal -, wenn der Betroffene mit einer Speicherung einverstanden ist. Stimmt
er der Maßnahme nicht zu, muss er die Möglichkeit haben, einen richterlichen Entscheid herbeizuführen. Wie
ich eben schon einmal sagte, gilt das auch beim daktyloskopischen Fingerabdruck. Im Hinblick auf jede hoheitliche Maßnahme eröffnet Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes den Rechtsweg. An dieser Tatsache würde auch
der Wegfall des Richtervorbehalts nichts ändern.
Zusatzfragen, Herr Kollege Gewalt.
Können Sie bestätigen, Frau Justizministerin, dass der
Aufwand für die Polizeibehörde oder die Staatsanwaltschaft erheblich größer ist, wenn sie den Richter einschalten muss, der dann letztlich die Genehmigung für
die DNA-Analyse erteilt, als wenn sie von sich aus diese
Analyse veranlassen könnte, wie das in Holland oder in
Großbritannien bereits der Fall ist?
Ich würde nicht sagen, dass der Aufwand erheblich
größer ist, aber ich sage schon, dass es ein zusätzlicher
Arbeitsschritt ist. Daran gibt es nichts zu deuteln.
Weitere Zusatzfrage, Frau Ministerin. Sie wissen,
dass es in den Bundesländern umstritten ist, ob die Zustimmung zu einer DNA-Analyse die Behörden berechtigt, die DNA-Probe zu nehmen und zu registrieren. In
Nordrhein-Westfalen ist man der Auffassung, dass das
nicht der Fall ist. In Bayern ist man der Auffassung, dass
das der Fall ist. Sind Sie nicht mit mir der Meinung, dass
man dazu auf jeden Fall eine gesetzliche Klarstellung
vornehmen müsste?
Dass es so ist, wie Sie gerade referiert haben, kann ich
mir nicht vorstellen; denn es gibt eine Entscheidung des
Landgerichts Düsseldorf, in der das Landgericht ausdrücklich geurteilt hat, dass der Betroffene wirksam einwilligen kann und in diesem Fall eine gerichtliche Anordnung nicht erforderlich ist. Düsseldorf ist meines
Wissens die Hauptstadt von Nordrhein-Westfalen.
({0})
Weitere Zusatzfrage.
Frau Ministerin, aus Österreich sind Zahlen bekannt,
nach denen sich gerade bei Einbruchdiebstahl, bei
schwerem Diebstahl die registrierten DNA-Proben bei
der Ermittlung des Täters als sehr hilfreich gezeigt haben. Mehr als drei Viertel der Einbruchdiebstähle konnten anhand der DNA-Analysen aufgeklärt werden. In
Deutschland ist aufgrund der Hürde, die hier besteht, ein
solches Verfahren nicht möglich. Halten Sie es angesichts der Erfolge in Österreich nicht für angemessen,
die Hürde in Deutschland zu senken?
Herr Abgeordneter, ich habe gesagt, dass man darüber
diskutieren muss. Das Beispiel, das Sie gerade angeführt
haben, ist insofern untauglich, als schwere Diebstähle
bereits heute erfasst sind und es sich bei einem Einbruchdiebstahl in aller Regel um einen schweren Diebstahl handelt. Das heißt, genau diesen von Ihnen eben
angeführten Fall können Sie mit der heutigen Gesetzeslage unschwer lösen.
({0})
Man verkennt häufig, dass bereits heute bei einer ganz
erheblichen Anzahl von Delikten die Speicherung möglich ist und dass es in der Diskussion in der Regel nur
um Delikte geht wie Hausfriedensbruch, Amtsanmaßung, Doppelehe, Beischlaf zwischen Verwandten, Beleidigung, üble Nachrede, einfacher Ladendiebstahl,
Schwarzfahren, Fischwilderei, Sachbeschädigung, Trunkenheit im Verkehr. In diesen Fällen kann man eben
nicht sagen, es liege eine erhebliche Straftat vor. Das
sind aber in aller Regel auch nicht die Delikte, von denen wir in diesem Zusammenhang reden.
Das heißt, man muss sehr sorgfältig damit umgehen.
Damit will ich nicht in Abrede stellen, dass diese Diskussion zu führen ist. Man muss aber wissen, was heute
schon geht; und es geht heute schon sehr viel.
Letzte Zusatzfrage.
Frau Ministerin, in den Niederlanden und in Großbritannien ist man sehr viel weiter. Die dortigen Möglichkeiten sind viel umfangreicher als in der Bundesrepublik
Deutschland. Sie haben sicherlich Kontakt zu Ihren Kollegen in Großbritannien und in den Niederlanden. Sind
Ihnen denn Fälle des Missbrauchs durch Ermittlungsbehörden aus diesen Ländern bekannt?
Nein, mir sind keine Fälle des Missbrauchs aus diesen
Ländern bekannt, und es ist richtig, dass diese beiden
Länder die von Ihnen eben dargestellte Position vertreten. Sie wissen aber auch, dass zahlreiche andere europäische Länder und auch die Vereinigten Staaten dieselben Regelungen wie zurzeit die Bundesrepublik
Deutschland haben.
Nächster Fragesteller ist Herr Kollege Ströbele.
Frau Ministerin, stimmen Sie dem Kollegen van
Essen zu,
({0})
der heute in der Sitzung des Rechtsausschusses die Auffassung vertreten hat, dass in unserem Rechtsstaat, bevor
es zu einem Grundrechtseingriff kommt, von einem unabhängigen Richter überprüft werden muss, ob der erforderlich und gerechtfertigt ist?
Stimmen Sie mir außerdem zu, dass nach Auffassung
des Bundesverfassungsgerichts die Erhebung und die
Speicherung des so genannten genetischen Fingerabdrucks einen Grundrechtseingriff darstellen, nämlich
einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung?
Letzterem stimme ich zu, Ersterem nicht unbedingt.
Ich brauche nicht für jeden Grundrechtseingriff eine eigenständige richterliche Entscheidung. Wenn der Gesetzgeber ein Gesetz gemacht hat, was den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht, muss nicht in
jedem Einzelfall noch einmal der Richter entscheiden.
Das ist jedenfalls meine Kenntnis der Verfassungslage.
Nun ist es allerdings schon zwölf Jahre her, dass ich wissenschaftliche Mitarbeiterin in Karlsruhe war.
({0})
- Ich glaube auch.
({1})
Zunächst einmal nicht. Jetzt ist erst der Kollege Geis
dran.
Frau Ministerin, tritt die Bundesregierung - gerade
auch aufgrund der jetzigen Diskussionen - dafür ein,
dass der Katalog der Anlasstaten erweitert wird und auch
auf niederschwelligere Taten ausgedehnt wird, im Hinblick darauf, dass solche niederschwelligen Taten oft
von Tätern verübt werden, die später schwer straffällig
werden? Das gilt für den Bereich von Sexualdelikten,
aber auch für Ladendiebstähle, die serienmäßig durchgeführt werden, beispielsweise im Rahmen von organisierter Kriminalität. Meine Frage lautet also: Tritt die Bundesregierung dafür ein, den Katalog der Anlasstaten
auch auf niederschwelligere Taten auszuweiten, entgegen dem jetzigen Gesetzeswortlaut?
Ganz zu Beginn Ihrer Frage, Herr Geis, haben Sie die
Formulierung verwendet: „aufgrund der jetzigen Diskussionen“. Aufgrund der jetzigen Diskussionen tut das die
Bundesregierung nicht. Sie ist nämlich schon seit längerem, wie ich vorhin erwähnt habe, gemeinsam mit den
Ländern dabei, zu prüfen, inwieweit Veränderungen der
Gesetzeslage vorgenommen werden müssen. Das heißt
also, dieser Diskussionsprozess läuft schon seit einem
Jahr. Bund und Länder diskutieren sehr ernsthaft darüber, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen,
damit die Eingriffsgrundlagen noch verfassungsgemäß
sind. Nachdem ich das vorausgeschickt habe, würde ich
sagen, dass man auch über die Frage, die Sie eben gestellt haben, insbesondere hinsichtlich Mehrfachtätern,
diskutieren sollte.
({0})
Ich interpretiere den Sachverhalt jetzt einmal so, dass
zu jeder der beiden dringlichen Fragen eine Zusatzfrage
gestellt werden kann. Deshalb muss ich jetzt fairerweise
wieder dem Kollegen Ströbele das Wort geben. Sie, Herr
Geis, nehme ich aber sofort wieder auf die Rednerliste.
Bitte schön.
In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
vom 14. Dezember 2000 steht der Satz:
Das Interesse des Betroffenen an effektivem Grundrechtsschutz
- in diesem Fall wäre dies der Grundrechtsschutz bei
Abnahme und Speicherung des genetischen Fingerabdrucks wird dabei durch den Richtervorbehalt gem.
§§ 81 g III, 81 a II StPO berücksichtigt, der die Gerichte zur Einzelfallprüfung zwingt.
Frau Ministerin, stimmen Sie diesem Satz zu?
Diesen Satz habe ich sinngemäß vorhin bei meiner
Darstellung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zitiert. Ja, ich stimme ihm zu.
({0})
Herr Kollege Geis.
Frau Ministerin, ich knüpfe an die Frage des Herrn
Kollegen Gewalt bezüglich der freiwillig abgegebenen
DNA-Proben an. In diesem Zusammenhang geht es
nicht um einzelne Proben, sondern - es gab schon Fälle,
in denen die Anzahl der Proben 15 000 oder 16 000 betrug - um sehr viele Proben. Meine Frage lautet daher:
Benötigen wir mit Blick darauf, dass sich jemand weigern könnte, eine solche DNA-Probe abzugeben, nicht
doch ein Gesetz für die Regelung von DNA-Proben?
In der Vergangenheit ist ein entsprechendes Gesetz
nicht für erforderlich gehalten worden. Aber nach einer
Entscheidung aus Bremen vor ungefähr einem Jahr, in
der die Bremer Richter die Zulässigkeit eines so genannten freiwilligen Massengentests verneint haben, prüft die
Bund/Länder-Arbeitsgruppe der Justizministerkonferenz,
ob es einer entsprechenden Rechtsgrundlage bedarf.
Über das Ergebnis der Prüfung ist mir leider noch nichts
bekannt.
Herr Kollege Burgbacher.
Frau Ministerin, in einem Antrag der Union wurde die
Abschaffung des Richtervorbehalts als Entbürokratisierungsmaßnahme bezeichnet. Teilen Sie meine Auffassung, dass der Richtervorbehalt überhaupt nichts mit Bürokratie zu tun hat? Sind Sie außerdem meiner Meinung,
dass der Richtervorbehalt angesichts der Diskussion
über eine Erweiterung des Katalogs der Anlasstaten, die
ich für notwendig halte, eine ganz besondere Qualität
bekommt?
Ich teile Ihre Auffassung, dass Richtervorbehalt und
Bürokratie nichts miteinander zu tun haben, sondern
dass es hier um rechtsstaatliche Sicherungen geht und
dass man dementsprechend sorgfältig damit umgehen
muss. Die verbreitete Meinung, die verfahrensmäßigen
Sicherungen bei Senkung der Eingriffsschwellen zu erweitern, ist Teil der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die unter der Überschrift „Grundrechtsschutz durch Verfahren“ firmiert. Wenn man darüber
nachdenkt, die Schwelle für Anlasstaten zu senken, dann
muss man gleichzeitig über den Richtervorbehalt sehr
sorgfältig nachdenken.
Sie haben gerade eingeräumt, dass für freiwillige
Gentests eine gesetzliche Grundlage fehlt. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die FDP-Bundestagsfraktion genau zu diesem Punkt einen Antrag eingebracht hat, und sind Sie bereit, diesen Antrag in Ihre
Überlegungen mit einzubeziehen?
Selbstverständlich. Ich habe immer gesagt - das gilt
auch für den Antrag der CDU/CSU-Fraktion, der in diesem Hohen Hause eingebracht wurde -, dass es sinnvoller ist, ein Gesamtkonzept zu verabschieden, anstatt einzelne Regelungen hintereinander zu schalten. Deshalb
war unser Votum, abzuwarten, bis die Arbeit der Justizministerkonferenz abgeschlossen ist. Ich hoffe, dass dies
bald der Fall sein wird. Dann werden wir einen Gesetzentwurf aus einem Guss vorlegen.
Herr Kollege Göbel.
Frau Ministerin, wie beurteilen Sie angesichts der
Tatsache, dass bei der DNA-Auswertung nur die Informationen aus dem nicht kodierten Bereich der Probe gespeichert werden dürfen, die Aussage, dass die Gefahr
eines gläsernen Bürgers besteht? Teilen Sie diese Aussage?
Dass nur die Teile aus dem nicht kodierten Bereich
gespeichert werden, ist überhaupt die Voraussetzung
- das scheint mir nach den vorliegenden Entscheidungen
des Bundesverfassungsgerichts so zu sein -, dass man
diese Daten in einem größeren Umfang speichern kann.
Von einem gläsernen Bürger würde ich in dem Zusammenhang nicht sprechen wollen.
Herr Kollege Grindel.
({0})
- Das war mir nicht hinreichend erkenntlich. Bitte
schön.
Frau Ministerin, Verfassungsminister Otto Schily hat
im Sender n-tv dafür plädiert, die Erhebung von DNAProben zum Standard der erkennungsdienstlichen Behandlung zu machen. Gehe ich recht in der Annahme,
dass es in dieser Frage einen offenen Dissens zwischen
dem Verfassungsminister und dem Justizministerium
gibt?
Zunächst einmal sind sowohl der Innenminister als
auch die Justizministerin die Verfassungsminister dieser
Bundesregierung. Insofern gäbe es, wenn dies denn der
Fall wäre, einen Dissens zwischen den Verfassungsministern. Den gibt es aber nicht. Denn wir beide sind der
Auffassung, dass man prüfen muss, ob und inwieweit
Änderungsbedarf besteht. Diese Prüfung läuft derzeit.
Wir haben sie schon vor einiger Zeit angestoßen. Die Innenminister sind in ihrer Meinungsbildung schneller gewesen als die Justizminister, was aber nichts daran
ändert, dass wir, zumal die Justizministerin hier federführend ist, gesagt haben, dass das Votum der Landesjustizminister abgewartet wird.
Herr Grindel.
Frau Ministerin, dann frage ich - über diese Prüfung
hinaus - einmal nach Ihrer Auffassung. Sind Sie der
Auffassung, dass man den genetischen Fingerabdruck so
wie andere Maßnahmen im Zusammenhang mit erkennungsdienstlichen Methoden vorsehen sollte, und worin
sehen Sie den tatsächlichen Unterschied zwischen dem
klassischen Fingerabdruck und einem genetischen Fingerabdruck? Sind die beiden Methoden wirklich so verschiedenartig, dass sie auch unterschiedlich behandelt
werden sollten?
Ja, ich bin der Auffassung, dass zwischen dem daktyloskopischen Fingerabdruck und dem genetischen Fingerabdruck ein Unterschied besteht. Die Möglichkeiten,
die mit einem genetischen Fingerabdruck gegeben sind,
sind weiter gehend als die Möglichkeiten, die im Rahmen eines daktyloskopischen Fingerabdrucks bestehen,
und die Tatsache, dass Menschen eigentlich immer genetisches Material hinterlassen, das ausgewertet werden
kann, führt dazu, dass man mit genetischen Daten ganz
besonders sorgfältig umgehen muss. Diese Debatte haben wir kürzlich in einem anderen Zusammenhang geführt. Genetisches Material verlieren Sie nahezu laufend.
Sie verlieren leicht ein Haar, Sie lassen leicht ein Glas
stehen, aus dem Sie getrunken haben, Sie lassen leicht
eine Zigarettenkippe oder Ähnliches liegen. Aus all dem
kann ein genetischer Fingerabdruck abgeleitet werden.
Deswegen meine ich, dass es eine besondere Verantwortung ist, mit diesem genetischen Material umzugehen. Dies ist eine neue Debatte; denn wir haben erst seit
kurzem die technischen Möglichkeiten, den genetischen
Fingerabdruck so leicht herzustellen. Das war vor zwei
Jahren noch sehr viel schwieriger und vor allen Dingen
sehr viel kostenintensiver. Wir kommen jetzt erst langsam in eine Kostendimension, die das Ganze annähernd
vertretbar erscheinen lässt. Man muss sich im Übrigen
auch fragen - wir rechnen ja mit Kosten von etwa
150 Euro pro genetische Probe -, ob das alles bezahlbar
ist.
Darf ich an die Frage erinnern - über das hinaus, was
jetzt an Prüfung läuft -, wie Sie den genetischen Fingerabdruck als erkennungsdienstliche Methode bewerten?
Okay, Sie wollten Ihre Frage zweigeteilt verstanden
wissen. - Ich persönlich halte den genetischen Fingerabdruck für sehr geeignet als Ermittlungsmethode. Die
Ergebnisse zeigen, dass eine hohe Trefferquote erzielt
wird.
Das waren zwei Fragen, oder?
({0})
Ich hoffe, dass ich jetzt niemanden übersehen habe.
Dann wären wir nämlich am Ende der Beantwortung der
beiden eingereichten dringlichen Fragen und könnten
uns nun der Abarbeitung der übrigen eingereichten Fragen in der ausgedruckten Reihenfolge der Geschäftsbereiche zuwenden.
Die Frage 1 der Kollegin Gitta Connemann aus dem
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft wird ebenso
schriftlich beantwortet wie die Frage 2 der Kollegin
Petra Pau aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung.
Dann kommen wir nun zum Geschäftsbereich des
Auswärtigen Amtes. Hier steht für die Beantwortung die
Staatsministerin Kerstin Müller zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Norbert Geis auf:
Sind der Bundesregierung Behinderungen der missionarischen Tätigkeit christlicher Kirchen in der Türkei bekannt?
Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: In
der Türkei besteht kein gesetzliches Verbot, religiöse
Schriften zu verbreiten oder missionierend tätig zu sein.
Beispielsweise strahlt eine Radiostation in Ankara täglich überwiegend Sendungen christlichen Inhalts aus.
Nach Kenntnis der Bundesregierung schreiten die Behörden mitunter dennoch bei missionarischen Aktivitäten im öffentlichen Raum ein. Dies geschieht häufig
nach Aufforderung durch Anwohner oder Passanten.
Zusatzfrage?
Nein.
Dann rufe ich die Frage 4 auf:
Wird die Bundesregierung im Rahmen der Verhandlung
über die Aufnahme der Türkei in die EU darauf hinwirken,
dass christliche Gemeinden in der Türkei rechtlich anerkannt
werden und als Rechtsperson rechtsgeschäftlich tätig werden
können?
Die Bundesregierung wird wie bisher mit Nachdruck
darauf hinwirken, dass die türkische Regierung die
Reformen zur Verbesserung der Situation nicht muslimischer Religionsgemeinschaften weiter vorantreibt. Dabei
bedarf aus der Sicht der Bundesregierung insbesondere
die Frage der Rechtspersönlichkeit der Gemeinschaften
einer geeigneten gesetzlichen Regelung, wie es auch im
letzten Fortschrittsbericht der EU-Kommission festgestellt worden ist.
Der Europäische Rat hat am 16./17. Dezember 2004
beschlossen, dass die EU die weiteren Fortschritte bei
den politischen Reformen in der Türkei auf der Grundlage einer neuerlich überarbeiteten Beitrittspartnerschaft, in der die Prioritäten des Reformprozesses festgelegt sind, genau verfolgen wird. Fragen der
Religionsfreiheit werden dabei voraussichtlich eine herausragende Rolle spielen.
Zusatzfrage, Herr Kollege Geis.
Sieht die Bundesregierung in der Türkei trotz des Laizismus, der nach meiner Auffassung anders auszulegen
ist als beispielsweise in Frankreich, einen Staat mit islamischen Vorzeichen und damit auch mit einer islamischen Verfassungsfundierung?
Ich will mich jetzt nicht auf eine religiöse Diskussion
einlassen. Nach der türkischen Verfassung handelt es
sich bei der Türkei um einen laizistischen Staat. Nichtsdestotrotz ist natürlich die Achtung der Religionsfreiheit
von großer Bedeutung. Wir setzen uns in allen Konsultationen mit der türkischen Regierung dafür ein, dass die
Religionsfreiheit auch für nicht muslimische Gemeinschaften gewährleistet wird.
Stimmen Sie mit mir darin überein, dass die Definition des laizistischen Staates in der Türkei eine gänzlich
andere ist als in der westlichen Welt, zum Beispiel in
Frankreich? In der Türkei geht es im Grunde genommen
nicht um Religionsfreiheit, sondern nur um eine staatliche Reglementierung der muslimischen Religion. Das
nennt man dort einen „laizistischen Staat“. Stimmen Sie
mit mir überein, dass hier ein Unterschied besteht?
Dafür habe ich im Einzelnen zu wenig Kenntnisse
über die Verfassung der Türkei und die Verfassung
Frankreichs. Soweit mir bekannt ist, bestehen natürlich
Unterschiede.
Ich bleibe bei meiner Aussage: Es handelt sich bei der
Türkei nach der Verfassung um einen laizistischen Staat.
Bei der Diskussion über die Situation nicht muslimischer
Gemeinschaften geht es um die Frage der Gewährung
der Religionsfreiheit. Religions- und Gewissensfreiheit
werden von der türkischen Verfassung garantiert. In der
Praxis gibt es aber Nachholbedarf. Das wird von uns
auch mit Nachdruck angesprochen.
