Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Grüß Gott, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Die Fraktion der CDU/CSU hat mitgeteilt, dass der
Kollege Friedrich Merz als stellvertretendes Mitglied
aus dem Vermittlungsausschuss ausscheidet. Als Nachfolger wird der Kollege Dr. Michael Meister vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist der Kollege Dr. Michael
Meister als stellvertretendes Mitglied des Vermittlungsausschusses bestimmt.
({0})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die
heutige Tagesordnung um die Beratung des Antrags der
CDU/CSU-Fraktion zur Neuverteilung der Sitze des
Deutschen Bundestages im Vermittlungsausschuss vor
dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Dezember 2004 auf Drucksache 15/4494
erweitert und diese zu Beginn der heutigen Sitzung aufgerufen werden. Für die Beratung ist eine halbe Stunde
vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
Neuverteilung der Sitze des Deutschen Bundestages im Ausschuss nach Art. 77 Abs. 2 des
Grundgesetzes ({1}) vor
dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Dezember 2004
- Drucksache 15/4494 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Volker Kauder, CDU/CSU-Fraktion.
({2})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat dem Bundestag in seiner Entscheidung aufgegeben, unverzüglich
und zeitnah neu über die Verteilung der Sitze des Deutschen Bundestages im Vermittlungsausschuss zu entscheiden. Damit hat das Bundesverfassungsgericht in
vollem Umfang einem Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion stattgegeben. Um das klar und eindeutig zu
formulieren: Wir haben diesen Prozess gewonnen.
({0})
Die Töne, die ich aus dem Lager der Regierungskoalition höre, sind gegenüber dieser Entscheidung und gegenüber dem Bundesverfassungsgericht in keiner Weise
angemessen.
({1})
Wir haben damals, als der Vermittlungsausschuss eingesetzt wurde, gesagt: Es gibt Verteilverfahren, die im
Deutschen Bundestag akzeptiert werden und in den Geschäftsordnungen von Bundestag, Bundesrat und Vermittlungsausschuss vorgesehen sind. Bei Anwendung
dieser Verteilverfahren hätte sich ergeben, dass sowohl
SPD als auch CDU/CSU im Vermittlungsausschuss jeweils sieben Sitze bekommen hätten. Bei Anwendung
aller Zählverfahren, Herr Kollege Schmidt, ist jedes Mal
dasselbe Ergebnis herausgekommen.
({2})
Dieses Ergebnis wollten Sie im Übermut Ihres knappen
Wahlsieges einfach nicht akzeptieren.
({3})
Sie haben den Satz geprägt: Mehrheit ist Mehrheit und
mit dieser Mehrheit machen wir, was wir wollen.
Redetext
({4})
Dieser Arroganz der Macht hat das Bundesverfassungsgericht jetzt einen Riegel vorgeschoben.
({5})
Wie wenig man in der SPD bereit ist, diese Entscheidung zu akzeptieren, zeigt sich nicht an Ihren Äußerungen, Herr Kollege Schmidt; das will ich ausdrücklich sagen.
({6})
Allerdings hat der stellvertretende Vorsitzende der SPDFraktion, Herr Stiegler, gesagt:
({7})
Die CDU/CSU kann ihren Wunsch nach einer raschen
Neuverteilung der Sitze „nach Himmelspforten an den
Weihnachtsmann verschicken“.
({8})
Dies ist kein adäquater Umgang mit Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts.
({9})
Angesichts dieser Aussage des Kollegen Stiegler muss
ich leider sagen: In früheren Jahrzehnten hat die SPD
noch den einen oder anderen großen Mann hervorgebracht. Stiegler zählt hundertprozentig nicht dazu.
({10})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
mit dem Antrag, den wir heute vorlegen, nichts anderes
verlangt als die konsequente Umsetzung des Urteils des
Bundesverfassungsgerichts. Worum geht es dabei? Das
Bundesverfassungsgericht hat klar und deutlich festgestellt, dass in Gremien des Deutschen Bundestages spiegelbildlich die Mehrheiten im Deutschen Bundestag dargestellt werden sollen.
({11})
Es hat zugleich festgestellt, dass auch die aktuellen
Mehrheitsverhältnisse dargestellt werden sollen
({12})
Es soll ein moderater Ausgleich zwischen dem Grundsatz der Spiegelbildlichkeit und dem der Mehrheitsverhältnisse hergestellt werden.
({13})
Das Bundesverfassungsgericht hat aber auch gesagt:
Wenn die Spiegelbildlichkeit der Mehrheitsverhältnisse
im Bundestag in verkleinerten Einrichtungen des Bundestages, nämlich Ausschüssen, dazu führen könnte,
dass es zu Entscheidungen kommt, die im gesamten
Deutschen Bundestag keine Mehrheit bekämen, bietet
die Geschäftsordnung die Möglichkeit, die Zahl der Mitglieder von Ausschüssen so zu verändern, dass die Spiegelbildlichkeit und die Mehrheitsverhältnisse nach Zählverfahren dargestellt werden können. Diese Möglichkeit
ist nach der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Vermittlungsausschuss nicht gegeben. Deswegen haben Sie an der Zahl
der Ausschussmitglieder nichts verändern können.
Herr Kollege Beck, ich kann Ihnen nur ins Stammbuch schreiben: Urteile lesen und Urteile verstehen - das
wissen wir seit PISA - sind zwei verschiedene Dinge.
Sie mögen das Urteil gelesen haben, aber verstanden haben Sie es nicht.
({14})
In einer Mitteilung des ddp von heute ist zu lesen, aus
Ihrer Sicht müsse im Grunde genommen nichts getan
werden, gefordert sei nur ein schonender Ausgleich zwischen Mehrheitsprinzip und dem Proportionalitätsgedanken, also der Spiegelbildlichkeit.
({15})
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil
ausdrücklich erklärt, dass die Spiegelbildlichkeit durch
Ihre Entscheidungen gerade nicht hergestellt worden ist,
sondern dass Sie sich überproportional bedient haben
und damit gegen Grundsätze des Verfassungsrechtes verstoßen haben.
({16})
Jetzt sagen Sie, es solle ein schonender Ausgleich hergestellt werden. Das ist nichts anderes als genau das, was
das Bundesverfassungsgericht verlangt. Dann müssen
Sie unseren heutigen Antrag befürworten; denn damit
wird die Spiegelbildlichkeit genau so wiederhergestellt,
wie es notwendig ist.
({17})
Nun wird ja ständig versucht, das Urteil so zu interpretieren und die Menschen glauben zu machen, das
Urteil sei für Sie von Vorteil. Damit dabei keine Missverständnisse entstehen, will ich Ihnen mit Erlaubnis der
Frau Präsidentin zwei entscheidende Passagen zitieren
- damit wird übrigens auch mancher Blütentraum der
Grünen ausgeträumt sein; denn sie werden darin gar
nicht erwähnt -:
Der Beschluss weicht allerdings im Hinblick auf
die beiden stärksten Fraktionen im Bundestag
- nur um diese beiden geht es nicht unerheblich
- also erheblich von Grundsätzen der Spiegelbildlichkeit ab.
Dann formuliert das Bundesverfassungsgericht die entscheidenden Sätze:
Die gegenwärtige Sitzverteilung … gibt daher nicht
mehr in einem noch akzeptablen Umfang die tatsächlichen politischen Kräfteverhältnisse im Plenum des Bundestages wieder. Die vom Antragsgegner
- sprich: Mehrheit des Bundestages gewählte Lösung, den im Zählverfahren unberücksichtigt gelassenen Sitz auf der Bundestagsbank des
Vermittlungsausschusses der stärksten Fraktion zuzuweisen, ist mit dem … parlamentarischen Binnenrecht grundsätzlich unvereinbar. Das von der
Antragstellerin angegriffene Verteilungsergebnis
lässt sich mit keiner der üblichen Berechnungsmethoden rechtfertigen;
- jetzt kommt der entscheidende Satz in Bezug auf das,
was Sie gemacht haben der „Korrekturfaktor“ steht dem Wortlaut und dem
Sinn des § 12 Satz 1 GOBT entgegen.
Damit ist entschieden, dass das, was Sie gemacht haben,
verfassungs- und rechtswidrig ist.
({18})
Das muss korrigiert werden.
Ich kann Ihnen nur sagen: Wir alle wissen, dass das
Verfassungsrecht nicht durch einen Gerichtsvollzieher
vollzogen werden kann. Es muss durch sich selbst und
vor allem durch die Einrichtungen in der Bundesrepublik
Deutschland gewährleistet werden, die in besonderer
Weise das Verfassungsrecht ausüben. Wenn das Verfassungsrecht hier im Deutschen Bundestag nicht ernst genommen wird und wenn die Mehrheit glaubt, sie könne
mit der Verfassung umgehen, wie sie will, dann wird ein
großer Schaden verursacht.
Leider Gottes sind Sie inzwischen dafür bekannt, dass
Sie mit dem Verfassungsrecht nach Gutsherrenart willkürlich umgehen.
({19})
- Ich könnte eine ganze Latte von Beispielen anführen.
({20})
Ich erinnere nur daran, wie Sie sich bezüglich des Zuwanderungsgesetzes im Bundesrat verhalten haben
({21})
und dass jetzt unsere Klage gegen den Haushalt notwendig ist, weil Sie das Verfassungsrecht und das Europarecht mit Füßen treten. Nun liegt Ihnen wieder eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf dem Tisch
und Sie versuchen mit Tricks und Methoden, die nicht zu
akzeptieren sind, alles, um diese Entscheidung nicht umsetzen zu müssen.
({22})
Herr Kollege Schmidt, Sie haben in einer ersten Stellungnahme in Karlsruhe gesagt, Sie wollten alles beim
Alten lassen. Ich kann Ihnen nur sagen: So kann es nicht
gehen; denn genau das gibt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht her. Sie müssen etwas verändern. In
dem Urteil steht ganz klar, dass wir benachteiligt sind.
Das Bundesverfassungsgericht sagt nämlich, dass Sie
aus dem durch die Sitzverteilung des Deutschen Bundestages dargestellten tatsächlichen Vorsprung von 0,5 Prozent - 41,6 Prozent der Sitze repräsentieren Sie, die
Unionsfraktion repräsentiert 41,1 Prozent - durch Ihren
Willkürakt bei der Zusammensetzung des Vermittlungsausschusses einen Unterschied von 13 Prozent gemacht
haben.
({23})
Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass
dies rechts- und verfassungswidrig ist.
({24})
Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen, damit die
Verfassung wieder zu ihrem Recht kommt.
Herzlichen Dank.
({25})
Das Wort hat der Kollege Wilhelm Schmidt, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auf den verfälschenden und polemischen Stil des
Kollegen Kauder lasse ich mich nicht ein.
({0})
Das war ein unangemessener Umgang mit einem Urteil
des Bundesverfassungsgerichts.
({1})
Wir werden Ihnen sagen, wie wir verfahren.
Das Urteil, das ich hinreichend zitieren werde und das
vor einer Woche gefällt wurde, beinhaltet unter anderem
folgenden Satz:
Der Antragsgegner ist verpflichtet, über die Grundsätze, nach denen die Mitglieder des Deutschen
Wilhelm Schmidt ({2})
Bundestages in den Vermittlungsausschuss entsandt
werden, nach Maßgabe der Gründe dieser Entscheidung erneut zu beschließen.
({3})
- Herr Kauder, dort steht nicht mehr, aber auch nicht weniger.
({4})
Insofern sage ich Ihnen: Mit Ihrem Schnellschuss können Sie hier natürlich nicht operieren. Sie setzen voraus,
dass das Verfassungsgericht schon klare Vorgaben gemacht hat. Ich werde gleich darlegen, dass dies nicht der
Fall ist.
({5})
Die Behauptungen, die von der Union kurz nach der
Verkündung in die Welt gesetzt worden sind, waren
ziemlich abenteuerlich. Wer das Urteil liest, sieht, dass
das alles nicht so umgesetzt werden kann, wie Sie es
jetzt anstreben.
Rot-Grün hat das Recht nicht gebrochen.
({6})
Das ist ein Teil des Tenors dieses Urteils.
({7})
Trotz mancher Widersprüchlichkeit wird in diesem Urteil klargestellt, dass - wörtlich - ein Verstoß gegen das
Verfassungsrecht nicht festgestellt werden kann
({8})
und dass vor allen Dingen im Zuge der damaligen
schnellen Entscheidungen, die nach der Konstituierung
des Bundestages erfolgen mussten, eine funktionierende Gesetzgebung sicherzustellen war und somit alle
Gremien des Bundestages rasch zu besetzen gewesen
sind.
({9})
Es war eine ausgewogene Neuregelung, was im Urteil
klar zum Ausdruck kommt. Dies will ich hier bekräftigen.
({10})
Es ist nicht richtig, wie die Union direkt nach der Urteilsverkündung und auch Herr Kauder heute erklärt hat,
dass die Zusammensetzung des Vermittlungsausschusses
sofort geändert werden muss. Nichts findet sich im Urteil zu der Behauptung, der Union stände nunmehr ein
zusätzlicher Sitz im Vermittlungsausschuss zu. Entgegen
dieser Behauptung heißt es wörtlich:
Der Antragsgegner wird demnach zu entscheiden
haben
- also der Deutsche Bundestag, nicht die SPD-Fraktion,
um das deutlich zu sagen -,
ob er einen durch das bestehende Geschäftsordnungsrecht gedeckten neuen Beschluss nach § 57
Abs. 1 GOBT fasst oder die Geschäftsordnung unter Beachtung der einschlägigen verfassungsrechtlichen Grundsätze ändert. … In Betracht kommt
vor allem, dass die Regeln der §§ 12, 57 GOBT
modifiziert, insbesondere um generelle Vorkehrungen für Fälle wie den vorliegenden und ähnliche
Konstellationen ergänzt werden. Auch kann die
Möglichkeit einer Regelung in der Gemeinsamen
Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Vermittlungsausschuss gemäß
Art. 77 Abs. 2 Satz 2 GG nicht von vorneherein
verworfen werden.
Das ist das eigentlich tragende Prinzip dieses Urteils. Es
zeigt uns auf, dass wir an der einen oder anderen Stelle
neue Regelungen treffen müssen. Aber an keiner Stelle
wird festgestellt, dass die bisherigen Regelungen rechtswidrig sind. Auch wurden uns keine Vorgaben gemacht,
nach welchen Prinzipien wir diese Regeln zu ändern haben.
({11})
Also ist das, was Sie gerade vorgetragen haben, eine
klare Überinterpretation dessen, was das Urteil hergibt.
Das kann nicht hingenommen werden.
({12})
Das Gericht hat sich also nicht festgelegt. Es erlegt uns
aber die Pflicht auf, sorgfältig zu prüfen und nicht vorschnell zu handeln.
Nur nebenbei sei noch bemerkt, Herr Kauder, meine
Damen und Herren von der Union, dass Sie es gewesen
sind, die in der 13. Wahlperiode eine Änderung des
Zählverfahrens zulasten der PDS-Fraktion durchgesetzt
haben und dadurch seinerzeit ein verfassungsrechtliches
Gebot verändert haben, damit sich die vom Wähler getroffene Mehrheitsentscheidung nicht im Vermittlungsausschuss widerspiegelt. Erinnern Sie sich also an Ihr
eigenes Vorgehen, das im Verhältnis zu dem, was hier
gerade behandelt wird, viel gravierender war.
({13})
Der Antrag der Union, der darauf abzielt, ihr einen
zusätzlichen Sitz im Vermittlungsausschuss zu verschaffen, kann wohl nicht ernst gemeint sein. Wie ich schon
angedeutet habe, ist dies ein Schnellschuss, der von uns
nicht mitgetragen werden kann.
Die Umsetzung des Urteils ist für den Deutschen
Bundestag und für die Parlamentarier keine leichte
Wilhelm Schmidt ({14})
Aufgabe. Das wurde übrigens auch in einem der
Minderheitenvoten dieses Urteils zum Ausdruck gebracht. Frau Lübbe-Wolff hat erklärt:
Der Fall wirft zwei Fragen auf: Darf der Bundestag
für die Besetzung der Bundestagsbank im Vermittlungsausschuss ein Berechnungsverfahren wählen,
welches die Abbildung der die Regierung tragenden
Parlamentsmehrheit sicherstellt? Wenn ja: Muss er
dazu, um nicht Rechte der Antragstellerin zu verletzen, ein anderes als das am 30. Oktober 2002
beschlossene Verfahren wählen? Auf die erste
Frage … finde ich in der Entscheidungsbegründung
keine klare Antwort. Die Antwort auf die zweite
halte ich für falsch …
({15})
Sie sehen, wie umstritten dieses Urteil sogar innerhalb
des Senats gewesen ist. Deswegen ist dies für uns eine
ganz wichtige Auseinandersetzung, die wir in Ruhe und
in aller Sorgfalt miteinander austragen werden.
({16})
Ich will an dieser Stelle noch ein Zitat aus der Presse
wiedergeben, von dem ich glaube, dass es treffend die
Reaktion auf das Urteil beschreibt. In der „Süddeutschen
Zeitung“ vom 9. Dezember, einen Tag nach dem Urteil,
steht:
({17})
Das Rätsel von Karlsruhe. So viel Ratlosigkeit war
selten nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
({18})
Recht hat die Zeitung. In dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts bleibt vieles unklar.
Was folgt daraus? Der Bundestag hat sorgfältig zu
prüfen, welche Konsequenzen er zu ziehen hat. Das Gericht fordert von uns, den Grundsatz der Spiegelbildlichkeit mit dem Prinzip stabiler parlamentarischer Mehrheitsbildung zu einem schonenden Ausgleich zu
bringen. Dies haben wir nicht nur sofort zugesagt,
({19})
sondern wir haben es auch in Angriff genommen. Der
Kollege Beck und ich haben schon einen Tag nach der
Urteilsverkündung den Bundestagspräsidenten angeschrieben und ihn gebeten, den Geschäftsordnungsausschuss des Bundestages unverzüglich mit der Prüfung zu
beauftragen und dem Parlament entsprechende Vorschläge zu unterbreiten. Das ist inzwischen erfolgt. Das
ist der angemessene Umgang mit einem solchen Urteil.
({20})
Fast zeitgleich habe ich auch mit Ihnen, Herr Kauder
- wenn Sie sich bitte erinnern wollen -, darüber ein längeres Telefonat geführt und Ihnen mitgeteilt, dass wir
der Auffassung sind, dass wir diese sorgfältige Prüfung
vornehmen müssen. Diese unverzügliche Kontaktaufnahme zwischen uns beiden gehört auch zu den Auflagen, die das Gericht uns, den Mehrheitsfraktionen und
dem Bundestag insgesamt, gemacht hat, nämlich sofort
die Dinge einzuleiten, die zur Umsetzung des Gerichtsurteils notwendig sind.
Ihr Antrag ist hingegen ein Schnellschuss, den wir
nicht mittragen werden. Das Gericht selber eröffnet uns
ja, wie ich angedeutet habe, mehrere Optionen, zum Beispiel eine Änderung der Geschäftsordnung des Bundestages - dann hätten wir es in der Hand, darüber mit
Mehrheit zu entscheiden - oder aber eine Änderung der
Geschäftsordnung, die wir gemeinsam mit dem Bundesrat für den Vermittlungsausschuss erlassen haben. Im
letzteren Fall werden wir uns der Zustimmung des Bundesrates zu versichern haben. Ob es eine gibt, kann ich
nicht sagen; das wird sich zeigen.
Sie wollen einfach den Beschluss vom Oktober 2002
umsetzen. Damit erreichen Sie nicht die Nachhaltigkeit
eines solchen Beschlusses, die das Gericht von uns fordert. Sie wollen vielmehr eine kurzfristige Reaktion, die
man aber aus dem Urteil nicht ableiten kann. Von daher
verbietet sich die Art und Weise des Vorgehens, das Sie
wollen.
({21})
Langer Rede kurzer Sinn: Wir werden dieses Urteil
sorgfältig prüfen, erst im Geschäftsordnungsausschuss,
dann in den Fraktionen. Wir sichern Ihnen dabei eine zügige Vorgehensweise zu. Es entspricht nicht unserer Art,
eine Verzögerungstaktik anzuwenden. Wir werden alles
unternehmen, um zu einem gerechten Ausgleich zu
kommen, der diesem Gerichtsurteil wenigstens in Ansätzen gerecht wird. Ob das gelingt, wird sich zeigen. Mehr
kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Ihrem Antrag können wir auf jeden Fall nicht zustimmen; denn
das ist ein Schnellschuss, der sich verbietet.
({22})
Nächster Redner ist der Kollege Jörg van Essen, FDPFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Kollege Kauder hat vorhin - wie ich finde, zu
Recht - in seinem Beitrag für die CDU/CSU-Fraktion
den Umgang der Koalition mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts kritisiert. Ich als Redner der FDP
unterstreiche das nachdrücklich.
Herr Kollege Schmidt, Sie haben angedeutet, dass Sie
unverzüglich mit dem Kollegen Kauder Kontakt aufgenommen haben. Das ist nicht die verfassungsgerichtliche
Vorgabe.
({0})
Wir haben die Vorgabe, das unverzüglich zu ändern, und
zwar zeitnah.
({1})
Es gab nicht die Vorgabe, dass die Geschäftsführer unverzüglich miteinander telefonieren.
({2})
- Im Urteil selbst steht „unverzüglich“ und „zeitnah“.
Als Jurist darf ich Ihnen sagen: „Unverzüglich“ heißt:
ohne schuldhaftes Zögern. Das wiederum heißt, dass
heute eine Entscheidung möglich ist, weil die Prinzipien
klar und offen liegen.
({3})
Ich werde das begründen. Es gibt zwei Prinzipien, die
hier miteinander streiten. In den beiden anderen Redebeiträgen ist das schon angedeutet worden. Auf der
einen Seite gibt es den Grundsatz der Spiegelbildlichkeit. Das ist der vordringliche Grundsatz, wie ich finde,
aus vernünftigen Gründen.
({4})
Wenn zwei Fraktionen bei der Bundestagswahl etwa
41 Prozent erzielen, wie es bei der letzten Bundestagswahl bei der SPD und der CDU/CSU der Fall war - Unterschiede gab es nur in den Stellen hinter dem
Komma -,
({5})
dann kann es nicht sein, dass die eine Fraktion acht Sitze
und die andere nur sechs im Vermittlungsausschuss hat.
Es ist vollkommen klar, dass das ein deutlicher Verstoß
gegen den Grundsatz der Spiegelbildlichkeit ist.
({6})
Wir haben allerdings auch den Grundsatz zu beachten
- darauf hat das Bundesverfassungsgericht hingewiesen -, dass sich die Mehrheitsverhältnisse der Koalition in den Ausschüssen widerspiegeln müssen.
({7})
Dieser Grundsatz wird in der Arbeit innerhalb der Ausschüsse des Bundestages von uns selbstverständlich
nicht infrage gestellt. Er sichert die Arbeitsfähigkeit des
Bundestages. Aber ich habe bereits in der Debatte, die
wir damals zu führen hatten, deutlich gemacht, dass das
für mich in Bezug auf den Vermittlungsausschuss nicht
gilt.
({8})
Die Mitglieder des Vermittlungsausschusses sind
- das geht aus der Verfassung hervor - ausdrücklich
nicht an Weisungen gebunden. Sie vertreten dort also
nicht ihre jeweilige Fraktion; der Sinn ihrer Tätigkeit in
dem Ausschuss liegt vielmehr darin, einen vernünftigen
Ausgleich zwischen Bundestag und Bundesrat zu erzielen. Deshalb ist es sinnvoll, dass auf der Bundesratsseite
die Länder nicht nach dem Proportionalitätsprinzip gemessen an ihrer Größe vertreten sind, sondern dass jedes
Land einen Sitz hat. Insofern kann nach meiner Auffassung das Mehrheitsprinzip auch für die Mitglieder des
Bundestags im Vermittlungsausschuss nicht gelten. Es
ist schon deshalb nicht sinnvoll, weil es keine Koalition
in der Opposition gibt. Als Vertreter der FDP im Vermittlungsausschuss weiß ich, dass wir schon oft genug
anders entschieden haben als die CDU/CSU. Auch das
macht deutlich, dass das Mehrheitsprinzip, das im Bundestag gelten muss, im Vermittlungsausschuss nicht angebracht ist.
({9})
Von daher unterstützt die FDP-Bundestagsfraktion
den Vorschlag der CDU/CSU klar und eindeutig. Dieser
Vorschlag ist verfassungsfest und er ermöglicht es, den
Auftrag des Bundesverfassungsgerichts, unverzüglich
und zeitnah zu entscheiden, umzusetzen.
Vielen Dank.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Ich denke, eine genauere Lektüre des Urteils wäre zugunsten der Klarheit der Debatte durchaus nützlich.
({0})
Geschätzte Kollegen von der Union, nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts haben Herr Kauder
und der bayerische Ministerpräsident Stoiber behauptet,
das Gericht habe festgestellt, wir hätten einen Verfassungsbruch begangen. Ein Blick in das Urteil zeigt das
Gegenteil. Das Gericht hat festgestellt, dass der von uns
gefasste Beschluss zu diesem Zeitpunkt voll und ganz
zulässig war.
({1})
In dem Urteil heißt es dazu:
Ein Verstoß gegen Verfassungsrecht kann insoweit
nicht festgestellt werden, als der Deutsche Bundestag zum Zeitpunkt der Beschlussfassung im Interesse einer funktionierenden Gesetzgebung zu einer
raschen Besetzung des Vermittlungsausschusses genötigt war und es deshalb schon an zeitlichen Möglichkeiten fehlte, eine ausgewogene Neuregelung
möglichst im Konsens aller Fraktionen für eine neu
sich ergebende Frage der proportionalen Sitzverteilung zu schaffen.
Volker Beck ({2})
Sehr richtig. Wenn Sie also Ihre Behauptung weiterhin
äußern, dann verbreiten Sie - das muss ich leider feststellen - die Unwahrheit. Vulgo: Es ist eine Lüge.
({3})
Auch dann, wenn der Kollege van Essen in seinem
Redebeitrag an anderer Stelle über den Wortlaut des
Urteils hinwegstolpert, entsteht ein nicht wahrheitskonformer Eindruck. Das Gericht sagt:
Der Antragsgegner
- also der Bundestag ist … verpflichtet, unverzüglich und unter Ausschöpfung der in Geschäftsordungsangelegenheiten
üblichen Kooperation zwischen allen Fraktionen
des Bundestages einen entsprechenden Beschluss
nach § 57 Abs. 1 GOBT neu vorzubereiten und
zeitnah zu fassen.
Das heißt, wir müssen unverzüglich mit der Arbeit beginnen. Nachdem das Urteil am Mittwoch erfolgte, haben wir als Geschäftsführer das am Donnerstag getan.
Der Bundestagspräsident hat das Entsprechende veranlasst. Schneller konnten wir nicht handeln; sonst hätten
wir vor dem Urteil tätig werden müssen.
({4})
Wir gehen seriös vor. Es geht darum, ein Urteil des
Bundesverfassungsgerichts umzusetzen. In diesem Urteil ist aber nicht von einem schonungslosen Raubzug
die Rede, wie Sie ihn mit Ihrem Antrag vorschlagen,
sondern von einem schonenden Ausgleich zwischen
zwei grundlegenden Prinzipien, nämlich dem Proportionalitätsprinzip und dem Mehrheitsprinzip. Es hat uns
also die Aufgabe gegeben, zu prüfen, wie wir zu einer
Lösung kommen, die einen Ausgleich ermöglicht: zwischen dem Mehrheitsprinzip - unser Wille ist es schließlich, die Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag
auch auf der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses abzubilden - und dem Prinzip der Proportionsgerechtigkeit. Wenn das Bundesverfassungsgericht tatsächlich Ihrer Auffassung gewesen wäre, hätte es in seinem
Urteil sagen können: Der Sitz gehört dem Antragsteller,
Punkt, aus, Ende der Durchsage! - Genau das hat das
Bundesverfassungsgericht aber nicht getan.
({5})
Die Welt ist nicht - das Urteil des Bundesverfassungsgerichts erst recht nicht - so einfach, wie Sie es sich machen wollen.
Das Bundesverfassungsgericht weist uns drei Lösungswege. Erster Lösungsweg. Wir können über ein
neues Zählverfahren zu einem befriedigenden Ergebnis
bzw. Ausgleich kommen. Es ist ja nicht gesagt, dass beispielsweise die Verfahren nach Saint Lague/Schepers
und d’Hondt der Weisheit letzter Schluss sind.
Zweiter Lösungsweg. Das Urteil gibt uns auch die
Möglichkeit, die Geschäftsordnung von Bundestag und
Bundesrat zum Gemeinsamen Ausschuss zu ändern. Das
würde praktisch bedeuten, die Zahl der Mitglieder des
Vermittlungsausschusses zu verändern. Hier gibt es einen ganz einfachen Lösungsweg: Auf der Bundestagsbank gibt es 18 statt 16 Plätze. Die Plätze 17 und 18 fallen nach dem Zählverfahren sowieso an die Koalition.
Damit hätten wir kein Problem. Aber vielleicht hätte der
Bundesrat ein Problem.
({6})
Wer bekäme denn auf der Bundesratsbank den 17. und
18. Sitz? Ich meine, dass auch dieses Problem zwischen
den Verfassungsorganen leicht zu lösen wäre. Meine
Auffassung als Nordrhein-Westfale ist ganz klar: Das
größte Bundesland ist Nordrhein-Westfalen.
({7})
Ich weiß aber nicht, ob darüber Konsens erzielt werden
kann. Deshalb müssen wir dies sorgfältig prüfen.
Dritter Lösungsweg. Möglich ist nach dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts auch eine Änderung des § 12
der Geschäftsordnung des Bundestages. Dort können wir
neu und verfassungskonform die Prinzipien und das Prozedere festlegen, wie wir bei Ausschüssen verfahren
wollen, bei denen aufgrund ihrer Mitgliederzahl das
Mehrheitsprinzip mithilfe der klassischen Zählverfahren
nicht abbildbar ist. Das Bundesverfassungsgericht rügt,
dass wir für das, was wir damals getan haben, keine dauerhafte geschäftsordnungsrechtliche Grundlage geschaffen haben. Darüber müssen wir reden.
Jetzt werden wir Ihren Antrag an den zuständigen
Fachausschuss überweisen. Dann, im neuen Jahr, werden wir eine Anhörung zu diesen Fragen machen und
schauen, welcher Weg der beste ist. Vielleicht werden
wir auch Gespräche mit dem Bundesrat führen, um zu
sehen, ob eine gemeinsame Lösung möglich ist. Dann
werden wir die Vorgaben des Urteils so zeitnah umsetzen, dass wir den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts genügen. Aber auf die Hallodrinummer,
die die Union vorschlägt, wird die Koalition nicht hereinfallen.
Vielen Dank.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 15/4494. Die Fraktion der
CDU/CSU wünscht Abstimmung in der Sache. Die
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
wünschen Überweisung an den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung. Die Abstimmung über den Antrag auf Ausschussüberweisung geht
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
nach ständiger Übung vor. Ich frage deshalb: Wer stimmt
für die beantragte Überweisung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Damit stimmen wir heute über den Antrag auf
Drucksache 15/4494 nicht ab.
({0})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte diejenigen,
die der Befragung der Bundesregierung nicht beiwohnen
wollen, den Saal zu verlassen und außerhalb des Saals
ihre Gespräche fortzuführen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettsitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur
Errichtung einer „Bundesstiftung Baukultur“.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Dr. Manfred Stolpe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf
Sie darüber unterrichten, dass im Kabinett heute der Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer „Bundesstiftung Baukultur“ beschlossen worden ist. Wir haben in
Deutschland allen Grund, die Leistungen der deutschen
Planer, der Ingenieure und der Architekten stärker zu beachten und dafür Sorge zu tragen, dass sie Unterstützung
erfahren und auch im Ausland wahrgenommen werden.
Auf diesem Hintergrund ist dieses Gesetz vorgesehen.
Damit verbunden ist das Ziel, die Belange der Baukulturschaffenden stärker herauszustellen und auf das Leistungsniveau der Architekten, Ingenieure und Planer in
Deutschland hinzuweisen. Hier hat man gelegentlich den
Eindruck, dass das weithin unterschätzt wird. Tatsächlich können wir uns durchaus mit anderen messen. Wir
wollen also von vornherein darauf achten, dass die Wirkungen einer solchen Stiftung im nationalen und im internationalen Bereich zur Geltung kommen werden.
