Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/5/2002

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. In das Kuratorium der Stiftung „Erinnerung, Verant- wortung und Zukunft“ soll auf Vorschlag der Fraktion der SPD für die ehemalige Abgeordnete Ulla Jelpke der Kol- lege Dr. Dieter Wiefelspütz als ordentliches und für den ehemaligen Abgeordneten Dr. Heinrich Fink die Kollegin Kerstin Griese als stellvertretendes Mitglied entsandt wer- den. Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen benennt für den ehemaligen Abgeordneten Christian Simmert als neues stellvertretendes Mitglied den Kollegen Jerzy Montag. Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind die Kollegin und die Kollegen hiermit entsandt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem NATO-geführten Einsatz auf mazedonischem Territorium zur weiteren Stabilisierung des Friedensprozesses und zum Schutz von Beobachtern internationaler Organisationen im Rahmen der weiteren Implementierung des politischen Rahmenabkommens vom 13. August 2001 auf der Grundlage des Ersuchens des mazedonischen Präsidenten Trajkovski vom 21. November 2002 und der Resolution 1371 ({1}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 26. September 2001 - Drucksachen 15/127, 15/156 Berichterstattung: Abgeordnete Gert Weisskirchen ({2}) Dr. Friedbert Pflüger Dr. Rainer Stinner - Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 15/157 - Berichterstattung: Abgeordnete Antje Hermenau Lothar Mark Dietrich Austermann Jürgen Koppelin b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Südosteuropa zur politischen Stabilisierung der Balkanregion - Drucksache 15/56 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({4}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen. Des Weiteren liegen zu dem Antrag ein gemeinsamer Entschließungsantrag aller Fraktionen sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Walter Kolbow das Wort.

Walter Kolbow (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001175

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Engagement der internationalen Gemeinschaft in Mazedonien kann ohne Zweifel als Erfolgsgeschichte bezeichnet werden. Das sehr frühe, präventive Engagement hat durch das erfolgreiche Zusammenwirken der NATO, der Europäischen Union und der OSZE unter dem Dach der Vereinten Nationen eine Eskalation der Gewalt verhindert. Ein drohender Bürgerkrieg im Herbst letzten Jahres ist im Keim erstickt worden. Dabei war die Verknüpfung ziviler und militärischer Instrumente des Krisenmanagements nahezu mustergültig. Dieses vorausschauende Engagement hat zum Erhalt des multiethnischen Charakters Mazedoniens und zur Festigung seiner Demokratie geführt. ({0}) Es entsteht wieder innere Kraft von Menschen für Menschen, ohne die ein Staatswesen nicht existieren kann; denn durch das bisher Erreichte hat die gesamte Region eine wirkliche Perspektive für die Zukunft gewonnen. In Mazedonien bleibt das übergreifende Ziel nach wie vor die Festigung des Vertrauens zwischen slawischen und albanischen Mazedoniern. Insgesamt können wir in Mazedonien eine erfreuliche Entwicklung der politischen Verhältnisse feststellen: Am 15. September 2002 sind die Parlamentswahlen geordnet und störungsfrei abgelaufen. Es kam entsprechend dem Votum der Wählerinnen und Wähler zu einem friedlichen Regierungswechsel. Die Volkszählung konnte am 20. November 2002 ohne nennenswerte Unregelmäßigkeiten abgeschlossen werden und es gibt sichtbare Fortschritte bei der Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, insbesondere in den ehemaligen Krisengebieten. Die Bedrohung der internationalen Beobachter ist seit Beginn der Operation Fox deutlich zurückgegangen und wird inzwischen als gering eingestuft. Auch bei dem neuen Mandat ist Vorsorge für - wenn auch unwahrscheinlichere - Lageverschlechterungen getroffen. Die Bundeswehr hat seit Beginn der Operation Fox im September vergangenen Jahres einen substanziellen Beitrag zur Stabilisierung des Friedensprozesses und zum Schutz von Beobachtern internationaler Organisationen geleistet. Unsere Soldatinnen und Soldaten haben in diesem schwierigen Umfeld mit ausgeprägtem Fingerspitzengefühl agiert und mit ihrem klaren und zugleich zurückhaltenden Auftreten das Vertrauen der mazedonischen Bevölkerung gewonnen. Dafür verdienen die Soldatinnen und Soldaten, die an der Operation Fox bislang teilgenommen haben, ausdrücklich Dank und Anerkennung. ({1}) Nun gilt es, die bisher unter dem Einsatz der internationalen Gemeinschaft erreichten positiven Entwicklungen nicht aufs Spiel zu setzen. Mazedonien darf nicht übereilt sich selbst überlassen werden. Die vollständige Normalisierung des öffentlichen Lebens braucht trotz aller Fortschritte noch Zeit. Das aktuelle Konfliktpotenzial ist nicht nur uns in diesem Hause, sondern der engagierten deutschen Gesellschaft bekannt. Im Rahmen des Gesetzes über die lokale Selbstverwaltung müssen noch politisch heikle Themen wie zum Beispiel die Finanzierung der dezentralisierten Verwaltung oder die Neuziehung von Gemeindegrenzen geregelt werden. Der umfassende Aufbau der multiethnischen Polizeikräfte muss weiter vorangetrieben werden. Die volle Wiederherstellung staatlicher Gewalt in ehemals von ethnisch-albanischen Kräften kontrollierten Gebieten muss noch weiter vorangetrieben werden. Die Bekämpfung organisierter Kriminalität und Korruption muss intensiviert werden. Schließlich muss auch die weitere Rückkehr Vertriebener noch bewältigt werden. Den Beobachtern der Europäischen Union und der OSZE kommt bei der Wiederherstellung normaler Lebensverhältnisse in Mazedonien weiterhin eine herausragende Bedeutung zu. Trotz aller Fortschritte ist die Situation im Lande noch nicht so stabil, dass diese Beobachter gänzlich auf internationale militärische Unterstützung verzichten können. Vor diesem Hintergrund hat Präsident Trajkovski die NATO am 21. November um weitere militärische Präsenz gebeten. Bei der daraufhin im Bündnis beschlossenen NATO-Operation Allied Harmony handelt es sich im Vergleich zur Operation Fox um eine im Mandat angepasste und im Umfang verkleinerte Truppe. Die Operation Allied Harmony soll den Risiken einer erneuten Destabilisierung durch Präsenz entgegenwirken. Die Unterstützung für den gegenwärtigen politischen Prozess und für die staatlichen Institutionen Mazedoniens stellt einen Beitrag zur Aufrechterhaltung eines Umfeldes dar, das ein friedliches Zusammenleben aller Ethnien, politische Stabilität und die wirtschaftliche Erholung des Landes fördern soll. Die Operation soll schließlich die internationalen Beobachter durch eine Sicherheitspräsenz unterstützen und die mazedonischen Behörden in den Bereichen Sicherheit und Verteidigungsreform beraten. Im Rahmen des zu beschließenden Mandats, um dessen Zustimmung Sie heute gebeten werden, wird der Gesamtumfang der eingesetzten Kräfte etwa 470, darunter rund 70 deutsche Soldatinnen und Soldaten, betragen. Der Übergang von der Operation Fox zur Operation Allied Harmony ist ein wichtiger Schritt und ein sichtbares Zeichen für den Normalisierungsprozess in Mazedonien, wofür auch der neue Name der Mission spricht. Die internationale Gemeinschaft bleibt umfassend gefordert, um Mazedonien politisch, ökonomisch und gesellschaftlich weiter an Europa heranzuführen. Es wäre nicht zu verantworten, wenn der Aussöhnungsprozess verfrüht und leichtfertig einer unnötigen Belastungsprobe unterzogen würde. Es liegt in unserem Interesse und in unserer Verantwortung, uns der mazedonischen Bitte um weitere Unterstützung nicht zu versagen. Wir setzen damit ein wichtiges Zeichen für all die Kräfte, die in der Balkanregion auf Ausgleich, Stabilität, friedliches Zusammenleben und Demokratie setzen. Die Mazedonier haben es verdient. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg, CDU/CSU-Fraktion.

Karl Theodor Guttenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die bisherige Beteiligung deutscher Streitkräfte am Mazedonieneinsatz war zweifellos ein Erfolg. Herr Staatssekretär, das haben Sie richtig und in unserem Sinne dargestellt. Es handelt sich um einen Erfolg, der den Frieden gesichert hat und der sich auf die hochprofessionelle und erstklassige Auftragserfüllung durch unsere Soldatinnen und Soldaten gegründet hat. Diese große Leistung verdient auch von unserer Seite größten Respekt, Anerkennung, Dank und Beifall. ({0}) Es wäre allerdings schon viel gewonnen, wenn sich die Außenpolitik der Bundesregierung in diesen Monaten und Wochen auf einen ähnlichen Maßstab hochprofessioneller und erstklassiger Auftragserfüllung berufen könnte. ({1}) Herr Bundesaußenminister, Erfolgsgeschichten beruhen auf Verlässlichkeit und außenpolitische Verlässlichkeit beruht auf dem Umstand, dass ein Land in seinen diesbezüglichen Grundaussagen berechenbar bleibt und gegebenenfalls stabile Mehrheiten vorweisen kann. Die CDU/CSU wird der Verlängerung des Mandats heute zustimmen und damit einen Beitrag zu dieser Stabilität leisten, so wie wir vor Jahresfrist Ihnen gerne nachdrücklich und auch notwendigerweise unter die schweißnassen Arme gegriffen haben, als es darum ging, den Einsatz erstmals mit der notwendigen Mehrheit auszustatten. ({2}) Herr Staatssekretär, bei aller Einigkeit über Zielsetzung und wesentliche Inhalte des Antrags stehen allerdings einige Fragen noch äußerst unbefriedigend beantwortet in diesem hohen Raume. Es ist - anders als im Kosovo oder in Bosnien - fraglos gelungen, dem Land einen Ausweg aus der drohenden Gewaltspirale aufzuzeigen. Fraglos ist es auch gelungen, den Ausbruch eines Krieges im rechten Augenblick zu verhindern. Die friedlichen Wahlen haben - das wurde bereits aufgezeigt - dem beredtes Zeugnis gegeben und sind ein wirklich ermunternder Fingerzeig für diesen Prozess. Gleichwohl ist Mazedonien von verlässlicher Stabilität noch viel weiter entfernt, als es heute dargestellt wurde. ({3}) Herr Staatssekretär, das Weichzeichnen harter Fakten nutzt niemandem, am wenigsten unseren Soldaten sowie einer Öffentlichkeit, die für das notwendige Engagement auf dem Balkan immer wieder aufs Neue gewonnen und von der Notwendigkeit überzeugt werden muss. Auch sollte die spürbare Euphorie des Wahltages in Mazedonien nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um ein zutiefst gebeuteltes Land handelt; das kennen wir ja irgendwoher. Das gesellschaftliche Klima wird weiter von tiefem Misstrauen und Ressentiments bestimmt. Slawische und albanische Mazedonier leben in komplett unterschiedlichen Welten. Noch immer besteht eine latente Gefahr gewalttätiger Konflikte. Auch haben viele Albaner die Option gewaltsamer Auseinandersetzungen weder begraben noch in irgendeiner Weise fallen gelassen. Nach dem so wichtigen Ohrid-Abkommen hat offiziell zwar eine multiethnische Polizeigruppe die Kontrolle über das Staatsgebiet. Faktisch herrscht aber in den von den Albanern besiedelten Gebieten ein Machtvakuum, in dem so hübsche Gestrüppe wie Klanstrukturen und eben auch Bandenwesen munter gedeihen können. Weitere Stichpunkte: umfassende und durchaus beunruhigende Waffenfunde - es waren nicht lediglich Silvesterknaller -, der Boykott des parlamentarischen Betriebes durch die zwei größten Oppositionsparteien aus Protest gegen - ich darf zitieren, weil das den Konfliktstoff durchaus demonstrieren kann - „die erniedrigende Koalition mit Terroristen“, Schmuggel, Menschenhandel, Geldwäsche - vor allem vom Kosovo aus - usw. Die Liste ließe sich fortführen. ({4}) - Herr Bundesaußenminister, wenn diese Dinge benannt worden wären, müssten Sie jetzt nicht dazwischenquengeln. Es ist darauf hinzuweisen, dass die mazedonische Regierung - auch das ist wichtig - mit ihrer inneren Politik der Versöhnung, die sie seit der Wahl anstrebt, unmittelbare und sichtbare Erfolge vorweisen muss, um nicht erneut in einen Strudel der Instabilität hineinzugeraten. Keines der dringenden Probleme Mazedoniens - dieser Illusion sollten wir uns nicht hingeben - kann in Kürze gelöst werden. Diese Punkte verdeutlichen, dass der auf dem Abkommen von Ohrid basierende Friedensprozess noch Jahre benötigen wird und von der internationalen Gemeinschaft begleitet und mit entsprechenden politischen Konzepten unterfüttert werden muss, auch von unserer Bundesregierung. ({5}) Deshalb wage ich zu fragen: Weshalb benennen Sie keinen dieser Punkte in dieser Deutlichkeit? Wo sind die Ansätze der Bundesregierung, um dieser Entwicklung entsprechend zu begegnen? Herr Außenminister, sie sind offenbar im Nebel Ihrer stets dampfenden Worte irgendwo wabernd verflogen. ({6}) Zugestanden: Einige Punkte sind benannt worden; aber, Herr Staatssekretär, ich frage mich, wo der Ansatz über die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu finden ist ({7}) und wie es mit dem so notwendigen und von Ihnen immer wieder benannten Berlin-plus-Prozess weiterzugehen hat. Welchen Beitrag leistet die Bundesregierung dazu? ({8}) - Dazu hätten wir heute gern etwas im Plenum gehört, Herr Außenminister. Auf der Internetseite des Auswärtigen Amtes wird die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik als Schlüsselprojekt der europäischen Einigung bezeichnet. Das ist auch richtig, es ist ein Schlüsselprojekt. Es ist eine wunderbare Formulierung für jemanden - das muss man erst einmal schaffen -, der ohne den passenden Schlüssel vor einer Tür steht, die er sich selber vor der Nase zugeknallt hat. Wenn es bis heute entgegen zahlreicher Ankündigungen nicht gelungen ist, eine Europäisierung des Mazedonien-Einsatzes unter der benannten Formel „Berlin plus“ herbeizuführen, dann darf ich fragen: Welchen Beitrag wird es hierzu von der Bundesregierung geben? ({9}) Was versucht die Bundesregierung zu unternehmen, um den ursprünglichen Zeitplan für eine einsatzfähige europäische Eingreiftruppe in Mazedonien oder einem anderen Krisenherd einzuhalten? Man hört nur wenig bzw. wir haben vor kurzem gehört, man hoffe darauf - das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen -, dass bezüglich Berlin plus in der kommenden Woche in Kopenhagen eine Einigung zustande kommen wird. Wenn man in Kopenhagen mittlerweile mehr auf Hoffnungen als auf selbst geschaffene Erfolge und Fakten bauen muss, Herr Bundesminister, wird einem angst und bange um die entsprechende Darstellung unserer Politik im Ausland. Letztlich droht daraus eine Politik der enttäuschten Hoffnungen zu werden; unser amerikanischer Partner weiß davon ein Lied zu singen. Auch 80 Millionen Menschen in diesem Land wissen das bestens einzuschätzen. Was kann man im Zusammenhang mit der europäischen Eingreiftruppe wünschen? Ich hoffe, dass sie nicht zu einer Geistertruppe verkommt. Liest man den hier vorliegenden Antrag der Bundesregierung, dann erstaunt schon, dass eine etwaige Europäisierung des Einsatzes mit keinem einzigen Wort Erwähnung findet. Dabei steht neben der Stabilisierung der Region eine noch weit wichtigere Prämisse mit auf dem Spiel, nämlich die Zukunft einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäer, die diesen Namen auch wirklich verdient und irgendwann von unserem Land wieder maßgeblich mitbestimmt wird. ({10}) Neben der Antwort auf die Frage - darüber wurde schon diskutiert -, ob die Bundesregierung überhaupt in der Lage wäre, den deutschen Anteil an einer Eingreiftruppe von 18 000 Mann finanziell zu gewährleisten, vermisse ich auch eine Antwort darauf, inwieweit im Falle eines etwaigen durch die Europäische Union übernommenen Mandats ab Februar - das ist geplant - diesem Einsatz angesichts seines Umfangs lediglich eine symbolhafte Bedeutung zuzumessen ist. Ich frage mich auch, ob die Gefahr besteht, dass die europäische Eingreiftruppe im Falle einer Eskalation oder eines Notfalls - das ist durchaus im Bereich des Möglichen - wiederum auf die Unterstützung der NATO angewiesen wäre. Auch hierüber haben wir in den vorherigen Ausführungen nichts gehört. Es gibt viele Fragen, wenig Antworten und wenig Einfluss in diesem Prozess. Die CDU/CSU stimmt, wie bereits ausgeführt, dem Antrag zu, bittet aber nachdrücklich um eine klarere Darstellung zu den eben genannten Punkten. ({11}) Es bleibt die Hoffnung, Kollege Weisskirchen, dass sich Deutschlands Außenpolitik, insbesondere der Einfluss in Kopenhagen, nicht an den Ereignissen in Prag messen lassen muss, wo sich der Stellenwert weniger am tatsächlichen Vertrauen als an der Dauer eines nicht einmal warm geschüttelten Händedrucks auszurichten hatte. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Lieber Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Karl Theodor Guttenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Ende, Herr Präsident. - Ein allzu kurz geschütteltes Zeugnis der Lähmung damals in Prag: Es wurde geschüttelt und letztlich nichts gerührt - ein weiterer Fingerzeig der derzeitigen Politik. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege zu Guttenberg, ich darf Ihnen zu Ihrer ersten Rede in meinem Namen und im Namen des Hauses gratulieren. ({0}) Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Ludger Volmer, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Geschichte des internationalen Eingreifens in Mazedonien ist eine einzige Erfolgsgeschichte. Von Beginn an gehörte die Bundesregierung, die rot-gute, ({0}) die rot-grüne Bundesregierung, zu den treibenden Kräften der internationalen Politik, die sich beherzt in die inneren Angelegenheiten Mazedoniens politisch eingemischt hat, als die beiden großen Ethnien Mazedoniens dabei waren, auf beiden Seiten hochgerüstet, einen ähnlichen Bürgerkrieg vom Zaun zu brechen, wie wir ihn in den Nachbarregionen in den Jahren zuvor erlebt hatten. Erinnern wir uns daran: Es waren die ethnisch-albanischen Kräfte, die das Gewaltmonopol des Staates und die territoriale Integrität nicht anerkennen wollten. Es war auf der anderen Seite die slawische Mehrheitsethnie, die nicht anerkennen wollte, dass die Minderheit Volksgruppenrechte und Minderheitenrechte braucht. Als der Konflikt kurz vor der bewaffneten Eskalation stand, waren es die europäischen Staaten, war es insbesondere die Bundesregierung, die mit einem politischen Konzept dazu aufgewartet sind, wie man diesen Konflikt beilegen kann. Es kam zu einem Tausch, zu einem Verhandlungsprozess, der in Ohrid in einem entsprechenden Abkommen seinen Niederschlag fand. Die ethnische Minderheit erkannte das Gewaltmonopol und die territoriale Integrität an. Die Mehrheit ließ sich auf einen verfassunggebenden Prozess ein, der der Minderheit die Volksgruppen- und Minderheitenrechte einräumte. Dies war das politische Konzept, auf dessen Basis der militärische Einsatz, die militärische Sicherheitsflankierung dann erfolgreich sein konnte. Ich betone dies deshalb, weil wir auf der einen Seite festhalten müssen, dass der militärische Einsatz erforderlich und unvermeidlich war. Er wurde auch - wir schließen uns der Gratulation an - mit großer Umsicht durchgesetzt. Dass dieser Einsatz aber erfolgreich sein konnte, hing auch davon ab, dass eindeutig das Primat des Politischen vorherrschte, dass es ein politisches Lösungskonzept gab, dass es auch politische Monitore durch die OSZE gab, die dann flankierend durch die militärischen Kräfte gesichert wurden. Es ging also nicht um einen Kampfeinsatz, sondern es ging darum, ein schlüssiges politisches Konzept sicherheitspolitisch zu flankieren. Diese Politik war erfolgreich. Dennoch muss man sagen, dass diejenigen, die früher kritische Fragen zu dem Einsatz gestellt haben, dies durchaus zu Recht taten. Das ist Aufgabe des Parlaments. Ich meine aber, dass die Bundespolitik nachweisen konnte, dass dieser Einsatz mit Augenmaß durchgeführt wurde, und dass alle Befürchtungen, wir könnten dort in Abenteuer geraten, dann doch in der Luft zerplatzt sind. ({1}) Wir wissen, dass nun, da der interne Aussöhnungsprozess in Mazedonien weit gediehen ist, dennoch eine Sicherheitskomponente notwendig sein wird. Vertrauensbildende Maßnahmen werden auch in den nächsten Jahren durch internationale Beobachter begleitet werden müssen. Wenn wir einen Blick von vielleicht höherer Warte auf den Konflikt und die Konfliktbearbeitung werfen, kann man mehreres lernen: Es ist notwendig, dass immer dann, wenn sich Volksgruppen in einem Staatsgebilde so ineinander verkeilt haben, dass sie aus eigener Kraft zu einer Lösung nicht in der Lage zu sein scheinen, die internationale Gemeinschaft frühzeitig, möglichst geschlossen und möglichst mit schlüssigen Konzepten dort interveniert. Das ist die erste notwendige Schlussfolgerung. Die zweite notwendige Schlussfolgerung ist: Wenn denn eine Sicherheitskomponente notwendig ist, dann sollte sie auch möglichst früh dort eingesetzt werden. Denn wenn das möglichst früh getan wird, ist offensichtlich die Eskalationsgefahr erheblich niedriger. Es wäre wünschenswert, dass die Europäer die Kraft entwickelten, um solche Aufgaben zumindest in ihrer Region selbstständiger wahrnehmen zu können. Die Bundesregierung arbeitet intensiv daran, dass die ESVP diese Potenziale erhält. Sie betreibt auch eine aktive Politik bezogen auf den Europäischen Rat, damit dort die Regelungen von Berlin plus durchgesetzt werden. Noch einen Satz zum Antrag der FDP, die fordert, für Südosteuropa eine Art KSZE einzurichten. Dieser Antrag kommt wahrscheinlich um Jahre zu spät. Denn das, was dort gefordert wird, ist längst im Gange, wenn auch in etwas anderen Konstruktionen. ({2}) Wir haben den Stabilitätspakt für Südosteuropa. Auch hier war die Bundesregierung eine der treibenden Kräfte, die den Stabilitätspakt eingeleitet hat. Der Stabilitätspakt gibt auf der ökonomischen Ebene mehr Perspektiven, als es der alte ökonomische Korb der KSZE konnte. ({3}) Auf der politischen Ebene haben wir die mittelfristige Perspektive für einen vollständigen EU-Beitritt aller Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien, bei den einen früher, bei den anderen später. Auch dies gibt eine politische Stabilisierungsperspektive, die man nicht dadurch ergänzen oder vielleicht sogar zerreden sollte, dass man nun völlig neue Modelle in die Debatte wirft. Wir, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, unterstützen die Politik der Bundesregierung. Wir werden dem Antrag auf Entsendung von 70 Soldaten für die neue Mission Allied Harmony zustimmen und wir werden den FDPAntrag ablehnen. Danke. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Rainer Stinner, FDPFraktion.

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute zum wiederholten Mal über eine deutsche Beteiligung an der Friedensmission in Mazedonien. Als Ausgangspunkt für alle weiteren Diskussionen und Entscheidungen lassen Sie mich drei Dinge festhalten: Erstens. Der Einsatz unserer Soldaten in Mazedonien ist eine Erfolgsgeschichte für die Bundeswehr als Armee des Friedens. Zweitens. Es hat sich gezeigt, dass militärische Mittel geeignet sind, Frieden zu erhalten. Das ist für einige in diesem Hause eine neue Erkenntnis; aber es ist eine richtige Erkenntnis. ({0}) Das heißt, militärische Mittel können Frieden erhalten, wenn sie mit Augenmaß und Geschick eingesetzt werden. Drittens. Beides, Augenmaß und Geschick, haben unsere Soldaten in Mazedonien bewiesen. Deshalb spreche ich auch im Namen der FDP-Fraktion unseren Soldaten Dank und Anerkennung aus. ({1}) Die Situation auf dem Balkan braucht aber mehr als eine zweimonatliche Verlängerung von Mandaten. Wir brauchen ein politisches Gesamtkonzept für die friedliche Weiterentwicklung dieser Region. Herr Kollege Volmer, deshalb ist Ihr Einwurf, dass unser Antrag zu spät kommt, zu kurz gesprungen. Was in diesem Antrag steht, haben wir seit Jahren gefordert. Die FDP war die Erste, die diese Initiative, das bewährte Instrument auch hier einzusetzen, ergriffen hat. ({2}) Aber heute geht es zunächst einmal um die Verlängerung des Mandates. Wir glauben, dass die Verlängerung des Mandates ein erster Baustein zur weiteren Stabilisierung der Situation in Mazedonien ist. Deshalb stimmt die FDP-Fraktion dem Antrag der Bundesregierung auf Teilnahme an der Operation Allied Harmony vollständig zu. Wir sind allerdings der Meinung, dass diese Operation möglichst schnell von der Europäischen Union im Rahmen der ESVP übernommen werden sollte, damit die EU ihren Anspruch auf eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik endlich wahrnehmen kann. Aus Diskussionen mit vielen Kolleginnen und Kollegen wissen wir, dass diese Meinung von allen Fraktionen im Haus geteilt wird. Umso bedauerlicher ist es, dass in dem Antrag der Bundesregierung darauf mit keinem Wort Bezug genommen wird. ({3}) Da wir uns alle einig sind und die Bundesregierung vielleicht nur vergessen hat, das aufzunehmen - das kann ja einmal vorkommen -, haben wir zur heutigen Sitzung einen Entschließungsantrag eingebracht. Wir machen damit deutlich, dass wir von der Bundesregierung mehr aktives Engagement auch in dieser Richtung erwarten. ({4}) Warum, Herr Bundesaußenminister, muss uns denn auch in diesem Fall gerade wieder die französische Regierung vormachen, wie man aktiv und zielgerichtet europäische Außenpolitik gestaltet? ({5}) Nun haben wir endlich die Diskussion über einen Einsatz unter europäischer Führung und endlich einen Beschluss der NATO des Inhalts, dass dieses Mandat im Februar überprüft wird, und zwar unter dem Blickwinkel, ob es auf Europa übertragen werden kann. Und was macht in diesem Moment unser Verteidigungsminister? Der Verteidigungsminister konterkariert alle diese Bemühungen, indem er jetzt, völlig zur Unzeit, ins Spiel bringt, bei SFOR sei wohl erstmals angebracht, dass die Europäische Union einen solchen Auftrag übernimmt. Herr Minister, das ist - um es höflich auszudrücken - jedenfalls nicht hilfreich. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, im Prinzip sind wir uns aber alle, von links nach rechts, einig. Deshalb gehe ich auch davon aus, dass Sie alle unserem Entschließungsantrag freudigen Herzens zustimmen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie ihm nur deshalb nicht zustimmen, weil er von der FDP kommt. Das würde ich Ihnen niemals zutrauen. ({6}) - Herr Minister, wenn Sie mit mir diskutieren wollen, dann würde ich Sie doch bitten, bei den Abgeordneten Platz zu nehmen. ({7}) - Das ist so, Herr Erler. Wenn diskutiert werden soll, dann von hier aus und nicht von dort aus. Lesen Sie es in der Geschäftsordnung nach! ({8}) Die Weiterentwicklung der deutschen Sicherheitsund Außenpolitik unter Einbeziehung der Bundeswehr als Armee des Friedens sollte allerdings von allen Kräften dieses Parlaments, auch von der gesamten Regierungskoalition, getragen werden. Leider muss ich nun auf den Redebeitrag eines stellvertretenden Vorsitzenden einer Regierungsfraktion vom 23. Oktober dieses Jahres in diesem Hause eingehen. Dieser Kollege, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, hat damals gesagt - ich zitiere -: Ich stelle jetzt fest, dass sich die Bundeswehr in Mazedonien nicht in einem Kriegseinsatz befindet und dass auch kein Kriegseinsatz bevorsteht, weil die Bundeswehr nicht in Mazedonien ist, um zu töten, zu vernichten und zu zerstören, sondern ausschließlich zum Schutz der Beobachter. Dies sagte nicht irgendwer, nicht einer von rund 300 Abgeordneten dieser Regierungskoalition, sondern das sagte in diesem Haus ein stellvertretender Vorsitzender einer Regierungsfraktion. ({9}) Ich finde diese Aussage ungeheuerlich. Auch die dahinter stehende Einstellung ist ungeheuerlich. Es fehlte nur noch, dass dieser Kollege heute daherkommt und erklärt, er habe erkannt, dass deutsche Soldaten nicht plündern, nicht brandschatzen und nicht vergewaltigen. ({10}) Das wäre die Konsequenz einer solchen Einstellung. ({11}) Ich sage Ihnen: Diese Einstellung des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden ist für unsere Soldatinnen und Soldaten wie auch für unsere Verbündeten unerträglich. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Stinner, Sie müssen zum Ende kommen. ({0})

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Die FDP ist gerne bereit, mit der Bundesregierung vertrauensvoll an der Fortentwicklung einer deutschen, einer europäischen Außen- und Sicherheitspolitik zusammenzuarbeiten. Das ist gute Parlamentstradition. ({0}) - Jetzt höre ich den Zuruf „Möllemann“. Diesen Zwischenruf schenkt der liebe Gott, Herr Präsident.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nein, Herr Stinner, Sie können nicht mehr auf den Zwischenruf antworten. Ich bitte Sie, sofort zum Ende zu kommen.

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Abschließend möchte ich angesichts des Zurufs vonseiten der SPD mit Blick auf Möllemann auf die Äußerung von Herrn Ströbele verweisen. Ich danke Ihnen herzlich. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Stinner, ich gratuliere auch Ihnen zu Ihrer ersten Rede. Beim nächsten Mal muss ich bei der Redezeit strenger sein. ({0}) Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Gert Weisskirchen, SPD-Fraktion. ({1})

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist traurig, in welchem Kammerton wir heute hier über das Thema Mazedonien debattieren, vor allem wenn man sich in Erinnerung ruft, wie wir hier vor einem Jahr diskutiert haben. Ich möchte festhalten: Das war ein gemeinsamer Erfolg. Es war aber ganz besonders ein Erfolg der Bundeswehr, die sich auf der Grundlage der UNO-Beschlüsse in den internationalen Rahmen, in die NATO eingepasst hat. Ich finde, wir können stolz darauf sein, dass unsere Soldatinnen und Soldaten mit dazu beigetragen haben, dass Mazedonien jetzt eine positive Perspektive hat. Das ist wunderbar. ({0}) Ich möchte, weil Sie, Herr Kollege Stinner, eben dazu vorgetragen haben, folgende Frage an die FDP richten: Was wäre die Folge, wenn wir dem folgen würden, was Sie in Ihrem Antrag vorschlagen? Die in der Region lebenden Menschen möchten sich zuallererst und so schnell es geht an uns annähern, damit sie die Perspektive, die sich eröffnet hat, nämlich Mitglied der Europäischen Union zu werden, auch nutzen können. So wichtig der KSZE-Prozess auch gewesen ist - wir haben ihn schließlich durchgesetzt -, jetzt muss eine andere Frage gestellt werden, nämlich die Frage nach der Mitgliedschaft in der Europäischen Union. ({1}) Das ist wichtiger, weil die Menschen auf diese Weise in den Integrationsraum der Demokratie und der Stabilität, weil sie zu uns kommen können. Wenn jetzt auf die KSZE Bezug genommen würde, müsste dies missverstanden werden als eine Zurückweisung, als ein Zurückschicken auf die Wartebank im Integrationsraum der Europäischen Union. Das wäre das falsche Signal. Deswegen müssen wir das, was Sie vorschlagen, ablehnen. Wir können dem - das muss ich ganz deutlich sagen - nicht zustimmen. ({2}) Herr Dr. Hoyer, wenn Sie einen Moment in die Region hineinhören, dann werden Sie feststellen, dass das, was darüber hinaus in Ihrem Antrag steht, wirklich abwegig ist. Sie wollen eine Konferenz mit den unterschiedlichen Teilgruppen, die es in den verschiedenen Regionen im Raum des ehemaligen Jugoslawien gibt, machen. Ich frage Sie: Was ist dann mit den Kroaten in Bosnien-Herzegowina? Was ist mit dem Kosovo? Sie bekommen das Problem, dass deren unterschiedliche Interessen, die jedenfalls gegenwärtig bestehen, in einen Rahmen eingepasst werden müssten, der im Innern noch nicht besteht. Dieses Problem müssten Sie lösen. Sie würden damit mehr Gefahrenmomente in den Prozess einbringen, als Sie sich gegenwärtig vorstellen können. Ich würde Sie bitten, angesichts dessen, dass die FDP genügend außenpolitische Vernunft hat, diesen Antrag zurückzuziehen. Er führt in die Irre und schafft mehr Probleme, als er löst. ({3}) Ich richte nun den Blick auf Mazedonien, auf das Land, um das es jetzt geht. Mazedonien ist nach dem 15. September dieses Jahres, nach den Parlamentswahlen, auf einem guten, einem vernünftigen politischen Weg. Herr zu Guttenberg, wer hat denn dazu beigetragen? Gert Weisskirchen ({4}) Diese Bundesregierung war es, die von Beginn an, als es um den Kosovo ging, erklärt hat: Diese Region braucht eine Perspektive der Stabilität. Deswegen haben wir den politischen Prozess dahin eröffnet. Deswegen haben wir den Stabilitätspakt beschlossen und den politischen Prozess eingeleitet. Die Antwort darf eben nicht allein militärische Intervention sein, sondern es muss einen politischen Prozess geben, damit Demokratie und Stabilität in der Region ihren Platz finden. Diese Regierung hat dafür gesorgt, dass Verlässlichkeit in diese Region einzieht und dies mit dem Namen Deutschland verbunden wird. Das ist ein gutes, richtiges und notwendiges Zeichen, das wir damals im Kosovo gesetzt haben. Ich erinnere mich sehr gut, wie hart das für uns alle gewesen ist. Wir haben dafür gesorgt, dass diese politische Perspektive eröffnet worden ist. Deswegen ist die Bundesregierung, besonders der Außenminister, das Kennzeichen für Stabilität und Verlässlichkeit. In diesem Sinne wird Deutschland dort aufgenommen und verstanden. ({5}) Ein anderer Punkt. Es wäre falsch zu glauben, dass dieses Land diesen Prozess von innen und von sich aus zustande bringen könnte. Da haben Sie völlig Recht. Sie haben auch zu Recht die Probleme angesprochen, beispielsweise Korruption, Menschenhandel und Prostitution. All dies sind Gefahrenmomente und -potenziale, die dieses Land von innen her immer noch erschüttern. Ein anderes Beispiel ist die Polizei, die von uns gemeinsam mit der OSZE in ihrer multiethnischen Zusammenarbeit mit anderen Gruppen unterstützt wird. Sie ist noch nicht wirklich das innere Sicherheitsinstrument. Ich erinnere an die vergangene Regierung unter Ministerpräsident Georgievski, der dafür gesorgt hat, dass dieser Staat noch immer schwach ist. Die Regierung hat sich selbst dadurch geschwächt, dass sie korrupt gewesen ist; das muss man einmal so klar sagen. 80 Prozent der Kolleginnen und Kollegen im Parlament in Skopje sind zum ersten Mal ins Parlament gewählt worden. Das macht deutlich, mit welch großem inneren politischen Aufstand die Bevölkerung Mazedoniens signalisiert hat, dass die alte korrupte Gruppierung abgewählt werden muss. Der neue Ministerpräsident Branko Crvenkovski, der Vorsitzende der Sozialdemokraten, hat aufgrund dieses Wahlergebnisses eine gute Chance, genau das voranzubringen, worauf es jetzt ankommt. Wir, die internationale Gemeinschaft, sind bereit, dem Land das Maß an Sicherheit anzubieten, das das Land von sich aus nicht gewährleisten kann. Aber im Gegenzug muss die Regierung in Skopje den Reformkurs vorantreiben und dafür sorgen, dass die notwendigen Aufgaben, die das Land zu bewältigen hat, wirklich angepackt werden. Deshalb ist es nötig, dass „Bündnisharmonie“ - so heißt das neue Mandat - heute verabschiedet wird. Dies gibt diesem armen Land mit seinen 2 Millionen Menschen, eingezwängt in diesen noch immer gefährlichen Raum, die Chance, Demokratie von innen zu entwickeln und irgendwann Mitglied der Europäischen Union zu werden. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort der Kollegin Ursula Lietz, CDU/ CSU-Fraktion.

Ursula Lietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die NATO-Operation Amber Fox mit 200 Soldaten der Bundeswehr endet am 15. Dezember, weil ihr Auftrag weitestgehend - ich sage ausdrücklich: weitestgehend - erledigt ist. Die Spannungen in Mazedonien zwischen Slawen und Albanern haben abgenommen. Die Parlamentswahlen haben keine ideologischen Scharfmacher hervorgebracht; gemäßigte Parteien haben eine Mehrheit bekommen. Mazedonien ist auf einem guten Weg in Richtung Europa. ({0}) Dennoch ist in Mazedonien weiterhin eine Sicherheitspräsenz unter NATO-Führung erforderlich. Der mazedonische Präsident hat ausdrücklich darum gebeten, dass wir sie fortsetzen. Deswegen wird die CDU/CSU-Fraktion diesem Anliegen zustimmen. Erlauben Sie mir trotzdem noch einige Anmerkungen. Herr Weisskirchen, Sie haben soeben ausgeführt, dass die Einsatzerfolge auf dem Balkan mit dieser Regierung verbunden sind. Das ist aber leider mitnichten der Fall. Vielmehr sind sie mit einer großartigen Leistung unserer Soldaten verbunden. Wir haben zu beklagen - das müssen Sie zur Kenntnis nehmen, Herr Außenminister -, dass zwar in Prag ein erfolgreicher NATO-Gipfel stattgefunden hat, dass die deutsche Delegation aber einen recht jämmerlichen Eindruck hinterlassen hat. ({1}) Nach der antiamerikanischen Rhetorik im Wahlkampf durften wir immer wieder sehen - es wurden immer dieselben Bilder gezeigt -, wie ein gequält fröhlich lächelnder Kanzler einen Händedruck des US-Präsidenten erhascht hat. ({2}) Abgesehen von diesem Ereignis war festzustellen, dass die Medien sehr wenig von Ihren Erfolgen berichtet haben. ({3}) Es ist richtig, dass die Installation von Allied Harmony das bisherige Scheitern einer eigenständigen europäischen Sicherheitspolitik darstellt. Wenn Sie so herablassend lächeln oder sich mit Ihren Kollegen unterhalten, Herr Fischer, dann zeigt das nur die Überheblichkeit von Teilen dieser Regierung. ({4}) Wir warten bis heute darauf, dass sich Deutschland als das größte NATO-Land intensiver an der Umsetzung vieler Beschlüsse beteiligt, die dazu führen würden, dass wir innerhalb Europas stärker an diesen Aufgaben teilhaben. So haben wir vor mehr als drei Jahren die European Headline Goals beschlossen, die bis heute nicht umgesetzt worden sind. Durch eine veränderte Sicherheitslage nach dem 11. September 2001 finden sich die deutschen Truppen als Bestandteil von ISAF in Afghanistan wieder, wo sie demnächst als eine der beiden Lead Nations die Führung übernehmen werden. Außerdem sind wir an der Operation Enduring Freedom beteiligt. Ich weise deshalb darauf hin, damit wir über den sehr gefährlichen Aufgaben, die unsere Soldaten in Afghanistan wahrnehmen, nicht vergessen, was unsere Soldaten auf dem Balkan leisten. Denn dieses Engagement ist genauso wichtig und es ist auch nicht ungefährlich. ({5}) Die Sicherheitslage dort ist nicht stabil. Auch in diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, Herr Fischer, dass der Status des Kosovo noch unklar ist und ein entsprechendes Konzept, wie dieser Status verändert und die Lage dort verbessert werden kann, fehlt. Es wäre aber eigentlich Ihre Aufgabe, ein solches Konzept zu erstellen. Lassen Sie mich etwas zu den Soldatenfamilien anmerken. Wir haben von Ihrem Vorgänger, Herr Verteidigungsminister, die Zusage bekommen, dass die Verbesserung der Familienbetreuung in Angriff genommen wird. Bisher liegen uns aber keine Ergebnisse vor. Wir haben über die Flexibilisierung von Einsatzzeiten gesprochen. Frau Beer von den Grünen hat in einer ihrer letzten Reden sogar zugesagt, dass sich die Grünen für eine Verbesserung der Bedingungen einsetzen werden. Aber auch in diesem Bereich ist bislang nichts passiert. Herr Arnold, Sie haben gestern ein so positives Bild von der Situation unserer Soldaten gezeichnet, dass ich Ihnen nur die Lektüre des Berichts des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr empfehlen kann. Danach ist nur jeder fünfte Soldat mit seiner Betreuung und der Betreuung seiner Familie vor, während und nach den Einsätzen einverstanden und zufrieden. 60 Prozent der Familien und 41 Prozent der Soldaten leiden sehr unter der langen Trennungszeit. Bei Besuchen in Einsatzgebieten bitten uns Kommandeure, über eine Flexibilisierung von Einsatzzeiten nachzudenken. Soldaten sind - das sage ich besonders an die Regierung gewandt - bei allen Sparbemühungen keine finanzpolitische Verfügungsmasse. ({6}) Ich fürchte, wenn wir so weitermachen, werden wir bald keine jungen Menschen mehr finden, die bereit sind, diese Aufgaben zu übernehmen. Demotivation, Enttäuschung und Vertrauensverlust sind nicht die beste Ausrüstung für schwierige Einsätze. ({7}) Wenn Sie Offiziere und Soldaten, die seit vielen Jahren der Bundeswehr angehören, fragen, ob sie ihren Söhnen empfehlen würden, diesen Beruf zu ergreifen, dann werden Sie heute als Antwort ein Kopfschütteln erhalten. Deswegen hat die Bundeswehr, wenn sie weiterhin so geführt wird, keine gute Zukunft. Wir unterscheiden uns darin von anderen Nationen, die sehr stolz darauf sind, was ihre Armeen leisten, und die sie das auch wissen lassen. Allied Harmony wird in Zukunft mit bis zu 70 deutschen Soldaten auskommen, die in Mazedonien stationiert sein werden. Der Auftrag gilt bis zum 15. Juni 2003. Vorhandene Destabilisierungsrisiken sollen dort gemindert, der Ohrid-Friedensprozess soll vorangetrieben und die Gefahren eines erneuten Aufflammens ethnisch bedingter Bürgerkriege sollen weiter eingegrenzt werden. Ich möchte zum Schluss die Gelegenheit nutzen, den Soldaten und vor allen Dingen ihren Familien sehr herzlich dafür zu danken, was sie für uns tun. ({8}) Gerade in der Vorweihnachtszeit, in der sich kleine Kinder ihre Väter oder ihre Mütter nach Hause wünschen, ist der Dienst besonders schwer. Wenn wir alle zu Hause Weihnachten feiern, sollten wir einmal an die Soldaten denken, die nicht bei ihren Familien sein können. Ich danke Ihnen. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Bundesminister Joseph Fischer.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf mich für die von den Sprechern der Fraktionen geäußerte Zustimmung zu dem heute zu entscheidenden Mandat recht herzlich bedanken. Das macht klar, dass wir uns jenseits der heute aufgetretenen Differenzen - um es ganz milde zu formulieren - in der Sache im Wesentlichen einig sind. Man muss die Mission in Mazedonien in die Gesamtstrategie für den Balkan einordnen. Wenn wir uns an das Jahr 1991, an das auseinander brechende Jugoslawien, an das Setzen auf Gewalt und an die Grenzziehung mit den Mitteln des Krieges, der ethnischen Säuberung und Vertreibung mit furchtbaren Verbrechen und Zerstörungen erinnern, dann können wir heute feststellen, dass die Verbindung von militärischer Festigkeit auf der einen Seite und politischer Perspektive auf der anderen Seite letztendlich das entscheidende Erfolgsrezept war. Das hat auch zur Stabilisierung Mazedoniens ganz entscheidend beigetragen. Ich stimme allen zu, die sagen, dass noch viel zu tun sei. Deswegen können wir das Mandat heute nicht für beendet erklären; das ist klar. Aber wer hätte noch vor anderthalb Jahren zu denken gewagt, dass es - bei allen Schwierigkeiten, die das Land noch hat - einen demokratischen Regierungswechsel, der auf freien Wahlen gründet, geben wird? Das hätten damals nur ein paar sehr Wohlmeinende, an Utopien Glaubende aus unserem Kreis gedacht. Heute ist das Realität geworden. Dass es einen neuen Verfassungskonsens zwischen den wichtigsten Volksgruppen gibt, ist das Ergebnis der Entschlossenheit wie des Verhandlungsgeschicks von Javier Solana, dem Sonderbeauftragten der Europäischen Union, und George Robertson, dem Generalsekretär der NATO, sowie der Bereitschaft aller Mitgliedstaaten, sich hier zu engagieren, und selbstverständlich auch der multinationalen Truppe, das heißt nicht nur der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, sondern auch unserer Partner, die dort in einem gefahrvollen und gleichzeitig sehr vernünftigen Einsatz engagiert waren und sind. Ich denke, es ist wichtig, dass man das unterstreicht. Mir wäre bei all dem, was wir in den kommenden Wochen und Monaten in einer anderen Nachbarregion vor uns haben, wesentlich wohler, wenn wir bereits heute sagen könnten, dass es eine Strategie für die gesamte Region für den Tag danach gibt. Dann wäre die Frage der regionalen Stabilität zumindest in Umrissen erkennbar und dann vielleicht auch beantwortbar. Dann könnte die jetzige Diskussion anders geführt werden. Genau das ist das Geheimnis des Erfolgsrezepts auf dem Balkan: Die gesamte Region soll an Europa herangeführt werden. Das wird zwar lange dauern. Aber ich kann Ihnen versichern: Allein die Einstellungsänderung in den Köpfen ist wichtig für den Erfolg. Stellen Sie sich einmal vor, dass diese Region die Perspektive, die ihr Brüssel eröffnet hat, nicht hätte und dass es nur das militärische Engagement des Westens gäbe nach dem Motto: Wir lassen nicht zu, dass ihr euch gegenseitig umbringt und furchtbare Verbrechen begeht. Dann gäbe es keine politische Perspektive. Der Nationalismus in den Köpfen würde dann nicht Schritt für Schritt transformiert. Das wird alles dauern. Aber letztendlich gehört auch diese Region zu Europa und das ist der entscheidende Ansatz. Dem dient der Stabilitätspakt, dem dienen unsere Bemühungen, Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zu schließen, und dem dient auch die Bemühung, ein engeres Verhältnis der Balkanstaaten - auch der neuen Staaten, insbesondere Mazedonien - zur NATO herzustellen. Das ist genau der Punkt, Herr Hoyer. Dieser Antrag steht zwar heute nicht zur Abstimmung; aber das wurde gestern im Ausschuss für Ihre Fraktion wieder vorgetragen. - Ich nehme an, Ihr Kollege ist da noch etwas unerfahren. Angesichts der Lage auf dem Balkan wäre es ein fataler Rückschritt, wenn wir dort etwas der OSZE Ähnliches konstruieren wollten. Keiner unserer Partner würde das verstehen. Gott sei Dank ist die Entwicklung in Richtung des Heranführens an das Europa der Integration, an die transatlantischen Strukturen viel weiter gediehen. Das wissen Sie doch auch. ({0}) - Natürlich gibt es einen Widerspruch. Der Widerspruch besteht darin, dass das Instrument, das Sie vorschlagen, nicht mehr notwendig ist. ({1}) - Okay, vielleicht brauchen Sie dieses Instrument, um etwas Eigenes zu haben. Ich akzeptiere ja, dass Sie es als Identifikationsmerkmal brauchen. Aber Sinn macht es nicht. ({2}) - Es hat doch nichts mit Oberlehrer zu tun, wenn ich auf Ihre Argumente eingehe und versuche, sie zu entkräften. Als einen Oberlehrer verstehe ich jemanden, der abkanzelt. Ich tue das Gegenteil: Ich versuche, mit Ihnen zu diskutieren, Herr Gerhardt. ({3}) Aber meinetwegen, dann bin ich eben ein Oberlehrer. Ich möchte nicht darüber streiten. Ich habe jedoch ein anderes Verständnis von Oberlehrern: Meine Oberlehrer haben nie mit mir diskutiert. ({4}) - Ich habe viel zu viele Oberlehrer gesehen. Das macht vielleicht einen Teil meiner Schulkarriere aus. ({5}) Ich sage Ihnen: Für mich ist das Mazedonien-Mandat Ausweis einer Erfolgsgeschichte, die noch nicht abgeschlossen ist und die in einem engen Zusammenhang mit dem Engagement im Kosovo und in Bosnien steht. Herr Freiherr von und zu Guttenberg, wir haben gestern im Ausschuss ausführlich darüber gesprochen, warum es noch kein ESVP-Mandat gibt. Das hat beim besten Willen nichts damit zu tun, dass wir uns in Hoffnungserklärungen flüchten. Aber ich kann Ihnen bis zur Stunde - bei allen Allmachtsvisionen, die Sie der Bundesregierung zuschreiben mögen - noch nicht die Einigung zwischen Griechen und Türken liefern. Ich kann Ihnen allerdings eines sagen: Wenn wir dem Antrag Ihrer Fraktion, der gestern Gott sei Dank abgelehnt wurde, zugestimmt hätten, dann könnte ich Ihnen niemals präsentieren, dass es eine Deblockierung geben wird. ({6}) Meine Damen und Herren, ich freue mich für unsere Soldaten, dass es hier eine so breite Unterstützung für diesen Einsatz gibt. Ich erinnere daran, dass es nicht nur auf der linken Seite dieses Hauses Auseinandersetzungen darüber gegeben hat; mein Gedächtnis funktioniert sehr gut. Gerade beim Mazedonien-Mandat hat es auch auf der rechten Seite dieses Hauses, in Ihren Reihen, Diskussionen gegeben. Allen, die damals zugestimmt haben, kann ich nur sagen: Es war richtig, dass wir dieses Mandat eingerichtet und eine Eskalation eines neuen Bürgerkrieges mit den verheerenden Folgen nicht zugelassen haben. Ohne Selbstüberheblichkeit können wir den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen, die damals aus guten Gründen Bedenken erhoben haben, sagen: Diese Bedenken waren Gott sei Dank nicht berechtigt. Auch das ist ein Bestandteil dieser Erfolgsgeschichte. Deswegen möchte ich mich für die Bundesregierung nochmals für die so breite Unterstützung im Interesse unserer Soldaten bedanken. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort der Abgeordneten Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 23. Oktober, also vor gut sechs Wochen, verlängerte der Deutsche Bundestag das Mazedonien-Mandat der Bundeswehr. Die beiden PDS-Abgeordneten, Petra Pau und ich, haben gegen diese Mandatsverlängerung gestimmt und werden das auch heute tun. Denn während der Debatte am 23. Oktober erklärten - ausweislich des Protokolls - sowohl Verteidigungsminister Struck also auch die Vertreter aller Fraktionen, dass Mazedonien auf den Weg der inneren Versöhnung gebracht sei und der Einsatz der NATO zur Festigung der Demokratie geführt habe. Wieso dann heute diese Mandatsverlängerung? Sie haben argumentiert, meine Damen und Herren, dass die neue mazedonische Regierung unter dem Sozialisten Branko Crvenkovski sowie Präsident Trajkovski selbst um die Verlängerung des Mandats gebeten hätten. Das ist richtig. Aber haben Sie nicht einmal auch darüber nachgedacht, dass diese Bitte nicht aus einer Position der Stärke, sondern aus einer Position der Schwäche heraus geäußert worden ist? Meinen Sie nicht auch, dass sowohl Crvenkovski als auch Trajkovski gemerkt haben, dass es wesentlich leichter ist, NATOTruppen einschließlich der Bundeswehr als zivile Hilfe unter der Leitung von UNO, EU oder Europarat zur Verfügung gestellt zu bekommen? Meinen Sie nicht auch, dass Sie der sozialistisch geführten Koalitionsregierung Mazedoniens, an der auch Albaner beteiligt sind und die Ihnen, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, politisch eigentlich besonders nahe stehen müsste, besser helfen würden, wenn Sie die wenigen zur Verfügung stehenden Mittel in zivile Projekte lenkten? ({0}) Meinen Sie nicht auch, dass die mazedonische Führung bessere und sinnvollere Ideen zur Verwendung der 2,1 Millionen Euro hätte, die die Verlängerung des Bundeswehrmandats auffrisst? Bereits am 23. Oktober hat meine Kollegin Petra Pau vorgeschlagen, die für die damalige Mandatsverlängerung vorgesehenen 1,5 Millionen Euro für den BalkanStabilitätspakt zur Verfügung zu stellen. Ich erneuere diesen Vorschlag heute im Hinblick auf die für die erneute Mandatsverlängerung geplanten 2,1 Millionen Euro. Meine Damen und Herren, ich möchte nicht die Gelegenheit versäumen, auf einen Widerspruch in der Balkanpolitik der Bundesregierung hinzuweisen. Wenn es darum geht, Auslandseinsätze der Bundeswehr zu begründen, dann sind die Lageeinschätzungen häufig drastisch. Geht es aber darum, Bürgerkriegsflüchtlinge oder Asylsuchende abzuschieben, gelten diese drastischen Lageeinschätzungen nicht mehr. Warum wird zum Beispiel seitens der Bundesregierung, von Herrn Schily, nicht endlich anerkannt, dass die Roma in Serbien extrem gefährdet sind? Können Sie sich nicht klar dazu äußern, ob die Abschiebung der Roma endlich beendet ist? Wir PDS-Abgeordnete treten für eine stringente Menschenrechtspolitik ein. Bundeswehreinsätze in Gebieten, in denen zivile Hilfe erforderlich ist, gehören nicht dazu. Darum stimmen wir, die PDS-Abgeordnete Petra Pau und ich, gegen die Verlängerung des Mazedonien-Mandats der Bundeswehr. Danke schön. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Siegfried Helias, CDU/CSU-Fraktion.

