Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Die Politik der Bundesregierung für behinderte Menschen - Mehr Selbstbestimmung und Teilhabe.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung, Ulla Schmidt.
({0})
Die sind alle sehr intensiv beschäftigt. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat in der vergangenen Legislaturperiode einen
Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik eingeleitet.
Das war das größte gesetzgeberische Programm in diesem
Bereich seit den 70er-Jahren. Dieser Paradigmenwechsel
bringt spürbare Verbesserungen für behinderte Menschen
in ihrer Lebenswelt. Behinderte und von Behinderung bedrohte Menschen sind nicht länger Objekt öffentlicher
Fürsorge; vorgesehen sind vielmehr eigenständige Rechte
und die Beseitigung aller Hindernisse, die den behinderten Menschen bis dato noch im Wege gestanden haben,
sodass diese Menschen die Chancengleichheit verwirklichen können.
Wir haben die neue Politik vor vier Jahren auch mit
dem Ziel begonnen, die Arbeitslosigkeit von Menschen
mit Behinderungen zu bekämpfen. In nur zwei Jahren seit
In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter ist es gelungen, die Arbeitslosigkeit dieser Personengruppe um 24 Prozent zu
senken, und das angesichts schwieriger konjunktureller
Bedingungen. Wir wollen an diesen Erfolg anknüpfen und
die Kampagne zum Abbau der Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen mit weiterentwickelten Zielvorgaben
fortführen. Weil wir 24 Prozent erreicht haben - das Ziel
waren 25 Prozent -, sehen wir keine Notwendigkeit, die
Beschäftigungspflichtquote zum 1. Januar wieder von
5 Prozent auf 6 Prozent anzuheben.
Mit dem Sozialgesetzbuch IX, das man mit Fug und
Recht als einen Meilenstein in der Behindertenpolitik der
Bundesregierung bezeichnen kann, haben wir die Selbstbestimmung und die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen verbessert, ihre Wunsch- und
Wahlrechte ausgebaut sowie die Beteiligungsrechte ihrer
Verbände gestärkt.
Eine der wohl bedeutendsten Innovationen in diesem
Gesetz ist das persönliche Budget, das wie kaum eine andere Leistungsform dazu geeignet ist, die individuelle
Selbstbestimmung behinderter Menschen und die Entstehung bedarfsgerechter Leistungsangebote zu fördern. Wir
wollen deshalb dem persönlichen Budget in dieser Legislaturperiode auch in der Praxis zum Durchbruch verhelfen. Das SGB IX schließt eine seit langem bestehende
Lücke im Sozialgesetzbuch. Behinderte Menschen können ihre Rechte leichter in Anspruch nehmen.
Die gemeinsamen Servicestellen der Rehabilitationsträger werden dazu beitragen, dass diese Rechte wahrgenommen werden können. Ich hoffe sehr, dass nicht nur die
Servicestellen eingerichtet werden, sodass wir am Ende
des Jahres ein flächendeckendes Angebot haben, sondern
dass sie im Interesse der behinderten Menschen die Arbeit
so gestalten, dass ihre Leistung wahrgenommen werden
kann. Sie wissen alle: Wir haben vor Ort im Moment eine
Reihe von Problemen zu lösen.
Mit dem Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen, das als letztes großes Reformprojekt in der vergangenen Legislaturperiode verwirklicht wurde, wird
das Gebot des Grundgesetzes „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ umgesetzt. Das
Gleichstellungsgesetz schafft die Voraussetzungen für
eine schnelle und umfassende Herstellung der Barrierefreiheit. Dabei geht es nicht nur um Barrierefreiheit in Gebäuden, sondern auch um die Beseitigung von Barrieren
im kommunikativen Bereich. Hierzu haben wir gemeinsam mit dem BMI drei Rechtsverordnungen auf den Weg
gebracht. Jetzt kommt es darauf an, dafür zu sorgen, dass
Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit eröffnet
wird, bei allen gesellschaftlich relevanten Fragen mit diskutieren und am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu
können.
Wir haben im Jahre 2003 das Europäische Jahr der
Menschen mit Behinderungen. In diesem Rahmen wollen
wir zusammen mit den anderen Mitgliedstaaten und den
europäischen Institutionen die Bevölkerungen in Europa
für die Belange von Menschen mit Behinderungen sensibilisieren. Wir wollen den Erfahrungsaustausch auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene stärken und erreichen, dass alle Beteiligten besser zusammenarbeiten. Das
Europäische Jahr soll die Politik für behinderte Menschen
in Europa ein gutes Stück voranbringen. Es soll auch ein
wichtiger Baustein sein; der auch die Arbeiten der Kommission begleiten wird.
Die Bundesregierung wird die Forderung nach einer
umfassenden Antidiskriminierungsrichtlinie mit Nachdruck unterstützen und wird, aufbauend auf dem, was wir
in der letzten Legislaturperiode erreicht haben, ein Antidiskriminierungsgesetz auf den Weg bringen.
Vielen Dank.
Ich bitte Sie, zunächst Fragen zu dem Themenbereich
zu stellen, über den so eben berichtet wurde. - Herr Kollege Koppelin, bitte.
Frau Ministerin, alles das, was Sie gesagt haben, hört
sich ganz gut an. Ich möchte aber nun konkret werden.
Eine Art der Behinderung ist, wie Sie sicherlich wissen,
die Gehörlosigkeit. Was unternimmt die Bundesregierung
konkret, damit zum Beispiel mehr Gehörlosendolmetscher ausgebildet werden können, um deren Zahl zu erhöhen? Wie engagiert sich die Bundesregierung, damit
Gehörlose die Möglichkeit haben, sich auch im politischen Bereich zu informieren? Ich denke hier an die Parlamentsdebatten. Ich könnte mir vorstellen, dass sie diese
gerne verfolgen würden, wenn wir Gehörlosendolmetscher hätten. Diese haben wir nicht. Wie also engagieren
Sie sich? Welche Chancen sehen Sie, dass wir mehr
Gehörlosendolmetscher bekommen und dass die Gehörlosensprache anerkannt wird? Es reicht nicht, dass Sie
diese Dinge nur verkünden. Ihr Haus müsste in diesem
Bereich viel mehr tun als bisher.
Herr Kollege Koppelin, durch die Rechtsverordnungen
zur Herstellung der Barrierefreiheit haben wir uns im Geschäftsbereich der Bundesregierung unter anderem das
Ziel gesetzt, überall dort, wo es möglich ist, Gebärdendolmetscher einzusetzen. Es gibt - das wissen Sie - Anträge an den Deutschen Bundestag aus der letzten Legislaturperiode, in denen gefordert wird, die Möglichkeit zu
schaffen, dass auch Menschen mit Gehörbehinderungen
oder Gehörlosigkeit Parlamentsdebatten verfolgen können. Wir wollen ferner erreichen, dass sehbehinderte oder
blinde Menschen politische Dokumente lesen können.
Auch hier muss Barrierefreiheit hergestellt werden.
Ein Element, das wir im SGB IX geschaffen haben,
sieht vor, dass die Verbände der Behinderten in die Lage
versetzt werden, selbst Zielvereinbarungen mit Anbietern
zu treffen. Auf wesentlich mehr Veranstaltungen als noch
vor drei oder vier Jahren gehören Gebärdendolmetscherinnen oder -dolmetscher wie selbstverständlich dazu.
Überall in den Parteien und im Alltagsleben wird darauf
geachtet, dass bei großen Veranstaltungen Gebärdendolmetscher dabei sind, damit Menschen mit Behinderungen
teilnehmen können. Wir haben im damaligen Bundesarbeitsministerium große Veranstaltungen durchgeführt,
bei denen das der Fall war. Diese Anstrengungen werden
wir weiter fortsetzen.
Wir brauchen, wie ich glaube, sowohl Ausbildung als
auch die Verankerungen vor Ort. Sehr viele Gebärdendolmetscher sind freiberuflich tätig. Wir müssen dafür sorgen, dass zum Beispiel vertragliche Gestaltungen oder
Vereinbarungen mit Fernsehsendern und anderen zustande kommen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe. Die Bundesregierung alleine kann dieses nicht
sicherstellen. Sie ist darauf angewiesen, dass auch die
Länder und die Kommunen mitmachen. Alle gesellschaftlichen Gruppen, die in diesem Bereich Verantwortung tragen, müssen ihren Beitrag für Gleichstellung und
Barrierefreiheit leisten.
Sie können sicher sein, dass ich darauf ein Auge haben
werde; denn ich habe vor meiner Tätigkeit im Bundestag
immerhin 17 Jahre mit behinderten Menschen gearbeitet.
Daher kann ich sagen, dass wir auf einem guten Weg
sind.
Der Herr Kollege Koppelin hat eine Zusatzfrage.
Ich will wiederholen, Frau Ministerin, dass wir uns in
der Zielsetzung einig sind. Da Sie darüber gesprochen
haben, was Verbände in die Hand nehmen sollen, möchte
ich konkret von Ihnen hören, was Ihr Haus fördern wird.
Ein Gehörlosenverband - das kenne ich aus SchleswigHolstein - kann die Ausbildung von Gehörlosendolmetschern nicht bezahlen. Das ist völlig unmöglich. Wir haben zwar in Schleswig-Holstein dafür ein Modell, aber
das läuft aus. Danach ist die Finanzierung wieder ungewiss.
Wer wird diese Ausbildung bezahlen? Wer wird für
mehr Gehörlosendolmetscher sorgen? Nach meiner
Auffassung wird dies am Ende Ihr Haus sein. Dafür erwarte ich Modelle; denn wenn Sie bei Ihrer Berichterstattung Forderungen stellen, dann müssen Sie durch
Ihr Haus auch dazu beitragen, dass diese Forderungen
erfüllt werden können. Das habe ich bisher nicht erkennen können.
Sie können sicher sein, dass mein Haus diese Forderungen erfüllen wird. Die Frage der Finanzierung steht auf
einem anderen Blatt. Einiges können wir über den Ausgleichsfonds, der im BMWA angesiedelt ist, finanzieren.
Dazu werden wir die entsprechenden Schritte einleiten.
Jetzt geht es darum, die Rechtsverordnung, die wir erlassen haben umzusetzen. Ich berichte dann gerne über die
Umsetzung der einzelnen Maßnahmen, über die konkrete
Umsetzung der drei Rechtsverordnungen.
Die nächste Frage kommt vom Kollegen Hüppe.
Frau Ministerin, ich habe eine Frage zu der Fallpauschalenverordnung, die in Kürze umgesetzt wird. Im Rahmen des Optionsmodells besteht für mehrere Krankenhäuser die Möglichkeit - mein Eindruck ist, dass diese
Möglichkeit vor allen Dingen von Krankenhäusern genutzt wird, denen es finanziell schlechter geht -, anhand
der Fallpauschalen abzurechnen. Ich möchte gerne wissen, wie Sie gewährleisten wollen, dass die Krankenhausbehandlung, aber auch die daran anschließende Versorgung von Menschen mit Behinderungen in diesen
Fallpauschalen adäquat abgebildet werden. Gibt es von
Ihnen dazu schon konkrete Richtlinien? Diese Fallpauschalen werden schließlich Anfang nächsten Jahres eingeführt.
Herr Kollege Hüppe, im kommenden Jahr starten die
Krankenhäuser, die sich auf die Abrechnung mit Fallpauschalen vorbereitet haben, mit dem Modell. Das geschieht
in den Jahren 2003 und 2004 unter budgetneutralen Bedingungen. Im Jahr 2003 ist der Modellversuch freiwillig,
ab dem 1. Januar 2004 führen alle Krankenhäuser das
Fallpauschalensystem ein. Dieses Vorgehen ermöglicht
es, die bisherigen Kalkulationen für die Bewertung der
medizinischen Leistungen in der Praxis zu konkretisieren
und - wo es notwendig ist - nachzujustieren.
Sie wissen, dass nach dem Start dieses Modellversuchs
im kommenden Jahr die endgültige Kalkulation von der
Selbstverwaltung erarbeitet werden soll. Im Jahr 2005,
wenn alle Krankenhäuser anhand von Fallpauschalen abrechnen, werden die Erkenntnisse, die in der Phase der Erprobung gewonnen wurden, in die Fallpauschalen eingegangen sein.
Menschen mit Behinderungen - dabei kommt es immer auf die Art der Behinderung an - brauchen im Gesundheitswesen je nach Behinderung unterschiedliche
Begleitung. Ich nenne beispielhaft Menschen mit geistiger Behinderung. Das ist unabhängig von der Abrechnung
in den Krankenhäusern anhand von Fallpauschalen. Vielmehr müssen wir bei der Inanspruchnahme ärztlicher
Leistungen, sei es im ambulanten, sei es im stationären
Bereich, dafür Sorge tragen, dass die Kommunikation so
stattfindet, dass auch für behinderte Menschen eine optimale Behandlung garantiert werden kann. Wir haben in
den Regelungen zu den Fallpauschalen vorgesehen, dass
in sehr schwierigen Fällen bzw. in den Fällen, in denen
eine längerfristige Behandlung notwendig ist, eine Rückkehr zur Abrechnung nach Tagespflegesätzen möglich ist.
Auch ist bei der Gestaltung der Fallpauschalen der gesamte psychiatrische Bereich ausgenommen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Hüppe.
Frau Ministerin, wenn ich Sie eben richtig verstanden
habe, gibt es keine Richtlinien von Ihrer Seite, die das sicherstellen. Ich frage Sie vor dem Hintergrund, dass die
Überprüfung schwierig ist und dass in dem australischen
Modell, das für das deutschen Modell Pate gestanden hat,
Menschen mit Behinderungen von den Fallpauschalen
ausgenommen worden sind: Ist es richtig, dass noch keine
konkreten Anweisungen vorliegen, um Patienten mit bestimmten Erkrankungen von den Fallpauschalen auszunehmen? Patienten wie ein Alzheimerpatient, der mit einem Beinbruch ja nicht in die Psychiatrie, sondern in ein
normales Krankenhaus eingeliefert wird, werden in den
Krankenhäusern vor allem, wenn es ihnen schlecht geht,
nicht gern gesehen, weil für diese Patienten ein zusätzlicher Pflegeaufwand notwendig ist.
Herr Kollege Hüppe, zu den Aufgaben in den kommenden zwei Jahren gehört es, zu prüfen, für welche
Sachverhalte besondere Lösungen erforderlich sind. Wir
befinden uns im intensiven Gespräch mit den Behindertenverbänden und den Sozialverbänden, um insbesondere
bei der Betreuung geistig behinderter Menschen zu Lösungen zu kommen, die den behinderten Menschen in der
stationären wie auch der nachstationären Behandlung
gerecht werden. Hier bestehen - unabhängig vom Fallpauschalensystem - schon derzeit Probleme. Deshalb ist
gleichzeitig mit den Fallpauschalen gesetzlich geregelt
worden, die Entwicklungen in diesem Bereich genau zu
verfolgen; das gilt für die schwer Unfallverletzten, die
Komapatienten und andere. Bei der endgültigen Festlegung der Fallpauschalen, die erst nach der zweijährigen
budgetneutralen Phase, in der sich in der Finanzierung der
Krankenhäuser keine Änderungen ergeben, erfolgt, werden die gesammelten Erfahrungen berücksichtigt werden
können.
Der nächste Fragesteller ist der Kollege Bahr.
Frau Ministerin, Sie haben in Ihrer Einführung viele
allgemeine Ziele formuliert, die hier im Hause sicherlich
viel Zuspruch erfahren. Ich frage Sie aber nach den konkreten gesetzgeberischen Vorhaben, mit denen wir in dieser Legislaturperiode rechnen können. Was ist in diesem
Zusammenhang geplant? Ich möchte konkret das Leistungsgesetz ansprechen, das in Ihren Reihen als großes
Wahlkampfversprechen angekündigt wurde. Ist von Ihrer
Seite für diese Legislaturperiode ein Leistungsgesetz geplant, das die Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe herauslöst, und können wir in dieser Legislaturperiode mit
einem Entwurf rechnen?
In dieser Legislaturperiode steht die Sozialhilfereform
an. Im Rahmen dieser Reform wird - wie eben ausgeführt - die Frage des individuellen Budgets eine große
Rolle spielen. Darüber hinaus werden Abgrenzungsfragen
geklärt werden, um die praktische Anwendung sicherzustellen. In diesem Zusammenhang ist im Koalitionsvertrag festgehalten worden, dass Schritte hin zu einem Leistungsgesetz entwickelt werden. Die Umsetzung wird
schrittweise und mit Blick darauf erfolgen, dass die Finanzierung und die Akzeptanz seitens der Länder und der
Kommunen sichergestellt sind. In diesem Bereich ist Zusammenarbeit gefordert.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Bahr.
Ich habe eine kurze Zusatzfrage, um für mich klarzustellen, ob ich Ihre Antwort richtig verstanden habe: Ist
es richtig, dass ein eigenständiges Leistungsgesetz nicht
geplant ist, sondern dass Sie im Rahmen der Sozialhilfereform erste Schritte in Richtung eines solchen Gesetzes
unternehmen wollen? Habe ich es richtig verstanden, dass
wir in dieser Legislaturperiode nicht mit einem eigenständigen Leistungsgesetz rechnen können?
Vielleicht steht das am Ende. Aber zuerst werden wir
die Sozialhilfereform auf den Weg bringen. Wir werden
das individuelle Budget praxissicher machen. Wir werden
prüfen, was in einer längerfristigen Perspektive im Rahmen eines Leistungsgesetzes auf den Weg gebracht werden kann. Schließlich müssen wir auch die Länder und die
Kommunen mitnehmen.
Die nächste Frage kommt von der Kollegin Müller.
Frau Ministerin, wie bewertet die Bundesregierung das
Vorhaben der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen,
die Zuschüsse für medizinisch-therapeutisches Personal
in Schulen für Körperbehinderte der Landschaftsverbände in Höhe von 8,5 Millionen Euro zu streichen?
Ich bin im Moment über die Maßnahmen und die Pläne
der Landesregierung von NRW nicht informiert. Sie liegen mir auch nicht vor. Deshalb möchte ich dazu keine
Stellung nehmen.
Bitte schön, Frau Kollegin Müller.
Ich frage trotzdem nach: Sofern es denn so wäre, würden Sie das für politisch klug halten?
Ich habe mir abgewöhnt, in meinem politischen Leben
auf Fragen zu antworten, die im Konjunktiv gestellt werden.
Nächste Fragestellerin ist die Kollegin Silvia Schmidt.
Meine Frage ist folgende: Wir haben 1999 eine Kampagne zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen gestartet. Können Sie mir Zahlen und
Ergebnisse nennen, die belegen, inwieweit diese Kampagne von Erfolg gekrönt war?
Wir haben in den letzten anderthalb Jahren die Arbeitslosigkeit um 24 Prozent abbauen können. Ende Oktober 2002 war die Zahl arbeitsloser behinderter Menschen so gering wie seit 1991 nicht mehr. Von Oktober
1999 bis Ende Oktober 2002 konnte die Zahl arbeitsloser
schwerbehinderter Menschen um 45 305 gesenkt werden.
Das sind rund 24 Prozent. Im Vergleich zu Ende Oktober
2001 ist die Zahl arbeitsloser schwerbehinderter Menschen um 19 630, das heißt um rund 12 Prozent, zurückgegangen. Demgegenüber ist die allgemeine Arbeitslosigkeit leider um 5,5 Prozent gestiegen.
Eine weitere Frage der Kollegin Schmidt.
Frau Ministerin, können Sie mir sagen, was zum Erfolg
dieser Kampagne beigetragen hat?
Der Grund lag darin, dass alle - die Politik, die Bundesanstalt für Arbeit, die Gewerkschaften, die Verbände,
die Kommunen oder die Bundesregierung - an einem
Strang gezogen haben. Wir haben dafür gesorgt, dass der
Anteil beschäftigter schwerbehinderter Menschen stark
gestiegen ist. Alle waren sich in dem Ziel einig, in Kooperation mit den Arbeitsämtern das Ziel, die Zahl arbeitsloser schwerbehinderter Menschen um 25 Prozent zu
senken, zu erreichen. Deswegen ist die Quote von 6 auf
5 Prozent gesenkt worden. Wir sehen in der Tatsache, dass
wir gut 24 Prozent erreicht haben, eine gute Ausgangsbasis, um im kommenden Jahr die Arbeit fortzusetzen.
Ich möchte noch auf eines hinweisen: Die Bedingungen sind natürlich für diejenigen Menschen sehr schwierig, die bisher nicht vermittelbar waren. Hier gibt es einen
hohen Anteil arbeitsloser schwerbehinderter Menschen,
über 45 Jahre oder ohne Berufsausbildung. Deshalb muss
man sich in den kommenden Monaten sehr genau auf
die Vermittlung dieser Menschen konzentrieren. Vor allen
Dingen muss die Bundesanstalt für Arbeit weiterhin
die Vermittlung schwerbehinderter Menschen zu einem
Schwerpunkt ihrer Tätigkeit machen. Ich bin sicher, dass
wir dies erreichen werden und damit weiter zum Abbau
der Arbeitslosigkeit beitragen können.
Nächste Fragestellerin ist die Kollegin Butalikakis.
Frau Ministerin, welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung im Hinblick auf die Umsetzung des Bundesgleichstellungsgesetzes in Landesgleichstellungsgesetze
vor? Sie wissen vielleicht: Das Land Berlin hatte weit vor
der bundesgesetzlichen Regelung ein eigenes Landesgleichstellungsgesetz. Wie sieht das in den anderen Bundesländern aus? Welche Erkenntnisse haben Sie dazu?
Die Arbeit der Länder an ihren Gleichstellungsgesetzen ist in den verschiedenen Ländern unterschiedlich weit
fortgeschritten. Wir werden weiterhin mit darauf achten
und helfen, wo das möglich ist, dass die Maßnahmen zur
Erreichung der Barrierefreiheit und des Zuganges für alle
auch in den Ländern auf den Weg kommen. In verschiedenen Bereichen sind schon Erfolge erzielt worden. Es
gibt unterschiedliche Zielvereinbarungen, die auf der
Landesebene getroffen worden sind. Es gibt überall Initiativen. Dennoch haben wir da in den kommenden Jahren noch Arbeit vor uns.
Möchten Sie noch eine Zusatzfrage stellen?
({0})
- Bitte schön.
Wann wird die Umsetzung in Landesgleichstellungsgesetze Ihrer Einschätzung nach erfolgt sein? Sie sagten,
dass in den kommenden Jahren noch Arbeit vor uns liegt.
Das hörte sich so an, als ob es sich um einen sehr großen Zeitraum handelt. Wann also wird die Umsetzung in
Landesgleichstellungsgesetze Ihrer Einschätzung nach
tatsächlich erfolgt sein?
Die Umsetzung sollte so schnell wie möglich stattfinden.
Wenn ich recht informiert bin, ist sie in Rheinland-Pfalz
bereits geschehen. Jeder muss sich klarmachen, dass die
Menschen mit Behinderungen ein Anrecht auf Barrierefreiheit haben und dass es auch Aufgabe der einzelnen
Länder ist, dies in Landesrecht umzusetzen.
Ich kann Ihnen zum Stand der Vorbereitung in den einzelnen Ländern jetzt nichts sagen. Wenn es Sie interessiert, bin ich gern bereit, darauf schriftlich Antwort zu geben. Wir müssen einmal abfragen, wie das in den
einzelnen Ländern aussieht, wie jedes einzelne Land
vorgeht und welcher Stand erreicht ist. Sind Sie damit einverstanden?
({0})
- Gut.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Helga KühnMengel.
Frau Ministerin, Sind Sie mit mir der Meinung, dass
durch die gesetzgeberischen Maßnahmen, die die Koalition seit vier Jahren in diesem Feld zustande gebracht hat
- Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter, SGB IX, Mietrechtsreform, Bundesgleichstellungsgesetz, auch Anerkennung der Gebärdensprache,
Herr Kollege Koppelin -, die Voraussetzungen geschaffen
worden sind, um das Diskriminierungsverbot in Art. 3
Grundgesetz endlich mit Leben zu erfüllen?
Frau Kollegin Kühn-Mengel, ich bin mit Ihnen ganz
entschieden einer Meinung.
({0})
- Ja, das war auch keine Konjunktivfrage. - Wir haben mit
diesen Gesetzen einen entscheidenden Paradigmenwechsel zustande gebracht. Ich sage dies auch als jemand, der
17 Jahre seines Lebens mit Menschen mit Behinderungen
gearbeitet hat und in diesen Jahren immer für Folgendes
eingetreten ist: Wir müssen in dieser Gesellschaft akzeptieren, dass Menschen mit Behinderungen zwar Behinderungen haben, aber leistungsfähig sind und sehr viele Fähigkeiten einbringen können. Es geht darum, den Menschen,
die ein eigenständiges Leben führen wollen und auch
führen können, die notwendigen Instrumente an die Hand
zu geben und die für sie notwendigen Rahmenbedingungen
zu schaffen.
Das Sozialgesetzbuch IX ist ein Meilenstein auf dem
Wege dahin, diesen Menschen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Es schafft die Rahmenbedingungen
dafür, dass Menschen mit Behinderungen eingegliedert
werden - gesellschaftlich, politisch und am Arbeitsmarkt.
Allein schon die Assistenten im Berufsleben sind eine
wichtige Errungenschaft. Bevor das Sozialgesetzbuch IX
verabschiedet worden ist, haben die Behindertenverbände
und die Menschen mit Behinderungen kaum zu hoffen gewagt, dass wir die Anliegen, für die die Menschen jahrelang gekämpft haben, umsetzen würden.
Zugleich ist darauf hinzuweisen, dass trotz der entscheidenden Schritte nach vorne niemand von uns, weder
in diesem Hause noch in einer Regierung in diesem Lande
noch irgendeiner vor Ort, aus der Verantwortung entlassen ist. Ein jeder bleibt dazu aufgefordert, dafür zu sorgen
und daran mitzuwirken, dass das Ziel, das gleichberechtigte Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderungen, verwirklicht wird und heute noch vorhandene Diskriminierungen wirklich beseitigt werden.
Unser Haus unterstützt sehr intensiv das Europäische
Jahr der Menschen mit Behinderungen, weil wir glauben,
dass dies ein guter Anlass ist, um mit vielen kleineren und
größeren Veranstaltungen vor Ort die Menschen für dieses Problem zu sensibilisieren. Es gibt ja eine Reihe von
diesbezüglichen Initiativen. Ich nenne nur einmal die
„Initiative Hören“, die sich zum Ziel gesetzt hat, darauf
aufmerksam zu machen, dass die Sinneswahrnehmung
Hören gefördert werden muss, insbesondere bei Kindern,
und hier auch Früherkennungsmaßnahmen durchzuführen sind. Das geht dann in den Gesundheitsbereich und
betrifft die Prävention.
Dieses Gesamtpaket wollen wir auf den Weg bringen.
Ich bin sicher, dass wir auf der Basis der bestehenden Gesetze und dem ausstehenden Antidiskriminierungsgesetz
mit Meilenstiefeln vorankommen. Es zeigt sich ja bei allen Diskussionen, dass Menschen mit Behinderungen anerkennen, was hier in diesem Bereich geschaffen wurde.
({1})
Bitte schön.
Frau Ministerin, Sie haben gerade die Arbeitsassistenz
angesprochen, die ja ein wichtiger Baustein bei der Vermittlung von Arbeit für Menschen mit Behinderungen ist.
Hier spielen auch die Integrationsfachdienste eine Rolle.
Können Sie uns sagen, wie viele dieser Integrationsfachdienste inzwischen bundesweit eingerichtet wurden?
Diese spielen ja eine erhebliche Rolle bei der Vorbereitung von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen in den Betrieben und bei der Vermittlung von Menschen mit Behinderungen.
Wir haben, wenn ich die genauen Zahlen nehme, mehr
als 180 Integrationsfachdienste, die in knapp zwei Jahren
eingerichtet wurden. Diese konnten in rund 6 000 Fällen
für besonders betroffene schwerbehinderte Menschen Angebote unterbreiten und Vermittlungen bewirken.
Für eine weitere Frage bekommt der Kollege Bahr das
Wort.
Frau Ministerin, ich habe noch eine Frage zur Umsetzung des Bundesgleichstellungsgesetzes bei den Bundesbehörden; das sprachen Sie ja in Ihrer Einleitung an. Welche Fortschritte gibt es da? Können Sie von konkreten
Erfolgen berichten, gerade in Bezug auf entsprechende
Formulare oder - das interessiert mich auch sehr - in Bezug auf den barrierefreien Zugriff auf die Homepages der
Bundesbehörden?
Die Bundesbehörden und insbesondere die Bundesregierung konnten sehr große Erfolge bezüglich der Einstellung schwerbehinderter Menschen verzeichnen, sodass sich deren Arbeitsmarktsituation verbessert hat. Der
öffentliche Dienst kann sich sehen lassen: Die Ministerien
haben insgesamt, auch ohne nachgeordnete Behörden, die
erforderliche Quote übertroffen. Damit stehen wir gut da.
Vor allen Dingen ein großes Problem - ich denke an die
Zeit, in der ich noch sehr stark mit Frauen- und Familienpolitik befasst war - haben wir gelöst: Im Vergleich zum
Vorjahr haben wir 11,4 Prozent mehr schwerbehinderte
Frauen eingestellt. Deswegen ist auch der Anteil der
schwerbehinderten Frauen bei den Bundesministerien,
ohne Berücksichtigung der nachgeordneten Bereiche, auf
41,2 Prozent gestiegen. So viel zur Frage der Arbeitsmarktsituation.
Nun zu den Rechtsverordnungen: Wir haben ja auf der
Basis des Gleichstellungsgesetzes drei Rechtsverordnungen in Kraft gesetzt: erstens die Einführung der Gebärdensprache in Verwaltungsverfahren des Bundes, zweitens - ich habe das eben schon dem Kollegen Koppelin
gesagt -, Blinden und Sehbehinderten Bescheide zugänglich zu machen, und drittens, für Barrierefreiheit auf den
Internetseiten des Bundes zu sorgen.
Das alles wird derzeit umgesetzt. Es ist vorgesehen,
dass bis zum 31. Dezember 2004 - man braucht Zeit, um
das alles auf den Weg zu bringen - die Bundesregierung
hier im Parlament einen Bericht vorlegt und über die Umsetzung und den Erfolg dieser Vorhaben berichtet.
Die nächste Frage stellt der Kollege Hüppe.
Ich habe eine Frage zum Thema Frühförderung. Sie
sprachen eben davon, dass das SGB IX auch mit Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion beschlossen worden ist.
Ich höre von den Verbänden, dass es mit der Finanzierung
erhebliche Probleme gibt, weil es sich bei der Frühförderung um eine Komplexleistung handelt. Ich frage die Bundesregierung, ob sie bereit ist, zu regeln, wer Kostenträger der Frühförderung ist, und welche Präferenz sie
gegebenenfalls bei diesen Trägern hat.
Wir sind bereit, uns dieses Problems anzunehmen. In
welcher Form das geschehen wird, kann ich derzeit noch
nicht sagen.
Herr Kollege Hüppe, eine Zusatzfrage.
Meine Zusatzfrage bezieht sich auf das eben genannte
Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen, das
unter dem Motto „Nichts über uns ohne uns“ steht. Das
Kabinett hat zugestimmt, den Nationalen Ethikrat in seiner jetzigen Besetzung einzusetzen. Im Januar will der
Nationale Ethikrat eine Stellungnahme zur PID, die Behindertenverbände besonders interessiert, abgeben. Ich
möchte von der Bundesregierung wissen, ob der Grundsatz „Nichts über uns ohne uns“ gewährleistet ist, wenn
man bedenkt, dass nicht eines der 25 Mitglieder einem Behindertenverband angehört oder gar selbst betroffen ist.