Unserer Ansicht nach braucht die Baukultur wie die Bereiche Kultur, Denkmal- und Umweltschutz neue Formen der Motivierung und der Mobilisierung.
Mit der Einbringung dieses Gesetzentwurfs will die
Bundesregierung auch einem Beschluss des Bundestages
vom vorigen Jahr gerecht werden. In diesem Beschluss
ist seinerzeit fraktionsübergreifend festgelegt worden,
dass für gutes Planen und Bauen mehr getan werden soll.
In diesem Beschluss war die Einrichtung einer solchen
Institution angedacht.
Wie Sie alle wissen, hat Deutschland das größte Bauvolumen in Europa überhaupt: 25 Prozent aller Bauleistungen in Europa werden in Deutschland getätigt. Wir
brauchen hier eine stärkere Motivation, eine stärkere
Unterstützung dieses wichtigen Sektors, der bekanntlich
durchaus seine Probleme hat. Wir wissen zugleich, dass
Städte und Regionen im internationalen Wettbewerb
sehr darauf achten müssen, dass sie ihr kulturelles Erbe,
aber auch die Qualität des neuen Bauens als wichtige
Faktoren für Standortentscheidungen bei Investoren ins
Spiel bringen müssen. Die Bedeutung dessen wird sicherlich noch wachsen.
Ich möchte nur daran erinnern, dass wir mit dieser
Aufgabenstellung im Deutschen Bundestag schon seit
einer Reihe von Jahren beschäftigt sind. Bereits im Jahr
2000 wurde ein Dialog über die Baukultur in Deutschland eröffnet. Im Jahr 2002 wurde im Parlament zum
ersten Mal über die Lage zur Baukultur in Deutschland
berichtet. Im April des Jahres 2003 hat ein erster Konvent der Baukultur stattgefunden. Nach meiner
Beobachtung wurden dabei zwei wichtige Leistungen erbracht: Dieser Konvent hat zunächst einmal - leider war
das bisher eher die Ausnahme - die Planer, die Ingenieure und die Architekten zusammengeführt. Außerdem hat er die Aufgabe der Baukultur in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt.
Wir verbinden mit unserer Initiative und dem Bemühen um ein Gesetz zur Errichtung einer „Bundesstiftung
Baukultur“ die Vorstellung, dass der Dialog verstetigt
werden kann. Darüber hinaus hoffen wir, dass wir mit
der Einrichtung eines solchen unabhängigen und mit hoher Fachautorität versehenen Gremiums das Bewusstsein für Baukultur in der breiten Öffentlichkeit stärken
können. Ferner wollen wir so auch dazu beitragen, die
nationale Baukultur mehr in das Blickfeld der internationalen Öffentlichkeit zu rücken.
Wir haben die Bereitstellung eines Anfangsvermögens von 250 000 Euro vorgesehen. Man wird in den
ersten Jahren jährlich eine Unterstützung gewähren müssen. Aber wir gehen davon aus, dass die Einrichtung dieser Stiftung ganz stark im Interesse der Allgemeinheit,
aber natürlich auch im Interesse der Planer, der Ingenieure und der Architekten ist, sodass es zu einer Unterstützung von dritter Seite kommen wird. Wir werden
dann erleben, dass die Finanzierung weithin aus dieser
Richtung kommt.
Ich darf abschließend Folgendes sagen: Ich habe die
Überzeugung, dass diese Stiftung auch Auswirkungen
auf die breite Öffentlichkeit haben kann, nämlich dahin
gehend, dass ein stärkeres Bewusstsein für die Qualität
des Bauens geschaffen wird. Am Ende geht es neben der
Baukultur auch um Bauwirtschaft. Ich möchte Sie darum
bitten, dass wir im weiteren Prozess der Gesetzgebung
gemeinsam etwas dafür tun. Das Gesetz zur Errichtung
der Stiftung kann ein erstes wichtiges Signal sein.
Danke.
({0})
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den berichtet
wurde.
Das Wort hat die Kollegin Blank.
Herr Minister, wir sind parteiübergreifend mit der
Aufnahme des Themas „Baukultur in Deutschland“ einverstanden. Eigentlich ist unser Ziel - das ist auch das
Ziel des Konvents gewesen -, die deutsche Baukultur
weltweit bekannt zu machen. Meine Frage dazu: Ist geplant, das auch im Titel zu verankern? Wir sind uns, wie
gesagt, einig bei der Aufgabe, die deutsche Baukultur,
die zwar einen Namen hat, aber weltweit leider nicht so
bekannt ist - ausgenommen einige Architekten oder Architekturbüros -, zu fördern.
Frau Abgeordnete, ich bin ganz sicher, dass diese
Frage in der weiteren Arbeit noch bedacht werden wird.
Ich bin sehr aufgeschlossen dafür, diesen Zusammenhang darzustellen. Es geht um Deutschland. Es geht um
deutsche Leistungen. Es geht aber auch darum, auf der
internationalen Bühne im internationalen Wettbewerb
zur Geltung zu kommen. Ich halte das für durchaus diskussionsfähig.
({0})
Später, Frau Kollegin.
Herr Kollege Schulz, bitte.
Liebe Frau Präsidentin, ich bin der Kollege Bartol,
({0})
man verwechselt mich gern mit dem Kollegen Schulz.
Das ist nicht so schlimm. Ich habe gewusst, wer gemeint
war.
Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben auf den erfolgreichen Konvent zur Baukultur im April 2003 hingewiesen. Ich möchte Sie jetzt fragen: Welche Rolle wird die
Idee dieses Konvents nach der Gründung einer solchen
Bundesstiftung spielen?
Vielen Dank.
Herr Abgeordneter, wir haben die Vorstellung, dass
dieser Konvent die geballte Kompetenz derjenigen, die
im Bereich der Baukultur tätig sind, zusammenführen
kann, dass er sehr intensiv an Fragen der Standortbestimmung und zur Lage der Baukultur arbeiten kann
- da haben wir in der Tat noch einiges aufzuholen -,
dass er die Möglichkeit haben wird, Leistungen, die hier
erbracht werden, zu würdigen - dazu gibt es so manche
Gelegenheit -, und dass er immer wieder den Handlungsbedarf in diesem Feld, bis in den politischen Raum
hinein, benennt. Ich denke, dass ein solches Gremium, in
dem dann schon einige Hundert tätig sein werden,
durchaus Gehör finden wird.
Frau Kollegin Weis, bitte.
Herr Minister, Sie haben das finanzielle Engagement
des Bundes für das kommende Jahr quantifiziert und
darauf hingewiesen, dass es für den Erfolg der Stiftung
natürlich wichtig ist, den Finanzbedarf langfristig auch
aus Mitteln Dritter zu decken. Meine Frage an Sie lautet
nun: Wie hoch wird nach Ihrer Einschätzung der jährliche Finanzbedarf der Stiftung sein und welche konkreten
Möglichkeiten sehen Sie, Dritte zur Mitfinanzierung zu
motivieren und entsprechende Mittel zu mobilisieren?
Danke.
Frau Abgeordnete, ich gehe davon aus, dass die Stiftung, wenn sie voll wirksam sein wird und die Aufgaben
angeht, die ihr zugedacht sind, Mittel in der Größenordnung von etwa 2,5 Millionen Euro für ihre Arbeit benötigen wird. In der Anlaufphase wird das deutlich geringer sein können. Aber schon in der Anlaufphase wird die
Möglichkeit bestehen, einen Teil der Aufgaben zu erfüllen, indem man zumindest das Signal in die Öffentlichkeit hineingibt.
Im Blick auf die Beteiligung Dritter ist eine Vielzahl
von Gesprächen geführt worden. Ich bin bei einigen Veranstaltungen dabei gewesen. Wir haben eine große Aufgeschlossenheit erlebt, aber zugleich natürlich auch die
Frage gehört: Kommt das Gesetz nun oder kommt es
nicht? In dem Augenblick, wo wir das Gesetz haben und
erkennbar wird, dass das Anliegen auch in der Breite getragen wird, werden wir sicherlich noch einiges gewinnen können. Immerhin ist das ganze Vorhaben ja nicht
an Schreibtischen von Politikern erdacht worden, sondern im Gespräch mit den Fachleuten entstanden. Diese
haben daran also Interesse. Wir haben aber auch deutlich
gemacht, dass es nicht ausreicht, theoretisches Interesse
zu bekunden, sondern dass sich das Interesse auch ganz
handfest materiell ausdrücken müsste.
Frau Kollegin Blank, bitte.
Herr Minister, durch das Gesetz soll eine Bundesstiftung errichtet werden. Meine Frage lautet: Wie verhalten
sich die Länder? Man könnte ja einmal darüber nachdenken, daraus eine nationale Stiftung unter Beteiligung der
Länder zu machen. Wie verhalten sich die Länder zu dieser Idee einer Bundesstiftung bzw. welche Rückmeldungen haben Sie aus den Ländern bekommen?
Frau Abgeordnete, wir haben uns von Anfang an sehr
intensiv zu dem Vorhaben mit den Ländern ausgetauscht, weil auch uns klar ist, dass die Länder in diesem
Bereich ganz klar definierte Kompetenzen haben. Für
uns kommt als Aufgabenstellung all das infrage, was
länderübergreifend oder von internationaler Bedeutung
ist. Das kann natürlich nur in Übereinstimmung mit den
Ländern gestaltet werden. Ich darf Ihnen berichten, dass
wir von den Bauministern aller Länder eine starke Unterstützung bei dem Projekt erfahren haben.
Herr Kollege Kubatschka, bitte.
Herr Minister, welche Rolle wird der Denkmalschutz
im Rahmen dieser Stiftung spielen?
Herr Abgeordneter, wir gehen davon aus, dass Baukultur in einem sehr umfassenden Sinne verstanden werden muss. Auch wenn das sicher teilweise bis in technische Bereiche hineingehen wird, so ist grundsätzlich die
Gestaltung von Städten und von Bauwerken sowie das
Bauen in einem bestimmten Umfeld bzw. in die Umwelt
hinein zu bedenken. So gehe ich - auch nach den Erfahrungen, die ich in der Vorbereitungsphase gemacht
habe - davon aus, dass dies von denjenigen, die Denkmalschutz zu ihrer Hauptaufgabe gemacht haben, bis hin
zu maßgeblichen Vertretern der Deutschen Stiftung
Denkmalschutz, mitgetragen wird und diese ihre Erfahrungen und Erwartungen einbringen werden.
Herr Kollege Nooke, bitte.
Meine Frage bezieht sich noch einmal auf die Finanzierung der Stiftung. Herr Minister, Sie haben eben die
Länder angesprochen. Gibt es denn Anzeichen für eine
finanzielle Beteiligung der Länder in dem Sinne, dass
Länder bereits Bereitschaft gezeigt haben, sich finanziell
an der Stiftung zu beteiligen, oder hat die Bundesregierung die Länder überhaupt dazu aufgefordert? Hat die
Bundesregierung es darüber hinaus gänzlich aufgegeben, für diese Stiftung privates Geld einzuwerben? Der
Ausgangspunkt war ja einmal, dass Architekten hierfür
sammeln wollten.
Herr Abgeordneter, wir haben nicht vor, die Länder
an der Finanzierung zu beteiligen. Natürlich werden wir
niemanden bremsen, wenn er etwas zum Stiftungskapital
beitragen möchte. Vonseiten des Bundes wollen wir mit
den 250 000 Euro helfen, dass die Stiftung in Gang
kommt. Wir setzen aber ganz stark darauf, dass der Finanzbedarf der Stiftung in einem überschaubaren Zeitraum auch durch private Mittel wesentlich mitgetragen
wird, sodass ein Stiftungskapital entsteht, das die Finanzierung der Arbeit ermöglicht. Wir haben Anzeichen dafür, dass es Unterstützer geben wird. Bis das Gesetz tatsächlich beschlossen ist, wird allerdings keiner so richtig
gerne größere Beträge zur Verfügung stellen. Wir bemühen uns darum, erst einmal Bereitschaftserklärungen in
diese Richtung zu erhalten. Ich glaube, das kommt in
Gang.
Ich darf es noch einmal sagen: Wenn es uns gelingt,
hier zu einer Lösung zu kommen, die vom ganzen Haus
mitgetragen werden kann, dann werden wir richtig gute
Chancen haben, hier etwas auf die Beine zu stellen.
({0})
Weitere Fragen zu diesem Thema liegen mir nicht
vor. Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettsitzung? - Das ist nicht der Fall. Gibt es darüber
hinaus sonstige Fragen an die Bundesregierung? - Das
ist auch nicht der Fall. Damit beende ich die Befragung
der Bundesregierung.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 15/4476 Zunächst rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Zur Beantwortung der Fragen steht die
Parlamentarische Staatssekretärin Frau Simone Probst
bereit.
Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Dr. Christoph
Bergner auf:
Wie bewertet die Bundesregierung den jüngsten Vereinfachungsvorschlag der Landesregierung Sachsen-Anhalt zum
geplanten europäischen Registriersystem für Chemikalien,
REACH, das eine Erfassung der Chemikalien nach Risikogruppen vorsieht, und wie wird die Bundesregierung diesen
Vorschlag aus Sachsen-Anhalt unterstützen?
Sehr geehrter Herr Kollege, der Vorschlag der Landesregierung Sachsen-Anhalt ist der Bundesregierung
noch nicht zugeleitet worden. Daher war eine Meinungsbildung innerhalb der Bundesressorts bis dato leider
nicht möglich.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Frau Staatssekretärin, ich bedauere, dass der Informationsfluss nicht schneller war und wir deshalb nicht vertieft über diese Frage diskutieren können. Ich stelle
trotzdem die Frage: Halten Sie die REACH-Richtlinie,
so wie sie jetzt vorliegt, für verbesserungsbedürftig im
Sinne einer Vereinfachung und Priorisierung, wie es der
Vorschlag des Landes Sachsen-Anhalt vorsieht?
Da mir der konkrete Vorschlag nicht vorliegt, kann
ich nur sehr allgemein antworten, wie Sie verstehen werden. Selbstverständlich sind wir für alle Vorschläge, die
uns zugeleitet werden, offen. Es geht ja dann möglicherweise auch darum, Änderungsanträge in Bezug auf den
Kommissionsvorschlag auszuarbeiten. Wir werden für
jeden Vorschlag, der uns zugeleitet wird, eine sehr ausführliche Analyse zur Abwägung der Vor- und Nachteile
durchführen, um zu einer - gemeinsamen oder auch unterschiedlichen - Bewertung zu kommen. Sie wissen,
dass in Bezug auf REACH eine gemeinsame Position
der Bundesregierung, der IG BCE und des VCI vorherrscht. Wir wollen in Brüssel gemeinsam das Bestmögliche für eine vorsorgende und umweltverträgliche
Chemiepolitik erreichen. Insofern können Sie sicher
sein: Alle klugen Verbesserungsvorschläge und Wünsche werden von uns positiv aufgenommen.
Darf ich dann wenigstens noch fragen, ob das „Bestmögliche“ auch den Gesichtspunkt einschließt, dass Sie
einen unnötigen Prüfaufwand, der beispielsweise auch
mit gigantischen Tierversuchen verbunden wäre, zu vermeiden suchen?
Herr Kollege, Sie wissen, dass das immer eine Abwägungsfrage ist. Die notwendigen qualitativen Standards
müssen, gerade im Bereich der Gesundheitsvorsorge, gegen den Aufwand abgewogen werden. Uns geht es darum, dass die Chemiebranche eine innovative Branche
wird und dass hier die bestmöglichen Chemikalien verwendet werden können. Dazu wollen wir angemessene,
europaeinheitliche Verfahren vorsehen.
Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Dr. Christoph
Bergner auf:
Kann die Bundesregierung Pressemeldungen der „Mitteldeutschen Zeitung“ bestätigen, wonach der Bundesminister
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Jürgen
Trittin, kurz vor der Antragskonferenz zum Raumordnungsverfahren für das Bauvorhaben zur Vollendung des Saaleausbaus in einem Brief an den Bundesminister für Verkehr, Bauund Wohnungswesen, Dr. Manfred Stolpe, gefordert haben
soll, das entsprechende Raumordnungsverfahren nicht zu beginnen, und welche rechtliche Bedeutung hätte ein solches
Schreiben des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit, Jürgen Trittin, für das Verwaltungsverfahren zu diesem Projekt des Bundesverkehrswegeplanes?
Herr Kollege, es trifft zu, dass der Herr Bundesminister Trittin seinen Kollegen Herrn Bundesminister Stolpe
gebeten hat, das Raumordnungsverfahren zum Saaleausbau nicht zu beginnen. Die Durchführung des inzwischen eingeleiteten Raumordnungsverfahrens fällt - das
wissen Sie sicherlich - in die Zuständigkeit des Landes
Sachsen-Anhalt. Dieses Verfahren schafft kein Präjudiz
für die noch ausstehenden Entscheidungen der Bundesregierung.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Da der zuständige Minister gerade den Raum verlässt
und wir seine Gesichtspunkte nicht erfragen können,
muss ich meine Frage an Sie richten. In dem in der Presse
zitierten Brief von Herrn Trittin wurden die wirtschaftlichen Vorteile in Zweifel gezogen. Nun ist es ja bekannt,
dass der Aufnahme in den Bundesverkehrswegeplan eine
Nutzenbewertung durch das Bundesverkehrsministerium
vorausgegangen ist. Diese Nutzenbewertung betrachtet
eine gesamtwirtschaftliche Rentabilität als gesichert. Im
Mitzeichnungsverfahren zum Bundesverkehrswegeplan
hat Ihr Haus diese gesamtwirtschaftliche Betrachtung implizit einbezogen. Ich frage Sie also, weshalb Herr Trittin
diese Betrachtung in seinem Brief an Herrn Stolpe nachträglich wieder in Zweifel zieht.
Nachdem Sie sie im Grunde genommen im Mitzeichnungsverfahren schon einmal konstatiert hatten!
Wichtig ist Folgendes: Sie wissen, dass der Ansatz für
den Bundeswasserstraßenbau im Bundesverkehrswegeplan 2003 mehr als fünffach überbucht ist. Wir haben ein
Gesamtinvestitionsvolumen von 5,1 Milliarden Euro auf
der einen Seite. Dem stehen auf der anderen Seite bis
2015 maximal 900 Millionen Euro vonseiten des Bundes
gegenüber.
Wir halten es für wichtig, dass sehr zeitnah eine
Rangfolge der zu realisierenden Projekte festgelegt wird.
Auf der einen Seite ist es unser Anliegen, mit dem verfügbaren Geld eine möglichst große Wirkung, was die
Verlagerung von der Straße auf die Wasserstraße betrifft,
zu erreichen. Auf der anderen Seite wollen wir die Anzahl der ökologischen Konflikte minimieren.
Mit einem Wirtschaftlichkeitsfaktor von 2,0 bis 2,3
liegt der Saale-Seitenkanal am unteren Rand der Bewertungsskala. Wir führen daher diese Diskussion sehr offensiv.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin Probst, in dem Brief, zu dessen
Inhalt Sie sich in Ihrer Antwort bekannt haben, werden
- zu meiner Überraschung - naturschutzfachliche Probleme, die als „nicht beherrschbar gelten“, erneut erwähnt. Mich hat dies insofern überrascht, als das Projekt
zur Schaffung dieses Seitenkanals aufgrund von naturschutzfachlichen Argumenten der Umweltschützer, wie
zum Beispiel Sicherung der Hartholzauenwälder, zustande gekommen ist. Welche naturschutzfachlichen Argumente machen Sie in diesem Zusammenhang geltend?
Sie wissen, dass im Bundesverkehrswegeplan ein entsprechender Prüfvermerk aufgenommen worden ist. Sie
stellen in Ihrer Frage eine Verbindung zu dem Schreiben
des Ministers Trittin her, in dem es um das Raumordnungsverfahren geht. Aus Sicht des Bundesumweltministeriums macht ein Raumordnungsverfahren nur dann
Sinn, wenn die offenen Fragen abgearbeitet worden sind.
Daher sind vorab tiefer gehende Prüfungen hinsichtlich
der Auswirkungen auf das Grundwasser und hinsichtlich
der FFH-Problematik notwendig. Ich denke, es ist sinnvoll, sich im Vorfeld diesen Fragen zu stellen, bevor man
Fakten schafft.
Ich schließe diesen Geschäftsbereich. Vielen Dank,
Frau Staatssekretärin, für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung.
Die Frage 3 des Kollegen Jens Spahn wird schriftlich
beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die Fragen beantwortet Herr Parlamentarischer Staatssekretär Ulrich
Kasparick.
Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Michael
Kretschmer auf:
Warum hat die Bundesregierung entschieden, das Fachgebiet „Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege“ aus dem Forschungsförderungsprogramm FH 3 - ehemals aFuE-Programm - herauszunehmen, und wie viele Mittel aus diesem
Programm sind in den Jahren 1992 bis 2003 jährlich in den
Bereich Soziales, Gesundheit und Pflege geflossen?
Lieber Kollege Kretschmer, dieses Forschungsförderungsprogramm, das von 1992 bis 2003 lief, wurde seit
2003 insbesondere inhaltlich neu ausgerichtet. Sie wissen, dass die Fachhochschulen in Ostdeutschland eine
größere Rolle spielen als in den alten Bundesländern.
Wir wollen eine stärkere Orientierung an innovativen
Themenfeldern, an der Entwicklung von neuen Produkten und an der Schaffung von Arbeitsplätzen. Deswegen
werden die Mittel für den Bereich, den Sie in Ihrer Frage
ansprechen, abgeschmolzen. Dies ist sinnvoll, weil ein
gemeinsames Gesundheitsforschungsprogramm von
BMBF und BMGS existiert, dessen Volumen wesentlich
größer ist als die Mittel, die bisher in diesem Bereich zur
Verfügung standen.
Wir haben zusätzlich im BMBF ein Förderprogramm
für sozialökologische Forschung eingerichtet. Die Fachhochschulen sind für beide Programme antragsberechtigt.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, vielen Dank für Ihre Antwort. Es gibt eine ganze Reihe von Fachprogrammen, für die
auch Fachhochschulen antragsberechtigt sind. Man hat
dieses Programm absichtlich in dieser Form aufgelegt,
weil man weiß, dass Fachhochschulen eine geringere
Manpower haben. Ich frage Sie deshalb, wie Sie zu der
Kritik der Fachhochschulkonferenz stehen, die deutlich
gemacht hat, dass Ihre Maßnahme einen Nachteil für die
Fachhochschulen darstellen wird.
Ich möchte eine weitere Frage anschließen. Es gab
eine Umfrage des Fraunhofer-Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung, ISI, im Auftrag des
BMBF. Es wurde gefragt, ob Auswirkungen auf die Nutzungsmöglichkeiten von „FH 3“ aufgrund der Forderung
nach verbindlicher Einbindung der Wirtschaft erwartet
werden. 50,7 Prozent der Befragten haben mit Ja geantwortet. - Ist Ihnen das bekannt? Wenn ja: In welcher
Weise hat das Ihre Entscheidung beeinflusst?
Wir müssen vorsichtig sein, damit Umfragen nicht die
Basis von politischen Entscheidungen werden. Für uns
ist maßgeblich, was Gremien entscheiden. Die Neuausrichtung dieses Programms ist mit der KMK verabredet
worden: Es ist klar verabredet worden, dass es einen
Überprüfungszeitpunkt geben wird, dass wir das Programm Schritt für Schritt auf die Themenbereiche umstellen, bei denen wir uns besonders viele Arbeitsplätze
versprechen. Insbesondere in Ostdeutschland ist es
zwingend, dass wir uns darauf fokussieren. Angesichts
der Tatsache, dass uns zwei vom Volumen her wesentlich größere zusätzliche Programme zur Verfügung stehen, ist es ganz gewiss, dass diese Entscheidung sachgerecht ist. Insbesondere diejenigen, die die Situation in
den Fachhochschulen in den neuen Ländern gut kennen,
werden diese Entscheidung gut mittragen können.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Ich möchte darauf hinweisen, dass das kein Programm für die neuen Bundesländer ist. Es hat nichts mit
den neuen Ländern zu tun. Ich möchte Sie bitten, uns zu
sagen, welche Disziplinen jetzt definitiv aus dem Programm herausfallen.
Es geht um den Bereich Soziales, Gesundheit und
Pflege, der in anderen Fachprogrammen des Bundesforschungsministeriums gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium bearbeitet werden kann. Alle
Fachhochschulen sind für beide Programme antragsberechtigt, das heißt, sie können diese Forschungen fortsetzen. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass das
Fördervolumen der Projekte aus diesem Bereich insgesamt nur 5,4 Prozent der Gesamtmittel ausmacht, die für
das FH-3-Programm zur Verfügung standen. Das rechtfertigt eine stärkere Ausrichtung dieses Programms auf
die Technologiefelder, die besonders innovativ und arbeitsplatzwirksam sind.
Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Michael
Kretschmer auf:
Wie viele Mittel standen in den Jahren 1992 bis 2003 jährlich für das gesamte Forschungsförderungsprogramm FH 3
- aFuE-Programm - zur Verfügung und wie sieht die jährliche
Finanzplanung für die kommenden Jahre über 2007 hinaus
aus?
Die Frage 5 bezieht sich auf denselben Sachverhalt
und verlangt Auskunft darüber, welche Mittelausstattung
das Programm hatte. In den Jahren 1992 bis 2003 standen insgesamt über 75 Millionen Euro zur Verfügung.
Die mittelfristige Finanzplanung, die wir vorbehaltlich
einer Bund/Länder-Entscheidung, die im Jahr 2006 getroffen wird, umsetzen wollen, geht davon aus, dass das
Auslaufen des Programms zum 31. Dezember 2008 eintreten kann. Ich weise aber ausdrücklich noch einmal
darauf hin, dass dies nur vorbehaltlich einer Bund/Länder-Entscheidung im Jahr 2006 geschehen kann. Ich
schlage Ihnen vor, dass ich Ihnen die Aufteilung der
Budgets auf die einzelnen Jahre in der schriftlichen Antwort zukommen lasse, damit ich Ihnen jetzt nicht die Tabelle vorlesen muss.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade noch einmal erwähnt, dass der Anteil des Bereichs, der jetzt aus der
Förderung herausfällt, nur 5,4 Prozent der Gesamtmittel
ausmachte. Man muss sich deshalb natürlich fragen, ob
die Streichung tatsächlich zu begründen ist. Wenn es so
ein geringer Teil ist, hätte man das doch durchaus beibehalten können.
Sie wissen, dass wir angesichts von Mittelknappheiten thematisch fokussieren müssen. Das ist in allen Politikbereichen sinnvoll und wichtig. Die Situation stellte
sich so dar, dass im Rahmen des alten aFuE-Programms,
über das wir jetzt hier sprechen, in den Jahren 1992 bis
2003 insgesamt 5 785 Anträge gestellt worden sind. Von
diesen 5 785 Anträgen kamen nur 312 aus dem Bereich
Soziales, Gesundheit und Pflege. Das ist ein Anteil von
5,4 Prozent. Wenn wir das Programm an den Fachhochschulen stärker am Technikbezug und am Arbeitsplatzbezug orientieren und gleichzeitig finanziell besser ausgestattete Bundesförderprogramme an die Seite stellen,
dann ist diese Neuorientierung durchaus vertretbar.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, meine letzte Zwischenfrage bezieht sich darauf, wie viel Prozent in diesen Verbundprojekten von den Unternehmen gezahlt werden müssen.
Ich denke, der Eigenanteil beträgt 20 Prozent. Wir wissen, dass Sie nicht viel von den Umfragen, die Sie selbst
in Auftrag geben, halten; denn bei einer solchen Umfrage wurde von einer großen Mehrheit gesagt, dass
diese Tatsache das Programm beeinträchtige. Wie werten Sie die Meinungsäußerungen der Rektoren und Korektoren der Fachhochschulen für Forschung? Sie sagen
ganz deutlich, dadurch werde das Ziel dieses Programms
verfehlt und behindert, weil gerade die kleineren Unternehmen nicht in der Lage sein könnten, diesen Anteil zu
erbringen.
Das Problem, das Sie ansprechen, ist von größerer Dimension und nicht nur auf das Fachprogramm, über das
wir hier sprechen, zu beziehen. Die Kapitalschwäche
kleiner und mittelständischer Unternehmen insbesondere
in den neuen, aber auch in den alten Bundesländern ist
ein Grundproblem unserer Volkswirtschaft.
Wichtig ist: Wir müssen bei den Betrieben zu höheren
Eigenkapitalanteilen kommen. Der Staat kann nur
additiv finanzieren. Insbesondere ist es wichtig, neue
Finanzierungsmodelle zu entwickeln. Wir sind zurzeit,
zusammen mit den Kollegen aus dem Bundeswirtschaftsministerium, die etwas von regionaler Wirtschaftsförderung verstehen, sehr um neue Finanzierungsmodelle bemüht. Die Grundidee ist der
Zusammenschluss von kleinen und mittelständischen
Unternehmen zu Gemeinschaften. Auch das erleichtert
den Zugang zu privatem Kapital. Da müssen wir in Ostdeutschland besser werden. Es gibt erste Ansätze dafür.
Ich bin ganz zuversichtlich, dass das, wenn wir verstärkt
in die direkte Beratung mit den Fachhochschulen eintreten, ein gangbarer Weg auch für kapitalschwache Unternehmen in den neuen Ländern ist.
Ich rufe die Frage 6 der Kollegin Petra Pau auf:
Treffen Medienmeldungen zu, nach denen die Ämter für
die Gewährung von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz Angaben in den Anträgen von Schülern und Studenten mit Daten, die beim Bundesamt für Finanzen gespeichert sind, abgleichen - APD vom 21. November
2004 -, und, wenn ja, auf welcher gesetzlichen Grundlage geschieht dies?
Frau Kollegin Pau, diese Medienmitteilungen treffen
zu. Nach § 45 d des Einkommensteuergesetzes in Verbindung mit den §§ 67 a und 69 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch konnten und können Sozialleistungsträger einen automatisierten Datenabgleich mit dem Bundesamt
für Finanzen durchführen. Der Sachverhalt ist also
nichts Neues.
Die datenschutzrechtliche Zulässigkeit dieses Abgleichs ist durch das 21. Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vom 7. Dezember
dieses Jahres zur Klarstellung jetzt zusätzlich in § 41
Abs. 4 BAföG geregelt. Die Ämter für Ausbildungsförderung können auf diesem Weg erfahren, ob und in welcher Höhe einem BAföG-Empfänger Zinserträge zugeflossen sind.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herzlichen Dank. - Herr Staatssekretär, wie Sie wissen, tritt das BAföG-Änderungsgesetz erst zum 1. Januar
2005 in Kraft. Insofern würde ich gern erfahren, wie
viele Schülerinnen und Schüler sowie Studentinnen und
Studenten von diesem so genannten Vorgriff betroffen
waren und ob diejenigen, die keines Leistungsmissbrauchs verdächtigt oder überführt wurden, erfahren haben, dass sie überprüft wurden.
Ich mache Sie noch einmal darauf aufmerksam, dass
die Möglichkeit des Datenabgleichs bisher immer bestanden hat. Es handelt sich hierbei um keinen neuen
Sachverhalt. Wir haben die Situation, dass im Jahr 2003
aufgrund des Datenabgleichs von etwa 40 525 BAföGEmpfängern die Ausbildungsförderung zurückgefordert
wurde.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Meine Frage bezog sich nicht auf die Rückforderungen. Ich wollte vielmehr wissen, wie viele Menschen
von dieser Überprüfung betroffen waren - die anderen
Meldungen habe ich der Zeitung entnommen - und ob
diejenigen, welche keiner Straftat verdächtigt oder überführt wurden, erfahren haben, dass ihre Daten überprüft
wurden.
Die Gesetze des Deutschen Bundestages sind jedem
Bürger zugänglich. Ich gehe davon aus, dass sich jemand, der Leistungen des Bundes in Anspruch nimmt,
darüber informiert, zu welchen Konditionen er das tut.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Lötzsch.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
ich möchte dazu nachfragen: Können wir also davon
ausgehen, dass eine eigentlich verbotene Jedermannkontrolle durchgeführt wird?
Es geht nicht um eine verbotene Jedermannkontrolle,
sondern um den Sachverhalt, dass der Datenabgleich
zwischen den Ämtern schon immer zulässig war. Wir haben das im Dezember dieses Jahres in der letzten BAföG-Novelle noch einmal ganz eindeutig klargestellt.
Ich beende den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Vielen Dank, Herr
Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Die Fragen wird Herr Staatsminister Hans
Martin Bury beantworten.
