Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Der in der 142. Sitzung überwiesene Gesetzentwurf
der Bundesregierung zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren im Sozialrecht auf Drucksache 15/4228
soll nachträglich noch dem Ausschuss für Wirtschaft
und Arbeit zur Mitberatung überwiesen werden. Sind
Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur
Unterstützung der Überwachungsmission
AMIS der Afrikanischen Union ({1}) in Darfur/Sudan auf Grundlage der Resolutionen
1556 ({2}) und 1564 ({3}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 30. Juli 2004
und 18. September 2004
- Drucksachen 15/4227, 15/4257 Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen ({4})
Joachim Hörster
Dr. Ludger Volmer
Harald Leibrecht
Bericht des Haushaltsausschusses ({5})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 15/4259 Berichterstattung:
Abgeordnete Alexander Bonde
Lothar Mark
Herbert Frankenhauser
Dietrich Austermann
Jürgen Koppelin
Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Walter Kolbow das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einmal
mehr muss sich dieses Haus mit der humanitären Katastrophe in Darfur und mit der Frage beschäftigen, was
Deutschland beitragen kann, um noch mehr Leid zu verhindern und mehr Sicherheit für verfolgte Menschen zu
erreichen. Dabei ist uns klar: Die Situation in Darfur kann
nur mit internationaler Unterstützung verbessert werden.
Für das Überleben der Menschen ist es angesichts der unzähligen Opfer, die wir schon zu beklagen haben, wichtig,
dass getroffene Waffenstillstandsvereinbarungen eingehalten werden und die Hilfsorganisationen freien Zutritt haben, um den Menschen dort zu helfen.
({0})
Der Darfurkonflikt gefährdet sowohl die bereits ausgehandelten Ergebnisse des gesamtsudanesischen Friedensprozesses als auch die Stabilität des Sudan und der
gesamten Region. Es liegt in unserem Interesse, die Fähigkeit der Afrikanischen Union zur Durchführung der
Mission AMIS, der African Union Mission in Sudan, zu
unterstützen. Ihr Ziel ist die Überwachung des Waffenstillstandsabkommens vom 8. April 2004, die Unterstützung von vertrauensbildenden Maßnahmen und die Verbesserung der Sicherheitslage, die immer noch durch
gegenseitige Übergriffe, Misshandlungen der Zivilbevölkerung und Plünderungen von Konvois der Hilfsorganisationen gekennzeichnet ist. Es geht jetzt darum, die
Operation AMIS personell und materiell zu unterstützen,
damit die Afrikanische Union in Darfur wirksamer als
bisher handeln kann.
({1})
Redetext
Rechtliche Grundlage sind, wie wir wissen, die UNResolutionen vom Juli bzw. vom September. Vor einer
Woche hat der Sicherheitsrat mit der Resolution 1574
die Mitgliedstaaten erneut gedrängt, logistische Hilfe zu
leisten. Der Sicherheitsrat billigt darin den Einsatz militärischer Beobachter einschließlich einer Schutztruppe,
um das Waffenstillstandsabkommen einzuhalten. Für die
Stärkung der Operation AMIS ist eine größere internationale Unterstützung zwingend erforderlich; denn den
afrikanischen Truppenstellern fehlt es vor allem an Lufttransportkapazität. Die Niederlande, Großbritannien
und die USA haben bereits Lufttransportleistungen erbracht. Deutschland will es ebenfalls tun.
({2})
Die Bundeswehr wird also, wenn Sie zustimmen
- wir hatten am Montag vertrauensvolle Unterredungen
in den Ausschüssen aufgrund der Nachfragen, die am
letzten Donnerstag und letzten Freitag aufgetaucht
sind -, afrikanische, voraussichtlich tansanische, Kontingente in den Sudan transportieren und die Durchführung der Überwachungsmission mit Lufttransporten in
das Einsatzgebiet unterstützen.
Vorgesehen ist der Einsatz von drei Transall-Transportflugzeugen, die mit entsprechenden Selbstschutzanlagen ausgerüstet sind. Maximal werden 200 Soldaten
einschließlich Unterstützungs-, Sanitäts- und Sicherungskräften zum Einsatz kommen. Für den Fall eines
Angriffs auf ein deutsches Transportflugzeug auf sudanesischem Boden ist beabsichtigt, eine Sicherungskomponente an Bord der Luftfahrzeuge mitzuführen, um
Flugzeug und Besatzung bei Bedarf sichern zu können.
Die Stationierung der Soldaten in Darfur ist nicht vorgesehen. Ihre zeitweilige Präsenz im Land ist direkt mit
dem Lufttransport verknüpft. Dieser wird der Afrikanischen Union grundsätzlich durch die Europäische Union
zur weiteren Abstimmung mit der sudanesischen Regierung angezeigt. Ein Flug- bzw. Überfluggenehmigungsverfahren wird zentral von der Afrikanischen Union mit
diplomatischer Note von der sudanesischen Regierung
erbeten. Dieses Verfahren hat sich in der Vergangenheit
bewährt und es ist sichergestellt, dass es auch bei diesem
Einsatz Anwendung findet.
Das Mandat für den deutschen Einsatz soll mit Ihrer
Zustimmung auf sechs Monate begrenzt werden. Damit
wäre eine ausreichende Flexibilität für den Fall gegeben,
dass sich der bis Ende Februar 2005 geplante Aufwuchs
der Mission verzögern sollte. Damit hätten wir unseren
Beitrag zur Unterstützung von AMIS und zur Arbeitsfähigkeit dieser Operation geleistet. Deutschland und die
Staaten der Europäischen Union wollen AMIS nicht ersetzen; aber wir wollen durch unseren Beitrag dem starken politischen Willen der Afrikanischen Union, die Zügel in der Hand zu behalten und selbst tätig zu werden,
Rechnung tragen.
({3})
Ich möchte das Haus auf der Grundlage dieser meines
Wissens gesicherten Informationen zur Sicherheitslage
auch aus der Sicht des Verteidigungsministeriums bitten,
dem Antrag auch im Interesse des Erfolgs der Mission
zuzustimmen. Für diese Aufgabe ist die breite Zustimmung dieses Hauses dringend notwendig.
({4})
Ich erteile Kollegen Andreas Schockenhoff, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
CDU/CSU-Fraktion wird dem Antrag der Bundesregierung zum Einsatz deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der AMIS-Mission zustimmen. Wir haben im Mai
dieses Jahres in einem interfraktionellen Antrag den
Völkermord, die Vertreibungen und die massiven Menschenrechtsverletzungen in Darfur angeprangert. Wir haben gemeinsam vor einer humanitären Katastrophe
mit dem Einsetzen der Regenzeit gewarnt. Heute müssen
wir feststellen, dass diese humanitäre Katastrophe unter
den Augen der Weltöffentlichkeit eingetreten ist, und
zwar auch deshalb, weil die Vereinten Nationen nicht
handlungsfähig waren.
In der UN-Vollversammlung haben afrikanische Staaten Resolutionen verhindert, die massive Menschenrechtsverletzungen im Sudan und in Simbabwe verurteilt
hätten. Sie bezeichneten die vorgeschlagenen Resolutionstexte - wörtlich - als „konfrontativ“ und „in keiner
Weise geeignet, die Staaten Afrikas zur Kooperation zu
bewegen“. Solange afrikanische Regierungen die Kritik
an massiven Menschenrechtsverletzungen und einer rassistischen Politik in anderen afrikanischen Ländern als
Diskriminierung ihres Kontinents zurückweisen, wird
sich die Misere Afrikas noch weiter verschärfen.
Im UN-Sicherheitsrat haben die USA eine Resolution
vorgelegt, die den Druck auf die sudanesische Regierung
verstärkt und Sanktionen androht, falls sie ihr Verhalten
in Darfur nicht ändert. Zweimal mussten die USA ihren
Resolutionsentwurf umschreiben und am Ende die Sanktionsandrohungen fallen lassen, bevor sich China und
Russland statt eines Vetos wenigstens zu einer Enthaltung durchringen konnten. China ist der größte Investor
in der sudanesischen Ölindustrie; Russland und Weißrussland sind die größten Waffenlieferanten des Sudans.
Die „taz“ berichtet über diesen diplomatischen Eiertanz,
durch den die Menschen in Darfur im Stich gelassen
wurden, zu Recht unter der Überschrift „Völkerrecht
bricht Menschenrecht“.
Wir fordern die Bundesregierung auf, in ihrer stillen
Telefondiplomatie gegenüber dem russischen Präsidenten und der chinesischen Führung, aber auch bei den
Verhandlungen über die Reform der Vereinten Nationen
nicht nur die Erweiterung des Sicherheitsrats, sondern
auch vor allem die Handlungsfähigkeit des Sicherheitsrats in fundamentalen Menschenrechtsfragen zur
Sprache zu bringen.
({0})
Die Afrikanische Union hat sich bei ihrer Gründung
vor zweieinhalb Jahren vorgenommen, bei Völkermord
und inneren Konflikten afrikanischer Staaten nicht wegzusehen, sondern einzugreifen. Wir begrüßen das Friedensengagement der Afrikanischen Union in Darfur als
einen ersten ernsthaften Testfall. Wir müssen die Truppen stellenden Staaten in Afrika logistisch und finanziell
unterstützen, weil ein Scheitern ihrer Mission die AU
schwächen würde und weil wir afrikanische Krisen nur
in sehr begrenztem Maße von außen beheben können.
Der Generalsekretär des Rates und Hohe Vertreter für
die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU,
Solana, hat eine koordinierte Unterstützung der AU
durch die Europäische Union gefordert. Deutsche Offiziere aus dem EU-Militärstab sind bereits nach Addis
Abeba entsandt, um die Afrikanische Union zu beraten.
Gestern hat die EU die Bosnienmission übernommen.
Sie wird damit zu einem auch militärisch handlungsfähigen internationalen Akteur. Deshalb hätten wir es lieber
gesehen, wenn sich die Bundesregierung für eine ESVPMission in Darfur eingesetzt und den Transport tansanischer Truppen im Rahmen eines europäischen Angebots
zugesagt hätte.
({1})
Vielleicht hätten sich dann auch die Irritationen zwischen
dem sudanesischen Außenministerium und dem deutschen Botschafter in Khartoum vermeiden lassen, deretwegen wir die Entscheidung des Bundestages auf heute
verschieben mussten. Der sudanesische Staatsminister
hat der Bundesregierung unterstellt, die Rebellenorganisation in Darfur zu unterstützen. Statt diese Kritik bilateral zurückzuweisen, hätte die Chance bestanden, im Rahmen einer europäischen Sudanpolitik zu handeln.
Ich will in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, dass die Bundesregierung im Auswärtigen Ausschuss erklärt hat, der Darfureinsatz der Bundeswehr
werde aus Mitteln der EU-Friedensfazilität für Afrika finanziert. Der Antrag, der uns heute zur Abstimmung
vorgelegt wird, sieht allerdings eine Finanzierung mit
Mitteln aus dem Einzelplan 14 des Bundeshaushaltes
vor.
Trotz dieser kritischen Anmerkungen ist es richtig,
deutsche Soldaten zum Transport von Truppen der Afrikanischen Union nach Darfur zu entsenden. Ohne eine
Lösung des Darfurkonflikts ist keine dauerhafte Befriedung des gesamten Sudans möglich. Staatssekretär
Kolbow hat zu Recht darauf hingewiesen. Ein Zerfall
des flächenmäßig größten Staates in Afrika würde eine
der weltweit schlimmsten humanitären Krisen weiter
verschärfen und einen neuen Rückzugsraum für den internationalen Terrorismus schaffen. Deswegen liegt die
Überwachungsmission der Afrikanischen Union im
deutschen Interesse. Der Beitrag der Bundeswehr zum
Lufttransport ist angemessen und wird von uns mitgetragen.
Vielen Dank.
({2})
Ich erteile das Wort Kollegen Ulrich Heinrich, FDPFraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Als Entwicklungspolitiker begrüße ich den Antrag
der Bundesregierung ausdrücklich. Nachdem die Fragen
meines Kollegen Hoyer letzte Woche zufriedenstellend
beantwortet wurden, wird die FDP-Fraktion diesem Antrag zustimmen.
Was sich derzeit in Darfur abspielt, ist mit das
Schlimmste, was man sich vorstellen kann. Als ich im
Sommer dieses Jahres die Darfurregion bereist habe, um
mir einen Überblick über die Lage zu verschaffen, habe
ich den Umständen entsprechend einigermaßen gesittete
Verhältnisse vorgefunden. Aber nun müssen wir erleben,
dass sich die Situation laufend verschlechtert. Die
Regierung in Khartoum hat alle ihre Zusagen nicht eingehalten. Wir sind ständig vertröstet worden, während
sich die Situation immer weiter verschlechtert. Die
Bombardierungen gehen weiter. Lager werden zwangsgeräumt. Die mühsam errichtete Infrastruktur - Versorgung mit Wasser und Nahrungsmitteln; dafür hat CARE
gesorgt - wurde mit dem Bulldozer radikal zerstört.
Letztendlich wurden sämtliche Friedensversprechungen
gebrochen, bevor die Tinte, mit der die Unterschriften
geleistet worden waren, trocken war. Die Weltgemeinschaft kann hier nicht länger zusehen. Es wäre ein Skandal, wenn wir, die Bundesrepublik Deutschland, nicht alles unternähmen, um die Situation dort zu verbessern.
({0})
Ich möchte die Bundesregierung hier ausdrücklich
dafür loben, dass sie im UN-Sicherheitsrat massiven
Druck gemacht hat, um die Resolutionen überhaupt zustande zu bringen. Nach langem Hin und Her wurden
letztendlich drei Resolutionen verabschiedet. Es kann
nicht sein - diese Meinung vertrete ich seit langem -,
dass die EU selbst dort Missionen durchführt; vielmehr
müssen wir die AU unterstützen und sie in die Lage versetzen, die notwendigen Maßnahmen mithilfe der AMIS
durchzuführen.
Afrika muss lernen, seine Probleme mit eigener Kraft
zu lösen. Darfur wird die Nagelprobe sein. Wir werden
sehen, wie sich die afrikanischen Staaten in dieser Mission verhalten und welchen Beitrag sie leisten.
Afrika braucht unsere Unterstützung. Wir wollen mit
dem heutigen Beschluss das klare Signal geben, dass
wir, die Bundesrepublik Deutschland, im Rahmen der
europäischen Sicherheitspolitik unseren Beitrag leisten
wollen. Aber es ist äußerst wichtig, dass neben dieser
Überwachungsmission bewaffnete Schutztruppen zur Sicherheit von humanitären Hilfeleistungen und zum
Schutz der Zivilbevölkerung vor Ort präsent sind.
Das Mandat gibt das zwar her; aber es kann bezweifelt werden, ob die geplanten zusätzlichen 2 300 Militärs
ausreichen werden. Wer die Größe dieses Gebietes kennt
- die Region Darfur ist etwa so groß wie Frankreich -,
der kann sich vorstellen, welche unglaublichen Leistungen dort vollbracht werden müssen. Wenn die Gewalt in
diesem Land gestoppt werden soll, dann wird die AU die
militärischen Kräfte sicherlich aufstocken müssen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Blick in die
Zukunft werfen.
Kollege Heinrich, kommen Sie bitte zum Ende. Sie
haben Ihre Redezeit schon weit überschritten.
Um Darfur dauerhaft befrieden zu können, wird die
Marginalisierung dieser Region aufgehoben werden
müssen. Im Entwurf des Nord-Süd-Vertrages ist die
Beteiligung der Südregion festgelegt. Nötig ist eine entsprechende Behandlung der Region Darfur. Anderenfalls
wird es dort wohl nie zur Ruhe kommen. Ich hoffe, dass
die Regierung in Khartoum einsichtig ist und das Signal,
das von der AU, aber auch von der Weltgemeinschaft
ausgeht, versteht.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort Staatsministerin Kerstin Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
heute über das Mandat zur Entsendung von Transportkapazitäten der Bundeswehr für die AU-Mission in Darfur
zu entscheiden. Wie schon gesagt wurde, ist die Lage in
Darfur leider auch nach den vielen Anstrengungen, die
die internationale Gemeinschaft dort unternommen hat,
sehr dramatisch. Mehr als 1,6 Millionen Menschen sind
in Darfur auf der Flucht, über 200 000 haben sich in den
Tschad geflüchtet. Seit März dieses Jahres sind bis zu
70 000 Menschen ums Leben gekommen. Die Kämpfe
gehen weiter, und zwar trotz der Vereinbarungen der
Konfliktparteien in Abuja. Beide Seiten - ich sage das
sehr deutlich -, die Rebellenorganisationen und die sudanesische Regierung, brechen immer noch den vereinbarten Waffenstillstand. Es sind wieder einmal die Menschen, es ist die Zivilbevölkerung, die massiver Gewalt
ausgesetzt sind und zwischen die Fronten dieses Konflikts geraten.
Selbst Hilfsorganisationen, auch deutsche, sind in
den vergangenen Wochen angegriffen worden. Ich
möchte an dieser Stelle einmal allen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern der Hilfsorganisationen, die trotz der
sich verschlechternden Sicherheitslage in Darfur unter
Einsatz ihres Lebens für eine Linderung der Not der
Flüchtlinge und Zivilisten arbeiten, im Namen des ganzen Hauses danken.
({0})
Die Bundesregierung hat seit Beginn der Krise alles
versucht, im Rahmen der EU und der Vereinten Nationen, um die Gewalt in Darfur zu beenden. Auch aufgrund der dramatischen Lage habe ich mich entschlossen, an der Sitzung des Sicherheitsrats in Nairobi, die
vor zwei Wochen stattgefunden hat, teilzunehmen. Ich
habe vor dem Sicherheitsrat sehr deutlich gemacht, dass
die internationale Gemeinschaft bei fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen in Darfur nicht untätig bleiben
darf. Meine Damen und Herren, wir dürfen mit dem internationalen Druck nicht nachlassen; wir müssen alles
dafür tun, dass es zu einem Ende der Gewalt in der Region kommt.
({1})
Die sudanesische Regierung und die Rebellenorganisationen müssen endlich die Gewalt beenden. Die sudanesische Regierung hat die Verantwortung, die Zivilbevölkerung zu schützen. Sie muss die Gewalt beenden
und die Janjaweed-Milizen entwaffnen. Auch die Rebellenorganisationen müssen ihre Angriffe auf Zivilisten
und auf humanitäre Organisationen sofort einstellen. Ich
appelliere noch einmal an beide Seiten, ähnlich wie im
Nord-Süd-Konflikt endlich nach einer politischen Lösung zu suchen und die Verhandlungen in Abuja fortzusetzen. Auf dem Weg des Krieges, mit dem Mittel der
Gewalt wird es nicht zu einer Lösung des Konflikts
kommen.
({2})
Vor dem Hintergrund der sich verschlechternden Situation in Darfur kommt den Bemühungen der Afrikanischen Union eine ganz besondere Bedeutung zu. In seinen Resolutionen hat der Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen die Überwachungsmission der Afrikanischen
Union ausdrücklich mandatiert. Um es noch einmal glasklar zu sagen: Dieser Mission hat auch die sudanesische
Regierung zugestimmt. Noch am Dienstag hat der sudanesische Außenminister die zu langsam erfolgende Aufstockung der Mission beklagt. Herr Schockenhoff, von
Irritationen kann also keine Rede sein, abgesehen davon,
dass der sudanesischen Regierung die klare Haltung der
Bundesregierung angesichts der massiven Menschenrechtsverletzungen in Sudan nicht besonders gut gefällt.
Auch Kofi Annan hat in Nairobi noch einmal ausdrücklich an die internationale Gemeinschaft appelliert,
die AU bei ihrer Mission zu unterstützen. Der Präsident
der AU-Kommission Konaré hat mir gegenüber gesagt,
er sehe das Engagement der AU in Darfur gar als eine
ganz zentrale Bewährungsprobe für die Afrikanische
Union an.
Deshalb ist klar: Es gilt für diese Mission „African
ownership“, das heißt, die Afrikanische Union wird
diese Mission in Eigenverantwortung durchführen. Je
mehr der Wille zu einer politischen Lösung aus der Region selbst kommt, desto erfolgversprechender ist,
glaube ich, eine solche Mission.
Allerdings ist für mich auch klar: Wir müssen alles
dafür tun, dass diese Bewährungsprobe erfolgreich verläuft. Die Aufstockung der AU-Mission ist angelaufen.
Sie verfügt derzeit über circa 800 Mann. In den kommenden Wochen und Monaten soll die Mission auf bis
zu 3 320 Mann aufgestockt werden. Die Monitore der
AMIS-II-Mission sollen künftig nicht mehr nur den
Waffenstillstand überwachen; sie sollen auch Zivilisten
schützen, die unmittelbar bedroht sind.
Allerdings steht die Afrikanische Union vor enormen
organisatorischen und logistischen Herausforderungen,
die sie aus eigener Kraft nicht meistern kann. Deshalb
braucht sie unsere Unterstützung. Neben der Finanzierung der Mission durch die EU-Friedensfazilität in Höhe
von 92 Millionen Euro hat die AU die internationale Gemeinschaft um logistische Unterstützung gebeten.
Die Bereitstellung von Transportkapazitäten der Bundeswehr wäre, glaube ich, ein besonders sichtbarer Beitrag unserer Unterstützung für das Gelingen der Mission.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben hier alle
gemeinsam im Mai dieses Jahres einen Antrag zur Lösung der Darfurkrise verabschiedet. In diesem Antrag
wird die Bundesregierung zur Unterstützung der Friedensbemühungen der AU aufgefordert. Genau das wollen wir jetzt tun. Ich würde mich daher sehr freuen, wenn
unser Antrag auf Bereitstellung von Transportkapazitäten die breite Unterstützung dieses Hauses finden würde
und wir damit einen kleinen, aber notwendigen Beitrag
zum Gelingen der AU-Mission in Darfur leisten würden.
Vielen Dank.
({3})
Ich erteile das Wort Kollegin Gesine Lötzsch.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Morden, das Vertreiben und das Vergewaltigen
von Tausenden unschuldiger Menschen im Sudan ist unerträglich und muss nach 21 Jahren Bürgerkrieg endlich
beendet werden. Was bietet uns die Bundesregierung
aber als Lösung für diesen schrecklichen Konflikt an?
Ich will nur einige Widersprüche benennen, die nicht geklärt sind, die aber geklärt sein müssen, bevor der Bundestag mit gutem Gewissen einem Mandat zustimmen
kann.
In der Beschlussempfehlung steht:
Die Bundesregierung sieht im Friedensengagement
der AU einen Ansatzpunkt für eine künftige Zusammenarbeit bei Konfliktlösungen in Afrika.
Das hört sich nach wirklich gleichberechtigter und vertrauensvoller Kooperation an. Die Afrikanische Union
hat jedoch vor einer Woche die Resolutionsentwürfe der
EU, der USA und anderer westlicher Industrieländer zur
Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen im Sudan zurückgewiesen. Gemäß der Interpretation von Südafrika zeigt die Initiative, dass die EU und die anderen
Industrieländer
… weiter nur in Entwicklungsländern - statt in den
Gefängnissen des Iraks - nach Menschenrechtsverletzungen suchen.
Das hört sich wiederum nicht nach enger und vertrauensvoller Zusammenarbeit zwischen der Afrikanischen
Union und Europa an.
Sehr skeptisch bin ich auch, ob eine multinationale
afrikanische Einsatzgruppe von kaum mehr als
5 000 Mann in einem Gebiet von der Größe Darfurs dafür garantieren kann, dass über eine Million Menschen
in ihre Siedlungen zurückkehren können. Da ist wohl
auch Frau Staatsministerin Müller skeptisch; so sagte sie
gegenüber der „Zeit“:
Wir können nicht jetzt schon sagen, die Afrikaner
sind gescheitert, wo sie noch gar nicht richtig angefangen haben.
Die Regierung fordert uns also auf, ein Bundeswehrmandat für eine Initiative zu geben, deren Sinn sogar die
zuständige Staatsministerin mehr als bezweifelt.
Meine Damen und Herren, ich könnte noch eine Vielzahl von Widersprüchen benennen, die deutlich machen,
dass es wirklich hochgradig leichtfertig und verantwortungslos wäre, dieses Mandat zu erteilen.
({0})
Es gibt aber aus der Sicht der PDS einen weiteren gewichtigen Grund, das Mandat abzulehnen: Das sind die
Daten des Rüstungsexportberichts. Dem Bericht zufolge wurden im Jahr 2003 Ausfuhrgenehmigungen für
deutsche Rüstungsgüter im Wert von fast 5 Milliarden
Euro erteilt. Jeder friedliebende Mensch fragt sich doch
in Anbetracht dieser Zahl, ob das Friedensengagement
der Bundesregierung auch wirklich ehrlich gemeint ist.
Ich habe nach dem Lesen des Rüstungsexportberichts
ernsthafte Zweifel und frage mich bei jedem Auslandseinsatz, ob es sich hier um eine Friedensmission oder um
eine robuste Form der Markterschließung für weitere
Rüstungsexporte handelt.
({1})
Die PDS lehnt das Bundeswehrmandat aus den genannten Gründen ab.
Vielen Dank.
({2})
Ich erteile das Wort Bundesministerin Heidemarie
Wieczorek-Zeul.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Die
internationale Gemeinschaft darf keine doppelten Standards benutzen. Wir dürfen nicht zusehen, wie ethnische
Vertreibung stattfindet. Diese darf es nirgendwo, auch
nicht in Afrika, geben.
({0})
Ihnen, Frau Lötzsch, und anderen, die Zweifel haben,
sage ich: Wir beteiligen uns an diesem Einsatz in Darfur,
weil anders Menschenleben nicht geschützt und gerettet
werden können und weil wir nicht zusehen und zulassen
dürfen, dass vor unseren Augen das stattfindet, was die
renommierte International Crisis Group einen Völkermord in Zeitlupe nennt. Deshalb ist es wichtig, dass wir
den Mördern das Handwerk legen und dass wir alle dazu
beitragen, dass Hilfe zur Verfügung gestellt wird.
({1})
Es ist gesagt worden, warum sich die Situation so dramatisch gestaltet. 1,8 Millionen Menschen sind auf der
Flucht vor den Milizen und dem Militär der eigenen Regierung. - Wenn ich darf, würde ich auch die Kollegen
da hinten, die sich offenbar über andere Fragen unterhalten, bitten, zuzuhören. Das Thema ist, glaube ich, so
wichtig, dass wir uns alle damit beschäftigen sollten.
({2})
- Ich bin ja auch Abgeordnete.
({3})
- Es war auch keine Kritik. Ich glaube, jeder hat verstanden, was ich gesagt habe; das war völlig in Ordnung.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mittlerweile ist die
Vergewaltigung von Mädchen und Frauen ein systematisches Mittel der perversen Kriegsführung geworden. An
eine sichere Rückkehr der Flüchtlinge ist ohne militärischen Schutz nicht zu denken. Ihre Dörfer sind zerstört
und die Gefahr, wieder in die Hände der Milizen zu fallen, ist groß. Die Regierung in Khartoum hat - es ist gesagt worden - bisher kaum oder gar keine wirksamen
Maßnahmen unternommen, um diesem Vorgehen Einhalt zu gebieten.
Die humanitäre Nothilfe hat zwar bisher dafür gesorgt, dass nicht noch mehr Menschen sterben. Die Nothilfe war nur möglich, weil es im Frühjahr dieses Jahres
einen Aufschrei der internationalen Gemeinschaft gegeben hat. Es ist gut, dass der Deutsche Bundestag im Mai
mit den Stimmen aller Parteien ein klares Signal ausgesendet hat. Deshalb war es möglich, mehr Menschenleben zu retten. Ich freue mich, dass wir für die Menschen
immerhin über 33 Millionen Euro für humanitäre Leistungen zur Verfügung stellen konnten.
Ich bin erleichtert, liebe Kolleginnen und Kollegen,
dass die Afrikanische Union jetzt ihre eigene Verantwortung erkannt hat und wahrnehmen will. Ich darf hinzufügen: Es wurde auch Zeit. Die Afrikanische Union
hat zugesagt, Truppen in die Region zu senden, um einen
Waffenstillstand zu überwachen. Es fehlt ihr aber an Logistik. An Finanzmitteln hat die Europäische Union
92 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Für den Truppentransport haben andere europäische Länder Transportkapazitäten zur Verfügung gestellt. Auch hier muss
Deutschland seine Verantwortung wahrnehmen.
({5})
Afrika ist unser Nachbarkontinent. Wir sind in Afrika
ein hoch anerkannter Partner. Die Probleme, die in
Afrika nicht gelöst werden können, fallen auch auf uns
zurück.
Deshalb bitte ich Sie sehr herzlich, heute eine Entscheidung - ich habe den Eindruck, dass sie von allen
Fraktionen getragen wird - für Humanität, für Nachbarschaftlichkeit und auch für wohlverstandenes Eigeninteresse zu treffen. Ich bitte Sie um ein überzeugendes Votum.
({6})
Zum Schluss noch ein Wort zu einem Thema, das sehr
eng damit verbunden ist. Um dauerhaft Frieden im Sudan
garantieren zu können, muss die Regierung in Khartoum
deutlichere Signale erhalten, dass die internationale Gemeinschaft keine Ausweichmanöver mehr dulden wird.
Auch auf die Rebellen muss Druck ausgeübt werden, damit sie sich zu einem Schweigen der Waffen bekennen
und dieses auch einhalten. Solch ein deutliches Signal an
alle Seiten wäre ein umfassendes UN-Waffenembargo.
Wir dürfen nicht zulassen, dass sich, nachdem es ein
Waffenembargo der Europäischen Union gibt,
({7})
nicht auch die Vereinten Nationen, die sich in dieser
Frage bislang nicht geäußert und entschieden haben, in
diesem Sinne verhalten. Die Staaten, die sich bisher aus
durchsichtigen Gründen gegen eine schärfere UN-Resolution gestellt haben, müssen ihre Haltung ändern. Die
Waffenexporte in den Sudan nehmen pro Jahr um fast
40 Prozent zu. Das ist ein Skandal. Öl- und WaffengeBundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
schäfte über Leichen hinweg darf die Weltgemeinschaft
nicht hinnehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({8})
In der Haushaltsdebatte zum Etat des Bundesentwicklungsministeriums hat mich der Kollege Ruck gefragt,
wie es beim Sudan mit der Entwicklungszusammenarbeit aussieht. Ich sage an dieser Stelle: Solange Sprengbomben auf Hütten geworfen werden und solange Milizen im Verbund mit regulärem Militär Strohdächer
anzünden, Frauen vergewaltigen, Männer töten, Menschen zu Sklaven machen und Brunnen vergiften, so
lange gibt es keine Entwicklungszusammenarbeit und
keine Entschuldung. Mit mir nicht! Ich hoffe, dass alle in
diesem Hause diese sehr klare Aussage unterstützen.
({9})
Mordenden Milizen und Militärs muss ihr finsteres
Handwerk gelegt werden. Heute müssen wir ein Zeichen
setzen, damit das Vertrauen der Menschen in Darfur in
die Solidarität der internationalen Gemeinschaft nicht
enttäuscht wird. Für Darfur gilt - Frau Lötzsch, es wäre
gut, wenn auch Sie das gelernt hätten -: Ohne Friedenstruppen wird es dort keinen Frieden geben.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
({10})
Ich erteile das Wort Kollegen Egon Jüttner, CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Konflikt im Sudan ist mittlerweile zur größten
humanitären Katastrophe auf dem afrikanischen Kontinent geworden. Trotz zahlreicher Versprechungen der
sudanesischen Regierung hat sich die Menschenrechtssituation im Westsudan, in der Provinz Dafur, nicht verbessert, sondern dramatisch verschlechtert.
Sudanesisches Militär geht brutal gegen Flüchtlinge
vor. Unter Einsatz von Tränengas und Schusswaffen wurden erst kürzlich 20 000 Flüchtlinge in Darfur umgesiedelt. Humanitäre Nothilfe wird durch arabische Milizen
massiv behindert. Zwischen regierungsnahen Milizen
und Rebellen brachen erneut heftige Kämpfe aus. Vor
einer Woche hat das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen aufgrund der Kämpfe seine Hilfe im
nördlichen Darfur vorübergehend ausgesetzt. 300 000 Vertriebene sind jetzt ohne Nahrungsmittelhilfe.
Humanitäre Organisationen und UNO-Delegierte haben bereits vor mehr als einem Jahr vor einem Genozid
in Darfur gewarnt. Dennoch kam es weder zu einem internationalen Waffen- oder Ölembargo noch zu anderen
wirksamen Sanktionen gegen den Sudan. China, der
größte Investor in Sudans Ölindustrie, hat aus rein wirtschaftlichen Interessen ein entschlossenes Handeln der
Vereinten Nationen blockiert. Diese Blockadehaltung
sollte China ebenso wie der Waffenlieferant Russland
endlich aufgeben.
({0})
Auch unseren afrikanischen Freunden müssen wir
klar sagen: Dass sie eine deutliche UN-Resolution zu
den Menschenrechtsverletzungen in Darfur verhindert
haben, ist das falsche Signal an ein menschenverachtendes Regime.
({1})
Für die Sicherheitslage in Darfur ist die Beobachtermission der Afrikanischen Union von zentraler Bedeutung. Deshalb begrüßen wir es, dass die Afrikanische
Union die Anzahl ihrer Soldaten deutlich aufstocken
will. Denn bei dieser Mission geht es nicht nur um die
Überwachung des Waffenstillstandes, sondern auch um
den Schutz der Zivilbevölkerung vor Bedrohung. Deshalb muss dieser Beschluss so schnell wie möglich umgesetzt werden. Bei der Umsetzung wird die Bundeswehr mit der Durchführung von Truppentransporten
einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der humanitären Situation leisten. Allerdings sollten wir uns darüber
im Klaren sein, dass mit diesem Einsatz die Bundeswehr
die Grenze dessen erreicht, was sie in Afrika leisten
kann.
({2})
Die Überwachungsmission in Darfur wird zur ersten
großen Bewährungsprobe für die Afrikanische Union.
Ohne internationale Unterstützung bei der Logistik und
Finanzierung kann sie diese Bewährungsprobe jedoch
nicht bestehen. Wenn die Afrikanische Union, was wir
alle wollen, künftig mehr Verantwortung übernehmen
soll, dann muss sie auch handlungsfähig sein. Ihre Handlungsfähigkeit kann sie jetzt durch einen Erfolg in Darfur unter Beweis stellen; denn es ist höchste Zeit, dass
die Afrikaner ihre Probleme endlich selbst lösen.
Eine erfolgreiche Überwachungsmission kann zunächst die Versorgung der Menschen in Form von Nothilfe gewährleisten. Mittelfristig sollte es aber nicht nur
um die Schaffung humanitärer Korridore gehen. Erforderlich sind ebenso entwicklungspolitische Maßnahmen
auch friedensbildender Art. Sie müssen in die Nothilfe
integriert werden und zum Aufbau des Landes beitragen.
Angesichts der uns mit großer Sorge erfüllenden
Menschenrechts- und Sicherheitslage in Darfur appelliere ich an die sudanesische Regierung, die arabischen
Milizen zu entwaffnen, die Zivilbevölkerung vor weiteren Menschenrechtsverletzungen zu schützen, den internationalen Hilfsorganisationen uneingeschränkten Zugang nach Darfur zu gewähren und den herrschenden
Zustand der Straflosigkeit zu beenden.
({3})
Die Menschen in Darfur brauchen dringend Frieden.
Deshalb stimmen wir dem Antrag der Bundesregierung
auf Unterstützung der Überwachungsmission zu.
Ich danke Ihnen.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 15/4257 zu dem Antrag der Bundesregierung zum
Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der Überwachungsmission AMIS der Afrikanischen Union. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 15/4227 anzunehmen. Es ist namentliche
Abstimmung verlangt. Zu dieser namentlichen Abstimmung liegen mir zwei Erklärungen vor, und zwar von
den Kollegen Wolfgang Börnsen ({0}) und Jürgen
Koppelin.1)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, bei der
Stimmabgabe sorgfältig darauf zu achten, dass die
Stimmkarten, die Sie verwenden, Ihren Namen tragen.
Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Plätze
eingenommen? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die
Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist offensichtlich
nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung
wird Ihnen später bekannt gegeben.2)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie herz-
lich, Platz zu nehmen, damit wir die Beratungen fortset-
zen können und wir allen Rednern Gelegenheit geben zu
sprechen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Werner Hoyer, Harald Leibrecht, Rainer
Funke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Zukunft für Tschetschenien
- Drucksache 15/3955 -
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion
der FDP neun Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Werner Hoyer das Wort.
1) Anlagen 2 und 3
2) Seite 13621
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
dieser Debatte geht es nicht nur, ja nicht einmal in erster
Linie um Tschetschenien. Es geht um Widersprüche,
schwere Fehler und beachtliche Risiken der deutschen
Russlandpolitik - Widersprüche, Fehler und Risiken, die
das deutsche und das europäische Interesse an wirklich
konstruktiven Beziehungen zu Russland aufs Spiel setzen.
Wir legen Ihnen heute einen Antrag vor, für den wir
nicht die ursprüngliche Autorenschaft beanspruchen.
Dieser Antrag wurde vom Kieler Parteitag von Bündnis 90/Die Grünen wortgleich so beschlossen.
({0})
In dem Antrag werden Menschenrechtsverletzungen
durch russische Streit- und Sicherheitskräfte in Tschetschenien offen angesprochen und massiv kritisiert. Das
vernichtende, aber zutreffende Urteil lautet, die russische Politik sei „nicht geeignet und in der Lage, den
Kaukasus zu befrieden“. Der Kreml wird aufgefordert,
endlich eine politische Lösung für den Konflikt anzustreben.
Der Antrag geht aber ausdrücklich über die reine
Tschetschenienpolitik hinaus und ordnet das Thema in
den Gesamtzusammenhang ein. Er kritisiert Präsident
Putin auch ausdrücklich für seine Maßnahmen zur „Formierung des russischen Zentralstaats“ und zur „Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit sowie der
demokratischen Strukturen“. All das, liebe Kolleginnen
und Kollegen, ist wichtig und richtig und verdient Beachtung in der deutschen Russlandpolitik. Allerdings
findet sich unglücklicherweise nichts davon in der Politik der Bundesregierung wieder.
({1})
Diese Politik wird nun einmal von einem grünen Außenminister verantwortet.
Es kann doch nicht sein, dass Außenminister Fischer
auf dem eigenen Parteitag weiße Salbe auf die grüne
Seele schmiert und dann als Regierungsmitglied die Kritik und die Forderungen ignoriert, die er selbst beim Parteitag mit aufstellt. Herr Fischer macht in der Russlandpolitik nahezu schweigend genau das mit, was seine
Partei zu Recht kritisiert. Der „Spiegel“ hat das zutreffend als „grüne Selbstverleugnung“ bezeichnet.
({2})
Uns geht es bei dieser Debatte aber vor allem darum,
eine neue, eine besonnene und konsistente Russlandpolitik der Bundesregierung einzufordern. Gute Beziehungen und eine möglichst enge Zusammenarbeit mit
Russland sind und bleiben für die Europäische Union,
aber ganz besonders für uns Deutsche ein herausragend
wichtiges Ziel. Damit aus dieser Zusammenarbeit aber
eine wirkliche Partnerschaft werden kann, muss Russland auf dem Weg zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit
und Marktwirtschaft, also auf dem in den 90er-Jahren
eingeschlagenen Reformkurs weiter voranschreiten, geDr. Werner Hoyer
nauer gesagt, muss es dorthin zurückkehren, denn die
gegenwärtige Entwicklung gibt Anlass zu größter Sorge.
Präsident Putin hat mit seiner gelenkten Demokratie
eine neue Regierungsform etabliert und ein Paradoxon
zur Leitlinie gemacht: Lenkung und Demokratie. Mit
diesem Zusammenhang habe ich allerdings einige
Schwierigkeiten. Putins Politik ist nicht auf Reformen,
Demokratisierung und Rechtstaatlichkeit ausgerichtet,
sondern auf Stabilität, Machterhalt und die Bewahrung
und Wiederherstellung russischer Größe. Es gibt in
Russland kaum noch unabhängige elektronische Medien. Die Justiz ist nicht mehr unabhängig und es gibt
keine - zumindest keine effektive - zivile Kontrolle über
die Sicherheitsorgane.
Darüber sind sich übrigens alle einig: die Russlandexperten in Deutschland, in Europa und in den Vereinigten
Staaten. Nur die deutsche Russlandpolitik sieht das offensichtlich anders. Bundeskanzler Schröder hat den russischen Präsidenten im deutschen Fernsehen vor zehn
Tagen als „lupenreinen Demokraten“ öffentlich geadelt.
Er sprach von seinem Grundvertrauen darauf, dass Putin
Russland zu einer ordentlichen Demokratie machen
wolle. Was Putin anstrebt, ist allerdings keine ordentliche, sondern eine geordnete, eben eine gelenkte Demokratie. Damit bremst und behindert er die Demokratisierung, statt sie zu befördern.
({3})
Bei seinem Treffen mit Präsident Putin in Sotschi im
Sommer dieses Jahres ging der Bundeskanzler noch weiter. Er testierte keine empfindliche Störung der Wahlen
in Tschetschenien und stellte dem Präsidenten für dessen
Tschetschenienpolitik damit sogar eine Art demokratisches Gütesiegel aus. Die OSZE-Wahlbeobachtermission hat das ebenso wie die Sprecherin der EU-Kommission völlig anders gesehen und von weder freien noch
fairen Wahlen gesprochen. In dem heute vorliegenden
Antrag, zu dem auch Sie sich hier bekennen sollten, werden die Wahlen als das bezeichnet, was sie wirklich waren: eine Farce.
({4})
Der Bundeskanzler bestätigt seinem Freund Wladimir
Putin auch im Hinblick auf den Jukos/ChodorkowskiProzess ausdrücklich, mit rechtsstaatlichen Mitteln vorzugehen. Das wiederum sieht der Koordinator für die
deutsch-russischen Beziehungen, der wirkliche Russlandkenner Erler, ganz anders. Er spricht von Zweifeln
an der russischen Rechtspraxis und Zweifeln an der Souveränität von Präsident Putin im Umgang mit potenziellen Rivalen und Konkurrenten. Das sieht auch meine
Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger als Berichterstatterin der Parlamentarischen Versammlung des
Europarates so.
({5})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
angesprochenen Kollegen Erler?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Hoyer, ich schätze Sie als einen sehr seriösen Kollegen in diesem Hause. Deswegen bin ich
über Ihre Rede etwas verwundert und möchte Ihnen folgende Frage stellen: Würden Sie mir zustimmen, dass es
auch parlamentarische Möglichkeiten gibt, das Thema
Tschetschenien selbst in die Hand zu nehmen und zu behandeln, wie das in meiner Fraktion zum Beispiel der
Kollege Bindig durch seinen langjährigen Einsatz im
Rahmen seiner Tätigkeit im Europarat macht und wie
auch ich das mit demonstrativen Akten, Kontakten und
Gesprächen mit russischen Menschenrechtsorganisationen mache?
Finden Sie es nicht ein bisschen dürftig, hier einen
Antrag zu vertreten, der - so würde man das im bürgerlichen Leben sagen - ein Plagiat eines Beschlusses der
Grünen ist, und so zu tun, als hätten Sie als Parlamentarier keine einzige Möglichkeit, selbst tätig zu werden?
Ich habe zu diesem Thema noch nie einen Kollegen aus
Ihrer Fraktion in irgendeiner Weise tätig werden sehen.
({0})
Ihre letzte Bemerkung erschwert mir meine Antwort;
an sich schien sie leicht zu sein. Denn ich finde es nicht
fair, dass Sie über die Bemühungen unserer Kolleginnen
und Kollegen im Menschenrechtsausschuss, in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und im
Auswärtigen Ausschuss einfach hinweggehen.
({0})
Ansonsten, Herr Kollege Erler, ist das schon ein Problem. Im Laufe meiner bisherigen parlamentarischen
Tätigkeit habe ich noch nie zu dem Instrument gegriffen,
einen Antrag einer anderen Partei zu übernehmen und
einzubringen. Ich hatte allerdings die große Sorge, dass
dieser Antrag, den ich für sehr gut halte, von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nicht in den Deutschen
Bundestag eingebracht wird, weil dann der Widerspruch
zur Russlandpolitik der Bundesregierung deutlich werden würde.
({1})
Deswegen mögen Sie mir dieses Stilmittel verzeihen.
Ich denke, das Wichtigste ist, dass der Deutsche Bundestag, der in der Russlandpolitik nach meiner Auffassung weiter ist als die Bundesregierung - das zeigen
auch viele Initiativen von Kolleginnen und Kollegen -,
in dieser Frage eine Position vertreten kann, durch die
die Bundesregierung zum Jagen gebracht wird. Herr
Kollege, wir haben doch am Beispiel der Chinapolitik
und des Waffenembargos gesehen, wie der Deutsche
Bundestag durch seine Positionierung auch in der Bundesregierung Bewegung ausgelöst hat.
({2})
Genauso sollten wir das auch bei der Russland- und der
Tschetschenienpolitik machen; denn über die Ziele können wir uns sehr schnell verständigen. Wir geben Ihnen
mit diesem Antrag die Gelegenheit, sich zu dem zu bekennen, was Bündnis 90/Die Grünen - wie ich finde,
sehr wortgewaltig und gut durchformuliert - auf ihrem
Parteitag beschlossen haben.
({3})
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler ist mit
Präsident Putin befreundet. Ich kritisiere das überhaupt
nicht, im Gegenteil: Gerade das deutsch-russische Verhältnis braucht auch eine persönliche, eine emotionale
Dimension. Russland hat gegenüber dem Westen seit jeher ambivalente Empfindungen: Oft hat es sich abgelehnt gefühlt, nicht hinreichend wahrgenommen in der
Größe und Bedeutung seiner Kultur, in seinem menschlichen Reichtum, ja in seiner Würde. Da ist russisch-deutsche Freundschaft ein gutes Gegenmittel. Wie oft ist
Bundeskanzler Helmut Kohl von denen, die uns heute
regieren, dafür kritisiert worden, dass er eine Freundschaft zu Präsident Jelzin gepflegt hat! Das ist als „Saunabekanntschaft“ abqualifiziert worden. Ich frage mich
bisweilen, ob das größte Wunder in den russisch-deutschen Beziehungen des letzten Jahrzehnts, der friedliche,
völlig problemlose und würdige Abzug der russischen
Streitkräfte aus Ostdeutschland, ohne diese Freundschaft
möglich gewesen wäre.
({4})
Ob der jetzige Bundeskanzler mit Präsident Putin im
Hinblick auf die Ukraine seine Freundschaft erstmals
tatsächlich einbringen kann, ist noch abzuwarten. Ich
muss es nach den Ergebnissen der gestrigen Gespräche
von Präsident Kutschma in Moskau leider eher bezweifeln. Jedenfalls darf diese Freundschaft nicht den Blick
auf die Realität in Russland und auf die Politik des
Kremls verklären, sie darf nicht zur alleinigen Leitlinie
der deutschen Russlandpolitik werden. Eine solche
Freundschaft muss belastbar sein.
({5})
Gute freundschaftliche Beziehungen und eine enge
Zusammenarbeit mit Russland sind wichtig; darüber
sind wir uns einig. Die lange Geschichte der Beziehungen ist immer durch Schwanken zwischen Extremen geprägt gewesen. Dieses Schwanken zwischen Extremen
gilt es jetzt durch eine wirkliche Partnerschaft abzulösen. Eine wirkliche Partnerschaft kann es nur mit einem
Russland geben, mit dem eine Wertepartnerschaft besteht, die auch gelebt wird. Wir können und sollten alles
daransetzen, dass es zu einer solchen echten Partnerschaft kommt. Dafür müssen wir die Reformen und die
Reformer in Russland unterstützen. Wir dürfen Russland
nicht auf den Dreiklang Stabilität, Kampf gegen den internationalen Terrorismus und Energielieferant bzw.
kurzfristiger Absatzmarkt reduzieren. Langfristig kann
Russland für uns und für alle Europäer sehr viel mehr
sein. Um darauf hinzuwirken, müssen wir die russische
Zivilgesellschaft, die unter Präsident Putin so sehr unter
Beschuss gekommen ist, stärken.
({6})
Der Petersberger Dialog, den die Bundesregierung
dazu dankenswerterweise etabliert hat, wird leider immer mehr zu einem Feigenblatt des Kremls für eine
Pseudozivilgesellschaft. Es gibt in Russland unzählige
wirklich kremlunabhängige NGOs, die von Putin nicht
zugelassen werden. Auch mit diesen gilt es zu kooperieren, es gilt, sie gerade wegen des immer schärferen Windes aus dem Kreml zu unterstützen. Wer Putins gelenkte
Demokratie auch gegenüber den überaus mutigen kritischen Stimmen aus Russland öffentlich verteidigt, der
zieht den Ansätzen für eine unabhängige kritische Zivilgesellschaft in Russland den Boden unter den Füßen
weg.
({7})
Russisches Roulette und grüne Schizophrenie können
wir uns in der Russlandpolitik wirklich nicht leisten. Das
haben die russischen Reformer, diese überaus mutigen
Menschen, nicht verdient, die gegenwärtig mit angehaltenem Atem, mit Hoffnung und Ängsten auf die Entwicklung in Kiew, auf den Katalysator, der sich dort
möglicherweise für die weitere Entwicklung ergibt,
schauen. Dafür sind die Chancen, die sich für Russland,
für Deutschland und für Europa aus einer wirklich positiven Entwicklung einer echten Partnerschaft ergeben
könnten, zu groß. Wir dürfen diese Chancen nicht verpassen. Umgekehrt mag ich an die Risiken, die mit einer
dauerhaften Autokratisierung Russlands einhergehen,
gar nicht denken. Denn dauerhafte Stabilität lässt sich
auf dem Wege, der am Beispiel Tschetscheniens zu beobachten ist, für das russische Riesenreich leider nicht
erreichen; die dramatischen Entwicklungen in Tschetschenien haben uns nachhaltig darauf aufmerksam gemacht.
Herzlichen Dank.
({8})
Ich komme zurück zu unserer namentlichen Abstimmung über den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der Überwachungsmission
AMIS der Afrikanischen Union und gebe das von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: Abgegebene Stimmen 553. Mit Ja haben gestimmt 540, mit Nein
haben gestimmt zehn, Enthaltungen drei. Der Antrag der
Bundesregierung ist damit angenommen.
Präsident Wolfgang Thierse
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 553;
davon
ja: 540
nein: 10
enthalten: 3
Ja
SPD
Dr. Lale Akgün
Ingrid Arndt-Brauer
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr ({0})
Doris Barnett
Eckhardt Barthel ({1})
Klaus Barthel ({2})
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({3})
Kurt Bodewig
Gerd Friedrich Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({4})
Hans-Günter Bruckmann
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Martin Dörmann
Peter Dreßen
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Martina Eickhoff
Marga Elser
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Lilo Friedrich ({5})
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({6})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Gabriele Groneberg
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack
({7})
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Monika Heubaum
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({8})
({9})
Iris Hoffmann ({10})
Frank Hofmann ({11})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Klaus-Werner Jonas
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Dr. Heinz Köhler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({12})
Christine Lehder
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Caren Marks
Hilde Mattheis
Ulrike Mehl
Petra-Evelyne Merkel
Ulrike Merten
Ursula Mogg
Michael Müller ({13})
Christian Müller ({14})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Dr. Erika Ober
Holger Ortel
Heinz Paula
Joachim Poß
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Reinhold Robbe
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({15})
Michael Roth ({16})
Gerhard Rübenkönig
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({17})
Thomas Sauer
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({18})
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Horst Schmidbauer
({19})
Ulla Schmidt ({20})
Silvia Schmidt ({21})
Dagmar Schmidt ({22})
Wilhelm Schmidt ({23})
Heinz Schmitt ({24})
Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Wilfried Schreck
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Brigitte Schulte ({25})
Swen Schulz ({26})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Ute Vogt ({27})
Dr. Marlies Volkmer
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Reinhard Weis ({28})
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({29})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Jürgen Wieczorek ({30})
Dr. Dieter Wiefelspütz
Brigitte Wimmer ({31})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Waltraud Wolff
({32})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Helmut Zöllmer
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({33})
Veronika Bellmann
Otto Bernhardt
Dr. Rolf Bietmann
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Präsident Wolfgang Thierse
Helge Braun
Monika Brüning
Verena Butalikakis
Hartmut Büttner
({34})
Cajus Julius Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Vera Dominke
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({35})
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Hartwig Fischer ({36})
Dirk Fischer ({37})
Axel E. Fischer ({38})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({39})
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Roland Gewalt
Eberhard Gienger
Georg Girisch
Michael Glos
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Karl-Theodor Freiherr von
und zu Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Klaus-Jürgen Hedrich
Ursula Heinen
Siegfried Helias
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Robert Hochbaum
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Irmgard Karwatzki
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({40})
Volker Kauder
Gerlinde Kaupa
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Kristina Köhler ({41})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Michael Kretschmer
Günther Krichbaum
Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn ({42})
Dr. Karl A. Lamers
({43})
Helmut Lamp
Barbara Lanzinger
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({44})
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Dorothee Mantel
Erwin Marschewski
({45})
Stephan Mayer ({46})
Dr. Conny Mayer ({47})
Dr. Martin Mayer
({48})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Doris Meyer ({49})
Maria Michalk
Hans Michelbach
Klaus Minkel
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Stefan Müller ({50})
Bernward Müller ({51})
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({52})
Henry Nitzsche
Michaela Noll
Claudia Nolte
Günter Nooke
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Thomas Rachel
Hans Raidel
Helmut Rauber
Christa Reichard ({53})
Katherina Reiche
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Roedel
Franz Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Albert Rupprecht ({54})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({55})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Angela Schmid
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({56})
Andreas Schmidt ({57})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Matthias Sehling
Marion Seib
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian von Stetten
Gero Storjohann
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({58})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marko Wanderwitz
Peter Weiß ({59})
Ingo Wellenreuther
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({60})
Volker Beck ({61})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Jutta Dümpe-Krüger
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer ({62})
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Peter Hettlich
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Jutta Krüger-Jacob
Fritz Kuhn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({63})
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({64})
Christa Nickels
Friedrich Ostendorff
Simone Probst
Claudia Roth ({65})
Krista Sager
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({66})
Petra Selg
Ursula Sowa
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Jürgen Trittin
Marianne Tritz
Dr. Antje Vogel-Sperl
Dr. Ludger Volmer
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({67})
Präsident Wolfgang Thierse
FDP
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({68})
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Helga Daub
Ulrike Flach
Horst Friedrich ({69})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({70})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Christel Happach-Kasan
Klaus Haupt
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Ina Lenke
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({71})
Eberhard Otto ({72})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Andreas Pinkwart
Dr. Rainer Stinner
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Nein
CDU/CSU
Dr. Wolf Bauer
Wolfgang Börnsen
({73})
Willy Wimmer ({74})
FDP
Otto Fricke
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Dr. Volker Wissing
Fraktionslose
Petra Pau
Enthalten
CDU/CSU
Manfred Carstens ({75})
Kurt-Dieter Grill
FDP
Gisela Piltz
Nun erteile ich dem Kollegen Rudolf Bindig, SPDFraktion, das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Der Vorgang um den Antrag, den wir hier diskutieren
und der den Titel „Zukunft für Tschetschenien“ trägt, ist
schon bemerkenswert. Die FDP reicht dem Deutschen
Bundestag einen Text ein, der wortgleich einer Entschließung des letzten Parteitages von Bündnis 90/Die Grünen
entspricht.
({0})
Als Antragsteller sind die Namen vieler Mitglieder der
FDP-Fraktion aufgeführt.
Dass sich die FDP in einer so wichtigen Frage den
Feststellungen und Wertungen der Grünen voll anschließt, erstaunt etwas, ist letztlich aber ihre Sache.
({1})
Politisch hat das Vorgehen der FDP für mich allerdings
einen mehr als faden Beigeschmack.
({2})
Absicht der FDP ist es nämlich offensichtlich nicht, sich
ernsthaft mit den Problemen und Nöten der Menschen in
und um Tschetschenien auseinander zu setzen,
({3})
vielmehr soll der Tschetschenienkonflikt für ein taktisches innenpolitisches Manöver missbraucht werden.
Mich erschreckt dieses Manöver.
({4})
Ich habe immer gedacht, dass wir auf dem Gebiet der
Menschenrechte über alle Fraktionen hinweg daran arbeiten, uns für die Menschen in Not und für die Opfer
von Menschenrechtsverletzungen einzusetzen.
({5})
Ich habe immer geglaubt, dass dies unser gemeinsames
Anliegen und unsere gemeinsame Triebkraft ist.
({6})
Die Tatsache, dass die FDP einen Antrag der Grünen
einreicht, um damit ein innenpolitisches Spiel zu treiben,
mit dem Ziel, herauszufinden, ob man nicht da oder dort
vielleicht unterschiedliche Einschätzungen von Abgeordneten der Grünen, der SPD und der Bundesregierung
bzw. dem Bundeskanzler bloßlegen kann, stellt meiner
Meinung nach einen Niedergang der menschenrechtlichen und außenpolitischen Seriosität der FDP dar.
({7})
Da wir bei diesem Spiel nicht mitspielen wollen, sage
ich gleich: Wir wollen diesen Antrag zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überweisen. Das beantrage ich
hiermit zugleich für die SPD-Fraktion.
Die verzweifelte Lage der Menschen in Tschetschenien, die Leiden der Opfer, aber auch der schwere Dienst
der Sicherheitskräfte und Soldaten, die häufig auch nur
Opfer in dieser Kriegsmaschinerie sind, verbieten eine
solche effekthascherische Politik. Die informierte Öffentlichkeit ist dadurch nicht zu täuschen. Wir jedenfalls
werden die existenzielle Not der Menschen in Tschetschenien weiterhin zum Ausgangspunkt unserer Politik
machen.
({8})
Diese zu beenden und den Menschen wieder eine Perspektive für ein angstfreies Leben zu ermöglichen, muss
Vorrang vor den Bemühungen haben, hier Kritik an der
Russlandpolitik als Ganzes zu betreiben. Wenn Sie das
wollen, dann beantragen Sie doch eine Debatte zur deutschen Russlandpolitik
({9})
und schreiben Sie nicht „Zukunft für Tschetschenien“
über Ihren Antrag.
Der andauernde Konflikt in Tschetschenien ist die
offene Wunde in der Politik der Russischen Föderation
und eine Tragödie für die Menschen in Tschetschenien
und den angrenzenden Regionen im Kaukasus. Auch
wenn zurzeit andere politische Ereignisse die Schlagzeilen beherrschen, so ist die politische und menschenrechtliche Lage in der Republik Tschetschenien doch weit davon entfernt, sich zu normalisieren oder bereits normal
zu sein. Fast täglich kommt es zu neuen Anschlägen und
Gewaltaktionen.