Herr Kollege Hüppe, ich möchte die Empfehlung des
Nationalen Ethikrates in dieser Frage nicht vorwegnehmen. Es wäre aber zu kurz gefasst, würde man so tun, als
habe die Präimplantationsdiagnostik nur etwas mit behinderten Menschen zu tun.
({0})
- Das wäre nicht schlecht. Welche Kriterien bei der Zusammensetzung des Nationalen Ethikrates maßgeblich
waren, kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Ich bin aber davon überzeugt, dass im Nationalen Ethikrat eine Reihe
von Menschen - ich meine insbesondere die Vertreter der
Kirchen und anderer gesellschaftlicher Gruppen - vertreten sind, die sich dem Bewusstsein der Verantwortung für
die Behindertenarbeit sehr intensiv verpflichtet sehen und
sich im engen Dialog mit den Behindertenverbänden befinden. Insofern gehe ich davon aus, dass der Nationale
Ethikrat entsprechende Vorschläge - ich bin davon überzeugt, dass es Minderheiten- und Mehrheitenvoten geben
wird - machen wird.
Dann kommt es darauf an - nicht ohne uns, aber mit uns
-, mit allen gesellschaftlichen Gruppen über diese Vorschläge zu diskutieren. Selbstverständlich werden wir in
diesem Zusammenhang auch über die Befürchtungen und
Ängste der Menschen mit Behinderungen, der Verbände
der Behinderten - die diese Befürchtungen und Ängste
zum Ausdruck gebracht haben -, aber auch der Kirchen
und anderer Vertreter ausführlich diskutieren. Diese Voten
werden wir in unsere Entscheidung einfließen lassen.
Ich beende nun die Befragung zu den Themen der heutigen Kabinettssitzung. Es gibt noch eine weitere Frage an
die Bundesregierung. Das Wort hat der Kollege Fuchs.
Hat in der heutigen Kabinettssitzung das Thema Dosenpfand eine Rolle gespielt? Viele Unternehmen, die davon betroffen sind, befinden sich in einer dramatischen
Situation: Alle Dosenhersteller, aber beispielsweise auch
die Weißblechhersteller und die Abfüllbetriebe, haben
Kurzarbeit angemeldet. In meinem Wahlkreis müssen
noch vor Weihnachten 500 Leute in Kurzarbeit geschickt
werden. Ich wüsste gerne, ob sich die Bundesregierung
damit beschäftigt hat. 10 000 bis 15 000 Arbeitsplätze stehen in diesem Bereich kurzfristig auf dem Spiel. Ich
denke, darum sollte kurzfristig etwas geschehen.
Kanzleramtsminister Schwanitz, bitte.
Herr Kollege, das Thema Dosenpfand stand heute nicht
auf der Tagesordnung des Kabinetts.
Damit beende ich die Befragung.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 15/177 Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zur
Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Marieluise Beck zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Andreas
Scheuer auf:
Welche Gründe gibt es, seitens des Bundesministeriums für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend von der dezentralen Abwicklung von Sonderprogrammen - zum Beispiel „move now“ Bundesministerin Ulla Schmidt
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
abzuweichen, und teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass
durch die zentrale Durchführung ein dramatischer Einbruch der
Antragszahlen - zum Beispiel im Freistaat Bayern beim Sonderprogramm „Entimon“ - hinzunehmen ist?
Zunächst einmal ist festzustellen, dass es sehr erfreulich ist, dass das Aktionsprogramm „Jugend für Toleranz
und Demokratie“ auf ein großes Interesse in der Gesellschaft gestoßen ist, sowohl in den Kommunen als auch in
den Ländern. Wir waren fast überrascht über die Zahl, die
Vielfalt und auch die Qualität der eingereichten Anträge
und der durchgeführten Projekte.
Zunächst waren die Maßnahmen gegen Gewalt und
Rechtsextremismus für ein Jahr konzipiert. Während dieser Zeit ist die Projektvergabe über die Länder gelaufen.
Sie fragen nun, ob wir durch die Zentralisierung der Vergabe einen Rückgang sowohl der Antragszahlen als auch
der Bewilligungen zu verzeichnen haben.
Dazu ist festzustellen, dass die Zentralisierung der Antragsvergabe aufgrund der Erfahrungen mit zwei anderen
Programmen gegen Rechtsextremismus und Gewalt,
nämlich „Xenos“ und „Civitas“, erfolgt ist, weil sich dort
gezeigt hat, dass eine gewisse Einheitlichkeit und Zielgerichtetheit besser herzustellen ist, wenn die Vergabe bundeseinheitlich vorgenommen wird. In diesem Fall geschieht
das über eine Servicestelle, mit der in diesem Bereich der sozialpolitischen Arbeit Erfahrungen vorliegen.
Ein Blick auf die Antragslage im Jahr 2001 zeigt, dass
die Antragszahlen nicht zurückgegangen sind und dass
sich der Freistaat Bayern hinsichtlich der bewilligten Anträge im guten Mittelfeld befindet. Insofern kann der von
Ihnen vermutete dramatische Einbruch bei den Projekten
überhaupt nicht bestätigt werden; das Gegenteil ist der
Fall.
Ihre Zusatzfrage, bitte, Kollege Scheuer.
Programme gegen Rechtsextremismus sind wichtig
und unterstützenswert. Aber ist Ihnen bekannt, dass durch
den Wechsel der Förderpraxis hin zur Zentralität gerade
linksextreme Gruppen von diesen Projekten profitiert haben, vor allem finanziell, und dass wegen der fehlenden
regionalen Kompetenz der Vergabe auf diese Art und
Weise politischer Extremismus auf der linken Seite gefördert wird?
Dieser Vorgang ist mir nicht bekannt. Ich bitte Sie, das
im Einzelnen zu belegen. Die zentrale Serviceagentur
wird von einem Beirat begleitet, der sich aus Persönlichkeiten der Wissenschaft, des öffentlichen Lebens und von
Jugendorganisationen zusammensetzt. Die Letztentscheidung wird im Ministerium selbst getroffen. Mir ist bisher
nicht zu Ohren gekommen, dass auf diese Art und Weise
quasi die Förderung von linksextremen Initiativen durch
die Maschen geschlüpft wäre.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.
Ihnen ist - Sie haben ja Zahlen genannt - anscheinend
nicht bekannt, dass durch den Wechsel der Fördermethode
zum Beispiel die Projektzahlen im Freistaat Bayern von
330 auf 98 zurückgegangen sind. Stimmen Sie mir, wenn
Sie diese Zahlen hören, zu, dass die Durchlässigkeit bis an
die regionale Basis zerstört wurde?
Sehr verehrter Herr Kollege Scheuer, diese Entwicklung hat mit einer Veränderung der Finanzstruktur bei diesen der Initiativen und Projekten zu tun. Im ersten Jahr
gab es eine große Zahl von Projekten und kleinen Initiativen, die mit sehr geringen Mitteln ausgekommen sind.
60 Prozent der Mittel wurden nämlich an kleine, unabhängige örtliche Initiativen vergeben, die zunächst mit einem kleinen Fördervolumen eingestiegen sind. Aufgrund
des Wachsens dieser Initiativen hat sich das Volumen der
beantragten Mittel stark erhöht. Die Zahl der geförderten
Initiativen musste also zurückgehen, weil die zu vergebenden Mittel gedeckelt waren. Das ist die Erklärung für
die rückläufige Zahl der geförderten Initiativen.
Ich möchte einen zweiten Punkt hinzufügen. Das erste
große Programm, das Maßnahmen gegen Gewalt und
Rechtsextremismus beinhaltete - es war ebenfalls auf ein
Jahr begrenzt und wurde im Freistaat Bayern im Rahmen
von „move now“ umgesetzt -, ist zu unserer großen
Freude von anderen Bundesländern als Landesprogramm
weitergeführt worden. Das hat der Freistaat Bayern leider
nicht getan. Wir bedauern das sehr.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Zur
Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Marion Caspers-Merk zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Dr. Nobert Röttgen
auf:
Aus welchem Grund hat die Bundesregierung immer noch
keine abschlägige Entscheidung über die Genehmigung des Umzuges der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, KBV, nach Berlin getroffen?
Herr Kollege Röttgen, das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung hat zu der von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung geplanten Sitzverlegung sowohl der Kassenärztlichen Bundesvereinigung als
auch deren Personalrat einen Vermittlungsvorschlag unterbreitet. Dieser orientiert sich an der Beibehaltung der
Aufteilung der KBV-Funktionen auf die Standorte Köln
und Berlin nach organisatorisch und sozial zweckmäßigen Gesichtspunkten.
Sowohl die Hauptgeschäftsführung als auch der Personalrat der Kassenärztlichen Bundesvereinigung haben
dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung eine Stellungnahme zu dem Vermittlungsvorschlag übersandt. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung ist in ihrer Stellungnahme nicht bereit, auf den
Vorschlag der Aufteilung der KBV-Funktionen einzugehen. Die Auswertung dieser Stellungnahme ist insgesamt
noch nicht abgeschlossen. Weitere Maßnahmen sind noch
nicht veranlasst. An der Beantwortung Ihrer Frage können
Sie ersehen, dass wir in dieser Angelegenheit weiter am
Ball bleiben.
Ihre Zusatzfrage, Kollege Röttgen.
Die Frau Bundesgesundheitsministerin hat mir in einem Schreiben vom 10. April 2001 mitgeteilt, die Prüfung
des Antrages stehe vor dem Abschluss und eine Entscheidung hierüber werde in einem absehbaren Zeitraum, möglichst noch im April des Jahres 2001, getroffen. Ist Ihnen
bekannt, dass in der Zwischenzeit die Kassenärztliche
Bundesvereinigung Tatsachen schafft? Ist Ihnen bekannt,
dass sie Liegenschaften in Köln verkauft und in Berlin anmietet?
Ist Ihnen weiterhin bekannt, dass in Ausschreibungen
für neue Stellen als Dienstort Berlin genannt wird, dass
den Mitarbeitern Versetzungsanordnungen angekündigt
werden und dass ihnen Kündigungen für den Fall angedroht werden, dass sie dieser Anordnung nicht nachkommen? Was unternehmen Sie dagegen, dass während dieser
Hängepartie - diese hat das Gesundheitsministerium bzw.
das Sozialministerium zu verantworten, weil es in dieser
Frage nicht entscheidet - Fakten zulasten der Beschäftigen und zulasten des Gesundheitsstandorts Köln geschaffen werden?
Herr Kollege Röttgen, Sie wissen, dass dieses nur einer
der vielen Streitpunkte ist, die wir im Moment mit der
Kassenärztlichen Bundesvereinigung haben. Ich bin gerne
bereit, hinsichtlich dieses Streitpunkts ins Detail zu gehen.
Bezogen auf ihre Aktivitäten in Berlin hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung bereits im Jahre 2000
mitgeteilt, dass sie bei einem Verbleib ihres Sitzes in Köln
aufgrund eines Ablehnungsbescheides der vormaligen
Bundesministerin für Gesundheit mit einer wesentlich erweiterten zweiten Dienststelle in Berlin vertreten sein
müsse. Es wurde sozusagen eine Splittung der Standorte
angekündigt. Deshalb strebe sie an, mit der Bundesärztekammer und der Deutschen Krankenhausgesellschaft ein
gemeinsames Verwaltungsgebäude in Berlin zu beziehen.
In dem noch zu errichtenden Verwaltungsgebäude hat
die Kassenärztliche Bundesvereinigung ab Sommer 2004
Räumlichkeiten unter der Option angemietet, nach Bedarf, insbesondere bei Ablehnung der Genehmigung einer
Sitzverlegung, einen Teil der Räumlichkeiten unterzuvermieten. Diese vom vormaligen Bundesministerium für
Gesundheit akzeptierte Vorgehensweise ermöglicht der
Kassenärztlichen Bundesvereinigung flexible Entscheidungen, ohne das Ergebnis des laufenden Genehmigungsverfahrens über den KBV-Satzungsbeschluss zur
Sitzverlegung vorwegzunehmen.
Wenn Ihnen Erkenntnisse dafür vorliegen, dass entgegen dem, was uns mitgeteilt wurde, harte Fakten geschaffen wurden, die auf einen alleinigen Sitz in Berlin abzielen und nicht auf eine zweite Dienststelle, bitte ich Sie,
mir diese zukommen zu lassen. Wir werden dieser Sache
dann unverzüglich nachgehen.
Sie haben noch eine zweite Zusatzfrage.
Die Fakten sind vorhanden; sie sind notorisch. Insofern
wundert es mich, dass sie dem Ministerium nicht bekannt
sind.
Ich frage Sie noch einmal auf den Punkt gebracht:
Wann wird das Ministerium die gegenwärtige Hängepartie, die seit mehr als drei Jahren besteht - so alt ist der Umzugsbeschluss -, beenden, indem es Klarheit über die
Rechtmäßigkeit eines Umzuges schafft? Die Betroffenen
erwarten nach drei Jahren Klarheit. Wann wird es dazu
kommen?
Nochmals: Wir haben diesen Prüfauftrag sehr ernst genommen.
Vonseiten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
werden immer wieder neue Gutachten vorgelegt, Gutachten, die die angebliche Unwirtschaftlichkeit der zwei
Standorte Köln und Berlin belegen sollen. Jetzt ist wieder
ein neues Gutachten vorgelegt worden. Dieses prüfen wir
derzeit. Wir haben nicht den Eindruck, dass es sich bei
diesem Gutachten um ein umfassendes und neutrales Gutachten handelt, zumal es von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung selbst in Auftrag gegeben wurde. In ihm
werden lediglich Mietpreise und Standortqualitäten verglichen, nicht aber die Umzugskosten und die nachgelagerten Kosten zum Beispiel im Hinblick auf das Personal
geprüft. Aus diesem Grunde prüfen wir dieses Gutachten
sehr genau. Umgekehrt haben wir immer wieder versucht,
eine Einigung herbeizuführen. Wir haben viele Gespräche
geführt.
Wir haben an einer Fortsetzung des jetzigen Schwebezustands kein Interesse. Die Vereinbarung gilt: Es sollen
keine harten Fakten zulasten des Gesundheitsstandortes
Köln/Bonn geschaffen werden. Wenn Ihnen andere prüfbare Belege vorliegen, bitte ich Sie, mir diese zu übermitteln.
({0})
Sie bekommen dann von mir eine schriftliche Auskunft.
Wir kommen zur Frage 3 des Abgeordneten Norbert
Röttgen:
Wird die Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung, Ulla Schmidt, sicherstellen, dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung, KBV, und der AOK-Bundesverband ({0})
Maßnahmen unterlassen, die den Umzug nach Berlin faktisch einleiten, bevor über die Genehmigung der Umzugsbeschlüsse entschieden ist, und wann ist mit den Entscheidungen zu rechnen?
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat in der
Vergangenheit auf Nachfrage mündlich und schriftlich
bekräftigt, dass sie keine rechtlichen Verpflichtungen eingehen werde, die einen Umzug der Kassenärztlichen Bundesvereinigung nach Berlin bedingen würden. Ich habe
Ihnen soeben erläutert, dass uns gesagt wird, es würden
keine Fakten geschaffen.
Das ehemalige Bundesministerium für Gesundheit
hatte bereits im Jahr 2000 der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vorgegeben, bis zum Abschluss des aufsichtsrechtlichen Genehmigungsverfahrens keine Maßnahmen zu ergreifen, die von einer Genehmigung der
Satzungsänderung zur Sitzverlegung ausgehen. Unstrittig
ist jedoch, dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung
zur Erfüllung ihrer Aufgaben eine Repräsentanz am Regierungssitz Berlin benötigt. Deswegen war der Zweitsitz
Berlin für uns nie eine strittige Frage.
Sehr geehrter Herr Kollege, Sie haben in Ihrer Frage
auch nach der Verlagerung des Sitzes des AOK-Bundesverbandes gefragt. Dazu darf ich Ihnen antworten: Der
Verwaltungsrat des AOK-Bundesverbandes hat in seiner
Sitzung vom 13. November 2002 keinen Satzungsänderungsbeschluss zur Verlegung seines Sitzes nach Berlin
gefasst, sondern den Vorstand beauftragt, die volle Funktionsfähigkeit des AOK-Bundesverbandes bis zum Jahreswechsel 2007/2008 in Berlin sicherzustellen. Dieser
Absichtsbeschluss wird mit der gegebenen politischen
Anforderung durch Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung sowie der weiter wachsenden zentralen Präsenz
der Leistungsanbieter in Berlin begründet.
Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale
Sicherung hat Zweifel daran, dass der AOK-Bundesverband die Auswirkungen des Berlin/Bonn-Gesetzes in seinen Planungen für eine Sitzverlegung wie auch in dem
von ihm zu beachtenden Wirtschaftlichkeitsgrundsatz
hinreichend berücksichtigt hat. Deshalb wird das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung mit dem
AOK-Bundesverband ein Beratungsgespräch über den Beschluss führen, in dem noch einmal auf die Sicherstellung
des Gesundheitsstandortes Köln/Bonn hingewiesen wird.
Ihre Zusatzfrage, Herr Kollege Röttgen.
Vielleicht gestatten Sie, dass ich meine beiden Zusatzfragen zusammen stelle.
Erstens. Teilen Sie meine Einschätzung, dass sich die
gerade beschriebene Hängepartie und die Untätigkeit der
Bundesregierung bzw. die Verweigerung einer definitiven
Rechtsauskunft in dieser Frage ermunternd auf andere
Gesundheitseinrichtungen in der Region ausgewirkt haben, was sich im Sinne eines Rutschbahneffektes - die
eine hat es versucht, ist damit erfolgreich und findet keinen effektiven Widerstand durch die Bundesregierung,
also macht es die andere auch - zeigt? Fürchten Sie diesen Rutschbahneffekt als Auswirkung der Untätigkeit der
Bundesregierung?
Zweitens. Was spricht dagegen, dass Sie die Chance ergreifen, für Klarheit zu sorgen, indem Sie als Bundesgesundheitsministerium Ihre Rechtsauffassung bekunden?
Sie haben sie ja gerade angedeutet. Schaffen Sie doch
Klarheit und sagen Sie: Das Berlin/Bonn-Gesetz hat den
Politikstandort definiert und gesetzlich fixiert, sodass die
Genehmigungen aus Rechtsgründen nicht erteilt werden
können. Dann hätten alle Rechtsklarheit und es gäbe viel
weniger Unsicherheit in der Region. Was spricht dagegen,
dass Sie das tun?
Herr Kollege Röttgen, ich sehe natürlich, dass Sie Ihre
Funktion als Vertreter einer bestimmten Region sehr engagiert wahrnehmen; das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite finde ich es ein bisschen weit hergeholt, immer
nur zu sagen: Alles hat Auswirkungen, weil die Bundesregierung dies oder jenes nicht beschließt. Natürlich hat
die Verankerung von Berlin als Politikstandort immer
auch Konsequenzen für die Debattenstruktur; dies aber
können wir selbst nie ganz steuern.
Was wir tun konnten, gerade beim Thema AOK, ist,
dass wir sehr zügig reagiert haben. Der Beschluss kam
dort am 13. November 2002 zustande. Wir haben uns zu
diesem Beschluss unmittelbar geäußert und ein Beratungsgespräch vereinbart. Zügiger kann man gar nicht
reagieren. Insofern möchte ich den Vorwurf, wir hätten
dort eine Hängepartie zu vertreten, zurückweisen.
Auch hinsichtlich der KBV kann von Untätigkeit nicht
die Rede sein. Wir haben Vermittlungsvorschläge gemacht, mussten uns aber immer wieder mit neuen Argu1130
menten und neuen Gutachten auseinander setzen. Es ist
also umgekehrt gewesen: Wir wollten eine schnelle Entscheidung und man hat uns immer wieder mit neuen Tatsachen konfrontiert.
Insgesamt ist klar, dass die Bundesregierung an dem,
was wir damals mit einer knappen Mehrheit beschlossen
haben, festhält. Das Berlin/Bonn-Gesetz schafft einen
verbindlichen Ordnungsrahmen für die Bundesministerien und damit auch für das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung als Adressat des Gesetzes.
Für das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale
Sicherung bedeutet dies, dass es der Vorgabe zum Erhalt
und zur Förderung politischer Funktionen im Politikbereich Gesundheit insoweit Rechnung zu tragen hat, als der
Politikbereich Gesundheit in Bonn erhalten bleibt.
Die Verbände der gesetzlichen Krankenversicherung
auf Bundesebene, die ihren Sitz im Bonner Raum haben,
sind hingegen nicht unmittelbar Adressaten des Berlin/
Bonn-Gesetzes. Der AOK-Bundesverband wie auch die
Kassenärztliche Bundesvereinigung haben jedoch davon
auszugehen, dass die politischen Funktionen des Politikbereichs Gesundheit im Bonner Raum entsprechend
den Vorgaben des Berlin/Bonn-Gesetzes erhalten bleiben,
und müssen sich deshalb in ihren künftigen Erwägungen
darauf einrichten, es sei denn, der Gesetzgeber beschlösse
etwas anderes.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Wir sind am Ende
des Geschäftsbereiches für Gesundheit und Soziale
Sicherung.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Staatsministerin Kerstin Müller zur Verfügung.
Ich rufe Frage 4 des Abgeordneten Christian Schmidt
auf:
Gibt nach Auffassung der Bundesregierung die Resolution 1441
des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen den Mitgliedstaaten
das Recht, bei berichtsmäßig gemäß Ziffer 4 oder 11 dieser Resolution festgestelltem Verstoß des Irak gegen die Auflagen dieser
Resolution unmittelbar Maßnahmen nach Kapitel VII der Charta
der Vereinten Nationen zu ergreifen, falls nein, beabsichtigt die
Bundesregierung für den Fall einer ohne weitere Sicherheitsratsbeschlussfassung in dieser Angelegenheit von den Vereinigten
Staaten von Amerika durchgeführten militärischen Zwangsmaßnahme diesen die laut Unterrichtung durch den Bundeskanzler
vom 27. November 2002 von der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika erbetenen Überflug-, Lande- und Hafenrechte zu
gewähren?
Die Resolution 1441 des UN-Sicherheitsrates sieht in
Ziffer 12 Folgendes vor: Der Sicherheitsrat wird sofort
nach Eingang eines Berichtes nach den Ziffern 4 oder 11
derselben Resolution zusammentreten, um - ich zitiere über die Situation und die Notwendigkeit der vollinhaltlichen Befolgung aller einschlägigen Ratsresolutionen zu beraten, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu sichern ...
Zentraler Punkt ist, dass der Weltsicherheitsrat die genannte Resolution 1441 einstimmig verabschiedet und
damit Völkerrecht gesetzt hat. In der Resolution wird aber
offen gelassen, ob es eine weitere Resolution geben wird,
wenn der Irak sich nicht an seine Verpflichtungen hält.
Nach dem Wortlaut der Resolution 1441 muss der Sicherheitsrat jedoch nur erneut beraten. Unter realistischen Annahmen gibt es daher seit der Verabschiedung der Resolution 1441 keinen resolutionsfreien Raum mehr. Unter
diesen Umständen ist jede weitere Spekulation müßig, da
nicht absehbar ist, unter welchen Bedingungen der Sicherheitsrat erneut zusammentreten würde.
Für den Fall, dass es zu einer Militäraktion gegen den
Irak kommt, was wir nicht hoffen, wird sich Deutschland
daran nicht beteiligen. Die Bundesregierung wäre aber
gegenüber den USA und den NATO-Mitgliedstaaten im
Rahmen der Bündnisverpflichtungen zur Gewährung von
Überflugrechten, des reibungslosen Transits für Truppen,
der Nutzung der amerikanischen Militäreinrichtungen
und des Schutzes von Einrichtungen bereit.
Im Übrigen - das finde ich sehr wichtig noch einmal zu
betonen - betrachtet die Bundesregierung nach wie vor
die friedliche Lösung der Irakfrage als vordringlich. Der
Irak muss die Resolution 1441 umsetzen. Das Land muss
den Inspektoren vollen Zugang gewähren und darf keine
Massenvernichtungswaffen besitzen. Die Bundesregierung unterstützt daher die Inspektoren nach Kräften bei
ihrer Arbeit. Das dürfte auch in Ihrem Sinne sein.
Ihre Zusatzfrage, Kollege Schmidt.
Frau Präsidentin, nachdem die Frau Staatsministerin
geruht hat, auch kommentierende Bemerkungen zu ma-
chen und nicht nur die Frage zu beantworten, sagen auch
wir: Tatsächlich dürfte es auch in Ihrem Interesse sein,
dass wir alle miteinander versuchen, a) den Irak zu ent-
waffnen und b) eine friedliche Lösung herbeizuführen.
Niemand in diesem Hause will irgendetwas anderes.
({0})
Das möchte ich gern auch zur Kenntnis der deutschen
Bundesregierung festgehalten haben. - Entschuldigung,
Frau Präsidentin, aber das war notwendig.
Sie sprechen von Bündnisverpflichtungen. Wären Sie,
Frau Staatsministerin, in der Lage, mir zu erklären, welche Bündnisverpflichtungen völkerrechtlicher und vertragsrechtlicher Art einschlägig sind für die Gewährung
von Lande- und Überflugrechten im Falle einer amerikanischen Aktion gegenüber dem Irak?
Das ist wieder eine hypothetische Frage, die anhand
von NATO-Verträgen und Stationierungsverträgen zu prüfen wäre. Wenn Sie dieses im Einzelnen wissen möchten,
müsste ich Ihnen das schriftlich nachreichen. Aber das
sind natürlich die Grundlagen, die wir mit Bündnisverpflichtungen meinen.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte schön.
Frau Staatsministerin, verstehe ich Sie richtig, dass Sie
davon ausgehen, dass im Rahmen der NATO Bündnisverpflichtungen erwachsen, die die Bundesrepublik Deutschland dazu verpflichten, bei einer Aktion der Amerikaner
aufgrund der Resolution 1441 - die von Ihnen angesprochenen Fragen seien dahingestellt - Überflug- und Landerechte zu gewähren?
Das eine ist unsere Position zu einem möglichen Irakkrieg. Wir hoffen, wir können ihn vermeiden, indem es zu
einer friedlichen Entwaffnung des Irak kommt. Das haben
Sie ja auch noch einmal zum Ausdruck gebracht. Das andere sind unsere Bündnisverpflichtungen und wir gedenken, diesen Bündnisverpflichtungen nachzukommen.
({0})
Das hat der Bundeskanzler noch einmal sehr deutlich gesagt. Diese Fragen sind also zu trennen.
Wir kommen zur Frage 5 des Abgeordneten Christian
Schmidt:
Hat die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die entsprechende Anfrage der Vereinigten Staaten von Amerika eine Unterscheidung ihrer Unterstützungsbereitschaft zwischen dem Vorliegen
und dem Nichtvorliegen eines Sicherheitsratsmandats gemacht?
Die Bundesregierung hat auf die vertrauliche Anfrage
der USA auch vertraulich geantwortet. Im Übrigen ergibt
sich die Haltung der Bundesregierung aus der Beantwortung Ihrer ersten Frage.
Herr Kollege Schmidt, bitte.
Der Bundeskanzler hat öffentlich geantwortet; er ging
sogar an die Presse. Ich weiß, für die Fragestunde gilt ein
strammes Verfahren, aber ich finde es etwas eigenartig,
dass die Bundesregierung Fragen, die ihr gestellt werden,
mit ausweichenden Bemerkungen beantwortet. Sie haben
die Pflicht, dem deutschen Parlament und der Öffentlichkeit zu sagen, was Sie tun.
Herr Kollege Schmidt, Sie müssen eine Zusatzfrage
stellen.
Danke, Frau Präsidentin.
Meine Zusatzfrage lautet: Sehr verehrte Frau Staatsministerin, hat die Bundesregierung diese Unterscheidung
getroffen? Anders formuliert: Ist die gestrige Aussage von
Herrn Bundesminister Fischer bei Frau Maischberger dahin gehend zu interpretieren, dass die Bundesregierung
der Auffassung ist, dass aufgrund der Resolution 1441 bereits völkerrechtlich sanktionierte Maßnahmen gegen den
Irak bei Material Breach, also auch bei entscheidenden Behinderungen der Aktionen der Inspektoren, ergriffen werden? Dazu muss doch einmal ein Ja oder Nein möglich sein.
Sie haben nun zwei Fragen gestellt. Noch einmal: Auf
vertrauliche Anfragen antworten wir vertraulich.
Nun zu Ihrer zweiten Frage bezüglich des Interviews
von Frau Maischberger, das ich nicht gesehen habe: Sie
haben danach gefragt, ob die Resolution 1441 militärische
Schritte gestattet. Dazu muss ich wiederholen, was ich bereits zu Ihrer ersten Frage gesagt habe: Die Resolution 1441
lässt die Frage offen, ob weitere Resolutionen gefasst
werden müssen, weil sich die Sicherheitsratsmitglieder
darüber nicht einigen konnten. Der Wortlaut sieht nur eine
Befassung und ein erneutes Zusammentreten vor. Das ist
die Grundlage, die Konsequenzen werden nicht ausbuchstabiert. Der Sicherheitsrat hat bewusst offen gelassen,
was folgen wird. Insofern gibt es für uns überhaupt keinen Anlass, uns an Spekulationen zu beteiligen. Das war
eine bewusste Entscheidung des Sicherheitsrates.
Herr Kollege Schmidt, Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich davon ausgehen, dass die Bundesregierung
den Vereinigten Staaten von Amerika gegenüber deutlich
gemacht hat, dass sie nur bei Vorliegen eines völkerrechtlich verbindlichen Mandats bereit ist, die Unterstützung
für eine Militäraktion zu gewähren?
Die Bundesregierung geht davon aus, dass alle weiteren
Schritte den Vorgaben der Sicherheitsratsresolution 1441
folgen werden und dass die Vereinigten Staaten, die jetzt
bewusst im VN-Rahmen gehandelt haben, dies auch weiter tun werden. Wir haben keinen Grund zu der Annahme,
dass die Vereinigten Staaten diesen Rahmen verlassen
werden.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten von
Klaeden.
Frau Staatsministerin, müssen die Vereinigten Staaten
und andere Partner der Bundesrepublik damit rechnen,
dass vertrauliche Anfragen von der Bundesregierung, wie
es der Kollege Christian Schmidt gerade geschildert hat,
öffentlich beantwortet werden, und halten Sie ein solches
Verhalten der Bundesregierung für zuträglich?
Ich weiß nicht, was Sie damit meinen. Vertrauliche Anfragen werden vertraulich beantwortet. Öffentliche Diskussionen werden selbstverständlich aufgegriffen. Die
Position der Bundesregierung im Hinblick auf den Irak ist
sehr klar. Sie ist auch öffentlich. Wir werden uns an einer
möglichen Militäraktion nicht beteiligen.
Wir sollten aber - das müsste Gegenstand der Debatte
sein - unsere Anstrengungen darauf konzentrieren - zumindest die Bundesregierung wird das tun -, dass es aufgrund der Resolution 1441 und einer erfolgreichen Arbeit
der Waffeninspekteure zu einer friedlichen Abrüstung des
Irak kommt. Zu diesen Dingen stehen wir gern Rede und
Antwort.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Rose.
Frau Staatsministerin, Sie haben gerade sehr stark auf
das Wort „vertraulich“ abgehoben. Würden Sie es als vertraulich klassifizieren, dass der Bundesminister bei Frau
Maischberger noch Auskunft gegeben hat, aber heute aus
Krankheitsgründen im Auswärtigen Ausschuss nicht
mehr zur Vertraulichkeit in der Lage war?
Erstens ist der Minister wirklich krank.
Zweitens. Ich habe das Maischberger-Interview nicht
gesehen. Sie müssen also eine konkrete Frage stellen, die
ich konkret beantworten kann.