Siegfried Helias (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003144, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht heute nicht nur um den Antrag der Bundesregierung, sondern auch um den Antrag der FDP mit dem Titel „Für eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Südosteuropa“. Wir von der CDU/CSU werden diesem Antrag zustimmen; denn Sicherheitspolitik beschränkt sich nicht allein auf den militärischen Aspekt. Daher danke ich nicht nur den Soldaten und Soldatinnen sowie ihren Familien, sondern spreche auch den zivilen Kräften einen herzlichen Dank aus, die in vielen Hilfsorganisationen und Nichtregierungsorganisationen tätig sind und einen genauso wertvollen Beitrag für Frieden, Sicherheit und Stabilität in Südosteuropa leisten. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Einsatz der Bundeswehr in Mazedonien - das wurde hier ausführlich dargestellt - hat zur Konfliktbeilegung beigetragen. Gerade deswegen braucht Mazedonien jetzt auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Zusammenarbeit Taten statt Worte. Wenn militärische Präsenz die Voraussetzung für eine langfristige Investition in die Zukunft des Landes war und bleibt, dann ist es gerade jetzt notwendig, die Entwicklung Mazedoniens zu fördern, um die notwendige Friedensdividende zu erhalten. Dabei sind aus entwicklungspolitischer Sicht die Förderziele klar: Es geht um Investitionen zur Stabilisierung der Demokratie und den weiteren Aufbau der Zivilgesellschaft, um Investitionen in die Umwelt - Trinkwasserversorgung, Abwasserproblematik, Management der Wasserressourcen und Länder übergreifende Umweltprojekte im Dreieck von Mazedonien, Griechenland und Albanien sowie um eine Wirtschaftsreform und den Aufbau marktwirtschaftlicher Strukturen. Die bisherigen Schwerpunkte in der Entwicklungszusammenarbeit sind dabei nicht zu beanstanden. Ich beanstande jedoch, dass der von Rot-Grün verabschiedete Bundeshaushalt 2002 das Ende des Stabilitätspakts in Südosteuropa bereits eingeleitet hat. Auch gestern hat die Bundesministerin bei der Vorstellung des Einzelplans 23 Südosteuropa und den Stabilitätspakt mit keinem einzigen Wort erwähnt. Ich finde, das ist ein Armutszeugnis für die Entwicklungspolitik. ({1}) Ich kritisiere aber keineswegs nur die mangelnde Mittelausstattung und das von der Bundesregierung faktisch eingeleitete Ende des Stabilitätspakts. Ich kritisiere auch den Zustimmungs- und Abstimmungswirrwarr sowie das Kompetenzgerangel bei der Mittelbeantragung und bei der Mittelvergabe, bei der der Koordinator - mag er Hombach oder Busek heißen - lediglich die Rolle eines Maklers übernehmen kann; denn er verfügt über keine eigenen operativen Mittel. Zudem tritt sich noch eine Vielzahl von Ober- und Unterkoordinatoren auf die Füße. Der Hauptkoordinator muss den Spagat zwischen Gebern und Nehmern leisten. Er muss die Geber - das ist eine ganze Reihe: die EU-Kommission, Mitgliedstaaten, internationale Finanzorganisationen - überzeugen, bestimmte Projekte zu fördern, und gleichzeitig die Empfänger bitten, dieselben Projekte zu beantragen. Einen verbrieften Zugriff gibt es dabei nicht. Die Koordination ist also völlig vom Geberwohlwollen und vom Empfängervertrauen abhängig. Dass dies nicht funktionieren kann, liegt auf der Hand. Einen besseren Zeugen für diesen Kompetenzwirrwarr als Bodo Hombach gibt es nicht. Er sagte bei seiner Verabschiedung: Wenn ich nachts aus einem ganz fürchterlichen Albtraum schweißgebadet aufwachte, dann hatte ich ganz bestimmt an irgendwelche Verhandlungsprotokolle der EU gedacht. Es kommt also nicht nur auf die Mittelausstattung und auf die Mittelbestimmung an, sondern auch auf den Mittelabfluss. Insofern muss es uns alle außerordentlich bedenklich stimmen, dass von den zugesagten und im Bundeshaushalt vorgesehenen 100 Millionen Euro für die finanzielle Zusammenarbeit lediglich 10 Prozent abgeflossen sind. Was nützt es, wenn Hilfe auf der einen Seite notwendig ist, die zugesagten Fördermittel aber überhaupt nicht ankommen, weil die bürokratischen Hürden viel zu hoch sind? Die Hilfe ist notwendig; man denke an die Geißel Arbeitslosigkeit. Von den rund 2,2 Millionen Menschen im Land sind fast 400 000 ohne Arbeit. Weitere 500 000 Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze. Der Kollege Weisskirchen hat vorhin auf andere besondere Problemstellungen in dieser Region hingewiesen. Des Weiteren möchte ich auf die Flüchtlingsproblematik aufmerksam machen. Noch sind längst nicht alle Flüchtlinge zurückgeführt worden. ({2}) Sie können auch gar nicht zurückgeführt werden. In den Lagern bei Skopje leben noch viele Tausende, insbesondere Roma, die keine Papiere haben. Wer da „papierlos“ ist, der ist auch rechtlos. Wenn wir über Frieden und Stabilität in dieser Region sprechen, dann müssen wir uns auch um die Menschen kümmern, die dort wirklich am unteren Ende der Existenzskala leben. Unsere Fürsorge gilt auch den Sinti und den Roma. ({3}) Fazit: Die Lage im Land ist friedlich; aber es ist immer noch ein labiler Frieden, der weiter gefestigt werden muss. Insofern hatte Staatssekretär Kolbow natürlich Recht, wenn er sagt: Mazedonien hat unsere Hilfe verdient. Meine Damen und Herren von der Regierung, optimieren Sie Ihr Konzept! Setzen Sie es effizient um! Statten Sie Ihr Konzept nicht nur mit den notwendigen Mitteln aus, sondern sorgen Sie auch dafür, dass diese Mittel ankommen! Ich wiederhole: Mazedonien hat unsere Hilfe verdient. Es ist allerdings auch dringend notwendig, dass Hilfe dort ankommt. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen Werner Hoyer, FDP-Fraktion.

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Ich denke, es ist erforderlich, eine Klarstellung vorzunehmen. Einige Kollegen der Koalition einschließlich der Bundesregierung haben sich sehr über die Anträge der FDP-Fraktion echauffiert und dabei übersehen, welcher Antrag heute eigentlich zur Abstimmung steht. Zur Abstimmung steht unser Entschließungsantrag, in dem der Wunsch zum Ausdruck gebracht wird, das Mazedonien-Mandat möglichst schnell auf die Europäische Union übergehen zu lassen. Über den Kern dieses Antrages hat gestern weitgehendes Einvernehmen auch mit einigen Kollegen der Koalition bestanden. Ich kann verstehen, dass man als Koalitionsabgeordneter letztendlich nicht zustimmen möchte, wenn eine Oppositionsfraktion auf die Bundesregierung in diesem Antrag mit einem Satz kritisch verweist. Die Brücke zum Nein ist insofern gebaut. Gleichwohl hat sich die Hauptaufregung auf den Antrag bezogen, der sich mit der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Südosteuropa befasst. Dieser Antrag steht heute überhaupt nicht zur Abstimmung, sondern wird an die Ausschüsse überwiesen. Wir werden sehr ruhig darüber diskutieren können, ob wir nicht einen Rahmen brauchen, der konzeptionell über den Stabilitätspakt hinausgeht. Das mag streitig sein, ist aber auf jeden Fall diskussionsbedürftig und diskussionswürdig. Akzeptabel ist allerdings keinesfalls, mit welcher herablassenden Arroganz der Bundesminister des Auswärtigen Reden von Mitgliedern des Deutschen Bundestages hier kommentiert, insbesondere die Rede meines Kollegen Dr. Stinner. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die Kurzintervention richtete sich grundsätzlich in Richtung Koalitionsfraktionen. Herr Volmer will antworten.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Hoyer, Sie haben richtigerweise darauf hingewiesen, dass der FDP-Antrag, der zur Abstimmung steht, sich nicht mit der KSZE in Südosteuropa befasst, sondern mit der Rolle der ESVP und der EU bei den Überwachungsund flankierenden Sicherheitsprozessen in Mazedonien. Wir stimmen völlig in dem Interesse überein - das kam gestern auch im Auswärtigen Ausschuss zum Ausdruck -, dass die Europäische Union die Sicherheitskomponente in Zukunft federführend übernehmen soll. In diesem Sinne ist der Inhalt Ihres Antrags überhaupt nicht zu beanstanden. Aber was Sie in Ihrem Antrag anmahnen, ist ohnehin Politik der Bundesregierung. Eines ist an Ihrem Antrag grundfalsch: dass Sie die Bundesregierung kritisieren, weil sie nicht hinreichend intensiv auf die entsprechende Umsetzung dringen würde. Der Außenminister hat gerade klargestellt, dass es auch im deutschen Interesse liegt, dass die EU im Sinne der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik handlungsfähig wird, und dass es nicht allein in der Hand der Bundesregierung liegt, dies umzusetzen. Deshalb ist diese Kritik völlig fehl am Platze. Wir haben gestern für den Fall, dass Sie diesen kritischen, überflüssigen Satz aus dem Antrag streichen, angeboten, einen interfraktionellen Antrag mit der gleichen inhaltlichen Zielsetzung mit zu tragen. Leider haben Sie dies abgelehnt. Von daher haben Sie - ich würde sagen: aus Motiven der Vereinsmeierei - dem eigentlich richtigen politischen Anliegen geschadet. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Verena Wohlleben, SPDFraktion.

Verena Wohlleben (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002549, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Weil wir heute über Mazedonien abstimmen und nicht über Ihren Antrag, darf ich als letzte Rednerin etwas zu Mazedonien sagen. Als ich im September vergangenen Jahres zusammen mit einigen Kolleginnen und Kollegen unter der Leitung von Hans-Ulrich Klose selbst in Mazedonien war, war ich geschockt. Natürlich war ich, wie alle anderen auch, über die Lage informiert; aber es ist doch etwas ganz anderes, wenn man die Situation vor Ort hautnah miterlebt. Das Land stand kurz vor einem blutigen Bürgerkrieg; der Frieden in der Region hing an einem seidenen Faden und es schien so, als wüchsen die Zahl der Hardliner im mazedonischen Parlament und der Widerstand gegen die Umsetzung des Rahmenabkommens von Ohrid beständig. Unter diesen Umständen geriet unsere eigentlich als Besuch des deutschen Kontingents von Essential Harvest geplante Reise zu einer diplomatischen Mission. In den zwei uns zur Verfügung stehenden Tagen führten wir Gespräche mit fast allen hochrangigen mazedonischen Regierungsvertretern. Wir waren froh, dass die Sicherheit unserer Soldatatinnen und Soldaten damals Gott sei Dank noch nicht gefährdet war, und für den Fall eines eventuellen Rückzugs war die Truppe mit dem bestmöglichen Material ausgestattet; das sage ich in Richtung Opposition. Trotzdem, die Lage war damals wirklich sehr schwierig, fast hoffnungslos. Ich hatte, wie auch viele Kolleginnen und Kollegen, bei der anschließenden Abstimmung über eine deutsche Beteiligung an Amber Fox Bedenken. In der Operation lagen Risiken, aber sie war alternativlos. Ein Rückzug der internationalen Gemeinschaft zu diesem Zeitpunkt hätte zwangsläufig das Ende des Stabilisierungs- und Friedensprozesses in Mazedonien bedeutet und in einen Bürgerkrieg gemündet. Deshalb war es wichtig und richtig, dem Einsatz zuzustimmen. ({0}) Der Einsatz der internationalen Staatengemeinschaft in Mazedonien ist ein großer Erfolg und wird zu Recht von allen Seiten immer als Paradebeispiel für präventives Konfliktmanagement gelobt. Zum ersten Mal ist es gelungen, einen Bürgerkrieg vor seinem Beginn zu verhindern. Doch nicht nur das: Die Erfolge, die in relativ kurzer Zeit in Mazedonien bezüglich der äußeren Stabilisierung des Landes, aber auch der inneren Aussöhnung und der Verbesserung des interethnischen Verhältnisses erzielt werden konnten, sind enorm. Um ehrlich zu sein: Ich hätte mir die heutige Situation vor 18 Monaten allenfalls in meinen kühnsten Träumen vorstellen können. Wir alle kennen die momentane Lage. Inzwischen haben freie Wahlen stattgefunden, die ebenso friedlich und störungsfrei verlaufen sind wie der anschließende Regierungswechsel. Die für die innere Aussöhnung des Landes so wichtige Volkszählung konnte soeben ohne nennenswerte Unregelmäßigkeiten abgeschlossen werden. ({1}) Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in Mazedonien nun die besten Voraussetzungen dafür herrschen, dass das Land weiter nach vorne blicken und seine innere Spaltung endgültig überwinden kann. ({2}) - Sicher gibt es noch viele Probleme, aber die Probleme sind längst nicht mehr so groß wie vor 18 Monaten. Da werden Sie mir zustimmen, Herr Pflüger. ({3}) Hier ist einiges erreicht worden und darüber sind wir auch sehr froh. Am Erfolg der Bemühungen der internationalen Gemeinschaft hat die Bundeswehr einen maßgeblichen Anteil. Ihr Einsatz in Mazedonien war und ist ein richtungsweisender und idealtypischer Beitrag deutscher Friedenspolitik. Ich denke, Sie stimmen mit mir überein, dass es für unsere Armee keinen besseren Einsatz gibt, als allein durch ihre Präsenz Frieden zu sichern bzw. teilweise gar zu schaffen. Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten einen hervorragenden Dienst. Sehr verehrte Frau Lietz, ich muss ganz kurz auf Ihre Kritik eingehen. Sie beklagen die lange Einsatzzeit unserer Soldatinnen und Soldaten. Erinnern Sie sich doch einmal zurück an 1995, als wir hier zum ersten Mal über den Einsatz in Bosnien abstimmten. Das war ja damals schon richtungsweisend und es war auch erkennbar, dass es nicht der letzte Einsatz sein würde. ({4}) - Sie telefoniert, aber die Kollegen werden es ihr vielleicht sagen oder es ist im Protokoll nachzulesen. - Sie waren damals an der Regierung und es wäre eigentlich Ihre Aufgabe gewesen, die Bundeswehr zu reformieren, umzubauen und auf ihre künftigen Aufgaben vorzubereiten. Das haben Sie nicht getan; das haben Sie 1998 uns überlassen. ({5}) Deswegen sind wir heute noch nicht so weit, dass wir die Einsatzzeit entsprechend verkürzen können. Wir würden es gern tun, können es aber bis jetzt noch nicht. ({6}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, um das in Mazedonien bisher Erreichte nicht zu gefährden und die bestehenden Risiken zu minimieren, ist eine in Umfang und Auftrag an die geänderten Verhältnisse angepasste internationale Begleitung als stabilisierende und vertrauensbildende Maßnahme weiterhin notwendig. Wir werden heute durch unsere Zustimmung zu einer Beteiligung deutscher Truppen an der Operation Allied Harmony unseren Beitrag zur Absicherung des Friedensprozesses und zur Demokratisierung in Mazedonien leisten und unseren Soldatinnen und Soldaten ein starkes Mandat mit auf den Weg geben. Ich danke Ihnen. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem NATO-geführten Einsatz auf mazedo- nischem Territorium, Drucksachen 15/127 und 15/156. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Können wir beginnen? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Haben alle Abgeordneten ihre Stimme abgegeben? - Das ist der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird später bekannt gegeben.1) Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungs- anträge. Wer stimmt für den interfraktionellen Entschließungs- antrag auf Drucksache 15/130? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Entschließungsantrag ist einstimmig angenommen. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/166? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt. Tagesordnungspunkt 4 b. Interfraktionell wird Über- weisung der Vorlage auf Drucksache 15/56 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 5, Wahlen zu Gremien. Wir führen zunächst fünf Wahlen mit Stimmkarten und Wahlausweisen in getrennten Wahlgän- gen durch. Es handelt sich um folgende Wahlen: Richter- wahlausschuss gemäß § 5 des Richterwahlgesetzes, Wahlausschuss gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht, Wahl der Mitglieder des Par- lamentarischen Kontrollgremiums, Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 4 a des Bundeswertpapierverwal- tungsgesetzes, Wahl der Mitglieder des Vertrauensgremi- ums gemäß § 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung. An diese fünf Wahlgänge schließen sich noch weitere Wahlen an, die mittels Handzeichen durchgeführt wer- den. Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinweise zu den für die zunächst durchzuführenden Wahlen mit Stimmkarte und Wahlausweis. Die Stimmkarten in den Farben Orange, Grün, Blau, Gelb und Weiß werden unmittelbar vor der jeweils durch- zuführenden Wahl im Saal verteilt. Sie benötigen außer- dem Ihre Wahlausweise in den Farben Orange, Grün, Blau, Gelb und Weiß, die Sie, soweit noch nicht gesche- hen, bitte Ihrem Stimmkartenfach in der Lobby entneh- men. Bitte achten Sie unbedingt darauf, dass die Wahl- ausweise wirklich Ihren Namen tragen. Bevor Sie die entsprechende Stimmkarte in eine der Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte Ihren dazu- gehörenden Wahlausweis einem der Schriftführer an den Wahlurnen. Der Nachweis der Teilnahme an der Wahl kann nur durch die Abgabe des Wahlausweises erbracht werden. Die Schriftführerinnen und Schriftführer bitte ich, darauf zu achten, dass vor der Stimmabgabe der Wahlausweis übergeben wird. Die Wahlen finden offen statt. Sie können die Stimm- karten also an Ihrem Platz ankreuzen. Wir kommen zunächst zu Tagesordnungspunkt 5 a: Richterwahlausschuss gemäß § 5 des Richter- wahlgesetzes - Drucksachen 15/138, 15/139 - Dazu liegen Ihnen auf den Drucksache 15/138 und 15/139 Listen mit Wahlvorschlägen vor. Sie benötigen für diese Wahl die Stimmkarte in der Farbe Orange. Sollten Sie diese Stimmkarte noch nicht haben, besteht jetzt noch die Möglichkeit, diese von den Plenarassistenten zu er- halten. Ich mache besonders darauf aufmerksam, dass Sie auf der orangefarbenen Stimmkarte nur einen Vorschlag an- 1) Ergebnis Seite 1025 A kreuzen dürfen. Ungültig sind Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz oder Zusätze enthalten. Wer sich der Stimme enthalten will, macht keine Eintragung. Bevor Sie die orangefarbene Stimmkarte in eine der Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte den Schriftführe- rinnen und Schriftführern an den Wahlurnen Ihren orange- farbenen Wahlausweis. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, nun- mehr die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Ich eröffne die Wahl zum Richterwahlausschuss. Ist noch eine Kollegin, ein Kollege anwesend, die ihre Stimmen nicht abgegeben haben? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Wahl und bitte die Schriftführe- rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- nen. Das Ergebnis der Wahl wird Ihnen später bekannt ge- geben.1) Liebe Kolleginnen und Kollegen, zwischendurch komme ich zu Tagesordnungspunkt 4 a zurück. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermit- telte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung „Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem NATO-geführten Einsatz auf mazedonischem Territorium ...“ bekannt. Abgegebene Stimmen 585. Mit Ja haben gestimmt 577, mit Nein 6, Ent- haltungen 2. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Präsident Wolfgang Thierse 1) Ergebnis Seite 1028 D Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 581 davon ja: 573 nein: 6 enthalten: 2 Ja SPD Dr. Lale Akgün Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({0}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel ({1}) Klaus Barthel ({2}) Sören Bartol Sabine Bätzing Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Hans-Werner Bertl Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding ({3}) Kurt Bodewig Gerd Friedrich Bollmann Willi Brase Bernhard Brinkmann ({4}) Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner ({5}) Marion Caspers-Merk Dr. Peter Wilhelm Danckert Karl Diller Martin Dörmann Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Marga Elser Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Lilo Friedrich ({6}) Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Renate Gradistanac Angelika Graf ({7}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Wolfgang Grotthaus Karl Hermann Haack ({8}) Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({9}) Anke Hartnagel Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Monika Heubaum Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({10}) Walter Hoffmann ({11}) Iris Hoffmann ({12}) Frank Hofmann ({13}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Renate Jäger Jann-Peter Janssen Klaus Werner Jonas Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Ulrich Kelber Hans-Peter Kemper Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Heinz Köhler Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({14}) Christine Lehder Dr. Elke Leonhard Götz-Peter Lohmann ({15}) Gabriele Lösekrug-Möller Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Caren Marks Christoph Matschie Hilde Mattheis Markus Meckel Ulrike Mehl Petra-Evelyne Merkel Ulrike Merten Angelika Mertens Ursula Mogg Michael Müller ({16}) Christian Müller ({17}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Volker Neumann ({18}) Dietmar Nietan Dr. Erika Ober Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Karin Rehbock-Zureich Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Reinhold Robbe René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({19}) Michael Roth ({20}) Gerhard Rübenkönig Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({21}) Thomas Sauer Anton Schaaf Axel Schäfer ({22}) Gudrun Schaich-Walch Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Präsident Wolfgang Thierse Horst Schmidbauer ({23}) Ulla Schmidt ({24}) Silvia Schmidt ({25}) Dagmar Schmidt ({26}) Wilhelm Schmidt ({27}) Heinz Schmitt ({28}) Carsten Schneider Walter Schöler Olaf Scholz Karsten Schönfeld Fritz Schösser Wilfried Schreck Ottmar Schreiner Gerhard Schröder Gisela Schröter Brigitte Schulte ({29}) Reinhard Schultz ({30}) Swen Schulz ({31}) Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Rolf Stöckel Christoph Strässer Rita Streb-Hesse Dr. Peter Struck Joachim Stünker Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Ute Vogt ({32}) Dr. Marlies Volkmer Hans Georg Wagner Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Reinhard Weis ({33}) Gunter Weißgerber ({34}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Jürgen Wieczorek ({35}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Brigitte Wimmer ({36}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wolff ({37}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Helmut Zöllmer Dr. Christoph Zöpel CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Dietrich Austermann Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({38}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Dr. Rolf Bietmann Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Paul Breuer Monika Brüning Georg Brunnhuber Verena Butalikakis Hartmut Büttner ({39}) Peter H. Carstensen ({40}) Gitta Connemann Hubert Deittert Albert Deß Alexander Dobrindt Vera Dominke Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Georg Fahrenschon Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Albrecht Feibel Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({41}) Dirk Fischer ({42}) Axel E. Fischer ({43}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser ({44}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Dr. Peter Gauweiler Norbert Geis Roland Gewalt Eberhard Gienger Georg Girisch Michael Glos Ralf Göbel Dr. Reinhard Göhner Tanja Gönner Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Kurt-Dieter Grill Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Gerda Hasselfeldt Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Peter Hintze Robert Hochbaum Martin Hohmann Joachim Hörster Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Peter Jahr Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Irmgard Karwatzki Bernhard Kaster Volker Kauder Siegfried Kauder ({45}) Gerlinde Kaupa Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Kristina Köhler ({46}) Manfred Kolbe Thomas Kossendey Rudolf Kraus Michael Kretschmer Günther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Werner Kuhn ({47}) Dr. Karl A. Lamers ({48}) Barbara Lanzinger Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Walter Link ({49}) Eduard Lintner ({50}) Patricia Lips Dorothee Mantel Erwin Marschewski ({51}) Stephan Mayer ({52}) Cornelia Mayer ({53}) Dr. Martin Mayer ({54}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Laurenz Meyer ({55}) Doris Meyer ({56}) Maria Michalk Hans Michelbach Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Stefan Müller ({57}) Bernward Müller ({58}) Bernd Neumann ({59}) Claudia Nolte Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Melanie Oßwald Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Peter Rauen Christa Reichard ({60}) Katherina Reiche Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Hannelore Roedel Franz Romer Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe Albert Rupprecht ({61}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({62}) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Norbert Schindler Wir warten jetzt einen Moment bis die geleerten Urnen wieder da sind. Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 5 b: Wahlausschuss gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht - Drucksachen 15/140, 15/141 - Dazu liegen Ihnen auf den Drucksachen 15/140 und 15/141 Listen mit Wahlvorschlägen vor. Für diese Wahl benötigen Sie die grünen Stimmkarten, die im Saal ver- teilt werden. Sollten Sie noch keine Stimmkarte haben, besteht jetzt noch die Möglichkeit, diese von den Plenar- assistenten zu erhalten. Ich mache darauf aufmerksam, dass Sie auch auf der grünen Stimmkarte nur einen Vorschlag ankreuzen dür- fen. Ungültig sind Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz oder Zusätze enthalten. Wer sich der Stimme enthalten will, macht keine Eintragung. Bevor Sie die grüne Stimmkarte in eine Wahlurne wer- fen, übergeben Sie bitte den Schriftführerinnen und Schriftführern an den Wahlurnen Ihren grünen Wahlaus- weis. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Das ist der Fall. Ich eröffne die Wahl der Mitglieder des Wahlaus- schusses für die Wahl der Richter des Bundesverfas- sungsgerichtes. Liebe Kolleginnen und Kollegen, haben alle ihre Stimme abgegeben? - Das ist offensichtlich der Fall. Ich schließe jetzt die Wahl und bitte die Schriftführe- rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung der Stim- men zu beginnen. Das Ergebnis der Wahl wird Ihnen spä- ter bekannt gegeben.1) Präsident Wolfgang Thierse Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({63}) Andreas Schmidt ({64}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Matthias Sehling Marion Seib Heinz Seiffert Bernd Siebert Thomas Silberhorn Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Michaela Tadjadod Antje Tillmann Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Volkmar Uwe Vogel Angelika Volquartz Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Peter Weiß ({65}) Gerald Weiß ({66}) Ingo Wellenreuther Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Matthias Wissmann Werner Wittlich Elke Wülfing Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller Willi Zylajew BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({67}) Volker Beck ({68}) Cornelia Behm Matthias Berninger Grietje Bettin Alexander Bonde Ekin Deligöz Jutta Dümpe-Krüger Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Joseph Fischer ({69}) Katrin Dagmar GöringEckardt Anja Hajduk Winfried Hermann Antje Hermenau Ulrike Höfken Thilo Hoppe Michaele Hustedt Fritz Kuhn Renate Künast Undine Kurth ({70}) Dr. Reinhard Loske Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({71}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Friedrich Ostendorff Simone Probst Claudia Roth ({72}) Krista Sager Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({73}) Werner Schulz ({74}) Petra Selg Ursula Sowa Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Jürgen Trittin Marianne Tritz Hubert Ulrich Dr. Antje Vogel-Sperl Dr. Ludger Volmer Josef Philip Winkler Margareta Wolf ({75}) FDP Daniel Bahr ({76}) Ernst Burgbacher Helga Daub Dr. Christian Eberl Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Horst Friedrich ({77}) Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({78}) Dr. Karlheinz Guttmacher Christoph Hartmann ({79}) Klaus Haupt Ulrich Heinrich Birgit Homburger Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Markus Löning Günther Friedrich Nolting Hans-Joachim Otto ({80}) Eberhard Otto ({81}) Detlef Parr Cornelia Pieper Gisela Piltz Marita Sehn Dr. Rainer Stinner Jürgen Türk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Nein CDU/CSU Dr. Wolf Bauer Wolfgang Börnsen ({82}) Leo Dautzenberg Willy Wimmer ({83}) fraktionslos Petra Pau Enthalten CDU/CSU Manfred Carstens ({84}) Henry Nitzsche 1) Ergebnis Seite 1041 A Präsident Wolfgang Thierse Jetzt müssen wir wieder ein bisschen warten, bis die Urnen geleert sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen die Wahlen fort und kommen zum Tagesordnungspunkt 5 c: Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP Einsetzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums gemäß §§ 4 und 5 Abs. 4 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes ({85}) - Drucksache 15/142 Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums gemäß §§ 4 und 5 Abs. 4 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes ({86}) - Drucksache 15/143 - Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den ge- meinsamen Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/ CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP auf Drucksache 15/142. Wer stimmt für diesen Antrag? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist ein- stimmig angenommen. Damit ist das Parlamentarische Kontrollgremium eingesetzt und die Mitgliederzahl auf neun festgelegt. Bevor wir zur Wahl der Mitglieder des Parlamen- tarischen Kontrollgremiums kommen, bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für die notwendigen Hinweise zum Wahlverfahren: Nach § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tä- tigkeit ist gewählt, wer die Stimmen der Mehrheit der Mit- glieder des Bundestages auf sich vereint, das heißt, wer mindestens 302 Stimmen erhält. Die blauen Stimmkarten wurden im Saal verteilt. Sollten Sie noch keine Stimmkarte haben, besteht jetzt noch die Möglichkeit, diese von den Plenarassistenten zu erhalten. Auf der blauen Stimmkarte können Sie neun Namensvorschläge ankreuzen. Ungültig sind Stimmkar- ten, die andere Namen oder Zusätze enthalten. Wer sich der Stimme enthalten will, macht keine Eintragung. Diese Wahl - wie auch die beiden folgenden Wahlen - findet offen statt. Sie können die Stimmkarte also an Ihrem Platz ankreuzen. Bevor Sie die blaue Stimmkarte in eine der Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte den Schriftführern an den Wahlurnen Ihren blauen Wahlaus- weis. Die Urnen sind besetzt. Dann eröffne ich die dritte Wahl, die Wahl zum Parlamentarischen Kontrollgremium. Sind Kolleginnen oder Kollegen anwesend, die ihre Stimme noch nicht abgegeben haben? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe diesen Wahlgang. Das Ergebnis der Wahl wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Jetzt müssen wir wieder ein bisschen warten. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 5 d: Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP Einsetzung des Gremiums gemäß § 4 a des Bun- deswertpapierverwaltungsgesetzes - Drucksache 15/144 - Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 4 a des Bundeswertpapierverwaltungsgesetzes - Drucksache 15/145 - Wir stimmen zunächst über den gemeinsamen Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP auf Drucksache 15/144 ab. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist einstimmig angenom- men. Damit ist das Gremium gemäß § 4 a des Bundes- wertpapierverwaltungsgesetzes mit der Bezeichnung „Gremium zu Fragen der Kreditfinanzierung des Bundes“ eingesetzt und die Mitgliederzahl auf neun festgelegt. Bevor wir zur Wahl der Mitglieder des soeben einge- setzten Gremiums kommen, bitte ich erneut um Ihre Auf- merksamkeit für einige Hinweise zum Wahlverfahren: Nach § 4 a des genannten Gesetzes ist gewählt, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, das heißt, wer mindestens 302 Stimmen erhält. Die gelben Stimmkarten wurden im Saal verteilt. Soll- ten Sie noch keine Stimmkarte erhalten haben, besteht jetzt noch die Möglichkeit, diese von den Saaldienern zu be- kommen. Auf der gelben Stimmkarte können Sie neun Na- mensvorschläge ankreuzen. Ungültig sind Stimmkarten, die andere Namen oder Zusätze enthalten. Wer sich der Stimme enthalten will, macht keine Eintragung. Bevor Sie die gelbe Stimmkarte in eine der Wahlurnen werfen, über- geben Sie den Schriftführerinnen und Schriftführern an den Wahlurnen bitte Ihren gelben Wahlausweis. Sind alle Plätze an den Urnen eingenommen? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die vierte Wahl. Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimme ab- gegeben? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich diesen Wahlgang.2) Ich unterbreche die Sitzung, bis die nächsten Wahlurnen kommen. ({87}) ({88})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich möchte Ihnen zunächst das Ergebnis der Wahl der Mitglieder des Richterwahlausschusses gemäß § 5 des Richterwahlgesetzes mitteilen: Abgegebene Stimmen 584, davon gültig 583, Enthaltungen 3, ungültige Stimmen 1.3) 1) Ergebnis Seite 1041 B 2) Ergebnis Seite 1044 D 3) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 2 Von den gültigen Stimmen entfielen auf den Wahlvor- schlag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen 299 Stimmen, der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP 281 Stimmen. Nach dem Höchstzahlverfahren d’Hondt entfallen auf den Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen acht Mitglieder und der Frak- tionen der CDU/CSU und der FDP auch acht Mitglieder. Nach § 5 Abs. 2 des Richterwahlgesetzes sind die Mit- glieder und ihre Stellvertreter in der Reihenfolge gewählt, in der ihr Name auf dem Wahlvorschlag erscheint. Die Namen der gewählten Mitglieder und ihrer Stellvertreter entnehmen Sie bitte den Drucksachen 15/138 und 15/139. Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 e auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP Einsetzung des Vertrauensgremiums gemäß § 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung - Drucksache 15/146 - Wahl der Mitglieder des Vertrauensgremiums gemäß § 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsord- nung - Drucksache 15/147 - Wir kommen jetzt zur Einsetzung des Vertrauensgre- miums gemäß § 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung. Bevor wir die Mitglieder wählen, rufe ich den gemeinsa- men Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP zur Einsetzung dieses Gremiums und zur Festlegung der Anzahl der Mit- glieder auf Drucksache 15/146 auf. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Der Antrag ist damit einstimmig angenom- men. Damit ist das Vertrauensgremium eingesetzt und die Mitgliederzahl auf neun festgelegt. Jetzt kommen wir zur Wahl der Mitglieder des Ver- trauensgremiums. Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, das heißt, wer mindestens 302 Stimmen erhält. Auf der für diese Wahl vorgesehenen weißen Stimm- karte können Sie neun Namensvorschläge ankreuzen. Sie kennen es bereits: Ungültig sind Stimmkarten, die andere Namen oder Zusätze enthalten. - Es gab immer wieder ungültige Stimmen. Bitte achten Sie deshalb darauf. - Wer sich der Stimme enthalten will, macht keine Eintragung. Bevor Sie die weiße Stimmkarte in eine der Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte den Schriftführern Ihren weißen Wahlausweis. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Das ist geschehen. Ich eröffne die fünfte Wahl: Vertrauensgremium. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe damit die Wahl und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er- gebnis der Wahl wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Wir kommen jetzt zu den Wahlen, die mittels Handzei- chen durchgeführt werden. Tagesordnungspunkt 5 f: Gemeinsamer Ausschuss nach Art. 53 a des Grundgesetzes - Drucksache 15/148 - Dazu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP auf Drucksache 15/148 vor. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Wahlvorschlag ist damit einstimmig angenommen wor- den. Tagesordnungspunkt 5 g: Wahlprüfungsausschuss gemäß § 3 Abs. 2 des Wahlprüfungsgesetzes - Drucksache 15/152 - Hierzu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP auf Drucksache 15/152 vor. Wer stimmt für die- sen Wahlvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Ent- haltungen? - Auch dieser Wahlvorschlag ist damit ein- stimmig angenommen worden. Tagesordnungspunkt 5 h: Gremium gemäß § 41 Abs. 5 des Außenwirt- schaftsgesetzes - Drucksache 15/153 - Es liegt wiederum ein Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP auf Drucksache 15/153 vor. Wer stimmt dafür? - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Wahlvorschlag ist ebenfalls einstimmig angenommen worden. Tagesordnungspunkt 5 i: Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP Einsetzung des Gremiums nach Art. 13 Abs. 6 Grundgesetz - Drucksache 15/154 - Wahl der Mitglieder des Gremiums nach Art. 13 Abs. 6 Grundgesetz - Drucksache 15/155 - Dazu liegt ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP auf Drucksache 15/154 vor. Wer stimmt für die- sen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der An- trag ist damit einstimmig angenommen worden. Damit ist das Gremium nach Art. 13 Abs. 6 des Grundgesetzes ein- gesetzt und die Mitgliederzahl auf neun festgelegt. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Wahlvor- schlag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bünd- nisses 90/Die Grünen und der FDP auf Drucksache 15/155. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer 1) Ergebnis Seite 1044 C Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Der Wahlvorschlag ist ebenfalls einstimmig angenommen worden. Wir setzen jetzt die Haushaltsberatungen - Tagesord- nungspunkte 1 a bis 1 c - fort: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2003 ({0}) - Drucksache 15/150 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2002 ({1}) - Drucksache 15/149 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über den Stand und die voraussichtliche Entwicklung der Finanzwirtschaft des Bundes - Drucksache 15/151 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Ich erinnere daran, dass wir am Dienstag für die heutige Aussprache fünfeinhalb Stunden beschlossen haben. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Das Wort hat als Erster Herr Bundesminister Wolfgang Clement. - Bitte, Sie haben das Wort.