Am 10. Dezember ist der Tag der Menschenrechte. Es
ist daher angebracht, dass wir den Konflikt in Tschetschenien aus der Sicht der dort lebenden Menschen mit
ihren alltäglichen Nöten und Ängsten sehen und ihretwegen die politischen Anstrengungen intensivieren, um den
Konflikt einzudämmen und die Lage der Menschen zu
verbessern. Voraussetzungen dafür sind, die Ursachen
des Konflikts zu analysieren und die Verursacher der
Tragödie klar zu benennen.
Schwerste Menschenrechtsverletzungen und strafrechtliche Akte werden von allen Konfliktbeteiligten
begangen. Unmissverständlich zu verurteilen sind Terrorakte wie der Anschlag auf zwei Flugzeuge, die
abstürzten, das Selbstmordattentat in der Nähe einer
U-Bahn-Station in Moskau, die Geiselnahme von Hunderten unschuldiger Kinder und ihrer Familienangehörigen in Beslan und das schreckliche Blutbad, welches die
Geiselnahme beendete. Für derartige Angriffe auf unschuldige Zivilisten kann es keine Entschuldigung geben.
({10})
Unmissverständlich zu verurteilen sind auch alle übrigen Morde, welche durch illegal bewaffnete Gruppen in
Tschetschenien, Inguschetien, Ossetien und Dagestan
stattgefunden haben und stattfinden.
Schwere Verbrechen an der Zivilbevölkerung werden
aber auch von den unterschiedlichen föderalen und prorussisch-tschetschenischen Sicherheitskräften während
ihrer Sonderoperationen in der Republik Tschetschenien
sowie in zunehmendem Maße in benachbarten Regionen
begangen. Die Liste der Menschenrechtsverletzungen ist
lang: Morde, Verschwindenlassen von Personen, Folter,
Geiselnahme, Vergewaltigung und willkürliche Inhaftierung.
Diese Spirale der Gewalt aus terroristischen Akten illegal bewaffneter Gruppierungen einerseits und Gewaltaktionen der russischen Sicherheitskräfte andererseits
muss unterbrochen und umgekehrt werden. Ohne ein
Ende der Gewalt und ohne Bestrafung der Täter kann es
keine nachhaltige politische Lösung geben.
({11})
Der Konflikt hat vielfältige Ursachen. Es geht eben
nicht nur, wie die russische Regierung immer wieder behauptet, um die Konfrontation mit dem internationalen
Terrorismus radikal-islamistischer Prägung. Der Konflikt hat seine Wurzeln vor allem in der russischen Geschichte selbst und in der Unterentwicklung der Region.
Durch das unterschiedslos brutale Vorgehen der russischen Sicherheitskräfte sowohl gegen die Zivilbevölkerung als auch gegen die tschetschenisch-nationalistischen Akteure ist der Konflikt selbst zu einer Brutstätte
immer neuer Gewalthandlungen geworden. Die aktuelle
Gewalt erneuert sich ständig aus dem Konflikt heraus,
der wechselseitig Angst und Hass erzeugt.
Zwar hat mit der Länge des Konfliktes auch der Einfluss international operierender Terroristen zugenommen. Aber dies ist nicht die Hauptursache dieses Konfliktes. In Tschetschenien herrscht ein Klima der Straflosigkeit, da die tschetschenischen und föderalrussischen
Strafverfolgungsbehörden noch immer entweder nicht
willens oder nicht in der Lage sind, die für die Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Dieses Klima der Straflosigkeit ist inzwischen auch auf Inguschetien übergesprungen. Damit
droht sich der Konflikt im Nordkaukasus wie eine Epidemie auszubreiten und die Rechtsstaatlichkeit auch in
anderen Gebieten der Russischen Föderation zu gefährden.
Wie groß die Gefahr ist, zeigen zwei beängstigende
Entwicklungen. Vom Generalstaatsanwalt der Russischen Föderation wird gefordert, dass der Staat das
Recht hat, Verwandte mutmaßlicher Terroristen als Geisel zu nehmen und ihnen Folter und Mord androhen zu
können. Mit dieser Sippenhaft will man Terroristen
zwingen, sich zu ergeben. Beunruhigend ist auch, dass
es schwere Verbrechen an jenen Menschen und ihren Familienangehörigen gegeben hat, die vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geklagt haben.
Zur Beschreibung der Menschenrechtslage in der Republik Tschetschenien habe ich im Auftrag des Europarates einen umfangreichen Bericht erstellt, der auf der
Basis von Informationen von Nichtregierungsorganisationen und offiziellen Quellen viele Einzelfälle schwerster
Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Der Bericht
und die Feststellungen sind von einigen - ich betone: einigen - russischen Politikern heftig kritisiert worden.
Allerdings ist von offizieller russischer Seite in keinem
konkreten Fall eine Unkorrektheit nachgewiesen worden. Die wachsende Kritik in Russland an menschenrechtsorientierten Nichtregierungsorganisationen ist völlig ungerechtfertigt und deshalb zurückzuweisen.
({12})
Diese Organisationen leisten eine hervorragende Arbeit.
Zudem gilt es nicht, diejenigen zu kritisieren, die Menschenrechtsverletzungen aufdecken und dokumentieren,
sondern diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die
Menschenrechtsverletzungen begehen.
({13})
Gemeinsam sollten wir deshalb die Regierung der
Russischen Föderation erneut nachdrücklich dazu auffordern, gegen die Menschenrechtsverletzungen durch
ihre eigenen Sicherheitskräfte einzuschreiten und das
Klima der Straflosigkeit in der Republik Tschetschenien
zu beenden. Damit Letzteres tatsächlich geschieht, ist
ein klares politisches Zeichen von höchster politischer
Ebene in Russland erforderlich, also von Präsident Putin
selbst. Er muss anordnen - er muss diese Anordnung mit
seiner Autorität versehen -, dass alle Sicherheits- und
Strafverfolgungsbeamten bei der Ausübung ihrer Pflichten jederzeit die Menschenrechte wahren.
({14})
Er muss anordnen, dass sich alle ergriffenen oder geplanten Antiterrormaßnahmen im Einklang mit den
Menschenrechts- und Völkerrechtsnormen befinden.
Diese Auffassung sollten wir alle gemeinsam als Abgeordnete in Gesprächen und Kontakten mit Abgeordneten
in der Russischen Föderation sowie im Gespräch mit
russischen Regierungsmitgliedern vertreten.
({15})
- Ich weiß, dass auch der Bundeskanzler dies tut. Ich
finde es richtig, dass er zwischen einer Politik der Kontakte und der Gespräche, die versucht, Einfluss zu nehmen, und einer Mikrofondiplomatie oder gar Megafondiplomatie, bei der man bestimmte Dinge nur nach
außen proklamiert und innen nichts erreichen kann, unterscheidet. Es muss die Möglichkeit gegeben sein, die
Probleme in Tschetschenien in Gesprächen direkt anzusprechen.
Ich weiß, dass zum Beispiel der deutsche Außenminister, wenn er mit dem russischen Außenminister zusammenkommt, in ganz intensiver Weise die Situation
anspricht und darüber diskutiert. Ich glaube, solch eine
Vorgehensweise ist besser, als den Antrag einer anderen
Partei zum Gegenstand eines eigenen Antrages im Deutschen Bundestag zu machen und damit nur innenpolitische Spiele zu betreiben. Wir können und wollen dies jedenfalls nicht akzeptieren; wir können und wollen dabei
nicht mitmachen.
({16})
Ich erteile Kollegen Friedbert Pflüger, CDU/CSUFraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn wir über Tschetschenien reden, dann müssen wir zunächst auch über die furchtbare Geiselnahme
in Beslan reden, wo tschetschenische Terroristen die
vielleicht grausamste Geiselnahme in der Geschichte
durchgeführt haben. Wir führen uns die Bilder vor Augen: die Bomben, die an Girlanden über Hunderten von
Kindern aufgehängt wurden; Kinder, die gezwungen
wurden, ihren Urin zu trinken; Kinder, mit deren Köpfen
man Fenster eingeschlagen hat. Die Art und Weise, wie
dort islamistische Fanatiker - Terroristen - gewütet haben, übersteigt alles, was jedenfalls ich bis dahin gesehen habe.
André Glucksmann sagt in einem Artikel in „Le
Monde“ vom 23. September 2004, wer zu so etwas fähig
ist,
… der schreckt vor nichts mehr zurück. Schon gar
nicht vor der Hölle. Heute eine gekidnappte Schule,
morgen ein in die Luft gesprengtes Atomkraftwerk.
Warum nicht, die Terroristen sorgen sich so wenig
ums eigene Leben wie um das der anderen.
Er schreibt im selben Artikel:
Die apokalyptische Szene, die sich da am 3. September unter unseren Augen abspielte, hat Zukunft.
Eine scheußliche Zukunft. Wie eine dreistufige Rakete zielt sie nicht nur auf Kaukasien und Russland,
sondern auf ganz Europa.
In der Tat haben wir es hier mit einem Thema zu tun,
das weit über den traditionellen Tschetschenienkonflikt,
der Jahrhunderte alt ist, hinausgeht.
Wir kennen die Berichte über den alten Konflikt zwischen Tschetschenien und Moskau, etwa aus Leo
Tolstois Buch „Hadschi Murat“ über die 40er-Jahre des
19. Jahrhunderts, als auch schon mit großer Brutalität
auf beiden Seiten gekämpft wurde. Damals war das aber
ein separatistischer, ein nationalistischer, ein ethnischer
Konflikt. Durch die Islamisierung, durch die Ausbeutung dieses alten Konfliktes durch al-Qaida, durch die
Finanzierung der Leute, durch das Lehren in terroristischer Kriegsführung - so nennen das die Leute von alQaida - ist eine neue Stufe der Brutalität entwickelt worden.
Wir haben das zum ersten Mal richtig gesehen, als im
Oktober 2002 in einem Moskauer Musicaltheater Hunderte von Geiseln gefangen genommen worden sind. Ich
habe einen Augenzeugen gesprochen. Er hat erzählt, unter den Geiselnehmern seien junge Leute im Alter von
16 oder 17 Jahren gewesen. Sie trugen islamistische
Spruchbänder, ohne über ein großes politisches Bewusstsein zu verfügen. Sie haben aber immer gesagt, sie
seien bereit, für den Emir und für Allah zu sterben. Hier
werden junge Leute in einen furchtbaren Konflikt gehetzt.
Deswegen müssen wir an dieser Stelle zunächst sagen: Wenn es um den Kampf gegen den islamistischen
Terrorismus geht, stehen wir an der Seite Russlands.
Wir sind in einer gemeinsamen Antiterrorkoalition. Die
Opfer von Beslan und Moskau sind uns genauso viel
Trauer wert wie die Opfer vom 11. September 2001 in
New York und Washington. Wenn wir über Tschetschenien reden, müssen wir zunächst den Opfern und ihren
Familien in Russland unser Mitgefühl aussprechen.
({0})
Wladimir Putin hat gestern in der indischen Zeitung
„The Hindu“ gesagt: Europa und die USA unterstützen
tschetschenische Terroristen. - Damit hat er nicht Recht.
Das tun wir nicht. Wenn tschetschenische Terroristen in
unserem Land Unterschlupf finden, dann werden wir sie
festsetzen und ausweisen.
Im Rahmen der Untersuchungen zum so genannten
Volmer-Erlass ist offenbar geworden, dass zwei tschetschenische Terroristen, die an der logistischen Planung
der Moskauer Geiselnahme beteiligt waren, die Brüder
Arbi und Ruslan Daudov, offenbar mit einem Visum
nach Deutschland kamen. So etwas darf nicht geschehen. Wir dürfen niemals, weder gegenüber Russland,
noch gegenüber einem anderen Land in der Welt, den
Eindruck vermitteln, Deutschland würde eine Zuflucht
bieten, und sei es nur durch eine nachlässige Handhabung der Visapolitik.
({1})
Wenn es aber wahr ist, dass dieser Konflikt islamisiert
worden ist - ich glaube, das liegt auf der Hand und ist
spätestens seit 1996 der Fall -, und wenn es wahr ist,
dass dieser Konflikt eine internationale Dimension hat,
dann kann Herr Putin diesen Konflikt nicht mehr als rein
russische Angelegenheit bezeichnen. Wenn der Konflikt
eine internationale Dimension bekommt, dann liegt es in
unserem Interesse, zu wissen, wie man den Terrorismus
dort bekämpft.
Diesbezüglich läuft in Tschetschenien wirklich vieles
in eine furchtbare, falsche Richtung. Natürlich muss man
hart gegen Terroristen vorgehen, aber doch nicht gegen
das ganze tschetschenische Volk. Im Augenblick wird
aber alles in einen Topf geworfen. Von russischer Seite
wird nicht mehr zwischen dem nationalistischen Widerstand, den Islamisten und dem tschetschenischen Volk
unterschieden. Es gibt keinen Spielraum für Verhandlungen, keinen Spielraum für internationale Vermittlungen.
Die Russen haben vor dem Hintergrund ihres riesigen
Reiches Sorge, dass Separationsbewegungen Schule
machen könnten. Wir wollen ganz deutlich sagen, dass
niemand ein Interesse an einer Destabilisierung der Russischen Föderation haben kann. Wer sich das ethnische
Geflecht, die vielen Völker, die im Nord- und Südkaukasus leben, diesen bunten Teppich von unterschiedlichen
Völkern und Religionen, die dort zusammenleben, ansieht, der kann nur sagen: Dagegen sind die Probleme,
die es auf dem Balkan gibt, ein Klacks.
Der Separatismus der Tschetschenen kann bei uns
keine Unterstützung finden; denn er würde zu weiteren
großen Problemen führen. Die Tschetschenen müssen
bei uns aber sehr wohl offene Ohren finden, wenn sie sagen: Wir wollen im Rahmen der Russischen Föderation
unsere Rechte und mehr Autonomie. - Dann müssen wir
sie anhören und unterstützen. Diese Unterstützung dürfen wir nicht den Islamisten überlassen.
({2})
In diesem Zusammenhang ist es nicht klug, wenn der
Bundeskanzler sagt: Die Wahl in Tschetschenien war akzeptabel.
({3})
Auf dem Parteitag der Grünen - das wurde in den Antrag
der FDP übernommen - wurde gesagt: Die Wahl war
eine Farce. Die Europäische Union, wir alle haben das
gesagt. Der Bundeskanzler sollte nicht das genaue Gegenteil sagen.
Ich finde es legitim, dass die FDP das aufgreift. Dadurch wird deutlich, dass hier mit zwei Zungen gesprochen wird: Der Bundeskanzler macht Realpolitik und die
Grünen gehen an die Basis und sagen: Schaut, wir machen Menschenrechtspolitik. - Das geht nicht zusammen. Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie machen wollen.
({4})
- Es geht nicht um Innenpolitik. Es geht um die Klärung
der Positionen.
({5})
Kollege Bindig, Sie haben Recht: Es muss ein Zusammenspiel zwischen einem lautstark und klar artikulierenden Parlament und einer auf stille Diplomatie setzenden
Regierung geben. Aber stille Diplomatie darf kein Alibi
für Nichtstun werden. Das ist der Verdacht, den wir in
diesem Fall haben.
({6})
Es läuft falsch in Tschetschenien. Es gibt ein sehr eindrucksvolles Buch von Anna Politkovskaja - ich werde
sie nächste Woche in Moskau sehen ({7})
mit dem Titel „Tschetschenien - die Wahrheit über den
Krieg“. Dort heißt es über einen tschetschenischen Familienvater:
Issa … geriet … in ein solches Konzentrationslager
- „Filtrationslager“ nennt man dort die Gefangenenlager am Rande von Chottuni. Sie drückten ihre Zigaretten auf seinem Körper aus, rissen ihm die Nägel
von den Fingern, ließen wassergefüllte Pepsi-ColaFlaschen auf seine Nieren klatschen. … Offiziere
niedriger Dienstgrade, die die kollektiven Verhöre
durchführten, lachten den Tschetschenen ins Gesicht, sie hätten knackige Hintern, und vergewaltigten sie. Mit den Worten: „Weil uns eure Weiber
nicht ranlassen.“
Die Tschetschenen mussten eine furchtbare Tortur über
sich ergehen lassen. Rache dafür zu nehmen - so sagen
Augenzeugen - würde das gesamte Ziel ihres weiteren
Lebens sein.
Die Frage ist, ob die unvorstellbare Härte, mit der
Moskau dort vorgeht
({8})
- das hat auch Herr Bindig in seinem Bericht festgestellt -,
nicht zu immer mehr Terrorismus führt. Ich glaube, diese
Frage müssen wir stellen. Wir stellen sie nicht, um Herrn
Putin in eine Ecke zu stellen oder um die Russische Förderation zu destabilisieren, sondern um bei der Lösung
dieses schlimmen Konfliktes zu helfen. Das hat mit Innenpolitik nichts zu tun,
({9})
sondern es geht um Klärung, Herr Kollege Bindig.
({10})
Herr Schröder sagt angesichts einer solchen Sachlage in
der „Süddeutschen Zeitung“, Putins Politik sei der richtige Weg und der vom russischen Präsidenten eingeschlagene Kurs führe zu innerer und äußerer Sicherheit
und werde von ihm solidarisch mitgetragen. Kollegin
Nickels von den Grünen sagt dazu, Schröders Interview
sei gut gemeint und schlecht gemacht gewesen.
({11})
Die Kollegin Katrin Göring-Eckardt kritisiert Putin mit
den Worten, die Politik der unerbittlichen Härte werde
keine Lösung bringen.
Ich würde dem Außenminister raten, sich vielleicht
ein bisschen stärker in die Russlandpolitik einzumischen
und
({12})
das nicht alles Herrn Schröder zu überlassen und - ich
sage noch einmal: Es geht nicht darum, Putin in eine
Ecke zu stellen - ein offenes Wort unter Freunden zu
sprechen. Sie sind sehr schnell, wenn es ein offenes Wort
gegenüber Amerika zu sagen gilt. Dann verweigern Sie
sich bitte auch nicht, wenn es um ein offenes Wort gegenüber Russland geht.
({13})
Bei der Stiftung Wissenschaft und Politik gibt es einen angesehenen Wissenschaftler, Dr. Uwe Halbach. Er
hat neulich in einem kleinen Kreis bei Herrn Schäuble
einen Vortrag gehalten und die Zahl der Toten in Relation gesetzt. Tschetschenien hat ungefähr eine Bevölkerung von 1 Million Menschen. Nach sehr konservativen
Schätzungen sind 100 000 Zivilisten bei den Tschetschenienkriegen seit 1994 ums Leben gekommen. Wenn man
das auf den Irak umrechnet, dann würde das bedeuten,
dass 2,5 Millionen Menschen im Irak gestorben wären.
Ich habe von der Friedensbewegung und unseren friedensbewegten Intellektuellen, die so „mutig“ auf die
Straße gegangen sind, um gegen den Irakkrieg zu demonstrieren, kaum etwas zu der Tragödie in Tschetschenien gehört, die eine ganz andere Dimension gehabt hat.
({14})
Ich komme zum Schluss. Wir müssen jetzt Putin das
Angebot machen, mit dem Europarat und der OSZE an
einem runden Tisch den Versuch zu unternehmen, neben
der Härte gegen Terroristen, die auch wir befürworten,
den anderen die Hand zu geben und vielleicht doch zu
überlegen, ob man nicht Verhandlungspartner auf tschetschenischer Seite braucht. Ist Maschadow wirklich das
Gleiche wie Bassajew? Ist der separatistische Widerstand wirklich das Gleiche wie der islamistische? Müssten wir hier nicht zusammen - noch einmal: nicht, um
Putin in die Ecke zu stellen, sondern um ihm zu helfen darangehen, mit internationaler Unterstützung diesen
Konflikt zu einer besseren Lösung zu führen? Das ist unser Plädoyer.
Vielen Dank.
({15})
Ich erteile das Wort Kollegen Winfried Nachtwei,
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir zunächst eine Vorbemerkung. Die FDP
hat einen guten Antrag zur Zukunft Tschetscheniens
vorgelegt,
({0})
allerdings unter fragwürdigen Umständen.
({1})
Er ist - darauf ist schon hingewiesen worden - wortgleich mit dem Beschluss des Parteitags der Bündnisgrünen in Kiel Anfang Oktober. Im bürgerlichen Leben
nennt man solche Textübernahmen ohne Quellenangabe
geistigen Diebstahl.
({2})
Ich will mich aber nicht an der Form festhalten, sondern komme jetzt zum Inhalt. Vor drei Monaten erschütterten die Geiselmorde von Beslan und die Sprengung
zweier Passagierflugzeuge die Menschen in Russland
und Europa. Diese Morde waren neue Höhepunkte einer
fürchterlichen Terrorserie gegen Zivilisten und brachten
eine neue Entgrenzung von Gewalt. Solche Taten sind
durch absolut nichts zu rechtfertigen. Mit solchen Verbrechern verbietet sich jeder Dialog.
({3})
Das Massenverbrechen von Beslan lenkte den Blick
der Weltöffentlichkeit wieder für wenige Wochen auf
den Gewaltkonflikt in Tschetschenien. Er dauert inzwischen seit Ende des 18. Jahrhunderts an und vor zehn
Jahren - nämlich am 11. Dezember 1994 - eskalierte er
erneut in den so genannten ersten Tschetschenienkrieg
mit dem Einmarsch der russischen Truppen. Seit 1999
fielen diesem Krieg in diesem kleinen Land - es ist gerade halb so groß wie die Schweiz - mehr als
100 000 Menschen zum Opfer. Mit 80 Prozent der Dörfer und Städte Tschetscheniens wurde zugleich die
Grundlage der tschetschenischen Gesellschaft zerstört.
Der enthemmte Gewaltkonflikt ist durch schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen aufseiten föderaler
und prorussischer so genannter Sicherheitskräfte einerseits und von brutalen Angriffen verschiedener bewaffneter tschetschenischer Gruppen und Terroristen andererseits gekennzeichnet.
Es wurde schon darauf hingewiesen: Am Anfang dieses Tschetschenienkrieges spielten der extreme Islamismus und Terrorismus fast keine Rolle. Aber die Art der
Kriegsführung fachte offensichtlich das Feuer des islamistischen Terrorismus an. Heutzutage muss man davon
sprechen, dass Tschetschenien ein strategischer Angriffspunkt für den islamistischen Terrorismus ist.
Allerdings bleibt es weiterhin falsch, den Tschetschenienkonflikt auf einen äußeren Angriff durch islamistische Terroristen zu reduzieren.
({4})
Es bleibt dabei, dass er erhebliche innere Ursachen hat.
Die Bundesrepublik und die Europäische Union haben ein eminentes Interesse an der Eindämmung des
Tschetschenienkonflikts, und zwar erstens wegen unserer menschenrechtspolitischen Glaubwürdigkeit, zweitens wegen unserer strategischen Partnerschaft mit Russland und drittens, weil wir uns solche Brutstätten für
internationalen Terrorismus nicht leisten können.
({5})
Wir müssen nüchtern feststellen: Niemand hat für den
Tschetschenienkonflikt eine Lösung parat. Dazu sind die
Verfeindungen und Verwundungen zu tief und die Gewaltinteressen zu stark. Zu sehr haben sich die verschiedenen Beteiligten in fürchterliche Sackgassen verrannt.
Trotzdem sind meiner Ansicht nach Ansatzpunkte für
eine notwendige und viel beschworene politische
Lösung erkennbar.
Erstens. Terrorismusbekämpfung muss Menschenrechte und humanitäres Kriegsvölkerrecht einhalten. Alles andere wirkt terrorismusfördernd. Die totale Feindwahrnehmung beider Seiten muss durchbrochen werden.
Auf russischer Seite muss den Tschetschenen gegenüber
zwischen Separatisten und wirklichen Terroristen unterschieden werden.
Zugelassen werden müssen unabhängige Dritte, etwa
Menschenrechtsverteidiger und OSZE-Beobachter, genauso wie demokratische Legitimität anstelle ferngelenkter Pseudodemokratie und Pseudotschetschenisierung. Hierfür sind die geplanten Wahlen im kommenden
Jahr eine entscheidende Bewährungsprobe. Mittelfristig
könnte auch das Angebot eines Stabilitätspaktes für den
Kaukasus durch die Europäische Union sehr hilfreich
sein.
Tschetschenien ist ein brennendes Thema der gemeinsamen Sicherheit in Europa. Hierfür ist ein offener Dialog zwischen Deutschland und Russland auf allen Ebenen unabdingbar.
Danke schön.
({6})
Ich erteile das Wort Kollegin Melanie Oßwald, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die siebten und achten Klassen der Staatlichen Internationalen
Schule Berlin haben vor kurzem die Hintergründe der
Tragödie von Beslan durchgenommen. Krönender Höhepunkt war eine Simulation der UNO, bei der die Schüler
in die Rolle von Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates
schlüpfen mussten. Streng nach den Regeln und den Gepflogenheiten der UNO sollten sie eine realistische Lösungsstrategie für den Tschetschenienkonflikt entwerfen.
Eine Klasse befürwortete am Ende ihrer Sicherheitsratssitzung die völlige Unabhängigkeit Tschetscheniens bei
gleichzeitig weit reichenden Antiterrorgarantien der
neuen tschetschenischen Regierung. Die anderen drei
Klassen kamen zu dem Schluss, dass ein Verbleib
Tschetscheniens in der Russischen Föderation bei größtmöglicher innenpolitischer Selbstständigkeit die realistischste Lösungsmöglichkeit für diesen schwer lösbaren
Konflikt sein dürfte. Da kann man nur staunen: Siebtund Achtklässler entwickeln Lösungsvorschläge! Aber
unsere Bundesregierung hat anscheinend keinen Lösungsvorschlag in der Tasche, den Schröder seinem Busenfreund Putin überreichen könnte.
Im Gegensatz zur offiziellen Schmusekurspolitik sehen - Gott sei Dank - andere wie zum Beispiel die Grünen durchaus Anlass zur Kritik an der russischen Politik.
Eine Änderung des Regierungskurses bewirkt dies aber
leider nicht. Im Gegenteil: Unser Bundeskanzler behauptet - ich möchte das wiederholen -, Putin sei ein lupenreiner Demokrat. Ich frage mich, ob wir nun viele
Aussagen so ironisch sehen müssen wie diese. Es ist
dringender denn je, dass wir eingreifen und Russland in
dieser fast ausweglosen Situation helfen, um eine politische und vor allem demokratische Lösung zu finden.
Die Ankündigung Putins, der Kampf gegen den internationalen Terrorismus erfordere eine Erneuerung der
gesamten Politik für den Nordkaukasus, ist richtig. Dieser Vorschlag geht aber leider in die falsche Richtung.
Immer deutlicher wird, dass es in diesem Konflikt nur
noch Verlierer geben wird. Islamistische Kräfte unterlaufen zunehmend die sezessionistischen UnabhängigkeitsMelanie Oßwald
bestrebungen der Tschetschenen zugunsten eigener
Ziele. Moskau darf einerseits keine Islamisierung seiner
südlichen Territorien zulassen und andererseits die Region nicht ohne geordnete Verhältnisse verlassen. Dies
ist ohne internationale Hilfe schlichtweg unmöglich. Die
Verweigerung der Unabhängigkeit und die fortgesetzte
Brutalität der russischen Truppen gegenüber der Bevölkerung schüren eher das Abdriften der kaukasischen
Moslems in das radikale Lager der Islamisten. Das sind
Islamisten, die keine Hemmungen haben, Gewalt in die
ganze Welt zu tragen.
Die unschuldige Zivilbevölkerung Tschetscheniens
leidet - das ist heute bereits erwähnt worden - seit mehr
als zehn Jahren entsetzliche Qualen. Sie verliert jede
Hoffnung auf eine gute Zukunft und das Vertrauen in
Rechtsstaatlichkeit.
Aufrüsten statt verhandeln, das ist eher die Taktik
Putins im Tschetschenienkrieg. Seine Militärs kennen
bei ihrem Feldzug keine Kompromisse. Die eigentlichen
Ursachen des Konfliktes werden aber leider kaum angesprochen, zum Beispiel die desolate wirtschaftliche und
soziale Lage im gesamten Kaukasus und insbesondere in
dieser Region. Es wird nichts getan, um zum Beispiel
die Bildungseinrichtungen wieder aufzubauen. Seit zehn
Jahren gehen die Kinder dort nicht mehr in die Schule.
Sie nehmen dafür an dem Kriegsgeschehen regen Anteil.
Es bedarf keiner großen Fantasie, sich die Situation
der Frauen, Männer und Kinder vorzustellen, deren Lebensgrundlagen seit fast einer Generation systematisch
zerstört werden und deren Väter, Brüder und Söhne vor
ihren Augen verschleppt, misshandelt oder getötet werden. Die internationale Gemeinschaft ist aufgefordert,
dem Konflikt eine noch größere Aufmerksamkeit zu
schenken. Dies ist bis heute leider versäumt worden.
({0})
Die deutsche Regierung muss ihr wiederholt erklärtes
Menschenrechtsengagement - sie und auch mein Kollege Bindig stellen es immer gern heraus; leider stehen
nicht alle dahinter - endlich ernst nehmen.
({1})
Sie muss beim russischen Präsidenten darauf dringen,
die Menschenrechtssituation in seinem Land spürbar zu
verbessern. Was Menschenrechte angeht, darf es nicht
nur um PR oder um Macht gehen. Allein seit Jahresbeginn kamen in Tschetschenien mehrere hundert Zivilpersonen ums Leben. Meist waren Sicherheitsdienste oder
Streitkräfte für diese Todesopfer verantwortlich.
Allein in dem Viertel des Landes, das als halbwegs sicher gilt - auch „Memorial“ darf dort regelmäßig dokumentieren -, kamen nur in diesem Jahr ums Leben:
83 tschetschenische Angehörige von Polizei und Armee,
acht Verwaltungsbeamte und 23 Rebellen. Es gab 294 Entführungen. 146 Entführungsopfer wurden wieder freigelassen, 20 tot aufgefunden; die anderen 128 werden vermisst. Wie ich bereits gesagt habe, gilt dies nur für das
Viertel des Landes, das als befriedet gilt. Ich möchte das
lieber nicht auf das ganze Land hochrechnen.
Die Tschetschenen haben ein Recht, in Frieden und
Würde zu leben. Auch die russischen Soldaten haben
Anspruch auf eine politisch durchdachte und vernünftige
Lösung dieses Bürgerkrieges. Wir müssen endlich den
Mut haben, mit Russland auch einen kritischen Dialog
über Demokratie und Menschenrechte zu führen.
({2})
Alles andere ist feige und hat mit politischer Verantwortung nichts zu tun.
Meine Damen und Herren von der Koalition, die heutige Debatte zeigt: Eigentlich sind wir uns einig, dass es
so nicht weitergehen kann. Ich finde es darum umso bedauerlicher, dass Sie es nicht geschafft haben, den angekündigten Antrag in die heutige Debatte einzubringen.
({3})
Das wäre eher politisches Handeln gewesen, als heute
nur zu reden. Ich sehe die rot-grüne Russlandpolitik damit als gescheitert an.
({4})
Ich erteile das Wort Kollegin Gesine Lötzsch.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir als Abgeordnete der PDS begrüßen die Initiative der FDP, die Situation in Tschetschenien auf die Tagesordnung des Bundestages zu setzen.
Ebenso wie in der Debatte am Mittwoch stelle ich die
Frage: Was sind eigentlich die Ziele deutscher Außenpolitik? Bereits in der Debatte über die Situation in der
Ukraine ist immer wieder die Frage aufgeworfen worden, wie Bundeskanzler Schröder seine demonstrativ engen Beziehungen zum russischen Präsidenten Putin
nutzt, um auf dessen Politik einen gewissen Einfluss zu
nehmen.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich finde es
gut und richtig, dass sich die Bundesregierung um gute
Beziehungen zu Russland bemüht. Russland ist vom
Westen lange genug gedemütigt worden. Der Bundeskanzler ist zu der Auffassung gekommen, dass die Demütigung Russlands ein Irrweg und eine politische Sackgasse ist. Das können wir als PDS nur unterstützen.
({0})
Andererseits kritisieren wir die Zurückhaltung der
Bundesregierung in der Tschetschenienfrage. Gegen das
tschetschenische Volk wird bereits zum vierten Mal ein
Ausrottungskrieg geführt. Der vierte Krieg begann im
September 1999 unter Putin. Er ist bis heute nicht beendet. Putin setzt weiterhin auf Staatsterror und bewirkt
damit eine Steigerung des Gegenterrors.
Trauriger Höhepunkt war das tödliche Attentat auf
Präsident Kadyrow. In der Person Kadyrow lässt sich
das ganze tragische Schicksal Tschetscheniens nacherzählen. Kadyrow war ursprünglich der oberste muslimische Geistliche Tschetscheniens. Unter dem ersten Präsidenten Dudajew hatte er zum Heiligen Krieg gegen die
Russen aufgerufen. Später wurde er zur Marionette des
Kremls, gehasst und verachtet vom tschetschenischen
Volk und schließlich ermordet.
Im September wurden wir alle ohnmächtige Zeugen
der Geiselnahme in Beslan. Opfer waren Kinder, die gerade noch freudig in die Schule gegangen waren. Nach
dem wenigen, was wir heute wissen, waren die Täter
nicht Tschetschenen, sondern Inguschen, die Opfer
nicht Russen, sondern Osseten. Die Inguschen sind mit
den Tschetschenen ethnisch und sprachlich nah verwandt und wurden im Februar 1944 gleichzeitig mit diesen nach Mittelasien deportiert. Für diese Deportation
rekrutierten Stalins Geheimdienste Hilfstruppen. Zu diesen Hilfstruppen gehörten auch Osseten, westliche
Nachbarn der Inguschen.
Warum gehe ich so detailliert darauf ein? Wir müssen
uns darüber im Klaren sein, dass die Konflikte weit in
die Vergangenheit reichen. Es geht nicht nur um Tschetschenien, sondern um den gesamten Nordkaukasus. Die
Verhältnisse sind kompliziert - das leugnet niemand -,
aber trotzdem können wir von der Bundesregierung erwarten, dass sie sich mit dieser komplizierten Situation
entsprechend auseinander setzt.
({1})
Wir als PDS sind nicht länger bereit, eine Arbeitsteilung
zu akzeptieren, die da heißt: Schröder ist für die guten
Beziehungen zu Putin zuständig und Fischer redet über
die Menschenrechte.
({2})
Wir sollten für Tschetschenien die gleichen Maßstäbe
wie für die Ukraine anlegen. Freiheit, Frieden und Menschenrechte sind keine abstrakten Forderungen. Ein Weg
zu Frieden, Freiheit und Menschenrechten wird man für
Tschetschenien und den gesamten Kaukasus nur finden
können, wenn man sich mit der Geschichte - nicht nur
der letzten zehn Jahre - auseinander setzt. - Herr Fischer
wird noch sprechen; er braucht nicht dazwischenzurufen.
({3})
Die Bundesregierung ist gefordert, vom Kreml diplomatisch, aber konsequent die Achtung des Rechts auf
Selbstbestimmung auch der Tschetschenen einzufordern.
Diese Aufgabe ist schwierig, aber lösbar.
Vielen Dank.
({4})
Ich erteile das Wort Kollegen Johannes Pflug, SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lassen Sie mich zunächst eine Bemerkung an
den Kollegen Pflüger richten. Herr Kollege Pflüger, Sie
haben einige Dinge angesprochen, auf die ich gerne eingehen würde, was ich aber wegen meiner begrenzten Redezeit nicht tun kann. Zwei Dinge allerdings möchte ich
doch ansprechen.
Wenn Sie sagen, dass die Friedensbewegung nicht gegen den Terror in Tschetschenien demonstriert, dann ist
das schlichtweg falsch. Wir haben in Berlin demonstriert.
Den Volmer-Erlass dafür verantwortlich zu machen,
dass zwei Terroristen nach Deutschland eingereist sind,
Herr Kollege Pflüger, ist absurd. Dann können Sie genauso gut Herrn Schrempp dafür verantwortlich machen,
dass jemand mit einem Mercedes einen Unfall verursacht.
({0})
Der Antrag der FDP zum Thema Tschetschenien enthält viele Passagen, denen zugestimmt werden kann.
Aber dieser Antrag enthält auch Formulierungen, die
besser unterblieben wären. Dazu gehört zum Beispiel ein
solch verquaster Satz wie:
Die Terroristen haben die zivilisatorischen und
menschlichen Mindeststandards in nicht vorstellbarer Weise unterschritten, …
Dass die FDP die Ermordung von Schulkindern und ihren Eltern in den Kontext einer Formulierung wie „Unterschreiten von Mindeststandards“ stellt, ist nicht akzeptabel.
({1})
- Dass Sie den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen abgeschrieben haben, Herr Hoyer, ist keine Entschuldigung dafür. Sie von der FDP sind es, die diesen Text in
den Deutschen Bundestag eingebracht haben. Deshalb
müssen Sie ihn auch verantworten.
Sie schreiben in Ihrem Antrag:
Der Terroranschlag von Beslan ist durch nichts zu
rechtfertigen.
Das ist richtig. Es muss klar sein, dass es in der Beurteilung von Terror nur konsequente Ablehnung und keine
relativierenden Betrachtungsweisen gibt. Die von der
Kommission zur Reform der Vereinten Nationen soeben
einstimmig angenommene Terrorismusdefinition ist,
meine ich, ein Fortschritt für die internationale Politik.
Wir können uns bei der Bekämpfung von internationalen Terroristen keine Zweideutigkeiten erlauben. DesJohannes Pflug
wegen begrüßt die SPD-Bundestagsfraktion - wie Sie es
auch tun - die politische Unterstützung, die die Bundesregierung der russischen Regierung beim Kampf gegen
den tschetschenischen und den internationalen Terrorismus zuteil werden lässt.
({2})
Der Deutsche Bundestag begrüßt insbesondere die
Aussagen der gemeinsamen Erklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem russischen Präsident
Wladimir Putin, die anlässlich des Terroranschlags von
Beslan erarbeitet und am 9. September veröffentlicht
wurde. Darin heißt es unter anderem:
Deutschland und Russland verurteilen alle Akte
und Formen des Terrorismus, ungeachtet der zugrunde liegenden Motivation … Beide Länder werden verstärkt zusammenarbeiten, um der globalen
Herausforderung durch den Terrorismus und seinen
Ursachen noch wirksamer entgegentreten zu können.
Von besonderem Interesse ist eine Passage in dem
FDP-Antrag - oder soll ich sagen: in dem Grünen-Antrag? -, die sich mit der Natur und den Zielen des tschetschenischen und des internationalen Terrorismus befasst.
Es heißt darin:
Der islamistische Terrorismus, der sich als Netzwerk um den Kern von El Qaida organisiert hat,
versucht systematisch, die Südgrenze der GUS-Region zu zersetzen. Nachdem die Terrorgruppen Afghanistan als Basis weitgehend verloren haben, bietet der ungelöste und unkontrolliert eskalierte
Konflikt in Tschetschenien nun einen neuen Angriffspunkt.
Von hier aus wollen Islamisten die gesamte Kaukasus-Region … destabilisieren. Ziel scheint nicht nur
die ideologische Herrschaft zu sein, sondern die
politische Schwächung von Gesellschaften und
Staaten, um im entstandenen Chaos machtpolitisch
Zugriff auf strategische Rohstoffe in Arabien und
Zentralasien zu erlangen, den Westen zu erpressen
und einen allgemeinen Krieg der Kulturen zu provozieren.
Einmal abgesehen davon, dass dies nur ein Teilaspekt
sehr komplexer Zusammenhänge und historischer Entwicklungen in Tschetschenien ist, ist festzuhalten, dass
Vorschläge wie zum Beispiel der, die Staatengemeinschaft müsse „Russland und die tschetschenische Gesellschaft vom Weg einer friedlichen Konfliktlösung“ überzeugen, nicht weiterhelfen. Wie soll denn die
Staatengemeinschaft Terrorgruppen, die Chaos produzieren, um ihre Machtansprüche durchzusetzen, von einer friedlichen Konfliktlösung überzeugen?
({3})
Der Satz „Der Deutsche Bundestag fordert die Menschen in Tschetschenien … auf, offen für politische Lösungen zu sein“ ist zwar ein gut gemeinter Ratschlag,
aber hilft natürlich auch nicht weiter.
Nun haben wir - das gebe ich gerne zu - auch nicht
den Stein der Weisen gefunden. Ich bin aber absolut davon überzeugt - der Kollege Bindig hat das ja auch gesagt -, dass jede politische Lösung des Tschetschenienkonflikts, zu der sich die russische Regierung mehrfach
bekannt hat, mit einer energischen Untersuchung und
Verfolgung aller Menschenrechtsverletzungen vor Ort
und mit entschlossenen Maßnahmen gegen das sich ausbreitende Klima der Straflosigkeit beginnen muss.
({4})
Partner für eine politische Lösung des Konflikts wird es
erst geben, wenn die Spirale von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen angehalten wird und die Menschen in
Tschetschenien durch Lösung der Flüchtlingsprobleme
und einen tatsächlichen Wiederaufbau eine lebenswerte
Zukunftsperspektive erhalten.
Da wir gerade in diesen Tagen hochsensibilisiert auf
die Ukraine blicken und dort verstärktes Engagement der
Europäischen Union erwarten, sollten wir ebenso mit
Blick auf Tschetschenien von der Europäischen Union
fordern, dass sie gemeinsam mit der russischen Regierung die Möglichkeiten zu einer umfassenden Strategie
der Stabilisierung und Vertrauensbildung in der Kaukasusregion, also so etwas Ähnliches wie einen Stabilitätspakt Kaukasus, auslotet. Die Ausrichtung muss sowohl auf die sieben russischen Föderationssubjekte im
Nordkaukasus als auch auf die südkaukasischen Republiken Georgien, Armenien und Aserbaidschan mit ihren
gefährlichen und ungelösten Regionalkonflikten erfolgen. Anderswo gemachte Erfahrungen mit Strategien zur
Stabilisierung von Regionen sollten von der EU genutzt
werden.
Russland sollte trotz seiner ablehnenden Haltung gegenüber jeglicher internationaler Einmischung nicht
übersehen, dass sich das Tschetschenienproblem allmählich zu einem Flächenbrand ausbreiten könnte und die
Hilfsbereitschaft und Solidarität der internationalen Völkergemeinschaft dann schnell nachlässt. Das erleben wir
in Afghanistan, im Irak, im Sudan, im Kongo usw.
Im Süden Russlands herrscht ein Bürgerkrieg. Kriege
sind eine besondere Bedrohung für die Menschenrechte.
Auf die Frage, wie man auf zivilisierte Weise schwer bewaffnete und gewaltbereite Terroristen bekämpfen kann,
hat man in Tschetschenien noch keine befriedigende
Antwort gefunden. Dennoch bestehen wir darauf, dass
bei dem notwendigen Kampf gegen den Terrorismus die
Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt und die Rechte
der Zivilbevölkerung geschützt werden müssen.
({5})
Ich erteile das Wort Bundesminister Joseph Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bedauerlicherweise führen wir hier eine zweigeteilte Debatte,
nämlich einmal eine innenpolitische über die Frage unserer Beziehungen zu Russland und zum anderen darüber - das ist, wie ich meine, die wesentlich wichtigere -,
wie die Tragödie in Tschetschenien beendet werden
könnte. Dazu habe ich leider wenig gehört.
Lassen Sie mich mit dem ersten Teil der Debatte, dem
innenpolitischen Teil, beginnen. Es ist noch gar nicht so
lange her, dass Präsident Putin in Berlin war und hier im
Hause gesprochen hat. Ich habe bei dem Treffen sehr
sorgfältig zugehört. Vieles von dem, was hier angemahnt
wird, hätte dabei direkt vorgetragen werden können. Ich
habe aber wenig Diesbezügliches gehört. Außerdem gab
es während des Bundestagswahlkampfes - die Situation
war damals schon sehr schlimm - Reisen von Kanzlerkandidaten nach Russland. Ich habe in der Auswertung
der Presseberichte wenig darüber gelesen, dass entsprechende Vorstellungen dort vorgetragen worden wären.
Darüber hinaus kann ich mich an den Besuch meines geschätzten Kollegen, des früheren Außenministers Iwanow,
im Auswärtigen Ausschuss erinnern. Ich saß die ganze
Zeit dabei. Schon damals wäre all das vorzutragen gewesen; aber es ist nicht vorgetragen worden.
Ich selbst war das letzte Mal am 12. Februar dieses
Jahres in Moskau. Ich habe mir jetzt die Agenturmeldungen heraussuchen lassen, acht Stück. Ich will nur
eine davon zitieren, nämlich Reuters:
Fischer legt deutsche Bedenken gegen Tschetschenienpolitik dar
Bundesaußenminister Joschka Fischer hat bei der
russischen Regierung die deutschen Vorbehalte gegen das Vorgehen Russlands in Tschetschenien unterstrichen - im direkten Gespräch mit Putin und
der russischen Delegation. „Wir haben intensiv
über die Entwicklung in Tschetschenien gesprochen“, sagte Fischer am Donnerstag nach einem
Gespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir
Putin in Moskau. „Ich habe unsere Besorgnis dargestellt, die Frage der Beachtung der Menschenrechte,
der Transparenz, die Frage der inneren Demokratieentwicklung.“ Der russische Außenminister Igor
Iwanow sagte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Fischer, es sei kein Geheimnis, dass es
Meinungsverschiedenheiten zu Tschetschenien, der
Freiheit der russischen Medien und der Demokratie
in Russland gebe. Fischer und Iwanow betonten, sie
hätten in einem sehr offenen Gespräch diese Meinungsverschiedenheiten ebenso besprochen wie
zahlreiche Themen, in denen Übereinstimmung
zwischen beiden Ländern bestehe.
Ich könnte Ihnen jetzt auch noch die anderen Zitate
vorlegen, meine Damen und Herren.
({0})
- Angesichts dieser Meldung müssten Sie Ihren Vorwurf
eigentlich zurücknehmen. Sie sagten, Fischer würde zu
all dem nahezu schweigen. Jetzt weichen Sie nicht auf
den Bundeskanzler aus. Ich weiß, dass er in ähnlicher
Art und Weise alle Probleme mit dem Präsidenten angesprochen hat, und zwar nicht nur einmal, sondern mehrfach.
({1})
Was Sie tun, ist kurzsichtig und schlechte Oppositionspolitik.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Pflüger?
Bitte, Kollege Pflüger.
Herr Bundesminister, Ihre Äußerungen, die in den
Agenturmeldungen wiedergegeben worden sind, sind
uns natürlich bekannt.
({0})
Trotzdem möchte ich Sie fragen: Finden Sie es richtig,
dass der Bundeskanzler - im Gegensatz zur EU - die
Wahlen in Tschetschenien als akzeptabel bezeichnet hat?
Herr Kollege Pflüger, wir, auch der Bundeskanzler,
haben diesbezüglich eine klare Haltung eingenommen.
({0})
Ich weiß, dass er gerade in den Gesprächen mit Präsident
Putin all die Punkte, auf die ich eben eingegangen bin,
präzise angesprochen hat.
({1})
- Sie müssen die Antwort schon mir überlassen. - Deshalb kann ich Ihnen an diesem Punkt nur sagen: Es ist
sehr kurzsichtig, was Sie hier betreiben; denn Sie lenken
nur von dem Widerspruch ab, den es bei Ihnen gibt.
({2})
Ich weiß, dass es in der Politik oft schwer ist, Dilemmata
zuzugeben.
({3})
- Was für ein „Eiertanz“ denn? Verehrter Kollege, wenn
Sie zu der Frage, wie Russland einzubinden ist, nichts
sagen können und es dann als „Eiertanz“ bezeichnen,
wenn ich auf dieses Dilemma hinweise, zeigt das doch
nur, in welchen Horizonten Sie tatsächlich denken.
({4})
Kollege Pflüger - Sie können sich ruhig setzen ({5})
- ich habe die Frage beantwortet -, den entscheidenden
Punkt haben Sie doch im ersten Teil Ihrer Rede angesprochen - ich bedaure sehr, dass Sie das nicht weiter
ausgeführt haben -, nämlich in welche Richtung sich
Russland entwickelt und wie wir unsere Politik gestalten
müssen. Selbstverständlich ist die Tragödie in Tschetschenien dabei von zentraler Bedeutung. Sie haben zu
Recht diesen furchtbaren, grauenhaften Terrorismus angesprochen: die Tatsache, dass die Unterdrückung der
Unabhängigkeitsbestrebungen in Tschetschenien dazu
geführt hat, dass es zunehmend zum Rekrutierungsfeld
des internationalen Dschihad-Terrorismus wird, und andererseits die Konsequenzen, die das für die Entwicklung der russischen Demokratie insgesamt haben kann.
Angesichts der Entwicklung müssen wir klar zu unseren Grundsätzen stehen. Wir haben immer die Grundsätze unserer Tschetschenienpolitik verfolgt, indem wir
zum einen auf eine politische Lösung des Konflikts gedrängt - ich komme gleich auf Elemente dazu zu sprechen - und zum anderen klar gemacht haben, dass die
territoriale Integrität Russlands beibehalten werden
muss. Eine weitere Auflösung der Russischen Föderation birgt Konsequenzen, über die sich die wenigsten
Gedanken machen. Diejenigen, die dies so schlankweg
mit Unabhängigkeit gleichsetzen
({6})
- das habe ich Ihnen doch nicht vorgeworfen; wir müssen uns in dieser Frage, in der Konsens besteht, ja nicht
streiten -, bedenken nicht, was das an weiterer Gewalt
und Instabilität mit sich bringen kann.
Herr Kollege Pflüger, auf meiner Reise in den Südkaukasus vor einigen Monaten habe ich mit den Außenministern und den Staatspräsidenten von Aserbaidschan,
Armenien und Georgien auch über die Tschetschenienfrage diskutiert. In diesen Gesprächen habe ich zwei Fragen gestellt. Erstens habe ich gefragt, wie man diesen
Konflikt und die Mentalität, die in Tschetschenien dahintersteckt, erklären kann. Ich sage ganz offen, dass ich
keine befriedigende Antwort erhalten habe. Meine Gesprächspartner haben mir selbst gesagt, dass sie mir
keine Antwort auf diese Frage geben können. Zweitens
habe ich gefragt, was zu tun ist und wie sich dieser Konflikt lösen lässt. Darauf habe ich sehr widersprüchliche
Antworten erhalten.
Auf unsere berechtigte Kritik kommt von der russischen Seite sofort die Frage: Was schlagt ihr denn vor?
Wenn wir den Namen Maschadow erwähnen und fragen, ob es keine Möglichkeit gibt, einen politischen Prozess mit Maschadow zu beginnen, dann folgt prompt die
Antwort: Mit Terroristen werden wir dies nicht tun; er
hat zu viel Blut an den Händen. Außerdem wird darauf
verwiesen, dass es auch in der Phase zwischen dem ersten Tschetschenienkrieg unter Jelzin und dem zweiten
Tschetschenienkrieg nicht funktioniert hat. Wir können
uns doch noch alle sehr gut an die damaligen Zustände
in Tschetschenien erinnern.
Dennoch sind wir der Meinung, dass alle Möglichkeiten ausgelotet werden sollten. Ein Waffenstillstand setzt
allerdings Partner voraus. Man sollte sich daher überlegen, ob es sinnvoll ist, den Ansatz mit Maschadow weiter zu verfolgen. Ich möchte aber hinzufügen, dass dahinter - zu Recht - große Fragezeichen stehen.
({7})
Das wissen Sie nur zu gut. Das ist das Dilemma, das ich
zu beschreiben versuche und über das wir nicht einfach
hinwegdiskutieren dürfen.
({8})
- Ich sage doch gar nicht, dass Sie das tun. Ich habe nur
gesagt, dass wir das nicht dürfen.
Ein weiterer wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang ist die Frage: Kann es gelingen - wenn man einen
Partner findet -, einen langfristigen Waffenstillstand auf
der Grundlage der territorialen Integrität der Russischen
Föderation zu erreichen? Ich warne davor, die These von
der Internationalisierung einfach in den Raum zu stellen.
Denn das Problem mit einem möglichen Stabilitätspakt
für den Gesamtkaukasus ist: Weder die südlichen Republiken, die ihre Unabhängigkeit bewahren wollen und
die ihre Besorgnis äußern, noch Russland, das auf seine
territoriale Integrität achtet, werden diesen Pakt akzeptieren.
Den Ansatz, die Verhältnisse mit friedlichen Instrumenten zu verbessern, um den Prozess in Gang zu setzen, halte ich für richtig. Aber dieser Ansatz wird an den
Ängsten und an den Widersprüchen in der Kaukasusregion sozusagen hängen bleiben. Wir sollten nicht meinen, wir könnten den Stabilitätsansatz, wie wir ihn auf
dem Balkan entwickelt haben, so einfach auf diese Region übertragen.
Wir müssen in dieser Situation auch verstehen, wie
Russland die Entwicklung im südlichen und im nördlichen Kaukasus sieht. Gestatten Sie mir, dass ich einige
Bemerkungen zu diesem Punkt mache. Ich mache mir
nicht die Position Russlands zu Eigen, aber ich sage,
dass man die russische Seite verstehen muss. Es ist das
Trauma des Abstiegs einer Supermacht, die sich einst
auf dem Niveau der Vereinigten Staaten befunden hat.
Es ist - ohne jeden Zweifel - das Trauma der territorialen Desintegration. Das spielt bei der Ukrainepolitik
des russischen Präsidenten und der russischen Regierung, aber auch bei der Haltung der russischen Öffentlichkeit eine ganz entscheidende Rolle.
Bei allem Verständnis für die Situation Russlands ist
meines Erachtens aber auch klar, dass eine erfolgreiche
Modernisierung Russlands ohne den Übergang zu einer
modernen Marktwirtschaft, zu einer modernen Zivilgesellschaft, zu einer Teilung der Macht innerhalb der unterschiedlichen Institutionen sowie ohne eine Festlegung
auf demokratische Grundprinzipien - wir begreifen das
als Freiheit in der Gesellschaft und in der Wirtschaft 13634
nicht funktionieren kann. Ich bin der festen Überzeugung, dass eine Erneuerung Russlands letzten Endes davon abhängt, ob Russland ein aktiver Faktor in einer
wissensgetriebenen, globalisierten Wirtschaft werden
kann. Eine solche wissensgetriebene, globalisierte Wirtschaft lässt sich nur mit freien Individuen, also mit freien
Bürgerinnen und Bürgern erfolgreich organisieren.
({9})
Herr Minister, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ich komme zum Ende.
Meine Damen und Herren, es ist es wert, einmal ausführlich im Plenum oder im Ausschuss über die Russlandpolitik zu diskutieren.
Im Hinblick auf die Tragödie in Tschetschenien stehen wir zu unseren Grundsätzen. Ich meine, dass dabei
- ohne dass das eine Einmischung bedeutet - die OSZE
und ihre Beobachtermission, aber auch der Europarat
eine wichtige Rolle des Aufeinanderzuführens spielen
könnten. Moskau zu überzeugen ist alles andere als einfach; das sage ich hier in aller Klarheit. Dennoch werden
wir nicht ruhen, weil wir der Überzeugung sind, dass der
Tschetschenienkonflikt jenseits der großen humanitären
Tragödie ein gewaltiges Destabilisierungspotenzial hat.
({0})
Wir werden an unseren Grundsätzen festhalten und weiter eine klare Sprache pflegen. Wir sind unseren Grundsätzen verpflichtet. Wenn diese aufgerufen sind, dann
werden wir zu unseren Grundsätzen stehen; das hat die
Bundesregierung immer wieder bewiesen. Aber wir
müssen auch die ganze Komplexität des Problems begreifen. Glauben Sie mir, die Entwicklung im Irak und
an anderen Orten macht die Argumentation gegenüber
der russischen Seite nicht unbedingt einfacher.
({1})
Insofern verstehe ich die Nöte der Opposition auf der
einen Seite; ich will mich darüber nicht beschweren.
Aber auf der anderen Seite ist es dieses Thema wirklich
wert, vertieft und jenseits dieser innenpolitischen Spielereien diskutiert und positiv vorangebracht zu werden.
({2})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christoph
Bergner, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als ich den Antrag, von dessen Herkunft ich erst nachträglich erfahren habe, gelesen habe, hat mich die dort
getroffene Lageeinschätzung zu zwei Kommentaren herausgefordert.
Erster Kommentar: Wir sprechen über eine Region
dieser Erde mit höchster Gewaltkonzentration. Wer die
ausgewiesenen Zahlen, 100 000 Tote, 6 000 Minenopfer
im Jahr 2002 - das sind fünfmal mehr als im gleichen
Zeitraum in Afghanistan - und 10 000 gefallene russische Soldaten, ins Verhältnis zur Größe der Region mit
700 000 Einwohnern setzt - diese Region ist nicht viel
größer als der Freistaat Thüringen -, kann erst einmal ermessen, über welches Inferno wir hier reden. Gemessen
daran wünschte man sich natürlich mehr öffentliche
Aufmerksamkeit und mehr problembezogene Diskussionen in den politischen Debatten zu Tschetschenien.
Wenn wir darüber hinaus die massive Militärkonzentration - 100 000 Soldaten befinden sich zeitweise in
dieser kleinen Region und 300 000 in der Umgebung mit dem Umstand in Zusammenhang bringen, dass ein
Großteil staatlicher Gewaltaktivitäten außerhalb des
Kriegsrechtes liegt, dann, finde ich, sollten wir unsere
Empörung über das Verhalten der Amerikaner in Guantanamo einmal ins Verhältnis zu unserer Empörung über
die Entwicklung in Tschetschenien setzen.
({0})
Ein zweiter Kommentar scheint mir ebenfalls wichtig
zu sein. Wir sprechen wirklich über eine Tragödie. Der
Konflikt hat tragische Wurzeln - das ist schon mehrfach
angesprochen worden -, die in die Zeit der zaristischen
Kolonisation und in die Zeit der stalinschen Deportationen zurückreichen. Er hat aber auch tragische Wurzeln
im Wesen des tschetschenischen Volkes selber. Die Regierung Maschadow ist nach dem Friedensabkommen,
das mit Lebed geschlossen worden war, erkennbar gescheitert. Sie ist auch deswegen gescheitert, weil in dieser Region ein Clandenken noch so stark vorherrscht,
dass es offenkundig extrem schwierig ist, Institutionen
der Staatlichkeit eigenverantwortlich zu etablieren. Auch
dies sollten wir im Blick haben, wenn wir über diesen
Konflikt reden.
Angesichts einer solchen Lageeinschätzung plädiere
ich dafür, dass wir in unserem vergleichsweise behüteten
Mitteleuropa uns nicht mit altklugen Ratschlägen oder
mit besserwisserischen Urteilen über die Situation äußern;
({1})
aber ich kann uns angesichts der Dramatik auch nicht
empfehlen, dass die Repräsentanten der deutschen Politik mit gespaltener Zunge sprechen. Dies scheint mir
mindestens ebenso wichtig zu sein.