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Erwin Marschewski
auf:
Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass
das kürzlich vom polnischen Sejm beschlossene Minderheitengesetz nicht dem auch von Warschau unterzeichneten Rahmenschutzabkommen über Minderheiten des Europarates genügt, und inwieweit erkennt die Bundesregierung an, dass das
Minderheitengesetz in der vom Sejm beschlossenen Fassung
auch gegen Geist und Inhalt des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute
Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit von
1991, zum Beispiel im Hinblick auf die Verwendung von
Deutsch als „Hilfssprache“ im Behördenverkehr - Art. 21 -,
verstößt?
Herr Kollege Marschewski, die Bundesregierung begrüßt die Tatsache, dass in Polen ein Minderheitengesetz
verabschiedet werden soll. Mit In-Kraft-Treten des Gesetzes würde es in Polen erstmals einen allgemeinen gesetzlichen Rahmen zum Schutz nationaler und ethnischer Minderheiten geben, der bisher in zahlreichen
Einzelgesetzen und Verordnungen festgeschrieben war.
Die vom polnischen Sejm am 4. November 2004 verabschiedete Fassung befindet sich weiterhin in der parlamentarischen Beratung. Am 6. Dezember hat der Senat
den vorliegenden Gesetzentwurf zur erneuten Befassung
an den Sejm zurücküberwiesen und Änderungen vorgeschlagen, die wichtige Anliegen auch der deutschen
Minderheit, unter anderem die von Ihnen angesprochenen Bestimmungen zur Hilfssprache, berücksichtigen.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, dass nach
Art. 21 Abs. 2 des Nachbarschaftsvertrages zwischen
Deutschland und Polen der Gebrauch der deutschen
Sprache bei Behörden zu gewährleisten ist? So steht es
in diesem Vertrag. Etwas Ähnliches steht übrigens in
Art. 10 des Rahmenschutzabkommens über nationale
Minderheiten des Europarates. Hat die Bundesregierung
in der Vergangenheit etwas unternommen, um darauf
hinzuwirken, dass der Vertrag erfüllt wird? Und, wenn
sie - was ich leider vermute - nichts getan hat: Wird sie
in Zukunft etwas unternehmen, um die Realisierung dieser Bestimmung zu gewährleisten?
Herr Kollege Marschewski, Sie haben das Rahmenschutzabkommen über Minderheiten angesprochen, das
Polen am 20. Dezember 2000 ratifiziert hat und das für
Polen am 1. April 2001 in Kraft getreten ist. In einer
Stellungnahme vom 27. November 2003 und zuletzt in
einer Resolution des Ministerkomitees vom 30. September 2004 wurde Polen im Hinblick auf die Einhaltung
seiner Verpflichtungen aus dem Rahmenschutzabkommen gerügt. Es wurde unter anderem gerade eine gesetzliche Grundlage in Bezug auf den Gebrauch der Minderheitensprache im Behördenverkehr sowie in Bezug auf
Ortsbezeichnungen oder andere topographische Bezeichnungen angemahnt.
Ihre weitere Zusatzfrage.
Gibt es schon eine Reaktion der Kammern des polnischen Parlamentes oder von wem auch immer dahin gehend, dass das, was in Art. 21 Abs. 2 steht, auch wirklich
realisiert wird?
Herr Kollege Marschewski, wie eben dargestellt, läuft
das Gesetzgebungsverfahren noch. Der Senat hat Änderungen an dem Gesetzentwurf des Sejm beschlossen,
und zwar in zwei Punkten, die gerade für die deutsche
Minderheit von besonderem Interesse sind.
Ich rufe die Frage 8 des Kollegen Marschewski
({0}) auf:
Inwieweit ist die Bundesregierung bereit, mit der polnischen Seite darüber zu sprechen, dass das vom polnischen
Sejm beschlossene Minderheitengesetz deutlich hinter dem
Gesetzentwurf vom 17. März 2004 zurückbleibt, und ist die
Bundesregierung ferner bereit, mit der polnischen Seite über
Verbesserungen zum Wohle der deutschen Minderheit in Polen zu verhandeln?
Herr Kollege, die deutsche Minderheit in Polen ist im
Sejm vertreten und vertritt ihre Interessen unmittelbar.
Beide Vertreter der deutschen Minderheit im Sejm haben
im Übrigen dem Gesetzentwurf zugestimmt, den der
Sejm am 4. November 2004 verabschiedet hat. Die Bundesregierung beobachtet die Diskussion um ein polnisches Minderheitengesetz mit großem Interesse und
verfolgt die Entwicklung der polnischen Minderheitengesetzgebung im Hinblick auf die Anliegen der deutschen Minderheit in Polen, mit der sie seit vielen Jahren
in einem engen und vertrauensvollen Dialog steht, aufmerksam.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Herr Staatsminister, das mit dem „vertrauensvollen
Dialog“ will ich nicht kommentieren. Sie wissen, dass es
da viele Probleme gibt, und ich wünsche mir, dass, wenn
ein Vertreter der Bundesregierung nach Ostpreußen oder
Schlesien, heute Polen, fährt, er auch mit der deutschen
Minderheit Kontakt aufnimmt. Aber das ist eine andere
Frage.
Mir geht es jetzt insbesondere um die zweisprachigen
Ortsschilder. Ihnen ist doch bekannt, dass in Art. 11 des
Rahmenschutzabkommens zwar die Zustimmung einer
beträchtlichen Zahl von Angehörigen einer nationalen
Minderheit als Voraussetzung für die Gewährung von
solchen Ortsschildern vorgeschrieben ist, dass es aber sicherlich ziemlich ungewöhnlich ist, wenn in Polen
- sprich: früher Ostpreußen - 50 Prozent - das wäre
dann ja schon die Mehrheit - verlangt werden. Ich hatte
gestern ein Gespräch mit dem rumänischen Botschafter.
Da werden 20 Prozent verlangt; das kann man sicherlich
akzeptieren. Was werden Sie tun, um dieses menschenrechtswidrige Gesetz in diesem Punkt zu verändern?
50 Prozent der Bevölkerung müssen zustimmen, damit
Ortsschilder auch in deutscher Sprache erscheinen können.
Herr Kollege Marschewski, wie ich schon in den Antworten auf Ihre vorangegangenen Fragen betont habe,
sprechen wir über ein laufendes Gesetzgebungsverfahren. Im Sejm ist in der Tat eine Anhebung des Quorums
in Bezug auf die Verwendung von Ortsnamen in der jeweiligen Minderheitensprache von 8 auf 50 Prozent in
das Gesetz geschrieben worden; das haben Sie in Ihrer
Frage kritisch thematisiert.
Ich habe Ihnen aber bereits gesagt, dass der Senat in
zwei wesentlichen Punkten Änderungen beschlossen
hat. Das ist zum einen, dass in allen Gemeinden, in denen der Anteil der Minderheitenbevölkerung an der Gesamtbevölkerung mindestens 20 Prozent beträgt, von
den Gemeindeorganen neben der Amtssprache die Sprache der Minderheit als Hilfssprache benutzt werden
kann. Das haben Sie soeben als akzeptabel bezeichnet.
Zum anderen kann eine zweisprachige Bezeichnung
der Orts- und Straßennamen dann erfolgen, wenn in der
betreffenden Gemeinde mehr als 20 Prozent der Bevölkerung der Minderheit angehören oder wenn sich mehr
als die Hälfte der Bewohner einer Ortschaft dafür ausspricht.
Diese Änderungen hat der Senat beschlossen. Der Gesetzentwurf liegt jetzt wieder beim Sejm. Es bleibt abzuwarten, wie sich der Sejm zu diesen Änderungsbeschlüssen des Senats verhält.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung der Meinung, dass es sinnvoll
wäre, nicht nur zu warten - das tun Sie ohnehin oft, meines Erachtens zu oft -, sondern auch mit unseren polnischen Freunden ganz im Sinne des Nachbarschaftsvertrages zu sprechen, damit diese 20-Prozent-Regelung,
die in Ordnung wäre, Realität wird?
Kollege Marschewski, wir reden intensiv, kontinuierlich und vertrauensvoll mit unseren polnischen Freunden. Ich hatte Sie im Übrigen darauf hingewiesen, dass
die deutsche Minderheit selbst im Sejm vertreten ist und
ihre Interessen dort unmittelbar wahrnimmt. Insofern
glaube ich, dass die Sache in guten Händen ist.
Die Fragen 9 und 10 des Kollegen Albert Rupprecht
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe Frage 11 des Kollegen Dr. Andreas
Schockenhoff auf:
Hat die Bundesregierung Anstrengungen unternommen,
um auf europäischer Ebene Zustimmung und Teilnehmer für
eine Mission im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und
Verteidigungspolitik, ESVP, zur Unterstützung der Überwachungsmission AMIS der Afrikanischen Union, AU, in Darfur/Sudan zu gewinnen, und, wenn ja, welche?
Herr Kollege Schockenhoff, im Rahmen der Operation AMIS überwacht die Afrikanische Union das Waffenstillstandsabkommen vom April 2004 in Darfur mit
militärischen Beobachtern. Die EU hat beschlossen,
diese Operation der Afrikanischen Union zu unterstützen. Ziel ist es, zum Erfolg der Mission der Afrikanischen Union beizutragen, ohne die Bemühungen der
AU, die zurzeit analog zur EU eine Strategie kooperativer kollektiver Sicherheit entwickelt, zu dominieren.
Dazu bedarf es einer europäisch-afrikanischen Kooperation, allerdings keiner ESVP-Mission.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Der Hohe Beauftragte für die Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik hat eine solche ESVP-Mission angeregt. Hat die Bundesregierung davon Kenntnis?
Herr Kollege Schockenhoff, nach meiner Kenntnis ist
die Durchführung einer militärischen ESVP-Operation
in Darfur aus den soeben genannten Gründen nicht in
den zuständigen Gremien in Brüssel diskutiert worden.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, Kollege Hoyer hat auf den Vorgang hingewiesen, dass es zwischen dem Staatsminister
des Sudan und dem deutschen Botschafter in Khartoum
zu einem heftigen Wortwechsel gekommen ist. Die Bundesregierung hat gesagt, der Botschafter sei nicht einbestellt worden, sondern er habe dieses Gespräch auf eigenes Ersuchen geführt. War dieses Ersuchen mit den
Kollegen aus anderen EU-Staaten abgestimmt und hätte
es hier die Möglichkeit gegeben, als EU tätig zu werden?
Kollege Schockenhoff, auch ich verfüge über die Information, dass der Botschafter nicht einbestellt worden
ist. Aber zu den näheren Umständen des Gesprächs und
einer möglichen Abstimmung mit anderen Partnern kann
ich Ihnen keine Auskunft geben.
Herr Kollege Fischer, Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, dass die derzeitige Beobachtermission von der Regierung in Khartoum nicht unterstützt wird, was sich zum Beispiel darin
zeigt, dass für die Helikopter der Monitoren kein Treibstoff zur Verfügung gestellt wird? Glauben Sie, dass Sie
das mithilfe von AMIS ändern können?
Dass wir was durch AMIS ändern können?
Ich meine Folgendes: Können Sie dadurch die derzeitige Situation ändern, die darin besteht, dass zum Beispiel die von der Afrikanischen Union eingesetzten Monitoren, die sich dort seit etwa einem halben Jahr
befinden, von der Regierung in Khartoum kaum bzw.
zeitweise überhaupt nicht mit Treibstoff versorgt werden, sodass keine Überwachung durchgeführt und der
Auftrag der Monitoren nicht erfüllt werden kann?
Unser Ziel, Herr Kollege Fischer, ist die Unterstützung dieser Überwachungsmission, um sie effektiv zu
gestalten.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Weiß.
Herr Staatsminister, welche Konsequenzen ergeben
sich aus der Sicht der Bundesregierung für die deutschen
Peter Weiß ({0})
Streitkräfte, die zur Unterstützung der AMIS-Mission
entsandt worden sind, aus der Aussage der sudanesischen Regierung, es bestünden keine Einwände gegen
die deutsche Hilfe für den Lufttransport nach Darfur, solange die deutschen Truppen keine Basis im Sudan errichten und am Ort bleiben?
Worin besteht Ihre Frage?
Welche praktischen Konsequenzen ergeben sich aus
der Sicht der Bundesregierung für den Einsatz deutscher
Soldaten im Rahmen der AMIS-Mission angesichts der
Tatsache, dass die sudanesische Regierung erklärt hat,
man habe gegen einen deutschen Einsatz keine Bedenken, solange im Land selbst keine entsprechende Basis
errichtet werde?
Derzeit besteht der deutsche Beitrag in der Zurverfügungstellung von Kapazitäten für den Lufttransport
gambischer Soldaten. Insofern sehe ich keinen Zusammenhang zu der Äußerung, die Sie zitiert haben.
Ich rufe die Frage 12 des Kollegen Hartwig Fischer
auf:
Hat der Bundeskanzler Gerhard Schröder auf seiner Reise
nach China die Haltung der chinesischen Regierung im UNSicherheitsrat zum Thema Sudan angesprochen und, falls ja,
zu welchen Ergebnissen kommt die Bundesregierung nach
diesen Gesprächen?
Herr Kollege Fischer, das Thema war nicht Gegenstand dieser Gespräche. Die Bundesregierung setzt sich
jedoch sowohl bilateral als auch im VN- und EU-Rahmen intensiv für eine Lösung des Darfurkonflikts ein.
Sowohl der VN-Sicherheitsrat als auch der Rat für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen der EU
haben der sudanesischen Regierung - auch auf Initiative
der Bundesregierung - wiederholt Sanktionen angedroht.
Die Bundesregierung hat sich immer wieder gezielt dafür
eingesetzt, dass der Druck auf alle Konfliktparteien aufrechterhalten bzw. erhöht wird. Auch die Rebellen in
Darfur tragen für die Verschlechterung der Sicherheitslage in den letzten Wochen eine erhebliche Mitverantwortung. Die Bundesregierung wird fortfahren, im EUund VN-Rahmen für ihre Linie Überzeugungsarbeit zu
leisten.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Herr Staatsminister, die Delegation des Bundestages
hat erlebt, dass dort täglich Tausende von Kindern und
Frauen sterben. Halten Sie es vor diesem Hintergrund
für gerechtfertigt, dass der Kanzler bei einer solchen
Reise, auf der er die Chance hat, direkt mit dem chinesischen Staatsoberhaupt zu sprechen, dieses Thema nicht
zur Sprache bringt? Das Sterben wird auch in den nächsten Wochen und Monaten weitergehen. Außerdem ist
uns berichtet worden, dass sich die Mitarbeiter des
World-Food-Programms vor 14 Tagen wegen der Sicherheitslage aus Teilen Darfurs zurückziehen mussten.
Herr Kollege Fischer, ich denke, wir sollten nicht den
Eindruck erwecken, als ob ausgerechnet die Bundesregierung sich hier nicht mit Nachdruck engagieren würde.
Es war die Bundesregierung, die den Darfurkonflikt am
zweiten Tag ihrer Sicherheitsratspräsidentschaft im
April auf die Tagesordnung des Sicherheitsrates gesetzt
hat. Seitdem haben wir immer wieder im Rahmen der
Vereinten Nationen und im Rahmen der Europäischen
Union darauf gedrängt, den Druck zu erhöhen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Können Sie mir trotzdem erklären, warum das in einem bilateralen Gespräch nicht angesprochen wird?
Kollege Fischer, wie gesagt, wir thematisieren dieses
Problem im Rahmen der Vereinten Nationen, wo es vorangebracht werden kann, und im Rahmen der EU. Man
sollte jetzt nicht aus der Nichtthematisierung in einzelnen Gesprächen den unzulässigen Schluss ziehen, dass
das Thema von der Bundesregierung nicht mit dem nötigen Nachdruck verfolgt würde.
Herr Kollege Weiß, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, welche Aktivitäten wird die Bundesregierung entfalten, um im Vorfeld der Sitzungen der
UN-Menschenrechtskommission vom 14. März bis
22. April kommenden Jahres in Genf darauf hinzuwirken, dass es dort zur Verabschiedung einer Resolution
zur Lage im Sudan kommt?
Herr Kollege Weiß, es gibt eine ganze Reihe von
Schritten. Das beginnt mit unserer Mitwirkung an den
Sicherheitsratsresolutionen 1556, 1564 und 1574, in denen es darum ging, den Druck auf den Sudan aufrechtzuerhalten bzw. zu erhöhen. Auf Initiative des Bundesaußenministers ist vom Sicherheitsrat die Einsetzung einer
internationalen Kommission beschlossen worden, die
untersuchen soll, ob in Darfur ein Völkermord geschieht
oder geschah, und die Verantwortlichen benennen soll.
Die Bundesregierung betrachtet den von der Kommission zu erstellenden Bericht, dessen Veröffentlichung
zum Jahresende bevorsteht, als wichtige Grundlage für
mögliche weitere Schritte. Der in Darfur immer noch
herrschende Zustand der Straflosigkeit muss beendet
werden. Des Weiteren setzt sich die Bundesregierung für
eine Ausweitung des bestehenden VN-Waffenembargos
auf die sudanesische Regierung sowie, auf EU-Ebene,
für die Verhängung von Einreiseverboten und für das
Einfrieren von Guthaben von Verantwortlichen ein.
Ich rufe die Frage 13 des Kollegen Hartwig Fischer
auf:
Rechnet die Bundesregierung damit, dass das Bundeswehrunterstützungsmandat im Sudan nach dem Ablauf von
sechs Monaten verlängert wird, und will sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass das Mandat nach dem Ablauf in
eine ESVP-Mission umgewandelt wird?
Herr Kollege Fischer, eine definitive Aussage über
eine Verlängerung des Bundeswehrunterstützungsmandats ist derzeit nicht möglich. Für diese Frage wird der
weitere Verlauf des Darfurkonflikts entscheidend sein.
Es bleibt aber festzuhalten, dass die Afrikanische Union
den Darfurkonflikt als einen Testfall für eigene Konfliktlösungsfähigkeiten ansieht und dass die Bundesregierung diesen Ansatz einer African Ownership nachdrücklich unterstützt. Deutschland unterstützt die AUOperation mit dem Ziel, die Eigenverantwortlichkeit der
Afrikanischen Union zu stärken.
Die mit der AU abgestimmte Unterstützung von
AMIS unterhalb der Schwelle einer eigenständigen
ESVP-Operation wird diesen Überlegungen derzeit am
ehesten gerecht. Die militärischen Beiträge der einzelnen EU-Mitgliedstaaten zur Unterstützung werden über
den EU-Militärstab in Brüssel koordiniert.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Haben Sie Erkenntnisse darüber, ob sich die Regierung in Khartoum nach dem Beschluss des Bundestages
zu AMIS kooperationsbereiter zeigt und ob sie jetzt bereit ist, die Vereinbarungen einzuhalten, die sie zwar in
den Gesprächen mit Colin Powell und Kofi Annan getroffen, aber sämtlich gebrochen hat?
Kollege Fischer, ich habe in den vorangegangenen
Antworten bereits deutlich gemacht, dass es angesichts
des Verhaltens der Konfliktparteien weiterhin darauf ankommen wird, den Druck nicht nur aufrechtzuerhalten,
sondern weiter zu erhöhen, um Fortschritte zu erzielen.
Ich hatte speziell nach der Regierung in Khartoum gefragt.
Herr Kollege Fischer, die Verantwortung für die Lösung liegt bei allen Konfliktparteien, also selbstverständlich auch bei der Regierung.
Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Markus Löning
auf:
Liegt inzwischen ein weiterentwickelter verbindlicher EUVerhaltenskodex vor dem Hintergrund vor, dass der Deutsche
Bundestag am 28. Oktober 2004 den von den Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Antrag „EU-Waffenembargo gegenüber der Volksrepublik
China“ auf Bundestagsdrucksache 15/4035 beschlossen hat,
in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, „bis zum Vorliegen einer anderen verbindlichen Regelung der EU - etwa in
Form eines weiterentwickelten verbindlichen EU-Verhaltenskodex - an dem EU-Waffenembargo mit der Volksrepublik
China festzuhalten“?
Herr Kollege Löning, die Diskussion in der EU zur
Stärkung des Verhaltenskodex ist weit fortgeschritten,
aber noch nicht finalisiert.
({0})
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Herr Staatsminister, mich würde sehr interessieren,
wie weit fortgeschritten sie ist, wie sich die einzelnen
Partner verhalten und wie genau der Stand der Verhandlungen ist.
Sehr gern. Herr Kollege Löning, in der zuständigen
Arbeitsgruppe des Rates hat man sich bereits weitgehend
auf die Stärkung des Verhaltenskodex für Waffenexporte
geeinigt. Nach der Einigung auf Arbeitsebene müssen
das Politische und Sicherheitspolitische Komitee sowie
der Rat für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen abschließend damit befasst werden.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage.
„Weit fortgeschritten“ heißt ja nicht, dass die Verhandlungen abgeschlossen sind. Herr Staatsminister, ich
frage Sie, wie die Bundesregierung dazu steht, dass der
Bundestag einen eindeutigen Beschluss gefasst hat und
der Bundeskanzler trotzdem erklärt, er werde sich für die
Aufhebung des Waffenembargos einsetzen.
Herr Kollege Löning, ich habe deutlich gemacht, dass
diese Verhandlungen sehr weit fortgeschritten sind, sodass damit zu rechnen ist, dass in naher Zukunft ein erfolgreicher Abschluss möglich ist. Im Einklang mit dem,
was die Europäische Union beim EU-China-Gipfel
jüngst erklärt hat, hat sich der Bundeskanzler für die
Fortsetzung der Arbeit im Hinblick auf die Aufhebung
des Waffenembargos eingesetzt. In diesem Zusammenhang wird der weiterentwickelte Verhaltenskodex selbstverständlich eine wichtige Rolle spielen.
Ich rufe die Frage 15 des Kollegen Markus Löning
auf:
Gibt es in der Volksrepublik China die vom Deutschen
Bundestag in seinem Beschluss vom 28. Oktober 2004 zu
dem von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen eingebrachten Antrag „EU-Waffenembargo gegenüber der Volksrepublik China“ auf Bundestagsdrucksache
15/4035 verlangten Fortschritte bei „der raschen Ratifizierung
und Umsetzung des VN-Paktes über politische und bürgerliche Rechte, der weiteren Umsetzung der jüngsten Verfassungsänderungen im Bereich der Menschenrechte und des
Privateigentums“ sowie „einer Stärkung substanzieller Autonomierechte für ethnische Minderheiten“ vor dem Hintergrund, dass der Deutsche Bundestag die Bundesregierung in
dem Beschluss vom 28. Oktober 2004 auffordert, eine Aufhebung des EU-Waffenembargos bei diesen Fortschritten in Betracht zu ziehen?
Herr Kollege Löning, das EU-Waffenembargo gegen
die Volksrepublik China wurde 1989 in einem spezifisch
historischen Kontext verhängt. In den letzten 15 Jahren
hat sich China jedoch politisch, wirtschaftlich und sozial
weiterentwickelt. Der Freiraum für das Individuum hat
sich vergrößert, die chinesische Wirtschaft hat sich dem
Weltmarkt geöffnet und mit dem WTO-Beitritt wurden
einschlägige Standards übernommen.
Es gibt in China allerdings weiterhin Besorgnis erregende Defizite bei der vollen Achtung der Menschenrechte. Der Bundeskanzler hat in seinen Gesprächen mit
der chinesischen Führung die Hoffnung geäußert, dass
die eingeleitete Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in
China voranschreitet. Deutschland leistet mit dem breit
angelegten Rechtsstaatsdialog einen konstruktiven Beitrag zu diesem Prozess und ist auch daran interessiert,
die Zivilgesellschaft stärker in den Dialog zwischen beiden Ländern einzubeziehen. Derzeit gibt es Überlegungen darüber, in welcher Dialogform dies geschehen
kann.
Der Bundeskanzler hat gegenüber seinen chinesischen Gesprächspartnern auch deutlich gemacht, dass
die Bundesregierung die baldige Ratifizierung des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte
begrüßen würde.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Herr Staatsminister, der Deutsche Bundestag hatte in
seinem Beschluss eine eventuelle Aufhebung des Waffenembargos von einem positiven Abschluss und nicht von
Gesprächen abhängig gemacht. Sie haben über die Umsetzung des VN-Paktes geredet, daher frage ich Sie noch
einmal explizit: Wo sieht die Bundesregierung seit dem
Beschluss des Bundestages Fortschritte im Bereich der
Menschenrechte, in Bezug auf das Privateigentum oder
auch bei einer substanziellen Stärkung der Autonomierechte der Minderheiten in China?
Kollege Löning, ich hatte Ihnen eben umfassend dargestellt, dass wir über den Zeitraum der letzten 15 Jahre
in einem großen Bereich eine insgesamt positive Entwicklung feststellen. Dass es dennoch bis heute gravierende Defizite gibt, ist nicht zu bestreiten. Allerdings ist
im Zusammenhang mit der Arbeit der Europäischen
Union an der Aufhebung des Waffenembargos immer
deutlich gemacht worden, dass dabei nicht zuletzt der
von Ihnen in der Eingangsfrage angesprochene Verhaltenskodex, der weiterentwickelt werden soll, eine wichtige Rolle spielt. Dieser umfasst Kriterien wie die Achtung der Menschenrechte, die interne Lage, das
Verhältnis zu Nachbarn und noch weitere Punkte.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Löning.
Ich möchte doch noch einmal nachfragen, Herr
Staatsminister. Sie sagen selbst, es gibt weiterhin gravierende Defizite bei der Einhaltung der Menschenrechte.
Ich frage Sie: Warum fühlen sich die Bundesregierung
oder der Bundeskanzler offensichtlich unter Druck, das
Thema Aufhebung des Waffenembargos überhaupt zur
Sprache zu bringen, solange es die auch aus Ihrer Sicht
gravierenden Defizite gibt?
Herr Kollege Löning, weder die Bundesregierung
noch der Bundeskanzler fühlen sich unter Druck. Die
Bundesregierung ist wie alle Regierungen der Europäischen Union entschlossen, weiterhin für eine Aufhebung
des Waffenembargos zu arbeiten. Der Rat wird hierüber
auf der Grundlage von Fortschritten in den anderen Bereichen der Beziehungen zwischen der EU und China
entscheiden. Ziel einer solchen Entscheidung wäre im
Übrigen nicht eine Steigerung von Waffenexporten der
EU-Mitgliedstaaten nach China. Ich glaube aber, die
Aufhebung des Embargos wäre ein wichtiges Signal der
Anerkennung der Fortschritte Chinas und der Unterstützung eines positiven Trends.
Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Burgbacher auf:
Wird die Bundesregierung sich vor dem Hintergrund
- vergleiche „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom
9. Dezember 2004, Seite 6 -, dass der niederländische EURatsvorsitzende, Jan Peter Balkenende, in der vergangenen
Woche die im Kommuniqué zum EU-China-Gipfeltreffen
ausgesprochene Bereitschaft der EU, „weiterhin für eine Aufhebung des Waffenembargos“ - gegenüber der Volksrepublik
China - „zu arbeiten“, eingeschränkt und erklärt hat, es gebe
„keine Garantie“ dafür, dass dies in nächster Zeit geschehen
werde, trotzdem weiter dafür einsetzen, dass das Embargo
möglichst schnell aufgehoben wird?
Herr Kollege Burgbacher, die Bundesregierung begrüßt die Ergebnisse des EU-China-Gipfels vom
8. Dezember. Sie teilt mit ihren EU-Partnern den politischen Willen, weiterhin für eine Aufhebung des Waffenembargos zu arbeiten. Dieser politische Wille wurde am
Montag im Kreis der Außenminister nochmals nachdrücklich bestätigt. Der Rat wird über die Aufhebung
des Waffenembargos auf der Grundlage von Fortschritten in den anderen Bereichen der Beziehungen zwischen
der EU und China entscheiden.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Herr Staatsminister, habe ich Sie richtig verstanden,
dass dieses Thema nun doch auf die Tagesordnung des
Rates gesetzt werden soll?
Es ist richtig, dass die niederländische Präsidentschaft, Herr Kollege Burgbacher, einen Entwurf für die
Schlussfolgerungen des Europäischen Rates angefertigt
hat, der auch Passagen zum Thema Aufhebung des EUWaffenembargos enthält.
({0})
- Ja.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, können Sie mir bitte bestätigen,
dass dieses Thema für die Sitzung am Freitag bisher
nicht vorgesehen war und neu auf die Tagesordnung gesetzt wurde?
Herr Kollege Burgbacher, richtig ist, dass der Entwurf
von Schlussfolgerungen für Europäische Räte immer ein
Prozess ist, der sich über einen längeren Zeitraum erstreckt.
Der Entwurf der Schlussfolgerungen für den bevorstehenden Europäischen Rat würde - wie dies üblicherweise geschieht - bei der dem Europäischen Rat
vorhergehenden Sitzung des Allgemeinen Rates, die am
vergangenen Montag stattgefunden hat, beraten. Im Rahmen dieser Beratungen ist von der niederländischen Präsidentschaft ein Entwurf vorgelegt worden, der noch
nicht abschließend diskutiert und konsentiert ist, aber
durchaus breite Unterstützung erfahren hat.
Ich rufe die Frage 17 des Kollegen Burgbacher auf:
Wird die Bundesregierung die von Bundeskanzler Gerhard
Schröder auf seiner jüngsten Chinareise gegenüber Peking
wiederholte Zusage, sich für eine Aufhebung des EU-Waffenembargos einzusetzen, einhalten und das Thema beim Europäischen Rat am 16./17. Dezember 2004 ansprechen, obwohl
die niederländische Präsidentschaft das Waffenembargo bisher nicht auf die Tagesordnung des Rates gesetzt hat und der
Entwurf der Schlussfolgerungen dazu keine Aussagen enthält?
Herr Kollege Burgbacher, diese Frage habe ich Ihnen
eben beantwortet, nämlich dass die Präsidentschaft
inzwischen einen Entwurf für Schlussfolgerungen des
Europäischen Rates zur weiteren Arbeit mit dem Ziel der
Aufhebung des Waffenembargos vorgelegt hat. Das
Thema wird also vom Europäischen Rat beraten werden.
Ihre Zusatzfragen.
Herr Staatsminister, stimmen Sie mir zu, dass sich
bisher mehrere Länder, unter anderem die Niederlande
und Großbritannien - ich weiß, dass es noch andere Länder waren -, dagegen gewehrt haben? Wir haben in der
Frage 16 die niederländische Seite zitiert.
Die niederländische Präsidentschaft, Herr Kollege
Burgbacher, hat den Vorschlag, den ich eben erwähnt
habe, unterbreitet. Sie hat sich beim EU-China-Gipfel
eindeutig zu der gemeinsamen Arbeit mit dem Ziel der
Aufhebung des Waffenembargos bekannt.
Können Sie mir sagen, Herr Staatsminister, welche
Mittel die Bundesregierung eingesetzt hat, um die niederländische Präsidentschaft dazu zu bewegen? Schließlich hat sich diese noch vor kurzem ganz anders geäußert.
Herr Kollege Burgbacher, wie eben dargestellt, werden solche Schlussfolgerungen und Vorbereitungen des
Europäischen Rates im Kreise der Mitgliedstaaten diskutiert. Die Mittel, die die Mitgliedstaaten dort üblicherweise einsetzen, sind Argumente.
Ich rufe die Frage 18 der Kollegin Helga Daub auf:
Welche Waffensysteme könnten nach einer eventuellen
Aufhebung des EU-Waffenembargos aus Deutschland oder
den EU-Staaten konkret nach China exportiert werden?
Frau Kollegin Daub, im Falle einer Aufhebung des
Waffenembargos gegen China würde Deutschland eventuelle Ausfuhrgenehmigungsanträge für Rüstungsgüter
auf der Grundlage seiner politischen Grundsätze für
Rüstungsexporte prüfen. Eine Änderung der restriktiven
Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung ist nicht beabsichtigt. Auch für die anderen EU-Mitgliedstaaten ist
das Ziel einer Aufhebung des Embargos nicht die Steigerung von Rüstungsexporten.
({0})
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Herr Staatsminister, wie beurteilt die Bundesregierung Befürchtungen - sie kommen vor allen Dingen aus
den USA, aber auch von Experten für Sicherheitspolitik -, dass Lieferungen von sensiblen Waffensystemen und von sensibler Waffentechnologie dann wahrscheinlicher würden und diese das Gleichgewicht in
Asien beeinträchtigen und den Aufstieg Chinas zur militärischen Weltmacht beschleunigen könnten?