Wir kommen zur Frage 6 des Abgeordneten Dr. HansPeter Uhl:
Hält die Bundesregierung die völkerrechtliche Auffassung der
USA für vertretbar, wonach bereits jetzt ein völkerrechtliches
Mandat zu militärischen Maßnahmen gegen den Irak aus der
UN-Resolution 1441 in Verbindung mit den UN-Resolutionen 678
und 687 besteht, und wird die Bundesregierung im Falle eines von
der UN geduldeten Militärschlags der USA Überflugrechte gewähren?
Die Resolution 1441 des UN-Sicherheitsrates sieht in
ihrer Ziffer 12 vor, dass der Sicherheitsrat sofort nach Eingang eines Berichts gemäß den Ziffern 4 oder 11 der genannten Resolution zusammentritt, „um“ - ich habe es
eben zitiert und wiederhole es gern noch einmal - „über
die Situation und die Notwendigkeit der vollinhaltlichen
Befolgung aller einschlägigen Ratsresolutionen zu beraten, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit
zu sichern.“
Das Zentrale ist, dass der Weltsicherheitsrat einstimmig die genannte Resolution verabschiedet hat und damit
Völkerrecht gesetzt hat. Das heißt, es bleibt offen, ob es
eine weitere Resolution geben wird, wenn sich der Irak
nicht an seine Verpflichtungen hält. Nach dem Wortlaut
der Resolution 1441 muss der Sicherheitsrat jedoch nur
erneut beraten. Das heißt aus unserer Sicht: Unter realistischen Annahmen gibt es daher seit der Verabschiedung
der Resolution 1441 keinen resolutionsfreien Raum mehr.
Unter diesen Umständen ist jede Spekulation müßig, da
nicht absehbar ist, unter welchen Bedingungen der Sicherheitsrat gegebenenfalls erneut zusammentreten würde.
Falls es zu einer Militäraktion gegen den Irak kommt,
wird sich Deutschland daran nicht beteiligen. Die Bundesregierung wäre aber gegenüber den USA und den
NATO-Mitgliedstaaten im Rahmen der Bündnisverpflichtungen zur Gewährung von Überflugrechten, des reibungslosen Transits für Truppen, der Nutzung der amerikanischen
Militäreinrichtungen und des Schutzes von Einrichtungen
bereit.
Diese Antwort entspricht im Wesentlichen der Beantwortung der Frage des Kollegen Schmidt, aber ich wollte
Ihre Frage höflicherweise dennoch beantworten.
Herr Kollege Uhl, Ihre Zusatzfrage bitte.
Ich bedanke mich für die Wiederholung der Antwort.
Wir haben alle verstanden: Man wird sich am Krieg nicht
beteiligen, wohl aber den Bündnisverpflichtungen nachkommen. Meine Frage lautet: Was wird die Bundesregierung tun, wenn die Erfüllung dieser Bündnisverpflichtungen in einer irgendwie gearteten Form der Beteiligung an
dem Irakkrieg bestehen sollte, zum Beispiel indem deutsche Soldaten in AWACS-Flugzeugen auch das Einsatzgeschehen im Luftraum über dem Irak mit betreuen?
Also noch einmal und auch im Hinblick auf AWACS:
Die Bundesregierung wird sich nicht an einem Militärschlag beteiligen, aber wir werden gleichzeitig unseren
Bündnisverpflichtungen nachkommen. Dies gilt für den
Schutz des NATO-Bündnisses einschließlich der Türkei.
Wir werden gewährleisten, dass deutsche Soldaten nicht
bei einer militärischen Operation gegen den Irak zum
Einsatz kommen. Wir hoffen, dass es nicht zu einer militärischen Auseinandersetzung mit dem Irak kommt, sondern dass auf der Basis der UN-Resolution 1441 eine
friedliche Abrüstung des Irak erfolgt.
Herr Kollege Uhl, Ihre zweite Zusatzfrage.
Ich möchte noch ein anderes Thema ansprechen. Es ist
offensichtlich die Meinung der Bundesregierung, dass die
UN-Resolution 1441 das völkerrechtliche Mandat auch
für militärische Interventionen im Irak erteile, es sei zumindest denkbar. Warum oder wann kam die Bundesregierung zu dieser völkerrechtlich bedeutsamen Erkenntnis bezüglich der Resolution vom 8. November 2002?
Schließlich wurde einen Monat später, am 8. Dezember,
auf dem Parteitag der Grünen beschlossen, dass man die
Vereinigten Staaten nicht unterstützen würde, wenn sie
kein solches Mandat der UN hätten. Nach Meinung der
Bundesregierung hatten die USA dieses Mandat zu diesem Zeitpunkt aber schon seit einem Monat. An dieser
Beschlussfassung waren prominente Vertreter der Bundesregierung beteiligt. Warum ließ man solch leere Beschlüsse zu, die nach Lage des Völkerrechts völlig unbrauchbar sind, weil das UN-Mandat bereits seit einem
Monat bestand?
Ich kann hier nur Fragen beantworten, die an die Bundesregierung gerichtet sind und nicht solche, die an die
Parteivorsitzenden der Grünen zu richten sind. Ich bin
nämlich nicht Parteivorsitzende der Grünen.
Im Hinblick auf Ihre erste Feststellung muss ich Sie allerdings zunächst korrigieren. Ich will wiederholen, was
ich hier als Antwort auf die verschiedenen Fragen gesagt
habe: Die Resolution 1441 lässt offen, ob es eine weitere
Resolution geben muss, wenn sich der Irak nicht an seine
Verpflichtungen hält. Die Sicherheitsratsmitglieder konnten sich darüber nicht einigen. Die Resolution sieht lediglich - nach dem Wortlaut - eine weitere Befassung, das
heißt eine weitere Beratung der Sicherheitsratsmitglieder,
vor. Die Konsequenzen aus diesen Beratungen sind bewusst offen gelassen. Deshalb halten wir es nicht für sinnvoll, zu spekulieren: Was wäre, wenn ...? Die Resolution
1441 ist die Grundlage und auf dieser Grundlage werden
die Konsequenzen ausbuchstabiert. Das ist jetzt aber noch
nicht der Fall. Mir ist sehr wichtig, das festzuhalten.
Die Fragen 7 und 8 des Abgeordneten Klaus Hofbauer
werden gemäß Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 9 des Abgeordneten Andreas
Scheuer:
Wurden seitens der Bundesregierung bereits Maßnahmen ergriffen, das Kernkraftwerk Temelin zum Gegenstand der aktuellen EU-Osterweiterungsverhandlungen zu machen, und wenn ja,
wie ist der aktuelle Stand?
Herr Abgeordneter Scheuer, Ihre Frage beantworte ich
wie folgt: Die Bundesregierung hat im Rahmen der Beitrittsverhandlungen dem Thema „nukleare Sicherheit“
hohe Priorität zugemessen. So wurde das Energiekapitel
der Beitrittsverhandlungen mit Tschechien erst vorläufig
abgeschlossen, und zwar im Dezember 2001, nachdem
Tschechien die Umsetzung der Empfehlungen eines Berichts zur „nuklearen Sicherheit im Kontext des Beitrittsprozesses“ vom 23. Mai 2001 zugesagt hatte.
Dieser Bericht enthält sowohl übergreifende Empfehlungen zu Temelin, zum Beispiel die Durchführung zusätzlicher Analysen, als auch sehr spezifische Empfehlungen, zum Beispiel zur Verbesserung der Sicherheit der
Frischdampf- und Speisewasserleitungen auf der Bühne
des Kraftwerks Temelin.
Zusätzlich wurde über spezielle Sicherheitsanliegen
Österreichs im Rahmen des so genannten Melk-Prozesses
verhandelt. Zunächst erfolgte ein Sicherheitstrialog zwischen Österreich und Tschechien mit Moderation durch
die EU-Kommission, um wichtige Sicherheitsfragen herauszufiltern. Im Abschlussprotokoll zum Melk-Prozess
vom November 2001 hat sich Tschechien verpflichtet, zu
sieben von österreichischer Seite angeführten offenen
technischen Sicherheitsfragen Verbesserungen durchzuführen oder weitere Fachgespräche zu führen. Das Ergebnis wurde von der tschechischen Seite in die Beitrittskonferenz eingebracht.
Die Erweiterungsverhandlungen mit Tschechien wurden auf dieser Grundlage am 13. Dezember auf dem Europäischen Rat in Kopenhagen erfolgreich abgeschlossen.
In die Schlussfolgerungen des Vorsitzes zum Europäischen Rat Kopenhagen wurde - mit unserer ausdrücklichen Unterstützung - ein Abschnitt aufgenommen, der
die Erwartung des Rates zum Ausdruck bringt, dass das
Melker Abkommen umfassend angewendet wird.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Was gedenkt die Bundesregierung bei den weiteren
EU-Verhandlungen zu tun? Bei einer Podiumsdiskussion
der Passauer Verlagsgruppe vor etwa zwei Jahren wurde
von Bundesminister Trittin lauthals angekündigt, dass das
KKW Temelin eine grüne Wiese wird.
Ihre Frage bezieht sich auf Maßnahmen zur Überwachung. Das ist das, was ansteht, was wichtig ist und was
vereinbart wurde. Die Erfüllung der Verpflichtungen der
tschechischen Regierung ist Gegenstand eines Monito1134
ringprozesses der zuständigen Arbeitsgruppe des Rates,
also der Gruppe für Atomfragen der EU. Auf dem Allgemeinen Rat in Brüssel bestand Einigkeit, dass der Monitoringprozess fortgeführt wird. Darüber hinaus verpflichten sich Österreich und Tschechien in einer bilateralen
Erklärung zum Beitrittsvertrag, ihre wechselseitigen Verpflichtungen aus dem Melker Abkommen zu erfüllen. Das
Wichtigste ist also der Monitoringprozess auf europäischer Ebene.
Monitoring bedeutet noch keine grüne Wiese. - Zu
meiner zweiten Frage: Wurden Vorschläge und Stellungnahmen von Bundesminister Trittin zu diesem Thema als
Rüstzeug für den Bundeskanzler und den Bundesaußenminister gemacht, damit sie für die Verhandlungen zur
EU-Osterweiterung gerüstet waren?
Sie werden verstehen: Ich kann zu den Äußerungen
von Herrn Trittin keine Stellung nehmen, weil ich nicht
anwesend war und weil ich über das, wovon Sie jetzt reden, nichts gelesen habe.
Ich kann Ihnen ausführlich Auskunft darüber geben,
was die Zukunft von Temelin angeht, auch angesichts der
Beratungen des Europäischen Rates in Kopenhagen, und
kann Ihnen versichern, dass uns dies ein Anliegen ist. Sie
wissen, die Bundesregierung hat ursprünglich den österreichischen Vorschlag eines Protokolls zum Beitrittsvertrag unterstützt. Wir konnten uns damit bei den Partnern
nicht durchsetzen. Umso wichtiger ist deswegen der Monitoringprozess im Hinblick auf Temelin.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Rose.
Stimmt es, Frau Staatsministerin, dass die deutsche
Bundesregierung auf dem Gipfel in Kopenhagen zum einen massiv dafür eingetreten ist, dass Tschechien keine
Zugeständnisse bei den gewünschten Verbesserungen im
Kabotagebereich gemacht wurden, dass sie sich auf der
anderen Seite zum Thema Temelin, bei dem sie vorher immer gesagt hat, dass sie alles tun werde, überhaupt nicht
geäußert hat?
Das ist nicht richtig. Ich habe gerade schon gesagt:
Deutschland hat den ursprünglich österreichischen Vorschlag eines Protokolls zum Beitrittsvertrag unterstützt,
durch das das bilaterale Melker Abkommen mit dem Beitrittsvertrag verknüpft werden sollte. Erst als absehbar
war, dass dieser Vorschlag im Kreis der übrigen 13 Mitgliedstaaten nicht durchsetzbar war, hat sich Deutschland,
wie übrigens auch Österreich, mit der Aufnahme einer
entsprechenden Passage in die Schlussfolgerungen des
Vorsitzes begnügt. Die überwältigende Zahl der Mitgliedstaaten war der Meinung, dass ein bilaterales Abkommen
nicht mit einem multilateralen EU-Vertrag verknüpft werden sollte. Einige Mitgliedstaaten befürchteten durch ein
solches Protokoll darüber hinaus eine stillschweigende
Ausweitung der EU-Kompetenzen im Bereich nuklearer
Sicherheit. Aber um das noch einmal deutlich zu machen:
Wir haben Österreich sehr deutlich unterstützt.
Wir sind am Ende des Geschäftsbereichs des Auswärtigen Amtes. Vielen Dank, Frau Staatsministerin.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
des Innern auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper bereit.
Ich komme zu Frage 10 des Abgeordneten Dr. Ole
Schröder:
Inwieweit ist sich die Bundesregierung mit den anderen Mitgliedstaaten der EU im Ministerrat über die Verpflichtung einig,
Asylbewerbern den Zugang zum Arbeitsmarkt zu gestatten, sobald die Dauer ihres Asylverfahrens in der ersten Instanz, beginnend mit der Antragstellung beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, ein Jahr überschreitet?
Herr Kollege Schröder, wir hatten diesbezüglich
schon heute Morgen miteinander im Innenausschuss gesprochen. Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Rat der
Justiz- und Innenminister hat sich in seiner Sitzung am
28. November 2002 im Rahmen des Richtlinienentwurfs
für Mindestnormen zur Aufenthaltsbedingung für Asylbewerber bezüglich des Arbeitsmarktzuganges auf folgende
Formulierung geeinigt - ich zitiere wörtlich -:
Ist nach einem Jahr noch keine Entscheidung über
den Antrag in erster Instanz ergangen und ist diese
Verzögerung nicht durch Verschulden des Antragstellers bedingt, so legen die Mitgliedstaaten die Bedingungen für den Arbeitsmarktzugang fest.
Ich möchte hinzufügen, dass diese Formulierung und
diese Entscheidung im Einvernehmen mit dem Vertreter
der Bundesländer, mit dem Bremer Innensenator
Dr. Kuno Böse, erfolgte. Sie gewährleistet ein hohes Maß
an Flexibilität für die Mitgliedstaaten.
Ihre erste Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, dass dadurch Asylbewerber, deren Verfahren ein Jahr dauert, grundsätzlich
Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt bekommen werden
und dass die Kompetenz damit nicht mehr bei den Nationalstaaten liegt, sondern dass diese Frage damit grundsätzlich auf europäischer Ebene geregelt ist?
Herr Schröder, dazu ist Folgendes festzuhalten: Streit
gab es in der Ausgangssituation in der EU beispielsweise
darüber - das habe ich Ihnen heute Morgen dargelegt -,
ob die EU das Recht hat, den Zugang zum Arbeitsmarkt
grundsätzlich zu regeln und zu bestimmen. Deutschland
hatte eine relativ isolierte Position. Der Streit hierüber ist
mit der zitierten Formulierung beigelegt worden. Ich füge
hinzu, dass sich aufgrund dieses Beschlusses und der gefundenen Regelung an der bisherigen, derzeit bestehenden Rechtssituation in Deutschland nichts ändert. Das
heißt, der Vollzug wird nach der derzeitigen Rechtslage
gehandhabt, womit wir alle Möglichkeiten offen haben.
Geben Sie mir Recht, dass die derzeitige Rechtslage damit festgeschrieben wird und wir auf nationaler Ebene nicht
mehr in der Lage sein werden, die aktuelle Rechtslage, die
auch durch Verordnungen geregelt wird, zu ändern? Ist es
dann nicht so, dass von nun an das Ob auf europäischer
Ebene geregelt wird und dass Asylbewerber grundsätzlich
Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen werden?
Die auf europäischer Ebene gefundene Entscheidung
lässt die Frage des Wie der Regelung offen und belässt sie
weiterhin in der Kompetenz des Mitgliedstaates.
Wir kommen nun zu der Frage 11 des Abgeordneten
Dr. Schröder:
Mit welchen Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt,
auch im Hinblick auf die Zahl der betroffenen Asylbewerber, wird
seitens der Bundesregierung für den Fall des In-Kraft-Tretens einer solchen oder ähnlich lautenden Regelung gerechnet?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Schröder, diese Frage kann ich relativ kurz beantworten. Die vorgenannte Formulierung erlaubt - das habe
ich eben schon einmal erwähnt - die Beibehaltung der
deutschen Rechtslage. Zur Frage des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber: Mit Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt ist aufgrund der neuen Bestimmungen
der Richtlinie nicht zu rechnen. Ich füge hinzu: Es bleibt
bei den Möglichkeiten des derzeitigen nationalen Rechts.
Bitte schön, Herr Kollege.
Sie haben mir indirekt meine Nachfrage beantwortet,
nämlich dass das Ob nicht mehr auf nationaler Ebene geregelt wird. In meiner Frage hatte ich um Auskunft über
die Zahl der von dieser Regelung betroffenen Asylbewerber gebeten.
Das Ob ist an dieser Stelle überhaupt nicht entscheidend, weil das Ob im nationalen Recht geregelt ist. Es ist
nun eine interpretatorische Maßgabe, wie die Frage der
Bedingung auszulegen ist. Die Länder haben dieser Formulierung auch deswegen zugestimmt, weil die interpretatorischen Möglichkeiten beim Wie vorhanden sind.
Nun haben Sie noch eine Zusatzfrage.
Sie haben meine Frage nicht beantwortet, auf wie viele
Asylbewerber diese neue Regelung überhaupt anwendbar
ist. Ich möchte eine Zahl wissen.
Sie ist auf diejenigen anwendbar, die in diesen Zeitraum fallen. Das ist immer unterschiedlich. Wie sich das
aktuell im Dezember kurz vor Weihnachten 2002 darstellt, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich werde Ihnen die genaue Zahl gerne mitteilen, wenn dies möglich ist. Aber ich
glaube, das ist nicht der entscheidende Punkt, weil unabhängig von der Zahl die Möglichkeit zur Anwendung unseres Rechts nach wie vor vorhanden ist. Beim Zugang
und den Zugangsmöglichkeiten zum Arbeitsmarkt gibt es
keine Veränderungen.
Wir kommen zur Frage 12 des Abgeordneten Hartmut
Koschyk:
Welche Staaten hat das Bundesministerium des Innern, BMI,
im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt, AA, gemäß § 64 a
Abs. 4 Ausländergesetz, AuslG, „Angehörige bestimmter Staaten“, durch allgemeine Verwaltungsvorschrift bestimmt, und welche sind die in § 64 a Abs. 4 AuslG genannten „bestimmten Personengruppen“, „Angehörigen von in sonstiger Weise bestimmten
Personengruppen“?
Lieber Herr Koschyk, bei dieser allgemeinen Verwaltungsvorschrift handelt es sich um eine Verschlusssache,
deren Inhalt mit Rücksicht auf die Vertraulichkeit der
Regelung nicht öffentlich gemacht werden kann. Das
muss ich Ihnen als Antwort auf diese Frage leider sagen.
Dass ich nicht auskunftsfreudiger sein darf, tut mir ausdrücklich Leid.
Bitte schön, Herr Kollege Koschyk.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, sind Sie dann bereit,
mir diese Frage unter der entsprechenden Einstufung als
Mitglied des Innenausschusses schriftlich zu beantworten?
Lieber Herr Koschyk, bei aller Freundschaft kann ich
das nicht tun. Ich habe mich mit der Frage beschäftigt, ob
eine solche Mitteilung überhaupt gemacht werden kann.
Ich will gerne überprüfen, ob dies in dieser Form möglich
ist. In der Regel habe ich vor Ihnen keine Geheimnisse,
weil ich weiß, dass man sich auf Sie verlassen kann.
({0})
Zweite Zusatzfrage.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. - Unabhängig
von dieser Überprüfung möchte ich gerne wissen, welches Gremium im Parlament über den Gegenstand meiner
Frage informiert wird.
Lassen Sie mich die Frage so beantworten: Ich werde
Sie nach Überprüfung über die Entscheidung unterrichten, welches Gremium über den Gegenstand Ihrer Frage
informiert wird. Ich gebe Ihnen offen zu, dass das nicht
ganz einfach ist.
Wir kommen zur Frage 13 des Abgeordneten Hartmut
Koschyk:
Wie viele Visa hat das AA bzw. Ausnahmevisa hat das Bundesministerium des Innern seit dem 11. September 2001 an Staatsangehörige aus den in Frage 12 in Bezug genommenen Staaten
ausgestellt?
Herr Kollege Koschyk, die Aufschlüsselung der erteilten Visa erfolgt nicht nach Nationalität, sondern nach
Auslandsvertretungen. Deswegen können im Folgenden
nur gerundete Angaben zu den Visa, die Staatsangehörigen von Risikostaaten im Sinne von § 64 a Ausländergesetz erteilt wurden, gemacht werden.
Die Auslandsvertretungen in den betroffenen Staaten
haben in der Zeit vom 1. Oktober 2001 bis zum 1. Oktober 2002 insgesamt 314 821 Visa ausgestellt. Nur in wenigen Einzelfällen hat das Bundesinnenministerium ausnahmsweise sich selbst die Entscheidung über die
Erteilung von Ausnahmesichtvermerken vorbehalten; das
heißt, die Ausnahmesichtvermerke werden nicht, wie üblich, durch die Grenzbehörden selbst erteilt. Es handelt
sich hierbei, wie gesagt, um sehr wenige Einzelfälle.
Voraussetzung für den Entscheidungsvorbehalt des
BMI ist, dass es sich um Fälle von nationalem Interesse
handelt. Es dürfte sich um ungefähr zehn Fälle seit Inkrafttreten der Verwaltungsvorschrift zu § 64 a Ausländergesetz handeln.
Im Zeitraum zwischen dem 11. September 2001 und
dem Inkrafttreten der Verwaltungsvorschrift zu § 64 a Ausländergesetz wurde die Erteilung von Ausnahmesichtvermerken für bestimmte Personengruppen - zum Teil waren
die Gruppen, für die ein besonderes Verfahren gilt, nicht
mit denjenigen deckungsgleich, die nunmehr durch die
Verwaltungsvorschrift zu § 64 a Ausländergesetz festgelegt sind - durch entsprechende Erlasse geregelt. In diesem
Zeitraum erfolgte die Erteilung von Ausnahmesichtvermerken in Fällen, in denen sich das Bundesinnenministerium die Entscheidung vorbehalten hatte, circa 50-mal. In
dieser Zahl sind allerdings Personen enthalten, die bereits
über ein Visum verfügten, das nur hinsichtlich der Gültigkeit zeitlich und räumlich erweitert wurde.
Bitte schön, Herr Kollege Koschyk.
Herr Staatssekretär, die Zahl der erteilten Visa für Antragsteller aus Risikostaaten, wie Sie sie genannt haben,
liegt insgesamt in einer nicht unbeträchtlichen Höhe. Wie
stellt die Bundesregierung eigentlich sicher, dass die
Empfänger der Visa in Deutschland nicht Gefahren verwirklichen, wegen derer ihr Herkunftsland entsprechend
eingestuft worden ist?
Sie wissen, dass damit ein bestimmtes Verfahren verbunden ist; es geht dabei um die Nachfrage. Wir sind derzeit dabei, mit den Ländern eine Regelung zu treffen, um
entsprechende Nachfragen gründlich und gut beantworten
zu können.
Sie haben noch eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, heißt das, dass in solchen Fällen in
Abstimmung mit den Ländern auch eine Beobachtung erfolgen wird?
Nein. Zuerst erfolgt eine Rückfrage, ob entsprechende
Kenntnisse vorliegen. Davon wird die Entscheidung
abhängig gemacht. Es genügt nicht, zu fragen, welche
Kenntnisse beispielsweise dem Bundesamt für Verfassungsschutz vorliegen, sondern es ist auch die Frage zu
stellen, was auf Länderebene in einzelnen Behörden über
bestimmte Personen bekannt ist. Die entsprechenden Informationen müssen zusammengeführt werden. Das ist
im Grunde auch Sinn und Zweck dieser Maßnahme.
Wir kommen zu Frage 14 der Abgeordneten Petra Pau,
fraktionslos.
Treffen Meldungen zu, nach denen ein verdeckter Ermittler
des Bundesgrenzschutzes - BGS - während eines Castor-Transportes im November dieses Jahres eine Besetzung der ICEStrecke Hamburg-Hannover am 13. November 2002 mit geplant
und - mit Wissen der zuständigen Einsatzleitung des BGS - auch
durchgeführt hat und damit eine lebensbedrohende Situation für
Zugreisende, Polizeibeamte und Besetzer bewusst in Kauf genommen hat, und wenn ja, welche Kenntnis hat die Bundesregierung über diesen Vorgang?
Frau Kollegin Pau, ich könnte zunächst kurz und knapp
antworten: Die Meldungen treffen nicht zu. Der Bundesgrenzschutz setzt keine verdeckten Ermittler ein. Zum
Zwecke der Gefahrenabwehr setzt er allerdings gemäß
§ 21 des Bundesgrenzschutzgesetzes Beamte in Zivilkleidung ein, um im Ausnahmefall Informationen zu gewinnen,
wenn ohne diese die Erfüllung der dem BGS obliegenden
präventiven Aufgaben gefährdet oder erheblich erschwert
würde. Solche Einsätze von Polizeibeamten in Zivilkleidung sind übrigens auch bei den Länderpolizeien üblich.
({0})
- Das ist in der Tat gut so. Ich war doch noch nicht so weit.
Ich komme jetzt zum 13. November 2002. Im Zeitraum
von etwa 10.50 Uhr bis etwa 11 Uhr - Sie sehen, wie präzise ich hier bin - hielten sich circa 40 Personen auf den
Gleisen der ICE-Strecke Hamburg-Hannover auf und
zwangen so den Intercity Nr. 71 - man beachte die Genauigkeit - zu einem Nothalt. Ein BGS-Beamter in Zivilkleidung hatte sich im Auftrag seiner Einsatzleitung bei
dieser Gruppe aufgehalten, um Ort und Zeit einer Gleisblockade im Raum Lüneburg zu erfahren, die diese
Gruppe durchführen wollte.
Als die Gruppe wenige Minuten vorher telefonisch
zum Aktionsbeginn abberufen wurde, informierte dieser
BGS-Beamte unverzüglich seine Einsatzleitung, um eine
Gefährdung von Personen durch den Zugverkehr auszuschließen und die Gleisblockade zu verhindern. Diese
Meldung war maßgeblich dafür, dass der Bundesgrenzschutz den Nothalt des Intercitys veranlasste und zeitgleich mit Unterstützung der Landespolizei die Personen
von den Gleisen entfernen konnte. Eine lebensbedrohende Situation für Zugreisende, Polizeibeamte und Besetzer hat der BGS somit verhindert.
({1})
Bitte schön, Frau Kollegin Pau.
Ich bin von der Genauigkeit der Daten beeindruckt. Allerdings wüsste ich sehr gern, zu welchem Zeitpunkt und
in welchem Umfang die Behörden des Landes Niedersachsen und auch die zuständigen Stellen der Deutschen
Bahn über den Einsatz dieses Beamten und über die Absicht, dieses Gleis zu besetzen, informiert wurden bzw.
warum die Gleisbesetzung, welche zur Vollbremsung geführt hat, nicht verhindert wurde.
Wer über diese Gleisbesetzung entschieden hat, müssen Sie andere fragen. Jedenfalls war diese Maßnahme abgestimmt. Ich wiederhole mit Hinweis auf das vorher Gesagte: Es ist keine ungewöhnliche Maßnahme gewesen,
dass ein Bundesgrenzschutzbeamter seinen Dienst in Zivil verrichtete. Ich denke, auch das Ergebnis dieses Einsatzes führt dazu, dass man von der Richtigkeit dieser
Maßnahme überzeugt sein kann.
({0})
Sie haben noch eine zweite Frage.
Zuerst stelle ich fest, dass wir hier nicht übereinstimmen; denn wenn der Zug nicht hätte bremsen müssen,
wäre sicherlich überhaupt keine Gefährdung - weder der
Besetzer noch der Zugreisenden - aufgetreten.
Mir liegt das Protokoll der Sitzung des Niedersächsischen Landtags aus der vergangenen Woche vor, in der
sich der niedersächsische Innenminister zumindest verwundert darüber geäußert hat, dass er nicht informiert
wurde, und in der er bestätigt hat, dass es staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen diesen BGS-Beamten
gibt, weil er offensichtlich seine Befugnisse überschritten
hat. Ich möchte von Ihnen noch einmal wissen: Mit welchem Auftrag hat dieser BGS-Beamte gehandelt und können Sie bestätigen, dass er über seinen Auftrag nicht hinausgegangen ist?
Ich kann nicht bestätigen, dass er über seinen Auftrag
hinausgegangen ist. Ich kann nur bestätigen, dass dieser
BGS-Beamte seinen Einsatz entsprechend verrichtet hat.
Warum sich der niedersächsische Innenminister so geäußert hat
({0})
- das ist richtig; mir liegt der entsprechende Protokollauszug nicht vor -, ist, glaube ich, völlig unwichtig. Wich1138
tig ist vielmehr, dass dies Bestandteil einer Einsatzmaßnahme war, die sich im Grunde genommen als richtig erwiesen hat. Ich gehe davon aus, dass auch das eingeleitete
Ermittlungsverfahren - ein solches Verfahren wurde übrigens nicht nur in diesem Einzelfall eingeleitet - zur Aufklärung des Tatbestandes beitragen wird.
Herr Kollege Carstensen, Ihre Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat der gerade erwähnte Beamte,
der sehr couragiert gehandelt und ordentlich gearbeitet
hat, eine - wie ich meine: berechtigte - Belobigung bekommen?
Herr Carstensen, dieser Beamte verdient unsere volle
Unterstützung.
({0})
Wir kommen zu Frage 15 der Abgeordneten Petra Pau,
fraktionslos:
Hat der Rat der Europäischen Union auf Vorschlag der Gruppe
„Terrorismus“ und der Mitgliedstaaten, die dem Verwaltungsrat
von Europol angehören, zur Finanzierung bestimmter Maßnahmen von Europol im Rahmen der Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung seit dem 11. September 2001 weitere besondere Mittel beschlossen und, wenn nicht, warum wurden diese
Mittel nicht beschlossen?
Frau Pau, bei dem in Ihrer Frage angesprochenen Vorschlag zur Finanzierung bestimmter Maßnahmen von Europol im Rahmen der Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung handelt es sich um einen Vorschlag der
EU-Kommission und nicht etwa - das ist ganz wichtig der Mitgliedstaaten oder der Ratsgruppe „Terrorismus“.
Der Kommissionsvorschlag sieht für bestimmte Maßnahmen von Europol zur Terrorismusbekämpfung eine Finanzierung aus dem EU-Haushalt vor. Dies würde gegen
das in Art. 35 des Europol-Übereinkommens festgeschriebene Prinzip der Finanzierung von Europol aus
Beiträgen der Mitgliedstaaten verstoßen. An diesem Prinzip will die Mehrzahl der Mitgliedstaaten - ich bekenne
freimütig: auch wir - festhalten. Der Kommissionsvorschlag wurde dem Rat bislang nicht zur Beschlussfassung
vorgelegt. Okay?
Sie haben keine Zusatzfragen, Frau Pau? - Damit sind
wir am Ende der Behandlung der Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Vielen Dank,
Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks bereit.