Herr Kollege Grindel.
Herr Präsident, Sie sind so schnell von Frage 3 zu
Frage 4 übergegangen, weil der Kollege Geis keine
Nachfragen hatte, dass ich darum bitte, zwei Fragen stellen zu dürfen. Meine erste Frage bezieht sich eher auf
Frage 3.
Frau Staatsministerin, halten Sie es auf Dauer für hinnehmbar, dass etwa der evangelische Geistliche, der in
Istanbul die Christen evangelischen Glaubens betreut,
nur als Mitarbeiter der Botschaft ein Aufenthaltsrecht
bekommen hat, aber nicht als Priester, und wie bewerten
Sie vor dem Hintergrund Ihrer Antwort auf Frage 3 des
Kollegen Geis den Umstand, dass die Bundesregierung,
auch was die griechisch-orthodoxe Kirche angeht, immer für den weiteren Betrieb des Priesterseminars dort
eingetreten ist? Ein solcher Hinweis war in Ihrer Antwort nicht zu finden.
Das sind jetzt zwei völlig verschiedene Fragekomplexe.
({0})
- Ich bin ja gern bereit, das zu beantworten. Aber vielleicht können wir das nacheinander machen.
Zu Ihrer ersten Frage. Nein, sicherlich sind solche
Einschränkungen nicht hinnehmbar. Deshalb habe ich
auch schon gesagt, dass wir uns mit Nachdruck dafür
einsetzen, dass die Religionsfreiheit in der Praxis eben
auch für nicht muslimische Gemeinschaften gewährleistet wird. Fragen der Rechtspersönlichkeit, Fragen des
Eigentumsrechts, die Möglichkeit - das haben Sie gerade mit Bezug auf das Priesterseminar angesprochen -,
Geistliche auszubilden, stellen für uns daher sehr wichtige Themen dar. Ich muss allerdings konstatieren: Im
Zuge der EU-Heranführung hat die türkische Regierung
Reformgesetze verabschiedet, die zum Beispiel zu einer
Stärkung des Eigentumsrechts bei denjenigen christlichen Gemeinden geführt haben, die über den Status einer religiösen Stiftung verfügen. Andere Gesetze sind in
Arbeit, etwa eine Reform des Stiftungsgesetzes, was im
Hinblick auf die Fragen des Eigentums und der Rechtspersönlichkeit sehr wichtig ist. Dafür gibt es einen neuen
Entwurf, der - das ist bislang einmalig gewesen - der
EU-Kommission vorgelegt wurde, bevor er in das parlamentarische Verfahren gegeben wurde. Auch die Bestimmungen zur Errichtung von Gebetsstätten wurden
liberalisiert.
Ich sage aber sehr deutlich: Diese Maßnahmen sind
aus der Sicht der Bundesregierung bei weitem noch nicht
ausreichend. Wir meinen: Die EU-Beitrittsperspektive
hat bereits zur Verbesserung der Situation nicht muslimischer Minderheiten geführt. Die christlichen Religionsgemeinschaften in der Türkei und das Istanbuler Oberrabinat teilen diese Auffassung und befürworten daher im
Grundsatz die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen,
um zu weiteren Verbesserungen zu kommen.
Darf ich dann eine Zusatzfrage zu Frage 4 stellen? Es war eine Delegation des Innenausschusses in der Türkei, gerade um diese Frage zu klären. Dass verschiedene
Glaubensgemeinschaften für den Beitritt der Türkei zur
EU sind, ist nahe liegend, weil sie sich davon eine Verbesserung ihres Status erhoffen. Die Situation der Kirchen dort ist allerdings nicht so, dass man sagen könnte,
dass die Türkei beitrittsfähig ist.
Sie haben gerade die rechtlichen Änderungen angesprochen. Es mag sein, dass es sie gegeben hat. Nur, ich
würde gern nach praktischen Dingen fragen: Ist Ihnen
ein Fall bekannt, dass eine nicht muslimische Kirche
- etwa die griechisch-orthodoxe, die armenische oder
eine andere - einen solchen Rechtsstatus bekommen
hätte, sodass sie die Möglichkeit hat, Gotteshäuser zu
bauen oder diejenigen, über die sie im Augenblick verfügen, zumindest zu renovieren? Denn das zentrale Problem ist, dass dort die Gotteshäuser verfallen. Wenn
dann die Gemeinden einen Bauantrag stellen, um die
Gotteshäuser sanieren zu können, wird ihnen mitgeteilt,
sie seien gar nicht als Eigentümer im Grundbuch eingetragen und hätten insofern gar kein Recht, einen Bauantrag zu stellen. Sind Sie nicht mit mir der Auffassung,
dass die rechtlichen Veränderungen, die im Hinblick auf
die Bemühungen der Türkei, der EU beizutreten, vorgenommen wurden, und die Praxis in Istanbul völlig auseinander fallen und es deswegen bisher keine Verbesserung für die kirchlichen Gemeinden gegeben hat?
Dies sind Fragen, die im Zuge der Beitrittsverhandlungen sehr genau geprüft und bewertet werden müssen.
Um Ihnen auch ein positives Beispiel zu nennen - Sie
haben gefragt, ob ich überhaupt einen Fall kenne -: Soweit ich weiß, wurde am 27. Januar 2004 erstmals ein
Verein einer nicht muslimischen Glaubensgemeinschaft
mit ausschließlich religiöser oder karitativer Zielsetzung
zugelassen; es handelt sich dabei um den Trägerverein
St.-Nikolaus-Kirche, deutschsprachige Gemeinde für
Antalya und Alanya. Die türkischen Behörden haben
dem ökumenischen Verein auch die Gründung von Filialen in der gesamten Türkei gestattet. Dies zeigt sehr
wohl, dass es auch in der Praxis Veränderungen gibt. Das
betrifft auch den Bau von Gebetshäusern.
Ich sage noch einmal: Wir halten die bis jetzt getroffenen Maßnahmen für nicht ausreichend; wir sehen weiter gehenden Reformbedarf, genauso wie die Kommission der Europäischen Union. Wir werden uns mit
Nachdruck dafür einsetzen, dass dies geschieht.
Weitere Fragen dazu liegen nicht vor. Die Fragen 5
bis 9 der Kollegen Straubinger, Niebel und Jüttner werden schriftlich beantwortet. Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereiches.
Auch die Fragen 10 bis 13 der Kollegen Austermann,
Koschyk und Binninger aus dem Geschäftsbereich des
Bundesministeriums des Innern werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Zur Beantwortung der Fragen
steht der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller zur
Verfügung.
Die Fragen 14 bis 16 der Kollegen Hinsken und
Rupprecht werden zu einem späteren Zeitpunkt beantwortet, sodass ich nun die Frage 17 des Kollegen Peter
Weiß aufrufe:
Wie hoch ist der Anteil der Mittel, die bereits im Rahmen
des Bundeshaushalts 2005 aufgewendet werden, an den von
der Bundesregierung beschlossenen Mitteln zur Wiederaufbauhilfe für die von der Erdbeben- und Flutkatastrophe in
Süd- und Südostasien betroffenen Gebiete in Höhe von insgesamt 500 Millionen Euro und welche Einzeltitel des Bundeshaushalts sind davon betroffen?
Herr Kollege Weiß, eine Antwort auf Ihre Frage setzt
voraus, dass zunächst der Bedarf vor Ort ermittelt wird
und dann einzelne Projekte formuliert und festgelegt
werden. Angaben sind daher zu diesem Zeitpunkt nur für
einige Maßnahmen möglich.
Eine Verdrängung zulasten anderer Not leidender
Regionen wird durch die von der Bundesregierung in
Aussicht gestellten Hilfen jedenfalls nicht stattfinden.
Die Bundesregierung hat auf den Aufruf des VN-Generalsekretärs zu Soforthilfemaßnahmen der Vereinten
Nationen 50 Millionen Euro bereitgestellt. Betroffene
Einzeltitel des Bundeshaushaltes sind in Kap. 0502, also
im Auswärtigen Amt, der Tit. 687 12 - Humanitäre
Hilfsmaßnahmen im Ausland außerhalb der Entwicklungshilfe - in Höhe von 10 Millionen Euro und in
Kap. 2302 - das betrifft das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - der
Tit. 687 01 - Beiträge an die VN, ihre Sonderorganisationen sowie andere internationale Einrichtungen und internationale Nichtregierungsorganisationen - in Höhe
von 28 Millionen Euro und der Tit. 687 20 - Entwicklungsorientierte Not- und Übergangshilfe - in Höhe von
12 Millionen Euro.
Aus demselben Titel des Haushalts des Auswärtigen
Amtes sind mit Unterstützung der Bundesregierung in
Höhe von 7 bis 8 Millionen Euro auch rund 30 Einzelprojekte der humanitären Soforthilfe in den betroffenen
Ländern angelaufen. Als Beitrag der Bundeswehr wurde
der Einsatzgruppenversorger „Berlin“ - einschließlich
Marineeinsatzzentrum und zwei Hubschraubern - in die
am stärksten von der Katastrophe betroffene Region
Nordsumatra entsandt. Die Verlegung eines landgestützten Rettungszentrums ist gleichfalls für diese Region
vorgesehen. Zudem werden Kapazitäten zur Trinkwasseraufbereitung vorgehalten. Die Aufwendungen hierfür
werden für einen Zeitraum von drei Monaten voraussichtlich 15 Millionen Euro betragen. Eine Aufteilung
der Ausgaben auf Einzeltitel ist erst nach Abschluss der
Maßnahmen möglich.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie betont haben, dass
die zusätzlichen Aufwendungen, die die Bundesregierung tätigen will, um den von der Flutkatastrophe betroffenen Ländern Südasiens zu helfen, nicht zulasten anderer Hilfen, die wir vor allem im Rahmen der
Entwicklungszusammenarbeit und der Nothilfe leisten,
gehen sollen, frage ich Sie: Werden die rund
100 Millionen Euro, die nach Auskunft der Bundesentwicklungshilfeministerin als erste Tranche von den insgesamt 500 Millionen Euro schon im Jahre 2005 bereitgestellt werden sollen, zu den bereits im Bundeshaushalt
bereitgestellten Mitteln des Auswärtigen Amtes und des
Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung tatsächlich hinzukommen?
Herr Kollege Weiß, die Mittel werden bereitgestellt
und aus dem üblichen Haushaltsvollzug erwirtschaftet.
Weitere Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, wenn Sie diese Antwort geben,
muss ich Sie fragen: „Erwirtschaften aus dem Haushaltsvollzug“ kann bedeuten, dass diese 100 Millionen Euro
aus den Mitteln des Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung erwirtschaftet werden. Dies kann aber
auch bedeuten, dass sie aus anderen Haushaltstiteln erwirtschaftet werden. Deshalb meine Frage: Sind das nun
tatsächlich zusätzliche Mittel, die dem AA und dem
BMZ zur Verfügung gestellt werden, oder müssen diese
Mittel im Wesentlichen aus den Haushalten des Auswärtigen Amtes und des BMZ erwirtschaftet werden?
Herr Kollege, ich schließe nicht aus, dass im Haushalt
des Auswärtigen Amtes und auch im Haushalt des BMZ
vielleicht die eine oder andere etatisierte Maßnahme
nicht vollumfänglich in Anspruch genommen wird - aus
welchen Gründen auch immer. Insofern könnten dann
auch solche Titel herangezogen werden. Aber die Erfahrung zeigt: Im Rahmen des Haushaltsvollzugs ein Volumen in Höhe von 100 Millionen Euro zu erwirtschaften
ist nicht die schwierigste Übung.
Ich rufe Frage 18 des Kollegen Weiß auf:
Welche weiteren Jahrestranchen für die Verausgabung der
Wiederaufbaumittel sind geplant und wo werden diese im
Bundeshaushalt etatisiert werden?
Ein erheblicher Teil der in Aussicht gestellten
500 Millionen Euro wird, wie Sie selbst schon skizziert
haben, erst nach dem Jahre 2005 benötigt, weil die Mittel insbesondere dem langfristigen Wiederaufbau in den
betroffenen Regionen dienen sollen. Wie bereits ausgeführt, kann die Gesamtsumme erst nach Festlegung der
Projekte und Ermittlung der Projektkosten auf einzelne
Jahre aufgeteilt werden. Wie das im Einzelnen geschieht, werden wir im Rahmen des Haushaltsaufstellungsverfahrens für das Jahr 2006 im Frühjahr dieses
Jahres mit den Ressorts besprechen. Das wird sich auch
in der mittelfristigen Finanzplanung abbilden.
Eine Zusatzfrage? - Jawohl, bitte.
Herr Staatssekretär, plant die Bundesregierung für die
Haushaltsaufstellung - ähnlich wie zum Beispiel beim
Stabilitätspakt Südosteuropa und bei der Bereitstellung
der so genannten Antiterrormittel nach den Ereignissen
des 11. September 2001 -, in einem der Einzelpläne des
Bundeshaushaltes einen eigenen Fluthilfetitel zu verankern, in dem die gesamten Hilfen zusammengefasst werden?
Sie meinen, für das Jahr 2006?
2006 ff.
Darüber ist noch nicht entschieden.
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär, sind in den 500 Millionen Euro,
die die Bundesregierung für die Flutopferhilfe zur Verfügung stellen will, auch Mittel für Schuldenumwandlungsabkommen mit den betroffenen Ländern enthalten?
Herr Kollege, das sind hypothetische Fragen. Ich
bitte, zunächst einmal das Ergebnis solcher Überlegungen abzuwarten. Denn Sie wissen, dass sich die Staaten,
die im Pariser Club darauf angesprochen worden waren,
sehr zurückhaltend zu Schuldenstundung, Schuldenmoratorien und Ähnlichem geäußert haben, weil das für die
betroffenen Länder natürlich nachteilige Wirkungen bezüglich ihres Kreditratings hätte und sie vielleicht dadurch etwas bekämen, was sie an anderer Stelle wieder
draufzahlen müssten.
Danke.
Weitere Zusatzfragen gibt es nicht.
Frage 19 des Kollegen Austermann wird schriftlich
beantwortet.
Ich rufe Frage 20 des Kollegen Michelbach auf:
Mit welchen Vorschlägen gedenkt die Bundesregierung
sich im Rahmen der Verhandlungen zur zukünftigen europäischen Strukturpolitik bezüglich der Förderperiode 2007 bis
2013 zugunsten der deutschen Grenzregionen zu den EU-Osterweiterungsstaaten einzusetzen, um zusätzliche Finanzhilfen
zur Abmilderung des Lohn-, Sozialkosten- und Steuergefälles
im Rahmen eines Grenzgürtelprogramms zu erlangen, die
über eine bisher angedachte Förderung nach Ziel-1-, Ziel-2und Ziel-3-Gebieten hinausgehen, und wenn keine Vorschläge
vorhanden sind, warum nicht?
Herr Kollege Michelbach, gestatten Sie mir zunächst
einen Hinweis auf den finanzpolitischen Rahmen. Gemeinsam mit fünf weiteren großen Beitragszahlern vertritt die Bundesregierung das Ziel, die Ausgaben im
künftigen Finanzplanungszeitraum ab 2007 auf durchschnittlich nicht mehr als 1 Prozentpunkt des Bruttonationaleinkommens der Europäischen Union zu begrenzen. Dies haben die Staats- und Regierungschefs in
einem gemeinsamen Brief vom Dezember 2003 gegenüber Präsident Prodi klar zum Ausdruck gebracht. Wir
sind dankbar, dass diese Haltung im Haushaltsausschuss
parteiübergreifend und einmütig gestützt wird.
Der finanzpolitische Hintergrund macht eine solche
Begrenzung zwingend notwendig. Der Stabilitäts- und
Wachstumspakt schreibt mittelfristig einen ausgeglichenen Haushalt vor. Für Deutschland wird damit bis weit
in die Geltungsdauer der nächsten finanziellen Vorausschau der Abbau des strukturellen Defizits notwendig
sein. Der Ansatz, die EU-Ausgaben auf 1 Prozentpunkt
des EU-Bruttonationaleinkommens zu begrenzen, bedeutet im Übrigen kein Einfrieren der Ausgaben; denn
sie steigen dem Wirtschaftswachstum entsprechend. So
nehmen die künftigen Haushalte der Union in vollem
Umfang am wirtschaftlichen Wachstum der Union teil.
Der Bundeshaushalt ist völlig anders ausgerichtet. Nach
diesem Konzept werden 2007 bis 2013 der erweiterten
Union beträchtliche Finanzmittel zur Verfügung stehen.
Grob geschätzt können die Ausgaben der EU damit nominal von derzeit rund 100 Milliarden Euro im Jahr auf
rund 150 Milliarden Euro im Jahr 2013 ansteigen. Dies
allein würde zu einer Erhöhung der deutschen Abführung an den EU-Haushalt von derzeit rund 22 Milliarden
Euro auf rund 33 Milliarden Euro pro Jahr führen.
Angesichts der deutschen Haushaltslage müssen diese
zusätzlichen Transfers an den EU-Haushalt unweigerlich
durch weitere Einsparungen im nationalen Haushalt erwirtschaftet bzw. finanziert werden. Das wird den nationalen Spielraum in vielen Politikbereichen, aber auch
Regionen weiter einschränken. Für darüber hinausgehende Belastungen sieht die Bundesregierung deshalb
keine Möglichkeiten. Die Kommissionsvorschläge für
die EU-Strukturpolitik, die auf eine massive Mittelaufstockung in Höhe von 100 Milliarden Euro gegenüber
der laufenden siebenjährigen Planungsperiode hinauslaufen, sind mit den bestehenden finanzpolitischen Restriktionen unvereinbar.
Die Bundesregierung spricht sich für eine Rückbesinnung auf das zentrale Ziel der EU-Strukturpolitik aus:
die Förderung verstärkt auf die bedürftigsten Regionen
in der erweiterten Union zu konzentrieren. Außerhalb
dieser Regionen ist die Förderung auf Maßnahmen mit
besonderem europäischen Mehrwert zu beschränken.
Das könnten zum Beispiel bestimmte beschäftigungspolitische Maßnahmen sein, das könnten Netzwerke
sein, es könnte Erfahrungsaustausch und Pilotprojekte
umfassen. Die von der Kommission für die neuen
Ziele 2 und 3 vorgeschlagenen Mittel basieren im Gegensatz dazu auf einem inhaltlich, räumlich und finanziell überzogenen Förderansatz: Selbst das wohlhabende
Frankfurt am Main könnte gemäß dem neuen Ziel 2 gefördert werden.
Für eine systematische Bevorzugung von Grenzregionen innerhalb eines etwaigen Zieles 2 sieht die Bundesregierung keine Rechtfertigung. Denn grundsätzlich
sollten nicht die geographische Lage einer Region bzw.
territoriale Kriterien über die Förderung entscheiden,
sondern die Strukturschwäche, die mit transparenten sozioökonomischen Kriterien messbar ist. Vor diesem Hintergrund sieht die Bundesregierung für die Schaffung eines besonderen Grenzgürtelprogramms im Rahmen der
Strukturpolitik keinen Raum. Aber die Bundesregierung
spricht sich im Grundsatz, wie Sie wissen, für eine Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit aus,
und zwar an den neuen Außengrenzen der EU wie auch
an den neuen Binnengrenzen. Allerdings muss auch hier
dem Konzentrationsgedanken Rechnung getragen werden; deswegen wollen wir es auf diese beiden Aspekte
begrenzen. Das hat zum Beispiel schon zum Unmut der
Vertreter der Grenzregionen entlang des Rheins im Deutschen Bundestag geführt; diese würden dann weniger
gefördert. Die Bundesregierung befürwortet ausdrücklich - das interessiert Sie als bayerischen Abgeordneten
- die Fortführung des bisherigen Interreg-Programms an
der bayerisch-tschechischen Grenze.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie verneinen das Grenzgürtelprogramm. Ist Ihnen nicht bekannt, dass der Bundeskanzler in der Grenzregion in Bayern ausdrücklich ein
solches Grenzgürtelprogramm versprochen hat? Ist Ihnen nicht bekannt, dass wir unter Verweis auf die Nettozahlersituation Deutschlands innerhalb der EU den Vorschlag gemacht haben, mit der EU-Kommission das so
genannte Nettoprinzip zu verhandeln, nach dem Mittel,
die ohnehin zurückfließen, zunächst einmal selbstverantwortlich national für Förderungen und den Ausgleich
von Wettbewerbsverzerrungen durch das Fördergefälle
zwischen den neuen und den alten Bundesländern genutzt werden könnten?
Herr Kollege, das Nettoprinzip hätte zur Folge, dass
nur noch die ärmsten europäischen Mitgliedstaaten eine
europäische Strukturförderung erhalten. Die derzeitigen
Ziel-1-Regionen in Deutschland, also die neuen Bundesländer, würden dagegen ungeachtet ihrer eklatanten
Strukturschwäche bezogen auf den Gemeinschaftsdurchschnitt keine europäischen Fördermittel mehr erhalten.
Für die Bundesregierung ist dies der maßgebliche
Grund, sich gegen dieses Prinzip auszusprechen. Darüber hinaus ist nicht erkennbar, dass unsere Forderung
nach größeren nationalen Förderspielräumen im Beihilferecht politisch besser durchsetzbar wäre, wenn wir uns
für das Nettoprinzip einsetzten.