({2})
In diesem Zusammenhang, Herr Minister Fischer,
würde ich gern die FDP vor dem Vorwurf der innenpolitischen Spielerei in Schutz nehmen,
({3})
denn wenn dieser Antrag zu einem Klärungsprozess innerhalb der Bundesregierung führt,
({4})
welche Positionen man denn nun gegenüber Russland in
Sachen Tschetschenien vertreten will, dann halte ich dies
für einen wichtigen und notwendigen Beitrag.
({5})
Ebenso halte ich es für wichtig, ja für unverzichtbar,
dass wir den Dialog mit Russland nicht nur als einen
Dialog hinter verschlossenen Türen nach dem Vorbild
bismarckscher Diplomatie führen. Die Politik der Europäischen Union, die auf eine strategische Partnerschaft setzt, wird doch nur dann glaubwürdig, wenn wir
einen Dialog der Zivilgesellschaften unterstellen. Zu
diesem Dialog gehört in punkto Tschetschenien sehr vieles, was zumindest mir bisher viel zu sehr verdrängt
wurde.
({6})
Dass einer der heute meistgefürchteten, gefährlichsten Terroristen, Schamil Bassajew, noch Anfang der
90er-Jahre im Abchasienkonflikt für russische Interessen
gegen georgische Truppen gekämpft hat, macht doch
eine Diskussion über den Zusammenhang zwischen
tschetschenischem Terrorismus und seiner Vorgeschichte notwendig.
Wenn russische Truppen - übrigens in einem sehr engen Zusammenhang zur ersten Wahl Wladimir Putins
zum Präsidenten; dies war sogar ein Argument für seine
Wahl - mit großer Härte und mit dem Ziel eines Unterwerfungsfriedens in Tschetschenien agieren, so müssen
wir uns nicht wundern, dass sie den Widerstand in die
asymmetrische Kriegführung treiben und es jetzt terroristische Strukturen gibt, von denen wir zu Recht fürchten, dass sie sich dem Netzwerk des islamistischen Terrorismus anschließen.
Es gibt also viel Raum für offene Diskussionen nicht besserwisserisch, aber offen und nicht beschränkt
auf Diplomatie hinter verschlossenen Türen. Wenn die
heutige Debatte und der aus einem Parteitagsbeschluss
abgeleitete FDP-Antrag einen Beitrag dazu leisten, so
erachte ich dies für wichtig und notwendig. Gleichwohl
halte ich es nicht für richtig, über diesen Antrag sofort
hier im Plenum abzustimmen, denn im Hinblick auf das
Problem erkenne ich an dem Parteitagsbeschluss der
Grünen noch zu viele Mängel.
Weil die Lampe aufleuchtet, will ich nur noch zwei
Stichworte nennen. Wir werden mehr Nachdenklichkeit
investieren müssen, als wir in diesem Antrag finden,
wenn wir die Frage beantworten wollen, was Deutschland und die EU zur Lösung des Tschetschenienkonfliktes beitragen können.
Hinsichtlich eines zweiten Punktes will ich durchaus
die Sichtweise des Bundesaußenministers unterstützen.
Herr Kollege, jetzt können Sie wirklich nur noch einen Schlusssatz sagen.
Ich sage noch einen Satz, Frau Präsidentin: Auch ich
halte die Sichtweise „Stabilitätspakt Kaukasus“ für nicht
zielführend, sondern wünsche mir Aktivitäten, die zwischen den unterschiedlichen Handlungsrahmen im Südkaukasus und im Nordkaukasus unterscheiden. Insofern
lohnt es sich, über diesen Antrag im Ausschuss vertiefend zu diskutieren.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zum Antrag der Fraktion der FDP auf
Drucksache 15/3955 mit dem Titel „Zukunft für Tschetschenien“. Mir ist gerade mitgeteilt worden, dass die
FDP nach der Debatte auf die sofortige Abstimmung
verzichtet, sodass wir gemeinsam davon ausgehen können, dass Überweisung beantragt ist. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. An welche Ausschüsse
soll überwiesen werden?
({0})
- Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die parlamentarische Beteiligung bei
der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland ({1})
- Drucksache 15/2742 ({2})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jörg van Essen, Rainer Funke, Günther
Friedrich Nolting, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Mitwirkung des Deutschen
Bundestages bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr ({3})
- Drucksache 15/1985 ({4})
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({5})
- Drucksache 15/4264 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Dieter Wiefelspütz
Ronald Pofalla
Volker Beck ({6})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Widerspruch höre
ich nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Gernot Erler.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In der Bundesrepublik Deutschland hat das Parlament
bei Entscheidungen über Auslandseinsätze eine besondere Verantwortung. Das ist anders als in anderen Länder. Diese Besonderheit findet in diesem Haus breite Zustimmung. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz will und
wird diese besondere Verantwortung stärken und konkretisieren.
({0})
Meine Fraktion sieht im Parlamentsvorbehalt einen
Teil einer politischen Kultur der Zurückhaltung beim
Einsatz bewaffneter Kräfte im Ausland.
({1})
Wir fühlen uns in dieser Frage durch die Erfahrungen
der letzten Jahre bestätigt. Die rot-grüne Bundesregierung hat deshalb ein Gesamtkonzept für vorausschauende Friedenspolitik, Krisenprävention und Friedenskonsolidierung entwickelt. Dass heute fast alle der
mehr als 7 000 deutschen Soldaten, die im Ausland tätig
sind, an Missionen zur Friedenskonsolidierung teilnehmen, ist kein Zufall. Wenn wir heute Morgen den Beschluss gefasst haben, 200 Soldaten an einer Friedensmission in Darfur zu beteiligen, passt das genau in dieses
Konzept.
({2})
Hinter allen deutschen Einsätzen steht nicht nur eine
wohl erwogene Entscheidung der Bundesregierung, sondern auch eine sehr sorgfältige Abwägung aller Bundestagsabgeordneten. Das soll auch so bleiben.
({3})
Ich selbst habe bei der Vorbereitung dieses Gesetzentwurfs eine koordinierende Funktion wahrgenommen und
kann sagen: Bisher war es wirklich selten der Fall, dass
wir uns so gründlich mit einem Gesetzentwurf beschäftigt haben. Auch ist es nicht sehr häufig der Fall gewesen, dass die Sachdiskussion mit den Fachkollegen so
produktiv war wie bei der Vorbereitung dieses Gesetzentwurfs.
In diesem Sinne möchte ich denjenigen, die daran
mitgewirkt haben, meinen herzlichen Dank sagen. Das
waren von der CDU/CSU insbesondere Christian
Schmidt und Ronald Pofalla, bei der FDP war es der
Kollege Jörg van Essen, bei unserem Koalitionspartner
waren es Volker Beck und Winfried Nachtwei und in
meiner eigenen Fraktion waren es Erika Simm, Dieter
Wiefelspütz, Rainer Arnold und Hans-Peter Bartels. Ihnen allen möchte ich meinen herzlichen Dank sagen.
({4})
Wir haben uns bei der Vorbereitung dieses Gesetzentwurfes Zeit genommen. Am 17. Juni dieses Jahres haben
wir im Rahmen einer Anhörung auch die Expertise von
außen genutzt und dabei Anregungen bekommen und
Wertungen erfahren.
Ich möchte hier ausdrücklich sagen: Ich habe Respekt
vor dem Gesetzentwurf der Kollegen von der FDP.
Trotzdem ist es nicht zu einem gemeinsamen Gesetzentwurf gekommen. Es gab nämlich einen wichtigen Unterschied: Die Liberalen haben die Einsetzung eines Ausschusses für besondere Auslandseinsätze für richtig
gehalten. Dafür gibt es nachvollziehbare Argumente.
Uns war es aber wichtig, dass jeder einzelne Abgeordnete des Deutschen Bundestages weiterhin eine Verantwortung für Auslandseinsätze hat. Das ist für uns der
Kern des Parlamentsvorbehalts. Deswegen konnten wir
uns nicht verständigen. Wenn man sich die Gesetzentwürfe genauer ansieht, wird man allerdings feststellen,
dass wir uns in der Sache näher sind, als es die Vorlage
konkurrierender Gesetzentwürfe suggeriert.
Dieses Gesetz wurde, nachdem wir den Entwurf vorgelegt hatten, auch in der Öffentlichkeit kritisch betrachtet und begleitet. Das ist zu begrüßen. Es gibt bis heute,
übrigens auch in meiner eigenen Fraktion, Kolleginnen
und Kollegen, bei denen noch Zweifel übrig geblieben
sind. Ich bin der festen Überzeugung, dass es uns in der
Praxis, in der Anwendung dieses Gesetz gelingen wird,
zu zeigen, dass diese Zweifel nicht berechtigt sind. Ich
will hier noch einmal drei Punkte kurz herausgreifen:
Selbstverständlich - das ist der erste Punkt - werden
wir darauf achten, dass bei den humanitären Hilfsdiensten und Hilfsleistungen durch die Bundeswehr im
Ausland, bei denen Waffen lediglich zur Selbstverteidigung mitgeführt werden, kein Übergang in irgendeine
andere Form von Mission, die in die Nähe eines bewaffneten Einsatz es gerät, möglich sein wird. Wir haben damit bei den bisherigen Auslandseinsätzen der Bundeswehr eine Menge Erfahrung gesammelt. Das Parlament
hat jedes Recht, falls eine solche Gefahr sichtbar wird,
das zum Gegenstand der parlamentarischen Beratungen
zu machen.
Der zweite Punkt betrifft Einsätze von geringer Bedeutung, zum Beispiel im Falle der Vorausentsendung
einer Beobachtergruppe oder wenn einzelne Soldaten in
Friedensmissionen der Vereinten Nationen oder anderer
internationaler Organisationen eingesetzt werden sollen
oder ein Austausch vereinbart wird. Auch die Entscheidung über solche Einsätze von geringer Bedeutung
bleibt unter dem Parlamentsvorbehalt. Das vereinfachte
Zustimmungsverfahren ist auch ein Zustimmungsverfahren; das möchte ich ausdrücklich betonen.
({5})
Es soll nur verhindern, dass die Kompliziertheit des umfassenden Verfahrens zu einem Hemmschuh wird, wenn
es bei völlig unstreitigen Missionen darum geht, zwei,
drei uniformierte Kräfte in eine Friedensmission zu schicken, Spezialisten, die dort gebraucht werden; in dem
Fall könnte das gewöhnliche Verfahren hemmend wirken, weil es zu kompliziert ist.
Der dritte Punkt betrifft die Verlängerung von Einsätzen nach dem vereinfachten Zustimmungsverfahren.
Diese wird nur dann überhaupt stattfinden, wenn die
Bundesregierung von einem vollständigen Konsens im
Deutschen Bundestag ausgehen kann und dafür auch
entsprechende Hinweise hat. Auch in dem Fall wird es
dabei bleiben, dass jede Fraktion das Recht hat, doch
eine Behandlung im Plenum des Deutschen Bundestages
zu verlangen, ebenso jede beliebige Gruppe, die mindestens 5 Prozent aller Abgeordneten des Deutschen Bundestages ausmacht. Das heißt, auch bei der Verlängerung
gehen wir überhaupt kein Risiko einer irgendwie gearteten Einschränkung des Parlamentsvorbehalts ein. Das
hatten wir nicht im Sinn. Aber es bedeutet ja nicht unbedingt eine Stärkung des Parlamentsvorbehalts, wenn alle
vorher schon wissen, dass wir völligen Konsens über die
Verlängerung, die Fortführung der Mission bei unverändertem Einsatz haben werden. Dann brauchen wir nicht
das komplette Verfahren. In einem solchen Fall macht es
Sinn, von dem vereinfachten Verfahren Gebrauch zu machen.
Ich komme zum Abschluss: Liebe Kolleginnen und
Kollegen, das Parlamentsbeteiligungsgesetz stärkt die
Rechte des Bundestages.
({6})
Es regelt sie im Detail. Wir folgen damit einer Anregung, die das Bundesverfassungsgericht dem Deutschen
Bundestag schon vor zehn Jahren gegeben hat. Ich bin
froh, dass wir heute hierbei zu einem Abschluss kommen. Wir bleiben bei unserer Grundsatzentscheidung für
ein Parlamentsheer. Wir tun das im Rahmen unserer
Kultur der Zurückhaltung bei internationalen Einsätzen; das möchte ich noch einmal ausdrücklich betonen. Insofern kann ich nur sagen: Dieses Gesetz, das wir
wirklich sehr gründlich vorbereitet haben und bei dem
wir wechselseitig viel voneinander gelernt haben, verdient die breite Zustimmung dieses Hauses.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christian
Schmidt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Wir beraten heute über die verfahrensmäßige und inhaltliche Ausgestaltung eines wichtigen Parlamentsrechts, nämlich des Zustimmungsvorbehalts
des Deutschen Bundestages für Auslandseinsätze der
Bundeswehr.
Das in seinen Grundzügen durch das Bundesverfassungsgericht, wie bereits angesprochen, 1994 bestätigte
Recht gibt dem Hohen Hause eine wichtige Mitverantwortung bei Entscheidungen für die Sicherheit und die
außenpolitische Handlungsfähigkeit unseres Landes.
Deswegen war es gut, dass sich alle Fraktionen in tief
greifenden Erörterungen bemüht haben, ein einvernehmliches Gesetz zustande zu bringen. Für die der Bedeutung der Materie angemessene Beratung danke ich deswegen den beteiligten Kolleginnen und Kollegen aus
allen Fraktionen.
Dass es nicht gelungen ist, zu einem gemeinsamen
Gesetzentwurf zu kommen, zeigt aber auch, dass der
Spannungsbogen zwischen Parlamentsrecht einerseits
und außen- und sicherheitspolitischer Verlässlichkeit andererseits unterschiedlich bewertet wird. Die CDU/
CSU-Fraktion stimmt beiden Gesetzentwürfen nicht zu.
Dies heißt aber nicht, dass wir die gefundenen Regelungen für falsch halten.
({0})
Wir sind jedoch der Ansicht, dass sie nicht ausreichen.
Sie stellen eine Festschreibung der Parlamentspraxis dar,
die wir in den letzten zehn Jahren gefunden haben. Zudem wird in beiden Gesetzentwürfen richtigerweise davon ausgegangen, dass der Deutsche Bundestag ein
Rückholrecht bei bereits begonnenen Einsätzen hat.
Wir wollen aber eine umfassendere Regelung für vorhersehbare Einsatzrisiken und Einsatzszenarien der Zukunft und werden uns deswegen in einiger Zeit wohl
wieder in diesem Kreise treffen, um über die Fortentwicklung dieser Gesetzgebung zu beraten.
Ich hoffe, dass auch im Folgenden Übereinstimmung
besteht: Die Zustimmung des Deutschen Bundestages
entbindet die Bundesregierung nicht von ihrer Pflicht,
das Ob und das Wie des Einsatzes zu verantworten. Der
Deutsche Bundestag eignet sich nicht zum Feldherrn. Er
verleiht den Entscheidungen der Bundesregierung
eine demokratische Legitimation. Allerdings geht
ohne eine Entscheidung des Bundestages nichts. Entscheidungen über Auslandseinsätze der Bundeswehr
werden vom Deutschen Bundestag grundsätzlich durch
vorherige konstitutive, das heißt, verfassungsmäßige Zustimmung getroffen. Damit haben wir mehr Einfluss als
die meisten anderen Parlamente. Dieser Einfluss ist aber
Christian Schmidt ({1})
kein Selbstzweck. Einerseits verschafft er den Einsätzen
der Bundeswehr die genannte starke demokratische Legitimation, andererseits nimmt er uns als Parlament in
die Verantwortung, außenpolitische Verlässlichkeit zu
beachten. Insoweit ähnelt er mehr der Ratifizierung völkerrechtlicher Verträge, bei der die internationalen Bezüge auch immer zu beachten sind.
Darüber hinaus muss der Bundestag aufgrund der Dynamik, die in solchen Einsätzen steckt, das zitierte Rückholrecht haben. Wenn sich in einem Einsatzgebiet die
Lage so verändert, dass eine Fortsetzung nicht mehr in
unserem Interesse oder nicht mehr verantwortbar erscheint, dann muss die Möglichkeit bestehen, dass der
Bundestag handelt. Allerdings liegt die Verantwortung
dafür schon allein aufgrund der umfassenderen Einschätzungsmöglichkeiten der jeweiligen Lage auch hier zuerst
bei der Bundesregierung. Diese Einschätzungs- bzw.
Handlungsmöglichkeit der Bundesregierung korrespondiert mit einem nachhaltigen Informationsanspruch des Parlaments und einer Informationspflicht
der Bundesregierung.
Um bei schutz- und geheimhaltungsbedürftigen Sachverhalten eine Information sicherzustellen, halten wir
den Vorschlag im Grundsatz für richtig, ein entsprechendes Gremium zu schaffen, das Adressat dieser Information im formellen Bereich sein kann. Das Letztentscheidungsrecht muss allerdings beim Plenum verbleiben. Ich
denke, dass das Informationsgremium von großer Bedeutung ist und dass wir den hier gefundenen Ansatzpunkt noch weiterentwickeln müssen.
Einsätze mit erkennbar geringer Bedeutung sollten
die konstitutive Zustimmung des Bundestages in erleichterter Form durch ein Gesetz erhalten. Hierzu sind einige
gute Ansätze zu finden. Wenn ein Einsatz verlängert
wird und das Mandat dabei keine grundlegende Erweiterung erfährt, dann sollte der Bundestag nur dann damit
befasst werden, wenn dies der Wunsch einer Fraktion ist.
Auch insoweit besteht Einvernehmen.
Unterschiedliche Auffassungen bestehen hinsichtlich
des Verfahrens der Parlamentsbeteiligung bei den so genannten integrierten Verbänden.
({2})
Dies ist für uns eine sehr zentrale Frage. In einem Parlamentsbeteiligungsgesetz hätte als wesentlicher Punkt berücksichtigt werden müssen, dass das Parlament gerade
im Bereich der internationalen Verpflichtungen seine
Entscheidung an derart vielen Faktoren orientieren
muss, dass im Sinne - das wiederhole ich - der außenpolitischen Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit unseres
Landes - diesen Terminus hat auch das Bundesverfassungsgericht gebraucht - eine frühzeitige grundsätzliche
Klärung notwendig und angezeigt ist.
Wenn man bereit ist, gemeinsame Verbände aufzustellen, muss man sich schon zu diesem Zeitpunkt
grundsätzlich darüber einigen, für welche Einsätze diese
Einheiten genutzt werden dürfen.
({3})
Schon die geringe Vorwarnzeit von fünf Tagen, etwa bei
der NATO Response Force, erfordert eine vorherige
Festlegung. Mit gutem Grund sind als Reaktion auf die
modernen Bedrohungsszenarien und Risiken im Rahmen
der NATO die Response Force und im Rahmen der EU
die Europäische Eingreiftruppe bzw. jetzt die Battle
Groups mit ihren kurzen Reaktions- und Einsatzbereitschaftszeiten von wenigen Tagen geschaffen worden.
Die parlamentarische Reaktion hierauf ist aber nicht
nur eine Frage des Zeitbudgets. Die politische und militärische Wirksamkeit solcher Kräfte muss vorher klargelegt werden.
({4})
Das Argument, die Mitglieder des Bundestages könnten
innerhalb weniger Tage herbeigerufen werden, um darüber zu entscheiden, geht insofern am Problem vorbei.
Dabei wird außer Acht gelassen, inwieweit wir die Wirkkraft unserer internationalen Einsatzfähigkeit bei diesen Verbänden aufrechterhalten können. Wenn die Motoren zwar anlaufen können, aber der Einsatz einer
internationalen Truppe an deutschen Unwägbarkeiten
der Parlamentsentscheidung scheitert, diese Kräfte auf
der anderen Seite jedoch so eng verflochten sind, dass
man nicht einfach auf den deutschen Anteil verzichten
kann, ohne die Gesamtheit der Kräfte handlungsunfähig
zu machen, wird dies auf lange Sicht die politische Einflussmöglichkeit Deutschlands schmälern.
({5})
Wir haben mit Interesse vernommen, dass dieses Problem auch in den Reihen der Regierung - ich entsinne
mich einiger Äußerungen des Bundesverteidigungsministers - durchaus gesehen wird. Es scheint aber so zu
sein, dass eine Mehrheit in der Koalition nicht bereit
war, dieser Frage näher zu treten. Wir werden uns aus
dem Zwang der Sachlage heraus aber beizeiten wiedertreffen.
Wir hatten deshalb vorgeschlagen - das halten wir für
notwendig -, dass bei Entscheidungen über den Einsatz
solcher Verbände in einem Gesetz der Einsatz auch ohne
vorherige Zustimmung des Bundestages im konkreten
Einzelfall möglich sein sollte. Ich habe das einmal als
„kleine Ratifizierung“ bezeichnet. Dabei wäre vorstellbar, dass die Bundesregierung die Zustimmung des Bundestages zu einem konkreten Einsatz innerhalb von
30 Tagen einholen soll und kann.
Im Übrigen meine ich, dass die Bundesregierung in
dem so gesetzten politischen Rahmen mit der Entsendung von bewaffneten deutschen Streitkräften zurückhaltend umgehen muss. Ein Einsatz soll und muss die
Ausnahme sein und darf nicht die Regel werden. Es gilt
das Ultima-Ratio-Prinzip. Wir sind uns völlig einig,
dass dies trotz der Vielzahl der Entscheidungen - gerade
heute haben wir wieder eine gefällt - nie Routine werden
darf; denn diese außergewöhnlichen Entscheidungen
müssen aus der Verantwortung unseres Parlaments für
unser Land außergewöhnliche Entscheidungen bleiben.
Die Bundesregierung muss sich dabei auch einer gewissen Zurückhaltung befleißigen.
Christian Schmidt ({6})
Ungeklärt bleibt auch die Frage einer Klarstellung in
der Verfassung. Wir haben darüber im Zusammenhang
mit dem Gesetz über den Auslandseinsatz nicht intensiv
diskutiert. Aber auch das kommt auf uns zu. Art. 87 a
des Grundgesetzes schreibt uns vor, dass die Bundeswehr nur zur Verteidigung und in ausdrücklich zugelassenen Fällen einzusetzen ist.
({7})
Es reicht natürlich nicht aus, Herr Wiefelspütz, wenn der
Bundesverteidigungsminister erklärt, dass die Freiheit
auch am Hindukusch verteidigt werden muss, sodass
dies auch ein Verteidigungsfall ist. Vielmehr muss man
sich diesem Problem wirklich widmen.
Ich bin sehr zurückhaltend mit Forderungen nach einer Änderung oder Ergänzung der Verfassung. Aber über
diese Frage müssen wir uns trotzdem intensiv unterhalten.
({8})
- Das ist interessant. Ich entsinne mich aus der Zeit vor
dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem
Jahre 1994 daran, dass damals aus Ihrer Fraktion ganz
andere Töne zu hören waren.
({9})
Wir gehen bei der Beantwortung der Frage, was notwendigerweise zu tun ist, doch sehr nüchtern vom Prinzip
der Zurückhaltung aus.
({10})
Wir werden diesen Gesetzentwürfen aus den genannten Gründen nicht zustimmen können. Sie geben Sicherheit für das Verfahren, lösen aber die Probleme der Zukunft nicht. Wir sind aber nicht am Ende aller Tage, wir
werden uns wiedersehen.
({11})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Volker Beck.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Titel dieses Gesetzes - Parlamentsbeteiligungsgesetz - ist
eigentlich Ausdruck von Tiefstapelei. Er müsste eigentlich „Parlamentsentscheidungsgesetz“ lauten; denn von
einer bloßen Beteiligung des Parlaments an der Entsendung deutscher Soldaten in bewaffnete Auslandseinsätze
kann auf Grundlage dieses Gesetzes wahrlich keine
Rede sein. Es bleibt dabei: Der Deutsche Bundestag ist
die entscheidende Instanz, die jedem dieser Einsätze erst
grünes Licht geben muss. Geschieht dies nicht, gibt es
keinen solchen Auslandseinsatz,
({0})
bei dem deutsche Soldatinnen und Soldaten in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind. Ausnahmen
werden ausdrücklich nicht geduldet. Ich finde, das ist
richtig so.
Die Koalition stärkt mit diesem Gesetz nicht nur die
Rechte des Parlaments. Wir schaffen auch - das ist ganz
entscheidend - die für die Soldatinnen und Soldaten erforderliche Rechtssicherheit und stärken vor allem die
multilaterale Handlungsbereitschaft Deutschlands.
Ich finde, die Soldatinnen und Soldaten haben einen Anspruch darauf, dass nicht nur die Regierung hinter einem
Einsatz steht, sondern dass auch die Mehrheit des Parlaments ihren Einsatz, bei dem sie ihr Leben riskieren, unterstützt, dass sie also einen legitimierten Auftrag haben.
Dabei sollten wir bleiben. Das war eine der Leitideen für
diesen Gesetzentwurf.
({1})
Unser Gesetz stärkt die Bundeswehr als Parlamentsheer. Sie wird nicht zum Ausschussheer, wie dies
beispielsweise die FDP mit ihrem Entsendeausschuss
vorschlägt.
({2})
Das würde partiell zu Einsätzen führen - das wurde gerade angesprochen -, die eben nicht vom Plenum des
Deutschen Bundestages legitimiert sind, sondern von einem kleinen Klub der verschworenen Herren. Womöglich würde sogar - Sie wollen ja auch geheime Einsätze
zulassen - unter Geheimhaltungspflicht hier beschlossen, dass die Soldatinnen und Soldaten in eine bewaffnete Auseinandersetzung geschickt werden. In den USA
gibt es solche geheim geführten Einsätze, sozusagen geheime Kriege, beispielsweise in Südamerika.
({3})
Dort weiß der amerikanische Kongress nicht, was die eigene Armee im Ausland tut.
({4})
Das halten wir nicht für richtig.
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber
1994 nahe gelegt, für bewaffnete Auslandseinsätze der
Bundeswehr konkrete und detaillierte Regelungen zu
treffen. Rot-Grün hat diese Empfehlung aus Karlsruhe
aufgegriffen
({5})
und umgesetzt. Aber nicht nur das: Wir gestalten den
Entscheidungsbereich des Karlsruher Urteils und schöpfen diesen umfassend parlamentsfreundlich aus.
Volker Beck ({6})
Die zweitgrößte Fraktion hier im Hause, die CDU/
CSU, hat sich anders als die FDP, die sich mit einem eigenen Gesetzentwurf an der Debatte beteiligt hat,
({7})
nicht die Mühe gemacht, ihre Überlegungen zu konsolidieren. Sie stellen keine Änderungsanträge. Ich kenne
von Ihnen eigentlich nur den Vorentwurf zu einem Eckpunktepapier. Weiter sind Ihre Überlegungen nicht gediehen, weil es zu diesem schwierigen Thema auch bei
Ihnen interne Auseinandersetzungen gegeben hat.
({8})
Das soll man hier nicht verschweigen. Ich bin mir nicht
sicher, ob alle Mitglieder Ihrer Fraktion Ihre entschiedene Kritik an bestimmten Punkten teilen, Herr Schmidt.
({9})
Bei aller Konstruktivität, Herr Pofalla und Herr
Schmidt, im Ausschuss sollten wir die Differenzen, die
wir hatten und die dazu geführt haben, dass wir keinen
gemeinsamen Gesetzentwurf eingebracht haben, nicht
verdecken; denn die Öffentlichkeit hat einen Anspruch
darauf, zu verstehen, was uns in dieser Debatte bewegt
hat.
Ich verstehe nicht ganz, dass hier einerseits weitgehende Vorschläge gemacht, diese andererseits aber nicht
in Anträge umgesetzt werden. Herr Schmidt, Sie schlagen in Ihrem Entwurf eines Eckpunktepapiers vor, dass
wir bei bewaffneten Einsätzen der Bundeswehr im Rahmen der NATO und der Europäischen Union die Zustimmungspflicht des Bundestages vollständig aufheben. Das heißt, mit der Ratifizierung dieser Verträge
sollen wir quasi einen Persilschein für internationale
Einsätze ausstellen. Ich finde, unsere Soldatinnen und
Soldaten haben bei solchen Einsätzen und bei Einsätzen
in integrierten Verbänden mehr Rückhalt im Deutschen
Bundestag verdient. Deshalb lehne ich diesen Vorschlag
ganz eindeutig ab.
({10})
Sie schütteln hier mit dem Kopf, meine Kolleginnen
und Kollegen von der Opposition. Deshalb will ich Ihnen mit Erlaubnis der Präsidentin aus der „Süddeutschen
Zeitung“ einige Zeilen vorlesen, die Ihre Position sehr
prägnant zusammenfassen:
Die Union will hier die Entscheidung über den
Truppeneinsatz dem NATO-Rat überlassen. Dafür
besteht kein Anlass. Deutschland bleibt verlässlicher Partner, auch wenn sich der Bundestag das
Recht vorbehält, über jeden Einsatz zu befinden.
Die Erfahrung zeigt, dass Militärmissionen nicht
über Nacht beschlossen werden. Es bleibt genug
Zeit, den Bundestag zu befassen. Entscheidungen
womöglich über Leben und Tod bedürfen der öffentlichen Debatte und sollten nicht in einer Ministerrunde fallen.
({11})
Ich finde, die „Süddeutsche Zeitung“ hat Recht. Das untermauert unsere Argumentation.
({12})
Über bewaffnete Einsätze, über die Beteiligung
Deutschlands an einem Kriegseinsatz entscheidet in
Deutschland das gewählte Parlament und Blankoschecks
in Form von Ratifizierungsurkunden wird es mit dieser
Koalition nicht geben.
({13})
Die FDP hat einen eigenen Vorschlag gemacht. Ich
stelle fest: In Bezug auf viele Elemente weisen unser Gesetzentwurf und Ihr Gesetzentwurf Schnittmengen auf.
Aber eine entscheidende Differenz muss man doch herausarbeiten: Sie wollen ein Sondergremium für geheime Kriegseinsätze schaffen. Damit würde ein Tor
für etwas geöffnet, was wir doch gerade nicht wollen
und was sich mit einem umfassenden Parlamentsvorbehalt nicht verträgt. Geheime Kriegseinsätze, die nur
einem ausgewählten Kreis bekannt sind, darf es nicht geben. Unser Gesetzentwurf bietet dagegen ein flexibles
Instrumentarium, das der gesamten Bandbreite von
denkbaren bewaffneten Einsätzen und vor allem auch
dem Parlamentsvorbehalt gerecht wird.
Wir stärken das Parlament über den Status quo hinaus. In der verfassungsrechtlichen Literatur gibt es einen Streit darüber, ob der Bundestag zum Beispiel ein
Rückholrecht hat. Wir klären das jetzt gesetzlich ganz
klar. Wenn sich der Charakter eines Einsatzes verändert,
wenn das Parlament zu einer neuen Auffassung gelangt,
dann kann das Parlament sagen: Wir beenden diesen
Einsatz. Dieser entscheidende Punkt weist, wie ich
finde, nach vorn.
Sie, Herr Schmidt, haben in Bezug auf die integrierten Verbände angemerkt, dass man innerhalb von zwei
Tagen einen Einsatz herbeiführen müsste. Ich kann mir
diese Konstellation nur bei Fällen vorstellen, bei denen
es sich um Gefahr im Verzug handelt, wo es ganz konkret darum geht, Menschenleben zu retten. Für diese Situation haben wir eine Möglichkeit geschaffen. Es wäre
ja auch verrückt, wenn wir zusehen müssten und das
Notwendige nicht getan werden könnte. Hier vertrauen
wir der Bundesregierung. Die Bundesregierung wird
hinterher das Parlament informieren und wir werden das
im Nachgang legitimieren. Die Bundesregierung ist also
handlungsfähig.
Hinsichtlich der Fälle, bei denen es sich nicht um Gefahr in Verzug handelt, bei denen es vielmehr um eine
richtige militärische Operation geht, kann ich mir gar
nicht vorstellen - das höre ich auch von unseren Verteidigungspolitikern und den Militärs -, dass das ohne Vorbereitung in den internationalen Gremien oder ohne militärische Vorbereitung der Bundeswehr überhaupt
gemacht werden kann. Eine Konstellation, dass der Bundestag nicht rechtzeitig einbezogen werden könnte, dass
Volker Beck ({14})
wir in einem solchen Fall nicht zusammentreten und
über einen Einsatz beschließen könnten, kann ich mir
nicht vorstellen. Ich halte dieses Fallbeispiel für künstlich und konstruiert.
Wir sorgen dafür, dass die Bundesregierung in Zukunft öfters die Bereitschaft Deutschlands anbieten
kann, bei Kleinsteinsätzen mitzuwirken, weil wir aufgrund des vereinfachten Verfahrens flexibler geworden
sind. Aber bei gefährlichen und politisch womöglich
streitigen Einsätzen müssen wir uns weiterhin im Plenum treffen und uns als Abgeordnete zu unserer Verantwortung für das, was die Bundeswehr im Ausland leisten
soll, bekennen. Ich finde, das ist die richtige Entscheidung. Dabei wird es in der Zukunft auch sicherlich bleiben, Herr Schmidt.
({15})
Das Wort hat jetzt der Kollege van Essen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die heutige Debatte ist ein Beispiel dafür, dass auch aus
der Opposition heraus Dinge angestoßen und gestaltet
werden können.
({0})
Bereits in der letzten Legislaturperiode hatte die FDP
den Anstoß gegeben, über dieses Thema im Deutschen
Bundestag zu debattieren und zu einer Lösung zu kommen. Ich bin sehr froh, dass wir als kleinste Fraktion als
Erste einen vollständigen Gesetzentwurf dazu haben
vorlegen können.
({1})
Uns ist das Thema deshalb wichtig, weil sich die FDP immer besonders intensiv mit der Frage Recht und Einsatz
von Militär und Parlament und Einsatz von Militär auseinander gesetzt hat. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1994, auf der alles, über das wir
hier debattieren, fußt, ist damals ebenfalls von der FDP
angestoßen worden. Ich erinnere daran, dass die Entscheidung über den AWACS-Einsatz über der Türkei, für
den wir die Zustimmung des Bundestags für erforderlich
gehalten haben, von uns an das Bundesverfassungsgericht herangetragen worden ist, weil es für uns eine klare
Maxime gibt: Der Bundestag muss, wann immer es möglich ist, die Zustimmung zu Auslandseinsätzen geben.
({2})
Ich denke, dass die bisherige Debatte gezeigt hat, dass
es für die Beteiligung des Deutschen Bundestages an den
Auslandseinsätzen gute und wichtige Gründe gibt. Wer
sich die Praxis anschaut, stellt fest, dass nahezu immer
die Befassung des Deutschen Bundestages dazu geführt
hat, dass die Bundesregierung Klarstellungen vornehmen musste, egal wer die Bundesregierung gestellt hat.
Das war zu den Zeiten der Fall, als wir sie gestellt haben,
genauso wie jetzt. Es hat Präzisierungen zugunsten der
Soldaten gegeben. Die Befassung des Deutschen Bundestages hat auch dazu geführt, dass in Deutschland viel
intensiver als in vielen Nachbarländern über die Militäreinsätze diskutiert worden ist. Von Kollegen aus anderen
Parlamenten, die uns besuchten, erfuhren wir, dass diese
überrascht waren, wie intensiv wir uns mit diesen Auslandseinsätzen befassen. Ich finde, das ist eine positive
Tradition in unserem Lande, die wir fortsetzen wollen.
({3})
Deshalb, Herr Erler, bin ich Ihnen ganz außerordentlich dankbar, dass Sie deutlich gemacht haben, dass alle,
die sich an der Diskussion beteiligt haben, von einem
Gedanken geprägt waren: die Parlamentsbeteiligung
auszubauen und zu stärken.
({4})
- Bei denen, die sich an der Diskussion beteiligt hatten,
war es so. Sie haben nicht umsonst den Kollegen gedankt und sie namentlich aufgeführt. Ich war froh darüber, dass es so war.
Trotzdem gibt es Unterschiede zwischen dem Entwurf der Koalition und dem Entwurf der FDP. Ein wesentlicher Unterschied ist schon angesprochen worden.
Auf den würde ich gerne eingehen: Es handelt sich um
unseren Vorschlag zur Einrichtung eines besonderen
Ausschusses Herr Beck, es ist ein völlig absurder Vorwurf, dass damit die Beteiligung des Deutschen Bundestages ausgehebelt werden soll.
({5})
Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Diejenigen, die etwas länger im Deutschen Bundestag sind, erinnern sich daran, dass die Bundesregierung sehr schnell
über die Befreiung von Geiseln in Tirana in Albanien
entscheiden musste.
({6})
Sie hat damals ohne Zustimmung des Bundestages gehandelt, aber die Obleute unterrichtet. Was hätte eigentlich dagegen gesprochen, dass wir einen formalisierten
Ausschuss dazu gebracht hätten, sich mit dieser Frage zu
befassen und damit auch die parlamentarische Beteiligung sicherzustellen? Von daher ist dieser Ausschuss für
uns ein Mittel, in den Fällen, in denen besonders
schnelle Entscheidungen notwendig sind und in denen
sich die Bundesregierung auf das Bundesverfassungsgericht stützen könnte, die formalisierte Beteiligung des
Parlaments sicherzustellen. Das wäre also eine Ausweitung gegenüber dem jetzigen Zustand.
({7})
Ich denke, dass auch bei einem zweiten Punkt die
Überlegungen richtig sind. Mich hat nicht gewundert,
dass der stellvertretende Generalinspekteur in der Anhörung sehr viel Sympathie für unsere Überlegungen geäußert hat.
({8})
- Der Minister auch; im Übrigen auch der Bundesaußenminister.
Denn es wird auch in Zukunft geheime Einsätze geben, Herr Beck, auch wenn Sie das verneinen.
({9})
Es wird solche Einsätze geben und es wird sie geben
müssen. Wenn wir uns als Bundestag an den Einsatzentscheidungen beteiligen, dann müssen wir auch zur
Kenntnis nehmen, dass der Schutz des Lebens der Soldaten bei besonders riskanten Einsätzen manchmal die Geheimhaltung einer Operation notwendig macht. Dass es
sehr schnell zu einer solchen Situation kommen kann,
haben wir erlebt, als die Geiseln in der Sahara entführt
wurden.
({10})
Seinerzeit hätten wir nicht vorher im Deutschen Bundestag eine Diskussion darüber führen können, wer wie und
unter welchen Kautelen die Befreiung der Geiseln vornehmen würde, wenn die algerische Regierung ihre Zustimmung gegeben hätte. Die Bundesregierung hatte
sich schon darum bemüht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Ströbele?
Ja, gerne.
Herr Kollege van Essen, Ihr Vorschlag, einen Ausschuss für besondere Einsätze zu bilden, hat den Mangel, dass sich das Plenum des Bundestages dann grundsätzlich nicht mehr mit diesen Einsätzen befassen muss.
({0})
Meinen Sie nicht, dass damit die Entscheidung durch das
Plenum umgangen würde? Darin besteht der Unterschied zwischen diesem Fall und dem Einsatz in Tirana
oder anderen Einsätzen, bei denen zwar zunächst eine
eilbedürftige Entscheidung erforderlich sein mag, sich
aber nach unserem Gesetzentwurf der Bundestag in jedem Fall damit befassen und im Plenum darüber entscheiden muss.
Herr Kollege Ströbele, Sie haben offensichtlich unseren Gesetzentwurf nicht gelesen. Denn daraus geht hervor, dass der Vorgang in die Zuständigkeit des gesamten
Bundestages fällt, sobald die Geheimhaltungsbedürftigkeit nicht mehr besteht. Insofern wird das Plenum nicht
ausgeschlossen.
Im Übrigen kann der Deutsche Bundestag die Sache
jederzeit an sich ziehen, wenn er dies für richtig hält.
Von daher werden die verfassungsrechtlichen Vorgaben eingehalten. Das hat auch die Anhörung gezeigt.
Alle Verfassungsrechtsexperten haben uns in der Anhörung ausdrücklich bestätigt - darauf wollte ich auch Sie
hinweisen, Herr Kollege Schmidt -, dass sowohl der Gesetzentwurf der Koalition als auch jener der FDP-Bundestagsfraktion in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht
zu beanstanden sind.
Aber da Sie schon eine Zwischenfrage gestellt haben,
will ich noch einen zusätzlichen Punkt ansprechen, Herr
Kollege Ströbele. Es hat mich regelrecht geschockt, dass
Sie, als ich mit Ihnen über die Frage gesprochen habe,
ob wir bei geheimen Einsätzen - beispielsweise des
Kommandos Spezialkräfte - nicht auch eine Verantwortung für das Leben der Soldaten haben, gesagt haben:
Das sind Soldaten; die kümmern mich nicht.
({0})
Solche Äußerungen finde ich empörend und sie werden
der Verantwortung, die wir als Abgeordnete gegenüber
den Soldaten haben, in keiner Weise gerecht.
({1})
Unsere Vorschläge werden gerade auch von militärischer Seite unterstützt. Deshalb bin ich der Auffassung,
dass wir mit unserem Gesetzentwurf auf dem richtigen
Weg sind.
Frau Präsidentin, ich komme damit zum Schluss. Es
besteht in vielen Punkten Übereinstimmung zwischen
uns und der Koalition. In einem Punkt gibt es zwar einen
wesentlichen Unterschied, aber ich denke, dass wir einen
Gesetzentwurf verabschieden werden, der die Rechte
und die Verantwortung des Bundestages stärkt. Deshalb
halte ich das für einen guten Tag für das Parlament, zumal wir das Ganze selbst erarbeitet haben.
({2})
Der Abgeordnete Ströbele hat das Wort zu einer
Kurzintervention.
Herr Kollege van Essen, ich stelle klar: Den Satz, den
Sie mir in den Mund gelegt haben, habe ich nie gesagt.
Das war auch nicht meine Meinung. Als Kanonier der
Reserve kümmere ich mich selbstverständlich um die
Soldaten und um ihr Schicksal.
({0})
Herr Kollege Ströbele, ich stelle fest, dass wir beide
Artilleristen sind.
({0})
Aber damit endet die Gemeinsamkeit auch schon.
Ich bleibe bei meiner vorhin geäußerten Behauptung;
denn Ihre Bemerkung hat mich damals sehr berührt. Ich
finde nämlich, dass wir als Abgeordnete des Deutschen
Bundestages insbesondere gegenüber den Soldaten, die
sehr schwierige Missionen auszuführen haben - das sind
beispielsweise die Soldaten des Kommandos Spezialkräfte -, Verantwortung haben. Ich bin aber dankbar,
dass Sie heute jedenfalls klar machen, dass Sie die Position, die Sie damals mir gegenüber vertreten haben, nicht
aufrechterhalten. Insofern war Ihre Intervention sicherlich hilfreich.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Dieter
Wiefelspütz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Deutsche Bundestag hat heute Vormittag zum
43. Mal seine Zustimmung zu einem Auslandseinsatz
deutscher Streitkräfte erklärt. Wir blicken inzwischen
auf eine gut zehnjährige Staatspraxis bei den Auslandseinsätzen bewaffneter deutscher Streitkräfte zurück. Es
ist angesichts dessen an der Zeit, der Empfehlung des
Bundesverfassungsgerichtes Folge zu leisten und ein
Verfahrensgesetz zur Formalisierung der Entscheidungsprozesse, die die Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages betreffen, zu verabschieden.
Es ist der Bundesrepublik Deutschland gut bekommen, dass die äußerst schwer wiegende Entscheidung,
ob bewaffnete deutsche Streitkräfte im Ausland eingesetzt werden, von der Bundesregierung und vom Parlament verantwortet werden muss. Das ist in anderen Ländern anders. In Deutschland gibt es aber seit der
Streitkräfteentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 12. Juli 1994 die allseits respektierte Lage, dass
der Deutsche Bundestag einem Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte konstitutiv zustimmen muss.
Das Parlamentsbeteiligungsgesetz, das wir heute verabschieden, ist ein Verfahrensgesetz. Das sollte immer
bedacht werden. Man kann von diesem Gesetz nichts
verlangen, was es nicht zu leisten imstande ist. Die entscheidende Frage, ob Bundesregierung und Parlament es
für richtig halten, Soldaten im Ausland einzusetzen, beantwortet dieses Gesetz nicht. Diese Entscheidung müssen wir selber, und zwar jeder für sich, treffen. Das ist
eine ethische und außenpolitische Entscheidung, die mit
dem Parlamentsbeteiligungsgesetz überhaupt nichts zu
tun hat. Dieses Gesetz regelt das Verfahren. Das ist
wichtig genug. Deswegen macht es Sinn, auch über Einzelheiten zu reden. Ich finde, die Hauptbotschaft muss
sein: Mit dem Parlamentsbeteiligungsgesetz sorgen wir
für Rechtssicherheit und Rechtsklarheit - das ist kein
geringer Wert -,
({0})
und zwar für alle Beteiligten, für die Verfassungsorgane,
nicht zuletzt auch für die Soldatinnen und Soldaten sowie für die Öffentlichkeit.
Die Verantwortung für die Entsendung von Soldaten
ins Ausland gemeinsam zu schultern ist eigentlich eine
Errungenschaft unserer politischen Kultur in Deutschland von hohem Wert. Dies sollten wir nicht infrage stellen. Bei manchen Ansätzen, die in den Debatten skizziert
werden, habe ich den Eindruck, dass eine militärfachliche Rationalität absolut gesetzt wird. Ich persönlich sage
Ihnen sehr deutlich: Ich wünsche mir, dass sich der Bundestag trotz aller Überredungskünste niemals einer vermeintlichen militärischen Funktionalität und Rationalität
unterordnet.
({1})
Ich bin der Auffassung, dass es uns allen gut ansteht,
dass der Deutsche Bundestag seine Meinung zu militärischen Einsätzen äußert und letztlich konstitutiv mitverantwortet, ob Auslandseinsätze stattfinden oder nicht.
Deswegen rate ich zu großer Vorsicht, wenn es um Integrationsprozesse in der NATO oder in anderen Institutionen geht. Die wichtige Errungenschaft des Parlamentsvorbehalts darf nicht ohne weiteres infrage gestellt oder
gemindert werden. Ich rate uns dazu, die Erfahrungen,
die wir in den vergangenen zehn Jahren gesammelt haben, auszuwerten. Das Gesetz, das wir Ihnen heute vorstellen, ist die Summe dieser Erfahrungen.
Wir kommen zu dem Schluss: Das Ganze hat sich bewährt. Das schreiben wir jetzt fest, wenn auch nicht für
die Ewigkeit. Natürlich wird dieses Gesetz eines Tages
novelliert werden. Aber mit Blick auf die Gegenwart
sage ich vor dem Hintergrund unseres Erfahrungshorizonts: Wir haben eine gute Lösung gefunden. Auf Einzelheiten werde ich noch eingehen.
({2})
An die Adresse der Union gerichtet, sage ich - das
will ich Ihnen nicht ersparen -: Ich empfinde es als einen
peinlich-blamablen Vorgang, dass Sie nicht die Kraft haben, einen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen.
({3})
Die FDP hat sich mit einem respektablen Gesetzentwurf
beteiligt. Wir werden diesem Gesetzentwurf zwar nicht
zustimmen; aber wir bezeugen ihm unseren Respekt. Sie
schauen zu und haben zu der ganzen Veranstaltung keine
Meinung. Das will ich Ihnen einmal gesagt haben.
({4})
Ich finde es eigentlich peinlich, dass Sie im zentralen
Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik nicht handlungs- und gestaltungsfähig sind.
({5})
- Herr Pofalla, Sie wissen doch, dass das blamabel ist.
Reden Sie sich doch da nicht heraus! Ich werde sonst
immer leidenschaftlicher.
Es ist peinlich, dass Ihnen so etwas passiert. Das ist
eine blamable Veranstaltung. Sie werden Ihrem Auftrag,
in dem wichtigen Bereich der Außenpolitik eigene Vorschläge und ein eigenes Profil zu entwickeln, nicht gerecht. Sie haben diffuse, sehr unklare Meinungen.
Auf jeden Fall sind Sie nicht handlungsfähig. Es kommt
letztlich nicht auf Sie an - da haben Sie natürlich
Recht -; denn die Koalition ist auch auf diesem Feld
selbstverständlich sehr wohl handlungsfähig.
({6})
Vor dem Hintergrund einiger Bedenken, die es auch
in den eigenen Reihen gibt, will ich noch einmal darauf
hinweisen, dass das Parlamentsbeteiligungsgesetz nach
meiner festen Überzeugung die Parlamentsrechte nachhaltig stärkt.
({7})
Die Definitionsmacht in Bezug auf alle wichtigen
Fragen liegt bei uns, beim Parlament, und nicht bei jemandem anders. Jeder - ich betone: jeder - militärische
Einsatz im Ausland bedarf der Zustimmung des Deutschen Bundestages. Das hätte man unter Umständen
auch anders regeln können. Wir haben uns für die parlamentsfreundliche Variante entschieden.
Die Informationsrechte des Parlamentes, die Informationsrechte eines jeden einzelnen Parlamentariers sind
gestärkt worden. Das war in der Vergangenheit - auch
unter sozialdemokratischen Verteidigungsministern nicht immer so ganz unproblematisch. Wir haben die
Rechte des Parlaments auf diesem Sektor gestärkt.
({8})
Ihre und unser aller Entscheidung hängt nämlich in der
Tat davon ab, dass wir vom Anfang bis zum Ende eines
militärischen Einsatzes gut, intensiv und umfassend informiert sind. Das ist in unserem Gesetzentwurf festgeschrieben.
Wir haben das umstrittene Rückholrecht in das
Gesetz aufgenommen. Ich freue mich darüber, dass in
dieser Frage inzwischen eine breite Mehrheit - sie ist
fraktionsübergreifend, sie reicht also bis in die Union hinein - im Deutschen Bundestag besteht.
({9})
- Wie Sie wissen, war das nicht immer so. Ich erinnere
Sie an Ihren Kollegen Scholz, an Herrn Schäuble und an
andere, die das anders sehen. Mehrheitlich mag das so
sein, Herr Pofalla.
({10})
Aber es gibt hier in der Tat eine erfreuliche Mehrheitsauffassung.
Ich will hervorheben, dass das Plenum Herr des Verfahrens bleibt, auch bei einem vereinfachten Zustimmungsverfahren. Bereits 5 vom Hundert der Mitglieder
des Deutschen Bundestages können - auch im vereinfachten Zustimmungsverfahren - eine erneute Beschlussfassung des Parlaments herbeiführen. Das heißt,
wir haben großen Wert darauf gelegt, dass das Parlament
die letzte Entscheidungsgewalt hat und dass dabei kein
einzelner Parlamentarier übersehen wird.
Ich möchte zum Schluss kommen. Ich möchte hervorheben, dass das Parlamentsbeteiligungsgesetz vom Primat der Politik geprägt ist. Der Deutsche Bundestag
entscheidet darüber, ob ein Auslandseinsatz rechtmäßig
ist oder nicht. Daran wollen wir nicht rütteln. Wir schreiben eine bewährte Praxis fest. Der konstitutive Parlamentsvorbehalt ist ein wichtiger Bestandteil der politischen Kultur in Deutschland. Mit diesem Gesetz festigen
wir ihn weiter.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
({11})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Eckart von
Klaeden.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Herr Wiefelspütz, in Ihrem Beitrag war meines Erachtens entschieden zu viel Eigenlob.
({0})
Was der Volksmund über Eigenlob sagt, dürfte auch Ihnen bekannt sein. Es ist eine ganze Menge an Weihrauch
verströmt worden.
Wenn Sie fragen, warum wir keinen Gesetzentwurf
vorlegen, antworte ich: Auf Blumen, wie Sie sie am
Grab des Entwurfs der FDP abgelegt haben, können wir
wirklich herzlich gern verzichten.
({1})
Meine Damen und Herren, Sie sprechen davon, Sie
hätten die Parlamentsrechte gestärkt und ausgeweitet.
Ich will jetzt gar nicht bewerten, ob eine solche Ausweitung oder - vermeintliche - Stärkung der Parlamentsrechte im Sinne einer stärkeren Einbindung des Bundestages vor einer Entscheidung über einen Einsatz
tatsächlich auf eine Stärkung hinausliefe, aber Tatsache
ist: Der Entwurf, der heute angenommen werden soll,
stellt eine solche Stärkung nicht dar. Sie versuchen
lediglich, wie ich finde, mehr schlecht als recht, die bisherige Praxis in ein Gesetz zu gießen, das dem derzeitigen Zustand entspricht, aber nicht auf die Zukunft und
auf das ausgerichtet ist, was an möglichen und notwendigen Entscheidungen auf uns zukommen wird. Ich
werde dazu gleich noch etwas sagen, wenn es um die
Frage der integrierten Verbände, aber insbesondere auch
um die Frage der anderen Kombattanten geht.
Lassen Sie mich zunächst einmal sagen, dass ich mit
dem, was wir bisher an parlamentarischer Praxis, an
Kontrolle der Einsätze der Bundeswehr im Parlament
geübt haben, nicht in jedem Fall einverstanden bin. Ich
will an die erste Abstimmung zu Enduring Freedom
erinnern, die mit einer Vertrauensfrage des Bundeskanzlers verbunden war. Einige in der Fraktion der Grünen
sind der Auffassung gewesen - der Kollege Ströbele war
einer von denen -, dass dieser Einsatz falsch ist. Man ist
aber zu der Ansicht gekommen, dass man dem Einsatz
trotzdem zustimmen muss, weil die Vertrauensfrage gestellt worden ist. Das hat dazu geführt, dass innerhalb
der Fraktion der Grünen zur Frage des Bundeswehreinsatzes, zur Frage der Gefährdung des Lebens unserer
Soldaten gelost worden ist. Es ist gelost worden, wer dafür stimmt und wer dagegen stimmen darf.
({2})
- Doch! Die Kollegin Steffi Lemke hat hier damals ausgeführt,
({3})
man habe sich nicht einigen können,
({4})
man habe eine Mehrheit zustande bekommen wollen und
dann sei gelost worden;
({5})
einige hätten danach dagegen stimmen dürfen und andere hätten dafür gestimmt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Ströbele?
Gern. Bitte.
Bitte.
({0})
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie soeben die Unwahrheit gesagt haben? Weder hat die Kollegin Lemke so etwas irgendwann irgendwo gesagt, schon gar nicht hier im Hause,
({0})
noch entspricht das den Tatsachen. - Im Gegensatz zu
Ihnen war ich dabei.
({1})
Es ist nicht gelost worden, zu keinem Zeitpunkt. Es ist
nicht einmal ernsthaft überlegt worden, ob gelost werden
kann. Das ist eine bösartige Unterstellung, die nicht dadurch richtiger wird, dass das in der Presse gestanden
hat, offenbar in der Ihnen nahe stehenden, die Sie in
diese Richtung falsch informiert hat.
Herr Kollege Ströbele, ich bleibe bei dem, was ich gesagt habe. Das ist hier im Hause festgestellt worden. Die
Kollegin Lemke hat für das Verfahren, das Sie gewählt
haben, auch noch einen besonders hohen Anspruch für
sich reklamiert
({0})
und hat sich gegen die entsprechende Kritik aus unseren
Reihen gewehrt.
Ich bleibe dabei: Wenn man der Ansicht ist, dass ein
Bundeswehreinsatz falsch ist, und wenn man der Ansicht ist, dass er das Leben unserer Soldaten gefährdet,
darf man auch dann, wenn die Vertrauensfrage gestellt
ist, nicht dafür stimmen und über welches Verfahren
auch immer eine Mehrheit herstellen, Herr Kollege
Ströbele. Das ist jedenfalls nicht vereinbar mit dem
Weihrauch und dem Eigenlob in Bezug auf Ihren Gesetzentwurf.
({1})
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Ich finde,
dass wir eine ganze Menge zu lernen haben, was die
parlamentarische Kontrolle der Bundeswehreinsätze
angeht. Damit wende ich mich insbesondere an die SPDFraktion; ich will den Kollegen Nachtwei von den Grünen dabei ausdrücklich ausnehmen.
Es ist ein Trauerspiel gewesen, was im Zusammenhang mit den März-Unruhen im Kosovo abgelaufen ist.
Da ist uns vom Verteidigungsministerium über Monate
mitgeteilt worden, dass dieser Einsatz erfolgreich gewesen ist. Dann hat es Presseberichterstattung gegeben, die
auf das genaue Gegenteil hingewiesen hat. Daraufhin hat
es aus der SPD zunächst einmal die Feststellung gegeben, die Presseberichterstattung habe nicht zur Notwendigkeit der Auseinandersetzung darüber im Ausschuss
geführt. Nachtigall, ich hör’ dir trappsen! Bevor überhaupt der Minister den Bericht abgegeben hat, hat man
für die umfangreiche Information gedankt. Man hat
gesagt, es sei alles aufgeklärt, bevor man überhaupt über
die Angelegenheit gesprochen hatte.
Ich habe im Verteidigungsausschuss zum Beispiel darum gebeten, dass zur Frage der Zuständigkeit der deutschen Soldaten endlich einmal eine schriftliche Stellungnahme abgegeben wird. Sie liegt bis heute nicht vor. Ich
habe darum gebeten, dass der NATO-Bericht, in dem die
Ergebnisse der Untersuchung über die Vorfälle im
Kosovo im März festgehalten sind, den Abgeordneten
zur Verfügung gestellt wird. Er ist nach Auskunft von
General Kujat nicht klassifiziert. Dieser Bericht ist uns
bis heute nicht vorgelegt worden. Das hat doch mit einer
vernünftigen Kontrolle durch das Parlament und einer
seriösen Information des Parlaments über Einsätze
nichts zu tun.
({2})
Erst langatmig über Anträge zu beraten, sich aber, nachdem sie beschlossen wurden, den Schneid bei der parlamentarischen Kontrolle abkaufen zu lassen, ist doch
wirklich nicht vernünftig.
Auf die Frage der integrierten Verbände wird Kollege Polenz in seinem Beitrag noch eingehen. Das
Hauptproblem liegt meiner Meinung nach darin, dass
eine konstitutive Zustimmung im Rahmen Ihres Gesetzes nicht im Nachhinein erfolgen kann. Dadurch unterliegt der Einsatz dieser Verbände immer der Gefahr des
Opt-out Deutschlands. Das wird gerade diejenigen, denen Sie immer wieder vorwerfen, dass sie zu unilateralem Handeln neigen, umso stärker motivieren, unilateral
vorzugehen. Wer möchte, dass die internationalen Organisationen wie EU und NATO gestärkt werden und eine
Konsultation unter Bündnispartnern stattfindet, der darf
nicht durch ein kompliziertes und nicht kompatibles Entscheidungsverfahren, das vor jedem Einsatz eine Parlamentsbeteiligung verlangt, die Entscheidungsfindung in
diesen Gremien erschweren. Das Problem Ihres Antrags
liegt eben gerade darin, dass auf diesen Punkt nicht eingegangen wird. Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist, dass Sie zum Einsatz anderer
Kombattanten kein Wort verlieren. Der Innenminister
hat jetzt vorgeschlagen, den BGS im Ausland einzusetzen. Sie, Herr Kollege Wiefelspütz, haben das für eine
besonders originelle und kluge Idee gehalten. Wenn
BGS-Beamte im Ausland eingesetzt werden und Uniform tragen, dann muss auch eine Parlamentsbeteiligung
stattfinden. Hier darf kein Umgehungstatbestand geschaffen werden.