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005301

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir führen diese Haushaltsdebatte vor dem Hintergrund einer sehr schwierigen weltpolitischen Entwicklung. Die weltweite Konjunkturschwäche hat Westeuropa und damit auch Deutschland besonders hart getroffen. Wachstum, Beschäftigung und Arbeitslosigkeit haben sich im ablaufenden Jahr deutlich ungünstiger entwickelt, als alle Wirtschaftsexperten prognostiziert hatten. Der aktuelle Anstieg der Arbeitslosigkeit auf über 4 Millionen zeigt, wie ernst die Situation ist. Darauf muss die Politik - aber nicht die Politik allein - reagieren. Die Kernfrage ist, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Wie können wir mehr wirtschaftliches Wachstum und mehr Beschäftigung erreichen, und zwar unter den Bedingungen des globalen Wirtschaftsraumes? Es gibt keine Volkswirtschaft, die unter den vier Schlägen des Jahres 2001 keine Wirkung gezeigt hat. Ich erinnere an die Nachwirkungen der hohen Ölpreise, an den Kollaps der New Economy und der Neuen Märkte, an die Finanzierungskrisen beispielsweise in Südamerika und nicht zuletzt an den 11. September 2001. Wer vorurteilsfrei über die Grenzen schaut, wird feststellen, dass diese Ereignisse überall ihre Spuren hinterlassen haben. Sogar die Eidgenossen nebenan in der Schweiz kämpfen mit sehr ähnlichen - um nicht zu sagen: identischen - Problemen wie wir. Allerdings reden sie nicht so laut darüber. Die negative Stimmungsmache in unserem Land ist ohne Beispiel in Europa. Schwarzmalerei und Panikmache verunsichern und lähmen Menschen und Unternehmen. ({0}) Schwarzmalerei und Panikmache werden der Situation im Land bei weitem nicht gerecht und führen uns auch keinen einzigen Schritt voran. ({1}) Ich möchte dazu nur zwei oder drei Hinweise geben, Herr Kollege. Die Handels- und Leistungsbilanzergebnisse werden auch in diesem Jahr das Vorjahresergebnis Deutschlands weit übertreffen. ({2}) Die deutschen Exporte legen wieder deutlich zu. Die Daten kennen Sie alle. Soeben erhalten wir über das Statistische Bundesamt die vorläufigen Angaben zu den Auftragseingängen bei den deutschen Industrieunternehmen. Diese steigen gottlob wieder an, und zwar von September auf Oktober um 1,1 Prozent und in den neuen Ländern um 3,1 Prozent. ({3}) All dies zeigt - darüber sollte niemand hinwegreden; das dient niemandem -: Die deutschen Unternehmen sind international hoch wettbewerbsfähig. Die deutsche Außenhandelsposition ist gut bis sehr gut. Das eröffnet positive Perspektiven, wenn die Weltkonjunktur wieder anzieht. ({4}) Deshalb überrascht es mich auch nicht, Herr Kollege, dass Deutschland nach der Rangliste zur gegenwärtigen Wettbewerbsfähigkeit auf der Welt, die das World Economic Forum kürzlich erstellt hat, unter 80 Staaten auf dem vierten Rang liegt. Das ist meiner Meinung nach ein Spitzenplatz. ({5}) Es ist auch interessant, sich einmal diese Studie, eine amerikanische Studie, hinsichtlich des prognostizierten Wachstumspotentials anzusehen. In dieser Rangliste ist Deutschland von Platz 17 auf Platz 14 vorgerückt. Das ist noch nicht gut genug. Aber wenn man bedenkt, dass die Niederlande in derselben Zeit von Platz 8 auf Platz 15 und Frankreich von Platz 20 auf Platz 30 zurückgefallen sind, dann meine ich, dass wir von einer positiven Gesamteinschätzung der internationalen Position Deutschlands reden können. ({6}) Darüber sollte die kritische weltwirtschaftliche Situation, in der wir uns befinden, nicht hinwegtäuschen und niemand sollte darüber hinwegreden. Das ist das Resultat hervorragenden Unternehmergeistes, qualifizierter und leistungsstarker Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie erfolgreicher Standortpolitik in Deutschland. Meine Damen und Herren, mit dem Haushaltsplanentwurf des neuen Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit, der Ausgaben in Höhe von knapp 19 Milliarden Euro vorsieht, und mit den geplanten Reformen wollen wir dazu beitragen, dass wir auf dem Weg der Verbesserung der Standortsituation, der immer weiteren Verbesserung der Wettbewerbssituation so rasch wie möglich vorankommen und die notwendige Aufbruchstimmung zur Erneuerung von Wirtschaft und Gesellschaft entfachen. Die Fundamentaldaten für eine Konjunkturerholung in Deutschland weisen nach wie vor in die richtige Richtung. Dazu zählen beispielsweise die in der zweiten Jahreshälfte gestiegenen Einkommen, der niedrige Preisanstieg und die stabilen Kapitalmarktzinsen. All dies veranlasst uns, mit großem Interesse auf die fast parallel stattfindende Sitzung des Zentralbankrats in Frankfurt zu schauen. Für eine Beschleunigung des Wachstums, verehrte Kolleginnen und Kollegen, benötigen wir jetzt ein freundlicheres europäisches und weltwirtschaftliches Umfeld und natürlich mehr private Investitionen. Wir brauchen mehr Wachstumsdynamik einerseits und einen schnelleren Umschlag von Wachstum in neue Arbeitsplätze andererseits; dies brauchen wir nicht erst seit heute, sondern schon seit vielen Jahren. ({7}) Mit unserer Reform des Arbeitsmarktes in Richtung Dienstleistung und höheres Vermittlungstempo werden wir dazu beitragen, die Schwelle zu senken, ab der das wirtschaftliche Wachstum neue Arbeitsplätze schafft. Wenn es uns gelingt, über mehr Minijobs, über eine Entwicklung des Kleinstgewerbes in Deutschland, über mehr Zeit- und Leiharbeit und über eine bessere und schnellere Vermittlung von Arbeitslosen die Flexibilität am Arbeitsmarkt zu erhöhen, dann können wir mehr Menschen in Arbeit bringen. Die komplette Umsetzung des Hartz-Konzeptes ist deshalb das dringlichste unserer Vorhaben. Die ersten Schritte haben wir mit dem Ersten und Zweiten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt getan. Jetzt ist es an den deutschen Ländern, im Bundesrat - ab heute im Vermittlungsausschuss - zu beweisen, ob sie für große Modernisierungsschritte offen sind oder nicht. Weitere Schritte werden folgen. Als Nächstes wollen wir ein Minimalsteuerrecht für das Kleinstgewerbe begründen - dies wird der Finanzminister tun -, dann werden wir die gesetzlichen Voraussetzungen für eine moderne Bundesanstalt für Arbeit schaffen und schließlich werden wir die notwendige Zusammenführung von Sozialhilfe für Erwerbsfähige und von Arbeitslosenhilfe zum Arbeitslosengeld II bewerkstelligen. Mit diesen Schritten werden wir den Verschiebebahnhof zwischen Arbeitsamt und Sozialamt beenden, Fehlanreize beseitigen und dem Prinzip des Förderns und Forderns mehr Geltung verschaffen. ({8}) Bereits im kommenden Haushaltsjahr wird die schnelle Umsetzung der Vorschläge der Kommission „Moderne Dienstleistung am Arbeitsmarkt“ den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit und den Bundeshaushalt spürbar entlasten. Allein eine Verkürzung der durchschnittlichen Dauer der Arbeitslosigkeit in Deutschland um eine Woche würde zu Einsparungen von rund 1 Milliarde Euro führen. Deshalb wird die Bundesanstalt für Arbeit im kommenden Jahr auch ohne Bundeszuschuss auskommen können. Meine Damen und Herren, ich sage dies auch von dieser Stelle klar und deutlich: Hier baue ich auf die Verständigungsbereitschaft auch der CDU/CSU-geführten Länder sowie der verehrten Kolleginnen und Kollegen der Opposition über die Parteigrenzen hinweg im Vermittlungsausschuss, wenn es gilt, gemeinsam die inakzeptabel hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Wir haben dabei keine Zeit zu verlieren. ({9}) Es ist genug Zeit vertan worden. Wir müssen jetzt zu Ergebnissen kommen und wir werden jetzt zu Ergebnissen kommen. Wir sind gesprächsbereit; ich hoffe, Sie sind es auch. Dann werden wir den Elfmeter schießen, der jetzt geschossen werden muss, und zwar möglichst in die andere Richtung als heute Nacht. ({10}) - Nicht ins eigene Tor; darauf können Sie sich verlassen, Herr Kollege. Ich bin Bochumer. ({11}) Um das Tor zu mehr Wachstum aufzustoßen, meine sehr geehrten Damen und Herren, brauchen wir Veränderungen, die nicht durchweg schmerzfrei sein können. Wir müssen noch viele Verkrustungen unserer Binnenwirtschaft aufbrechen. Beispielsweise müssen wir monopolistische Märkte im europäischen Verbund öffnen, und zwar mit Augenmaß und Vernunft. Insoweit ist sehr wichtig, dass es in der jüngsten Sitzung des Energieministerrats gelungen ist, die endgültige Marktöffnung für Strom und Gas in den Jahren 2004 und 2007 hinzubekommen. ({12}) Wir müssen die Steuer- und Abgabenlast zurückführen. Die nächsten Stufen der Steuerreform werden 2004 und 2005 Entlastungen für Unternehmen und private Haushalte bringen, die sich gegenüber 1998 auf insgesamt 56,2 Milliarden Euro summieren. Wir müssen das Hartz-Konzept komplett umsetzen. ({13}) Es wird mittelfristig zu Entlastungen der Beitragszahler und der öffentlichen Haushalte führen. Wir müssen die Rahmenbedingungen für den Mittelstand, der unter einer Wolfgang Clement, Bundesminister Wolfgang Clement, Bundesminister enormen bürokratischen Last leidet, deutlich attraktiver gestalten und ihn entlasten. ({14}) Deshalb werden wir - anders, als Sie, Herr Kollege, es in Ihrer Zeit getan haben - den Ladenschluss weiter lockern, wie es der Bundeskanzler angekündigt hat, ({15}) und die Öffnungszeiten auch an Samstagen bis 20 Uhr verlängern. Ich werde dem Bundeskabinett dazu voraussichtlich schon in der kommenden Woche einen Gesetzentwurf vorlegen. ({16}) Unser Land braucht dringend ({17}) mehr Menschen, die den Mut haben, eigene unternehmerische Ideen zu verwirklichen, Verantwortung zu übernehmen und Arbeitsplätze zu schaffen. Deshalb werden wir schon zu Beginn des neuen Jahres der Öffentlichkeit eine neue Mittelstandsoffensive vorstellen, ({18}) von der ich nur drei Elemente ansprechen werde. Erstens: eine Gründungsoffensive. Wir werden gemeinsam mit dem Handwerk den durch die Leipziger Beschlüsse eingeleiteten Liberalisierungsprozess fortführen und wir werden Existenzgründer in der Gründungsphase besser als bisher entlasten, beispielsweise durch die Freistellung von Bürokratie in den ersten drei, vier oder fünf Jahren nach der Gründung, beispielsweise durch die Freistellung von Beiträgen an die Kammern des Handwerks, der Industrie und der Dienstleistungen. Zweitens. Wir werden den Abbau von Bürokratie mit einem Masterplan „Bürokratieabbau“ vorantreiben. Das heißt, wir werden unnötige bürokratische Hemmnisse abbauen. Wir sind bereit, jeden Vorschlag zu überprüfen. Wir haben alle Verbände, Organisationen und Institutionen in Deutschland angeschrieben und gebeten, uns bis Ende dieses Jahres Vorschläge zu machen. Wir werden die Realisierbarkeit jedes Vorschlags prüfen. ({19}) - Herr Kollege, das haben vor mir schon viele versucht, auch die Bayerische Staatsregierung. Ich werde aber nicht müde werden - das unterscheidet mich von vielen anderen - und wir werden die Bürokratie Schritt für Schritt abbauen. ({20}) Übrigens - das nur aus meiner Erfahrung und aus meiner Erinnerung -, die bayerische Bürokratie ist kräftiger als die nordrhein-westfälische. ({21}) - Ja, sicher. ({22}) Sie ist auch teurer als die nordrhein-westfälische Bürokratie. Aber darüber unterhalten wir uns noch einmal extra. Drittens. Wir werden versuchen, eine ausreichende Finanzierung und Förderung des Mittelstandes zu sichern. Deshalb werden der Bundesfinanzminister und ich dazu beitragen, dass die Kreditanstalt für Wiederaufbau und die Deutsche Ausgleichsbank umgehend zusammengelegt werden ({23}) und dass so rasch wie möglich, das heißt in den nächsten Tagen, die Wege zur Einrichtung einer Mittelstandsbank des Bundes eingeschlagen werden, ({24}) sodass wir den Hausbanken ein vernünftiges Backing geben, also eine vernünftige Stärkung der Kreditvergabe zur Förderung des Eigenkapitals in den kleinen und mittleren Unternehmen. ({25}) Daneben werden wir die Fördermittel, die an den Mittelstand für Zukunftsinvestitionen in Forschung, Technologie und Innovationen fließen, im kommenden Jahr um 7 Prozent steigern. Eines der wichtigsten wirtschaftlichen Standbeine in Deutschland ist die Industrie. Wir unterstützen sie durch zahlreiche Initiativen auf strategisch bedeutsamen industriellen Sektoren. Wo es nötig ist, da fördern wir auch, und zwar erfolgreich. Beispielsweise ist die deutsche Luftund Raumfahrtindustrie inzwischen in der Lage, auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähige Produkte anzubieten. Wir tragen dazu bei, dass der maritime Standort Deutschland gesichert wird. Wir werden künftig - das habe ich mir fest vorgenommen - noch energischer darauf hinwirken, dass vor allen Dingen in Brüssel stärker auf die Belange der Industrie und ihrer weltweiten Wettbewerbsfähigkeit Rücksicht genommen wird. ({26}) Das ist in der Vergangenheit nicht immer ausreichend der Fall gewesen. Wir brauchen hierzulande, in Europa und weltweit wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen, um Deutschland als wettbewerbsfähigen Industriestandort dauerhaft zu erhalten und zu stärken. Wir sind darauf mehr als die meisten anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union angewiesen. Wir sind und bleiben ein Industriestandort. Die weitere Liberalisierung der nationalen und europäischen Märkte für Strom und Gas im europäischen Gleichschritt ist das gesamtwirtschaftlich wichtigste Anliegen unserer Energiepolitik. Wir werden unser System aus privatrechtlichen Verbändevereinbarungen und staatlicher Kontrolle seitens der Kartellbehörden durch ein novelliertes Energiewirtschaftsgesetz noch schlagkräftiger machen. Nachdem wir der ostdeutschen Braunkohle zu wettbewerbsfähigen Strukturen verholfen haben - in Westdeutschland vollzieht die Braunkohleindustrie diesen Prozess selbst -, gilt es jetzt, die Finanzierung der deutschen Steinkohle bis zum Jahr 2010 zu gestalten. Der Beitrag aus dem Bundeshaushalt wird bis 2005 auf gut 2 Milliarden Euro absinken und sich auch danach weiter degressiv entwickeln. Um es klar zu sagen: Auch im Energiebereich müssen Subventionen weiter zurückgeführt und auf das Maß beschränkt werden, das energiepolitisch und ökonomisch vernünftig und wirtschafts- und finanzpolitisch vertretbar ist. ({27}) Zur strategischen Infrastruktur in Deutschland zählt neben der Energie auch die Telekommunikation, à la longue übrigens immer noch der Wachstumsmarkt par excellence. Unsere Telekommunikationsinfrastruktur zählt zu den wichtigsten Standortfaktoren Deutschlands. Wir verfolgen unsere drei Schwerpunkte deshalb weiterhin konsequent: Wettbewerb stärken, Innovationen fördern, Verbraucher schützen und unterstützen. Im Jahr 2003 steht mit der Novellierung des Telekommunikationsrechts die Stärkung des Wettbewerbs im Vordergrund, damit die Nutzer auch weiterhin von Preissenkungen, Innovationen und einem breiten Angebot an Telekommunikationsdiensten profitieren können. Meine Damen und Herren, in Deutschland hängt jeder dritte Arbeitsplatz vom Außenhandel ab; das ist hinlänglich bekannt. Erfolgreiche Wirtschaftspolitik für mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze muss damit klare außenwirtschaftliche Initiativen einschließen. Unsere Außenwirtschaftsinitiative wird daher rasch kommen; ihr Schwergewicht wird bei konkreten, schnell wirksamen Maßnahmen liegen, die wiederum insbesondere dem Mittelstand zugute kommen, etwa indem wir die Beteiligung von mittelständischen Unternehmen auf ausländischen Messen in Europa und darüber hinaus fördern. In unserer Außenwirtschaftspolitik wollen wir einem Thema mehr Aufmerksamkeit schenken, dessen Chancen und Potenziale nach meinem Eindruck nach wie vor unterschätzt werden. Ich meine die Erweiterung der Europäischen Union. Diese Erweiterung der Europäischen Union um die mittel-, ost- und südosteuropäischen Staaten kann und muss der Kern einer großen europäischen Wachstumsoffensive werden. Sie kann und muss zur Stärkung eines europäischen Binnenmarktes führen, der uns unabhängiger von den Wechsellagen der Weltkonjunktur machen kann. ({28}) Diese Erweiterung der Europäischen Union bietet die große Chance, unsere soziale Marktwirtschaft zu einem gleichwertigen Sozialmodell auch über den alten Kontinent hinaus zu machen. Die Rekonstruktion der sozialen Marktwirtschaft auf europäischer Ebene ist eine außerordentliche historische Chance, vielleicht das große Projekt der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Deutschland ist hier in einer außerordentlich guten Ausgangsposition und die neuen Länder in Deutschland haben dabei einen weiteren klaren Standortvorteil. Diese historische Chance Deutschlands dürfen wir nicht verstreichen lassen. ({29}) Die zügige Beseitigung der Flutschäden in Ostdeutschland ist auf einem guten Weg, und zwar ohne dass damit Abstriche bei den anderen Aufgaben der Initiative Aufbau Ost verbunden sind. Die Wirtschaftsförderung wird auf hohem Niveau weitergeführt. Bei der Investitionsförderung setzen wir weiterhin auf die bewährten Instrumente, vor allem auf die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Das geschieht übrigens in Übereinstimmung mit dem Sachverständigenrat, der die besondere Rolle dieser Gemeinschaftsaufgabe für den Aufbau Ost betont hat. Besonders vordringlich für die neuen Länder bleibt die Stärkung der ostdeutschen Innovations- und Technologiepotenziale. Dieser Bereich muss weiterentwickelt werden; neue Unternehmen mit neuen wettbewerbsfähigen Spitzentechnologien müssen entstehen. Die neuen Länder werden deshalb maßgeblich an den Fördermitteln, die dafür vorgesehen sind, teilhaben. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der neue Zuschnitt des Ministeriums, für das ich jetzt Verantwortung trage, eröffnet aus meiner Sicht die Chance für eine moderne Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik. Es geht auch um die Überwindung des Denkens in althergebrachten Kategorien und wohlvertrauten Lagern. Mir geht es - um das deutlich zu sagen - um ein Politikverständnis, das alle gesellschaftlichen Gruppen in die Mitverantwortung einzubeziehen versucht, in die Mitverantwortung für die Konzeption der Reformen sowie die Umstrukturierung und Erneuerung unserer Volkswirtschaft und unseres Sozialmodells. Das eröffnet die Chance, eine Stimmung und Bereitschaft für Veränderungen zu schaffen, wie wir sie in letzter Zeit vermissen. In einer solchen Allianz für Erneuerung, wie ich es nennen würde, müssen wir die umfassenden notwendigen Reformen auf den Weg bringen, die, wie gesagt, nicht überall und nicht immer schmerzfrei zu haben sind, die manchmal, vor allen Dingen wenn es um Einschnitte im sozialen Bereich geht, Schmerzen verursachen werden, die aber notwendig sind, um unsere Volkswirtschaft weiterzuentwickeln und unserer Volkswirtschaft auch in Zukunft eine Spitzenposition zu verschaffen, und zwar sowohl auf dem Arbeitsmarkt als auch in der Entwicklung neuer, moderner Technologien, eine Spitzenposition im globalen Wettbewerb der Standorte, in dem Deutschland die besten Chancen hat. Diese Chancen gilt es zu sichern. Das werden wir tun. Das war, ist und bleibt unser Ziel. Wer daran mitwirken möchte, ist eingeladen. Ich glaube, dass wir die Phase des Gegeneinanders überwinden müssen, wenn wir vorankommen wollen. Ich bin überzeugt, dass wir schon heute Wolfgang Clement, Bundesminister Wolfgang Clement, Bundesminister den Beweis dafür antreten können. Meine Bitte und mein Angebot ist, dass dies geschieht. Aber wir werden das nur tun können ,wenn wir ohne irgendein schuldhaftes Zögern handeln. Es muss gelingen und es wird gelingen, dass wir mit den Reformen am Arbeitsmarkt zum 1. Januar 2003 beginnen. Zeitverzug ist nicht möglich, Gespräche und bessere Vorschläge allemal. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({30})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Karl-Josef Laumann, CDU/CSU.

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Clement, Sie haben Ihre Rede mit der Aussage begonnen, dass die Situation in Deutschland, was Wirtschaft und Arbeit angeht, mehr als ernst ist. Da haben Sie Recht. Wir haben eine Situation in diesem Land, in der allein in diesem Jahr voraussichtlich 42 000 Insolvenzen bei den Amtsgerichten angemeldet werden. 300 000 Menschen haben durch diese Insolvenzen ihren Arbeitsplatz verloren. Wir haben gegenüber 1998 einen Rückgang der Zahl der Neugründungen von Unternehmen in Deutschland in den neuen Ländern um rund 85 Prozent, in den alten Ländern um circa 27 Prozent. Wir haben gestern wieder einmal die neuen Arbeitslosenzahlen vernommen. Über 4 Millionen Menschen sind ohne Arbeit. Aber was mich bei den gestern veröffentlichten Zahlen am meisten geschockt hat, ist die Tatsache, dass bei uns im Land mittlerweile 472 000 junge Menschen unter 25 Jahren ohne Arbeit sind. Herr Minister, das ist die höchste Jugendarbeitslosigkeit im November, seit wir die Statistik im wiedervereinigten Deutschland führen. ({0}) Wenn man einmal genauer hinschaut - wir werden das auch im Ausschuss tun -, ist meine erste Erkenntnis, zu der ich den letzten 24 Stunden kommen konnte, dass es jetzt auch gut ausgebildete junge Leute erwischt. Viele Jahre war Jugendarbeitslosigkeit ein Problem von mangelndem Abschluss und von nicht genügender und nicht qualifizierter Berufsausbildung. Jetzt trifft es Leute nach den Gesellenprüfungen, nach einem gut abgeschlossenen Studium. Das sollte uns, gerade wo wir den demographischen Aufbau unseres Landes kennen, nicht nur nachdenklich machen, sondern zum Handeln zwingen. ({1}) Herr Minister, ich bin der Meinung, dass Sie die Wochen, in denen Sie Verantwortung in diesem Haus tragen, hätten nutzen können, um durch die Zusammenführung der beiden Ministerien für Arbeit und Wirtschaft ein Symbol für eine andere, für eine mutigere Reformpolitik zu setzen. Stattdessen sind Sie dabei - und haben es im Grunde schon geschafft -, diesen Ansatz nicht hinzukriegen. ({2}) Ich will Ihnen auch sagen, warum Sie ihn nicht hingekriegt haben. Weil Sie bei der Umsetzung des HartzKonzeptes, des ersten großen Reformkonzeptes dieses Ministeriums, Reformschritte nur so weit mitzugehen bereit waren, wie der Deutsche Gewerkschaftsbund in der Lage war, sie aus seiner Sicht mitgehen zu können. ({3}) Damit haben Sie schon symbolisch an Durchsetzungskraft verloren, aber auch Hoffnungen, die mit der Zusammenführung dieser beiden Häuser verbunden waren, schwer enttäuscht. Das führt natürlich dazu, dass sich die Mutlosigkeit ausbreitet. ({4}) Ich mache Ihnen als jemand, der lange Mitglied einer DGB-Gewerkschaft ist, nicht den Vorwurf, dass Sie mit den Gewerkschaften sprechen. Natürlich müssen wir mit dem DGB reden, natürlich muss man auch mit anderen Verbänden reden. Aber der Unterschied zwischen Ihrer Haltung in diesem Punkt und unserer Haltung ist: Wir dürfen unsere politischen Entscheidungen niemals von einem Verband in Deutschland abhängig machen, und sei er noch so groß. Dies ist entscheidend. ({5}) Jetzt kommen wir zur Umsetzung des Hartz-Konzepts. Heute Nachmittag um 16 Uhr tagt der Vermittlungsausschuss. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass derjenige, dessen Name mit diesem Konzept sehr verbunden ist, Herr Hartz, jetzt, wo Sie, Herr Clement, das Kind ausgetragen und geboren haben, schlicht und ergreifend die Anerkennung der Vaterschaft für dieses Kind verweigert, weil er erschrocken darüber ist, was Sie daraus gemacht haben. ({6}) Bei der Verabschiedung des Hartz-Konzepts haben Sie von dieser Stelle aus gesagt, Sie würden zusammen mit Herrn Hartz und Profis der Nation für mehr Beschäftigung mehr als 40 Veranstaltungen in Deutschland besuchen. Wenn ich den „Spiegel“ der vorletzten Woche richtig gelesen habe, wird Herr Hartz an diesen 40 Veranstaltungen wohl nicht teilnehmen, denn er sagt: Ich kann mit meinem Namen nicht für dieses Konzept eintreten, da es so umgesetzt worden ist, dass es nicht die erwartete Beschäftigungswirkung entfalten wird. ({7}) Herr Clement, Sie wissen, dass das vor allen Dingen damit zusammenhängt, wie Sie die Vorschläge zur Zeitarbeit umgesetzt haben. Sie haben heute gesagt: Die Opposition soll nicht nur kritisieren. Damit haben Sie Recht. Wir müssen konstruktive Vorschläge machen. Wenn Sie sagen, Sie seien gespannt, inwieweit wir bereit seien, jetzt im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat die Umsetzung des Hartz-Konzepts mitzutragen, muss ich Ihnen die Gegenfrage stellen: Inwieweit sind Sie bereit, auf die Positionen der Union, die alle in diesem Hause und auch im Bundesrat auf dem Tisch liegen, einzugehen und uns entgegenzukommen? ({8}) - Wir haben einen klaren Vorschlag gemacht, wie wir uns die Regelungen zur Zeitarbeit in Deutschland vorstellen. Wir wollen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz weitgehend abschaffen. In einem Punkt vertreten wir eine andere Meinung als Sie: Wir glauben nicht, dass man mit der Zeitarbeit den Durchbruch für mehr Beschäftigung schafft, wenn für diese vom ersten Tag an oder auch schon nach wenigen Wochen die Tarifbedingungen gelten sollen, die für die übrigen Mitarbeiter des Leihbetriebes gelten. ({9}) - Nach zwölf Monaten, wie es der jetzigen Lage entspricht. Lassen Sie uns darüber reden, wo man sich treffen kann. Sie wissen aber genauso gut wie ich, dass bei den Bedingungen, die Sie jetzt festlegen, vor allen Dingen die Nichtqualifizierten, die Langzeitarbeitslosen und die Zeitarbeiter im Helferbereich vor die Hunde gehen werden. Damit treffen wir die Schwächsten in unserem Land. ({10}) Sie können mit uns über diesen Punkt reden. Es muss nicht bei den zwölf Monaten bleiben, aber ganz sicher bleibt es auch nicht dabei, dass die Tarifbedingungen ab dem ersten Tag gelten, wie Sie dies vorgeschlagen haben. Lassen Sie uns - auch in Absprache mit denjenigen, die mit Zeitarbeit Erfahrung haben und wissen, wie weit man gehen kann -, darüber reden, um eine Lösung zu finden und den unterschiedlichen Interessen gerecht zu werden. Sie haben gesagt: Wir brauchen Entbürokratisierung. ({11}) Richtig. Machen Sie doch Folgendes: Führen Sie den alten 630-Mark-Job auf 400-Euro-Basis - unkompliziert, wie er war - mit der Pauschalsteuer in Höhe von 20 Prozent wieder ein. ({12}) Damit würde viel bürokratischer Aufwand wegfallen. Wissen Sie, was Sie damit gleichzeitig erreichen würden? Sie haben - Gott sei Dank - Recht, wenn Sie sagen, dass unsere Exportzahlen einigermaßen in Ordnung sind. Dies macht aber umso deutlicher, dass unser Problem in Deutschland die lahmende Binnenkonjunktur ist. ({13}) - Ja, ich sehe aber auch die Berichte des deutschen Einzelhandels mit den Umsatzzahlen für dieses Jahr. Ich sehe die Berichte aus der Bauwirtschaft, die ja bekanntlich zur inländischen Wirtschaft zählt. ({14}) Ich sage Ihnen: Würden wir diesen alten 630-Mark-Job auf 400-Euro-Basis wieder einführen, würden wir dies bei den Umsätzen im Einzelhandel - da bin ich mir ganz sicher - relativ schnell merken. Die Menschen sollen sich nach ihrem Job durchaus noch ein paar Euro hinzuverdienen. ({15}) Für kleine Leute ist dies das Stückchen Wohlstand, dass man sich auch gern einmal gönnt. Es ist auch die Wahrheit, dass es bei uns in Deutschland viele Millionen Menschen gibt, die gerne mehr Geld verdienen möchten, als sie in ihrem Job verdienen. Weil sie aber vielleicht keine Karriere machen können, können sie nur dadurch mehr Geld verdienen, dass sie mehr Stunden arbeiten. Das trifft auf sehr viele Familienväter und -mütter zu. Warum sollen sie nicht am Wochenende oder abends etwas hinzuverdienen, weil sie beispielsweise - es ist eigentlich egal, wofür sie das Geld konkret haben wollen - das Haus abbezahlen oder sich ein schönes Auto anschaffen wollen? ({16}) Warum sollen sie nicht die Möglichkeit haben, einen solchen Job auszuüben? Dieses Geld würde sofort der Binnenkonjunktur zugute kommen. Menschen, die solche Jobs machen, bringen das Geld mit Sicherheit nicht ins Ausland. ({17}) Herr Clement, Sie kommen wie ich aus NordrheinWestfalen. Dieses Land hat traditionell sehr viel Schwerindustrie, die relativ viel Energie verbraucht. Ich habe einige Zeit auch in einer Gießerei gearbeitet. Deswegen habe ich für diesen Bereich immer noch eine gewisse Affinität. Ich habe mir einmal angeschaut, was die Ökosteuer für die energieintensiven Betriebe bedeutet und habe das für eine Aluminiumhütte mit einem Umsatz von 275 Millionen Euro und 640 Mitarbeitern konkret ausgerechnet. Diese Firma muss aufgrund von Beschlüssen der Bundesregierung, der Sie angehören, 15,6 Millionen Euro an Ökosteuer und Kosten für EEG und KWK zahlen. Das sind 5,7 Prozent des Umsatzes. Was für diese Aluminiumhütte gilt, gilt für jede Gießerei in Deutschland. Was für diese Aluminiumhütte gilt ich komme aus dem Münsterland -, gilt auch für die Textilindustrie. Weil in diesem Bereich modernste Maschinen eingesetzt werden, entfallen auf die Fertigung der Produkte nur wenige Arbeitsstunden. Textilunternehmer in meinem Wahlkreis sagen mir, dass es für sie schlimmer ist, wenn der Strompreis steigt, als wenn die Beiträge zur Sozialversicherung um einen halben Prozentpunkt steigen. Energiekosten sind nämlich heute in dieser Branche ein großer Kostenfaktor. Da frage ich mich: Wo war der Wirtschafts- und Arbeitsminister dieses Landes, als sich Ihre Kollegen am Kabinettstisch so etwas ausgedacht haben? ({18}) Ich hätte mir gewünscht, dass Sie gerade in Ihrer Funktion als Wirtschaftsminister gesagt hätten: Leute, so geht es nun einmal nicht; es gibt energieintensive Industrien, in denen sehr viele Menschen einen Arbeitsplatz haben eine solche Vernichtung von Arbeitsplätzen in der energieintensiven Industrie in diesem Land mache ich nicht mit. ({19}) - Aber es wird ab Januar passieren. Überlegen Sie sich einmal, wie Sie unter den jetzigen Bedingungen, wie sie durch die Ökosteuer gegeben sind, noch die Chlorindustrie in Deutschland halten wollen! In meinem Wahlkreis gibt es eine Firma, die in Zukunft - darauf könnte ich wetten - 40 bis 50 Kilometer entfernt in Holland investieren wird, weil sie am Standort Deutschland mit diesen Energiekosten kein Chlor mehr produzieren kann. Sie wissen, dass man diese Produkte relativ preisgünstig weit transportieren kann. Ich hätte mir gewünscht, dass der Wirtschaftsminister gesagt hätte: Nein, mit mir, Wolfgang Clement, dem wichtigsten Mann für Wirtschaft und Arbeit in Deutschland, ist eine solche Steuer nicht möglich. Dann wären Sie in der Tat ein Mann mit Rückgrat oder, wie man im Münsterland sagt, ein richtiger Kerl. ({20}) Ein weiterer Punkt. Wo war der Wirtschaftsminister, als im Kabinett all die Veränderungen für die Bauwirtschaft beschlossen wurden? Es gab große Veränderungen bei der Abschreibung im Mietwohnungsbau und vor allen Dingen die Änderung bei der Eigenheimzulage. Sehr seriöse Vertreter der Bauwirtschaft sagen mir, dass sie glauben, dass diese Maßnahmen rund 250 000 Beschäftigten in der Bauwirtschaft und im vor- und nachgelagerten Bereich, die heute noch Steuern und Beiträge zahlen, den Job kosten werden. Sie sollten also aufpassen, dass Sie nicht mehr kaputtmachen, als Sie mit der stümperhaften Umsetzung des Hartz-Konzeptes auf der anderen Seite erreichen. Das ist ein Punkt, bei dem man wirklich sehr wütend werden kann. Wieder hat man von Wolfgang Clement, dem Minister für Wirtschaft und Arbeit, nichts gehört, als am Kabinettstisch diese Maßnahmen beschlossen wurden. ({21}) Sie haben schon Recht: Die Reformen, die vor uns liegen und von denen viele von uns wissen, dass wir sie durchsetzen müssen, werden schmerzhaft sein. Sie werden vor allem deswegen schwer durchzusetzen sein - das ist meine Erfahrung aus zwölf Jahren Bundestag -, weil die Verbandslobby in Deutschland in manchen Bereichen mittlerweile nicht mehr das Gesamte sieht, sondern nur ihre Einzelinteressen verfolgt. Damit muss sich jede Regierung, jeder Politiker herumschlagen. Wir müssen doch ein Stück weit deregulieren. Warum nehmen Sie nicht unsere Vorschläge auf? Wir schlagen ein Optionsrecht beim Kündigungsschutz für ältere Arbeitslose vor. Viele Arbeitgeber, mit denen ich rede, wären dann schon eher bereit, einmal einen Älteren einzustellen. Es würde uns keinen einzigen Euro kosten, dies im Kündigungsschutzgesetz vorzusehen. Wenn wir dann nach zwei, drei Jahren sehen sollten, dass das Auswirkungen hat, die wir nicht bedacht haben, dann kann der Gesetzgeber das wieder ändern. Aber machen Sie das doch erst einmal! Dann gucken wir, wie sich ein solches Optionsrecht mit einer im Gesetz festgelegten Abfindungsregelung auf den Arbeitsmarkt auswirkt. Wir glauben, dass das eine Chance hat. Es kostet nichts. Machen wir es doch! ({22}) Herr Clement, wir müssen betriebliche Bündnisse für Arbeit auf eine saubere rechtliche Grundlage stellen. Sie wissen genauso gut wie ich, dass es diese Bündnisse für Arbeit in vielen Betrieben gibt. Meistens funktionieren sie auch, weil keiner klagt - und wo kein Kläger ist, ist bekanntlich kein Richter. Wenn ein Unternehmer aber eine Rieseninvestition schultern muss, ist ein solches Bündnis eine unzureichende Grundlage für die Kalkulation. Ein guter Bankchef würde auf dieser Grundlage keinen Kredit geben. Das Unternehmen würde beim Rating durchfallen. Auch wir sind für Tarifverträge. Auch wir wissen, dass Tarifverträge Gutes haben. Aber lasst uns doch einfach gucken, wie man die Beschäftigungssicherung in Betrieben vernünftig und verantwortbar individuell regeln kann! Wir werden Ihnen hierzu Vorschläge vorlegen. In den Bundesrat hat die B-Seite Vorschläge eingebracht, wie das - gegenüber den beiden Tarifvertragsparteien verantwortbar - zu lösen ist. Am Ende muss die Entscheidung im Betrieb auch einmal Vorrang gegenüber außerhalb des Betriebes entstandenen Entscheidungen der Tarifvertragsparteien haben. ({23}) Eine verantwortbare Lösung ließe sich sowohl im Betriebsverfassungsgesetz als auch im Tarifvertragsgesetz sehr wohl formulieren. Ich glaube im Übrigen, dass das die Tarifverträge in diesem Land sogar stabilisieren würde, weil man dann nicht mehr aus dem Arbeitnehmerverband austreten müsste, was heute viele aus wirtschaftlicher Not heraus müssen. Warum machen wir das nicht? ({24}) Auch in einem anderen Bereich bräuchten Sie nur einen Federstrich zu machen: Schaffen Sie das Scheinselbstständigkeitsgesetz ab! ({25}) Weshalb interessieren wir uns als Staat dafür, ob ein Selbstständiger einen, zwei, fünfzig oder hundert Kunden hat? Das muss uns als Staat gar nicht interessieren. Mich interessiert, ob der Mensch den Lebensunterhalt für sich und seine Familie sowie seine soziale Sicherung bezahlen kann. Wenn er das kann, ist es in Ordnung. Schaffen Sie das Gesetz ab! Das kostet uns keinen einzigen Cent. ({26}) Machen Sie bei konkreten Überlegungen mit, was wir tun können, damit Menschen im Niedriglohnbereich netto mehr nach Hause bringen! Der Nettolohn muss deutlich höher als der Sozialhilfeanspruch sein. Ein Arbeitender muss sich mehr kaufen können als ein Sozialhilfeempfänger. Das muss eine Grundphilosophie im Volk sein. Schon die Kinder in der Schule müssen wissen, dass das Leben so funktioniert. Wir haben einen degressiven Sozialversicherungsbeitrag vorgeschlagen. Über die Frage, bis zu welchem Stundenlohn und welcher Lohnsumme der gelten soll, kann man reden. Auch ich weiß, dass man mit Einnahmeausfällen bei den Sozialkassen rechnen muss. ({27}) - Dann rechnen Sie doch einmal in Ihrem Ministerium; greifen Sie die Grundidee auf und setzen Sie sie um! - Ich glaube, wir könnten in unserem Land bezüglich der Binnennachfrage, der Binnenkonjunktur eine Menge erreichen. ({28}) Wenn Sie die Politik so angehen würden und bei Ihren Reden nicht immer nur die Opposition aufforderten, Ihren Vorschlägen, an denen Sie kein Punkt und Komma ändern wollen, zu folgen, sondern auch unsere Vorschläge aufgreifen würden, könnten wir das richtige Signal für eine Erneuerung setzen. Die Menschen wissen schließlich, wie ernst die Lage in unserem Land ist. Das erklärt auch ihr Verhalten - sie benehmen sich im Grunde ganz vernünftig, indem sie vorsichtig sind und ihr Geld beieinander halten -, das uns natürlich Probleme macht. Ich bin fest davon überzeugt: Wenn man die politischen Entscheidungen Schritt für Schritt in Richtung Deregulierung, mehr Eigenverantwortung, Bürokratieabbau und mehr Spielräume für die Kleinen umsetzen würde, dann könnten wir das Schiff wieder flottmachen und Rücklagen für schwere Zeiten bilden; denn wir leben in einem großartigen Land. Unser Job ist es, die richtigen Entscheidungen für unser Land zu treffen. ({29}) Wir als Opposition müssen dabei sagen, wo Sie nach unserer Meinung in die falsche Richtung gehen: bei der Ökosteuer, bei den Betrieben, die viel Energie verbrauchen, bei den 41 Vorschlägen, mehr Geld in diesem Land abzukassieren. Hier gehen Sie in die falsche Richtung. Mit einigen Ihrer Ansätze gehen Sie in die richtige Richtung. Aber nehmen Sie unsere Anträge auf! Ich bin sicher, dass es dann für die Menschen in unserem Land wieder eine gute Zeit geben wird. Es steht nirgendwo geschrieben, dass Deutschland auf Dauer der Letzte in Europa bleiben muss. Schönen Dank. ({30})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bevor ich das Wort an die nächste Rednerin gebe, möchte ich Folgendes feststellen: Herr Minister Clement, das Zwischenrufen ist ein Vorrecht der Abgeordneten. Die Regierungsmitglieder müssen zuhören. Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Thea Dückert.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Auch wir haben Vorrechte. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über den Haushalt, das heißt, wir reden über die Zukunftsfähigkeit unseres Landes und über das, was wir in den nächsten Jahren machen wollen. Der Kollege Laumann hat natürlich Recht: Das größte Problem für die Haushaltsentwicklung ist die Massenarbeitslosigkeit. Die Zahlen, die uns gestern vorgelegt wurden, sind wirklich nicht zufriedenstellend. Das gilt vor allem für den Bereich der Jugendarbeitslosigkeit. Darum gilt es, Herr Laumann, Instrumente wie das JUMP-Programm für jugendliche Arbeitslose fortzuführen. Wir müssen auch die Hartz-Vorschläge umsetzen, und zwar zum 1. Januar 2003. Genau hier liegt das Problem. Wenn es an die Umsetzung unserer Vorschläge geht, macht sich Herr Laumann Sorgen, weil er meint, dass Herr Hartz die Vaterschaft seines Projektes etwas kritisch sieht. Ich sage Ihnen - das kann ich als Frau aus großer Überzeugung tun -: Die Erfahrung zeigt, dass sich Kinder, die von ihren Vätern kritisch angeschaut werden, sehr propper entwickeln können. Wenn es uns gelingen wird, die Hartz-Vorschläge so umzusetzen, wie sie eingebracht wurden, glaube ich, dass im nächsten Jahr plötzlich mehrere Väter auftauchen werden, die die Vaterschaft für dieses Kind übernehmen wollen. Das kennen wir schon. ({0}) Einer, der für Sie Stichwortgeber bei den Reformen insgesamt und natürlich auch im Zusammenhang mit dem Hartz-Konzept ist, ist heute nicht da. Das ist Herr Koch. Für Sie sind ja die Ministerpräsidenten sowieso eher Stichwortgeber als Ihre eigene Fraktion. Ich habe Ihnen einige Ausführungen von Herrn Koch mitgebracht, damit daraus in dieser Debatte ein wenig zitiert werden kann. Ich finde es nämlich sehr interessant. Wir reden hier darüber, dass wir in einer schwierigen Situation sind. Wir müssen die Haushalte konsolidieren, um zukunftsfähig zu sein. Gleichzeitig müssen wir Reformen machen, um zukunftsfähig zu sein und die Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen. Da lesen wir dann Interessantes. Herr Koch wurde zum Beispiel auf die von ihm selbst, aber auch von seinem Umfeld organisierte Totalblockade angesprochen oder darauf, dass Bürgerinnen und Bürger auf die Barrikaden gerufen werden oder dass der Kollege von der FDP, Herr Gerhardt, die Finanzämter lahm legen will, um alles das, was an Vorschlägen umgesetzt werden muss, unmöglich zu machen. Auf die Frage, ob es sich dabei um einen maßvollen Umgang bei dem Versuch, Probleme zu lösen, handele, antwortete er, das sei ein maßvoller Umgang. Er verstieg sich sogar noch dazu, zu sagen, dass die heutige Situation bzw. der Unmut der Bevölkerung, den man an vielen Punkten nachvollziehen kann, bei Politikern, Historikern und Wissenschaftlern dazu geführt hat, kreative Formen des Widerstandes oder der Äußerung zu entwickeln. ({1}) Ich sage Ihnen: Herr Koch entblödet sich nicht, eine geistige Armut darzustellen, die er in Form politischer Armut fortführt. Auf eine weitere Frage antwortete er, Aufgabe der Regierung sei es, Konzepte vorzulegen. Die Opposition sage dazu Ja oder Nein. Meine Damen und Herren, es tut mir furchtbar Leid: Wenn wir hier darum ringen, mit welchen Instrumenten wir ab dem 1. Januar 2003 in die Umsetzung gehen, dann können wir vielleicht um Details streiten. Aber dann müssen auch Alternativen vorgelegt werden. ({2}) Es ist deutlich geworden, dass Herr Koch Ihr Anführer bei dieser Art der Blockadepolitik sein will. Ich habe große Sorge, ob das, was Herr Laumann hier ankündigt, nämlich in den Auseinandersetzungen im Bundesrat Kompromisse zu finden, überhaupt möglich ist. Nein, Sie verstricken sich mit Hilfe von Herrn Koch in einer Blockadepolitik, die uns überhaupt nicht weiterbringt. ({3}) Wir haben mit diesem Haushalt ein großes Problem; das ist richtig. Wenn man sich das näher anschaut, dann sieht man das sehr genau. Wir haben hohe Belastungen bei den Zinsausgaben. Das heißt, wir dürfen nicht weiter in die Verschuldung gehen. Nichts anderes aber wird von Ihnen immer wieder vorgeschlagen. Wir haben auch hohe Belastungen bei den Sozialausgaben, zum Beispiel bei den Zuschüssen für die Rentenversicherung. Die derzeitigen Belastungen liegen bei Zinsen und Renten zusammen bei über 57 Prozent. Das ist natürlich ein Päckchen, das uns aufgibt, nicht nur die Reformen am Arbeitsmarkt auf den Weg zu bringen, sondern gleichzeitig eine Konsolidierung der Haushalte und eine Reform der sozialen Sicherungssysteme vorzunehmen. Wenn wir diese zusätzlichen Lasten in Zukunft nicht reduzieren, werden wir nicht handlungsfähig sein. Im Wirtschaftshaushalt wird genau dieses getan. Es wird konsolidiert. Zum Beispiel im Bereich der Bundesanstalt für Arbeit und der Arbeitsmarktpolitik werden wir 7 Milliarden Euro einsparen. Das ist schmerzlich, weil hierdurch die Arbeitslosenhilfe betroffen sein wird, indem die Einkommen stärker auf die Arbeitslosenhilfe angerechnet werden. Einsparungen sind schwierig, weil wir gleichzeitig Reformen, das heißt Effizienzsteigerungen in der Arbeitsmarktpolitik bzw. eine Verkürzung der Dauer von Arbeitslosigkeit, auf den Weg bringen. Das ist aber genau das Rezept: Reformen und Einsparen, Konsolidieren und Einsparen. Sonst werden wir in der Zukunft nichts auf die Reihe bringen. Ich sage Ihnen eines: Lassen Sie sich nicht ein auf dieses Blockadesüppchen, das Ihnen da der Herr Wulff kocht ({4}) bzw. das Ihnen da der Herr Koch mit Hilfe von Herrn Wulff kocht; das wollte ich eigentlich sagen. Der Koch kocht und der Wulff würzt schlecht dazu. Wir haben Anfang dieser Woche gehört, dass Sie nun offenbar die Erkenntnis erreicht hat, dass Sie selbst Konzepte vorschlagen müssen. Herr Wulff hat jetzt zehn Punkte in die Debatte gebracht. Ich habe nicht die Zeit, auf diese zehn Punkte einzugehen. Ich muss Ihnen nur sagen: Ich habe sie mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Ich hatte angenommen, dass jetzt etwas kommen würde, aber da hat der Berg gekreißt und gebar eine Maus. Es kam das heraus, was uns Herr Laumann soeben schmackhaft zu machen versuchte, zum Beispiel bei der Deregulierung der Zeitarbeit. Meine Damen und Herren, wir gehen bei der Deregulierung der Zeitarbeit sehr viel weiter als all das, was Sie jemals vorgeschlagen haben, weil wir der Ansicht sind, dass gerade die Zeitarbeit genutzt werden muss, um Langzeitarbeitslose wieder in den ersten Arbeitsmarkt hineinzubringen, und zwar in dem Maße, wie es uns unsere Nachbarländer schon längst vorgemacht haben, beispielsweise die Niederlande. Es ist mutlos, was Sie an dieser Stelle vorschlagen. Nun kaprizieren Sie sich auf die Personal-Service-Agenturen und auf die Frage, ob es Einstiegstarife für Langzeitarbeitslose geben wird. Ich möchte Ihnen dazu nur sagen: Es ist ein Scheingefecht, was Sie hier abziehen. Sie wissen ganz genau, dass sowohl in der Hartz-Kommission wie auch danach die Erkenntnis, dass es Einstiegstarife für Langzeitarbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt über Zeitarbeit geben muss, längst Platz gegriffen hat und dass mittlerweile auch die Gewerkschaften und die Zeitarbeitsfirmen darüber diskutieren. Es ist im Grunde völlig egal, ob wir das in das Gesetz schreiben. An dieser Stelle den Tarifparteien das notwendige Vertrauen entgegenzubringen und ihnen die Aufgabe zu stellen, dieses Problem zu lösen, darin kann ich nun überhaupt keinen Staatsinterventionismus oder eine falsche Arbeitsmarktpolitik erkennen. Das heißt vielmehr, die Arbeitsmarktpartner hier im Lande ernst zu nehmen. Meine Damen und Herren, alles das, was Sie im Zusammenhang mit der Blockade des Hartz-Konzeptes, die Sie offenbar vorhaben, vorschlagen, ist wirklich recht kurz gesprungen, ebenso die Vorschläge, die Sie zum Beispiel zur Ich-AG vorgebracht haben. Sie haben sich gar nicht dazu geäußert, sondern wollen einfach das Scheinselbstständigengesetz streichen. Ich kann Ihnen nur sagen: Sie haben nicht begriffen, worüber wir hier reden. Wir reden hier über ganz unterschiedliche Personen und Arbeitsbereiche. Wir reden hier nicht über Leute, die schon jetzt in der Scheinselbstständigkeit angemeldet sind und übrigens auch Sozialabgaben abführen - das ist gut so -, sondern wir reden über Schwarzarbeit, über kleine handwerkliche Tätigkeiten, die heute im Rahmen von Schwarzarbeit erledigt werden und die wir dort herausholen wollen. Sie haben an dieser Stelle einfach nicht den Mut, so viel Veränderungsbereitschaft aufzubringen, weil Sie nicht an die Lockerung der Handwerksrolle und des Meisterzwanges heranwollen. Das ist doch der wirkliche Hintergrund. ({5}) Sie verteidigen an dieser Stelle vorsintflutliche Regelungen in der Ökonomie und am Arbeitsmarkt mit dem Etikett: ({6}) Streichen wir die Scheinselbstständigkeit und lassen wir die Ich-AG! Ich sage Ihnen: Wir werden die Ich-AG und die Minijobs brauchen, um Schwarzarbeit in legale Beschäftigung zu überführen. Meine Damen und Herren, viele Punkte werden wir mit dem Hartz-Gesetz angehen. Es sind innovative Punkte. Man kann über vieles reden. Sie machen Vorschläge im Detail. Ich würde sagen: Es ist oft Flickschusterei. Aber wenn es Ihnen dann gelingt, an dieser Stelle mitzutun - denn wir brauchen diese Gesetze -, kann man auch über Einzelpunkte reden. Das sage ich Ihnen hier, weil es uns wichtig ist, die Massenarbeitslosigkeit in diesem Land auf die Hörner zu nehmen, weil es uns wichtig ist, die Schwarzarbeit zu bekämpfen, weil es uns wichtig ist, das Konzept „Fördern und Fordern“ endlich auf den Weg zu bringen. Deswegen: Machen Sie mit! Wir können an vielen Stellen miteinander reden. Danke schön. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rainer Brüderle, FDP.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Clement, Sie haben als Beleg für Ihre Einschätzung der Situation das World Economic Forum zitiert. Das weist aber auch ausdrücklich darauf hin - Sie haben das nicht erwähnt -, dass die Unternehmen besser sind als die Wirtschaftspolitik in Deutschland, und sieht die große Gefahr, dass das Wachstumspotenzial der deutschen Unternehmen zunehmend im Ausland zum Tragen kommt, weil es im Inland nicht stimmt. Das gehört der Redlichkeit halber dazu. ({0}) In diesen Tagen ist viel die Rede von der Verrohung der politischen Kultur, die allerdings immer nur beim politischen Gegner zu finden ist. Der Kanzler spricht von der „Diffamierung durch die Opposition“. Der Bundesfinanzminister wirft der Opposition „dauerhaftes Miesmachen des Standortes“ vor. Dies entbehrt nun wirklich nicht einer großen Ironie. Genau dieser Bundesfinanzminister hat am Dienstag dieser Woche die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes feststellen müssen. Genau dieser Bundesfinanzminister musste zugeben, dass das Viereck aus stetigem und angemessenem Wachstum, hohem Beschäftigungsgrad, Preisstabilität und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht aus den Fugen geraten ist. Das angebliche Zerrbild ist leider Realität und amtlich bestätigt worden. Mit der Feststellung der gesamtwirtschaftlichen Störung ist der permanente Vorwurf der Miesmacherei entkräftet worden. ({1}) Ich hoffe, dass wir in diesem Haus nun, erstmals seit drei Jahren, wenigstens in der Beurteilung der Situation übereinstimmen. Die Gefahr eines Double Dip, die Gefahr einer nochmaligen Rezession, ist nicht von der Hand zu weisen. Ich wünsche mir eine solche Situation nicht, verweise aber auf die Beurteilung durch die Deutsche Bank, die schon von der Rezession spricht. Die Regierung hat die Störung der Volkswirtschaft mit ihrem Nachtragshaushalt amtlich bestätigt. Wir können das sehr einfach anpacken. Die 20 Punkte des Sachverständigenrates sind eine hervorragende Grundlage. ({2}) Herr Clement, die erneute Rezessionsgefahr wird im Haushalt unzureichend berücksichtigt. Sie gehen weiter von einem Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent und von 3,8 Millionen Arbeitslosen aus. Der Sachverständigenrat spricht von 1 Prozent Wachstum und von mehr als 4 Millionen Arbeitslosen. Über die Entwicklung der Arbeitslosigkeit schweigt die Bundesregierung. Die Massenarbeitslosigkeit ist das Haushaltsrisiko Nummer eins. ({3}) Der höchste Anstieg der Arbeitslosigkeit im November im Vergleich zum Vorjahr seit der Wiedervereinigung belegt dies. Vorsorge haben Sie für dieses Risiko nicht getroffen. Die Bundesanstalt für Arbeit soll nächstes Jahr ohne Bundeszuschuss auskommen. In diesem Jahr haben Sie 5 Milliarden Euro überwiesen. Nachdem Sie schon kein Geld mehr überweisen wollen, wollen Sie durch das HartzKonzept zusätzlich noch 3,8 Milliarden Euro einsparen. Sie haben die Mittel für die Arbeitslosenhilfe im Haushalt von 14,8 Milliarden Euro auf 12,3 Milliarden Euro gekürzt. ({4}) Sie haben in den vergangenen drei Jahren jeweils im Durchschnitt 1,3 Milliarden Euro mehr zuschießen müssen, als eingeplant. Der Haushalt ist in seinen Ansätzen nicht redlich. ({5}) Sie werden mit diesen Haushaltsansätzen - das ist der Vorwurf - nicht über die Runden kommen. Der Sachverständigenrat geht von 4,1 Millionen Arbeitslosen aus. Herr Clement, ich respektiere Ihren Ehrgeiz, die Arbeitsmarktprognosen der Wirtschaftsweisen zu widerlegen, doch allein mit Hartz und Weichspülen werden Sie es nicht schaffen. Selbst wenn Sie das noch einmal im Französischen Dom inszenieren, werden Sie es nicht schaffen. Sie müssen an die Strukturen heran. Das Hartz-Konzept kann im besten Fall die Vermittlungstätigkeit verbessern. Das Arbeitsplatzangebot wird dadurch nicht erhöht. ({6}) Mehr Erwerbstätigkeit bekommen Sie nur durch mehr Wachstum und mehr Flexibilität. Beides fehlt in Deutschland. Der Sachverständigenrat hat in der Tat eine Reihe guter Vorschläge gemacht. Sie müssen das Tarifkartell ein Stück aufbrechen. ({7}) Sie werden ohne verstärkte Leistungsanreize nicht vorankommen. Das ist nicht bequem, aber es ist notwendig. Die Vorschläge der Wirtschaftsweisen wurden auch von immerhin drei SPD-Mitgliedern erarbeitet. Es sind doch auch Leute von Ihnen im Sachverständigenrat. Ich habe nichts gegen diese Leute. Nehmen Sie sie wenigstens ernst! ({8}) Ich zähle die Sachverständigen zu den vernünftigen Leuten; Herrn Gerster und Sie, Herr Clement, natürlich auch. Aber Sie müssen machen, was Sie sagen! Mit Ihrer Allianz für Erneuerung und Bürokratieabbau haben Sie Recht. Setzen Sie es doch um! Wir hören schon seit vier Jahren, dass sich da etwas ändern soll. Wir, die FDP-Bundestagsfraktion, haben 28 konkrete Vorschläge im Plenum eingebracht: zur Bauabzugsteuer, zum Scheinselbstständigengesetz, zur Freigabe der Ladenschlusszeiten usw. Die Umsetzung kostet keinen Pfennig, aber hilft ein Stück. Machen Sie es doch, und zwar nicht nur häppchenweise! ({9}) Notfalls müssen Sie Vorschläge über die Bundesregierung vorlegen, wenn über den Vorschlägen nicht FDP stehen darf. Machen Sie das! Wir wollen keine Urheberrechtsabgabe. Der Mittelstand wartet dringend darauf. Die Regierung hat die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts festgestellt. Wir befinden uns damit in der keynesianischen Situation von Unterbeschäftigung mit Nullwachstum. Für eine solche Situation hat der frühere SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller Art. 115 Grundgesetz und das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz geschaffen. Schlagen Sie einmal bei Karl Schiller nach, was er für eine derartige Situation, wie wir sie haben, empfiehlt! Bei einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts hat er Steuersenkungen empfohlen. Eine Steuersenkung könnten Sie sogar über Rechtsverordnungen vornehmen; dafür brauchten Sie keine neuen Gesetze. Aber Sie machen das Gegenteil: Statt Karl Schiller zu folgen und Steuern zu senken, schlagen Sie Steuern drauf und wundern sich, warum die Lage nicht besser wird. ({10}) Das kostümieren Sie als Abbau von Steuerprivilegien. In Wahrheit sind das aber Steuererhöhungen. Das Nettogehalt eines Facharbeiters ist nun wahrlich kein Steuerprivileg. Durch das, was Sie auf den Weg bringen, entstehen steuerliche Mehrbelastungen - das bedeutet eine Minderung von Kaufkraft und von Investitionen - in einer Höhe von 17 Milliarden Euro pro Jahr. Der versammelte volkswirtschaftliche Sachverstand dieser Republik hält diesen Kurs für fatal. Die Konjunkturforscher schreiben in ihrem Herbstgutachten, das, was in der Koalitionsvereinbarung zur Anhebung von Steuern und Sozialabgaben stehe, sei das Gegenteil dessen, was wachstumspolitisch geboten sei. Das schreiben Ihre eigenen Sachverständigen. Selbst der „Spiegel“, der Ihnen sehr wohl gesonnen ist, der Ihnen sehr nahe steht und der wahrlich keine publizistische Hilfstruppe der Opposition ist, titelt diese Woche: Steuerwahn. ({11}) Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Müntefering, meinte, das sei noch nicht genug, wir sollten Konsumverzicht üben, denn der Staat brauche mehr Mittel. Das ist eine traurige Sicht. Sollen die Kinder zu Weihnachten auf ihren Fußball verzichten, damit einige Genossen von A 16 nach B 3 befördert werden können? ({12}) Braucht die Mutti zu Weihnachten kein Parfum, damit Herr Gabriel noch mehr Geld für die nächste EXPO verbrennen kann? Soll die Omi auf ihre Heizdecke auf dem Gabentisch verzichten, damit die öffentliche Verschwendung in Deutschland weitergeht? Das kann wahrlich nicht die Lösung der Probleme in Deutschland sein. ({13}) Der Binnenkonsum lahmt seit Jahren. Hauptgrund für die anhaltende Wachstumsschwäche ist eine Konsumschwäche in Deutschland, weil die Menschen kein Vertrauen in die Entwicklung dieses Landes haben. Sie wissen nicht, ob sie ihren Job und damit ihr Einkommen behalten werden oder ob es nicht noch schlechter wird, ob nicht auch sie ihren Arbeitsplatz und damit ihr Einkommen verlieren werden. Das Hochhalten der Staatsquote - Vergleiche zeigen, dass alle Länder in Europa bei der Staatsquote besser sind als wir - ist genau der falsche Weg. Die Lösung ist, die Staatsquote abzusenken, ({14}) den Verbrauchern mehr Geld zu lassen, das sie dann ausgeben können, und ihnen Vertrauen zu geben. Sie müssen eine ruhige Linie in die Politik hineinbringen. Der Staat muss sparen, damit die Bürger Geld zum Ausgeben und zum Investieren haben. Das ist die Lösung. ({15}) Sie haben angekündigt, Sie wollten die nächsten Landtagswahlen zu Richtungsentscheidungen für diesen Kurs machen. Diese Herausforderung nehmen wir gerne an. ({16}) Wir werden gerne mit Ihnen darüber diskutieren, ob mehr Staat und weniger Konsum die Voraussetzung ist, um die Wirtschaft zu beleben. Wir werden gerne mit Ihnen darüber diskutieren, ob höhere Sozialbeiträge, höhere Lohnnebenkosten, gut sind für mehr Beschäftigung. Das ist eine Steuer auf Arbeit, weil Arbeit dadurch verteuert wird. Dadurch wird es weniger Arbeitsplätze geben. ({17}) Wir werden mit Ihnen gerne darüber diskutieren, ob mehr soziale Marktwirtschaft oder mehr Staat der richtige Ansatz ist. Auf dem bisherigen Weg werden wir es nicht schaffen. Zurück zur politischen Kultur. Die Ergebnisse aller Umfrageinstitute zeigen: Die Hälfte der Bevölkerung traut den Parteien die Lösung der Probleme nicht mehr zu. ({18}) - Uns allen nicht! - Es ist höchste Zeit, eine Kurskorrektur vorzunehmen. Dafür muss die Kraft aufgebracht werden. Vielleicht sind wir uns in der Analyse in diesem Haus einig. Vielleicht kommen wir auch bei den Lösungsansätzen ein Stück weiter voran. Viel Zeit haben wir nicht mehr; die Uhr tickt. Sonst gleitet uns allen das, was wir heute an politischen Strukturen haben, aus den Händen. Vielen Dank. ({19})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich Ihnen zwei Abstimmungsergebnisse mitteilen. Ich komme als Erstes zur Wahl der Mitglieder des Wahl- ausschusses gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bun- desverfassungsgericht: Abgegebene Stimmen 588, davon gültig 587 - es ist also eine Stimme ungültig -, Enthaltun- gen 6.1) Von den gültigen Stimmen entfielen auf den Wahl- vorschlag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen 300 Stimmen und auf den der Fraktionen von CDU/CSU und FDP 281 Stimmen. Nach dem Höchst- zahlverfahren von d’Hondt entfallen damit auf die Frak- tionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sechs Mit- glieder und auf die Fraktionen von CDU/CSU und FDP auch sechs Mitglieder. Nach § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht sind die Mitglieder in der Reihenfolge gewählt, in der ihr Name auf dem Wahlvorschlag erscheint. Die Namen der gewählten Mitglieder entnehmen Sie bitte den Drucksachen 15/140 und 15/141. - Dies waren die Ergebnisse aus dem ersten Wahlprotokoll. Die zweite Wahl betraf die Mitglieder des Parlamenta- rischen Kontrollgremiums: Mitgliederzahl 603. Abgege- bene Stimmen 587, davon gültig 585, keine Enthaltung, aber zwei ungültige Stimmen.2) Von den gültigen Stimmen entfielen auf den Abgeordneten Hermann Bachmaier 505, den Abgeordneten Hans-Joachim Hacker 516, den Abgeordneten Volker Neumann ({0}) 474, die Abgeordnete Erika Simm 517, den Abgeordneten Hartmut Büttner ({1}) 505, den Abgeordneten Bernd Schmidbauer 449, den Abgeordneten Wolfgang Zeitlmann 460, den Abgeordneten Hans-Christian Ströbele 309 und den Abgeordneten Rainer Funke 520 Stimmen. Diese neuen Abgeordneten haben die nach § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes erforderliche Mehrheit von 302 Stimmen erreicht. Sie sind damit als Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums gewählt worden. Herzlichen Glückwunsch! Jetzt machen wir in der Debatte weiter. Nun hat der Abgeordnete Ludwig Stiegler das Wort. ({2})