Frau Kollegin Daub, wie eben in meiner Antwort ausgeführt, ist das Ziel der EU-Mitgliedstaaten nicht eine
Steigerung von Rüstungsexporten. Es ist nicht nur so,
dass in Deutschland weiterhin die restriktive Rüstungsexportkontrollpolitik gilt; wir setzen uns vielmehr auf
europäischer Ebene für eine Weiterentwicklung und eine
Stärkung des Verhaltenskodexes ein, um solchen Befürchtungen, die Sie angesprochen haben, zu begegnen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Wie beurteilt die Bundesregierung Befürchtungen der
demokratischen Republik Taiwan, dass Taiwan durch
europäische Waffenlieferungen an China stärker bedroht
würde und die Spannungen in der Straße von Taiwan zunehmen könnten?
Frau Kollegin Daub, um es noch einmal klipp und
klar zu sagen: Das Ziel ist nicht, Waffen nach China zu
liefern und Spannungen zu verschärfen. Es gilt auch in
Zukunft das restriktive Rüstungsexportkontrollregime.
Das sieht, wie Sie wissen, Einschränkungen von Waffenlieferungen in Spannungsgebiete vor.
Ich rufe die Frage 19 der Kollegin Helga Daub auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass auch nach
einer eventuellen Aufhebung faktisch aufgrund nationaler
Exportbeschränkungen weder aus Deutschland noch aus anderen EU-Ländern mehr Waffen nach China geliefert werden
könnten und es eher um ein „Signal“ gegenüber der chinesischen Führung gehe, und, wenn ja, was will die Bundesregierung der chinesischen Führung mit einer Aufhebung des EUWaffenembargos signalisieren?
Frau Kollegin Daub, die EU und China haben eine
strategische Partnerschaft vereinbart. Die Bundesregierung teilt in diesem Zusammenhang die Auffassung von
Bundesminister a. D. Hans-Dietrich Genscher, dass sich
China in den letzten Jahren zu einem Faktor der globalen
Stabilität entwickelt hat und diese Rolle mit - ich zitiere - „Verantwortung und Augenmaß“ ausfüllt. Die Aufhebung des Waffenembargos wäre aus Sicht der Bundesregierung ein Signal der Anerkennung an China und der
Einladung zu einer breit angelegten internationalen Zusammenarbeit.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Teilt die Bundesregierung - Sie sprachen gerade von
Signalen - die Befürchtung, dass ein solches Signal für
Regimekritiker, verfolgte oder inhaftierte Oppositionelle, ethnische oder religiöse Minderheiten oder zum
Beispiel für die für kulturelle Autonomie kämpfenden
Tibetaner ein Schlag ins Gesicht wäre, deren Position
gegenüber China verschlechtern und diese Personengruppen entmutigen könnte?
Nein.
({0})
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Nein.
Dann rufe ich die Frage 20 des Kollegen Harald
Leibrecht auf:
Gibt es vor dem Hintergrund, dass der Deutsche Bundestag am 28. Oktober 2004 den von den Fraktionen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Antrag „EUWaffenembargo gegenüber der Volksrepublik China“ - Bundestagsdrucksache 15/4035 - beschlossen hat, in dem die
Bundesregierung aufgefordert wird, für eine eventuelle Aufhebung des Waffenembargos als entscheidungsrelevanten
Aspekt die „friedliche Streitbeilegung mit Taiwan“ in Betracht zu ziehen, Anzeichen dafür, dass die Spannungen an der
Taiwanstraße und vor allem die chinesischen Drohgebärden
inzwischen reduziert oder gar eingestellt wurden?
Herr Kollege Leibrecht, die Bundesregierung hat sowohl die Volksrepublik China als auch Taiwan wiederholt dazu aufgefordert, alle Schritte zu unterlassen, die
auf eine Verschärfung der Spannungen in der Straße von
Taiwan gerichtet sind. Die friedliche und einvernehmliche Regelung des Taiwankonflikts ist für die Bundesregierung von großer Bedeutung für die Aufrechterhaltung
der politischen Stabilität in Ostasien. Sie geht davon aus,
dass das jüngste Wahlergebnis bei den Parlamentswahlen in Taiwan dazu beitragen wird, die Lage zu entspannen.
Zusatzfragen, bitte.
Herr Staatsminister, da jedoch die Spannungen weiterhin bestehen und es in der Straße von Taiwan eine
explosive Situation zwischen China und Taiwan gibt,
verstehe ich nicht - das möchte ich von Ihnen beantwortet haben -, weshalb der Bundeskanzler trotzdem auf einer Aufhebung des EU-Waffenembargos besteht.
Kollege Leibrecht, ich habe diese Frage soeben Ihrer
Kollegin Daub, Ihrem Kollegen Löning und in Teilaspekten auch Ihrem Kollegen Burgbacher beantwortet.
Sie dürfen die Aufhebung des Waffenembargos als ein
Signal nicht mit einer Entscheidung für die Lieferung
von Waffen in dieses Gebiet verwechseln.
Ich habe bereits deutlich gemacht, dass die Bundesregierung nicht das Ziel hat, die Waffenexporte aus
Deutschland in die Volksrepublik China zu steigern, und
dass wir dieses Ziel auch auf europäischer Ebene nicht
verfolgen; vielmehr wollen wir auch auf europäischer
Ebene durch die Weiterentwicklung und Stärkung des
entsprechenden Verhaltenskodexes dazu beitragen, Kriterien wie die Einhaltung der Menschenrechte, die innere Lage und die Stabilität und Sicherheit von befreundeten und alliierten Staaten entsprechend zu
berücksichtigen.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege.
Die Aufhebung eines Waffenembargos könnte aber zu
dem Resultat führen, dass europäische und vielleicht
auch deutsche Waffen nach China exportiert werden.
Sind Sie der Meinung, dass zum Beispiel europäische
Waffen zur Stabilisierung in der Region der Straße von
Taiwan beitragen würden?
Herr Kollege Leibrecht, Sie konstruieren eine Situation, zu der ich eben ausgeführt habe, dass sie weder das
Ziel noch die Folge deutscher Rüstungsexportkontrollpolitik ist. Insofern stellt sich die Frage in dieser Form
nicht. Das restriktive Rüstungsexportkontrollregime der
Bundesrepublik Deutschland gilt auch weiterhin. Insofern werden wir keine Waffen in Spannungsgebiete liefern.
Ich rufe die Frage 21 des Kollegen Leibrecht auf:
Fühlt die Bundesregierung sich an konkrete Beschlüsse
des Deutschen Bundestages zu außenpolitischen Fragen gebunden oder sieht sie diese als bloße, für die Bundesregierung
nicht verbindliche Meinungsäußerungen der gewählten Volksvertreter an?
Herr Kollege Leibrecht, auch der Bundestag fordert
von der Bundesregierung eine aktive Teilnahme an der
laufenden Überprüfung des Embargos und konzediert
eine Aufhebung bei Fortschritten in den genannten Bereichen. Im Übrigen hat der Bundeskanzler bei seinem
Besuch in China nicht nur seine Unterstützung für die
Aufhebung des EU-Waffenembargos gegen China bekundet, sondern in Anwesenheit von Kolleginnen und
Kollegen aller Fraktionen auch seinen Respekt für die in
der von Ihnen genannten Bundestagsentschließung - der
die FDP übrigens nicht zugestimmt hat - zum Ausdruck
kommenden Position betont.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Herr Staatsminister, geht von der Tatsache, dass der
Bundestagsbeschluss vom 28. Oktober 2004 auf einem
von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen formulierten Antrag beruht, eine besondere Bindungswirkung für die Bundesregierung aus, die ja von
diesen Fraktionen getragen wird?
Herr Kollege Leibrecht, selbstverständlich nimmt die
Bundesregierung Entschließungen, die der Deutsche
Bundestag mit Mehrheit verabschiedet, mit Respekt und
Interesse zur Kenntnis
({0})
und sie fließen in die Meinungsbildung der Bundesregierung ein. Aber jedes Verfassungsorgan hat selbstverständlich in eigener Verantwortung zu handeln.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatsminister Bury, hat Bundeskanzler
Schröder die Auffassung der Koalitionsfraktionen SPD
und Bündnis 90/Die Grünen in seine Meinungsbildung
bezüglich des Embargos einbezogen und diese gewürdigt und berücksichtigt?
Herr Kollege Leibrecht, die Auffassung des Bundeskanzlers ist nicht neu. Sie ist den Mitgliedern der Koalitionsfraktionen seit langem bekannt und war seinerzeit
bei der Beratung des Entschließungsantrags Gegenstand
der Diskussion. Der Bundeskanzler hat, wie ich soeben
ausgeführt habe, auch bei seinen Gesprächen in China
ausdrücklich und mit Respekt darauf hingewiesen, dass
es im Deutschen Bundestag - auch in den die Regierung
tragenden Fraktionen - andere Auffassungen zu diesem
Thema gibt.
Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Dr. Guido
Westerwelle auf:
Teilt der Bundesminister des Auswärtigen Joseph Fischer
die Auffassung des Bundeskanzlers Gerhard Schröder, dass
das EU-Waffenembargo gegenüber der Volksrepublik China
aufgehoben werden soll?
Herr Kollege Westerwelle, Bundeskanzler Schröder
und Bundesminister Fischer sind entschlossen, die Bemühungen um die Aufhebung des Waffenembargos im
EU-Rahmen fortzusetzen.
Ihre Zusatzfragen, Herr Kollege.
Herr Staatsminister, Sie haben davon gesprochen,
dass die Bundesregierung die Beschlussfassung des
Deutschen Bundestages mit Respekt und Interesse zur
Kenntnis nimmt. Ist Ihnen bekannt, dass nach unserer
Verfassung, dem Grundgesetz, die Bundesregierung die
so genannte ausführende Gewalt ist? Teilen Sie meine
Auffassung, dass eine Mehrheitsentscheidung des Deutschen Bundestages gerade auch in Fragen der Außenpolitik von der Bundesregierung nicht nur zur Kenntnis
genommen, sondern auch umgesetzt werden sollte?
Herr Kollege Westerwelle, ich hatte ergänzend darauf
hingewiesen, dass sie selbstverständlich in die Meinungsbildung der Bundesregierung einfließt. Aber wir
beide wissen als Parlamentarier um den Charakter von
Entschließungen des Deutschen Bundestages im Unterschied etwa zu Gesetzesbeschlüssen des Deutschen Bundestages. Manchmal wird deshalb bewusst aus dem Parlament heraus dieser Weg gewählt. Es handelt sich dabei
um unterschiedliche Grade von Verbindlichkeit. Wenn
Sie rechtlich bzw. verfassungsrechtlich argumentieren,
dann wissen Sie als Rechtsanwalt sehr gut, dass es hier
keine rechtliche Bindungswirkung gibt.
Ihre zweite Zusatzfrage, Herr Westerwelle.
Heißt das, Sie sind der Auffassung, dass der Beschluss des Deutschen Bundestages keine Bindungswirkung für die Regierung hat?
Das heißt, dass ich der Auffassung bin, die ich Ihnen
eben erläutert habe, Herr Kollege Westerwelle.
({0})
Ich rufe die Frage 23 des Kollegen Dr. Guido
Westerwelle auf:
Wie ist die Tatsache, dass die Bundesregierung in ihrem
letzten, vom Auswärtigen Amt zu verantwortenden Menschenrechtsbericht vom 6. Juni 2002 - Bundestagsdrucksache
14/9323 - gegenüber der Volksrepublik China scharfe Kritik
äußert an der „in allen politisch wichtigen Fragen zentral und
straff gelenkten Presse“, an Verurteilungen „ohne faire Gerichtsverfahren zu unverhältnismäßig langen Freiheitsstrafen“, an „besonderer Härte“ gegenüber separatistischen Bewegungen, an der „intensiven Verfolgung“ von und an
„Repressalien“ gegenüber religiösen Gruppen, an der „nach
wie vor häufigen“ Verhängung der Todesstrafe, die „sogar
noch zugenommen“ habe, in Einzelfällen „nach Prozessen,
die rechtsstaatlichen Erfordernissen nicht genügen“, sowie an
der „Unterdrückung der tibetischen Kultur“ zu vereinbaren
mit der Tatsache, dass sich die Bundesregierung quasi zum
europäischen Vorreiter für eine Aufhebung des EU-Waffenembargos gegenüber China gemacht hat?
Herr Kollege Westerwelle, Sie beziehen sich in Ihrer
Frage zu Recht auf den Menschenrechtsbericht der Bundesregierung, in dem Menschenrechtsdefizite in der
Volksrepublik China offen benannt werden. Diese zum
Teil anhaltenden Defizite sind uns allen bewusst und
bleiben besorgniserregend. Allerdings ist ebenfalls zu
berücksichtigen, dass sich die Volksrepublik China in
den letzten 15 Jahren wirtschaftlich, politisch und sozial
enorm entwickelt hat. Es gibt erste Anzeichen für das
Entstehen einer Zivilgesellschaft. Die Chinapolitik der
Bundesregierung erkennt dies an und versucht, diesen
Trend zu unterstützen.
Ihre erste Zusatzfrage, bitte.
Teilt die Bundesregierung die Auffassung von Amnesty
International und allen anderen Menschenrechtsorganisationen, dass sich die Menschenrechts- und Rechtsstaatslage in China seit dem Bericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2002 eher verschlechtert als
verbessert hat?
Kollege Westerwelle, wir betrachten das aufmerksam.
Die Entwicklung in den verschiedenen Bereichen verläuft sehr differenziert. Es gibt, wie eben geschildert, im
Bereich der Zivilgesellschaft eher eine Stärkung, unterstützt nicht zuletzt durch eine wirtschaftliche Dynamik,
die das Einfordern bürgerlicher Freiheitsrechte in China
eher verstärkt. Des Weiteren gibt es sehr bedenkliche
Tendenzen im Bereich der Pressefreiheit. Das wird im
Menschenrechtsbericht der Bundesregierung ausdrücklich thematisiert.
Ich werbe dafür, die Lage weder zu beschönigen noch
schlechter darzustellen, als sie ist, und die vorhandenen
positiven Trends durch eine kluge Politik der Partnerschaft mit China im Interesse der dort lebenden Menschen und auch in unserem eigenen Interesse zu unterstützen.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Die Bundesregierung teilt also nicht die heute in führenden deutschen Zeitungen wiedergegebene Auffassung regimekritischer Intellektueller, dass sich „eine
Welle der Einschüchterung“ in den letzten beiden Jahren
in China ausgebreitet habe?
Kollege Westerwelle, ich kann Sie nicht daran hindern, meine Äußerungen zu interpretieren. Aber Sie können sich weder auf die Bundesregierung noch auf mich
berufen, wenn Sie sie in dieser Weise interpretieren.
Herr Kollege Burgbacher, bitte.
Frau Präsidentin, da die Antworten der Bundesregierung auf die von uns gestellten Fragen nach dem EUWaffenembargo gegenüber der Volksrepublik China bei
weitem nicht ausreichend sind, beantrage ich für die
FDP-Bundestagsfraktion eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die FDP-Fraktion
hat eine Aktuelle Stunde beantragt. Diese wird im Anschluss an die Fragestunde aufgerufen.
Wir fahren mit der Fragestunde fort. Ich rufe die
Frage 24 des Kollegen Martin Hohmann auf:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Tätigkeit des türkischen Präsidiums für Religionsangelegenheiten
und trifft es insbesondere zu, dass diese staatliche, dem Ministerpräsidenten unterstehende Behörde über 90 000 Mitarbeiter
- so „Bild am Sonntag“ vom 5. Dezember 2004, Seite 20 und einen Jahresetat von 471,4 Millionen Euro - so Otmar
Oehring, „Zur Lage der Menschenrechte in der Türkei - Laizismus = Religionsfreiheit?“, Seite 40 - verfügt und diese
Mittel praktisch ausschließlich zur Förderung der sunnitischen Muslime einsetzt, während nicht islamische, christliche
und jüdische Gläubige und Institutionen keinerlei Förderung
erhalten?
Herr Abgeordneter Hohmann, das staatliche Amt für
religiöse Angelegenheiten ernennt und überwacht die bei
ihm angestellten Vorbeter im sunnitischen Islam, dem
circa 70 Prozent der türkischen Bevölkerung angehören.
Es ist außerdem zuständig für den Unterhalt der Moscheen, an denen diese tätig sind. Für diese Zwecke wurden der Behörde, die rund 89 000 Mitarbeiter beschäftigt, im Jahr 2004 560 Millionen Euro zugewiesen. Eine
Zuständigkeit des Amtes für andere muslimische Gemeinschaften als die des sunnitischen Islams und für
nicht muslimische Gemeinschaften ist derzeit nicht gegeben.
Ihre erste Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, können Sie etwas dazu sagen, ob
irgendwelche anderen religiösen Gemeinschaften von
dem türkischen Präsidium für Religionsangelegenheiten
unterstützt werden?
Herr Abgeordneter, mir sind entsprechende Forderungen anderer religiöser Gemeinschaften nicht bekannt.
Angesichts der Funktion dieser Behörde bin ich nicht sicher, ob es überhaupt im Interesse anderer Religionsgemeinschaften liegt, hier entsprechend mit betreut zu werden.
({0})
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatsminister, ist es angesichts der massiven
staatlichen Unterstützung des sunnitischen Islam bei
gleichzeitiger Nichtförderung und Behinderung anderer
Religionen richtig, von der Türkei als einer laizistischen
Republik zu sprechen? Müsste man nicht eher von einer
Republik mit stark islamischer Prägung sprechen und
den Islam vielleicht sogar als Staatsreligion bezeichnen?
Herr Abgeordneter, wie die Regierungen anderer EUMitgliedstaaten fordert die Bundesregierung die Türkei
auf zur Anpassung und Umsetzung der Rechtsvorschriften über die Ausübung des Rechts auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit durch alle Menschen und
Religionsgemeinschaften gemäß Art. 9 der europäischen
Menschenrechtskonvention und zur Schaffung der Voraussetzungen für die Funktionsfähigkeit dieser Gemeinschaften in Einklang mit den Praktiken der EU-Mitgliedstaaten. Dazu gehören der rechtliche und gesetzliche
Schutz der Gemeinschaften, ihrer Mitglieder und ihrer
Vermögenswerte, Unterricht, Ernennung und Ausbildung von Geistlichen sowie die Wahrnehmung der
Eigentumsrechte im Einklang mit Protokoll Nr. 1 der
europäischen Menschenrechtskonvention.
Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Martin Hohmann
auf:
Trifft es nach den Erkenntnissen der Bundesregierung zu,
dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf dem Gebiet der heutigen Türkei noch über 20 Prozent Christen lebten, während es
heute noch 0,1 Prozent sind, und dass der Anteil der christlichen Bevölkerung von Istanbul seit 1914 von 46 Prozent auf
derzeit circa 1 Prozent gesunken ist - Pfarrer Gerhard
Duncker, „Christen in der Türkei“ in „Verfolgte Christen
heute“, Dokumentation der Konrad-Adenauer-Stiftung -, und
wie ist - gegebenenfalls - dieser Rückgang zu erklären?
Herr Abgeordneter, der Rückgang des Anteils der
nicht muslimischen Bevölkerung auf heute circa
0,15 Prozent an der türkischen Gesamtbevölkerung ist
nach den Erkenntnissen der Bundesregierung aus der
Vertreibung und Vernichtung der Armenier durch das
Osmanische Reich in den Jahren 1915/1916 und dem
zwischen Griechenland und der neu gegründeten türkischen Republik vereinbarten Bevölkerungsaustausch zu
erklären. Der Rückgang des Anteils von Christen an der
Bevölkerung Istanbuls wird auf die Auswanderung griechisch-orthodoxer türkischer Staatsbürger aus dem
Raum Istanbul in den 1940er-, 1950er- und 1960er-Jahren,
vor allem jedoch auf die starke Zuwanderung aus anderen Regionen der Türkei nach Istanbul, das 1914 nur
circa 300 000 Einwohner hatte und heute circa
12 Millionen Einwohner aufweist, zurückgeführt.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, sind auch Sie der Meinung, dass
dieses neue Verhältnis - einstmals waren es 20 Prozent;
jetzt sind es praktisch 0,5 Prozent - auf Druck vonseiten
der türkischen Regierung und der Administration zustande gekommen ist? Beispielsweise sind die Eigentümer von Grundstücken, die durch religiöse Gemeinschaften genutzt worden sind oder genutzt werden, in
relativ großem Stil enteignet worden.
Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen in meiner Antwort
eben die wesentlichen Faktoren genannt. Ich weiß aus
Gesprächen etwa mit Vertretern christlicher Gemeinden,
dass der Prozess der Annäherung der Türkei an die Europäische Union und das Ziel der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen dazu beitragen, dass die Rechte der nicht
muslimischen Religionsgemeinschaften und die Möglichkeiten dieser Religionsgemeinschaften, sich im Alltag zu betätigen, gestärkt werden.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatsminister, es ist sehr bedauerlich, dass insbesondere die griechisch-orthodoxe Kirche keine Ausbildungsstätte mehr in der Türkei hat. Hat die Bundesregierung etwas dafür getan, dass diese Religion dort
wieder eine Ausbildungsstätte bekommt? Ohne Priesternachwuchs und ohne Nachwuchs an Geistlichen ist eine
Religion schließlich zum Aussterben verurteilt.
Herr Abgeordneter, dieses Thema war in der Tat Gegenstand von Gesprächen im europäischen und im bilateralen Rahmen. Die Bundesregierung hofft auf Fortschritte in diesem Zusammenhang.
Vielen Dank, Herr Staatsminister, für die Beantwortung der Fragen. Ich schließe den Geschäftsbereich des
Auswärtigen Amtes.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf.
Die Frage 26 des Kollegen Jens Spahn, die Fragen 27
und 28 der Kollegin Gitta Connemann, die Fragen 29
und 30 des Kollegen Clemens Binninger und die
Frage 31 des Kollegen Hartmut Koschyk werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Fragen beantwortet der
Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller.
Die Frage 32 des Kollegen Helmut Heiderich wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 33 des Kollegen Klaus Hofbauer
auf:
Ist die Forderung der Bundesregierung, den europäischen
Haushalt in der neuen EU-Finanzperiode 2007 bis 2013 auf
1 Prozent des EU-Bruttonationaleinkommens zu begrenzen,
mit den Vorschlägen der EU-Kommission zur künftigen europäischen Strukturpolitik vereinbar und, wenn nein, wie würde
sich die künftige Förderkulisse in Deutschland im Unterschied zu den Vorschlägen der EU-Kommission verändern,
wenn der europäische Haushalt entsprechend der Forderung
der Bundesregierung begrenzt wird?
Herr Kollege Hofbauer, das ist nicht nur eine Forderung der Bundesregierung. Die Bundesregierung ist
dankbar dafür, dass sie bezüglich der 1-Prozent-Forderung die Unterstützung des Haushaltsausschusses quer
durch alle Fraktionen und auch des Unterausschusses
des Haushaltsausschusses zu Fragen der Europäischen
Union hat.
Die Europäische Kommission hat für die europäische
Strukturpolitik in der nächsten Förderperiode - das betrifft die Jahre 2007 bis 2013 - Finanzmittel in Höhe von
373,9 Milliarden Euro, einschließlich der Ausgaben für
Fischerei und ländliche Entwicklung, vorgeschlagen.
Gegenüber den etwa 276 Milliarden Euro in der laufenden Periode von 2000 bis 2006 - alles in Preisen von
2004 gerechnet - würde dies eine Erhöhung um fast
100 Milliarden Euro bedeuten. Mit dem Ziel der Bundesregierung und fünf weiterer Mitgliedstaaten, die Ausgaben der Gemeinschaft auf 1 Prozent des Bruttonationaleinkommens der Gemeinschaft zu begrenzen, ist der
geforderte Betrag nicht vereinbar.
Die künftige Förderkulisse, also die räumlichen Fördermöglichkeiten, muss sich nicht verändern, wenn der
europäische Haushalt entsprechend der Forderung der
Bundesregierung begrenzt wird. Vielmehr ist die Reichweite der Förderkulisse grundsätzlich unabhängig von
dem zur Verfügung stehenden Fördervolumen.
So besteht in der Gemeinschaft Einigkeit darüber,
dass das Kriterium für die Zugehörigkeit einer Region
zum Ziel-1-Gebiet auch in Zukunft ein Bruttoinlandsprodukt je Kopf in Kaufkraftstandards von unter
75 Prozent des Gemeinschaftsdurchschnitts sein soll. Da
die große Mehrzahl der ostdeutschen Regionen dieses
Kriterium voraussichtlich erfüllen wird, ist auch nach
2006 mit einer Unterstützung aus der Ziel-1-Förderung
für diese Regionen zu rechnen.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Staatssekretär,
Sie sprechen von 373 Milliarden Euro für die nächste
Finanzperiode. Der Kohäsionsbericht vom Februar dieses Jahres geht aber von einer Obergrenze von
1,24 Prozent aus. Das muss irgendwelche Konsequenzen
haben. Sie wissen, dass in dem Kohäsionsbericht bereits
Festlegungen enthalten sind, nämlich für Ziel 1
260 Milliarden Euro, für Ziel 2 60 Milliarden Euro und
für Ziel 3 13 Milliarden Euro. Wenn wir die Obergrenze
senken - ich lasse mit mir darüber reden; darüber muss
man auch reden -, kann es bei der Zahl von
373 Milliarden Euro nicht bleiben. Die Frage ist, welche
ganz konkreten Auswirkungen das auf Ziel 1, Ziel 2 und
Ziel 3 hat.
Herr Kollege Hofbauer, Ihnen ist sicherlich bekannt,
dass die Bundesregierung dafür eintritt, die Mittel zu
konzentrieren. Dies bedeutet, dass wir uns auf die bedürftigsten Regionen konzentrieren sollten. Das wären
die Ziel-1-Regionen. Überwiegend liegen die Ziel-1Regionen in den neuen Mitgliedstaaten. Die neuen
Mitgliedstaaten erwarten zu Recht die Solidarität der
Gemeinschaft. Es ist nun an der Zeit, dass sich Mitgliedstaaten und Regionen, die viele Jahre die Solidarität der
Gemeinschaft erfahren haben, nun ihrerseits mit den
noch bedürftigeren solidarisch zeigen.
Die Maßnahmen in den neuen Mitgliedstaaten können nicht durch zusätzliche Mittel finanziert werden,
sondern sind nach unserer Auffassung durch Umschichtung von der Europäischen Union der 15 in die neuen
Mitgliedstaaten aufzubringen.
Die Konzentration ist das notwendige Bindeglied
zwischen den finanzpolitischen Realitäten in den Mitgliedstaaten einerseits und der Neuausrichtung der EUPolitiken andererseits und damit wichtiger Bestandteil
unseres gemeinsamen Ziels, den künftigen Ausgaberahmen insgesamt auf nicht mehr als 1 Prozent der EUWirtschaftsleistung zu begrenzen.
Außerhalb der Ziel-1-Gebiete - das wären in
Deutschland die Gebiete außerhalb der ostdeutschen Regionen - befürwortet die Bundesregierung eine strikte
Konzentration auf Maßnahmen mit europäischem Mehrwert. Dies sehen wir zum Beispiel bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit grundsätzlich als gegeben
an. Um dem Konzentrationsgedanken zu genügen, sollte
sich die Förderung nach unserer Auffassung - ich vermute auch, nach Ihrer Auffassung - vor allem auf Gebiete an den neuen Binnengrenzen der Gemeinschaft
konzentrieren. In Ihrem Falle wäre das die Grenze zwischen Bayern und Tschechien. Auch im Bereich der neu
vorgeschlagenen Ziel-2-Gebiete finden sich Maßnahmen
mit besonderem europäischen Mehrwert, so die Förderung von beschäftigungspolitischen Maßnahmen des
Europäischen Sozialfonds, von Netzwerken, von Erfahrungsaustausch und von Pilotprojekten.
Die von der Kommission dagegen vorgeschlagene
prinzipiell flächendeckende Unterstützung aus dem europäischen Regionalfonds lehnt die Bundesregierung jedoch ab, denn damit wäre selbst eine Förderung von
Frankfurt am Main möglich, also von exponentiell strukturstarken Regionen. Das widerspricht der - erforderlichen - Konzentration der Mittel. Insoweit sieht die
Position der Bundesregierung tatsächlich auch eine
räumliche Einschränkung gegenüber dem Kommissionsvorschlag vor. Diese ist jedoch nicht primär finanziell
bedingt.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, diese 373 Milliarden stehen im
Raum. Können Sie mir konkret sagen, wie dieser Betrag
unter Zugrundelegung der 1-Prozent-Begrenzung aussieht? Wie würde das Geld, das dann zur Verfügung
steht, auf die drei Zielgebiete verteilt?
({0})
Herr Kollege, wir haben unsere Vorschläge unter Zugrundelegung eines anderen Schlüssels als den, den der
damalige Kommissar Barnier vorgesehen hat, vorgetragen. Im Übrigen muss über die Einzelverteilung dann
geredet werden, wenn man über das Gesamtvolumen
Einvernehmen erzielt hat.
({0})
- Wir haben vorgeschlagen, die Mittel, die Kommissar
Barnier angegeben hat, nicht so stark zugunsten von
Ziel-2- und Ziel-3-Gebieten zu verwenden, sondern im
Wesentlichen zugunsten von Ziel-1-Gebieten.
({1})
- Die Ziel-2-Förderung fällt nicht weg.
({2})
- Herr Kollege, ich gebe Ihnen das gerne noch einmal
schriftlich, damit da gar keine Unklarheiten entstehen.
({3})
Damit kommen wir zur Frage 34 des Abgeordneten
Hofbauer.
Ist die Bundesregierung gewillt, die nationalen Handlungsspielräume in der Regionalpolitik zu erweitern bzw. solche von der Europäischen Union zurückzugewinnen, und,
wenn ja, welche konkreten Vorschläge auf europäischer
Ebene wurden dafür durch die Bundesregierung bereits eingebracht?
Herr Präsident! Herr Kollege Hofbauer, die Bundesregierung setzt sich seit Beginn der Diskussion um die
neuen Regionalförderleitlinien für ausreichende beihilferechtliche Spielräume einer nationalen Strukturpolitik
ein. In diesem Sinne haben wir uns am 30. Juni zum
Konsultationspapier der Europäischen Kommission vom
30. April dieses Jahres geäußert. Dort hat die Kommission ihre Vorstellungen zur Reform der Leitlinien mit regionaler Zielsetzung konkretisiert. Die Bundesregierung
fordert in ihrer Stellungnahme die Europäische Kommission auf, zu gewährleisten, dass auf nationaler Ebene
eine substanzielle Möglichkeit der Förderung, insbesondere auch im Westen Deutschlands, zum Ausgleich regionaler Unterschiede fortbesteht.
Bitte schön, Kollege Hofbauer.
Herr Präsident! Herr Staatssekretär, nachdem das jetzt
bereits mehrere Monate zurückliegt, haben sicherlich in
den letzten Wochen und Monaten Gespräche stattgefunden. Welche Chancen sehen Sie, Ihre Ziele durchzusetzen?
Herr Kollege, ich wage noch keine Prognose und
kann Ihnen auch nicht konkret sagen, wann das der Fall
sein wird. Jedenfalls habe ich das, was wir vorgeschlagen haben, im Kreise der Wirtschaftsminister der Länder
erörtert. Es ist dort für gut befunden worden, dass wir
darauf drängen, dass die Förderhöchstgrenzen nach unten gedrückt werden, damit das Fördergefälle nicht so
gravierend ist.
Die Fragen 35 und 36 des Abgeordneten Stefan
Müller ({0}) werden schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zur Frage 37 der Kollegin Petra
Pau:
Treffen Meldungen in den Medien zu, nach denen Daten
von Personen, die der Schwarzarbeit verdächtigt werden bzw.
welche in einem Verfahren wegen angeblicher Schwarzarbeit
freigesprochen worden sind, in einer zentralen Datenbank der
Zollverwaltung gespeichert werden - „Handelsblatt“ vom
17. November 2004 -, und, wenn ja, auf welcher gesetzlichen
Grundlage geschieht dies?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Abgeordnete Pau, nach § 16 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes führt der Arbeitsbereich „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ eine zentrale Prüfungs- und Ermittlungsdatenbank. Daten werden hier nur gespeichert,
wenn sich tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen
von Schwarzarbeit oder von illegaler Beschäftigung ergeben. Gespeichert werden erstens die Personaldaten der
Person, bei der tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen von Schwarzarbeit oder von illegaler Beschäftigung bestehen, bzw. der Name und der Sitz des Unternehmens, bei dem solche Anhaltspunkte vorliegen;
zweitens die Stelle der Zollverwaltung, die die Überprüfung durchgeführt hat, und das Aktenzeichen; drittens
die Darlegung der tatsächlichen Anhaltspunkte für das
Vorliegen von Schwarzarbeit oder von illegaler Beschäftigung; viertens der Zeitpunkt der Einleitung und der
Zeitpunkt der Erledigung des Verfahrens durch die Behörden der Zollverwaltung, im Fall des § 19 Abs. 2
Satz 1 Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz auch der Zeitpunkt und die Art der Erledigung durch das Gericht oder
die Staatsanwaltschaft.