({3})
Sie hätten also in einem Parlamentsbeteiligungsgesetz,
wenn Sie schon über diese Frage nachdenken, auch die
Möglichkeit schaffen müssen, dass der Bundestag zu
solchen Einsätzen Stellung nimmt bzw. ihnen zustimmt.
({4})
Herr Wiefelspütz erhält das Wort zu einer Zwischenfrage.
Herr von Klaeden, ich möchte Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, dass heute schon BGS-Einsätze im Ausland stattfinden.
({0})
Richtig ist auch, dass der BGS nicht militärisch eingesetzt werden darf und niemand darüber nachdenkt - ich
schon gar nicht -, das in Zukunft zu ändern. Polizei ist
Polizei und bleibt Polizei.
Ich bitte Sie auch, zur Kenntnis zu nehmen, dass es
für Polizeieinsätze keinen konstitutiven Parlamentsvorbehalt gibt. Vielleicht könnten Sie dazu ja noch einmal
Stellung nehmen. Ich sehe da keinen Dissens zwischen
uns. Ich weiß nur, dass für Bundeswehreinsätze im Ausland der Zustimmungsvorbehalt des Parlaments gilt,
während für BGS-Einsätze im Ausland kein Zustimmungsvorbehalt des Parlaments existiert, und dass heute
schon sowohl Bundeswehr als auch BGS im Ausland
eingesetzt werden. Sie haben völlig Recht, dass vor diesem Hintergrund keine Umgehungstatbestände geschaffen werden dürfen; dabei würde es sich um einen Missbrauch handeln. Es wird aber niemals dazu kommen,
dass für Polizeieinsätze im Ausland ein konstitutiver
Parlamentsvorbehalt eingeführt wird. Diesen gibt es
heute nicht und diesen wird es auch in Zukunft nicht geben.
Herr Kollege Wiefelspütz, beschäftigen Sie sich einmal mit den Aufgaben, die nach den Verteidigungspolitischen Richtlinien des Bundesverteidigungsministers
die Stabilisierungskräfte der Bundeswehr im Auslandseinsatz wahrnehmen sollen. Sie werden dann feststellen, dass dazu nicht nur militärische Einsätze gehören,
sondern auch die Wahrnehmung von Polizeiaufgaben. In
der sich daran anschließenden Diskussion zwischen dem
Innenminister und möglicherweise auch dem Verteidigungsminister und Ihnen ging es, wenn ich es richtig
verstanden habe, darum, dass Aufgaben, die sonst von
Stabilisierungskräften wahrgenommen würden, in Zukunft möglicherweise von BGS-Einheiten wahrgenommen werden sollen,
({0})
weil diese von ihrer Ausbildung her dafür geeigneter
sind.
Ich bin nicht dagegen, dass man darüber nachdenkt.
Wenn aber die Beamten aus BGS-Einheiten, die anstelle
von Bundeswehreinheiten eingesetzt werden, im Ausland Uniform tragen, dann sind sie völkerrechtlich gesehen Kombattanten und damit auch Soldaten. Ich habe
die Sorge, dass hier ein Umgehungstatbestand geschaffen wird, wenn man, weil man in bestimmten Fällen die
parlamentarische Diskussion scheut, statt der Stabilisierungskräfte, die die Aufgabe wahrnehmen könnten,
BGS-Einheiten ins Ausland schickt. Man muss also,
wenn man diese Überlegung für so bedeutend erachtet,
wie Sie sie hier dargestellt haben, auch für andere Kombattanten im Ausland eine entsprechende Regelung im
Gesetz verankern.
({1})
Gestatten Sie auch eine Zwischenfrage des Kollegen
Arnold?
Ja.
Herr Kollege, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass es in Wirklichkeit nicht so kompliziert ist?
Auslöser dieser Debatte war etwas ganz anderes, nämlich dass wir erkennen, dass die Bundeswehr im Augenblick in hohem Maß polizeiliche Aufgaben im Ausland
übernimmt, und zwar deshalb, weil es nicht ausreichend
Polizeikräfte gibt, um diese Aufgaben zu erfüllen. Könnten Sie erkennen, dass es möglicherweise sinnvoll ist,
darüber zu debattieren, ob es nicht die klügere Lösung
wäre, zu organisieren, dass die Polizei Polizeiaufgaben
wahrnimmt, wo diese jetzt von der Bundeswehr wahrgenommen werden, und die Bundeswehr weiterhin Bundeswehraufgaben, wo es welche gibt?
({0})
Herr Kollege Arnold, wenn Sie mir zugehört haben,
dann haben Sie festgestellt, dass ich diese Diskussion
durchaus als sinnvoll bezeichnet habe.
({0})
- Selbstverständlich verstehe ich das. Sie verstehen es
nicht! Ich rate Ihnen, einmal die Verteidigungspolitischen Richtlinien Ihres Ministers zu lesen und sich mit
der Funktion von Stabilisierungskräften zu beschäftigen.
In die Funktion von Stabilisierungskräften fällt selbstverständlich, in einem Land, in dem staatliche Autorität
aufgebaut werden soll, Polizeiaufgaben mit wahrzunehmen. Das ist auch die selbstverständliche Aufgabe einer
Armee. Schon die Legionen des Augustus haben Polizeiaufgaben wahrgenommen: Sie haben den Verkehr geregelt, Evakuierungen vorgenommen, Straßen gebaut. Das
ist normales militärisches Handwerk. Da kann man nicht
differenzieren und sagen, die Armee sei nur zum Kämpfen da und nicht dazu, bestimmte - wie Sie es bezeichnen - polizeiliche Aufgaben wahrzunehmen. Bei uns im
Inland werden solche Aufgaben natürlich von der Polizei
wahrgenommen, aber bei einem Auslandseinsatz gehört
das zu den Aufgaben der Soldaten. Dass man im Ausland auch die Zusammenarbeit mit den Landespolizeien
oder dem BGS suchen kann, steht natürlich völlig außer
Frage.
Meine Aussage ist doch nur: Wenn es zu einer stärkeren derartigen Kooperation kommen soll - was ich für
sinnvoll halte -, sind Einheiten des Bundes, Kombattanten, Soldaten im völkerrechtlichen Sinne betroffen, die
in der Verantwortung des Bundestages stehen. Dann gibt
es keinen sachlichen Grund, diese Einheiten anders zu
behandeln als die Bundeswehr.
({1})
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, und zwar des
Kollegen Schmidt?
Ja, gerne.
Dann bitte ich aber, mit den Zwischenfragen etwas
sparsamer umzugehen.
Damit bin ich sehr einverstanden.
Frau Präsidentin, das ist meine erste Zwischenfrage.
Aber Sie haben schon einen Redebeitrag abgegeben.
Herr Kollege von Klaeden, verstehen Sie den Beitrag
des Kollegen Arnold so, dass die Bundeswehr bei Polizeieinsätzen im Ausland eine Tätigkeit ausübt, die, wenn
sie von Polizeikräften geleistet wird, nicht parlamentarisch abgesichert ist, und befürchten Sie, dass Herr
Arnold insinuiert, dass eigentlich die Bundeswehr dann,
wenn sie keinen Einsatz im Sinne einer Armee, sondern
einen Polizeieinsatz hat, ohne Parlamentsbeteiligung
eingesetzt werden kann, oder erkennen Sie eine andere,
tiefer gehende Logik in den Bemerkungen des Kollegen
Arnold?
({0})
Herr Kollege Schmidt, das war eine sehr wohlwollende Interpretation der Äußerungen des Kollegen
Arnold. In Wirklichkeit sind sie, wie ich finde, gar nicht
zu verstehen gewesen.
({0})
Aber vielen Dank für diesen Versuch. Auch Herr Arnold
sollte sich eigentlich dafür bedanken, dass Sie die Dinge
in dieser Weise klargestellt haben.
Wenn es um die Frage der Parlamentsbeteiligung geht,
wie es auch das Verfassungsgericht formuliert hat, dann
sollten wir uns als Parlament auf das Ob der Einsätze
konzentrieren und das Wie und die Modalitäten der politischen Führung überlassen, um hinterher, falls etwas
schief geht, die Möglichkeit zu haben, zu kontrollieren,
und nicht durch einen entsprechenden Beschluss gebunden zu sein. Die Modalitäten des Einsatzes können wir
als Parlamentarier doch sowieso nicht bis ins Detail bestimmen. Sie werden aber von der Regierung immer wieder in den Vorschlägen formuliert. Ich halte es gerade im
Sinne unserer Soldaten für vernünftiger, dass wir uns um
das Ob der Einsätze kümmern, um die politische Implikation, und nicht um das Wie, sodass wir uns hinterher,
wenn etwas schief gegangen ist, wie zum Beispiel im
März im Kosovo, auf die Kontrolle konzentrieren und
auf diese Weise die notwendigen Sorgfaltsmaßstäbe
schaffen können, die bei der nächsten Einsatzvorbereitung Beachtung finden können.
Dazu gehört allerdings auch, dass die Regierungskoalition und insbesondere die SPD die Bereitschaft
haben, Vorgänge tatsächlich zu kontrollieren und auch
einmal zu kritisieren, dass uns vom Bundesverteidigungsministerium über Monate hinweg nicht die Wahrheit gesagt worden ist.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Pau.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir diskutieren heute abschließend über das so genannte
Parlamentsbeteiligungsgesetz. Schon der Name grenzt
an Etikettenschwindel.
({0})
„Entsendegesetz“ trifft das Anliegen besser.
({1})
Schließlich geht es darum, die Bundeswehr möglichst
problemlos weltweit entsenden zu können und das Parlament dabei so wenig wie möglich beteiligen zu müssen.
Blitzeinsätze des Militärs im Äußeren und „Light“-Demokratie im Inneren - das ist des Pudels Kern.
({2})
Die PDS im Bundestag lehnt beides entschieden ab.
Ich bezweifele übrigens heftig, dass das vorliegende
Gesetz grundgesetzkonform ist. Noch enthält die deutsche Verfassung eine Friedenspflicht. Noch hat die
höchste Volksvertretung über Auslandseinsätze der Bundeswehr zu entscheiden. Das gebietet das Grundgesetz.
({3})
Der vorliegende Entwurf von Rot-Grün aber bricht mit
beiden Grundsätzen: mit der Pflicht zum Frieden und mit
dem Recht des Bundestages.
Nur zur Erinnerung: So lange ist es noch gar nicht
her, da galten deutsche Kriegseinsätze als nahezu unvorstellbar. Dann kam der Sündenfall. Zwar wurde noch immer von Kriegeinsätzen als Ultima Ratio geredet. Aber
immer mehr wurde die gern zitierte Ausnahme zur Regel.
Es ist auch noch nicht so lange her, da mussten im
Bundestag zwei Drittel einem Militäreinsatz zustimmen.
Dann wurde das Quorum gesenkt. Nun sollen die Abgeordneten noch mehr degradiert oder - wie die PDS im
Bundestag - sogar vollständig aus diesem Prozess ausgeschaltet werden. Denn mit diesem Gesetz wird der
einzigen Partei, die im Bundestag gegen weltweite Militäreinsätze ist, ein Maulkorb verpasst.
({4})
Das Entsendegesetz dient einer beschleunigten Militarisierung der Außenpolitik. Es folgt einer Anregung
der USA. Es dient den Wünschen der NATO und soll die
militärische Interventionskraft der EU stärken. Das Gesetz wird - davon gehe ich aus - wie gewünscht funktionieren. Wird die Bundeswehr künftig in Marsch gesetzt,
dann muss der Bundestag der Regierung de facto das
Misstrauen aussprechen, um den Einsatz zu beenden.
Auch das Ausmaß eines Auslandseinsatzes obliegt
nicht mehr einer Abwägung im Bundestag. Er kann im
Nachhinein nur noch Ja oder Nein sagen. Damit entzieht
sich der Bundestag jedem Pro und Kontra. Er unterwirft
sich den Entscheidungen einer Regierung, die er eigentlich nach allen Regeln der Demokratie beauftragen und
kontrollieren soll.
({5})
Er behindert außerdem eine gesellschaftliche Debatte,
anstatt sie anzuregen.
Damit bin ich bei der eigentlichen und schrecklichen
Botschaft, die Sie heute beschließen wollen. Der Bundestag entmündigt sich selbst,
({6})
weil er dem Militär im Weg steht, weil die höchste deutsche Volksvertretung der NATO und der Bundeswehr
zur Last fällt. Ich hätte nie gedacht, dass es einmal so
weit kommt, noch dazu auf Antrag von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen. Die PDS im Bundestag lehnt
das ab - konkret und grundsätzlich.
({7})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Peter
Bartels.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben in diesem Hause schon oft über die
neuen Anforderungen an unsere Bundeswehr diskutiert.
Wir haben darüber gesprochen, wie sich das sicherheitspolitische Umfeld nach 1989 und auch nach dem
11. September 2001 gewandelt hat und welchen neuen
Bedrohungen und Einsatzrealitäten wir uns heute gegenübersehen.
Die Transformation der Bundeswehr - das heißt:
die Ausrichtung unserer Streitkräfte auf die heute und
zukünftig wahrscheinlichsten Einsätze - ist unsere Antwort auf die veränderten Bedingungen. Über das neue
Konzept und über Peter Strucks Hindukusch-Doktrin
gibt es im Grundsatz keinen Streit. Das ist eine gute Basis, auf der wir hier im Parlament gemeinsam arbeiten.
Das Gesetz, über das wir heute beraten, bringt zum
Ausdruck, wie viel sich geändert hat und dass wir als
Gesetzgeber mit dieser Entwicklung Schritt halten müssen. In den Zeiten des Kalten Krieges stellten sich jedenfalls die Fragen, die wir jetzt regeln, nicht. Der bewaffnete Konflikt, für den die Bundeswehr damals
vorgesehen war, wäre der dritte Weltkrieg gewesen, geführt in der Mitte Europas. Da hätten sich die Fragen
nach Vorauskommandos und Einsätzen geringer Intensität gar nicht gestellt. Es ging damals immer um den
Worst Case, um die höchste Intensität.
Es spricht für dieses Parlament und das Verhältnis der
demokratischen Parteien untereinander, dass wir auch
ohne spezielle gesetzliche Grundlage seit nunmehr zehn
Jahren über Auslandseinsätze beschließen - und dies in
den allermeisten Fällen mit einer sehr breiten Mehrheit.
Trotz gelegentlicher politischer Differenzen bei der Bewertung einzelner Einsätze stand seit 1994 nie mehr das
parlamentarische Beteiligungsverfahren selbst im Zentrum der Diskussion. Dass wir hier im Bundestag über
die Teilnahme deutscher Soldaten an internationalen
Einsätzen abstimmen, ist mehr als nur die pflichtschuldige Erfüllung einer Vorgabe unseres Verfassungsgerichts. Der Parlamentsvorbehalt ist zu einem Grundpfeiler unseres Verständnisses vom Charakter der
Bundeswehr geworden. Sie ist eine Parlamentsarmee.
({0})
Die Debatten über viele Einsätze haben gezeigt, dass
wir uns der großen Verantwortung bewusst sind, die
mit der Beteiligung deutscher Streitkräfte an internationalen Missionen verbunden ist. Wir dürfen es uns nicht
leicht machen und wir machen es uns nicht leicht; darüber besteht wohl fast Einigkeit in diesem Hause.
Weil das so ist, hätte ich mir gewünscht, dass wir
heute über einen Gesetzentwurf aller Fraktionen entscheiden können. Dazu ist es nicht gekommen. Uns liegt
neben unserem Koalitionsentwurf auch ein FDP-Gesetzentwurf vor. Die Union hat das alles zwar kommentiert
und kritisiert. Auf einen eigenen Entwurf hat sie allerdings verzichtet. Vielleicht wurden von den Kollegen
Schäuble, Schmidt und Pofalla zu viele unterschiedliche
Linien vertreten. Da Sie nicht in der Verantwortung stehen, müssen Sie sich auch nicht auf eine gemeinsame Linie einigen. Wir können zur Not damit leben.
Insgesamt aber - das sollte nicht verschwiegen werden - haben wir in den vergangenen Monaten fraktionsübergreifend sehr sachlich und konstruktiv über den Parlamentsvorbehalt und seine Ausgestaltung diskutiert.
Das war dem Thema angemessen.
Zur öffentlichen Anhörung am 17. Juni dieses Jahres waren als Sachverständige mit den Professoren
Schmidt-Jortzig und Scholz zwei ehemalige Kollegen
geladen, die die parlamentarische Praxis aus eigener
Erfahrung als Abgeordnete und Minister kennen. Das
Hearing hat bestätigt, dass wir mit unseren Regelungsvorstellungen auf einem guten verfassungskonformen
Weg sind. Das gilt übrigens auch für den FDP-Entwurf.
Er ist verfassungsrechtlich absolut unbedenklich.
Unser Entwurf ist - so viel Eigenlob sei erlaubt - eine
angemessene, schlanke und in einzelnen Regelungen
elegante Lösung.
({1})
Die Rechte des Parlaments bleiben voll gewahrt. Wir
bleiben beim bisherigen Verfahren. Die Parlamentspraxis der vergangenen Jahre stand für das Gesetz Pate.
Diese Praxis hat aber auch gezeigt, wo noch Entscheidungsabläufe verbessert werden können. In einigen Fällen, zum Beispiel bei Einsätzen geringer Intensität oder
bei der Verlängerung unstrittiger Mandate, wird es künftig die Möglichkeit geben, ein vereinfachtes Zustimmungsverfahren anzuwenden. Die Zustimmung gilt in
diesen Fällen als erteilt, wenn nicht eine Fraktion innerhalb bestimmter Fristen die Befassung des Bundestages
verlangt.
Das Gesetz enthält zudem eine Legaldefinition des
Einsatzes bewaffneter Streitkräfte. Es wird klargestellt, dass vorbereitende Maßnahmen und Planungen
wie bisher Sache der Exekutive sind. Ebenso werden
rein humanitäre Hilfeleistungen der Bundeswehr, auch
wenn die eingesetzten Soldaten zum Selbstschutz Waffen tragen, nicht dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt.
Schließlich verankern wir im Gesetz ein Rückholrecht des Parlaments. In der Begründung heißt es nüchtern, aber sehr richtig, diese Vorschrift beende „die bisher bestehende Unsicherheit, ob der Deutsche Bundestag
die einmal getroffene Entsendeentscheidung aus eigenem Recht wieder rückgängig machen kann oder nicht“.
Die Inanspruchnahme des Rechts, eine gegebene Zustimmung zu widerrufen, wird wahrscheinlich die ganz
große Ausnahme bleiben. Es ist trotzdem wichtig. Nicht
nur das vereinfachte Verfahren gewinnt dadurch an Akzeptanz, dass wir als Parlament wissen, dass wir notfalls
ein Ende des Einsatzes erzwingen können. Das Rückholrecht hat auch Bedeutung für andere Fälle.
In der vergangenen Woche haben wir mit großer
Mehrheit der Beteiligung der Bundeswehr an der nun
EU-geführten Operation Althea in Bosnien-Herzegowina zugestimmt. Im Antrag der Bundesregierung heißt
es, dass unsere Soldaten eingesetzt werden können, solange ein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und ein entsprechender Beschluss der EU bzw.
des NATO-Rates sowie die konstitutive Zustimmung des
Bundestages vorliegen. Im Gegensatz zu den meisten
anderen Mandaten gibt es aber keine ausdrückliche zeitliche Befristung. Die Operation Althea wird uns also
nicht in regelmäßigen Abständen beschäftigen, weil eine
weitere Verlängerung um ein halbes oder ein ganzes Jahr
ansteht. Das war auch schon bei der NATO-geführten
Vorgängermission so. Wenn wir als Bundestag aber ein
solches zeitlich unbefristetes Mandat erteilen, hat es eine
gewisse innere Logik, dass wir auch das Recht haben
müssen, gegebenenfalls die Zustimmung zu widerrufen.
Insgesamt haben wir, wie ich glaube, das richtige
Maß gefunden. Dort, wo es notwendig ist, haben wir
rechtliche Klarstellungen und Anpassungen vorgenommen. Aber wir haben uns im Wesentlichen auf die bewährten Abläufe gestützt und sie lediglich mit einem
festeren rechtlichen Unterbau versehen.
Weshalb nun die FDP die Notwendigkeit sieht, zusätzlich ein spezielles Sondergremium zu schaffen, ist
mir immer noch etwas unklar. Geheimhaltungsbedürftige Einsätze - das wurde schon angesprochen - werden
bisweilen als Begründung genannt. Aber welche Auslandseinsätze sollen das sein? Den Kosovo, Bosnien, Afghanistan oder den Sudan können sie wohl nicht betreffen. Geht es um Evakuierungsaktionen? Es ist doch klar,
dass diese nicht vor Beginn der Operation in aller Öffentlichkeit diskutiert werden können. Für diese Fälle
brauchen wir keinen neuen Ausschuss und überhaupt
keine vorherige formale Befassung des Parlaments,
siehe § 5 unseres Gesetzentwurfs.
({2})
Beispiele für übrige Einsätze haben wir von Ihnen nicht
gehört.
({3})
Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir hier geheime Einsätze beschließen müssten, sofern es nicht um die
schnelle Rettung von Menschenleben gehen sollte, also
etwa um Evakuierungen.
({4})
- Nein, es gibt keine Notwendigkeit, etwas, das wir
lange vorbereiten können, geheim zu halten. Abgesehen
davon glauben Sie doch auch nicht, dass es dann geheim
bleibt.
Wenn etwas geheim zu halten ist, dann haben wir im
Übrigen die Möglichkeit, im geheim tagenden Verteidigungs- und Auswärtigen Ausschuss unsere Fragen beantwortet zu bekommen und die Erörterungen anzustellen, die Sie möglicherweise im Auge haben.
({5})
Ich erkenne nicht, dass wir dafür ein gesondertes Gremium brauchen.
({6})
Lassen Sie mich noch etwas zum Thema Geschwindigkeit anmerken. Bisweilen wird vermutet, unsere Praxis des Parlamentsvorbehalts sei zu langwierig und verzögere im Ernstfall Einsätze etwa von NATO Response
Forces oder EU Battle Groups. Das ist ein zäher Aberglaube, gegen den sich auch empirisch argumentieren
lässt: Wenn eine schnelle Entscheidung erforderlich war,
dann waren wir immer sehr schnell. In dringenden Fällen erfolgte die konstitutive Zustimmung des Bundestages noch am Tag des Kabinettsbeschlusses. Ob hingegen
die internationalen Abstimmungsprozesse oder die Beratungen im großen NATO-Rat immer so schnell gehen
werden, sei dahingestellt. Ich habe da meine Zweifel.
Mit unserem Parlamentsbeteiligungsgesetz schaffen
wir in einem wichtigen Bereich Klarheit und Rechtssicherheit - für uns, aber auch für die Soldaten. Ich bin sicher: Das Gesetz wird sich in der Praxis bewähren.
Schönen Dank.
({7})
Jetzt hat als Letzter in der Debatte der Abgeordnete
Ruprecht Polenz das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Gesetz, das die Koalition heute vorlegt, schreibt das bisherige Verfahren fest und macht es vielleicht etwas praktikabler, gibt aber keinerlei Antwort auf Fragen, die aus
zukünftig absehbaren Entwicklungen resultieren, und
wird deshalb in Kürze überholt sein. Es ist absehbar,
dass wir auf die Notwendigkeit schneller und tragfähiger
Entscheidungen über die Beteiligung deutscher Kontingente am bündnisgemeinsamen Einsatz reagieren müssen. Dies steht in einem Spannungsverhältnis zur demokratisch-parlamentarischen Legitimation.
Herr Kollege Weisskirchen, wenn wir gemeinsam daran festhalten wollen, dass multilaterales Handeln
Grundsatz deutscher Außenpolitik ist
({0})
und dass wir in Zukunft mehr Integration unserer Streitkräfte in Europa brauchen, weil das angesichts knapper
Kassen der einzige Weg ist, unsere Fähigkeiten in
Europa zu erhöhen, dann müssen wir auch hinsichtlich
der Parlamentsbeteiligung über die Folgen nachdenken.
Das haben Sie nicht getan.
({1})
Das Europa der EU gibt 60 Prozent des US-Budgets
für Verteidigung aus. Wir haben sogar 600 000 Soldaten
mehr als die Amerikaner, aber die Fähigkeiten bleiben
bekanntermaßen deutlich hinter denen der Amerikaner
zurück.
({2})
Angesichts knapper Kassen können wir hier nur einen
Ausgleich finden, wenn wir in Europa mehr gemeinsam
machen.
Der erste Schritt zu mehr Gemeinsamkeit wird der europäische Lufttransport sein. Weitere Schritte müssen
folgen.
({3})
Dieses Mehr an vertiefter militärischer Integration ist
nur möglich, wenn man sich aufeinander verlassen kann
und wenn die Entscheidung, ob man sich beteiligt oder
nicht, diese vertiefte militärische Integration nicht infrage stellt.
({4})
Damit geht zwangsläufig ein Verzicht auf bestimmte
Handlungsoptionen einher.
({5})
Wenn Sie sich vor dieser Frage drücken, werden Sie der
Sache nicht gerecht. Das hat auch etwas mit bestimmten
Formen von Souveränitätsverzicht, den man in der
Zukunft leisten muss, und damit zu tun, dass das auch
Folgen für die Art und Weise der demokratischen Legitimation hat. Auf diese Frage geben Sie in Ihrem Gesetzentwurf keine Antwort.
({6})
- Kollege Weisskirchen, das Kernelement der vertieften
Integration ist die NATO Response Force. Das ist das
Schlüsselprojekt der Allianz. Deutschland hat dieser
Einrichtung in Prag zugestimmt. Ihre Besonderheit liegt
darin, dass die NATO Response Force weltweit innerhalb von fünf bis 30 Tagen einsetzbar sein soll
({7})
und ein breites Aufgabenspektrum - von Peacekeeping
bis zu Kampf- und Antiterroreinsätzen - abdecken soll.
Die NATO Response Force ist keine stehende Streitmacht, sondern sie besteht aus Verbänden, die von den
Mitgliedstaaten nach einem Rotationsmodell bereitgestellt werden. Die Einheiten der Bundeswehr - so ist es
vorgesehen - sollen in jeden Zyklus entsprechend dem
tatsächlichem Gewicht und der beabsichtigten künftigen
Rolle Deutschlands in der NATO eingebunden sein.
Ab Oktober 2006 soll das ganze Unternehmen voll einsatzfähig sein.
Sie drücken sich davor, zu sagen, dass die NATO
Response Force zwingend eine Reform unseres politischen Entscheidungsprozesses erfordert,
({8})
weil der NATO-Einsatzbefehl für die NRF-Truppen innerhalb weniger Tage erfolgen kann. Die erfolgreiche
Ausführung eines solchen Befehls hängt nämlich von
der Bereitschaft aller Nationen ab, die zugesagten Fähigkeiten für solche Einsätze bereitzustellen.
({9})
Wenn die deutschen Kräfte nicht mit hinreichender Verlässlichkeit bereitstehen, dann besteht die Gefahr, dass
man, weil die NATO Response Force insgesamt nicht
einsetzbar ist, in eine Koalition der Willigen ausweicht,
was wir alle nicht wollen.
Jetzt müssen Sie sich Folgendes vor Augen halten:
Die Entscheidung über die NATO Response Force - sie
soll innerhalb von drei bis 50 Tagen einsetzbar sein - ist
von großer Eilbedürftigkeit geprägt. Das Zustimmungsverfahren innerhalb der NATO erfolgt - auch wenn sich
Kollege Beck das nicht vorstellen kann - innerhalb weniger Tage. Wenn ausgearbeitete Eventualpläne vorliegen, geht das sehr zügig. Natürlich dauert das Verfahren
der Parlamentsbeteiligung deutlich länger. Das ist etwa
dann der Fall, Kollege Wiefelspütz, wenn es einen Dissens gibt. Aber das mag im Geschäftsordnungsausschuss, der bei den Beratungen die Federführung hatte,
nicht ins Gewicht gefallen sein. Sie haben wahrscheinlich gedacht: In den Parlamentsferien kann es keine
Krise geben; denn sonst hätten Sie die Antworten, die
Sie vorschlagen, so nicht geben können.
Die Übertragung der Befehlsbefugnis kann erst nach
der Zustimmung des Parlaments erfolgen. Also müssen
wir zu anderen Lösungen kommen.
Sie sagen - dadurch beruhigen Sie diejenigen, die in
Ihren eigenen Reihen diese Fragen gestellt haben -: Es
gibt die Regelung „Gefahr im Verzug“. Man muss allerdings wissen, dass die Regelung „Gefahr im Verzug“
auch in Ihrem Gesetzentwurf als Ausnahmeregelung formuliert ist.
({10})
Sie bezieht sich auf die absolute Ausnahme. So definiert
sie auch der juristische Terminus.
({11})
Das Problem dabei ist: Wenn Sie die Regelung „Gefahr im Verzug“ als generelle Anwendungsregelung für
den Einsatz der NRF vorsehen
({12})
bzw. wenn die NRF ihrem Zweck entsprechend - sie soll
schnell eingesetzt werden - eingesetzt wird, dann nutzen
Sie systematisch die für Ausnahmefälle bestimmte Regelung „Gefahr im Verzug“. Damit widersprechen Sie
den Intentionen des Bundesverfassungsgerichts, das ein
solches Vorgehen nur als Ausnahme vorgesehen hat.
({13})
Für Sie ist „Gefahr im Verzug“ sozusagen die Regelermächtigung für NRF-Einsätze. Das ist allerdings verfassungsrechtlich nicht zulässig.
({14})
Ein Zweites, Herr Nachtwei: In keinem Fall abgedeckt durch eine Gefahr-im-Verzug-Regelung ist eine
rasche Entscheidung über den Einsatz der NATO
Response Force dann, wenn das zwar aus politischen
Gründen angezeigt und wünschenswert sein mag, aber
aus militärischer Sicht zweifelsfrei keine Gefahr im Verzug vorliegt. Dann können Sie in keinem Fall auf diese
Regelung zurückgreifen; gerade bei Krisenprävention
oder Diplomatieunterstützung - beides ebenfalls Aufgaben der NATO Response Force - können solche Situationen eintreten.
Das Gesetz wird also im Hinblick auf die künftige Integration und auf das Kernelement künftiger NATOStrategien den Anforderungen erkennbar nicht gerecht.
Es wäre besser gewesen, Sie hätten sich etwas mehr Zeit
gelassen und sich mit uns über diese Fragen intensiver
ausgetauscht.
(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit welcher Position bei Ihnen? So werden wir - das prophezeie ich Ihnen, Herr Kollege Erler - in spätestens zwei Jahren wieder hier sitzen und schauen müssen, wie wir die Fragen, die ich gerade angesprochen habe, dann besser regeln. Vielen Dank. ({15})
Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Parlamentsbeteiligungsgesetzes, Drucksache 15/2742. Es liegen verschiedene persönliche Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor, und zwar der Abgeordneten Röspel, Berg, Brase und anderer - insgesamt von 18 Abgeordneten der SPD - sowie der Abgeordneten Rita Streb-Hesse, die wir damit zu Protokoll nehmen.1)
Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 15/4264, den Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
1) Anlagen 4 und 5
sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/
CSU und FDP sowie der Abgeordneten Pau und Lötzsch
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem eben festgestellten Stimmenverhältnis
angenommen.
({0})
Abstimmung über den von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf eines Auslandseinsätzemitwirkungsgesetzes, Drucksache 15/1985. Unter Nr. 2 seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4264 empfiehlt der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die
Stimmen der FDP abgelehnt worden. Damit entfällt nach
unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtlicher
Vorschriften
- Drucksache 15/3280 ({1})
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Dritten Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 15/2743 ({2})
a)Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({3})
- Drucksache 15/4419 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Eduard Lintner
b)Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 15/4427 Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb
Gunter Weißgerber
Franziska Eichstädt-Bohlig
Jürgen Koppelin
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten
Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtlicher
Vorschriften
- Drucksachen 15/3932, 15/4235 ({5})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
({6})
- Drucksache 15/4420 Berichterstattung:
Abgeordneter Eduard Lintner
Zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften liegt ein Entschließungsantrag
der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
die Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Deutschland ist mit seiner Lage mitten in Europa Transitland
Nummer eins und Verkehrsdrehscheibe. Diese geographische Lage verursacht, dass unser Schienenetz zentral
für Europa ist. Deshalb benötigen wir dringend die nationale Umsetzung des Richtlinienentwurfes der EU.
Im Bereich der Liberalisierung brauchen wir uns dennoch nicht zu verstecken. Obwohl wir bei der Umsetzung hinterherhinken, wurde vonseiten der Kommission
festgestellt - es gibt übrigens eine Studie der IBM und
der Humboldt-Universität, die das Gleiche aussagt -,
dass Deutschland bezogen auf den Netzzugang und die
Liberalisierung des Netzes Vorbild für seine Nachbarn
ist. Die Novelle ist ein wichtiger Schritt.
Es wird uns immer wieder gesagt, dass wir dem Beispiel Englands folgen sollten. Bei unseren politischen
Entscheidungen sollten wir den Rat, der uns allen dort
gegeben wurde, beherzigen. England macht zurzeit
nichts anderes, als die Fehler beim ersten Schritt vor
zehn Jahren mit großem Aufwand zu beheben.
({0})
Eines haben wir bei unserem Besuch in England gelernt:
Es kommt darauf an, alle Veränderungen im Eisenbahnwesen im Sinne der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
Eisenbahnverkehrsunternehmen Schritt für Schritt vorzunehmen und nicht übers Knie zu brechen.
({1})
Die Richtlinien 2001/12/EG bis 2001/14/EG werden
mit diesem Gesetz umgesetzt. Gleichzeitig ist die Interoperabilität im europäischen Eisenbahnwesen auf der
Tagesordnung. Hier sind wir uns einig. Kontrovers diskutieren wir die Umsetzung des 3. Änderungsgesetzes
eisenbahnrechtlicher Vorschriften. Wir haben zwei wichtige Punkte auf den Weg gebracht:
Erstens. Die Kontroll- und Eingriffsmöglichkeiten der
Wettbewerbsaufsicht werden gestärkt. Es gibt eine
neue, unabhängige Trassenagentur, die die Trassenpreise
und die Trassenvergabe im Vorgriff, also präventiv, überprüft und somit schon im Vorfeld dazu beiträgt, Diskriminierungen zu verhindern.
({2})
Zweitens. Mit dem Eisenbahn-Bundesamt gibt es
eine Aufsichtsbehörde, die im Nachhinein, also nachdem
Verträge geschlossen wurden, gegen Diskriminierungstatbestände vorgeht.
Das Kartellamt mit seinen Befugnissen bezüglich kartellrechtlicher Dinge ist eine dritte Kontrollinstanz, sodass der Wettbewerb auf der Schiene wesentlich verbessert und diskriminierungsfreier als in der Vergangenheit
gestaltet werden kann.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal deutlich darauf hinweisen: Es ist notwendig und wichtig, dass das
vorliegende Gesetz aufwärts kompatibel ist. Das heißt,
für die Zukunft darf nichts festgeschrieben werden; eine
Weiterentwicklung ist also möglich. Mit diesem Gesetz
haben wir die Tagesordnung bezogen auf die Bahnreform ein weiteres Stück abgearbeitet.
({3})
Mit Ihren heute vorliegenden Anträgen möchten Sie
die Struktur verändern. Gestern haben Sie Gutachten auf
den Weg gebracht, in denen die unterschiedlichen Möglichkeiten überprüft werden. Dabei geht es auch um die
Möglichkeit der Bildung einer Finanzholding, die Sie
bereits heute nach dem AEG gerne hätten, sowie um die
Überprüfung einer Trennung von Netz und Betrieb. Daneben sollen unterschiedliche Lösungen - ich nenne das
Eigentums- und das Vertragsmodell - erarbeitet werden.
({4})
Ich muss mich fragen, ob es Ihnen wirklich darum geht,
diese Möglichkeiten ernsthaft und seriös abzuklären,
oder ob es Ihnen vielleicht um etwas ganz anderes geht.
({5})
Ein weiterer wichtiger Punkt, der im Allgemeinen Eisenbahngesetz enthalten ist, war die Vorschrift, verschiedene Verkehrssparten von der Infrastruktur funktional zu
trennen. Zusammen mit der Kommission haben wir im
Bundestag darüber diskutiert. Hier ist deutlich geworden, dass die Gründung einer Holding, die wir vorgesehen haben, mit einer eigenständigen Bilanz- und
Rechnungslegung, der Trennung der Aufsichtsratsmandate und der Vorgabe einer eigenständigen Entscheidung
über das Netz eine gute Lösung ist. Insofern ist dieses
Gesetz EU-konform.
({6})
- Das wird die Zukunft zeigen, Herr Friedrich.
({7})
Ich möchte noch auf weitere Punkte eingehen, die wir
als Koalitionsfraktionen zusätzlich in dieses Gesetz aufgenommen haben. Es war uns sehr wichtig, die Weichen
gegen eine Schrumpfbahn zu stellen. Dabei geht es uns
um den Erhalt der Infrastruktur. Das heißt, Kapazitätsabbau und Stilllegungen werden verhindert. Bei Übernahmen wird sich die Preisfindung nach dem Ertragswert richten. Es wird aber auch die Möglichkeit der
Pacht für diejenigen erleichtert werden, die ein Interesse
an der Nutzung der Netze haben. Dabei ist bei Pachtlösungen zu beachten, dass in Zukunft keine Rückzahlung der getätigten Investitionsmittel notwendig ist, solange der entsprechende Teil der Strecke in Betrieb ist.
Das war für alle Mitwettbewerber ein ganz wichtiger
Punkt.
Wir haben ebenfalls dafür gesorgt, dass die Stellung
der Kommunen verbessert wird. Da viele wie auch ich
aus der Kommunalpolitik kommen, kennen wir alle die
Situation, dass oft mitten in den Städten nicht mehr genutzte Grundstücke der Bahn brachliegen und langsam
verfallen. An sich wäre es notwendig, diese anderweitig
zu nutzen; aber die Verhandlungen mit der DB AG und
ihren Immobilienabteilungen waren bisher zäh und
schwierig. Es wird jedoch in Zukunft möglich sein, dass
Städte und Gemeinden ein eigenes Antragsrecht erhalten, um zu gewährleisten, dass diese Flächen umgewidmet und einer anderen Nutzung zugeführt werden, wenn
sie für die Eisenbahn nicht mehr notwendig sind. Diese
Regelung haben wir im Sinne der Städte und Gemeinden
auf den Weg gebracht.
({8})
Bei unseren Überlegungen haben wir auch immer die
Kunden im Blick gehabt. Die Kunden haben Anspruch
auf Informationen über alle Unternehmen, die die
Schiene nutzen. Diese Informationen sollen nicht nur auf
Anzeigetafeln in Bahnhöfen oder im Kursbuch zugänglich sein, sondern überall muss eine übergreifende Information möglich sein. Dies haben wir mit diesem Gesetz
ebenfalls auf den Weg gebracht.
Frau Kollegin, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.
Damit haben wir einerseits die notwendigen und
wichtigen Voraussetzungen zur Umsetzung der europäischen Richtlinie geschaffen und andererseits für die Gemeinden und die Kunden Verbesserungen erreicht.
Ich möchte gerade Sie von der Opposition auffordern:
Schauen Sie sich diesen Gesetzentwurf noch einmal genau an und stimmen Sie zu!
({0})
Gehen Sie Schritt für Schritt mit uns diesen richtigen
Weg!
({1})
Ich möchte Sie einladen, unseren Gesetzentwurf zu unterstützen.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich lade Sie gleichzeitig ein, im gemeinsamen Interesse für mehr Wettbewerb auf der Schiene und damit
für mehr Nutzer zu sorgen. Daher fordere ich Sie im
Sinne von mehr Verkehr auf der Schiene auf, unserem
Gesetzentwurf zuzustimmen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Eduard Lintner.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frau Rehbock-Zureich, Sie haben hier eigentlich nur die Vorstellung wiederholt, die Sie schon im
Ausschuss immer wieder geboten haben.
({0})
Sie versuchen, Ihren Entwurf durch eine nebulöse und
für Sie günstige Interpretation der europarechtlichen
Vorschriften zu retten. Nehmen Sie mir es nicht übel: Ihrer Hausaufgabe, die Ihnen - und uns allen - das Paket
eisenbahnrechtlicher Vorschriften der EU aufgibt, nämlich mit dieser Gesetzesnovellierung für einen diskriminierungsfreien Netzzugang für konkurrierende Betreiber von Schienenverkehr in den Mitgliedstaaten
der Europäischen Union zu sorgen, werden Sie nicht gerecht.
({1})
Dabei - das entspricht auch der Logik der vor
zehn Jahren gemeinsam auf den Weg gebrachten Bahnreform - müssten Sie eigentlich, um den Erfolg dieser
Bahnreform nicht zu gefährden, ein Interesse daran haEduard Lintner
ben, für möglichst viel Unabhängigkeit und Selbstständigkeit bei der Trassenzugangsentscheidung zu sorgen.
Anliegen der Bahnreform damals war und ist es auch
nach wie vor, für Zuwachs im Personen- und Güterverkehr zu sorgen. Wir waren uns immer einig, dass dieser
Zuwachs nur über einen fairen Wettbewerb realisiert
werden kann, der allein in der Lage ist, die Betreiber zu
einem qualitativ verbesserten Angebot auf der Schiene
und einer marktgerechten Gestaltung zu zwingen.
Das britische Beispiel, das Sie so abgetan haben, ist
hier sehr informativ. Dort hat man zugegebenermaßen
zunächst eine falsche Konstruktion gewählt. Aber jetzt,
nach der Korrektur dieser Fehlkonstruktion, ist nicht
wegzureden, Frau Rehbock-Zureich - das haben Sie
wohlweislich nicht erwähnt -, dass sich in Großbritannien ein Zuwachs im Personenverkehr um über
30 Prozent
({2})
und beim Güterverkehr von 45 Prozent eingestellt hat.
Das sind traumhafte Ergebnisse,
({3})
besonders wenn man diese Zahlen mit unseren mickrigen Ergebnissen vergleicht. Wir haben also wirklich allen Grund, uns dieses Beispiel genauer anzuschauen.
({4})
Im Übrigen haben Sie sich, Frau Kollegin RehbockZureich, die Entscheidungsfindung auch mit Blick auf
die ganze Prozedur sehr einfach gemacht. Sie wissen so
gut wie ich, dass sehr viele Gutachter, und zwar hoch
kompetente, wissenschaftlich ausgewiesene Gutachter,
innerhalb und außerhalb des Parlaments gehört worden
sind und diese im Ergebnis - das habe ich selten erlebt fast alle - jedenfalls soweit sie echt unabhängig waren die Auffassung vertreten haben, dass Ihr Gesetzentwurf
nicht der Vorgabe der europarechtlichen Vorschriften
entspricht.
({5})
Wenn ich mich an den Wissenschaftlern orientiere,
die höchste Autorität genießen, kann ich nur sagen:
Nach deren Überzeugung - und dem können wir eigentlich nur zustimmen - gibt es für die Umsetzung eigentlich nur zwei Wege, die ohne Einschränkung als europarechtskonform bezeichnet werden können, nämlich
entweder die konsequente Trennung von Netz und Betrieb - das heißt im konkreten deutschen Fall die Ausgliederung der Netz AG aus dem bestehenden DB-Verbund;
({6})
diesen Weg wollen aber weder Sie noch die DB gehen oder die Errichtung einer rechtlich, organisatorisch und
personell eigenständigen Trassenagentur, die über den
Zugang zum Netz und die dafür zu erhebenden Entgelte
entscheidet. Aber nicht einmal darauf wollen Sie sich
einlassen.
Sie haben uns nun eine halbherzige, kosmetische und
nebulöse Regelung vorgesetzt, mit der Sie meinen sich
aus den Vorgaben des Europarechts stehlen zu können.
Sie werden aber mit Sicherheit dann eingeholt werden,
wenn die ganze Materie beim Europäischen Gerichtshof
landet und der Ihnen dann genau das sagen wird, was wir
Ihnen heute schon voraussagen.
({7})
Im Übrigen hoffen wir immer noch darauf, dass Sie
sich dieser Gefahr richtig bewusst werden - ich habe
nämlich den Eindruck, dass Sie das Ganze gar nicht richtig und ernsthaft zur Kenntnis nehmen - und dass Sie
sich vielleicht doch noch dazu bereit finden, bei den Beratungen im Bundesrat und bei dem sich dann möglicherweise anschließenden Vermittlungsverfahren zu einer europarechtskonformen Regelung zu kommen.
Insoweit appelliere ich sogar an Sie. Möglicherweise
kommen Sie doch noch zur Vernunft.
Es hat angesichts dieser Gesamtbewertung wenig
Sinn, sich mit den Details Ihres Gesetzentwurfes zu befassen. Dennoch will ich einige Bemerkungen dazu machen.
Die Bundesregierung tut so, als könne die Trassenagentur, die beim Eisenbahnbundesamt eingerichtet
werden soll, tatsächlich unabhängig und unbeeinflusst
von den Interessen der DB AG entscheiden. Wenn
Sie die heutige Presse lesen, erfahren Sie, dass Herr
Mehdorn ein weiteres Kuckucksei in das Nest Ihrer
Bahnpolitik gelegt hat.
({8})
Er will sogar noch hinter die Vorgaben der Bahnreform
zurück und will die Netz AG mit der Holding sozusagen
verschmelzen. Der zuständige Vorstand der Holding
wäre dann zugleich der Vorstandsvorsitzende der
Netz AG. Eine engere personelle Verzahnung kann es
eigentlich nicht geben. Wie soll es diesem Herrn, der
Vorstand der Holding und Vorstandsvorsitzender der
Netz AG ist und unter dessen Ägide die Trassenagentur
zu entscheiden hat, möglich sein, beide Funktionen unbeeinflusst voneinander auszuüben? Die eine Hand bekommt doch mit, was die andere tut bzw. tun soll.
({9})
Die Umorganisation, die sich da andeutet, wird uns noch
sehr beschäftigen müssen. Sie kann nämlich nicht den
Vorgaben der Bahnreform entsprechen.
({10})
Auch Herr Mehdorn hat sich an diese Vorgaben zu halten.
({11})
Ich will auch noch auf Folgendes hinweisen: Sie waren ja noch nicht einmal in der Lage - obwohl Sie uns
über lange Zeit im Ausschuss in dieser Frage zugestimmt haben -, diese so genannten Doppelmandate zu
verbieten. Selbst das findet sich in Ihrem Gesetzentwurf
nicht. Daran wird ja schon deutlich, dass Sie gar nicht
den Willen haben, die Trassenagentur so auszugestalten,
dass sie sich gegenüber der Holding durchsetzen und unabhängig entscheiden kann.
({12})
Ein weiteres Beispiel. Wir waren uns doch ziemlich
einig darüber, die Anregung der Wissenschaftler aufzugreifen und die Monopolkommission damit zu beauftragen, alle zwei Jahre ein Gutachten über das Ergebnis der
Arbeit der Trassenagentur zu erstellen.
({13})
Auch das haben Sie nicht aufgegriffen, einfach weil Sie
Angst davor haben, es könnte Ihnen alle zwei Jahre bestätigt werden, dass Ihre Konstruktion nichts taugt und
den Vorgaben des Europarechts nicht genügt.
Oder nehmen Sie den Netzbeirat. Die Anregung, einen solchen Beirat einzurichten, haben Sie zwar aufgegriffen; aber er hat gerade einmal die Funktion einer
Schülermitverwaltung.
({14})
Er kann zwar der Hausleitung Vorschläge unterbreiten.
Ob sie sich dann aber überhaupt damit befassen muss, ist
nicht geregelt. Diesen Netzbeirat könnte man also genauso gut weglassen. Ein ernsthafter Manager wird sich
der Mitarbeit in diesem Beirat vielleicht sogar verweigern.
Was mir aber sehr Leid tut, ist die Tatsache, dass Sie
sich, indem Sie sich einer unabhängigen Trassenagentur
verweigern, der Chance begeben, dass die DB AG in den
nächsten Jahren nachweist, dass diese Konstruktion sehr
wohl tragfähig ist und auf diese Art und Weise die Zielsetzung der Vorgaben des Europarechts verwirklicht
werden kann. Es könnte sich nämlich herausstellen, dass
Netzverwaltung und Entgeltgestaltung tatsächlich unabhängig vom Betrieb sein können. Dann hätten wir die
leidige Diskussion darüber, ob es eine Trennung von
Netz und Betrieb oder einen Verbund von beiden geben
soll, vom Hals und die DB hätte die Chance, vor ihrem
Börsengang darauf hinzuweisen, dass die jahrelange Erfahrung mit einer unabhängigen Trassenagentur zeigt,
dass man sehr wohl Netz und Betrieb unter einem Dach
lassen kann.
Aber diese Chance haben Sie der DB jetzt verbaut.
Ich fürchte, die Spitze der DB hat leider diese Möglichkeit gar nicht erkannt, sonst hätte sie womöglich sogar
auf Sie eingewirkt, doch lieber den Weg zu gehen, den
die Opposition vorschlägt.
Im Ausschuss haben Sie - Frau Rehbock-Zureich, das
haben Sie heute gar nicht gesagt - darauf hingewiesen,
dass die Bundesrepublik Deutschland bei der Liberalisierung innerhalb Europas an der Spitze sei. Es ist gar
nicht zu bestreiten, dass wir weiter als Frankreich oder
Italien sind. Das ist aber hier nicht das Thema. Das
Thema ist, was die EU-Kommission mit ihrer Richtlinie
von uns erwartet.
({15})
Das ist der Maßstab, und nicht, ob sich andere Länder in
der Europäischen Union möglicherweise schlechter verhalten als wir.
({16})
Der Maßstab ist nicht Frankreich, sondern die EU-Richtlinie. Der werden Sie mit diesem Gesetzentwurf nicht
gerecht. Ich muss Ihnen leider sagen: Wenn es nach einer
entsprechenden Entscheidung des EuGH zu einem Desaster kommt, weil das ganze Gebäude in sich zusammenfällt, dann haben Sie das zu verantworten.
Vielen Dank.
({17})
Das Wort hat nun der Kollege Albert Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Debatte heute entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie.
Während wir hier am heutigen Tag über unabhängigen
Wettbewerb auf der Schiene und über Maßnahmen zur
Unabhängigstellung insbesondere der Netzentscheidungen von der Holding debattieren und beschließen,
({0})
sind gleichzeitig die Zeitungen voll von Überlegungen
und sogar Plänen im Bahntower, genau das Gegenteil zu
machen.
({1})
Der Vorstand der Holding, also des Konzerns, soll direkt
in die einzelnen Unteraktiengesellschaften, sofern sie
überhaupt noch Bestand haben, hineinregieren.
Albert Schmidt ({2})
({3})
Das wäre - ich will das hier so deutlich sagen - nicht nur
gegen das Deutsche-Bahn-Gründungsgesetz, nach dem
die Ausgründung von mindestens vier Aktiengesellschaften vorgeschrieben ist, sondern es wäre faktisch
auch das Gegenteil des Prinzips der Entherrschung, das
die Europäische Union in der Richtlinie vorgeschrieben
hat.
({4})
Ich will Ihnen dokumentieren, dass ich mich nicht auf
Zeitungsartikel beziehe. In dem Mitarbeiterbrief, den
der Vorstandsvorsitzende in diesen Tagen an die Kolleginnen und Kollegen geschrieben hat, wird wörtlich formuliert:
… wollen wir mit Personenverkehr, Transport und
Logistik sowie mit Infrastruktur drei Bereiche
- ich sage: nur noch drei Bereiche bilden, die künftig direkt von den zuständigen Kollegen aus dem Holdingvorstand heraus gesteuert
werden.
So steht es in einem Schreiben - nicht in der Zeitung an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Über diese
neue Konstruktion ist jedenfalls mit den Verkehrspolitikern des Deutschen Bundestages bis heute nicht mit einer einzigen Silbe diskutiert bzw. beraten worden. Deshalb kann ich nur sagen: Wer glaubt, diesen Weg ohne
uns gehen zu können, der täuscht sich genauso wie bei
einem überstürzten Börsengang.
({5})
Zur Sache selbst, die uns heute beschäftigt: Das Gesetz, das heute zur Abstimmung vorliegt, ist ein gutes
Gesetz. Ich will Ihnen sagen, warum. Mit diesen Beschlüssen, die wir heute fassen, werden die Signale auf
Grün gestellt. Das ist im Prinzip immer gut.
({6})
In diesem Fall ist es besonders gut, weil Grün hier heißt:
mehr und fairer Wettbewerb auf Deutschlands Schienennetz.
({7})
Mit diesen neuen Spielregeln, die wir heute beschließen,
beginnt ein neues Zeitalter des Wettbewerbs auf der
Schiene, weil nämlich jetzt eine stabile Rechtsgrundlage
da ist, die für jedermann und für jedes Verkehrsunternehmen einklagbar ist. Das ist der eigentliche Fortschritt des
Gesetzes, das wir heute vorlegen.
({8})
Wir machen das, nicht, weil wir Wettbewerbsfetischisten
sind oder weil wir glauben, dass mehr Wettbewerb alles
richtet. Nein, wir machen das, weil das im Interesse der
Fahrgäste und Kunden ist; denn mehr Wettbewerb bedeutet letztlich mehr Qualität und günstigere Preise für
die Fahrgäste - die sehnen sich danach -, aber ebenso
für die Güterverkehrskunden. Auch aus diesem Grund
haben wir den Gesetzentwurf eingebracht; es geht nicht
nur darum, die EU-Vorgaben umzusetzen.
Um einen diskriminierungsfreien Zugang zum Schienennetz zu garantieren, haben wir als Kernpunkt des Gesetzentwurfs - das ist schon ausgeführt worden - eine
Trassenagentur vorgesehen, die in Zukunft im Sinne eines neutralen Schiedsrichters, einer Wettbewerbsaufsicht
außerhalb - das ist eben falsch dargestellt worden; es
war ein Missverständnis - der Netz AG die Vergabe von
Bahntrassen an Bahnverkehrsunternehmen und die
Preise überwacht. Die Trassenagentur wird präventiv tätig sein und unter anderem über Zutritts- und Akteneinsichtsrechte gegenüber der DB Netz AG verfügen. Das
ist ein wichtiger und richtiger Schritt, der eine neue
Rechtsqualität im deutschen Schienennetz bedeutet.
Der Netzbeirat ist keine Schülermitverwaltung. Ich
widerspreche Ihnen in diesem Punkt, Herr Kollege, auch
wenn ich die Polemik, die sich dahinter verbirgt, durchaus verstehe. Die Netzkunden, nämlich die Eisenbahnverkehrsunternehmen, haben erstmals eine Plattform,
um ihre Bedürfnisse und Beschwerden vorzubringen,
({9})
die - das schreibt der Gesetzentwurf vor - auch im Netzvorstand zum Gegenstand der Beratungen gemacht werden müssen. Entscheidend ist vor allem, dass die Trassenagentur als Aufsichtsbehörde mit am Tisch sitzt.
Dieser Schiedsrichter wird jede Beschwerde sehr genau
prüfen. Er erfährt sozusagen in Echtzeit davon. Das ist
wichtig und notwendig, um einen fairen Wettbewerb zu
garantieren.
({10})
Die verbesserten Regelungen für die Stilllegung
sind bereits angesprochen worden. Künftig sind Rückbaumaßnahmen - auch kleinere - genehmigungspflichtig, damit nicht einfach Kapazitäten von einem Monopolisten vernichtet werden, die somit nicht mehr von
anderen genutzt werden können.
Der Ertragswert als Richtschnur künftiger Preisberechnungen bei der Übergabe von Trassen, sei es aufgrund von Pacht oder Kauf, wurde bereits angesprochen.
Auch das stellt einen Fortschritt dar. Das gilt auch für die
verbesserte Stellung der Gemeinden, die in Zukunft antragsberechtigt sind, um bei der Freistellung von Grundstücken von Bahnbetriebszwecken keine langwierigen
Verfahren durchlaufen zu müssen. Das alles sind Verbesserungen.
Für die Fahrgäste ist es interessant und wichtig, dass
Fahrplaninformationen künftig unternehmensübergreifend veröffentlicht werden müssen. Die Fahrgäste
Albert Schmidt ({11})
erhalten damit einen Anspruch auf uneingeschränkte Informationen über alle Anschlusszüge, auch die der Konkurrenz. Der Connex-Streit gehört damit der Vergangenheit an. Das ist eine klare Ansage, die heute für die
Fahrgäste des Schienensystems insgesamt von Bedeutung ist.
Die Trassenpreise - auch das war uns wichtig - sind
künftig nach oben gedeckelt. Es soll keine überhöhten
Monopolgewinne geben, sondern maximal die Deckung
der Vollkosten plus eine angemessene Rendite. Auch
müssen - gerade für Newcomer - Züge zu Grenzkosten
ermöglicht werden.
Abschließend bleibt die Frage zu klären - zumindest
für meine Fraktion ist sie noch offen -, ob all das von
mir dargestellte Positive ausreicht, um eine vollständige
Übereinstimmung mit dem europäischen Wettbewerbsund Eisenbahnrecht zu erzielen, und ob nicht mehr
Kompetenzen für die Trassenagentur, insbesondere
für eine Trassenagentur, die in der Frage der Trassenvergabe oder Trassenpreise nicht nur eine Überwachungsfunktion wahrnimmt, sondern auch selbst entscheidet,
notwendig sind, um die europäischen Bestimmungen
rechtskonform umzusetzen. Diese Frage wird in den
nächsten Wochen und Monaten zu klären sein, sei es im
Bundesrat, sei es durch ein anzustrengendes Vermittlungsverfahren oder auch durch die Kommission selbst.
Ich teile die Auffassung, die der Kollege Lintner vertreten hat: Je stärker die Trassenagentur ausgestaltet
wird,
({12})
desto glaubhafter können wir die These untermauern,
dass es trotz einer integrierten Konzernstruktur - die wir
vorläufig behalten; sie steht nicht zur Diskussion - faire
Spielregeln gibt, die Diskriminierungen nicht nur verhindern, sondern Diskriminierungspotenziale qua Konstruktion strukturell sogar ausschließen. Diese Chance
ist noch nicht, zumindest nicht vollständig, umgesetzt
worden. Trotzdem ist der Gesetzentwurf gut. Ich bitte
Sie deshalb um Ihre Zustimmung. Er ist, wie schon gesagt wurde, aufwärts kompatibel.