Im Übrigen darf ich daran erinnern, dass sich die
Bundesregierung bezüglich der nationalen Förderspielräume in Brüssel ganz erheblich engagiert. In unserer
Stellungnahme von Ende Juni 2004 zu den Vorschlägen
der Kommission zur Reform der Regionalleitlinien, also
der Beihilferichtlinien, haben wir unsere Besorgnis über
das hohe Fördergefälle zum Ausdruck gebracht und die
Kommission aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass
förderbedingte Standortverlagerungen auch kleinräumig
nicht erfolgen dürfen. Die Bundesregierung hat insbesondere vorgeschlagen, Sonderregelungen für Regionen
vorzusehen, in denen im Verhältnis zu angrenzenden Regionen ein starkes Fördergefälle besteht. Daneben hat
sich die Bundesregierung für eine zumindest grundsätzliche Beibehaltung der beihilferechtlichen Fördermöglichkeiten in den strukturschwachen Regionen Westdeutschlands eingesetzt.
Ich kann Ihnen berichten, dass unsere Vorstellungen
in Brüssel langsam, aber sicher Gehör finden. Die neuesten Überlegungen der Kommission von Dezember 2004
gehen nämlich in die richtige Richtung: Die vorgeschlagenen Höchstförderintensitäten sollen abgesenkt und das
Fördergefälle insgesamt soll verringert werden.
Die vorgeschlagenen Absenkungen halten wir allerdings für noch nicht ausreichend. Deswegen werden wir
uns weiter für eine deutlichere Verringerung einsetzen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Ihre Aussage war für mich unzulänglich und enttäuschend. Ist Ihnen nicht bekannt, dass
die EU-Kommission in dem neuen EU-Verfassungsvertrag, der jetzt zur Ratifizierung ansteht, erstmals eine
Förderfähigkeit der Grenzregionen benennt? Mit der Benennung der Förderfähigkeit der Grenzregionen in dem
Verfassungsvertrag der EU müssten einerseits konkrete
Vorschläge der Bundesregierung für eine Förderung dieser Grenzregionen verbunden sein, andererseits müsste
sie sich bei der Fortschreibung für 2007 bis 2013 zumindest erstreiten, dass stärkere nationale Fördermöglichkeiten genutzt werden können, um das innerdeutsche
Fördergefälle letzten Endes zu nivellieren.
Herr Kollege, ich habe bereits vorhin deutlich gemacht, dass wir uns mit Nachdruck dafür aussprechen,
dass die Fördermöglichkeiten an den neuen Binnengrenzen der EU verstärkt werden. Deswegen setzen wir uns
auch dafür ein, dass das Interreg-Programm, das es in
den bayerischen Grenzregionen gibt, weiter fortgeführt
werden kann.
Zu Ihrer zweiten Frage habe ich eben ausgeführt, dass
wir uns mit erstem Erfolg dafür eingesetzt haben, dass
die Fördergefälle zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten erheblich eingeschränkt werden. Ich habe die Stellungnahme der Bundesregierung mit den Wirtschaftsministern auf ihrer Konferenz besprochen. Daran war
auch der Freistaat Bayern beteiligt. Das, was wir vorgeschlagen haben, ist dort auf Sympathie gestoßen. Deswegen freut es mich, dass ich Ihnen mitteilen kann, dass
sich die Kommission beispielsweise bereits bewegt und
Vorschläge gemacht hat: Bei großen Unternehmen sollen
bezogen auf Tschechien die Fördersätze von maximal
40 Prozent auf maximal 35 Prozent gesenkt werden. Für
mittlere Unternehmen hatte sie zunächst einmal 50 Prozent vorgesehen, nun spricht sie nur noch von 45 Prozent.
Für kleine Unternehmen hatte die Kommission 60 Prozent
vorgeschlagen, jetzt spricht sie von 55 Prozent.
Gleichzeitig sagt die Kommission aber auch, dass das
zwischenstaatliche Fördergefälle maximal 30 Prozent
betragen darf. Deswegen müssten diese Fördersätze weiter gesenkt werden. Ich gehe davon aus, dass es beispielsweise in Bayern dann einen Fördersatz von
0 Prozent gäbe. Das ist allerdings für mich im Moment
mündlich nicht darstellbar, weil die Kommission erklärt
hat, dies auf die NUTS-III-Ebene, also die Kreise, herunterzurechnen. Da müsste man sich genauer anschauen, was das im Einzelfall bedeutete.
Ich sage noch einmal: Das ist sicherlich auch in Ihrem
Interesse ein großer Schritt in die richtige Richtung. Wir
werden weiterhin hart daran arbeiten, dass sich die Kommission noch weiter bewegt.
Herr Kollege Hofbauer.
Herr Staatssekretär, Sie haben davon gesprochen,
dass man den Fördersatz auf tschechischer Seite insbesondere im mittelständischen Bereich nur auf 45 Prozent
senken kann, während auf bayerischer Seite die Förderung auf null heruntergefahren wird. Selbst die wenigen
Regionen, die noch in der GA enthalten sind, werden nur
noch mit einem Satz von 15 oder 25 Prozent gefördert.
In diesem Fall haben wir immer noch ein Fördergefälle
von 20 Prozent. Das verkraftet die Region nicht. Teilen
Sie diese Auffassung? Was tun Sie dagegen?
Ich habe Ihnen gerade gesagt, dass sich die Kommission bewegt hat und ein zwischenstaatliches Fördergefälle von jetzt maximal 30 Prozent vorschlägt. Dies
würde bedeuten, dass dann, wenn beispielsweise in Bayern der Fördersatz null beträgt, in Tschechien aber nach
der grundsätzlichen Annahme ein Fördersatz von
45 Prozent möglich wäre, der tschechische Fördersatz
auf 30 Prozent gesenkt wird, weil sonst die Differenz
von 30 Prozent überschritten wird.
All dies sind Schritte in die richtige Richtung. Nach
unserer und - das entnehme ich Ihrer Frage - Ihrer Auffassung sind sie noch nicht weitgehend genug. Deswegen setzen wir uns dafür ein, dass sich die Kommission
noch weiter bewegt.
Ich rufe Frage 21 des Kollegen Michelbach auf:
Mit welchen Mehraufkommen rechnet die Bundesregierung bei Wegfall der Pendlerpauschale und bei Wegfall der
Sonderregelungen für die von der Ökosteuer betroffenen
Wirtschaftszweige?
Herr Kollege Michelbach, Sie haben nachgefragt, was
der Wegfall der Pendlerpauschale an Mehraufkommen
brächte. Die Abschaffung der Entfernungspauschale für
Arbeitnehmer - pro Entfernungskilometer zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bedeutet dies gegenwärtig
30 Cent - würde zu Steuermehreinnahmen von jährlich
rund 4 Milliarden Euro führen: für den Bund 1,8 Milliarden, für die Länder 1,6 Milliarden und für die Gemeinden 0,6 Milliarden Euro. Dies gilt jedoch nur für
den Fall, dass Aufwendungen der Arbeitnehmer für die
Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte generell
nicht mehr als Werbungskosten abgesetzt werden könnten.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage nach dem Mehraufkommen aus der Ökosteuer bei einem Wegfall der bestimmten
Wirtschaftszweigen gewährten allgemeinen Ökosteuerermäßigung auf 60 Prozent der Ökosteuerregelsätze und
des so genannten Spitzenausgleichs: Wir schätzen dieses
Mehraufkommen auf rund 3,7 Milliarden Euro.
Sie haben nach weiteren Ausnahmen gefragt. Bei
Wegfall der Stromsteuerbegünstigung für den Schienenbahnverkehr, der Mineralölsteuerbegünstigung für den
öffentlichen Personennahverkehr, der Begünstigung für
in der Land- und Forstwirtschaft verwendeten Dieselkraftstoff und für die Mineralöle, die zum Beheizen von
Gewächshäusern verwendet werden, kämen etwa
285 Millionen Euro hinzu.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben verdeutlicht, dass ein
solcher Wegfall zusätzliche Belastungen für die betroffenen Wirtschaftszweige bedeuten würde. Gleichzeitig
wird zumindest von einem Teil der Regierungskoalition
eine Fortentwicklung der Ökosteuer propagiert. Wie ist
Ihre Auffassung? Wird es diese weitere Belastung durch
die Fortentwicklung der Ökosteuer geben?
Herr Kollege, Sie haben an meiner distanzierten Art
der Beantwortung Ihrer Frage deutlich vernommen, dass
die Bundesregierung dies nicht plant.
Das heißt, Herr Staatssekretär, Sie lehnen eine weitere
Fortentwicklung der Ökosteuer ab?
Herr Kollege, wie Sie wissen, gibt es europäische
Richtlinien, die Auswirkungen auf die Bundesrepublik
Deutschland haben. Das Finanzministerium wird darauf
entsprechend reagieren und europäisches Recht in deutsches Recht umsetzen müssen. Aber den Wegfall der
Pendlerpauschale beispielsweise plant die Bundesregierung nicht.
({0})
- Es ging um die Abschaffung der Begünstigungen. Wir
sind der Auffassung, dass die betreffenden Betriebe weiterhin auf Begünstigungen bei der Ökosteuer angewiesen sind.
Die Fragen 22 und 23 des Kollegen Seiffert werden
schriftlich beantwortet. Damit sind wir am Ende dieses
Geschäftsbereiches.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit auf. Zur Beantwortung
steht der Parlamentarische Staatssekretär Rezzo
Schlauch zur Verfügung.
Wir kommen zu der Frage 24 Kollegen Hofbauer:
Ist die Bundesregierung darüber informiert, dass unmittelbar am Grenzübergang Furth im Wald/Folmava auf tschechischer Seite ein Einkaufszentrum - 18 800 Quadratmeter Verkaufsfläche - entsteht, bzw. finden Abstimmungsgespräche
zwischen den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland
und der Tschechischen Republik statt, wenn solche Großprojekte mit einem derartigen grenzüberschreitenden Einzugsgebiet entstehen?
Sehr geehrter Herr Kollege Hofbauer, die Fragen 24
und 25 sind eng miteinander verbunden. Daher möchte
ich beide Fragen zusammen beantworten.
({0})
Dann rufe ich die Frage 25 auf:
Wird dieses oder werden ähnliche Projekte mit nationalen
oder europäischen Strukturfördermitteln unterstützt und,
wenn ja, mit welchen Fördersätzen?
Zur Frage 24: Der Bundesregierung ist die beabsichtigte Errichtung eines Einkaufszentrums in Folmava in
der Tschechischen Republik unmittelbar am Grenzübergang Furth im Wald bekannt. Abstimmungsgespräche
zwischen der Bundesregierung und der Tschechischen
Republik über die Errichtung dieses Projektes sind nicht
erfolgt und für solche Projekte generell nicht vorgesehen. Solche Abstimmungsgespräche sind vorrangig
durch die Beteiligten vor Ort zu führen. Im Übrigen
obliegen, wie Sie wissen, Standortentscheidungen den
jeweiligen Investoren, Standortgenehmigungen den jeweils zuständigen nationalen Behörden.
Die Frage 25 beantworte ich wie folgt: Ob und in welchem Umfang das Einkaufszentrum in Folmava mit nationalen oder mit europäischen Strukturfondsmitteln gefördert wird, ist der Bundesregierung nicht bekannt.
Dazu muss man sagen, dass der Bundesregierung generell keine Kenntnisse über die Förderung ähnlicher Projekte vorliegen, da die konkreten Förderentscheidungen
durch die jeweiligen Mitgliedstaaten getroffen werden
und keiner Publizität unterliegen. Dies gilt auch für
Großprojekte mit einem Investitionsvolumen von mehr
als 50 Millionen Euro, die einer gesonderten Genehmigung der Kommission bedürfen. Die Herkunft der Fördersumme wird nicht publik.
Zusatzfragen?
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, geben Sie mir
Recht, dass es Auswirkungen auf beide Seiten der
Grenze hat, wenn unmittelbar hinter der Grenze, noch
nicht einmal 1 Kilometer dahinter, ein solches Zentrum
entsteht? Es sind Planungen und Untersuchungen veröffentlicht, wonach dieses Einkaufszentrum ein Einzugsgebiet von 80 Kilometern haben soll.
Mit der letzten Novellierung des Bundesbaugesetzes
haben wir festgelegt, dass wir bei vergleichbaren Projekten die Nachbarn informieren müssen. Meine erste Frage
lautet: Warum führt die Bundesregierung nicht Gespräche bzw. warum ergreift sie keine Initiativen, um solche
Abstimmungen auch von der anderen Seite verlangen zu
können?
Zweite Frage: Können Sie meine Auffassung teilen,
dass dieses Thema im Rahmen der Beitrittsverhandlungen nicht geregelt wurde, man dieses praktische Beispiel
einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit überhaupt
nicht berücksichtigt hat und dies erhebliche Nachteile
für die Grenzregionen bei der Umsetzung der EU-Osterweiterung mit sich bringt?
Ich habe noch eine Frage zur Förderung, Herr Staatssekretär. Es muss doch - auch auf tschechischer Seite Richtlinien geben. Wenn es eine Förderung gibt, dann
wird sie sicherlich in erster Linie auf europäischer Ebene
erfolgen, weil auf dieser Seite eine Förderung von
46 Prozent möglich ist. Ich bitte Sie darum, sich zu erkundigen, ob aufgrund der Richtlinien auf tschechischer
Seite eine solche Förderung möglich wäre. Denn es versteht wohl niemand, dass wir auf deutscher Seite über
die Stärkung der Innenstädte und Verkaufsflächen von
800 Quadratmetern streiten, während 500 Meter hinter
der Grenze ein Einkaufszentrum mit 20 000 Quadratmetern entsteht. Das sind Verwerfungen in den Grenzregionen, die Probleme bereiten. Ich hoffe, dass auch Sie
diese Probleme wahrnehmen.
Der allgemeine Aspekt - die Frage der Förderkulissen ist vorhin im Zusammenhang mit den Fragen des Kollegen Michelbach ausführlich diskutiert worden. Es ist
völlig klar, dass es Anpassungsschwierigkeiten gibt; das
sieht auch die Bundesregierung. Ich habe mich selber
vor Ort über die Anpassungsschwierigkeiten und - wie
Sie es nennen - Verwerfungen informiert.
Gleichwohl - dabei bitte ich Sie um Verständnis und
ich glaube, dass Sie aufgrund Ihrer kommunalpolitischen Biografie sehr wohl die Zuständigkeitsebenen sehen - müssen Sie zur Kenntnis nehmen, dass die andere
Seite jenseits der Grenze in ihren Entscheidungen autonom ist und von unserer Seite aus wenig bis keine Interventionsmöglichkeiten bestehen. Wie Sie wissen, haben
sich auch in anderen Grenzregionen - zum Beispiel am
Rhein - erst nach und nach auf der lokalen oder der regionalen Ebene solche gegenseitigen Austausch- und Informationsstrukturen herausgebildet. Wie Sie es geschildert haben - das entspricht auch meinem Kenntnisstand
-, sind solche Strukturen in Ihrer Region noch nicht vorhanden.
Gleichwohl kann ich von hier aus nicht beurteilen
- möglicherweise können wir das durch Nachfragen klären -, inwieweit es zu einer europäischen Förderung gekommen ist. Die andere Seite ist aber nicht verpflichtet,
darüber Auskunft zu geben.
Weitere Fragen? - Zunächst hat der Fragesteller noch
Zusatzfragen.
Ich möchte noch eine Frage stellen. - Herr Staatssekretär, ich halte es für gut, dass wir in unser Bundesbaugesetz eine Regelung aufgenommen haben, nach der
sich der Bund verpflichtet, bei vergleichbaren Projekten
die Nachbarn zu informieren, und damit auch regionale
Einrichtungen ermächtigt hat. Insofern erwarte ich von
der Bundesregierung, dass sie mit der tschechischen Regierung verhandelt, damit auch auf der Gegenseite solche Vereinbarungen möglich werden und auf den regionalen Ebenen entsprechende Gespräche geführt werden
können. Nach dem geltenden Recht können solche Gespräche meines Wissens - ich weiß nicht, ob ich richtig
informiert bin; deshalb stelle ich diese Frage - nicht
stattfinden.
Gespräche können immer stattfinden. Insofern nehme
ich die Anregung gerne auf, vorzufühlen, ob es entsprechende Überlegungen gibt. Wie Sie wissen, haben wir
aber keine Möglichkeit, direkt zu intervenieren bzw. eine
entsprechende Gesetzgebung zu fordern. Ich gebe aber
gerne weiter, was Sie als Anlass sehen, solche Gespräche aufzunehmen.
Herr Kollege Michelbach.
Herr Staatssekretär, sehen Sie nicht die Möglichkeit
- auch deshalb, weil in einem gemeinsamen EU-Binnenmarkt keine unterschiedliche Förderung der Branchen
zulässig ist -, beim EU-Binnenkommissar eine Missbrauchskontrolle für dieses Objekt zu veranlassen? Denn
in Deutschland sind Handelsunternehmungen wie das
Projekt, das in Tschechien gebaut werden soll, grundsätzlich nicht förderfähig. So gelten von vornherein
keine gleichen Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt. Wir bekommen so etwas wie einen Binnenmarkt
Wildwest, wenn bestimmte Branchen in einem Land förderfähig werden, während sie es in einem anderen Land,
das dem gleichen Binnenmarkt angehört, nicht sind. Ich
glaube, es ist notwendig, hier eine Missbrauchskontrolle
zu veranlassen. Ich bitte Sie herzlich, diesem Punkt
grundsätzlich Gewicht zu verleihen; denn letzten Endes
kann es nicht angehen, dass entlang der Ländergrenzen
überall die Landesentwicklung zerstört wird, die auch in
einem gemeinsamen Binnenmarkt notwendig ist. Das ist
ein wichtiges Anliegen, denn sonst würde Kaufkraft aus
Deutschland beliebig abgezogen werden können.
So wie ich es verstehe, braucht man für die Einleitung
einer Missbrauchskontrolle zuerst Anhaltspunkte für einen Missbrauch. Einen solchen Anhaltspunkt kann ich in
der bloßen Tatsache, dass ein Einkaufszentrum auf
tschechischer Seite entsteht, nicht sehen. Ich möchte in
diesem Zusammenhang übrigens darauf hinweisen, dass
es Verwerfungen - natürlich in einem anderen Maßstab
und auf einer anderen Ebene - auch im Innern gibt,
wenn beispielsweise ein riesiges Einkaufszentrum auf
der grünen Wiese vor den Toren einer kleinen Stadt errichtet wird. Sicherlich hat die von Ihnen angesprochene
Verwerfung eine andere Dimension; das gestehe ich Ihnen gerne zu. Aber solange man keine konkreten Anhaltspunkte für einen Missbrauch hat, ist es schwierig,
eine Missbrauchskontrolle einzuleiten.
Die Fragen 26 und 27 der Kollegin Dr. Lötzsch werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht
der Parlamentarische Staatssekretär Wagner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 28 der Kollegin Petra Pau auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die gegenwärtige Gefahrenlage für die Wiederaufbauteams der Bundeswehr in Afghanistan, Kunduz und Faizabad und treffen Meldungen in
den Medien zu - „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom
10. Januar 2005 -, dass die Bundesregierung eine Verstärkung
des Afghanistaneinsatzes plant?
Herr Wagner, bitte.
Frau Kollegin Pau, die Sicherheitslage für Gesamtafghanistan wird unverändert als nicht ruhig und nicht
stabil beurteilt. Vereinzelte, anlassbezogene Störaktionen bis hin zu flächendeckenden Aktivitäten sind nach
wie vor nicht auszuschließen und werden im ISAFSicherheitskonzept berücksichtigt. Die Sicherheitslage
für den Raum der ISAF-Wiederaufbauteams, PRTs, in
Kunduz und Faizabad ist im landesweiten Vergleich ruhiger. Das schließt aber nicht aus, dass es, wie in der
Vergangenheit geschehen, auch in dieser Region zu Anschlägen auf das ISAF-Kontingent kommen kann.
Maßnahmen zur Reform des Sicherheitssektors werden - genauso wie die Ausweitung des Einflusses der
Zentralregierung - nicht bei allen regionalen und lokalen
Gruppierungen auf Zustimmung stoßen. Dies gilt ebenfalls für den Bereich der Drogenbekämpfung durch die
afghanische Regierung und die sie unterstützende internationale Gemeinschaft, da auf der lokalen und der
regionalen Ebene Politiker und Vertreter der lokalen Administration bzw. des Sicherheitsapparates der Nordostregion in die organisierte Kriminalität und den
Drogenanbau verstrickt sind. Die militärische Sicherheitslage für das ISAF-Wiederaufbauteam in Kunduz
und Faizabad wird derzeit aber unverändert als überwiegend ruhig, jedoch nicht als stabil bewertet.