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren! Nachdem man den begabten Polemiker Brüderle, den Untergangspropheten, gehört hat, fragt man sich: Wo war er eigentlich, als FDP und CDU/CSU regiert haben? Er hat hier das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz beschworen. Wenn Sie danach gelebt hätten, Herr Brüderle, dann hätten Sie eine Konjunkturausgleichsrücklage geschaffen, sodass wir heute aus dem Vollen schöpfen könnten. Stattdessen haben uns CDU/CSU und FDP eine Schuldenlast mit jährlich 40 Milliarden Euro Zinsen hinterlassen. Sie sind ständig auf der Flucht vor Ihrer eigenen Vergangenheit. ({0}) Sie sind ständig dabei, die Verantwortung für vorangegangenes Tun abzuwälzen. ({1}) Sie beklagen die Höhe der Lohnnebenkosten, die Sie selber in Ihrer Zeit hochgefahren haben. Sie beklagen den gestiegenen Staatsanteil. Das sind wirklich wohlfeile Vorschläge. Wenn wir von Ihnen ein geordnetes Staatswesen übernommen hätten, würden wir mit der derzeitigen wirtschaftlichen Krise spielend fertig werden. ({2}) 16 Jahre lang hatten Sie Gelegenheit, Ihre wunderbaren Vorschläge zu formulieren und umzusetzen. Hier treten Sie wie der alte Cato mit seinem ewigen ceterum censeo auf. ({3}) Wo waren Sie denn in der Zeit, als Sie handeln konnten? Hören Sie mir mit diesen wohlfeilen Vorschlägen auf, die mit der aktuellen Lage nichts zu tun haben! Hören Sie zusammen mit den Schwarzen auf, schwarze Brühe in die Wirtschaft zu gießen, wohingegen der Wirtschaftsminister mit Schwung und Tatkraft in die Glut bläst! Das ist es, was wir jetzt brauchen: die Glut anzufachen und nicht alles mit schwarzer Brühe zu übergießen. ({4}) Die Union hat lange Zeit nach dem Sonthofener Rezept von Franz Josef Strauß gehandelt: Schwarzmalerei ist angesagt, man muss eine Hysterie auslösen. - Erst jetzt kommen ein paar Vorschläge, mit denen ich mich auseinander setzen möchte. Stichwort: Gegensteuern statt neuer Steuern! Die Union beginnt im ersten Absatz ihres Konzeptes mit einer faustdicken Lüge. ({5}) So dumm können Ihre Referenten nicht sein, als dass man das als Fahrlässigkeit abtun könnte. Sie schreiben: 1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 3 2) Namensliste der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 4 45 000 Unternehmen werden in diesem Jahr Konkurs machen. ({6}) - Sie Hellseher! - Das Statistische Bundesamt meldet 21 000 Konkurse. Sie aber rechnen die Verbraucherinsolvenzen mit den Unternehmensinsolvenzen zusammen. ({7}) Sie sind dreiste Schwindler und Schwarzmaler, die den Menschen Angst machen wollen. Sie sind Angstritter und wollen davon zehren. ({8}) In Wahrheit verhält es sich anders: Wir haben den Verbrauchern die Möglichkeit geboten, sich von ihrer Verschuldung zu befreien. Die Verbraucher- und die Unternehmensinsolvenzen zusammenzuzählen ist ungehörig und falsch. Bleiben Sie bei der Wahrheit, wenn Sie die Leute schon pessimistisch einstimmen wollen! ({9}) Sie haben die Selbstständigenquote bejammert. Das Statistische Bundesamt hat festgehalten, dass es 1998, als Sie die Regierung abgeben mussten, 3 974 000 Selbstständige gab, denen im dritten Quartal 2002 4 099 000 Selbstständigen gegenüberstehen. Die Zahl der Selbstständigen ist also derzeit höher als in Ihrer Regierungszeit. Wir haben inzwischen eine höhere Selbstständigenquote als die Vereinigten Staaten. Wie passt das in Ihr Weltbild? Werfen Sie einen Blick in Ihre Bilanzen und machen Sie sich endlich kundig, bevor Sie über andere herfallen! ({10}) Die Zahl der Arbeitnehmer betrug zu dem Zeitpunkt, als Sie die Regierung abgeben mussten, 33 812 000. ({11}) Unter unserer Regierung beträgt die Zahl im dritten Quartal 2002 34 556 000. ({12}) Es schwindelt sich so schlecht, wenn man sich mit den wahren Zahlen beschäftigt. Henri Nannen soll einmal gesagt haben: Jungs, recherchiert nicht so viel; es schreibt sich dann so schlecht. ({13}) Daran erinnert mich Ihr Verhalten in diesem Zusammenhang. Hören Sie auf, die Situation in diesem Land wahrheitswidrig schwarz zu malen! Sie sollten jetzt aufhören, beleidigt zu sein, weil Sie nicht gewählt worden sind. Sie sollten vielmehr dazu übergehen, mit uns ordentlich zusammenzuarbeiten. ({14}) Wenn ich mich in Ihrem Papier weiter voranhangele - ich mache das mit Freude -, komme ich zu Ihrer Feststellung, die strukturellen Verkrustungen des Arbeitsmarkts seien aufzubrechen. Da Sie die 16 Jahre vor uns regiert haben, frage ich mich, wer dafür die Verantwortung trägt; aber ich will an dieser Stelle gnädig sein. Wir haben jedenfalls mit der Hartz-Kommission die notwendigen Entscheidungen getroffen und Möglichkeiten geschaffen, Fortschritte zu erzielen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Stiegler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schauerte? ({0})

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn sich meine Redezeit dadurch nicht verkürzt.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Die Redezeit wird natürlich gestoppt.

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Schauerte verursacht mir keinen Schauer.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Stiegler, wir haben bisher eine sehr sachliche Diskussion geführt. Sie haben aber den schweren Vorwurf erhoben, wir würden die Zahl der Insolvenzen falsch berechnen. Gerade heute aber hat Creditreform festgestellt, dass die Zahlen exorbitant angestiegen sind und dass in diesem Jahr mit Sicherheit mehr als 40 000 Unternehmensinsolvenzen zu erwarten sind. Wie kommen Sie dazu, von 21 000 Insolvenzen zu reden, also eine um die Hälfte kleinere, falsche Zahl anzugeben, und uns den Vorwurf der Lüge zu machen?

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich halte mich an die Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts vom 22. November dieses Jahres. ({0}) Das Statistische Bundesamt veröffentlicht Zahlen, während Creditreform Schätzungen veröffentlicht. Ihrer Behauptung, die Zahl der Insolvenzen sei höher, ist entgegenzuhalten, dass es sich dabei um eine Prognose für ein bis zwei Monate handelt. Mit dieser Prognose sollten Sie nicht durch die Lande ziehen und die Leute verunsichern. ({1}) Man sollte nämlich nicht den schwarzen Teufel an die Wand malen. ({2}) Sie wollen Nebenjobs von Steuern und Sozialabgaben befreien. Ich sage Ihnen voraus, dass Sie anschließend wieder über Ausfälle bei den Sozialversicherungsbeiträgen jammern werden. Sie wollen die Verdienstgrenze für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse anheben. Anschließend jammern Sie dann wieder, wenn die Sozialversicherungsbeiträge steigen. Allerdings räume ich ein, dass wir über das eine oder andere reden können, wenn zum 31. März der Bericht über die bisherigen Erfahrungen vorgelegt wird. Man kann aber nicht einerseits Beschäftigungsverhältnisse in großen Teilen sozialversicherungsfrei regeln und alle anderen die Lasten tragen lassen und andererseits über die Lohnnebenkosten jammern. Sie sollten in Ihrer Argumentation schon konsequent bleiben. Wenn ich mir die Entwicklung der Scheinselbstständigkeit anschaue, dann stelle ich fest: Wir haben die alte Tradition, die in Ihrer Regierungszeit eingerissen ist, nämlich zum Beispiel einem LKW-Fahrer einen Lastwagen unterzujubeln, ihn mit Krediten zu belasten und so sein Leben zu ruinieren, zu Recht beendet. ({3}) Sie schlagen des Weiteren laufend vor, die befristeten Arbeitsverhältnisse auszuweiten. Aber gleichzeitig fordern Sie Verbrauchervertrauen. Wie kann man mit Arbeitnehmern, die in einem befristeten Beschäftigungsverhältnis wie Tagelöhner arbeiten müssen - solche Arbeitnehmer findet man in allen Generationen -, die Wirtschaft ankurbeln? Bei den 55-Jährigen möchte ich nur auf die Vorschläge der Hartz-Kommission verweisen. Sie wollen den Menschen außerdem den Rechtsanspruch auf Teilzeit nehmen. Aber wir brauchen gerade in Zukunft eine hohe Erwerbstätigenquote bei den Frauen. Daher sollten wir mehr in ein intelligentes Personalmanagement und in die Qualifikation der Unternehmer inves-tieren, statt den Menschen die Spielräume zu nehmen. Ein intelligentes Personalmanagement ist auch im deutschen Mittelstand möglich. Die Potenziale der Zeitarbeit, die Sie uns zu nutzen auffordern, erschließen wir mit dem Hartz-Konzept. Aber im Gegensatz zu Ihnen werden wir die Menschen nicht für vogelfrei erklären. Sie sollen vielmehr weiterhin einen tarifvertraglichen Schutz haben. Wenn ich mir anschaue, was Sie über die betrieblichen Bündnisse für Arbeit sagen, dann muss ich feststellen: Sie wollen in der Tat die Unverbrüchlichkeit, die Unabdingbarkeit und die Unmittelbarkeit der Tarifverträge wieder aufbrechen. Das ist zuallererst ein Verfassungsproblem; denn die Tarifvertragsfreiheit ist im Grundgesetz verankert. Außerdem spielt die Frage der Gleichbehandlung der Branchen eine wichtige Rolle. Ich bin ganz erstaunt - ich habe das mit Freude im Gutachten des Sachverständigenrats gelesen -, dass ausgerechnet mein Freund Professor Rürup massiv gegen das Aufbrechen der Tarifverträge zu Felde zieht und dass er uns die Friedensfunktion der Tarifverträge nahe zu bringen versucht. Ich sage Ihnen - ich habe das in eigener Verantwortung x-mal erlebt -: Man kann zwar mit den Tarifpartnern Sanierungsverträge abschließen. Aber man muss dabei auch sicherstellen, dass die Arbeitnehmerinteressen gewahrt sind. Sie wollen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern generell den tarifvertraglichen Schutz nehmen. Wir werden ihn dagegen erhalten. Tarifverträge sind nämlich keine Empfehlungen. Sie gelten vielmehr unmittelbar und unabdingbar. Das ist eine Errungenschaft der deutschen Revolution von 1918, an der wir nicht rütteln lassen. ({4}) Wenn ich mir alle Ihre Vorschläge anschaue, dann muss ich sagen: Die Menschen sind bei uns weiß Gott besser aufgehoben. Ich möchte jetzt auf die Hauptthemen zu sprechen kommen. Die kleinen und mittleren Unternehmen haben in der Tat ein Problem mit der Kapitalbeschaffung. Der Minister hat - Gott sei Dank - die Gründung einer Mittelstandsbank angestoßen. Sie alleine wird die Probleme sicherlich nicht lösen können. Aber sie wird eine wichtige Rolle spielen. ({5}) - Ich hoffe, dass der Zentralbankrat heute die Leitzinsen senkt. Dann werden die Kredite auch bei uns günstiger. ({6}) Wenn wir aber Zinssubventionen tätigen, dann schreien Sie ja wieder, dass wir zu viel ausgäben. Ich sage Ihnen: Die Konzeption der geplanten Mittelstandsbank ist okay. Mit dem Programm „Kapital für Arbeit“ machen wir einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Wir appellieren - das ist durchaus angebracht - an die deutschen Banken, die Unternehmer, die auf der Grundlage dieses Programms Kredite aufnehmen möchten, nicht einfach abzuweisen. Es wird Ihnen sicherlich genauso gehen wie mir: Jeden Tag kommen abgewiesene Unternehmer zu mir und beklagen sich darüber, dass die Banken nicht mitmachten bzw. dass sie, wenn sie die Bundesmittel ausreichen, die Kreditlinien kürzten. So kann man mit einem wichtigen Programm nicht umgehen. Wir erwarten, dass die Banken dieses Programm ohne Vorbehalte umsetzen; denn nur dann leisten sie einen Beitrag dazu, dass Kapital und Arbeit wieder zusammengebracht werden. ({7}) Der Mittelstand leidet in anderen Bereichen in der Tat unter einer Kreditkrise; denn in den glorreichen 16 Jahren der CDU/CSU-FDP-Regierung ist die Eigenkapitalausstattung des deutschen Mittelstandes weggeschmolzen wie der Schnee in der Sonne. Man müsste denken, dass in Ihren paradiesischen Zeiten alle mittelständischen Betriebe Eigenkapital aufgebaut haben. Wer aber die Berichte der Deutschen Bundesbank liest, der weiß, dass der deutsche Mittelstand aus tausenderlei Gründen nicht genügend Eigenkapital hat. Jedenfalls hat er jetzt ein schlechtes Rating und Probleme bei den Banken. Ich finde, hier haben wir alle miteinander in Gesprächen mit den Banken und mit den Beteiligten dafür zu sorgen, dass die Unternehmensfinanzierung gelingt. Ich möchte mich in dieser Legislaturperiode besonders dafür einsetzen, dass regionale Beteiligungsgesellschaften eingerichtet werden. Die Leute sollen nicht an der Börse spekulieren, sondern meinetwegen über die Ausgabe von Genussscheinen der Sparkassen und Genossenschaftsbanken Beteiligungskapital ansammeln, damit wir unsere regionalen Unternehmen finanzieren können. Das scheint mir ein ganz wichtiger Auftrag zu sein. Hier genügen nicht Exit-Orientierung oder Venturekapitalisten, die im Grunde nicht nachhaltig im Mittelstand bleiben, sondern wir brauchen eine dauerhafte und solide Finanzierung der kleinen und mittleren Unternehmen. ({8}) Meine Damen und Herren, das Wichtigste ist aber jetzt, dass wir den Menschen auch die positiven Zeichen vermitteln, nämlich Preisstabilität und die Tatsache, dass bei der Nachfrage und bei den Geschäftsklimaindizes die Deutschen im europäischen Vergleich im Mittelbereich liegen. Wir müssen den Menschen vermitteln, dass wir Probleme mit der Bewältigung der deutschen Einheit haben. Der Aufbau Ost kostet viel Geld. Aber wir sagen Ja zu diesen Kosten. Diese Volkswirtschaft läuft eben mit einem Rucksack herum. ({9}) Je früher wir den Aufbau Ost schultern, desto eher kommen wir in Fahrt. Darum werden wir die Förderung Ost und die Investitionsförderung auf hohem Niveau halten. Herr Brüderle, Sie sagten, der Haushalt sei zu optimistisch. Wir unterstützen Hans Eichel ausdrücklich aus konjunkturpolitischen Gründen, den Haushalt nicht auf pessimistischen Erwartungen aufzubauen, ({10}) damit zur Not die Stabilisatoren wirken können. Denn wenn wir ihn auf Rand nähen würden, würden wir prozyklisch sparen. Wir wollen aber die Wachstumsspielräume halten. Das sollten Sie nicht kritisieren. Sie sollten uns vielmehr dabei unterstützen, meine Damen und Herren. ({11}) Es kommt in den nächsten Wochen und Monaten darauf an, dass wir nicht ständig den Untergang beschwören, sondern dass wir die Chancen sehen, die in dieser Entwicklung liegen. In diesem Zusammenhang möchte ich Folgendes an die Adresse der deutschen Wirtschaft sagen: Wenn es gut läuft, klopfen sich alle Manager auf die Schulter und sagen: Wir sind tolle Hechte, sind innovativ und kreativ und haben Aktienoptionspläne verdient. - Wenn es Schwierigkeiten gibt, war es jedoch der Staat. Diese Arbeitsteilung, meine Damen und Herren, kann nicht richtig sein. ({12}) Ich erinnere an den Sachverständigenrat, der deutlich gesagt hat: Schwierige Zeiten sind gerade eine Bewährungsprobe ({13}) - Ernst, ich bin schon fertig; du kommst zu spät - für kreative Unternehmer. Hier zeigt sich, ob in den Kerlen etwas steckt oder ob sie nur Schönwetterkapitäne sind. Wir erwarten von den wirtschaftlichen Eliten, dass sie sich von Ihnen nicht in die Trübsal blasen lassen, sondern dass Sie sich von Wolfgang Clement die Fanfare zum Aufbruch blasen lassen. Das ist der Auftrag. Ich bin dankbar dafür, dass wir einen Minister haben, der nicht Schamade schlägt wie Sie, sondern die Fanfare bläst. Damit werden wir erfolgreich sein. ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich gebe Ihnen noch zwei Wahlergebnisse bekannt. Ich beginne mit dem Ergebnis der Wahl der Mitglie- der des Vertrauensgremiums gemäß § 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung. Abgegebene Stimmen 587, da- von gültig 587 Stimmen. Von den gültigen Stimmen ent- fielen auf den Abgeordneten Klaus Hagemann 491 Stim- men, auf die Abgeordnete Dr. Elke Leonhard 538 Stimmen, auf den Abgeordneten Gerhard Rübenkönig 505 Stimmen, auf den Abgeordneten Walter Schöler 486 Stim- men, auf den Abgeordneten Dietrich Austermann 446 Stimmen, auf den Abgeordneten Manfred Carstens 503 Stimmen, auf den Abgeordneten Dr. Hans-Peter Uhl 475 Stimmen, auf die Abgeordnete Anja Hajduk 445 Stimmen und auf den Abgeordneten Jürgen Koppelin 482 Stimmen. Diese neun Abgeordneten haben die nach § 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in Verbindung mit § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nach- richtendienstlicher Tätigkeit des Bundes erforderliche Mehrheit von 302 Stimmen erreicht.1) Sie sind damit als Mitglieder des Vertrauensgremiums gewählt. Herzlichen Glückwunsch! Ergebnis der Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 4 a des Bundeswertpapierverwaltungsgeset- zes: abgegebene Stimmen 588, davon gültig 588, Enthal- tungen 3.2) Von den gültigen Stimmen entfielen auf den Abgeordneten Bernhard Brinkmann 494 Stimmen, den Abgeordneten Dr. Heinz Köhler 505 Stimmen, den Abge- ordneten Walter Schöler 506 Stimmen, den Abgeordneten Gunter Weißgerber 509 Stimmen, den Abgeordneten Bartholomäus Kalb 501 Stimmen, den Abgeordneten Steffen Kampeter 488 Stimmen, den Abgeordneten Klaus- Peter Willsch 496 Stimmen, die Abgeordnete Antje Hermenau 455 Stimmen und den Abgeordneten Dr. Günter Rexrodt 471 Stimmen. Diese neun Abgeordneten haben die erforderliche Mehrheit von 302 Stimmen erreicht und sind damit als Mitglieder des Gremiums gemäß § 4 a des Bundeswert- papierverwaltungsgesetzes gewählt. Auch ihnen herzli- chen Glückwunsch! Weitere Wahlergebnisse habe ich nicht mehr bekannt zu geben. Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort erhält der Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel. 1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 6 2) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 5

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst weise ich in aller Form den von der Abgeordneten Dückert erhobenen Vorwurf strikt zurück, wir hätten im Bereich der Arbeitsmarktpolitik eine Blockade vor. Gerade von denen, die von 1996 bis 1998 eine totale Blockadepolitik praktiziert haben, brauchen wir uns so etwas nicht gefallen zu lassen. ({0}) Um das Verhandlungsklima entsprechend freundlich zu gestalten, sollten Sie nicht von vornherein solche massiven Vorwürfe erheben. Ein Zweites, Frau Kollegin Dückert: Ich habe gedacht, ich höre nicht richtig, als Sie im Zusammenhang mit der Handwerksordnung von vorsintflutlichen Regelungen gesprochen haben. Mit solchen Begriffen sollten Sie vorsichtig umgehen. Wer nämlich die Handwerksordnung so durchlöchert, wie es sich jetzt anbahnt, der zerstört das hohe Niveau unserer beruflichen Ausbildung, die wir nicht auch noch aufs Spiel setzen wollen. ({1}) Herr Minister Clement, Sie sollten der Union dafür dankbar sein, dass Sie hier als Superminister sitzen können. Schließlich war die Zusammenlegung der Kompetenzen für Wirtschaft und Arbeit eine Idee der Union im Bundestagswahlkampf. ({2}) Wir haben allerdings die Sorge, dass Sie die sich daraus ergebenden Chancen, Arbeit und Wirtschaft stärker zusammenzuführen sowie die Bedürfnisse der Wirtschaft schneller zu erkennen, vertun werden; denn wir stellen fest, dass Sie nicht nachhaltig genug gegen die Überregulierung des Arbeitsmarktes vorgehen, ({3}) dass die Subventionitis weitergeht und dass Sie vor allem den gesamten Mittelstand weiterhin drangsalieren. Man kann doch nicht auf der einen Seite die Bemessungsgrundlage für die Steuern weiter verbreitern und auf der anderen Seite den Mittelstand nicht entlasten. Das kann nicht gut gehen; vor allen Dingen kann es nicht zu einem Wachstum von 1,5 Prozent führen, wie es hier prognostiziert wird. ({4}) Wir müssen hier einen anderen Weg gehen. Vor allem müssen wir überall so sparsam wirtschaften, wie es nur möglich ist. Als Haushälter nenne ich dafür ein Beispiel: In den Jahren 2002 und 2003 schaffen Sie insgesamt 2 069 neue Vermittlerstellen bei der Bundesanstalt für Arbeit. Die Öffentlichkeit glaubt natürlich, dass diese Stellen aus dem Personalpool der Bundesanstalt für Arbeit heraus geschaffen werden können, der annähernd 90 000 Mitarbeiter umfasst. Damit hat sie sich allerdings getäuscht, meine Damen und Herren: Der Bundesanstalt für Arbeit sollen Sachmittel weggenommen werden, damit zusätzliches Personal eingestellt werden kann. Keine private Firma würde so arbeiten. ({5}) Jede private Firma würde diese Probleme aus der Substanz heraus lösen und nicht so, wie Sie dies tun. Ich kann dazu nur sagen: Ein Schwabe hätte das sicherlich anders gemacht. ({6}) - Ein Schwabe, auch ein Badener und natürlich noch andere. Sie haben mittlerweile - Frau Kollegin Merkel hat das von dieser Stelle aus gestern schon festgestellt - einen ausgeprägten Tunnelblick. Ihr Fixierungspunkt scheint die Statistik zu sein. Was die Statistik angeht, reichen Ihre Vorstellungen am weitesten. Das habe ich nach dem sehr gründlichen Studium der Hartz-Papiere festgestellt. Im Jahr 2000 haben wir eine Fälschung im Bereich der Statistiken schon einmal erlebt. Die damalige Neuregelung des 625-Mark-Gesetzes bewirkte - Hokuspokus eine Verbesserung der Arbeitslosenstatistik. Der Parlamentarische Staatssekretär Andres beantwortete eine Anfrage am 27. November 2000 mit folgenden Worten: Durch den neuen Nenner der Berechnung verringert sich das Niveau der Arbeitslosenquote um 0,4 Prozentpunkte. Das ist eine „enorme“ Entlastung. In diese Richtung geht es weiter. Die Umsetzung des Hartz-Papiers auf der Grundlage der hier genannten Zahlen würde Folgendes bedeuten: Durch die Neuregelung der Zahlung des Brückengeldes fallen 560 000 Menschen und durch die Einrichtung der Personal-Service-Agenturen fallen 500 000 Menschen aus der Arbeitslosenstatistik. Die vorzunehmende Anpassung der in Deutschland praktizierten Berechnungsweise der Arbeitslosenstatistik an von der Europäischen Union vorgegebene Standards bewirkt, dass 400 000 Menschen aus der Arbeitslosenstatistik herausfallen. Das heißt, es werden bald vielleicht 1,5 Millionen Arbeitslose weniger gezählt. Dieser Rückgang um ein Drittel ist zwar eine ganz tolle Leistung, aber leider nur auf dem Papier. ({7}) In Deutschland kennt langsam jeder die Antwort auf folgende Frage: Welche Farbe hat die Lüge? Die Lüge hat die Farbe Rot-Grün und keine andere. Leider muss man das hier feststellen. ({8}) Ich empfehle, der Hartz-Kommission einen neuen Namen zu geben. Sie sollte künftig „Sommer-Kommission“ heißen; denn niemand anders als der DGB-Vorsitzende Sommer hat in Deutschland die Federführung inne. Sämtliche Veränderungen, die vorgenommen werden, zielen in die von ihm vorgegebene Richtung. Das Bundespresseamt hat gestern, vorgestern und heute Journalisten aus Brüssel auf Kosten des Steuerzahlers eingeladen. Kein Wunder, dass außer Herrn Sommer kein Vertreter einer entsprechenden Organisation - von den Arbeitgebern keine Spur - auf dieser Veranstaltung mit den Journalisten geredet hat; Herr Sommer war dort der Hauptredner. Soweit ich weiß, hat auch von Ihnen jemand an dieser Veranstaltung teilgenommen. Vielleicht übernehmen dann wenigstens Sie den Part, den eigentlich die Arbeitgeber einnehmen müssten. Ich habe die Sorge, dass deren Standpunkt dort nicht angemessen vertreten wird. Aus dem Blickwinkel des Haushälters ist die Umsetzung der Vorschläge der Hartz-Kommission ganz problematisch. Wir haben zwar von schönen Zahlen gehört; zur Organisationsreform, dem entscheidenden Punkt, hat der Minister aber gar nichts Konkretes gesagt. Aus seinem Hause hört man, diesbezüglich müssten noch Überarbeitungen stattfinden. Wir alle wissen, dass gerade das für das Gelingen des Vorhabens entscheidend ist. Ein Modell - zurzeit läuft das Ganze erst an - ist nicht einmal die halbe Miete. Es handelt sich eher um ein Minus. Ich meine, dass es überhaupt nicht gerechtfertigt ist, von den bisher eingeleiteten Maßnahmen auf Einsparungen in der Höhe, wie sie im nächsten Bundeshaushalt vorgesehen sind, zu schließen. Das ist schlichtweg unseriös, Herr Minister. ({9}) Ich möchte noch etwas zu den Obermoralisten bei den Grünen und bei der SPD sagen. Wäre in der Zeit, in der wir regierten, die Höhe des Arbeitslosengeldes und der Arbeitslosenhilfe nicht mehr an die tariflichen Entwicklungen angepasst, sondern eingefroren worden, dann wäre hier der Teufel los gewesen. Darüber hätte es wochenlang Diskussionen gegeben. Und auf einmal ist das eine ganz vernünftige Sache. So ändert sich das, je nachdem, ob man in der Regierung oder in der Opposition ist. ({10}) Aber Sie haben immer so getan, als sei das eine Frage der Glaubwürdigkeit. Sie haben mit der Armut und Ähnlichem argumentiert. Aber was ist heute mit diesen Themen? Nichts mehr! Nehmen Sie das Wort „Armutsbekämpfung“ nicht mehr in den Mund! Mit dem, was Sie jetzt machen, haben Sie die Glaubwürdigkeit in diesem Bereich für ein und allemal verspielt. Die Leute haben Ihnen vertraut und sind sehr enttäuscht worden. Das müssen wir hier in aller Deutlichkeit festhalten. ({11}) Meine Damen und Herren, die künftige Arbeitsmarktpolitik zahlt sich besonders für Softwareentwickler aus. Die Umsetzung der Hartz-Vorschläge wird sich so auswirken, dass die Leute künftig schauen werden, welches Programm ihnen gerade am meisten hilft, Zuschüsse zu bekommen. Wer kann sich das leisten? Das sind die Großbetriebe. Ihre Politik geht wieder am Mittelstand vorbei. Die Großen werden sich durch das Brückengeld und andere Maßnahmen das holen, was sie jetzt durch den Subventionsabbau einbüßen; das ist meine Prognose. Das haben Sie zu verantworten. Am Ende des Jahres 2003 werden Sie sich hier hinstellen und sagen: Früher haben wir uns hinsichtlich brutto und netto getäuscht, dann haben wir uns bei den Fuchs-Fahrzeugen getäuscht und schließlich haben wir uns getäuscht, weil wir dachten, es handelt sich um D-Mark und nicht um Euro. ({12}) Damit werden Sie die neue Verschuldung im Jahre 2003 begründen. Meine Damen und Herren, aus diesem Grund müssen wir dafür sorgen, dass mehr Realismus einkehrt und dass Sie sich darauf besinnen, dass Sie im Jahr 2003 weitaus höhere Ausgaben haben werden, als Sie uns jetzt darlegen. Das ist unseriös und deshalb kann dieser Haushalt von uns nicht mitgetragen werden. ({13})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Werner Schulz, Bündnis 90/Die Grünen.