Die Fragen 16 und 17 des Kollegen Dietrich
Austermann werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 18 des Kollegen Norbert Schindler
auf:
Wie gedenkt die Bundesregierung sicherzustellen, dass bei der
im Entwurf des Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen
und Ausnahmeregelungen, Steuervergünstigungsabbaugesetz StVergAbG, geplanten Streichung des § 24 Umsatzsteuergesetz,
UStG, der bisher eine Besteuerung mittels Durchschnittssätzen für
land- und forstwirtschaftliche Betriebe ermöglicht, der in der Begründung des Gesetzentwurfs angeführte Beitrag zur Steuervereinfachung und Entbürokratisierung für circa 400 000 land- und
forstwirtschaftliche Betriebe tatsächlich erreicht wird, wenn diese
ein Umsatzsteuerverfahren anwenden müssen, das für alle Betriebe einen zusätzlichen zeitlichen und buchhalterischen Aufwand bedeutet, während alle anderen EU-Mitgliedstaaten eine
Pauschalierungsregelung für die Landwirtschaft praktizieren?
Lieber Kollege Schindler, die Bundesregierung hat am
20. November 2002 den Entwurf eines Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen beschlossen. In dem Entwurf ist die Absenkung des
Durchschnittssatzes für die „übrigen Umsätze“ im Sinne
des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Umsatzsteuergesetz und der
Vorsteuerpauschale für die nicht in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
Umsatzsteuergesetz bezeichneten Umsätze der land- und
forstwirtschaftlichen Betriebe um zwei Prozentpunkte
von 9 vom Hundert auf 7 vom Hundert vorgesehen. Damit bleibt die Durchschnittssatzbesteuerung des § 24 Umsatzsteuergesetz als Sonderregelung zu den allgemeinen
Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes erhalten.
Bitte schön, Ihre Zusatzfrage.
Frau Hendricks, Sie wissen, dass nach den Zahlen für
die anderen Bereiche - das geht von der Forstwirtschaft
bis hin zu Blumen - eine Vorsteuerpauschale von 12 Prozent berechtigt sein würde. Sie haben vor vier Jahren mit
Karl-Heinz Funke festgestellt - der Regierung gehörten
Sie damals an; das war noch in Bonn -: Die Festlegung
von 9 Prozent im Verhältnis zu 16 Prozent ist eine vernünftige Entscheidung. Das gilt auch für die anderen Produkte des gesonderten Bereichs.
Jetzt wird es eine Belastung großen Ausmaßes geben.
Wenn eine gute Pauschalregelung vom Berufsstand mit
getragen wurde - einige hatten einen extremen Vorteil;
viele andere waren bereit, einen geringeren Steuervorteil
in Kauf zu nehmen, um Bürokratieaufwand zu sparen -,
dann ist doch die Frage, ob man die Neuregelung verantworten kann.
Es gibt keine makroökonomischen Daten über die Auswirkungen. Die Ermittlung der tatsächlichen Vorsteuerbelastung zum Beispiel anhand der makroökonomischen
Daten der letzten Jahre für die Landwirte, die von der Pauschale Gebrauch machen, ist zwischen den Fachleuten,
auch den Fachleuten des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesministeriums für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft, immer strittig geblieben.
Die Tatsache, dass nur 7 Prozent aller Landwirte, also
30 000, zur Regelbesteuerung optieren, aber 93 Prozent,
also 380 000, die Pauschale in Anspruch nehmen, könnte
ein Zeichen dafür sein, dass die tatsächliche Vorsteuerbelastung in den allermeisten Fällen unterhalb der jetzigen
Pauschale in Höhe von 9 Prozent liegt. Nach früheren
Feststellungen des Bundesrechnungshofs weist die
tatsächliche Vorsteuerbelastung der Landwirte, die von
der Pauschale Gebrauch machen, eine Bandbreite von 3
bis 11 Prozent auf.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.
Gehen Sie auch so sicher wie ich davon aus, dass wir
dies im Vermittlungsausschuss „wegputzen“ werden?
Ich bin sicher, dass dies im Vermittlungsausschuss zum
Thema werden wird.
Ich rufe die Frage 19 des Abgeordneten Norbert
Schindler auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung unter dem Aspekt der in der
Landwirtschaft gewünschten und von der Bundesministerin für
Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Renate
Künast, propagierten Direktvermarktung, insbesondere bei bäuerlichen und Betrieben mit ökologischem Anbau, und der Diversifizierung den Sachverhalt, dass die Bundesregierung selbst im Entwurf des Steuervergünstigungsabbaugesetzes die Möglichkeit der
steuerlichen Absetzbarkeit von Werbemitteln und Geschenken bis
zur Höhe von 40 Euro als Betriebsausgabe abschaffen will, obwohl sich in der Vergangenheit viele, vor allem kleinere, bäuerliche Betriebe sowie Winzer und Brenner in diesem Bereich erfolgreich etabliert haben, weil ihre Produkte sich hervorragend als
Präsente eignen, und diese Kleinunternehmen jetzt schlagartig
- im Vorgriff auf das geplante Gesetz schon heute - ihrer Absatzmärkte beraubt werden?
Durch die Streichung der 40-Euro-Grenze zur Abziehbarkeit von Geschenken soll vermieden werden, dass
Kosten der privaten Lebensführung in den betrieblichen
Bereich verlagert werden. Mir ist bewusst, dass sich einzelne Branchen sehr weitgehend auf solche Geschenke
spezialisiert haben. Speziell bei der Werbeartikelindustrie
liegt es auf der Hand. Aber es gibt natürlich auch andere
Branchen, die bei solchen Geschenken führend sind. Denken Sie an Lederwaren oder Schneidwaren. Auch Winzer
oder Brenner haben sich darauf spezialisiert, Geschenkprodukte für Betriebe anzubieten. Trotzdem müssen wir
darauf achten, dass Kosten der privaten Lebensführung
nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden. Darauf beruht der Vorschlag der Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Da müssen Sie mir bitte etwas erklären, Frau Staatssekretärin Hendricks. Wenn ich in der „FAZ“ oder in der
„taz“ in Berlin oder in der „Bild“-Zeitung Anzeigen
schalte und darüber Kundenpflege betreibe, dann ist das
nach wie vor als Werbeausgabe voll steuerlich zu berücksichtigen. Wenn ich dagegen individuell sehr gezielt Kundenpflege betreibe, dann soll die neue Regelung Ihrer
Vorlage gelten. Hat das nicht etwas mit sozialistischen
Neideffekten zu tun?
Nein, Herr Kollege, das hat sicherlich nichts mit sozialistischen Neideffekten zu tun. Es ist zweifellos ein prinzipiell unterschiedlicher Vorgang, ob man eine Anzeige
liest oder eine geschenkte Flasche Wein trinkt.
Herr Kollege, Sie hatten bereits zwei Zusatzfragen gestellt. Daher jetzt bitte der Kollege Carstensen.
Frau Staatssekretärin, ist es richtig, dass Sie am Donnerstag Winzer aus dieser Branche auf Vermittlung des
Kollegen Herzog empfangen werden und denen schon angedeutet worden ist, dass ein Teil der sie betreffenden Regelungen zurückgenommen werden soll?
Ich gehe davon aus, dass sich die Koalitionsfraktionen
im Gesetzgebungsverfahren dieser Regelung noch einmal
annehmen werden. Deren Entwurf wird ja zurzeit im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages behandelt.
Der erste Durchgang dürfte jetzt wohl ungefähr beendet
sein; ich musste ja hierher und konnte nicht bis zum Ende
des ersten Durchgangs der Beratungen über diesen Gesetzentwurf im Finanzausschuss bleiben.
Die Koalitionsfraktionen haben verabredet, sich nach
der für den 15. Januar nächsten Jahres geplanten Anhörung noch einzelne Vorschläge dieses Gesetzentwurfes
im Einzelnen anzusehen. Dazu mag auch die Frage der
Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für Werbeartikel und
Geschenke gehören.
Wir kommen zur Frage 20 des Abgeordneten Peter Harry
Carstensen ({0}):
Wie viele Landwirte werden nach Einschätzung der Bundesregierung infolge der beabsichtigten Absenkung des Pauschalierungssatzes von 9 auf 7 Prozent und der gleichzeitigen Anhebung
des Umsatzsteuersatzes auf wichtige landwirtschaftliche Vorprodukte wie Saatgut, Futtermittel, Stroh und Lebendvieh von der
Pauschalbesteuerung nach § 24 Umsatzsteuergesetz zur Regelbesteuerung wechseln?
Sollte die tatsächliche Vorsteuerbelastung zum Beispiel aufgrund der Anhebung des Steuersatzes für den Erwerb landwirtschaftlicher Vorprodukte steigen, können
die betroffenen Land- und Forstwirte jederzeit zur ergebnisneutralen Regelbesteuerung optieren. Die Entscheidung, welche Besteuerungsform - also ergebnisneutrale
Regelbesteuerung oder Durchschnittssatzbesteuerung nach
§ 24 Umsatzsteuergesetz - die für einen Land- und Forstwirt günstigere ist, kann jeder anhand seiner spezifischen
wirtschaftlichen Situation selber treffen. Eine genaue
Zahl der von der Pauschalierung hin zur Regelbesteuerung wechselnden Landwirte kann deshalb zurzeit nicht
genannt werden.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, können Sie mir bitte sagen, bei
welchem Satz nach Berechnung des Finanzministeriums
und auch nach Berechnung des Landwirtschaftsministeriums im Moment die Vorsteuerpauschale liegen müsste,
wenn die Vorstellungen der Bundesregierung, einen
Großteil des einzukaufenden Futters und Saatgutes sowie
viele andere Dinge nicht mehr mit 7 Prozent, sondern mit
16 Prozent Mehrwertsteuer zu belegen, Wirklichkeit werden?
Ich sagte ja auf die Frage des Kollegen Schindler, hatte
aber zugleich auch die Ehre, es dem ganzen Haus zu sagen, dass diese Berechnungen unter den Fachleuten immer umstritten geblieben sind und dass der Bundesrechnungshof von einer Bandbreite von 3 bis 11 Prozent
ausgegangen ist. Es gibt sicherlich keine punktgenaue
Berechnungsmöglichkeit.
Zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, stimmen Sie mir zu, dass - ganz
gleich ob ich das nun punktgenau berechnen kann - infolge der Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Vorprodukte
der Landwirtschaft - Futtermittel, Saatgut und ähnliche
Dinge - die Vorsteuerpauschale auf jeden Fall höher sein
müsste, als sie jetzt ist? Wobei sich da auch die Frage
stellt, ob sie zurzeit überhaupt korrekt festgelegt ist.
Können Sie mir außerdem zustimmen, dass die Absenkung der Vorsteuerpauschale von 10 auf 9 Prozent vor vier
Jahren von der Bundesregierung damit begründet wurde,
dieses sei der Beitrag der Landwirte zur Konsolidierung
des Haushaltes?
Herr Kollege Carstensen, im Einzelnen kann ich mich
an diese Begründung nicht mehr so genau erinnern. Ich
kann mich aber sehr wohl daran erinnern, dass kurz vorher, ohne eine eigentlich durchschlagende Begründung,
diese Vorsteuerpauschale von 9 auf 10 Prozent angehoben
worden war und sie nur zurückgeführt wurde.
Selbstverständlich wird dann, wenn landwirtschaftliche Vorprodukte mit dem normalen Mehrwertsteuersatz
belegt werden, das Interesse der Landwirte, in die Regelbesteuerung zu wechseln, größer sein. Dies mag ihnen
überlassen sein. Deswegen ist die Vorsteuerpauschale
tatsächlich nichts anderes als ein Vereinfachungsinstrument. Wenn die Landwirte dieses Vereinfachungsinstrument nutzen wollen, so mögen sie es auch in Zukunft tun.
Es ist aber natürlich ergebnisunabhängig möglich, zur Regelbesteuerung zu optieren, sodass ein wirtschaftlicher
Nachteil nicht zu erwarten ist.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Connemann.
Sie sagen, der Übergang in die Regelbesteuerung
bleibe den Landwirten überlassen. Meinen Sie nicht, dass
die bisherige Pauschalierungsmöglichkeit bei der Umsatzsteuer durch die Änderung des § 24 Umsatzsteuergesetz in der angedachten Form ausgehöhlt wird und
die Betriebe praktisch gezwungen werden, in die Regelbesteuerung überzuwechseln?
Gezwungen werden sie selbstverständlich nicht. Es
kommt auf den jeweiligen Betrieb an. Es kommt beispielsweise darauf an, wie umfangreich die in dem Betrieb geleisteten Investitionen sind. Es kann sein, dass der
Vorsteuerabzug in der Regelbesteuerung günstiger ist.
Sie dürfen auch nicht vergessen, dass es bei der Umsatzsteuer eine Kleinstunternehmerregelung gibt. Wenn
jemand zur Regelbesteuerung optiert und unter die Umsatzsteuerregelung für Kleinstunternehmer fällt - ich
glaube, sie gilt für Betriebe mit Umsätzen in einer
Größenordnung von unter 16 621 Euro im vorangegangenen Jahr - ist er von der Umsatzsteuer befreit. Dadurch
wird bei den meisten Nebenerwerbslandwirten, die zur
Regelbesteuerung optiert haben, die Umsatzsteuer nicht
erhoben.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Deß.
Frau Staatssekretärin Dr. Hendricks, halten Sie es nicht
für einen Widerspruch, wenn einerseits Wirtschaftsminister Clement hier ankündigt, dass durch die Pauschalierung
auch bei Kleinbetrieben Bürokratie abgebaut werden soll,
aber andererseits bei der Landwirtschaft eine bewährte
Pauschalierung indirekt abgeschafft werden soll?
Herr Kollege Deß, die Pauschalierung wird nicht indirekt abgeschafft. Gerade für die Kleinstunternehmen, die
nicht besonders investitionsstark sind, bleibt sie erhalten.
Die Pauschalierung ist eine Vereinfachungsregelung, die
aber in einer bestimmten Höhe - über diese Höhe wird
man sich naturgemäß nicht endgültig verständigen können - einen Subventionstatbestand darstellt. Uns geht es
darum, diesen Subventionstatbestand zu minimieren.
Die Vereinfachungsregelung bleibt bestehen. Sollten die
Landwirte diese Vereinfachungsregelung nicht mehr in Anspruch nehmen wollen, so ist das - untechnisch ausgedrückt
- „Umswitchen“ in die Regelbesteuerung möglich. In der
Finanzverwaltung ist das im Übrigen ein Massenverfahren.
Ich will eines deutlich sagen: Die meisten Landwirte
sind in der Lage, saubere Aufzeichnungen zu führen. Sie
müssen sie bereits jetzt führen, wenn sie bestimmte Unterstützungen vonseiten der EU erhalten wollen. Insofern
werden keine neuen Tatbestände geschaffen. Die früher
weit verbreitete Meinung, der Bauer könne kein Formular
ausfüllen, ist einfach falsch.
Ich rufe die Frage 21 des Kollegen Peter Harry
Carstensen auf:
Welche Mehreinnahmen bei der Umsatzsteuer stehen dem
Verwaltungsmehraufwand für die neu regelbesteuerten Landwirte
gegenüber?
Herr Kollege Carstensen, die Umsatzsteuer ist in ihrer
wirtschaftlichen Wirkung eine allgemeine Verbrauchsteuer, mit der grundsätzlich der gesamte private und öffentliche Verbrauch, das heißt vom Letztverbraucher
erworbene Güter und in Anspruch genommene Dienstleistungen, belastet wird. Danach ist die Umsatzsteuer auf der
Ebene der Unternehmer, die die Regelbesteuerung anwenden - das habe ich eben schon erwähnt -, ergebnisneutral. Darüber hinaus werden sich die zusätzlichen
Aufwendungen für die Finanzverwaltung in vertretbaren
Grenzen halten.
Nach Angaben des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft beträgt die
umsatzsteuerlich relevante Endproduktion der Landwirte,
die zur Pauschalierung optiert haben, 28,4 Milliarden Euro.
Die Vorsteuerpauschale von 9 Prozent bedeutet die steuerliche Berücksichtigung einer Vorsteuerbelastung der
Landwirte, die zur Pauschalierung optiert haben, in Höhe
von rund 2,6 Milliarden Euro. Eine Senkung der Pauschale von 9 auf 7 Prozent verringert dieses Volumen
rechnerisch um zwei Neuntel, das heißt um rund 600 Millionen Euro. Unsere Rechnung, die vonseiten des Bundesministeriums für Finanzen dem Entwurf des Gesetzes
zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen zugrunde gelegt wurde, setzt aber nur ein
Mehraufkommen in Höhe von rund 200 Millionen Euro
an. Anders ausgedrückt: Es wird ein Abschlag von rund
zwei Dritteln vorgenommen, weil insbesondere Verhaltensreaktionen der betroffenen Landwirte, beispielsweise
die Option zum Wechsel in die Regelbesteuerung, berücksichtigt werden.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, gibt es in Ihrem Hause oder im
Hause des Landwirtschaftsministeriums - wir fragen die
Bundesregierung - Berechnungen darüber, wie sich der
Aufwand der Landwirte - Stichworte: Kosten für den
Steuerberater, Verwaltungsausgaben - verändert, wenn sie
in die Regelbesteuerung wechseln? Besteht bei Ihnen die
Vermutung, dass der Staat das Geld nicht einnimmt, Sie
dennoch zusätzliche Belastungen auf die Landwirte verlagern?
Ich kann diese Vermutung nicht bestätigen.
Frau Staatssekretärin - wenn ich die zweite Zusatzfrage stellen darf, Frau Präsidentin -, gehört diese Veränderung zu den von der Bundesministerin im Gespräch mit
dem Deutschen Bauernverband kritisierten Änderungen
aus dem Hause des Finanzministers, von denen sie gesagt
hat, dass sie - ich habe nicht den genauen Wortlaut handwerklich nicht sehr sauber und von nicht sehr viel
Sachverstand geprägt seien und dass sie dazu noch Gespräche mit dem Finanzminister führen müsse?
Herr Kollege, ich war bei dem Gespräch der Bundesministerin mit dem Bauernverband nicht dabei und kann
deswegen nicht einmal den Tatbestand einer solchen
Äußerung, geschweige denn den Inhalt bestätigen.
Frau Kollegin Connemann, Ihre Zusatzfrage.
Wie definieren Sie „vertretbar“?
Entschuldigung, ich weiß, dass ich Sie das jetzt eigentlich nicht fragen sollte, aber in welchem Zusammenhang
wollen Sie das Wort „vertretbar“ definiert haben?
Sie haben auf die Frage des Kollegen Carstensen geantwortet, dass Sie den Verwaltungsmehraufwand als vertretbar ansehen würden.
Ich halte ihn deswegen für vertretbar, weil im Prinzip
keine neuen oder allein zu diesem Zweck gemachten Aufzeichnungen erfolgen müssen; denn die Landwirte haben
aus anderen Gründen ohnehin Aufzeichnungen zu machen, die für diesen Zweck herangezogen werden können.
Wir kommen damit zur Frage 22 des Abgeordneten
Albert Deß:
Mit welchen Erstattungen an Landwirte für in den Vorjahren
geleistete Vorsteuern auf Güter des Anlagevermögens - Vorsteuerberichtigung - rechnet die Bundesregierung infolge des zu erwartenden Wechsels auf die Regelbesteuerung in weiten Teilen der
Landwirtschaft?
Die Höhe möglicher Vorsteuererstattungen an Landwirte durch Inanspruchnahme der Möglichkeit der Vorsteuerberichtigung nach § 15 a des Umsatzsteuergesetzes
für in den Vorjahren geleistete Vorsteuern auf Güter des
Anlagevermögens, wenn im Zuge der geplanten Neuregelung im Steuervergünstigungsabbaugesetz eine Option zur Regelbesteuerung erfolgt, kann mangels geeigneter statistischer Daten nicht geschätzt werden.
Bitte schön, Herr Deß.
Ich glaube schon, dass hier Daten vorliegen, und würde
bitten, Frau Staatssekretärin, dass das im Ministerium geprüft wird und mir das Ergebnis zumindest schriftlich mitgeteilt wird.
Das sage ich selbstverständlich gerne zu, Herr Kollege
Deß.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege? Nein.
Herr Carstensen, Ihre Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, können Sie mir sagen, welche
Aufzeichnungen, die für den Erhalt Brüsseler Mittel, wie
Sie vorhin gesagt haben, benötigt werden, herangezogen
werden können, um die Aufgaben der Landwirtschaft in
diesem Bereich zu erledigen?
Ich habe nicht von Brüsseler Mitteln gesprochen.
({0})
- Nicht einmal das Wort Subventionen habe ich benutzt.
Nach meiner Erinnerung habe ich von Zuwendungen aus
Brüssel gesprochen.
Ich habe nicht gesagt, dass das, was man für einen Antrag nach Brüssel schickt, denselben Inhalt wie eine Umsatzsteuererklärung hat. Das ist selbstverständlich nicht
der Fall. Ich habe zum Ausdruck bringen wollen, dass es
in jedem landwirtschaftlichen Betrieb wie in anderen Betrieben auch Kenntnisse über die Vorgänge im Betrieb
gibt und dass deswegen die Aufzeichnung dieser Kenntnisse im Zusammenhang mit der Umsatzsteuer in meinen
Augen - um auf die Frage der Kollegin zurückzukommen - vertretbar ist.
Wir kommen zur Frage 23 des Abgeordneten Albert
Deß:
Beabsichtigt die Bundesregierung, Heimtierfutter von einer
Erhöhung der Umsatzsteuer auszunehmen, während Futtermittel
für landwirtschaftliche Nutztiere künftig mit 16 statt 7 Prozent
besteuert werden sollen, und wenn ja, warum?
Im Regierungsentwurf des Gesetzes zum Abbau von
Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen vom
20. November 2002 wird vorgeschlagen, die Steuerermäßigung für die Lieferung, die Einfuhr, den innergemeinschaftlichen Erwerb und die Vermietung von Rückständen und Abfällen der Lebensmittelindustrie sowie
von zubereitetem Futter mit Ausnahme des Hunde- und
Katzenfutters aufzuheben. Somit werden nur Hunde- und
Katzenfutter in Aufmachungen für den Einzelverkauf
- das heißt einzeln verpackt, um es einfach auszudrücken von der Aufhebung der Steuerermäßigung ausgenommen.
Bei Hunde- und Katzenfutter bleibt es aus sozialen Gründen, insbesondere im Hinblick darauf, dass Hunde und
Katzen häufig im Besitz von älteren, allein lebenden Menschen sind, bei 7 Prozent Mehrwertsteuer.
Bitte schön, Kollege Deß.
Ich könnte angesichts der Tatsache, dass nur Hundeund Katzenfutter ausgenommen sind, die polemische
Frage stellen, ob für das Hamsterfutter der volle oder der
reduzierte Steuersatz gilt.
({0})
Meine Frage ist aber: Welcher Logik entspricht es,
Frau Staatssekretärin, dass auf Futtermittel für Nutztiere,
aus denen später Lebensmittel gewonnen werden, der
volle Steuersatz, aber auf Heimtierfutter nur der reduzierte Steuersatz gezahlt werden muss? Ich verstehe die
Logik nicht.
Sie haben Recht. Wenn man aus sozialen Gründen auf
einen Besteuerungsanspruch verzichtet, ist dies nicht immer logisch zu begründen.
Herr Kollege Deß, Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin Dr. Hendricks, wie hoch schätzt
das Finanzministerium die Ausfälle, die sich ergeben,
wenn das Heimtierfutter nicht mit dem gleichen Steuersatz belastet wird? Ist Ihnen bekannt, um welche Summe
es sich dabei handelt?
({0})
Herr Kollege, bis jetzt ist das Heimtierfutter nicht mit
der vollen Umsatzsteuer belastet worden. Deswegen kann
man auch nicht von Steuereinnahmeausfällen sprechen. Da
dieser Punkt nicht Gegenstand des Gesetzgebungsverfahrens ist, haben wir denkbare Mehreinnahmen - also Mehreinnahmen für den Fall, dass man auch das Heimtierfutter
mit dem vollen Satz belegen würde - nicht abgeschätzt.
Nächste Zusatzfrage von der Frau Kollegin Klöckner.
Liebe Frau Staatssekretärin, Sie sagten vorhin in einem
Nachsatz, Hunde und Katzen seien vorwiegend im Besitz
älterer Menschen und daher seien soziale Gründe maßgeblich. Soziale Gründe sollten aber auch für die Landwirtschaft gelten. Abgesehen davon ist dort auch eine
große Gruppe älterer Menschen vertreten. Auch wenn Sie
selber darauf hinweisen, dass es in diesem Punkt keine
Logik gibt, kann ich Ihre Entscheidung nicht nachvollziehen; denn auch in anderen Bereichen könnten überall soziale Gründe angeführt werden. Können Sie noch einmal
erläutern, warum gerade das Heimtierfutter von der Erhöhung der Umsatzsteuer ausgenommen wird? Geht es
dabei vielleicht um Ihre Wählerklientel?
Frau Kollegin, ich habe von sozialen Gründen gesprochen, weil für die älteren allein lebenden Menschen ein
Haustier eine große Bedeutung hat. Natürlich haben auch
bäuerliche Familien einen Anspruch auf sozialen Schutz.
Das ist doch selbstverständlich und das wird niemand bestreiten.
Die Erhebung der Umsatzsteuer auf landwirtschaftliche Vorprodukte ist nur für den landwirtschaftlichen Betrieb von Bedeutung. Dieser Vorgang bleibt, wie eben
schon bei der Beantwortung der anderen Fragen erläutert,
aufkommensneutral, wenn der Landwirt zur Normalbesteuerung optiert. Die Verbrauchsteuer ist immer eine
Endverbrauchsteuer. Was auf den Produktionsebenen,
auch innerhalb der landwirtschaftlichen Produktionskette, zwischen verschiedenen Betrieben stattfindet, bedroht die Familien in der Landwirtschaft natürlich nicht in
ihrer Existenz.
Nächste Zusatzfrage, Herr Kollege Carstensen.
Frau Staatssekretärin, Sie haben vorhin gesagt, Sie
könnten die Steuerausfälle nicht quantifizieren, weil es
keine gebe.
Ich habe nur gesagt, dass wir sie nicht berechnet haben.
Gut. - Es handelt sich um einen Subventionstatbestand, obwohl Sie doch eigentlich die Subventionen
zurückfahren wollen. Können Sie mir bitte die Frage beantworten, wie hoch der Steuersatz ist, wenn ich meine
einzige Kuh zu Hause mit Hundefutter füttere?
({0})
Herr Kollege, wenn Sie Ihre Kuh mit Hundefutter füttern würden, dann würde ein legendärer Ausspruch der
Kollegin Künast zutreffen, nämlich dass in unsere Kühe
nur Gras und Wasser gehören. Ich glaube nicht, dass Hundefutter dazu zählt.
Frau Staatssekretärin, das war allerdings keine präzise
Antwort auf die Frage des Kollegen Carstensen.
({0})
Wenn Sie Ihre Kuh zum Beispiel mit im Fernsehen beworbenem Hundefutter in kleinen Dosen füttern würden,
dann würden Sie auf dieses Futter nur 7 Prozent und nicht
16 Prozent Umsatzsteuer zahlen. Insgesamt würde es Sie
aber teurer kommen, als wenn Sie Heu, Gras und Wasser
verfüttern würden.
Nächste Frage, Herr Kollege Weiß.
Frau Staatssekretärin, Ihre bisherigen Äußerungen veranlassen mich zu der Frage: Welche sozialen Gründe sprechen aus Ihrer Sicht dafür, dass das Futter für den Kampfhund und das Futter für die friedliche Kuh so
unterschiedlich besteuert werden?
({0})
Herr Kollege, Sie haben wirklich Recht. Denn das
Steuerrecht kann nur verhältnismäßig grobe Unterscheidungen machen, wie das zum Beispiel der Fall ist beim
Hundefutter für den Kampfhund und die friedliche Kuh,
die Gras oder Heu und Wasser bekommt. Natürlich lieben
wir alle die friedliche Kuh viel mehr.
Ich will Ihnen ein anderes Beispiel zur Umsatzsteuer
nennen. Es ist völlig unbestritten, dass Kulturgüter, also
Bücher und Zeitschriften, mit dem halben Mehrwertsteuersatz belegt sein sollen. Es lässt sich damit leider nicht
ausschließen, dass auch Pornohefte mit dem halben Mehrwertsteuersatz belegt sind. So ist das auch mit dem
Kampfhund.
({0})
Nächste Zusatzfrage des Kollegen Jahr.
Ich möchte auf die soziale Begründung Ihres Umsatzsteuersatzes zu sprechen kommen. Könnte man im Rahmen Ihrer Begründung nicht auch über andere Produkte
nachdenken? Ich nenne das Beispiel der Blumen. Blumen
werden vorwiegend von älteren Menschen an andere verschenkt. Sollte man also unter diesem sozialen Gesichtspunkt nicht auch noch einmal über die Besteuerung von
Blumen diskutieren? Einerseits sind sie ein Kulturgut und
machen Freude. Andererseits werden auch Gräber mit
Blumen bestückt. Ihre Begründung sollte Anlass sein, die
geplante höhere Besteuerung zu überdenken und unlogische Dinge zu beseitigen.
Herr Kollege, ich stimme Ihnen zu: Blumen sind nach
unserem Verständnis sicherlich ein Kulturgut, das wir
über viele Jahrhunderte in Deutschland entwickelt haben.
Ich stimme Ihnen auch darin zu, dass selbstverständlich
alle in Gesetzen bestehenden Tatbestände gründlich überdacht werden müssen.
Ich möchte jedoch anraten, dass die meisten Blumen
von jungen Männern verschenkt werden sollten.
Ich habe das nicht als die Ankündigung einer gesetzlichen Regelung verstanden, die jedes Nachdenken darüber
lohnen würde.
Wir können nun die Frage 23 abschließen und uns der
Frage 24 des Abgeordneten Schulte-Drüggelte zuwenden:
Wie hoch werden die zusätzlichen Aufwendungen in der Finanzverwaltung und bei den landwirtschaftlichen Unternehmen
für die Bearbeitung und Erstellung der Umsatzsteuererklärungen
für diejenigen Landwirte eingeschätzt, die zur Regelbesteuerung
wechseln?
Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Schulte-Drüggelte, die zusätzlichen Aufwendungen für die Finanzverwaltung halten sich in
durchaus vertretbaren Grenzen. Beim Umsatzsteuervoranmeldungsverfahren handelt es sich um ein Massenverfahren, das im Wesentlichen maschinell abläuft. Für die
landwirtschaftlichen Unternehmer, die zur Regelbesteuerung optieren, entstehen, wie ich schon ausgeführt habe,
zusätzliche Aufwendungen für Aufzeichnungs- und Erklärungspflichten in vertretbarer Höhe. Jedoch ist zu
berücksichtigen, dass bereits heute - sei es aus betriebswirtschaftlichen Gründen, sei es zur Beantragung von Zuschüssen - viele Landwirte Aufzeichnungen machen.
Soweit bäuerliche Klein- und Nebenerwerbsbetriebe
die Kleinunternehmerregelung anwenden, sind sie im
wirtschaftlichen Ergebnis von der vorgeschlagenen steuerlichen Änderung nicht betroffen, da nach § 19 Abs. 1
Umsatzsteuergesetz keine Umsatzsteuer erhoben wird.
Ich sagte soeben bereits: Die Grenze liegt zurzeit bei einem Umsatz von 16 620 Euro. Die allermeisten Nebenerwerbslandbetriebe dürften dies nicht erreichen.
Zusatzfrage, Herr Kollege Schulte-Drüggelte? - Bitte.
Halten Sie es für möglich, dass die Zielsetzung der Regierungserklärung, die Bürokratie abzubauen, mit dieser
Maßnahme nicht erreicht wird?
Herr Kollege, es ist richtig: Der Bürokratieabbau ist
eine Aufgabe, der sich nicht nur die Bundesregierung,
sondern jeweils alle staatlichen Ebenen zu unterziehen
haben. Gleichwohl ist nicht jede öffentliche Handlung mit
Bürokratie gleichzusetzen. Vielmehr ist jeweils zu überprüfen, ob ein Vorgang mit angemessenem Aufwand erfolgen kann und ob damit jemand über Gebühr belastet
wird. Selbstverständlich muss der Staat im öffentlichen
Interesse bestimmte Regeln setzen, die eingehalten werden müssen.