Die Bundeswehr plant gegenwärtig keine Verstärkung
ihrer Kräfte. Im Zuge der durchzuführenden Parlamentsund Distriktwahlen 2005 wird es ähnlich wie bei den
Präsidentschaftswahlen im September 2004 zu einer
Verstärkung der internationalen Truppenkontingente
kommen, um die afghanische Regierung bei der Absicherung der Wahlen zu unterstützen. Inwieweit die Bundeswehr davon betroffen sein wird, wird ein internationaler Abstimmungsprozess ergeben. Es gibt dazu aber
momentan keine konkreten Planungen, da der Durchführungszeitraum für die Wahlen noch nicht endgültig festgelegt ist.
Erste Zusatzfrage, Frau Pau.
Herr Staatssekretär, wir haben am 30. September des
vergangenen Jahres über die Ausdehnung des Afghanistaneinsatzes auf Faizabad hier im Bundestag debattiert.
Dieser Einsatz wurde beschlossen. In diesem Zusammenhang nahm die Debatte über die Nichtbeteiligung
der Bundeswehrsoldaten an der Drogenbekämpfung einen recht breiten Raum ein. Ich erinnere an die entsprechende Aktennotiz, wonach ausgeschlossen ist, dass sich
die Bundeswehr an diesen Einsätzen beteiligt.
In diesem Zusammenhang frage ich Sie: Wann genau
und auf welchem Weg sind der Bundesregierung die britischen und amerikanischen Pläne bekannt geworden,
den Drogenanbau - davon ist ausdrücklich die Rede offensiv zu bekämpfen? Wie beurteilen Sie die Auswirkungen dieser Offensive auf die Sicherheit der Bundeswehrsoldaten? Anders gefragt: Wie sollen eventuell aufgebrachte Drogenhändler - ich weiß eigentlich nicht,
wie ich diese Personen bezeichnen soll; dort haben sich
schon fast kleine Fürstentümer entwickelt - zwischen
den unterstützenden Bundeswehrsoldaten und den aktiv
die Drogen bekämpfenden amerikanischen und britischen Soldaten unterscheiden?
Die allgemeinen Bemühungen der Amerikaner und
der Briten, den Drogenanbau zusammen mit der afghanischen Regierung zu bekämpfen, sind seit einigen Monaten bekannt. Konkrete Schritte sind für die nächsten Wochen angekündigt; schließlich beginnt der Mohn jetzt zu
blühen.
Wir sind an der Drogenbekämpfung zwar nicht direkt
beteiligt - das ist ausgeschlossen -, aber sozusagen als
Gastgeber britischer und amerikanischer Einheiten, die
diese Aufgaben zusammen mit der afghanischen Polizei
zu erfüllen versuchen. Insofern sind wir mittelbar beteiligt, auch wenn wir nicht aktiv eingreifen werden. Falls
sich die entsprechenden Fragen stellen, wird man sie
pragmatisch beantworten müssen.
Zweite Zusatzfrage.
Darf ich das so verstehen, dass die Bundesregierung
vor dem Hintergrund der Vorbereitung dieser Maßnahmen noch keine zusätzlichen Anordnungen getroffen
hat, um die Sicherheit der eingesetzten Bundeswehrsoldaten zu gewährleisten bzw. eine differenzierte Sicherheitsabschätzung vorzunehmen?
Nein, die Sicherheitsabschätzung findet täglich dort
vor Ort statt. Das kann von hier aus nicht beurteilt werden. Falls irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen sein
sollten, werden sie eingeleitet.
Die Fragen 29 und 30 der Kollegin Andrea Voßhoff
und des Kollegen Clemens Binninger werden schriftlich
beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf. Zur
Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Iris Gleicke bereit.
Ich rufe die Frage 31 der Kollegin Veronika Bellmann
auf:
Gibt es Pläne der Bundesregierung, noch vor der Bundestagswahl im Jahr 2006 ein Investitionsprogramm unter anderem zugunsten von Baumaßnahmen der öffentlichen Hand
und der Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur aufzulegen,
und, wenn ja, wird aus diesem Programm der Bau von dringend benötigten Vorhaben zum Beispiel des Bundesverkehrswegeplans - beispielsweise die Ortsumgehung Marienberg-Bundesstraße B 174 - ermöglicht?
Schönen Dank, Herr Präsident. - Liebe Frau Kollegin
Bellmann, am 9. Juli 2004 hat der Bundesrat das Erste
Gesetz zur Änderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes und das Fünfte Gesetz zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes beschlossen. Auf dieser Grundlage stellt der Bundesminister für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen derzeit Fünfjahrespläne für die Bereiche Bundesschienenwege und Bundesfernstraßen auf.
Der Abschluss dieser Arbeiten ist noch dieses Jahr vorgesehen.
Der Fünfjahresplan zum Ausbau der Bundesfernstraßen bildet dann den Rahmen für die Aufstellung der
jährlichen Straßenbaupläne. Aussagen über einzelne
Maßnahmen und den finanziellen Gestaltungsspielraum
für neue Straßenbauprojekte sind deshalb derzeit nicht
möglich.
Zusatzfrage.
Meine Frage zielt darauf ab, ob das in Pressemitteilungen vielfach angekündigte Sonderinvestitionsprogramm der Bundesregierung zum Ende des Jahres
eventuell Verkehrsinfrastruktur- und sonstige Strukturmaßnahmen beinhaltet. Ich möchte gern wissen, ob in
der Bundesregierung über ein solches Investitionsprogramm nachgedacht wurde und ob es schon konkrete
Wir arbeiten das, was wir angefangen haben, nämlich
den Bundesverkehrswegeplan, die diesbezüglichen Ausbaugesetze, die Fünfjahrespläne und die jährlichen Bauprojekte, ab. Das habe ich Ihnen gerade dargestellt. Insofern wird nur in diesem Rahmen darüber zu reden sein,
wie die Maßnahmen im Einzelnen finanziert werden.
Nach Ihren Aussagen gibt es also kein gesondertes Investitionsprogramm?
Ich habe kein gesondertes Investitionsprogramm angekündigt.
Die Frage 32 der Kollegin Connemann wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe nun die Frage 33 des Kollegen Volkmar Uwe
Vogel auf:
Kann vor dem Hintergrund widersprüchlicher Presseaussagen im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion um
den Flughafen Altenburg-Nobitz die Landesluftfahrtbehörde
oder aber der Flugplatzbetreiber in jeweils eigener Zuständigkeit von den Vorgaben des Bundes, also den Richtlinien über
die Hindernisfreiheit an Flugplätzen mit Instrumentenlandebahnen, abweichen oder muss hierzu die Landesluftfahrtbehörde oder aber der Flugplatzbetreiber zunächst eine Stellungnahme des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen einholen?
Lieber Herr Kollege Vogel, nach Nr. 3 der Richtlinien
über die Hindernisfreiheit für Start- und Landebahnen
mit Instrumentenflugbetrieb vom 2. November 2001 beziehen sich die Anforderungen an die Hindernisfreiheit
auf die beabsichtigte Nutzungsart einer Start- bzw. Landebahn, das heißt Start und/oder Landung. Soll von diesen Anforderungen an die Hindernisfreiheit abgewichen
werden, ist eine Stellungnahme des Bundesministeriums
für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen einzuholen. Alternative Maßnahmen wie die Beseitigung des Hindernisses oder die Verlegung des Aufsetzpunktes, durch die
die Anforderungen an die Hindernisfreiheit erfüllt werden, bedürfen dagegen keiner Stellungnahme des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen.
Zusatzfrage.
Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin, als Erstes am
Rande Folgendes: Ich soll Ihnen einen schönen Gruß
von Karl-Heinz Tobias bestellen; wir beide kennen ihn.
Danke schön. - Das ist mein Onkel. Das sage ich nur,
damit hier keine Missverständnisse entstehen.
({0})
Der Austausch von Grußadressen ist in der Geschäftsordnung nicht ausdrücklich vorgesehen. Es gibt aber
auch keine zwingende gegenteilige Bestimmung.
({0})
Wir danken für die Freundlichkeit, Herr Präsident.
Entschuldigung, Herr Präsident; aber so sind wir Thüringer halt.
Nun zu meiner Zusatzfrage. Welche Maßnahmen ergreift das Ministerium als zuständige Fachaufsichtsbehörde für den Fall, dass die zuständige Stelle - ich gehe
davon aus, dass die Landesluftfahrtbehörde zuständig
ist; den Teil der Frage, nämlich ob die Landesluftfahrtbehörde oder der Flugplatzbetreiber zuständig ist, haben
Sie mir nicht beantwortet - die Stellungnahme nicht umsetzt bzw. sich nicht daran hält?
Es ist völlig klar, dass das Land für Genehmigung und
Betrieb von Flughäfen zuständig ist. Insofern ist auch
dafür zu sorgen, dass die Hindernisfreiheit auf den Flugflächen bzw. im Anflug- oder im Abflugbereich gewährleistet wird. Dazu gibt es Absprachen bzw. internationale
Rechtsregeln. Sie kennen die ICAO-Regelungen auch
aus dem Ausschuss; darüber ist mehrfach gesprochen
worden. Sie sind in nationales Recht übernommen worden.
Wenn man von diesen Regeln abweichen will, wie
das in Altenburg in der Vergangenheit der Fall gewesen
ist, braucht man eine Stellungnahme des Bundes. Dazu
hat es eine Genehmigung für Altenburg gegeben. Aber
am 17. Dezember des vergangenen Jahres hat das Thüringer Ministerium gesagt, dass Hindernisse vorhanden
sind, aufgrund deren der Flugverkehr nicht mehr ermöglicht werden kann, und den Flughafenbetrieb sozusagen
eingestellt. Das liegt in alleiniger Verantwortung des
Freistaats Thüringen.
Weitere Grüße, bitte schön.
Weitere Grüße nicht - solche erst wieder in der nächsten Fragestunde -, aber eine weitere Zusatzfrage. Muss
eigentlich ein Flugplatz mit Instrumentenlandesystem in
jedem Fall die Hindernisfreiheit nach der eben genannten Richtlinie nachweisen oder gibt es dafür auch einfachere bzw. andere Nachweismöglichkeiten?
Es muss eine Hindernisfreiheit gewährleistet werden,
bei der Genehmigung und Betrieb des Flughafens möglich sind. Für Thüringen galt eine Hindernisfreiheit im
Verhältnis von 1 : 40, bei einem Anflugwinkel von
3,3 Grad. So war das mit der Deutschen Flugsicherung
auch abgesprochen und genehmigt.
Wenn im Verlauf von Jahren beispielsweise Bäume
wachsen oder sich andere Hindernisse erhöhen, gibt es
natürlich auch andere Möglichkeiten als die, die Anflugverfahren zu verändern, nämlich die Möglichkeit, Hindernisse zu beseitigen, beispielsweise das Fällen von
Bäumen, wie das in Thüringen bereits geschehen ist, was
dazu geführt hat, dass der Flughafen wieder geöffnet ist.
Mir scheint, dass Thüringen an dieser Stelle mit einer
besonderen Widrigkeit zu kämpfen hat, nämlich mit
wandernden Bäumen, die sich schon mal von sächsischem Gebiet ins thüringische Gebiet aufmachen. Das
ist natürlich, wie ich gern zugeben will, eine besondere
Widrigkeit. Aber dennoch ist durch das Fällen der
Bäume die Hindernisfreiheit hergestellt und der Flugbetrieb wieder aufgenommen worden - in alleiniger Zuständigkeit des Freistaats.
({0})
Ich rufe die Frage 34 des Abgeordneten Vogel auf:
Mit welchen konkreten Maßnahmen wird die Bundesregierung dem Freistaat Thüringen und den Gesellschaftern der Flugplatz Altenburg-Nobitz GmbH vor dem Hintergrund des von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gestellten Antrages „Luftverkehrsstandort Deutschland - Koordination
und Kooperation verbessern - Nachhaltigen Luftverkehr für
die Zukunft sichern“, Bundestagsdrucksache 15/4518, und der
darin formulierten erheblichen Bedenken gegen Regionalflughäfen und Billigflieger helfen, die Zukunft des Flugplatzes
Altenburg-Nobitz zu sichern?
Bitte.
Herr Kollege Vogel, grundsätzlich sind gemäß § 31
Abs. 2 Nr. 4 Luftverkehrsgesetz die Länder im Rahmen
der Bundesauftragsverwaltung für die Genehmigung und
den Betrieb von Flugplätzen in eigener Zuständigkeit
verantwortlich.
Zusatzfrage.
Ich hatte ja die Frage gestellt, ob Sie an dieser Stelle
helfen können. Sie haben diese Frage - davon gehe ich
angesichts Ihrer Antwort aus - verneint. Es ist also
einzig und allein Aufgabe der Länder bzw. der dort zuständigen Behörden.
Trotzdem stellt sich für mich noch folgende Frage: Im
Antrag zum Luftverkehrsstandort Deutschland, der ja
heute im Ausschuss mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen mehrheitlich beschlossen worden ist, schlagen Sie einen Masterplan, sprich: ein Flughafenkonzept,
vor. Warum verzichten Sie dabei darauf, die betroffenen
Regionen und auch die kommunalen Vertreter mit einzubeziehen und ihnen ein Anhörungsrecht im Rahmen der
Erstellung des Masterplans zu geben?
Den Sachverhalt haben Sie in Ihrer Frage so nicht geschildert. Sie haben danach gefragt, welche konkreten
Maßnahmen vorgesehen sind. Ich habe Ihnen gesagt,
dass Flughäfen in den Regionen von den Ländern genehmigt und damit auch finanziert werden. Von ihnen muss
auch der Betrieb abgesichert werden.
Im Antrag der Koalitionsfraktionen, der heute im
Ausschuss mit Mehrheit angenommen worden ist, finden sich Punkte dazu, wie man die Zusammenarbeit und
Koordinierung zwischen den Ländern verbessern kann.
Solche Fragen, nämlich die Fragen der Arbeitsteilung
zwischen Bund und Ländern, werden natürlich derzeit
auch im Bund/Länder-Fachausschuss unter Berücksichtigung des Masterplans der Industrie, der sich ja aus der
Luftverkehrsinitiative entwickelt hat, abgesprochen.
Diese Diskussion sollten wir uns gönnen. Wir diskutieren ja auch im europäischen Maßstab über Absprachen
und Koordination.
Im Antrag der Koalitionsfraktionen findet sich auch
- das halte ich für wichtig -, dass die vorhandene Flughafeninfrastruktur in Deutschland insbesondere im Hinblick auf die Funktion Deutschlands als internationaler
Luftverkehrsstandort wettbewerbsfähig weiterzuentwickeln ist usw. Insofern sind die Diskussionen mit den
Ländern ganz wichtig. Hier müssen wir auch Absprachen treffen, wie man zu einer besseren Koordination
und Verknüpfung kommen kann.
Letzte Zusatzfrage.
Halten Sie, was den Flughafen Altenburg-Nobitz angeht, eine solche Anhörung für notwendig, oder kann
man davon ausgehen, dass die Zukunft des Flughafens
gesichert wird, indem die Möglichkeit gegeben wird,
dass dort auch Flugzeuge mit einem Gewicht von über
14 Tonnen starten und landen dürfen?
Herr Kollege Vogel, die Rechtslage ist ganz klar: Der
Freistaat Thüringen ist für Genehmigung und Betrieb
des Flughafens Altenburg zuständig. Ob wir in Zukunft
zu einer besseren Zusammenarbeit der Bundesländer untereinander, aber auch mit dem Bund kommen, das wird
sich dann zeigen, wenn die Gespräche mit den Ländern
abgeschlossen sind.
({0})
Ihre letzte Bemerkung war jetzt nur eine Feststellung
und keine Frage mehr; denn diese wäre gar nicht mehr
möglich gewesen.
Die Frage 35 wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 36 des Kollegen Hellmut
Königshaus auf:
Ist die Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin
beim Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Angelika Mertens auf meine Fragen 57 und 58 in der Fragestunde am 15. Dezember 2004, Plenarprotokoll 15/147, Seite
13753 D, so zu verstehen, dass es nach Auffassung der Bundesregierung nicht zu beanstanden sei, wenn das EisenbahnBundesamt, EBA, als Beteiligter in einem Verfahren vor dem
Bundesverwaltungsgericht unzutreffende Darstellungen abgab bzw. seit dem Zeitpunkt der Planfeststellung unzutreffend
gewordene Darstellungen über die zu diesem Zeitpunkt bereits bekannte, aber vom EBA gegenüber dem Gericht bestrittene Verlagerung von Verkehr von der Dresdner auf die Anhalter Bahn aufrechterhielt, obgleich es wusste oder aufgrund
seiner Fachkenntnis hätte wissen müssen, dass genau diese
falsche Darstellung die Entscheidung des Gerichts wesentlich
beeinflussen würde und im konkreten Fall schließlich auch
zur Klageabweisung geführt hat?
Herr Kollege Königshaus, die Bundesregierung teilt
Ihre Auffassung nicht. Ich verweise auf meine ausführlichen schriftlichen Antworten auf Ihre Fragen 35 und 36
in der Fragestunde am 1. Dezember 2004 sowie auf die
Antworten meiner Kollegin, der Parlamentarischen
Staatssekretärin Angelika Mertens, auf Ihre Fragen 57
und 58 in der Fragestunde am 15. Dezember 2004.
Herr Königshaus.
Verehrte Frau Staatssekretärin, genau an dem Tage,
als Herr Staatssekretär Großmann mir die Antwort gab,
nämlich am 10. November letzten Jahres, fand vor dem
Bundesverwaltungsgericht ein weiteres Verfahren statt,
das auch den hier in Rede stehenden Abschnitt der Anhalter Bahn betraf. Wie erklären Sie es sich, dass die
Bundesregierung hier offenbart hat, dass keinesfalls vor
dem Jahre 2012 Verkehr auf der Dresdner Bahn möglich
sein werde und dieser bis zur Vollauslastung auf der Anhalter Bahn abgewickelt werde, das Eisenbahn-Bundesamt und die DB AG vor dem Verwaltungsgericht aber
behauptet haben, hierfür gebe es keine Anhaltspunkte?
Spricht das nicht dafür, dass entweder die Bundesregierung eine falsche Darstellung gegeben hat oder dass das
Eisenbahn-Bundesamt vor dem Bundesverwaltungsgericht eine falsche Angabe gemacht hat?
Nein, Herr Kollege Königshaus. Bei allem Respekt
muss ich sagen - ich habe ein wenig den Eindruck, dass
Sie den Vertretern des EBA vorwerfen, vor Gericht nicht
korrekt ausgesagt zu haben -, dass Ihre Auffassung auf
einem Missverständnis beruht. Wir haben über diese
Frage einen regen Schriftverkehr miteinander geführt
und haben uns in mehreren Fragestunden über das entsprechende Planfeststellungsverfahren, zu dem das Bundesverwaltungsgericht eine Entscheidung getroffen hat,
und seine Grundlagen ausgetauscht.
Ich habe den Eindruck, dass wir an dieser Stelle nicht
weiterkommen. Ich biete Ihnen an, dass wir uns mit den
Fachleuten meines Hauses zusammensetzen und die
Punkte im Einzelnen durchgehen. Ich kann an dieser
Stelle nur bestätigen, dass wir anderer Auffassung sind
als Sie.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, es ist jetzt in der Tat das vierte
Mal, dass wir uns mit diesem Problem befassen, und jedes Mal erweckt die Bundesregierung den Eindruck, sie
verstehe nicht, worum es gehe. Ich frage - genau darum
geht es -, ob die Bundesregierung erkennt, dass die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts auf der falschen Sachdarstellung des Eisenbahn-Bundesamtes beruht. Denn auf meine Fragen wird mir immer
geantwortet - das ist der Zirkelschluss -, das Bundesverwaltungsgericht habe so entschieden.
Meine Bitte ist, dass Sie meine Frage, ob das Eisenbahn-Bundesamt eine falsche Auskunft gegeben hat, beantworten. Wenn Ihre Antwort Nein lautet, dann muss
ich weiter fragen: Wieso kommt die Bundesregierung
am gleichen Tag zu einer gegenteiligen Auffassung?
Was gilt denn jetzt?
Herr Kollege Königshaus, ich wiederhole es: Wir teilen Ihre Auffassung nicht, dass das EBA falsche Informationen gegeben hat.
Also hat Herr Staatssekretär Großmann falsche Angaben gemacht.
Nein.
Ich rufe die Frage 37 auf:
Ist aus der genannten Antwort ferner zu schließen, dass die
Bundesregierung glaubt, hinsichtlich des EBA weder Fachnoch Dienstaufsicht ausüben zu dürfen, und wie will die Bundesregierung dann sicherstellen, dass diese Behörde nicht
zulasten der betroffenen Kläger vor dem Bundesverwaltungsgericht unwahre Sachverhaltsdarstellungen abgibt und womöglich auch zukünftig in weiteren Verfahren abgeben kann?
Die Bundesregierung übt die Fach- und Dienstaufsicht gegenüber dem Eisenbahn-Bundesamt aus. Bezüglich der Planfeststellungsverfahren ist es jedoch nicht zulässig, dass die Bundesregierung eigene Erwägungen an
die Stelle der Abwägungen der fachlich zuständigen
Planfeststellungsbehörde setzt. Zur Rechtmäßigkeitskontrolle der Entscheidung des Eisenbahn-Bundesamtes
als Planfeststellungsbehörde sind die Gerichte berufen.
Bitte.