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einem Punkt, Kollege Fuchtel, täuschen wir uns bestimmt nicht, sondern haben möglicherweise Übereinstimmung: dass die wirtschaftliche Lage in Deutschland alles andere als rosig ist. ({0}) Ich glaube, da macht sich niemand etwas vor. Aber wenn Sie in Ihrem Zehnpunkteprogramm schreiben, Deutschland erlebe die schlimmste Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg, dann täuschen Sie sich. ({1}) Eine wirkliche Krise können Sie in Argentinien sehen, eine Rezession können Sie seit Jahren in Japan beobachten, aber nicht in unserem Land. Ich weiß, Übertreibungen machen eine Sache anschaulich; das ist ein Mittel der Politik. ({2}) Ich bin sicherlich auch kein Feind von Polemik. - Davon können Sie gern etwas abbekommen, wenn Sie noch einen Zwischenruf machen. ({3}) Aber die ist im Moment weniger gefragt. Wir laufen zurzeit Gefahr, den Standort schlecht zu reden, dieses Land niederzumachen. Dinge wie „DDR light“ und Ähnliches können wirklich nur Leute schreiben, die die DDR nicht erlebt haben. Wir laufen Gefahr - darin sehe ich ein Riesenproblem -, dass sich die allgemeine Politikverdrossenheit in Staatsverdrossenheit verwandelt und den Wirtschaftsstandort auf diese Art und Weise beschädigt. ({4}) Sicherlich, alle Indikatoren deuten im Moment darauf hin, dass wir die Wirtschaftsflaute so schnell nicht überwinden werden. ({5}) Ich befürchte, wir werden das auch nicht mit höherem Wachstum allein schaffen, weil das Wachstum längst zum Problem geworden ist. Wenn man sieht, dass die Wachstumsraten in den letzten zehn, zwölf Jahren im Durchschnitt nur bei 1,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes lagen, dann sind Erwartungen von 3 Prozent einfach übertrieben. Wir sollten uns auf das Realistische konzentrieren. Herr Koch hat dieser Tage einen bemerkenswert klugen Satz geschrieben: „Einen wirtschaftlichen Zusammenbruch gibt es nicht - höchstens die Enttäuschung falscher Hoffnungen.“ Der Mann heißt allerdings Hannes Koch und schreibt in der „taz“. Ich würde mir wünschen, dass eine solche realistische Einschätzung auch bei Ihnen eines Tages erfolgen wird. Ich glaube, es hat auch wenig Sinn, wenn wir nur gebannt auf die Konjunkturentwicklung in den USA schauen. Wir müssen in Europa für Innovationen sorgen, wir müssen unsere eigenen Möglichkeiten ausschöpfen. Insofern bin ich froh, dass die Europäische Zentralbank den Leitzins heute möglicherweise sehr deutlich senken wird, etwa um 50 Basispunkte auf einen Schlüsselprozentsatz von 2,75. Das wäre ein deutliches Zeichen in einer schwachen Konjunktur, das Investitionsbereitschaft und sicherlich auch den Konsum fördern wird - in einer Situation, in der eher die Sparquote als der Konsum steigt. Das hat mit Orientierungsschwierigkeiten zu tun, mit Unsicherheiten in einer solchen wirtschaftlichen Situation. Das heißt, wir können in Europa durch Geldpolitik durchaus gegensteuern. Der nationalökonomische Rahmen ist allerdings sehr begrenzt. Hier wird, in den letzten Tagen häufig zu lesen, immer wieder eine Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede erwartet. Ich wusste nicht, dass der Sound von Blood, Sweat & Tears im Nachhinein so viele Anhänger gefunden hat. Das Merkwürdige ist nur, dass man Blut, Schweiß und Tränen möglichst nicht im eigenen Gesicht sehen möchte, sondern immer bei den anderen, so wie der Subventionsabbau, wenn er einen selbst betrifft, abgelehnt wird, so wie man den schlanken Staat fordert, aber dann im nächsten Moment, wenn irgendwas nicht funktioniert - ({6}) - So wie diese Bänke hier im Plenum! ({7}) - Sie sehen, die Demokratie bricht an manchen Stellen schon auseinander. Aber solange es nur die Frontbänke der Koalition sind, ist das noch zu verschmerzen. ({8}) - Erste Wirkungen, allein durch Reden ausgelöst. Sie sehen, welche suggestiven Kräfte von diesem Podium ausgehen können. Scherz beiseite, weil die Lage viel zu ernst ist. Bei all den Forderungen nach weniger Staat ist doch verblüffend, dass man, wenn die privaten Banken ausfallen, vom Staat eine Mittelstandsoffensive und die Finanzierung erwartet. Wir werden diesen überbordenden Erwartungen zum Teil nicht gerecht werden können, dennoch handeln wir. Der Bundeswirtschafts- und -arbeitsminister hat deutlich gesagt, dass das Projekt, das seit längerer Zeit angedacht ist, jetzt endlich verwirklicht wird, dass wir die Deutsche Ausgleichsbank und die KfW zusammenbringen und damit eine kräftige Mittelstandsbank einrichten, die den Bedürfnissen des Mittelstandes gerecht werden kann, der gerade im Zusammenhang mit Basel II auf restriktive Kreditlinien stößt. Die Kreditlinien wurden aufgekündigt, vielfach unbegründet, weil die Bundesregierung sich in den Verhandlungen um Basel II darum bemüht hat, dass man die Besonderheiten des internen Ratings, die wir in Deutschland haben, mit beachtet, dass Retail Portfolios mit eingebaut wurden, dass das Granularitätsprinzip mit untergebracht wurde. Das sind alles Fortschritte, die wir erreicht haben. Dazu zählt beispielsweise auch, dass es in der EU ein Umdenken gibt und dass EU-Kommissar Frits Bolkestein die EU-Eigenkapital-Finanzierungsrichtlinien auf den Weg gebracht hat. Das sind doch Zeichen dafür, dass wir dem Mittelstand helfen, aber das ist eben nur im europäischen Gesamtrahmen zu erreichen. Hier ist die Bundesregierung tätig und Sie sollten das anerkennen. Es hilft uns allen nichts, wenn im Mittelstand Angst verbreitet wird. ({9}) - Die gefühlte Temperatur ist eine andere als die tatsächliche, aber Sie sollten nicht dazu beitragen, die Temperatur nach unten zu drücken, Herr Kolb. Ich meine, damit tun Sie der deutschen Wirtschaft überhaupt keinen Gefallen. Ich glaube, auch Ihrer eigenen Partei nicht, denn man erwartet auch von Ihnen mehr Optimismus. Den haben Sie früher einmal ausgestrahlt. Ich kann allerdings verstehen, dass Sie sich momentan nicht in einer sehr optimistischen Lage befinden. ({10}) - Eben, das kann wieder besser werden. Springen Sie über Ihren Schatten und helfen Sie den anderen mit, die Stimmungslage zu verbessern. Ich glaube, das, was wir selber tun können, hat weniger mit Geld zu tun, sondern es hat viel mit gutem Willen und mit politischen Anstrengungen zu tun. Das alles ist unter dem Begriff „Bürokratieabbau“ zusammenzufassen. Wir haben in den letzten Jahren bereits an einem großen Projekt für einen modernen Staat und eine moderne Verwaltung gearbeitet. Der Bundeswirtschaftsminister hat angekündigt, den Masterplan Bürokratieabbau durchzuführen. Dazu erwarte ich allerdings auch von den Verbänden, aus der Wirtschaft und aus der Industrie Vorschläge, welche bürokratischen Richtlinien und Regelungen denn abgebaut werden sollen. Wenn man danach fragt, ist das, was zurückkommt, meistens sehr dürftig. Werner Schulz ({11}) Werner Schulz ({12}) Die Experimentierklausel für Ostdeutschland, die Helmut Schmidt gefordert hat, käme verspätet, denn wir hätten sie schon 1990/91 während der großen Aufbaujahre gebraucht. Dann wäre möglicherweise vieles besser und zügiger gegangen, obwohl auf dem Feld sicher auch einiges gemacht worden ist. Ich denke an das Investitionsbeschleunigungsgesetz und dergleichen. Ich glaube, man muss konkret werden, wenn man eine Experimentierklausel einführt und dafür eine Grundgesetzänderung braucht. Da ist es nicht nur mit ein paar einfachen Baustandards getan. Die Vorschläge müssen schon Substanz haben. Bisher fällt das, was die Ministerpräsidenten aus den neuen Ländern dazu beigetragen haben, dürftig aus. Den Bürokratieabbau sollten wir im Dialog mit der Wirtschaft, mit der Industrie in Angriff nehmen. Dies ist eine große Chance für unsere Wirtschaft. Die Bundesregierung selbst - Sie haben dies heute noch einmal deutlich gehört - will die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten. Das wird Dynamik bringen. Ich glaube, dass wir auch das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb reformieren müssen. Sie wissen, wovon ich rede. Sie, die FDP, haben jahrzehntelang versucht, die Ladenöffnungszeiten auszuweiten; Sie haben dies aber nie geschafft. ({13}) Eher bricht Ihr Laden auseinander, als dass Sie es schaffen, die Ladenöffnungszeiten zu verändern. So ist das nun einmal. ({14}) - Tut mir leid. Ich kenne die Tiraden von Bangemann über Möllemann bis Rexrodt. Auf diesem Feld hat sich aber nichts getan. ({15}) Wir gehen dies an und werden die Öffnungszeiten ausweiten. Dies ist in der jetzigen Situation, wo das Kaufverhalten, das Konsumverhalten eher zurückgegangen ist, ein wichtiger Beitrag, um wieder Schwung in die Wirtschaft zu bringen. Dies ist ein innovatives Vorgehen, welches uns nicht viel Geld kostet. ({16}) Nutzen Sie das Angebot, das heute vom Wirtschaftsminister deutlich ausgesprochen worden ist! Gehen Sie auf die Möglichkeiten, die wir Ihnen anbieten, ein! Arbeiten Sie mit uns zusammen! Lassen Sie diese Negativrhetorik, um den Standort herunterzuputzen! Ich konzediere Ihnen, dass die Vorschläge, die Sie unterbreitet haben, natürlich ebenfalls Ansatzpunkte enthalten, über die man reden kann. Das ist keine Frage. Dazu gehören etwa die 500-Euro-Jobs und deren Ausweitung auf andere Bereiche. Bezüglich dieser Fragen signalisieren wir ebenfalls ein konstruktives Herangehen. Dies haben wir uns in der Koalition vorgenommen. Ich denke, bei solchen Fragen sollte man zusammenkommen. Das gilt auch für die betrieblichen Bündnisse für Arbeit. Zum Teil gibt es sie; zum Teil haben sie ein wirklich neues Klima in den Betrieben und in unserer Volkswirtschaft geschaffen. Ich glaube, an vielem ist etwas dran. Ich lese momentan mit wachsendem Interesse die Vorschläge von den Verbänden, vom BDI und vom ehemaligen BDI-Präsidenten Henkel. Es gibt eine Reihe von Punkten, über die man sich verständigen kann. Aber auch diese Regierung bietet Ihnen genügend an, auf das Sie eingehen sollten. Nur in konstruktiver Zusammenarbeit werden wir den Standort modernisieren und nicht, indem wir gegeneinander arbeiten, uns gegenseitig profilieren und die Brocken um die Ohren hauen. Dies wird uns nichts bringen und zu nichts führen. ({17})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dirk Niebel, FDPFraktion.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann mich noch ganz gut daran erinnern, wie Ihr Bundesfinanzminister die Störung des wirtschaftlichen Gleichgewichts hier hat feststellen lassen. ({0}) Nun versuchen Sie immer wieder, den Menschen in diesem Land zu erzählen, wir würden die Situation schlechtreden. Aber Sie machen doch die schlechte Politik, die dazu führt, dass es so ist, wie es nun einmal ist, dass wir Haushaltslöcher haben, dass die sozialen Sicherungssysteme kaum noch finanzierbar sind ({1}) und dass die Arbeitslosigkeit stetig weiter ansteigt. Wir haben die höchste Novemberarbeitslosigkeit seit 1997. Dies ist das Ergebnis Ihrer Politik und nicht des Handelns der Opposition. ({2}) Dass Sie immer wieder sagen, wir müssten Vorschläge machen, wir sollten etwas einbringen, verwundert mich schon sehr. ({3}) Frau Dückert, Ihnen habe ich einmal eine Auflistung unserer parlamentarischen Initiativen mitgebracht. In der 14. Legislaturperiode waren es 21 allein zum Arbeitsmarkt und in der 15. Legislaturperiode sind es bereits vier allein zum Arbeitsmarkt ohne den gesamten wirtschaftspolitischen Bereich. Ich kann Ihnen die Drucksachennummern nachher gern geben. Wenn Sie aber in Bundes1048 tagsdrucksachen nicht hineinsehen, brauchen wir uns auch nicht darüber zu wundern, dass die Politik von RotGrün nicht besser wird. ({4}) - Herr Stiegler hat hier gerade eine Rede gehalten und das Haus verlassen. Das führt natürlich dazu, dass er bessere Vorschläge nicht hören kann. Allerdings haben wir nach der „Bild“-Zeitung von gestern von ihm tatsächlich eine Hardcorerede erwartet. Man muss ganz deutlich sagen: Die Intonierung, aber auch der Wahrheitsgehalt der Rede des Kollegen Stiegler sind Ausdruck einer fortgesetzten chronischen Logorrhö. Für die Kolleginnen und Kollegen, die nicht wissen, was das ist: Das ist verbale Diarrhö. Als solches muss man dies bezeichnen. So kann man in diesem Haus keine Politik machen. ({5}) Wir müssen es hinbekommen, dass die Menschen in diesem Lande Geld zum Konsumieren und die Betriebe Geld zum Investieren haben. Nur dies schafft Arbeitsplätze. Da kann sich der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion nicht hier hinstellen und sagen: Konsumiert nicht mehr, gebt das Geld dem Staat! Dies ist ein typisches Linke-Tasche-rechte-Tasche-Denken: ({6}) Vater Staat nimmt den deutschen Michel mit seiner Schlafmütze an die Hand und führt ihn durch das Leben, damit wir eine Taschengeldempfängergesellschaft werden. Das hat doch mit der Vorstellung von mündigen Bürgerinnen und Bürgern überhaupt nichts mehr zu tun. ({7}) Einer Ihrer wichtigsten Punkte zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist angeblich die Eins-zu-eins-Umsetzung des so genannten Hartz-Papiers. Das ist mittlerweile ein Richard-Kimble-Papier geworden; denn Hartz befindet sich auf der Flucht. ({8}) Sie haben alles Mögliche gemacht, aber nicht dieses Konzept eins zu eins umgesetzt. Es steht vielmehr eins zu null für die Gewerkschaften. Sie können mit Ihrem Konzept keinen zusätzlichen Arbeitsplatz schaffen. Sie können auch nicht die im Haushaltsplan vorgesehenen 5,8 Milliarden Euro einsparen; denn alle Annahmen, die Sie zugrunde gelegt haben, werden leider nicht greifen. Sie werden nicht subventionierte, in der privaten Zeitarbeitsbranche angesiedelte Arbeitsplätze mit staatlichen Geldern aus Beitragsmitteln und Steuermitteln kaputtmachen. Sie werden die Zeitarbeitsbranche faktisch verstaatlichen, wenn wir im Vermittlungsausschuss keine Änderungen erreichen können. Wir können Änderungen in diesem Teil aber nur erreichen - er ist bekanntlich nicht zustimmungspflichtig -, wenn Sie bereit sind, beim zustimmungspflichtigen Teil einen Handel einzugehen. Wir wollen einmal sehen, ob Sie dazu bereit sind. ({9}) Wenn Sie dazu nicht bereit sind - das entnehme ich Ihrem Zwischenruf von der Regierungsbank, Herr Clement -, dann ist nicht die Opposition, sondern dann sind Sie der Blockierer. ({10}) Dann sind Sie derjenige, der verhindert, dass Menschen in diesem Land eine Chance haben, in den Arbeitsprozess zurückzukehren. Wenn Sie schon nicht bereit sind, die Vorschläge der FDP umzusetzen - das kann ich verstehen -, ({11}) dann sollten Sie zumindest bereit sein, den Vorschlägen Ihres Sachverständigenrates zu folgen. Diese Vorschläge decken sich übrigens im Gegensatz zu Ihrem Hartz-Konzept eins zu eins mit unseren Vorschlägen. Da Sie anscheinend nicht bereit sind, diesen Vorschlägen zu folgen, weil Sie der Meinung sind, das sei parlamentarisch nicht verankert, möchte ich Ihnen mit der Erlaubnis der Frau Präsidentin zwei Zitate vorlesen: Die Entbürokratisierung des Arbeitsmarktes ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für einen kräftigen Beschäftigungszuwachs. ({12}) Die Regelungsintensität führt zu einer unzureichenden Durchlässigkeit des Arbeitsmarktes und zu einem hohen Anteil von Langzeitarbeitslosen. ({13}) Weiteres Zitat: Um insbesondere älteren und gering qualifizierten Arbeitnehmern größere Beschäftigungschancen zu eröffnen und Einstellungsbarrieren zu beseitigen, dürfen keine Denkverbote zu einer Flexibilisierung des Kündigungsschutzes, der Gestaltung befristeter Beschäftigungsverhältnisse und Teilzeitarbeit aufgebaut werden. Hier liegen große Beschäftigungspotenziale. ({14}) So Oswald Metzger am 18. Januar 2002. ({15}) Hören Sie wenigstens auf den Sachverstand Ihres ehemaligen Kollegen in der Koalition. Er hat nicht nur bei der Frage, wie diese Bundesregierung mit den Finanzen umgeht, Recht, sondern er hat auch bei der Frage Recht, wie man den Arbeitsmarkt flexibilisieren und entriestern kann. Sie dürfen nicht allein die Rolle des Hartz-Stellvertreters spielen, sondern Sie müssen dafür sorgen, dass Gesetze gemacht werden, die in der Gesellschaft mehrheitsfähig sind. Das können Sie nicht schaffen, wenn Sie sich nur unter dem Diktat von Herrn Sommer und des Deutschen Gewerkschaftsbundes bewegen. Angesichts eines Gewerkschaftsmitgliederanteils von 74,1 Prozent in der SPD-Fraktion und fast 25 Prozent in der grünen Bundestagsfraktion wundert es mich nicht, dass Sie sich hier in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis befinden. Ich erkenne ausdrücklich die Notwendigkeit von Gewerkschaften an. Das tut übrigens die gesamte FDP-Fraktion. Wir wollen nämlich nicht, dass Menschen ausgebeutet werden. Wir erkennen aber zu keinem Zeitpunkt an, dass die Gewerkschaften versuchen, die Richtlinien der Politik zu bestimmen. Das muss der Herr Bundeskanzler machen; dafür ist er gewählt worden. Diesen Anspruch haben wir. Ihr Haushalt weist in die falsche Richtung. Sie werden die Arbeitslosigkeit mit den politischen Ansätzen, die Sie vorgeschlagen haben, nicht dauerhaft abbauen. Sie werden bestenfalls die Statistik verändern. Auch das hatten wir schon einmal. ({16})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Klaus Brandner, SPDFraktion.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und neue Arbeitsplätze zu schaffen ist die Hauptaufgabe der Beschäftigungspolitik. ({0}) Diese wird nur erledigt werden können, wenn wir den Konsolidierungskurs beschreiten. An ihm führt kein Weg vorbei. Der Haushalt des neuen Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit berücksichtigt genau dieses Ziel. Ich habe mich sehr gewundert, Herr Laumann, dass Sie zum Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit und zum Haushalt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit nichts, aber auch gar nichts gesagt haben. ({1}) Insbesondere Sie von der CDU/CSU-Fraktion tun immer noch so, als spiele die Verschuldung in diesem Land überhaupt keine Rolle. ({2}) Sie tun so, als könnten Sie sich gemütlich in den Fernsehsessel zurücklehnen und herumkritteln. Qualifizierte Vorschläge habe ich bisher nicht gehört. ({3}) Meine Damen und Herren, wir haben nichts, aber auch gar nichts gegen Ausruhen, wenn man eine qualifizierte Leistung gebracht hat. Dann hat man sogar einen Anspruch darauf. Aber Ihre Hinterlassenschaft war - um das deutlich zu sagen - eben keine gute Leistung. Ihre Hinterlassenschaft waren die höchsten Schulden, die wir jemals in diesem Land gehabt haben. Ihre Hinterlassenschaft war der höchste Steuerstand, den wir jemals gehabt haben. Ihre Hinterlassenschaft waren die höchsten Sozialversicherungsbeiträge, die wir jemals in diesem Land gehabt haben. Ihre Hinterlassenschaft war die höchste Arbeitslosigkeit, die wir jemals gehabt haben. ({4}) Kollege Laumann, in diesem Zusammenhang sprechen Sie von einer Grundphilosophie, die in jedem Volk fast eingemauert sein solle, nämlich dass man netto mehr in der Tasche haben solle. Da müssen Sie aber 16 Jahre lang nicht aufgepasst haben; da müssen Sie 16 Jahre lang geschlafen haben. Jetzt wollen Sie uns eine Philosophie einreden, für die Sie in der Vergangenheit überhaupt kein Ohr gehabt haben. Wer so etwas macht, hat die Versetzung nicht verdient. Er hat insbesondere verdient, in der Opposition zu bleiben, weil er in seiner Politik seine eigenen Ansprüche nicht erfüllt hat. ({5}) Meine Damen und Herren, eine nachhaltige Beschäftigungsstrategie ist ohne eine Konsolidierung des Staatshaushaltes wahrlich nicht denkbar. Konsolidierung ist allerdings für uns Sozialdemokraten kein Selbstzweck. Wir werden jeden Spielraum für Wachstumspolitik nutzen. Schon die Hartz-Gesetze sind in diese Strategie voll eingebunden. Die gestrigen Arbeitsmarktzahlen sind aus unserer Sicht beileibe kein Grund zum Jubeln. Aber die Schwarzmalerei der CDU/CSU, die wir heute wieder erlebt haben, hilft erst recht nicht weiter. Denn die Arbeitslosenquote in Deutschland liegt im europäischen Mittelfeld. Nach der EU-Statistik liegt sie bei 8,3 Prozent gegenüber 8,4 Prozent im Durchschnitt des Euroraums. Die Hartz-Gesetze werden vor allem bewirken, dass das Wachstum beschäftigungswirksamer wird. Das heißt, bei gleichem Wachstum wird es mehr Arbeitsplätze geben. Hinzu kommt die Erschließung neuer Beschäftigungsfelder vor allem im Bereich der haushaltsnahen Dienstleistungen. Wir haben die Gestaltungsspielräume genutzt. ({6}) Insgesamt sparen wir durch die Hartz-Gesetze unabhängig von Effizienzgewinnen allein im ersten Jahr 2,5 Milliarden Euro und danach circa 3,5 Milliarden Euro ein. Wir machen beispielsweise bereits jetzt einen ersten Schritt zur Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe: Wir nähern die Regelungen zur Anrechnung von Einkommen und Vermögen in beiden Systemen aneinander stark an. Hinzu kommen noch die Einsparungen beim Unterhaltsgeld. Wer an Qualifizierungsmaßnahmen teilnimmt, soll dies nicht in erster Linie tun, um den Anspruch auf Lohn1050 ersatzleistungen zu verlängern. Die aktive Förderung steht bei uns im Vordergrund. Dies wird im Übrigen auch durch die Umstellung auf Bildungsgutscheine erreicht. Hier setzt eine umfangreiche Entbürokratisierung ein, die zu mehr Effizienz bei der Bundesanstalt für Arbeit führen wird. Die Bildungsträger werden sich aktiver in die Arbeitsvermittlung einschalten. Deshalb wird es immer seltener vorkommen, dass die Teilnehmer im Anschluss an Maßnahmen immer noch arbeitslos sein werden. Viel wichtiger aber noch ist die schnelle Vermittlung. Die Einrichtung von Personal-Service-Agenturen und weitere Instrumente bringen Einsparungen von insgesamt 2,3 Milliarden Euro. Das ist ein Effizienzgewinn, denn im Endeffekt gibt es weniger Arbeitslose. Das entlastet die Bundesanstalt für Arbeit. Ihr Haushalt wird zum ersten Mal seit Jahren ohne Zuschuss des Bundes auskommen. Allein das ist schon ein großer Erfolg. Deutlich zurück geht auch der Ansatz für die Arbeitslosenhilfe, nämlich um insgesamt 2,5 Milliarden Euro. ({7}) Natürlich fällt uns eine solche Operation nicht leicht. Die Ausrichtung des Haushalts folgt jedoch strikt der Maxime des Förderns und Forderns. Das ist unsere Philosophie in der Arbeitsmarktpolitik. Dennoch wird es bei den Betroffenen, die über nur wenig Geld verfügen, zu erheblichen Einschnitten kommen. Aber Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, geht das alles noch nicht weit genug. Sie fordern viel tiefere Einschnitte. Sie lamentieren dagegen aber bei jedem Abbau von Steuervergünstigungen öffentlich herum. Hier muss deutlich gesagt werden: Jedes Maß ist Ihnen da verloren gegangen. ({8}) Die CDU/CSU macht es sich allerdings entschieden zu einfach, wenn sie sofort die Arbeitslosenhilfe auf das Sozialhilfeniveau absenken will. Das ist ja ihre Forderung. Die Systeme müssen aus unserer Sicht so zusammengeführt werden, dass die aktive Hilfe aus einer Hand im Vordergrund steht. Dabei gilt unser Versprechen: Die neue Leistung, das Arbeitslosengeld II, wird über dem Niveau der Sozialhilfe liegen. Die Menschen wissen, dass der Staat sparen muss, aber bitte mit Augenmaß. Völlig einseitige Vorschläge, wie Sie sie durchsetzen wollen, sind mit uns auch im Vermittlungsausschuss nicht zu machen. Wir stehen für einen konstruktiven Kompromiss. Sie haben heute das Thema Zeitarbeit angesprochen. Sie wollen darüber reden; doch dabei vernebeln Sie die Situation. Die Personal-Service-Agenturen können auf der Basis jetziger Tarifverträge ihre Arbeit beginnen, sie können sofort starten. Mit Ihrer Diskussion sorgen Sie aber dafür, dass die Situation unklar wird. Das trägt nicht dazu bei, dass Personal-Service-Agenturen schnell entstehen und ihre Arbeit offensiv machen können. ({9}) Bitte sorgen Sie für Klarheit! Sagen Sie den Menschen, dass es überhaupt keine Hemmnisse gibt, die den Einstieg der Personal-Service-Agenturen behindern. Ansonsten sind Sie doch für Deregulierung. Tagein tagaus reden Sie darüber in Sonntagsdebatten. Jetzt, da wir die größte Deregulierung in der Zeitarbeit vornehmen, werfen Sie uns vor, dass wir die Flexibilität für die Betriebe durch tarifvertragliche Bindungen aufgeben wollen. Ich habe den Eindruck, dass Sie hierbei einseitig Arbeitgeberinteressen vertreten. Wenn CDA-Vertreter hier so eindeutig gegen Tarifverträge und Gewerkschaften wettern, dann zeigt das deutlich, wohin die CDU/CSU, insbesondere die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft, marschiert. ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Teile der Arbeitgeber - wir wissen das - sind prinzipiell gegen Tarifverträge. Das ist eine Politik, die mit uns nicht zu machen ist. Tarifverträge haben sich als soziales Schlichtungsinstrument, als Friedensinstrument in dieser Republik bewährt. Sie sind betriebsnah und geben den notwendigen Schutz. Gleichzeitig gewährleisten sie eine entsprechende Flexibilität. Deshalb stehen wir zu Tarifverträgen und bauen darauf, dass die Gewerkschaften, wie sie es zugesagt haben, mit den Arbeitgebern schnellstens zu tarifvertraglichen Regelungen kommen werden. Indem Sie sich mit Teilen des BZA und anderen Verbänden im Arbeitgeberbereich zum Sprachrohr der Arbeitgeberseite machen und dafür streiten, dass die Arbeitgeberseite möglichst nicht tariffähig ist, sorgen Sie dafür, dass die Zeitarbeit nicht in dem Maße, wie wir es vorschlagen, dereguliert werden kann. ({11}) Im Übrigen sprechen Sie die 325-Euro-Verhältnisse an. Die Zeit ist scheinbar vorbei, in der Herr Laumann Arm in Arm mit Herrn Blüm gegen Überstunden und das Ausfransen des Normalarbeitsverhältnisses marschiert ist. Es gab genügend Aktivitäten vor der letzten Legislaturperiode, um diesen Bereich tarifvertraglich und gesetzlich vernünftig zu regeln. Nun wird gefordert, die 325-Euro-Beschäftigungsverhältnisse quasi sozialversicherungsfrei zu gestalten, um damit nichts anderes zu bewirken, als dass Überstunden zukünftig in diesem Land generell sozialabgabenfrei sein sollen. Das muss man sich vor dem Hintergrund der Arbeitslosigkeit in unserem Land einmal vorstellen. Anstatt für den Abbau von Überstunden zu streiten und dafür maßgeschneiderte Regelungen zu organisieren, beginnen Sie eine Neiddebatte und gaukeln den Menschen vor, dass auf die Sozialabgaben, die auf 325-Euro-Jobs erhoben werden, verzichtet werden kann. Sie werden damit die Sozialkassen plündern und bewirken, dass zusätzliche Beitragssatzanhebungen erfolgen müssen. ({12}) Das mag für Sie eine Legitimation sein, um einen stärkeren Sozialabbau durchführen zu können. Mit uns ist ein solches Chaosprogramm jedenfalls nicht zu machen. ({13}) Beim Kündigungsschutz sind Sie ähnlich schief gewickelt. Vor der letzten Legislaturperiode hatten Sie den Kündigungsschutz in kleinen Betrieben abgeschafft und öffentlich angekündigt, dass es dafür im Gegenzug Hunderttausende von neuen Arbeitsplätzen geben würde. ({14}) - 100 000 zusätzliche Arbeitsplätze allein im Handwerk, Herr Hinsken! ({15}) - Soll ich Ihnen die Pressemitteilungen raussuchen? Werden Sie doch nicht nervös! ({16}) Sie wissen aber genau, dass es mehr Arbeitslose und nicht weniger gegeben hat. Wir haben es 1998 korrigieren müssen. Anstatt mitzuhelfen, dass die Debatte über den Kündigungsschutz auf eine solide Basis gestellt wird, polemisieren Sie weiter in der Öffentlichkeit und tun so, als wäre ein Mindestmaß an sozialem Schutz verantwortlich für die Arbeitslosigkeit in diesem Land. Das ist nicht in Ordnung. ({17}) Wir haben befristete Arbeitsverhältnisse. Wir haben Zeitarbeit. Wir haben im Hartz-Gesetz geregelt, dass 50-jährige Arbeitslose ohne Sachgrund dauerhaft befristet beschäftigt werden können. Wenn es Ihnen so am Herzen liegt, dann stimmen Sie dem Hartz-Gesetz doch zu; dann haben Sie die Möglichkeit, die Sie wollen. ({18}) Eines steht fest: Zur Schaffung von Tagelöhnern und von amerikanischen Verhältnissen des Heuerns und Feuerns sind wir jedenfalls nicht bereit. Wir werden weiterhin notwendige Flexibilitäten mit sozialer Sicherheit verbinden. Das ist unser Auftrag. Ich bin davon überzeugt, die Mehrheit in diesem Land wird diesen Auftrag als richtig ansehen. Herr Fuchtel hat sich wieder so geäußert - wie es so seine Masche ist -, als wäre Hartz ein Projekt für die Großindustrie. Nein, Hartz ist ein Projekt für den typischen Mittelstand. Was werden die Personal-ServiceAgenturen denn machen? Sie werden bei den mittelständischen Unternehmen, die keine großen Personalabteilungen haben, Beschäftigungschancen organisieren, indem diese auf Personal aus den Service-Agenturen zurückgreifen können. Auf der anderen Seite erleichtern Personal-Service-Agenturen damit den Einstieg in den Arbeitsprozess. Die Personal-Service-Agenturen werden gerade mittelständischen Unternehmen Personaldienstleistungen abnehmen. Ein besseres Programm für den Mittelstand als Hartz gibt es nicht. ({19}) Das Gleiche trifft auch für die Frage der Qualifizierung zu. Die Großbetriebe haben eigene Qualifizierungsabteilungen. Sie brauchen nicht auf die gesetzlichen Maßnahmen zurückzugreifen. Aber die Kleinbetriebe sind darauf angewiesen, in einer Zeit, in der sich die Qualifizierungsanforderungen so schnell wandeln, staatliche Unterstützung zu bekommen, von arbeitsmarktpolitischen Mitteln profitieren zu können. Deshalb haben wir sowohl im JobAQTIV-Gesetz als auch bei anderen Maßnahmen ganz besondere Förderinstrumente für kleine Betriebe vorgesehen. Sie aber wollen der Öffentlichkeit weismachen, das, was wir hier beschließen wollen, wäre ein Werk für die Großindustrie. Das ist völlig verfehlt. Lenken Sie doch nicht von den Inhalten des Gesetzes ab! Gestehen Sie einmal ein, dass wir ein Gesetz für den Mittelstand machen, zu dem Sie nicht in der Lage sind! ({20}) Im Vermittlungsausschuss wollen Sie mit uns zusammenarbeiten und ein konkretes Vermittlungsergebnis erzielen. Was Sie heute dazu gesagt haben, lässt jedoch eher darauf schließen, dass Sie nur so tun, als wollten Sie das. Tatsächlich aber bauen Sie die Hürden und die Strukturen so, dass deutlich wird, dass Sie ein Vermittlungsergebnis überhaupt nicht erzielen wollen. ({21}) Denn richtig ist: Die Vorschläge, die Sie gemacht haben, sind nicht konstruktiv. Ihre Forderung zur Zeitarbeit - ich habe darüber gesprochen - ist ebenso erledigt wie die zum Kündigungsschutz. Bei den 325-Euro-Jobs können Sie nicht zulassen, dass Überstunden sozialversicherungspflichtig sind. Die Minijobs, die Sie fordern, sind im Hartz-Paket vorgesehen. ({22}) Insofern meine ich, haben Sie eigentlich allen Grund, unserem Paket zuzustimmen. Wenn Sie sich aus wahltaktischen Gründen im Hinblick auf den 2. Februar des nächsten Jahres damit schwer tun, dann sollten Sie wenigstens so ehrlich sein und wie Ihr ehemaliger Superministerkandidat sagen: Hartz ist eine revolutionäre Idee. Wir setzen Hartz eins zu eins um. Jetzt stehen Sie doch endlich einmal zu dem Paket! ({23}) Lassen Sie mich auch mit Blick auf die Sozialversicherungsbeiträge und auf die Lohnnebenkosten zum Schluss Folgendes sagen: Mit Hartz und mit dem arbeitsmarktpolitischen Programm schlagen wir eine Richtung ein, die dazu führen wird, dass die Lohnnebenkosten langfristig gesenkt werden können. Bereits im Laufe des Jahres 2003 werden wir eine Stabilisierung und gegen Ende einen Wiederanstieg der Beschäftigung haben. 2004 kommt dann noch die große Reform durch die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe hinzu. Als weiterer Impuls für den Arbeitsmarkt könnte dann nach meiner Einschätzung auch eine Beitragssenkung folgen. Wir jedenfalls - das will ich deutlich sagen - haben Konsolidierungsanstrengungen für eine positive Wachstumspolitik unternommen. Wir haben die Weichen in die richtige Richtung gestellt. Wir haben den Grundstein gelegt. Sie haben allen Grund mitzumachen, damit es zukünftig auch mit Ihrer parlamentarischen Unterstützung weniger Arbeitslose in diesem Land gibt. ({24})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Hartmut Schauerte, CDU/CSU-Fraktion.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte versuchen, mit Ihnen einmal darüber nachzudenken, wie man Vertrauen in der Volkswirtschaft herstellen könnte, wie wichtig das wäre und woran es liegen könnte, wenn wir das nicht schaffen. Warum sollte in Deutschland bei den Mittelständlern, die eigentlich am liebsten über volle Auftragsbücher reden und nur sehr ungern jammern, und bei den Arbeitnehmern, die gern über ausreichende Mittel für ihren Konsum verfügen und ebenfalls nicht gern jammern, die Hoffnung entstehen, dass sich die Dinge jetzt ändern, dass es jetzt besser wird? Was ist die Ursache dafür, wenn das nicht gelingt? Wenn ich einmal darüber nachdenke, wie der Start der Regierung war, wie sie sich präsentiert hat, mit einer Vielzahl von sich zum Teil heftig widersprechenden Vorschlägen, die nicht zu Ende gedacht waren, und wie so die erste große allgemeine Verunsicherung produziert wurde, stelle ich fest: Das trägt wahrlich nicht dazu bei, dass Vertrauen wachsen kann, das wichtig ist, um die Konjunktur wieder nach vorn zu bringen. Was dagegen die CDU/CSU vorgelegt hat - einschließlich der zehn Punkte, die Christian Wulff jetzt vorgestellt hat -, ist exakt das, was wir in unserem Regierungsprogramm versprochen haben. Wir unterscheiden uns von der SPD zurzeit dadurch, dass wir den Menschen unser Programm noch einmal zeigen und sagen können: „Das haben wir vorher gesagt und das tun wir hinterher“, während Sie es mit einer unglaublichen Brutalität exakt umgekehrt machen. ({0}) Sie tun bei einer sehr großen Anzahl von Maßnahmen das Gegenteil dessen, was Sie den Menschen vor der Wahl versprochen haben. Das ist eine für das Vertrauen in die Volkswirtschaft lebensgefährliche Operation. Ein zweites Element, durch das Vertrauen wachsen könnte, wäre die Ernennung eines wirklichen Superministers. Was heißt eigentlich „Superminister“? Superminister ist jemand, der so viele Erfolge in seinem Leben aufzuweisen hat, dass er sich für die nächste Aufgabe den Vertrauensvorschuss verdient hat, dass er diese Aufgabe auch packen wird. Herr Clement, Ihre Ergebnisse in NordrheinWestfalen sind aber wirklich nicht zum Vorzeigen geeignet und taugen nicht dazu, dass Ihnen deswegen als Person besonderes Vertrauen zuwächst. ({1}) Sie wissen, dass Sie fast alle Baustellen in NordrheinWestfalen unfertig verlassen haben. Sie wissen, dass Nordrhein-Westfalen im letzten Jahr von allen Flächenländern einschließlich der neuen das schlechteste Wirtschaftswachstum hatte, minus ein Prozent, ({2}) und das, nachdem Sie 13 Jahre zentrale Verantwortung für die Entwicklung in Nordrhein-Westfalen getragen hatten. Ihre Leistungsbilanz ist also nicht geeignet, Vertrauen wachsen zu lassen. ({3}) Superminister kann man jemanden nennen, der eine besonders große Aufgabe gestellt bekommen hat, und die haben Sie, der sie aber auch erfüllt. Sie haben immerhin sieben Staatssekretäre, mit denen diese Aufgabe bewältigt werden soll. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Wie setzen Sie diese Autorität, diese Macht, diese besondere Gestaltungskraft, die Sie bekommen haben, jetzt konkret ein, um Vertrauen wachsen zu lassen? Wo ist erkennbar, dass Clement zu schwierigen Entscheidungen steht? Die erste Entscheidung, die Sie treffen mussten, betraf das Hartz-Konzept. Sie hätten es eins zu eins umsetzen können. Herr Clement, wenn Sie es getan hätten, hätten Sie gezeigt, dass Sie stark sind und dass Sie sich durchsetzen können. Es wäre Vertrauen gewachsen und das wäre wichtig gewesen. Stattdessen haben Sie sich schon bei Ihrer ersten Operation wieder von der gewerkschaftlichen Sperrmacht in Ihrer Fraktion bremsen lassen; Sie sind wieder zurückgewichen und nutzen das Potenzial zur Gestaltung nicht so aus, wie es die Volkswirtschaft jetzt braucht. ({4}) Sie wissen ganz genau, dass Sie mit der Einführung des Prinzips von Equal Pay in der Zeitarbeit einen Weg beschreiten, der Arbeitsplätze bei den Zeitarbeitsunternehmen zerstört - 100 000 sind uns prognostiziert -, und Sie haben damit noch nicht einen einzigen zusätzlichen Arbeitnehmer über die Personal-Service-Agenturen vermittelt. ({5}) Wo sagen Sie etwas dazu, wie Sie sich in Zukunft Belastungssenkungen für den Mittelstand und die Konjunktur vorstellen? Nirgendwo! Es gibt keine Aussage von Ihnen! Herr Brandner hat gerade angekündigt - interessanterweise bevor Sie die Erhöhung der Belastungen beschlossen haben -, irgendwann würden Sie die Belastung auch wieder senken. Das war die erste positive Aussage, die ich gehört habe. Von Clement gibt es betreffend einer solchen Vision keine Aussage, kein Mutmachen, nichts. Sie sind dabei, die Belastungen rundherum zu erhöhen, zeigen an keiner Stelle einen Pfad für Wachstum, einen Weg nach vorn, neuen Optimismus ({6}) und werfen uns vor, wir machten das Land schlecht. Wo ist Ihr Hoffnungssignal? Wo ist Ihr Maßnahmenpaket dafür, dass es bald besser wird? Nichts davon ist zu erkennen! Sie verstricken sich in Widersprüche, bieten nur halbe Lösungen an. Ich will ein Beispiel nennen: Vermögensteuer. Aus dieser Debatte erwächst für die Volkswirtschaft eine unglaublich große Verunsicherung. ({7}) - Entschuldigen Sie mal! Selbst der Bundeskanzler ist ja schon nachdenklich geworden. Er hat möglicherweise mehr Zugang zu dem einen oder anderen als Sie. - Wo ist bei der Diskussion um die Vermögensteuer, die im Prinzip eine Unternehmensvermögensteuer sein wird, die Arbeitsplätze in Deutschland gefährdet und vernichtet, die Stimme des Wirtschaftsministers? ({8}) Wo ist er der Hüter der Interessen einer wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik? ({9}) Wo ist der Garant dafür, dass sich die Gewerkschaftsfront in Ihrem Lager nicht permanent durchsetzt? ({10}) Wir haben auf Sie gehofft, Herr Clement. Wir sehen zu wenig. Nur Mut, Sie Löwe vom Rhein! Nur Mut, nicht nur eindrucksvoll gähnen wie der Löwe von Metro Goldwyn Mayer, sondern auch beißen! Gehen Sie ran! ({11}) Sie werden nie wieder so viel Einfluss zur positiven Gestaltung von Wirtschaftspolitik haben wie zurzeit. ({12}) Wenn Sie die Zeit jetzt nicht nutzen, schmilzt Ihr Einfluss - das garantiere ich Ihnen - wie Schnee an der Sonne. ({13}) Nutzen Sie die Zeit! Machen Sie Mut! Geben Sie Gas in der Wirtschaftspolitik! Nichts davon ist zu erkennen. Deswegen ist die Lähmung, die bleierne Schwere, die über der deutschen Volkswirtschaft liegt, mittlerweile ein Ergebnis Ihrer Entschlusslosigkeit. ({14}) Sie hätten der Hoffnungsträger, die Lichtgestalt sein können. Dunkelmann sind Sie. ({15}) Jetzt noch einmal dazu, wo wir Sie vermissen. Wir vermissen zum Beispiel eine klare Aussage von Ihnen zu der Frage: Was soll in der Energiepolitik in Zukunft passieren? ({16}) Die Faktenlage ist, dass nach der Liberalisierung, die wir beschlossen hatten, eine Energiepreisreduzierung für alle deutschen Verbraucher mit einem Gesamtvolumen von etwa 30 bis 40 Milliarden DM eingetreten ist. Mit den jetzt gerade angekündigten Preiserhöhungen der Energiekonzerne, die interessant begründet werden - nämlich: der Wettbewerbsdruck sei nicht mehr so groß, man könne jetzt ohne weiteres sechsprozentige Preiserhöhungen durchsetzen; das ist übrigens Ergebnis der Energiewettbewerbspolitik der letzten vier Jahre -, sind die gesamten Vorteile in der Energiepolitik, die wir erreicht haben, wieder aufgezehrt. Ein Teil ist zurückzuführen auf das, was Umweltfinanzierung ist, was im Prinzip nur dazu dient, die Staatsquotendiskussion zu umgehen; man drückt in die Preise, was man sonst über Steuern gemacht hat; das sind 15 bis 20 Milliarden Euro. Jetzt kommen die nächsten Preiserhöhungen dazu. Herr Clement, Sie müssen sich jetzt irgendwann erklären. Die Grünen sagen nach wie vor: Energie ist in Deutschland zu billig. Sie muss teurer werden, damit weniger verbraucht wird. - Die deutsche Wirtschaft möchte gern hören: Was denkt der Wirtschaftsminister, der ehemalige Ministerpräsident des Landes, in dessen Grenzen 40 Prozent der Energieerzeugung der Bundesrepublik Deutschland stattfindet, darüber? Müssen wir mit weiteren Verschlechterungen in diesem Bereich rechnen oder können wir von ihm hören: „Nein, jetzt ist das Ende der Fahnenstange erreicht; der Trend muss eher umgekehrt werden“? ({17}) - Entschuldigen Sie einmal! Wenn Sie in Deutschland hohe Löhne, hohe Energiepreise und dann auch noch viel Bürokratie haben wollen, dann geht die Wettbewerbsfähigkeit kaputt. ({18}) Also: Erklären Sie sich! Beziehen Sie einmal klar Position und sagen Sie, was Sie in der Energiepolitik wollen! Ich komme zum Schluss. ({19}) - Ja, Sie wollen nach Hause; das ist klar. ({20}) Aber die Lage in Deutschland ist sehr ernst. Sie sollten ruhig nachsitzen, damit die Arbeit erledigt wird, die wir in diesem Land haben. ({21}) Wir von der Opposition handeln einzig und allein nach folgender Prämisse: Wir werden alle Maßnahmen unterstützen, die unserem Land erkennbar nach vorne helfen; ({22}) leider sehe ich bei Ihnen nur wenige Maßnahmen, die wirklich helfen. Mit dem gleichen Ernst und der gleichen Verantwortung werden wir Vorhaben, die dem Land schaden, blockieren müssen; denn wir können nicht die Hand reichen bei falschen Rezepten, die uns tiefer in das Loch hineinreißen und die uns nicht auf den Weg des Wachstums zurückführen werden. Herzlichen Dank. ({23})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, fraktionslos.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste, ich bin Abgeordnete der PDS. Die wenigen Minuten, die mir zur Verfügung stehen, will ich dem Thema Leiharbeit widmen. Leiharbeit ist als die zentrale Lösung entdeckt worden. Sie soll zu massiven Einsparungen im Bundeshaushalt führen. Leiharbeit wird als das Herzstück des Hartz-Konzeptes gefeiert. Schaut man sich allerdings in anderen Ländern um, dann sieht man, dass dort der Anteil der Leiharbeiter an der Gesamtzahl der Beschäftigten nur einen Bruchteil ausmacht. Selbst in den Vereinigten Staaten, die immer als Beispiel herangezogen werden, ist der Anteil verschwindend gering. Der Ansatz von Hartz geht davon aus, dass die Leiharbeit ein niedrigschwelliges Angebot für Unternehmen ist. Sie haben die Möglichkeit, den arbeitslosen Leiharbeiter im Arbeitsprozess kennen zu lernen, um dann zu entscheiden, ob sie ihn übernehmen wollen oder nicht. So entsteht der Eindruck, dass man, wenn man sich halbwegs anständig benimmt und seine Arbeit gut macht, übernommen wird. Wer allerdings nicht übernommen wird, hat ein Problem. Er ist wieder arbeitslos und steht gleichzeitig unter dem Verdacht, dass er sich offensichtlich nicht ordentlich genug benommen hat, dass er nicht ordentlich gearbeitet hat, dass er geklaut hat oder dass er vielleicht auch nur unpünktlich war. So entsteht durch Arbeitslosigkeit und fehlgeschlagene Vermittlung eine doppelte Stigmatisierung. Dabei ist es in der Regel wohl eher so, dass die Leiharbeiter Produktionsspitzen auffangen oder die Stammbelegschaft sogar teilweise ersetzen sollen. Doch das wird der Öffentlichkeit kaum vermittelt. Der arbeitslose Leiharbeiter gerät in Erklärungsnot gegenüber seiner Familie und seinem Freundeskreis. Ich denke, dass Leiharbeit die psychischen Probleme der Arbeitslosen noch potenzieren wird. Herr Clement, versuchen Sie, sich nur einen Moment vorzustellen, Sie wären nicht als Superminister vom Kanzler geholt worden, sondern als Leihbeamter bzw. Leihminister. Selbst wenn Ihnen das gleiche Geld wie Ihren Ministerkollegen geboten worden wäre, Sie wären nicht so einfach nach Berlin gekommen; es musste schon ein Superministerium sein. Ich kann mich in Ihre Psyche, Herr Clement, gut hineinversetzen. Die Frage ist, ob Sie sich in die Psyche der Arbeitslosen hineinversetzen können, die zu Leiharbeitern gemacht werden sollen. Meine Damen und Herren, nach der Ablehnung des Konzepts durch den Bundesrat gibt es eine große Diskussion darüber, ob die Leiharbeiter unter Tarif angestellt werden sollen. Für Langzeitarbeitslose und Schwervermittelbare hält Herr Gerster Arbeitslöhne von 20 bis 30 Prozent unter dem normalen Tarif für angemessen. Auch Frau Simonis und andere sozialdemokratische Ministerpräsidenten sind dieser Meinung. Ich finde, dass diese Diskussion das Pferd von hinten aufzäumt. Es lohnt sich, darüber einmal nachzudenken. Warum stellt sich eigentlich keiner die Frage, ob nicht die Zwischenschaltung von Zeitarbeitsfirmen, die an der Vermittlung ein bisschen verdienen wollen, die Lohnkosten für die Leiharbeiter zusätzlich zu stark erhöht? Ich habe mich in der letzten Woche mit einem Berliner Unternehmer aus dem Hightechbereich unterhalten. Er hat eine Produktion mit 35 Beschäftigten und würde bei Auftragsspitzen gerne Leiharbeiter einstellen. Doch die sind, da die Leiharbeitsfirmen daran verdienen, teurer als seine eigenen Arbeitnehmer. ({0}) Er zieht daraus einen ganz anderen Schluss als Frau Simonis und Herr Gerster. Er fragt sich, warum er für eine Leiharbeitsfirma bezahlen soll, wenn es Arbeitslose gibt, die er bei Produktionsspitzen einstellen könnte. ({1}) - Hören Sie bitte noch weiter an, was ich sagen werde, bevor Sie sich noch weiter aufregen, meine Herren! Aus meiner Sicht mangelt es nicht an Arbeitskräften, sondern an Kapital und an Aufträgen. Damit können die Leiharbeitsfirmen wohl nicht weiterhelfen - und die Bundesregierung offensichtlich auch nicht. Es ist nötig, sich Gedanken über die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen zu machen. Das ist die Aufgabe, die von der Bundesregierung zu wenig angegangen wird. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Johannes Singhammer, CDU/CSU-Fraktion.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Menschen in Deutschland, die Unternehmer und die Arbeitnehmer, warten mit großer Sorge auf mehr Wachstum und Beschäftigung. Der Boden, der Humus, auf dem dies gedeiht, heißt Vertrauen, langfristige Perspektiven und Berechenbarkeit. ({0}) Exakt dieser Humus wird durch diese Bundesregierung Tag für Tag abgetragen. Sie erzeugen Angst, Unsicherheit und produzieren letztendlich ein Untergangsszenario. ({1}) Ich nenne dafür ein paar Beispiele. Wann immer sich Spitzen aus der Fraktion oder der Regierung äußern, erfolgt Widerspruch. ({2}) Kein Mensch weiß, was nun wirklich gilt. Was bedeutet die Äußerung Ihres Fraktionsvorsitzenden, Herrn Müntefering? Er erklärt: „weniger für den privaten Konsum und dem Staat Geld geben“. Gleichzeitig hat die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung festgestellt, dass das Konsumklima mittlerweile auf den tiefsten Stand seit 1996 gefallen ist. Selbstverständlich wird Herrn Müntefering aus Ihrer Fraktion widersprochen, aber es fehlt ein entscheidendes Machtwort. Der Kanzler hat in einem Machtwort erklärt, die Kakophonie in den Reihen der Regierung müsse endlich beendet werden. Diese Worte haben aber wenig Wirkung. ({3}) Der Kollege Stiegler ist gerade nicht anwesend. ({4}) Aber er hat die Worte der Lichtgestalt Deutschlands, des Kommissionsvorsitzenden Professor Rürup, als Professorengeschwätz bezeichnet und gesagt, er „erwarte, dass die Professoren wie Herr Rürup uns nicht länger mit ihrer Ejaculatio praecox beglücken“. Nun ist es immerhin interessant, dass Herr Stiegler erotische Momente in der Politik entdeckt. Ich denke aber, wir brauchen in der Politik keine Sexualberater, sondern wir brauchen wieder mehr Glauben an die Zukunft und die Gewissheit, dass endlich ein anderer Weg eingeschlagen wird. ({5}) Herr Minister Clement, die Durchschlagskraft der Machtworte des Kanzlers haben offensichtlich in der eigenen Fraktion die Wirkung einer Schneeflocke im Hochsommer. ({6}) Wenn Sie hier vortragen, die Probleme seien zwar schwierig, aber die globale und internationale Entwicklung sei dafür verantwortlich und dieser könne man sich nicht entziehen, dann ist das nicht richtig. Wenn das Handwerk in einer schweren Krise ist und 300 000 Arbeitsplätze gefährdet sieht, wenn im Mittelstand Pessimismus um sich greift und 25 Prozent der Firmen in den kommenden sechs Monaten mit Personalabbau rechnen, wenn die Menschen in Deutschland von Tag zu Tag mehr Furcht vor Arbeitslosigkeit haben, dann liegt die Hypothek für diese Entwicklung bei Ihnen. Sie ist hausgemacht. Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Seit 1998, seitdem Sie an der Regierung sind, haben Sie über 300 zusätzliche Bundesgesetze und mehrere Tausend neue Verordnungen erlassen, die vor allem dem Mittelstand das Leben schwer machen. Gerade kleinere und mittlere Unternehmen müssen sich heute mit einer Fülle von kritischen Schwellenwerten herumschlagen, bevor sie zusätzliche Mitarbeiter einstellen können, was wir alle wollen. Ich nenne Ihnen einmal einige Zahlen: Erhöht ein Betrieb seine Mitarbeiterzahl von fünf auf sechs, greift das Kündigungsschutzgesetz. Ab 16 Beschäftigten greift das Recht auf Teilzeitarbeit. Ab 20 Mitarbeitern kommt es zu einer dramatischen Erweiterung der Mitspracherechte. Ab 101 Mitarbeitern muss der Betriebsrat aus mindestens sieben Mitarbeitern bestehen. Ab 200 Beschäftigten ist ein Betriebsratsmitglied auf Kosten des Arbeitgebers vollständig von der Arbeit freizustellen. - Meine sehr geehrten Damen und Herren, das sind die Gründe, die in vielen Fällen Neueinstellungen nicht begünstigen, sondern eher verhindern. ({7}) Hinzu kommen die ständigen Änderungen in Ihrer Politik. Sie kennen sicherlich die Schröder-Witze, die zurzeit Konjunktur haben. Einer dieser Witze lautet: Ein Schröder ist die Zeiteinheit zwischen der Bekanntgabe eines Gesetzes und dessen Rücknahme. Leider stimmt das mittlerweile. Auch die versprochene Umsetzung des Hartz-Konzepts ist nicht erfolgt. Die Kollegin Wöhrl und ich haben Herrn Hartz einen Brief geschrieben und ihn aufgefordert, seinen Namen von diesen verunstalteten Gesetzen zurückzuziehen. ({8}) Herr Hartz hat erklärt - das können Sie überall nachlesen -: Es wurde nicht 1 : 1 umgesetzt und es würde einer erheblichen Nacharbeit bedürfen, um dieses Manko auszugleichen, so, wie diese Pläne derzeit aussehen, wird es jedenfalls nicht möglich sein, 2 Millionen Menschen einen neuen Arbeitsplatz zu verschaffen. Die Unberechenbarkeit und die mangelnde Planbarkeit sind das Kainszeichen, das diese Regierung auf der Stirn trägt, und sie verhindern, dass Investitionsentscheidungen getroffen werden, weil Ihnen kein Mensch mehr vertraut und meint, sich auf Ihre Planungen verlassen zu können. ({9}) Wir wollen aber nicht ausweichen, sondern selber Vorschläge unterbreiten. Kollege Laumann hat überzeugend dargestellt, was wir wollen und wo unsere Schwerpunkte liegen. ({10}) Lassen Sie mich in fünf Punkten erläutern, was wir für notwendig halten: Erstens. Sehr wichtig ist, dass die kleinen Jobs, die so genannten Minijobs, mit mindestens 400 Euro gefördert werden, und zwar ohne weitere Abgaben neben der Pauschalsteuer. ({11}) Dabei handelt es sich um ein Investitionsprogramm und eine Konjunkturspritze, die nichts kosten, aber viel bringen. ({12}) Zweitens. Wir wollen das Arbeitsrecht flexibilisieren, das Günstigkeitsprinzip lockern und Entscheidungsbefugnisse auf die Betriebsebene verlagern ({13}) - Sie müssen nicht schreien; Sie sind dadurch nicht eher im Recht -, ohne dass dadurch die Möglichkeiten der Tarifparteien entscheidend geschmälert werden. Drittens. Wir wollen das Gesetz gegen Scheinselbstständigkeit als eines der großen Hindernisse für die Schaffung von Arbeitsplätzen abschaffen. ({14}) Viertens. Des Weiteren wollen wir ein Optionsmodell einführen, das den älteren Arbeitnehmern - um die geht es uns besonders - den Wiedereinstieg in die Beschäftigung erleichtert. ({15}) - Reden Sie einmal mit älteren Arbeitnehmern über 50! ({16}) Ihre Vorschläge führen zu keiner Verbesserung der Situation. Fünftens. Wir wollen fördern, aber auch fordern - insofern haben wir eine ähnliche Formulierung gewählt wie Sie -, allerdings mit Kombi-Einkommen und Einstiegsgeld für Sozialhilfebezieher. Das ist in der Tat wichtig. Derjenige, der arbeitet, muss immer mehr haben als derjenige, der nicht arbeitet. Das ist ein durchgehendes Prinzip. ({17}) Sie haben nach unseren Sparvorschlägen gefragt. Weil wir uns in einer Haushaltsdebatte befinden, will ich dieser Frage auch nicht ausweichen. Wo kann gespart werden? Sie können bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sparen, und zwar weniger in den neuen Bundesländern, wo sie gebraucht werden, sondern vielmehr in den alten Bundesländern, wo sie in ihrer bisherigen Form in vielen Bereichen eine Ressourcenverschwendung darstellen. Des Weiteren sind Einsparungen in Bereichen der Fort- und Weiterbildung möglich, in denen die notwendige Qualität nicht gewährleistet ist. Ich möchte betonen, dass die Fort- und Weiterbildung dringender denn je benötigt wird. Aber wir brauchen eine qualitätvolle Fortund Weiterbildung. Deshalb muss die Spreu vom Weizen getrennt werden. Der Bundesrechnungshof - wenn Sie schon nicht auf uns hören, dann vielleicht auf ihn - hat in einem internen Papier, das auch in Teilen der Presse veröffentlicht worden ist, die Effizienz von Weiterbildungsmaßnahmen der Arbeitsämter deutlich kritisiert. Es kann nicht angehen, dass weder Lehrpläne noch Unterrichtsmethoden der Bildungsträger präzise geprüft werden und Erfolgsbilanzen nicht in ausreichender Präzision vorgelegt werden. ({18}) Wenn Sie über den Bereich der Fachpolitik hinausgehen, gibt es noch viele andere Möglichkeiten zu sparen. Auch den Vertretern des Finanzministeriums sei dieser Hinweis gewidmet. Schauen Sie sich einmal den Haushalt der Europäischen Kommission an! Sage und schreibe zum achten Mal hintereinander hat der Europäische Rechnungshof dem Haushalt der Europäischen Union das Testat verweigert. Er will sich mit dem Haushaltsplan der Europäischen Union nicht beschäftigen, weil er so viele Unrichtigkeiten enthält. Ich meine, es dürfte für Sie - Sie haben ja die EU-Kommissarin Schreyer gewählt - sehr lohnend sein, den Hinweisen des Europäischen Rechnungshofs nachzugehen und zu fragen, warum er das Testat verweigert hat und wo die Milliarden geblieben sind, die offensichtlich nicht entsprechend den Bestimmungen ausgegeben worden sind. Hier haben Sie ein lohnendes Gebiet. Wenn Sie sich darum kümmern, werden Sie ohne Probleme einiges einsparen können. ({19}) Der durchgehende Faden meiner Rede ist ja mehr Vertrauen und Berechenbarkeit. Herr Minister Clement, viele in diesem Hause, aber nicht nur hier rechnen damit, dass Sie die Mehrwertsteuer nach dem 2. Februar 2003, wenn die Landtagswahlen in Niedersachsen und Hessen vorbei sind, entgegen Ihren jetzigen Beteuerungen erhöhen werden. ({20}) Ich möchte Sie zum Schluss auffordern: Sagen Sie ohne gedrechselte Formulierungen ganz klar, ob Sie die Mehrwertsteuer nach dem 2. Februar 2003 erhöhen wollen, Ja oder Nein! Wenn Sie das täten, dann wäre das ein erster Schritt hin zu mehr Glaubwürdigkeit und zu mehr Wirtschaftswachstum. ({21})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Rainer Wend, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Rainer Wend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Abgeordnete mit dem bezeichnenden Namen Fuchtel meinte eben dem Bundeswirtschaftsminister vorwerfen zu müssen, er habe einen Tunnelblick und sehe nur noch Statistiken. Ich will Ihnen - das wissen Sie vielleicht nicht, Herr Fuchtel - Folgendes dazu sagen: Als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen war Herr Clement monatelang unterwegs und hat bei den Unternehmen bis hin zu den kleinsten Buden buchstäblich Lehrstellen aufgesammelt, damit die Jugendarbeitslosigkeit bekämpft werden kann. ({0}) Wenn man einem Politiker in diesem Land nicht vorwerfen kann, dass er keine Schicksale, sondern nur Statistiken sehe, dann ist es Minister Clement. Er weiß sehr genau, worüber er redet. ({1}) Zurzeit - das weiß ich sehr wohl - haben wir es nicht immer sehr leicht, mit Vertretern von Verbänden und mit Unternehmern über unsere Politik zu sprechen. Aber jeder räumt ein, dass er verdammt froh sei, dass wir mit Minister Clement jemanden hätten, dem man es geradezu körperlich ansehe, wie er darum kämpfe, dass die Massenarbeitslosigkeit in unserem Land endlich abgebaut werde und dass nicht Statistiken, sondern Menschen und Schicksale gesehen würden. ({2}) Lassen Sie mich noch ein Wort zu den Vorschlägen der Hartz-Kommission sagen. Bei diesen Vorschlägen stehen Überlegungen zum Thema Zeitarbeit im Zentrum.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Wend, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schauerte?