Die Daten dürfen nur für die Durchführung von Prüfungen nach § 2 Abs. 1 Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz, die Verhütung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit den Prüfgegenständen
nach § 2 Abs. 1 Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz und
die Besteuerung, soweit sie im Zusammenhang mit der
Erbringung von Dienst- oder Werkleistungen steht, verwendet werden. Nach einem rechtskräftigen Freispruch
erfolgt die Löschung der Daten aus der zentralen Datenbank gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz nach zwei Jahren.
Kollegin Pau, bitte.
Danke, Herr Staatssekretär. Nun sind Ihnen sicherlich
die Forderungen des Bundesdatenschutzbeauftragten
wie auch von Rechtsexperten nicht verborgen geblieben,
dass die grundsätzliche Löschung der Datensätze von
Freigesprochenen schneller erfolgen soll und dass im
Zusammenhang mit einem Freispruch auch der Zugriff
auf diese Daten durch weitere Behörden des Bundes klar
geregelt und eingeschränkt werden soll. Wie gedenkt die
Bundesregierung mit diesen Forderungen umzugehen
oder, anders gefragt, wie bewerten Sie das Ganze?
Frau Abgeordnete, meines Wissens ist diese Thematik auch bei der Gesetzgebung diskutiert und geprüft
worden und vom BMJ positiv entschieden worden; denn
die in § 19 Abs. 2 Satz 2 Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz geregelte Löschungsfrist entspricht datenschutzrechtlichen Anforderungen. Sie ist der in § 494 Abs. 2
Satz 2 der Strafprozessordnung geregelten entsprechenden Löschungsfrist im staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister nachgebildet. Die Fortdauer der Speicherung nach § 494 Abs. 2 Satz 2 der Strafprozessordnung
ist wegen der Möglichkeit einer Wiederaufnahme des
Verfahrens bzw. der Ermittlungen erforderlich. Außerdem hat sie ihre Berechtigung aufgrund der gelegentlich
bestehenden Notwendigkeit, Erkenntnisse oder Beweismittel aus Akten eines früheren Verfahrens für ein späteres Strafverfahren zu verwenden. Diese Gesichtspunkte
sind auch im Hinblick auf die Regelungen für die zentrale Datenbank im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz
relevant. Im Übrigen ist der Zugriff auf die Daten von
freigesprochenen Personen während des Zeitraums der
Löschungsfrist durch § 17 - er betrifft Behörden - und
§ 18 - er betrifft die betroffene Person - des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes geregelt und beschränkt.
Kollegin Pau.
Diese Regelungen, Herr Staatssekretär, sind mir
durchaus bekannt, da ich sie vor der heutigen Fragestunde natürlich noch einmal nachgelesen habe. Ich habe
Sie aber nach der aktuellen Kritik vom 17. November
dieses Jahres - sowohl von Herrn Schaar als auch von
Herrn Professor Simitis - mit der Forderung nach Gesetzesnachbesserung und nach der diesbezüglichen Haltung
der Bundesregierung gefragt.
Frau Kollegin Pau, innerhalb des BMF bin nicht ich
persönlich für den Zollbereich verantwortlich, sondern
meine Kollegin Dr. Hendricks, die jetzt aber im Vermittlungsausschuss ist; sonst wäre sie hier, um diese Fragen
zu beantworten. Ich weiß, dass sie mit dem Datenschutzbeauftragten bezüglich seiner Einwände im Gespräch ist.
Danke schön.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Für die Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer
Staatssekretär Ditmar Staffelt zur Verfügung.
Die Fragen 38 bis 41 werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 42 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch
auf:
Wie ist der Versicherungsschutz, zum Beispiel Haftpflichtund Unfallversicherung, für so genannte 1-Euro-Jobber geregelt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Abgeordnete Lötzsch, für erwerbsfähige Hilfebedürftige, die keine Arbeit finden, können nach § 16
Abs. 3 SGB II Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwendungsentschädigung - von der Bundesregierung als
Zusatzjobs bezeichnet - eingerichtet werden. Dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen wird zuzüglich zum
Arbeitslosengeld II eine angemessene Entschädigung für
Mehraufwendungen gezahlt. Die Zusatzjobs begründen
kein Arbeitsverhältnis.
Durch die Weiterzahlung des Arbeitslosengeldes II
wird die Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung gewährleistet. Aufgrund des Fehlens einer versicherungspflichtigen Beschäftigung können Ansprüche in der
Arbeitslosenversicherung nach dem SGB III nicht erwachsen.
Erwerbsfähige Hilfebedürftige sind aufgrund eines
fehlenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses zwar nicht als Beschäftigte, aber wie
Beschäftigte nach § 2 Abs. 2 SGB VII in den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung einbezogen.
Zuständig ist die Unfallversicherung des Trägers, der
hierfür in eigener Zuständigkeit einen Beitrag erheben
kann.
Eine Haftpflichtversicherung des erwerbsfähigen
Hilfebedürftigen im Rahmen der Ausübung eines Zusatzjobs hat der Träger zu gewährleisten. Gemäß § 16
Abs. 3 SGB II haften erwerbsfähige Hilfebedürftige nur
wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Im Rahmen
der Einrichtung von Zusatzjobs können beim Träger anfallende Beiträge, zum Beispiel für die Unfall- oder
Haftpflichtversicherung, erstattet werden.
Kollegin Lötzsch, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident, vielen Dank, Herr
Staatssekretär. Wie Sie sich sicherlich leicht vorstellen
können, stelle ich diese Frage nicht ohne Praxisbezug
und ohne Kenntnis der Realität. Wie sind die Träger dieser 1-Euro-Jobs - dieser Terminus, den Sie jetzt tunlichst
vermeiden, stammt übrigens von der Bundesregierung über die Modalitäten bei den Versicherungen, insbesondere der Haftpflicht- und der Unfallversicherung, informiert worden? Gab es eine eindeutige Information, wie
in diesen Fällen zu verfahren ist? Wenn ja: In welcher
Form? Wenn nein: Warum nicht?
Wie praxisbezogen Sie arbeiten, habe ich nach der
letzten Fragestunde erlebt, in der Sie mir einen konkreten Fall angetragen hatten, der schier ausweglos erschien. Als ich Ihr Büro angerufen habe, um mich dieses
Falls anzunehmen, ist mir gesagt worden, dass die betreffenden Personen rechtlich bestens beraten werden
und der Hilfe des Bundesministeriums nicht bedürfen.
So sollten wir - das will ich an dieser Stelle sagen nicht miteinander umgehen.
Zu Ihrer Frage. Wir sind der Auffassung, dass die Träger in angemessener Weise von den Arbeitsgemeinschaften oder auch von den Agenturen über den entsprechenden Sachverhalt informiert worden sind. Wenn noch
Fragen auftauchen sollten, ist eine Nachfrage über die
Agenturen oder Arbeitsgemeinschaften jederzeit möglich.
Bitte schön, Kollegin Lötzsch.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
damit hier kein Gerücht in die Welt gesetzt wird, will ich
sagen: Wir haben den Anruf Ihres Büros so verstanden,
dass Sie aufgrund unserer Nachfrage tätig geworden
sind. Das ist doch erfreulich.
Das haben wir darüber hinaus geregelt.
Wir sollten uns nicht wechselseitig etwas unterstellen,
was nicht den Tatsachen entspricht.
Kommen wir zur Frage: Wie ist es vorgesehen, zu
kontrollieren, ob die Träger ihren Verpflichtungen, für
die Personen, die eine Mehraufwandsentschädigung erhalten - also für die 1-Euro-Jobber -, die entsprechenden Versicherungen abzuschließen, nachkommen? Sind
Kontrollen vorgesehen oder nicht?
Wir gehen davon aus, dass jeder dieser Jobs einer besonderen Betrachtung unterzogen wird, weil wir sie von
den üblichen Arbeitsplätzen, die angeboten werden, abgrenzen wollen. Somit wird natürlich jedem Einzelfall
eine Vereinbarung zugrunde gelegt, die auch die Frage
der versicherungsrechtlichen Behandlung beinhaltet.
Ich füge hinzu, Sie haben völlig Recht. Wir haben
hinsichtlich der Frage, die von Ihnen in der letzten Fragestunde gestellt wurde, eine grundsätzliche Regelung
getroffen: Es wird so sein, dass Fehler, die bei der Eingabe in einer Agentur aufgetreten sind, unmittelbar unter
Nichtberücksichtigung sonstiger rechtlicher Vorbehalte
korrigiert werden können. Ich denke, das ist ein qualitativ wichtiger Schritt, den Minister Clement, nachdem ich
ihm davon berichtet hatte, unmittelbar veranlasst hat.
Wir kommen zur Frage 43 der Kollegin Lötzsch:
Wie will die Bundesregierung die Kommunen finanziell
unterstützen, deren Belastungen bei den Kosten für Unterkunft und Heizung höher sind als die Entlastung bei der Sozialhilfe, und verfügt die Bundesregierung über Prognosen, wie
viele Kommunen davon betroffen sein werden?
Aus der Sicht der Bundesregierung ist mit der Einigung im Vermittlungsausschuss vom 30. Juni 2004 die
politische Zusage, die Kommunen jährlich um insgesamt
2,5 Milliarden Euro zu entlasten, eingelöst worden. Dies
wird zum einen dadurch sichergestellt, dass sich der
Bund ab Januar 2005 mit einem Anteil von 29,1 Prozent
an den Kosten der Unterkunft beteiligt und dass die
Höhe dieser Beteiligung in den nächsten Jahren im Zuge
regelmäßiger Revisionen zeitnah überprüft wird.
Zum anderen haben die Länder zugesagt, ihre Einsparungen im Zuge der Wohngeldreform sowie im Bereich
bisheriger Eingliederungsleistungen für Langzeitarbeitslose an die Kommunen weiterzugeben. Dabei werden allerdings die alten Bundesländer berechtigterweise ihre
Einzahlungen in den ebenfalls im Vermittlungsausschuss
vereinbarten Ausgleich Ost gegenrechnen. Die neuen
Länder müssen die ihnen aus diesem Ausgleich zufließenden Mittel ebenfalls an die Kommunen weiterreichen.
In den einzelnen Ländern wird es zweifelsohne
Kreise und kreisfreie Städte geben, für die sich nach Saldierung aller Be- und Entlastungen eine zusätzliche Belastung ergibt. Genauso wird es andere Kommunen geben, die von der Reform deutlich profitieren. Über die
Höhe der etwaigen Belastungen im Einzelnen sowie
über die Zahl der betroffenen Kommunen liegen der
Bundesregierung keine verwertbaren Informationen vor.
Es ist deshalb entscheidend, dass die Länder ihre Einsparungen saldiert um die Beiträge zum Ausgleich Ost nicht
nur vollständig, sondern auch im Sinne eines fairen Ausgleichs zwischen stärker und weniger stark betroffenen
Kommunen weiterreichen.
Es wird unter Umständen auf Landesebene sogar ein
darüber hinausgehender finanzieller Ausgleich zwischen
Kommunen notwendig sein, der aber allein durch Landesgesetzgebung geregelt werden müsste. Die Bundesregierung kann hierauf keinen direkten Einfluss nehmen.
Eine über die Vereinbarungen des Vermittlungsausschusses hinausgehende finanzielle Unterstützung der Kommunen durch den Bund ist nicht vorgesehen.
Kollegin Lötzsch.
Herr Staatssekretär, Sie haben ausgeführt, dass Sie
noch keinen Überblick darüber haben können, wie groß
die Mehrbelastungen der Kommunen sein werden. In der
Presse und in den vorausgehenden Fragen 40 und 41
spielten konkrete Zahlen schon eine Rolle. Etliche Kommunen haben also schon ausgerechnet, wie hoch die
Mehrbelastungen für sie sein werden. Sächsische Kommunen haben sogar eine Klage gegen die Bundesregierung angekündigt. Ich weiß nicht, wieweit die Klage
fortgeschritten ist. Vor dem Hintergrund dieser Tatsache
möchte ich Sie fragen: Wann und auf welche Weise plant
die Bundesregierung, sich einen Überblick über die zusätzlichen Belastungen der Kommunen zu verschaffen?
Wir werden natürlich alle Daten, die uns geliefert
werden, überprüfen, soweit uns das möglich ist. Ich habe
auch im Zusammenhang mit den schriftlich zu beantwortenden Fragen 40 und 41 deutlich gemacht, dass wir
bemüht sind - das will ich hier ausdrücklich sagen -, all
diese Eingaben zu prüfen und mit den betroffenen Kommunen hinsichtlich gegebenenfalls sichtbarer Unstimmigkeiten in den Rechnungen in ein Gespräch einzutreten.
Im Übrigen - das habe ich eben ausgeführt - ist der
tatsächliche substanzielle Ausgleich eine Angelegenheit,
die zwischen den Kommunen und den Ländern ausgetragen werden muss.
Kollegin Lötzsch.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
Sie sind nur auf einen Teilaspekt meiner Frage eingegangen. Ich würde gerne wissen, bis zu welchem Zeitpunkt
sich die Bundesregierung in Anbetracht der angespannten finanziellen Lage vieler Länder und Kommunen einen Überblick über die zusätzliche finanzielle Belastung
der Kommunen verschaffen will, um gegebenenfalls zu
handeln.
Frau Abgeordnete, ich kann an dieser Stelle nur wiederholen: Wir sind darauf angewiesen, dass uns die
Kommunen und die Länder die entsprechenden Zahlenwerke zur Verfügung stellen. Nur auf dieser Grundlage
sind wir wiederum in der Lage, diese Zahlen zu überprüfen. Wir können sie nicht einfach unkritisch hinnehmen,
sondern müssen hier genauer hinschauen.
Ich gehe davon aus, dass sich all jene Kommunen, die
tatsächlich in ihrem Haushalt im Saldo ein Minus verbuchen, sehr schnell auf den Weg machen werden, um ihren jeweiligen Landesregierungen und auch der Bundesregierung entsprechende Zahlen zur Überprüfung zur
Verfügung zu stellen. Ich hatte schon einmal gesagt
- das ist sehr wichtig -: Wenn hier tatsächlich sichtbare
Unstimmigkeiten bestehen, dann werden wir mit den
Kommunen ganz unmittelbar und unbürokratisch in einen entsprechenden sachlichen Dialog eintreten.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft. Die Frage 44 des Kollegen Hinsken und
die Fragen 45 und 46 des Kollegen Jahr werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung
der Fragen steht Staatssekretär Wagner zur Verfügung.
Den Kollegen Jüttner, der die Fragen 47 und 48 gestellt hat, sehe ich nicht.
({0})
Damit entfällt die Beantwortung dieser Fragen. Es wird
verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Die Frage 49 des Kollegen Koschyk wird schriftlich
beantwortet.
Nun kommen wir zur Frage 50. Auch der Kollege
Schockenhoff ist nicht anwesend. Auch hier wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Damit, Herr Kollege Wagner, haben Sie keine
Chance, hier aufzutreten. Sie sind damit in Ehren für
heute entlassen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur
Beantwortung der Fragen steht Frau Parlamentarische
Staatssekretärin Angelika Mertens zur Verfügung.
Die Fragen 51 und 52 des Kollegen Vogel sowie die
Frage 53 des Kollegen Börnsen werden schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zur Frage 54 des Kollegen
Helmut Heiderich:
Welche größenmäßigen Veränderungen gegenüber dem
bisherigen Stand hat es im Jahr 2004 infolge der Neuregelung
der Förderbedingungen für die Eigenheimzulage, unter besonderer Berücksichtigung der Altbausanierung und der Familiengröße, gegeben und lässt sich daraus eine Abschätzung für
das kommende Jahr ableiten?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege, statistisch belastbare Daten zur Inanspruchnahme der Eigenheimzulage für die Entwicklung
seit der Neuregelung ab 2004 liegen frühestens im Laufe
des Jahres 2005 vor, da eine erhebliche Zahl von Anspruchsberechtigten die Anträge auf eine erstmalige
Zahlung der Eigenheimzulage für das jeweilige Kalenderjahr erfahrungsgemäß erst wesentlich später stellt.
Auf der Grundlage der von den Ländern übermittelten
Daten wird seit 1998 eine Geschäftstatistik zur Nutzung
der Eigenheimzulage erstellt. Gegenwärtig wird die Statistik für die Jahre 2002 und 2003 durch das Bundesamt
für Bauwesen und Raumordnung vorbereitet.
Kollege Heiderich.
Frau Staatssekretärin, wenn, wie Sie das eben dargestellt haben, für das laufende und das letzte Jahr keine
Zahlen vorliegen, auf welcher Grundlage haben Sie dann
operiert, als Sie entsprechende Zahlen in den Bundeshaushalt des kommenden Jahres bzw. schon konkrete
Summen, die sich aus der Neuregelung der Eigenheimzulage ergeben, in einzelne Etatbereiche, zum Beispiel
in Bezug auf Forschung und Entwicklung, eingestellt haben?
Man kann natürlich aus der Statistik, die seit In-KraftTreten der Eigenheimzulage erstellt wird, Daten ermitteln. Ich könnte Ihnen jetzt Zahlen für 2004 nennen, die
aus dem Arbeitskreis „Steuerschätzungen“ kommen. Ich
nenne Ihnen aber einfach einmal die Zahlen ab 2000:
2000 wurden 6,8 Milliarden Euro, 2001 8,0 Milliarden
Euro, 2002 9,2 Milliarden Euro und 2003 10,35 Milliarden Euro für die Eigenheimzulage ausgegeben. Für
2004 werden die Ausgaben auf 10,8 Milliarden Euro geschätzt.
Frau Staatssekretärin, wenn ich vor diesem Hintergrund Folgendes fragen darf: Sie haben in den kommenHelmut Heiderich
den Haushalt meines Wissens einen Betrag in einer Größenordnung von 95 Millionen eingestellt, der sich aus
der Abschaffung der Eigenheimzulage ergeben würde.
Von daher können die Zahlen, die Sie gerade vorgetragen haben, offensichtlich nur die Gesamtsummen sein.
Meine Frage bezieht sich darauf, wie hoch nach der Veränderung bei der Eigenheimzulage mit ihrer wesentlichen Einschränkung seit dem 1. Januar 2004 die Zusagen in diesem und im nächsten Jahr sein dürften. Wenn
Ihnen darüber Schätzungen vorliegen, wäre ich Ihnen
sehr verbunden, wenn Sie mir diese Schätzungen zur
Verfügung stellen könnten.
Sie wissen, dass die Eigenheimzulage ja nicht nur in
einem Jahr gezahlt wird; von daher wissen Sie auch,
dass es bei der Eigenheimzulage im Laufe der Zeit einen
Aufwuchs gibt. Ich werde Ihnen gern die Zahlen nachreichen. Ich glaube allerdings, dass das, was veranschlagt ist, eine sehr realistische Zahl darstellt.
Damit kommen wir zur Frage 55 des Kollegen Peter
Weiß ({0}):
Mit welchen Schwierigkeiten konkret rechnet die Bundesregierung zum Betriebsstart des LKW-Mautsystems am
1. Januar 2005 an den Grenzübergängen zwischen Deutschland und Frankreich vor dem Hintergrund der Äußerungen
des Bundesministers für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen,
Dr. Manfred Stolpe, in der „Welt“ vom 6. Dezember 2004
dazu, dass die französischen Fuhrunternehmen bisher nur wenige Mautgeräte - On Board Units - in ihren Fahrzeugen verbaut haben?
Kollege Weiß, die Bundesregierung bedauert die Zurückhaltung des französischen Straßengüterverkehrsgewerbes hinsichtlich der Teilnahme am automatischen
Mautabrechnungssystem mithilfe der On Board Units.
Vor diesem Hintergrund werden viele Nutzer gerade in
der Startphase die Möglichkeit der Interneteinbuchung
nutzen oder an den deutsch-französischen Grenzübergängen die Mautstellenterminals zur manuellen Einbuchung aufsuchen. Deshalb hat Toll Collect an diesen
Grenzabschnitten das Mautstellenterminalnetz überprüft
und folgende Standorte durch zusätzliche Mautstellenterminals verstärkt: Grenzstandort „Goldene Bremm“,
Saint Avold: Hotel-Restaurant-Bar de l’ Europort, Zollamt Scheibenhard im Gebiet des ehemaligen Zollamtes
an der Bundesstraße B 9, Grenzstandort Neuenburg/Ottmarsheim, Tankstelle Total Station Relais de 3 Frontières. An allen Grenzübergangsstellen zwischen
Deutschland und Frankreich ist der Einsatz von Buchungshelfern vorgesehen.
Nach dem Autobahnmautgesetz unterliegen im Übrigen die Bundesautobahn A 6 von der Grenze bis Saarbrücken-Fechingen sowie die Bundesautobahn A 5 von
der Grenze bis zur Anschlussstelle Müllheim/Neuenburg
nicht der Mautpflicht.
Kollege Weiß.
Frau Staatssekretärin, ist angesichts der Tatsache,
dass sowohl in französischen LKWs als auch in spanischen LKWs - diese kommen ja auch über Frankreich zu
uns nach Deutschland - von unseren Nachbarländern im
Verhältnis zur Gesamtzahl der zugelassenen Fahrzeuge
die wenigsten OBUs eingebaut sind, die Bundesregierung der Auffassung, dass mit den von Ihnen genannten
Möglichkeiten des manuellen Einbuchens ein reibungsloser Start der Maut an der deutsch-französischen
Grenze zum 1. Januar 2005 tatsächlich möglich ist, oder
wird die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit dem
Bundesamt für Güterverkehr und der Toll Collect GmbH
noch weitere Verstärkungen vornehmen? Wie viele zusätzliche Einbuchungshelfer stehen denn zur Verfügung?
Danke für die Frage. - Wir haben in den betroffenen
Ländern für die einfachste Methode, den Einbau der On
Board Units, geworben. Auch Sie wissen, dass es drei
Methoden gibt, mit denen man sich einbuchen kann. Wir
haben bei Umfragen festgestellt, dass gerade bei den
Franzosen die Interneteinbuchung beliebt ist. Sie wissen,
dass heute das BAG die besondere vorläufige Betriebserlaubnis an Toll Collect erteilt hat. Wir haben gesagt,
dass wir zum 1. Januar ein Startmanagement machen
werden. Dabei sind die Ziele: ein störungsfreier Mautstart und die Vermeidung von Verkehrsbehinderungen,
von Staus infolge der Mauteinführung. Wir haben aufgeteilt, was Toll Collect, das BAG und unser Ministerium
machen. Toll Collect wird, um den Start der Maut zu
begleiten, an rund 1 000 Mautstellenterminals rund
5 000 Einbuchungshelfer einstellen, die Kenntnisse in
den Sprachen Deutsch, Englisch, Französisch, Polnisch,
Italienisch und Russisch haben. An hoch frequentierten
Verkehrsabschnitten werden zusätzliche Mautstellenterminals aufgestellt. Es werden Hotlines eingerichtet: für
registrierte Nutzer, für nicht registrierte Nutzer und für
Werkstätten. Ab heute, dem 15. Dezember, gibt es ein
Lagezentrum zur Überwachung des Mautstartes. Darüber hinaus wird die zusätzliche Möglichkeit der telefonischen Einbuchung über privatwirtschaftlich arbeitende
Callcenter geschaffen.
Zum Startmanagement von Toll Collect gehören ferner eine in 23 Sprachen verfasste Nutzerbroschüre, ein
Piktogramm zum erleichterten Einbuchen an den Mautstellenterminals und eine ebenfalls in 23 Sprachen verfasste Checkliste, die wichtige Informationen zur Einbuchung enthält. Des Weiteren wird es ein Faltblatt zum
Thema Einbuchungsarten, einen Mautatlas, der alle
Mautstellen beinhaltet, einen Registrierungsbogen und
eine Ausfüllhilfe in 23 Sprachen geben. Ich denke, die
Einstellung der 5 000 Einbuchungshelfer ist für den Start
der Maut das Wichtigste.
Im Startmanagement des BAG, des Bundesamtes für
Güterverkehr, sind folgende Aspekte vorgesehen: der
Einsatz von 500 Mautkontrolleuren, die Beratung und
Verteilung von Informationsmaterial, die Ahndung von
Mautprellern, die Einrichtung einer Hotline zur Beantwortung von Fragen der Nutzer ab dem heutigen Tag sowie eine Rufbereitschaft mit ständiger Erreichbarkeit des
BAG ab dem 1. Januar 2005.
Zum Schluss komme ich auf die Maßnahmen zu sprechen, die das BMVBW zum Startmanagement getroffen
hat: die Zusammenarbeit mit den Sicherheits- und Ordnungsbehörden der Länder, also mit dem BGS und den
Länderpolizeien, zur Sicherung eines möglichst störungsfreien Mautstarts, die Einrichtung eines Nutzerforums mit den Verkehrs- und Logistikverbänden zur
Bearbeitung von Beschwerden und die Aktualisierung
des Internetauftritts zur Verbesserung der Nutzerinformation.
Ich denke, damit ist das Startmanagement ziemlich
gut ausgestattet.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage?
Ja.
Diese Antwort war so ausführlich; ich dachte, jetzt
gibt es dazu nichts mehr zu sagen. - Bitte, Herr Kollege.
Ja, Herr Präsident, aber die Frau Staatssekretärin hat
bisher nur das in der heutigen Pressekonferenz präsentierte Material vorgelesen.
Meine Frage bezieht sich vor allen Dingen auf das
von Ihnen bestätigte Sonderproblem, was uns an der
deutsch-französischen Grenze aufgrund der Tatsache erwartet, dass die Anzahl der OBUs, die in Frankreich und
Spanien in die nach Deutschland fahrenden LKWs eingebaut worden sind, außerordentlich gering ist.
Ist vorgesehen, dass dann, wenn nach dem Start der
Maut am 1. Januar 2005 Schwierigkeiten oder Staus auftreten, zusätzlich manuell zu bedienende Terminals an
der Grenze aufgebaut werden? Steht eine entsprechende
Personalreserve zur Verfügung, die es ermöglicht, dass
im deutsch-französischen Grenzbereich zusätzliche Einbuchungshelfer eingesetzt werden können, falls dies in
den ersten Monaten des Jahres 2005 erforderlich sein
sollte?
Diese Frage habe ich Ihnen gerade beantwortet. An
den Grenzen wird es mehr Terminals geben. Einige, die
später an anderen Stellen stehen werden, kommen in der
Startphase dort zum Einsatz. Es werden insbesondere an
den Grenzen 5 000 Helfer eingesetzt.
Ich bitte Sie, zwei Dinge zu bedenken: Erstens. Es
gibt ein Sonntagsfahrverbot. Es kommt schon heute auf
bestimmten Abschnitten fast jeden Sonntagabend zu
Staus.
({0})
Wir alle wollen das Sonntagsfahrverbot. Diese Situation
erleben wir fast jeden Sonntagabend.
Zweitens möchte ich darauf hinweisen, dass das nur
eine Möglichkeit der Einbuchung ist. Eine andere, bequemere Möglichkeit der Einbuchung ist die Interneteinbuchung. Die unbequemste - da haben Sie Recht - ist,
sich am Terminal einzubuchen. Aber in den ersten Wochen werden Helfer zur Verfügung stehen, um den
Buchungsvorgang so kurz wie möglich zu gestalten. Solche Helfer sind schon jetzt unterwegs, um die Leute zu
unterrichten und aufzuklären. Ich denke, dass das Einbuchen nach einer kurzen Übergangszeit kein Problem
mehr darstellen wird und dass wir dann nicht mehr mit
längeren Wartezeiten rechnen müssen. Unsere Helfer
können in diesem Zusammenhang noch einmal für die
On Board Units werben, von denen 850 000 zur Verfügung stehen. Es ist also keine Frage des Nichtvorhandenseins, sondern es ist einfach eine Frage des Einbaus.
Damit sind wir bei der Frage 56 des Kollegen Weiß:
Welche Vorkehrungen hat die Bundesregierung getroffen,
um Behinderungen im grenzüberschreitenden Verkehr zwischen Frankreich und Deutschland in der Startphase der
LKW-Maut vermeiden oder gegebenenfalls zügig auflösen zu
können?
Herr Weiß, das Bundesministerium für Verkehr, Bauund Wohnungswesen hat zusammen mit allen am Mautstart Beteiligten ein aktives Startmanagement initiiert.
Zielgruppe sind vor allem die Nutzer der Einbuchung
über Mautstellenterminals. Diese sollen durch gezielte
Informationen und Helfer insbesondere bei der Einbuchung unterstützt werden. Darüber hinaus wurde durch
private Dienstleister mittels Einrichtung eines Callcenters eine weitere Einbuchungsmöglichkeit geschaffen.
Bitte schön, Kollege Weiß.
Frau Staatssekretärin, wie sieht das Management an
den Grenzübergängen aus, wenn es aufgrund der manuell vorzunehmenden Einbuchungsvorgänge zu massiven
Verkehrsbehinderungen, auch für den PKW-Verkehr,
kommt? Schließlich gibt es an den meisten Grenzübergängen heute keine besonderen Parkmöglichkeiten mehr
für LKWs. Damit wird auch der PKW-Verkehr tangiert
sein.
Ich habe ja schon gesagt, dass viele Helfer unterwegs
sein werden, um die LKW-Fahrer abzufangen und schon
vorher zu informieren, damit sie sich nicht an der Tankstelle einbuchen müssen, die sie sonst immer aufsuchen,
sondern dies schon vorher erledigen können. Völlig ausschließen können wir Behinderungen natürlich nicht; das
weiß jeder. Aber ich glaube, wir haben alles unternommen, um die Behinderungen insgesamt so gering wie
möglich zu halten.
Bitte schön, Kollege Weiß.
Frau Staatssekretärin, in Ihren Antworten haben Sie
immer wieder die - fromme - Hoffnung zum Ausdruck
gebracht, dass vor allen Dingen die französischen und
spanischen Spediteure doch andere Einbuchungsmöglichkeiten wie zum Beispiel über das Internet nutzen. Ich
kann diese Einschätzung nicht ganz teilen; ich habe den
Eindruck, dass die Spediteure eher ein bisschen darauf
spekulieren, dass sie auch so durchkommen werden.
Können Sie mir bestätigen, dass von den schönen Kontrollbrücken, die über unseren Autobahnen errichtet
wurden, aus technischen Gründen nur 10 Prozent gleichzeitig scharf gestellt werden können, sodass es durchaus
ein Sport von Spediteuren werden könnte, zu versuchen,
ohne Kontrolle auf deutschen Autobahnen durchzukommen?
Aber sie wissen nicht, welche im jeweiligen Moment
scharf sind. Von daher denke ich, dass das Risiko, erwischt zu werden, sehr groß ist.
Wir haben deutlich gemacht, dass wir von Anfang an
streng kontrollieren, damit Mautprellerei nicht vorkommt. Mitarbeiter des BAG werden mit 500 Fahrzeugen unterwegs sein und das streng kontrollieren.
({0})
- Doch, das kann man sehr wohl leisten. Die Kontrolldichte ist insgesamt relativ hoch.
Herr Weiß, ich glaube, sie unterschätzen ein bisschen
die Spediteure. Der eine oder andere mag geglaubt haben, der Mautstart kommt nicht. Aber Zeit ist Geld. Ich
bin mir nicht sicher, ob der Chef das so toll findet, wenn
ein Mitarbeiter ihm mitteilt, dass er leider fünf Stunden
damit verbracht hat, sich irgendwo einzubuchen. Das
macht er vielleicht einmal, aber beim zweiten Mal wird
sicherlich im Vordergrund stehen, damit keine wertvolle
Zeit zu vertrödeln. Ich habe manchmal das Gefühl, dass
viele meinen, das Speditionsgewerbe befindet sich irgendwo in der Steinzeit. Das tut es nicht. Der eine oder
andere mag auch geglaubt haben, die Maut werde nicht
kommen. Die Spediteure wollen sicherlich keine Zeit
unproduktiv verbringen. 850 000 On Board Units stehen
zur Verfügung und können eingebaut werden; das ist
überhaupt kein Problem. Ich kann alle nur auffordern,
die bequemste Methode zu wählen: Das ist die On Board
Unit.