({13})
Das Wort hat nun der Kollege Horst Friedrich für die
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
dem Eisenbahngesetzeswerk, das der Bundesrat hoffentlich stoppen wird, würde Deutschland in der Umsetzung
der EU-Richtlinien einen bedenklichen Sonderweg gehen.
({0})
Das richtet sich besonders gegen die SPD, liebe Frau
Kollegin Rehbock-Zureich. Sie wollen nämlich weder
die große Trennung von Netz und Betrieb, wie sie von
der EU vorgesehen ist, noch die kleine Regelung, also
wenigstens die Auslagerung der wesentlichen diskriminierungsrelevanten Funktionen, nämlich der Trassenvergabe und der Trassenpreisfestsetzung. Sie wollen diese
Funktionen im Wesentlichen bei der Deutschen Bahn belassen und glauben nach wie vor an das Märchen, dass
man mit so genannten Chinese Walls die Unabhängigkeit absichern kann. Sie gehen diesen Weg, obwohl Ihnen alle unabhängigen Sachverständigen gezeigt haben,
dass das so nicht funktionieren wird.
({1})
Es stellt sich die Frage: Warum gehen Sie diesen Sonderweg? Denn der Verstoß gegen das, was im Rahmen des
europäischen Rechts mit der kleinen Trennung erreicht
werden soll, ist doch offenkundig.
Es ist ebenfalls offenkundig, dass seit Jahren die
Bahnreform in Deutschland zurückgedreht wird,
({2})
indem entgegen der ganz klaren Stufenregelung der
Bahnreform die Macht bei der Holding konzentriert wird
und die operativen Führungsgesellschaften Schritt für
Schritt entmachtet werden. Schon heute existieren die eigenständigen Aktiengesellschaften eigentlich nur noch
formal. Die Bahnreform steht bei Ihnen nur noch im Gesetz. Die Realität sieht völlig anders aus. Für uns stellt
sich die Frage: Warum lassen Sie das zu? Die Antwort
ist relativ einfach: Sie haben nicht die Kraft und auch
nicht den Willen, den Bahnchef in die Schranken zu weisen, der sich aus unserer Sicht um die Ziele und die Strategie der Bahnreform nicht im Geringsten schert. Sie haben die Taskforce zur Zukunft der Schiene schon vor
drei Jahren zu einer Farce gemacht, indem Sie den Bahnchef dort aufgenommen haben. Ich habe Ihnen damals
gesagt, dass Sie dann auch die Frösche beauftragen
könnten, den Sumpf trocken zu legen, in dem sie leben.
({3})
Aber Sie glauben bis heute an das Märchen von der Sanierung der Bahn, obwohl wir Ihnen seit längerer Zeit
das Gegenteil beweisen. Hätte es eines größeren Beweises bedurft als die jetzige Revision der eigenen Zahlen
durch den Bahnvorstand und die Verlängerung bis 2009?
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, während Sie hier ein Gesetz beschließen, von dem Sie glauben - das verkünden Sie jedenfalls -, es diene der Unabhängigkeit des Netzes und der Sicherung der
Diskriminierungsfreiheit, führt der Bahnchef alle Bemühungen ad absurdum, indem er die Konzernstrukturen
nochmals umbaut, um die Holding weiter zu stärken.
Während Sie noch immer glauben, dass Chinese Walls
funktionieren, schreibt der Bahnvorstand - ich zitiere
aus dem Mitarbeiterbrief vom 2. Dezember 2004 -:
… wollen wir mit Personenverkehr, Transport und
Logistik sowie mit Infrastruktur drei Bereiche bilden, die künftig direkt von den zuständigen Kollegen aus dem Holdingvorstand heraus gesteuert werden.
Horst Friedrich ({4})
„Aus dem Holdingvorstand heraus“, das ist das Entscheidende; darum geht es.
Aber Sie glauben - wie Kindergartenkinder an den
Weihnachtsmann - noch immer, dass im Bereich Infrastruktur zukünftig die Interessen der Wettbewerber
gleichberechtigt neben denen der Konzerntöchter berücksichtigt werden. Das ist ungefähr so, als ob man
glaubte, dass Ostern und Weihnachten auf einen Tag fallen. Das kann doch wohl nicht die Realität sein.
({5})
Sie wissen, dass es - Gott sei Dank - auch innerhalb
der SPD andere Überlegungen gibt. Der Verkehrsminister von Nordrhein-Westfalen, Herr Kollege Horstmann,
hat im September dieses Jahres einen mehrseitigen Brief
an den Bahnvorstand geschrieben. Unter anderem steht
dort der völlig richtige Satz:
Die Entstehungsgeschichte und der Wortlaut des
Bahngründungsgesetzes zeigen aber, dass der
DB AG in ihrer heutigen Erscheinung keineswegs
ein monolithischer Endstatus zugebilligt wurde.
Das ist eigentlich die Ausgangsbasis der Diskussion, die
Sie aber nach wie vor - aus meiner Sicht: völlig zu Unrecht - ablehnen. Das ist Ihre Entscheidungssituation.
Herr Kollege Friedrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ferlemann?
Ja.
Bitte, Herr Ferlemann.
Herr Kollege Friedrich, Sie beklagen meiner Ansicht
nach vollkommen zu Recht, dass die Konzentration der
Macht bei der Holding und die Entmachtung der einzelnen Teilgesellschaften im Grunde genommen den Gesetzen zur Bahnreform widersprechen. Teilen Sie meine
Auffassung, dass dies nicht nur formal ein Fehler ist,
sondern auch in der Sache völlig fehlgeht?
Herr Kollege Ferlemann, Sie haben völlig Recht. Ich
stimme Ihnen ausdrücklich zu. Vielen Dank für Ihre
Frage.
({0})
Ich möchte die Auswirkungen an einem konkreten
Beispiel zeigen.
Das beste Beispiel ist eigentlich die Bahnpreisreform, „die Revolution im Fernverkehr“, wie es so schön
in den Büchern der Bahn heißt. Diese Reform sollte den
großen Durchbruch bringen, gewissermaßen das Emporziehen der Bilanz in den Bereich der schwarzen Zahlen.
({1})
Das neue Preissystem hat das Gegenteil von dem erreicht - Herr Kollege Schmidt, das werden Sie nicht
leugnen -,
({2})
was es eigentlich erreichen sollte. Das Schlimme daran
ist: Die Fachleute im Fernverkehr, die sich dagegen gewehrt haben, wurden versetzt, in den Ruhestand geschickt oder mundtot gemacht. Die Beschlüsse wurden
in der Konzernspitze gefasst, wo man von den eigentlichen Bedürfnissen weit entfernt ist.
Genau so wird es weitergehen. Wer sich weigert, die
Praxisnähe der einzelnen Gesellschaften zu akzeptieren,
der muss damit rechnen, dass es Fehlentscheidungen
gibt.
Ich möchte noch einmal aus dem Brief von Herrn
Horstmann zitieren:
So stoßen die auf Landesebene für den SPNV zuständigen Aufgabenträger schon heute auf DBUnternehmen, die - je nach deren Finanzinteresse
im Einzelfall - entweder als unabhängige Konzerntöchter oder als DB-Konzerninteressen wahrende
Unternehmen auftreten. Dieses chamäleonhafte
Verhalten gefährdet zurzeit ein nordrhein-westfälisches Projekt der Fußballweltmeisterschaft; ich benenne es hier nur als ein Beispiel, um die Nachteile
des Konstrukts eines privatisierten DB-Konzerns
mit gegenwärtigem Zuschnitt zu verdeutlichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, wenn
Sie uns schon nicht glauben, dann glauben Sie vielleicht
Ihren eigenen Verkehrsministern. Sie wissen hoffentlich,
wovon sie reden. Dieses Gesetz wird mit großer Wahrscheinlichkeit vom Bundesrat abgelehnt werden und wir
sehen uns im Vermittlungsausschuss wieder. Vielleicht
zeigen Sie dann etwas mehr Vernunft, was die Umsetzung der EU-Regelungen angeht.
Herzlichen Dank.
({3})
Für die Bundesregierung spricht nun die Parlamentarische Staatssekretärin Angelika Mertens.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, ein kurzer historischer Rückblick, was die Eisenbahnpakete angeht, lohnt sich.
({0})
Begonnen hat es mit dem Untätigkeitsurteil des EuGH
1985. Das zeigt auch, dass die Staaten kein besonderes
Interesse daran hatten, diesen Bereich zu regeln. Daraus
folgte dann die Richtlinie 91/440/EWG mit den vier Elementen: Unabhängigkeit der Eisenbahn vom Staat, rechnerische Trennung Fahrweg/Betrieb, Netzzugangsrechte,
Entschuldung.
Deutschland ist im Zuge der Bahnreform hinsichtlich
der Liberalisierung des öffentlichen Eisenbahnverkehrsmarktes deutlich über die Forderungen dieser Richtlinie
hinausgegangen. Im Zuge der zweiten AEG-Novelle, die
am 1. Juli 2002 in Kraft getreten ist, werden die Kompetenzen und das Instrumentarium des Eisenbahn-Bundesamtes deutlich erweitert.
Mit der dritten und vierten Novelle befinden wir uns
sozusagen auf der Mittelstrecke. Es ist noch lange nichts
vollendet. Wir befinden uns gewissermaßen mittendrin.
Die europäische Entwicklung ist von folgenden
Eckpunkten geprägt: einerseits Liberalisierung einschließlich Regulierung, andererseits Harmonisierung
und Interoperabilität. Beide Punkte bedingen einander.
Eine Angleichung der technischen Anforderungen und
die Regelung der Verantwortlichkeiten der Beteiligten
im Eisenbahnsektor sind eine unabdingbare Voraussetzung für die Marktöffnung.
Die angestrebte Interoperabilität ist nur dann von
Nutzen, wenn die Eisenbahnverkehrsmärkte parallel geöffnet werden. Eine Liberalisierung des Eisenbahnverkehrsmarktes erfordert eine starke, sektorenspezifische
Aufsicht über den Netzzugang, wodurch Zugangshindernisse aller Art erkannt und effektiv beseitigt werden können. Das ist durch die Trassenagentur beim - nicht im EBA hervorragend gewährleistet.
Frau Mertens, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Abgeordneten Lintner?
Aus ganz persönlichen Zeitgründen möchte ich keine
Zwischenfrage zulassen.
({0})
Herr Lintner, es tut mir Leid. Ein anderes Mal beantworte ich Ihre Frage gerne.
Die beiden Gesetzentwürfe sind schon gewürdigt und
auch kritisiert worden. Ich muss das hier nicht wiederholen. Wir haben lange Zeit darüber diskutiert und gestritten. Es ist sicherlich das gute Recht derjenigen, die
eine andere Bahn oder andere Bahnen wollen, das an
dieser Stelle einzubringen.
Ich sage deutlich: Es war vor allen Dingen eine nationale Schlacht, die hier geschlagen wurde. Ich hatte auch
das Gefühl, dass der europäische Aspekt hier überhaupt
nicht mehr wahrgenommen wird. Zeitweise hatte man
das Gefühl, man befinde sich in Deutschland sozusagen
in einem Wettbewerbsentwicklungsland, einmal abgesehen davon, dass niemand über die Niemandsländer in
diesem Bereich gesprochen hat.
({1})
Ich glaube, dass ein bisschen Fairness, übrigens auch gegenüber der Bahnreform, nicht hätte schaden können.
Ich möchte einfach noch einmal den Versuch unternehmen, das übergeordnete Ziel des Dritten und des
Vierten Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtlicher
Vorschriften und der so genannten Eisenbahnpakete zu
würdigen:
Die Schiene spielt für die Sicherung der Mobilität
der Menschen in Europa nach wie vor eine besondere
Rolle. Die Bundesregierung hat sich ausdrücklich zu einer nachhaltig wirksamen Stärkung des Verkehrsträgers
Schiene bekannt und führt somit die Bahnreform auch
konsequent fort.
({2})
Die zunehmenden Abhängigkeiten und Verflechtungen der Verkehrspolitik werden bei allen anderen Verkehrsträgern automatisch unterstellt; bei der Schiene ist
es zugegebenermaßen etwas komplizierter. Aber ich
frage mich, warum um alles in der Welt in der Diskussion so getan wird, als handele es sich hierbei um eine
Art Modelleisenbahn, die immer nur im Kreis fährt.
Für Marktanteile und Zukunftschancen von Verkehrsträgern sind zukünftig die Bedingungen des europäischen Verkehrsmarkts wesentlich wichtiger als nationale Bezugsrahmen. Wir haben gemeinsam das
Weißbuch „Die europäische Verkehrspolitik bis 2010“
begrüßt, vor allem deshalb, weil darin Initiativen zum
Straßenverkehr aufgezeigt werden, zum Beispiel die von
der Kommission verfolgte Strategie zur Schaffung eines
integrierten europäischen Eisenbahnraums.
Wir haben in Deutschland mit der Bahnreform den
Grundstein für mehr Wettbewerb im Eisenbahnmarkt
gelegt. Wir verfügen im europäischen Vergleich über die
entsprechenden Erfahrungen. Damit haben wir auch
exzellente Voraussetzungen dafür, um auf diesem Gebiet
erfolgreich zu sein - mit unserem eigenen Unternehmen,
aber auch mit anderen deutschen Unternehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den
letzten Monaten eine sehr deutsche Debatte geführt,
nämlich darüber, ob das Modell der integrierten Bahn
und die Holdingstruktur der DB mit den EU-Vorgaben in
Einklang stehen. Wir sagen: Ja. Dieses Modell widerspricht nicht der Forderung nach Öffnung für den Wettbewerb auf der Schiene, weil Wettbewerb nicht zwingend die institutionelle Trennung voraussetzt und der
diskriminierungsfreie Zugang zur Infrastruktur auch
durch alternative Regulierungslösungen gewährleistet
werden kann. Ich sage auch deshalb „eine deutsche Debatte“, weil wir immer die Neigung haben, die Theorie
höher zu bewerten als die Praxis. Für das, was heute
beim Netzzugang schon täglich praktiziert wird, brauchen wir uns in Europa nun wahrlich nicht zu verstecken.
({3})
Ein Netzbetreiber ist immer ein Monopolist, egal
wie er konstruiert ist. Der Lokführer kann eben nicht
entscheiden, einmal eine andere Strecke zu fahren oder
gerade einmal eine Pause zu machen.
({4})
Der LKW-Fahrer kann darüber entscheiden; der Lokführer kann es nicht. Insofern ist der Netzbetreiber, wie gesagt, egal wem er gehört oder wie er konstruiert ist, immer ein Monopolist.
Ein Netzbetreiber wird immer eine Entscheidung darüber treffen müssen, welche Verkehre er bevorzugt.
Wenn man sich in Europa umschaut, dann stellt man
fest, dass vor allem die Systemverkehre bevorzugt werden. Ich kenne kein Land, das die Systemverkehre letztlich nicht gegenüber den Bedarfsverkehren bevorzugt;
denn sonst - das weiß eigentlich jeder, der ein bisschen
von der Bahn versteht - kann man einen Fahrplan sozusagen knicken. Übrigens können Reichsbahner ein Lied
davon singen, wie so etwas gemacht wird. Die meistgehassten Leute bei der Reichsbahn in den 50er- und vielleicht auch noch in den 60er-Jahren waren, glaube ich,
die russischen Dispatcher, die nämlich mit ihren Bedarfsverkehren täglich das Chaos produzieren konnten;
kein Fahrplan konnte dann eingehalten werden.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie ganz herzlich bitten, den beiden Gesetzentwürfen zuzustimmen,
damit wir die europäischen Vorgaben auch auf dieser
Ebene erfüllen.
Herzlichen Dank.
({5})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Enak Ferlemann, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wie ich und viele andere auch vernommen haben, war das wohl Ihre letzte Rede zur Eisenbahnpolitik,
Frau Staatssekretärin. So war sie denn auch.
Worum geht es in der Eisenbahnpolitik? Eigentlich
geht es allen Fraktionen darum, dass wir mehr Verkehr
von der Straße auf die Schiene bringen. Das ist das hehre
Ziel, dem wir uns alle stellen wollen. Die Europäische
Union regelt das auf europäischer Ebene, indem sie Vorgaben macht. Sie sagt: Mehr Verkehr kommt nur durch
mehr Wettbewerb auf den Verkehrsträger Schiene, weil
es überall staatliche Monopolstrukturen gibt, die derzeit
europaweit eine leistungsfähigere Bahn verhindern. Diesem Anspruch, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen,
müssen wir durch mehr Wettbewerb gerecht werden.
Hierzu gibt es eine Richtlinie, die wir heute mit diesem
Dritten Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften umsetzen wollen.
Irgendeine deutsche Bundesregierung muss diesen
Dingen zugestimmt haben, sonst wäre es auf EU-Ebene
nicht so weit gekommen. Darum verstehe ich gar nicht,
warum Sie dieser Zielvorgabe mit dem Gesetzentwurf,
den wir heute beschließen sollen, nicht nachkommen. Es
gehört Risikofreude dazu, wenn man Risiken eingeht.
Zugleich gebietet aber die Vernunft, die Risiken auch zu
begrenzen. Sie aber machen einen großen Fehler: Sie
wollen heute einen Gesetzentwurf beschließen, der den
eisenbahnrechtlichen Vorschriften der EU nicht gerecht
wird.
({0})
Der Gesetzentwurf, der heute im Deutschen Bundestag
beschlossen werden soll, ist nämlich nicht EU-konform.
({1})
Sie haben das Problem, dass Sie zwar dem Wettbewerbsgedanken näher treten wollen, zugleich aber immer im Kopf haben - das betrifft insbesondere die Bundesregierung -, wie Sie dem Quasi-Monopolisten
Deutsche Bahn etwas Gutes tun können. Deshalb wollen
Sie die Deutsche Bahn möglichst wenig Wettbewerb
aussetzen. Diese beiden Ziele widersprechen sich. Deswegen haben Sie bezüglich der Vergabe von Trassen und
der Festsetzung von Trassenpreisen eine Lösung gewählt, die nicht EU-konform ist.
Im Übrigen - das haben wir auch im Fachausschuss
diskutiert - geht es hierbei auch um die Frage, was die
Trassenvergabe alles umfasst. Geht es nur um die reinen
Schienenwege, also die Gleise, oder gehören dazu auch
Einrichtungen wie Bahnhöfe und Verladeanlagen? Dieses ist nicht geklärt. Das hätte man im jetzigen Verfahren
machen sollen. Sie werden diese Fragen nicht übergehen
können. Sie werden sich relativ schnell wieder stellen.
Sie versagen bei der Entherrschung der DB Netz
AG, wenn Sie die Vorgaben so umsetzen, wie Sie es wollen. Kollege Schmidt hat meiner Meinung nach heute
sehr gut dargestellt, woran das System, das Sie heute gesetzlich verankern wollen, krankt. Sie haben noch nicht
einmal eine klare Trennung bei den Aufsichtsräten hinbekommen. Die so genannten Chinese Walls, die Sie
aufziehen wollen, halten nicht und werden durch den
Bahnvorstand jetzt schon wieder ad absurdum geführt.
Wir als Union haben eine andere Lösung vorgeschlagen,
die Sie unserem Entschließungsantrag entnehmen können, nämlich eine vollkommen unabhängige Trassenagentur, die sowohl die Preise festsetzt als auch über die
Vergabe bestimmt.
({2})
Nur so bekommen Sie auch wirklich echten Wettbewerb
auf die Schiene.
Sie haben einige Nachbesserungen vorgenommen;
das hat die Kollegin Rehbock-Zureich hier schon erwähnt. Dabei handelt es sich zugegebenermaßen um
Verbesserungen, aber die eigentliche Kernaufgabe, nämlich eine EU-konforme Trassenagentur zu errichten,
haben Sie nicht gelöst. Dieses Ziel haben Sie eindeutig
verfehlt. Nicht einmal die Minimallösung für eine Unabhängigkeit, wie sie die EU verlangt, erreichen Sie mit
diesem Gesetz. Diese Agentur beim EBA anzusiedeln,
ist eine Idee - das soll jetzt kein Vorwurf an das EBA
sein -, die überhaupt nicht trägt. Sie hatten keinen Mut
zum großen Wurf, warum auch immer. Man kann da nur
Vermutungen anstellen. Mutig wäre es gewesen, das jetzige Strukturmodell über Bord zu werfen.
Vor diesem Hintergrund finde ich es schon erstaunlich, dass der Kollege Schmidt im Ausschuss wie auch
heute hier inhaltlich eine hervorragende Rede gehalten
hat, die ich ohne weiteres unterschreiben kann.
({3})
- Das macht er nicht immer, bei vielen Themen nicht,
aber hier bin ich mit ihm einer Meinung. Ich verstehe
nur nicht, Herr Kollege Schmidt, wieso Sie, wenn Sie
denn dieser Auffassung sind, die ich und auch meine
Fraktion teilen, einem so fatalen Gesetzentwurf zustimmen können. Das macht keinen Sinn.
({4})
Wenn es so ist, wie Sie sagen - ich teile das -, dann dürfen Sie diesem Gesetzentwurf heute nicht zustimmen.
({5})
Sie haben sich aber, verehrter Herr Kollege, selber
eine hervorragende Brücke gebaut, indem Sie im Fachausschuss die Kollegen der CDU/CSU- und der FDPFraktion gebeten haben, auf die B-Länder einzuwirken,
({6})
ein Vermittlungsverfahren anzustreben, damit das, was
Sie für richtig halten und was auch wir für richtig halten,
über den Umweg der gut regierten CDU- und CSU-geführten Bundesländer zu einer vernünftigen Regelung
führt,
({7})
wodurch dieses verheerend falsche Gesetz dann so korrigiert wird, dass es EU-konform wird.
({8})
Das haben Sie von uns verlangt. Ich sage Ihnen zu: Wir
werden alles daransetzen, diesem Wunsch, den Sie indirekt geäußert haben, nachzukommen und ihn zu erfüllen.
Wir werden also, wenn wir das Ziel haben, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, um ein Vermittlungsverfahren nicht herumkommen. Wir warten das in aller
Ruhe ab. Ich denke, dass wir auf der Grundlage des Entschließungsantrages, den meine Fraktion hier heute eingebracht hat, auch dem Ziel näher kommen werden, ein
vernünftiges EU-konformes Gesetz zum Wohle der
Bahnpolitik in diesem Lande zu konstruieren.
Herzlichen Dank.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst
über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften auf der Drucksache 15/3280.
Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/4419, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich der Stimme? - Damit ist der Gesetzentwurf
in zweiter Beratung mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der gerade vereinbarten Fassung zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Möchte sich jemand der Stimme enthalten? - Damit ist der Gesetzentwurf mit der gleichen
Mehrheit der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Wir stimmen nun über den von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften auf den Drucksachen - ({0})
- Ich habe hier Unterlagen teilweise doppelt, was, wenn
wir auch die Beschlussfassung doppelt herbeiführen, die
Gültigkeit sicher nicht beeinträchtigt.
Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache
15/4434 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Entschließungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf der vorhin genannten Drucksache 15/4419 empfiehlt der Ausschuss, den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Dritten Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtlicher
Vorschriften auf Drucksache 15/2743 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? Diese Beschlussempfehlung ist einmütig angenommen.
({1})
Wir stimmen jetzt über den von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften auf den Drucksachen 15/3932 und 15/4235 ab. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt unter Nr. 1
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4420,
den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der
Gesetzentwurf in zweiter Beratung gegen die Stimmen
der FDP angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der
Gesetzentwurf mit der gleichen Mehrheit angenommen.
({2})
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4420 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der
Stimme? - Damit ist die Beschlussempfehlung mehrheitlich angenommen.
Hat irgendjemand den Eindruck, dass irgendein zur
Beschlussfassung empfohlenes Gesetz oder irgendein
Entschließungsantrag nicht zur Abstimmung gestellt
worden ist?
({3})
- Das ist offenkundig nicht der Fall. Dann ist dieser Ta-
gesordnungspunkt erledigt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 sowie den Zu-
satzpunkt 8 auf:
23 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Michael Fuchs, Wolfgang Bosbach, Hartmut
Koschyk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Bürokratische Hemmnisse beseitigen - Bessere Rahmenbedingungen für Arbeit in
Deutschland
- Drucksache 15/4156 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({4})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk
Niebel, Rainer Brüderle, Daniel Bahr ({5}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Reform des Kündigungsschutzgesetzes - Abschaffung von Hemmnissen für die Einstellung
neuer Mitarbeiter
- Drucksache 15/3724 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({6})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dirk Niebel, Daniel Bahr ({7}), Rainer
Brüderle, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Lockerung des Verbots wiederholter
Befristungen
- Drucksache 15/2804 ({8})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({9})
- Drucksache 15/3990 Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Kramme
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk
Niebel, Rainer Brüderle, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Keine Sperrfrist bei Abschluss eines Abwicklungsvertrags nach arbeitgeberseitiger betriebsbedingter Kündigung
- Drucksache 15/4407 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({10})
Rechtsausschuss
Die Fraktionen haben sich auf eine Debattenzeit von
30 Minuten verständigt. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist es so vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst das
Wort dem Kollegen Michael Fuchs für die CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Bundeskanzler hat in seinen Regierungserklärungen immer
wieder mit vielen blumigen Worten davon gesprochen,
dass Bürokratie abgebaut werden soll und dass unnötiger
Bürokratismus in Deutschland verschwinden soll. Nachdem er sechs Jahre an der Regierung ist, fragen wir uns
natürlich, was in dieser Zeit passiert ist.
({0})
Passiert ist eigentlich nichts. Mir jedenfalls ist nichts Besonderes aufgefallen. Wenn Sie heute Unternehmen fragen, dann können Sie feststellen, dass so gut wie gar
nichts passiert ist.
Gestern gab es die erste Lesung eines Gesetzes, in
dem Vorschläge aus den Regionen zusammengefasst
wurden. Von diesen über 1 000 Vorschlägen aus drei
Testregionen wurden neun umgesetzt. Das sind noch
nicht einmal 9 Promille. Angesichts dieses Promilleanteils muss man sagen: Das ist wirklich nicht berauschend.
({1})
Heute wird in den Zeitungen berichtet, dass Sie ein
neues Antidiskriminierungsgesetz auf den Weg bringen
wollen. Dieses Gesetz kompensiert natürlich den Abbau
von dem bisschen Bürokratie, der durch das gestern in
erster Lesung beratene Gesetz erbracht werden soll. In
Wirklichkeit wollen Sie doch keinen Bürokratieabbau.
Sie wollen weiter mehr Staat. Herr Müntefering hat vor
zwei Jahren kurz vor Weihnachten gesagt: Dem Staat
mehr Geld und den Bürgern weniger. Ihre Kollegin Vogt
hat vor kurzem gesagt, dass man sich nicht so stark an
den Bürokratieabbau heranwagen wolle; denn wir würden einen starken Staat brauchen. Den Etatismus, den
Sie nach wie vor pflegen, sieht man an Ihrer gesamten
Gesetzgebung. Ich halte das für ausgesprochen falsch.
({2})
Ich möchte aus einem Brief des BDI an den Wirtschaftsminister, Ihren Gesetzentwurf betreffend, zitieren:
Allerdings möchte ich nicht verhehlen, dass wir uns
von den von dem BMWA erarbeiteten Maßnahmen
mehr versprochen hatten. Das vorliegende Artikelgesetz enthält zwar den einen oder anderen Ansatz
zum Bürokratieabbau. Der große Wurf ist aber bedauerlicherweise nicht zu verzeichnen. Dieses Artikelgesetz schafft keine merkliche Reduzierung von
Bürokratie.
Genau da müssen wir ansetzen. Alle anderen Wirtschaftsverbände, ob ASU oder DIHK, haben sich in gleicher Weise geäußert.
Es wurden insgesamt 102 Projekte durchgeführt, von
denen nach zwei Jahren gerade einmal 17 abgeschlossen
sind. Clement hat angekündigt, dass bis zum Ende des
Jahres 40 Prozent abgeschlossen sein sollen. Ich bin einmal gespannt, wie Sie es schaffen wollen, bis zum Ende
des Jahres 23 weitere Projekte abzuschließen. Ich bin
zwar ein unverbesserlicher Optimist. Aber ich habe
meine Zweifel, ob Ihre Fähigkeiten ausreichen, dieses
Ziel zu erreichen.
({3})
Sie haben kein Konzept; Sie haben keine Richtung. Sie
wissen nicht genau, was Sie wollen. Im Wesentlichen
wollen Sie aber mehr Staat.
Wir haben bereits vor langer Zeit einen ersten Antrag
zu diesem Thema eingebracht. Wir hatten eine Anhörung dazu. Sämtliche Wirtschaftsverbände haben uns bestätigt, dass unser Antrag genau der richtige Weg war.
Ich will Ihnen die Drucksachennummer ins Gedächtnis
rufen, damit Sie ihn noch einmal nachlesen können: Das
ist die Drucksache 15/1330. In diesem Antrag haben wir
grundsätzliche Möglichkeiten benannt, wie die Bürokratie abgebaut werden kann. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn
Sie noch einmal darüber nachdenken würden. Denn das,
was Sie jetzt machen, ist alles andere als das, was wir
vorgeschlagen haben.
In dem neuen Antrag haben wir einige zentrale
Punkte aufgegriffen, die unserer Meinung nach sofort
geändert werden müssen. Wir sind dafür, das Verbandsklagerecht abzuschaffen bzw. ersatzlos zu streichen.
({4})
Es hat nur zu Verzögerungen geführt. Ich weiß natürlich,
dass die Grünen meinen, dass wir das Verbandsklagerecht brauchen.
({5})
Aber, verehrte Frau Kollegin, das hat uns bis jetzt keinen
Zentimeter weitergebracht.
({6})
Sie sollten einmal sehen, dass am Frankfurter Flughafen mittlerweile mehr Papier verbraucht worden ist, als
die neue Landebahn in Zukunft lang sein wird. Denn es
gibt mittlerweile 60 Aktenordner mit 17 500 Textseiten,
790 Pläne und Karten sowie 34 Gutachten. Das ist ein
Beitrag zur Beschäftigung der Papierindustrie, aber nicht
zu einem Investitionsprojekt, wie wir es in Deutschland
brauchen würden.
({7})
Ein Investitionsvolumen von mehr als 3,5 Milliarden
Euro liegt brach, weil andauernd mit Verbandsklagen
versucht wird, solche Projekte kaputtzumachen.
Oder nehmen wir das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz. Ich habe letzte Woche an der
Haushaltsdebatte teilgenommen und habe mir gedacht:
Der Bundeswirtschaftsminister hat ja vollkommen
Recht. Er hat gesagt - deswegen bitten wir Sie, unserem
Antrag zuzustimmen -, dass er möchte, dass das
Bundesverkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz ein tolles Wort! - auf ganz Deutschland ausgedehnt
wird, und zwar für immer. Was macht Ihre Fraktion? Sie
verlängern die Geltungsdauer dieses Gesetzes für die
neuen Bundesländer gerade einmal um ein Jahr und sagen obendrein, das sei zum letzten Mal erfolgt. - So
kommen wir in diesem Lande nie weiter.
({8})
Wir bitten Sie daher darum, wenigstens hier mitzumachen.
Im Arbeitsrecht kann man viele, viele Dinge kritisieren; das sollte man auch. Wir haben allein in DeutschDr. Michael Fuchs
land mehr als 160 verschiedene Schwellenwerte. Das
kann nicht richtig sein; das kann kein Unternehmer mehr
auseinander halten. Denn so viele Schwellenwerte für so
unterschiedliche Tatbestände sind einfach Unsinn. Das
muss vereinfacht werden. Ich denke, darüber sollten wir
alle uns im Klaren sein.
({9})
Eins gehört für mich auch dazu: Gerade in einer Zeit,
wo wir um jeden Arbeitsplatz für Azubis kämpfen müssen, sollten wir die Azubis aus der Schwellenwertberechnung generell herausnehmen. Ich halte das für sinnvoll; denn es kann nicht sein, dass Azubis nicht
eingestellt werden, weil bei Erreichen des Schwellenwertes ein Unternehmen einen zusätzlichen Betriebsrat
stellen müsste. Das darf nicht der Fall sein. Hier geht es
darum, dass wir Arbeitsplätze für junge Leute schaffen.
Das ist für mich eines der wichtigsten gesellschaftspolitischen Probleme.
({10})
Wenn wir nicht bereit sind, grundsätzlich Dinge zu
verändern - dazu gehört für mich auch der zuletzt genannte Punkt -, dann werden wir auf dem Sektor Bürokratieabbau keinen Zentimeter weiterkommen. Lassen
Sie uns deswegen bitte gemeinsam noch einmal über das
Subsidiaritätsprinzip sprechen! Subsidiarität - wir alle
führen das ständig in unseren Sonntagsreden an - bedeutet: Die kleinste Einheit soll es machen. Nur wenn wir
bereit sind, dies grundsätzlich anzugehen, werden wir in
der Lage sein, die Bürokratie in Deutschland wirklich
abzubauen. Ich möchte, dass hier etwas geschieht; denn
die deutsche Wirtschaft wird durch die Bürokratie mit
46 Milliarden Euro pro Jahr belastet.
Aufgabe dieses Parlamentes ist es, dafür zu sorgen,
dass diese Belastungen endlich zurückgeführt werden.
Helfen Sie bitte mit! Stimmen Sie unserem Antrag zu!
({11})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Walter Hoffmann,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Kollege Fuchs, ich möchte Ihnen in einem
Punkt ganz entschieden widersprechen:
({0})
Sie haben gesagt, wir wollten keinen Bürokratieabbau.
Das ist im wahrsten Sinne des Wortes eine falsche Behauptung. Sie können sagen, dass wir vielleicht nicht genug machen - das haben Sie ja geäußert - und dass die
Schwerpunkte nicht richtig gesetzt sind. Aber von der
Zielsetzung lassen wir uns nicht abbringen. Diese Problematik haben wir von Beginn dieser Legislaturperiode
an angepackt.
Sie haben selber erwähnt, dass wir gestern eine Fülle
von gesetzlichen Regelungen beschlossen haben. Darin
geht es um die Beschleunigung von Gerichtsverfahren
bei Handelssachen, um die nicht mehr bestehende
Pflicht zur Erstellung von Abfallbilanzen bei privaten
Erzeugern, um Liberalisierungen im Hotel- und Gaststättenrecht, um die Reduzierung von Prüf- und Aufbewahrungspflichten für bestimmte Personengruppen usw.
Ich will alle diese Regelungen hier nicht noch einmal
aufzählen.
Die gestrige Beschlussfassung war ein Modul, eine
Etappe in einer Fülle von Maßnahmen und Regelungen,
über die wir uns auch hier in diesem Haus in den letzten
Wochen und Monaten, ja in den letzten Jahren in regelmäßigen Abständen auseinander setzen. Sie alle haben
zum Ziel, Bürokratie abzubauen und mehr Gestaltungsmöglichkeiten für die Unternehmen und für die handelnden Menschen insgesamt zu schaffen.
Ab 1. Dezember dieses Jahres ist eine Verordnung in
Kraft getreten, die eine schnellere Eintragung in das
Handelsregister ermöglichen soll. Sie wissen selbst,
dass das mit zwei Monaten immer relativ lange gedauert
hat. In Zukunft wird dieser Zeitraum auf einen Monat
verkürzt. 2007 wird dieser Vorgang auf elektronische
Verfahren umgestellt. Dadurch soll es nur noch
24 Stunden dauern, bis eine solche Eintragung im Handelsregister erfolgt.
Diese wenigen Beispiele zeigen - ich könnte sie x-beliebig fortführen -, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
({1})
Allerdings möchte ich hier nicht mehr ständig Dinge
wiederholen, die in der Substanz nichts Neues mehr
bringen,
({2})
aus meiner Sicht zum Teil bereits erledigt sind
({3})
und die nicht dem Abbau von Bürokratie dienen,
sondern in vielen Bereichen eine Verschlechterung der
Situation zur Folge hätten.
Ich wähle ein Beispiel aus dem Themenbereich
Arbeitsrecht - meine Kollegin wird dies nachher sicherlich noch ausführlicher ansprechen -, weil Sie dies
angeführt haben. Ihre Position dazu kenne ich: Das vorhandene Arbeitsrecht blockiere die Einstellung von Personen. Vor wenigen Tagen wurde eine umfangreiche
Studie des IAB veröffentlicht. Darin hat man meines
Wissens zum ersten Mal den Zusammenhang zwischen
Kündigungsschutz und Einstellung untersucht. Dazu hat
man 50 000 Menschen in den Betrieben befragt und geprüft, ob der bei uns vorhandene Kündigungsschutz eine
Einstellungsbremse darstellt. Dabei ist kein Zusammenhang plausibel nachgewiesen worden.
Deshalb sollten wir nicht auf jedes Pferd aufspringen,
das auf die Galopprennbahn geführt wird; vielmehr sollten wir genau prüfen, welche Vorschrift sinnvoll, richtig
und notwendig ist, wie sie verbessert, entschlackt und
möglicherweise organisatorisch anders angepackt
Walter Hoffmann ({4})
werden kann. Wenn der Abbau von Bürokratie auf diese
Weise in Angriff genommen wird, dann haben Sie uns
dabei an Ihrer Seite.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Niebel?
Ja, natürlich.
Herr Kollege, Sie haben gerade die IAB-Studie zur
Wirkung des Kündigungsschutzes auf die Einstellungen
angesprochen. In dieser Studie wurde bekanntlich die
Veränderung des Einstellungsverhaltens nach der Änderung des Kündigungsschutzgesetzes 1996 untersucht, in
deren Rahmen der Schwellenwert von fünf auf zehn Arbeitnehmer angehoben wurde. Ebenso wurden die Auswirkungen der Absenkung des Schwellenwertes von
zehn auf fünf Arbeitnehmer nach der Regierungsübernahme von Rot-Grün untersucht. Die Studie ergab, dass
aufgrund dessen keine signifikante Änderung festzustellen sei.
Ist Ihnen bekannt, dass ein Autor der Studie medienöffentlich auf die Frage, wie es denn bei anderen
Schwellenwerten von 50 oder 20 Arbeitnehmern gewesen wäre, geantwortet hat, dass unter diesen Umständen
das Einstellungsverhalten deutlich verändert gewesen
sein könnte, weil eine derartige Veränderung des
Schwellenwertes tatsächlich die Einstellungsbarriere
aufgehoben hätte?
Herr Niebel, es ist richtig, dass der von Ihnen angesprochene Autor die genannte Position vertreten hat - in
diesem Zusammenhang stimme ich Ihnen ausdrücklich
zu -, aber er hat eine Hypothese aufgestellt, die in dem
konkreten Fall nicht nachgewiesen wurde.
({0})
Vielleicht verbindet er damit auch eine Hoffnung. Von
daher ist das auch keine seriöse Aussage, sondern eher
Wunschdenken eines Autors,
({1})
der hier einen Zusammenhang konstruiert, der zunächst
einmal empirisch nachgewiesen werden müsste.
Herr Fuchs, ich will noch einmal auf zwei Punkte eingehen, die Sie hier genannt haben. Das Verbandsklagerecht ist ein schwieriges Thema, bei dem ich nichts von
populistischen Aktivitäten halte. Mir ist sehr wohl bekannt, dass die Planungsprozesse sehr lange bzw. zu
lange dauern und dass wir hart daran arbeiten müssen,
sie zu verkürzen; auch das ist kein Thema. Ich komme
aus Südhessen und weiß, was im Zusammenhang mit der
neuen Halle am Frankfurter Flughafen geschehen ist.
Dabei kann einem wirklich angst und bange werden.
Aber das Verbandsklagerecht kann nach meiner Auffassung nicht so pauschal beurteilt werden, wie Sie es
hier getan haben.
({2})
Das Verbandsklagerecht dient auch zum Schutz von Belangen der Allgemeinheit; das ist unumstritten. Es greift
auch in solchen Fällen, in denen nicht mit der Klage eines individuell Betroffenen zu rechnen ist. Das Verbandsklagerecht dient in vielen Fällen auch dazu, eine
Bündelung von Klagen zu Massenverfahren zu erleichtern. Damit trägt es zur Entbürokratisierung und zur Entlastung der Gerichte bei. Es ist also nicht unbedingt ein
Fortschritt - wir würden ihn allerdings begrüßen -, das
Verbandsklagerecht abzuschaffen oder zumindest einzuschränken. Vielmehr muss man es meiner Auffassung
nach im konkreten Fall sehr differenziert bewerten.
Lassen Sie mich noch einen zweiten Punkt ansprechen, den Sie erwähnt haben: das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz. - Mein Gott, was für ein
Wort! ({3})
Sie fordern in Ihrem Antrag die Verlängerung der Geltungsdauer dieses Gesetzes, das aus dem Jahre 1991
stammt. Diesen Antrag haben Sie schon im Herbst letzten Jahres gestellt. Er wurde von uns abgelehnt, weil sein
Inhalt schon damals überholt war.
Am 25. November dieses Jahres - das haben Sie
selbst angesprochen - haben wir die Geltungsdauer dieses Gesetz um ein Jahr verlängert. Wir haben sie aber
nicht deshalb nur um ein Jahr verlängert, weil wir nicht
mutig genug gewesen wären, sie sofort um mehrere
Jahre zu verlängern, sondern deshalb, weil zurzeit an
Eckpunkten gearbeitet wird, durch die das gesamte Planfeststellungsverfahren beschleunigt werden soll. Parallel dazu gibt es Abstimmungsprozesse mit den Ländern,
vor allem mit den Verkehrsministern der Länder, die sich
im Oktober dieses Jahres getroffen haben. Diese Eckpunkte sollen meines Wissens im Frühjahr nächsten Jahres in konkreten Regelungen zur Beschleunigung des
Planfeststellungsverfahrens münden.
({4})
Da Ihre Redezeit, wie Ihnen möglicherweise entgangen ist, inzwischen überschritten ist, kann ich nicht zur
Verlängerung derselben Zusatzfragen zulassen.
({0})
Darf ich wenigstens einen Abschiedssatz sagen?
Mit Vergnügen.
({0})
Meine Damen, meine Herren, ich möchte kurz und in
wenigen Sätzen eine persönliche Erfahrung schildern.
Sie hatten von einem Abschlusssatz gesprochen, den
Sie jetzt zu multiplizieren androhen.
({0})
Ich mache aus meinem Abschlusssatz ein oder zwei
Nebensätze, wenn Sie erlauben. - Ich persönlich bin der
Auffassung, dass wir die beschlossenen Gesetze umsetzen sollten; denn wenn ich zum Beispiel mit Unternehmern spreche, fällt mir immer wieder auf: Sie beklagen
sich darüber, dass es zu viel Bürokratie gibt, dass ihnen
die beschlossenen Gesetze kaum bekannt sind und dass
sie nicht umgesetzt werden. Daher meine ich: Es gibt
keinen Mangel an Beschlussfassung, sondern einen konkreten Mangel an der operativen Umsetzung unserer
Maßnahmen. Hier sollten wir den entscheidenden
Schwerpunkt setzen.
Vielen Dank.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Dirk Niebel für die
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich bin froh, dass ich meinen Flieger umgebucht
habe; denn dieses Thema ist wichtig. Gestern haben wir
die aktuellen Arbeitslosenzahlen erfahren. Die Zahl der
Arbeitslosen steigt weiterhin. Wir haben die Ausführungen des Verwaltungsratsvorsitzenden der Bundesagentur
für Arbeit gehört und die hektische Reaktion der Herren
Müntefering und Clement vernommen. Die Tatsache,
dass die Bundesagentur für Arbeit mit den Aufgaben, die
Rot-Grün ihr zugewiesen hat, schlichtweg überfordert
ist, zeigt, dass hier in ein Wespennest gestochen worden
ist.
Manchmal frage ich mich, wie die Diskussion über
die Arbeitsmarktpolitik in diesem Land eigentlich verläuft. Da wird von Hartz I bis Hartz IV und von der
Agenda 2010 geredet und so getan, als würde dadurch
das Problem der Massenarbeitslosigkeit bewältigt.
({0})
Das ist mitnichten der Fall. Im besten Falle - allerdings
wirklich nur im allerbesten Fall - werden dadurch Arbeitsplätze in der Bundesagentur für Arbeit geschaffen.
Um das Problem der Massenarbeitslosigkeit zu bewältigen, müssen wir die Rahmenbedingungen verändern. Nur dann können Arbeitsplätze erhalten bzw. geschaffen werden. Hier hat sich Rot-Grün eine
Reformpause verordnet. Das ist mit Sicherheit der falsche Weg, um Menschen wieder in Beschäftigung zu
bringen.
({1})
Aber weil Sie sich diese Reformpause nun einmal verordnet haben, müssen wir versuchen, wenigstens die
gröbsten bürokratischen Fehler rückgängig zu machen,
die Sie begangen haben.
Daher hat die FDP-Fraktion drei Anträge in den Bundestag eingebracht, die wir in der heutigen Debatte beraten. Im ersten geht es um die Aufhebung des Verbotes
wiederholter Befristungen. Wissen Sie eigentlich, was
Sie mit diesem Gesetz gemacht haben? Das bedeutet in
der Konsequenz: Wenn ein Studierender in Heidelberg
als Hilfskraft in der Unibibliothek arbeitet, dann wird er
zeitlebens beim Land Baden-Württemberg - das ist nämlich der Arbeitgeber - nicht mehr sachgrundlos befristet
beschäftigt werden können, weil er ein Recht hat, sich
auf eine Dauerstelle einzuklagen. Ich erkenne an, dass
Sie Kettenbefristungen verhindern wollen. Aber dann
folgen Sie unserem Vorschlag, ein Verbot wiederholter
Beschäftigung vor Ablauf von drei Monaten einzuführen. Nach drei Monaten muss man die Möglichkeit haben, wieder hereinzukommen. Das schafft Arbeitsmöglichkeiten, übrigens auch für Ältere, die irgendwann in
grauer Vorzeit bei demselben Betrieb auch nur einen einzigen Tag befristet beschäftigt waren.
({2})
Ein zweiter Punkt, der eigentlich jedem eingängig
sein müsste: Sorgen Sie dafür, dass bei Abwicklungsverträgen bei der Bundesagentur für Arbeit keine Sperrzeiten verhängt werden. Sie haben das Arbeitsrecht so
bürokratisch gestaltet, dass Abwicklungsverträge bei betriebsbedingten Kündigungen die einzige Möglichkeit
sind, sich ohne einen Prozess vor dem Arbeitsgericht
gütlich zu einigen, wie man sich voneinander trennt.
Wenn jetzt durch die Bundesagentur für Arbeit Sperrzeiten verhängt werden, wie das der Fall ist, bedeutet das
doch, dass man bei einer betriebsbedingten Kündigung,
die nicht von vornherein als unwirksam erkannt wird,
zum Arbeitsgericht geht und dort einen Vergleich
schließt - dann gibt es keine Sperrzeit. Das Ergebnis ist
das gleiche wie beim Abwicklungsvertrag, bloß mit viel
mehr Bürokratie, mit viel mehr Folgekosten für die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber: Die Kosten der Prozesse vor dem Arbeitsgericht werden hälftig aufgeteilt.
Und wir haben dadurch viel mehr Rechtsunsicherheit,
weil man als Arbeitgeber bis zu dem Moment, wo ein
Vergleich oder ein Urteil vorliegt, nie weiß, ob man den
Arbeitnehmer weiterhin beschäftigen und ihm rückwirkend das Gehalt zahlen muss.
Das sind alles Kleinigkeiten, obwohl es viel richtiger
wäre - damit komme ich zu unserem dritten und letzten
Antrag -, das Kündigungsschutzgesetz insgesamt zu
verändern. Denn es ist tatsächlich so, Kollege
Hoffmann, dass das besondere Kündigungsschutzgesetz
ein Einstellungshemmnis ist. Wenn wir den Schwellenwert für seine Geltung bei 50 Arbeitnehmern setzen, wie
wir es vorschlagen, dann beseitigen wir diese Einstellungsbarriere. Sie können sich das nicht nur in Ländern
wie Neuseeland oder Australien oder Holland anschauen, sondern auch in dem viel geliebten Dänemark,
bei dessen Sozialpolitik das Herz eines jeden Sozialdemokraten höher schlägt: Hier gibt es fast keinen Kündigungsschutz, viel weniger, als wir vorschlagen.
({3})
Herr Kollege!
Ich komme zum letzten Satz, Herr Präsident. - In diesen Ländern gibt es auch mehr Entlassungen, aber es
gibt bei kleinsten wirtschaftlichen Verbesserungen auch
mehr Einstellungen, also mehr Chancen, sich selbst den
Lebensunterhalt zu finanzieren. Wir haben unter Ihrer
Regierung wenn überhaupt nur kleinste Chancen für das
Wachstum der Wirtschaft, sodass wir jedes Potenzial
ausnutzen müssen. Springen Sie über Ihren eigenen
Schatten und unterstützen Sie wenigstens, wenn Sie
schon nicht weiterreformieren wollen, diese kleinen, wesentlichen, notwendigen Änderungen!
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile der Kollegin Thea Dückert, Bündnis 90/
Die Grünen, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
gerade von Herrn Niebel gehört, dass wir eine „Reformpause“ machten. Herr Niebel, ich glaube, Sie sind der
Einzige hier im Saal und auch im Lande, der so etwas
diagnostizieren würde.
({0})
Ich erinnere nur an Ihre Kollegen, die sich allwöchentlich darüber beklagen, dass wir zu viele Gesetzentwürfe
einbringen, dass wir Gesetzentwürfe zu schnell einbringen; das ist doch Ihr Problem.
({1})
Nein, meine Damen und Herren, das wirkliche Problem
ist doch, dass es bei der Opposition Tabula rasa gibt,
wenn es um neue Vorschläge geht. Das lässt sich wunderbar an dem Antrag zeigen, der heute vorliegt und zu
dem Herr Fuchs von der CDU uns eben vorgetragen hat.
Darin sind lauter Ladenhüter, das ist eine Sammlung alter Vorschläge. Ich habe mit Interesse nach etwas Neuem
gesucht, ich habe sogar etwas gefunden: Sie schreiben,
dass es nunmehr um die „materielle Entbürokratisierung“ geht. Ich habe mir überlegt, was das sein soll. Ich
habe in dem Antrag gesucht: Sie schlagen unter anderem
vor, die Ausbildungsplatzabgabe abzuschaffen.
({2})
Herr Fuchs, ich weiß nicht, ob Ihnen entgangen ist, dass
eine Ausbildungsplatzabgabe nicht existiert.
({3})
Wir haben einen Ausbildungspakt abgeschlossen - mit
der Drohung einer Ausbildungsplatzumlage; das ist etwas ganz anderes.
({4})
Wir haben der Wirtschaft Beine gemacht und sie dazu
gebracht, mit uns den Ausbildungspakt abzuschließen,
für den heute eine erste Zwischenbilanz vorgestellt
wurde.
({5})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Fuchs?
Bitte sehr.
Frau Kollegin, ist Ihnen entgangen, dass das Gesetz
zur Ausbildungsförderung, welches eine Ausbildungsplatzabgabe vorsieht, nur ruht und dass es in diesem Hohen Haus von heute auf morgen mit Kanzlermehrheit beschlossen werden kann, sodass es immer noch als
Damoklesschwert über der Wirtschaft hängt?
({0})
Das ist Ihnen wahrscheinlich entgangen. Ist Ihnen nicht
bekannt, dass sich das Gesetz noch im parlamentarischen Verfahren befindet?
Lieber Herr Kollege Fuchs, es mag sein, dass Ihnen
entgangen ist, dass Sie permanent über eine Ausbildungsplatzabgabe - ein Instrument, das wir niemals entwickelt haben - schwadroniert und uns etwas unterstellt
haben. Sie haben Recht, dass wir über eine Ausbildungsplatzumlage diskutiert und sie entwickelt haben. Dabei
hatten wir das zentrale Ziel, die Ausbildungssituation
der Jugendlichen in diesem Lande zu verbessern, weil
sie unhaltbar ist.
({0})
Wir haben jetzt einen Ausbildungspakt und keine
Ausbildungsplatzabgabe. Heute wurde die Zwischenbilanz dieses Ausbildungspaktes vorgestellt. Wir können
feststellen, dass er gewirkt hat. Zum Beispiel bilden jetzt
25 000 Betriebe mehr aus. Ich bedauere es allerdings
sehr, dass immer noch 17 500 Jugendliche eine Ausbildungsstelle suchen. Das ist schlecht. Daneben gibt es
noch einige in der Warteschleife. Auch das ist schlecht.
Bezogen auf Ihre Frage muss ich aber feststellen, dass
der Ausbildungspakt Bewegung gebracht hat. Das ist
auch ein Erfolg der Debatte, die wir über die Ausbildungsplatzumlage geführt haben. Insgesamt befinden
wir uns zwar auf einem guten Weg, für die Jugendlichen
ist die Situation im Moment aber noch nicht gut genug.
({1})
Ich will damit sagen, dass Sie etwas streichen wollen,
was nicht existiert, nämlich eine Ausbildungsplatzabgabe als materielle Entbürokratisierung. Ich glaube, das
beweist den immateriellen Gehalt Ihres Antrages. Man
könnte ihn als eine Art Nichts oder wehendes Vakuum
bezeichnen.
Sie schlagen in Ihrem Antrag materielle Entbürokratisierungen vor. In einem ersten Punkt sprachen Sie eben
darüber, dass das Verbandsklagerecht abgeschafft werden muss. Ich möchte nicht pingelig sein, Sie aber doch
darauf hinweisen, dass es unter anderem im EU-Recht
explizite Vorgaben gibt und dass sich die Bundesrepublik Deutschland beispielsweise im Rahmen der AarhusKonvention verpflichtet hat, Verbandsklagerechte einzuräumen.
Um den zweiten Punkt geht es mir hier viel eher.
Beim Verbandsklagerecht für Verbraucherschutzverbände geht es zum Beispiel um den unlauteren Wettbewerb. Einzelne sind nicht stark genug, sich wehren zu
können. Verbände können sich gegen die schwarzen
Schafe in diesem Bereich zur Wehr setzen. Herr Fuchs,
ich sage Ihnen: Das ist symptomatisch. Egal ob es sich
ums Arbeitsrecht oder andere Rechte handelt, bei Ihren
Anträgen geht es immer darum, Schutzrechte abzubauen.
({2})
Das hat mit Entbürokratisierung überhaupt nichts zu tun.
Das sind Schutzrechte für die Menschen und ist geltendes Recht. Ich bin froh, dass wir die Verbraucherinnen
und Verbraucher im Hinblick auf den Verbraucherschutz
gegenüber dem Gesamtmarkt endlich stärken können.
Darum geht es in diesem Fall.
({3})
Ihr Antrag ist sozusagen ein Warenhaus älterer Vorschläge. Sie schlagen vor, mit der Heraufsetzung von
Schwellenwerten zu entbürokratisieren. Ich will nur ein
Beispiel nennen. Wenn man genau hinschaut, erkennt
man, dass auch das wieder den Abbau von Schutzrechten bedeuten würde. Nach Ihren Vorschlägen sollen für
jugendliche Azubis zum Beispiel bei Betriebsratswahlen
keine Schwellenwerte mehr berücksichtigt werden.
Meine Damen und Herren, das würde schlichtweg den
Abbau von Schutzrechten für Jugendliche bedeuten.
({4})
Sie sind Mitarbeiter in diesen Betrieben und haben als
solche das gute Recht, ihre Jugendvertreter zu wählen
und im Betriebsrat aktiv zu sein. Das sind also Vorschläge von gestern.
({5})
Wir wollen, dass die jungen Menschen in den Betrieben
in den demokratischen Mitgestaltungsprozess eingebunden werden; denn es geht um ihre Rechte. Das ist ein
wichtiger Punkt.
Sie wollen beim Teilzeitgesetz die Schwellenwerte
heraufsetzen und werden auf Ihrem Parteitag in der kommenden Woche verkünden, dass Sie die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf unterstützen. Damit wird deutlich, dass Sie hier eine Verdummung der Bevölkerung
betreiben. Teilzeitarbeit für Frauen zur Vereinbarung
von Familie und Beruf ist ein ganz wichtiger Baustein in
Deutschland.
({6})
Wir liegen im europäischen Vergleich noch nicht weit
genug vorne. Heute können 88 Prozent der Betriebe
nach diesem Gesetz keine Teilzeitarbeit anbieten und Sie
wollen diese Schwellenwerte auch noch heraufsetzen.
Nein, ich sage Ihnen: Der Abbau von Wahlmöglichkeiten und Rechten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist mit uns nicht zu machen.
({7})
Wie ich sehe, Herr Präsident, muss ich zum Schluss
kommen. Das will ich dieses Mal freiwillig tun, wenngleich es noch viel zu sagen gäbe. Ich möchte Ihnen nur
mit auf den Weg geben - das ist mein Rat für Ihren Parteitag -: Führen Sie mit Ihren Kolleginnen und Kollegen
in der Union einmal eine ehrliche Debatte über dieses
Thema.
({8})
Ich bin froh, dass es bei Ihnen eine ganze Reihe Kollegen gibt, die diese Politik des Abbaus von Arbeitnehmerrechten nicht mitmachen. Aber sie finden leider kein
Gehör, sondern dürfen nur hin und wieder eine Pressemitteilung herausgeben. Dabei bleibt es. Leute wie
Seehofer müssen in der CSU sogar gehen. Das ist
schade.
({9})
Führen Sie innerhalb der Union eine Debatte und
kommen Sie nicht wieder mit solch merkwürdigen Anträgen, wie sie hier vorliegen.
Danke.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Stephan Mayer,
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Seit November 2002
versucht Bundeswirtschaftsminister Clement verzweifelt, den groß angekündigten Masterplan Bürokratieabbau mit Inhalt zu füllen. Die Bilanz ist leider Gottes
mehr als dürftig. Ihr Masterplan Bürokratieabbau hat
sich vielmehr als Desasterplan herausgestellt.
({0})
So schreibt der „Focus“
({1})
in seiner letzten Ausgabe beispielsweise - ich zitiere -:
Doch der Entfesselungskünstler verhedderte sich,
Clements Bilanz bis heute ist mager …
In den drei ausgewählten Testregionen haben Sie zunächst einmal über 1 000 Deregulierungsvorschläge gesammelt - das ist eine beachtliche Zahl -, aber von den
1 000 Vorschlägen haben Sie nur ganze 29 Vorhaben für
wert befunden, im Bundeskabinett beraten und umgesetzt zu werden. Das Schizophrene ist überdies, dass die
drei Regionen, denen Sie zunächst das Label Innovationsregion verpasst haben, bis heute zwar testen wollten, aber nicht testen durften. Sie haben diese Regionen
mit großem Tamtam als bürokratiefreie Regionen angepriesen, aber letztendlich ist die Bilanz mehr als bedauerlich.