Dr. Rainer Wend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn meine Redezeit angehalten wird, dann ja.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Selbstverständlich.

Dr. Rainer Wend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne, Herr Schauerte. ({0})

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Halt die Luft an! Das wäre am förderlichsten. - Herr Kollege Wend, Sie haben gerade den ehemaligen Ministerpräsidenten Clement für seine erfolgreiche Ausbildungstour durch Nordrhein-Westfalen gelobt. Die Zahlen sprechen aber eine andere Sprache. In keinem anderen Land ist die Jugendarbeitslosigkeit so stark gestiegen wie in Nordrhein-Westfalen. Ich möchte Ihnen eine Zahl konkret nennen - was halten Sie davon? -: Im letzten Jahr sind in Nordrhein-Westfalen 7,2 Prozent der Ausbildungsplätze weggebrochen. Einen solch starken Abbau an Ausbildungsplätzen hat es in keinem anderen Bundesland gegeben. Wollen Sie also an Ihrem Lob für Herrn Clement festhalten oder wollen Sie den Zahlen Rechnung tragen?

Dr. Rainer Wend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte mein Lob für unseren Minister für Wirtschaft und Arbeit sogar ausdehnen, lieber Herr Kollege Schauerte. ({0}) Denn wenn man sieht, dass das Bundesland Bayern über Jahrzehnte von Subventionen, die von anderen Bundesländern, übrigens auch von Nordrhein-Westfalen, bezahlt wurden, gelebt hat, und wenn man sieht, dass in Nordrhein-Westfalen ein sozial abgefederter Strukturwandel in der Kohle- und Stahlindustrie herbeigeführt wurde, der seinesgleichen sucht, dann kann man stolz darauf sein, was Herr Clement als Ministerpräsident in NordrheinWestfalen geleistet hat. ({1}) Ich komme noch einmal auf die Vorschläge der HartzKommission zurück, in deren Zentrum die Zeitarbeit steht. Ich bin unsicher, ob unsere Positionen an dieser Stelle tatsächlich so weit auseinander liegen. Es gibt - auch das ist etwas vereinfacht dargestellt - zwei Kategorien von Zeitarbeitnehmern: Die einen sind gut qualifiziert und können schon jetzt zum Teil hervorragend vermittelt werden. Ist denn die Anwendung des Prinzips „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ auf diese Gruppe wirklich ein Problem, Herr Laumann? Wenn eine Sekretärin bei einer Fraktion als Zeitarbeitnehmerin eingestellt wird, bekommt sie den gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Das ist doch überhaupt kein Thema. In diesem Bereich sollten wir uns einig sein. Problematisch ist die zweite Gruppe, nämlich die Langzeitarbeitslosen, die weniger gut Qualifizierten. Wenn wir denen helfen wollen - das sage ich ganz deutlich -, dann kann doch kein Zweifel daran bestehen, dass ihre Löhne unter denen der klassischen Tarifverträge liegen müssen. Das sollte nicht streitig sein. Streitig könnte nur sein, wie man die Entlohnung der Langzeitarbeitslosen regeln will. Wir wollen dies nicht dem völlig freien Spiel der Kräfte überlassen, sondern wir wollen, dass Gewerkschaften und Zeitarbeitsunternehmen für diese Beschäftigten spezielle Tarifverträge abschließen, nach denen der Lohn unterhalb des üblichen Tariflohns liegt, die aber so gestaltet sind, dass es sich noch lohnt, dafür zu arbeiten. Das ist der Interessenausgleich, den wir hinbekommen wollen. Dafür brauchen wir die Gewerkschaften und die Unternehmerverbände. Wir setzen darauf, dass solche Tarifvereinbarungen in den nächsten Monaten zustande kommen. Ich rate Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, dieses Problem sachlich anzugehen. Sie müssen sich doch auch fragen, ob Sie wollen, dass Gewerkschaften und Unternehmerverbände weiterhin Tarifverträge schließen. Wir halten das für sinnvoll, und zwar nicht nur für Kernarbeitsverhältnisse, sondern auch für Zeitarbeitsverhältnisse. Deshalb lassen Sie uns das machen und an dieser Stelle nicht über Prinzipien streiten. ({2}) Das Hartz-Konzept ist verdammt wichtig, aber nicht alles, meine Damen und Herren. Wenn wir mehr Beschäftigung schaffen wollen, dann brauchen wir eine Offensive für Existenzgründungen, eine Offensive für den Mittelstand. Lassen Sie mich dazu - das richtet sich auch an Sie, Herr Minister Clement - vier konkrete Vorschläge machen: Thema Nummer eins - ich traue mich schon gar nicht mehr, das Wort in den Mund zu nehmen, weil es wirklich eine Banalität ist - ist die Entbürokratisierung. ({3}) Hier muss man aber auf zwei Dinge aufpassen: Wer beim Thema Entbürokratisierung immer nur die Abschaffung der Schutzbestimmungen des Arbeitsrechts im Munde führt, der missbraucht es für Sozialabbau. Das ist mit uns Sozialdemokraten nicht zu machen, Herr Laumann. ({4}) Außerdem sollten wir - das sage ich auch an die Adresse der SPD - mit der Einrichtung von Kommissionen aufhören. ({5}) Jede ministerielle Kommission, egal unter welchem Minister, hat in der Vergangenheit wenig zur Entbürokratisierung beigetragen. Wir müssen uns mehr Mut vornehmen. Das heißt auch, die Idee von Altkanzler Helmut Schmidt aufzugreifen, nämlich in einigen Bereichen unseres Landes bestimmte bürokratische dauerhafte Regelungen außer Kraft zu setzen und anschließend zu prüfen, was dabei herausgekommen ist. Wenn es darum geht, das auszuprobieren, darf man nicht nur über die neuen Länder reden. In Abstimmung mit anderen biete ich gern die sehr mittelständisch geprägte Region Ostwestfalen-Lippe dafür an. ({6}) Das zweite Thema, das ich ansprechen möchte, bezieht sich auf die Ich-AG. Dies muss ausgedehnt werden. Wenn wir eine Kultur von Selbstständigkeit und Mittelstand, wenn wir Existenzgründungen wollen, dann müssen wir uns überlegen, ob wir nicht nur für die Ich-AG, sondern insgesamt für Kleinstunternehmen ein spezielles Steuerrecht schaffen sollten, das ihnen in der Phase der Existenzgründung und - wenn sie klein bleiben - darüber hinaus einen besonderen steuerlichen Spielraum gibt, um sich im Laufe der Jahre Eigenkapital zu erarbeiten und auf Dauer am Markt tätig zu sein. Ich komme nun auf das dritte Thema zu sprechen. Wir haben große Sorgen im Bereich der Mittelstandsfinanzierung. Es ist richtig, durch Zusammenführung von KfW und DtA eine Mittelstandsbank zu gründen. Dadurch nutzen wir die flexiblen Möglichkeiten der DtA für die Zukunft. Das allein wird aber nicht reichen; denn wir wollen die Förderkredite nach wie vor über die Hausbanken ausreichen und keine direkte Staatsbank schaffen. Wenn dies Erfolg haben soll, müssen wir daran denken, die Margen für die Hausbanken zu erhöhen, und auch über erweiterte Haftungsfreistellungen für die Hausbanken sprechen. Außerdem müssen wir über eine Stärkung der Eigenkapitalbildung durch privates Beteiligungskapital nachdenken. Dieses Instrument ist in Deutschland im Gegensatz zu den angelsächsischen Ländern deutlich unterentwickelt, weil es sich für die Unternehmen in der Vergangenheit mehr gelohnt hat, auf Fremdkapital zurückzugreifen, da die steuerlichen Regelungen von CDU/CSU und FDP das ausgeschüttete Kapital im Vergleich zum einbehaltenen Kapital privilegierten. Das haben wir verändert. Also müssen wir zur Finanzierung des Mittelstandes auch das private Beteiligungskapital wieder stärker in den Vordergrund rücken. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Wend, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wöhrl?

Dr. Rainer Wend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, selbstverständlich, Frau Wöhrl.

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege Wend, ich habe mit Freude vernommen, dass Sie privates Beteiligungskapital künftig wieder besser stellen wollen. Gehe ich richtig in der Annahme, dass Sie dann dem § 17 Einkommensteuergesetz seine frühere Fassung wiedergeben und Steuerfreiheit bis zu einer 20-prozentigen Beteiligung an einer Existenzgründung gewähren wollen? Sie haben dies in Ihrer Regierungszeit auf 1 Prozent gesenkt, sodass der gesamte private Beteiligungskapitalmarkt zusammengebrochen ist.

Dr. Rainer Wend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Wöhrl, es bereitet mir natürlich eine besondere Genugtuung, dass ich Ihnen mit meinen Bemerkungen eine Freude machen konnte. In der Sache aber halte ich es für bezeichnend, dass Sie allein nach Steuersubventionen rufen, wenn ich sage, dass wir die Eigenkapitalbildung in Deutschland dadurch stärken müssen, dass wir wieder privates Eigenkapital in den Vordergrund rücken und die alten steuerlichen Regelungen, die die Hereinnahme von Fremdkapital geradezu begünstigt haben, novellieren. Auf Dauer werden wir keine niedrigen Steuersätze - wir wollen den Eingangssteuersatz auf 15 Prozent senken schaffen können, wenn gleichzeitig die steuerlichen Bemessungsgrundlagen weiter verengt werden. Steuersubventionen werden abgeschafft werden müssen, damit wir niedrige Steuersätze erreichen können. Daran werden wir festhalten, Frau Wöhrl. ({0}) Ein letztes Instrument, das mir wichtig ist und das wohl bei uns allen noch nicht so bekannt ist, sind die öffentlichprivaten Partnerschaften. Was meine ich damit? Wir müssen Haushaltskonsolidierung betreiben. Daran kommen wir nicht nur wegen Europa nicht vorbei, sondern auch aus ökonomischen Gründen nicht, weil sich der Staat auf dem Kapitalmarkt nicht so stark bedienen darf, wenn er niedrige Zinsen gewährleisten will. Gleichzeitig wollen wir aber auch öffentliche Investitionen stärken, weil eine gute Infrastruktur ein besonders wichtiger Standortvorteil unseres Landes ist und weil wir mithilfe der öffentlichen Investitionen Beschäftigung generieren wollen. Wie gehen die Stärkung der Investitionen und die Haushaltskonsolidierung zusammen? - Dazu brauchen wir neue Instrumente, die übrigens auch unter dem Ministerpräsidenten Wolfgang Clement in Nordrhein-Westfalen genutzt wurden. Eines dieser Instrumente heißt Public Private Partnership. Es bedeutet, Investitionen privat finanzieren und übrigens auch privat betreiben zu lassen - es ist nicht nur ein Finanzierungsmodell - und in Kooperation mit privaten Kapitalgebern zu versuchen, die Belange der öffentlichen Hand, die öffentliche Daseinsvorsorge sicherzustellen, zu stärken und zugleich Haushaltskonsolidierung zu betreiben. Meine Bitte an das Ministerium und an die Fraktionen dieses Hauses lautet, diesem Instrument verstärkte Aufmerksamkeit zuzuwenden, da es, wie Großbritannien, Portugal und andere Länder zeigen, ein Ansatz zur Lösung der Problematik sein kann. Abschließend erlaube ich mir, auch für die Zuschauer ein Zitat zu verlesen, das ich richtig zu verstehen bitte. Der Porsche-Manager Wendelin Wiedeking schrieb gestern in der „FAZ“: Deshalb ist die Frage schon falsch, ob diese Bundesregierung den Standort Deutschland gefährdet. Gefährdet wird er durch eine Haltung der Individualinteressen, die auf das Gesamtwohl keine Rücksicht mehr nimmt. Was will ich damit sagen? Ich will damit nicht sagen, dass wir, die Koalitionsfraktionen, keine Aufgaben mehr haben. Das ist weiß Gott nicht so. Ich will damit sagen, dass Gemeinwohl Modernisierung unseres Landes, Modernisierung der sozialen Sicherungssysteme und Modernisierung der Arbeitsmärkte heißt. Gleichzeitig heißt Gemeinwohl: Sicherheit und Verlässlichkeit für die Menschen in unserem Land, die auf dem Weg in die Zukunft mitgenommen werden müssen. Gemeinwohl heißt also, beide Richtungen zusammenzuführen. Darum bemühen wir uns in der nächsten Zeit. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Ernst Hinsken, CDU/CSU-Fraktion.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Clement, in Ihrer Rede haben Sie vieles schöngefärbt. Es wäre gut, wenn einiges von dem, wovon Sie glaubten, es uns hier bereits sagen zu können, wahr werden würde. Zum Kollegen Stiegler möchte ich sagen - das gilt insbesondere in der Weihnachtszeit -: Immer schön bei der Wahrheit bleiben! ({0}) Ich habe sehr wohl registriert, dass er für die falschen Zahlen, die er uns an die Hand geben wollte, von der linken Seite des Parlaments keinen Beifall bekommen hat. Es kann nicht bestritten werden, dass es in der Bundesrepublik Deutschland allein in diesem Jahr über 40 000 Konkurse gab, dass alle 15 Minuten ein Betrieb Pleite geht ({1}) und dass - das kann man leider nicht wegdiskutieren - jeden Tag 115 Betriebe „über die Wupper gehen“. Allein in diesem Jahr sind es bereits 10 000 Betriebe mehr als im Rekordjahr 2001 und doppelt so viele wie 1998. Nicht nur das, was Herr Stiegler zu den Insolvenzen gesagt hat, war falsch, sondern auch das, was er zu den Selbstständigen gesagt hat. ({2}) Der Anteil der Selbstständigen in der Bundesrepublik Deutschland ist nämlich rückläufig. Im Vergleich zum Jahr 2000 gab es im Jahr 2001 in der Bundesrepublik Deutschland laut Statistischem Bundesamt - ich habe mir diese Zahlen extra geben lassen - über 11 000 Selbstständige weniger. Wenn Sie schon Zahlen nennen, dann bitte richtige! ({3}) Auch durch die heutige Diskussion hat sich das Thema Hartz wie ein roter Faden gezogen. Mit dem Thema Hartz - der Minister, der verehrte Kollege Dr. Wend, der Herr Brandner und verschiedene andere haben es angesprochen - ist es wie mit einer Rakete: Erst knallt es - vollmundige Ankündigungen werden in die Welt gesetzt -, dann zischt es - in einer Kirche wird eine riesengroße Feier aufgezogen -, dann stinkt es - die SPD greift die wenigen entscheidenden Punkte, die es gab, auf, um sie dann auf Druck der Gewerkschaften nicht umzusetzen - und jetzt ist es dunkel. ({4}) Von den Ankündigungen ist nur sehr wenig übrig geblieben und die Arbeitslosen schauen sozusagen ins Ofenrohr. So sieht es mit der Umsetzung der Vorschläge der HartzKommission aus. ({5}) Wir sollten gerade die Jahreszeit nicht vergessen; schließlich steht Weihnachten vor der Tür und in 26 Tagen geht das Jahr zu Ende. Noch nie sind in der Bundesrepublik Deutschland so viele betriebliche Weihnachts- und Adventsfeiern abgesagt worden. ({6}) In vielen Betrieben musste das Weihnachtsgeld gestrichen oder reduziert werden, weil die Betriebe es einfach nicht mehr packen. Das kann doch nicht wegdiskutiert werden. Viele Handwerks- und Mittelstandsbetriebe konstatieren, dass das Geschäftsklima in den Sommermonaten noch nie so schlecht wie in diesem Jahr war. ({7}) Im Durchschnitt waren 48 Prozent der Betriebe im Westen und 44 Prozent der Betriebe im Osten von Umsatzeinbußen betroffen. Das bedeutet im laufenden Jahr einen Verlust von 900 000 Arbeitsplätzen. Die Bauwirtschaft und das Ausbaugewerbe sind davon besonders betroffen. Viele Betriebe - das berührt mich am meisten - leben momentan von der Substanz. Deshalb verstehe ich, dass die Baufirmen vor 14 Tagen und vor vier Wochen hier in Berlin auf die Straße gegangen sind, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. ({8}) Dahinter stehen jede Menge Probleme, von denen nicht nur die Firmen, sondern auch die einzelnen Mitarbeiter betroffen sind, weil sie Angst um ihren Arbeitsplatz haben. In vielen Betrieben sind Frust und Aggression zu spüren. Deshalb die klare und eindeutige Aussage von uns: Die Wirtschaft und vor allen Dingen der Mittelstand brauchen dringend eine verlässliche Politik, die wieder Vertrauen schafft, ({9}) eine mittelstandsgerechte Politik, die die Mehrheit der Betriebe und der dort Beschäftigten wieder in den Mittelpunkt stellt, eine Politik für die Leistungsträger unserer Gesellschaft, die diese motiviert, ihre Leistungsfähigkeit zu entfalten und neues Wachstum zu schaffen. Nur durch Wachstum kann der Staat die Einnahmen erzielen, die er für die Zukunftssicherung im Sinne der Solidarität braucht. Leider, verehrte Kolleginnen und Kollegen, hat die Fülle von wirtschaftspolitischen, steuerpolitischen und vor allem sozialpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung in jüngster Zeit nicht dazu beigetragen, das notwendige Vertrauen in eine Politik für den Mittelstand wiederherzustellen. ({10}) Das Handwerk meldet, dass nach dem Umsatzrückgang in diesem Jahr von rund 4,5 Prozent mit dem Verlust von fast 300 000 Arbeitsplätzen im nächsten Jahr ein Minus von weiteren 3 Prozent mit einem zusätzlichen Verlust von 100 000 bis 300 000 Stellen befürchtet wird. Herr Bundesminister Clement, das berührt mich. Da können Sie hier zehnmal sagen, der Export steige wieder. Wie sieht es denn mit der Binnenwirtschaft aus? Auch diese Betriebe ringen doch ums nackte Überleben. Für diese Betriebe muss eine Politik gemacht werden, die in sich schlüssig ist. Ich meine auch, dass Bundeskanzler Schröder gestern bei der großen Debatte hier im Bundestag wieder eine Chance verspielt hat, gab es doch wieder kein Signal dafür, dass die Bundesregierung gewillt ist umzusteuern. Denn gerade der Mittelstand braucht dringend Korrekturen, wie eine Unternehmensteuerreform, darüber hinaus eine Verringerung der überhöhten Lohnzusatzkosten durch Strukturreformen, ein Sozialversicherungssystem, dass er tragen kann, und weniger Belastungen durch die Bürokratie. Herr Minister Clement, die Botschaft höre ich wohl: Sie wollen die Bürokratie abbauen. Das hat Ihr Vorgänger versucht und die Mittelstandsbeauftragte der damaligen Bundesregierung - sie sitzt ja heute unmittelbar hinter Ihnen - ist mit dem hehren Versprechen angetreten, dafür zu sorgen, dass Bürokratie abgebaut wird. ({11}) Geboren werden sollte ein großer Elefant, herausgekommen ist zu guter Letzt ein kleines Mäuschen. Wir werden Sie in Bezug auf das, was Sie heute versprochen haben, beim Wort nehmen. ({12}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, insbesondere Herr Stiegler, der Sie ein so positives Bild der Lage des Mittelstands und der Wirtschaft gezeichnet haben: Es ist doch alarmierend, wenn wir feststellen müssen, dass fast ein Drittel der mittelständischen Betriebe ohne jeden Gewinn arbeitet und mehr als die Hälfte der kleineren Mittelständler mit einem Jahresumsatz von 5 Millionen Euro überhaupt kein Eigenkapital mehr hat. Besorgt Sie das nicht? ({13}) Da können Sie doch nicht sagen: Die Stimmung ist gut, die Lage ist gut, wir brauchen nichts zu machen; man soll das würdigen. Dazu sage ich: Das kann nicht ohne weiteres hingenommen werden und das tun wir auch nicht. ({14}) Es ist höchste Zeit, dass auch Bundeskanzler Schröder diese Probleme sieht. Anstatt sich den Problemen zu widmen, hat er gestern erneut von der Verrohung der Sitten gesprochen und den CSU-Landesgruppenvorsitzenden, Michael Glos, angegriffen. ({15}) Wie ein Marktschreier ({16}) versuchte er, seine Ladenhüter an den Mann zu bringen. Hat denn Schröder vergessen, dass er den Kanzlerkandidaten der Union, nämlich Herrn Stoiber, ({17}) als das eingestuft hat, was er selbst und nicht Stoiber ist: unfähig, die Herausforderungen zu meistern und die Probleme zu lösen? ({18}) Hat nicht der Bundeskanzler die Arbeitgeber als fünfte Kolonne und Kettenhunde der Opposition bezeichnet? Ich frage mich schon, wer hier für die Verrohung der Sitten verantwortlich ist, wenn man so vorgeht und dann mit dem Finger auf andere zeigt. ({19}) Im Wahlkampf haben Sie auf Wahlplakaten und in Inseraten mit Versprechen geworben, die Sie nicht einhalten können. ({20}) Es gibt das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, von uns mit beschlossen, in dem es heißt: Irreführung des Verbrauchers ist verboten. Das Gesetz haben wir gemeinsam beschlossen, aber Sie haben die Leute hinters Licht geführt. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, zurzeit erreichen uns Abgeordnete viele besorgte Briefe. Mittlerweile haben viele Mitbürger Angst, ob die Zukunft bewältigt werden kann. ({21}) 80 Prozent sind mit der Arbeit der Bundesregierung unzufrieden. ({22}) Noch nie hat ein Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland nach Wahlen einen solch schnellen Vertrauensverlust erlebt. ({23}) Sie, Herr Clement, und der Bundeskanzler schieben alles auf die Weltwirtschaft. Ein Blick auf unsere Nachbarn zeigt aber ein völlig anderes Bild. ({24}) Das Wirtschaftswachstum ist in diesem Jahr in Frankreich - hören Sie gut zu - fünfmal so hoch, in Italien zweimal so hoch, in Großbritannien achtmal so hoch ({25}) und in den USA zwölfmal so hoch wie bei uns. Bei uns liegt es bei 0,2 Prozent. ({26}) - Diese Zahlen stimmen, Herr Kollege Stiegler, im Gegensatz zu den von Ihnen vorgetragenen Zahlen. Ich habe sie eruiert; ({27}) für sie stehe ich ein. Sie machen mich besorgt. In ihnen kommt die falsche Politik dieser rot-grünen Regierung zum Ausdruck, die auf Dauer gesehen für die Bundesrepublik Deutschland unerträglich wird. ({28})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Hinsken, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl, ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Es gilt, unser Land nach vorn zu bringen. ({0}) Wir haben das Potenzial zur Wende. Schließlich verfügt unser Land über eine hoch motivierte Unternehmerschaft, gerade auch im Mittelstand, über eine große Zahl qualifizierter Arbeitskräfte, über hochleistungsfähige Forschungsund Entwicklungskapazitäten, über technisches und organisatorisches Wissen von bester Qualität

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Hinsken, Sie sind erfahren genug, um zu wissen, dass Sie jetzt weit über Ihre Redezeit hinaus sind.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- und über eine hervorragend ausgebaute wirtschaftsnahe Infrastruktur. Verehrte Frau Präsidentin, ich möchte mich herzlich dafür bedanken, dass Sie mich 1 Minute und 36 Sekunden haben überziehen lassen. Herzlichen Dank, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Hans Eichel. ({0})

Hans Eichel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003522, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Kollege, zu Ihren Märchenzahlen über das Wachstum: Zurzeit liegen vier Länder in der Eurozone in Bezug auf das Wachstum hinter Deutschland. Frankreich hat im dritten Quartal nur noch 0,2 gegenüber dem Quartal davor, bei uns sind es 0,3. Italien liegt hinter uns, die Niederlande liegen hinter uns, Luxemburg liegt hinter uns. Das ist die gegenwärtige Situation des Wachstums in der Eurozone. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Hinsken, Sie können antworten. ({0})

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Minister Eichel, Sie haben mich als Abgeordneter angesprochen; dann sollten Sie auch das Abgeordnetendasein fristen, das Ihnen in Zukunft vielleicht vorbehalten ist.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Hinsken, der Herr Minister darf Ihre Antwort auch auf der Regierungsbank entgegennehmen. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich warte, bis Sie auf der Regierungsbank Platz genommen haben. Es sei Ihnen gegönnt, diese Tage noch in Ruhe verleben zu können. ({0}) ({1}) Verehrter Herr Minister Eichel, aufgrund Ihrer Einlassung möchte ich ausdrücklich feststellen, dass wir in dieser Skala dort stehen, wo ich gesagt habe, dass wir stehen. Ich habe mich heute Vormittag noch einmal erkundigt und musste leider in Erfahrung bringen, dass die USA, Frankreich und die anderen von mir genannten Länder besser dastehen als die Bundesrepublik Deutschland. Nichts würden wir von der Opposition mehr wünschen, als dass es bei uns genauso gut bestellt sein möge und wir beim Wirtschaftswachstum auch mit solchen Zuwachszahlen glänzen könnten. Wenn wir einmal wieder ein Wirtschaftswachstum von mehr als 2,5 Prozent haben, wird auch die Zahl der Arbeitslosen zu verringern sein. Aber unter Ihrer Regierung, die falsche Weichenstellungen und eine falsche Politik betreibt, wird dies nicht möglich sein. Darum habe ich dies in meiner Rede angesprochen, nämlich um den Finger auf die Wunde zu legen und zu sagen: Nehmt euch ein Beispiel an anderen Regierungen, die zum Teil anders ausgerichtet sind und eine bessere Politik machen, als sie hier gemacht wird, eine Politik, die ich für die Bundesrepublik Deutschland nur allzu gern hätte. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich rufe Zusatzpunkt 6 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Angela Merkel, Michael Glos, Volker Kauder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Einsetzung eines Untersuchungsausschusses - Drucksache 15/125 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Peter Altmaier, CDU/CSU.