Immerhin habe ich jetzt gelernt, dass Brücken „scharf
gestellt“ werden können. Das wusste ich noch nicht.
Damit rufe ich Frage 57 des Kollegen Hellmut
Königshaus auf:
Ist die Bundesregierung bereit, meine Fragen 35 und 36
für die Fragestunde am 1. Dezember 2004 - Bundestagsdrucksache 15/4284 - vollständig zu beantworten, insbesondere dazu Stellung zu nehmen, weshalb das Eisenbahn-Bundesamt, EBA, in dem Planfeststellungsbeschluss vom 31. Mai
2001 in Kenntnis der von der Bundesregierung in der Beantwortung meiner mündlichen Frage 17 in der Fragestunde am
10. November 2004 durch den Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Achim Großmann, genannten Umstände - Plenarprotokoll 15/137, Seite 12557 B - und im Gegensatz zu der sich
daraus ergebenden zwingenden Folge, dass wegen der Verschleppung des Anhörungsverfahrens zur Planfeststellung der
Dresdner Bahn zusätzlicher Verkehr über die Anhalter Bahn
geleitet werden muss, den Anspruch der Anwohner auf Lärmschutz mit der Begründung zurückweisen konnte, es gebe
„gegenwärtig keine Anhaltspunkte dafür, dass Verkehr von
der Dresdner Bahn über die Anhalter Bahn geleitet wird“, und
wie bewertet es die Bundesregierung rechtlich, insbesondere
auch strafrechtlich, dass die Vorhabensträgerin und das EBA
diese Behauptung auch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht aufrechterhielten?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Herr Königshaus, aufgrund des Sachzusammenhangs
möchte ich die Fragen 57 und 58 gerne gemeinsam beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 58 auf:
Ist die Bundesregierung ferner bereit, dafür Sorge zu tragen, dass vor Inbetriebnahme der Strecke, die für 2006 vorgesehen ist, noch diejenigen Lärmschutzeinrichtungen errichtet
werden, die bei dem ausweislich der Antworten auf die vorgenannten Fragen tatsächlich zu erwartenden Verkehrsaufkommen zuerkannt werden müssen?
Zunächst möchte ich auf die Kernaussagen der Antworten von Herrn Kollegen Großmann auf Ihre
Fragen 35 und 36 vom 1. Dezember 2004 Bezug nehmen.
Die Bundesregierung hält am Pilzkonzept fest, dessen
Bestandteil die wieder aufzubauende Dresdner Bahn ist.
Insofern kann es sich bei der Führung von Zügen zum
Flughafen Berlin Brandenburg International über die
Anhalter Bahn oder über die Stadtbahn lediglich um einen befristeten, derzeit allerdings nicht bestimmbaren
Zeitraum handeln. Wie viele Züge davon über die Anhalter Bahn geführt werden könnten und ob dadurch das
der Lärmschutzbemessung zugrunde gelegte Betriebsprogramm überschritten würde, ist derzeit ungewiss.
Aufgrund des weiterhin gültigen Pilzkonzeptes für
den Ausbau des Knotens Berlin bestand für das Eisenbahn-Bundesamt keine Veranlassung, im Verfahren vor
dem Bundesverwaltungsgericht von den Feststellungen
im Planfeststellungsbeschluss abzuweichen. Auch das
Bundesverwaltungsgericht, das von Amts wegen ermittelt, ist zu keinem anderen Ergebnis gelangt.
Bezüglich der Prognosen - das gilt auch für die Prognose im Hinblick auf das der Lärmschutzbemessung
zugrunde gelegte Betriebsprogramm für die Anhalter
Bahn - möchte ich darauf hinweisen, dass deren Eintreten von in der Zukunft liegenden Unwägbarkeiten beeinflusst wird. Die tatsächliche Zugzahl zu einem
bestimmten Zeitpunkt kann sowohl über als auch unter
derjenigen des Betriebsprogramms liegen.
Im konkreten Fall sind diesen Unwägbarkeiten zwei
Termine unterworfen: sowohl die Inbetriebnahme der
Dresdner Bahn als auch die Schienenanbindung zum
Flughafen Berlin Brandenburg International. Derzeit
kann nicht definitiv beurteilt werden, ob und, wenn ja,
wie viele Züge über welchen Zeitraum die Anhalter
Bahn anstelle der noch nicht fertig gestellten Dresdner
Bahn benutzen müssten. Insoweit sind alle Annahmen
über ein zukünftig geändertes Betriebsprogramm für die
Anhalter Bahn reine Spekulation, sodass sie nicht als
Prognose für ein neues Betriebsprogramm tauglich sein
können.
In diesem Zusammenhang darf ich auf die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes im genannten
Verfahren - Seite 20 des Urteils - Bezug nehmen. Dort
heißt es:
Schlüssige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der
in der schalltechnischen Untersuchung enthaltenen
Bestandsaufnahmen und Prognosen des Eisenbahnbetriebes sind diesem Vorbringen ebenso wenig zu
entnehmen wie bei der erschütterungstechnischen
Untersuchung. Die Äußerung von Fragen, Zweifeln
oder Vermutungen reicht hierfür nicht aus.
Wie bereits ausgeführt, handelt es sich bei der Annahme, dass und wie viele Züge auf die Anhalter Bahn
umgeleitet werden könnten, um Vermutungen, die nach
der genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes die Rechtmäßigkeit der im Planfeststellungsbeschluss gemachten Annahmen nicht tangieren. Daher
war auch das Verhalten des Eisenbahn-Bundesamtes als
Planfeststellungsbehörde korrekt. Insoweit kann die
Bundesregierung nur ein rechtmäßiges Verwaltungshandeln konstatieren. Der Vorwurf einer strafrechtlichen Relevanz ist somit abwegig.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass im Gegensatz
zu den gemachten Ausführungen das Umschwenken auf
eine spekulative Prognose, die zudem noch den Endausbau des Knotens Berlin mit der Dresdner Bahn auf
Dauer negiert, als rechtlich bedenklich einzuschätzen ist
und sich deshalb verbietet. Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass der Start- und der Zielort von Zügen, die
über die Anhalter Bahn verkehren, unbeachtlich ist.
Maßgeblich ist lediglich die Anzahl der über diese Strecke verkehrenden Züge und deren Emissionen.
Sollten die Lärmauswirkungen nach Inbetriebnahme
der Strecke wesentlich über den prognostizierten Werten
liegen, können die Betroffenen Ansprüche auf Anordnung von nachträglichen Schutzmaßnahmen gemäß § 75
Abs. 2 Satz 2 Verwaltungsverfahrensgesetz beantragen.
Ich zitiere:
Treten nicht voraussehbare Wirkungen des Vorhabens oder der dem festgestellten Plan entsprechenden Anlagen auf das Recht eines anderen erst nach
Unanfechtbarkeit des Planes auf, so kann der Betroffene Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen verlangen, welche die
nachteiligen Wirkungen ausschließen.
Das Eisenbahn-Bundesamt entscheidet über diese Anträge. Gegen diese Entscheidung stehen den Betroffenen
Rechtsmittel zur Verfügung. Insofern sind die Ansprüche der Betroffenen eindeutig geregelt.
Bitte schön, Kollege Königshaus.
Frau Staatssekretärin, Sie haben zwar sehr ausführlich
geantwortet, aber leider den Kern der Frage nicht getroffen.
Es geht darum, dass die Bundesregierung inzwischen
zu der Auffassung gekommen ist, dass die Dresdner
Bahn aufgrund von Vorgängen, die dem Eisenbahn-Bundesamt als Planfeststellungsbehörde zu dem genannten
Zeitraum bereits bekannt waren, nicht rechtzeitig fertig
werden wird, sodass der Verkehr über die Anhalter Bahn
geleitet werden wird, was vor dem Bundesverwaltungsgericht anders dargelegt worden ist. Ich bitte darum, zunächst die Frage zu beantworten, wie es zu dieser unterschiedlichen Wertung durch die Bundesregierung
kommen konnte.
Ich habe Ihnen schon gesagt, dass wir an dem Pilzkonzept festhalten. Insofern gibt es keine Änderungen.
Abgesehen davon kann ein Planfeststellungsverfahren,
wie Sie wissen, von uns in keiner Weise beeinflusst werden.
Bitte schön, Kollege Königshaus.
Sie werden verstehen, dass ich kurz vor der Verzweiflung bin,
Lieber nicht.
- weil die Frage meiner Meinung nach wieder nicht
beantwortet wurde. Offenbar wollen Sie sie auch nicht
beantworten.
Noch einmal: Im Planfeststellungsbescheid ist als maßgebliches Datum ausdrücklich das Jahr 2010 genannt; dieses Datum wurde vom Bundesverwaltungsgericht
zugrunde gelegt. Vor Gericht wurde von der Vorhabensträgerin und vom Eisenbahn-Bundesamt übereinstimmend vorgetragen, dass im Jahre 2010 der Verkehr der
Dresdner Bahn nicht über die Anhalter Bahn umgeleitet
wird, weil es dafür keine Anhaltspunkte gebe, obwohl es
diese Anhaltspunkte schon gab; denn die Vorgänge, die
der Herr Staatssekretär Großmann hier genannt hat, waren zum damaligen Zeitpunkt schon bekannt. Meine
Frage ist: Wie erklären Sie sich das? Wie bewerten Sie es
strafrechtlich, dass das Eisenbahn-Bundesamt in Kenntnis dieser Fakten vor dem Bundesverwaltungsgericht falsche Angaben gemacht hat?
Ich habe vorhin schon einmal gesagt, dass dies strafrechtlich nicht zu bewerten ist, weil es strafrechtlich
überhaupt keine Relevanz hat. Ich habe Ihnen gerade
eine Antwort gegeben, die Sie aber nicht akzeptiert haben.
Ich habe Ihnen gesagt, dass die Betroffenen dann,
wenn die Auswirkungen anders sein werden als prognostiziert, ihre Ansprüche geltend machen können. Den von
mir aufgezeigten wunderbaren Weg haben Sie aber nicht
zur Kenntnis genommen. Die Hauptaussage ist, dass die
Einhaltung des Datums zur Fertigstellung angestrebt
wird und es von unserer Seite keine Abstriche am Konzept gibt. Insofern halte ich Ihre Frage für beantwortet.
Ihre letzte Zusatzfrage.
Herr Präsident, ich habe zwei Fragen gestellt, die zusammenhängend beantwortet wurden. Meine erste Zusatzfrage war nur, warum die erste Frage nicht beantwortet wurde. Ich habe also noch mindestens zwei
Zusatzfragen.
Ihre Frage 57 ist schon von einer solchen Länge, dass
ich Ihnen dafür Respekt zolle: ein Satz mit 30 Zeilen.
Ich habe mich bemüht, mithilfe Ihrer Verwaltung die
Vorschriften einzuhalten, Herr Präsident.
Frau Staatssekretärin, ich habe nicht danach gefragt,
welchen Weg die Betroffenen gehen können. Das würde
ich mit meiner nächsten Zusatzfrage tun. § 75 Abs. 2
Verwaltungsverfahrensgesetz kenne ich selbstverständlich auch. Aber dieser Weg nötigt den Betroffenen wiederum ein kosten- und arbeitsintensives Verwaltungsverfahren auf.
Hier geht es um die Frage, ob diese Leute - salopp gesagt - von einer Behörde über den Tisch gezogen wurden und ob sie gezwungen werden, einen solchen Weg
zu gehen. Wenn die Behörde erkennt - sie hat es ja offenbar erkannt -, dass sie falsch lag - ob vorsätzlich oder
nicht, ist nach Ihrer Aussage nicht erkennbar -, kann sie
dann nicht verpflichtet werden, die Anwohner so zu stellen, als ob rechtmäßig verfahren worden wäre?
({0})
Ich weiß nicht, was ich Ihnen darauf antworten soll.
Wir sind nicht Beteiligte. Das Eisenbahn-Bundesamt ist
beteiligt. Das Bundesverwaltungsgericht hat eindeutig
gesagt, dass die Äußerungen von Fragen, Zweifeln und
Vermutungen nicht ausreichen. Damit müssen auch Sie
sich abfinden.
Ich kann Ihr Anliegen verstehen. Auch ich habe mit
vielen dort gesprochen. Vielleicht mag das auf der Erscheinungsebene nicht befriedigend sein, aber das ist der
rechtliche Weg, der hier beschritten wurde.
Nun aber die letzte Zusatzfrage, Kollege Königshaus.
Auf dem Kompromisswege bin ich damit einverstanden.
Dann bin ich ja zufrieden.
Frau Staatssekretärin, sind Sie auch der Auffassung,
dass es dem Eisenbahn-Bundesamt, einer Behörde, die
der Dienstaufsicht Ihres Hauses unterliegt, gut angestanden hätte, in dem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wahrheitsgemäß über Umstände auszusagen, die damals bekannt waren und die, wie wir nun
wissen, relevant sind? Denn es findet ein Verkehr statt,
der seinerzeit im Verfahren bestritten wurde. Sind Sie
angesichts dieser Erkenntnisse dazu bereit, auf das Eisenbahn-Bundesamt einzuwirken, damit Nachbesserungen, die übrigens gar nicht so aufwendig sind, vorgenommen werden?
Nein, dazu bin ich nicht bereit. Sie wissen ganz genau, dass ich keiner nachgeordneten Behörde in dieser
Frage irgendeine Anweisung geben kann. Das betrifft
auch das EBA. Daher ist meine eindeutige Antwort:
Nein.
Danke schön.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Die Aktuelle Stunde ist für 16 Uhr vereinbart. Ich unterbreche deshalb die Sitzung bis 16 Uhr.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Die Fraktion der FDP hat zu den Antworten der Bundesregierung auf die Fragen 15 bis 23 eine Aktuelle
Stunde verlangt. Das entspricht I 1 b der Richtlinien für
Aussprachen zu Themen von allgemeinem aktuellen Interesse. Die Aussprache muss unmittelbar nach Schluss
der Fragestunde durchgeführt werden.
Ich rufe daher auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der FDP
EU-Waffenembargo gegenüber der Volksrepublik China
Bevor ich die Aussprache eröffne, erteile ich dem
Kollegen Burgbacher das Wort zu einer Geschäftsordnungsbemerkung.
Herr Präsident! Die FDP-Bundestagsfraktion ist der
Meinung, dass bei der Aussprache über dieses wichtige
Thema der Bundesaußenminister hier im Plenum anwesend sein muss. Ich beantrage deshalb nach § 42 der Geschäftsordnung des Bundestages, den Bundesminister
des Auswärtigen herbeizurufen.
Gibt es zu diesem Geschäftsordnungsantrag Bemerkungen? - Kollegin Schewe-Gerigk, bitte.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
FDP wünscht die Anwesenheit von Bundesaußenminister Fischer in dieser Debatte. Sie haben uns vor einer
Stunde darüber informiert. Ich habe versucht, den Außenminister zu erreichen, und muss Ihnen leider mitteilen, dass er sich derzeit in einem Gespräch mit dem argentinischen Außenminister befindet. Er bittet darum,
dass Herr Staatsminister Bury für ihn die Rede hält.
({0})
Kollege Burgbacher, sind Sie mit dieser Antwort, mit
dieser Reaktion zufrieden?
({0})
- Gut, ich wollte nur Ihre Reaktion hören.
Wir stimmen also über den Geschäftsordnungsantrag
der FDP-Fraktion auf Herbeizitierung des Bundesaußenministers ab. Wer ist für diesen Antrag? - Wer stimmt
dagegen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Ich eröffne die Aussprache zur Aktuellen Stunde und
erteile das Wort dem Kollegen Dr. Guido Westerwelle,
FDP-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr geehrte Damen und Herren! Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat in dieser Woche klare Worte zur Menschenrechtslage in China gefunden. Amnesty International
schreibt:
Die Menschenrechtslage in China hat sich auch unter der neuen Führung nicht verbessert. Auch
15 Jahre nach dem Massaker auf dem Platz des
Himmlischen Friedens in Peking sind Menschen allein deswegen in Haft, weil sie sich an der Protestbewegung beteiligt hatten. Wer darauf dringt, dass
die schweren Menschenrechtsverletzungen von
1989 untersucht werden, der muss mit Repressionen bis hin zur Inhaftierung rechnen. Im ganzen
Land werden Menschen aus politischen Gründen
willkürlich inhaftiert, werden Häftlinge gefoltert
und misshandelt. Jedes Jahr werden Tausende zum
Tode verurteilt und hingerichtet.
Die Generalsekretärin von Amnesty International, Frau
Lochbihler sagt dazu:
Die EU ist deswegen auf dem falschen Weg, wenn
sie erwägt, das Waffenembargo gegen China aufzuheben.
Wir unterstützen Amnesty International hier im Deutschen Bundestag.
({0})
Der deutsche Bundeskanzler hat bei seiner letzten
Reise nach China in der vergangenen Woche entgegen
der Auffassung dieser Menschenrechtsorganisation, aber
auch entgegen einem entsprechenden Beschluss dieses
Hohen Hauses abermals die Aufhebung des Waffenembargos gegen China vorgeschlagen. Er hat angekündigt,
dass er sich in Europa dafür einsetzen wird, dass dieses
Waffenembargo fällt. Er hat wörtlich gesagt:
Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass es zu einer
Aufhebung des Waffenembargos kommen sollte.
Von Staatsminister Bury haben wir in der Fragestunde
eben erfahren, dass das nicht ins Blaue hinein formuliert
worden ist, sondern dass es am nächsten Freitag auf der
Tagesordnung des Europäischen Rates steht. Deswegen
entspricht diese Aktuelle Stunde jedem parlamentarischen Recht. Darüber hinaus existiert eine ganz besonDr. Guido Westerwelle
dere Dringlichkeit, dass wir hier im Deutschen Bundestag darüber sprechen.
({1})
Die Ratifizierung und Umsetzung des VN-Paktes
über politische und bürgerliche Rechte, weitere Umsetzungen der jüngsten Verfassungsänderungen im Bereich
der Menschenrechte und des Privateigentums, die Stärkung substanzieller Autonomierechte für ethnische Minderheiten, das alles sind nach Auffassung der Mehrheit
des Deutschen Bundestages - SPD und Grüne hatten einen entsprechenden Antrag gestellt - die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, bevor eine Aufhebung des
Waffenembargos auch nur in Betracht gezogen werden
kann.
Herr Staatsminister Bury teilte uns hier mit, er habe
diese Beschlusslage mit Respekt und Interesse zur
Kenntnis genommen.
({2})
Wo sind wir gelandet, wenn ein Beschluss des Deutschen Bundestages nach Auffassung der Bundesregierung für sie nichts anderes ist als etwas, was man mit Interesse und Respekt zur Kenntnis nimmt?
({3})
Sie können im Ausland nicht frei schalten und frei walten. In China war nicht der Bürger Schröder, der seine
Privatmeinung vertritt, sondern der Regierungschef der
Bundesrepublik Deutschland. Die Mehrheit in diesem
Hause, die die Menschen der Bundesrepublik Deutschlands vertritt, ist der Auffassung: keine Aufhebung des
EU-Waffenembargos. Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf, am Freitag gegen eine Aufhebung des
Waffenembargos zu kämpfen und zu stimmen und ihren
Irrweg in Bezug auf die Menschenrechte zu beenden.
({4})
Man möge sich nur vor Augen führen, was der deutsche Außenminister gesagt hat, als er noch in der Opposition war. 1996 hat er in einer bemerkenswerten, großen
Debatte, an die ich mich persönlich noch erinnere, gesagt: Die Menschenrechte dürfen wirtschaftlichen Beziehungen nicht geopfert werden. - Das ist die Haltung der
Freien Demokraten; das ist die Haltung von uns als Abgeordneten der Opposition in diesem Hause. Wir sind
der Überzeugung: Ziviler Handel mit China - damit
auch Wandel in China - ist richtig. Aber es ist ein Unterschied, ob man zivilen Handel befördert oder ein Waffenembargo aufhebt. Die Sache der Menschenrechte ist für
uns keine Handelsware. Die Menschenrechte sind für
alle in der Welt verbindlich. Ein großer Mann hat gesagt
- ich zitiere -: Es gibt eine Pflicht zur Einmischung in
die inneren Angelegenheiten der Menschenrechte. Das
sagte Heinrich Böll, meine sehr geehrten Damen und
Herren von den Grünen.
({5})
Wir sagen deshalb: Es ist ein trauriger Tiefpunkt in
der Moral der deutschen Außenpolitik. Wir kritisieren
das als Abgeordnete, als Parlamentarier. Es ist schlechterdings unanständig, wenn sich die deutsche Bundesregierung einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen durch die Aufhebung des
Waffenembargos gegen China und durch die Missachtung der Menschenrechte erkaufen will. Das ist ein Kuhhandel. Das hat mit Moral und Ethik nichts mehr zu tun.
({6})
Sie sind nur noch Abgeordnete, die degradiert worden
sind.
({7})
Ihre Meinungen werden nicht gehört, sondern „mit Interesse zur Kenntnis genommen“.
({8})
Das ist nicht unser Parlamentsverständnis.
Wir sind der Auffassung: Menschenrechte müssen
gelten. Sie müssen von der deutschen Außenpolitik vertreten werden. Wer die Menschenrechte nicht achtet, der
wird übrigens auch mit Sicherheit keine gute wirtschaftliche Entwicklung erreichen. Deswegen wenden wir uns
gegen diese Politik der Bundesregierung.
({9})
Wir appellieren an die Bundesregierung, umzukehren.
Wir erwarten vom deutschen Außenminister, dass er
nicht nur auf Parteitagen der Grünen über Menschenrechte spricht. Er ist in der Verpflichtung, entsprechend
zu handeln. Er ist der Stellvertreter des Bundeskanzlers.
Wer so über Menschenrechte spricht, ist auf dem moralischen Tiefpunkt seiner Politik angekommen.
({10})
Ich erteile Staatsminister Hans Martin Bury das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
parteipolitisch motivierten Auseinandersetzungen werden mitunter Ziele und Instrumente verwechselt. Ich bin
davon überzeugt, dass wir uns in der Zielsetzung weitgehend einig sind.
({0})
Wir wollen die Partnerschaft mit China stärken, wollen
dazu beitragen, dass dort Menschen- und Minderheitenrechte geachtet, demokratische und marktwirtschaftliche
Reformen fortgesetzt und Konflikte friedlich gelöst werden.
Die Verhängung des Waffenembargos der Europäischen Union im Jahre 1989 war ein starkes Signal dafür,
dass Europa die blutige Niederschlagung der Studentenproteste in Peking auf dem Platz des Himmlischen Friedens nicht akzeptiert. Das Embargo war Ausdruck der
weltweiten Empörung über die grausame Unterdrückung
der friedlichen Demonstrationen für Demokratie und
Menschenrechte.
In den 15 Jahren seither hat sich die Situation in
China und haben sich die europäisch-chinesischen Beziehungen entwickelt, und zwar trotz aller Defizite, trotz
aller noch zu lösenden Probleme positiv entwickelt. Das
China von heute ist nicht mit dem China von 1989 zu
vergleichen. In den letzten Jahren haben sich die individuellen Freiräume der Bürger in Wirtschaft und Gesellschaft erheblich erweitert. Die Menschenrechte wurden
in die Verfassung aufgenommen. Bei ihrer Anwendung
gibt es unbestreitbare Verbesserungen. Eine Reihe von
Gesetzen stärkt zudem die individuellen Rechte des Einzelnen. Mit dem Beitritt zur WTO hat sich China verpflichtet, auch internationale Rechtsnormen beim Handel anzuerkennen.
Dort, wo weiter Defizite bestehen, sprechen wir diese
offen an.
({1})
Der Menschenrechtsbericht der Bundesregierung ist eindeutig, etwa wenn er die in allen politischen Fragen zentral und straff gelenkte Presse, Verurteilungen ohne
rechtsstaatliche Verfahren und die Unterdrückung der tibetischen Kultur kritisiert. Wir erwarten, dass die Volksrepublik China den internationalen Pakt über bürgerliche
und politische Rechte rasch ratifiziert und umsetzt. Die
individuellen Rechte der Bürger würden dadurch besser
geschützt.
Wir unterstützen China im Rahmen des Rechtsstaatsdialogs etwa bei der Ausbildung von Richtern. So haben
sich im Jahr 2002 erstmals Zehntausende chinesischer
Jurastudenten einer Prüfung zur Befähigung zum Richteramt unterzogen - ein wichtiger Schritt auf dem Weg
zu einer Professionalisierung der Richterschaft.
Wir wissen, dass die ökonomische Entwicklung ebenfalls zu einer Stärkung der Zivilgesellschaft beiträgt und
damit auch den Druck aus der chinesischen Gesellschaft
selbst auf die Einhaltung bürgerlicher Freiheitsrechte erhöht.
Das Embargo, so richtig seine Verhängung 1989 war,
hat sich im Hinblick auf die Erreichung der genannten
Ziele nur bedingt als geeignetes Instrument erwiesen.
Erst recht ist zu fragen, ob es in Zukunft für eine positive
Entwicklung eher förderlich oder hinderlich ist.
Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind entschlossen, die Arbeiten für eine Aufhebung des Embargos fortzusetzen. Die Entscheidung über eine Aufhebung wird auf der Grundlage von Fortschritten in den
anderen Bereichen der Beziehungen zwischen China und
der Europäischen Union erfolgen. Unser Ziel ist dabei
nicht die Steigerung von Waffenexporten aus EU-Mitgliedstaaten nach China. Auch nach einer Aufhebung
des Embargos gelten die strengen nationalen Rüstungsexportbeschränkungen.
Im europäischen Rahmen setzen wir uns für eine Stärkung des Verhaltenskodex ein, der insbesondere die Kriterien Menschenrechte, Stabilität und Sicherheit in der
Region sowie die nationale Sicherheit befreundeter und
alliierter Länder beinhaltet.
({2})
Ich möchte die Bedeutung einer baldigen Verabschiedung eines solchen weiterentwickelten, verbindlichen
Kodex ausdrücklich unterstreichen.
„Keine Angst vor den Chinesen“, so war ein Namensartikel des früheren Bundesaußenministers HansDietrich Genscher in der gestrigen Ausgabe des „Tagesspiegels“ überschrieben. Genscher unterstreicht darin
die Kontinuität deutscher Außenpolitik gegenüber China
und betont - ich zitiere -:
Die auf Wettbewerb ausgerichteten westlichen Gesellschaften sollten in der steigenden Wettbewerbsfähigkeit Chinas nicht eine Bedrohung, sondern einen dynamischen Faktor für die immer deutlicher
werdende multipolare Weltordnung sehen.
({3})
- Kollege Westerwelle, Sie dürfen auch nach dem nächsten Satz gerne klatschen. Herr Genscher schreibt nämlich weiter:
Auch unter diesem Gesichtspunkt erweist sich das
Bemühen der Bundesregierung um eine Vertiefung
der deutschen und europäischen Beziehungen zu
China als weitsichtig.
({4})
Die heutige Kritik der FDP an der Chinapolitik und
die Auseinandersetzung der CDU/CSU mit der Frage der
Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei
zeigen, wie weit Ihre Parteien, wie weit CDU/CSU und
FDP von der Regierungsverantwortung entfernt sind.
({5})
Lassen Sie uns gemeinsam Defizite offen ansprechen,
nicht in der Absicht, andere vorzuführen, sondern mit
dem Ziel, die Probleme zu lösen. Lassen Sie uns positive
Entwicklungen verstärken und unterstützen, so, wie es
die Europäische Union und die Bundesregierung mit ihrer Chinapolitik tun.
({6})
Ich erteile das Wort Kollegen Andreas Schockenhoff,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Dass wir nicht an der Regierung sind, ist ein Faktum.
({0})
Die Parteivorsitzende der CDU hat aber in Europa
durchaus Einfluss. Das hat man bei der Besetzung der
Kommission und bei der Auswahl des neuen Kommissionspräsidenten gemerkt. Ihr Kandidat war ja wohl jemand anderes. Frau Merkel hat da doch eigene Mehrheiten in Europa organisieren können.
({1})
Ich glaube durchaus auch, dass wir in Bezug auf die
Frage des Beitritts der Türkei nicht auf einem Stern leben.
({2})
Herr Westerwelle, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass am Freitag das Thema „Waffenembargo gegen China“ auf der Tagesordnung des Europäischen Rates steht. Dorthin gehört es. Es wäre richtiger gewesen,
sich dort konstruktiv zu diesem Thema einzulassen,
({3})
als zum wiederholten Male im Ausland deklamatorisch
und einseitig zu verkünden, was sich in Europa zu verändern habe.
({4})
Genau das aber hat Bundeskanzler Schröder schon vor
einem Jahr bei seiner letzten Chinareise getan. Wir hatten ihn daraufhin im Auswärtigen Ausschuss dafür kritisiert, dass er das ohne Abstimmung mit den europäischen Partnern getan habe. Darauf hat
Das war europäisch
abgestimmt, ich habe mit dem Chirac telefoniert.
({0})
Meine Damen und Herren, ein solches europäisches Direktorium verhindert die Herausbildung einer gemeinsamen diplomatischen und sicherheitspolitischen europäischen Identität.
({1})
Dieses Verhalten ist ja auch kein Einzelfall. Ganz
egal, wie man in der Sache zu den jeweiligen Problemen
steht, ist zu sagen: Die Art und Weise, wie Sie Ihre Irakpolitik betrieben haben und vor allem die Irakresolutionen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vorbereitet
haben, die Art und Weise, wie Sie sich um die Zustimmung für einen deutschen Sitz im Sicherheitsrat bemühen,
({2})
die Art und Weise, wie Sie jetzt beim Waffenembargo
vorgehen, zeigt kein europäisches Gespür, sondern stellt
eine rein auf äußere Effekte ausgerichtete renationalisierte deklamatorische Außenpolitik dar.
({3})
Ihre Politik stimmt im Übrigen mit der Wirklichkeit
längst nicht mehr überein und ist auch nicht konsistent.
Wir haben uns vor einigen Jahren darüber unterhalten,
ob Taiwan aus Deutschland einen Beobachtungssatelliten geliefert bekommen darf, den so genannten Rocsat.
Damals hatte die DASA den Wettbewerb gewonnen.
Diese Bundesregierung hat eine Exportgenehmigung
verweigert, und zwar mit zwei Argumenten: Zum einen
sei die Straße von Taiwan Spannungsgebiet und
Deutschland liefere nicht in Spannungsgebiete und zum
anderen wolle sie Rücksicht nehmen auf die Wirtschaftsinteressen der deutschen Industrie.
Meine Damen und Herren, die industrielle Integration
in Europa ist aber viel weiter gegangen. Nummer zwei
war damals nämlich die französische Firma Aerospatial;
sie hat geliefert. Sie haben jetzt - wir freuen uns darüber - Verträge mit China in Höhe von
1,3 Milliarden Euro unterzeichnet, weil Sie auf die Wirtschaftsinteressen Rücksicht genommen haben. Chirac
hat damals geliefert; eine Woche vorher hat er Verträge
in Höhe von 4 Milliarden Euro unterzeichnet. Auch das
freut uns aus europäischer Sicht.
({4})
In Bezug auf Rüstungsgüter bilden Aerospatial und
DASA heute ein gemeinsames, supranationales europäisches Unternehmen. Dieses Unternehmen kann Rüstungsgüter aus unterschiedlichen Standorten in Europa
anbieten. Tatsache ist, dass die EADS inzwischen Kapazitäten und Arbeitsplätze aus Deutschland, nämlich aus
meinem Wahlkreis, Friedrichshafen, abgezogen hat, weil
sie unter dieser Bundesregierung am Standort Friedrichshafen Restriktionen unterliegt, die sie in Toulouse
und an anderen Orten in Europa nicht hat. Deswegen ist
diese deklamatorische Politik, die Sie betreiben, oberflächlich und nicht konsistent.
Ich will im Hinblick auf die deutsche und die europäische Rüstungsindustrie auf ein zweites Problem hinweisen. Ich rate Ihnen dringend, sich in der Frage des
Waffenembargos gegen China eng mit unseren Verbündeten in den Vereinigten Staaten abzustimmen. Wir halten es aus Menschenrechtsgründen - der Kollege
Hermann Gröhe wird nachher darauf eingehen; auch
Herr Westerwelle hat es zu Recht gesagt - für unverantwortlich, das Waffenembargo aufzuheben. Aber wenn
das am Freitag innerhalb der EU geschieht, dann heißt
das nur, dass zwar nach europäischem Recht ein europäisches Unternehmen wieder Waffen nach China liefern
könnte, zumindest theoretisch. Solange aber das amerikanische Waffenembargo bestehen bleibt, ist es so, dass
ein Unternehmen, das dagegen verstößt, automatisch
von Kooperationen mit amerikanischen Firmen ausgeschlossen wird. Insofern legen Sie den Unternehmen ein
Kuckucksei ins Nest. Auch das zeigt: Ihre Politik ist
nicht durchdacht. Sie ist auf den schnellen, tagespolitischen Effekt ausgerichtet. Sie dient nicht deutschen Interessen und nicht unseren politischen Werten.