Frau Staatssekretärin, sieht die Bundesregierung
keine Möglichkeit, auf Fehlverhalten - aus Sicht der
Bundesregierung kann Fehlverhalten möglicherweise
auch dann gegeben sein, wenn eine Bundesoberbehörde
vor einem obersten deutschen Gericht falsche Angaben
macht - in irgendeiner Weise zu reagieren? Wollen Sie
uns allen Ernstes sagen, die Bundesregierung habe keinen Einfluss auf die Behörde und könne deswegen keine
Konsequenzen ziehen?
Herr Kollege Königshaus, Sie setzen voraus, dass
Ihre Auffassung, das EBA habe vor Gericht falsche Aussagen gemacht, von uns geteilt wird. Ich habe Ihnen
schon in meinen Antworten auf Ihre beiden Fragen - in
den vier Fragestunden zuvor ist Ihnen das auch von
Herrn Großmann, von Frau Mertens und von mir mitgeteilt worden - deutlich gesagt: Wir teilen Ihre Auffassung nicht. Insofern ist das, was Sie sagen, gegenstandslos.
Letzte Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, die letzte Frage bezog sich ganz
allgemein auf die Aussage von Frau Staatssekretärin
Mertens, dass die Bundesregierung keinerlei Möglichkeit habe, auf diese von Ihnen offenbar lediglich für
theoretisch gehaltene Möglichkeit zu reagieren. Meine
Frage lautete also, ob die Bundesregierung tatsächlich
keine Möglichkeit sieht, auf ein solches Missverhalten
zu reagieren und es gegebenenfalls entsprechend zu
sanktionieren. - Das nur zur Klarstellung.
Meine weitere Frage bezieht sich ebenfalls auf den
10. November, über den ich gerade gesprochen habe. Da
hat nämlich der vom Eisenbahn-Bundesamt berufene
Gutachter erklärt, er wolle als ehrlicher Mensch sterben
und deshalb darauf hinweisen, dass die ermittelten und
vorgetragenen Schallpegel falsch seien.
Herr Kollege Königshaus, ich will versuchen, es noch
einmal zu erläutern. Selbstverständlich übt die Bundesregierung die Fach- und Dienstaufsicht gegenüber dem
EBA aus. Selbstverständlich gibt es immer Sanktionsmöglichkeiten, wenn ein Fehlverhalten vorliegt. Ich
habe Ihnen aber auch gesagt: Das Fehlverhalten stellt ein
Gericht fest. Wir teilen Ihre Auffassung nicht, dass hier
ein Fehlverhalten vorliegt.
Ich lade Sie aber gerne noch einmal ein - ich wiederhole meine Einladung - denn ich habe den Eindruck,
dass wir uns hier permanent im Kreise drehen. Ich
möchte deshalb den Versuch unternehmen, Ihre Fragen
noch einmal in unserem Hause mit den Fachleuten zu erläutern und zu klären.
({0})
Mit dieser freundlichen Einladung und Ihrer prompten Annahme sind wir am Ende der heutigen Fragestunde.
Ich unterbreche die Sitzung bis 15.35 Uhr. Die Sitzung wird dann mit der Aktuellen Stunde fortgesetzt.
({0})
Ich eröffne die unterbrochene Sitzung.
Ich rufe Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der FDP
Haltung der Bundesregierung zu überhöhten
Dioxinwerten in Hühnereiern aus Freilandhaltung
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für
den Antragsteller der Kollege Hans-Michael Goldmann
von der FDP-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Frau Künast, um es gleich vorweg zu
sagen - ich sage immer, was ich meine -: Sie können es
drehen und wenden, wie Sie wollen, aber Sie haben im
Bereich des vorbeugenden Verbraucherschutzes schlicht
und ergreifend gepfuscht.
({0})
- Sie können gerne nachher sprechen.
({1})
Sie haben gepfuscht gegenüber den Verbrauchern, indem Sie sie nicht in genügendem Maße darauf hingewiesen haben, dass es bei Eiern von Freilandhühnern möglicherweise eine Dioxingefahr gibt.
({2})
Sie haben auch gepfuscht im Hinblick auf die Landwirte,
die sich dieser Produktionsform bedienen. Sie haben sie
aus meiner Sicht ohne Not der Situation ausgesetzt, mit
der sie im Moment zu kämpfen haben. Wenn Sie sie vorher über die Gefahren informiert hätten, wäre das etwas
anderes. Ich will sehr deutlich sagen, dass es unser gemeinsamer Auftrag sein wird, dafür zu sorgen, dass dies
nicht denen, die diese Produktion betreiben, angelastet
wird. Es muss klar sein, wer hier in der Verantwortung
ist. Das sind ganz eindeutig Sie.
({3})
Frau Künast, das hat Methode. Seitdem Sie dieses
Ressort übernommen haben, verteufeln Sie die konventionelle Landwirtschaft. Das haben Sie in vielen Reden
- ich habe das nachgelesen - deutlich gemacht. Sie glorifizieren die ökologische Landwirtschaft, wobei nicht
alles automatisch ökologisch ist; das weiß ich sehr wohl.
Ihnen war bekannt, dass hier die Möglichkeit einer
Dioxinbelastung besteht. Deswegen haben Sie sich auf
europäischer Ebene in diesem Bereich besonders engagiert.
({4})
Ihnen ist auch bekannt, dass die Dioxinwerte bei
Eiern von Hühnern aus Käfighaltung im Schnitt wesentlich unter den entsprechenden Werten bei Freilandeiern
liegen. Sie sollten sich die Unterlagen aus NordrheinWestfalen einmal genau ansehen. Dann werden nämlich
auch Sie feststellen, dass die mögliche Dioxinbelastung
bei Freilandeiern und bei Eiern von Hühnern aus Käfighaltung nicht gleich hoch ist. Es gibt erhebliche Unterschiede. Das muss aus meiner Sicht immer wieder deutlich gemacht werden.
Wenn es darum geht, Hühnerhaltungsformen zur Produktion von Eiern zu entwickeln, haben Sie immer den
Tierschutz vor den Verbraucherschutz gestellt. Schauen
Sie sich Ihre eigene Kampagne „Freiheit schmeckt besser“ an! Eine solch populistische Aussage ist gefährlich,
wenn man weiß, dass es bei freieren Formen der Hühnerhaltung durchaus die Möglichkeit von Belastungen
gibt.
Es geht nicht nur um Dioxin. Ich weiß nicht, ob Sie
davon Ahnung haben; sonst fragen Sie Herrn Priesmeier.
Herr Dr. Priesmeier hat heute Morgen im Ausschuss gesagt, dass es auch ein Salmonelloseproblem gibt.
({5})
Uns, die wir von diesen Dingen Kenntnis haben, ist bekannt, dass es bei diesen Haltungsformen bezüglich der
Todesrate ernst zu nehmende Differenzen gibt. Frau
Ministerin, so etwas können Sie nicht mit der Kampagne
„Freiheit schmeckt besser“ abtun. Es geht nicht nur darum, wie etwas schmeckt, sondern es kommt auch entscheidend darauf an, wie gesund es ist.
({6})
Über eines sind wir uns doch einig: Wir müssen gemeinsam dafür kämpfen, dass die Dioxinbelastung in allen Lebensmitteln so gering wie irgend möglich ist.
Nichts anderes kann in diesem Bereich unser Auftrag
sein.
Wenn Sie dann das Ende der Käfigbatterien herausstellen und es glorifizieren, dann müssen Sie sich wirklich fragen, ob Sie in diesem Bereich nicht ein bisschen
mehr Kompromissfähigkeit an den Tag legen sollten. Ich
kann Sie da nur auf den Kollegen Backhaus verweisen,
der Sie heute wiederum auffordert: Bewegen Sie sich
von der Position der Ablehnung der Volierenhaltung
weg! Nehmen Sie das Votum der Länder ernst. Das ist
kein Votum von Legehennenhaltern oder von Eierproduzenten; vielmehr ist das ein Votum aller Länder, in denen
Agrarwirtschaft in diesem Bereich betrieben wird. Ich
kann Sie nur herzlich bitten, in diesem Bereich ein Stück
mehr Vernunft an den Tag zu legen.
({7})
Uns, die wir um diese Probleme bei der Freilandhaltung wissen, sollten Sie nicht vorwerfen, dass wir Dinge
skandalisieren. Vielmehr sollten Sie sich selber vorwerfen, dass Sie ein Problem, von dem Sie wussten, dass es
auf Sie zukommt, nicht gelöst haben. Es war Ihnen bekannt, dass es zum 1. Januar 2005 neue Bestimmungen
in diesem Bereich gibt. Das ist nicht vom Himmel gefallen; es wussten alle, dass ab 1. Januar 2005 dieser neue
Wert - 3 Pikogramm - gilt. Wir können uns lange darüber unterhalten, wie sinnvoll dieser Wert ist. Aber Sie
gehören doch zu denjenigen, die immer wieder nach
Grenzwerten rufen.
({8})
Ich finde es zum Teil sehr eigenartig, was im Moment
passiert, dass nämlich Leute, die scheinbar Freilandeier
essen, sagen: Ich esse genauso viele Eier wie vorher. Das
sind die gleichen Leute, die bei anderen Gelegenheiten
immer rufen: Schon wieder ein Problem im Bereich der
Produktion.
Nein, Frau Künast, es tut mir Leid, aber Sie haben das
wirklich provoziert. Ihre einseitige Sicht der Dinge führt
dazu, dass wir es hier mit einem Problem zu tun haben,
das mit Ihrem Ziel eines vorbeugenden Verbraucherschutzes nicht in Übereinstimmung zu bringen ist.
({9})
Lassen Sie uns gemeinsam auf den Weg machen und
das Problem an der Wurzel packen und beseitigen. Lassen Sie uns Hilfen für die Betriebe anbieten, die im Moment darunter leiden, dass Sie versagt haben und sich
nicht in genügendem Maße um die Lösung dieser Probleme gekümmert haben.
Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Gabriele Hiller-Ohm von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Goldmann, Sie haben kräftig gekräht, aber, wie fast
immer, nur ein Windei gelegt.
({0})
Ich kehre jetzt zur Sachlichkeit zurück. Es ist schon
spannend:
({1})
Gerade rechtzeitig zur Grünen Woche ist unser Kollege
Goldmann von der FDP-Fraktion gemeinsam mit seinen
Freunden von der „Bild“-Zeitung plötzlich überhöhten
Dioxinwerten auf die Spur gekommen,
({2})
diesmal in Hühnereiern. Was ist dran am Dioxin im
Hühnerei aus Freilandhaltung? Die FDP hat für dieses
Thema heute eine Aktuelle Stunde beantragt, um den
Eindruck zu vermitteln: Leute, diese Meldung ist
topaktuell. Ist sie aber nicht, meine Damen und Herren.
Man hat bereits in den 80er-Jahren erkannt, dass Eier aus
Freilandhaltung stärker mit Dioxin belastet sein können
als Eier aus Käfighaltung.
({3})
Wohlgemerkt: können. Sie müssen nicht zwangsläufig
stärker belastet sein.
Freilandhaltung von Hühnern findet, wie der Name
schon sagt, im Freien statt. Leider haben wir Menschen
seit der Industrialisierung schlimme Fehler an der Umwelt begangen; hierzu gehört auch die Vergiftung der
Böden mit Dioxin.
({4})
Insgesamt konnte die Dioxinbelastung in den letzten
Jahren durch eine konsequente Umweltpolitik zum
Glück wieder deutlich gesenkt werden.
({5})
Trotzdem gibt es immer noch Böden - das stimmt - mit
zu hohen Dioxinwerten. Wenn Hühner hier scharren und
picken - das ist klar -, besteht natürlich die Gefahr, dass
Dioxin aufgenommen werden und in die Eier gelangen
kann. Um den nötigen Schutz für die Verbraucherinnen
und Verbraucher zu gewährleisten, hat die Europäische
Kommission deshalb im Juni 2002 Grenzwerte für
Dioxin in Lebensmitteln festgelegt.
Für Freilandeier gab es allerdings auf Druck von Belgien
und den Niederlanden eine Ausnahme. Die Festlegung
der Grenzwerte wurde erst bis 2004 und dann noch einmal bis zum 1. Januar 2005 ausgesetzt.
Die Opposition mag es verdrängt haben, ich jedoch
erinnere mich noch sehr genau daran, wie sich Frau
Ministerin Künast an diesem Punkt verhalten hat: Sie hat
sich in Brüssel vehement gegen diese Übergangsfrist zur
Wehr gesetzt. Deutschland hat als einziges Land gegen
diese Ausnahmeregelung und für strenge Grenzwerte
auch bei Freilandeiern gestimmt.
({6})
Der Ministerin jetzt zu unterstellen, ihr seien die Hühner
wichtiger als der Schutz der Menschen, ist schon deshalb
geradezu absurd. Anstatt sachlich zu informieren, setzen
Sie auf Panikmache.
({7})
Denn wie ist es um die angeblich so skandalösen Dioxinwerte bei Freilandeiern tatsächlich bestellt? Seit
1993 werden vom Bundesministerium Proben aus den
Ländern erfasst und seit 1999 differenziert nach den jeweiligen Haltungssystemen ausgewertet. Wer nun
meint - wie offensichtlich der niedersächsische Landwirtschaftsminister -, das Ei aus Käfighaltung sei dioxinfrei,
({8})
der irrt.
({9})
Auch hier wurde Dioxin entdeckt, und zwar in gleichem
Maße wie in Eiern aus Freilandhaltung. Das ist nachvollziehbar, denn auch Käfighühner müssen fressen und im
verabreichten Futter kann Dioxin enthalten sein.
Abgesehen davon ist die Dioxinbelastung für den
Menschen durch die Aufnahme anderer Lebensmittel
- ich nenne als Beispiel nur den Fisch - sehr viel
schwerwiegender als durch das Hühnerei. Warum, Herr
Goldmann, greifen Sie also ausgerechnet das Freilandei
heraus? Ich will Ihnen dies beantworten: Sie fahren eine
plumpe Kampagne gegen Freilandhaltung, um die Käfighaltung, die in Deutschland ab dem Jahr 2007 verboten sein wird, beim Verbraucher salonfähig zu machen.
({10})
Um Ihrer Lobby gerecht zu werden, ziehen Sie eine
wachsende Branche in den Dreck und spielen mit der
Angst der Verbraucherinnen und Verbraucher.
({11})
Das ist Ihre Politik. Diese Politik machen wir aber nicht
mit.
({12})
Wir kümmern uns um die Konsequenzen, die jetzt gezogen werden müssen. Frau Ministerin Künast hat es bereits öffentlich gesagt:
Erstens. Alle belasteten Eier müssen sofort vom
Markt.
Zweitens. Es muss strenge und regelmäßige Kontrollen in den Ländern geben, die hierfür zuständig sind.
Drittens. Eine Beprobung der Böden, auf denen Freilandhaltung stattfindet, ist notwendig. Im Notfall muss
der Boden abgetragen und neuer Boden aufgebracht
werden.
So schützen wir den Verbraucher und geben ihm das
Vertrauen in sein Frühstücksei zurück.
({13})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ursula Heinen von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin Künast, zur Klarstellung: Ich glaube, dass die „Bild“-Zeitung mit der Veröffentlichung vom vergangenen Sonntag ein klarer Freund
der Verbraucher gewesen ist, eben weil sie auf diesen
Umstand aufmerksam gemacht hat. Hier bestand sicherlich keine Parteilichkeit, sondern eher eine Pflicht, der
auch Journalisten gerne nachgehen und auch nachgehen
sollten.
({0})
Wir wissen schon seitdem die Verordnung in Kraft
getreten ist, dass Freilandeier einen wesentlich höheren
Dioxinanteil haben als Eier aus Käfighaltung. Dies ist so
in der Begründung der Verordnung nachzulesen. Dieses
Ergebnis, dass der Dioxinanteil bei Eiern aus Freilandhaltung im Medianwert - betrachtet über den gesamten
Untersuchungszeitraum - deutlich über dem der Eier aus
Bodenhaltung und denen aus Käfighaltung gelegen hat,
hat auch die Untersuchung aus Nordrhein-Westfalen geliefert.
Frau Ministerin Künast, Sie haben selbst gesagt, dass
die Wissenschaft schon seit vielen Jahren von diesem
generell höheren Dioxinanteil und den damit verbundenen Gefahren bei Freilandeiern wisse. Angesichts dessen
frage ich mich auch als Verbraucherin: Warum erfahre
ich das erst jetzt? Warum sagen Sie mir das nicht vorher?
Warum verschweigen Sie das den Verbraucherinnen und
Verbrauchern?
Der Grund dafür liegt klar auf der Hand - wir haben
ihn, auch in anderen Fällen, schon oft in den Diskussionen hier im Plenum gehört -: Die ökologische Landwirtschaft ist Ihr Lieblingskind. Sie wird immer wieder zulasten anderer Bereiche bevorzugt. So halten Sie es auch
mit den Freilandeiern.
({1})
Auf Teufel komm raus sollen die Verbraucher veranlasst
werden, nur noch Freilandeier zu kaufen. Eier aus anderen Haltungsformen wurden und werden ständig diskreditiert. Dem Verbraucher wird suggeriert, dass Freilandeier sowie Ökoprodukte generell noch gesünder als alle
anderen Produkte seien.
Kollege Goldmann hat vorhin schon die Internetseiten bzw. die Kampagne „Freiheit schmeckt besser“, für
die 900 000 Euro zur Verfügung gestellt wurden, angesprochen. Ich kann Sie alle nur einladen, sich diese Seiten anzuschauen. Dann werden Sie ganz klar sehen, wie
die Politik der Bundesregierung in diesem Bereich aussieht. Dort wird ein Wissenschaftler zitiert, der sagt, es
sei nachgewiesen, dass Freilandeier wesentlich besser
als alle anderen Eier seien. Ich meine, dass Sie diese Seiten - spätestens seitdem uns die entsprechenden Befunde
vorliegen - um Informationen darüber hätten ergänzen
müssen, wie es tatsächlich mit der Dioxinbelastung aussieht.
({2})
Alles andere ist nur noch ideologisch motivierte Politik.
Dadurch täuschen Sie die Verbraucher. Sie sprechen immer wieder von guter Verbraucherinformation und wollen die Verbraucher aufklären. Aber Sie täuschen sie und
lenken sie bewusst nur in eine Richtung.
Die Union tritt dafür ein, dass alle Lebensmittel - unabhängig davon, ob sie aus einer ökologischen oder konventionellen Produktionsform kommen; bei den Haltungsformen ist es ähnlich - als gleichwertig angesehen
werden. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie bei Gesundheitsgefahren ehrlich und offen reagieren und darüber
informieren, nicht aber, dass Sie sie vertuschen, verdecken und verheimlichen, nur weil sie nicht in Ihre grüne
Ideologie passen.
({3})
Das gilt ganz besonders für folgende Fragen: Warum
bewerten Sie den Tierschutz höher als den Gesundheitsschutz? Warum schaffen Sie es nicht, einen Ausgleich
zwischen Tierschutz und Gesundheitsschutz herbeizuführen? Ist die Dioxinbelastung von Menschen für Sie
überhaupt kein Thema? Wir alle wissen, dass Dioxin ein
Krebs erzeugendes Gift ist, das sich je nach körperlicher
Veranlagung im Fettgewebe ansammeln und zu schweren gesundheitlichen Störungen führen kann.
({4})
Warum gehen Sie damit nicht offen und ehrlich um? Warum sagen Sie das nicht? Warum schreiben Sie das nicht
in Ihren verschiedenen Informationen?
Für uns steht fest: Bei der Lebensmittelsicherheit darf
es keinen Unterschied zwischen Ökoprodukten und konventionellen Produkten geben.
({5})
Es darf keinen Unterschied zwischen den Eiern aus verschiedenen Haltungsformen geben. Wir erwarten, dass
Sie Ihrer Pflicht nachkommen, die Verbraucher offen
und ehrlich zu informieren und auf die Gefahren hinzuweisen.
({6})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulrike Höfken vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr
Präsident! Ich muss sagen: Ich finde die Beiträge der
Kollegen von CDU/CSU und FDP unglaublich.
({0})
Gleich zu Beginn meiner Rede frage ich Sie: Wo waren
eigentlich Ihre Einlassungen bzw. Warnungen vor Käfigeiern, als zum Beispiel bei den Untersuchungen in Niedersachsen im Jahr 2003 herauskam, dass Freilandeier
nicht so stark wie Käfigeier belastet waren? Haben Sie
damals vor Käfigeiern gewarnt? Wo war der erregte
Einspruch des Kollegen Bleser oder unseres Kollegen
Gold„hahn“? Damals hat er nicht gekräht.
({1})
Das ist Ihre Verlogenheit. Darauf fallen die Verbraucher
nicht herein.
Obwohl sich die Ergebnisse von Jahr zu Jahr geringfügig ändern - übrigens gerade im Bereich der Freilandhaltung bei sehr geringen Probezahlen -,
({2})
instrumentalisieren Sie die jetzigen Resultate, deren
Auswertung noch gar nicht vorliegt, um die Verbraucher
zu verunsichern. Was Ihnen von CDU/CSU und FDP
diese Politik einbringt, werden Sie bei den kommenden
Wahlen erfahren: keinen Zuspruch der Wählerinnen und
Wähler.
({3})
Mein Dank gilt zuerst unserer Ministerin Künast.