Peter Altmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir werden mit diesem Untersuchungsausschuss klären, ob und, wenn ja, inwieweit die Bundesregierung den Bundestag oder die Öffentlichkeit über die Lage des Bundeshaushaltes, über die Einhaltung der EU-Stabilitätskriterien und über die Finanzlage der Renten- und Krankenversicherungen falsch oder unvollständig informiert hat. Wir sind durch die verheerende öffentliche Diskussion in den letzten Wochen, ({0}) durch den rapiden Vertrauensverfall der Bundesregierung sowie durch die unverfrorenen, widersprüchlichen und völlig unbefriedigenden Aussagen der Regierung zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen zu diesem Schritt gezwungen. ({1}) Hans-Ulrich Jörges, Journalist vom „Stern“, ein kluger Kopf und weiß Gott nicht im Verdacht besonderer CDUNähe, schreibt: ({2}) Gäbe es noch Anstand in der Politik, wäre - in Japan kennt man solche Demutsgesten - eine Entschuldigung des Kanzlers fällig für das beispiellose Betrugs- und Verschleierungsmanöver ... und zwar im Bundestag. Recht hat er und er ist beileibe nicht der Einzige, der solche Vorwürfe gegen Sie erhebt. ({3}) Die Kritik am Untersuchungsausschuss, die Sie landauf, landab hören, lautet, man solle sich lieber den Zukunftsfragen zuwenden, denn dass die Regierung gelogen und die Unwahrheit gesagt habe, wisse inzwischen ohnehin jeder. ({4}) Meine Damen und Herren, wenn wir es zuließen, dass es für selbstverständlich und normal gehalten wird, dass Regierungen falsch informieren oder die Unwahrheit sagen, ({5}) dann wäre dies nichts anderes als die Selbstaufgabe und Bankrotterklärung unseres politischen Systems. Solches Fehlverhalten aufzudecken, ist Dienst an der politischen Kultur und zukunftsgerichtet. ({6}) Es geht uns nicht - wie Sie vielleicht vermutet haben um irgendwelche Reden von SPD-Wahlkämpfern, es geht uns nicht um die Schönfärberei in Ihrem Regierungsprogramm ({7}) und auch nicht um die Verlautbarungen von Herrn Müntefering. Diese haben uns vermutlich mehr Wähler gebracht als Ihnen. Nein, es geht uns darum, dass die Regierung als Staatsorgan, dass die Minister und Staatssekretäre die verfassungsrechtliche Pflicht haben, das Parlament und die Öffentlichkeit wahrheitsgemäß zu informieren, und zwar unabhängig davon, ob gerade Wahlkampf ist oder nicht. ({8}) Weil wir den Untersuchungsauftrag so formuliert haben, dass er sich ausdrücklich und ausschließlich auf das Verhalten der Regierung gegenüber dem Bundestag und den Bürgern bezieht, ist seine Formulierung über jeden verfassungsrechtlichen Zweifel erhaben und die Einschaltung des Vermittlungsausschusses durch die rot-grüne Mehrheit ohne jede Berechtigung und Begründung. ({9}) Der Ausschuss ist notwendig. Herr Gabriel erklärt: Die Wahrheit vor der Wahl? - Das hätten Sie wohl gern gehabt. Frau Simonis erklärt: Sie wussten die Zahlen, wie wir sie gewusst haben. Herr Metzger, Ihr ehemaliger Haushaltsexperte, sagt, die Bundesregierung und auch der Bundesfinanzminister hätten sich fürs Weiterregieren und gegen die Ehrlichkeit entschieden. Nur Sie, Herr Eichel, als der zuständige Minister erklären unverdrossen, Sie seien nach der Wahl aus allen Wolken gefallen und hätten von alledem nichts gewusst. Herr Bundesminister, ich vermute, Sie haben während der entscheidenden Monate Urlaub auf der Insel der Ahnungslosen gemacht. Jetzt sind Sie zurück in der Realität. Dieser Realität müssen Sie sich stellen. ({10}) Die Sache ist zu ernst, ({11}) als dass Sie sie auf die leichte Schulter nehmen können. In Deutschland und in anderen Ländern sind Minister und Staatssekretäre zurückgetreten, weil sie dem Parlament die Unwahrheit gesagt haben. ({12}) Das weiß natürlich auch Herr Eichel. Deshalb hat er, anders als Herr Gabriel und Frau Simonis, auch gar keine andere Wahl, als an der offiziellen Version festzuhalten, auch wenn sie inzwischen noch so unglaubwürdig ist. ({13}) Herr Eichel, Sie haben ein Recht darauf, dass wir Sie mit Ihrer Version ernst nehmen und dass wir uns im Untersuchungsausschuss sachlich, akribisch und eingehend mit Ihrer Version beschäftigen. Das will ich Ihnen zusagen. Wir werden Ihrer Version das gegenüberstellen, was uns die Akten vermitteln und was uns die Beamten aus den Ministerien und die Sachverständigen sagen. ({14}) Wenn sich jemand findet, der überzeugend und schlüssig nachweist, dass sich zwischen dem Tag der Bundestagswahl, dem 22. September, und dem Tag des Abschlusses der Koalitionsvereinbarung, dem 24. Oktober, alle volkswirtschaftlichen Basisdaten plötzlich in ihr Gegenteil verkehrten, dann werde ich den Betreffenden höchstpersönlich für den Nobelpreis für Neuentdeckungen in der Wirtschaftswissenschaft vorschlagen. ({15}) Ich fürchte, Sie werden diesen Nachweis nicht führen können. Das ist der Grund für die heillose Verwirrung, die inzwischen in Ihren Reihen Platz gegriffen hat: Herr Schröder spricht von Klamauk; Herr Gabriel findet den Ausschuss gut; Herr Müntefering sieht verfassungsrechtliche Probleme; Herr Schmidt will Eichel und Schröder noch vor Weihnachten in den Zeugenstand rufen; Herr Wiefelspütz hofft auf den Geschäftsordnungsausschuss. Im Vergleich zu diesem Wirrwarr sind sogar die täglich wechselnden Erklärungen von Herrn Müntefering und Herrn Scholz zum Thema Mehrwertsteuererhöhung geradezu ein Ausbund an Klarheit und Konsequenz. ({16}) Inzwischen habe ich den Eindruck, Sie setzen auf Verzögerung und Verschiebung, solange es nur irgendwie geht. Damit tun Sie sich und der Sache keinen Gefallen. Deshalb appelliere ich an Sie: Hören Sie damit auf und sorgen Sie dafür, dass der Ausschuss unverzüglich seine Arbeit aufnehmen kann! Wir wollen aufklären, was war, um für die Zukunft zu verhindern, dass sich Derartiges wiederholt, und zwar ganz gleich, wer im Bund oder in den Ländern regiert. ({17}) Wir Politiker sind im besonderen Maße abhängig vom Vertrauen und vom Zutrauen der Bürgerinnen und Bürger. ({18}) Es ist die Grundlage unserer Legitimation. Deshalb dürfen wir nicht zulassen, dass dieses Vertrauen immer weiter beschädigt und ausgehöhlt wird. ({19}) Herr Kollege Dr. Wiefelspütz, aus den vergangenen acht Jahren in diesem Parlament schätze ich Ihre Sachkunde und Ihre Integrität. ({20}) Ich wünsche mir, dass dies so bleibt. Ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit im Untersuchungsausschuss. Herr Kollege Benneter, Sie sind neu in diesem Haus. Aber ich erinnere mich an Ihre Zeit als Juso-Bundesvorsitzender, ({21}) wo Sie den Mut hatten, auch gegen die Obrigkeit das zu vertreten, was Sie für richtig gehalten haben. Sie werden ein verantwortungsvolles Amt haben. Ich bitte Sie: Verwechseln Sie im Interesse der gemeinsamen Sache das Amt des Ausschussvorsitzenden nicht mit dem des Sprechers der SPD-Fraktion in diesem Untersuchungsausschuss! ({22}) Meine Damen und Herren von der Koalition, ich möchte Ihnen über die gesetzlichen Regelungen hinaus einen Fairnesspakt anbieten, ({23}) in dem wir die Grundlagen für eine faire, gedeihliche und zügige Ausschussarbeit vereinbaren. Ich möchte Sie um eines herzlich bitten: Sie haben im Spendenuntersuchungsausschuss an das Verhalten der Politiker aus den Reihen der Union strenge moralische Maßstäbe angelegt. Wir fordern jetzt von Ihnen ein, dass wenigstens ein Teil dieser Maßstäbe auch für das Verhalten der Bundesregierung gilt. ({24}) Meine Damen und Herren, wenn wir gemeinsam bereit sind, in diesem Ausschuss auf die übliche Polemik zu verzichten, ({25}) wenn wir bereit sind, auch einmal vor der eigenen Tür zu kehren, auch wenn es wehtut, ({26}) dann können wir mit diesem Ausschuss einen Beitrag zur politischen Kultur und zur Wiedergewinnung von Glaubwürdigkeit in diesem Land leisten. Vielen herzlichen Dank. ({27})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Dieter Wiefelspütz, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es schauen und hören uns in diesen Minuten viele Menschen zu. Ich weiß nicht, ob wir uns dessen immer bewusst sind. Herr Altmaier, sie schauen uns allen zu. Für diesen Deutschen Bundestag hat jeder von uns seine Verantwortung. ({0}) Der Deutsche Bundestag hat seit 1949 insgesamt 32 Untersuchungsausschüsse eingesetzt. Manche waren sehr wichtig, andere vielleicht nicht ganz so wichtig. Aber der Untersuchungsausschuss, den wir in den kommenden Tagen oder Wochen einzusetzen gedenken, ist der überflüssigste, der jemals in Deutschland diskutiert worden ist. ({1}) Das ist die große, breite Stimmung in der Bevölkerung. ({2}) Diese Position vertreten im Grunde auch viele von Ihnen. Der eine oder andere tut es sogar laut. Da muss ich nicht unbedingt in den eigenen Reihen suchen. Die Kronzeugen für diese Position gibt es in Ihren Reihen. Meine Damen und Herren, das Untersuchungsrecht ist ein ganz wichtiges Instrument des Parlamentes. ({3}) Ich habe heute Morgen einen französischen Diplomaten zum Antrittsbesuch bei mir gehabt. Er sagte mir, so etwas gebe es in Frankreich gar nicht. Solche Untersuchungsmöglichkeiten sehe das französische Verfassungsrecht nicht vor. Was Sie zu unternehmen anstehen, sei in Frankreich undenkbar. ({4}) Ich habe ihm gesagt: Wir sind stolz darauf, dass wir ein solches Untersuchungsrecht haben, das durch Art. 44 des Grundgesetzes verbürgt ist. Es hat den Sinn, einen Sachverhalt aufzuklären, Herr Altmaier, und ihn politisch zu bewerten, auch in der politischen Kontroverse. Ein Untersuchungsausschuss hat nicht den Sinn und die Aufgabe, eine Bundestagswahl infrage zu stellen. ({5}) Er hat nicht die Aufgabe - und das wollen Sie -, ({6}) im Nachhinein eine Bundestagswahlentscheidung unseres Volkes zu delegitimieren. Das ist Ihr Ziel und das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. ({7}) Ein Untersuchungsausschuss ist auch nicht die Verlängerung des Wahlkampfes mit anderen Mitteln. Der Wahlkampf war am Sonntag, dem 22. September 2002, um 18 Uhr zu Ende. Begreifen Sie das endlich einmal! Sie haben die Wahl verloren. Sie werden sie nicht durch einen Untersuchungsausschuss gewinnen. ({8}) Noch nie war ein Untersuchungsausschuss so überflüssig. Wir blamieren uns vor unseren Wählerinnen und Wählern ({9}) mit solch einem Untersuchungsausschuss. ({10}) Wir haben alle miteinander eine Verantwortung für dieses Parlament und für unsere Institutionen. Herr Kollege Altmaier, wir haben mindestens eines gemeinsam - vermutlich haben wir auch noch andere Gemeinsamkeiten -: Sie und ich, wir dürfen nicht lügen. Sie und ich, wir dürfen auch nicht heucheln und nicht vorverurteilen. Sie sagen hier: Ich habe einen seriösen Anspruch. - Gleichzeitig sind Sie aber schon mit Ihrem Vorurteil fertig. Sie verurteilen Menschen. ({11}) Was wollen Sie eigentlich? Wollen Sie nur eine Bestätigung Ihrer Vorurteile? Wo ist das Mindestmaß an Fairness im Umgang miteinander? Ich sage: Sie beschädigen die Institutionen, wenn Sie so vorgehen. Wir haben bei allem Streit und Kampf nicht das Recht, einander zu diffamieren. Wir beschädigen damit die demokratische parlamentarische Kultur. Verlierer sind wir letzten Endes alle, wenn wir das so betreiben. ({12}) - Ich bitte Sie sehr, sich zurückzunehmen. Ich pflege nicht dummes Geschwätz am Rednerpult im Deutschen Bundestag von mir zu geben. Ich bitte Sie wirklich, auf dem Teppich zu bleiben. ({13}) Wir entschuldigen uns nicht dafür, dass dieser zweifelhafte Untersuchungsantrag im Geschäftsordnungsausschuss auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüft wird. ({14}) Ich habe erhebliche Zweifel, ob Sie nicht in Wirklichkeit eine Wahl delegitimieren wollen. ({15}) Ich habe erhebliche Zweifel, ob Sie den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung ausforschen wollen. Das wird geprüft. Wir werden das nicht beliebig lange, sondern sehr zügig tun. ({16}) - Wovor habe ich Angst? ({17}) - Sie werden doch wohl nicht glauben, dass ich mich entschuldige oder dafür schäme, dass wir das Grundgesetz auf Ihren Antrag anwenden. Ich bitte Sie! Wo sind wir denn eigentlich? ({18}) Wir werden das zeitnah prüfen, Kollege Altmaier. Ich denke durchaus, dass wir eine Chance haben, einen verfassungskonformen Untersuchungsantrag noch vor Weihnachten installieren zu können. ({19}) Wir schauen uns Ihren Antrag an und behalten uns vor, ihn so zu ergänzen, dass er nicht einäugig ist. Die Wahrheit sieht man nur mit zwei Augen, nicht mit einem. Auch dafür entschuldigen wir uns nicht. ({20})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Wiefelspütz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Laurenz Meyer?

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. ({0})

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wiefelspütz, bei uns gab es in der Partei den einen oder anderen, der bezweifelte, dass der Unter1066 suchungsausschuss überhaupt noch nötig ist. Spätestens nach Ihrer Einlassung jetzt müssen wir sagen: Was haben die von der SPD für eine Angst vor diesem Untersuchungsausschuss?! ({0}) Jeder muss sich bestätigt fühlen, der diesen Antrag eingebracht hat. ({1}) Ich möchte Sie etwas fragen. Ich habe Sie im WDR in der Sendung „Hart, aber fair“ gesehen. Dort haben Sie von der ersten Fraktionssitzung der SPD nach der Bundestagswahl, die sich mit Sachfragen beschäftigt hat, berichtet. Sie haben ausgeführt, dass alle SPD-Kollegen bei der Schilderung von Herrn Eichel bezüglich der Finanzfragen völlig vom Hocker gewesen seien. Sie seien völlig erstaunt gewesen, wie schlecht plötzlich die Lage gewesen sei und hätten sich alle über ihren Informationsstand völlig getäuscht gefühlt. Sie haben dann gesagt: Wenn er uns die Unwahrheit gesagt hat, muss er eigentlich weg. ({2}) Deswegen frage ich Sie: Müssten Sie sich nach dieser Aussage unserem Antrag nicht aus vollem Herzen anschließen? ({3})

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Meyer, Sie sind mir schon seit längerer Zeit aufgefallen ({0}) als Spezialist für Schmutz und Kampagne in Ihrer Fraktion und Partei. ({1}) Ein Beispiel dafür ist Ihr jetziger Beitrag. Sie stehen auf und schämen sich nicht, meinen Beitrag dort fundamental zu verfälschen. ({2}) Ich bitte Sie, solche Unterstellungen zu unterlassen. ({3}) Wir haben es nicht nötig, uns von Ihnen hier anlügen zu lassen, lieber Herr Meyer. ({4}) - Ja, für Ihren Generalsekretär sind Sie verantwortlich, nicht ich. Ich habe ihn nicht ausgewählt. ({5}) Herr Altmaier, wir werden Anfang des kommenden Jahres die Arbeit im Untersuchungsausschuss beginnen können. Vielleicht haben wir doch noch eine kleine Chance, ({6}) zur Sachlichkeit zurückzukommen. Ich biete Ihnen das durchaus an. Wir können auch im Anschluss an diese Debatte erste Vorgespräche führen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass wir in überschaubarer Zeit in diesem Untersuchungsausschuss zu einem Ergebnis kommen. Uns von der SPD interessiert zum Beispiel sehr die Grundlage von Datenerhebungen und auch von Prognoseinstrumentarien, die wir in Deutschland haben. Ich stelle fest, dass wir Anfang dieses Jahres Prognosen hatten, die heute korrigiert werden - aber nicht etwa vonseiten der Regierung, sondern von unabhängigen Instituten. Mich interessiert: Wie gewinnt der Bundesfinanzminister, wie gewinnt ein Landesfinanzminister relevante Daten für seinen Haushalt? Aufgrund welcher Daten kommen Minister - das gilt auch für Landesminister - zu politischen Entscheidungen? Ich habe die Arbeitshypothese - aber es geht nicht um Vorurteile, sondern es geht darum, das zu erarbeiten -, Herr Altmaier, dass alle relevanten Daten in Deutschland selbstverständlich jedermann und jeder Frau bekannt sind. Die Daten, die relevant sind, kennt Herr Stoiber genauso wie der Bundeskanzler, die Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein genauso wie der Bundesfinanzminister. Das ist alles allgemein bekannt. Das würden wir gerne ergänzend mit in diesen Untersuchungsausschuss einbringen. Dann wollen wir sehen, ob wir zu einem Ergebnis kommen - das ich nicht vorwegnehmen will. Ich bitte Sie sehr, Vorverurteilungen zu unterlassen. Das bringt überhaupt nichts. Es beschädigt - ich sage es noch einmal - wichtige Institutionen. Wir beschädigen das elementare Recht des Parlamentes, Untersuchungen vorzunehmen, wenn wir gleich zu Beginn anfangen, Menschen zu diffamieren, vorzuverurteilen und den Eindruck zu erwecken, wir wollten im Grunde den Wahlkampf in der Nachwahlkampfzeit fortsetzen. Damit beschädigen wir wichtige Instrumente des Parlaments. Damit verfehlen wir unseren Arbeitsauftrag hier im Parlament. ({7}) Das ist die Grundüberzeugung unserer Bürgerinnen und Bürger, die sagen: Das Parlament ist doch keine Selbsterfahrungsgruppe. Sie sollen gefälligst die Arbeit für das Volk machen und sich nicht mit sich selber beschäftigen. ({8}) Sie machen einen völlig überflüssigen Untersuchungsausschuss, der genau dies zum Ziel hat. Zum Schluss vielleicht noch Folgendes, Herr Meyer: Ich bin der festen Überzeugung, dass die Arbeit in diesem Untersuchungsausschuss wirklich überflüssig ist. Aber in einem können Sie sicher sein: Angst haben wir weiß Gott nicht, vor Ihnen schon gar nicht. Vielen Dank. ({9}) Laurenz Meyer ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner in der Debatte ist Dr. Max Stadler, FDP-Fraktion.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ein so honoriger Kollege wie Herr Dr. Wiefelspütz, der soeben über das Recht der Untersuchungsausschüsse promoviert hat, eine Debatte derart beginnt, dann habe ich allerdings die Sorge, dass die ganze Veranstaltung für das Ansehen des Parlaments nichts Gutes ahnen lässt. Dabei ist die heutige Abstimmungslage, das, worüber heute zu befinden ist, aus Sicht der FDP relativ einfach. Die CDU/CSU-Fraktion hat entschieden, einen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu stellen. Hierbei handelt es sich um ein Minderheitenrecht. Der Untersuchungsausschuss muss daher eingesetzt werden. Ob er zweckmäßig und politisch opportun ist, spielt dabei überhaupt keine Rolle, wenn ich auch nach Beginn der heutigen Debatte selber mehr zu der Überzeugung komme, dass er in der Tat notwendig ist. ({0}) Die rechtliche Frage lautet einzig und allein - nur darüber ist heute zu befinden -, ob dieser Antrag zulässig ist. Wenn ja, entspricht es übrigens der parlamentarischen Übung, dem Minderheitenantrag nicht entgegenzutreten, sondern ihm zuzustimmen. Dies wird die FDP-Fraktion tun, denn zulässig ist der Antrag von CDU/CSU, sodass auch eine Verweisung in den Geschäftsordnungsausschuss, wie von Rot-Grün beantragt, überflüssig ist. Es kann gleich über die Einsetzung dieses Ausschusses befunden werden. ({1}) Zu den juristischen Einwänden Folgendes: Erstens. Es ist im Vorfeld diskutiert worden, ob der Untersuchungsausschuss in unzulässiger Weise den so genannten Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung, also der Tätigkeit der Bundesregierung, die der Kontrolle des Parlaments entzogen sei, berühre. Dieser Kernbereich orientiert sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an § 96 der Strafprozessordnung. Er umfasst solche Angelegenheiten, die dem Dienstgeheimnis unterliegen. Das sind Tatsachen, deren Veröffentlichung mit der Gefahr von Nachteilen für das Wohl des Bundes oder eines Landes oder einer einzelnen Person verbunden wäre. Die Veröffentlichung der Finanzsituation des Bundes oder der Länder, die Veröffentlichung von Arbeitslosenzahlen oder des Bruttoinlandsprodukts gefährden ersichtlich nicht das Wohl des Bundes, eines Landes oder einer einzelnen Person im Sinne dieser Vorschrift. Womöglich gefährden sie das Wohl des Bundesfinanzministers, aber das muss er ertragen. ({2}) Zweitens. Weiterhin muss der Untersuchungsgegenstand einen abgeschlossenen Sachverhalt betreffen. Auch dies ist der Fall, denn es geht nicht um die im Zeitpunkt der Bundestagswahl noch nicht abgeschlossene Weiterentwicklung der Steuereinnahmen und der Haushaltssituation, sondern um die damalige Kenntnis oder Unkenntnis von Mitgliedern der Bundesregierung, mithin um einen abgeschlossenen Sachverhalt. Drittens. Schließlich muss ein öffentliches Interesse an dem Untersuchungsausschuss bestehen. Auch dies lässt sich nach der Vorgeschichte und nach der Aufmerksamkeit, die das Vorhaben in der Öffentlichkeit findet, schwerlich verneinen. Juristisch ist die Situation somit klar. Das politische Gegenargument, der Untersuchungsausschuss sei überflüssig, weil die Bevölkerung ohnehin schon davon überzeugt sei, dass sie im Wahlkampf von der alten Bundesregierung betrogen und belogen worden sei, ({3}) erscheint mir im Übrigen nicht sehr schmeichelhaft für die Betroffenen. ({4}) Es ist auch davon auszugehen, dass der Untersuchungsausschuss mit seinen Mitteln der Zeugenvernehmung und der Akteneinsicht ein geeignetes Instrument ist, den strittigen Sachverhalt aufzuhellen. Schließlich kann die Aufklärungsarbeit, wenn es bei dem bisher von der Union beantragten Verfahrensgegenstand bleibt und nicht die Andeutung von Herrn Wiefelspütz, diesen noch auszuweiten, verwirklicht wird, sehr wohl so rasch und zügig geleistet werden, dass man sich bald wieder anderen Themen zuwenden kann. Dagegen hätten wir von der FDP freilich nichts einzuwenden. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat jetzt der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/ Die Grünen. ({0})

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Schauerte, wenn es um Aufklärung ginge, gäbe es - gerade hat der Herr Stadler gesprochen noch einen Gegenstand, der wahrlich einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss lohnen würde, ({0}) nämlich die Frage, wer über die FDP-Finanzen Bescheid wusste und wer auf Parteitagen, bei denen Herr Möllemann seine Position vorgetragen hat, immer geschlafen hat und trotzdem applaudieren konnte. ({1}) Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sicher, dieser Untersuchungsausschuss neuen Typs wird in die Geschichte der Ausschüsse eingehen als Pharisäerausschuss. ({2}) Dieser Ausschuss ist rückwärts gewandt. Er wird unser Land nicht voranbringen. Er wird uns kein Jota bei den Reformen weiterbringen, die wir anpacken müssen. Er hilft uns nicht, die gegenwärtige wirtschaftliche Situation zu verbessern. Er ist schlecht für die Demokratie, weil Sie ein ganz wichtiges Parlamentsrecht klamaukartig für den Wahlkampf von Herrn Koch missbrauchen, weil Sie dieses Instrument, das eines der höchsten Güter der parlamentarischen Opposition zur Kontrolle einer Regierung ist, inflationieren und so in einer Art und Weise gebrauchen, dass es dem Instrument nur schaden kann. ({3}) In der Vergangenheit wurden Parlamentarische Untersuchungsausschüsse vorwiegend eingerichtet, um kriminelles Verhalten zu untersuchen, um dem Verdacht der Korruption oder der Vetternwirtschaft nachzugehen oder zumindestens schwere Regelverstöße aufzuklären. Ich erinnere an die „Spiegel“-Affäre, an die Angelegenheit Fibag - beide betreffen Strauß -, an die Flick-Affäre, an die Neue Heimat und an den Parteispendenskandal Helmut Kohl. Die Untersuchungsausschüsse zu all diesen Themen hatten einen realen Gegenstand und sollten etwas aufklären, sollten Zusammenhänge aufzeigen und sie damit der Öffentlichkeit transparent machen. Dies ist hier nicht der Fall. Hier geht es darum, Ahnungen, Vermutungen von Regierungsmitgliedern zum Gegenstand von parlamentarischen Untersuchungen zu machen. Auf so etwas zielt dieses Instrument nicht. ({4}) Sie zeigen damit auch: Frau Merkel tanzt nach der Pfeife von Herrn Koch. Herr Koch hat sich den Ausschuss gewünscht. Viele in der Union sagen gegenüber Presseagenturen und hinter vorgehaltener Hand, dass dieser Klamauk der Sache nicht dienlich ist. Trotzdem wird das durchgezogen. Das zeigt, wer in der CDU/CSU das Sagen hat. ({5}) Ihr Parteifreund, der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker, hat im heutigen „Stern“ das Richtige dazu gesagt - ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten -: Was soll herauskommen? Angriff, Gegenangriff, gegenseitige Schmutzladungen. Geschädigt ist am Ende das Ansehen der Parteien. Die Einsetzung des Ausschusses ist die Fortsetzung des Wahlkampfes. Recht hat der Herr von Weizsäcker. Es wäre schön, wenn sein Wort in Ihren Reihen noch etwas gelten würde. ({6}) Das ganze Projekt ist auch der Gipfel der Heuchelei. Ich bin sicher: Am Ende wird diese Veranstaltung nach hinten losgehen. Ich weiß auch gar nicht, warum Sie sich in Ihrer Rede vorhin so aufgeregt haben. Sie tun geradezu so, als habe Rot-Grün den Menschen im Land blühende Landschaften versprochen. Ich meine, das ist jemand anderes gewesen. ({7}) Kommen wir jetzt zum Wahlkampf und dazu, wer da was gesagt hat. Am 30. August hat Herr Stoiber sein Sofortprogramm vorgelegt, das immerhin 20 Milliarden Euro kosten sollte. ({8}) Darin heißt es: Unsere Maßnahmen können solide finanziert werden ... durch Privatisierungserlöse sowie durch Umschichtungen und Einsparungen innerhalb des Bundeshaushaltes. Weitere Einsparpotenziale ergeben sich im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit. ({9}) So weit das Sofortprogramm der Union, das Sie bis zum 22. September auf allen Wahlveranstaltungen landauf, landab tapfer vertreten haben. Ihr Kollege Austermann wusste ausweislich einer Pressemitteilung vom 5. September aber schon, dass nach seiner Berechnung bei der Bundesanstalt für Arbeit 2 Milliarden Euro fehlen. Am 11. September legte er noch einmal nach und vertrat die Auffassung, man habe die 3-ProzentHürde schon längst gerissen; das Staatsdefizit liege über 60 Milliarden Euro. ({10}) - Sie sagen: Er hatte doch Recht. - Woher wusste er denn das? ({11}) Er weiß das aus Berechnungen, aus Vermutungen, aus Hochrechnungen. Die konnte damals offensichtlich jeder anstellen. ({12}) Aber wie konnten Sie in Kenntnis dieser Ihrer Prognosen ins Land gehen und den Menschen erzählen, welche Wahlgeschenke Sie ihnen noch machen wollen? ({13}) Das ist doch die Heuchelei! Sie haben den Leuten etwas vorgemacht. Sie hätten die längsten Nasen hier im Haus, wenn sich Lügen wie in dem Märchen von Pinocchio in der Verlängerung von Nasen auswirken würden. Die Leute aus Ihren eigenen Reihen gestehen es ja auch zu. Herr Perschau hat im Deutschlandfunk gesagt: Die Länder kannten die Situation sehr wohl und haben sie auch beschrieben. - War denn Ihr Kanzlerkandidat, der Herr Stoiber, kein Ministerpräsident? Hat er denn nichts Volker Beck ({14}) Volker Beck ({15}) gewusst? Aber er hat anders gehandelt als Hans Eichel, der hier eine solide Haushaltspolitik gemacht hat. ({16}) - Ja! Der Bund hat bereits am 19. August eine Haushaltssperre verhängt, um seine Finanzen in diesem schwierigen Haushaltsjahr und nach der Flut unter Kontrolle zu behalten. Herr Austermann sagte am 11. September: Die Steuereinnahmen aller öffentlichen Haushalte - hört, hört! brechen aufgrund der äußerst schwachen Konjunktur ... dramatisch weg. ({17}) Wann hat Herr Faltlhauser reagiert? - Er hat erst nach der Steuerschätzung Mitte November eine Haushaltssperre verhängt, obwohl man in sechs Wochen nun wirklich nicht mehr viel sparen kann. Jeder vernünftige Haushälter weiß, dass dann die Chose gelaufen ist. Wann hat Herr Weimar in Hessen seinen Nachtragshaushalt vorgelegt? - Das war, nachdem die Steuerschätzung vorgelegen hat. Alle haben angeblich nichts gewusst, obwohl die Landesminister diejenigen sind, die dem Bundesfinanzministerium die Entwicklung bei den Steuereinnahmen melden müssen. ({18}) Das wird auf Sie zurückfallen. Das werden wir im Ausschuss diskutieren. Einen letzten Satz zu dem Antrag, den Sie vorgelegt haben - Sie haben sich eine Begründung dazu vorsichtshalber erspart, damit wir verfassungsrechtliche Argumente hier erst gar nicht erörtern können -: Die Annahme, Verabredungen innerhalb der Bundesregierung gehörten nicht zum Eigenbereich der Exekutive und dürften von einem Untersuchungsausschuss ausgeforscht werden, ist völlig abwegig. Meine Damen und Herren, wir scheuen diesen Untersuchungsausschuss in keiner Weise. Wir werden uns dem stellen und werden die Wahrheit ans Licht bringen. Wir werden Ihnen aber nicht ersparen, dass auch Ihre Leute, die Landesfinanzminister und Ministerpräsidenten Ihrer Partei, die Hosen herunterlassen müssen. Am Ende werden wir Bilanz ziehen. Ich sage Ihnen: Sie werden bis aufs Hemd nackt dastehen. ({19})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003124, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Altmaier hat gerade unseren Antrag in aller Ruhe und in aller Sachlichkeit vorgetragen. ({0}) - Das Gebrüll, das aus Ihren Reihen kommt, zeigt: Sie haben vor diesem Ausschuss verdammt viel Angst. ({1}) Dass sich Herr Beck in der Diskussion um diesen Ausschuss an der Verwirrung der Begriffe beteiligt, habe ich erwartet. Von Ihnen, Herr Wiefelspütz, habe ich das nicht erwartet. Ich will Ihnen klar machen, worum es bei diesem Untersuchungsauftrag eigentlich geht. ({2}) Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land wissen ganz genau, wie sie Wahlkämpfe einzuschätzen haben. Sie wissen, dass in Wahlkämpfen überzeichnet wird, dass oft übertrieben wird und dass in der Hitze des Gefechts manches etwas leichtfertig versprochen wird. ({3}) Die Versprechen kann man dann glauben oder nicht. Der Bürger verlässt sich dabei auf seinen politischen Spürsinn, auf seinen gesunden Menschenverstand und auf Daten und Fakten, die ihm bekannt werden. ({4}) Genau das ist der Punkt: Es geht bei diesem Untersuchungsausschuss nicht darum, Wahlversprechen zu untersuchen - diese sind Gegenstand der allgemeinen täglichen Auseinandersetzung; die Quittung dafür gibt es bei der nächsten Wahl -, sondern darum, ob die Tatsachen und die Fakten, die der Bürger gebraucht hat, um sich ein politisches Urteil fällen und um Sachverhalte richtig beurteilen zu können, bewusst und gewollt gefälscht worden sind. ({5}) Wenn der begründete Verdacht besteht - wenn Sie sich mit den Bürgerinnen und Bürgern im Land unterhalten, dann werden Sie merken, dass das der Fall ist -, dass Tatsachen und Fakten mit regierungsamtlicher Autorität eines Bundesministers oder gar des Bundeskanzlers falsch dargestellt worden sind, dann ist das sehr gravierend und kann mit Wahlkampf weder entschuldigt noch erklärt werden. ({6}) Das Prinzip muss doch sein, dass sich der Bundestag ebenso wie die Bevölkerung auf die Fakten verlassen können müssen, die von der Bundesregierung dargelegt werden. Die Erscheinungsformen der demokratischen Auseinandersetzung haben sich im Laufe der Jahrzehnte sicher ständig verändert. Wir haben in diesem Wahlkampf ge1070 spürt: Die Selbstdarstellung, die mediale Erscheinung spielen eine immer zentralere Rolle. Fakten treten oft in den Hintergrund. Daher ist es umso wichtiger, dass die relevanten Fakten, die in der Diskussion noch eine Rolle spielen, richtig sind, damit sich die Menschen auf diese Fakten verlassen können. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass diese Fakten und Tatsachen nicht von Ministern, die ein ganzes Ministerium mit Tausenden von Beamten hinter sich haben, die die Bewertung vornehmen können und wo alle Fäden zusammenlaufen, verfälscht werden. ({7}) Wollen wir wirklich zulassen, dass für den Machterhalt alles erlaubt ist, selbst das Regierungsamt zu missbrauchen und die Unwahrheit zu sagen? Ich meine, das darf nicht sein. Deswegen ist dieser Untersuchungsausschuss nicht überflüssig, lieber Herr Wiefelspütz, sondern er ist notwendig und richtig. ({8}) Wir brauchen eine Grundsatzdebatte über die politische Kultur. ({9}) Peter Altmaier hat dies in dieser Woche richtig gesagt. Wir müssen uns die Frage stellen, ob die Maßstäbe, die wir an Regierungsmitglieder anlegen, auch in der Zukunft noch gelten sollen. Deswegen ist dieser Untersuchungsausschuss nicht rückwärts gewandt, sondern nach vorne gerichtet. Er muss klären: Wo sind die Grenzen für die Durchsetzung von Machtinteressen? Wo sind die Grenzen für den Machterhalt eines Bundeskanzlers und eines Bundesministers? ({10}) Es muss eine solche Grenze geben; denn die Wahrheit darf den Machtinteressen und der Machterhaltung nicht geopfert werden. ({11}) Lieber Herr Eichel, dieser Untersuchungsausschuss ist Teil der legitimen Kontrolle des Parlaments gegenüber der Exekutive. Das ist Ausdruck der Gewaltenteilung. Wenn Sie vorgestern in Ihrer Rede darüber gejammert haben, dass die kritischen Fragen, die die Opposition zu stellen hat, die politische Klasse insgesamt kaputtmachen - Sie haben sogar von Weimarer Verhältnissen gesprochen -, dann gilt das gleiche Prinzip, das wir in den letzten Wochen und Monaten schon immer festgestellt haben: Wenn dieser Bundesregierung kritische Fragen gestellt werden, dann wird das sofort als Majestätsbeleidigung ausgelegt. Inzwischen weigern Sie sich sogar, kritische Fragen von Sachverständigen und von Verbänden anzunehmen, und beschimpfen sie. Dieser Untersuchungsausschuss ist und bleibt legitim. Wenn er als „Klamauk“, als „unanständig“ und von Herrn Müntefering heute als „Instrument der Diffamierung“ bezeichnet wird, ({12}) dann steckt hinter diesen Überreaktionen die pure Angst und Ihr schlechtes Gewissen. ({13}) Sie haben zu Recht ein schlechtes Gewissen; denn Sie haben sich seit der Auseinandersetzung um den blauen Brief und das Theater, das Herr Eichel damals schon aufgeführt hat, Stück für Stück in ein Lügengebäude verstrickt, das es nun aufzuklären gilt. ({14}) Ich bedaure es außerordentlich, dass die Regierungskoalition jetzt mit irgendwelchen Geschäftsordnungstricks versucht, den Ausschuss zu verzögern und auszuhöhlen. Lesen Sie zu unseren rechtlichen Möglichkeiten die Worte von Herrn Morlok, einem Verfassungsrechtler, vom heutigen Tag nach. Er hat gesagt, dass es keine rechtlichen Zweifel an diesem Ausschuss gebe. Ich darf Sie daran erinnern, dass Herr Morlok im letzten Untersuchungsausschuss von Ihnen immer wieder als Sachverständiger benannt worden ist. Ich bin also gespannt, welche Ausdrücke Herr Stiegler für Herrn Morlok demnächst finden wird. ({15}) Ich sage Ihnen: Wir werden - Sie können die Einsetzung ruhig ein bisschen verzögern, wir werden die Debatte notfalls öffentlich führen - diesen Untersuchungsausschuss durchführen. Wir werden nicht zulassen, dass Sie ihn verwässern.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Friedrich, bitte denken Sie an Ihre Redezeit.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003124, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Am Ende wird die Botschaft stehen: Regierungsmitglieder haben im Parlament und in der Öffentlichkeit die Wahrheit zu sagen. Alles andere lässt sich weder die Öffentlichkeit noch das Parlament bieten. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort der Kollegin Petra Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Altmaier, Sie haben meines Erachtens heute die Chance vertan, sich nicht lächerlich zu machen und diesen Antrag zurückzuziehen. ({0}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({1}) Sie hätten heute Morgen noch einmal die Warnung des großen Denkers Äsop in der Fabel vom Berg in Kindesnöten nachlesen sollen. Dann wäre Ihnen klar, dass man mit zu vielen Pauken und Trompeten auch allzu viele Erwartungen weckt. Am Ende macht man sich schnell lächerlich. Das könnte spätestens am Wahltag dem bisherigen Ministerpräsidenten Koch geschehen. Er könnte vielleicht bereuen, dass er die Äußerungen der Kollegen Austermann, Uwe-Jens Rössel aus der damaligen PDSFraktion oder auch die von Herrn Metzger aus dem Frühjahr und Sommer nicht ernst genommen und die Suche nach politischen Konzepten auch darauf aufgebaut hat. ({2}) Einen solchen Untersuchungsausschuss im Parlament brauchen wir wahrlich nicht. ({3}) Aber eines brauchen wir doch, nämlich die Suche nach zukunftstauglichen Konzepten sowohl in den Parteien der konservativen Opposition als auch in der Regierungskoalition. Nehmen wir die Themen, die Sie untersuchen wollen: den Bundeshaushalt, die Lage der Länder und Kommunen und auf welche Art und Weise unser Gemeinwesen tatsächlich noch finanziert werden kann. In den vergangenen zweieinhalb Tagen haben wir festgestellt, dass weder die Oppositionsparteien noch die Regierungskoalition eine Antwort darauf gefunden haben, wie wir den Kommunen wieder genug Luft zum Atmen verschaffen können. Auch die zweite Frage ist nicht ganz neu: die Zukunft unserer Sozialsysteme. Nicht erst seit der Vorlage des Haushaltes, des Hartz-Konzepts oder der Pläne der Gesundheitsministerin wissen wir, dass unsere Sozialsysteme in eine Schieflage geraten sind. Worüber haben wir im Wahlkampf eigentlich die ganze Zeit gestritten? Wir haben darüber geredet - zumindest habe ich das für meine Partei getan -, dass mit dem Einstieg in den Ausstieg durch die Riester-Rente das System nicht auf feste Füße gestellt werden kann. Auch mit Ihrer Teilkaskomentalität in der Gesundheitsversorgung ist das nicht möglich, meine Damen und Herren von der FDP. Sie haben aber nicht den Mut gehabt, nach neuen Finanzierungsquellen wie einer Wertschöpfungsabgabe zu suchen. Es würde also lohnen, endlich in den Wettstreit um zukunftsfähige Konzepte einzutreten, statt hier die Kämpfe der Vergangenheit auszutragen. Dann kommen wir vielleicht schon zum nächsten Wahltag - in welchem Bundesland auch immer - dazu, dass sich die Bevölkerung nicht sagt „Vor Wahlen und nach der Jagd wird am meisten gelogen“, sondern dass sie uns nach unseren Konzepten und Taten beurteilt. Danke schön. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Hermann Bachmaier, SPD-Fraktion.

Hermann Bachmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000072, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selten ist ein Untersuchungsausschuss von Anfang an auf so viel Kritik aus buchstäblich allen Parteien - auch aus Ihren eigenen Reihen, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU - wie auch in der Presse und in der Bevölkerung gestoßen wie dieser Ausschuss. ({0}) Dieses unselige Vorhaben wird von einem allgemeinen Kopfschütteln begleitet. Wir können nur hoffen, dass diese Art der rückwärts gewandten Selbstbeschäftigung des Parlaments ein einmaliger Vorgang bleiben wird. Ich hoffe dies, weil das, was Sie vorhaben, abschreckend genug in die Zukunft hinein wirken dürfte. ({1}) Ich zitiere nur eine von vielen kritischen Stimmen. Der FDP-Landtagsabgeordnete aus meinem Wahlkreis Schwäbisch Hall, der stellvertretende Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg ({2}) und stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, Dr. Walter Döring, hat diesen Untersuchungsausschuss als „abenteuerlichen Schwachsinn“ bezeichnet. ({3}) Das Vorhaben, so Döring, sei an Mut- und Einfallslosigkeit wie auch an „Scheinheiligkeit“ nicht mehr zu überbieten. Das kommt auch aus den Reihen derer, die das Vorhaben in Berlin offiziell unterstützen. Döring gibt den dringenden Rat, sich mit inhaltlichen Positionen statt mit derart unseligen Vorhaben zu profilieren. ({4}) Dem ist nichts hinzuzufügen. Die Menschen wollen Antworten auf die anstehenden Sachfragen und keine rechthaberische Vergangenheitsbewältigung, wie Sie sie betreiben. ({5}) Alle Zahlen, die den Bundeshaushalt oder die Finanzlage der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung betreffen, waren den damit befassten Parlamentarierinnen und Parlamentariern und den zuständigen Landesministern ebenso bekannt wie den jetzt ins Visier genommenen Mitgliedern der Bundesregierung. Diese Zahlen sowie die Einschätzung der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung waren im Übrigen während des gesamten Bundestagswahlkampfes immer wieder Gegenstand von Erörterungen. Zum Beispiel haben wir Sie mit allem Nachdruck darauf hingewiesen, dass aufgrund der Haushaltsentwicklung Ihre Wahlkampfversprechen absolut unerfüllbar sind. Das hat Sie aber nicht weiter gestört. Sie haben genau gewusst, dass Sie Ihre Versprechen nicht hätten hal1072 ten können. Davon wollen Sie jetzt ablenken. Das war ja wohl auch der Grund dafür, weshalb Ihnen die Wählerinnen und Wähler am 22. September nicht abgenommen haben, dass Sie Ihre Versprechungen erfüllen werden. Deshalb führen Sie heute dieses Vernebelungsmanöver durch. Sie haben dennoch einen Anspruch darauf, auch Dinge, die an und für sich Teil der ganz alltäglichen und normalen parlamentarischen Auseinandersetzung sein sollten, in einem Untersuchungsausschuss zu behandeln, der mit den Mitteln der Strafprozessordnung die Wahrheit zu ergründen sucht. Dieses Recht steht Ihnen nach dem Grundgesetz zu. Wir wollen Sie deshalb nicht daran hindern, den Untersuchungsausschuss ins Werk zu setzen, der Ihnen - auch das prophezeie ich Ihnen - noch auf die eigenen Füße fallen wird. Unsere Aufgabe ist es allerdings - dabei bleiben wir auch -, dafür zu sorgen, dass auch ein derartiger Untersuchungsausschuss verfassungsrechtlich korrekt zustande kommt. ({6}) Der Untersuchungsauftrag muss eine hinreichende Basis für die Untersuchungsarbeit darstellen. Auf seiner Grundlage müssen auch hinreichend bestimmte Beweisanträge behandelt und beschlossen werden können. Das, was Sie uns heute als Einsetzungsantrag vorlegen, lässt zwar, wenn man viel Fantasie aufbringt, ({7}) erahnen, was Sie in diesem Untersuchungsausschuss alles zu untersuchen gedenken. Von hinreichender Bestimmtheit des Untersuchungsgegenstandes kann allerdings nicht die Rede sein. ({8}) Ich habe mich über Ihren offensichtlich hastig zusammengebastelten Antrag sehr gewundert. Er ist von einer Pauschalität und einer Allgemeinheit, wie ihn das Parlament wohl selten gesehen hat. Sie haben sich noch nicht einmal Zeit für eine knappe Begründung Ihres Antrags genommen. Da Sie schon seit einigen Wochen wissen, dass Roland Koch diesen Untersuchungsausschuss haben will, habe ich von Ihnen erwartet, dass Sie sich auf den Hosenboden setzen und wenigstens Ihre Hausaufgaben machen. Das sind Sie Ihrem Wahlkämpfer Koch doch schuldig. Sie haben aber nichts getan. ({9}) Natürlich haben Sie - ich wiederhole das - als qualifizierte Minderheit das Recht, den Untersuchungsgegenstand, mit dem sich der Untersuchungsausschuss befassen soll, festzulegen. ({10}) Das haben Sie allerdings nicht getan. Ihr Antrag soll wohl das gesamte, sich ständig entwickelnde Haushalts- und Finanzgeschehen des Staates und der Sozialversicherungssysteme von Januar bis September 2002 auf den Prüfstand stellen und an der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung messen. An dieser Messlatte wollen Sie dann als Oberzensor der Nation prüfen, wer wann in welchem Stadium der Wahrheit am nächsten kam. Uferloser, umfänglicher und unpräziser geht es wohl nicht. Viel Vergnügen auf dieser Reise! ({11}) Ich halte das, was Sie uns vorgesetzt haben, handwerklich für eine ganz miserable Arbeit und verfassungsrechtlich für eine Zumutung. Sie selbst haben in Ihrer Regierungszeit immer akribisch darauf geachtet, dass unsere damaligen Untersuchungsaufträge rechtsstaatlich hinreichend bestimmt waren. In einem Fall - unser damaliger Antrag war wesentlich konkreter formuliert als Ihr heutiger - haben Sie sogar ein teures Gutachten bei dem ehemaligen Bundesverfassungsrichter und späteren Direktor des Max-Planck-Instituts für öffentliches Recht in Heidelberg, Professor Helmut Steinberger, einer wahrlich prominenten Größe, in Auftrag gegeben. In dem lesenswerten Gutachten von Professor Steinberger ist ausgeführt, welche verfassungsrechtlichen Anforderungen zum Beispiel an die Bestimmtheit eines Antrags auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu stellen sind. An diesen Maßstäben muss sich auch Ihr heutiger Antrag messen lassen; denn dieses Gutachten hatten Sie damals eingeholt. Wir fordern Sie ausdrücklich auf, konstruktiv an einer konkreteren Fassung Ihres Antrags mitzuwirken; denn wir werden peinlich darauf achten, dass der Untersuchungsausschuss eine einwandfreie und hinreichend bestimmte Grundlage erhält. Nur dann kann im Übrigen Ihren Vorwürfen zügig nachgegangen werden und nur dann wird uns ein jahrelang buchstäblich dahindümpelnder Ausschuss erspart bleiben. Zuletzt möchte ich den ständig wiederholten Vorwurf aufgreifen, wir wollten die Einsetzung des Untersuchungsausschusses und seine Arbeit verzögern bzw. behindern. Ich weise solche Anschuldigungen in Namen der SPD-Fraktion mit allem Nachdruck zurück. ({12}) Angesichts der Fakten finde ich diesen Vorwurf wahrlich unverfroren. Seit Wochen reden und reden Sie von diesem Ausschuss und sagen, wie wichtig er ist und welche Zeugen zuerst und wann gehört werden sollen. Aber außer Reden passierte nichts. Den Einsetzungsantrag kennen wir seit gerade einmal zwei Tagen. Uns vor diesem Hintergrund Verzögerungstaktik vorzuwerfen ist schon ein dreistes Stück, meine Damen und Herren. ({13}) Es ist nicht nur unser Recht, sondern auch unsere Pflicht, diesen Antrag zu prüfen, auf seine Verfassungsverträglichkeit hin abzuklopfen und darauf hinzuwirken, dass er diesen Anforderungen entspricht. Nach dem Prinzip, das Sie hier zum Maßstab erheben wollen, nämlich „Vogel friss oder stirb“, müssen, dürfen und werden wir nicht verfahren. Herzlichen Dank. ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Jürgen Gehb von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bachmeier, es ist bezeichnend, dass Sie schneller die Verfassungswidrigkeit eines Antrages erkennen, als den ganzen Antrag lesen können. ({0}) Meine Damen und Herren, ich sehe ja ein, dass in der Bundesregierung und in der Koalition kein Jubel darüber ausbricht, dass wir einen solchen Antrag einbringen. Sie können aber nicht von uns erwarten, dass es die Opposition unterlässt, auch in einem formalisierten Verfahren Fehler festzustellen, um so die Situation von Rot-Grün in irgendeiner Weise zu verbessern. Ich sehe auch ein, dass der Fraktionsvorsitzende der SPD und viele andere Mitglieder der SPD-Fraktion weder den Antrag noch Art. 44 des Grundgesetzes noch das Gesetz noch die dazu ergangene Fachliteratur gelesen haben. ({1}) Das alles wundert mich nicht, vor allem deshalb, weil Sie dann noch Sachen sagen, in Bezug auf die der Bundeskanzler in einem anderen Zusammenhang von Kakophonie spricht. ({2}) Mich wundert aber, dass sich, wie man so schön sagt, der Papst auf dem Gebiet des Untersuchungsrechts, Herr Wiefelspütz, der sehr seriöse und sachkundige Aufsätze geschrieben hat - sie sind jedenfalls unter seinem Namen erschienen -, ich nehme auch an, Sie haben sie geschrieben -, als Politiker einen Hut aufsetzt, mit dem er sich als Fachautor schämen müsste. ({3}) Herr Wiefelspütz, ich möchte Sie einmal mit einem Zitat aus Ihrem Aufsatz „Die qualifizierte Minderheit im Untersuchungsausschuss“ konfrontieren, der im August-Heft der „Neuen Justiz“ auf der Seite 398 - die einschlägige Passage finden Sie auf Seite 399 - veröffentlicht wurde. Dort heißt es: Die parlamentarische Untersuchung ist nämlich eine genuin politische und damit auch parteiische Veranstaltung, in deren Mittelpunkt die politisch-parlamentarische Auseinandersetzung, der politische Kampf steht, was von einer idealisierenden, parlamentsfernen Betrachtungsweise häufig verkannt wurde und wird. Dem ist im Grunde nichts hinzuzufügen. Wenn Sie nun allerdings, Herr Wiefelspütz - das wundert mich ganz besonders - pausenlos den Eindruck zu erwecken versuchen, hier solle die Gültigkeit oder Legitimität einer Wahl untersucht werden, dann zeigen Sie mir eine einzige Stelle, nach der expressis verbis über die Gültigkeit der Wahl befunden werden soll.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Gehb, gestatten Sie ein Zwischenfrage des Kollegen Wiefelspütz?

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Auf jeden Fall. ({0}) - Herr Wiefelspütz, nicht so nervös. Das rote Licht geht gleich an. Dann können Sie in aller Ruhe und ohne zittrige Finger Ihre Frage stellen.