Ich bedanke mich.
({5})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Winfried
Nachtwei, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wer wie ich vor 25 Jahren erstmalig in China war, weiß
besonders um die rasante und oft faszinierende Veränderung in diesem Land. Uns ist die enorme und wachsende
Bedeutung der Volksrepublik China als Markt, als Wirtschaftsmacht, als Akteur in der internationalen Politik
und im UN-Sicherheitsrat sehr bewusst. Deshalb ist ein
Bemühen um partnerschaftliche und intensive Beziehungen zur Volksrepublik China von zentraler Bedeutung.
Das EU-Waffenembargo wurde 1989 wegen des Massakers auf dem Tiananmen gegen China verhängt. 15 Jahre danach ist selbstverständlich eine Überprüfung angesagt. Die chinesische Seite behauptet, das Embargo sei
nicht mehr zeitgemäß und Produkt des Kalten Krieges,
die Verknüpfung mit Menschenrechtsfragen sei - Zitat „Unsinn“. Es gehe darum, eine Diskriminierung in den
Beziehungen zwischen der EU und der Volksrepublik
China zu beseitigen; schließlich widerspreche das Embargo der strategischen Partnerschaft zwischen der EU
und der Volksrepublik China.
({0})
Das Embargo war keineswegs Produkt eines ideologischen Antikommunismus, also einer Situation des Kalten Krieges, sondern Reaktion auf schwerste Menschenrechtsverletzungen. Unzweifelhaft gibt es Fortschritte,
vor allem bei den sozialen Menschenrechten, der Reduzierung von Armut und im Rechtssystem. Zugleich aber
- das haben alle festgestellt - gibt es massive und gravierende Defizite, vor allem bei den bürgerlichen und
politischen Rechten. Wir beklagen die häufige und extensive Anwendung der Todesstrafe, die massenhafte
Administrativhaft und den entsprechenden Umgang mit
Minderheiten. In der „Süddeutschen Zeitung“ fasste der
Kommentator Kai Strittmatter die Situation so zusammen:
Der Kommunismus in China ist mausetot … Die
Diktatur der Partei ist quicklebendig.
Ginge es bei einer Aufhebung des Waffenembargos
um die Beendigung einer Diskriminierung? Schon die
Praxis des Embargos beweist das Gegenteil: Seit Jahren
wird das EU-Waffenembargo von den einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich ausgelegt. Im Jahre
2002 lieferten Frankreich und Großbritannien Rüstungsgüter - vor allem im so genannten Dual-Use-Bereich im Wert von 105 Millionen Euro bzw. im Wert von
79 Millionen Euro an die Volksrepublik China.
({1})
Nach Einschätzung internationaler Analysten gibt es
sehr wohl konkrete Kaufinteressen aufseiten der Volksrepublik China, vor allem im Bereich von Raketen- und
Raketenabwehrsystemen, im Bereich der Steuerungsund Leiteinrichtungen sowie im Bereich der Luftaufklärung und Luftabwehr.
({2})
Hinzu kommt das augenfällige Exportinteresse einiger
europäischer Staaten, vor allen Dingen Frankreichs. Für
die Bundesrepublik Deutschland gilt aber eindeutig, dass
China aufgrund unserer Rüstungsexportrichtlinien aus
dem Kreis der Nationen, an die Rüstungsgüter geliefert
werden könnten, herausfallen würde.
({3})
Eine strategische Partnerschaft zwischen Europäischer Union und China ist richtig und notwendig. Aber
sie ist selbstverständlich keine Harmonieveranstaltung.
Durch diese Partnerschaft werden die strategischen Interessen der jeweiligen Partner keineswegs hinfällig und
sie werden auch nicht relativiert. Zu den strategischen
Interessen Deutschlands und Europas gehört selbstverständlich die friedliche Konfliktlösung und Stabilisierung nicht nur im europäischen Raum, sondern darüber
hinaus auch im pazifischen Raum. Zu unseren strategischen Interessen gehört ferner die transatlantische
Partnerschaft.
Die Volksrepublik China hat mehrfach glaubwürdig
deutlich gemacht, gegebenenfalls auch militärisch gegen
Taiwan vorzugehen. Das würde zu einer direkten Konfrontation mit den USA führen. Insofern darf und kann
die Europäische Union nichts tun, was diesen Konflikt
verstärken und das chinesische Aufrüstungsprogramm
fördern könnte.
Der Bundestagsbeschluss vom 28. Oktober benennt
deutlich die Bedingungen, unter denen das Waffenembargo aufgehoben werden könnte. Hierbei sind einerseits
ein weiterentwickelter und verbindlicher EU-Verhaltenskodex und andererseits reale Fortschritte bei den MenWinfried Nachtwei
schen- und Minderheitenrechten sowie bei der friedlichen Beilegung des Streits mit Taiwan von zentraler
Bedeutung. Wir müssen feststellen, dass diese Bedingungen zurzeit nicht erfüllt sind.
({4})
In dieser Bewertung ist sich die große Mehrheit der Abgeordneten dieses Hauses über alle Fraktionsgrenzen
hinweg mit dem Europäischen Parlament einig.
({5})
In einer repräsentativen Demokratie hat ein solches Votum - bei allem Respekt vor anderen Meinungen - ein
ganz besonderes Gewicht.
Ich danke Ihnen.
({6})
Ich erteile das Wort Kollegen Markus Löning, FDPFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Nachtwei, es war schon sehr interessant, was Sie hier
ausgeführt haben. Denn Ihre Aussagen haben in großen
Teilen dem, was Herr Bury uns gerade weiszumachen
versucht hat - es gebe keinen Bedarf und niemand wolle
Rüstungsgüter an China verkaufen -, krass widersprochen.
({0})
Sie sollten sich bei Gelegenheit vielleicht einmal ein
bisschen abstimmen.
Herr Bury, Sie haben vorhin Herrn Genscher zitiert.
In einem Gespräch heute Morgen hat Herr Genscher ausdrücklich klargestellt, dass er sich niemals für eine Aufhebung des Waffenembargos eingesetzt hat.
({1})
Insofern verstehe ich, dass Herr Fischer jetzt nicht anwesend ist. Was Waffenlieferungen angeht, hat Herr
Genscher nämlich ganz andere Maßstäbe als Herr
Fischer gesetzt.
({2})
Unter Genscher sind die Genehmigungen für Waffenexporte sehr viel restriktiver gehandhabt worden, als es unter dem jetzigen Bundesaußenminister der Fall ist. Deswegen verstehe ich, wie gesagt, dass er heute lieber nicht
anwesend ist.
({3})
Ich kann mich gut daran erinnern, wie Herr Fischer
hier Bundeskanzler Kohl nach dessen Besuch der chinesischen Armee kritisiert hat. Auch Sie können sich doch
sicherlich noch an diesen Affentanz erinnern. Jetzt ist
Bundeskanzler Schröder an der Regierung; Fischer ist
Vizekanzler und will Waffen liefern.
({4})
- Er will die Möglichkeit eröffnen, dass Waffen geliefert
werden. Das, worüber wir heute reden, hat eine ganz andere Qualität.
({5})
Lassen Sie mich noch eine weitere Bemerkung zum
Bundesaußenminister machen und einen weiteren möglichen Grund nennen - auch diesen könnte ich nachvollziehen -, weshalb er heute nicht hier ist: Er wird durch
diese Art von Aktionen des Bundeskanzlers, durch diese
Megafondiplomatie - über den Ticker oder über die
Presse wird irgendetwas verlautbart - zum Schweigen
verurteilt. Er sitzt doch da, hat nichts mehr zu sagen und
bekommt auch den Mund nicht mehr auf.
({6})
Ich frage mich, wie sich dieser Mann noch auf einem
Parteitag hinstellen und irgendetwas von werteorientierter Außenpolitik erzählen kann. Ich frage mich, warum
er sich das traut, obwohl er dem Bundeskanzler kein einziges Mal in die Parade fährt, wenn er mit dem Megafon
wieder irgendwelche außenpolitischen Kehrtwendungen
verkündet.
({7})
Wenn wir über die Aufhebung des Waffenembargos
reden, dann müssen wir auch überlegen, welches Signal
dadurch gesendet wird. Ich verstehe nicht, dass Sie sich
das nicht mehr fragen. Was ist es denn für ein Signal für
Taiwan, für ein Land, das demokratisch und rechtsstaatlich ist - Herr Nachtwei, Sie haben das zu Recht angesprochen -, wenn wir sagen, es sei in Ordnung, wenn
sich der nördliche Nachbar, der Taiwan gerne einverleiben würde und regelmäßig unter Waffengeklirre in ernst
zu nehmender Weise droht, bei uns mit Waffen eindeckt?
Was ist es für ein Verständnis von Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit, die wir in dieser Welt unterstützen
wollen, wenn wir bei dieser Auseinandersetzung einfach
sagen, es mache nichts aus, wenn China Waffen erhält,
obwohl die Volksrepublik - im Gegensatz zu Taiwan kein demokratisches Land ist?
({8})
Ich frage mich dasselbe im Hinblick auf Hongkong:
Was ist das für ein Signal für die Menschen in Hongkong? Wir hatten ein Treffen mit Liberalen aus Hongkong und dem gesamten asiatischen Raum, die sich dort
bitter darüber beklagt haben, dass nur noch die Amerikaner ihnen die Stange halten. Aus Europa, auch von der
deutschen Bundesregierung, ist zur Unterstützung der
Demokratie, zur Einhaltung dessen, was in Hongkong
vereinbart worden ist, nichts zu hören. Warum macht
sich die Bundesregierung nicht an dieser Stelle stark und
unterstützt die Menschen, die in Hongkong auch für Demokratie streiten?
({9})
Ich glaube, man sollte an dieser Stelle das Beispiel
der Amerikaner - ich weiß, dass Sie es nicht allzu sehr
lieben - rekurrieren. Die Amerikaner verstehen es nämlich sehr gut, auf der einen Seite mit den Chinesen sehr
gut im Geschäft zu sein - wir alle wissen, dass sie es gut
verstehen, ihre Interessen im geschäftlichen Bereich zu
vertreten -, und scheuen sich auf der anderen Seite nicht,
den Mund aufzumachen und klare Worte zu sprechen,
wenn es um Fragen der Bedrohung der Demokratie sowie des Schutzes von Menschenrechten geht. Ich weiß
nicht, warum die deutsche Bundesregierung nicht genauso in der Lage sein sollte, wirtschaftliche Interessen
und den Einsatz für Menschenrechte in einem Atemzug
hinzubekommen.
Vielen Dank.
({10})
Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär
Ditmar Staffelt das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zunächst möchte ich eine Anmerkung dazu machen, dass hier offensichtlich von der Opposition im
Hinblick auf das Embargo ein Gegeneinander von opportunistischen wirtschaftlichen Interessen einerseits
und den Menschenrechten, der Moral andererseits formuliert wird. Ich glaube, es handelt sich dabei um kommunizierende Röhren. Es gibt - das war übrigens auch
einmal die Politik der früheren schwarz-gelben Regierung - den Ansatz von Kommunikation, Information
und Marktwirtschaft durch die Zusammenarbeit in Forschung und Wissenschaft, um genau das, was wir wünschen, auszulösen: einen Prozess zur Demokratisierung
eines Landes. Dazu bekennen wir uns.
Da wir einen Rahmen von Instrumenten haben, die
letztlich die Auseinandersetzung mit einem Land wie
China kennzeichnen, müssen wir uns immer wieder die
Frage stellen - so habe ich die entsprechende Resolution
des Deutschen Bundestages auch verstanden -: Sind
diese Instrumente noch in Anwendung zu bringen? Entsprechen sie dem jeweiligen Stand oder müssen sie modifiziert oder gar beseitigt werden? Einen ähnlichen Prozess hatten wir auch in Bezug auf Osteuropa. Da gibt es
sehr viele Ähnlichkeiten, die ich Sie nicht zu unterschätzen bitte.
Ein Instrument wie das Embargo ist ja kein Selbstzweck. Es ist vielmehr in die strategische Zielsetzung
einzubinden, die wir aus den verschiedenen Blickwinkeln und insbesondere aus dem Blickwinkel der Menschenrechte verfolgen. In jedem Falle gilt eines - das
muss man hier ganz ausdrücklich sagen -: Die Aufhebung des Waffenembargos hat in keiner Weise etwas damit zu tun, dass dies einen Hinweis darstellt, in dem Dialog um die Durchsetzung von Menschenrechten in der
Volksrepublik China nachzulassen.
Ich will an dieser Stelle im Hinblick auf den Bereich
der Rüstungsexporte - denn unser Haus ist dafür zuständig - der Öffentlichkeit eine Tatsache näher bringen: Die
Aufhebung des Embargos hat überhaupt nichts mit der
unmittelbaren Zulassung von Waffenexporten, wie hier
suggeriert wird, zu tun.
({0})
Das Waffenembargo ist ein zusätzliches Instrument, das
aus einer konkreten historischen Situation heraus, nämlich aufgrund der Verbrechen, die dort begangen worden
sind, eingesetzt worden ist. Das steht völlig außer Frage.
Dies ist 15 Jahre her.
Würden wir uns einmal vergegenwärtigen, das Embargo sei nicht mehr vorhanden, was würde dann eigentlich passieren? Dann würde lediglich eines bewirkt werden: Das erste Kriterium des EU-Verhaltenskodexes, bei
dem von vornherein gesagt wird: „Wir brauchen gar
nicht darüber zu reden; es sind keine Waffenexporte
möglich“, hätte praktisch keine Gültigkeit mehr. Die folgenden sieben weiteren Kriterien des EU-Verhaltenskodexes würden mit den entsprechenden Wirkungen in
Bezug auf eine Überprüfung in Kraft treten. In Deutschland kämen - das darf man nicht vergessen - die politischen Grundsätze der Bundesregierung hinzu, die in der
letzten Legislaturperiode nachhaltig überarbeitet worden
sind und die die EU-Kriterien aus nationaler Sicht deutlich ergänzt und präzisiert haben. Dazu stehen wir auch.
Ich will an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Für die
Bundesregierung ergeben sich in der Diskussion über
dieses Embargo keine Fragen. Wir halten an unserer
Rüstungsexportpolitik, so wie wir sie in den letzten Jahren entwickelt haben, fest. Dabei wird die Einhaltung der
Menschenrechte in jeder Hinsicht ein zentrales Prüfkriterium bleiben; daran gibt es überhaupt keinen Zweifel.
Neben der Einhaltung der Menschenrechte stellen die
Themen Frieden, Sicherheit und Stabilität - und damit
auch die Taiwanfrage -, die sich aus dem EU-Verhaltenskodex und unseren eigenen politischen Grundsätzen
ergeben, höchstbewertbare Kriterien dar.
Ich sehe also, dass wir selbst bei Aufhebung des Embargos auch durch die uns selbst vorgegebenen Kriterien
eine Vielstufigkeit von Prüfkriterien haben, die im Ergebnis nicht dazu führen, dass wir die Möglichkeit hätten, Waffen zu exportieren. Das Einzige, was wir tun
müssten, ist: Wir müssten dann in die Einzelfallprüfung
eintreten.
Herr Nachtwei, ich kann übrigens nicht bestätigen,
dass es in den entsprechenden Unternehmen, soweit sie
in Deutschland zu Hause sind, konkrete Pläne gibt, Waffen in die Volksrepublik China zu exportieren. Soweit
ich weiß, gibt es auch seitens der Volksrepublik China
keine entsprechende Nachfrage.
Ich kann an dieser Stelle nur auf Folgendes hinweisen: Bei der restriktiven Auslegung der Kriterien, die wir
heutzutage haben, und vor dem Hintergrund der Istlage
wäre es aus meiner Sicht unter den waltenden Umständen nicht möglich, von deutschem Boden aus Waffenexporte in die Volksrepublik China zu realisieren. Ich bitte
daher, diese Diskussion auf ihren tatsächlichen Kern zurückzuführen. Es ist eine Diskussion um die Frage: Wollen wir das Embargo aufrechterhalten und damit bei der
chinesischen Führung das Empfinden hervorrufen, dass
es sich hierbei um eine Diskriminierung handelt?
({1})
- Ich verstehe das so: Das Parlament hat etwas ganz
Wichtiges beschlossen und ich wüsste nicht, warum wir
in diesem Zusammenhang nicht auch genau diese Kriterien beachten sollten, die nämlich besagen, dass es überprüft werden soll. Ferner sind ja Kriterien aufgestellt
worden, die angeben, unter welchen Bedingungen sich
das Parlament vorstellen kann, dass es eine entsprechende Veränderung gibt. Das ist doch in Ordnung; dagegen sagt doch keiner etwas.
({2})
Gleichwohl müssen Sie aber auch zur Kenntnis nehmen - da widerspreche ich Ihnen noch einmal ganz ausdrücklich -, dass der Bundeskanzler der Bundesrepublik
Deutschland auch eine eigene Meinung formulieren darf
und dass die Bundesregierung innerhalb der Europäischen Union einen Standpunkt vertreten darf, den die
übrigen Länder nicht übernehmen müssen. Aber eine
Diskussion wird man doch wohl noch anstoßen dürfen.
Das erwarten Sie doch sonst in vielen anderen Fragen
von der Bundesregierung und Sie erwarten es zu Recht.
Deshalb bitte ich Sie, meine Damen und Herren, bei dieser Diskussion in jedem Fall eine Emotionalisierung zu
unterlassen und diese Diskussion auf ihren Kern zurückzuführen: Es ist eine Diskussion über ein Instrument,
dessen wir uns bedienen können, dessen wir uns aber
nicht bedienen müssen, wenn wir es nicht mehr für erforderlich und tauglich halten.
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit,
das für Rüstungsexporte zuständig ist, sieht unter den
gegebenen Umständen nicht, dass ein solcher Export
möglich wäre, und es hat auch keine Kenntnis davon,
dass es in irgendeiner Weise Anfragen oder ein Interesse
von deutscher oder von chinesischer Seite gibt. Dies
sollte hier noch einmal sehr klar und deutlich betont werden.
Danke schön.
({3})
Ich erteile das Wort Kollegen Hermann Gröhe, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In
dieser Aktuellen Stunde geht es mir vor allem um zwei
Aspekte. Es geht erstens um die Fragestellung: Ist es
heute an der Zeit, das Waffenembargo, mit dem die
Europäische Union auf die blutige Niederschlagung der
Demokratiebewegung vor 15 Jahren in der Volksrepublik China reagierte, aufzuheben? Die Antwort der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist klar: Nein, eine solche Aufhebung kommt für uns zurzeit nicht infrage.
({0})
Wo ist die klare und unzweideutige Antwort von RotGrün auf diese Frage? Staatsminister Bury und Staatssekretär Staffelt jedenfalls haben sehr deutlich gemacht,
dass ihnen der Gleichschritt mit dem Bundeskanzler
wichtiger ist als ein klares Bekenntnis zur Meinung dieses Parlaments.
({1})
Auch wer erhebliche Fortschritte in China, auch im
Bereich der Menschenrechte, anerkennt, wer gute Beziehungen, auch im Bereich der Wirtschaft, will, muss feststellen: Angesichts anhaltender schwerer Menschenrechtsverletzungen - da bin ich in der Tat, Herr
Staatssekretär, emotional - wäre eine solche Aufhebung
ein fatales Signal.
Nach wie vor wird die Todesstrafe in der Volksrepublik China in großem Umfang und für zahlreiche Delikte
tausendfach verhängt und vollstreckt. Von fairen Gerichtsverfahren und einer unabhängigen Justiz kann dabei nicht die Rede sein. Neuerdings sollen mobile Hinrichtungsstätten und rollende Todeskammern billigere
und schnellere Hinrichtungen ermöglichen. Misshandlungen und Folter sind in vielen Gefängnissen und Lagern nach wie vor an der Tagesordnung. Nicht zuletzt
die immer noch hart verfolgten Anhänger der FalunGong-Bewegung sind davon betroffen. Die schleichende
Zerstörung der kulturellen Identität der Tibeter hält
ebenfalls an. Die Meinungs-, Religions- und Versammlungsfreiheit wird weiterhin massiv eingeschränkt. Gerade nicht registrierte christliche Gemeinden sind von
Willkür, Rechtsunsicherheit, Schikanen, aber immer
wieder auch von Verfolgung betroffen. Erst in der letzten
Woche wurde eine Zeitung verboten und wurden Intellektuelle, darunter Mitbegründer des chinesischen
P.E.N.-Clubs, verhaftet und verhört, weil sie unter anderem im Internet kritische politische Kommentare veröffentlicht hatten. Gerade in diesen Tagen deutet vieles
auf eine neue Offensive der politischen Führung in
China gegen politisch Andersdenkende hin. Hinzu
kommt eine Politik des Säbelrasselns gegenüber Taiwan.
600 Mittelstrecken- und Kurzstreckenraketen der
Volksrepublik China sind auf Taiwan gerichtet. Wer in
dieser Situation Waffen an die Volksrepublik China liefern will, handelt verantwortungslos.
({2})
Es ist das Gegenteil von Realpolitik, wenn die Gier nach
Aufträgen den Blick für reale Bedrohungen und Menschenrechtsverletzungen verstellt.
({3})
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang
geht es auch um einen zweiten Aspekt: den skandalösen
Umgang des Kanzlers mit dem deutschen Parlament.
({4})
In diesem Parlament haben am 28. Oktober dieses Jahres
alle Fraktionen erklärt, dass eine Aufhebung des Waffenembargos für sie zurzeit nicht infrage kommt. Allerdings
sah sich Rot-Grün nur zu einer homöopathisch verdünnten Beschlussfassung in der Lage; wehmütig denkt man
da an die markigen Worte einstiger Oppositionspolitiker
zurück.
({5})
- Wir haben uns gegen diese homöopathische Verdünnung gewandt - schauen Sie in das Protokoll - und seinerzeit dem viel eindeutigeren Antrag der FDP-Fraktion
zugestimmt.
({6})
Auch diese von Rot-Grün abgeschwächte Beschlussfassung verhöhnte der Kanzler in China, indem er von
der abweichenden Meinung des - ich zitiere wörtlich „einen oder anderen Parlamentariers“ sprach. Das ist ein
einmaliger Vorgang der Parlamentsverhöhnung.
({7})
So mag die chinesische Führung mit dem Volkskongress
umgehen. Aber wir sollten uns das nicht bieten lassen.
({8})
Dankbar bin ich dafür, dass die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses, Christa Nickel, erklärte:
Falls unser Bundeskanzler sich im Ausland hinstellt
und Entscheidungen verkündet, die gegen das Votum des eigenen Parlaments gerichtet sind, dann
diskreditiert er die Idee der Gewaltenteilung.
Weiter sagt sie:
Das wäre dann nicht gerade eine Werbeveranstaltung für die Demokratie.
({9})
Auch für die SPD-Fraktion sollten solch klare Worte
eine Frage der Selbstachtung sein.
({10})
Meine Damen und Herren, die Werbung für die Demokratie muss eine entscheidende Säule der deutschchinesischen Beziehungen sein; sonst wird auch dem
viel beschworenen deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialog die Grundlage entzogen. Deshalb fordern wir die
Bundesregierung auf, am kommenden Freitag auf der
Ebene der Europäischen Union auch aus Achtung vor
diesem Parlament klar für die Aufrechterhaltung des
Waffenembargos Stellung zu beziehen.
Vielen Dank.
({11})
Ich erteile dem Kollegen Ludger Volmer, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man muss deutlich machen, dass es zwei unterschiedliche Themen gibt, über die hier zu reden ist. Zum
einen geht es um die Frage: Wollen wir zulassen, dass
Waffen an China exportiert werden? Dazu sage ich ganz
klar Nein. Zum anderen geht es um die Frage: Ist das
Instrument des Waffenembargos, welches aus dem
Jahre 1989 stammt, heute noch plausibel? Ich finde, darüber kann man reden.
({0})
Von chinesischer Seite wird gesagt, man sei für die
Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens nicht
mehr verantwortlich. In China verweist man auf die
Fortschritte, die man in den letzten 15 Jahren sowohl auf
sozialem und ökonomischem Gebiet als auch in dem Bemühen, sich an der friedlichen Konfliktbeilegung in vielen Regionen dieser Erde zu beteiligen, gemacht hat.
Diesen Anspruch kann man nicht einfach wegwischen.
Umgekehrt muss man auf ihn aber auch nicht vorbehaltlos eingehen. Wenn die chinesische Seite, was unsere
Beziehungen zueinander angeht, nicht mehr an den Taten von gestern, sondern an den Taten von heute gemessen werden will, muss man sich darauf einlassen und
diesen Maßstab ernst nehmen; auch dann kommt als Ergebnis eine kritische Haltung gegenüber China heraus.
Aber es geht dabei um andere Präzisierungen.
Ich will dem Kollegen Gröhe überhaupt nicht widersprechen. Sie haben eine eindrucksvolle, fast vollständige Schilderung der Menschenrechtssituation in China
vorgenommen. Ich finde insbesondere die öffentlichen
Massenhinrichtungen grauenhaft, die wir seit einiger
Zeit sehen; es gibt also auch Rückfälle in Situationen,
die wir eigentlich überwunden geglaubt haben. Von daher denke ich, dass, wenn heute anhand des Kriteriums
der Menschenrechte entschieden werden müsste, ob
Waffen exportiert werden dürfen, man dazu ein klares
Nein sagen müsste.
Aber, Herr Westerwelle, das ist etwas anderes, als
sich hier emphatisch hinzustellen und in einer scheinbar
leidenschaftlichen - dafür aber umso profilorientierteren - Rede die Maßstäbe von 1989 hochzuhalten, die
zwar irgendwie noch ehrenwert sind - im Rückblick sowieso richtig und plausibel waren -, die aber in der Realität immer weniger Bindungswirkung entfalten.
({1})
Wenn die Bindung davon brüchig wird, weil die Dinge
in der Historie zu verschwinden drohen, muss man sich
einfach der heutigen Realität zuwenden und heutige Kriterien ins Zentrum der Beurteilung dieser Frage stellen.
Wenn dann jemand sagt, wir müssten das Waffenembargo, das auf den Vorgängen von 1989 beruht, überprüfen, und gleichzeitig sagt, dass auf jeden Fall die äußerst
restriktiven deutschen Waffenexportrichtlinien gelten,
dann heißt das im Klartext: Wir nehmen nur eine Begründung für die Nichtlieferung von Waffen zurück. Das
heißt aber nicht, dass wir tatsächlich Waffen liefern. Die
andere Begründung bleibt umso härter stehen.
({2})
- Lesen Sie den Antrag, den wir im Bundestag verabschiedet haben! Wir haben darin gefordert, dass ab dem
Moment der Überprüfung, ob das Embargo, das 1989
verhängt wurde, aufgehoben werden kann, die Rüstungsexportrichtlinien der Europäischen Union umso strikter
werden müssen, und zwar im Sinne der außerordentlich
strikten deutschen Rüstungsexportkriterien.
({3})
Das würde im Endeffekt heißen, dass man einen Mechanismus bekommt, der realiter erheblich strikter ist als der
Rückgriff auf eine Formel, die von immer mehr politischen Kräften als nicht mehr tragfähig angesehen wird.
({4})
Das ist der Mechanismus, den der Deutsche Bundestag
hier verabschiedet hat.
Nun kann man natürlich viel über das Temperament
des Bundeskanzlers philosophieren.
({5})
Ich gehöre zu denen, die den Antrag, den der Deutsche
Bundestag mit Mehrheit verabschiedet hat, selber mitformuliert und damals hier auch verbal vertreten haben.
Man kann, wie das der Bundeskanzler gemacht hat, in
den Vordergrund seiner Betrachtung die Frage stellen, ob
wir mittelfristig vielleicht von dem Embargo wegkommen, wenn gleichzeitig - dagegen hat er nichts gesagt politisch das Projekt betrieben wird, die sehr restriktiven
deutschen Rüstungsexportkriterien zum Gerüst des europäischen Exportkodexes zu machen.
({6})
Im Endeffekt bleibt es bei dem, was wir heute schon
als Praxis haben, nämlich dass Waffen nicht geliefert
werden können, und zwar genau aus den Gründen, die
hier diskutiert werden und über die auch Konsens besteht. Der eine Grund ist die Menschenrechtssituation
und der andere sind die Spannungen in der Taiwanfrage.
Da, Herr Löning, ist Ihr Argument nicht triftig, Festlandchina sei das undemokratische China, Taiwan das demokratische, also könnten wir eher Taiwan als Festlandchina mit Waffen beliefern.
({7})
Es geht nicht darum, wer demokratisch und wer undemokratisch ist.
({8})
- Es geht im Kontext mit Taiwan nicht darum, auch
wenn beide demokratisch oder undemokratisch sind. Wir
können nicht liefern, weil es Spannungen zwischen Taiwan und Festlandchina gibt. Es sind die außenpolitischen Spannungen, die es uns verbieten, Waffen in diese
Region zu liefern. Dieses Hindernis besteht unabhängig
von der Menschenrechtsfrage. Auch wenn China alle
Menschenrechtsprobleme lösen würde, dürfte man keine
Waffen liefern, solange die Spannungen mit Taiwan bestehen. Es müssen alle Kriterien zur Voraussetzung gemacht werden. Ich finde, wir sollten ein gemeinsames
Interesse haben, dass die Europäische Union eine solche
strikte Haltung zur Grundlage ihrer eigenen Exportkriterien und -richtlinien macht.
Danke.
({9})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Rolf Mützenich,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion über die Aufhebung des EUWaffenembargos gegenüber der Volksrepublik China ist
ein schwieriger Vorgang.
({0})
Es gibt hierbei kein Schwarz oder Weiß, kein Richtig
oder Falsch. Wir Sozialdemokraten haben es uns dabei
nicht leicht gemacht. Sie kennen unsere Haltung während der Beratungen im Ausschuss und Sie kennen unseren Plenarantrag.
({1})
Bundesregierung und Bundestag haben in der Außenpolitik unterschiedliche Rollen und Kompetenzen. Das
sollte man gegenseitig respektieren. Vor allem sollte
man den nicht demokratischen Staaten diese parlamentarische Kontrollfunktion erläutern. Liebe Kolleginnen
und Kollegen von der FDP-Fraktion, ich denke, manchmal sollte man aber auch Ihnen erläutern, wie es im
Grundgesetz geregelt ist und was das Bundesverfassungsgericht, zuletzt erst 2001, zu den Kompetenzen von
Bundestag und Bundesregierung gesagt hat. Ich zitiere
mit Genehmigung des Präsidenten:
Darüber hinaus hat Art. 59 Abs. 2 GG dem Bundestag kein Recht gegeben, in den Zuständigkeitsbereich der Regierung einzugreifen. Der Bundestag
bleibt auf die allgemeinen verfassungsmäßigen
Kontrollmöglichkeiten beschränkt. Er regiert und
verwaltet nicht selbst, sondern er kontrolliert die
Regierung.
({2})
Missbilligt er deren Politik, so kann er dem
Bundeskanzler das Misstrauen aussprechen
({3}) und dadurch die Regierung stürzen.
Er kann aber nicht selbst Politik führen.
Stellen Sie diesen Misstrauensantrag und Sie werden sehen, dass Sie damit keinen Erfolg haben! Deswegen bezweifle ich auch, dass das Thema für die innenpolitische
Debatte taugt. Einfache Bilder, wie die Opposition sie
zeichnet, helfen hier nicht weiter.
Der Bundeskanzler hat seine Gastgeber über die Position des Parlaments unterrichtet.
({4})
- Lassen Sie mich doch einfach einmal ein paar Sätze im
Zusammenhang reden und rufen Sie nicht immer dazwischen. - Ich denke, es war gut und richtig, dass der Bundeskanzler das getan hat. Er musste aber natürlich auch
beachten, dass in der Europäischen Union zur gleichen
Zeit über die Lockerung und sogar über die Aufhebung
des Waffenembargos diskutiert wurde und wird.