Ohne ihr kontinuierliches Drängen auf Senkung der EUGrenzwerte für Dioxin fände diese Aktuelle Stunde gar
nicht statt. Aufgrund dieser neuen Grenzwerte haben die
Bundesländer die Möglichkeit und die Pflicht, belastete
Eier vom Markt zu nehmen. Das ist ein Erfolg der Regierungspolitik, genauso wie die damit erreichte Sensibilisierung und Information der Verbraucher. Jetzt sind die
Länder gefordert, systematisch Kontrollen vorzunehmen. Ich darf nur daran erinnern: Der letzte Dioxinskandal war ein Futtermittelskandal.
Ganz klar ist aber auch, gerade in Bezug auf die Freilandhaltung: Die Dioxinbelastung ist nur in zweiter
Linie ein Ernährungsproblem. Sie ist in erster Linie ein
Umweltproblem aufgrund der mangelnden Umweltpolitik der vergangenen Jahrzehnte unter der CDU/CSUFDP-Regierung. Die heutigen Oppositionsparteien haben sich ja nicht sonderlich hervorgetan bei der Bekämpfung der Dioxinemissionen.
({4})
Inzwischen sinken diese Emissionen. Systematische
Kontrollen können jetzt dazu beitragen, dass die Betriebe Maßnahmen zur Bodenkontrolle ergreifen, was
übrigens gerade Ökobetriebe tun. Es gibt überhaupt keinen Grund, aufgrund der jüngst veröffentlichten Dioxinmessung eine Rückkehr zur Käfighaltung zu fordern. Es
gibt keinen Grund, die Dioxinproblematik für die Interessen der Eierindustrie zu instrumentalisieren, wie Sie
das tun. Denn nach wie vor gilt: Ein Hühnerknastei
bleibt ein Hühnerknastei.
({5})
Nach wie vor sprechen Tierschutzgründe gegen die
Käfighaltung, nach wie vor gilt das Argument, dass eine
artgerechte Produktion die bessere Produktion ist. Ihre
Logik zu Ende gedacht - damit meine ich Sie, Herr
Goldmann; hören Sie weiter gut zu -, heißt das: Was
schert uns die Belastung der Umwelt, schließlich können
wir die Tiere allemal wegsperren. Fragt sich nur, was Sie
dann mit den Menschen machen wollen. Die durchsichtige Spekulation der letzten Tage auf Rehabilitierung der
Käfighaltung wird jedenfalls nicht aufgehen.
({6})
Wie die Opposition jetzt agiert, zeigt die Unglaubwürdigkeit der CDU/CSU und FDP in Sachen Tierschutz.
({7})
Sie haben wieder nichts über die gesamte Problematik
gesagt, sondern nur einen einzigen Bereich herausgegriffen. Angesichts der Art und Weise, in der Sie das tun,
sage ich: Das ist eine miese Heuchelei und die erfolgt
natürlich nicht zufällig vor der Grünen Woche. Was
mich dabei besonders ärgert, ist, dass Sie ganz klar Wirtschaftsschädigung betreiben, nämlich eine Beschädigung der ökologischen Landwirtschaft insgesamt und
der bäuerlichen Betriebe, die inzwischen in großem Stil
auf die Bodenhaltung und die Freilandhaltung übergegangen sind.
({8})
Übrigens ist das auch ein mieser Umgang mit den Interessen der Verbraucher, die, wie Sie genau wissen, die
artgerechte Haltung der Hennen wollen und durchaus
nachfragen.
({9})
Die Opposition soll sich nichts vormachen. Es gilt die
Gleichung: Gestärktes Verbraucherbewusstsein gleich
gestärktes Verbraucherministerium gleich gestärkte Bundesregierung. Das wird hier nicht anders sein und das ist
auch gut so.
Danke.
({10})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Christel HappachKasan von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Höfken, es wundert mich eigentlich nicht,
dass der Beifall ein bisschen dünn ausgefallen ist. Denn
Sie haben schlicht und ergreifend nicht zur Sache gesprochen.
({0})
Zunächst einmal darf ich als Biologin ganz klar sagen: Hühner sind Singvögel. Wer sie hier, wie Sie, Frau
Kollegin Höfken, Gackerwesen schimpft, tut ihnen bitter
Unrecht.
({1})
Ich glaube, wir alle sind uns einig - von Ihnen vielleicht abgesehen, Frau Höfken -, dass wir Dioxine in
Eiern nicht wollen. Wir möchten den höchstmöglichen
Verbraucherschutz, der durchgesetzt werden kann, und
zwar von allen Legehennen haltenden Betrieben, unabhängig davon, ob sie sich ökologisch nennen oder konventionell. Verbraucherschutz ist unteilbar.
({2})
Ich darf vorausschicken, dass die Grenzwerte, die
zurzeit gültig sind, nur deshalb eingehalten werden können, weil sich Vorgängerregierungen von Ihnen sehr um
die Luftreinheit gekümmert haben.
({3})
Das fing mit dem Benzinbleigesetz an. Liebe Kollegin
Höfken, damals waren Sie noch gar nicht dabei.
({4})
- Politisch war ich da, mein Lieber. Ich habe in der FDP
dafür gesorgt, dass es ging. - Mit der Einführung des
Katalysators ging es weiter. Im Übrigen: Mit der
TA Luft wurden entscheidende Meilensteine für eine
Luftreinhaltung gesetzt, die dazu geführt hat, dass wir
die Hintergrundbelastungen im Bereich Dioxin in den
letzten Jahren deutlich haben mindern können.
({5})
Dies ist Voraussetzung dafür, dass wir den hohen Standard überhaupt halten können.
Wir alle wissen, dass es bei Hühnereiern zwei Eintrittspfade für Dioxine gibt: Der eine ist der Boden - bei
Freilandhaltung -, der andere sind die Futtermittel. Von
daher ist es nicht überraschend - das ist hier vielfach gesagt worden -, dass die Möglichkeit eines höheren
Dioxin-Gehalts bei Freilandhaltung eher gegeben ist als
bei anderen Haltungsformen. Es gibt ja nicht nur die Käfighaltung, es gibt auch die Bodenhaltung und eine Vielzahl von anderen Haltungsformen. Es ist klar, dass das
Risiko bei der Freilandhaltung theoretisch gesehen höher
ist. Daher sind die Werte auch entsprechend.
Frau Kollegin Höfken, vielleicht wenden Sie sich einmal nach vorne; Sie sind nämlich angesprochen. - Wir
beklagen sehr, dass die Grünen bezogen auf die Hennenhaltung überhaupt nur ein einziges Kriterium berücksichtigt haben, nämlich den Platzbedarf. Kein anderes
Kriterium ist von den Grünen bei der Diskussion über
die Hennenhaltung genannt worden. Es ging nur um den
Raumbedarf.
({6})
Sie haben sich nicht um eine artgerechte Ernährung, um
das Problem des Kannibalismus und um die hohen Mortalitätsraten, die es bei verschiedenen Haltungsformen
gibt, gekümmert.
({7})
Das heißt, Sie haben keine tierschutzgerechte Haltung
vorgesehen, sondern allein den Raumbedarf betrachtet.
({8})
- Können Sie mal endlich die Klappe halten? Ich rede
jetzt; ich habe auch bei Ihnen zugehört.
({9})
Auch den Verbraucherschutz haben Sie vernachlässigt,
indem Sie die Gesichtspunkte Hygiene und Arzneimittelbedarf nicht berücksichtigt haben. Daneben haben Sie
versucht, die verschiedenen Haltungsformen gegeneinander auszuspielen. Auch das ist nicht in Ordnung.
Wir wissen, dass es in Deutschland eine qualitativ
sehr hochwertige Lebensmittelproduktion gibt. Das gilt
sowohl bei der Legehennenhaltung als auch in allen anderen Bereichen. Wir wollen nicht, dass irgendein Bereich diskreditiert wird, wie Sie das unter dem Deckmantel des Verbraucherschutzes versuchen. Im Prinzip
meinen Sie nämlich ausschließlich grüne Klientelinteressen und nichts anderes. Wir brauchen eine sachgerechte Diskussion. Kollege Priesmeier hat dies heute im
Ausschuss angesprochen. Er hat gesagt, dass wir die verschiedenen Kriterien bei den verschiedenen Haltungsformen gleichwertig berücksichtigen müssen.
({10})
Ich nenne zunächst den Tierschutz. Es geht beim Tierschutz nicht nur um den Platzbedarf oder um die artgerechte Haltung und Ernährung, sondern auch um die
Mortalitätsraten. Daneben nenne ich selbstverständlich
den Verbraucherschutz im Bereich der Hygiene, im Bereich des Geschmacks und im Bereich des Arzneimittelbedarfs. Natürlich müssen auch die Kosten betrachtet
werden; denn egal, welche Verordnung Sie hier beschließen: Eine Verordnung, durch die die Kosten hochgetrieben werden, führt dazu, dass das alles Mumpitz ist, weil
die Legehennenhaltung ins Ausland abwandert, wie wir
es schon jetzt beobachten können.
Von daher sind die Weichenstellungen, die die grüne
Politik in Deutschland für die Landwirtschaft verursacht
hat, geeignet, Arbeitsplätze aus Deutschland zu vertreiben und die Qualität der Lebensmittel gerade nicht zu
verbessern.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({11})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wilhelm
Priesmeier von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Herr Goldmann, als Replik auf Ihre Rede
verkneife ich es mir, aber ich hätte gerne „Kikeriki“ gesagt. Auch emotional argumentieren Sie hier auf einer
Ebene, die mit Sachlichkeit und Fachlichkeit nur wenig
zu tun hat. Das haben wir bereits heute Morgen im Ausschuss erlebt. Herr Kollege Goldmann, wer am lautesten
kräht, hat nicht immer den meisten Erfolg bei den Hennen.
({0})
Das sollte Ihnen bekannt sein.
({1})
Vor diesem Hintergrund halte ich es für nicht angemessen, wenn Sie sich hier an eine Kampagne anhängen,
die zum passenden Zeitpunkt gestartet wurde; vielleicht
war die Nachrichtenlage ein wenig dünn. Am Sonntagmorgen, wenn der deutsche Bundesbürger gemeinhin
seine Brötchen holt, sein Frühstücksei kocht und sich
unter Umständen eine bestimmte Zeitung kauft und sie
aufschlägt, erkennt er nämlich plötzlich: Um Gottes willen, heute Morgen vergifte ich mich ja.
({2})
Diese Art und Weise, mit Problemen umzugehen, die es
zweifellos gibt, sie in die Öffentlichkeit zu tragen, um
sie dort überdimensional aufzublasen, hat mit der fachlichen und sachlichen Ebene nun wirklich überhaupt
nichts mehr zu tun.
({3})
Sie schließen sich dieser Kampagne an und diskreditieren die Betriebe, die heute Freilandhaltung betreiben,
egal ob bio oder konventionell.
({4})
Diese Strategie zieht hier nicht, Herr Goldmann. Mit
Ihren Positionen schlagen Sie doch denjenigen, die davon betroffen sind, ins Gesicht. Erkennen Sie denn überhaupt nicht, dass es auch dort wirtschaftliche Interessen
gibt und dass es für die Betriebe, die Freilandeier produzieren, eine ökonomische Überlebensfrage ist? Sie aber
schließen sich bei der Außendarstellung Kampagnen an
und versuchen damit, politisch Kapital für sich und Ihre
FDP - mit fragwürdigen Aspekten im Hintergrund - zu
schlagen. Auch in diesem Bereich machen Sie immer
ganz saubere Klientelpolitik.
({5})
- Ich gehe einmal davon aus, dass meine Position - ich
bedanke mich, dass ich auch von Ihrer Seite immer als
Kronzeuge angeführt werde - einigermaßen objektiv ist
und im Tierschutz vertreten werden kann. Das nehme ich
auch gerne für mich in Anspruch.
({6})
- Beruhigen Sie sich, Herr Goldmann. Sie können ja
auch eine Frage stellen.
In der Aktuellen Stunde sind Fragen nicht zugelassen.
Ich bin aber gerne bereit, auf Sie einzugehen. Wenn
Sie noch Informationsbedarf haben, klären wir das hinterher.
Zur Versachlichung möchte ich Folgendes sagen: Wir
haben einen Nationalen Rückstandskontrollplan. In diesem Zusammenhang haben wir gemeinsam mit den Bundesländern die AVV-Rüb über die Bühne gebracht, um
die Qualität der Rückstandsüberwachung zu verbessern.
Das sind wesentliche Fortschritte. Dass in Untersuchungen etwas gefunden wird, dokumentiert ja auch, dass
dieses System funktioniert. Ich habe bereits vor einem
halben Jahr darauf hingewiesen, dass es Probleme geben
könnte.
({0})
Das ist verhallt, aber nun ist es eingetreten.
Nach den Ergebnissen der Studie, die wir aus Antwerpen von den Belgiern bekommen haben, und den Ergebnissen aus den Niederlanden wird klar, dass diese Länder
ein viel größeres Problem als wir hier in Deutschland haben. Schauen Sie sich einmal die entsprechenden Karten
an, die Sie über das UBA oder das BMU beziehen können, auf denen, geordnet nach den Regionen in Deutschland, die Dioxinproblematik in der Fläche dargestellt
wird. Auf dieser Grundlage kann man gezielt Nachforschungen anstellen. Wir haben eine Grundbelastung; das
ist unbestritten. Hühner aus Boden- oder Freilandhaltung
können - das ist auch aus Gründen des Tierschutzes
wichtig - picken und scharren. Die Aufnahme von Bodenbestandteilen - Hühner machen das ja - beinhaltet
zwar kein erhebliches, aber ein höheres Risiko als gemeinhin bei Käfighühnern.
Aber auch bei Käfigeiern findet man durchaus Überschreitungen der entsprechenden Grenzwerte.
({1})
Nach Angaben des Bundesamtes für Verbraucherschutz
und Lebensmittelsicherheit hat es bei den untersuchten
Käfigeiern unter 66 Proben ebenfalls positive Befunde
gegeben. Das kann nicht in jedem Falle ausgeschlossen
werden. Das ist eine Frage der Herstellung des jeweiligen Futtermittels. Je höher der Reinheitsgrad und die
Reinigung im Ausgang, je besser die Qualität. Wie Sie
vielleicht wissen oder auch nicht wissen, bindet sich Dioxin an Staubbestandteile. Wenn man in der Produktion
für anständige Bedingungen sorgt, kann man das Risiko
in diesem Bereich weitestgehend minimieren. Die Futtermittelindustrie hat bereits entsprechende Schritte unternommen.
Bei hofeigenen Mischungen oder anderen Futtermitteln gibt es unter Umständen ein Problem. Aber die Art
und Weise, wie Sie das heute Morgen im Ausschuss und
hier dramatisiert haben, trifft nicht die Realität, Herr
Kollege Goldmann. Vor diesem Hintergrund möchte ich
Sie bitten, wieder zur Sachlichkeit zurückzukehren, mit
uns einen vernünftigen Dialog zu führen und die Emotionalität ein wenig zurückzuschrauben.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat der Kollege Franz Obermeier von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um
es gleich vorweg klarzustellen: Der Skandal besteht darin, dass die Bundesverbraucherschutzministerin in der
Vergangenheit so getan hat, als wären Freilandeier qualitativ wesentlich besser als anders erzeugte Eier.
({0})
Das ist der Kern unserer heutigen Auseinandersetzung
und der Kern des Skandals.
({1})
Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, haben, was die
Haltung von Legehennen betrifft, immer eine sehr differenzierte Meinung vertreten. Wir haben nicht von vornherein der Haltung in kleinen Käfigen das Wort geredet.
Wozu die Kritik, die Sie, Frau Ministerin, an der angeblich nicht artgerechten Tierhaltung geübt haben, geführt hat, möchte ich skizzieren: In meinem Wahlkreis
haben die kleinen Legehennenbetriebe die Käfige abgebaut. Die wurden dann in Tschechien wieder aufgebaut.
Zum Teil haben sie ihre Betriebe geschlossen.
({2})
Jetzt beziehen unsere großen Produzenten die Eier und
Eierprodukte aus Tschechien, und Sie, Frau Ministerin,
brüsten sich noch damit, etwas Gutes getan zu haben.
({3})
Der Verbraucher wird ganz gewaltig in die Irre geführt. In den Bestimmungen über Freilandhaltung in
Ökobetrieben steht, dass die Hennen dann Auslauf haben sollen, wenn es die Witterung zulässt. Konventionelle Eierproduzenten müssen die Hühner täglich herauslassen. Das heißt, der Betreiber einer Hühnerhaltung
muss tagtäglich - unabhängig von der Witterung - seine
Hühner mit der Folge herauslassen, dass er erhebliche
Probleme hinsichtlich der Kontamination der Produkte
hat. Erklären Sie, Frau Ministerin, uns bitte, warum Sie
einen Unterschied zwischen den verschiedenen Produktionsbereichen machen.
Vorhin wurde die Verantwortung für die Schwierigkeiten, die jetzt bei Investitionen der Freilandproduzenten auftreten, angesprochen. Die Verantwortung liegt
nicht bei denjenigen, die auf diesen Skandal hingewiesen haben, sondern bei denjenigen, die jahrelang verschwiegen haben, dass es hier Probleme gibt. Sie, Frau
Ministerin, wussten von Anfang an, dass wir hier Probleme hinsichtlich des Dioxingehaltes und der Einhaltung des Grenzwertes bekommen werden.
({4})
Lassen Sie mich noch ein Wort zu den Aussagen von
Frau Höfken sagen. Frau Höfken, Sie müssen schon
ganz arg unter Gedächtnisschwund leiden, wenn Sie sagen, dass die CDU/CSU-FDP-Regierung nichts zur
Reduzierung der Dioxinemissionen getan hat. In der Regierungszeit Kohl sind die Kraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland mit enormen Investitionen nachgerüstet worden.
({5})
Schauen Sie sich an, unter welcher Regierung die Müllverbrennungsanlagen in Deutschland so umgerüstet wurden, dass die Dioxinemissionen wesentlich, wenn nicht
sogar auf Null reduziert wurden. Das war nicht unter der
rot-grünen Bundesregierung, sondern unter der Bundesregierung von Helmut Kohl!
({6})
Tun Sie nicht so, als wären alle Dioxinbelastungen auf
unserer Erde von Menschen gemacht. Ich kann belegen,
dass Dioxine auch von Natur aus entstehen. Holländische Chemiker haben nachgewiesen, dass im Waldboden
bis zu 30 verschiedene Dioxine und Furane aus Chlorphenolen gebildet werden.
({7})
- Nein, in unseren Böden. Sie sollten sich vielleicht mit
der wissenschaftlichen Literatur auseinander setzen.
Dann würden Sie einen Beitrag zur Versachlichung der
gesamten Diskussion leisten können.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch sagen: Nehmen
Sie Vernunft an!
({8})
Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass
wir mit einer vernünftigen Käfighaltung zu einer Regelung der Eierproduktion kommen können, die sowohl
der artgerechten Tierhaltung als auch der Vermeidung
von Kontaminationen der Produkte - in dem Fall Eier Rechnung trägt. Wir haben diese Untersuchungen und
können belegen, dass wir die Eierproduktion vernünftig
regeln können.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat jetzt der Kollege Friedrich Ostendorff
vom Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einigen Zitaten beginnen. In
der „Bild am Sonntag“ stand:
28 Prozent der niedersächsischen Freilandeier liegen über dem zulässigen Grenzwert von
3 Pikogramm Dioxin/g Fett.
Der niedersächsische CDU-Landwirtschaftsminister
Ehlen sagte: „Käfigeier sind frei von Dioxin.“ Deshalb
empfiehlt er, Eier aus Käfighaltung zu essen. Der FDPAgrarsprecher Goldmann ergänzt öffentlich:
Da ist eine unheilige Allianz des Wegschauens und
des Vertuschens am Werk. Das Rosarotmalen des
Ökolandbaus und das Verschweigen möglicher Gefahren sind eine gezielte Täuschung der Ministerin
Künast.
({0})
Der SPD-Kollege Priesmeier fordert in der „FAZ“:
Die jüngsten Meldungen machen deutlich, dass wir
neben Boden- und Freilandhaltung auch weiterhin
zwingend eine dritte Haltungsform ({1})
in Deutschland brauchen.
({2})
In einer weiteren Presseerklärung heißt es, er weise
schon lange darauf hin, dass es in der Boden- und vor allem in der Freilandhaltung von Legehennen große Probleme gebe.
Was ist wirklich passiert? Seit 1. Januar 2005 gibt es
nach intensivem Engagement unserer Ministerin Renate
Künast den 3-Pikogramm-Grenzwert der EU für Dioxin
in allen Hühnereiern. Allen Akteuren war bekannt, dass
dieser ambitionierte Grenzwert einzelnen Hühner haltenden Betrieben - egal in welcher Haltungsform - Probleme bringen wird.
Die Messergebnisse der Bundesländer seit 1999 sprechen eine deutliche Sprache. Von 103 Messergebnissen
bei Freilandhaltung überschreiten neun Proben die
3 Pikogramm. Das sind 8,7 Prozent. Von 45 Messungen
bei Bodenhaltung liegen zwei Proben über 3 Pikogramm. Das entspricht 4,4 Prozent.