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte.
Die zweite Hälfte meiner Frage betraf die Belastung
der landwirtschaftlichen Unternehmen. Halten Sie es für
möglich, dass sich die Wettbewerbssituation der Betriebe
in Deutschland dadurch verschlechtert, dass das europäische Recht die Möglichkeit eröffnet, mit pauschalen Regelungen vorzugehen, und andere Länder davon Gebrauch machen?
Ja, Herr Kollege. Aber die pauschale Regelung gibt es
ja auch bei uns weiterhin.
({0})
Insofern wird da keine Wettbewerbsverzerrung stattfinden.
Eine weitere Zusatzfrage von Frau Connemann.
Auch wenn das Ministerium sich jetzt nicht in der Lage
sieht, uns zu beziffern, wie viele Landwirte zukünftig optieren werden, ist es doch so, dass die berufsständischen
Organisationen uns sagen, dass der absolut überwiegende
Teil von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wird. Sind
angesichts der dann zu erwartenden Abertausenden von
zusätzlichen Umsatzsteuererklärungen die Finanzbehörden derzeitig personell entsprechend ausgestattet, um diesen Mehranforderungen gerecht werden zu können?
Ich hatte Ihnen eben die Zahlen genannt. Etwa 380 000
Betriebe haben nicht optiert zur Regelbesteuerung und
etwa 30 000 haben optiert. Sosehr ich die deutsche Landwirtschaft schätze, so ist die Zahl von 380 000 Betrieben
im Verhältnis zur Betriebsstruktur und zur Anzahl aller
Betriebe in der Bundesrepublik Deutschland eine überschaubare Größe. Auch wenn ich davon ausgehe, dass die
Mehrzahl dieser bisher 380 000 nicht optierenden Landwirte dies zukünftig tun wird, so ist das eine Größenordnung, die von den Landesfinanzverwaltungen ohne bedeutsamen Mehraufwand, insbesondere weil es in einem
maschinellen Verfahren abläuft, bearbeitet werden kann.
Herr Kollege Carstensen.
Frau Staatssekretärin, erwarten Sie nach dieser Regelung, dass dann, wenn Landwirte in die Regelbesteuerung
gehen, Investitionen der letzten Zeit noch geltend gemacht werden und dies dann natürlich auch zu Steuermindereinnahmen der Bundesregierung führen wird?
Dabei gibt es natürlich Grenzen. Es kann nicht einfach
rückwirkend optiert werden. Sie wissen genau, dass man
die Option bis zum 10. Januar eines Jahres ausüben muss
und dann nach vorne hin fünf Jahre lang, sodass man nicht
sagen kann: Ich habe vor fünf Jahren investiert und jetzt
optiere ich für die Zukunft, aber das, was ich vor fünf Jahren investiert habe, hole ich mir als Vorsteuerabzug
zurück. Das geht so nicht. Man kann nicht sozusagen von
beiden Seiten des Kuchens gleichzeitig abbeißen.
Herr Kollege Deß.
Frau Staatssekretärin, § 15 a schreibt das aber anders
vor. Wenn jemand im letzten Jahr investiert hat, dann
muss er sehr wohl die Möglichkeit haben, dass er Vorsteuer zurückbekommt. Gibt es hierzu Zahlen, die zeigen,
um welche Summen es sich handeln würde, die die Landwirte erhalten, wenn sie plötzlich zur Option übergehen?
Ich gehe davon aus, dass das schon ein großer Betrag ist.
Sind Sie da meiner Meinung?
Herr Kollege Deß, Sie haben Recht hinsichtlich des
letzten Jahres. Darum habe ich eben gesagt, dass es Beschränkungen gibt. Also man kann nicht, wie ich eben bei
meinem Beispiel sagte, einfach fünf Jahre zurückgehen.
Nein, es gibt dazu keine Zahlen. Einer Ihrer Kollegen
hatte eben schon diese Frage gestellt und ich musste sie
leider mit Nein beantworten.
Nun rufe ich die Frage 25 der Kollegin Connemann
auf:
Wie hoch wird durch die Anhebung des Umsatzsteuersatzes
für wichtige landwirtschaftliche Vorprodukte wie Saatgut, Futtermittel, Stroh und Lebendvieh die durchschnittliche Vorsteuerbelastung der nach § 24 Umsatzsteuergesetz pauschalierenden
Landwirte ansteigen, prozentuale Vorsteuerbelastung und absolute Zahllast?
Durch die geplante Besteuerung landwirtschaftlicher
Vorprodukte mit dem Regelsteuersatz erwartet die Bundesregierung bei einer Wirkung, die sich auf ein volles Jahr
bezieht, also das so genannte Entstehungsjahr, Umsatzsteuermehreinnahmen in Höhe von 990 Millionen Euro.
Hierdurch würde sich rein rechnerisch die tatsächliche
Vorsteuerbelastung bei den pauschalierenden Landwirten
um rund 3,5 Prozentpunkte erhöhen.
Zusatzfrage.
Wird damit nicht der letzte Unterschied zwischen landwirtschaftlicher und gewerblicher Tierhaltung beseitigt?
Umsatzsteuerlich gesehen wäre das dann gleichgültig;
das ist richtig. Ein Landwirt, der optiert, wird im Umsatzsteuerrecht genauso behandelt wie ein Gewerbebetrieb.
Das ist umsatzsteuerlich betrachtet. Im Bewertungsgesetz
gibt es Unterschiede.
Gibt es eine zweite Zusatzfrage?
Nein.
Dann rufe ich die Frage 26 auf:
Trifft es zu, dass die Regierung der Niederlande sich mit der
Bitte an die Bundesregierung gewandt hat, auf eine Umsatzsteuererhöhung auf Gartenbauerzeugnisse zu verzichten, und wenn ja,
wie hat die Bundesregierung darauf reagiert?
Ja, der Botschafter der Niederlande, Herr Dr. Nikolaos
van Dam, hat sich an die Bundesregierung gewandt und auf
mögliche Folgen bei der Umsetzung der Pläne der Bundesregierung, den ermäßigten Umsatzsteuersatz für gartenbauliche Erzeugnisse abzuschaffen, hingewiesen. Das Antwortschreiben der Bundesregierung ist derzeit in Vorbereitung.
Zusatzfrage.
In welcher Richtung können wir uns die Antwort vorstellen?
Entschuldigung, ich musste gerade ein bisschen lachen, weil ein Kollege von hinten gerufen hat: Die geht
nach Amsterdam. Aber diese Richtung war natürlich nicht
gemeint.
Die Bundesregierung hat diese Rechtsänderungen so
vorgeschlagen und wird sie natürlich auch gegenüber der
niederländischen Regierung vertreten.
Und der Brief geht wahrscheinlich nach Den Haag.
Auch das.
Bitte schön, Frau Connemann.
Hat die Bundesregierung angesichts dieser Pläne gerade im Bereich der Erhebung der Umsatzsteuer bei Produkten aus dem Gartenbau auch die Erfahrungen berücksichtigt, die 1991 in Frankreich mit einer selben Regelung
gemacht worden sind, als nach kurzer Zeit und wegen eines drastischen Abbaus von Arbeitsplätzen diese Regelung dort zurückgenommen wurde?
Ja, die Bundesregierung hat diese Erfahrungen in
Frankreich berücksichtigt.
Herr Kollege Carstensen.
Wenn die Erfahrungen aus Frankreich berücksichtigt
worden sind, können Sie mir sagen, wann Sie denn diese
Regelung zurückzunehmen gedenken?
Herr Kollege, in Frankreich wurde damals die Mehrwertsteuer um 13 Punkte angehoben; bei uns ist eine
Anhebung um 9 Punkte vorgesehen. Außerdem gehe ich
davon aus, dass gerade in Deutschland eine besonders
ausgeprägte Liebe zu Schnittblumen und Topfpflanzen
besteht, und ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand
aufgrund des Tatbestandes, ob er 5,00 Euro oder
5,45 Euro bezahlen soll, in seiner Kaufentscheidung so
wesentlich beeinflusst wird.
({0})
- Und die Balkongärtner.
Was ja eine schöne Koalition ist.
Die nächste Zusatzfrage, Herr Kollege Deß.
Frau Staatssekretärin, muss jemand, der im Ausland einen Blumenstrauß kauft, wo ein niedrigerer Steuersatz
gilt, damit rechnen, dass er an der Grenze nach Deutschland den Differenzbetrag zur höheren Umsatzsteuer in
Deutschland bezahlen muss?
Nein, Herr Kollege Deß, weil es sich dabei um Verbrauchsmengen handelt, die jeder Reisende mit sich
führen kann. Außerdem wird natürlich gerade bei Schnittpflanzen die Zahl der Menschen, die das tun können,
durchaus begrenzt sein.
({0})
Herr Kollege Schulte-Drüggelte.
Wie schätzen Sie denn die Auswirkungen dieser Umsatzsteuerregelung auf die Gartenbaubetriebe ein? Halten
Sie die Auswirkungen für vertretbar oder glauben Sie,
dass trotz Verteuerung unverändert weiter gekauft wird?
Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Erhöhung der Umsatzsteuer in diesem Bereich an den Endverbraucher weitergegeben werden kann.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.
({0})
Welche Auswirkungen hat dies auf die Baumschulbetriebe?
Bäume, die von Baumschulbetrieben veräußert werden, sollen in Zukunft auch dem normalen Mehrwertsteuersatz unterliegen.
({0})
Weitere Zusatzfragen liegen hierzu nicht vor.
({0})
- Entschuldigung, habe ich jemanden übersehen?
({1})
- Das ist dann in der Tat wahrscheinlich auf das breite
Kreuz des Kollegen Carstensen zurückzuführen.
Frau Staatssekretärin, würden Sie freundlicherweise
für eine weitere Zusatzfrage zur Verfügung stehen? - Bitte
schön, Herr Jahr.
Ich möchte nur noch einmal nachfragen, Frau Staatssekretärin. Gehen Sie also wirklich davon aus, dass
aufgrund dieses geänderten Mehrwertsteuersatzes der
Nettoumsatz bei den Gartenbau-, Blumen- und Baumschulbetrieben nicht negativ beeinflusst wird?
Ich rechne nicht mit einer wesentlichen Beeinträchtigung.
Die Fragen 27 und 28 sind zurückgezogen.
Die Fragen 29 und 30 werden schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich
darf mich bei Ihnen, Frau Staatssekretärin, bedanken.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Arbeit auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Gerd
Andres zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 31 des Kollegen Erich Fritz
auf.
Gedenkt die Bundesregierung, den Rüstungsexportbericht
2001 noch in diesem Jahr vorzulegen, nachdem sie in der Antwort
des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für
Wirtschaft und Technologie, Dr. Ditmar Staffelt, vom 28. Juni
2002 auf meine schriftliche Frage in Bundestagsdrucksache
14/9775 mitgeteilt hatte, dass sich der Rüstungsexportbericht
2001 in der Vorbereitung befinde und so bald wie möglich nach
Ressortabstimmung und Verabschiedung durch das Kabinett dem
Deutschen Bundestag zugeleitet werde, und wenn nein, welche
Gründe stehen einer Vorlage entgegen?
Herr Kollege Fritz, ich habe eine frohe Botschaft für
Sie: Das Bundeskabinett hat heute den Rüstungsexportbericht 2001 beschlossen. Nach meinem Kenntnisstand
ist der Bericht heute Nachmittag dem Bundestag zugeleitet worden, sodass er Sie in kürzester Zeit erreichen wird.
So kann auch die Bundesregierung einmal eine frohe Botschaft überbringen.
Nachdem der Kollege Fritz offensichtlich auf eine Zusatzfrage verzichtet hat, habe ich eigentlich auf Ihr Angebot gewartet, den Bericht nun langsam vorzulesen. Möglicherweise ist das aber auch durch individuelle Lektüre
auszugleichen.
Ich rufe die Frage 32 des Kollegen Hans Michelbach
auf:
Wie gedenkt die Bundesregierung auf den neuen Rekord an
Unternehmensinsolvenzen zu reagieren und wird es Sofortmaßnahmen zur Entlastung des Mittelstandes geben?
Herr Kollege Michelbach, Ihre Frage beantworte ich
wie folgt: Das Statistische Bundesamt hat zuletzt am
22. November Zahlen zu Unternehmensinsolvenzen Januar bis Juli 2002 bekannt gegeben. Danach sind die Unternehmensinsolvenzen um 13,7 Prozent gegenüber dem
Vorjahreszeitraum auf 21 586 gestiegen. Im Vergleichszeitraum Januar bis Juli 2001 waren es 18 982. Damit
setzt sich der bereits seit Anfang der 90er-Jahre zu beobachtende Aufwärtstrend der Insolvenzzahlen auch im Jahr
2002 fort.
Für die Beurteilung der Unternehmensentwicklung in
einer Volkswirtschaft ist nicht allein die Zahl der Insolvenzen maßgeblich, sondern auch die Zahl der Neugründungen. Von entscheidender Bedeutung ist das Gründungsgeschehen insgesamt und damit der Saldo. Dieser
ist weiterhin deutlich positiv.
Im ersten Halbjahr 2002 standen in Deutschland
234 500 Gründungen 197 500 Liquidationen gegenüber.
Dies ist ein positiver Saldo von 37 000. Damit der Saldo
auch weiterhin positiv bleibt, ist es zentrale Aufgabe für
die Wirtschafts- und Finanzpolitik, Raum für private Initiativen und insgesamt ein positives Klima für Innovationen und Unternehmensgründungen zu schaffen.
Die Bundesregierung hat in dieser Hinsicht in den vergangenen Jahren Beachtliches zuwege gebracht. Mit den
in mehreren Stufen realisierten Steuerreformmaßnahmen
werden mittelständische Unternehmen 2005 gegenüber
1998 per saldo um rund 16,7 Milliarden Euro pro Jahr entlastet.
Die Steuerentlastungen ermöglichen den Unternehmen
höhere Nettogewinne und erleichtern auf diesem Wege
die notwendige Bildung von Eigenkapital. Die anhaltende
Wachstumsschwäche in den Jahren 2001 und 2002 macht
es jedoch notwendig, die Steuerreform in einen mittelfristigen Konsolidierungskurs einzubetten.
Mit dem Steuervergünstigungsabbaugesetz reduzieren
wir unangemessene Steuersubventionen, schließen Steuerschlupflöcher und tragen so zu mehr Steuergerechtigkeit bei.
In der Koalitionsvereinbarung hat die Bundesregierung eine Mittelstandsinitiative beschlossen. Konkrete
Maßnahmen sind unter anderem: Die Sicherstellung der
Unternehmensfinanzierung ist ein wichtiges Thema für
den Mittelstand. Durch die Zusammenlegung von Deutscher Ausgleichsbank und Kreditanstalt für Wiederaufbau
setzen wir den ersten Baustein der Mittelstandsinitiative um.
In diesem und im nächsten Jahr stehen jährlich allein
aus dem ERP-Sondervermögen des Bundes 5 Milliarden
Euro für zinsgünstige Förderkredite zur Verfügung. Die
beiden Förderinstitute des Bundes, die KfW und die DtA
bzw. zukünftig die Mittelstandsbank, bieten jährlich rund
9 Milliarden Euro für die Kreditfinanzierung des Mittelstandes an. Zusätzlich werden die Hausbanken durch eine
teilweise Haftungsentlastung und durch bessere Anreize
zur Durchleitung von Förderkrediten unterstützt.
Bürokratie behindert die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Mit einem Masterplan Bürokratieabbau wird die
Bundesregierung deshalb Bürokatie abbauen. Außerdem
wollen wir spezielle Erleichterungen für Gründer, um
mehr Anreize für die Verwirklichung neuer unternehmerischer Ideen zu schaffen. So planen wir dazu, im Handwerk den durch die Leipziger Beschlüsse eingeleiteten
Liberalisierungsprozess fortzuführen. Wir wollen Existenzgründer in der Gründungsphase finanziell entlasten,
zum Beispiel durch Freistellung von Kammerbeiträgen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär Andres, Sie haben die Existenzgründer angesprochen. Ist es nicht so, dass wir eine Verlangsamung bei den Neugründungen in Deutschland
gegenüber den Vorjahren haben? Sehen Sie nicht, dass
die Erhöhung der Ökosteuer, der Erdgassteuer, der
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Mindeststeuer, der Wertzuwachssteuer, der Firmenwagensteuer, der Umsatzsteuer usw., die zum 1. Januar
2003 erfolgt, zu einem Entzug an Kaufkraft und Investitionen von etwa 30 Milliarden Euro führt? Wir haben es
gehört. Dies ist geradezu eine Kakophonie an Steuererhöhungen statt einer Symphonie der Steuererleichterungen.
Herr Abgeordneter Michelbach, ich habe die Vergleichszahlen hier: Im Jahre 2001 gab es auf das gesamte
Jahr gerechnet 455 000 Gründungen und 386 000 Liquidationen. Der Saldo - gerechnet für das gesamte Jahr - lag
bei 69 000. Ich würde nicht sagen, dass wir bei den Neugründungen eine Verlangsamung haben.
Bei den Insolvenzraten gibt es eine deutliche Steigerung. Dies ist überhaupt nicht zu bestreiten. Deswegen
- das habe ich ausgeführt - hat die Bundesregierung die
Absicht, eine Gründungsinitiative auf den Weg zu bringen. Das werden wir im Januar und Februar tun.
Zur zweiten Position habe ich in meiner Antwort auch
bereits deutlich gemacht: Mit den Stufen der Steuerreform
haben wir gewaltige Steuerentlastungen auf den Weg gebracht. Einige Stufen haben wir schon umgesetzt. Es werden weitere Stufen folgen. Das wissen Sie.
Wir haben jetzt eine Stufe ausgesetzt und bestimmte
Maßnahmen ergriffen, die infolge der Flut, wegen des
Konsolidierungskurses, der mit den Maastrichtkriterien
zu tun hat, und anderem notwendig waren. Ich denke aber,
dass wir bei einer mittelfristigen Verbesserung des Konjunkturverlaufes und der Wachstumsentwicklung sehr
wohl auch positivere Zeichen bekommen. Das, was Sie
als Konsumentzug bezeichnet haben, schätzen wir nicht
so ein.
Bitte schön, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, erlauben Sie mir die Zusatzfrage: Wenn die Zahl der Insolvenzen steigt - was Sie einräumen -, wird dann nicht die im Steuervergünstigungsabbaugesetz vorgesehene Strafsteuer auf Kapitals nämlich die Mindeststeuer, zur Vernichtung weiterer Betriebe
führen, indem hier eine Scheingewinnbesteuerung stattfindet, indem hier insbesondere Verluste nicht mehr mit
Gewinnen verrechnet werden können und damit letzten
Endes Liquiditätsengpässe - verstärkt in jungen Unternehmen - auftreten? Können Sie sich vorstellen, dass damit die Insolvenzzahlen im Jahre 2003 weiterhin erheblich ansteigen?
Wir halten diese steuerliche Maßnahme für notwendig.
Über Auswirkungen kann man spekulieren. Ich empfehle
abzuwarten. Im Übrigen teile ich die Bewertung, die in Ihrer Frage zum Ausdruck kommt, nicht.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Die Fragen 33 und 34 des Kollegen Otto werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 35 der Abgeordneten Dr. Lötzsch
auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, dass der Parlamentarische
Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit,
Dr. Ditmar Staffelt, als damaliger Fraktionsvorsitzender der Fraktion der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus an der Konstruktion
der Berliner Bankgesellschaft beteiligt war und die Bank nur
durch eine Risikoabschirmung von 21 Milliarden Euro durch das
Land Berlin vor dem Bankrott bewahrt werden konnte, und welche Rückschlüsse zieht die Bundesregierung hieraus im Hinblick
auf die fachliche Kompetenz des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit?
Frau Abgeordnete Dr. Lötzsch, die Antwort der Bundesregierung lautet wie folgt: Keine. Für die Bundesregierung steht die fachliche Kompetenz des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit, Dr. Ditmar Staffelt, außer Frage. Die Bundesregierung vermag nicht zu erkennen, dass zwischen Funktionen, die Herr Staatssekretär Dr. Staffelt bis 1994 in der
Berliner Landespolitik innehatte, und der derzeitigen
Schieflage der Berliner Bankgesellschaft irgendein Zusammenhang besteht, der Rückschlüsse - insbesondere
fachlicher Art - auf seine derzeitige Position rechtfertigen
würde.
Zusatzfrage?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, nun
ist es Konsens - nicht nur in der Berliner Politik, sondern
auch darüber hinaus -, dass die Konstruktion der Bankgesellschaft die Ursache für den desaströsen Zustand ist.
In seiner Biografie hat Herr Staatssekretär Dr. Staffelt selber die Konstruktion der Bankgesellschaft als eine seiner
größten Leistungen dargestellt. Sind Sie im Lichte dieser
Einschätzung nicht auch der Auffassung, dass die eben
von Ihnen sehr kurz und positiv vorgetragene Einschätzung seitens der Bundesregierung überprüft werden
müsste?
Nein.
Weitere Zusatzfrage?
Selbstverständlich. - Ist es denn innerhalb der Bundesregierung überhaupt nicht üblich, sich mit fachlichen VorleistungenvonParlamentarischenStaatssekretärenzubefassen?
Doch, das ist üblich. Wir sehen aber den Zusammenhang, den Sie hier konstruieren wollen, nicht. Selbstverständlich hat Herr Dr. Staffelt in seiner politischen Funktion
die Gründung der Berliner Bankgesellschaft begleitet. Ich
kann Ihnen übrigens reihenweise Fachleute, Wirtschaftsvertreter und weitere Personen nennen, die alle die Konstruktion der Bankgesellschaft für notwendig hielten. Der
politische Prozess ist das eine Problem.
Die fachliche Kontrolle und der fachliche Umgang mit
der Bankgesellschaft sind ein ganz anderes Problem. Den
konstruierten Zusammenhang, den Sie in Ihrer Frage zum
Ausdruck gebracht haben, teilt die Bundesregierung ausdrücklich nicht.
Weitere Zusatzfragen dazu liegen nicht vor.
Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich bedanke mich bei Herrn Kollegen Andres.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Thalheim zur Verfügung.
Wir kommen zunächst zur Frage 36 des Kollegen
Schulte-Drüggelte:
Welche Wirkungen auf den Absatz von Gartenbauerzeugnissen - Blumen, Zierpflanzen, Baumschulerzeugnisse - sowie
Brennholz gehen nach Ansicht der Bundesregierung von einer Erhöhung der Umsatzsteuer auf diese Produkte aus?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Sehr geehrter Herr Kollege Schulte-Drüggelte, die Abschaffung des ermäßigten Steuersatzes auf Gartenbauerzeugnisse und Brennholz kann preiswirksam werden, soweit die Umsatzsteuer auf den Endverbraucher abgewälzt
wird. Ob und inwieweit eine Preiserhöhung zu einer Kaufzurückhaltung führt, lässt sich nicht zuverlässig abschätzen. Berechnungen über Auswirkungen auf den Umsatz
bergen dementsprechend große Unsicherheiten. Der Bundesregierung ist bekannt, dass die mit dem Gartenbau verbundenen Berufe erhebliche Umsatzeinbrüche befürchten.
Eine Zusatzfrage.
Halten nicht auch Sie es für wahrscheinlich, dass die
Nachfrage bei einer Preiserhöhung zurückgeht? Sind die
von Ihnen gerade beschriebenen Befürchtungen des Berufsstandes nicht durchaus berechtigt?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Schon im Zusammenhang mit einigen Fragen aus dem
Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen
haben wir über die Neigung der Deutschen zum Kauf von
Schnittblumen und Gartenbauerzeugnissen diskutiert.
Wir gehen davon aus, dass - abhängig von dem Eintreten
einer positiven Wirtschaftsentwicklung in den nächsten
Jahren - die Bereitschaft auch künftig groß sein wird,
Schnittblumen, Topfpflanzen und Gartenbauerzeugnisse,
also Baumschulerzeugnisse, zu kaufen. Das heißt, zumindest die Bundesregierung geht davon aus, dass sich die
Erhöhung der Mehrwertsteuer auf die Kaufentscheidungen kaum auswirken wird.
({0})
Die Fragen 37 und 38 der Kollegin Hasselfeldt werden
schriftlich beantwortet.
Dieser Geschäftsbereich ist damit beendet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Verteidigung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht
der Parlamentarische Staatssekretär Wagner zur Verfügung.
Die Fragen 39 und 40 des Kollegen Singhammer werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 41 des Kollegen Nolting auf:
Wie viele Transportpanzer des Typs Fuchs sind im Bestand der
Bundeswehr und wo sind diese im Einsatz?
Herr Kollege Nolting, die Bundeswehr verfügt über insgesamt 1 031 Transportpanzer des Typs Fuchs. Von diesen
Fahrzeugen verfügen 357 über die Ausrüstung als Gruppentransporter. 77 dieser Fahrzeuge verfügen über eine
Zusatzpanzerung gegen Minen und ballistischen Schutz
gegen Geschosse bis 14,5 Millimeter. Im Einsatz sind derzeit bei KFOR 100, bei SFOR 45, in Mazedonien 9, bei
ISAF 14 und bei Enduring Freedom 16 Fahrzeuge, davon
74 Gruppentransporter mit Zusatzpanzerung.
Eine Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie die Aussage des
Bundesverteidigungsministers, dass keine Transportpanzer des Typs Fuchs nach Israel geliefert werden können,
da die Bundeswehr alle Fahrzeuge - es sind, wie Sie gerade gesagt haben, über 1 000 - selbst benötigt?
Ich habe der Aussage des Bundesverteidigungsministers nichts hinzuzufügen. Da, wo nichts ist, kann man
nichts geben.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn ich es richtig verstanden
habe, dann sind bedeutend weniger Transportpanzer des
Typs Fuchs im Einsatz; insofern müsste also noch ein
großer Restbestand vorhanden sein. Wieso kann aus diesem Restbestand nicht geliefert werden?
Ich will Ihnen einmal die genauen Zahlen nennen. Ich
habe eben gesagt, die Bundeswehr verfüge über
1 031 Transportpanzer des Typs Fuchs in sechs Varianten.
Vom Grundmodell mit unterschiedlichen Rüstsätzen gibt
es 444 Fahrzeuge. Vom Grundmodell mit Zusatzpanzerung gibt es 124 Fahrzeuge. Es gibt 269 Transportpanzer
Funk. Es gibt - sie sprachen davon - 77 ABC-Spürpanzer
Standard und 37 ABC-Spürpanzer leistungsgesteigert.
Außerdem gibt es 80 Transportpanzer Eloka. Das sind insgesamt 1 031 Einheiten. Daraus erkennen Sie angesichts
des Einsatzes, den ich Ihnen genannt habe, dass keine Reserven zur Verfügung stehen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Niebel.
Herr Staatssekretär, von dem Gefechtsfahrzeug Fuchs sagen
die einen, es handele sich um ein gepanzertes Transportfahrzeug, die anderen, es handele sich um einen Transportpanzer. Ist der Fuchs nach Ansicht der Bundesregierung
eher ein Transportfahrzeug mit einer stärkeren Außenwand
oder mehr ein Panzer im Sinne eines Schützenpanzers oder
eines Kampfpanzers? Ist es eher ein Auto, das sicherer ist als
andere Autos, oder eher ein Gefechtsfahrzeug?
Herr Abgeordneter, ich habe eben gesagt, dass es sechs
Varianten des Transportpanzers vom Typ Fuchs gibt. Davon verfügen 77 Transportpanzer über eine Zusatzpanzerung gegen Minen und über einen ballistischen Schutz gegen Geschosse bis 14,5 mm.
Ich rufe die Frage 42 des Kollegen Nolting auf:
Wie sieht die Stationierungsplanung für das Lufttransportgeschwader 62 ({0}) aus und welche Maßnahmen sind für die
dazugehörenden Standorte Diepholz ({1}) und Holzdorf ({2}) geplant?
Herr Kollege Nolting, zurzeit befindet sich das Lufttransportgeschwader 62 mit dem Stab und der 1. und
3. Fliegenden Staffel Transall C 160 in Wunstorf. In
Diepholz ist die 2. Staffel des Geschwaders mit dem leichten Transporthubschrauber UH 1 D stationiert.
Am zukünftigen Standort des Geschwaders in Schönewalde auf dem Flugplatz Holzdorf befindet sich die Lufttransportgruppe mit einer Staffel UH 1 D. Seit dem
1. März 2002 ist eine Kerngruppe des bewaffneten Suchund Rettungsdienstes zum Aufbau dieser Fähigkeit in der
Luftwaffe dort angegliedert.
Im Rahmen der Einnahme der Luftwaffenstruktur 5 ist
geplant, im Bereich der Lufttransportverbände mit der
Umrüstung auf neue Waffensysteme typenreine Geschwader zu schaffen. Die geplante Umgliederung des
Lufttransportgeschwaders 62 von einem gemischten
Transportverband mit seinen Einheiten an den Standorten
Wunstorf, Diepholz und Schönewalde zu einem typenreinen, mit NH 90 ausgerüsteten Hubschrauberverband am
Standort Schönewalde erfolgt in Abhängigkeit vom Zulauf der neuen Waffensysteme A400M und NH 90 sowie
der Herausnahme der bisherigen Waffensysteme C 160
und UH 1 D aus der Nutzung.
Mit dem voraussichtlichen Zulauf der ersten A400M
im Jahr 2010/2011 und dem Beginn der Außerdienststellung der C 160 ist geplant, die 1. Lufttransportstaffel des
Geschwaders am Standort Wunstorf aufzulösen. Ebenfalls soll die Auflösung des Geschwaderstabes sowie der
Fliegenden und der Technischen Gruppe erfolgen. Die
3. Staffel des Lufttransportgeschwaders 62 wird als Fluglehrgruppe C 160 am Standort Wunstorf voraussichtlich
bis in die Jahre 2012/2013 verbleiben.
Parallel zur Auflösung am Standort Wunstorf soll am
Standort Schönewalde die Aufstellung des Geschwaderstabes, der Gruppen und von zurzeit geplanten drei Staffeln des typenreinen NH-90-Verbandes der Luftwaffe erfolgen.
Mit der voraussichtlichen Aufnahme der teilstreitkraftübergreifenden NH-90-Ausbildung in den Jahren 2005 und 2006 an der Heeresfliegerwaffenschule in
Bückeburg ist beabsichtigt, die 2. Staffel des Lufttransportgeschwaders 62 am Standort Diepholz aufzulösen.
Parallel dazu beginnt am Standort Schönewalde der
Aufbau der zukünftigen 3. Staffel des Lufttransportgeschwaders 62 mit NH 90. Diese Staffel ist zur Wahrnehmung von luftwaffenspezifischen Ausbildungsanteilen
für den NH-90-Einsatz vorgesehen.
Es gibt keine Zusatzfragen.
Die Fragen 43, 44 und 45 der Kollegen Koppelin und
Uhl sollen schriftlich beantwortet werden.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereiches und
auch am Ende der Fragestunde. Ich bedanke mich bei dem
Kollegen Wagner für die Beantwortung der Fragen.
Die nicht aufgerufenen Fragen werden unserer Praxis
entsprechend schriftlich beantwortet.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Aktuelle Vorschläge zur weiteren steuerlichen
Belastung der Bürger und Unternehmen
Die Fraktion der CDU/CSU hat diese Aktuelle Stunde
beantragt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Kollege Heinz Seiffert, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die
rot-grüne Bundesregierung ist seit dem 23. September
laufend bemüht, den Bürgern und Unternehmen immer
tiefer in die Tasche zu greifen. Dabei ist sie nun auf eine
neue Idee gekommen: Eine Neuregelung bei der Zinsbesteuerung soll beim Bund und bei den Ländern die leeren
Kassen füllen. Der Bundeskanzler stellt locker 25 Milliarden Euro in den Raum. Das macht Eindruck, ist aber
wohl völlig utopisch.