({5})
An dieser Debatte nehmen übrigens nicht nur Sozialdemokraten teil. Es gibt konservative und liberale Regierungschefs, die das Waffenembargo gegenüber der
Volksrepublik China ebenfalls aufheben wollen. Wenn
man das Verbot von Waffenlieferungen aufrechterhalten
will, dann muss man das auch seinen europäischen Parteifreunden sagen. Ich würde mich freuen, wenn Sie Ihre
Position auch in den Hauptstädten vortragen würden, in
denen Ihre Parteifreunde regieren.
({6})
Zur Redlichkeit gehört auch, zu sagen, dass Deutschland selbst dann keine Rüstungen an die Volksrepublik
China liefern kann, wenn die Europäische Union das
Waffenembargo aufheben sollte. Die strengen deutschen
Exportrichtlinien stehen dem nämlich entgegen. Es waren SPD und Grüne, die die lasche Praxis der konservativ-liberalen Regierung Kohl beendet haben.
({7})
Ich kann mich an keine selbstkritische Debatte in der damaligen CDU/CSU-FDP-Koalition erinnern, die mit unserer Positionsfindung vergleichbar wäre.
({8})
Die Bundesregierung ist heute die Kraft, die den Verhaltenskodex der Mitgliedstaaten konkretisieren und verschärfen will.
Der Konflikt um Taiwan ist bereits erwähnt worden.
Darüber hinaus gibt es Aufrüstungsschübe in der gesamten asiatisch-pazifischen Region. Diese Entwicklung
korrespondiert mit ungelösten Territorial- und Machtkonflikten. Während die weltweiten Rüstungsausgaben
nach Angaben des Stockholmer SIPRI-Instituts von
1993 bis 2002 durchschnittlich um 3 Prozent zugenommen haben, waren es in Ostasien 22 Prozent. Dabei waren im Jahre 2002 allein die Volksrepublik China, Japan
und Südkorea für drei Viertel der regionalen Militärausgaben in Ostasien verantwortlich. Es gibt in der Region
also eine Reihe von bilateralen Rüstungswettläufen. Das
ist gefährlich. Die Region braucht dringend rüstungskontrollpolitische Vereinbarungen.
Europa ist hier kein unmittelbarer Akteur, aber es
kann seine Erfahrungen anbieten. Die Europäische
Union ist Partner in verschiedenen Dialogforen und wir
wissen, wie bedeutend regionale Integration und vertrauensbildende Maßnahmen für friedliche Konfliktregelungen sind. Lösungen können leichter gelingen, wenn die
Konfliktbearbeitung von einer wirtschaftlichen Verflechtung der einzelnen Räume begleitet wird. Die Voraussetzungen hierfür sind günstig. Zu betonen ist auch, dass
die Volksrepublik China bei der Lösung des Nordkoreakonflikts erstmals behilflich ist. Nachdem Peking den
Integrationsprozess der ASEAN-Gemeinschaft in der
Vergangenheit regelmäßig behindert hat, fördert es heute
diesen Konsultationsrahmen.
Der Bundeskanzler hat die chinesischen Gesprächspartner ermuntert, diese kooperative Politik fortzusetzen
und zu intensivieren. Auch dies war hilfreich und sollte
in der verkürzten Debatte nicht untergehen.
Vielen Dank.
({9})
Ich erteile das Wort Kollegen Klaus Rose, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der heutigen Aussagen von Rot-Grün könnte
man meinen, im falschen Film zu sein. Sie haben über
Jahre und Jahrzehnte einer überaus hehren Abrüstungsund Menschenrechtspolitik das Wort geredet. Sie haben
so getan, als würde erst dann, wenn Sie die Regierung
übernehmen,
({0})
der große Frieden in der Welt ausbrechen, und alles wäre
in bester Ordnung.
({1})
Und heute? Was ist in Sie gefahren, dass Sie sich so
artikulieren?
({2})
Haben Sie Angst vor Ihrem Bundeskanzler? Oder haben
Sie bereits Angst vor der Volksrepublik China? Ist es so
wie früher, als man nichts gegen die große Sowjetunion
sagen durfte, dass man heute nichts mehr gegen die
große Volksrepublik China sagen darf? Wir reden über
Menschenrechte und Rüstungspolitik. Ich brauche kaum
noch zu erwähnen, was in allen Zeitungen steht: Seit
Rot-Grün regiert, ist die Zahl der Rüstungsexporte in einem Ausmaß angestiegen, dass man nur noch staunen
kann. - Was ist mit Ihnen los?
({3})
Sie wollen nun unbedingt, dass das Waffenembargo
gegen China aufgehoben wird.
({4})
- Der Bundeskanzler sagt das. Sie selber haben noch am
28. Oktober dieses Jahres gesagt, wir seien uns weitgehend darüber einig, das Waffenembargo nicht aufzuheben. Aber die heutigen Reden - von Herrn Bury über
Herrn Staffelt bis zu Herrn Chrobog heute Vormittag im
Auswärtigen Ausschuss - klangen alle ganz anders: Das
Waffenembargo ist nicht mehr zeitgemäß, China ist ja
inzwischen auf dem richtigen Weg. Von Stabilität war
die Rede. Es fehlte nur noch, China als Musterdemokratie zu bezeichnen, so wie Putin Ihnen als Musterdemokrat gilt. Was ist in Sie gefahren? Diese Frage kann ich
nur wiederholen.
Bei der Türkeipolitik wollen Sie uns einreden, dass
die Beitrittsverhandlungen zwar begonnen werden sollen, aber ein Beitritt der Türkei nicht geplant ist. Genauso wollen Sie es jetzt mit der Aufhebung des Waffenembargos machen. Das Embargo soll zwar aufgehoben
werden, aber geliefert werden soll nichts. Glauben Sie
das im Ernst? Wir wissen, dass die Franzosen praktisch
vor der Tür stehen und nur noch darauf warten, endlich
liefern zu können. Wir wissen, dass die europäische Industrie ein großes Interesse daran hat. Wir wissen, dass
Herr Schröder von Leuten aus der Wirtschaft begleitet
wird, die gerne schon heute liefern würden. - Das
kommt, so sicher wie das berühmte Amen in der Kirche.
Geliefert werden soll ausgerechnet in ein Gebiet, in
dem die Situation absolut gespannt ist. Das hat nicht allein mit Taiwan zu tun. Wer die Nachrichten der letzten
Monate aufmerksam verfolgt hat, weiß, dass auch
zwischen China und Japan das Potenzial territorialer
Konflikte wächst, nicht nur wegen der Senkaku-Inseln,
sondern auch weil U-Boote unverschämterweise da auftauchen, wo sie nicht hingehören, weil es Streit um Erdgasfelder gibt usw.
Gut, die deutsche Industrie hat zwar bereits nach Südkorea geliefert. Mit der Lieferung von U-Booten hat
Hyundai einige Erfahrungen. Diese Art von Handel läuft
schon. Mich wundert, dass Sie das akzeptieren und uns
einreden wollen, dass alles in Ordnung ist.
Wir sollten uns wirklich - das möchte ich noch einmal betonen - als Abgeordnete daran erinnern, dass wir
uns bisher auf diesem Gebiet einig waren. Der Bundeskanzler kann höchstens darauf verweisen, dass es auch
in der Vergangenheit den einen oder anderen Parlamentarier gab, der nicht unser aller Meinung war. Ansonsten
war unser aller Meinung: Keine Aufhebung des Waffenembargos, weil sich die Situation im Vergleich zu früher
nicht wesentlich verbessert hat. Was ist denn in China
besser geworden? Nur die Fassade ist schöner geworden.
Was ist denn im Innern der Volksrepublik China besser
geworden? Auch Sie betonen immer wieder, dass sich
kaum etwas verändert hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, geben Sie Ihrem
Bundeskanzler, wenn er am Freitag zur Sitzung des Europäischen Rates fährt, mit auf den Weg, er möge erstens
das Parlament stärker achten, als er das in der letzten
Zeit gemacht hat, und er möge zweitens bei der Aufhebung des Waffenembargos nicht als treibende Kraft wirken. Das Waffenembargo kann überhaupt erst dann aufgehoben werden, wenn das Menschrechtsembargo in der
Volksrepublik China aufgehoben ist und die Menschenrechte umfassend geachtet werden.
Ich danke Ihnen.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Christian Müller für
die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollege Rose, ich glaube nicht, dass wir uns hier in
einem falschen Film befinden. Es wäre auch eine unzulässige Verkürzung der gesamten Argumentation, wenn
hier stehen bliebe, der Herr Bundeskanzler wünsche,
Waffen nach China zu liefern. Das trifft nicht zu. Es trifft
wohl eher das zu - damit wir wieder den Faden in dieser
Debatte finden -, was Kollege Volmer vorhin klargestellt hat, nämlich dass man zwischen der Frage der Waffenlieferung und dem Einsatz des Instruments unterscheiden muss. Die Herren Staatssekretäre haben
dankenswerterweise den Kontext - den außenpolitischen
ebenso wie den rüstungspolitischen - umrissen. Denn
das gehört nun einmal zur Klarheit in dieser Angelegenheit. Winfried Nachtwei hat vorhin das Anliegen unseres
Antrags vom 28. Oktober dargestellt. Das, lieber
Christian Müller ({0})
Kollege Gröhe, ist die Antwort, die wir damals gefunden
haben. Wir haben einen Kriterienkatalog formuliert und
Verhaltensnormen in der Europäischen Union aufgestellt, die an ganz bestimmte Entwicklungsbedingungen
geknüpft sind.
Einig sind wir uns möglicherweise in der Beurteilung
- ich habe jedenfalls nichts anderes gehört - der prinzipiellen Situation in China. Einig sind wir uns auch über
den Ausgangspunkt dieses Embargos. Ich glaube, der hat
für uns alle eine ganz besondere Bedeutung. Ich möchte
mich denjenigen anschließen, die sagen, es sei völlig
falsch, das damals verhängte Embargo als eine späte Aktion des Kalten Krieges zu bezeichnen. Es war vielmehr
eine notwendige Reaktion der Europäischen Union auf
eine eklatante Verletzung der Menschenrechte. So weit,
so gut. Das ist klar.
({1})
Damit bin ich bei dem, was uns sonst so bewegt. Wir
hatten schon im Rahmen der Debatte über den Rüstungsexportbericht eine solche Diskussion. Im Frühjahr, wenn
der neue Rüstungsexportbericht beraten wird, werden
wir die nächste Debatte führen. Wir waren uns relativ einig, dass die Rüstungsexportkontrolle der Bundesregierung durchaus restriktiv ist. Wir waren in der Beurteilung dieser Dinge überhaupt nicht so weit auseinander.
Wo führt es aber hin, wenn heute an dieser Stelle daran
gezweifelt wird, dass wir eine restriktive Verfahrensweise bei Rüstungsexporten haben? Wir haben sie,
Punktum! Das ist ein Faktum.
Damit sind wir wieder beim Instrument, lieber Kollege Volmer; denn es stellt sich die Frage, ob 15 Jahre
danach das Instrument noch angemessen ist oder zumindest der Überprüfung bedarf. Der Herr Bundeskanzler
konzentriert sich auf die Frage des Instruments, jenseits
der kritischen Anmerkungen, die heute schon gemacht
worden sind.
Der Wandlungsprozess in China ist beschrieben worden. Ich muss das hier gar nicht weiter vertiefen. Dass zu
einer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verwandlung eines solchen großen und bedeutenden Landes auch
das gehört, was uns bewegt, nämlich Verbesserungen im
Bereich der Menschenrechte, ist wichtig. Es ist auch zu
überprüfen, ob dies geschieht. Das muss anhand der gültigen Kriterien des EU-Verhaltenskodexes erfolgen. Das
war eigentlich unser Hauptanliegen vom 28. Oktober.
({2})
- Es hat sich gegenüber diesem Zeitpunkt insofern etwas
geändert, als die Verhandlungen über diesen Kodex in
der Arbeitsgruppe des Rates zu einem Ende gekommen
sind, sodass demnächst auch eine politische Behandlung
dieser Frage ansteht. Die Einzelheiten dazu kann ich aus
meiner Sicht jetzt nicht überblicken. Das hat allerdings
nichts mit der Tagung am kommenden Freitag zu tun.
Hier geht es um den Kontext.
Wir haben herausgestellt, dass eine Aufhebung des
Embargos erst nach Verabschiedung des weiterentwickelten Kontextes erfolgen kann und erfolgen wird.
({3})
Dazu stehen wir. Das gilt selbstverständlich weiterhin.
Jetzt komme ich noch einmal zur Frage der Rüstungsexportkontrolle. Wir haben mehrfach unterstrichen - ich
will das an dieser Stelle noch einmal tun -: Die eventuelle Aufhebung des EU-Embargos würde bei uns in
der Bundesrepublik nicht dazu führen, dass automatisch
jede Lieferung von Rüstungsgütern oder von Waffen
nach China, die eine Firma zu tätigen wünscht, genehmigungsfähig wäre. Vielleicht gelingt es heute, dieses öffentliche Missverständnis auszuräumen. Es ist nämlich
nicht der Bundeskanzler, der die Waffen liefert.
Alle Bestimmungen des EU-Verhaltenskodexes - auch
in einer von uns angestrebten weiterentwickelten Qualität - gelten selbstverständlich weiter, und zwar mit oder
ohne Embargo. Auch wenn dies heute schon einige Male
festgestellt worden ist, will ich noch einmal darauf hinweisen.
Damit müssten Sie sich aber sehr beeilen, weil Ihre
Redezeit schon überschritten ist.
Ich bitte um Nachsicht. Ich habe die Zeit aus den Augen verloren.
Folglich kann ich an dieser Stelle nur kurz darauf verweisen; alles Nötige ist bereits gesagt. Brisante Fragen
wie all das, was die Taiwanfrage berührt, sind letztendlich ohnehin auf der Ebene des Bundessicherheitsrates
zu entscheiden. Unsere Bundesregierung wird sehr gut
beraten sein, dabei so vorzugehen, wie sie es jeher zu tun
pflegte.
({0})
Vielen Dank.
({1})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Dr. Michael Fuchs das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter
Herr Kollege Volmer, der Ostereiertanz, den Sie heute so
kurz vor Weihnachten hier aufgeführt haben, war sehr
bemerkenswert.
({0})
Dass Sie die Menschenrechte mit dem Temperament des
Kanzlers in einen Zusammenhang bringen, kann ich
nicht ganz nachvollziehen. Meiner Ansicht nach kann
die Frage der Menschenrechte nicht in irgendeiner Weise
durch das Temperament des Kanzlers gelöst werden; sie
ist unabhängig auch von diesem Kanzler zu beantworten.
({1})
Ich halte es für sehr bemerkenswert, dass Sie dem
Kanzler erlauben, aus der Menschenrechtsfrage in China
eine Temperamentsfrage zu machen. Das hat Sie bloßgestellt und die Grünen völlig diskreditiert.
({2})
Sie sollten das Wortprotokoll Ihrer eigenen Rede einmal
nachlesen.
Das Verfallsdatum Ihres Antrags vom 28. Oktober
war der 5. Dezember. Das war nämlich der Tag, an dem
der Kanzler in China gelandet ist. Sie selbst diskreditieren sich meines Erachtens als Parlamentarier, wenn Sie
sich diesen Umgang mit Ihnen gefallen lassen. Ich kann
das nicht nachvollziehen. Die SPD und die Grünen
müssten doch so viel Stolz haben, dass sie sich das nicht
gefallen lassen.
({3})
Er hat das Parlament grob missachtet, indem er die
Entscheidung, die Sie in diesem Hohen Hause getroffen
haben, lächerlich gemacht und mit einem Federstrich beseitigt hat. Der starre Reformkanzler laviert wieder einmal herum. Er belegt erneut die große Diskrepanz zwischen seinem Anspruch und der Wirklichkeit seiner
Außenpolitik. Der Kanzler arbeitet wie immer nach seinem persönlichen Motto „Um die Moral zu heben, muss
man die Ansprüche senken“. Das ist das Problem.
({4})
Wenn man in der Menschenrechtsfrage so niedrige
Ansprüche hat wie Sie zurzeit, dann ist das sehr bedenklich und traurig. Selbstverständlich erkennen wir an,
dass sich China gewandelt und dass es dort Veränderungen gegeben hat. Das steht außer Frage. Auch dass diese
Entwicklungen insbesondere in der Küstenregion erfolgt
sind, ist unzweifelhaft richtig.
Man muss aber die Gratwanderung genau im Blick
behalten. Das jedoch haben Sie nicht getan. Dem Bundeskanzler missglückt dies auf jeder seiner vielen Reise.
Er hat mittlerweile über 110 Reisen unternommen. Dafür hat der Papst 25 Jahre gebraucht.
Erstens setzt diese Bundesregierung völlig falsche
Zeichen, wenn sie glaubt, dass man einfach über das
Tiananmen-Massaker hinweggehen könnte. Mit dem,
was Sie gerade ausgeführt haben, Herr Kollege Volmer,
tun Sie so, als ob es nur um eine veränderte Gefechtslage
gehe, über die man einfach hinweggehen könne.
({5})
Auch das, was der Kollege Bury eben ausgeführt hat,
geht in dieselbe Richtung.
Ein Zweites kann ich erst recht nicht nachvollziehen:
Einerseits ist der Bundeskanzler dafür, dass wir das Embargo auf europäischer Ebene aufgeben, aber andererseits erklären Sie hier allesamt, von Herrn Volmer bis zu
Herrn Nachtwei, unisono, dass Deutschland selbstverständlich keine Waffen liefern wird. Insofern will der
Bundeskanzler meiner Ansicht nach nichts anderes, als
die französische Rüstungsexportpolitik zu unterstützen.
Die Franzosen nämlich haben die Auftragsbücher schon
voll und warten nur darauf, dass das Embargo aufgehoben wird. Ich finde: Herr Schröder ist der Bundeskanzler
der Bundesrepublik Deutschland und nicht für die französische Rüstungsexportpolitik zuständig.
({6})
Darüber sollten Sie einmal nachdenken; denn er schadet damit natürlich deutschen Unternehmen. Diese sollen nämlich - Ihre klaren Aussagen in diesem Hohen
Hause dazu habe ich vernommen und halte ich für richtig - auch nach einer Aufhebung des Waffenembargos
nichts liefern. Angesichts dessen frage ich mich, warum
sich der Kanzler für eine Aufhebung des Embargos stark
macht. Er ist nach meiner Auffassung in erster Linie für
die deutsche und nicht für die französische Wirtschaft
zuständig. Hier übertreibt er anscheinend seine Freundschaft zu Chirac ganz erheblich.
Der Kollege Müller sagte in der Chinadebatte vom
28. Oktober dieses Jahres, „dass die Aufhebung des
Embargos ohnehin nur in der Folge eines einstimmigen
Beschlusses aller EU-Mitgliedstaaten erfolgen kann“.
Offensichtlich entspricht das nicht der Vorstellung Ihres
Regierungschefs. Ich kann nicht nachvollziehen, wie das
funktionieren soll. Wenn ein einstimmiger Beschluss aller EU-Staaten Voraussetzung sein soll, muss das zuerst
auf europäischer Ebene abgeklärt werden. Wenn das erfolgt ist, kann man darüber nachdenken, was man den
Chinesen offeriert. Es schadet uns sehr, dass Sie einfach
herumdiskutieren, irgendjemandem irgendetwas anbieten und glauben, dass Sie auf diese Art vernünftige Politik machen. Sie machen damit genau das Falsche. Mit einer solchen wirren Exportpolitik schaden Sie den
Interessen unseres Landes und der deutschen Wirtschaft.
Ich bitte Sie, darüber einmal nachzudenken.
Genauso sollten Sie einmal darüber nachdenken, ob
unser gemeinsames Selbstverständnis als Parlamentarier
das zulässt, was nun geschieht, nämlich dass ein Beschluss des Hohen Hauses vom 28. Oktober 2004 bereits
am 5. Dezember des gleichen Jahres überholt ist.
Vielen Dank.
({7})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Gernot Erler, SPDFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
erleben heute, dass Sie sich als Parlamentarier große
Sorgen über uns machen. So weihevolle Worte wie
„Selbstachtung“ und „Selbstverständnis“ sind gefallen.
Wir fühlen uns durch Ihre Sorgen privilegiert. Aber ich
möchte versuchen, zu klären, ob diese eigentlich begründet sind.
Was ist denn passiert? Am 28. Oktober dieses Jahres
hat die Mehrheit dieses Hauses einen Antrag beschlossen, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wird,
sich an der laufenden Überprüfung des EU-Waffenembargos zu beteiligen und sich dabei für eine einheitliche und verbindliche Rüstungsexportpolitik gegenüber
China einzusetzen. Weiter heißt es: Solange es keine verbindliche Regelung, also einen Verhaltenskodex, gibt,
soll die Bundesregierung an ihrer restriktiven Rüstungsexportpolitik festhalten. Außerdem soll die Bundesregierung Fortschritte bei den Menschenrechten, in der Taiwanfrage und bei dem UN-Pakt über politische und
bürgerliche Rechte anmahnen.
Sie haben überhaupt nicht zur Kenntnis genommen
- das haben Sie auch in der heutigen Debatte nicht erwähnt -, dass dieser Antrag ziemlich erfolgreich war. Sie
haben nicht registriert, dass auf dem 7. EU-China-Gipfel
am 8. Dezember dieses Jahres ein Kontext zwischen der
Aufhebung des EU-Embargos und einem gemeinsamen
und verbindlichen europäischen Code of Conduct in der
Rüstungsexportpolitik hergestellt worden ist. Dort sind
genau die drei Punkte aufgenommen worden, die der
Bundestag formuliert hat. In Punkt 7 wird der Code of
Conduct, in Punkt 8 wird die Taiwanfrage und in Punkt 9
werden der Menschenrechtsdialog mit China sowie der
UN-Pakt angesprochen. Mit anderen Worten: Ihre
Sorgen sind überhaupt nicht begründet; denn selten ist
ein vom Deutschen Bundestag verabschiedeter Antrag
so schnell zur Realität europäischer Politik geworden.
({0})
Sie haben so getan - insbesondere Herr Löning hat
sich hier wider besseres Wissen profiliert -, als ob die
Schleusen von Deutschland oder anderen europäischen
Staaten für den Waffenexport nach China geöffnet würden.
({1})
Sie haben überhaupt nicht verstanden, was der Code of
Conduct bedeutet. Wir haben uns sehr bemüht, dass er
sehr strikt ausfällt. In dem Entwurf, der demnächst verabschiedet werden soll, steht zum Beispiel, dass Menschenrechte sowie Stabilität und Sicherheit in der Region - das betrifft Taiwan - wesentliche Kriterien sind
und dass die nationale Sicherheit befreundeter und alliierter Staaten eine Rolle spielt. Wenn eine in ganz
Europa geltende gemeinsame Richtlinie zur Aufhebung
des Waffenembargos führt, dann kann und wird das, was
Sie an die Wand malen, nämlich eine Explosion von
Rüstungsexporten europäischer Staaten nach China,
überhaupt nicht stattfinden. Sie bauen hier also einen Popanz auf und Sie glauben, Sie könnten die Öffentlichkeit
darüber täuschen.
({2})
Nun möchte ich mich dem Kollegen Westerwelle zuwenden. Sie haben heute wieder einmal bewiesen - die
Öffentlichkeit weiß das schon -,
({3})
dass Sie zu großem Pathos in der Lage sind. Wir wissen,
dass Sie so etwas einsetzen können, wie man eine Nachttischlampe anknipst.
({4})
Ich will Ihnen einmal Folgendes sagen: Was die Haltung
der Bundesregierung zur Durchsetzung von Menschenrechten angeht, gibt es für Pathos überhaupt keinen
Grund. Herr Westerwelle, die Menschenrechtsorganisationen wissen zwischen irgendwelchen Äußerungen und
realer Politik ganz genau zu unterscheiden.
({5})
Das realpolitisch Wichtigste, was in den letzten fünf Jahren in Bezug auf Menschenrechte in China passiert ist,
ist der Menschenrechtsdialog, den die rot-grüne Bundesregierung 1999 in Gang gebracht hat.
({6})
Ihre Fraktion und die der CDU/CSU haben 16 Jahre lang
Gelegenheit gehabt, etwas Ähnliches zustande zu bringen. Das ist Ihnen nicht gelungen.
({7})
Schon allein deshalb haben Sie überhaupt keinen Grund,
hier Pathos an den Tag zu legen.
({8})
Herr Westerwelle, ich entsinne mich noch sehr gut
einer Debatte 1994 nach der Reise von Altbundeskanzler
Helmut Kohl nach China. Sie haben hier gesagt, die beiden Reisen seien doch wohl vergleichbar. Sie haben den
Menschen hier allerdings nicht gesagt, was damals der
Stein des Anstoßes war: Helmut Kohl hat 1994 - die Erinnerung an die Geschehnisse auf dem Tiananmen war,
auch in der deutschen Öffentlichkeit, noch sehr lebendig - einen Standort der chinesischen Volksarmee besucht. Dort ist er herumgegeistert. Das war der Anlass
für diese kritische Debatte. Sie haben einen Vergleich
gezogen zwischen diesem Besuch Kohls und dem Besuch von Bundeskanzler Schröder in China, bei dem er
dafür gesorgt hat, dass Airbusse und Lokomotiven von
Siemens verkauft werden.
({9})
- Doch, doch. Den Umfang kennen Sie ja. Dagegen können Sie kaum etwas haben.
({10})
Übrigens wurde Herr Schröder von einem unserer
profiliertesten Kollegen in Sachen Menschenrechte, von
Rudolf Bindig, begleitet. Ihr Vergleich ist nicht zulässig
und es wird Ihnen nicht gelingen, die Öffentlichkeit an
diesem Punkt zu täuschen.
Ich komme zum Schluss. Hören Sie von der FDP
doch einmal mit diesen unseriösen Methoden auf! Vor
wenigen Tagen haben Sie hier einen Antrag in Sachen
Tschetschenien eingebracht, der ein vollständiges Plagiat war.
({11})
Heute sorgen Sie sich um die Umsetzung eines Antrages, dem Sie gar nicht zugestimmt haben, und zwar mit
einem unerträglichen Pathos. Kommen Sie zurück zur
Seriosität in der Außenpolitik! Sie haben da eine gute
Tradition. Kehren Sie zu dieser Tradition zurück!
({12})
Zum Schluss der Aktuellen Stunde erhält der Kollege
Ruprecht Polenz für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte
nicht geglaubt, dass ein stellvertretender Vorsitzender einer Regierungsfraktion zu solchen Verrenkungen fähig
sein muss, um die Gnade des Kanzlers zu behalten. Aber
Herr Erler hat mich eines Schlechteren belehrt.
({0})
Die ganze Debatte führen die Regierung und inzwischen auch ein Teil der Regierungsfraktionen unter dem
Motto: Das Waffenembargo gegen China passt einfach
nicht mehr in die Zeit; Tiananmen ist lange her; die jetzige chinesische Regierung ist für die damals 3 000 Toten nicht verantwortlich; die heutige Zeit ist anders;
heutzutage sind Waffenexporte in die Volksrepublik
China wieder angesagt. Das ist Ihre Position.
({1})
Nun sagen Sie: Wir wollen gar keine Waffen exportieren; wir haben doch unsere strengen Exportrichtlinien.
Die Chinesen sagen: Uns geht es eigentlich gar nicht um
Waffen; wir wollen durch solch einen europäischen Beschluss bloß nicht mehr diskriminiert werden. Für die
Chinesen ist es also nur eine symbolische Frage.
Wenn das so ist, dann muss man sich mit der Wirkung
dieses Symbols auseinander setzen. Wir haben dazu
schon vorhin einiges gehört. Niemand bestreitet die großen Menschenrechtsdefizite. Wie ist die symbolische
Wirkung der Aufhebung des Waffenembargos? Die symbolische Wirkung ist doch: Die Europäische Union ist an
der Lage der Menschenrechte in China nicht mehr interessiert.
({2})
Das ist die symbolische Wirkung der Aufhebung des
Waffenembargos. Das ist für alle entmutigend, die sich
innerhalb Chinas für Meinungsfreiheit und für Religionsfreiheit einsetzen und dafür ins Gefängnis gesteckt
werden.
({3})
Das ist im Übrigen, Herr Erler und Herr Bury, natürlich
ganz im Sinne der chinesischen Führung, die genau
diese Entmutigung haben will, aber es ist nicht im Sinne
von mehr Freiheit, mehr Menschenrechten und mehr Demokratie in China.
({4})
Es ist also nicht nur ein Instrument, Herr Bury, dessen
Abschaffung keinerlei Wirkung entfalten würde. Herr
Nachtwei weiß es besser. Deshalb hat er bei der ganzen
Debatte auch ein schlechtes Gewissen.
({5})
Der Zusammenhang zwischen Waffenexporten/Waffenembargo und Menschenrechtslage besteht in zweierlei Hinsicht. Einmal haben wir die Sorge, dass Waffen
zum Einsatz im Innern gegen das eigene Volk verwendet
werden könnten, wenn die Menschenrechtslage eben
nicht in Ordnung ist. Sind wir hier ganz sicher, dass das
in China nie der Fall sein kann? Sind Sie ganz sicher,
dass sich die Spannungen zwischen der Dynamik der
wirtschaftlichen Veränderungen auf der einen Seite sowie den politischen Verkrustungen und dem Führungsanspruch der Kommunistischen Partei Chinas auf der anderen Seite in jedem Fall friedlich lösen werden? Der
Kanzler selbst hat in dieser Frage gesagt, er sei da nicht
so sicher. Er zieht nur nicht die Konsequenzen daraus.
Zum anderen ist zu sehen: Eine Regierung, die die
Menschenrechte der eigenen Bevölkerung nicht achtet,
gefährdet auch die Sicherheit der Nachbarn.
Sie verstecken sich hinter Ihrem Bundestagsbeschluss. Herr Nachtwei hat vorhin gesagt, dieser Beschluss benenne deutlich die Bedingungen, unter denen
das Waffenembargo aufgehoben werden könne, und
Herr Volmer hat dazu genickt. Dabei, Herr Volmer, haben wir beide doch heute im Auswärtigen Ausschuss gehört, dass Herr Chrobog, Staatssekretär im Auswärtigen
Amt, wörtlich gesagt hat - ich habe es mir aufgeschrieben -: Der Beschluss stellt ein paar Parameter auf, stellt
aber keine Bedingungen.
({6})
So versteht die Bundesregierung und so versteht auch
das von Ihrer Partei geführte Außenministerium den Parlamentsbeschluss, den Sie hier hochhalten, um Ihre Basis zu besänftigen. Spielen Sie doch bitte einmal mit ehrlichen Karten und stecken Sie auch die Karten in Ihr
eigenes Spiel, die Ihnen die Regierung untergemischt
hat!
({7})
Mein letzter Punkt. Die Aufhebung des Waffenembargos wird natürlich nicht nur symbolische Bedeutung haben. Sie wird selbstverständlich die Exporte aus der EU
erleichtern. Sie wird in Russland zu einer Überprüfung
der eigenen Waffenexportpolitik gegenüber China führen. Russland ist bekanntlich gegenwärtig der größte Exporteur nach China. Die Russen werden bemüht sein, ihren Marktanteil zu halten, und die jetzt noch
vorhandenen Restriktionen möglicherweise lockern. Natürlich wird eine Aufhebung des Waffenembargos zu
neuen Spannungen zwischen der Europäischen Union
und den USA führen.
China ist dabei, ein großes Modernisierungsprogramm für die eigenen Streitkräfte aufzulegen. Sie haben dafür den drittgrößten Haushalt auf der Welt.
({8})
- Sie produzieren auch selbst, ja. - Die Aufhebung des
Waffenembargos wird auch die Rüstungskooperation
zwischen der Europäischen Union und den USA behindern - darauf hat vorhin Kollege Schockenhoff hingewiesen -; denn die USA haben die Sorge - sie haben sie
auch schon deutlich gemacht -, dass sensitive US-Technologie auf diese Weise den Weg nach China finden
kann.
Meine Damen und Herren, besinnen wir uns noch einmal auf das, was vor dem 11. September übereinstimmende Meinung im ganzen Haus war! Da waren wir uns
einig, dass die friedliche Integration Chinas, dieses Milliardenreiches, in die internationalen Beziehungen der
Welt die Hauptherausforderung ist, vor der wir stehen.
Das hat sich grundsätzlich nicht geändert. Die Aufhebung des Waffenembargos ist zur Erreichung dieses
Ziels der völlig falsche Weg.
({9})
Wir sind damit am Ende der Aktuellen Stunde, zugleich am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 16. Dezember
2004, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.