({2})
Wenn man nun einen Blick auf die Website des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit wirft, stellt
man fest, dass Sie dort vollmundig den Start einer zweiten Runde mit Testregionen verkünden. Glauben Sie
denn wirklich, dass sich in Deutschland noch eine Region freiwillig zur Testregion küren lassen will, nachdem Sie mit den bisherigen Testregionen so stiefmütterlich und dilettantisch umgegangen sind? Dies ist ein
beredtes Beispiel dafür, wie Rot-Grün das Vertrauen von
Bürgern, Kommunen und eben auch Regionen fahrlässig
verspielt.
({3})
Ihre Ankündigung, neuerlich Testregionen auszuwählen,
dürfte von den meisten Regionen in Deutschland eher als
Bedrohung denn als Motivation empfunden werden.
Frau Dückert, sehr verräterisch war die Aussage in Ihrer Rede: Wir haben es geschafft, der Wirtschaft mit der
Ausbildungszwangsabgabe Beine zu machen.
({4})
Dies hat in verräterischer Art und Weise signifikant gezeigt, wie Sie dazu stehen und wie Ihre Herangehensweise beim Bürokratieabbau ist.
({5})
Man müsse nur mit Zwang, Dirigismus und Sanktionen
reagieren, damit die Wirtschaft so agiere, wie man wolle.
({6})
Die Herangehensweise von der Union ist eine vollkommen andere. Wir setzen auf Eigeninitiative.
({7})
Wir setzen auf die Initialzündung, die dadurch entsteht,
dass man der Wirtschaft mehr Spielräume lässt, statt wie
Sie auf Kontrolle und Dirigismus zu setzen.
Wir haben einen ersten Antrag mit dem Titel „Freiheit
wagen - Bürokratie abbauen“ eingebracht. Damit haben
wir Ihnen einen methodischen Werkzeugkasten in die
Hand gegeben, wie man den Bürokratieabbau langfristig
erfolgreich umsetzen kann. Dieser erste Antrag wird
jetzt durch einen zweiten unterstützt, in dem wir einige
ganz konkrete Vorschläge machen. Sie wären gut beraten, diese aufzugreifen.
Erster Vorschlag. Verstecken Sie diese Ausbildungszwangsabgabe nicht nur einfach in der Schublade, in der
sie momentan liegt, sondern werfen Sie sie in den Papiereimer.
({8})
Ich möchte noch einmal in aller Deutlichkeit darauf hinweisen: Die Ausbildungszwangsabgabe ist nicht vom
Tisch. Sie hängt nach wie vor als Damoklesschwert über
der Wirtschaft und kann jederzeit, wenn die Wirtschaft
nicht so pariert, wie Sie das wollen - Stichwort: der
Wirtschaft Beine machen -, wieder herausgeholt werden.
Zweiter Vorschlag. Vergessen Sie die geplante Einrichtung des Bürokratiemonsters Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, die allein 6 000 Mitarbeiter umfassen
würde.
Nun ganz konkret zu einigen unserer Vorschläge: Die
betrieblichen Doppelprüfungen, die in vielen Unternehmen stattfinden, sind ein Wahnsinn. Ich möchte Ihnen dazu ein konkretes Beispiel aus meinem Wahlkreis
bringen. Ein Bäckermeister ist innerhalb kurzer Zeit von
mehreren Behörden besucht worden. Die erste Behörde
hat ihn gelobt, weil er seine Backstube mit großen, glatten Fliesen ausgelegt hat.
Stephan Mayer ({9})
({10})
Kurze Zeit später kam ein Vertreter einer zweiten Behörde und hat genau dies mit dem Hinweis kritisiert,
beim nächsten Mal müsste er kleinere, gerillte Fliesen
anbringen, um die Rutschgefahr zu beseitigen.
({11})
Die unterschiedlichen Behörden stellen beispielsweise auch verschiedene Anforderungen an das Anbringen von Feuerlöschern. Das ist ein Wahnsinn und wird
vor allem vom Mittelstand als absolut überflüssig erachtet.
({12})
Beispiel Statistikwesen. Wir fordern: Wer die Statistik
in Auftrag gibt, soll auch dafür bezahlen.
Das Bundesverkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz - nächstes Beispiel - hat sich in den neuen
Bundesländern bewährt, war erfolgreich und sollte deshalb nicht nur über das eine jetzt beschlossene Jahr hinaus verlängert werden, sondern auch in ganz Deutschland gelten. Ein weiteres konkretes Beispiel dazu aus
meinem Wahlkreis betrifft die A94, Herr Hoffmann. Sie
ist eine wichtige Verkehrsader für die südostoberbayerische Region und wird seit sage und schreibe 1970 geplant, also seit 34 Jahren. Das verstehen die Bürger vor
Ort nicht.
({13})
Wir brauchen schneller wirkende Instrumentarien, wir
brauchen gesetzgeberische Maßnahmen, um die Verfahrensdauer von Großinvestitionsmaßnahmen entsprechend zu verkürzen.
Beispiel Verbandsklagerecht: Herr Hoffmann, ich
gebe Ihnen nicht Recht, wenn Sie sagen, das Verbandsklagerecht sei erforderlich, um den Interessen der Öffentlichkeit bei Großinvestitionsmaßnahmen zur Geltung zu
verhelfen. Dem Interesse der Öffentlichkeit wird dadurch
Rechnung getragen, dass bei Großinvestitionsmaßnahmen zahlreiche Träger öffentlicher Belange - viele sagen
sogar: zu viele - beteiligt werden. Aber was ist das Verbandsklagerecht in der heutigen Form tatsächlich?
({14})
Es dient der Vertretung von Partikularinteressen. Glauben Sie, dass der NABU letztendlich die Interessen der
Öffentlichkeit vertritt? Er vertritt reine Partikularinteressen.
Herr Kollege, Sie schauen gelegentlich auch einmal
auf die Uhr?
- Ich schaue selbstverständlich auf die Zeit, Herr Präsident, und komme zum Ende.
Es wäre wichtig, die Verbandsklagerechte neu zu
evaluieren, keine neuen Verbandsklagerechte mehr zu
benennen und die alten abzuschaffen.
Mit diesem Antrag haben wir Ihnen konkrete Hilfestellungen an die Hand gegeben. Sie sind gut beraten,
wenn Sie sie übernehmen und endlich mit der Flickschusterei aufhören, die Sie mit dem so genannten Masterplan Bürokratieabbau begonnen haben.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes hat die
Kollegin Anette Kramme für die SPD-Fraktion das
Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich habe einen kleinen sechsjährigen Freund.
Er ist ein großer Fan von Benjamin Blümchen. Immer
wenn sich der Kleine langweilt, stößt er ein kräftiges
„Törö!“ aus. Ich bin mir sicher, dass er genau das Gleiche machen würde, wenn er jetzt hier wäre. Meine Damen und Herren der Opposition, Sie langweilen dieses
Haus in schrecklicher Weise.
({0})
Alle Tage wieder prasseln Ihre Anträge auf den Bundestag nieder.
({1})
Ihre Anträge sind aber nicht lustig wie mein kleiner
Freund. Es ist vielmehr so, dass selbst der Schneemann
Frostbeulen ob der Kälte Ihrer Forderungen bekommen
würde. Sie sind mittlerweile in Ihrer Politik nur noch
hart, zynisch und ohne menschliches Antlitz.
({2})
Sie haben sich gemeinschaftlich darauf geeinigt, dass
der Kündigungsschutz geändert werden darf. Natürlich
gibt es Differenzierungen. Die Union fordert, dass der
Kündigungsschutz ab 20 Arbeitnehmer gelten soll. Die
FDP muss natürlich ihrem guten Ruf gerecht werden und
sagt: 20, das reicht nicht aus, wir müssen auf 50 hochgehen.
({3})
Meine Damen und Herren, sind Sie sich darüber im Klaren, wie viele Arbeitnehmer Sie damit vom Schutz ausnehmen? Bei der CDU/CSU ist es so: 90 Prozent der
Betriebe unterliegen dem Kündigungsschutz nicht mehr;
28 Prozent der Arbeitnehmer wären nicht mehr geschützt. Herr Niebel von der FDP, jetzt hören Sie genau
zu: Bei Ihrem Vorschlag würden 94 Prozent der Betriebe
und 42 Prozent der Arbeitnehmer herausfallen.
({4})
Ihr Vorgehen ist schlichtweg rechtsbrecherisch. Sie handeln rechtswidrig.
({5})
Betrachten Sie an dieser Stelle einmal die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Kleinbetriebsklausel. Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass nur dann von einem einheitlichen Gesetz
abgewichen werden kann, wenn ein besonderer Grund
hierfür vorliegt. Bei der Kleinbetriebsklausel ist der Hintergrund ganz einfach: Es sind die persönlichen Kontakte zwischen dem Betriebsinhaber einerseits und den
Arbeitnehmern andererseits, die es gestatten, hiervon abzuweichen.
Aber Ihre Forderungen, meine Damen und Herren
von der Opposition, sind nicht nur rechtswidrig, sie sind
schlichtweg wirtschaftlich unsinnig. Es gibt keinen Zusammenhang zwischen dem Kündigungsschutzgesetz und der Arbeitslosigkeit als solcher.
({6})
Ich will an dieser Stelle vier Studien zitieren. Zunächst die Studie von Zachert und Schramm von der
Universität Hamburg aus dem Jahre 2004:
Vier Fünftel der 22 Personalverantwortlichen gaben
an, dass das Kündigungsschutzgesetz für ihren
Betrieb kein Einstellungshindernis darstelle, eine
unmaßgebliche Rolle spiele oder sogar völlig irrelevant sei.
Friedrich und Hägele in einer Auftragsarbeit, die Sie
zu Ihren Regierungszeiten über das damalige Kündigungsschutzgesetz veranlasst haben:
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die erhofften Beschäftigungswirkungen noch nicht eingetreten sind,
sondern sogar Beschäftigung abgebaut wurde.... Allerdings warnen die Befragungsergebnisse vor
übertriebener Hoffnung bezüglich der Beschäftigungswirksamkeit.
OECD-Beschäftigungsausblick von 1999:
Was die Effekte des Beschäftigungsschutzes auf die
Arbeitsmarktergebnisse betrifft, so stehen die Ergebnisse dieser Analyse in qualitativer Hinsicht
vielfach im Einklang mit den Ergebnissen früherer
Untersuchungen. Sie erhärten in der Tat die
Schlussfolgerung, dass die Rigidität der Beschäftigungsschutzbedingungen praktisch nur einen geringen bzw. gar keinen Effekt auf das globale
Niveau der Arbeitslosigkeit hat.
({7})
Mein Kollege hat bereits den IAB-Kurzbericht zitiert;
deshalb will ich an dieser Stelle darauf verzichten.
({8})
Meine Damen und Herren von der Opposition, für Sie
sind Arbeitnehmer Handelsware, nichts anderes.
({9})
Sie behandeln sie wie ein Handy oder ein Auto, das gekauft wird. Und dann wundern Sie sich, dass diese Behandlung auch volkswirtschaftliche Auswirkungen hat.
({10})
Wie soll ein solcher Arbeitnehmer, der immer unter der
Fuchtel des Arbeitgebers und der Fuchtel der willkürlichen Kündigung steht, eine Identifikation mit seinem
Unternehmen entwickeln?
({11})
Auch noch etwas anderes ist wichtig: Wie soll er Kaufbereitschaft entwickeln, wie soll er einen Kredit für ein
Auto aufnehmen, wenn er nicht weiß, was morgen mit
seinem Arbeitsplatz sein wird?
({12})
Meine Damen und Herren von der FDP, Ihre einzigartig dynamische Partei muss natürlich weitere Vorschläge
zum Kündigungsschutz machen.
({13})
Der Kündigungsschutz soll demzufolge nur dann gelten,
wenn ein Arbeitnehmer mehr als vier Jahre in einem Betrieb beschäftigt ist.
({14})
Der Arbeitnehmer soll bei der Einstellung eine Option
zwischen Kündigungsschutz und materiellem Nachteilsausgleich haben.
Meine Damen und Herren von der Dagobert-DuckPartei, insbesondere der Kollege Niebel schreibt sich
seine vermeintliche Redekunst auf die Fahnen.
({15})
Zu einer guten Rede gehört deren Verständlichkeit. Ich
schlage daher vor, dass Sie Ihre Anträge künftig einfacher formulieren, und gestatte mir, an dieser Stelle eine
Formulierungshilfe zu reichen.
({16})
Mit der Formulierungshilfe müssen Sie sich jetzt aber
sehr beeilen.
Die Bundesregierung wird aufgefordert, das gesamte
Arbeitsrecht abzuschaffen - das fasst Ihre Politik als
FDP zusammen.
Meine Damen und Herren der Opposition, ich hoffe,
dass Sie Ihre Anträge jedem Betrieb dieses Landes und
jedem Arbeitnehmer und jeder Arbeitnehmerin aushändigen.
({0})
Ich bin mir sicher, dass das eintreten wird, was in der
„Berliner Zeitung“ gestanden hat. Die Kunst, sich um
Kopf und Kragen zu reden,
({1})
versteht in der Bundesrepublik Deutschland, abgesehen
von Guido Westerwelle, derzeit niemand so gut wie
Angela Merkel.
Vielen Dank.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/4156, 15/3724 und 15/4407 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/2804 zur
Lockerung des Verbots wiederholter Befristungen. Der
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3990, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der
Stimme? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
mehrheitlich abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Neuregelung der präventiven Telekommunikations- und Postüberwachung durch das
Zollkriminalamt ({0})
- Drucksachen 15/3931, 15/4237 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2})
- Drucksache 15/4416 Berichterstattung:
Abgordnete Joachim Stünker
Siegfried Kauder ({3})
Rainer Funke
Hierzu liegen ein Änderungsantrag der Abgeordneten
Gesine Lötzsch und Petra Pau sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll diese
Debatte 30 Minuten dauern. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Bekämpfung der Weiterverbreitung insbesondere von Massenvernichtungswaffen ist eine nach
wie vor wichtige Aufgabe, zu der sich Deutschland auch
auf internationaler Ebene verpflichtet hat. Unsere
Aufgabe ist es, die zuständigen Behörden mit den
notwendigen Instrumenten auszustatten, damit sie den
eingegangenen internationalen Verpflichtungen nachkommen können.
Dabei reicht es nicht aus, begangene Straftaten in diesem Bereich mit den Mitteln der Strafprozessordnung zu
verfolgen und Straftäter gerichtlich zur Verantwortung
zu ziehen; denn in solchen Fällen haben die Waffen in
den meisten Fällen Deutschland bereits verlassen und
der außenpolitische Schaden ist eingetreten. Deshalb
müssen wir durch geeignete Maßnahmen dafür sorgen,
dass solche unerlaubten Ausfuhren bereits im Vorfeld
verhindert werden können. Zu den notwendigen Maßnahmen zählt auch die 1992 geschaffene Möglichkeit
der präventiven Telekommunikations- und Postüberwachung, die durch das Zollkriminalamt bisher restriktiv
und mit größter Sorgfalt gehandhabt wurde.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht die bisherigen Regelungen im Außenwirtschaftsgesetz insbesondere wegen mangelnder Normenklarheit und -bestimmtheit im März dieses Jahres für verfassungswidrig
erklärte, wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eine
neue und vor allem verfassungsgemäße Grundlage hergestellt. Hierzu sieht der Gesetzentwurf nach der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses eine Reihe
von Regelungen vor, die ich mit Blick auf die Zeitknappheit und die nachfolgenden Tagesordnungspunkte jetzt
nicht einzeln aufführen will.
({0})
Einen Punkt will ich allerdings ansprechen. Unter
anderem werden die Datenerhebungs- und -übermittlungsregelungen konkretisiert. Dazu gehören auch
Protokollierungs-, Kennzeichnungs- und Löschungspflichten, die bei Übermittlungen durch den Datenempfänger zu beachten sind. Diese Verfahrensvorschriften
binden auch Landesbehörden. Deswegen halten wir
- wie vom Bundesrat gefordert - das Gesetz für zustimmungsbedürftig.
Mit einigen der Einzelregelungen sind wir der Forderung des Bundesverfassungsgerichts nachgekommen,
die von ihm aufgestellten Grundsätze aus seinen Urteilen
zum G-10-Gesetz sowie zur akustischen Wohnraumüberwachung zu beachten. Offen geblieben ist dabei, in
welchem Umfang diese Grundsätze auf die Neuregelung
der präventiven Überwachungsmaßnahmen durch das
Zollkriminalamt zu übertragen sind. Soweit die FDP insofern in einem Entschließungsantrag den Vorwurf erhebt, der Entwurf missachte insbesondere die Vorgaben
zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung
und sei damit verfassungswidrig, sind die Bundesregierung, die Koalitionsfraktionen und die CDU/CSU-Fraktion der Auffassung, dass dieser Vorwurf nicht haltbar
ist.
Wir verkennen nicht, dass bei der Umsetzung des
Urteils zur akustischen Wohnraumüberwachung eine
ausführliche parlamentarische Diskussion gerade auch
zu diesem Punkte stattfinden muss. Der Gesetzentwurf
sieht daher im Hinblick auf die beabsichtigte Herstellung
vergleichbarer Regelungen sowohl für die präventive als
auch für die repressive Telekommunikationsüberwachung nur eine Geltungsdauer bis zum Ende des kommenden Jahres vor.
Aus der Sicht der Wirtschaft und insbesondere der
neuen Bundesländer ist es besonders wichtig, dass in den
vorliegenden Gesetzentwurf auch Änderungen der
Investitionszulagengesetze 2005 und 1999 aufgenommen worden sind. Wie Sie wissen, steht das
Investitionszulagengesetz 2005 unter dem Genehmigungsvorbehalt der EU-Kommission. Ohne diese Genehmigung kann das Investitionszulagengesetz 2005
nicht in Kraft treten.
Mit der Änderung der beiden Investitionszulagengesetze sind wir der erst wenigen Tage alten Forderung der
EU-Kommission nach einer nochmaligen Anpassung der
Investitionszulagengesetze an die Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten vom
1. Oktober 2004 noch in diesem Jahr nachgekommen.
Wir haben damit das hoffentlich letzte Hindernis für eine
baldige Genehmigung aus dem Weg geräumt. Investoren, die bereit sind, sich 2005 in den neuen Ländern zu
engagieren, müssen nämlich so schnell wie möglich
Rechts- und Planungssicherheit erhalten.
Ich bedanke mich und hoffe, einen Beitrag zur Beschleunigung des Sitzungsablaufs geleistet zu haben.
({1})
Herr Staatssekretär, ich bin hingerissen. Ich bestätige,
dass das so ist, und würde mir wünschen, dass es in Zukunft so bleibt.
({0})
Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen
Siegfried Kauder für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So schnell
wie der Herr Staatssekretär kann ich meine Rede nicht
herunterhaspeln; ich halte sie nämlich frei. Ich bin auch
der Meinung, dass das Thema viel zu ernst ist, um die
Rede einfach herunterzulesen.
({0})
Worüber reden wir eigentlich? Wir reden über das
Kriegswaffenkontrollgesetz und das Außenwirtschaftsgesetz. Die Diskussion zu dem Gesetzentwurf, über den
wir heute abstimmen werden, begann im Jahr 1989. Ein
deutsches Unternehmen hatte unter Umgehung eines
Embargos eine Giftgasfabrik nach Libyen geliefert. Das
Entsetzen darüber war groß. Dabei geht es um Straftaten,
die gut und gerne Freiheitsstrafen zwischen drei und fünf
Jahren nach sich ziehen können. So etwas können weder
ein deutscher Staat noch andere friedfertige Staaten zulassen.
Völker wollen und müssen in Frieden leben. Die Beziehungen zwischen den Völkern werden gestört, wenn
solchen Fällen nicht massiv Einhalt geboten wird. Aus
diesem Grund ist ein Gesetz erarbeitet und verabschiedet
worden, das dem Zoll die Möglichkeit bieten sollte,
nicht erst dann, wenn Verdachtsmomente aufgetreten
sind, sondern bereits in der Planungsphase Telefonüberwachungen - wie es damals noch hieß - und Postüberwachungen durchzuführen.
Das Gesetz wurde im Jahr 1992 erlassen. Heute reden
wir über die sechste Befristung dieses Gesetzes. Das
meine ich nicht als Vorwurf gegenüber den Verantwortlichen; es zeigt vielmehr das Ringen vor dem Hintergrund, dass mit der Post- und Telekommunikationsüberwachung Grundrechte Dritter und im Bereich der
Planungsphase auch solcher Bürger, die in strafrechtlich
relevanter Hinsicht möglicherweise nichts damit zu tun
haben, berührt werden. Insofern ist es kein Wunder, dass
das Gesetzgebungsverfahren in den Bereichen, in denen
es um Telefon- und Postüberwachung geht, von vielen
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts begleitet ist.
Nun steht zur Diskussion, dass das Bundesverfassungsgericht die § § 39 bis 41 des Außenwirtschaftsgesetzes für verfassungswidrig hält und dass am selben
Tag eine Entscheidung des Senats zum großen
Lauschangriff ergangen ist. Für Außenstehende ist es
überraschend, dass, obwohl derselbe Senat über die beiden Themen entschieden hat, in keiner der beiden Entscheidungen auf die jeweils andere Bezug genommen
wird.
({1})
Siegfried Kauder ({2})
Trotzdem müssen wir uns mit der Frage beschäftigen,
ob die Grundsätze, die im Zusammenhang mit dem großen Lauschangriff entwickelt worden sind, nicht auch
den Bereich des Außenwirtschaftsgesetzes betreffen.
Dabei handelt es sich um ein Dilemma, an dem wir noch
arbeiten müssen. Die § 39 bis 41 des Außenwirtschaftsgesetzes sind bis zum Jahresende befristet. In dieser kurzen Zeit können wir diskussionswürdige verfassungsrechtliche Themen kaum mehr in der notwendigen Ruhe
diskutieren.
Deswegen sind wir zu einem anderen Ergebnis gekommen: Man sollte die Argumentation am Wortlaut der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausrichten. Das Bundesverfassungsgericht hat die § 39 bis 41
des Außenwirtschaftsgesetzes nur unter dem Gesichtspunkt für verfassungswidrig erklärt, dass es an der Normenklarheit und Normenbestimmtheit fehle.
Es waren zu langgliedrige Verweisungsketten vom
AWG über das Kriegswaffenkontrollgesetz bis hin zu
Rechtsverordnungen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird meines Erachtens mit der notwendigen Klarheit versucht, diesen Mangel zu beseitigen. Deswegen ist
eine Verlängerung der gesetzlichen Ausführungsfrist gerechtfertigt, allerdings nicht um zwei oder drei Jahre,
sondern nur bis zum Ende des Jahres 2005.
Über die Frage, ob die Rechtsgrundsätze, die das
Bundesverfassungsgericht zum großen Lauschangriff
erarbeitet hat, überhaupt auf die Telekommunikationsund Postüberwachung anwendbar sind, sollte man mit
sehr großer Zurückhaltung diskutieren; denn es sind unterschiedliche Grundrechte berührt. Es geht zum einen
um Grundrechte betreffend den persönlichen Lebensbereich und zum anderen um das Post- und Fernmeldegeheimnis. Dort, wo es um den persönlichen Lebensbereich geht, ist der Grundrechtsschutz wesentlich weiter
ausgestaltet. Hier gibt es einen so genannten qualifizierten Gesetzesvorbehalt, während es bei der Telekommunikations- und Postüberwachung nur um einen einfachen
Gesetzesvorbehalt geht. Es ist also Vorsicht geboten,
wenn man das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
zum großen Lauschangriff eins zu eins auf die Regelungen betreffend die Telekommunikations- und Postüberwachung übertragen will.
Das Gesetz, das wir heute verabschieden, hat trotzdem in einem entscheidenden Bereich eine Schwäche.
Es lässt die Überwachung auch Drittbetroffener zu, die
nach der so genannten IMEI-Gerätenummer aussortiert werden. Jeder, der den Akku aus seinem Handy
nimmt, sieht auf der Rückseite des Gehäuses die aufgedruckte IMEI-Gerätenummer. Der Außenstehende
meint, dass diese Nummer genauso einmalig und sicher
wie die Fahrgestellnummer eines Fahrzeuges ist. Dem
ist aber nicht so. Die IMEI-Gerätenummer kann elektronisch verändert werden und wird vom Gerätehersteller
nicht nur für ein bestimmtes Gerät herausgegeben, weswegen es Fälle geben kann, in denen die gleiche Nummer mehrfach vergeben worden ist. Es ist also absolute
Vorsicht geboten.
Ich habe zu diesem Thema eine Entscheidung des
Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 1989 gefunden. Der
damalige Richter hat - es ging um einen Haftbefehl - erhebliche Bedenken gehabt und ausgeführt, die IMEI-Gerätenummer dürfe nur dann kontrolliert werden, wenn
ein besonders starker Verdacht bestehe. Schon damals
hat man also erkannt, dass dort, wo Dritte betroffen sind
und wo es um Vorfeldermittlungen geht, besonders sorgfältig gearbeitet werden muss. Deswegen wäre es uns am
liebsten gewesen, wenn die Möglichkeit der Telekommunikations- und Postüberwachung unter Bezugnahme
auf die IMEI-Gerätenummer ausgeschlossen worden
wäre. Man hat sich jetzt mit einer Krücke beholfen, indem festgelegt worden ist, dass mithilfe der IMEI-Gerätenummer nur dann kontrolliert werden darf, wenn diese
Nummer einem bestimmten Betreiber zuordenbar ist.
Ich habe das technisch nachgeprüft und bin zu dem
Schluss gekommen, dass das nicht machbar ist. Deswegen sollten wir uns Gedanken darüber machen - wir haben noch ein Jahr Zeit -, ob wir diese Eingriffsmöglichkeit völlig streichen.
Uns liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten
Lötzsch und Pau vor, der von der Sache her durchaus
diskussionswürdig ist. Es gibt in den § 39 bis 41 AWG
eine Berichtspflicht. Da der Berichtszeitraum drei Jahre
beträgt, die Geltungsdauer des Gesetzes aber nur um ein
Jahr verlängert wird, wird diese Pflicht für die Bundesregierung gar nicht zum Tragen kommen. Dieses Problem
haben wir sehr wohl erkannt. Wir müssen das aber nicht
weiter vertiefen; denn wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, wollen das eine Jahr, das uns bleibt, nutzen, um
uns Gedanken über die Verfassungsmäßigkeit und die
Praktikabilität des Gesetzes zu machen und in der ersten
Hälfte des nächsten Jahres eine Sachverständigenanhörung zu beantragen, von der wir uns die notwendigen Informationen erhoffen.
Eines sollte man nicht vergessen: Wie groß ist denn
der Anwendungsbereich der Überwachungsmöglichkeiten nach § 39 bis 41 des Außenwirtschaftsgesetzes?
Das Zollkriminalamt leitet nur wenige Verfahren ein. Ich
habe der Statistik entnommen, dass es vom Zeitpunkt
des In-Kraft-Tretens des Gesetzes - 1992 - bis zum
April 1998 insgesamt 27 Maßnahmen gab. Von diesen
27 Maßnahmen mündeten zwölf - das darf man nicht
verkennen - in ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren. Die Trefferquote ist also außerordentlich hoch.
Wenn man die Risiken einschätzt, die jemand - möglicherweise unter Umgehung eines Embargos - durch die
Lieferung von Kriegswaffen und Dual-use-Gütern heraufbeschwört, sind solche Maßnahmen meines Erachtens durchaus gerechtfertigt.
Es gibt also keinen Grund zur Panik. Nutzen wir die
Zeit bis zum Ende des Jahres 2005, um darüber nachzudenken, wie wir dafür sorgen können, dass wir die Geltungsdauer dieses Gesetzes nicht ein weiteres Mal verlängern müssen!
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat nun der Kollege Christian Ströbele,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Mit der Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung - dabei geht es nicht nur um die Überwachung
von Telefon und Post - durch das Zollkriminalamt schaffen wir ein verfassungswidriges Gesetz ab. Wir beschließen ein verfassungsgemäßes Gesetz, das an einem anderen Ort angesiedelt ist.
({0})
§ 39 ff. AWG sind - darauf ist schon hingewiesen
worden - vom Bundesverfassungsgericht im März für
verfassungswidrig erklärt worden. Wir kommen den
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, die in dessen Beschluss enthalten, in vollem Umfang nach. Das
muss man einmal ganz klar sagen.
Herr Kollege Funke, Sie werfen uns vor, auch dieses
Gesetz sei verfassungswidrig. Sie haben aber keinen einzigen Punkt in diesem Gesetzentwurf gefunden, mit dem
dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nicht
Rechnung getragen würde. Wir haben alles berücksichtigt; deshalb ist dieses Gesetz verfassungsgemäß.
({1})
Sie waren es, die vor zwölf Jahren ein Gesetz geschaffen haben - 1998 haben Sie es uns hinterlassen -,
das für verfassungswidrig erklärt worden ist. Daher
wehre ich mich entschieden dagegen, dass Sie nun uns
darüber belehren wollen, wie ein verfassungsgemäßes
Gesetz in diesem Bereich aussieht.
({2})
Wir haben mit dieser Neuformulierung gezeigt, dass wir
allen Petita des Bundesverfassungsgerichts folgen und
sie alle berücksichtigen.
Was dieses Gesetz auszeichnet, ist nicht nur, dass es
verfassungsgemäß ist, sondern auch, dass es die Bürgerinnen und Bürger, zumindest die Juristen, verstehen
können. Noch der Gesetzentwurf, über den wir hier in
erster Lesung beraten haben, war wiederum so kompliziert und mit so vielen Verweisen versehen, dass selbst
Juristen - ich bin auch einer - und andere in diesem
Hause ihn nach mehrmaligem Lesen nicht verstanden
haben. Es war unklar, in welchen Fällen - das ist für die
Bürgerinnen und Bürger das Entscheidende -, das Telefon abgehört und die Post kontrolliert werden darf und in
welchen Fällen nicht.
Wir haben es mit einer, wie ich finde, einmaligen Aktion geschafft, dafür zu sorgen, dass dieses Gesetz, vor
allen Dingen in Bezug auf die Befugnisnorm, so schlank
und übersichtlich geworden ist, dass man, wenn man es
liest, verstehen kann, in welchen Fällen das Zollkriminalamt befugt ist zu handeln.
Wir haben ebenfalls dafür gesorgt, dass dieses Gesetz
auch in anderen Bereichen verfassungskonform ist. Wir
haben festgelegt, wann nur die Gerichte eine Überwachungsanordnung treffen können. Wir haben uns aber
nicht darüber verständigen können, ob - darauf haben
Sie bereits hingewiesen - das Parallelurteil des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff auch
hier einschlägig ist, ob also der Kernbereich der Lebensführung auch bei solchen Maßnahmen gesetzlich geschützt werden muss.
Um diese Frage ausführlich zu diskutieren und zu klären, wollen wir eine Evaluation und eine Anhörung
durchführen. Daher haben wir dieses Gesetz nochmals
befristet. Die Zeit bis zum Ende dieses Jahres hat einfach
nicht ausgereicht, eine wirklich verfassungsfeste Formulierung zu finden. Die Zeit, eine solche Formulierung zu
finden, müssen wir uns im nächsten Jahr nehmen. Ich
bin froh darüber, dass die Befristung kurz ist. Dadurch
stehen wir unter Handlungsdruck.
Im nächsten Jahr werden wir dieses Gesetz überdenken. Zumindest im Hinblick auf diesen Punkt werden
wir uns überlegen, ob es ergänzt werden muss. Wir werden sehen, ob wir in dieses Gesetz eine Formulierung
aufnehmen, die auch hier diesen Kernbereich schützt. Es
gibt vielleicht keinen absoluten Schutz, aber möglicherweise ein Verbot der Verwertung solcher überwachten
Telefonate und Briefe, die den Intimbereich des Menschen betreffen. Die Resultate solcher Überwachungen
müssten dann ausgesondert und sofort vernichtet werden. Solch eine Regelung wäre vorstellbar.
Im Endergebnis sagen wir: Wir haben hiermit einen
großen Schritt voran getan. Die gesetzliche Regelung ist
meines Erachtens auch nicht in dem Maße eine Bagatelle, wie Sie es geschildert haben. Von den Möglichkeiten ist zwar sparsam Gebrauch gemacht worden - seit
Bestehen der noch geltenden § 39 ff. AWG sollen es
41 Maßnahmen gewesen sein -, aber es soll eine große
Zahl von Telefonanschlüssen und Gegenständen des
Postverkehrs betroffen sein. Auch diese Zahlen müssen
wir jetzt bekommen. Wir müssen wissen: Sind es Tausende oder sind es Zehntausende? Wir wissen es jetzt
nicht genau. Aber zu sagen, es seien nur wenige Dutzend
Maßnahmen gewesen, ist nicht richtig.
Der Deutsche Bundestag hat sich bei dieser Gesetzesberatung bewährt. Der Deutsche Bundestag hat gezeigt,
dass er sich auch einen Gesetzentwurf, der von der Bundesregierung eingebracht worden ist, ganz genau anschaut. Dass ein solcher Gesetzentwurf aus dem Bundestag nicht so herausgehen muss, wie er hereingekommen
ist, hat sich in diesem Fall ganz besonders gezeigt. Der
Gesetzentwurf ist jetzt deutlich besser. Deshalb bitte ich
Sie alle, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Wir haben
dann ein verfassungsgemäßes, bürgerfreundlicheres Gesetz.
({3})
Das Wort hat der Kollege Rainer Funke, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Ströbele, ich gebe Ihnen natürlich darin Recht, dass
der Gesetzentwurf, so wie er in den Bundestag eingebracht worden ist, die verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht erfüllt hat und sehr verbesserungsbedürftig
gewesen ist, weil es erneut an der Normenklarheit gefehlt hat.
Wir haben in letzter Minute mit den Formulierungshilfen der Bundesregierung sicherlich Verbesserungen
herbeiführen können, aber im Ergebnis kommt der Entwurf trotz dieser Verbesserungen in einem zentralen
Punkt der Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts
nicht nach. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss deutlich darauf hingewiesen, dass bei der
Neuregelung die Grundsätze zu beachten sind, die der
Senat in seinem Urteil zur akustischen Wohnraumüberwachung niedergelegt hat. Damit sind insbesondere die Grundsätze zur Menschenwürde und zum Kernbereich privater Lebensgestaltung gemeint. Hierzu findet sich auch in der jetzt vorliegenden Fassung des
Gesetzentwurfs keine einzige Aussage.
Bei den im Zollfahndungsdienstgesetz enthaltenen
Eingriffsbefugnissen geht es um präventive Maßnahmen, bei denen es an einem abgeschlossenen oder in
Verwirklichung begriffenen strafbaren Handeln fehlt.
Nach den Worten des Gerichts besteht daher ein erhebliches Risiko, dass die Überwachungsmaßnahmen an
ein Verhalten anknüpfen, das sich im Nachhinein als
strafrechtlich irrelevant erweist.
Die FDP ist sich bewusst, dass es sich bei den Straftaten nach dem Außenwirtschaftsgesetz im Zusammenhang mit der Lieferung von Gütern und Technologie
zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen um besonders schwerwiegende Straftaten handelt. Befugnisse
des Zollkriminalamtes zur Verhinderung dieser Straftaten sind daher - darüber sind wir uns völlig einig - dringend geboten. Gesetzliche Ermächtigungsvorschriften
für präventive Überwachungsmaßnahmen müssen jedoch in besonderer Weise rechtsstaatlich und verfassungsrechtlich einwandfrei ausgestaltet sein. Da die
Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf von jeglichen
den Kernbereich schützenden Regelungen absieht, ist
der Gesetzentwurf zweifelsohne mit einem hohen verfassungsrechtlichen Risiko verbunden.
({0})
Das sehen Sie doch genauso; denn sonst würden Sie die
Befristung bis zum 31. Dezember 2005 gar nicht vornehmen. Sie sehen sich jetzt nur unter dem Druck, dass eine
Zeit lang kein vernünftiges Gesetz da ist, dazu gezwungen, Ihre verfassungsrechtlichen Bedenken zurückzustellen, und rechtfertigen sich damit, dass dieses Gesetz
im Jahre 2005 erneut überprüft werden soll. Ich bin gespannt, was bei dieser Überprüfung am Ende nächsten
Jahres herauskommt. Wir sind jedenfalls bereit, mitzuwirken, ein verfassungsrechtlich zweifelsfreies Gesetz
zu schaffen.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat zum Schluss dieses Tagesordnungspunkts der Kollege Joachim Stünker, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Neuregelung, die wir heute Nachmittag hier verabschieden,
liefern wir, wie ich meine, einen guten Beweis für die in
diesem Fall wirklich fraktionsübergreifende sachliche
Zusammenarbeit im Rechtsausschuss. Wir liefern auch
einen Beweis dafür, dass wir dort über Fraktionsgrenzen
hinweg sehr problemorientiert und streng am Rechtsstaatgedanken ausgerichtet zusammenarbeiten können.
Ich bedanke mich dafür ausdrücklich, insbesondere bei
den Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, aber auch bei den Kollegen von der Fraktion der
Grünen.
Wir mussten hier in kürzester Zeit eine Lösung finden, wie wir einerseits den Schutz ganz überragender
Gemeinschaftsgüter - es könnte um das Leben von
Millionen von Menschen gehen - gewährleisten können
und andererseits individuelle Freiheitsrechte wie das
Recht auf informelle Selbstbestimmung des Einzelnen
verfassungskonform wahren können. Es war sicher nicht
immer ganz einfach, diese beiden Pole zusammenzuführen.
Das Bundesverfassungsgericht hatte uns mit seiner
Entscheidung vom 3. März abverlangt, die gesetzlichen
Anforderungen an die Anordnung einer Telefonüberwachungsmaßnahme im präventiven, also im polizeirechtlichen Bereich nicht niederschwelliger anzusetzen als im
strafprozessrechtlichen Bereich. Es hat daher - darauf
wurde schon hingewiesen - die Vorschriften, die unter
Ihrer Federführung, Herr Kollege Funke, im Jahre 1992
ins Außenwirtschaftsgesetz geschrieben worden sind,
in wesentlichen Bereichen für verfassungswidrig erklärt.
Aber - der Kollege Kauder hat darauf hingewiesen - das
eigentliche Petitum dieser Entscheidung war, für Normklarheit für den Normadressaten zu sorgen. Mit dem
Fehlen dieser Klarheit hat sich das Gericht eingehend
beschäftigt.
Ich meine, man darf diese gesetzliche Regelung auch
nicht gering schätzen. Wenn wir nicht in dieser kurzen
Zeit bis zum 31. Dezember dieses Jahres zu einer Neuregelung gekommen wären, Herr Kollege Funke, dann
wäre eine Präventionslücke entstanden. Ich möchte nicht
wissen, was in der öffentlichen Diskussion dazu gesagt
worden wäre, wenn die Bundesrepublik Deutschland einen Beweis dafür abgeliefert hätte, dass sie nicht in der
Lage ist, auf nationalstaatlicher Ebene polizeirechtliche
Schutzmechanismen dafür zu schaffen, dass keine
gefährlichen Massenvernichtungswaffen oder Chemikalien, die in ihrem Zusammenwirken als Massenvernichtungswaffen verwendet werden können, exportiert
werden.
({0})
Von daher, Herr Kollege Funke, machen Sie sich ein
Stück weit als Liberaler - entschuldigen Sie, wenn ich
das so sage; Sie wissen, dass ich Sie persönlich sehr
schätze - einen schlanken Fuß, wenn Sie in diesem Fall
sagen, Sie machen da nicht mit, weil eine Frage, die
nach einem ganz anderen Urteil des Gerichtes noch offen war, in diesem Gesetz Ihrer Meinung nach nicht befriedigend geregelt wird. Ich sage Ihnen ebenso wie die
Kollegen Kauder und Ströbele ganz deutlich: Wir nehmen für uns in Anspruch und gehen davon aus, dass wir
hier eine verfassungskonforme Regelung gefunden haben. Eine Entscheidung über die Frage, ob das so ist
oder nicht, hat letzten Endes nur das Gericht zu treffen.
Sie sind 1992 ja auch davon ausgegangen, dass Ihre Regelungen verfassungskonform gewesen sind. Ich kann
mir nicht vorstellen, dass Sie damals anderer Meinung
gewesen sind, Herr Kollege Funke.
({1})
Lassen Sie mich deshalb noch einmal ganz kurz zusammenfassen, was die wesentlichen Verbesserungen
sind, die wir vorgenommen haben: Wir haben mit der
Neuregelung einen hinreichenden Rechtsschutz für
sämtliche Betroffenen sichergestellt. Anlass, Zweck
und Grenzen des Eingriffs sind in der Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und normenklar festgelegt worden. Die Ermächtigung lässt erkennen, bei welchen Anlässen und unter welchen Voraussetzungen ein Verhalten
zu einer Überwachung führen kann. Der Normbefehl ist
für den Adressaten erkennbar konkret definiert, und die
Behörden, an die Überwachungserkenntnisse weiter
übermittelt werden dürfen, sind im Text des Gesetzes sicher definiert. Es ist sichergestellt, dass der Übermittlungszweck mit dem ursprünglichen Eingriffszweck
wertungsmäßig übereinstimmt. Außerdem haben wir die
Regelung geschaffen, dass ein Gericht die Verwertbarkeit der gewonnenen Informationen überprüfen kann.
Wir haben die Anforderungen an die gerichtliche Kontrolle wesentlich restriktiver gefasst, als das im alten
Recht der Fall gewesen ist.
Ich denke, wir können deshalb heute Nachmittag mit
gutem Gewissen dieser Neuregelung zustimmen. Wir
geben damit den Ermittlungsbehörden das Instrumentarium, das sie brauchen; denn wir wissen, dass Telefonüberwachung kriminologisch eines der ganz wesentlichen Ermittlungsinstrumente ist. Mit der erneut gefundenen Befristung nehmen wir aber auch uns selber in die
Pflicht, hier weiterzuarbeiten und weitere Feinarbeit zu
leisten, um in diesem sensiblen Bereich der Grundgesetzartikel 1 und 2 - Schutz der Persönlichkeitsrechte und 10 - Post- und Fernmeldegeheimnis - im Ergebnis
sattelfeste rechtsstaatliche Lösungen zu finden.
Schönen Dank.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neurege-
lung der präventiven Telekommunikations- und Post-
überwachung durch das Zollkriminalamt, Drucksachen
15/3931 und 15/4237. Der Rechtsausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4416,
den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzuneh-
men. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordne-
ten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau auf Drucksache
15/4448 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt
für diesen Änderungsantrag? - Das wird nicht reichen.
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Ände-
rungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit großer
Mehrheit angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist mit der Mehrheit der Stimmen der Mitglieder
des Bundestages angenommen.
Wir kommen nun zum Entschließungsantrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 15/4435. Wer stimmt
für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dage-
gen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist
mehrheitlich abgelehnt.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 25 a und 25 b
auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen
- Drucksache 15/1709 ({0})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1})
- Drucksache 15/4417 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Christoph Strässer
Jerzy Montag
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({2})
- zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Für ein modernes Biopatentrecht
- zu dem Antrag der Abgeordneten Helmut
Heiderich, Dr. Norbert Röttgen, Dr. Maria
Böhmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Die europäische Biopatentrichtlinie von
1998 umsetzen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer
Funke, Ulrike Flach, Daniel Bahr ({3}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Rechtssicherheit für biotechnologische Erfindungen durch schnelle Umsetzung der
Biopatentrichtlinie
- Drucksachen 15/2657, 15/1024 ({4}), 15/1219,
15/4417 Berichterstattung:
Abgeordnete Christoph Strässer
Jerzy Montag
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen liegt ein Änderungsantrag
der FDP-Fraktion vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Dazu
höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Bundesministerin Brigitte Zypries.
Vielen Dank, Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ihnen liegt der Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über den rechtlichen
Schutz biotechnologischer Erfindungen vor. Was sich so
lapidar anhört, ist eine der wichtigsten Regelungen für
den Wirtschafts- und Forschungsstandort Deutschland.
Denn wir müssen, um den Lebensstandard unserer Gesellschaft zu sichern, unsere Anstrengungen auf die
Märkte der Zukunft konzentrieren. Dazu gehört die
Bio- und Gentechnologie.
Wir wollen die hier bestehenden Chancen nutzen.
Dazu brauchen wir auch ein leistungsfähiges Biopatentrecht. Das hat die Europäische Union erkannt. Sie hat
eine Richtlinie verabschiedet, die wir jetzt mit diesem
Gesetz umsetzen; zu spät, wie wir alle wissen, das will
ich gar nicht beschönigen. Sie war bis zum 30. Juli 2000
in nationales Recht umzusetzen. Darüber hat es im Deutschen Bundestag lange Diskussionen gegeben. Ich bin
froh, dass diese Diskussionen jetzt beendet werden
konnten und wir damit Rechtstreue gegenüber der Europäischen Union dokumentieren.
Der Gesetzentwurf, meine Damen und Herren, orientiert sich sehr eng an den Vorgaben der Richtlinie. Das
hat die Sachverständigenanhörung am 29. September
hier im Hause gezeigt. Die große Mehrheit der Sachverständigen hat den Regierungsentwurf in allen streitigen
Punkten als richtlinienkonform bestätigt.
Im Rechtsausschuss hat der Entwurf jetzt noch eine
Änderung erfahren. Dabei geht es um die Einschränkung
des absoluten Stoffschutzes für natürliche menschliche
Gensequenzen. Diese letztlich ethisch begründete Sonderregel ist meines Erachtens mit den Vorgaben der
Richtlinie und des WTO-TRIPS-Abkommens noch vereinbar.
({0})
Die Diskussion um das Biopatentrecht ist mit der Verabschiedung des heutigen Gesetzes nicht zu Ende. Die
grundsätzliche Frage, was aus dem Patentrecht werden
soll, wird ebenso wie die mehr spezielle Frage, wie die
Situation beim Biopatentrecht ist, seit längerem in der
Öffentlichkeit sehr kontrovers diskutiert. Dies ist hinsichtlich der Biopatentrechts nur allzu verständlich; denn
schließlich bringt die Biotechnologie neben großen
Chancen auch sehr schwierige ethische Fragestellungen
mit sich. Auf der einen Seite gibt es große Hoffnungen
auf medizinischen Fortschritt. Auf der anderen Seite gibt
es die Sorge, dass der Homunkulus irgendwann aus der
Flasche kommt und nicht mehr einzufangen ist. Die Widersprüche zu den ethischen Grundwerten unserer Gesellschaft werden also immer wieder deutlich.
Ich glaube aber, dass gerade die Skeptiker die Reichweite des Patentrechts in diesem Zusammenhang deutlich überschätzen. Denn Schwerpunkt im Patentrecht ist,
dass dem Erfinder ein Schutzrecht für seine schöpferische Leistung gegeben wird, mehr eben aber nicht. Es ist
keine Erlaubnis damit verbunden, das Patent zu nutzen
und damit in einer bestimmten Art und Weise umgehen
zu können. Das Patentrecht regelt nämlich nicht - darauf
muss man immer wieder hinweisen -, was Forschern erlaubt und was ihnen verboten ist. Das richtet sich nach
den jeweils einschlägigen Fachgesetzen, wie zum Beispiel dem Embryonenschutzgesetz. Die Debatte darüber,
was wir eigentlich dürfen, sollte man also sinnvollerweise von der Debatte über die Reichweite eines Patentes abtrennen, weil die Frage, was erforscht werden darf,
vorgelagert ist.
Die zum Teil sehr emotionale Kritik an der Biopatentrichtlinie ist deshalb weitgehend unberechtigt. Das
Schlagwort „Kein Patent auf Leben“ ist zwar griffig,
aber irreführend. Denn es gibt kein Patent auf Leben. Patentiert werden vielmehr Ideen des Erfinders, die sich
zum Beispiel in einem bestimmten technischen Verfahren oder in einem neuen Stoff niederschlagen. Das Leben selbst ist natürlich sehr viel mehr als eine patentierbare chemische Substanz.
({1})
Die Richtlinie will auch kein neues Patentrecht schaffen. Ihr Ziel war es, das geltende Patentrecht im Bereich
der Biotechnologie EU-weit zu harmonisieren und zu
verbessern. Sie stellt auch unter dem Blickwinkel der
Ethik eine Verbesserung gegenüber der bisherigen
Rechtslage dar, weil sie die Grenzen der Patentierbarkeit klarer umschreibt. Die Richtlinie weitet das Patentrecht also nicht aus, sondern schränkt es ein, auch und
gerade aus ethischen Gründen. Indem die Richtlinie die
bestehenden allgemeinen Patentverbote konkretisiert,
bringt sie eine zusätzliche bioethische Sensibilität in unser Patentrecht.
Ich habe vorhin schon gesagt, dass die Debatte über
das Patentrecht mit der Verabschiedung dieses Gesetzes
nicht abgeschlossen sein wird. Denn die technischen
Entwicklungen auf diesem Gebiet zwingen uns alle,
weiter zu diskutieren und die bestehenden Regelungen
immer wieder zu überprüfen. Deutschland wird diesen
Diskussionsprozess innerhalb der Europäischen Union
vorantreiben. Die Richtlinie war, so meinen wir, ein
Fortschritt. Aber sie kann nicht der Weisheit letzter
Schluss bleiben. Deshalb werden wir die Aufforderung
aus dem Antrag der Koalitionsfraktionen, dass sich die
Bundesregierung EU-weit für eine Verbesserung einsetzen möge, sehr ernst nehmen. Darauf können Sie sich
verlassen.
({2})
Heute geht es aber erst einmal darum, den notwendigen ersten Schritt zu tun und für die Umsetzung der
Richtlinie zu sorgen. Solange wir sie nicht umgesetzt
und uns damit vertragstreu und europatreu verhalten haben, wird es auch keine Diskussion auf europäischer
Ebene über Veränderungen geben. Diese Erfahrung
mussten wir schon auf anderen Gebieten machen.
In diesem Sinne bitte ich um Ihre Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
({3})
Das Wort hat der Kollege Dr. Norbert Röttgen, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese
Debatte und der Gesetzentwurf, über den wir heute beraten, drehen sich um den Schutz von Erfindungen auf
dem Gebiet der Biotechnologie. Dieses Thema wirft ein
ganzes Bündel von grundsätzlichen und bedeutenden
Fragestellungen auf. Das ist ein Bündel von moralischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und forschungspolitischen Fragen. Dieser Komplexität müssen wir gerecht
werden.
Ich glaube, dass der vorliegende Gesetzentwurf den
Anforderungen gerecht wird. Es geht insbesondere um
die moralische Frage des Schutzes vor Patentierung. Es
geht darum, zu regeln, dass der menschliche Körper in
all seinen Phasen und in all seinen Teilen nicht patentfähig ist. Dies ist eine im Gesetzentwurf ausdrücklich vorgesehene Regelung.
Es geht rechtspolitisch um den Schutz des Eigentums.
Es ist ein Fundament unserer Verfassungsordnung bzw.
Gesellschaftsordnung, aber auch der grundrechtlichen
Entfaltungsfreiheit der Forscher, diesen zu gewährleisten.
Bei dem Schutz biotechnologischer Erfindungen geht
es forschungspolitisch um den Schutz der Ergebnisse
von Forschung, um den Schutz der Möglichkeit der Verwertung durch den Forscher. Es ist eine elementare Basis
der Forschung, wenn man dem Forscher sagen kann:
Deine Innovation, die du aufgrund persönlichen Einsatzes erzielst, wird am Ende geschützt werden. Das ist eine
wesentliche Bedingung für Forschung.
Es geht schließlich um die wirtschaftspolitische Bedeutung der Biotechnologie. Das ist ein riesiger Markt.
Es geht um den Schutz von Investitionen in Innovationen.
Weil sich die Bedeutung dieses Themas so auffächert
und schon in jedem Segment beachtlich ist, aber in der
Bündelung allemal sehr hoch ist, stimmt Ihre Feststellung, Frau Ministerin, dass es sich um ein ganz grundlegendes, wichtiges Gesetz im Sinne der Freiheit, im Sinne
des Schutzes des Menschen und im Sinne der Forschung
und der wirtschaftlichen Bedeutung handelt. Daher müssen wir auf die Vorgeschichte dieses Gesetzes eingehen.
({0})
Denn diese Bedeutung fordert von der Politik eine besondere Verantwortung; das kann gar nicht bestritten
werden. Wenn die Bedeutung so fundamental ist - das
ist ja Konsens; das haben Sie festgestellt; auch ich habe
es gerade festgestellt; die Zurufe bestätigen es -, dann
bedeutet dies eine besondere Verantwortung der Politik
in diesem Bereich.
({1})
- Ich bedanke mich für diesen Zuspruch.
Darum müssten Sie meiner weiteren Feststellung zustimmen, nämlich der Schlussfolgerung daraus: dass die
Bundesregierung dieser Verantwortung nicht gerecht
geworden ist. Das kann gar nicht bestritten werden.
({2})
- Das ist keine Polemik; das ist Logik, Herr Kollege. Denn wenn die Bedeutung so ist, dann hätte es zwingend
erfolgen müssen, dass Sie die nötige Umsetzung in den
letzten sechs Jahren erreicht hätten. Wenn es so ist, dann
hätten Sie nicht einfach den Zeitraum von sechs Jahren
verstreichen lassen können, sondern hätten schon seit
sechs Jahren die Möglichkeit gehabt, die nötigen Antworten zu geben, die wir heute geben. Sechs Jahre lang
haben Sie dies nicht getan; sechs Jahre lang haben Sie
die Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für Forscher, für
Bürger, für Menschen, die sich moralisch für dieses
Thema interessieren, nicht hergestellt. Das ist Ihre Verantwortung und Ihr Versagen. Daran besteht kein Zweifel; das kann nicht bestritten werden.
({3})
Es sind nicht nur diese sechs Jahre, in denen Sie der
Bedeutung dieses Themas nicht gerecht wurden, ins
Land gegangen. Über vier Jahre lang hatte es die Bundesregierung zudem zu verantworten, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre Pflichten als Mitgliedstaat
der Europäischen Union verletzt hat.
({4})
- Nicht „na, na!“. Das ist der Tatbestand, Herr Kollege.
({5})
Sie können diesen Tatbestand schlicht nicht bestreiten
oder Sie ignorieren die Wirklichkeit. Sie verletzen über
vier Jahre sehenden Auges die Pflichten, die die Bundesrepublik Deutschland auf einem wichtigen Gebiet, wie
wir alle anerkennen, eingegangen ist. Wenn es kein Versagen der Politik ist, wenn man pflichtwidrig handelt,
dann weiß ich nicht, was noch als Versagen der Politik
bezeichnet werden kann.
({6})
Frau Justizministerin, was sollen eigentlich die Bürger denken, von denen der Staat Rechtsgehorsam erwartet? Ordnungswidrigkeiten werden belangt. Wenn sich
der Bürger rechtswidrig verhält, führt dies zu Sanktionen. Das Wesen des Staates ist es, dass er Recht kreiert
und Recht durchsetzt. Der Staat verstrickt sich in einen
immensen Widerspruch, wenn er selber die von ihm
übernommenen Rechtspflichten zum Schaden der Bürger und zu seinem eigenen Schaden verletzt. Es torpediert die Glaubwürdigkeit des Staates, wenn er die
Pflichten, die er selber eingeht, anschließend nicht erfüllt. Diesen Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen,
meine Damen und Herren.
({7})
Sie haben jahrelang Ihre Pflichten verletzt, aber nicht
wegen der Komplexität des Themas oder wegen der
Richtlinie, sondern einzig und allein wegen der Uneinigkeit in der Koalition, die zum Schaden des Landes
nicht in der Lage war, diese Anforderung umzusetzen.
Sie nehmen sozusagen das Land und die Interessen der
Bürger als Geisel Ihrer politischen Uneinigkeit.
({8})
Sie haben moralisch verwerflich gehandelt.
({9})
Nach Jahren der Untätigkeit - wir haben gerade Aktivitätsankündigungen gehört - kam dann endlich der Entwurf aus dem Bundesjustizministerium.
({10})
Was war sein Inhalt? Frau Zypries, die Bundesjustizministerin, hat die Richtlinie einfach abgeschrieben. Jahrelang passiert gar nichts; die Bundesrepublik wird vor
dem Europäischen Gerichtshof verklagt. Was macht die
Ministerin? Sie schreibt einfach die Richtlinie ab.
Es ist eine wahnsinnig kreative, führungsstarke Leistung, die Richtlinie schlicht abzuschreiben. Was hätte
die Umsetzung einer solchen Regelung bewirkt? Sie
hätte erneut die politische Schwäche der Koalition dokumentiert. Alle wichtigen Fragen wären offen geblieben.
Nicht eine einzige Frage - jedenfalls nicht die Kernfragen, die sich auf diesem Gebiet stellen - wäre durch Ihre
Eins-zu-eins-Umsetzung beantwortet worden; alles wäre
offen geblieben. Dies hätte bedeutet, dass über Jahre hinaus Rechtsunsicherheit bestanden hätte, die von Ihnen
zu verantworten gewesen wäre. So haben Sie es gewollt.
({11})
Außerdem wäre dies eine Verlagerung der Entscheidungshoheit gewesen.
Es stellt sich doch die Frage, wer eigentlich über die
moralischen, die wirtschafts- und forschungsrechtspolitischen Fragen entscheidet.
({12})
Wir waren immer der Auffassung, dass hierüber die Politik, der Deutsche Bundestag als Repräsentant des deutschen Volkes entscheiden muss. Das ist völlig richtig.
Wenn es aber nach dem Entwurf von Frau Zypries gegangen wäre, hätten wir hier gar nichts entschieden;
stattdessen hätten die Gerichte entschieden. Das ist der
falsche Ort für politische Entscheidungen. Darum hat
unser Antrag dies thematisiert und kritisiert.
Nun ist es endlich so weit: Der Gesetzentwurf liegt
vor. Wir haben ihn verändert. Er ist nicht inhaltsgleich
mit dem Entwurf, den die Bundesjustizministerin eingebracht hat. Er hat im Parlament substanzielle Veränderungen erfahren;
({13})
dies begrüßen wir. Deshalb sind wir da; auch das begrüße ich. Der Gesetzentwurf beinhaltet nun nach jahrelangen Verzögerungen und jahrelanger Untätigkeit in
seinen entscheidenden Teilen die Aspekte, die wir als
CDU/CSU immer befürwortet und gefordert haben.
({14})
Auch andere, auch die Grünen haben sich für Veränderungen eingesetzt. Wir waren diesbezüglich immer einer
Meinung. Bei der SPD war es nicht so klar erkennbar.