Das Zauberwort heißt Zinsabgeltungsteuer. Diese Idee
hatten aber nicht Sie von Rot-Grün, sondern wir von der
CDU/CSU - das gilt auch für die FDP - hatten sie in unserem Regierungsprogramm. Noch vor wenigen Wochen
ist jeder von uns, der diesen sogar europatauglichen Weg
zur Pauschalbesteuerung der Kapitalerträge vorgeschlagen hat, von Rot-Grün diffamiert worden.
({0})
Jedem, der diese Art der Zinsbesteuerung als taugliches
Mittel empfohlen hat, um Kapital, das im Ausland angelegt ist, an den Finanzplatz Deutschland zurückzuholen,
ist unterstellt worden, er wolle nur die Steuerhinterziehung begünstigen.
Wenn die Bundesregierung und ihr klammer Finanzminister beim Steuerrecht nun wieder einen Schwenk um
180 Grad vollziehen, so will ich dies nicht grundsätzlich
kritisieren. Wenn Sie zumindest im Bereich der Zinsbesteuerung ein Stück Bürokratie abbauen, wenn Sie den
Menschen einen Weg zu mehr Steuerehrlichkeit anbieten
und wenn Sie mit einem lukrativen Steuersatz versuchen,
die Steuerbasis zu verbreitern, um damit mehr Einnahmen
zu erzielen, so geht dies in die richtige Richtung. Bei der
Zinsabgeltungsteuer machen Sie, wenn Sie es richtig machen, ebenso wie bei der Scheinselbstständigkeit und den
Minijobs ein Stück Unionspolitik.
Kritisch beleuchten will ich allerdings die Begleitumstände, die bei Ihnen zu diesem Sinneswandel geführt haben. Es ist ziemlich absurd, diese Zinsabgeltungsteuer in
der Öffentlichkeit als Ersatz für die Vermögensteuer zu
verkaufen.
({1})
Noch vor wenigen Tagen wollten die Verteilungspolitiker
in der SPD wohlhabende Privatleute und Betriebe durch
eine Wiedereinführung der Vermögensteuer stärker belasten. Die entsprechenden Plakate sind in Niedersachsen
bereits gedruckt. Nun geschieht mit dieser Zinsabgeltungsteuer genau das Gegenteil. Kapitalerträge, die seither bei Hochvermögenden mit dem persönlichen Steuersatz von über 50 Prozent belegt worden sind, werden
künftig mit etwa der Hälfte, also mit 25 Prozent pauschal
versteuert. Ich persönlich bin nicht betroffen und kann damit gut leben. Aber es darf nicht passieren, dass die kleinen Sparer, die für das Alter vorgesorgt haben, künftig
schlechter als bisher gestellt werden.
({2})
Das heißt, die Freibeträge müssen erhalten bleiben. Die
Kleinanleger müssen sich über die Steuererklärung schadlos halten können. Darauf legen wir großen Wert.
Ein weiterer Punkt. Sie sollten sich nicht wieder über
die finanziellen Auswirkungen der Besteuerung selbst in
die Tasche lügen; das kennen wir ja. Sie sollten auch nicht
bei Bund und Ländern Erwartungen wecken, die Sie mit
Sicherheit nicht erfüllen können. Ich möchte ernsthaft bezweifeln, dass es für diejenigen, die ihr Geld im Ausland
angelegt haben, ein großer Anreiz ist, ihr Geld nach
Deutschland zurückzuholen, wenn sie dem Staat sofort
ein Viertel als nachträgliche Pauschalversteuerung abliefern sollen. Darüber muss man noch einmal nachdenken.
Beachten Sie bitte auch die Aussagen aller Fachleute zu
diesem Thema, die diese Strafsteuer für ebenfalls viel zu
hoch halten.
Das Wichtigste, was wir tun müssen, um dieser neuen
Zinssteuer zum Erfolg zu verhelfen und wieder Kapital
nach Deutschland zurückzuführen, ist: Wir müssen Vertrauen in den Finanzplatz Deutschland und in die Finanzund Steuerpolitik schaffen. Sie von der SPD aber machen
derzeit genau das Gegenteil. Der Kanzler verkündet vollmundig, die Debatte über die Vermögensteuer sei beendet.
Am gleichen Tag äußert sich Frau Simonis in der „Süddeutschen Zeitung“ dahin gehend, es gebe keinen Grund,
auf die Vermögensteuer zu verzichten. Herr Gabriels Regierungssprecher erklärt, das Thema sei vorläufig vom
Tisch.
Glauben Sie ernsthaft, dass dies vertrauensbildende
Maßnahmen sind? Glauben Sie, dass jemand wirklich bereit ist, 25 Prozent aus seiner Vermögenssubstanz abzugeben, dann 25 Prozent Abgeltungsteuer auf die Zinserträge
zu entrichten und gegebenenfalls, auch wenn es heute alle
verneinen, zusätzlich Vermögensteuer zu zahlen? So
dumm ist doch keiner. Deshalb bitten wir Sie inständig:
Erklären Sie sich heute! Lehnen Sie mit uns die Vermögensteuer deutschlandweit künftig ab. Wir haben einen
entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht. Stimmen Sie
unserem Gesetzentwurf zur endgültigen Abschaffung zu.
Dies würde Vertrauen schaffen.
({3})
Ihr Finanzminister Eichel soll die Hände vom Bankgeheimnis lassen. Wenn die Banken Steuern auf Zinserträge automatisch an das Finanzamt abführen, dann sind
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Kontrollmitteilungen nicht notwendig. Sie sollten nicht
alle unbescholtenen und steuerehrlichen Bürger mit gläsernen Konten bestrafen.
({4})
Die Zinsabgeltungsteuer kann ein Schritt in die richtige
Richtung sein. Sie sollten aber bei der Ausgestaltung des
Gesetzes nicht wieder alles falsch machen, was man
nur falsch machen kann. Wir von der CDU/CSU werden
Sie in diesem Verfahren konstruktiv, aber kritisch begleiten.
({5})
Die nächste Rednerin ist die Kollegin Arndt-Brauer für
die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich das Thema
der Aktuellen Stunde - Aktuelle Vorschläge zur weiteren
steuerlichen Belastung der Bürger und Unternehmen -,
beantragt von der CDU/CSU, das erste Mal gelesen habe,
habe ich mich gefragt, ob jetzt aktuelle Vorschläge der
Opposition zu erwarten sind. Das würde mich zum einen
wundern, weil die Vorschläge selten aktuell, sondern in
den meisten Fällen irgendwo hervorgekramt sind.
({0})
Zum anderen kann sich die Formulierung „steuerliche Belastung“ nicht auf uns beziehen, weil wir schließlich genau das Gegenteil machen.
({1})
Von daher ist das Thema der Aktuellen Stunde sehr weit
hergeholt. Dem Tenor Ihres Redebeitrags, Herr Seiffert,
war anzumerken, dass es mehr um Panikmache als um die
vernünftige Befassung mit dem Thema geht.
({2})
Wenn Sie von kleinen Sparern sprechen, an deren Sparvermögen wir angeblich heranwollen, dann ist das falsch.
Das wissen Sie genauso gut wie ich.
({3})
Einen Vorschlag, den Sie früher für gut befunden haben, der aber dann plötzlich aussichtslos geworden ist,
können Sie so in der Öffentlichkeit sicherlich nicht vernünftig vertreten. Deswegen möchte ich anders anfangen.
Ich möchte unseren Zuhörern und den Anwesenden vortragen, welche Steuersenkungen wir bereits durchgeführt
haben, damit nicht der Eindruck entsteht, wir würden
Steuern erhöhen.
({4})
Wir haben seit 1999 konsequent das Ziel verfolgt, Arbeitnehmer, Familien und den Mittelstand zu entlasten.
({5})
Wir haben bekanntlich gleichzeitig Einsparungen im
Haushalt vorgenommen, die allen ein bisschen wehgetan
haben. Wir haben - auch das ist Ihnen bekannt - Steuerschlupflöcher gestopft und wir haben Subventionen gestrichen, um Steuersenkungen gegenzufinanzieren.
({6})
Dass es Steuersenkungen für die Familien und die Unternehmen gegeben hat, kann wohl niemand bestreiten.
({7})
- Nein, nicht für die Kapitalgesellschaften. Sie wissen,
dass wir die Anrechnung der Gewerbesteuer für den von
Ihnen und auch von uns geliebten Mittelstand eingeführt
haben. Ich halte das für eine gute Maßnahme, die auch erfolgreich war.
Wir sorgen auch dafür, dass Spitzenverdiener und Kapitalgesellschaften wieder Steuern zahlen. Wir haben seit
1999 dreimal die Steuern gesenkt, dreimal das Kindergeld
erhöht, das BAföG erhöht, das Elterngeld eingeführt, das
Wohngeld verbessert, die Rente für die Erziehungszeiten
der Frauen erhöht und dem Mittelstand - das habe ich
eben bereits erwähnt - die Belastung durch die Gewerbesteuer faktisch genommen.
({8})
Diese Politik wird jetzt konsequent weitergeführt. Die
Spekulationsgewinne aus Aktien- und Immobilienverkäufen werden wirksamer besteuert und Abschreibungsmodelle im Mietwohnungsbau nach einer Übergangszeit auf
eine faire Besteuerung umgestellt. Außerdem wird dafür
gesorgt, dass große Kapitalgesellschaften ihre Steuerschulden nicht mehr über Verlusttransaktionen auf null
setzen können. Damit können wir weitere Steuersenkungen und Betreuungseinrichtungen für Kinder - die uns
sehr am Herzen liegen - finanzieren.
({9})
Es ist interessant zu vergleichen, was einer Durchschnittsfamilie mit zwei Kindern 1998 vom Bruttoeinkommen blieb und was ihr heute bleibt. 1998 betrug das Netto
vom Brutto 77,32 Prozent. Schon 2000 - seitdem ist es auch
so geblieben - lag das Netto über 80 Prozent vom Brutto.
({10})
Ich meine, dass das eindeutig ein Erfolg ist.
({11})
Eine Durchschnittsfamilie - Durchschnittseinkommen
und zwei Kinder - hat im Jahre 2003 monatlich insgesamt
337,12 Euro mehr in der Tasche als 1998.
({12})
- Die Ökosteuer ist ein interessantes Stichwort, weil diese
nämlich die Durchschnittsfamilie entlastet.
({13})
- Lassen Sie mich bitte ausreden! - Sämtliche Stufen der
Ökosteuer belasten die Familie 2003 mit circa 24 Euro im
Monat. Das ist die Belastung.
({14})
Die Entlastung beträgt bei der Rentenversicherung
48,36 Euro. Es ist klar erkennbar, dass eindeutig eine
Entlastung stattgefunden hat.
({15})
Das Kindergeld ist seit 2000 wesentlich stärker erhöht
worden, als die Summe von Lohn- und Kirchensteuer ausmacht. Das heißt, auch hier hat eine Entlastung der Familien stattgefunden.
Grundsätzlich wird die Durchschnittsfamilie von den
vorgeschlagenen Steueränderungen bzw. Subventionskürzungen, die wir im nächsten Jahr vorhaben, nicht stark
betroffen sein. Ich habe das bereits in der vorigen Aktuellen Stunde dargelegt. Da die Durchschnittsfamilie selten
über einen Dienstwagen verfügt, wenig Aktienspekulationen betreibt und auch selten Abschreibungsmodelle im
Mietwohnungsbau nutzt, ist sie nur vom Regelsteuersatz
bei der Mehrwertsteuer für Blumen und Pflanzen betroffen. Das wird ungefähr 1 bis 2 Euro im Monat ausmachen.
Ich denke, das ist angesichts der großen Entlastung für die
Durchschnittsfamilie zu verkraften. Deswegen haben wir
sehr erfolgreich Politik gemacht.
({16})
- In der Aktuellen Stunde sind Fragen nicht erlaubt.
Ich danke Ihnen für das Zuhören.
({17})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Solms, FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf dieses Niveau wollte ich mich nicht begeben,
Herr Kollege Schultz. Wenn das Ihr Niveau ist, dann ist
das bezeichnend.
({0})
Ich möchte auf die bemerkenswerte Kursänderung eingehen, die hinter der Absicht der rot-grünen Regierung
steckt, eine Zinsabgeltungsteuer einzuführen. Wenn das
tatsächlich wahr ist - das ist ja das Eigentliche, was noch
zu prüfen ist -, möchte ich auf Folgendes hinweisen: Die
FDP fordert schon seit der Einführung der Zinsbesteuerung 1992 eine Zinsabgeltungsteuer. Wir konnten uns damit in der damaligen Koalition nicht durchsetzen. Die
Einführung einer solchen Steuer ist gleichwohl richtig.
Wir haben schon Anfang Juni 2001 öffentlich vorgeschlagen, eine Brücke zur Steuerehrlichkeit für diejenigen zu
bauen, die ihr Kapital bzw. ihr Sparvermögen ins Ausland
transferiert und nicht deklariert haben, damit sie wieder
steuerehrlich werden können.
({1})
Wenn eine solche Politik konsequent gemacht wird,
dann muss sie natürlich nach jeder Richtung hin abgesichert sein. Das heißt, wenn wir das Vertrauen in den Kapitalmarkt Deutschland - die umfängliche Kapitalflucht
zeigt, dass dieses verloren gegangen ist - zurückgewinnen
wollen, dann muss der Kapitalmarkt Deutschland so gestaltet werden, dass die Belastungen auf Sparvermögen hier
nicht höher sind als in vergleichbaren Industriestandorten.
({2})
Ein Maßstab dafür ist Österreich mit einer Zinsbesteuerung von 25 Prozent. In Österreich ist das Steueraufkommen seit Einführung der Zinsabgeltungsteuer um 30 Prozent gestiegen.
Es geht also darum, das Vertrauen in den Kapitalmarkt
Deutschland wiederherzustellen. Das wird aber nur gelingen, wenn Sie mit der Einführung einer Zinsabgeltungsteuer gleichzeitig dafür sorgen, dass das Bankgeheimnis
erhalten bleibt, dass die Banken also keine umfängliche
Kontrollmitteilungen machen müssen und dass die Diskussion über die Wiedereinführung der Vermögensteuer
und die Erhöhung der Erbschaftsteuer beendet wird.
({3})
Sonst wird das Vertrauen derjenigen missbraucht, deren
Kapital besteuert werden soll.
({4})
Wenn die Kapitalbesteuerung so durchgeführt werden
soll, wie Sie das vorhaben - das ist durchaus sinnvoll -,
dann muss der Richtungswechsel auch konsequent und
endgültig vorgenommen werden.
({5})
Das heißt, die Einführung der Zinsabgeltungsteuer müssen wir mit der endgültigen Abschaffung der Vermögensteuer verbinden. Des Weiteren müssen wir den Unsinn
mit den Kontrollmitteilungen unterlassen. Diese sind
dann auch nicht mehr notwendig, weil die Steuerpflichtigen eine Zinsabgeltungsteuer, die an der Quelle erhoben
und deren Aufkommen von den Banken abgeführt wird,
gar nicht umgehen können.
({6})
Deshalb kann das Bankgeheimnis - das muss es konsequenterweise auch - erhalten bleiben. Nur so wird ein
Schuh daraus. Wenn Sie das nicht einsehen, dann werden
Ihnen die Sparer nicht vertrauen, das heißt, sie werden ihr
Kapital weder hier belassen noch aus dem Ausland - oder
wo auch immer sie es deponiert haben - zurückholen. So
einfach ist die Rechnung.
Wir befinden uns schließlich in einer offenen ökonomischen Welt und nicht in einer geschlossenen Volkswirtschaft. Wir sind den Regeln des Wettbewerbs voll unterworfen und müssen uns ihm deshalb stellen. Das geht nur,
indem wir Deutschland für die steuerpflichtigen Sparer
und Kapitalbesitzer in Zukunft so attraktiv gestalten, wie
es die besten Länder um uns herum bereits sind. Den
Österreichern ist das gelungen. Wir brauchen ihnen nur
zu folgen. Auch die Schweizer sind inzwischen bereit,
das Quellensteuerabzugsverfahren mitzumachen. Wenn
Deutschland diesen Weg gehen würde, würde natürlich in
ganz Europa ein Umdenken einsetzen. Das ist doch ganz
klar.
({7})
Ich möchte noch zwei Bemerkungen machen. Erstens.
Ich habe Zweifel, dass die Regierung die Einführung einer Zinsabgeltungsteuer tatsächlich beabsichtigt; denn innerhalb der Regierung wird darüber diskutiert, in Zukunft
Kapital- und Mieterträge in die Bemessungsgrundlage für
die Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung einzubeziehen. Die Diskussion läuft und das wird jetzt auf
die Rürup-Kommission geschoben. Wenn das tatsächlich
so kommen sollte, dann können Sie alles das vergessen,
was Sie in diesem Bereich tun; denn dann ist das Vertrauen weg.
({8})
Dann möchte ich noch eine Bemerkung zu dem Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten im Bundesland Hessen machen. Wie Sie wissen, ist der Finanzplatz Frankfurt
der deutsche Finanzplatz. International ist damit der Kapitalmarkt Deutschland verbunden. Nun will der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten, der dort Ministerpräsident werden will
({9})
- Gerhard Bökel, genau; ich kenne ihn seit langem und
gut; er war einmal Landrat im Lahn-Dill-Kreis in meiner
Nachbarschaft -,
({10})
nicht von der Einführung der Vermögensteuer lassen. Wer
für den Finanzplatz Frankfurt - dabei geht es um das Vertrauen in den deutschen Kapitalmarkt - Verantwortung
übernehmen will, der kann doch nicht eine Politik betreiben, die dazu führt, dass die Kapitalbesitzer, die Sparer rudelweise ihr Geld ins Ausland tragen und den Finanzplatz
Frankfurt in einem weiten Bogen umgehen.
({11})
Das wäre eine eklatante Beschädigung des Finanzplatzes
Frankfurt, des Wirtschaftsstandortes Hessen und zum
Nachteil der dort beschäftigten Zehntausenden von Mitarbeitern in den Finanzdienstleistungsbereichen.
Meine Damen und Herren, ich kann Sie nur auffordern,
die Zinsabgeltungsteuer einzuführen. Wir halten das für
richtig. Es macht aber nur Sinn, wenn es konsequent betrieben wird.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat nun die Kollegin Christine Scheel,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Genau, kein Neid!
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr
Dr. Solms, es kann überhaupt keine Rede davon sein, dass
ein Kurswechsel vorgenommen wird.
({1})
Wir haben in der Vergangenheit immer gesagt, Ziel ist,
den Steuertarif zu senken, in Verbindung damit die Bemessungsgrundlage zu verbreitern
({2})
und auch auf der europäischen Ebene eine vernünftige Politik zu erreichen, was die Besteuerung von Zinsen anbelangt. Das war immer Konsens. Soweit ich das verfolgen
kann, ist es sogar in Ihren Reihen mit Beifall bedacht worden, wenn diese Position in Veranstaltungen draußen vertreten worden ist.
({3})
Wir haben von 1998 bis 2002 - das sind die Daten, die
jetzt ermittelt worden sind; darauf möchte ich hinweisen die Steuerquote von 22,1 Prozent auf 21 Prozent gesenkt.
Das heißt, dass wir 1998 von der damaligen Regierung
eine relativ hohe Steuerquote übernommen haben, die wir
bis heute Jahr für Jahr - das müssen Sie bitte einmal zur
Kenntnis nehmen - gesenkt haben.
({4})
Das gilt übrigens genauso für die Abgabenquote. Es
wird immer so getan, als seien die Abgaben permanent ge1156
stiegen. Man muss das in der Relation sehen. Wir haben
von 1998 bis heute eine Senkung der Abgaben von
40,2 Prozent auf 39 Prozent erreicht. Auch das gehört zur
Wahrheit dazu. Ich bitte Sie, doch einfach einmal die Fakten zur Kenntnis zu nehmen.
({5})
- Herr Thiele, ich bitte Sie, sich einmal anzugucken, wie
hoch der Rentenversicherungsbeitrag zu Ihrer Regierungszeit gewesen ist: 20,3 Prozent!
({6})
Bei uns beträgt er 19,5 Prozent. Das heißt, bei uns liegt er
immer noch 0,8 Prozentpunkte unter dem Satz, den Sie
uns hinterlassen haben.
({7})
Dass er immer noch zu hoch ist, wissen wir. Wir sind auf
einem anderen Weg als dem, den Sie eingeschlagen hatten. Sie haben über ein ganzes Jahrzehnt die Steuer- und
Abgabenquote kontinuierlich erhöht. Das war Ihre Politik. Wir machen genau das Gegenteil.
({8})
Die weiteren Stufen der Einkommensteuerreform - so
viel zum Titel dieser Aktuellen Stunde - werden auch
kommen.
({9})
Es ist mal wieder typisch Opposition, zu suggerieren, dass
wir im Saldo Mehrbelastungen statt Entlastungen vornehmen.
({10})
Die Beschlusslage ist, dass in den Jahren 2004 und 2005
- das ist die Gesetzeslage, verehrte Damen und Herren der
Opposition - die Steuersätze weiter gesenkt werden, und
zwar bis zu einem Eingangssteuersatz von 15 Prozent und
einem oberen Grenzsteuersatz von 42 Prozent. Das ist im
internationalen Vergleich hervorragend. Es gibt einige
wenige Länder, bei denen der Satz unter 40 Prozent liegt.
Dazu muss man aber wissen, dass dort der Spitzensteuersatz nicht erst bei einem Einkommen von rund
48 000 Euro, sondern bereits zum Beispiel bei einem
Einkommen von 25 000 Euro einsetzt. Das heißt, dass
dort die definitive Belastung durch die Einkommensteuer
wesentlich höher ist, als es bei uns der Fall ist. So viel zu
der Mär, die Sie immer wieder zu verbreiten versuchen.
Wir sind international top aufgestellt, das gilt für die Einkommensteuer übrigens genauso wie für die Körperschaftsteuer.
Selbstverständlich haben wir nach wie vor eine Konjunkturflaute. Bekannterweise hat diese wirtschaftliche
Situation nicht zu Steuermehreinnahmen, sondern eher zu
Steuermindereinnahmen geführt.
({11})
Das haben wir ja jetzt auch im Rahmen der Steuerschätzung festgestellt. Dies zwingt uns natürlich dazu, Sparmaßnahmen vorzunehmen, nicht nur - ich sage das ganz
bewusst - im Bereich der Steuerpolitik durch Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, sondern selbstverständlich auch in den sozialen Sicherungssystemen und selbstverständlich auch in den Einzeletats der verschiedenen
Haushalte, die wir hier aufgestellt haben. Deren Einsparungen tragen zu zwei Dritteln zum Gesamtvolumen bei, um
die Vorgaben, die wir einhalten müssen, erfüllen zu können.
Die Opposition verweigert ja bislang jede Diskussion
darüber, welche Einsparungen im Einzelnen vorgenommen werden könnten. Sie sagen: Wir haben das bis 1998
gemacht und jetzt seid ihr an der Regierung; jetzt legt ihr
mal vor. Aber alles, was vorgelegt wird, lehnen Sie jedes
Mal wieder ab. Das ist keine konstruktive Oppositionspolitik. Das habe ich von dieser Stelle aus schon mehrmals
gesagt. Ich muss leider feststellen, dass das in den letzten Tagen in Bezug auf die Steuerpolitik nicht besser geworden ist.
({12})
Ich erwarte von Ihnen, dass Sie Vorschläge zum Subventionsabbau und zur Streichung von Steuervergünstigungen machen.
({13})
Dann kommen wir an dieser Stelle zusammen und kommen auch gemeinsam voran.
Abschließend sage ich ganz klar: Die Vermögensteuerdiskussion ist vom Tisch.
({14})
Die Abgeltungsteuer wird im Januar oder Februar nächsten Jahres in einem eigenen Gesetz kommen und die Zinsabschlagsteuer ersetzen. Bevor hier ein Mythos aufgebaut
wird, Herr Seiffert, sage ich Ihnen: Es wird - das wird von
SPD und Grünen so gesehen - eine Option für diejenigen
geben, die unter 25 Prozent liegen, und der Sparerfreibetrag soll selbstverständlich erhalten bleiben, sodass kleine
Vermögen auf alle Fälle geschützt werden.
Danke schön.
({15})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans Michelbach,
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen!
Die Vermögensteuerdebatte ist Rot-Grün völlig aus dem
Ruder gelaufen. Kassiert die Reichen ab, damit Lieschen
Müller ihre Bildung bekommt - diese Neiddebatte war die
Wahlkampfstrategie eines Herrn Gabriel und eines Herrn
Bökel.
({0})
Nun hat sich der Bundeskanzler aber eine neue Inszenierung einfallen lassen. Das Thema Vermögensteuer soll
durch das Thema Abgeltungsteuer überdeckt und damit der
Streit in der SPD geradezu wundersam beendet werden.
({1})
Das ist die Wahrheit. Eine richtige Besteuerung von Kapitalerträgen wird also dafür missbraucht. Leider bahnt sich
eher ein neuer rot-grüner Steuerflop an, als dass ein seriöses
Abgeltungsteuergesetz eingeführt wird: Für den Genossen
Gabriel stellt das die Fortsetzung der Neid- und Ausgrenzungspolitik in der Steuerpolitik unter anderem Titel dar.
Die Bundesregierung selbst lebt in der Steuerpolitik
aber ohnehin nur nach dem Prinzip Hoffnung. Erst heute
wurden im Finanzausschuss von den Beamten weitere
Risiken der Steuerschätzung für das Jahr 2003 in Höhe
von etwa 3 Milliarden Euro eingeräumt. Bundeskanzler
Schröder sieht sich aber schon selbst als neuen Dagobert
Duck, der dank der Abgeltungsteuer geradezu in neuem
Geld schwimmt. 100 Milliarden Euro will er heimholen und
damit auch den aufmüpfigen Herrn Gabriel besänftigen.
({2})
Dabei, meine Damen und Herren, haben die Genossen
anscheinend den neuen Verteilungsmechanismus noch gar
nicht verstanden, nämlich dass höhere Einkommen niedriger und geringere Einkommen höher besteuert werden. Wie
lässt sich denn das überhaupt mit Ihrem Neidkomplex vereinbaren? Schröders Vorstellung ist geradezu eine Einnahme-Fata-Morgana. Nicht einmal 10 Prozent dieser
Summe werden durch seine Steueramnestie hereinkommen.
({3})
Was sagt eigentlich der Amnestiegegner Eichel zu diesem
Wechsel in die Steueramnestie?
Eines ist sicher: Heerscharen von Steuerzahlern lockt
die rot-grüne Steuerpolitik sicher nicht ins Land. Die reuigen Kapitalanleger sollen einmalig 25 Prozent auf das
Kapital zahlen, ihre zukünftigen Erträge ebenfalls mit
25 Prozent versteuern und zusätzlich die neuen Steuererhöhungen der laufenden Gesetzgebung in Kauf nehmen. Es ist ja nicht so, dass Sie keine Steuererhöhungen
machen. Sie veranstalten eine Steuerorgie mit einer
ganzen Reihe neuer Steuern.
({4})
Das ist die Situation, die Sie zu verantworten haben. Die
Steuerquote ist doch nur deshalb so niedrig, weil Sie das
Kindergeld im Einkommensteuerbereich abziehen. Das
ist die Situation!
({5})
Für wie naiv halten Sie eigentlich unsere Steuerzahler?
Solange die Frage der Vermögensteuer nicht geklärt ist,
wird kein Geld aus dem Ausland zurückkommen. Deshalb
fordere ich Sie auf: Stimmen Sie zuerst für unseren Antrag auf Abschaffung der Vermögensteuer. Dann herrschen Wahrheit und Klarheit auf diesem Gebiet und Sie
können vielleicht Vertrauen schaffen. Das werden Sie
aber wieder nicht tun.
({6})
Solange das neue Steuerpaket 41 Steuererhöhungen
vorsieht, wird kein Geld aus dem Ausland zurückkommen. Solange ein zu hoher Abgeltungsteuersatz in Höhe
von 25 Prozent besteht, wird kein Geld aus dem Ausland
zurückkommen.
({7})
Solange gleichzeitig das Bankgeheimnis durch Kontrollmitteilungen zerstört wird, wird kein Geld aus dem Ausland zurückkommen.
Das alles zeigt: Die rot-grüne Steuerpolitik ist Kakophonie und nicht Symphonie. Das ist die Wahrheit!
({8})
Niemand hat noch Vertrauen in eine rot-grüne Steuerpolitik. Deswegen wird es in Deutschland immer weniger
Investitionen geben. Niemand hat Vertrauen in diesen
Standort. Sie belasten den Standort immer stärker: Der
Staatsanteil am Volkseinkommen liegt inzwischen bei
56 Prozent. Sie aber reden davon, dass Sie die Steuerbürger und die Betriebe entlastet haben.
({9})
Der richtige Weg für die Einführung der Abgeltungsteuer muss mit einer klaren Abschaffung der Vermögensteuer und einem Gesamtsteuerkonzept, das vereinfacht
und entlastet, verbunden sein. Eine Abgeltungsteuer
braucht Lösungen im Einkommensteuertarif, beim Halbeinkünfteverfahren und bei den Dividenden. Eine Abgeltungsteuer macht nur Sinn, wenn der steuerpolitische
Zickzackkurs und die rot-grünen Steuererhöhungen beendet werden. Sie haben die Steuerquote nicht wirklich gesenkt; denn zum 1. Januar haben Sie Steuererhöhungen
durchgeführt: Ökosteuer, Erdgassteuer, Mindeststeuer,
Wertzuwachssteuer, Firmenwagensteuer und Umsatzsteuer. Das bedeutet für diesen Standort einen Kaufkraftentzug in Höhe von 25 bis 30 Milliarden Euro.
({10})
Das ist die Wahrheit.
Zum Abschluss kann ich Ihnen nur sagen: Die schröderschen Schalmeienklänge machen im kalten Winter
noch keinen Frühling in der rot-grünen Steuerpolitik.
({11})
Nächste Rednerin in der Aussprache ist die Kollegin
Lydia Westrich, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Michelbach, Sie tun mir fast ein wenig
Leid. Es muss doch frustrierend sein, permanent Wahlkampf führen zu müssen.
({0})
Es ist kein Wunder, dass Ihnen keine Zeit bleibt, eigene
Konzepte zu entwickeln. Ich glaube schon, dass Sie ein
bisschen neidisch sind. Das hat man an Ihrer Rede auch
gemerkt.
({1})
Außerdem stehlen Sie uns die Zeit, die wir besser mit der
konstruktiven Lösung der wirklich drängenden Probleme
unseres Landes verbringen könnten.
({2})
Ihr Wirtschaftssachverständiger, Lothar Späth - er hat
im Wahlkampf noch etwas gegolten -, schreibt Ihnen ins
Stammbuch, dass Sie mit Ihrer rückwärts gewandten Politik endlich aufhören sollten.
({3})
Herr Späth schreibt im „Handelsblatt“:
Die Politik kann sich jetzt einen Untersuchungsausschuss erlauben, die Unternehmer nicht ... Unsere
Mittelständler wollen jetzt keine weitere Jammerei,
sondern sie wollen Lösungen für unsere großen gesellschaftspolitischen Fragen. Sei es im Wettbewerb
der Parteien oder gemeinsam.
Diese Lösungen, wie Sie selbst gesagt haben, bieten wir
Ihnen an.
({4})
Sie als Opposition sagen wie immer nur Nein. Das wird
nicht reichen, Herr Thiele.