Allerdings liegen auch sechs Proben von 66 Messungen aus Käfighaltung - das sind 9,1 Prozent - über
3 Pikogramm. Das wird leider überhaupt nicht dargestellt.
Von 26 Messergebnissen aus ökologischen Betrieben
liegt kein Ergebnis über 3 Pikogramm und nur eines
über 2 Pikogramm. Leider wird auch dies nicht dargestellt.
Niedersachsen hat immerhin sieben Messergebnisse
vorgelegt, von denen keines über 3 Pikogramm lag.
Zwei Proben lagen aber über 2 Pikogramm. Daraus
macht die „Bildzeitung“: 28 Prozent der Freilandeier liegen über 3 Pikogramm.
Übrigens lag in NRW keine Probe aus 107 Messungen über dem Grenzwert. Auch in Schleswig-Holstein,
Hessen und Brandenburg wurden keine Überschreitungen des Grenzwerts festgestellt.
Überrascht das Auftreten der Herren Goldmann und
Ehlen wirklich? Nein. Sie klammern sich an jeden Strohhalm, Herr Goldmann, um die Käfighaltung wieder salonfähig zu machen.
Es geht Ihnen doch gar nicht um Verbraucherschutz,
meine Damen und Herren von der Opposition. Sie wollen bloß das ab 2007 geltende Käfigverbot torpedieren.
Dies ist ein Teil der Dioxinkampagne, die Sie pünktlich
zur Grünen Woche losgetreten haben: Panikmache und
Skandalgeschrei statt seriöser Aufklärung.
({3})
Herr Goldmann, haben Sie jetzt endlich das vermeintlich letzte Ass aus dem Ärmel gezogen? Ist es mit dieser
Opposition und Ihnen überhaupt möglich, irgendetwas
in Deutschland konstruktiv zu entwickeln? Ich fürchte,
nein.
({4})
Geben diese Messergebnisse Ihre Bewertungen und Verdrehungen wirklich her, Herr Goldmann? Wohl kaum.
Aber Sie behaupten über Ihre Mitteilungsorgane „Bild
am Sonntag“ und „Bildzeitung“ unverdrossen, mehr
Freilandeier seien mit Dioxin belastet - Freilandeier
werden von Ihnen pauschal mit Ökoeiern gleichgesetzt ({5})
und Käfigeier seien die einzig sauberen.
({6})
Mit den Messergebnissen hat das leider nicht viel zu tun.
Die Messergebnisse sprechen - das haben Sie gerade gehört - eine andere Sprache. So viel zu dem Vorwurf des
Vertuschens und Wegschauens, der von Ihnen, Kollege
Goldmann, und von anderen aus den Reihen der CDU/
CSU erhoben wird.
Die vorliegenden Dioxinwerte zeigen eigentlich nur
eines: Bei erhöhten Werten müssen wir uns jeden Betrieb sehr genau ansehen und feststellen, wo die Einträge
herkommen, egal um welche Haltungsform es sich handelt - ob Käfighaltung, Bodenhaltung oder Freilandhaltung. Wir müssen die Quellen des Eintrags identifizieren
und eliminieren. Sind es zum Beispiel die Futtermittel,
wie es meistens bei Käfighaltung der Fall ist? Sind es
Emissionen aus Verbrennungsanlagen, die bei unter
1 200 Grad Celsius arbeiten, oder ist es unachtsames Lagern oder Gebrauchen von Bahnschwellen aus Holz oder
Telegraphenmasten, die mit Carbolineum bzw. Pentachlorphenol getränkt wurden und manchmal im Hühnerhof liegen oder verarbeitet wurden? Oder ist es unachtsames Ölablassen, wie es in vergangenen Zeiten
manchmal an manchen Stellen des Landes nicht unüblich war?
Wir fordern die Bundesländer, die nicht wie Bayern,
Baden-Württemberg oder insbesondere Nordrhein-Westfalen den Überblick haben, auf, die Belastungssituation
der verschiedenen Haltungssysteme in ihren Ländern zu
untersuchen. Baden-Württemberg arbeitet übrigens nach
unserer Meinung hier beispielhaft. Daran sollten sich andere ein Beispiel nehmen. Belastete Eier müssen im
Sinne des Verbraucherschutzes vom Markt.
Herr Goldmann, das niedersächsische Landrecht gilt
nicht mehr in Niedersachsen und erst recht nicht mehr
im Bund. Sie handeln leider frei nach Heinrich Manns
Devise: „Aus Lügen werden durch längeren Gebrauch nicht Wahrheiten, aber Tatsachen.“ Das ist sehr schade.
Vielleicht sollten wir alle ab und zu auf König Salomon
hören, der uns warnt: „Wenn Dich die bösen Buben locken, folge ihnen nicht …“
({7})
Das Wort hat die Kollegin Julia Klöckner von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin Künast, sonst
sind Sie ja weniger mitteilungsarm und haben genügend
Geld zur Verfügung, um das, was Ihnen wichtig ist, den
Verbrauchern mitzuteilen. Mich hat nur verwundert, dass
man vorher von Ihnen hierzu nichts gehört hat, obwohl
Sie es gewusst haben. Daran sieht man Ihre Prioritätensetzung.
({0})
Ganz klar ist - darin sind wir uns doch einig -, dass
Dioxin nirgendwohin, erst recht nicht in Eier, gehört. Sowohl für die Menschen als auch für die Tiere ist es umso
besser, je weniger sie damit konfrontiert werden. Nun ist
es aber so, wie es ist: Überhöhte Dioxinrückstände wurden in Hühnereiern gefunden, und zwar auffälliger- und
logischerweise überwiegend in Eiern von Hühnern aus
Freilandhaltung. Es geht aber letztlich nicht darum, welche Haltungsart überhöhte Dioxinwerte hervorgebracht
hat, sondern darum, dass etwas gefunden wurde und was
man daraus macht.
Dafür, wie Sie mit Informationen umgehen, kann ich
Ihnen ein Beispiel nennen. Im Oktober des letzten Jahres
habe ich eine schriftliche Anfrage an die Bundesregierung gestellt - das ist ein Instrumentarium, das wir nutzen dürfen und von dem wir auch regen Gebrauch machen -, in der es darum ging, dass die Dioxinbelastung
von Freilandeiern ein Thema ist und dass wir davon wissen. Die Reaktionen des Umweltministeriums waren
sehr dürftig und enttäuschend und entsprechen überhaupt nicht dem jetzt gemalten Bild. Die Kollegin Probst
aus dem Umweltministerium antwortete damals. Das
muss man sich vor Augen führen: Für mein Frühstücksei
war also nicht Frau Künast, die Ministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, sondern das
Umweltministerium zuständig.
({1})
In ihrer Antwort gibt die Regierung zu, dass ihr bereits im Jahre 2001 eine Untersuchung des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin vorlag, die teils erheblich erhöhte
Dioxinwerte bei Freilandeiern nachweist. Dennoch
wagte das Ministerium mir im November des vergangenen Jahres, also 2004, zu antworten, es sei trotz dieser
Studie nicht geklärt, ob Freilandeier höher belastet seien
und welche Ursachen dies haben könne. Aber man entschloss sich, 200 Proben auf Dioxine zu untersuchen und
die Ergebnisse dieser Beprobung bis 2005 abzuwarten.
Schließlich hätten wir ja noch etwas Zeit. Sie glauben
doch nicht, dass Frau Künast Monate gebraucht hätte,
um Beprobungen konventionell hergestellter Lebensmittel auszuwerten. Dann wäre es sicherlich auf einmal
möglich gewesen, innerhalb einer Woche 500 Proben
auszuwerten.
({2})
Laut „BZ“ vom 6. November 2002 warnten Sie, Frau
Künast, damals zum Beispiel vor dem Verzehr von Kartoffeln und Chips; denn der Verbraucher sollte wissen,
dass Acrylamid fast tödlich sein kann. So sah damals Ihr
Vorpreschen aus. Sie kündigten an, dass bis zum
15. November 2002 Laborergebnisse vorliegen würden,
und erklärten, noch bevor Ergebnisse zur Krebsforschung vorlagen, in der „taz“, dass ein Minimierungskonzept zu erproben sei. Sehen Sie! Dann geht es auf
einmal.
({3})
Wenn Sie wollen, dann werden Sie aktiv. Die eigene Klientel war damals ja nicht zu beschädigen.
In der Antwort auf meine Anfrage hieß es außerdem,
dass die 475 Proben, die eine rund doppelt so hohe Belastung der Eier aus Freilandhaltung gegenüber den Eiern aus Käfighaltung ergeben hatten, nicht repräsentativ
seien. Nun wollen Sie aber eine repräsentative Untersuchung mit 200 Proben durchführen. Ist eine Untersuchung erst dann repräsentativ, wenn das von Ihnen favorisierte Ergebnis herauskommt? Was machen Sie
denn, wenn wieder das gleiche Ergebnis herauskommt?
Das halten Sie dann wahrscheinlich wieder für nicht repräsentativ.
Ich möchte Folgendes festhalten:
Erstens. Das Thema „Dioxin in Eiern“ war schon seit
langem bekannt.
({4})
Zweitens. Ebenso war bekannt, dass Eier aus der Freilandhaltung höher als Eier aus anderen Haltungsformen
belastet sind.
Drittens. Dennoch hat Frau Künast die Betriebe, die
Medien und die Verbraucher auf diesen Sachstand nicht
hingewiesen. Der Verbraucher wurde nicht informiert,
und das, obwohl Sie sich doch so gerne Verbraucherschutzministerin nennen. Auf Ihrer Homepage ist zurzeit
leider nichts zu finden. Auf der Seite www.echtgerecht.de werden sämtliche Biosiegel aufgeführt. Außerdem findet man dort den Appell, Freilandeier aus ökologischem Anbau zu kaufen. Sie sollten etwas aktueller
sein und den Verbraucher informieren.
Viertens. Man wusste, dass die Grenzwerte ab dem
1. Januar 2005 strenger sein werden und dass das zu bestimmten Problemen führen wird.
Fünftens. Jetzt, da das Jahr 2005 19 Tage alt ist, wird
dieses Thema von Ihnen an die Länder weitergegeben.
Einmal spielen Sie dieses Thema herunter. Das klappt
jetzt leider nicht mehr und daher sollen nun die Länder
schuld sein. Ich bin schon etwas verwundert. Erst als am
vergangenen Wochenende die Hiobsbotschaft zusammen
mit einer Medienflut über Sie hereinbrach, sahen Sie
sich genötigt, diesen Sachverhalt aufzugreifen und zu
kommentieren.
Schlimmer noch: Nach monatelangem Schweigen
kam aus dem künastschen Munde die Totalreaktion: Alle
betroffenen Chargen sofort aus dem Handel! Die Wirkung auf den Verbraucher ist fatal: Erst einmal Finger
weg von allen Eiern. Damit ist der Schaden bei den Produzenten am höchsten. Doch um die Produzenten geht es
Ihnen leider nicht. Ich hoffe, dass wir auch den ökologisch Wirtschaftenden helfen können, wenn Sie es schon
nicht machen.
({5})
Das Wort hat der Kollege Gustav Herzog von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich will mit einer Motivforschung beginnen. Was war
das Motiv der FDP, hier eine Aktuelle Stunde zu diesem
Thema zu beantragen?
({0})
Waren es die Sorgen um die Gesundheit der Verbraucher
oder waren es die Sorgen um die Geschäfte der Produzenten? Dazu haben Sie sich kaum geäußert. Haben Sie
bislang die Aktuelle Stunde genutzt, um den Verbraucher sachlich zu informieren? Fehlanzeige!
({1})
Haben Sie vielleicht die Gelegenheit ergriffen, Kritik an
der skandalisierenden Berichterstattung der Medien
- soweit Sie nicht selbst dazu beigetragen haben - zu
äußern?
({2})
Fehlanzeige! Ihr Motiv ist, wie fast immer, wenn wir
hier agrarpolitische Themen diskutieren, Ihren Kreuzzug
gegen Rot-Grün und Frau Ministerin Künast zu zelebrieren.
Ich höre von Ihnen: Käfig, Käfig, Käfig.
({3})
Ich dachte, es geht um Dioxin. Ich habe manchmal den
Eindruck, dass sich auch Ihr Denken in diesen Fragen in
einem Käfig befindet. Vielleicht sollten Sie Ihren Gedanken und Ihren Überlegungen freien Lauf lassen.
({4})
- Herr Kollege Goldmann, solche Zwischenrufe zeigen
natürlich, wes Geistes Kind Sie sind.
({5})
Sie zelebrieren ein billiges Ritual. Sie machen einen Kübel voll Vorwürfen und Unterstellungen in den Zeitungen auf. Im Ausschuss zeigen Sie eine besondere Beratungsresistenz und ignorieren einfach die Fakten und
Zahlen, die auch der Kollege Ostendorff hier vorgetragen hat. Ein paar Stunden später stellen Sie sich hierhin
und wiederholen den ganzen Unsinn. Das ist Ihr Ritual.
Es berührt mich fast peinlich, dass Sie, die so gut austeilen können, sich wie die größten Mimosen benehmen,
wenn Sie selbst einmal etwas deutlich gesagt bekommen.
({6})
Darüber sollten Sie einmal nachdenken.
({7})
Um meine Position hier zu beschreiben, will ich aus
der „Rheinpfalz“ von gestern zitieren. Dort schrieb der
Redakteur Wolfgang Baltz folgenden Kommentar:
Dass dioxinbelastete Eier nun zum Skandal werden,
liegt vor allem daran, dass die Verfechter der Käfighaltung hier eine Möglichkeit sehen, die Konkurrenz von der Freilandhaltung und die Bundeslandwirtschaftsministerin in die Enge zu treiben.
Ich sage Ihnen: Diese Möglichkeit werden wir Ihnen
nicht geben.
({8})
Zum Thema „Dioxin in Eiern“. Ist das eine Frage der
Haltungsform? In sehr geringem Umfang; Kollege
Ostendorff hat die Zahlen genannt. Liegt eine akute Gesundheitsgefährdung vor? Die Fachleute sagen: Nein.
Übereinstimmung gibt es hier im Haus darüber: Dioxin
gehört nicht in die Nahrung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht haben Sie
sich auf die Aktuelle Stunde auch so vorbereitet, dass
Sie einmal nachgelesen haben, woher das Dioxin im
Menschen kommt.
({9})
Die Eier sind daran nur zu einem kleinen Teil beteiligt.
Es gibt ganz andere Eintragungspfade: Fisch, Fleisch,
Milchprodukte.
({10})
Daran sollten wir in Zukunft viel mehr denken und nicht
immer nur über „Käfig, Käfig, Käfig“ diskutieren.
({11})
Der Kollege Obermeier hat in die Vergangenheit zurückgeblickt und da muss ich ihm Recht geben. Noch
1990 haben Müllverbrennungsanlagen 400 Gramm Toxizitätsäquivalente im Jahr abgeben können. 1995 war
das deutlich reduziert. Aber Tatsache ist: Wir haben damals Industriepolitik ganz schön sorglos betrieben.
({12})
Ich kann mich noch gut an die Schlagzeilen erinnern:
PCB in den Eiern von Pinguinen in der Antarktis. - Da
spielt die Haltungsfrage nun wirklich keine Rolle, Herr
Kollege Goldmann.
({13})
Es ist aber nicht nur die Industriepolitik anzuführen.
Auch im privaten Haushalt, auch auf Bauernhöfen
wurde - das habe ich gesehen - der Pinsel geschwungen
und mit Holzschutzfarbe gestrichen. Heute haben wir
alle diese Altlasten zu tragen.
Deswegen sage ich: Eine konsequente Umweltpolitik,
wie wir sie seit 1998 betreiben, ist die beste Vorsorge dafür, dass so etwas in Zukunft nicht mehr vorkommt.
Diese Politik sollten wir fortsetzen. Sie sollten die
Aktuelle Stunde hier nicht nutzen, um Ihr berechtigtes
Streben nach Macht auf dem Rücken der Verbraucher
und der Erzeuger auszutragen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({14})
Das Wort hat jetzt der Kollege Artur Auernhammer
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Künast, Sie haben sicherlich Verständnis
dafür, dass ich Sie nicht mit „liebe Frau Künast“ anrede,
wie der Herr Kollege Goldmann es getan hat; denn als
Landwirt hat man ein anderes Verhältnis zu Ihnen.
({0})
Wer als Praktiker diese Debatte um den Skandal
„Dioxin in Eiern aus Freilandhaltung“ verfolgt, der muss
sich schon fragen: Was soll diese Debatte? Bin ich hier
im falschen Film?
({1})
Vor vier Jahren, zur politischen Geburtsstunde von
Frau Künast, zur Zeit der BSE-Krise, gab es nur noch
ein Thema: Ökologische Landwirtschaft ist der absolute
Heilsbringer für den deutschen Verbraucher. - Jetzt erleben Sie wenige Tage vor der Grünen Woche diesen Betriebsunfall.
({2})
Es ist ein absoluter Betriebsunfall.
({3})
Vier Jahre Renate Künast sind auch vier Jahre absolute Arbeitsplatzvernichtung in der deutschen Landwirtschaft.
({4})
Bei der letzten Bundestagswahl ist Kanzler Gerhard
Schröder damit angetreten, dass er sich daran messen
lassen will, wie er die Arbeitslosenzahlen reduziert. Frau
Künast, Sie haben dazu beigetragen, dass es mehr Arbeitslose gibt. Sie sind dabei, die deutsche Landwirtschaft zu demontieren.
Nur noch 70 Prozent der in Deutschland verzehrten
Eier werden in Deutschland produziert; 30 Prozent müssen wir bereits importieren. Wenn die Legehennenhaltungsverordnung so umgesetzt wird, wie Sie das wollen,
und der Selbstversorgungsgrad in Deutschland nur noch
30 bis 40 Prozent betragen wird, wie in Fachkreisen erwartet wird, dann ist die Frage, ob die Qualität der importierten Eier dem deutschen Standard entspricht, ob
die gleichen hohen Verbraucherschutzanforderungen wie
bei deutschen Eiern angelegt werden.
Wir sollten auch einen Blick darauf werfen: Wie geht
es den Praktikern draußen? Wie geht es den Landwirten,
die gegenüber Frau Künast gutgläubig gewesen sind, die
die Haltungsformen umgestellt haben und in Freilandhaltungen investiert haben? Sie stehen vor dem Aus,
wenn in den Medien Schlagzeilen wie „Giftbombe BioEi“ auftauchen.
({5})
Wie geht es also den Praktikern, die eine Menge investiert haben, darüber hinaus aber natürlich auch Steuergelder durch Ihre Förderprogramme erhielten?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen
dazu kommen,
({6})
dass wieder mehr Eier in Deutschland produziert werden.
({7})
Dazu zählt auch eine fachliche Auseinandersetzung mit
der Thematik und keine ideologische, wie Sie sie führen,
Frau Künast.
({8})
Zu einer fachlichen Auseinandersetzung gehört auch ein
Bekenntnis zu einer Legehennenhaltungsverordnung,
die gestaltete Käfige und Volieren zulässt. Diese, das sehen wir jetzt, würden auch den gesundheitlichen Anforderungen der Verbraucher besser gerecht werden als die
von Ihnen propagierte Freilandhaltung.
({9})
Wenn Sie sich, Frau Künast, an den Worten messen,
die Sie vor vier Jahren geäußert haben - Sie sprachen
von der großen Agrarwende und vom besseren Schutz
der Verbraucher -, dann wäre es jetzt eigentlich an der
Zeit, Frau Künast, zu gehen.
({10})
Wer den Verbraucherschutz so hoch gelobt hat, ihn jetzt
aber hinter den Tierschutz stellt, wem freilaufende Mistkratzer wichtiger sind als der deutsche Verbraucher, der
muss die Konsequenzen ziehen. Verehrte Frau Künast,
nehmen Sie die Gelegenheit wahr: Sie sind vor vier Jahren wenige Tage vor der Grünen Woche ins Amt gekommen. Erweisen Sie der deutschen Landwirtschaft und
dem deutschen Verbraucher einen Dienst: Gehen Sie!
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Renate
Künast.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Auernhammer, das war ein dickes Ei.
({0})
Sie wären gut beraten gewesen, Sie hätten sich einfach
einmal der Meinung Ihres CSU-Landesministers angeschlossen.
({1})
Einer der Augenblicke, in denen ich es bedaure, dass
hier kein Landesminister anwesend ist, ist der jetzige. Er
war nämlich in den letzten Tagen einer, der gezeigt hat,
dass man auch als Landesminister vernunftbegabt sein
kann.
({2})
- Ja, tatsächlich, nämlich vernunftbegabt insofern, zugleich an die Gesundheit und an den Wirtschaftsfaktor
zu denken.
Kommen wir zu den Tatsachen, meine Damen und
Herren. Wir haben in Europa, aber auch über Europas
Grenzen hinaus ein Dioxinproblem; das zeigt das Beispiel der Pinguine. Wir diskutieren darüber richtig scharf
seit dem 10. Juli 1976, als es bei der Produktion von
Pflanzenschutzmitteln in Seveso zu einem Störfall kam.
Die damit verbundenen Probleme, insbesondere schwere
gesundheitliche Schäden, verfolgen uns bis heute. Spätestens seitdem ist es nicht mehr lustig, sich über dieses
Thema zu unterhalten. Seitdem sind wir uns bewusst,
dass wir die Folgen verfehlter Umweltpolitik ausbaden
müssen, und zwar nicht nur in Form von Hautschäden
bei Personen, die damals in den betroffenen Gebieten
wohnten, sondern auch durch die mittelbare Belastung
von Böden und die Kontamination von Futtermitteln.