Die Bundesregierung jedenfalls hat eine völlig andere
Position. Jetzt liegt ein Gesetzentwurf vor, der inhaltlich
dem entspricht, was wir immer gefordert haben. Wir hätten das Gleiche schon Jahre früher haben können; das
wäre zum Vorteil unseres Landes gewesen. Es handelt
sich also gewissermaßen formal um einen Gesetzentwurf
der Bundesregierung. Inhaltlich ist es der Gesetzentwurf
von CDU/CSU und auch von Teilen der Grünen,
({15})
die ermöglicht haben, dass es zu diesem Entwurf gekommen ist. Das ist überhaupt keine Frage.
Noch in der letzten Woche hat es an einer ganz entscheidenden Stelle eine substanzielle Veränderung gegeben. Frau Zypries hat es eben auch selber gesagt. Sie war
dafür, einen uneingeschränkten Patentschutz einzuräumen, so wie das bei Chemikalien, bei Stoffpatenten anderer Art, bei physikalischen Patenten der Fall ist. Damit
wäre der Besonderheit des menschlichen Genoms
eben nicht Rechnung getragen worden. Es ist übereinstimmende Auffassung, dass wir gerade im Hinblick auf
die Reichweite des Patentschutzes den Besonderheiten
des menschlichen Genoms Rechnung tragen müssen, indem wir den Patentschutz darauf beschränken, was Gegenstand der Erfindung ist. Eine Überbelohnung muss
sowohl aus Erwägungen hinsichtlich der Gerechtigkeit
als auch aus forschungspolitischen Erwägungen unterbleiben. Das hätte der Entwurf der Regierung nicht gewährleistet.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Ich komme zum Ende, weil ich die wesentlichen
Punkte vorgetragen habe.
Nein, weil Ihre Redezeit zu Ende ist.
Dass wir jetzt einen guten Gesetzentwurf haben, ist
dem Parlament zu danken. Das ist eine Leistung des Parlaments, die es in überfraktioneller Arbeit vollbracht hat.
Die Bundesregierung hat auf diesem entscheidenden Gebiet versagt; insofern ist es gut, dass es das Parlament
gibt, das an dieser Stelle korrigiert hat. Dazu gratuliere
ich uns.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat der Kollege Reinhard Loske, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Jenseits des wortreichen Lamentos von Norbert Röttgen
stelle ich fest: Die CDU/CSU-Fraktion stimmt unserem
Gesetzentwurf zu und das ist gut so.
({0})
Wir reden heute über eine EU-Richtlinie, die schon
zum Zeitpunkt ihrer Verabschiedung, im Jahre 1998,
nicht mehr auf der Höhe der Zeit war und die es heute
erst recht nicht mehr ist: die Biopatentrichtlinie. Durch
sie werden Stoffpatente auf Gene oder Gensequenzen
gewährt. Dabei wird von einem Stoffbegriff ausgegangen, der dem Chemikalienrecht entlehnt ist. Aber mittlerweile wissen wir, dass Gene nicht nur Stoffe sind,
sondern dass sie auch Informationsträger innerhalb eines
äußerst komplexen Wirkungsgefüges sind,
({1})
weshalb der Primitivindikator Stoffpatent einfach nicht
mehr angemessen ist.
({2})
An der Stoffpatentierung von Genen wird umfassende
gesellschaftliche Kritik geäußert, die sich aus den verschiedensten Quellen speist. Da gibt es zum einen den
sehr fundamentalen ethischen Kritikpunkt, dass es
grundsätzlich keine Patente auf Leben geben darf und
dass es sich bei einem Genom um ein gemeinsames Erbe
der Menschheit handelt, das allen gehört und deshalb
nicht privatisiert werden darf. Diese Position ist in der
Vergangenheit vor allen Dingen von den Kirchen, aber
auch von Organisationen wie „Kein Patent auf Leben“
oder „Greenpeace“ vertreten worden. Wir finden: zu
Recht.
({3})
Da ist zum anderen die Sorge, dass es zu Biomonopolen kommt und dass dadurch große Konzerne ihre Preise
für Medikamente, Therapien oder pflanzliches Saatgut
in die Höhe treiben könnten. Dieser Kritikpunkt ist immer wieder von den Krankenkassen, der Bundesärztekammer oder dem Bauernverband vorgetragen worden.
Wir finden: zu Recht.
({4})
Da ist die Sorge, dass sich großzügige Stoffpatente
auf Gene forschungsfeindlich auswirken könnten, weil
sie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler davon abhalten, an bereits patentierten Genen zu forschen. Diese
Position hat übrigens auch einmal die Deutsche Forschungsgemeinschaft vertreten. Jetzt hat sie sie allerdings gemeinsam mit dem VCI verändert. Ich jedenfalls
glaube, dass auch diese Sorge, die von vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vorgetragen wird,
nachvollziehbar ist.
({5})
Last but not least wird darauf hingewiesen, dass eine
zu großzügige und zu umfassende Biopatentierung im
Nord-Süd-Verhältnis zu dem führen könnte, was man
gemeinhin als Biopiraterie bezeichnet: dass sich große
Konzerne die genetische Vielfalt in den Entwicklungsländern aneignen könnten.
Diese verschiedenen Quellen der Kritik können wir
nachvollziehen. Viele dieser Kritikpunkte teilen wir.
Deswegen haben wir immer für eine Doppelstrategie
plädiert: Auf der einen Seite soll die unvermeidliche
Umsetzung der Biopatentrichtlinie in nationales Recht
- die Ministerin hat darauf hingewiesen, dass wir natürlich EU-rechtstreu sind - unter Ausschöpfung vorhandener Handlungsspielräume erfolgen. Auf der anderen
Seite setzen wir uns dafür ein, dass die Biopatentrichtlinie in Brüssel überarbeitet wird mit dem Ziel, dass sie
auf der Höhe der Zeit ist; denn sie ist und bleibt das eigentliche Problem. Im Rahmen unserer nationalen Gesetzgebung können wir den Sinn und Charakter der EUPatentrichtlinie, wie sie heute ausgestaltet ist - ich sage:
leider -, nicht außer Kraft setzen.
Ziel muss es sein, ein EU-weit einheitliches Biopatentrecht zu schaffen, das - darauf hat Kollege Röttgen
zu Recht hingewiesen - Erfindungen belohnt und Überprivilegierungen ausschließt
({6})
- in diesem Spannungsfeld bewegen wir uns -, das für
ein fairen Interessenausgleich sorgt und sicherstellt, dass
die internationalen Verträge zur biologischen Vielfalt
und zur biologischen Sicherheit umgesetzt werden.
Deswegen behandeln wir heute zweierlei: zum einen
unseren Gesetzentwurf, den wir - darauf komme ich
gleich noch kurz zu sprechen - unter Ausschöpfung unserer Handlungsmöglichkeiten gestaltet haben, zum anderen unseren Antrag, in dem wir die Bundesregierung
auffordern, sich in Brüssel dafür einzusetzen, dass die
Biopatentrichtlinie den Erfordernissen unserer Zeit angepasst wird. Wir wissen natürlich, dass die Kommission das alleinige Initiativrecht hat. Aber ich glaube:
Wenn insgesamt fünf Mitgliedstaaten die Möglichkeit
ergreifen, ihre Gestaltungsspielräume auszuschöpfen,
dann signalisiert das der Kommission, dass es hier Veränderungsbedarf gibt.
Nun zu unserem Gesetzentwurf. Was uns sehr wichtig
ist und in der Tat keine Eins-zu-eins-Umsetzung darstellt, ist Folgendes: Wir haben in § 1 des Gesetzentwurfs geschrieben, dass der Stoffschutz auf menschliche Gene deutlich eingeschränkt wird. Das war eine
gemeinsame Position von vielen Kolleginnen und Kollegen. Es ist in der Tat gut, dass diese Formulierung in den
Gesetzentwurf aufgenommen wurde. Im Begründungsteil des Gesetzentwurfes stellen wir klar, dass wir davon
ausgehen, dass es in Zukunft auch bei tierischen und
pflanzlichen Genen keinen umfassenden Stoffschutz
mehr gibt, weil die bloße Sequenzierung mithilfe von
Maschinen bzw. Technik keine erfinderische Leistung
mehr ist. Wo ist das Erfinderische daran? Wir haben im
Gesetzentwurf noch einmal klargestellt, dass Keimzellen
grundsätzlich nicht patentierungsfähig sind. Wir haben
in den Ausschussberatungen präzisiert, dass auch biologische Verfahren nicht patentierbar sind. Wir haben für
die Landwirtschaft Regelungen zum Züchterprivileg und
zum Sortenschutz getroffen. Wir haben in dem Gesetzentwurf auch einen Herkunftsnachweis vorgesehen
- auch das ist durch die ursprüngliche Richtlinie nicht
vorgegeben -: Wenn bekannt ist, woher das biologische
Material kommt, dann muss dies bekannt gegeben werden. Wir wollen, dass der Herkunftsnachweis eines Tages zwingend wird, damit es nicht zu Biopiraterie
kommt. Mit dem Antrag, von dem ich bereits sprach,
fordern wir die Bundesregierung auf, sich entsprechend
einzusetzen.
Ich weise abschließend noch einmal darauf hin: Das,
was wir hier machen, ist keineswegs - wie wir von der
FDP wahrscheinlich gleich wieder hören werden - ein
nationaler Alleingang: Wir sind nach Spanien, Italien,
Portugal und Frankreich das fünfte Land, das Einschränkungen beim Stoffpatent vornimmt; das muss die Kommission zur Kenntnis nehmen. Übrigens setzt auch die
Schweiz, die dem Europäischen Patentübereinkommen
angehört, obwohl sie nicht Mitglied der Europäischen
Union ist, diese Richtlinie ganz ähnlich um wie wir. Wir
brauchen ein Biopatentrecht, das den Erfordernissen unserer Zeit gerecht wird und das vor allen Dingen ethisch
verantwortbar ist.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Sibylle Laurischk, FDPFraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
kaum zu glauben: Über vier Jahre, nachdem die Frist zur
Umsetzung der Biopatentrichtlinie abgelaufen ist, wird
der Bundestag heute die Umsetzung der Richtlinie in
deutsches Recht beschließen.
({0})
- Wunder dauern etwas länger. - Erst Ende Oktober dieses Jahres hat der Europäische Gerichtshof Deutschland
wegen der Nichtumsetzung der Richtlinie verurteilt; der
Bundesregierung wurden hohe Strafen angedroht. Der
Spruch der Richter hat Wirkung gezeigt. Dass die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht endlich gelingt, müsste eigentlich ein Grund zur Freude sein. Aus
Sicht der FDP-Bundestagsfraktion ist das leider nicht der
Fall.
({1})
Der Gesetzentwurf, den die Bundesregierung im vergangenen Jahr vorgelegt hat, sah eine Eins-zu-einsUmsetzung der Richtlinie vor. Eine Eins-zu-einsUmsetzung bedeutet die Erteilung eines Stoffpatentes
auf die DNA-Sequenz ohne Beschränkung auf die
konkrete Anwendung. Dessen ungeachtet hat sich die
Koalition in den letzten Wochen auf eine Einschränkung
beim Stoffschutz geeinigt. Nun soll der Stoffschutz auf
die im Patentanspruch beschriebene konkrete Anwendung beschränkt werden. Leider konnten Sie, Frau
Ministerin, sich mit Ihren ersten Vorstellungen in der
Koalition nicht durchsetzen. Die allgemeine Meinung
der Fachjuristen und Patentrechtler trat leider in den
Hintergrund. Dies ist aus Sicht der FDP-Bundestagsfraktion sehr bedauerlich.
({2})
Die Anhörung, die der Rechtsausschuss im September
zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung durchführte,
ergab ein eindeutiges Bild: Die überwiegende Mehrheit
der Sachverständigen hat sich für eine Eins-zu-eins-Umsetzung ausgesprochen.
Die Entscheidung der Koalition wird erhebliche Auswirkungen auf den Forschungsstandort Deutschland
haben. Insgesamt hat Rot-Grün im Jahr der Innovation
eine erschreckende Bilanz:
({3})
In der Stammzellenforschung, in der Grünen Gentechnik
und jetzt auch im Bereich der biotechnologischen Erfindungen entwickelt sich Deutschland immer mehr zum
Schlusslicht in Europa.
({4})
- Dann sprechen Sie einmal mit Vertretern der
Forschung und mit denjenigen, die in Deutschland wirtschaftlich arbeiten müssen. - Die hoch entwickelte deutsche Volkswirtschaft, meine Damen und Herren insbesondere von den Sozialdemokraten, ist auf ständige
Innovation angewiesen.
({5})
Dazu stimmen die gesetzlichen Rahmenbedingungen leider nicht mehr. Gerade für die Vertreter von kleinen, mittelständischen Unternehmen und so genannten Start-ups
wird der Kompromiss der Koalition erhebliche Konsequenzen haben. Ein umfassend gesichertes Patent auf ihr
geistiges Eigentum ist oft ihr einziges Kapital, mit dem
sie auf dem Markt bestehen können. Es ist daher falsch,
zu behaupten, ein umfassender Patentschutz schütze einseitig die Interessen großer Konzerne. In der Begründung des Gesetzentwurfes heißt es - ich zitiere -:
Dieser „absolute“ Stoffschutz ist notwendig, nicht
zuletzt im Interesse eines effektiven Innovationsschutzes.
Dies soll nun aber nicht mehr gelten.
Es entspricht bereits heute der internationalen
Rechtspraxis, dass der Stoffschutz im Biotechnologiebereich umfassend gewährleistet wird.
Diese Aussage ist dem Antrag der FDP-Fraktion mit
dem Titel „Rechtssicherheit für biotechnologische Erfindungen durch schnelle Umsetzung der Biopatentrichtlinie“ wortwörtlich zu entnehmen. Das Europäische Patentamt orientiert sich seit Jahren eng an der Richtlinie.
In dem Gesetzentwurf der Bundesregierung heißt es
weiter: Ziel der Richtlinie sei es, gemeinschaftsweit harmonisierte Regelungen für die Patentierung von Innovationen auf dem Gebiet der belebten Natur festzuschreiben. - Das Gegenteil wird nun erreicht. Deutschland wird mit der eingeschränkten Umsetzung der
Richtlinie hinter internationalen Standards zurückbleiben.
Die von den Kritikern gegen eine Eins-zu-eins-Umsetzung vorgebrachten Argumente sind leicht zu widerlegen. So wird beispielsweise der gefürchteten Monopolbildung durch die Möglichkeit der Vergabe von
Zwangslizenzen und durch das TRIPS-Übereinkommen
der WTO ausreichend entgegengewirkt. Gerade die Vertreter der Rechtsprechung betonen, dass marktbeherrschende Patentinhaber dem Behinderungs- und Diskriminierungsverbot des § 20 GWB unterliegen.
Auch der immer wieder geäußerten Gefahr von Überbelohnungen kann begegnet werden. Insbesondere dann,
wenn die erfinderische Leistung in der bloßen Zurverfügungstellung einer Sequenz mit einer bestimmten Funktion liegt, muss der Schutz auf die Funktion begrenzt
werden. In der Anhörung wurde deutlich, dass der
Rechtsprechung ausreichende gesetzliche Möglichkeiten
zur Verfügung stehen, um eine Überprivilegierung von
Patentinhabern zu vermeiden.
So sehr die FDP die Umsetzung der Richtlinie in
deutsches Recht auch begrüßt: Den zögerlichen und
halbherzigen Weg, den Rot-Grün dafür wählt, lehnen wir
ab. Er ist inkonsequent, patentrechtlich völlig verfehlt
und ein weiteres Armutszeugnis für die Kompetenz der
Bundesregierung im Bereich von Wissenschaft und Forschung.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege René Röspel, SPDFraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Als ich 1999 das erste Mal in Berührung mit der Biopatentrichtlinie kam - ich war erst
seit einigen Monaten Mitglied des Bundestages -, war
ich als Biologe doch sehr erstaunt, dass man Gene erfinden kann und dass das patentierbar ist. Bis dahin war ich
davon ausgegangen, dass sie im Menschen vorhanden
sind und höchstens entdeckt werden können. Es stellte
sich mir die Frage, ob man sie erfinden und ein Patent
dafür erhalten kann.
({0})
Ich habe mich von den Juristen schnell belehren lassen, dass es relativ üblich und auch Bestandteil der
Rechtsprechung ist, Naturstoffe patentieren lassen zu
können, wenn sie aus der Natur isoliert werden. Diesen
Lernprozess habe ich hinter mir. Auf der anderen Seite
haben die Naturwissenschaftler und Mediziner, die an
der Diskussion beteiligt waren, den Juristen mitunter erklären müssen, dass menschliche Gene, also das
menschliche Erbgut, keine normalen Naturstoffe sind
und dass sie eben nicht ohne weiteres patentiert werden
können, wie das zum Beispiel in der Richtlinie der Europäischen Union steht.
({1})
Es war ein sehr interessanter und langer Diskussionsprozess. Ich glaube, alle Seiten haben dazugelernt. Dieser Prozess war auch notwendig. Das Problem der Richtlinie, die 1998 verabschiedet worden ist und eigentlich
schon zu diesem Zeitpunkt nicht mehr auf dem aktuellen
Stand der Wissenschaft und Technik war - Reinhard
Loske hat es gesagt -, war nämlich, dass man ein Gen,
welches man mit einer Funktion beschrieb, für alle Anwendungen und Funktionen, die mit diesem Gen zusammenhingen, patentieren lassen konnte. Das heißt, jemandem, der ein Gen patentieren ließ, wurden gleichzeitig
auch alle Anwendungen und Funktionen geschützt.
Dabei war es egal, ob er sie genannt oder nicht genannt
hat und ob er sie gekannt bzw. geahnt hat oder nicht. Das
kann aus unserer Sicht nicht richtig sein, weil es nicht
zur Leistung desjenigen gehört, der das Patent erhält,
({2})
und weil es alle anderen, die andere Funktionen dieses
einen Gens untersuchen, in ihrer Forschung stört und behindert, wodurch Probleme für sie geschaffen werden.
Das ist das Kernproblem dieser Richtlinie, über das
wir in der letzten Legislaturperiode nicht nur in der rotgrünen Koalition und in der Enquete-Kommission, sondern auch mit vielen Verbänden außerhalb des Parlamentes sehr intensiv diskutiert haben: mit den Kirchen, die
das sehr kritisch sahen und sehen, mit Misereor, mit den
Forschern, die daran beteiligt waren und sind, mit
Greenpeace, mit Krankenkassen und mit den Krankenhausverbänden. Diese sagen: Wenn ihr diesen umfassenden Stoffschutz erteilt, dann, so befürchten wir, werden
Monopole dazu führen, dass zum Beispiel Medikamente,
Therapie- und Diagnostikverfahren viel teurer werden.
Wir haben zur Kenntnis zu nehmen, dass sich zum Beispiel die Kosten für eine Brustkrebsuntersuchung wegen
der Patentproblematik verdreifacht haben.
Wir haben fünf Jahre lang sehr intensiv diskutiert. Ich
glaube, es war eine sinnvolle und notwendige Diskussion,
({3})
an deren Ende ein guter Kompromiss steht. Er ist nicht
das, was ich für nötig erachte, aber es ist mehr, als ich
noch vor Wochen und Monaten für möglich gehalten
habe. Schließlich müssen wir berücksichtigen, was wir
in nationales Recht umsetzen können und was uns die
europäische Richtlinie vorschreibt. Insofern ist es ein
guter Kompromiss, weil wir den Stoffschutz beschränken. Es soll nur noch das patentiert werden können, was
als Anwendung genannt wird, nicht mehr das, was nicht
genannt worden ist. Wir haben in Deutschland das
Machbare getan. Deutschland setzt die Richtlinie kritisch um. Damit geben wir ein Signal nach Europa. Das
ist wichtig; denn das ist die Ebene, auf der nachträglich
in Verhandlungen eine Änderung erzielt werden kann.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einige Bemerkungen an Herrn Röttgen und an die FDP richten. Herr
Röttgen, wenn Sie die Protokolle der letzten Jahre wirklich genau durchschauen, werden Sie Folgendes feststellen: Wenn wir so gehandelt hätten, wie es die CDU/CSU
immer gefordert hat, nämlich die Richtlinie schnell eins
zu eins umzusetzen
({4})
- schauen Sie bitte in die Protokolle, auch wenn es eine
löbliche Ausnahme in der Enquete-Kommission gab -,
dann hätten wir heute in unserem Gesetzentwurf nicht
die vernünftige und sinnvolle Formulierung, die von vielen mitgetragen wird.
An die FDP gewandt: Sie haben gesagt, wir hätten
fünf Jahre gebraucht, um eine juristisch einwandfreie
Formulierung zu finden. Ich frage mich, warum Sie fünf
Jahre lang nichts anderes gemacht haben, als eine Einszu-eins-Umsetzung zu fordern. Es war daher erstaunlich,
dass Sie am letzten Mittwoch vor der Ausschusssitzung
einen Formulierungsvorschlag zu einem Teilpunkt gemacht haben.
Herr Kollege, Sie haben Ihre Redezeit überschritten.
Sie haben lange genug Zeit gehabt. Wir haben eine
vernünftige Lösung gefunden. Deutschland hat seine
Aufgaben gemacht. Jetzt ist wieder Europa an der Reihe.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Helmut Heiderich, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen!
({0})
Endlich haben sich die Fraktionen von SPD und Grünen
nach jahrelangen Streitereien auf die Verabschiedung der
so genannten Biopatentrichtlinie geeinigt. Die Behauptung von Kollegen Röspel, dies sei die Leistung der
Koalition, geht völlig fehl. Sie als Regierung haben bis
vor zwei Wochen jahrelang auf der Eins-zu-eins-Umsetzung bestanden. In der Koalition haben Sie sich ständig
gestritten, weil Sie immer wieder den falschen Ratgebern Ihr Ohr geliehen haben.
Herr Kollege Röspel, spätestens seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes von 2001 aufgrund der Klage von Italien und den Niederlanden war
doch völlig klar, dass am Ende der Debatte nichts anderes als ein Stoffpatent stehen würde. Dass Sie sich diesmal am Schluss nicht wie am vergangenen Freitag bei
der Verabschiedung des Gentechnikgesetzes den emotionalen Ratgebern angeschlossen haben, ist gut für unser
Land. Aber deswegen sollten Sie sich nun nicht zum Erfinder dieser Lösung machen.
({1})
Sie haben nur das vollzogen, was Ihnen andere vor anderthalb Jahren vorgelegt haben.
({2})
Meine verehrten Kollegen von Rot-Grün, wir haben
in unserem Antrag sehr genau beschrieben - das können
Sie dort nachlesen -, welche Lösung wir vorschlagen.
Wir haben diese Lösung schon vor anderthalb Jahren
hier im Parlament präsentiert. Ich will sie einmal schlagwortartig darstellen. Wir haben gesagt - das ist auch unsere jetzige Auffassung -: Stoffschutz: ja; Überbelohnung: nein. Diese Lösung bedeutet, dass Forscher und
Unternehmer einen unanfechtbaren Patentschutz für ihre
Erfindungen brauchen. Das ist einfach unumgänglich,
weil nur so - das wissen Sie genauso wie wir - die
hohen Investitionskosten für eine Produktentwicklung
gesichert werden können.
({3})
Wenn heute für die Entwicklung eines einzigen Medikaments 500 Millionen Euro benötigt werden, dann ist
der volle Patentschutz dafür eine zwingende Voraussetzung. Verfahrenspatente oder ähnliche Vorschläge, die
Sie jahrelang präsentiert haben, reichen nicht, weil sonst
kein Investor mehr das Entwicklungsrisiko eingehen
wird. Damit widerlegt sich auch das Argument, das eben
wieder genannt worden ist, durch Patentierung würden
Medikamente teurer, verehrter Kollege Loske.
Vielmehr ist der Umkehrschluss richtig: Ohne eine
verlässliche Patentierung würden moderne Medikamente
erst gar nicht entwickelt und damit den Patienten zu
deren Heilung auch nicht zur Verfügung stehen. In
Deutschland haben wir heute bereits immerhin mehr als
100 Produkte aus gentechnischer Herstellung. Also
brauchen wir die Patentierung und sollten nicht ständig
so tun, als wäre dieses Problem anderweitig lösbar.
({4})
Andererseits, Herr Kollege Tauss, ist der Wissensstand über das menschliche Genom heute ein anderer
als 1998. Damals hätte sich sicherlich niemand träumen
lassen, dass unsere persönliche genetische Ausstattung
inzwischen auf drei Stellen hinter dem Komma genau,
also zu 99,999 Prozent, entschlüsselt ist und dass von
den ursprünglich einmal perspektivisch genannten
100 000 Genen, die man dem Menschen sozusagen als
Krönung der Schöpfung zurechnete, gerade einmal
22 000 übrig geblieben sind.
Das aber heißt doch gerade, dass humane Gene nicht
eindimensional, wie man damals glaubte, sondern mehrdimensional oder multifunktional sind. Wenn also mehrere Erfindungen auf demselben Gen möglich sind, wäre
es eine Überbelohnung, dem Ersterfinder gleich das gesamte Gen für seinen Patentanspruch zu sichern.
({5})
Deswegen haben wir als CDU/CSU schon vor anderthalb Jahren in unserem Antrag vorgeschlagen, die
Reichweite eines Patents zu begrenzen und diese
Reichweite konkret auf den Umfang festzulegen, den der
Erfinder funktionell und gewerblich nachgewiesen sowie in seiner Patentschrift beschrieben hat.
({6})
Das ist ganz konkret der Inhalt unseres Antrags und der
liegt diesem Hause immerhin seit anderthalb Jahren vor.
Wenn Sie sich etwas mehr beeilt und sich diesem Vorschlag angeschlossen hätten, wäre die Verabschiedung
des Biopatentrechtes schon über die Bühne gegangen.
({7})
- Herr Kollege Loske, ich kann verstehen, wenn es Ihnen etwas Mühe macht, unserer vorauseilenden Arbeit
zu folgen, aber dass diese Arbeit richtig und gut war,
sollten Sie anerkennen. Das wäre das Mindeste, was Sie
tun können.
({8})
Erlauben Sie mir, an dieser Stelle zu den Einwendungen
der FDP Stellung zu nehmen, die Forschung würde dadurch behindert.
({9})
Ich glaube, genau das Gegenteil ist der Fall. Würden wir
die zu weit gehenden Ansprüche zulassen, die als so genannte Vorratspatente oder auch strategische Patente
bezeichnet werden, dann wäre doch kaum noch ein Wissenschaftler oder Unternehmer bereit, in dem schon abgesteckten Claim noch initiativ zu werden und dort forschend weiterzuarbeiten.
({10})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Wodarg?
Selbstverständlich.
Herr Heiderich, ich habe eine Frage. Sie haben davon
gesprochen, dass Gene multifunktional seien und dass
die gefundene Regelung deshalb gut sei. Wir haben hier
immer über das menschliche Genom gesprochen. Können Sie mir darin zustimmen, dass auch pflanzliche
Gene multifunktional sind? Welche Konsequenz sollte
man Ihrer Meinung nach daraus ziehen?
Zum einen kann ich Ihnen an dieser Stelle nicht voll
zustimmen, weil die Forschung auf diesem Gebiet noch
nicht so weit ist.
({0})
Zum anderen - das ist vorhin schon gesagt worden ist es auch aus ethischer Sicht ein Unterschied, ob man
über das menschliche Genom oder über das Genom einer
Pflanze spricht.
({1})
Wir haben immer gesagt - das können Sie auch in unserem Antrag nachlesen -, dass wir aus dieser ethischen
Überlegung heraus der Auffassung sind, dass wir die
Reichweitenbeschränkung beim menschlichen Genom
vertreten können, nicht aber bei Pflanzen und in anderen
Bereichen. Dem entsprechend sieht auch unser Vorschlag aus. Dass Sie ihm gefolgt sind, zeigt, dass Sie
letztendlich zu denselben Erkenntnissen gekommen
sind.
({2})
Die „FAZ“ hat kürzlich sehr anschaulich eine Analogie mit der Goldgräberzeit hergestellt: Findet jemand
eine Goldader und kann deren Existenz nachweisen, so
soll er für deren Umfeld ein Schutzrecht erhalten, aber
nicht gleich einen Anspruch auf eine ganze Region oder
gar ein ganzes Land. Ich glaube, dieses Beispiel macht
deutlich, worum es bei der Begrenzung der Reichweite
geht. Ich glaube, sie behindert die Forschung nicht. Sie
gibt im Gegenteil den Anreiz, auch die noch unerforschten Gebiete unverzüglich in Angriff zu nehmen und dort
weiter zu forschen.
Meine Damen und Herren, wir haben eben schon gesagt: Wir freuen uns, dass wir zu dieser gemeinsamen
Lösung gekommen sind. Wir hätten sie längst haben
können, wenn Sie uns früher gefolgt wären.
Wir wollen aber noch einmal deutlich machen - das
hat Herr Wodarg angesprochen -, dass mit der heutigen
Entscheidung zum ersten Mal ethisch-moralische
Grundsätze ins Patentrecht aufgenommen werden, das
eigentlich ein reines Wirtschaftsrecht ist; das sollte man
nicht übersehen. Vorschriften etwa zum Schutz von Embryonen und zum Schutz der menschlichen Identität
werden nun konkret im Patentrecht verankert. Das ist,
glaube ich, ein ganz wesentlicher Fortschritt gegenüber
dem, was wir bisher im Patentrecht hatten. Dieses Ergebnis hätte es durchaus verdient, dass wir schneller zu
ihm gekommen wären.
Dass die Patentrichtlinie auf europäischer Ebene fortentwickelt werden muss, ist selbstverständlich. Die Wissenschaft schreitet fort. Es gibt völlig neue Gebiete der
Wissenschaft. Ich denke hier nur an die Stammzellforschung, an davon abgeleitete Therapien und an spätere
Medikamente. Auch diese Fragen sind in der Patentrichtlinie noch nicht enthalten, weil man 1998 daran
überhaupt noch nicht denken konnte.
Um noch einmal auf die Pflanzen zurückzukommen:
Letztlich ist eine klare Regelung zum Vorrang des Sortenschutzes in dieser Richtlinie verankert. Auch das ist
ein entscheidender Fortschritt.
Meine sehr veehrten Kolleginnen und Kollegen, das
Ergebnis - einerseits ein eindeutiger Schutz für den Erfinder, andererseits eine ebenso eindeutige Begrenzung
der Reichweite des Patents beim menschlichen Genom ist eine gute, nach unserer Auffassung die beste Lösung
für die Zukunft des Biotechnologiestandortes Deutschlands. Deswegen werden wir dem, was wir Ihnen schon
lange vorgelegt haben und worauf wir uns jetzt einigen,
natürlich gerne zustimmen.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat der Kollege Christoph Strässer, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Nach den vielfältigen unterschiedlichen Einschätzungen zum Geburtsrecht an diesem Gesetzentwurf
möchte ich nur an eine Geburtswehe erinnern, die nicht
von der rot-grünen Koalition und dieser Bundesregierung verursacht wurde, sondern in Ihrer Regierungszeit,
meine Damen und Herren von der CDU/CSU. Die Zustimmung zur und die Erwirkung der Biopatentrichtlinie
im Jahre 1998 - nach einer zehnjährigen Diskussion,
({0})
zu einem Zeitpunkt, als diese, wie Kollege Loske richtig
gesagt hat, schon überhaupt nicht mehr in Übereinstimmung mit den konkreten Entwicklungen in der Technik
sowie in der ethischen, rechtlichen und patentrechtlichen
Forschung zu bringen war - war der eigentliche Geburtsfehler,
({1})
mit dem wir jetzt über Jahre zu tun hatten. Das war ein
Ereignis Ihrer Regierungstätigkeit. Ich möchte das, wenn
wir über Urheberschaft reden, noch einmal deutlich erwähnen.
({2})
Das Zweite sage ich in Richtung FDP. Ich glaube, hier
wird einfach ignoriert, was wir in unseren Diskussionen
in den letzten fünf, sechs Jahren nachvollzogen haben
und was jetzt - ich sage: endlich - in einen konkreten
Gesetzentwurf mündet.
({3})
Es geht nämlich um die Frage, wie das Patentrecht und
insbesondere das europäische Patentrecht auszugestalten
und zu organisieren ist.
Sie haben über die Anhörung geredet. Sie müssten
die Mehrheit der Sachverständigen, die dort geredet haben, so wie wir verstanden haben:
({4})
In der aktuellen Patentrechtspraxis ist es ohnehin ausgesprochen selten, dass noch Stoffschutz gewährt wird.
Das gilt für Stoffe aller Art, aber insbesondere für biotechnologische Erfindungen. Das haben sowohl die
Richter des Patentrechts und die Patentanwälte als auch
der anwesende BGH-Richter sehr deutlich bestätigt. Wir
vollziehen nach, was in der patentrechtlichen Praxis seit
langem üblich ist. Deshalb ist es völlig falsch, zu sagen,
wir machten hier ein neues Patentrecht und schränkten
Patente ein. Vielmehr schaffen wir eine konsequente und
rechtsstaatlich saubere Lösung für die Gerichte, die hier
schon anders entscheiden, als es nach dem deutschen Patentrecht möglich ist. Deshalb ist das eine gute Regelung.
({5})
Lassen Sie mich dazu eine Ergänzung machen. Ich
denke, dass man die Positionen an dieser Stelle wirklich
klarstellen muss.
({6})
Ich will die Frage der Entwicklung und der Beschreibung von Funktionen natürlicher und menschlicher Gene
nicht wiederholen. Die zentrale Frage ist, wie der Stoffschutz organisiert werden soll. Konkrete Formulierungen haben Sie übrigens nicht vorgelegt. Es ist zwar
schön, Entschließungsanträge zu schreiben; aber als es
ans Eingemachte ging - das gilt auch für die erste Lesung -, haben Sie sich nicht wirklich an dieser Diskussion beteiligt.
({7})
Sie vergießen jetzt Krokodilstränen. Das, was wir gemacht haben, ist das konkrete Ergebnis einer ganz konkreten Politik. Darüber sollten wir uns jetzt streiten.
({8})
- Auf dem Markt sind Sie; das ist richtig. Die Frage ist
nur, wessen Interessen Sie vertreten. Das müssen wir
nicht weiter thematisieren. Das ist ganz klar.
Es gibt einen Punkt, über den wir uns in Zukunft streiten werden und streiten müssen - deshalb ist auch Ihre
Kritik leider nicht berechtigt -, den wir hier nicht regeln
konnten, den wir aber regeln müssen. Es geht um die
Frage des Nebeneinanders von Patenten, die nach
deutschem Patentrecht beantragt werden, und den Patenten, die beim Europäischen Patentamt über das EPÜ beantragt werden. Wenn Sie sich die Statistiken anschauen,
dann wissen Sie, dass ein Großteil der Patente, um die es
auch hier geht, über das EPÜ beantragt wird. Diese Patente erfassen wir gegenwärtig mit dem deutschen Patentrecht nicht. Das war der Konfliktpunkt, über den wir
uns in den letzten Tagen, Wochen und Monaten sehr intensiv Gedanken gemacht haben. Ich finde es vernünftig
und richtig, dass wir diese Diskussion zum Anlass nehmen, auch an die Fragen des europäischen Patentrechts
und des europäischen Patentschutzes heranzugehen;
denn es kann nicht sein, dass durch das EPÜ rechtliche
Normen zur Disposition gestellt werden und es niemanden gibt, der über die Einhaltung dieser Normen wacht.
Das gilt auch für den EuGH. Vielmehr betreibt das Europäische Patentamt seine eigene Politik. Wenn es Ergebnis dieser Diskussion ist, an diese Fragen heranzugehen,
dann haben wir auch für das Patentrecht und für die Entwicklung des Patentrechts einiges getan. Darüber werden wir sicherlich in den nächsten Wochen und Monaten
noch weiter diskutieren.
Ich glaube, wir haben ein gutes Gesetz und Rechtsicherheit geschaffen. Die Wirtschaft, die Forschung und
auch diejenigen, die ethische Bedenken haben, sollten
hiermit leben können. Deshalb sage ich: Stimmen Sie zu,
dann haben wir ein gutes Gesetz.
Herzlichen Dank.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umset-
zung der Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotech-
nologischer Erfindungen auf Drucksache 15/1709. Dazu
liegen uns Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung
von den Kollegen Dr. Hermann Scheer, Ernst Kranz,
Dr. Wolfgang Wodarg sowie 25 MdBs des Bündnis-
ses 90/Die Grünen vor.1)
Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4417, den
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Es
liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf
Drucksache 15/4436 vor, über den wir zuerst abstim-
men. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsan-
trag ist mit den Stimmen der Koalition und der CDU/
CSU gegen die Stimmen der FDP abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men der Koalition und der CDU/CSU gegen die
Stimmen der FDP angenommen.
1) Anlage 9
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
damit in dritter Beratung mit demselben Stimmergebnis
wie in zweiter Beratung angenommen.
Tagesordnungspunkt 25 b: Wir setzen die Abstimmungen über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 15/4417 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen
der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf
Drucksache 15/2657 mit dem Titel „Für ein modernes
Biopatentrecht“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen.
Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Rechtsausschuss die Ablehnung des Antrags
der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/1024
({0}) mit dem Titel „Die europäische Biopatentrichtlinie
von 1998 umsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? ({1})
Ich wiederhole die Abstimmung: Unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Rechtsausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 15/1024 ({2}). Wer stimmt
für die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition und der
FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen.
({3})
- Herr Kollege Ramsauer.
Frau Präsidentin, das eben Geschehene veranlasst
mich zu der Frage, was an der Abstimmung, die wir zunächst durchgeführt haben, so fehlerhaft gewesen sein
soll, dass eine Wiederholung erforderlich war. Das Abstimmungsverhalten der SPD war eindeutig.
Die Klarheit der Abstimmung war nicht gegeben. Es
war unübersichtlich, Herr Kollege Ramsauer.
({0})
Wir setzen die Abstimmungen fort. Schließlich emp-
fiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d seiner Beschluss-
empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
FDP auf Drucksache 15/1219 mit dem Titel „Rechtssi-
cherheit für biotechnologische Erfindungen durch
schnelle Umsetzung der Biopatentrichtlinie“. Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung des Ausschusses? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschluss-
empfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalition
und der CDU/CSU gegen die Stimmen der FDP ange-
nommen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 26 a und b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung dienst- und arbeitsrechtlicher Vorschriften im Hochschulbereich
({1})
- Drucksache 15/4132 ({2})
- Zweite und dritte Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung dienst- und
arbeitsrechtlicher Vorschriften im Hochschulbereich ({3})
- Drucksachen 15/4229, 15/4299 ({4})
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Freigabe der Personalstruktur an Hochschulen ({5})
- Drucksache 15/3924 ({6})
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({7})
- Drucksache 15/4418 -
Berichterstattung:
Abgordnete Ulrike Flach
Thomas Rachel
bb)Bericht des Haushaltsausschusses ({8}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksachen 15/4428, 15/4429 -
Berichterstattung:
Abgordnete Carsten Schneider
Klaus-Peter Willsch
Anna Lührmann
Jürgen Koppelin
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({9})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Katherina
Reiche, Thomas Rachel, Dr. Maria Böhmer,
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Flexiblere Personalstrukturen bei Drittmittelprojekten im Hochschulbereich schaffen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach,
Cornelia Pieper, Dr. Karl Addicks, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Befristungen von Beschäftigungsverhältnissen im Hochschulbereich flexibilisieren
- Drucksachen 15/4131, 15/4151, 15/4418 Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrike Flach
Thomas Rachel
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Ute Berg, SPD-Fraktion.
({10})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen, den wir heute
verabschieden wollen, schaffen wir Rechtssicherheit für
die Hochschulen und die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das ist notwendig geworden, nachdem das
Bundesverfassungsgericht im Juli mit seiner Entscheidung zur Juniorprofessur auch das neue Befristungsrecht
außer Kraft gesetzt hat.
({0})
Die Regelungen für befristete Arbeitsverträge
der fünften HRG-Novelle haben wir - übrigens
nach Abstimmung mit den Wissenschaftsministerinnen
und -ministern der Länder - in modifizierter Form in den
neuen Gesetzentwurf übernommen.
({1})
Der Bundesrat hat daher am vergangenen Freitag keine
Einwände gegen den Gesetzentwurf erhoben.
In meiner Rede am 12. November habe ich sehr stark
auf die Juniorprofessur Bezug genommen und die Chancen dargestellt, die sich daraus für den wissenschaftlichen Nachwuchs und den Wissenschaftsstandort
Deutschland ergeben. Heute gehe ich stärker auf die
Zeitvertragsregelungen ein. Dabei handelt es sich zwar
auf den ersten Blick um eine sehr trockene Materie, die
aber ebenso existenzielle Auswirkungen für die betroffenen Menschen und die Wissenschaftseinrichtungen in
Deutschland hat.
Ich will an dieser Stelle noch einmal deutlich machen,
vor welchem Problem wir in der Praxis stehen. Viele
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben
Schwierigkeiten, nach ihrer Qualifikationsphase eine
dauerhafte Beschäftigung unterhalb der Professur zu
bekommen. Das liegt daran, dass eine unbefristete Beschäftigung im öffentlichen Dienst praktisch mit einem
unkündbaren Arbeitsverhältnis gleichzusetzen ist. Wer
15 Jahre im öffentlichen Dienst beschäftigt ist, wird unkündbar. Daher stellen Wissenschaftseinrichtungen, insbesondere Universitäten, nur in Ausnahmefällen unbefristet ein. Sie binden sich damit nämlich sozusagen
lebenslänglich, zumindest was das Berufsleben der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler betrifft. Sie können dann in der Personalplanung nicht mehr flexibel auf
Herausforderungen im Wissenschafts- und Forschungsbereich reagieren.
Die Lösung dieses Problems liegt aber nicht, wie Sie,
meine Damen und Herren von der Opposition, vorschlagen, in einer Ausweitung der Befristungsmöglichkeiten
nach der Qualifikationsphase. Das wäre nicht nur für die
betroffenen Menschen eine Zumutung, die sich ständig
von Befristung zu Befristung hangeln müssten, sondern
auch europa- und verfassungsrechtlich höchst problematisch. Sowohl das deutsche als auch das europäische
Arbeitsrecht sehen als Regelfall das unbefristete Arbeitsverhältnis vor. Befristete Arbeitsverhältnisse müssen
Ausnahmecharakter haben.
({2})
Auch der Wissenschaftsrat spricht sich explizit gegen
zusätzliche Befristungsmöglichkeiten aus, also explizit
gegen das, was Sie in Ihrem Antrag als Ergänzung vorschlagen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU.
({3})
- Das steht in Ihrem Antrag; ich kann das zitieren.
Wir wollen wie der Wissenschaftsrat stattdessen das
Kündigungsrecht wissenschaftsspezifisch erweitern.
({4})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Bergner? - Herr Kollege Bergner, ich weise
aber darauf hin, dass es schon sehr spät ist, dass es noch
viele Tagesordnungspunkte gibt und dass es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesem Hause gibt, die irgendwann einmal in das wohlverdiente Wochenende gehen
wollen.
({0})
Bitte, Frau Berg.
Frau Präsidentin, ich bitte Sie, mir die Zeit, die ich dadurch verloren habe, gutzuschreiben; das wäre nett.
Wie gesagt, der Wissenschaftsrat spricht sich explizit
gegen das aus, was Sie in Ihrem Antrag als Ergänzung
vorschlagen. Wir wollen wie der Wissenschaftsrat stattdessen das Kündigungsrecht wissenschaftsspezifisch erweitern. Die Hürden für eine betriebsbedingte Kündigung sollen herabgesetzt und der dauerhafte Wegfall
von Drittmitteln soll als Kündigungsgrund anerkannt
werden. Wir wollen damit erreichen, dass Wissenschaftseinrichtungen in Zukunft nicht mehr davor zurückschrecken, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach
der Qualifizierungsphase unbefristet einzustellen. Damit bieten wir den betroffenen Menschen eine verlässliche Zukunftsperspektive.
Die Neuregelung des Kündigungsschutzes muss aber
durch eine Reform des BAT flankiert werden. Der steht
einer solchen Neuregelung derzeit entgegen. Das heißt,
dass § 53 des Bundesangestelltentarifs, der besagt, dass
nach 15 Jahren im öffentlichen Dienst die Unkündbarkeit
eintritt, aufgehoben werden muss. Nun laufen zurzeit,
wie Sie wissen, Verhandlungen über eine grundlegende
Reform des BAT. Wir alle sollten als Bundesbildungspolitikerinnen und -politiker dafür kämpfen, dass die Länder wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren und
die Tarifverhandlungen nicht weiter boykottieren.
({0})
Bund, Länder, Wissenschaftseinrichtungen und die Interessenvertretungen der Beschäftigten müssen ein massives Interesse daran haben, dass die Verhandlungen
erfolgreich abgeschlossen werden. Solange diese Verhandlungen nicht abgeschlossen sind, können wir keine
gesetzlichen Änderungen beschließen; denn das würde
als Eingriff in die Tarifautonomie gewertet. Ein entsprechender Beschluss kann also zum jetzigen Zeitpunkt
nicht getroffen werden, weil er rechtlich nicht haltbar
wäre.
Beide Aspekte des Änderungsvorschlags zur Weiterbeschäftigung der Wissenschaftler - der tarifliche und
der gesetzliche - müssen in Einklang gebracht werden.
({1})
Um genügend zeitlichen Spielraum dafür zu bekommen,
haben wir im neuen Gesetz die Übergangsphase für
das Zeitvertragsrecht bis 2008 erweitert. Bis dahin
können die betroffenen Wissenschaftler weiterhin sachgrundlos befristet angestellt werden und bis dahin werden wir eine dauerhafte Lösung für die betroffenen Menschen erreicht haben.
Ich bin sicher, dass Sie sich der Logik meiner Argumentation nicht verschließen konnten und nun unserem
Gesetzentwurf sowie dem Antrag der Koalitionsfraktionen zustimmen werden. Folgerichtig müssen Sie dann
natürlich die Anträge von CDU/CSU und FDP sowie
den Gesetzentwurf des Bundesrates ablehnen. Dafür bedanke ich mich schon im Voraus sehr herzlich.
({2})
Das Wort hat der Kollege Dr. Christoph Bergner,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da der
Herr Kollege Tauss mit Blick auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil von Prozesshanseln sprach, möchte
ich vorausschicken: Nicht Gerichtsschelte, sondern Regierungsschelte ist hier angebracht.
({0})
Frau Bulmahn hat mit der fünften Novelle zum Hochschulrahmengesetz die Wissenschaftsfreiheit beschnitten
und in die Kompetenzen der Länder eingegriffen. Letzteres hat zu einer Normenkontrollklage geführt, die erfolgreich war. Sie müssen noch mit weiteren Richtersprüchen
wie diesem rechnen. Insoweit wären Regierungsschelte
und das Nachdenken über das eigene Handeln sehr viel
angebrachter als Gerichtsschelte.
({1})
Wir befinden uns nun in einer fatalen Situation; wir
stehen vor einem Scherbenhaufen: Wir müssen den
Schaden reparieren, der mit dieser Novelle angerichtet
wurde. Wir sind uns einig, dass Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler, die aufgrund der Befristung ihrer Arbeitsverträge auf rechtlich
unsicherem Grund stehen, jetzt Rechtssicherheit brauchen;
({2})
die Befristungsregelungen der fünften HRG-Novelle
sind vom Bundesverfassungsgericht nämlich aufgehoben worden.
({3})
- Herr Tauss, hören wir damit auf. - Wir sind uns einig,
dass wir für die Nachwuchswissenschaftlerinnen und
Nachwuchswissenschaftler Rechtssicherheit schaffen
wollen und dass dies durch die Annahme der Beschlussempfehlung gewährleistet wird. Deshalb werden wir der
Beschlussempfehlung zustimmen.
({4})
Ich kann Ihnen allerdings nicht ersparen, Sie darauf
hinzuweisen, dass Sie einer anderen Gruppe die Schaffung eines angemessenen Rahmens schuldig bleiben:
den Drittmittelwissenschaftlern. Auf der Internetseite
www.maintainbrains.de stellen junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Initiative „Wir wollen forschen - in Deutschland“ vor. Auf dieser Internetseite
sind Zuschriften von Betroffenen zu finden. In diesen
Zuschriften werden nicht nur die Probleme der Nachwuchswissenschaftler behandelt, sondern auch die
Probleme derer, die - weil moderne Wissenschaft
projektmittelbezogen ist - ihre Arbeit auf der Basis von
Projektmitteln ausführen.
Der sachliche Grund für eine Befristung im Nachwuchsbereich auf zwölf oder 15 Jahre ist durchaus sinnvoll; denn es geht um das Erreichen einer Qualifikation.
Dafür sollte man keine unendlichen Zeiträume vorgeben.
Die pauschale Übertragung dieser Befristung auf den
Drittmittelbereich ist dagegen völlig unangemessen und
führt zu ausgesprochenen Fehlsteuerungen. Ich verweise
nur auf die Proteste auf der erwähnten Internetseite und
auf zahlreiche Leserbriefe in überregionalen Zeitungen.
Das Ganze ist ein unmittelbares Ergebnis der
fünften HRG-Novelle.
({5})
Auch wenn wir der Modifikation der fünften HRGNovelle zustimmen, müssen wir darauf aufmerksam machen: Es wird zu wenig korrigiert. Wir bleiben einem
wichtigen Sektor unserer Wissenschaft in Bezug auf
seine Entwicklung eine angemessene Antwort schuldig.
Moderne Wissenschaft bedeutet projektmittelbezogene
Forschung und projektmittelbezogene Forschung bedeutet Mittelvergabe im Wettbewerb. Zeitlich befristete Projektmittel bedürfen eines Rechtsrahmens, damit personal- und arbeitsrechtliche Verhältnisse geklärt sind.
({6})
- Herr Kollege Tauss, sprechen Sie doch einmal mit den
Betroffenen.
({7})
Für sie ist das kein Problem. Sie finden es besser, auf einer befristeten Drittmittelstelle zu sitzen und in Deutschland zu forschen, als aufgrund einer fehlenden Regelung
im Hochschulrahmengesetz - das ist das eigentliche Problem - ins Ausland verwiesen zu werden.
({8})
Ich entnehme der Rede der Kollegin Berg, dass Einigkeit über das Vorhandensein dieses Problems besteht.
Unser Lösungsansatz sieht die Angabe eines sachlichen
Grundes für die Verlängerung der Befristigung von
Drittmittelstellen vor. Das Ganze könnte über die Einführung eines § 57 b im Hochschulrahmengesetz geregelt werden. Sie lehnen unseren entsprechenden Antrag
ab. Das ist nicht zu verstehen.
({9})
- Nein, Herr Kollege Tauss.
Der von Ihnen vorgeschlagene Weg ist rechtlich sehr
viel fragwürdiger und sehr viel problematischer. Das,
was wir vorschlagen, ist konform mit der EU-Richtlinie.
({10})
Die EU-Richtlinie gibt eine Mindestfrist von 15 Jahren
vor; gleichzeitig wird in ihr die Angabe eines sachlichen
Grundes zur Verlängerung befristeter Arbeitsverhältnisse gefordert. Die Angabe eines solchen sachlichen
Grundes wollen wir in einem § 57 b des Hochschulrahmengesetzes regeln. Damit würden wir uns konform mit
der EU-Richtlinie verhalten.
Wir haben keine Probleme mit § 53 BAT-West. Auch
in ihm wird die Verlängerung der Frist von 15 Jahren mit
der Festlegung eines sachlichen Grundes verknüpft.
Ich will Ihnen die Schwierigkeiten kurz andeuten, die
der Vorschlag des Wissenschaftsrats und Ihre Vorgehensweise nach sich ziehen. Sie wollen wissenschaftsspezifische Kündigungsgründe einführen. Das bedeutet
nichts anderes, als dass man jemanden unbefristet einstellen muss, obwohl die Mittel nur befristet vorhanden
sind.
({11})
- Das ist genau der Punkt. Sie wollen ein unbefristetes
Arbeitsverhältnis und gleichzeitig einen neuen Kündigungsgrund für den Fall des Auslaufens von Drittmitteln.
({12})
Herr Kollege, ich muss Sie trotz allem an die Redezeit
erinnern.
Frau Präsidentin, noch zwei Sätze. - Ich möchte den
Kanzler einer Universität sehen, der sich auf ein solches
Unternehmen einlässt!
Ich möchte aber noch ein Zweites sagen. Jeder Arbeitsrichter wird die Frage stellen: Gibt es nicht noch andere Drittmittelprojekte, mit denen die Stelle dann finanziert werden kann? - Man kommt aber zu einer den
Belangen von Wissenschaft nicht adäquaten Zuteilung
von Personalressourcen,
Herr Kollege Bergner!
wenn man den Beschäftigten von einer Drittmittelstelle, für die er eine Qualifikation hat,
Herr Kollege Bergner!
auf eine andere Drittmittelstelle setzt, für die er keine
Qualifikation hat. Ihr Weg ist der falsche Weg. Sie haben
einen großen Fehler gemacht, indem Sie unserem Vorschlag nicht zugestimmt haben.
Schönen Dank.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Grietje Bettin, Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute stehen wir vor der Wiederherstellung der
Rechtssicherheit für unsere jungen Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler. Die
Rechtsgrundlage für die Juniorprofessur und die für befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft wird wiederhergestellt. Um diese Rechtssicherheit zu bekommen,
haben wir aus grüner Sicht eine Kröte geschluckt. Gern
hätten wir diese Novelle für Verbesserungen an der
Zwölfjahresregel genutzt. Jetzt soll diese Regel nahezu
unverändert im Gesetz stehen bleiben. Zustimmen können wir dem Gesetzentwurf aber trotzdem, weil wir
gleichzeitig eine Entschließung vorlegen, erfreulicherweise zusammen mit der FDP. Darin finden wir unsere
grünen Ziele sachlich und juristisch gut begründet aufgenommen und dargestellt:
Erstens. Wir streben eine Weiterentwicklung des wissenschaftsspezifischen Befristungs- und Kündigungsrechts an, die die notwendige Flexibilität und Rechtssicherheit für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
sowie für Institutionen gleichermaßen schafft.
Zweitens. Wir fordern gemeinsam die Einführung eines eigenen Tarifs für Forschung und Lehre, und zwar
gemeinsam mit den Tarifpartnern. Die Ausgestaltung der
Arbeits- und Qualifikationsbedingungen sowie die Befristungs- und Kündigungsregelungen sollen damit weitgehend in die Hände der Tarifpartner überführt werden.
Beides wollen wir im Laufe des nächsten Jahres angehen.
Die Neuregelung, die wir heute verabschieden, setzt
eine Übergangsfrist bis Februar 2008. So lange können
und wollen wir die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aber nicht warten lassen. Sie brauchen Sicherheit für ihre Lebensplanung. Deswegen muss die Neuregelung bis Ende 2006 stehen, liebe Kolleginnen und
Kollegen.
({0})
Die Änderungen, die ich eben beschrieben habe, wären schon heute möglich gewesen, wenn die unionsgeführten Länder nicht die Taktiererei vor die Sachentscheidung gestellt hätten.
({1})
Hätten wir uns sofort nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zusammengesetzt, wie Frau Ministerin
Bulmahn vorgeschlagen hatte, hätten wir gut und gern
gemeinsam eine Weiterentwicklung auf den Weg bringen können; das zeigen auch die Anträge der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion zu diesem Thema.
({2})
- Tja.
Leider gibt es allerdings beunruhigende Neuigkeiten
aus der Förderalismuskommission. Derzeit sieht es nämlich so aus, als ob die Personalstruktur und das Dienstrecht nicht mehr im Hochschulrahmengesetz vorgegeben
werden sollen, sondern in die Hände der Länder gelegt
werden.
({3})
Besonders prekär dabei ist: Die Länder müssen nach
dem bisherigen Stand keine einheitlichen Regelungen
vereinbaren. Das entspricht dem Entwurf, den der Bundesrat diesem Parlament zur Abstimmung vorgelegt hat.
Lieber Herr Frankenberg, damit ist Ihre Beteuerung, Sie
wollten den Verhandlungen in der Förderalismuskommission nicht vorgreifen, wohl hinfällig. Ihr Entwurf untermauert, dass es Ihnen nicht um die Sachentscheidung
geht.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fürchte die Folgen, die sich aus der Verlagerung dieser Kompetenz ergeben können. Die Konsequenz wäre die Preisgabe der
Bundeseinheitlichkeit von Qualifikationswegen und
Personalkategorien. Um zu verdeutlichen, was das
hieße, wiederhole ich: Vor Einführung der bundeseinheitlichen Regelung, wie sie im Rahmengesetz steht, gab
es im damaligen Westdeutschland an den Hochschulen
rund 70 verschiedene Personalkategorien. Das wäre unserer Einschätzung nach aber noch nicht das
Schlimmste.
Diese 70 Personalkategorien bezogen sich immerhin
auf die klaren Qualifikationsschritte Hochschulabschluss, Promotion und Habilitation. Wenn wir aber
auch bei diesen Qualifizierungsschritten den Weg zurück
in die Kleinstaaterei wählen, geraten wir schnell in eine
Situation, wie sie für Lehramtsstudierende seit jeher ärgerliche Realität ist:
({5})
Ihr Abschluss wird nicht überall in Deutschland anerkannt. Es liegt in der Willkür der Länder, ob im Einzelfall eine Anerkennung ausgesprochen wird oder nicht.
Eine solche Entwicklung bei den Abschlüssen von wissenschaftlichen Qualifikationsschritten wäre in höchstem Maß schlecht für die Mobilität der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler innerhalb Deutschlands und
damit natürlich auch für unser Bestehen im weltweiten
Wettbewerb um die klügsten Köpfe.