Der CDU-Wirtschaftsrat geht mit Ihnen genauso hart
ins Gericht, siehe „FAZ“ von heute:
Die Opposition darf sich nicht auf Kritik beschränken, sondern muss auch konkrete eigene Konzepte
vorlegen ...
({5})
Andernfalls mache Opposition „keinen Sinn“. So der Präsident des Wirtschaftsrats, Kurt Lauk. Ich kann nur hoffen, dass diese Mahnungen auf fruchtbaren Boden fallen
und die Weihnachtszeit Ihren Frust, Herr Michelbach, und
Ihre Erbitterung über die verlorene Wahl etwas dämpft.
({6})
Heute im Finanzausschuss gab es schon wieder das
gleiche Spiel: Es werden Schaufensteranträge zu selbst
aufgebrachten Diskussionen gestellt, aber bei der konkreten Gesetzesberatung nach Alternativen gefragt heißt es
nur schnippisch - das ist wörtlich gefallen -: Ihr seid doch
die Regierung.
({7})
Da kommt nichts Substanzielles, auch von Ihnen nicht,
Herr Dautzenberg.
Einerseits wird der Einbruch beim Aufkommen aus der
Körperschaftsteuer heiß beklagt. Ihr Kanzlerkandidat lief
ja monatelang durch die Lande und forderte, dass große
Unternehmen wieder Steuern zahlen sollten. Wenn aber
die Regierungskoalition konkrete Maßnahmen vorschlägt, dann sind diese plötzlich alle des Teufels. Alternativen Ihrerseits gibt es keine.
Sie beklagen den Verfall der Steuereinnahmen der Gemeinden und stimmen gleichzeitig gegen jede Möglichkeit, die Steuerbasis wieder zu stabilisieren.
({8})
Sie fordern Subventionsabbau, aber wenn es ans Eingemachte geht, ist plötzlich jede einzelne Subvention sakrosankt. Außer den Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschlägen
({9})
- das kommt gleich auch noch - fällt Ihnen bei den Steuervergünstigungen nichts ein. An die kann man ja herangehen; das betrifft ja nur Arbeitnehmer, Krankenschwestern,
Busfahrer usw. Gleichzeitig geben Sie damit den Gewerkschaften eins drauf, die Sie sowieso zu den Buhmännern der Nation hochstilisieren.
Die FDP fordert eine lineare Kürzung aller Subventionen. Das heißt, Sie haben Ihre politische Gestaltungskraft
längst aufgegeben. Zurzeit sind Sie ein bisschen mit sich
selbst beschäftigt. Vielleicht wird es wieder besser. Mit
Ihren alten Rezepten - weniger Staat, mehr Markt, der
Markt richtet es schon - kommen wir nicht weiter, das haben wir gesehen. Sie haben es 16 Jahre lang versucht und
an den Ergebnissen knabbern wir noch heute.
Wir machen heute die Reformen, die Sie schon längst
hätten in Angriff nehmen müssen.
({10})
Aber es war immer bequemer, den Schuldenberg weiter
aufzuhäufen,
({11})
statt sich ernsthaft mit den Interessenverbänden anzulegen, lieb gewordene Privilegien auf ein normales Maß zu
beschneiden und die Last der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte auf viele Schultern zu verteilen, damit
sie für alle erträglich wird. Ihnen fallen nur die Steinkohle
und Feiertagszuschläge ein.
Nein, das stimmt nicht ganz: Ihr ehemaliger Staatssekretär, den Sie jetzt immer als Sachverständigen benennen, Eekhoff, fordert die Erhöhung der Verbrauchsteuern,
weil das mehr Klarheit und Wahrheit bringe, obwohl Sie
heute selbst einen gegenteiligen Antrag dazu gestellt haben. Ministerpräsident Milbradt
({12})
fordert eine Wertschöpfungsteuer für die Kommunen und
eine Flächennutzungsteuer, deren Betrag sich gegenüber
der Grundsteuer verdoppeln soll.
Als Allheilmittel zur Lösung aller Probleme schlägt der
Wirtschaftsrat der CDU wieder vor, den Spitzensteuersatz
der Einkommensteuer auf 35 Prozent zu senken. Wenn es
Ihnen mit der Einführung eines einfachen Steuerrechts
ernst ist, dann müssen Sie endlich zur Kenntnis nehmen,
dass es auch einen unangenehmeren Teil dieses Projektes
gibt, nämlich die Verbreiterung der Bemessungsgrundlagen. Dazu gehört der Abbau von direkten und versteckten
Subventionen. Dazu fehlt Ihnen natürlich der Mut. Da
wird wieder alles abgelehnt; das haben wir heute gesehen.
Jedem wohl und keinem wehe - so können Sie, meine
Damen und Herren von der Opposition, die Zukunft
Deutschlands nicht gestalten.
({13})
Das wussten die Bürger, als sie die rot-grüne Bundesregierung bestätigt haben.
Das Schlimmste ist, Herr Seiffert, mit anzusehen, wie
Sie sich als Parlamentarier selbst entmachten.
({14})
Wie bei den Hartz-Konzepten werden Sie es auch bei den
Steuergesetzen Ihren Ländervertretern überlassen, nach
konstruktiven Lösungen zu suchen. Die Länder und Gemeinden brauchen die Konsolidierung der Haushalte genauso notwendig wie der Bund. Dazu wird das Subventionsabbaugesetz beitragen. Arbeiten Sie lieber jetzt
konstruktiv mit, nehmen Sie Ihre parlamentarische Verantwortung wahr und warten Sie nicht darauf, dass Ihnen
jemand anders die Kastanien aus dem Feuer holt.
Vielen Dank.
({15})
Nächster Redner in der Aussprache ist der Kollege
Norbert Schindler, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Derzeit
werben gute Versicherungskonzerne im Fernsehen erfolgreich mit dem Spruch: Was Menschen so sicher macht, ist
das täglich millionenfach gehaltene Versprechen.
({0})
Was aber erleben wir in der Politik? - Wir erleben
Ankündigungen. Es gab beispielsweise heute im Finanzausschuss eine Beratung über den ersten Gesetzentwurf
aus der Giftliste des Herrn Eichel, bestehend aus 45 Punkten. Wir haben vor zwei Tagen gehört, dass es eine friedliche Einigung über die Abgeltungsteuer zwischen Herrn
Schröder und Herrn Gabriel gegeben hat. Es wurde gesagt, sie sei sozial gerecht. Mit dieser Ankündigung - man
ist sich sicher, dass dieser Vorschlag positiv aufgenommen wird - war man schon zufrieden. Wenn wir vertrauensbildende Maßnahmen machen wollen, dann dürfen
uns aber die massiven Fehler nicht passieren, die die Regierung vor einigen Wochen gemacht hat.
Angesprochen auf die Veräußerungsgewinne, die jetzt
ebenfalls in diese Giftliste aufgenommen worden sind,
sagte Gerhard Schröder am 14. Juli im „Tagesspiegel“,
die Steuerbefreiung für Veräußerungsgewinne müsse
bleiben. Was danach geschah, wissen Sie.
Am 26. Juli ist von Kanzler Schröder in der ARD festgestellt worden, dass keine Absicht bestehe, Steuern zu erhöhen.
({1})
Aber was geschieht?
Sie haben gesagt, Sie würden die Steuern nicht erhöhen. Aber für einige Produkte wird die Umsatzsteuer
von 7 auf 16 Prozent angehoben. Sie müssen einräumen,
dass dies zu Preiserhöhungen führen wird. Außerdem
kommt es bei bestimmten Produkten noch zu Verzerrungen. Ich verspreche Ihnen - das habe ich schon heute Mittag getan -, dass wir im Bundesrat einiges ausputzen
werden. Erklären Sie den Menschen im Lande doch einmal, dass das Futter für Kampfhunde mit 7 Prozent und
das Futter für die friedliche Kuh mit 16 Prozent Umsatzsteuer belastet wird. Erklären Sie das einmal den Tierliebhabern!
({2})
Vertrauensbildende Maßnahmen fehlen auch im Bereich der Rente. Die SPD verkündete am 18. Juni in einer
Anzeige in der „Frankfurter Rundschau“:
Wir halten die Rentenbeiträge langfristig stabil.
Frau Scheel, wir können rechnen. Aber Sie haben anscheinend in der Schule bei der Mengenlehre nicht aufgepasst. Wenn ich einmal die Belastungen zusammenzähle
und ausrechne, was die Bürgerinnen und Bürger noch in
ihrer Tasche haben, dann wundert es mich nicht, dass Ihre
Regierung so schlechte Umfrageergebnisse hat. Trotz
Ökosteuer ist es beschlossene Sache, die Beiträge zur
Rentenversicherung von 19,1 auf 19,5 Prozent anzuhe1160
ben. Das ist dann zwar keine Steuererhöhung, aber eine
Abgabenerhöhung.
Eine weitere Lüge: Haushaltsdefizit. Fünf Tage vor der
Wahl verkündet der Herr Finanzminister in der ARD, er
sei sicher, dass wir keinen blauen Brief aus Brüssel bekommen.
({3})
Einige Tage später sah die Sache anders aus.
Ich komme zu einem weiteren Punkt: Staatsverschuldung. Eichel verkündete am 12. September im Bundestag,
dass die Finanzlage absolut in Ordnung sei, dass der europäische Stabilitätspakt eingehalten werde und dass eine
Neuverschuldung nicht für nötig gehalten werde.
({4})
Was 14 Tage später passiert ist, wissen Sie.
Im Wahlprogramm der SPD ist zur Krankenversicherung zu lesen:
Bei der Beitragsbemessungsgrenze für die gesetzliche Krankenversicherung gibt es keine Änderungen.
Das Hartz-Konzept wurde nach massivem Einwirken
von Vertretern der Union und der FDP im Vermittlungsausschuss in einem Teilbereich endlich so umgesetzt, dass
wir gut damit leben können. Das entspricht aber nicht
Ihrem ursprünglichen Vorschlag.
({5})
Ein letzter Punkt: die Kabinettszusammensetzung.
Dazu stellte Gerhard Schröder im „Spiegel“ fest, er habe
ein gut arbeitendes Kabinett und zu Personaldebatten
gebe es keinen Anlass. Auch im zweiten Fernsehduell mit
Edmund Stoiber betonte er, er habe einen tüchtigen Wirtschaftsminister und einen tüchtigen Arbeitsminister. Was
er in Wahrheit über sie gedacht hat, kam wenige Tage nach
der Wahl heraus. Jetzt stellen sich die Fragen: Wie geht
Bsirske und wie geht die Gewerkschaft als der dritte Koalitionspartner mit dem Vorschlag über die Abgeltungsteuer um?
({6})
Knickt Ihre Fraktion mit ihren 120 Verdi-Mitgliedern wieder ein?
({7})
Wie züchtig sind Sie dann im Befolgen dieser Wünsche?
Das notwendige Vertrauen wird nicht geschaffen. Sie
haben die Vermögensteuer noch im Hinterkopf. Sie wollen das Bankgeheimnis völlig abschaffen. Wer glaubt,
dass im Ausland geparktes Vermögen dann wieder vertrauensvoll in die Bundesrepublik Deutschland zurückfließt, der täuscht sich. Deswegen sollte es deutliche Zeichen und keine Widersprüche geben.
Leider Gottes habe ich nur eine Redezeit von fünf Minuten. Zum Schluss möchte ich aber aus einem Brief zur
Weihnachtszeit, den ich gestern bekam, noch Folgendes
zitieren:
... noch will das alte unsre Herzen quälen, noch
drückt uns böser Tage schwere Last. Ach Herr, gib
unsern aufgeschreckten Seelen das Heil, für das du
uns geschaffen hast.
Das wünschen wir uns vor Weihnachten.
Danke schön.
({8})
Für die Bundesregierung hat nun die Parlamentarische
Staatssekretärin Frau Dr. Hendricks das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Norbert Schindler, natürlich kann nur der
Herr deine Weihnachtswünsche erfüllen. Wir jedenfalls
werden auf der Erde alles dazu tun, dass es den Menschen
gut geht.
({0})
Wir haben in den letzten vier Jahren in der Steuerpolitik konsequent das Ruder herumgerissen und sie innerhalb weniger Jahre wieder auf Kurs gebracht. Die Kollegin Scheel hat darauf hingewiesen: Wir haben in der
letzten Legislaturperiode die größte Steuerreform in der
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland mit einem
Entlastungsvolumen von 56 Milliarden Euro durchgesetzt. Dafür haben wir im In- und Ausland Anerkennung
gefunden.
({1})
Daher sollte Ihnen nicht daran gelegen sein, ständig unser
Land schlechtzureden.
({2})
Das entspricht nicht der Verantwortung, die Sie als Abgeordnete der Opposition auszuüben haben.
({3})
Das Ergebnis ist: Der Standort Deutschland ist für Investoren wieder attraktiv geworden. Das ist sehr gut
nachweisbar.
({4})
Das hat die international renommierte Unternehmensberatung Ernst & Young in einer aktuellen Untersuchung,
Herr Kollege Michelbach, festgestellt. Dafür gibt es harte
Zahlen: Deutschland steht mit Direktinvestitionen in
Höhe von 27 Milliarden Euro im ersten Halbjahr 2002 wie
schon in den vergangenen vier Jahren - aber erst seither und bei der Anwerbung von Auslandskapital an der Spitze
Europas. Wir haben mit einer Steuerquote von 21,6 Prozent in diesem Jahr den niedrigsten Stand seit 1960. Wenn
dann jemand sagt, sie sei nur deshalb so niedrig, weil wir
das Kindergeld dagegenrechneten, dann sage ich Ihnen:
Das Kindergeld ist in den Taschen der Menschen und infolgedessen nicht beim Finanzamt. Nach dem Bundesverfassungsgericht ist es eine Steuererstattung.
({5})
- Richtig, das war es auch schon vor unserer Regierungsverantwortung. Auch Sie von der Opposition haben das
Kindergeld in Ihrer Regierungsverantwortung von der
Steuerquote abgezogen.
Wir haben also dafür gesorgt, dass Arbeitnehmer und
Familien am meisten von unseren Reformen profitieren.
Einige Eckwerte sollten Sie sich noch einmal anhören,
auch wenn Sie ständig, wie ich annehme, wider besseres
Wissen, also eigentlich böswillig, das Gegenteil behaupten. Das verfügbare Einkommen einer durchschnittlichen
Arbeitnehmerfamilie - nehmen wir einen Alleinverdiener
in der Steuerklasse III mit zwei Kindern - beträgt in diesem Jahr über 88 Prozent des Bruttoverdienstes, natürlich
das Kindergeld eingerechnet. Noch nie in der Geschichte
der Bundesrepublik Deutschland behielten Arbeitnehmer
und Familien so viel in der Tasche.
Die Gründe: Wir haben schon 2002 mit einem Eingangssteuersatz von 19,9 Prozent und einem Spitzensteuersatz von 48,5 Prozent die Tarife deutlich gesenkt. Das
Kindergeld war mit monatlich 154 Euro für das erste und
das zweite Kind noch nie so hoch wie jetzt.
({6})
Von dem gesenkten Einkommensteuertarif - das wissen auch Sie, auch wenn Sie immer wieder das Gegenteil
behaupten - profitiert der Mittelstand. Insbesondere
durch die pauschale Anrechnung der Gewerbesteuer auf
die Einkommensteuer werden die weitaus meisten Personenunternehmen faktisch nicht mehr mit Gewerbesteuer
belastet. Parallel dazu sind die Sätze für die Kapitalgesellschaften gesenkt worden, wovon natürlich auch die
mittelständischen GmbHs profitieren.
Wir haben beschlossen - das werden wir auch durchführen -, 2004 und 2005 den Einkommensteuertarif weiter zu senken. Allein diese Stufen, die in diesen beiden
Jahren kommen werden, bedeuten eine zusätzliche Entlastung von 25 Milliarden Euro.
({7})
Das Ergebnis unserer Politik heißt also: deutliche Steuersenkung. Auch wenn Sie mit dem Thema dieser Aktuellen Stunde der Öffentlichkeit erneut das Gegenteil einreden möchten, haben wir mit unserer Steuerpolitik alles andere getan, als Bürger und Unternehmen zu belasten.
Nein, wir haben sie entlastet.
({8})
- Es ist richtig, dass über die Vermögensteuer Debatten
geführt worden sind. Aber Debatten haben noch nie dazu
geführt, dass jemand mehr Steuern zahlen muss. Nur
Gesetzesänderungen führen dazu. Beim Reden über
Schwangerschaft wird man auch nicht schwanger.
({9})
Für die neue Legislaturperiode haben wir schwerpunktmäßig vor, Subventionen abzubauen, eine effektivere Anwendung des Steuerrechts zu gewährleisten,
Besteuerungslücken zu schließen und mehr Steuergerechtigkeit zu verwirklichen. Das sind keine Steuererhöhungen, sondern die Voraussetzungen dafür, dass wir die
beschlossenen Steuersenkungen trotz ungünstigerer weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen mit den bekannten
Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte gleichwohl
umsetzen können.
Dazu dient auch das Steuervergünstigungsabbaugesetz. Nach der jüngsten Steuerschätzung besteht ein zusätzlicher Finanzierungsbedarf für den Haushalt, und
zwar für alle Haushalte: für den öffentlichen Gesamthaushalt, also natürlich auch für die Haushalte der Länder.
Deswegen werden wir mit dem Steuervergünstigungsabbaugesetz trotz verringerter Wachstumserwartungen das
Maastricht-Kriterium für die Neuverschuldung einhalten.
Aber der entscheidende Punkt ist, dass wir Ausgaben
zurückführen. Das tun wir auch in viel breiterem Maße,
als wir Mehreinnahmen durch das Steuervergünstigungsabbaugesetz erwarten.
Da wir in der nächsten Zeit darüber sowieso noch ausführlich reden werden, will ich jetzt zu dem Punkt kommen, der eigentlich der einzige aktuelle Punkt ist. Sie haben diese Aktuelle Stunde seltsamerweise „Aktuelle
Vorschläge zur weiteren steuerlichen Belastung der Bürger und Unternehmen“ genannt.
({10})
Es muss in Ihren Reihen, Herr Kollege Seiffert, hinsichtlich der Finanzpolitik ein bisschen Durcheinander herrschen.
({11})
Das kann natürlich sein. Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender, der für Finanzpolitik zuständig ist, ist im
Moment mit der Feststellung der historischen Wahrheit
der Vorgänge in der Union in den letzten Monaten befasst
und kann deswegen keine Linie in Ihre Finanzpolitik bringen,
({12})
was dazu führt, dass Sie hier über aktuelle Vorschläge
weiterer steuerlicher Belastungen reden,
({13})
wohingegen Herr Merz - ich glaube, es war am 16. dieses
Monats - dem „Handelsblatt“ gesagt hat, eine Zinsabschlagsteuer in der Größenordnung von 25 Prozent könne
er sich selbstverständlich gut vorstellen. Der Satz solle
nicht über 25 Prozent liegen, hat er gesagt.
({14})
Dann darf ich Ihnen ein Zitat von Herrn Ministerpräsident Koch aus der Ausgabe 24 der Zeitschrift „Capital“
von diesem Jahr vorhalten. Auf die Frage, was denn mit
Kontrollmitteilungen sei, antwortete er: Denen werden
wir uns nicht verschließen. Es geht darum, die Gesetze
lückenlos umzusetzen, statt neue zu schaffen. - Ich kann
nur zustimmen. Da hat Herr Koch einmal etwas Richtiges
gesagt. Es ist natürlich notwendig, wenn man das konsequent macht.
Sie dürfen eines nicht vergessen: Bei dem Thema betreten wir Neuland. Es ist deswegen umso beachtlicher,
dass wir durchweg positive Reaktionen aus der Wirtschaft
und auch aus den Medien bekommen. Sie fangen heute
wieder an rumzumäkeln.
({15})
Das scheint Ihre Vorstellung von Opposition zu sein. Aber
insgesamt haben uns sogar Vertreter der Oppositionsparteien auf Bundes- und auf Landesebene Anerkennung gezollt.
Es bleibt also dabei: Statt neuer Steuern schöpfen wir
vorhandene Steuerquellen aus, so wie das Herr Koch vorgeschlagen hat. Steuersündern, die ihren Rechtsbruch bedauern, bauen wir eine Brücke zur Steuerehrlichkeit. Ich
betone allerdings deutlich: Das Tor zur Rechtschaffenheit wird nicht ewig und auch nicht ohne faire Eigenleistung offen stehen. Hartgesottene Steuerhinterzieher, die
diese Chance nicht ergreifen, werden damit rechnen müssen,
({16})
dass sie im Anschluss an diese Aktion zur Herstellung von
Steuerehrlichkeit einem höheren Entdeckungsrisiko ausgesetzt sein werden. Deswegen werden wir darauf bestehen müssen, das Bankgeheimnis aufzuheben und das
Kontrollmitteilungsverfahren zu ergänzen.
({17})
- Ich weiß nicht, was Sie haben. In allen Ländern der
westlichen Welt gibt es Kontrollmitteilungen über Zinserträge: Vereinigte Staaten, Frankreich, Schweden, Großbritannien und Niederlande.
({18})
- Österreich hat eine Abgeltungsteuer ohne Sparerfreibetrag
({19})
und ohne die Möglichkeit, wenn man unter 25 Prozent
liegt, sich das erstatten zu lassen.
({20})
Dann sagen Sie bitte, dass Sie das wollen. Sie wollen die
anonyme Abgeltungsteuer, die dazu führt, dass Menschen
mit höheren Einkünften einen niedrigeren Steuersatz bekommen,
({21})
aber Menschen mit niedrigeren Einkünften mehr bezahlen sollen als heute.
({22})
Bei einer anonymen Abgeltungsteuer können sie naturgemäß gar nicht mehr nachweisen, dass sie den Sparerfreibetrag nicht überschritten haben, und sie können auch
nicht nachweisen, dass ihre persönliche Steuerschuld weniger als 25 Prozent beträgt.
({23})
Österreich werde ich mir also nicht zum Vorbild nehmen;
denn Österreich nimmt keinerlei Rücksicht auf die Höhe
der Einkünfte der Sparer. Wir werden dafür sorgen, dass
auch in Zukunft der Sparerfreibetrag gilt und dass diejenigen, die einen niedrigeren Steuersatz haben, keine
25 Prozent bezahlen müssen.
({24})
Steuerehrlichkeit wird ermöglicht werden für diejenigen, die ihr Kapital schon lange im Ausland haben. Wir
müssen davon ausgehen, dass sie es sehr häufig ja nicht
nur wegen der Hinterziehung der Steuer auf Kapitalerträge, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass vorher
schon Geschäfte ohne Rechnung gemacht worden sind,
ins Ausland verbracht haben.
({25})
Deswegen sind 25 Prozent das Mindeste, was man von
denen, die sich jetzt steuerehrlich machen, erwarten muss.
({26})
Die 25-prozentige Abgeltungsteuer ist nicht höher als in
der ganzen Welt. Warum also soll das Geld woanders hin?
({27})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Christian von
Stetten, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Staatssekretärin, das war ein interessanter
Vortrag, aber die Wahrheit bleibt: Nicht nur bei der Vermögensteuer, sondern bei der gesamten Steuer- und Abgabenpolitik fahren Sie einen unkalkulierbaren Zickzackkurs und missbrauchen Begriffe, wie es Ihnen beliebt. Sie
reden von Steuervereinfachung; vorhin war auch wieder
die Rede von Subventionsabbau. In Wirklichkeit aber legen Sie uns Gesetzentwürfe mit über 40 verschiedenen
Steuererhöhungen vor.
({0})
Wissen Sie eigentlich, was Planungssicherheit in diesem Zusammenhang ist?
({1})
Wissen Sie, was Sie den Bürgern und den Unternehmen hier
in Deutschland zumuten? Kennen Sie die Existenzängste
junger Unternehmer, die volles Risiko eingegangen sind,
({2})
die ihre Idee Tag und Nacht verfolgen, die neue Mitarbeiter eingestellt und Arbeitsplätze geschaffen haben, alles
im Vertrauen auf eine verlässliche und faire Steuerpolitik?
({3})
Nachdem Sie im Wahlkampf kategorisch jegliche
Steuererhöhung ausgeschlossen haben, kommen Sie jetzt
mit Vorschlägen wie Mindeststeuer, Umsatzsteuerangleichung, Erdgassteuer, insgesamt mit über 40 verschiedenen Steuererhöhungen, meistens zulasten des Mittelstandes, und keiner weiß, ob das, worüber heute geredet wird,
morgen in Ihren Reihen noch gilt.
({4})
Das gilt auch für die Eigenheimzulage. Ich spreche das
an, weil das Stichwort vorhin gefallen ist.
({5})
Hier sind nicht nur viele Existenzgründer betroffen, sondern auch viele junge Familien, die finanziell nicht gut gestellt sind. Sie haben die Chance auf die Verwirklichung
ihres Traumes von den eigenen vier Wänden gänzlich verloren und können ihn sich nicht mehr erfüllen.
({6})
In Teilen Ihrer Fraktion wurde angekündigt, dass Sie noch
überlegen und nachbessern wollen. Dazu hätte ich heute
gern einige Ausführungen gehört, aber auch da ist leider
nichts gekommen.
({7})
Bürger rufen mich an und fragen: Was gilt denn nun bei
Ihnen in Berlin?
({8})
- Bei mir rufen sie an. Bei Ihnen, bei SPD- und GrünenAbgeordneten, rufen die Bürger schon lange nicht mehr
an. Sie sind in den Wahlkreisen doch auf Tauchstation gegangen.
({9})
Sie wollen das, was uns hier jede Woche von der Regierung vorgelegt wird, doch selber nicht mehr vertreten.
Wenn Sie nach wochenlangem Hin und Her endlich einmal etwas vorlegen, was die ungeteilte Zustimmung von
Experten und Bürgern findet, wie zum Beispiel gestern
bei der Vorlage zur Neuregelung der Minijobs, dann ist es
etwas, was wir Ihnen im Vermittlungsausschuss aufzwingen mussten, was Sie übernommen haben, was Sie aber
auch seit Jahren in unseren Wahlprogrammen hätten
nachlesen können.
({10})
Frau Staatssekretärin, ich bin neu in dieses Parlament
gewählt worden und ich muss Ihnen sagen: So viele überholte Vorlagen und Gesetzentwürfe, die im Prinzip jetzt
schon nicht mehr stimmen, wie meine Kollegen und ich
sie im Finanzausschuss erleben mussten, habe ich in zehn
Jahren Kommunalpolitik noch nicht erlebt.
({11})
Ich kenne daher die Auswirkungen Ihrer Steuerpolitik. Ich
möchte Ihnen nur ein Beispiel nennen: Schwäbisch Hall ist
eine Stadt mit 36 000 Einwohnern in meinem Wahlkreis. In
den letzten Jahren lag das Gewerbesteueraufkommen bei
durchschnittlich 60 Millionen Euro. In diesem Jahr, also
nach Ihrer verkorksten Unternehmensteuerreform, die Sie
jetzt teilweise zurücknehmen wollen, lag das Gewerbesteueraufkommen noch bei 12 Millionen Euro. Das sind
80 Prozent weniger. Sie haben diese Stadt ruiniert.
({12})
Ich möchte Ihnen noch einen Irrtum eingestehen. Ich
habe am Anfang meiner Tätigkeit im Finanzausschuss gedacht, Sie machten handwerkliche Fehler und produzierten Schnellschüsse - zum Beispiel das Verbot der Spendenabzugsfähigkeit bei Kapitalgesellschaften -, die Ihnen
nachher zum Teil Leid tun. Nach zwei Monaten gemeinsamer Arbeit, nach Diskussionen über Vermögensteuer
und allgemeiner Finanzpolitik bin ich überzeugt: Teile Ihrer Fraktion wissen ganz genau, was sie tun. Ihre finanzpolitischen Vorschläge sind nur dann schlüssig, wenn Sie
einen anderen Staat und eine andere Gesellschaft wollen.
Dabei machen wir nicht mit.
Herzlichen Dank.
({13})
Herr Kollege von Stetten, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer
ersten Rede im Deutschen Bundestag und wünsche Ihnen
weiterhin viel Erfolg für Ihre parlamentarische Arbeit.
({0})
Als nächster Rednerin erteile ich der Kollegin Kerstin
Andreae, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist schon gesagt worden, dass der Titel der
Aktuellen Stunde „Aktuelle Vorschläge zur weiteren steuerlichen Belastung der Bürger und Unternehmen“ suggeriert: Alle Menschen, alle Unternehmen in Deutschland
werden an den Rand des Ruins getrieben.
({0})
Sie wissen, dass es vor allem im Winter die tatsächliche
und die gefühlte Temperatur gibt. Genauso gibt es die
tatsächliche Belastung und die gefühlte Belastung. Ich behaupte, dass Sie mit der Art, mit der Sie in den letzten Wochen den Standort Deutschland schlecht geredet
({1})
und die Politik schlecht geredet haben, das Gefühl einer
enorm hohen Belastung in Deutschland fördern und das
ist nicht richtig.
Es wurden vorhin schon die Staats- und Abgabenquote
angesprochen. Beide wurden in den letzten Jahren gesenkt
und das ist richtig so. Diese Politik werden wir fortführen.
({2})
Schauen wir uns die Ausgangslage an: Deutschland ist
hoch verschuldet.
({3})
- Sie sagen es selber, Deutschland ist hoch verschuldet.
({4})
Wir reißen das Maastricht-Kriterium und haben einen
Konsolidierungsbedarf in 2003 in Höhe von 18,4 Milliarden Euro.
({5})
Wer dafür nur eine politische Entscheidung oder den Kurs
einer Regierung verantwortlich macht, lügt sich in die eigene Tasche. Richtig ist: Wir haben viel zu lange über unsere Verhältnisse gelebt, auf allen Ebenen.
({6})
Das kann nur bedeuten: Die fetten Jahre sind vorbei.
Es gilt, die Finanzen in Ordnung zu bringen. Diese Politik wurde von Finanzminister Eichel mit unserer Unterstützung in der vergangenen Legislaturperiode vorangetrieben. Diese werden wir auch fortführen.
({7})
Herr von Stetten, ich habe vorhin im Finanzausschuss
zugehört, als Sie bezüglich der Eigenheimzulage sagten,
man müsste jetzt 40 Kinder bekommen, um die gleiche
Förderung zu erhalten. Genau das ist der Punkt: Es geht
nicht mehr um die gleiche Förderung, sondern es geht darum, dass wir nach Möglichkeiten suchen, Subventionen
abzubauen und Steuerlöcher zu stopfen.
({8})
Wir müssen die Einnahmeseite prüfen und das machen
wir mit dem Gesetz, das wir jetzt beschließen werden.
({9})
Wir müssen die Ausgabenseite prüfen;
({10})
denn wir können jetzt nicht mehr all das finanzieren, was
wir in den letzten Jahren finanziert haben.
Wenn Sie die Versprechen von vor der Wahl aufrechterhalten, betreiben Sie eine Politik, die auf den Haushalt
bezogen nicht verantwortungsbewusst und zukunftsorientiert ist, betreiben keine Konsolidierungspolitik.
({11})
Wir müssen die Einnahmen prüfen, wir müssen die Ausgaben prüfen und wir müssen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhalten.
({12})
- Dann lesen Sie das Buch von Oswald Metzger, vielleicht können Sie daraus noch etwas lernen.
Sie fragen nach den aktuellen steuerpolitischen Vorschlägen. Zur Abgeltungsteuer ist vorhin schon viel gesagt worden. Ich möchte aber noch eine Sache erwähnen,
weil ich sie für sehr bedeutsam halte, und dies ist die Steuerreform. Die erste Stufe ist schon gelaufen und die zweite
und dritte Stufe kommen noch. Es ist richtig, dass wir
diese um ein Jahr verschoben haben.