Betroffen sind damit bis heute Bäuerinnen und Bauern
sowie Verbraucherinnen und Verbraucher. Am meisten
Sorge in diesem Zusammenhang machen mir folgende
Produkte, die ich einmal aufzählen möchte: Fisch,
Fleisch und Fleischwaren sowie Eier.
Beim Fisch ist vor allem der Ostseefisch betroffen,
insbesondere der Hering, der vor Schweden gefangen
wird. Hierbei handelt es sich um eine Altlast. Das Problem lässt sich nicht schnell lösen, außer man sagt, bestimmte Fische dürften nicht in den Handel kommen.
Wir vertreten da eine schärfere Position als die Schweden, die schlicht aus wirtschaftlichen Aspekten sagen,
sie würden das tolerieren. Hier muss man abwägen. Ich
habe für mich den Schlussstrich gezogen und gesagt: Ich
will niedrige Grenzwerte.
Bei Fleisch und Fleischwaren gab es in den letzten
Jahren zwei auffällige Proben: einmal bei Wildschweinen. Keiner kann sagen, warum das so war. Auf Futtermittel kann diese Kontamination höchstwahrscheinlich
nicht zurückgeführt werden. Es gab aber auch eine andere Fleischprobe, bei der es offensichtlich durch Futtermittel zu einer Kontamination gekommen ist.
Nun zu den Eiern. Schauen wir uns einmal die Situation an. Irgendjemand hat hier - ich weiß nicht genau,
wer - von einer Studie gesprochen. Es hat sich nicht um
eine langfristig angelegte Studie gehandelt. Wir versuchen nur, im Rahmen des Monitorings durch Stichproben herauszufinden, ob es in bestimmten Segmenten
Probleme gibt. Seit Jahr und Tag haben sich auch frühere
Bundesregierungen mit diesem Thema beschäftigt. Man
wusste, dass es hier Probleme mit den Rückständen gibt.
Wir versuchen außerdem, herauszufinden, wie hoch die
Rückstände sind und wo es Managementprobleme gibt.
Manche Betriebe - Herr Ostendorff hat vorhin darauf
hingewiesen - haben sich billiges Holz besorgt und haben das für klug gehalten. Dabei haben sie vergessen
nachzufragen, was auf dem Holz bzw. was in dem Holz
ist.
Die Ergebnisse für die Jahre 1999 bis 2003 liegen vor.
Im Bereich der ökologisch erzeugten Eier gab es
26 Proben. Bei 25 Proben lag der Dioxinanteil unter
2 Pikogramm pro Gramm und bei einer Probe lag er zwischen 2 und 3 Pikogramm pro Gramm. Es ist nicht verwunderlich, dass Dioxin enthalten war. Aber alle Werte
liegen unterhalb des seit dem 1. Januar geltenden
Höchstwertes.
Im Bereich der Käfighaltung gab es 66 Proben. Davon lagen 6 Proben über dem zulässigen Höchstwert.
Hinsichtlich der Freilandhaltung ist zu sagen: Von den
93 Proben lagen 8 Proben über dem gültigen Grenzwert.
Das sind die Daten, die in den Jahren 1999 bis 2003 erhoben worden sind.
Nun wird gesagt, man habe davon nichts gewusst.
Lassen Sie es mich einmal in dieser Schärfe formulieren:
Wenn selbst Sie, Frau Klöckner, im letzten Jahr so viel
wussten, dass Sie eine Anfrage stellen konnten, dann
muss es öffentlich verfügbares Material gegeben haben.
({3})
Ich will auf Ihren Beitrag inhaltlich nicht weiter eingehen, sondern ich will an dieser Stelle nur sagen: Mir
wäre es sehr lieb, Sie würden sich zumindest ansatzweise an die Wahrheit halten. Auf unserer Website steht
etwas zu Dioxin; auf der Website des BfR steht schon
längere Zeit etwas zu Dioxin. Jedes Mitglied dieses Hauses, das sich für dieses Thema interessiert und sich damit
beschäftigt, weiß, dass wir seit Jahr und Tag in dieser
Frage unterwegs sind. Das BMU hat Ihnen geantwortet,
weil es - auch das sollten Sie wissen - für die Umweltkontaminanten zuständig ist.
({4})
- Sie haben doch Mitarbeiter sowie Kolleginnen und
Kollegen, die schon länger im Ausschuss sind. Ich sage
Ihnen: Für die Umweltkontaminanten ist das BMU zuständig. Deshalb hat Ihnen die Staatssekretärin im Umweltministerium zuständigkeitshalber geantwortet.
({5})
- Hätte ich geantwortet, dann hätten Sie heute gesagt:
Die Verbraucherschutzministerin hat geantwortet, obwohl nach den Umweltkontaminanten gefragt wurde.
Es ist aber nicht entscheidend, wer antwortet; denn
die Ressorts stimmen sich in diesen Fällen, was die Antworten auf eine solche Anfrage betrifft, untereinander
ab. Wir schauen, wer an dieser Stelle federführend ist.
({6})
Deshalb haben Sie die Antwort vom BMU bekommen.
Sie müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass wir uns
in Brüssel seit Jahren für diese Grenzwerte - warum
wohl? - eingesetzt haben. Aber darum geht es Ihnen gar
nicht.
({7})
Es geht Ihnen um die Käfighaltung und darum, sich vor
der Grünen Woche, auf der es dann entsprechende Vorträge gibt, einen Spaß zu machen.
({8})
Aber ich spreche hier im Rahmen dieser Aktuellen
Stunde gerne zu diesem Thema.
Dennoch muss ich sagen, dass Sie weder den Verbrauchern noch den Landwirten einen Gefallen getan haben.
({9})
Wir wissen: Entscheidend ist nicht die Haltungsform,
sondern die Belastung des Standortes.
({10})
- Nein. Wir wissen das sehr genau. An dieser Stelle will
ich darauf hinweisen, Herr Goldmann, dass die durchschnittliche Dioxinbelastung der Bevölkerung in den
letzten Jahren um circa 60 Prozent abgenommen hat.
({11})
Das ist unserer konsequenten Umweltpolitik zu verdanken. Ich würde mich freuen, wenn auch Sie beim Thema
Umweltpolitik endlich einmal in die Gänge kämen.
({12})
Ich muss außerdem sagen, dass mir an dieser Stelle
mehr Schnappauf und weniger Ehlen lieb wäre. Herr
Ehlen ist mit wehenden Fahnen in das Thema Käfighaltung eingestiegen und hat mit der Qualität der Käfigeier
angegeben. Ich sage Ihnen: Herr Ehlen hat zuhause viel
zu tun. Denn es gibt genug Standorte und Regionen in
Niedersachsen, wo man sich mit der Dioxinproblematik
beschäftigen und vor Ort ein Krisenmanagement betreiben müsste.
({13})
Ich nenne die Sonderabfalldeponie in Münchehagen, die
Müllverbrennung in Hameln, das Sinterstahlwerk in
Salzgitter, die Kabelverschwelung in Nordenham und
das Elbsediment im Elbdeichvorland.
An all diesen Orten gibt es dioxinbelastete Stellen. Da
gilt es, Hausaufgaben zu machen, anstatt Ideologie in die
Welt zu blasen. Damit wäre allen Beteiligten mehr geholfen.
({14})
Ich sage auch klar: Ich habe die Nase gestrichen voll
davon, an jeder Stelle von den Länderministern zu hören, man müsse Personal bei den Lebensmittel- oder Veterinärkontrollen einsparen. Ich will dies nicht mehr hören, weil die Menschen das, was angeboten wird, essen
müssen. Deshalb gibt es da nichts zu sparen.
({15})
Seit 1. Januar 2005 ist die Situation für die Verbraucher besser, weil es seitdem einen Eingriffswert gibt.
Alle Länder und alle Beteiligten in der Wirtschaft sind
vom BMU regelmäßig in Schreiben darauf hingewiesen
worden, ihr Management dementsprechend zu organisieren.
Sie können hier nicht fordern, dies öffentlich zu machen. Soll ich öffentlich machen, dass die Situation ab
heute besser wird? Das druckt wieder einer und dann lachen Sie auch, Herr Goldmann. Wir haben öffentlich gemacht, dass ein neuer Grenzwert gilt und er einzuhalten
ist.
({16})
Lassen Sie mich zum Abschluss eines sagen: Wir haben im Bereich der Umweltpolitik eine Vielzahl von
Maßnahmen ergriffen. Vorhin gab es im Rahmen des
Themas Müllverbrennung sehr viel Lob. Auch ich lobe
die CDU/CSU für die von ihr eingeführte Müllverbrennung. Aber wahr ist: Sie haben an dieser Stelle nur die
halbe Aufgabe erledigt. Im Jahre 2003 haben wir die
Großfeuerungsanlagenverordnung, die seitdem auch für
Großfeuerungs- und Industrieanlagen, Kraftwerke und
alle anderen Anlagen, in denen Abfälle verbrannt werden, gilt, verschärft und Regelungslücken geschlossen.
Das ist ein Bereich, an den sich Frau Merkel als Umweltministerin nicht herangetraut hat und sich nicht herantrauen durfte. Das ist ein Bereich, bei dem Sie mit
Nein gestimmt haben und auf der Seite der Zementindustrie waren.
({17})
Sie sollten sich schämen! Sie wagen es hier, eine solche
Rede zu halten!
Fangen Sie endlich an, in den Bereichen Lebensmittelsicherheit und Umweltpolitik das zu tun, was zu
tun ist! Beenden Sie endlich die ewige Ideologie des
kurzfristigen Profits! Auch Frau Merkel hat in Schleswig-Holstein gesagt: Es geht nicht zuerst um die Umweltpolitik, sondern um den Arbeitsplatz. Keinem Menschen ist auf Dauer trotz eines Arbeitsplatzes geholfen,
wenn in den Bereichen Umwelt und Gesundheit alles
eingerissen wird.
Besinnen Sie sich also! Es gibt nur ein Ziel. Dieses
Ziel ist eine gute und gesunde Zukunft.
({18})
Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Bleser von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was Frau
Künast in höchster Erregung geboten hat,
({0})
zeigt mir, dass wir mit dieser Aktuellen Stunde voll ins
Schwarze getroffen haben.
({1})
Sie ist bei ihrer Politik der Verleumdung
({2})
und bei ihrer einseitigen Agrarpolitik ertappt worden.
Sie hat bewiesen, dass sie mit ihren Äußerungen danebengelegen hat.
({3})
Sie hat die Verbraucher getäuscht und sie tut es weiter.
Das werde ich im Laufe meiner Ausführungen anhand
von Zitaten belegen.
„Was nicht sein darf, das nicht sein kann“ - das ist
Ihre Devise, die Sie in Ihrem Ministerium zum Thema
„ökologische Landwirtschaft“ ausgerufen haben.
({4})
Anstatt die gesundheitlichen Risiken aller Lebensmittel
unabhängig von Haltungsformen in gleicher Art und
Weise zu betrachten, nehmen Sie einseitige Wertungen
vor. Zur Verteidigung Ihrer Politik gehen Sie in die Offensive. Ich lese einmal vor, wie Sie in der heutigen Ausgabe der Koblenzer „Rhein-Zeitung“ zitiert werden.
Dort steht:
Für Agrarministerin Renate Künast … grenzt an
„arglistige Täuschung“, wenn „interessierte Kreise“
- früher hieß das: im westlichen Ausland den Menschen weismachen wollten, dass Eier aus
Käfighaltung weniger belastet seien.
Frau Ministerin, das ist eine glatte Falschaussage.
({5})
Es ist vorhin schon mehrfach darüber debattiert worden:
Eier aus Käfighaltung sind im Durchschnitt fast um die
Hälfte niedriger belastet als Eier aus Freilandhaltung.
Das sind die Tatsachen; das kann man doch nicht einfach
leugnen.
({6})
Es geht weiter: Die Hilfstruppen der Grünen sind natürlich mit verharmlosenden Äußerungen unterwegs. Ich
weiß, es tut Ihnen weh, wenn ich jetzt Thilo Bode von
Foodwatch zitiere: Ich halte die Angelegenheit für aufgebauscht. Bei anderen Lebensmitteln gibt es noch viel
größere Probleme.
Genau das, Frau Künast, haben auch Sie gemacht. Sie
zählen eine ganze Reihe von Lebensmittelarten auf, um
deutlich zu machen, dass die Situation überall ähnlich
sei. Nein, hier sind die Freilandhaltung und die ökologische Hennenhaltung ertappt worden
({7})
und das muss dargestellt werden.
Meine Damen und Herren, die versteckte Botschaft
dieser Aussagen ist doch - das klingt bei Ihnen überall
durch -: Weil es Ökoeier sind, können sie gar nicht gesundheitsgefährdend sein.
({8})
Damit sind Sie in die Falle getappt. Ich sage Ihnen ganz
klar, Frau Ministerin: Ein derartiges Verhalten macht die
Verbraucher zu Recht misstrauisch.
Es hat lange gedauert, bis das eingetreten ist, was immer eintritt, wenn man wissenschaftlich belegte Fakten
bei der Beurteilung - in diesem Fall: bei der Beurteilung
der Lebensmittelsicherheit - ignoriert.
({9})
Nach dem Nitrofen-Skandal mit verseuchtem Ökogetreide und nach der Weigerung, Tiermehl als Dünger zu
verbieten, weil er für ökologische Betriebe wichtig sei,
erleben Sie jetzt Ihr ökopolitisches Waterloo, Frau
Künast.
({10})
Mit den überhöhten Dioxinwerten in Freilandeiern haben Sie Ihr ökopolitisches Waterloo erlebt. Die Menschen werden erkennen, dass Sie eine Politik betreiben,
die nicht von Wahrheit geprägt ist.
({11})
Was müssen wir tun? Erstens. Die Menschen in
Deutschland haben Anspruch auf gesunde Lebensmittel.
Grenzwerte für unerwünschte Stoffe müssen nicht nur
bei allen Lebensmitteln unabhängig von der Produktionsweise gleich sein, sie müssen auch mit vergleichbaren Kontrolldichten und Dokumentationspflichten belegt
werden.
Zweitens. Wir brauchen in Deutschland gerade aus
Tierschutzgründen auch nach 2007 die Möglichkeit, Legehennen in mit Nestern, Scharrmöglichkeiten und Sitzstangen ausgestalteten Kleinvolieren zu halten; das ist
mehrfach angesprochen worden. Nur so werden wir
auch das Problem des Krankheitsdrucks und der
Hygiene bei Freilandhaltung in den Griff bekommen.
Drittens müssen unsere Forscher den Erzeugern in der
Freilandhaltung helfen, Wege zu finden, damit sie diese
Produktion beibehalten können. Diese Haltungsform hat
durchaus ihre Existenzberechtigung; das wollen wir
nicht bestreiten. Wir wollen, dass nicht Sie, Frau Künast,
entscheiden, was gekauft werden soll, sondern der Verbraucher. Wenn wir von der einseitigen Präjudizierung
dieser Produktionsform wegkommen, dann schaffen wir
es auch, dass die Marktübersättigung von Ökoprodukten
schwindet und diese Betriebe somit die Möglichkeit bekommen, ein Einkommen zu erzielen, mit dem sie überleben können.
Sie, Frau Ministerin, haben bei der Beurteilung von
Lebensmitteln in den letzten Jahren eine einseitige Betrachtungsweise an den Tag gelegt. Mein Rat an Sie ist:
Tun Sie etwas gegen Ihre rot-grüne Farbenblindheit, die
die Verbraucher gefährdet und die Tiere quält! Ansonsten werden Sie die nächste Klippe nicht erkennen und
stürzen.
Herzlichen Dank.
({12})
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat die Kollegin Waltraud Wolff von der SPD-Fraktion
das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass die FDP heute diese Aktuelle Stunde beantragt
hat, finde ich, gelinde gesagt, ein starkes Stück. Was haben wir heute hier erlebt? Polemik vom Feinsten, Verbraucherverunsicherung, die Nichtachtung der Leistungen des Bundesministeriums in diesem Bereich
({0})
und insbesondere - das ist jedenfalls meine Meinung die Diffamierung von Bundesministerin Renate Künast,
die immer gefordert hat, dass es keine unterschiedlichen
Dioxingrenzwerte bei Eiern aus Freiland- und Eiern aus
Käfighaltung geben darf. Allein das EU-Recht stand
dem entgegen und das weiß auch die Opposition.
Warum finde ich diese Aktuelle Stunde mehr als ungehörig? Nicht, weil ich das Thema „Dioxine in Lebensmitteln“ bagatellisieren will. Ich begrüße es sogar sehr,
Waltraud Wolff ({1})
dass sich die Bundesregierung mittlerweile erfolgreich
in Brüssel durchgesetzt hat und dass seit Anfang dieses
Jahres harte Dioxingrenzwerte auch für Freilandeier gelten; denn das war schließlich die Grundsatzforderung
der Bundesregierung.
({2})
Ich werfe der FDP vor, diese Debatte aus populistischen Gründen beantragt zu haben, um direkt vor Beginn der Grünen Woche auf der Welle der Boulevardpresse mitzusurfen.
({3})
Das ist in meinen Augen der einzige Grund.
({4})
Es ist gar keine Frage, dass überhöhte Dioxinwerte
schlecht sind. Hier kann ich aber auch wieder nur mit
den Worten von Frau Künast antworten: Kontrollen,
Kontrollen, Kontrollen. Und was soll ich Ihnen sagen?
Die Kontrollverfahren haben sich in den letzten Jahren
so immens verbessert, dass es sich wirklich lohnt, das
Minimierungsprogramm der Bundesregierung fortzusetzen und zu unterstützen.
Die Kontrollen - darüber ist heute auch geredet worden - sind hoheitliche Aufgaben der Länder; deshalb
sind die Länder an dieser Stelle in der Pflicht. Da hilft es
überhaupt nichts, wenn Sie als Opposition immer wieder
zetern, dass sich der Bund aus der Verantwortung stehlen
würde.
Im Entdecken dioxinbelasteter Eier sehe ich sogar
eine Chance, nämlich die Chance der gezielten Ursachenbeseitigung und unter anderem auch die Chance einer künftigen Bodenverbesserung.
({5})
Es sind aber auch ganz eindeutig die Hennenhalter aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, um die Dioxingehalte zu senken.
({6})
Wichtig ist aus meiner Sicht auch, dass die Eierproduzenten die Kontaminationsquellen auffinden und, wenn
möglich, ausmerzen.
({7})
Ich sage mit Absicht „wenn möglich“; denn zum Beispiel - auch das ist heute schon gesagt worden - kann jeder Betrieb seine Einstreu und auch seine Futtermittel
überprüfen und beeinflussen. Man kann auch belastete
Materialien vom Hühnerhof entfernen.
Aber wir wissen, dass die Dioxinbelastung aus einer
jahrzehntelangen verfehlten Industriepolitik resultiert
({8})
und dass Belastungen auch heute noch eingetragen werden können. So wie das Dioxin über viele Jahre hinweg
unsere Umwelt verseucht hat, so braucht die Umwelt
heute auch unsere aktive Hilfe, um sich wieder zu erholen. Da ist es mehr als unpassend, hier der Regierung
Untätigkeit vorzuwerfen.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was wäre denn eigentlich, wenn es in diesem Jahr nicht zu den strengeren
Grenzwerten gekommen wäre? Die Dioxingehalte wären
nicht weniger hoch gewesen als jetzt und dies hätte mit
Sicherheit kaum jemanden gekümmert, nicht die Presse
und - wenn wir einmal ganz ehrlich sein wollen - Sie als
Opposition auch nicht.
({10})
Dazu kommt, dass von einer gesammelten Datenlage
für das Jahr 2004 gar nicht die Rede sein kann, weil die
vereinzelt eingegangenen Ergebnisse keine belastbaren
Aussagen zulassen. Wenn dem so wäre, müsste man ja
auch von einer über 9,1-prozentigen Belastung bei
Käfigeiern sprechen. An dieser Stelle möchte ich die
Zahlen noch einmal nennen, damit auch die Leute auf
der Besuchertribüne sie hören - Sie, meine Damen und
Herren von der Opposition, sind ja schätzungsweise beratungsresistent -: Von 1999 bis 2003 ergeben sich unter
Zugrundelegung des neuen Höchstwertes folgende Belastungen: bei der Käfighaltung 9,1 Prozent,
({11})
bei der Bodenhaltung 4,4 Prozent, bei der Freilandhaltung 8,7 Prozent und bei den Bioeiern 0 Prozent, also
keine Überschreitung dieser Höchstgrenze.
({12})
Ich weiß nicht, wie sich dazu die Opposition stellt.
Ich hoffe, dass sich die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht verunsichern lassen; denn ein gestörtes
Kaufverhalten straft nicht die Regierung und auch nicht
die Regierungsparteien. Vielmehr geht es eindeutig zulasten unserer Betriebe.
({13})
Waltraud Wolff ({14})
Wir als SPD wollen das nicht zulassen und setzen auf
Sachlichkeit, Aufklärung und Ursachenbekämpfung.
Schönen Dank.
({15})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 20. Januar 2005,
8.30 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.