({6})
Gerade deshalb kann ich den Antrag, der ja von Ihrer
Landesregierung, Herr Frankenberg, in den Bundesrat
eingebracht wurde, nicht verstehen. Natürlich werden
Sie jetzt sagen, die Länder werden das untereinander koordinieren. Vielleicht geschieht das. Damit wären aber
einmal mehr die Parlamente faktisch von der Debatte
ausgeschlossen. Stattdessen würde beispielsweise die
Landesregierung in Sachsen darüber mitbestimmen, was
in Schleswig-Holstein zu gelten hat. Ich habe damit
- das tut mir Leid - ein grundsätzliches Problem. Ihre
Vorstellung von Föderalismus ist, dass die Regierungen
die Sachen ausdealen und die Parlamente nur noch abnicken sollen, ohne selbst gestalten zu können.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als Grüne setzen uns dafür ein, zum einen die Parlamente an wichtigen politischen Diskussionen von Anfang an zu beteiligen und zum anderen die Mobilitätschancen von
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in ganz
Deutschland aufrechtzuerhalten. Dafür muss der Bund
die Zuständigkeit für das Dienstrecht an Hochschulen
behalten. Um das zu erreichen, sollten wir aus fachpolitischer Sicht gemeinsam an einem Strang ziehen.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Ulrike Flach, FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Die Regierungskoalition hat uns heute eine Reparaturnovelle vorgelegt, die notwendig wurde - darüber
haben wir eben bereits ausführlich gesprochen -, weil
das Bundesverfassungsgericht die 5. HRG-Novelle gekippt hat. Ich will an dieser Stelle für die FDP sehr klar
und deutlich sagen: Wir werden dieser Reparatur zustimmen, weil wir Sicherheit für die Betroffenen wollen und
weil wir die Juniorprofessur für richtig, für zukunftsweisend und für notwendig erachten. Wir werden dieser Novelle zustimmen, auch wenn wir uns mehr Flexibilität
für die aus Drittmitteln finanzierten Stellen wissenschaftlicher Mitarbeiter, genau wie es Herr Bergner eben
angeführt hat, und mehr Flexibilität im Bereich der Studierenden gewünscht hätten.
Ich möchte die Gelegenheit nicht verstreichen lassen,
auf drei Punkte hinzuweisen, die über das, was wir heute
besprechen, hinausgehen:
Erstens. Die finanzielle Situation der deutschen
Hochschulen ist kritisch. Das Missverhältnis zwischen
Drittmitteleinwerbung und Stellen an Hochschulen ist
eklatant. Wir freuen uns natürlich, dass Mittel aus der
Wirtschaft eingeworben werden, wir kritisieren aber auf
das Schärfste, Herr Professor Frankenberg - ich bitte Sie
sehr, das mitzunehmen -, dass die Bundesländer die
Stellenzahl an Hochschulen zum Teil drastisch zusammenstreichen. Es besteht aktuell die Gefahr, dass die Juniorprofessuren finanziell unzureichend ausgestattet
werden.
({0})
Zweitens. Erhebliche Probleme werden auf die
Juniorprofessur auch aufgrund des sich abzeichnenden
Ergebnisses der Föderalismuskommission zukommen.
Wir haben zurzeit circa 1 000 Juniorprofessoren, wir
brauchen 3 000. Dafür brauchten wir eigentlich neues
Geld.
({1})
Ich bin sehr gespannt, wie viele Juniorprofessorenstellen
nach Auslaufen der Förderung durch den Bund erhalten
bleiben. Angesichts der Recherchen des Bundesrechnungshofes - auch das sage ich sehr deutlich - wird die
FDP sehr genau danach schauen, was an den Universitäten wirklich passiert: Kommt das Geld wirklich den
Juniorprofessuren zugute oder stattet sich vielleicht jemand gut aus oder werden Baumaßnahmen vorgenommen? Solche Vorkommnisse können wir nicht dulden,
Frau Bulmahn.
({2})
Drittens. Ihre Reparaturnovelle bringt uns leider auch
keinen Schritt weiter bei der Schaffung eines Wissenschaftstarifvertrages.
({3})
Frau Berg, Sie wissen, dass Sie auf die Unterstützung
der FDP zählen können. Wir hoffen sehr, dass ein solcher endlich einmal kommen wird.
({4})
Meine Damen und Herren, dieses wird heute, wenn
ich das richtig einschätze, was Frau Bettin eben zu den
Ergebnissen der Föderalismuskommission gesagt hat,
die letzte HRG-Novelle sein, die wir hier zusammen diskutieren.
({5})
Ich bedaure dies für die FDP. Wir waren die Einzigen,
die ein wirklich verschlanktes HRG vorgelegt haben.
({6})
Ich hätte mich gefreut, wenn auch Frau Bulmahn das getan hätte, wie sie es immer versprochen hat. Das hätte
vielleicht die Verhandlungen mit den Ländern erleichtert.
Wir befinden uns also jetzt in der Situation, dass wir
eine Bildungsministerin haben, die Gefahr läuft, nur
noch Dekorationscharakter zu haben oder zur reinen
Forschungsministerin zu verkommen.
({7})
- Das „verkommen“ nehme ich zurück.
({8})
Ich glaube, die Zeit für die deutschen Hochschulen wird
trotz Juniorprofessur nicht leichter werden.
({9})
Das Wort hat die Bundesministerin für Bildung und
Forschung, Edelgard Bulmahn.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über eine
Novelle, die notwendig geworden ist, nachdem die
5. HRG-Novelle im Juli dieses Jahres durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil insgesamt für nichtig erklärt
wurde. Die Entscheidung war umstritten; das zeigt das
Minderheitenvotum. Das nützt aber den Betroffenen
überhaupt nichts. Deshalb haben wir diese Novelle sehr
schnell erarbeitet und vorgelegt.
Um, Herr Bergner, einem kollektiven Gedächtnisverlust vorzubeugen, erinnere ich daran, dass das, was wir
in der 5. HRG-Novelle niedergelegt hatten, dem klaren
Votum des Wissenschaftsrats entsprach. Im Wissenschaftsrat sind alle Länder und Wissenschaftsorganisationen vertreten - nur so viel zur Auffrischung Ihres Gedächtnisses.
({0})
Mit der jetzt vorliegenden Novelle schaffen wir wieder Rechtssicherheit, sowohl für die Juniorprofessorinnen und Juniorprofessoren als auch für die befristeten
Beschäftigungsverhältnisse. Wir mussten so schnell reagieren, weil die Länder, die die Juniorprofessur jetzt in
ihre Landesgesetzgebung aufnehmen wollten, praktisch
keine bundesrechtliche Grundlage mehr hatten. Das trifft
im Übrigen auch für das Land Baden-Württemberg zu.
Deshalb habe ich, gemeinsam mit den Wissenschaftsministern und -ministerinnen der Länder, sehr schnell die
Eckpunkte erarbeitet und den Gesetzentwurf hier vorgelegt. Ich will mich ausdrücklich bei allen Beteiligten für
die konstruktive Mitwirkung bedanken, durch die das so
schnell möglich war.
Unser Ziel war, dass - ich denke, das wird uns gelingen - zum Anfang des nächsten Jahres wieder für alle
Beteiligten Rechtssicherheit hergestellt ist.
({1})
Ich denke, das ist sowohl im Interesse der jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie auch im Interesse der Hochschulen und Forschungseinrichtungen
notwendig und wichtig.
({2})
Wir sind uns alle einig - das will ich deutlich unterstreichen -, dass die Juniorprofessur ein wichtiger Karriereweg für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist. Das zeigt sich im Übrigen auch an der
großen Zahl der jungen Wissenschaftler, die sich um die
Juniorprofessur bewerben.
Besonders freut mich, dass sehr viele junge Wissenschaftlerinnen von dieser Möglichkeit Gebrauch machen.
({3})
Wir haben hier einen deutlich höheren Anteil als üblicherweise, nämlich einen Anteil von 30 Prozent. Ebenso
ist der Anteil der Bewerbungen aus dem Ausland deutlich höher. Es ist ja auch unser gemeinsames Anliegen,
im Ausland wieder attraktiver zu werden. Die Zahlen
sprechen dafür, dass die damals getroffene Entscheidung, diesen Karriereweg für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu eröffnen, richtig war.
Ich setze darauf, dass die Länder, vor allem aber die
Universitäten die Juniorprofessur auch wirklich gut einsetzen. Ich sage das ausdrücklich, weil ich weiß, dass
das an den Universitäten manchmal unterschiedlich gehandhabt wird. Es liegt in der Verantwortung der Universitäten, den Juniorprofessoren das zu ermöglichen,
was wir gesetzlich garantieren, nämlich eigenständige
Wissenschaft und eigenständige Lehre. Dafür sollen die
Mittel verwendet werden, die sie aus dem Bundesprogramm erhalten. Das ist ganz klar vereinbart und wird
auch immer wieder überprüft. Ich sage allerdings ausdrücklich auch: Es liegt in der Verantwortung der Universitäten, das zu gewährleisten.
Das 2002 geschaffene Befristungsrecht, das ebenfalls
Bestandteil dieser Novelle ist und durch das für die Qualifikationsphase auf die Angabe eines besonderen Sachgrundes verzichtet wird - das ist ein Fortschritt; wir haben eine zwölfjährige Qualifikationsphase geschaffen, in
der nicht immer wieder neu eine inhaltliche Begründung
für eine Befristung erfolgen muss -, wird mit dieser Novelle bestätigt. Zudem haben wir in dieser Novelle eine
Übergangsregelung bis zum Jahr 2008 vorgesehen.
Frau Flach, auch ich hätte gerne eine flexiblere Regelung vorgesehen. Herr Bergner, Sie reden an dem Problem vorbei, wenn Sie sagen, dies könne man allein
durch ein Gesetz regeln. Was wir brauchen, ist ein Wissenschaftstarifvertrag.
({4})
Wenn wir den nicht haben, können wir auch durch noch
so sinnvolle gesetzliche Regelungen nichts ändern.
Ich habe deswegen die ausdrückliche Bitte an die
Länder - mehr kann ich ja nicht tun -, aber auch an alle
Abgeordneten, ihren Beitrag dazu zu leisten, dass wir einen solchen Tarifvertrag bekommen. Denn wenn die
Länder nicht mit im Boot sitzen, können wir zwar etwas
für die außeruniversitäre Forschung auf den Weg bringen, aber nichts für die Universitäten tun, wo die meisten
Betroffenen arbeiten.
Mein dringlicher Appell an die Länder ist, dass sie
mitmachen. Sonst kann die jetzige Situation nicht verändert werden. Ich halte, was bekannt ist, einen Wissenschaftstarifvertrag oder zumindest ein Fenster im BAT,
mit dem genau diese Möglichkeit geschaffen werden
kann, für zwingend erforderlich.
({5})
Die Bundesregierung unterstützt das Votum des Wissenschaftsrates. Um es einmal klar zu sagen: Was wir von
jedem mittelständischen Unternehmen verlangen, muss
man auch von einer Universität mit mehreren tausend Beschäftigten verlangen können. Da gibt es übrigens keinen
Dissens zwischen Bund und Ländern. Wir müssen und
wir wollen diesen Weg gemeinsam gehen. Diese Aufgabe
wird von allen sehr wohl erkannt. Ich hoffe, dass wir in
Kürze erste Fortschritte sehen werden, Frau Flach.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich mit
der klaren Aussage schließen, dass Deutschland insgesamt innovationsfähiger und international wettbewerbsfähiger werden muss. Dazu gehört auch, dass wir mehr
Mittel in die Hochschulen investieren. Die Bundesregierung tut das. Sie hat die entsprechenden Mittel um
23 Prozent erhöht.
Ich will allerdings als Reaktion auf Ihre Beiträge hier
sagen: Wir müssen auch den Mut und das Rückgrat haben, in den öffentlichen Haushalten umzuschichten.
({7})
Das ist keine theoretische Diskussion. Wir diskutieren
über eine ganz wesentliche Umschichtung, mit der wir
jedes Jahr 6 Milliarden Euro zusätzlich für Wissenschaft
und Bildung mobilisieren können.
({8})
Ich kann es einfach nicht verstehen - das sage ich an die
Adresse der CDU/CSU -, warum Sie sich dieser notwendigen Einsicht verschließen.
({9})
Das Geld wird nicht à la Sterntaler in unseren Schoß fallen.
({10})
Wir müssen schon den Mut und die Courage haben,
diese Entscheidung zu treffen. Deshalb mein Appell:
Machen Sie einmal Ernst damit und bestehen Sie die Nagelprobe!
({11})
Das liegt in unserem gemeinsamen Interesse.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat der Minister für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg, Herr
Professor Dr. Frankenberg.
({0})
Dr. Peter Frankenberg, Minister ({1}):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf jeden Fall habe ich nicht Herrn Tauss gewählt,
({2})
und dieses zum Wohl unseres Landes.
Internationale Hochschulrankings wie das der Jiao
Tong University in Schanghai oder von „Times Higher
Education Supplement“ zeigen, dass unter den ersten
50 Hochschulen in der Welt höchstens eine deutsche ist.
Wie sind diese Hochschulen verfasst? Sie sind eigentlich
überhaupt nicht staatlich reglementiert. Sie unterliegen
auch keinem Rahmenrecht, was ihre Personalstruktur
angeht. Es gibt für sie auch kein Dienstrecht, das landesweit vorgegeben ist. Sie haben vielmehr ihr eigenes
Dienstrecht und ihr eigenes Personalrecht.
In diesen Ländern gibt es zwischen den Hochschulen
auch eine höhere Mobilität, als es in Deutschland mit
seiner hohen Reglementierungsdichte der Fall ist. Nicht
Reglementierung schafft Mobilität, sondern Attraktivitätsunterschiede, auch im Personal- und Dienstrecht.
Diese Freiheit müssen wir unseren Hochschulen geben,
damit sie in ihren Strukturen in der Welt konkurrenzfähig werden.
({3})
Auch müssen sie volle Freiheit, was das Personalrecht
angeht, haben.
Wir haben eine gute Möglichkeit, eine solche Dezentralisierung in Bezug auf das Personalrecht zu schaffen
und individuellere Personalrechte der Hochschulen zu
verfassen. Diese Möglichkeit ist durch Art. 125 a Abs. 2
des Grundgesetzes gegeben. Demnach kann der Bund
den Ländern Regelungsfreiheit im Bereich der Personalstruktur geben. Genau das wollen wir mit unserer Bundesratsinitiative erreichen.
Diese Freiheit wollen wir an die Hochschulen möglichst weitergeben.
({4})
- So weit wie möglich, Frau Flach.
({5})
Dies sind die internationalen Standards.
({6})
- Herr Tauss, wenn Sie die Rankings gelesen haben,
dann können Sie nicht sagen, dass wir in BadenWürttemberg eine schlechte Hochschullandschaft haben.
({7})
- Sie müssen doch auf Ihr Land stolz sein.
({8})
Minister Dr. Peter Frankenberg ({9})
Wettbewerb ist nur möglich, indem wir Unterschiede
zulassen, es Unterschiede von Land zu Land und von
Hochschule zu Hochschule gibt und sich die Länder über
die notwendigen Mindeststandards verständigen.
Diese Freiheit der Institutionen bzw. der Hochschulen
sollte auch Leitlinie für die Föderalismuskommission
sein.
({10})
Pläne, die Hochschulzulassung, die Abschlüsse oder gar
die Qualitätssicherung in eine konkurrierende Zuständigkeit des Bundes zu überführen, sind der Errichtung
einer wettbewerblichen und leistungsfähigen Hochschullandschaft nicht gerade förderlich.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Burgbacher?
({0})
Dr. Peter Frankenberg, Minister ({1}):
Ja, bitte.
Sie haben die Föderalismuskommission angesprochen. Ist Ihnen bekannt, dass die FDP dort einen Antrag
gestellt hat, die Autonomie der Hochschulen im Grundgesetz festzuschreiben, der leider von allen anderen Parteien dort abgelehnt wurde?
({0})
Dr. Peter Frankenberg, Minister ({1}):
Mir ist der Antrag bekannt. Meine persönliche Meinung ist: Wir sollten in diese Richtung gehen. Wenn die
Autonomie verfassungsmäßig verankert werden könnte,
wäre das sicherlich für unsere Hochschulen kein Negativum.
({2})
Wenn die konkurrierende Gesetzgebung so käme, wie
es der Bund in der Föderalismuskommission fordert,
dann hätte er eine Detailregelungskompetenz. Er könnte,
was die Zulassung betrifft, im Grunde genommen ein
Bundeshochschulgesetz schaffen, das die modernen Zulassungsrechte der Länder wieder abschafft. Er könnte
Bundesevaluationsbehörden schaffen und eine Bundeszulassungsanstalt einrichten. Dann hätten wir kein wettbewerbliches und kein leistungsfähiges Hochschulsystem mehr, sondern ein überreglementiertes, das
überhaupt nicht mehr in der Lage wäre, deutsche Hochschulen unter die ersten 50 internationalen Hochschulen
zu bringen.
({3})
Ich komme damit zum Entwurf des Gesetzes zur Änderung dienst- und arbeitsrechtlicher Vorschriften im
Hochschulbereich oder kurz: zur HRG-Reparaturnovelle. Dieses Gesetz ist nicht der beste Weg; aber es ist
der zweitbeste. Der Entwurf der Bundesregierung bzw.
der Regierungsfraktionen kommt uns insofern entgegen
- wir haben diesen Entwurf mitgestaltet -, als etwa weitere Personalkategorien durch die Länder eingeführt
werden können, als die Habilitation nicht mehr diskriminiert wird und als die Regelungsdichte, die zu der Verwerfung vor dem Verfassungsgericht geführt hat, zurückgenommen wird.
({4})
- Junioren werden in Baden-Württemberg nie diskriminiert, Herr Tauss.
({5})
Die Regelungen sind auch deshalb zustande gekommen, weil wir uns als Länder - Frau Bettin, anders als
Sie es vermutet haben - sofort nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit dem Bund zusammengesetzt
haben, um zu sehen, wie wir auf diesem Wege zu einer
einvernehmlichen Regelung kommen, damit eine gesetzliche Regelung nicht wieder in die Grauzone verfassungsrechtlicher Fragwürdigkeit gerät.
({6})
Das jetzige Gesetz ermöglicht eine Öffnung für Länderregelungen, etwa in den Personalkategorien. Es verbessert die Möglichkeiten für Länderregelungen, etwa in
der Zweiphasigkeit der Juniorprofessur und in den Einstellungsvoraussetzungen. Ich darf besonders meinem
Kollegen Professor Zöllner aus Rheinland-Pfalz, der die
A-Seite koordiniert, danken, dass wir insgesamt zu dieser konstruktiven Lösung finden konnten.
Der Gesetzentwurf ist eine akzeptable Lösung. Der
Mangel ist kommentiert und diskutiert worden, nämlich:
Es fehlt eine Regelung für die Drittmittelbeschäftigten
jenseits der Zwölfjahresgrenze. Wir müssen die Übergangsfrist bis 2008 nutzen, um wissenschaftsverträgliche und wissenschaftsadäquate Regelungen für die Drittmittelbeschäftigten zu finden. Das ist einer der großen
Standortnachteile, die wir gegenüber dem Ausland haben.
({7})
Das rasche Handeln war notwendig. Es ist jetzt auch
notwendig, dass dieses Gesetz möglichst bis zum Beginn
des nächsten Jahres in Kraft tritt - um der Rechtssicherheit der Beschäftigten willen, aber auch um der Rechtssicherheit der Hochschulen und der Länder willen.
Dieser Gesetzentwurf ist keine Entscheidung über die
Zukunft des Hochschulrahmengesetzes. Dieser Ansicht
Minister Dr. Peter Frankenberg ({8})
ist auch die Bundesregierung in ihren Ausführungen. Sie
bekundet ihre Bereitschaft, das HRG insgesamt auf den
Prüfstand zu stellen.
Die aktuellen Probleme, die durch das gesetzgeberische Fiasko der Bundesregierung mit der 5. HRG-Novelle ausgelöst worden sind, werden durch diese Novelle
vernünftig gelöst. Aber zur nachhaltigen Lösung der Zukunftsprobleme unserer Hochschulen, zur größeren und
notwendigen institutionellen Freiheit unserer Hochschulen müssen sehr viel mutigere Schritte gegangen werden,
als wir sie bis jetzt gegangen sind.
Perikles sagte:
Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.
Von diesem Mut haben wir in Bezug auf die Hochschullandschaft noch viel zu wenig.
Vielen Dank.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung dienst- und arbeitsrechtlicher Vorschriften im Hochschulbereich, Drucksache 15/4132. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter Nr. 1 seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4418, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Beratung angenommen.
Unter Nr. 6 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4418 empfiehlt der Ausschuss für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition und der FDP bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung dienst- und arbeitsrechtlicher Vorschriften im Hochschulbereich,
Drucksachen 15/4229 und 15/4299. Der Ausschuss für
Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/4418, den Gesetzentwurf für erledigt zu
erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Hochschulpersonalstrukturfreigabegesetzes auf Drucksache 15/3924. Der
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4418, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition und der FDP bei
Enthaltung der Union abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 26 b: Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
auf Drucksache 15/4418 fort. Der Ausschuss empfiehlt
unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
15/4131 mit dem Titel „Flexiblere Personalstrukturen
bei Drittmittelprojekten im Hochschulbereich schaffen“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der
CDU/CSU und der FDP angenommen.
Unter Nr. 5 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4418 empfiehlt der Ausschuss für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache
15/4151 mit dem Titel „Befristungen von Beschäftigungsverhältnissen im Hochschulbereich flexibilisieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen
der CDU/CSU und der FDP angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Löning, Ulrich Heinrich, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit
China und Indien zu einer Zusammenarbeit in
Wirtschaft, Forschung und Ausbildung umbauen
- Drucksache 15/3823 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der FDP fünf Minuten Redezeit erhalten soll. Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Markus Löning, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Erlauben Sie mir, vor dem eigentlichen Beginn meiner
Rede das Thema China aufzugreifen. Ich habe dem Ticker entnommen, dass der Bundeskanzler nicht beabsichtigt, den mit Zustimmung des ganzen Hauses von
uns gefassten Beschluss, das Waffenembargo gegen
China aufrechtzuerhalten, zu berücksichtigen. Er hat öffentlich erklärt, dass er sich nicht an dieses Votum halten
wird, auch nicht bei der Abstimmung auf dem Europäischen Rat. Ich muss ehrlich sagen: Das ist ein dickes
Ding.
({0})
Hier appelliere ich auch die Kolleginnen und Kollegen
von der Regierungskoalition: Das dürfen wir uns nicht
gefallen lassen.
({1})
Diese Missachtung des deutschen Parlaments ist unerhört.
({2})
Lassen Sie mich zum Thema zurückkommen. Meine
Damen und Herren, wenn unsere Entwicklungspolitik
erfolgreich gewesen ist, müssen wir das anerkennen.
Dann müssen wir unsere klassische Entwicklungspolitik
mit Ländern, in denen das der Fall war, einstellen. Das
ist im Wesentlichen Inhalt unseres Antrags. Es geht um
zwei Länder, Indien und China, die in den letzten Jahren
in zwei Bereichen sehr erfolgreich gewesen sind: Erstens
haben sie es geschafft, ihre Wirtschaft sehr gut zu entwickeln und hohe Wachstumsraten zu erzielen. Zweitens
haben sie es geschafft, den Anteil der absolut Armen in
ihren Bevölkerungen deutlich zu reduzieren.
Auch der Zusammenhang zwischen diesen beiden
Tatsachen ist klar und deutlich: Nur der, der es schafft,
Wohlstand zu generieren und die Wirtschaft zu entwickeln, ist auch in der Lage, Armut zu bekämpfen. In Indien wurde in den letzten Jahren ein durchschnittliches
Wachstum von circa 8 Prozent pro Jahr erzielt. Diese
Entwicklung wurde Mitte der 90er-Jahre mit den Wirtschaftsreformen des jetzigen Premierministers eingeleitet. Es ist den Indern gelungen, den Anteil der absolut
Armen in ihrer Bevölkerung auf 25 Prozent zu reduzieren. Das ist eine erhebliche Leistung, wenn man bedenkt, dass noch vor circa 30 Jahren über 60 Prozent,
fast zwei Drittel, der Inder unterhalb der Armutsgrenze
gelebt haben.
({3})
Auch in China ist es gelungen, den Anteil der absolut
Armen auf circa ein Zehntel der Bevölkerung zu reduzieren.
Dagegen kann man einwenden, dass das immer noch
Hunderte von Millionen Menschen sind; das ist ganz
ohne Zweifel richtig. Allerdings sind wir uns in diesem
Haus auch ohne Zweifel darin einig, dass weiter daran
gearbeitet und dafür gekämpft werden muss, dass diejenigen, die immer noch in absoluter Armut leben, daraus
befreit werden. Die Fragen sind allerdings: Wer muss
das tun? Sind wir dafür verantwortlich?
Oder müssen wir unseren Partnern sagen: Ihr habt gezeigt, dass ihr euch selbst helfen und eure Wirtschaft entwickeln könnt und dass ihr in der Lage seid, Arbeitsplätze zu schaffen und Armut effektiv zu bekämpfen;
nun könnt ihr die Armut, die noch vorhanden ist, selbst
bekämpfen. Dann könnten wir uns aus der klassischen
Entwicklungszusammenarbeit mit diesen beiden Ländern zurückziehen und diese Zusammenarbeit auf zukunftstächtige Füße stellen.
({4})
Die Zusammenarbeit mit diesen Ländern in den Bereichen Wissenschaft und Wirtschaft sowie im kulturellen
Bereich muss auf jeden Fall ausgebaut werden. Aber aus
unserer Sicht kann unsere klassische Armutsbekämpfung, die klassischen Programme der Entwicklungszusammenarbeit mit diesen Ländern, eingestellt werden.
({5})
Ich möchte nur auf zwei sehr renommierte Institutionen verweisen: zum einen auf das DIE, zum anderen auf
die KfW. Beide machen deutlich, dass die Armutsbekämpfungsprogramme, die aufgelegt worden sind, nicht
dazu beigetragen haben, dass die Armut in den letzten
Jahren so stark zurückgegangen ist.
Ich möchte noch einen weiteren Punkt, den ich für
entscheidend halte, ansprechen. Ich möchte, dass wir unseren Partnern, wenn wir auf gleicher Augenhöhe mit ihnen reden und verhandeln, ins Gesicht sagen können: Es
ist jetzt eure Verantwortung, nicht mehr unsere. Ihr
habt gezeigt, dass ihr sehr viel leisten könnt. Nehmt eure
Verantwortung nun auch wahr und sorgt dafür, dass der
Wohlstand, der in euren Gesellschaften erarbeitet wird,
auch verteilt wird, sodass alle daran teilhaben können!
Es war ein Erfolgsmodell in der Bundesrepublik
Deutschland und in Europa, dass immer die gesamte Gesellschaft das Gefühl hatte, am steigenden Wohlstand zu
partizipieren. Diesen Weg können wir daher nur empfehlen. Aber wir können die Entscheidung, diesen Weg zu
gehen, nicht für eine andere Gesellschaft treffen. Wir
können den Chinesen oder Indern nicht sagen: Ihr müsst
das machen. Diese Verantwortung müssen sie selbst
übernehmen. Unsere Aufgabe kann es nur sein, Sie an
diese Verantwortung zu erinnern.
({6})
Das, meine Damen und Herren, sollten wir tun.
Damit kein Missverständnis entsteht, will ich noch
einmal ganz klar sagen: Es geht nicht darum, die Zusammenarbeit einzustellen oder in irgendeiner Form zu vermindern. Im Gegenteil, es geht darum, die Zusammenarbeit mit diesen für uns sehr wichtigen Partnern auf
zukunftsträchtige Füße zu stellen, auf die Bereiche zu
konzentrieren, die Zukunft haben. Aus meiner Sicht sind
das im Wesentlichen die Bereiche Wissenschaft und
Wirtschaft.
Herr Kollege, schauen Sie bitte einmal auf die Uhr.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Das war auch schon
mein letztes Wort.
({0})
Das Wort hat der Kollege Detlef Dzembritzki, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Frau Kollegin Pfeiffer! Liebe
Kollegen! Es ist schön, mit Ihnen hier noch gemeinsam
zu diskutieren, obwohl ich, Kollege Löning, nachdem
ich Ihren Antrag gelesen und jetzt auch Ihre Rede gehört
habe, der Meinung bin, dass wir uns diese Diskussion
heute eigentlich nicht mehr hätten zumuten müssen.
Denn die Entwicklungszusammenarbeit zwischen China
bzw. Indien und der Bundesrepublik Deutschland steht
auf zukunftsträchtigen Füßen. Sicherlich hätte man manche Details in anderer Runde noch diskutieren können.
Aber Ihr Antrag trägt den missverständlichen Titel:
Deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit China
und Indien zu einer Zusammenarbeit in Wirtschaft,
Forschung und Ausbildung umbauen
Das „umbauen“ klingt sehr nach „beschränken auf“. Die
Bereiche, die Sie angesprochen haben, sind längst Bestandteil der Zusammenarbeit: Das wissen Sie auch, ich
unterstelle Ihnen, dass Sie sich mit dem Programm des
Ministeriums beschäftigt haben. Ich denke, dass wir gut
beraten sind - mein Eindruck war, dass Sie das ebenfalls
meinen -, mit beiden Ländern in den Bereichen Wirtschaft, Forschung und Ausbildung weiterhin intensiv zu
kooperieren. Wir tun das nicht nur im Bereich der Entwicklungspolitik - beispielsweise mit Ausbildung- und
Dialogprogrammen, die von der Gesellschaft InWEnt
sehr erfolgreich durchgeführt werden -, sondern wir tun
das auch in anderen Politikbereichen: Es gibt zum Beispiel den Rechtsstaatsdialog gemeinsam mit dem Bundesjustizministerium. Darüber hinaus sind wir auch auf
anderen Sektoren entwicklungspolitisch aktiv.
Die Forderung nach dem Auslaufen dieser Aktivitäten bildet eigentlich den Kern des FDP-Antrags.
({0})
Sie haben dies damit begründet, dass beide Länder aufgrund ihres beeindruckenden Wirtschaftswachstums in
den letzten zehn Jahren quasi über den Berg sind und in
der Lage sind, die noch anstehenden Probleme selbst zu
lösen; beide hätten - so begründen Sie jedenfalls Ihren
Antrag - inzwischen sowohl das fachliche Know-how
als auch die Mittel dazu. Wir sind dagegen der Meinung,
dass die Fortsetzung der breit angelegten Entwicklungszusammenarbeit mit beiden Ländern auch künftig - übrigens auch in unserem ureigenen Interesse - notwendig
sein wird.
({1})
Denn neben den industriellen Wachstumskernen und Innovationspolen haben Indien und China ausgedehnte
Armutsräume, in denen 50 Prozent der Armen dieser
Welt leben. Wir müssen diese Länder daher in ihren eigenen Reformprozessen unterstützen und so zur Armutsbekämpfung beitragen; ich habe Sie hoffentlich richtig
verstanden, dass wir hierüber einen Konsens haben.
In den vergangenen Jahren gingen diese Bemühungen
Zug um Zug mit mehr Eigenverantwortung und auch
mit mehr Eigenleistung der Partnerländer einher; also
auch hier rennen Sie offene Türen ein.
({2})
Maßnahmen der direkten Armutsbekämpfung wurden in
China bereits 1999 beendet. Die internationale Gebergemeinschaft hatte diese Maßnahmen erfolgreich genutzt,
um China für eine aktivere und modernere Politik der
Armutsbekämpfung zu gewinnen. Heute stehen andere
Themen und Schwerpunkte im Vordergrund der Kooperation mit China. Hierfür einige Beispiele: Die Prognosen zur Ausbreitung von HIV/Aids in Indien und China
sind extrem besorgniserregend und von globaler Bedeutung. Daher ist ein EZ-Engagement in beiden Ländern
erforderlich.
Das gilt im Übrigen auch für Epidemien wie SARS,
Polio, Lepra und TBC. Mit der Zusage im Bereich der
Gesundheitsförderung und der Bekämpfung von HIV
und Aids in China in Höhe von 166 Millionen Euro
- 20 Millionen Euro davon stehen allein für Sonderprogramme in Bezug auf die Bekämpfung von HIV/Aids
zur Verfügung - haben wir deutliche Signale gesetzt.
Als G-8-Mitglied haben wir uns für ein aktives Mitwirken an der Ausrottung von Polio verpflichtet. Einer
unserer Schwerpunkte setzt in Indien an. Indien hat hier
eine Beispielfunktion für die angrenzenden Länder. Die
für die Jahre 2001 bis 2004 gemachten Zusagen in Höhe
von 80 Millionen Euro für die Bekämpfung von Polio
und HIV/Aids werden Sie sicherlich nicht zurückziehen
wollen.
Lieber Herr Kollege Löning, ich werde hier nicht umhinkommen, mir die Bemerkung zu erlauben, dass ich
mich gewundert habe, dass der Bereich Aids/HIV und
die Seuchen, die ich angesprochen habe, in Ihrem Antrag
überhaupt keine Rolle spielen, obwohl Sie hier sonst immer zu denen gehören, die am stärksten Kritik üben und
sagen, dass wir uns zu wenig darum kümmern.
({3})
Ich sehe hier gewisse Widersprüchlichkeiten und im
Grunde auch eine Fehlorientierung, die Sie mit Ihrem
auf einen sehr begrenzten Bereich abzielenden Antrag
zum Ausdruck bringen.
In der Entwicklungszusammenarbeit gerade mit diesen Ländern sollte zum Beispiel auch die gesellschaftspolitische Förderung von Frauen einen Schwerpunkt
bilden. Wer sich etwas intensiver mit den gesellschaftlichen Problemen beschäftigt - Ein-Kind-Familie mit allen Folgen und Konsequenzen, Rolle der Frau, Rolle der
Familie -, wird mir zustimmen, dass wir uns um diesen
wesentlichen Bereich weiterhin kümmern sollten, um
insbesondere eine Entwicklung zu fördern und im gesellschaftspolitischen Bereich einen Beitrag dazu zu leisten,
die Rolle und die Position der Frauen zu stärken.
Meine Damen und Herren, je mehr die Menschen in
Indien und China aus der Armut herausgeholt werden
und je mehr die Menschen dort beginnen können, sich
selbst zu erhalten und sich ihren Gesundheitsbedürfnissen in persönlicher Verantwortung zu widmen, umso
mehr wird in diesen Ländern zum Beispiel auch der Bedarf an Ressourcen und Energie steigen. Ich will Ihnen aus dem Energiebereich einige Zahlen nennen: Für
die nächsten Jahrzehnte plant allein China zusätzliche
Kraftwerke mit einer Gesamtleistung von 350 000 Megawatt. Das ist das Dreieinhalbfache der Menge, die wir
in der Bundesrepublik im Augenblick jährlich verbrauchen.
({4})
- Okay, ich bedanke mich für den abendlichen Zwischenruf, der den wissenschaftlichen Wert dieser Debatte sicherlich unterstreicht. Herr Kollege Ramsauer,
ich denke aber, dass zum Ausdruck kommt, dass wir aufgrund dieses erhöhten Energieverbrauchs und aufgrund
der mangelnden Wirkungsgrade der dortigen Kohlekraftwerke gut beraten sind, zum Beispiel mit fachlichem Know-how dazu beizutragen, eine Effizienzsteigerung dieser Kraftwerke und eine Reduzierung von CO2
- das ist durch die Entwicklungszusammenarbeit ja bereits erfolgreich geschehen - zu erreichen.
({5})
Das ist auch im Interesse Europas und Deutschlands.
Wenn man sich all das, was mit dem Kioto-Protokoll
zusammenhängt, anschaut, dann wird, klar, dass die Entwicklung beider Länder von zentraler Bedeutung ist. Die
lange und vertrauensbildende entwicklungs- und umweltpolitische Kooperation und der daran anknüpfende
Politikdialog haben einen maßgeblichen Anteil an der
Bereitschaft beider Länder, die absehbaren Emissionssteigerungen durch mehr Energieeffizienz und durch die
Nutzung regenerativer Energien zu drosseln. Ich denke,
dass hieran deutlich wird, dass in der Zusammenarbeit
und in der Vertrauensbildung die entscheidenden Aufgabenfelder liegen.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, das Vorgehen der klassischen Industrienationen nach dem Prinzip, erst reich zu werden und später sauber zu machen,
können wir uns aufgrund der Gefährdungen, denen sich
die internationale Gemeinschaft gerade im Bereich der
Umweltpolitik gegenübersieht, zukünftig nicht mehr
leisten.
({7})
Deswegen - Herr Kollege Tauss, ich sehe das genauso
wie Sie - sind wir darauf angewiesen, diese vernünftige
Arbeit fortzusetzen.
Man muss auch darauf hinweisen, dass wesentliche
Teile der finanziellen Mittel der Entwicklungshilfe, die
für Indien und China zur Verfügung gestellt werden,
Marktmittel sind. Von den 1,4 Milliarden Euro, die im
Bereich der Energieeffizienz für beide Länder zur Verfügung gestellt werden, sind 700 Millionen Euro Kreditmittel. Hieran sieht man die wachsende Eigenkraft der
Länder. Ich denke, da rennen Sie offene Türen ein.
Angesichts dieses Marktes habe ich persönlich überhaupt keine Schwierigkeiten und Probleme damit, dass
sich aus einer fairen Zusammenarbeit auch Chancen und
Möglichkeiten für die deutsche Wirtschaft ergeben. Wir
sind eine exportorientierte Industrienation und stehen in
globaler Konkurrenz. Wenn also aus diesen Ländern
Aufträge nach Deutschland gehen, so ist das zum Teil
auch die Dividende einer vertrauensvollen Entwicklungszusammenarbeit. Aus diesem Grunde werde ich
mich immer dafür einsetzen, dass wir hier unsere Arbeit
fortsetzen.
({8})
China und Indien analysieren sehr konkret, in welchen Bereichen die Entwicklungszusammenarbeit mit
Deutschland komparative Vorteile bietet, und nutzen
die Erfahrungen, die sie mit uns machen, um ihre eigenen für die Entwicklung dieser riesigen Länder notwendigen Reformmaßnahmen voranzutreiben. Genau das ist
die Art, wie Entwicklungszusammenarbeit - nicht Entwicklungshilfe - heutzutage funktionieren sollte.
Anders als die FDP bewertet die internationale Gebergemeinschaft die Chancen und Risiken der Zusammenarbeit mit Indien und China so wie die Bundesregierung. Weltbank, Asiatische Entwicklungsbank und
beispielsweise auch Großbritannien streben vor diesem
Hintergrund an, die Entwicklungszusammenarbeit mit
China auf hohem Niveau zu halten und die Entwicklungszusammenarbeit mit Indien - das gilt jedenfalls für
Großbritannien - signifikant zu erhöhen.
({9})
Dort hat man erkannt, dass die Entwicklungszusammenarbeit ein wichtiger Bestandteil einer vertrauensvollen
Zusammenarbeit ist und der enge Politikdialog den Austausch gerade auch in sensiblen Bereichen wie Friedenssicherung und Menschenrechtsfragen ermöglicht.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Aus diesem Grund sind wir gut beraten, in der entwicklungspolitischen Kooperation mit diesen Ländern
einen Baustein in der Strategie für friedliche Entwicklung zu sehen, die auch im Interesse unseres Kontinentes
ist.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Sibylle Pfeiffer, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die hier noch ausharren! Lieber Kollege Dzembritzki,
ich widerspreche Ihnen immer sehr ungern; das wissen
Sie. Sie haben gesagt: Diese Diskussion können wir uns
sparen. - Ich glaube überhaupt nicht, dass wir uns das
sparen können.
({0})
- Schon gar nicht zu diesem Zeitpunkt. Ich hoffe, dass
Phoenix noch auf Sendung ist. - Unsere steuerzahlenden
Bürger haben ein Recht darauf, zu wissen: Was machen
Entwicklungspolitiker mit dem Geld? Wir müssen sie
alle davon überzeugen, dass wir mit den staatlichen Mitteln sehr sorgfältig umgehen und dass wir uns sehr gut
überlegen, wofür wir Geld ausgeben, wo wir etwas unterstützen und was wichtig ist.
Wenn sich schon Frau Kolonko von der „FAZ“ - das
war am Dienstag - mit diesem Thema auseinander setzt,
dann ist es richtig, dass wir darüber auch im Bundestag
diskutieren. Deshalb, Kollege Löning, bin ich sehr froh,
dass Sie diesen Antrag eingebracht haben. Es wurde
höchste Zeit, dass wir uns dieses Themas annehmen.
({1})
Was wir hier aber tun, ist, uns in Einzelheiten zu zerfleddern. Wir müssen uns erst einmal überlegen: Was
wollen wir eigentlich? Was heißt es, Entwicklungshilfe
zu betreiben? Was bedeutet es, Entwicklungszusammenarbeit mit Entwicklungsländern, aber auch mit Schwellenländern, wie zum Beispiel China und Indien, zu betreiben?
Ich habe einmal auf die Internetseite des BMZ geschaut und dort Folgendes gefunden:
Eine Welt ohne Armut, Furcht und ökologische
Zerstörung - Entwicklungspolitik hat das Ziel, diesem Ideal ein Stück näher zu kommen. Sie fördert
Demokratie und Frieden, wirtschaftliches Wachstum und eine gerechtere Verteilung der Erträge,
Chancengleichheit, den Schutz der Umwelt und die
Sicherung der natürlichen Ressourcen.
So das BMZ.
Ich meine, dass Ziel der deutschen Entwicklungszusammenarbeit auch und vielleicht vor allem sein muss,
die deutschen Interessen im Bereich der Außen-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik so zu vertreten, dass
Deutschland etwas davon hat. Sprich: Die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit aufstrebenden Ländern muss so
gestaltet werden, dass dadurch positive Synergien für
Deutschland und insbesondere die deutsche Wirtschaft
frei werden. Unter diesem Gesichtspunkt halte ich die
Entwicklungszusammenarbeit für wichtig. Sie muss aber
zielführend betrieben werden.
Viel schwieriger ist es, die Fragen zu beantworten:
Wer braucht eigentlich Entwicklungshilfe? Gehören
China und Indien dazu? In beiden Ländern sind in
den letzen Jahren beeindruckende Reformen im wirtschaftlichen, politischen, rechtlichen oder auch gesellschaftlichen Bereich vorgenommen worden, die wahre
Änderungsbereitschaft hin zu westlichen Demokratievorstellungen beweisen. Beide Länder haben ein beachtliches Wirtschaftswachstum vorzuweisen, das seinesgleichen sucht. So mancher europäischer - vielleicht
auch deutscher - Finanzminister würde tatsächlich vor
Neid erblassen.
({2})
- Stimmt. - Beide Länder verfügen über ein großes Potenzial an jungen, gebildeten, zukunftsfähigen und fortschrittsorientierten Menschen. Diesen Trend gilt es aufrechtzuerhalten.
China hat genug Geld. China hat so viel Geld, dass es
mittlerweile in der Welt sogar als Geberland auftritt, so
beispielsweise in Afrika und Südafrika. Es unterhält ein
eigenes großes Raumfahrtprogramm und hat hinter den
USA und Russland das drittgrößte Verteidigungsbudget
in der Welt.
Trotzdem gibt es einige Fragen, die es zu beantworten
gilt: Reicht es aus, dass diese Länder das Geld, den
Willen und das Potenzial für nachhaltige Veränderungen
haben, oder brauchen sie Unterstützung? Wenn ja, wie
ist sie zu leisten? Ich denke dabei an Probleme, die mit
dem Aufbau einer Zivilgesellschaft - das gilt insbesondere für China - verbunden sind, an die Wahrung der
Menschenrechte sowie der Religions- und Pressefreiheit.
Auch die Stellung der Frau in beiden Gesellschaften ist
ein Thema.
Beim Umweltschutz sieht es auch nicht viel anders
aus. Darauf hat auch der Kollege Dzembritzki hingewiesen. Wir wissen, welche Dramen sich an den Staudämmen abgespielt haben. Bei all dem stellt sich die Frage:
Können wir angesichts solch großer Probleme überhaupt
Unterstützung leisten? Das bezieht sich insbesondere auf
China, ein Land, das ungeheuer groß ist.
Weiterhin frage ich mich: Sind deutsches Wissen und
deutsche Technologie bei der Unterstützung dieser Länder nicht unbedingt erforderlich?
({3})
- Kommt doch gleich.
Auch um die Bildungs-, Gesundheits- und sozialen
Sicherungssysteme ist es in beiden Ländern nicht gut bestellt. Ich nenne hier nur die Themen Armut und staatliche Rente. Wir alle wissen, wovon wir reden.
Ich bin fest davon überzeugt, dass sowohl China als
auch Indien nach wie vor unsere Unterstützung brauchen. Es fragt sich bloß, in welcher Art und Weise. Ist
die Infrastruktur, die wir aufgebaut haben, richtig? Sind
die Strukturveränderungen, die wir mit unserer Entwicklungszusammenarbeit in Gang gesetzt haben, richtig?
Ich denke, gute Ansätze sind vorhanden.
Es wäre nicht richtig, vorhandene Infrastrukturen
durch das BMZ und seine Durchführungsorganisationen
einfach zu ignorieren. Ich glaube, wir haben das Recht
und vor allem die Pflicht, sie zu nutzen, sofern sie vorhanden sind.
Ich gestehe - ich denke, man hört das aus meiner
Rede heraus -: Ich persönlich bin mit meinen Überlegungen, wie die Entwicklungszusammenarbeit - so sie
geleistet wird - anders und damit auch sinnvoller und
richtiger eingesetzt werden kann, noch nicht am Ende.
Ich gestehe, dass diese Diskussion auch in unserer
Arbeitsgemeinschaft noch nicht beendet ist. Gehen Sie
aber davon aus, lieber Herr Kollege Löning, dass ich Ihrem Antrag sehr viel Sympathie entgegenbringe. Ich
glaube jedoch, er ist nicht ganz durchdacht. Verbunden
mit dem Eingeständnis, dass das Thema auch auf unserer
Seite noch nicht ganz durchdacht ist, freue ich mich auf
die Diskussionen in der Arbeitsgemeinschaft und im
Ausschuss. Auch nachdem ich Ihre Rede gehört habe,
Herr Kollege Löning, denke ich, dass wir zu einem guten
Ergebnis kommen werden. Es gibt noch viele Fragezeichen im Hinblick auf die Entwicklungszusammenarbeit
mit den Ländern China und Indien, aber auch mit
Schwellenländern überhaupt. Das ist ein großes Thema.
Wir werden die Fragen des Wie und Wo gemeinsam diskutieren.
Danke schön.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Thilo Hoppe, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bevor ich mit meiner Rede beginne, möchte ich auf Ihren ersten Satz, Herr Löning, eingehen. Die grüne Fraktion hält selbstverständlich die Aufrechterhaltung des
Waffenembargos für absolut notwendig, egal was andere
Redner dazu sagen.
({0})
Kommen wir jetzt zum Thema der Debatte. Obwohl
der FDP-Antrag in seinem lyrischen Teil, in der Situationsanalyse, viel Richtiges sagt, können wir den Forderungsteil aus einem ganz einfachen Grund nicht unterstützen: Die Hauptforderung, Deutschland solle sich in
China und in Indien aus der Armutsbekämpfung verabschieden - in zwei Ländern, in denen trotz aller positiven Statistiken noch immer mehr als 50 Prozent aller extrem Armen dieser Welt leben -, ist für uns nicht
hinnehmbar.
Herr Löning, ich stimme Ihnen zu, dass wir in Indien
und China nicht mit den gleichen EZ-Instrumenten wie
beispielsweise in Mosambik präsent sein müssen. Die
Obleute waren im August letzten Jahres in Indien und
haben an der Evaluierung von zwei Projekten mitgewirkt. Wir konnten sie beobachten. In der Tat sind uns
Zweifel gekommen, ob es sinnvoll ist, Indien bei der
Vermarktung verbilligter Kondome finanziell zu unterstützen.
Ich gebe Ihnen Recht: Die indische Regierung muss
stärker an ihre eigene Verantwortung erinnert werden.
Sie muss mehr Geld in die Basisgesundheitsdienste
stecken und deutlich mehr Geld in die Entwicklung ländlicher Räume als in die Raumfahrt und in die Rüstung
investieren. Aber unter der neuen indischen Regierung
ist eine Trendwende eingeleitet worden.
Mit der Vermarktung verbilligter Kondome habe ich
ein Beispiel zitiert, das man hinterfragen kann. Wir haben aber auch sehr positive Ansätze gefunden, die sehr
sinnvoll sind, zum Beispiel die Unterstützung Indiens im
Rahmen der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit
durch Beratung beim Aufbau einer solidarischen Krankenversicherung.
({1})
Das ist Armutsbekämpfung par excellence, und zwar mit
Instrumenten, die zu den Ankerländern passen.
({2})
Ich kann Ihnen zustimmen, dass Leistungen, die wir
im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit in China
und Indien erbringen, nicht gratis sein müssen. Aber das
sind sie heute schon nicht.
Die deutsche bilaterale EZ mit Indien und China basiert auf Konzepten, die der Bedeutung der hier zur Debatte stehenden Ankerländer gerecht werden. Dies gilt
vor allem - das hat der Vorredner, Dzembritzki, schon
gesagt - für die Rolle und Bedeutung dieser beiden Länder für den weltweiten Klima- und Ressourcenschutz.
Dies ist nicht Umweltschutz allein, sondern hat sehr viel
mit Armutsbekämpfung zu tun.
Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung
Globale Umweltveränderungen - WBGU - hat gerade
vorgestern ein Gutachten mit dem Titel „Armutsbekämpfung durch Umweltpolitik“ herausgebracht. Der
Tenor ist: Globale Armutsbekämpfung setzt globale
Umweltpolitik voraus.
Von Klimakatastrophen sind Entwicklungsländer in
ganz besonderem Maße betroffen. Vor allem sie müssen
für die Umweltsünden des Nordens teuer bezahlen. Deshalb gilt es, gemeinsam zu handeln und durch eine engagierte Umweltpolitik die Umsetzung der Millenniumsziele zu unterstützen. Mit anderen Worten: Wenn es uns
nicht gelingt, die wirtschaftliche Entwicklung in China
und Indien von Ressourcenverbrauch und parallel steigender Umweltbelastung zu entkoppeln, dann öffnen wir
nicht nur im engen Sinne des Wortes Tür und Tor für die
Verwüstung Chinas. Vielmehr werden dann Millionen
von Bangladeschern in den Fluten der ansteigenden
Meere untergehen.
Gerade im Umweltbereich gilt es, sich besonders zu
engagieren - nicht nur um die umweltrelevanten Millenniumsziele der Energie- und Wasserversorgung zu erreichen, sondern auch um etwas für den Klimaschutz und
für nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu tun. Genau
dies macht die Bundesregierung, indem sie diese Ansätze in der EZ mit China und Indien ganz besonders unterstreicht und sie auf Platz eins setzt.
In beiden Ländern ist die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Anstieg des Energieverbrauchs
die große Herausforderung. Die Schonung natürlicher
Ressourcen zahlt sich konkret aus - umso mehr, je stärker die staatlichen Rahmenbedingungen hierauf ausgerichtet sind und umweltgerechtes Verhalten zum Beispiel
durch die Staffelung von Nutzungsgebühren und andere
marktwirtschaftliche Instrumente belohnt wird. Gerade
in diesem ordnungspolitischen Bereich - bei der Frage,
wie eine Mischung von Ordnungsrecht und marktwirtschaftlichen Instrumenten in die gebotene Balance gebracht werden kann - hat Deutschland einiges an Beratungsleistung anzubieten.
Im Rahmen der globalen Zukunftssicherung sind
China und Indien unverzichtbare Partner, um eine Trendwende beim Weltproblem Armut und eine Wende im
globalen Umweltverbrauch zu erzielen.
({3})
Darüber hinaus besitzen sie als regionale Schwerpunktländer so etwas wie eine Lokomotivfunktion. Wie bereits gesagt: Angesichts der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Indiens und Chinas kann bei der FZ durchaus
daran gedacht werden, den Zuschussanteil zu reduzieren.
Auch für andere EZ-Dienstleistungen können die Förderanteile gesenkt und deshalb auch höhere Rechnungen
ausgestellt werden. Wir stimmen Ihnen zu, dass da einiges auf den Prüfstand muss.
Herr Kollege Hoppe, schauen Sie bitte auf die Uhr!
Ich komme zum Schluss. Umweltschutz und Armutsbekämpfung sollten das überwölbende Ziel bleiben.
Danke schön.
({0})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Erich
Fritz, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Herr Hoppe, ich bin Ihnen
dankbar, dass Sie wenigstens ein Wort zum Verhalten
des Bundeskanzlers in China gesagt haben. Diese eklatante Missachtung des Parlaments muss angesprochen
werden. Dieses Verhalten war insbesondere bei einem
Staatsbesuch nicht richtig. Es ist nicht das erste Mal,
dass der Bundeskanzler in dieser Weise mit dem Parlament umgeht. Deshalb muss in der nächsten Sitzungswoche darüber ausführlich gesprochen werden.
({0})
Zu diesem FDP-Antrag: Die FDP stellt die richtigen
Fragen. Fragen ist gut, denn - das wissen wir - derjenige, der nicht fragt, bleibt dumm.
({1})
Mich stört aber ein wenig, dass China und Indien in
einem Antrag abgehandelt werden; denn zu unterschiedlich sind die Herausforderungen, die Situationen, die
Entwicklungsmöglichkeiten und die Bedürfnisse dieser
beiden Länder. Wenn Sie gefragt hätten, wie wir in der
Entwicklungszusammenarbeit mit Schwellenländern
umgehen sollen, dann hätte man eine allgemeine Diskussion führen können, in der es um Kategorien, Größenordnungen usw. gegangen wäre.
({2})
- Die beiden gehören dazu, aber warum eigentlich nur
die beiden? Beide haben eine gewisse Größe,
({3})
sie haben eine große Bevölkerung, sie haben ausgezeichnete Wachstumsraten und sie öffnen sich dem Markt,
wenn auch in unterschiedlichem Maße. Warum aber nennen Sie nicht auch Brasilien oder Südafrika?
({4})
Bei diesen Ländern könnte man dieselben Fragen stellen.
Auf den ersten Blick ist die Frage, die die FDP stellt,
einleuchtend, vor allen Dingen deshalb, weil Japan diese
Frage gerade beantwortet und die Notwendigkeit der
weiteren Entwicklungszusammenarbeit mit China verneint hat. Ich will nicht alles wiederholen, was hier
schon gesagt worden ist. Ich will klar machen, dass es
überhaupt nicht darum gehen kann, die EntwicklungszuErich G. Fritz
sammenarbeit und alle Projekte von einem Tag auf den
anderen einzustellen; denn wenn man sich die Entwicklung in beiden Ländern anschaut, dann stellt man fest,
dass der wirtschaftliche Erfolg längst nicht dazu führt,
dass die grundlegenden Probleme eines Entwicklungslandes in Kürze verschwinden könnten. Das schaffen die
Länder nicht aus eigener Anstrengung.
Dabei geht es nicht nur um Geld, sondern vor allem
um die Bedürfnisse nach Qualifizierung, Beratung, Zusammenarbeit, Technologietransfer und um das Verbreiten von Know-how, um den Menschen Perspektiven zu
geben.
({5})
Das geht weit über die konkrete Zusammenarbeit hinaus
und wirkt sich auf die Entwicklung der Demokratie und
die Veränderung gesellschaftlicher Strukturen aus. Das
betrifft auch das Bewusstsein, dass es die eigene Aufgabe ist, sich um die Entwicklung von Sozialsystemen
zu kümmern und dafür zu sorgen, dass die Armen nicht
achtlos am Rande bleiben.
Angesichts der Disparitäten, die in China zwischen
den sich schnell entwickelnden Küstenregionen und dem
Binnenland neu entstehen, und angesichts der Verwerfungen in den armen Regionen, die auch ethnische Wurzeln haben, muss man sich überlegen, ob man vielleicht
eine Neukonzentration bzw. eine Neujustierung in diesem Bereich braucht. Das heißt aber nicht, dass wir die
Entwicklungszusammenarbeit aufgeben dürfen. Wir
wissen, dass dann, wenn bestimmte Regionen zu kurz
kommen oder wenn das wirtschaftliche Niveau gegenüber dem ursprünglichen Zustand sinkt, ein Gewaltpotenzial entstehen und schnell Brüche in einer Entwicklung auftreten können, die scheinbar kontinuierlich
bergauf geht. Diese Brüche kann man oft nicht mehr
kontrollieren. Für solche Gefährdungen braucht man das
Instrument der Entwicklungszusammenarbeit.
({6})
Deshalb ist die Diskussion richtig.
Auch die Frage, ob die Mittel richtig eingesetzt sind,
muss gestellt werden. Überprüft werden muss auch immer wieder, inwiefern sich für uns Vorteile aus der Entwicklungszusammenarbeit - der SPD-Kollege hat bereits die Wirkung als Türöffner für die Wirtschaft
angesprochen - ergeben. Darin gebe ich Ihnen völlig
Recht.
Wir als Union halten einen ganzheitlichen Ansatz bei
der Entwicklungsarbeit für notwendig. Dieser Ansatz
- den übrigens auch die EU-Kommission in einem kürzlich gefassten Beschluss erneut bestätigt hat - sieht vor,
dass die zwischen der EU und Indien vereinbarte Partnerschaft fortgeführt wird. Sie umfasst folgende Maßnahmen: die Zusammenarbeit bei der Konfliktprävention, Terrorismusbekämpfung und Nichtverbreitung von
Massenvernichtungswaffen, die Stärkung der wirtschaftlichen Partnerschaft durch einen politischen Dialog, die
Zusammenarbeit bei der Entwicklungspolitik im Sinne
der Millenniumsziele - diese dürfen wir ebenfalls nicht
aus den Augen verlieren - sowie die Förderung des kulturellen und wissenschaftlichen Austauschs.
Ich bin sehr dafür, zu prüfen, wie die außenwirtschaftlichen Instrumentarien zu verbessern sind und was man
tun kann, um gerade für den Mittelstand, der auch regionale Impulse geben kann, den Zugang dazu zu verbessern. Deshalb freue ich mich auf die weitere Diskussion.
Ich denke, es ist richtig, Fragen zu stellen. Die Beantwortung dieser Fragen wird aber sicherlich etwas länger
dauern als das Fragen selbst.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/3823 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Fortentwicklung der Berufsaufsicht über
Abschlussprüfer in der Wirtschaftsprüferordnung ({0})
- Drucksache 15/3983 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({2})
- Drucksache 15/4410 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Thea Dückert
Die Redner Christian Lange, Dr. Rolf Bietmann,
Werner Schulz und Rainer Funke haben ihre Reden zu
Protokoll gegeben1).
Wir kommen deshalb zur Abstimmung über diesen
Gesetzentwurf. Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/4410, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenom-
men.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
1) Anlage 10
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Neunten Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes
- Drucksache 15/4246 ({3})
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({4})
- Drucksachen 15/4404, 15/4438 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Dieter Wiefelspütz
Hartmut Koschyk
Volker Beck ({5})
Dr. Max Stadler
Die Redner Inge Wettig-Danielmeier, Hartmut
Koschyk, Hans-Christian Ströbele und Jörg van Essen
haben ihre Reden zu Protokoll gegeben1).
Wir kommen deshalb zur Abstimmung über den von
den Fraktionen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen
und der FDP eingebrachten Gesetzentwurf. Der Innen-
1) Anlage 11
ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen,
Drucksachen 15/4404 und 15/4438. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen des ganzen
Hauses angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 15. Dezember 2004, 13 Uhr,
ein.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, allen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch unseren
Besucherinnen und Besuchern auf der Tribüne ein schönes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.