({13})
Sie wissen genau, warum wir diese um ein Jahr verschoben haben. Sie wissen aber auch, dass die nächste Stufe am
1. Januar 2004 und die weitere Stufe am 1. Januar 2005
greifen werden.
Wenn ich nachschaue, welche steuerpolitischen Vorschläge die Union hat, stelle ich fest: Sie schlagen einen
Spitzensteuersatz von 35 Prozent vor.
({14})
Im Dezember 1997 hatten wir - unter Ihrer Regie - einen
Spitzensteuersatz von 53 Prozent.
({15})
Wenn das Ihr „Projekt 18“ ist, weil Sie von 53 Prozent
18 Prozent abziehen und dann auf 35 Prozent kommen,
muss ich Ihnen sagen: Dieses „Projekt 18“ ist genau wie
das andere „Projekt 18“ zum Scheitern verurteilt. So funktioniert es nicht.
({16})
Zum Steuervergünstigungsabbaugesetz: Vorhin im Finanzausschuss haben Sie mit uns wieder über die einzelnen Punkte dieses Gesetzes verhandelt. Dann erfahre ich
von der Frau Staatssekretärin, dass von den CDU-regierten Ländern überhaupt keine Vertreter an den Bund-Länder-Arbeitsgruppen teilnehmen. Sie beteiligen sich gar
nicht konstruktiv an der Diskussion dieser Vorschläge.
({17})
Es ist eines der wenigen Male, dass in diesen Arbeitsgruppen nicht alle Länder vertreten sind. Es ist ein Riesenfehler, dass über dieses Gesetz nicht auch in den Ländern
diskutiert wird.
({18})
Wenn die Opposition etwas Besseres weiß, dann sagen
Sie es! Aber Sie haben keine markt-, sozial- und ökologieverträgliche Alternative.
({19})
Es gibt eine Stellungnahme von der Vereinigung der
Bayerischen Wirtschaft: 16 Seiten sind negativ und auf einer Seite stehen Vorschläge. Nun nenne ich Ihnen die drei
Vorschläge, die die bayerische Wirtschaft macht:
Erstens: Senkung der Einkommensteuer.
({20})
- Machen wir mit den nächsten Schritten der Steuerreform in den Jahren 2004 und 2005.
({21})
Zweitens: Subventionsabbau. Einer der größten Subventionstatbestände ist die Eigenheimzulage. Wir gehen
an die Eigenheimzulage heran, auch wenn es schmerzhaft
ist, und bauen sie ab.
({22})
Drittens fordert der Verband lapidar die Abschaffung
der Gewerbesteuer. Dies ist zwar leicht, zu fordern, aber
sie sagen nicht, wie die Gemeinden sich dann finanzieren
sollen. Wir machen eine Gemeindefinanzreform und unterbreiten Vorschläge, wie die Gewerbesteuer modernisiert und verstetigt werden kann. Dies bringt den Kommunen etwas und verstetigt die Finanzkraft.
({23})
Meine Damen und Herren, Sie wollen eine Aktuelle
Stunde über Belastungen. Ich sage Ihnen: Wir entlasten
die Bürgerinnen und Bürger.
({24})
Mit dieser Stunde haben Sie nur versucht, sich selbst zu
entlasten.
Vielen Dank.
({25})
Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Stefan
Müller, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Ich möchte alle Kolleginnen und Kollegen bitten, die
Zahl der Zwischenrufe mindestens so weit zu reduzieren,
dass sie erstens noch wahrgenommen werden können und
zweitens dem Redner die Einhaltung der Redezeit auch
ermöglicht wird.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben diese Akutelle Stunde beantragt, um von Ihnen
Auskunft darüber zu bekommen, was Sie sonst noch alles
in petto haben und mit welchen steuerpolitischen Vorschlägen Sie in der nächsten Zeit aufwarten möchten,
({0})
und weil man insbesondere von den Regierungsparteien
fortlaufend etwas anderes hört:
({1})
Heute Ja, heute Nein; übermorgen ist wieder alles ganz
anders. Dies ist das Prinzip, nach dem Sie verfahren, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
Der Wahlkämpfer Gabriel verkündet, er wolle die Vermögensteuer im Zweifel auch im Alleingang einführen,
um damit seine dringend notwendigen Bildungsausgaben
zu finanzieren. Er kündigt auch noch großspurig eine Unterschriftenaktion an. Der Bundeskanzler erklärt dann,
dass er keine Debatte über die Vermögensteuer wünsche,
und lässt einen Vorschlag für die Zinsabgeltungsteuer machen. Obwohl es sich bei dieser Steuer um etwas ganz anderes als die Vermögensteuer handelt, gibt sich Herr
Gabriel damit zufrieden.
({2})
- Vorläufig, wie er betont.
Auch bei den Gewerkschaften scheinen Sie offensichtlich nicht um Erlaubnis gefragt zu haben. Der DGB hat
gestern erklärt, man werde die Kampagne für die Vermögensteuer auf jeden Fall fortsetzen, auch wenn die SPDMinisterpräsidenten jetzt den Schwanz einziehen. - So zu
lesen im gestrigen „Handelsblatt“.
Ich kaufe Ihnen nicht ab, dass das Thema Vermögensteuer für Sie jetzt vom Tisch ist. Wenn es Ihnen damit
ernst wäre, dann müssten Sie sich in den weiteren parlamentarischen Beratungen unserem Vorschlag, diese
Steuer ein für alle Mal abzuschaffen, anschließen.
({3})
Wir sind auch auf Ihre Vorschläge zur Einführung einer Zinsabgeltungsteuer sehr gespannt,
({4})
das darf ich Ihnen versichern. Angesichts der bisherigen
Erfahrungen ist auch hierbei kein großer Wurf zu erwarten. Denn wenn Ihre Umverteilungspolitiker endlich verstanden haben, worum es bei dieser Steuer geht, werden
sie - das ist meine Überzeugung - sehr schnell zurückrudern.
({5})
Ihr Durcheinander in der Steuerpolitik nimmt den Bürgern und den Unternehmern in diesem Land die dringend
nötige Planungssicherheit. Da brauchen Sie sich nicht zu
wundern, dass die Menschen in diesem Lande zutiefst
verunsichert sind. Sie brauchen sich nicht zu wundern,
dass die Privatleute kein Geld mehr ausgeben, dass sie
nicht mehr konsumieren und dass die Unternehmen nicht
mehr investieren. Wie wollen Sie mit dieser Politik neue
Arbeitsplätze schaffen?
Anstatt eine Politik zur Stärkung der Wachstumskräfte
zu betreiben und damit die Basis für solide Finanzen zu
schaffen, kommen Sie fortlaufend mit immer neuen Steuererhöhungen. Ich möchte hier einige Beispiele nennen:
Es gibt die Fortentwicklung der ökologischen Steuerreform, die vor allem das produzierende Gewerbe belastet. Dann haben wir die Ökosteuer, deren nächste Stufe
zum 1. Januar nächsten Jahres in Kraft tritt. Die Ökosteuer
ist und bleibt ein deutscher Alleingang, der die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft am meisten trifft.
Ferner haben Sie das so genannte Steuervergünstigungsabbaugesetz vorgelegt. Damit schließen Sie keine Steuerschlupflöcher; vielmehr belasten Sie die Bürgerinnen und
Bürger immer wieder aufs Neue.
({6})
Hans Eichel wird den Steuerzahlern bis zum Ende dieser
Legislaturperiode über 60 Milliarden Euro aus der Tasche
ziehen, und das, obwohl Gerhard Schröder vor der Wahl
Steuererhöhungen kategorisch ausgeschlossen hat, mit
der richtigen Begründung: Steuererhöhungen sind ökonomischer Unsinn.
({7})
Unsinn sollte schon in normalen Zeiten unterbleiben, aber
erst recht in einer wirtschaftlichen Krise.
({8})
Sie verhindern mit Ihrer Steuerpolitik eine Konjunkturerholung und nehmen den Verlust von weiteren Arbeitsplätzen sowie noch mehr Unternehmenspleiten billigend in Kauf. Die Folge Ihrer Steuererhöhungen werden
weiter sinkende Steuereinnahmen sein. Kapitalflucht und
Schwarzarbeit werden weiter zunehmen.
Die Steuerpolitik hat bei Ihnen keinerlei ordnungspolitische Funktion mehr. Es geht Ihnen schlicht und ergreifend darum, die Menschen in diesem Lande noch weiter
abzukassieren, damit Sie Ihre Haushaltsprobleme in den
Griff bekommen, Probleme, die Sie, meine Damen und
Herren von den Regierungsfraktionen, zu verantworten
haben.
({9})
Ich fordere Sie deswegen auf: Lassen Sie von Ihrer finanzpolitischen Flickschusterei ab! Lassen Sie uns stattdessen über ein Gesamtkonzept reden, um die wirtschaftlichen Probleme in unserem Land endlich in den Griff zu
bekommen!
({10})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Krüger, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Vorredner hat soeben gesagt, die heutige Aktuelle Stunde
solle darüber Aufschluss geben, was Rot-Grün vorhabe.
Die Antwort ist recht einfach: Schauen Sie in der Koalitionsvereinbarung nach! Dort können Sie nachlesen, was
eine sozial und ökonomisch ausgewogene Handlungsanleitung für die nächsten vier Jahre bedeutet. Es ist eine
Handlungsanleitung, die sich sowohl im Subventionsabbaugesetz als auch in den aktuellen Plänen zur Einführung einer Zinsabgeltungsteuer auswirkt. Es ist eine
Stefan Müller ({0})
Handlungsanleitung, die der künftigen Generation wieder
genug Luft zum Atmen gibt.
({1})
Wir wollen davon abkommen, dass jede vierte eingenommene D-Mark zur Zahlung der Schuldzinsen aufgebracht
wird, wie es 1998 der Fall war.
Klar, einfach und ausgewogen, so sollen Pläne sein. Ich
sage Ihnen: So sind sie auch. Dazu gehören die schon
beschlossenen Steuerentlastungen, welche gerade die Bezieher kleinerer Einkommen entlastet haben. Zum Vergleich: In den Jahren 1996 bis 1998 betrug der Eingangssteuersatz 25,9 Prozent. Aktuell sind es 19,9 Prozent. Ein
Eingangssteuersatz von 15 Prozent ist schon beschlossen.
Hierdurch und durch die aktuellen Gesetzesvorhaben, die
das Ziel haben, Subventionen abzubauen und Steuerschlupflöcher zu stopfen, werden wir dafür sorgen, dass
der Ehrliche nicht länger der Dumme ist.
Fragen Sie einmal die Ministerpräsidenten der Länder,
wie viele Hundert Millionen Euro Jahr für Jahr ihrer Meinung nach am Fiskus vorbei geschleust und als Schwarzgeld ins Ausland geschafft werden, ohne dass der Betreffende - das ist der entscheidende Punkt - das Risiko einer
Entdeckung nachhaltig fürchten muss.
Das wird es nicht mehr geben. Für den Kleinsparer
bleibt es - auch das ist schon angeklungen - nach wie vor
beim Steuersatz null. Der Ehrliche kann sich zur Einkommensteuer veranlagen lassen und seinen spezifischen Einkommensteuersatz zahlen, wenn er weniger als 25 Punkte
ausmacht, oder aber die 25-prozentige Abgeltungsteuer.
Sogar diejenigen - das sage ich ganz deutlich -, die bewusst und gewollt unter Einsatz krimineller Energie und
mit Verstoß gegen die deutschen Gesetze Geld am Finanzamt vorbei ins Ausland geschafft haben, bekommen
für einen vertretbaren Zeitraum eine Brücke gebaut und
die Chance, zur Ehrlichkeit zurückzufinden und damit
den Beitrag zu leisten, den die Gesellschaft absolut zu
Recht von ihnen erwartet.
({2})
Deswegen habe ich mich - sehen Sie es mir nach,
meine Damen und Herren, dass ich das kommentiere - mit
dem Titel der heutigen Aktuellen Stunde schwer getan.
Normalerweise hätte es heißen müssen: Aktuelle Vorschläge zur weiteren steuerlichen Entlastung der Bürger
und Unternehmen.
({3})
Aber vielleicht wäre das von Ihnen zu viel verlangt.
({4})
Erkennen Sie bitte, dass es für Sie an der Zeit ist, aus
dem Schmollwinkel herauszukommen. Erkennen Sie,
dass unser Land und seine Zukunft viel zu wichtig sind,
um die Chance einer nachhaltigen Konsolidierung ungenutzt verstreichen zu lassen. Leisten Sie dazu Ihren Beitrag! Springen Sie über Ihren Schatten! Denn Sie müssen
sehen: Forderungen wie die nach einem 15-prozentigen
Eingangssteuersatz müssen Sie nicht länger aufstellen;
Rot-Grün hat dies längst verwirklicht.
Wir wollen und wir werden diesen Weg der Steuerkonsolidierung, der Verbreiterung der Bemessungsgrundlagen, der Steuerstetigkeit konsequent weiter vorangehen.
({5})
Wir wollen und wir werden dafür sorgen, dass Steuergerechtigkeit kein bloßes Schlagwort ist, sondern eine
ernst zu nehmende Größe. Denn eines wissen wir alle:
Nur der wirtschaftlich Starke kann sich einen schwachen
Staat leisten. Für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung hingegen gilt das nicht. Wir, unser Bundeskanzler
und unser Finanzminister, die heute mehrfach angesprochen worden sind, haben andere Ziele, als an der Jahreschronik 2002 zu feilen, wie wir das vor einigen Tagen hören
durften; wir wollen im Sinne unseres Landes tätig werden.
Ich danke Ihnen.
({6})
Herr Kollege Krüger, ich möchte Ihnen herzlich zu Ihrer ersten Rede hier im Plenum gratulieren und Ihnen alle
guten Wünsche für Ihre weitere parlamentarische Arbeit
aussprechen.
({0})
Als nächste Rednerin hat die fraktionslose Kollegin
Frau Dr. Lötzsch das Wort.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Zuschauerinnen und Zuschauer sage ich: Ich bin Abgeordnete der PDS.
({0})
Herr Leyendecker von der „Süddeutschen Zeitung“ erklärte mir heute Morgen beim Duschen via „Radio Eins“
die Sorgen der Millionäre. Er verwies auf den einen oder
anderen Bundesbürger, der aus Angst vor den „Russen
oder den Sozialdemokraten“ sein Geld nach Luxemburg
geschafft habe und jetzt nicht richtig wisse, wie er sein
Geld wieder legal nach Deutschland holen solle. Für diesen Fall sei die vorgeschlagene Zinssteuer ein Weg. Es ist
also ein Resozialisierungsprogramm für Steuerhinterzieher. Allerdings wird sich, meine Damen und Herren von
der Koalition, die Bereitschaft in Grenzen halten. Denn
warum sollte ein Steuerflüchtling, der auf einer karibischen Insel 0 Prozent Steuern zahlt, nach Deutschland
kommen, um 25 Prozent Steuern zu zahlen?
Die Zinssteuer wird von der SPD als Ersatz für die Vermögensteuer propagiert. Das ist wirklich eine Rolle rück1168
wärts. Die Vermögensteuer, die von den Herren Gabriel
und Steinbrück mit großem Brimborium angekündigt
wurde, soll den solidarischen Beitrag der Reichen und
Superreichen einfordern und Geld in die leeren Länderkassen und vor allen Dingen in die maroden Bildungskassen bringen.
Doch die Zinssteuer hat genau die entgegengesetzte Wirkung. Sie führt zur Entlastung der Reichen und Superreichen. Wenn heute ein gut betuchter Bürger 2 Millionen Euro
zu 5 Prozent bei der Bank anlegt, muss er rund 50 Prozent
Steuern auf seine Zinsen zahlen. In Zukunft muss er nur
noch 20 bis 25 Prozent zahlen, das ist also eine klare Entlastung der Menschen, die sehr viel Geld haben.
Der Denkfehler der Koalition ist: Sie glaubt, dass sich
die Anbiederung bei den Superreichen irgendwann einmal
rechnen könne. Doch das hat schon bei der Steuerreform
nicht funktioniert. Sie, meine Damen und Herren, haben
die großen Konzerne in der Hoffnung entlastet, dass sie
Arbeitsplätze schaffen würden, doch das Gegenteil ist
passiert. Sie haben nicht investiert, sondern sie haben zusätzlich Geld vom Staat zurückgefordert und erhalten.
Wir als PDS bleiben dabei: Wir fordern die Vermögensteuer. Das Berliner Abgeordnetenhaus hat übrigens mit
den Stimmen von SPD, PDS und den Grünen eine entsprechende Bundesratsinitiative beschlossen.
({1})
Diese Initiative ist kein Angriff auf die Mittelschicht. Es
sind hohe Freibeträge vorgesehen. In dem Sinne sind die
Vorschläge auch sozialverträglich. Für Gesamtvermögen
natürlicher Personen wird nach den Vorschlägen von PDS,
SPD und Grünen ein Steuerfreibetrag von 130 000 Euro
gelten. Selbst genutztes Wohneigentum soll steuerfrei
bleiben. Gleiches gilt für ein Betriebsvermögen bis zu
500 000 Euro. Das Ergebnis wären zusätzlich circa
10 Milliarden Euro in den Länderkassen. Wer meint, auf
die Steuereinnahmen verzichten zu können, der soll bei
der nächsten Haushaltsdebatte nicht erklären, dass alle
sparen müssen. Das Problem ist: Einige sparen sich reich,
die anderen leiden unter unsozialen Kürzungen.
Da Sie der PDS immer alles Mögliche vorwerfen, darf
ich sagen: Das sind Initiativen von PDS, SPD und Grünen
aus dem Berliner Abgeordnetenhaus.
({2})
Ich erinnere Sie daran, dass sich Ministerpräsidenten von
der SPD, Herr Gabriel und Herr Steinbrück, in einer groß
angelegten Pressekonferenz für die Vermögensteuer eingesetzt haben. Ihre Erklärungen, warum sie davon abgewichen sind, waren äußerst schwach.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Ich erteile der Kollegin Elke Wülfing für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Scheel, liebe Frau Staatssekretärin Hendricks,
ich muss ganz ehrlich sagen: Ich finde Sie eigentlich sympathisch. Deswegen tut es mir immer Leid, dass Sie dann,
wenn Sie hier vorne sprechen, langfristiger und kurzfristiger Gedächtnisschwund befällt.
({0})
Bei dem langfristigen Gedächtnisschwund ist es jedes
Mal das Gleiche: Sie vergessen, wer unsere Steuerreform,
die wir 1996 zusammen mit der FDP gemacht haben,
verhindert hat. Das war Ihr ehemaliger Kollege Herr
Lafontaine. Heute wollen Sie nichts mehr von ihm wissen; was ich gut verstehe. Aber er hat mit der SPD-Mehrheit unsere Steuerreform blockiert. Wir hätten
({1})
seit 1996 niedrige Steuersätze haben können. Sie wollten
das nicht. Was machen Sie jetzt?
({2})
Jetzt verschieben Sie die Steuersenkung auf den SanktNimmerleins-Tag.
({3})
Ich möchte Sie auch an Ihren kurzfristigen Gedächtnisschwund erinnern und Ihnen den Tunnelblick nehmen.
Das können Sie gut gebrauchen. Ich darf an die Finanzausschusssitzung heute Morgen erinnern.
({4})
Frau Hendricks hat vorgetragen, dass das Steuervergünstigungsabbaugesetz für jeden Einzelnen Belastungen
bringe. Darüber hinaus hat sie gesagt, dass die Belastungen gerecht verteilt seien. Was ist in diesem Gesetz alles
enthalten? 45-mal Arsen: Streichung der Eigenheimzulage, Verlustvortrags- und -rücktragsverschlechterung,
private Wertzuwachssteuer, Streichung der Organschaften
- über die Verschiebung der Steuersenkung haben wir
schon gesprochen -, Abschreibungsverschlechterungen
und vieles mehr.
Auch Herrn Schröder, Ihrem Kanzler, hat die Situation
nicht gefallen. Er ist in ein tiefes Loch gestürzt.
({5})
Deswegen braucht er einen Befreiungsschlag. Den hat er
sich wie folgt vorgestellt: Schwarzgeld soll Herrn
Schröder aus dem Tief der Zustimmung holen. Das sind
nicht meine Worte, sondern das hat gestern die „Rheinische Post“ getitelt. Ich denke, darin ist ein Körnchen
Wahrheit enthalten. Er versucht, so zu tun, als sei das etwas ganz Neues. Natürlich ist das nichts Neues. Darüber
haben wir schon wer weiß wie lange geredet. Unser guter
stellvertretender Fraktionsvorsitzender Merz hat schon
sehr lange darüber nachgedacht und entsprechende Vorschläge unterbreitet.
({6})
Aber wirklich unglaublich ist, Herr Schultz, welche
Pirouetten Ihr Chefkakophoniker Herr Schröder und die
Unterkakophoniker Herr Clement, Frau Simonis und Herr
Steinbrück drehen.
({7})
Herr Steinbrück hat das gerade wieder bestätigt. Sie haben sicherlich auch die „Rheinische Post“ gelesen, in der
er mit den Worten zitiert wird: „Wir sind doch keine Pinscher“. Er hat das heute wieder zurückgenommen und erklärt, er habe nicht Pinscher, sondern Hund gesagt, so als
ob der Pinscher kein Hund wäre.
({8})
Er hat gesagt, er lasse das nicht mit sich machen, und hat
seinen Vorgänger Clement darauf hingewiesen, dass er
seit Februar 2002 an der Vermögensteuer mitgearbeitet
habe, und zwar ganz vorne in der ersten Reihe. Genau dort
hat er gesessen.
({9})
Dann plötzlich stimmte bei Herrn Clement das Sein
bzw. das Bewusstsein. Als er vom Ministerpräsidenten
zum Wirtschaftsminister mutiert ist, hat er wieder ganz
anders darüber gedacht. Dass Steinbrück darüber sauer
war, kann ich gut verstehen. Dass aber Gabriel noch sehr
viel saurer ist, kann ich noch besser verstehen. Es ist
tatsächlich ärgerlich, dass er jetzt in seiner Wahlkampfzentrale in Hannover die 800 Großplakate einstampfen
lassen muss.
({10})
- Ich weiß nicht, ob das stimmt. Denn es kann durchaus
sein, dass die Vermögensteuer wieder auftaucht. Nach
dem, was ich heute über die Gestaltung der Abgeltungsteuer gehört habe,
({11})
habe ich das Gefühl, dass für die Bildung - dafür brauchten Sie ja angeblich die Vermögensteuer - nichts herausspringen wird. Das „Handelsblatt“ hat heute getitelt: „Abgeltungsteuer wird für Fiskus zum Flop“. Damit hat es
wahrscheinlich nicht Unrecht!
Lassen Sie uns gemeinsam darüber nachdenken, wie
eine Abgeltungsteuer gestaltet werden kann! Ich meine,
man kann sie gut machen, aber sie wird nicht ohne die Zusicherung von Anonymität möglich sein. Sonst werden
auf keinen Fall 100 Milliarden Euro zurückfließen.
({12})
Herr Ondracek hat geschätzt, dass höchstens 10 Milliarden Euro zurückfließen werden. Wenn ich aber Ihre
Rechnung bzw. die von Herrn Schröder sehe, muss ich
vermuten, dass sie als Mathematikarbeit mit einer Sechs
benotet worden wäre. Er ist davon ausgegangen, dass
25 Prozent von 100 Milliarden Euro 25 Milliarden Euro
Ertrag bedeuten.
({13})
Das ist doch ein wenig lächerlich. Wie soll das wohl gehen? Ein Kapitalstock von 100 Milliarden ergibt bei
3 Prozent Zinsen einen Zinsertrag von 3 Milliarden.
({14})
25 Prozent davon sind 750 Millionen Euro. Das ist die
Summe, die sich bei einem Kapitalrückfluss von 100 Milliarden Euro jährlich möglicherweise ergeben könnte. Er
aber hat so getan, als handele es sich bei den 25 Milliarden Euro um eine sichere jährliche Einnahme. Deswegen
waren auch alle still.
({15})
- Er hat es so gemacht. Entweder kann ich rechnen oder
er hat 25 Milliarden Euro versprochen, die auf keinen Fall
zurückfließen werden.
({16})
Ich meine, wir sollten gemeinsam über die Abgeltungsteuer nachdenken, allerdings in Verbindung mit einer vernünftigen Steuerreform. Wir haben 1996 Vorschläge zu einer Steuerreform vorgelegt. Lassen Sie uns noch einmal in
diese Vorschläge hineinschauen. Aber das Vorhaben auf
den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben, können Sie
mit uns nicht machen. Dabei machen wir nicht mit.
Frau Kollegin!
Ja. - Zu der Abgeltungsteuer gehört eine vernünftige
Steuersenkung, sonst wird sie nicht funktionieren und
beim Verfassungsgericht landen. Dessen bin ich sicher.
({0})
Das vorläufig letzte Wort in dieser Aussprache hat die
Kollegin Roth für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist eine heftige Debatte geführt worden, in der vieles wie1170
derholt worden ist. Die Behauptung, unsere Vorhaben
führten zu Mehrbelastungen, wie es vonseiten der Opposition immer wieder heißt, wird nicht dadurch wahrer,
dass sie immer wiederholt wird. Richtig ist vielmehr - das
ist von meinen Kollegen schon ausgeführt worden -, dass
wir seit 1999 dreimal die Steuern gesenkt und eine Steuerquote von 21,6 Prozent - das ist die niedrigste Steuerquote
seit 1960 - haben.
Von daher meine ich, dass Sie sich ein bisschen solider
vorbereiten sollten, liebe Kolleginnen und Kollegen, und
dass sie vor allem nicht weiter nachkarten, sondern in die
Zukunft schauen sollten. Das heißt, darüber nachzudenken, was wir vorhaben und was möglich ist, statt wieder
die Bedenken vorzutragen, die im Zusammenhang mit der
Zinsabgeltungsteuer bei Ihnen offensichtlich wieder en
vogue sind. Es geht dabei um die Frage, ob Steuerhinterziehung wirklich legalisiert werden soll oder ob wir nicht
vielmehr gemeinsam auf die Vermeidung von Steuerhinterziehung hinarbeiten wollen. Wir sollten gemeinsam
versuchen, Regelungen zu finden, die dafür sorgen, dass
die Menschen entsprechend ihrem Einkommen und ihrem
Vermögen zur Finanzierung des Staates herangezogen
werden. Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt.
({0})
Ich denke, das muss alle in diesem Hohen Haus verbinden; denn das ist doch wahr.
({1})
- Darüber wollen wir jetzt nicht reden.
Wir haben in der Vergangenheit die Menschen in unserem Land entlastet, und zwar sowohl die Unternehmen als
auch - in erster Linie - die Arbeitnehmer und ihre Familien. Wir wollen jetzt die Steuerschlupflöcher stopfen und
so dazu beitragen, dass wieder Steuern bezahlt werden.
({2})
Dass das dem einen oder anderen nicht gefällt, verstehen
wir gut. Aber wir wollen mit den geplanten Maßnahmen
für mehr Steuergerechtigkeit sorgen. Diese Politik möchten wir fortsetzen.
Lassen Sie mich ganz kurz die drei Leitlinien unserer
Steuer- und Finanzpolitik aufzählen. Erstens. Wir entlasten die Arbeitnehmer durch die Reduzierung der Steuersätze. Wir entlasten aber auch die Unternehmen - zum
Beispiel des Mittelstandes - durch die von uns geschaffene Möglichkeit, die Gewerbesteuer mit der Einkommensteuer zu verrechnen. Das wurde immer verschwiegen, ist aber ein wichtiger Punkt für den Mittelstand.
({3})
Die Unternehmen werden zum Beispiel auch dadurch entlastet - dafür haben wir und nicht Sie gesorgt -, dass die
Körperschaftsteuer auf 25 Prozent gesenkt worden ist.
Auch diese Maßnahme dient dazu, im internationalen Wettbewerb der Unternehmen wieder konkurrenzfähig zu sein.
Zweitens. Wir wollen für mehr Steuergerechtigkeit
durch den Abbau von Subventionen und Steuervergünstigungen sorgen. Hier ist das Geschrei groß, wenn es konkret wird. Aber auch die Opposition muss ehrlich sein und
zugeben: Wenn man Subventionen abbauen will, dann
wird es sich nicht vermeiden lassen, dass es an der einen
oder anderen Stelle wehtut.
({4})
Da muss man durch und deutlich machen, dass das richtig ist.
({5})
Drittens. Uns geht es auch um die Stabilisierung der
Einnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden. Wir haben das große Projekt der Gemeindefinanzierungsreform
noch vor uns. Nach 30 Jahren wird das endlich angepackt.
Ich habe heute zum ersten Mal gehört, dass sich die Länder daran nicht beteiligen wollen. Ich würde das sehr
schade finden; denn auch die Länder und Kommunen
müssen im Rahmen der beabsichtigten Gemeindefinanzierungsreform ihre Vorschläge einbringen. Ich halte eine
Blockadepolitik in diesem Zusammenhang für falsch und
gefährlich.
Herr von Stetten, noch ein Wort zu dem, was Sie zu
dem Fall Schwäbisch Hall gesagt haben. Wenn Sie unsere
Steuervorschläge richtig gelesen hätten, dann müssten Sie
wissen, dass wir durch die von uns beabsichtigten Änderungen der steuerlichen Bestimmungen das, was im Fall
Schwäbisch Hall geschehen ist, in Zukunft verhindern
wollen, nämlich durch Käufe von Beteiligungen nicht
mehr zur Zahlung von Unternehmensteuern herangezogen werden zu können. Das wird zukünftig nicht mehr
möglich sein. Wenn auch Sie das wollen, dann müssen Sie
unserem Gesetzentwurf eigentlich zustimmen.
({6})
Herr von Stetten, ein letzter Punkt: Sie haben gesagt
- wir haben darüber schon einmal an anderer Stelle diskutiert -, Sie wollten mehr Planungssicherheit. Herr von
Stetten, wo leben Sie? Wir schaffen Planungssicherheit in
der Steuerpolitik.
({7})
Wir haben bereits eine Einkommensteuerreform beschlossen. Sie wird 2004 und 2005 fortgesetzt werden.
Wir haben sie aus gutem Grund um ein Jahr verschoben:
Wir wollten nicht mehr Schulden machen, wie Sie alle das
gerne getan hätten.
({8})
Lassen Sie mich noch etwas zum Eingangssteuersatz
sagen. Wir haben diesen Steuersatz auf 15 Prozent reduziert. Im internationalen Vergleich ist Deutschland damit
Karin Roth ({9})
Karin Roth ({10})
konkurrenzfähig. Das gilt auch für die Höhe des Freibetrags. Wenn Sie unseren Freibetrag zum Beispiel mit dem
in den USA vergleichen, dann werden Sie feststellen, dass
unser doppelt so hoch ist.
Von daher kann ich Ihnen nur sagen: Wir gehen unseren Weg konsequent weiter. Wir halten Kurs in unserer
Politik der Förderung von Wachstum und Beschäftigung;
Sie werden an dem Punkt nicht vorbei kommen. Wir werden die Reform durchsetzen, auch wenn Sie sie blockieren wollen. Am Ende ist vielleicht das eine oder andere
doch möglich. Insofern hoffe ich, dass die Steuerreform
im Zuge des Vermittlungsverfahrens in einer Form beschlossen wird, bei der dieses Land vernünftig nach vorn
kommt und bei der auch die Konsolidierung des Haushalts Platz greift.
({11})
Ich schließe die Aktuelle Stunde.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Die nächste Sitzung des Bundestages ist für morgen,
Donnerstag, den 19. Dezember, 9 Uhr, einberufen.
Die Sitzung ist geschlossen.