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich danke Ihnen sehr für Ihre Fürsorge, geschätzter Kollege Gehb. - Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, ({0}) dass bei allem, was wir tun, die Verfassung einzuhalten ist. Bei jeder Auseinandersetzung im Parlament müssen wir das Grundgesetz einhalten. ({1}) Sind Sie ernsthaft nicht der Auffassung, dass wir in einem solchen Untersuchungsausschuss in allen Phasen des Parlamentarismus, nämlich von Politik bis Streit und Bewertung auf jeden Fall das Grundgesetz einzuhalten haben? ({2})

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Wiefelspütz, wenn ich die im Abschlussbericht des 1. Untersuchungsausschusses auf Drucksache 14/9300 wiedergegebenen Texte der früheren Untersuchungsausschüsse - dort heißt es zum Beispiel, der Untersuchungsausschuss solle prüfen und klären, ob Parteispenden und sonstige Zahlungen an Parteien, Untergliederungen oder deren Beauftragte gegangen sind -, ({0}) mit dem heutigen Antrag vergleiche, dann kann ich feststellen, dass unser Wortlaut, der besagt, dass geklärt werden soll, ob Regierungsmitglieder mit ihrer Autorität unvollständig oder falsch informiert haben, geradezu ein Musterbeispiel an Bestimmtheit ist. Das können Sie demnächst in der Fußnote 17 eines weiteren Aufsatzes zitieren. ({1}) Herr Wiefelspütz, in diesem Zusammenhang haben Sie sogar davon geredet, dass Schindluder mit der Verfassung getrieben werde. Mir ist nur eine historische Situation bekannt, in der mit der Verfassung Schindluder getrieben wurde: als Rot-Grün versuchte, ein von ihr majorisiertes Wahlprüfungsgericht, flankiert durch einen Untersuchungsausschuss, dahin gehend zu instrumentalisieren, nach Jahren darüber zu entscheiden, ob eine Landtagswahl gültig war oder nicht. ({2}) - Ja, bei Hessen; das haben Sie messerscharf erkannt. Sie sind mir durch Ihre Zwischenrufe ohnehin als besonders pfiffiges Kerlchen aufgefallen. Wie heißen Sie eigentlich? ({3}) Dieser Versuch, die hessische Wahl über ein Wahlprüfungsgericht zu kippen, in dem drei Vertreter von Rot-Grün und zwei von CDU und FDP saßen, ist vor dem Bundesverfassungsgericht kläglich gescheitert. ({4}) In der Folge musste das Wahlprüfungsgericht in Hessen das Verfahren kleinlaut einstellen. Meine Damen und Herren, sämtliche Versuche, unseren Antrag im Lichte des Verfassungsrechts besonders abzuklopfen, dienen lediglich dazu, dieses Verfahren zu verzögern. Das ist eindeutig. ({5}) Ich verstehe dies gar nicht, da Sie auf der anderen Seite sagen, Sie sähen dem Untersuchungsausschuss mit Gelassenheit entgegen, und der Bundesfinanzminister, mein hessischer Kollege aus Kassel, sich sogar auf diesen Ausschuss freut. Nun machen Sie ihm doch die Freude! Wenn sich jemand auf etwas freut, sollte man ihm die Freude doch nicht lange vorenthalten. ({6}) Alles in allem ist es bezeichnend, wenn man die Einberufung eines verfassungsrechtlich verbürgten Ausschusses als Angriff auf die Kultur unserer Demokratie ansieht, ({7}) wie es eine bekannte Dame, die Parteivorsitzende und zugleich Mitglied des Bundestages ist, immer wieder sagt. ({8}) - Diese CDU-Kollegen sind allerdings nicht in dieser Rolle. Sie alle wollen - das ist auch für die Öffentlichkeit erkennbar - das Instrument der Überweisung in den Geschäftsordnungsausschuss gröblich missbrauchen. Das wird die Öffentlichkeit wahrlich nicht goutieren. Herzlichen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/125, Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Die Fraktion der CDU/CSU wünscht Abstimmung in der Sache, die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen beantragen Überweisung an den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung. Nach ständiger Übung hat der Antrag auf Ausschussüberweisung Vorrang. Folglich lasse ich über diesen Antrag zuerst abstimmen. Wer dem Antrag auf Überweisung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt gegen diesen Antrag? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Antrag auf Überweisung ist mit den Stimmen der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der fraktionslosen Mitglieder des Hauses angenommen worden. Folglich stimmen wir über den Antrag auf Drucksache 15/125 heute nicht ab. Bevor ich den nächsten Geschäftsbereich im Rahmen der Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestages aufrufe, möchte ich diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die dieser Debatte nicht folgen können oder wollen, bitten, den Plenarsaal möglichst zügig zu verlassen, damit wir für die folgenden Redner die nötige Aufmerksamkeit sicherstellen können. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Außerdem rufe ich den Tagesordnungspunkt 6 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Fristen und Bezeichnungen im Neunten Buch Sozialgesetzbuch und zur Änderung anderer Gesetze - Drucksache 15/124 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Als erster Rednerin erteile ich der Bundesministerin Frau Schmidt das Wort.

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich vorab zwei Dinge klarstellen: Erstens. Die deutsche Rentenversicherung steht nicht vor dem Kollaps, auch wenn eine große Boulevardzeitung das heute behauptet hat. Diese Behauptung ist unwahr; diese Aussagen sind unverantwortlich. Sie haben nur ein einziges Ziel: Ängste zu erzeugen und Menschen zu verunsichern. ({0}) - Auch der Bundesrechnungshof hat das so nicht gesagt. Die Rentenversicherung macht im Moment wie alle anderen Sozialversicherungen konjunkturbedingt eine schwierige Zeit durch. Die Einnahmen sinken und die Ausgaben müssen ungeachtet dessen geleistet werden. Unsere derzeitigen Schwierigkeiten sind aber beherrschbar. Wir haben zu diesem Zweck in diesem Parlament ein Beitragssatzsicherungsgesetz beschlossen. Wenn dieses Vorhaben Gesetz ist, wird die finanzielle Situation der Rentenversicherung auch in den kommenden Jahren gesichert sein. Kein Rentner und keine Rentnerin muss sich Sorgen machen; das deutsche Rentenversicherungssystem ist sicher. Durch die notwendigen Anpassungen, durch die notwendigen Reformen - Reformen sind immer nötig - werden wir dafür sorgen, dass dies so bleibt und dass die Auszahlung der Rente für alle gesichert ist. ({1}) Wir haben mit dem Beitragssatzsicherungsgesetz - Anhebung der Rentenbeiträge auf 19,5 Prozent und Veränderung der Schwankungsreserve - einen Finanzpfad aufgezeigt. Der Haushalt, den wir heute beraten, sieht vor, dass rund 77 Milliarden Euro in die Rentenversicherung fließen. Dem liegt nicht der Gedanke zugrunde, dass die Rentenauszahlungen nicht sicher sind; die Regierungskoalition hat vielmehr bewusst die Entscheidung getroffen, die gesamtgesellschaftlich zu leistenden Aufgaben über Steuermittel zu finanzieren, deren Finanzierung also nicht den Beitragszahlern und Beitragszahlerinnen zu überlassen. ({2}) Das, was wir über Steuermittel finanzieren, ist für uns gesellschaftspolitisch wichtig. Durch die Finanzierung über Steuermittel bringen wir zum Ausdruck, dass wir die Lebensleistung von Frauen und Männern anerkennen. Das gilt insbesondere für die Lebensleistung derjenigen, die jahrelang erwerbstätig waren, aber immer nur wenig verdient haben. Wir sichern diesen Menschen zumindest eine Mindestrente. Wir erkennen an, dass eine Person - vor allen Dingen Frauen - in der Zeit, in der sie Erziehungsaufgaben nachgekommen ist, nicht erwerbstätig sein konnte. Wir haben die Grundlage dafür gelegt, dass die Erziehung eines Kindes im Hinblick auf die Höhe der Rente genauso bewertet wird, als hätte der- oder diejenige in diesem Zeitraum einen Durchschnittsverdienst erhalten. Das ist eine große Leistung, der im Rahmen der Rentenversicherung Rechnung getragen wird. ({3}) Damit sorgen wir auch dafür, dass Frauen im Alter nicht von Altersarmut bedroht sind. ({4}) Darauf können wir alle gemeinsam stolz sein, weil dieser Weg immer gemeinsamer Konsens war. Ich bin stolz darauf, dass wir in unserem Haushalt dafür Mittel haben. Das macht deutlich, dass dieser Bereich dem Staat etwas wert ist. Wir werden dafür sorgen, dass dies auch in Zukunft der Fall ist. ({5}) Zweitens. In derselben Ausgabe der „Bild“-Zeitung wird mein Kollege Herr Seehofer mit den Worten zitiert, dass auch die gesetzliche Krankenversicherung ein Riesenloch aufweisen werde. Ich habe schon in der letzten Woche gesagt, dass wir aufgrund der konjunkturellen Schwierigkeiten und der wegbrechenden Einnahmen ({6}) - über Verschiebebahnhöfe, Herr Zöller; könnten wir uns, wenn ich mehr Zeit hätte, gerne unterhalten; ({7}) zwei Drittel aller Verschiebebahnhöfe fallen in Ihre Verantwortung ({8}) und trotz hoher Tarifsteigerungen in den ersten drei Quartalen dieses Jahres ein Defizit von 3,2 Milliarden Euro hatten. Es ist davon auszugehen, dass wir bis Ende des Jahres, ({9}) wenn die Einnahmesituation so bleibt, wie sie ist, von einem Defizit von bis zu 2,5 Milliarden Euro ausgehen müssen. ({10}) - Nein, ich habe gesagt, dass wir auf der Grundlage der Meldungen der Krankenkassen - Sie wissen ganz genau, dass erst circa 75 Prozent der Kassen gemeldet hatten hochgerechnet haben und auf ein Defizit von knapp 3 Milliarden Euro gekommen sind. Jetzt liegen die Daten zu 100 Prozent vor. Für die ersten drei Quartale beträgt das Defizit 3,2 Milliarden Euro. Ende des Jahres werden wir ein Defizit von gut 2 Milliarden Euro haben. Auch nach den Berechnungen des Schätzerkreises kann sich das Defizit zwischen 2 Milliarden Euro und 2,5 Milliarden Euro bewegen. Es kommt darauf an, wie es mit dem 13. Monatsgehalt aussieht ({11}) - schlecht, natürlich, das wissen wir alle -, ({12}) und wie von der Möglichkeit der Entgeltumwandlung Gebrauch gemacht wird. Das Defizit, das wir haben, ist auch der Ausgabenseite und nicht nur der Einnahmeseite geschuldet. Denn während man im Juni und im September noch von einer Ausgabensteigerung um 2,8 Prozent ausging, haben wir jetzt eine Steigerung um 3,3 Prozent zu erwarten. Die Ausgaben der Ersatzkassen für die Krankenhäuser zum Beispiel sind überdurchschnittlich hoch. Auch die Verwaltungsausgaben sind sehr hoch. ({13}) Außerdem haben wir noch immer hohe Ausgaben im Arzneimittelbereich, weil es der Selbstverwaltung nicht gelungen ist, das zu erreichen, was sie zu Beginn des Jahres vertraglich vereinbart hat, nämlich einen Rückgang der Arzneimittelausgaben um 4,9 Prozent. Grund dafür ist auch etwas, was wir alle wollten und auf den Weg gebracht haben, nämlich die Umsetzung des Wohnortprinzips zur Angleichung der Honorare der Ärzte und Ärztinnen in den neuen Bundesländern. Die Honorare sind um 5,7 Prozent angestiegen. Die Betriebskrankenkassen werden dadurch mit über 23 Prozent belastet, weil wir durchsetzen, dass sie dort bezahlen, wo die Menschen ihre Leistungen erhalten, und das Geld nicht in den Westen geben. Das sind die Gründe. Wir haben Maßnahmen auf den Weg gebracht, um das Defizit abzubauen. Wir haben geplant, im kommenden Jahr an der Ausgabenseite anzusetzen und dafür zu sorgen, dass die, die Leistungen erbringen, mit dazu beitragen, dass wir stabile Beiträge erreichen. ({14}) Vollständigkeitshalber sage ich, weil Sie eben über das Defizit gelacht haben ({15}) - oder es Sie in Erregung versetzte -: ({16}) Das Defizit der GKV betrug 1991 1,5 Milliarden Euro, 1992 4,8 Milliarden Euro, 1995 3,8 Milliarden Euro und 1996 fast 3,6 Milliarden Euro. Wir haben auch in 2000 und im letzten Jahr ein Defizitgehabt und auch in diesem Jahr werden wir ein Defizit haben. ({17}) - Nein, 1998 und 1999 gab es kein Defizit. ({18}) Dies ist alles beherrschbar. Wir haben einen anderen Weg gewählt als Sie. ({19}) - Sie hatten 1998 kein Defizit, weil Sie den Patientinnen und Patienten in die Tasche gegriffen haben, weil Sie Leistungen ausgegrenzt haben. Wir gehen einen anderen Weg. ({20}) Sie werden einen Unterschied zwischen Ihrer und unserer Politik sehen: Sozialverbände, Patientenorganisationen, Verbraucherschutzverbände, alle sagen, ({21}) dass das vorgelegte Maßnahmenpaket, das vorgelegt wird, in Ordnung ist. Es ist eine Wende. ({22}) Es ist eine Wende, weil erstmals nicht bei den Kranken gespart wird, ({23}) sondern weil von denen ein Sparbeitrag eingefordert wird, die besonders verdient haben, von der Pharmaindustrie und von anderen Leistungserbringern und -erbringerinnen. ({24}) Deshalb sage ich Ihnen: Es wäre sehr gut, wenn Sie diesen Weg mitgehen würden, ({25}) damit wir gemeinsam mit der Strukturreform in der gesetzlichen Krankenversicherung beginnen können, die im nächsten Jahr ansteht, ({26}) eine Reform mit den Schwerpunkten mehr Wettbewerb, Qualität, Patientenorientierung, Verbraucherschutz und mehr Prävention, die ja zu Ihrer Zeit völlig aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gestrichen wurde. ({27}) Auf diesem Weg können wir unsere sozialen Sicherungssysteme fit machen für die Zukunft. Das gilt nicht nur in Bezug auf die Krankenversicherung. Man kann ja darüber lachen, Herr Seehofer. Ich finde, dass wir auf sehr guten Fundamenten aufbauen. ({28}) In den letzten zehn Jahren sind über die Sozialversicherungen fast 490 Milliarden DM von West nach Ost transferiert worden, um zu einer Angleichung der Lebensverhältnisse zu kommen. Aber es wäre auch eine Entscheidung möglich gewesen, die die Sozialversicherungskassen entlastet hätte. Wenn man in den 90er-Jahren den Mut gehabt hätte, dies über Steuern zu finanzieren, wären alle daran beteiligt worden und nicht allein die Beitragszahler und Beitragszahlerinnen. ({29}) Ich sage das hier, weil es ein Ausdruck für die Leistungsstärke unserer Sozialversicherungssysteme ist. Unabhängig davon muss jeder von uns - unabhängig davon, wer regiert - immer die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen, die Veränderungen der Arbeitsverhältnisse und die Veränderungen der Einnahmesituation berücksichtigen. Die sozialen Sicherungssysteme haben über 50 Jahre zum sozialen Frieden in diesem Land beigetragen. Sie haben dafür gesorgt, dass jede Familie mit ihrem Kind zu einem Arzt gehen konnte und dass nirgendwo eine Behandlung aufgrund der Einkommenssituation einer Familie verweigert wurde. Sie haben dazu geführt, dass Menschen im Alter von ihrem Einkommen leben können. Wir müssen diese sozialen Sicherungssysteme dadurch fit machen, dass wir sie den Organisationsformen, in den Strukturen und auch in der Finanzierung immer wieder an die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse anpassen. ({30}) Wir haben im Gegensatz zu Ihnen zur Rente in der letzten Legislaturperiode einen Entschluss gefasst, weil wir erkannt haben, dass die umlagefinanzierte Rente als alleinige Lebensstandardsicherung im Alter für die jüngere Generation nicht mehr ausreicht; deshalb bauen wir eine zusätzliche kapitalgestützte Säule auf. Wir haben dafür gesorgt, dass auch Menschen mit geringem Einkommen ermöglicht wird, diese Säule aufzubauen. In der Endstufe steht hierfür ein Fördervolumen von über 12 Milliarden Euro zur Verfügung. Darauf sind wir stolz, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. ({31}) Wir haben zweitens dafür gesorgt, dass mit der Einführung dieser Riester-Rente mittlerweile 18,8 Millionen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen über Tarifverträge die Möglichkeit haben, Pensionskassen und Pensionsfonds beizutreten. Wir haben ein Drittes getan: Wir haben dafür gesorgt, dass sich mit der Änderung der Anpassungsformel eine geringere Belastung für die jüngere Generation durch eine verringerte Erhöhung der Rente für die ältere Generation ergibt. Dies führt zu mehr Generationengerechtigkeit. Dies sind notwendige Reformen, die unsere sozialen Sicherungssysteme den neuen Herausforderungen anpassen und sie fit für die Zukunft machen. Darauf bin ich stolz. ({32}) Lassen Sie mich kurz zitieren, was letztens im Bayern 2 Radio gesendet wurde. Dies hat mir so gut gefallen, dass ich es gern meinen Freunden aus der bayerischen CSU vorlesen möchte - ich zitiere -: ({33}) Es gibt da ein Land - es heißt Deutschland - und in dem geht es ziemlich schrecklich zu. ({34}) Ein fürchterlicher Staat greift mit Krakenarmen nach den unschuldigen Bürgern und saugt die letzten Steuergroschen aus ihnen heraus. Für Kranken- und Rentenversicherung müssen die Menschen Haus und Hof verkaufen. „Wir schuften nur noch für den Staat“, teilen uns die Schlagzeilenmacher mit und erklären im Übrigen, dass es furchtbar enden wird. Aber da gibt es noch ein zweites Land. Es heißt Deutschland. Und in diesem Land gibt es einen Lebensstandard, um den uns fast die ganze Welt beneidet. ({35}) Ärztliche Versorgung und Renten sind auf hohem Niveau, die Straßen sind so breit wie sonst nirgends und die Menschen kaufen in Läden ein, in denen es 47 verschiedene Tiefkühlpizzen gibt... ({36}) Und wenn der Bund der Steuerzahler noch so oft vorrechnet, dass wir das halbe Jahr für „den Staat“ arbeiten würden, dann kann ich nur erwidern: Meine Frau und ich empfanden es stets als ein hohes Maß an Lebensqualität, dass wir für unsere Kinder einen Arzt rufen konnten, wann immer es notwendig war, und dass dieser Staat außerdem Schulen betreibt, Feuerwehrautos und Theater, Sozialstationen, Polizei, Sportplätze und vieles mehr. ({37}) Weil dieses mein und unser Deutschland ist, sage ich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Lassen Sie uns wieder alles vom Kopf auf die Füße stellen! ({38}) Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass wir dieses Deutschland so, wie es hier beschrieben ist, weiterentwickeln und das, was unseren Staat in den letzten 50 Jahren ausgezeichnet hat - soziale Sicherung für unsere Bürger und Bürgerinnen -, mit den notwendigen Reformen zukunftsfest machen. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass dies erhalten bleibt! Ich lade Sie gerne dazu ein. Vielen Dank. ({39})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile dem Kollegen Horst Seehofer, CDU/CSUFraktion, das Wort. ({0})

Horst Seehofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002140, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben schon viele Zumutungen seitens der Gesundheitsministerin erfahren, aber dieses infantile Märchen am Schluss ihrer Rede von breiten Straßen, von Pizzen und Feuerwehrautos war schon ein vorläufiger Tiefpunkt, den wir in diesem Jahr im Parlament erlebt haben. ({0}) Ich möchte mich auf drei Bemerkungen konzentrieren. Erstens. Frau Schmidt, wir werfen Ihnen vor, dass die Menschen in Deutschland den höchsten Beitrag in der Geschichte der gesetzlichen Krankenversicherung zahlen. ({1}) Die Beitragserhöhungen haben zum 1. Januar dieses Jahres gegriffen. Trotz unzähliger staatlicher Eingriffe durch Sie in die gesetzliche Krankenversicherung verzeichnen die Krankenkassen jetzt wieder ein Rekorddefizit. Dies ist der erste Vorwurf, den man Ihnen machen muss. Sie sind also mit Ihren politischen Instrumenten gescheitert. ({2}) Zweitens. Wir haben hier am 12. September 2002 diskutiert und wir, die CDU/CSU und auch die FDP, haben Ihnen auf Punkt und Komma die weitere finanzielle Entwicklung in diesem Jahr vorhergesagt. Dies haben Sie damals mir gegenüber als Panikmache eingeordnet. ({3}) Ich habe damals den Satz gesagt: Das, was die Gesundheitsministerin hier vertritt, ist nicht eine Fehleinschätzung, sondern eine Falschaussage. Der Unterschied besteht darin, dass Sie es anders wussten, es in der Öffentlichkeit aber trotzdem anders dargestellt haben. ({4}) Ich hätte heute eigentlich erwartet, dass Sie dem Parlament und der Öffentlichkeit zumindest erklären, was sich innerhalb von wenigen Wochen so fundamental verändert hat, dass von Ihrer Prognose „Wir werden in diesem Jahr einen ausgeglichenen Haushalt und stabile Beiträge vorweisen“ nichts mehr übrig geblieben ist. ({5}) Frau Schmidt, Sie haben die deutsche Bevölkerung angelogen. Das muss man immer und immer wieder sagen. ({6}) Wie ist denn die tatsächliche Lage der deutschen Sozialversicherung? Wir werden zum Jahreswechsel einen Gesamtsozialversicherungsbeitrag, aufzubringen durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer, in Höhe von etwa 42 Prozent erreicht haben. Das ist etwa der Beitragssatz, den wir vor vier Jahren in der Bundesrepublik Deutschland hatten. ({7}) Ich sage Ihnen aber jetzt, was sich in diesen vier Jahren für die Menschen verändert hat: 17 Milliarden Euro durch die Ökosteuer, 3 Milliarden Euro aufgrund der Sozialversicherungspflicht für Minijobs - das sind die 325-Euro-Jobs, die es vorher nicht gab -, 1,5 Milliarden Euro durch die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze. Diese drei Maßnahmen zusammen bewirken eine zusätzliche Belastung für die Bevölkerung in Höhe von 21,5 Milliarden Euro. ({8}) Daneben nehmen Sie aus der Rücklage der Rentenversicherung - das haben Sie schon in der Vergangenheit getan, jetzt machen Sie es wieder mit dem Beitragssicherungsgesetz - 5 Milliarden Euro, um weitere Beitragserhöhungen zu vermeiden. Dieses Geld muss irgendwann einmal an die Rentenversicherung zurückgeführt werden. Das heißt, Sie haben mit 21,5 Milliarden Euro die Menschen abgezockt. Zusätzlich haben Sie die Reserve der Rentenversicherung in Höhe von 5 Milliarden Euro in Anspruch genommen. Insgesamt ergeben sich 26,5 Milliarden Euro oder - in alter Währung - rund 53 Milliarden DM zusätzlich für die Sozialversicherung, ohne dass es an irgendeiner Stelle eine Entlastung für die Bevölkerung gegeben hätte. ({9}) Die Menschen erleben jetzt, dass trotz dieser zusätzlichen finanziellen Belastungen in den letzten vier Jahren die Rentenleistungen gesunken sind und die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung schlechter geworden ist. ({10}) Trotz einer noch nie dagewesenen zusätzlichen finanziellen Belastung für die Menschen in diesem Lande haben wir gleichwohl eine Verschlechterung bei den Renten und in der Gesundheitsversorgung in der Bundesrepublik Deutschland. Zwei negative Rekorde zu erreichen hat bisher noch kein Sozial- und Gesundheitsminister geschafft, nur Ulla Schmidt. ({11}) Das ist die wahre Lage in der Sozialversicherung. Die Sozialversicherung - wir haben das schon vor über einem Jahr in der Öffentlichkeit dargestellt - befindet sich in der tiefsten Krise seit ihrem Bestehen: ({12}) schlechtere Leistungen und höhere finanzielle Belastungen. Trotzdem vertreten wir die Überzeugung, dass ein Befreiungsschlag zur Rettung dieser Sozialversicherung Vizepräsident Dr. Norbert Lammert noch möglich ist, wenn man jetzt einen radikalen Politikwechsel einleiten würde. ({13}) Frau Schmidt, ich prophezeie Ihnen: Wenn Sie auf der Grundlage dieser Politik, einschließlich der sich jetzt im Bundesrat befindenden Gesetze, weitermachen, ({14}) dann werden wir in dieser Legislaturperiode in der Krankenversicherung auf einen durchschnittlichen Beitragssatz von über 15 Prozent und in der Rentenversicherung auf einen Beitragssatz von über 20 Prozent kommen. Sie werden parallel dazu gezwungen sein, die Leistungen in der Krankenversicherung weiter abzubauen und zusätzlich in die Rentenleistung einzugreifen. ({15}) Was viele in der öffentlichen Diskussion befürchten, auch manche Radikalreformer, nämlich dass wir uns mit einer Grundversorgung und mit einer Grundrente anfreunden müssen, das würde bei Fortsetzung dieser Politik durch die normative Kraft des Faktischen innerhalb dieser Legislaturperiode Wirklichkeit werden. Das wäre das Ergebnis Ihrer Politik, Frau Schmidt. Deshalb brauchen wir einen radikalen Politikwechsel, damit wir unser bewährtes deutsches Sozialsystem retten. Diese Rettung ist möglich. ({16}) Ich habe Ihnen in der letzten Debatte zu diesem Thema bereits gesagt, dass die Hauptelemente dieser Rettung schon 1998 im Bundesgesetzblatt standen. Ich fordere Sie heute wieder auf, auf diese Grundelemente zurückzugreifen, damit der Teufelskreis von ständig steigenden Beiträgen und sinkenden Leistungen durchbrochen wird. ({17}) - Meine Damen und Herren, Sie haben noch nie eine Opposition erlebt, die so konkrete Vorschläge zur konzeptionellen und programmatischen Lösung der Probleme macht wie diese CDU/CSU. ({18}) Wir sagen auch in Landtagswahlkämpfen die Wahrheit. Es beginnt mit dem demographischen Faktor in der Rentenformel, den die Grünen in den letzten Wochen thematisiert haben. ({19}) Er ist die politische Antwort auf die Frage, wie die Lasten zwischen den Generationen verteilt werden sollen, die dadurch entstehen, dass die Menschen segensreicherweise immer älter werden und damit die Rentenlaufzeiten zunehmen. ({20}) Wir haben 1998 ins Gesetzblatt geschrieben - das haben Sie nach der Wahl zurückgenommen -, dass diese Lasten gerecht auf Jung und Alt verteilt werden. Das hätte bedeutet - das sprechen wir auch aus -, dass die jährlichen Rentenanpassungen flacher ausgefallen wären als ohne diesen demographischen Faktor. Aber es wäre zu keinen Rentenkürzungen gekommen. Dieser demographische Faktor hätte dazu beigetragen, dass wir sichere Renten und nicht ständig eine Diskussion über die Zukunft der gesetzlichen Rentenversicherung hätten. ({21}) Das ist der erste und wichtigste Vorschlag. Sie schwirren ständig um diesen demographischen Faktor herum. Ich bitte Sie, endlich von willkürlichen Maßnahmen zu diesem systematisch einwandfreien Vorschlag zurückzukehren, und zwar so schnell wie möglich. Der zweite Punkt ist die private Vorsorge. Sie ist wirklich vermurkst worden. Sie ist am 1. Januar in Kraft getreten und ist elf Monate nach ihrem In-Kraft-Treten derart gescheitert, dass man jetzt überlegt, wie man die Riester-Rente reformiert. ({22}) Das war wirklich eine Welturaufführung: Nach elf Monaten muss eine Jahrhundertreform wieder reformiert werden. Das war Murks. ({23}) Alles, was Frau Gudrun Schaich-Walch - ich weiß nicht, ob sie da ist - heute in der Öffentlichkeit dazu erklärt, vertreten wir seit zwei Jahren. Heute sagt auch die SPD-Sprecherin, dass die Riester-Rente möglicherweise zu bürokratisch sei und deshalb reformiert werden müsse, damit die Leute sie verstünden. Heute erklärt sie in der Öffentlichkeit, möglicherweise müsse die Förderung so gestaltet werden, dass auch Kleinverdiener eine Privatrente aufbauen könnten. Heute, unter dem Druck des Scheiterns, gibt man das zu. Hätte man vor über einem Jahr auf uns gehört, dann würde die Riester-Rente jetzt funktionieren. ({24}) - Das ist mir zu ernst für Flapsigkeiten und Dazwischenreden. Ich verfolge das in diesen Tagen schon länger. Sie beschränken sich wirklich auf Flapsigkeiten. Die Themen sind zu ernst für solche Zwischenrufe. ({25}) Ich sage Ihnen ganz konkret, was notwendig wäre. Das Dritte ist der tatsächliche Renteneintritt. Wenn die Lebenserwartung steigt, können wir einen Renteneintritt mit unter 60 oder knapp über 60 Jahren nicht auf Dauer finanzieren. ({26}) Deshalb haben wir versicherungsmathematische Abschläge beschlossen. Sie haben sie beibehalten, obwohl Sie sie im Bundestagswahlkampf 1998 diffamiert haben. ({27}) Jetzt kommt es nicht darauf an - das richtet sich auch an außerparlamentarische Diskussionsteilnehmer -, über eine Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters von 65 Jahren zu faseln. Vielmehr müssen wir das nächste Jahrzehnt dazu nutzen, das tatsächliche Renteneintrittsalter von heute durchschnittlich 60 Jahren allmählich an das 65. Lebensjahr heranzuführen. Die Hauptaufgabe hat da die deutsche Wirtschaft zu leisten. Ich bin dem Deutschen Gewerkschaftsbund dafür dankbar, dass er jetzt auch öffentlich erklärt, dass dies zur Rentensicherung notwendig ist. ({28}) Die deutsche Wirtschaft sollte mit der Doppelzüngigkeit aufhören. Auf der einen Seite die Verlängerung der Lebensalterszeit zu fordern und auf der anderen Seite die über 50-Jährigen freizusetzen geht auf Dauer nicht. ({29}) - Wenn Sie das alles wollen, Herr Schösser, wie Sie gerade ankündigen, dann machen wir doch diese drei Dinge! ({30}) Erstens. Nehmen wir den demographischen Faktor in die Rentenformel auf! ({31}) Dann würde auch die ältere Generation die demographische Last tragen und nicht nur die jüngere Generation. Zweitens. Gestalten wir die Riester-Rente so, dass sie in der Praxis angenommen wird! Da sagt übrigens der Bundeskanzler die Unwahrheit. Er hat gestern hier den Eindruck erweckt, als hätten 18 Millionen Arbeitnehmer eine betriebliche Altersvorsorge abgeschlossen. Mit genau diesen Tricks arbeitet Rot-Grün. ({32}) Tatsache ist, dass Tarifverträge für 18 Millionen Menschen geschlossen worden sind, um ihnen die Möglichkeit zu geben, einen Vertrag über eine Betriebsrente abzuschließen. Es ist jedoch eine grobe Verfälschung der Wahrheit, wenn man von diesem Pult aus den Eindruck erweckt, als hätten 18 Millionen Menschen Verträge abgeschlossen. ({33}) Die Menschen haben die Möglichkeit dazu, aber sie haben die Verträge nicht abgeschlossen. Deshalb brauchen wir die Reform. Drittens. Wir brauchen den tatsächlichen Renteneintritt im Alter von 65 Jahren. Das wäre schon eine große Rentenreform. Dann könnte man im nächsten Jahrzehnt überlegen, ob das 65. Lebensjahr als Bezugsgröße richtig ist. Das sollten wir aber im nächsten Jahrzehnt unter Beachtung der dann gegebenen Arbeitsmarktentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland machen. ({34}) Wir würden die Erneuerungsbereitschaft in der Bevölkerung überfordern, wenn wir jetzt über Dinge reden, von denen niemand weiß, ob sie im nächsten Jahrzehnt wirklich notwendig werden. Das waren meine grundlegenden Ansichten zur Rente. Nun hat sich Ihr Ministerpräsident Gabriel auf die Schweiz bezogen. Die Schweiz scheint jetzt die neue Wunderwaffe zu sein. Man gilt als Weltmann, wenn man sich auf andere Länder bezieht, während jemand, der sich wie ich in erster Linie in Niederbayern oder in der Oberpfalz bewegt, als provinziell bezeichnet wird. Ihr Parteifreund Gabriel ist offensichtlich ganz anderer Meinung als Sie, Frau Schmidt. Er glaubt, dass die Reformen nichts getaugt haben, und deshalb hat er jetzt unter dem Druck des Wahlkampfes eigene Vorschläge gemacht. Er erklärt: Wir brauchen das Schweizer Rentenmodell. Ich sage Ihnen: Vorsicht! Die Schweizer haben mindestens die gleichen Probleme in der Alterssicherung wie wir Deutsche und sie überlegen im Moment, zur Bewältigung der Demographie die Mehrwertsteuer für die Rente um 2,5 Prozent zu erhöhen. Das ist meine erste Feststellung. ({35}) Wie kann man sich auf ein solches Rentensystem als Beispiel beziehen, wenn man dort gleichzeitig überlegt, die Mehrwertsteuer zur Finanzierung der Renten zu erhöhen? Noch bemerkenswerter ist aber, dass ein SPD-Ministerpräsident die Schweiz als Vorbild nimmt. In der Schweiz sind 11 Prozent der Menschen, die eine Altersrente beziehen, auf ergänzende Fürsorgeleistungen angewiesen. 25 Prozent der Menschen, die eine Erwerbsunfähigkeitsrente beziehen, brauchen ergänzende Fürsorgeleistungen. Wissen Sie, wie viele das in der Bundesrepublik Deutschland sind? Es sind 1,5 Prozent. Mir geht nicht in den Kopf, wie ein SPD-Ministerpräsident ein Rentensystem zum Vorbild für die Bundesrepublik Deutschland erklären kann, bei dem die Zahl der Fürsorgeempfänger wegen nicht ausreichender Rente im Alter ({36}) zehnmal und bei der Invalidenrente sogar um ungefähr 25 Prozent höher ist als in der Bundesrepublik Deutschland. ({37}) Frau Schmidt, überzeugen Sie Ihren Ministerpräsidenten davon, dass das eine Schnapsidee ist! Der Schlaumeier aus Hannover sagt an anderer Stelle etwas, was mich wirklich überrascht, weil es die SPD vier Jahre lang bekämpft hat. Jetzt kommt auch sie nach vier Jahren zu dieser Erkenntnis. Gabriel will die Gesundheitspolitik mit drei Elementen reformieren: Eigenbeteiligung der Versicherten an den Krankheitskosten - das ist eine CDU/CSU-Position -, Beitragsermäßigung für gesund lebende Menschen - das ist eine CDU/CSU-Position ({38}) und schließlich Stunden- oder Fallpauschalen bei den Arzthonoraren, damit der sinkende Punktwert ein Ende hat; auch das ist eine CDU/CSU-Position. ({39}) Frau Schmidt, Ihnen gelingt ein Befreiungsschlag in der Gesundheitspolitik - Sie brauchen uns nicht zu glauben -, wenn Sie Ihrem Herrn Gabriel in diesen Punkten folgen und Vorschläge machen, die Ihren unseligen Zentralismus und Ihren Staatsdirigismus beenden. Wenn Ihre Vorschläge freiheitliche Strukturen enthalten, können Sie mit uns zusammen eine Gesundheitsreform machen. So einfach ist das. ({40}) Ein Letztes: Sie haben gesagt, die Menschen freuen sich nicht nur über breite Straßen in Deutschland und über Pizzen, ({41}) sondern sie freuen sich auch über manche Entwicklungen im Gesundheitswesen. Weil es mir in der Bevölkerung immer wieder begegnet, möchte ich Sie heute noch einmal dringend um etwas bitten: Machen Sie mit der praktizierten Zweiklassenmedizin so schnell wie möglich Schluss. ({42}) Es kann nicht sein, dass ein Sozialhilfeempfänger in Deutschland eine bessere medizinische Versorgung bekommt als der Mensch, der ein ganzes Leben lang Sozialversicherungsbeiträge bezahlt. ({43}) - Herr Schösser, die Begründung dafür, dass Sie dem nicht zu Leibe rücken, ist uns jetzt in die Hände gefallen. Es gibt nämlich ein Schreiben von Staatssekretär Manfred Overhaus aus dem Bundesfinanzministerium - das ist eine der internen Absprachen in der Regierung - vom August 2000. Da beschreibt Herr Overhaus, warum das mit den Sozialhilfeempfängern alles schwierig ist und warum RotGrün das nicht machen sollte. Wir kritisieren das ja schon seit längerer Zeit. Darin heißt es - Herr Schösser, da Sie sich gerade so aufregen, sollten Sie einmal gut zuhören -, man wolle für die Sozialhilfeempfänger deshalb keine Gleichstellung mit den gesetzlich Versicherten, weil für die Sozialhilfeempfänger sonst die derzeit für sie günstige Regelung entfallen würde, von den Ausgabenbeschränkungen der gesetzlichen Krankenkassen nicht betroffen zu sein. ({44}) Das schreibt die Bundesregierung. Das können Sie haben, Frau Schmidt, falls Sie es schon in den Reißwolf gegeben haben sollten. Im August 2000 schreibt die Bundesregierung intern an die damalige Gesundheitsministerin, es treffe zwar zu, dass die Sozialhilfeempfänger im Gegensatz zu denen, die Beiträge bezahlen, privilegiert seien. Aber es werde keine Gleichstellung vorgenommen, weil sonst die für sie günstige Regelung entfallen würde. ({45}) - Das ist eine logische Begründung. Das ist in etwa so - ich habe das oft genug gesagt -, als wenn der Mond beeindruckt wäre, wenn ein Hund ihn anbellte. Das ist ungefähr genauso nahe an der Wahrheit dran. Machen Sie morgen einen Gesetzentwurf, durch den Sie entgegen der Meinung des Bundesfinanzministers endlich die Zweiklassenmedizin zwischen gesetzlich Versicherten und Sozialhilfeempfängern beenden! ({46})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort der Kollegin Birgitt Bender, Bündnis 90/Die Grünen.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Seehofer, Sie scheinen mit Ihrer Diskursfähigkeit im letzten Sommer stehen geblieben zu sein, als Wahlkampf war. Dass Sie hier den alten Hut mit der angeblichen Besserstellung der Sozialhilfeempfänger noch einmal herausholen, ist schon eher peinlich. Denn gerade Sie sollten doch wissen, dass es in nahezu allen Bundesländern inzwischen Verträge zwischen den Sozialhilfeträgern und den Ärzten gibt, in denen festgelegt ist, dass nach den gleichen Regeln wie mit den Kassen abgerechnet wird. Sollte das in Bayern noch nicht der Fall sein - ich habe es im Moment nicht präsent -, dann klären Sie das dort doch einmal. ({0}) Im Übrigen gibt es einen neueren Stand als den vom Juni 2000. Wenn Sie einmal in den rot-grünen Koalitionsvertrag geschaut hätten - ich hatte eigentlich angenommen, dass der Sie interessiert -, dann hätten Sie dort den Satz gefunden, dass wir sehr wohl anstreben, die Sozialhilfeempfänger - wie es übrigens auch das Bundesverfassungsgericht verlangt - in die Krankenversicherung aufzunehmen. So wird es auch geschehen. ({1}) Das ist nun wahrlich nichts, wo wir irgendeine Art von Nachhilfe nötig hätten. ({2}) Manchmal lohnt sich ja die Zeitungslektüre. Heute habe ich in die „Zeit“ geschaut. Darin gibt es ein Interview mit dem virtuellen Gesamtvorsitzenden der CDU/ CSU, Herrn Roland Koch. Da heißt es schon in der Überschrift: „Wir sagen nur Ja oder Nein.“ Woher kommt die Überschrift? Herr Koch wird gefragt, ob denn die Opposition nicht auch einmal etwas anderes als Fundamentalopposition machen sollte. Darauf antwortet er: Die Opposition ist nicht der Vorschlagsbeauftragte des Landes. Die Regierung hat Konzepte vorzulegen, und wir sagen Ja oder Nein. Da kann ich nur sagen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU: Diese Politik des Daumen rauf oder Daumen runter, aber selbst nichts vorzulegen, das ist der Abschied von der Politik und ist selbst einer Opposition nicht würdig. ({3}) Und zum Thema „Wissen und Wahrheiten im Wahlkampf“, Herr Seehofer: Es gab einen bedeutenden Politiker, der am 11. Juni dieses Jahres gesagt hat, höhere Rentenbeiträge seien unvermeidlich. Dann gab es einen, der gesagt hat, dass die Rentenbeiträge nicht erhöht würden. Das war ein und derselbe und es war einen Tag später. Der Politiker hieß Horst Seehofer. ({4}) Herr Seehofer, so etwas nennt man normalerweise „zurückgepfiffen werden“. Warum? Weil Ihr Kanzlerkandidat, Herr Stoiber, nur Schönwetterparolen wollte, nach dem Motto: Wir und ich, der Herausforderer, wir sind für die Wohltaten zuständig und die Defizite lasten wir der Regierung an. Deswegen durfte gerade bei Ihnen von höheren Rentenbeiträgen nicht die Rede sein. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seehofer?

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber gern.

Horst Seehofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002140, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Bender, damit Sie nicht immer wieder das Falsche zitieren, darf ich Sie darauf hinweisen, ({0}) dass ich immer sauber unterschieden habe zwischen dem, was wir 2003 gemacht und an Beitragserhöhungen verhindert hätten, und dem, was wir als Altlast von Ihnen übernommen hätten, ({1}) wobei ich bezüglich der Altlast immer gesagt habe: Man kann in vier Wochen nicht korrigieren, was in vier Jahren verbockt worden ist. Würden Sie das so zur Kenntnis nehmen?

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Seehofer, das ist das Schöne, manchmal auch das Unangenehme am Regieren: Man muss immer das übernehmen, was schon da ist. Das ging auch uns 1998 so. ({0}) Deswegen hätten Sie ein Konzept für die Zeit nach dem 22. September dieses Jahres haben müssen und das habe ich noch nicht erkannt. ({1}) Wenn man genauer hinsieht, gibt es auch jetzt bei Ihnen ein wüstes Durcheinander. Sie reden jetzt wieder vom demographischen Faktor. Das kennen wir nun schon. Sie sollten zumindest dazusagen, damit es die Leute verstehen - Sie halten uns ja Leistungskürzungen vor, die gar nicht stattfinden -, ({2}) dass der demographische Faktor zu niedrigeren Renten führen würde. Das sollten Sie den Leuten einmal sagen. So viel Ehrlichkeit sollte doch sein! ({3}) - Dann dürfen Sie uns aber nicht Leistungskürzungen vorhalten. So funktioniert es nicht. Sie leisten sich eine CDU-Wertekommission. Ihr sitzt der Herr Christoph Böhr vor. Der hat jetzt wieder eine neue Idee für Ihre Wohltaten. Er will Eltern mit Kindern Gutschriften für die Rente geben und ihren Beitrag um 0,5 Prozentpunkte senken. Dann wüsste ich jetzt gern: Soll das der Ersatz für die bisherige Unterstützung durch Erziehungsleistungen sein, die wir mit Steuermitteln finanzieren? Oder soll das bedeuten, dass wir die Rentenbeiträge für kinderlose Menschen erhöhen? Oder soll das vielleicht heißen, dass jetzt noch höhere Steuermittel in das Rentensystem fließen? Man wüsste einfach gern einmal, ob die Opposition entsprechende Konzepte hat und zu welchem Preis das geschehen soll. ({4}) Man findet aber nichts. Sie sind gegen das Sparen, ob es in der Rente die kurzfristigen Anpassungen sind oder das Sparpaket im Gesundheitswesen. Von Lösungen hört man wenig. Ich wüsste gern, wie Sie sich angesichts dessen verhalten, dass wir jetzt in einem entsprechenden Gesetz Festbeträge für teure Analogpräparate bei Arzneimitteln vorgesehen haben. Das ist zustimmungspflichtig im Bundesrat; da sind wir durchaus auf Sie angewiesen. Diese teuren Analogpräparate verschlingen Geld, das für tatsächliche Innovationen verwendet werden sollte. Deshalb sehen wir jetzt Festbeträge vor. Ich wüsste gern, was Sie dazu sagen und wie Sie überhaupt mit dem Problem des Medikamentenverbrauchs in der Bundesrepublik umgehen. Der neue Arzneiverordnungsreport besagt, dass es ohne Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit ein Sparpotenzial in Höhe von 4,2 Milliarden Euro gibt. Ich frage Sie: Wollen Sie das nutzen? Wie gehen Sie eigentlich damit um, dass es in Hamburg in diesem Jahr voraussichtlich einen Pro-Kopf-Arzneimittelverbrauch im Wert von 400 Euro und in Nord-Württemberg von 290 Euro gibt? Das zeigt doch, dass hier Steuerungsbedarf besteht. Erkennen Sie dies an? Wie wollen Sie das machen? Keine Antwort von der Opposition! Was sagt die Opposition dazu, dass es in Sachsen-Anhalt pro 10 000 Einwohner etwas mehr als 70 Krankenhausbetten und in Baden-Württemberg etwas mehr als 60 Betten gibt und dass es insgesamt in der Bundesrepublik Deutschland mehr Krankenhausbetten pro 10 000 Einwohner gibt als im europäischen Ausland? Dafür haben Sie keine Lösung. Sie haben auch keine Lösung für das Problem, dass die Preise in den deutschen Krankenhäusern bisher bei der Behandlung ein und desselben Krankheitsbildes um den Faktor drei auseinander liegen. Sie waren gegen die Einführung von Fallpauschalen. ({5}) Wir werden erstmals Transparenz schaffen. Jetzt stehen Ihre Landesregierungen vor der Entscheidung, ob auch sie den Krankenhäusern die Nachmeldefrist, die wir ihnen bis zum Ende dieses Jahres gewähren, zugestehen wollen. Sie haben es zugegebenermaßen in der Hand, das zu verhindern; das ist nämlich im Bundesrat zustimmungspflichtig. ({6}) Da will ich sehen, wie Sie Ihren Krankenhäusern erklären werden, dass sie nicht bei dem Reformmodell mitmachen können und dafür die Nullrunde tragen müssen. Ich wünsche viel Vergnügen! ({7}) Reden wir doch einmal über Reformen, wenn auch nur noch sehr kurz! ({8}) Wie sagte Herr Koch noch in dem heutigen Interview? Es gibt auch bei uns unterschiedliche Vorstellungen etwa darüber, ob die Sozialsysteme künftig nur durch Abgaben auf die Löhne finanziert werden sollen. Diese unterschiedlichen Vorstellungen gestehe ich Ihnen durchaus zu. Auch in der Koalition gibt es dazu Diskussionsbedarf. Dann sollten wir darüber einmal reden. Ich sage Ihnen für die Grünen: Wir sind davon überzeugt, dass es in einer Gesellschaft, in der nicht mehr der 45 Jahre lang vollzeitig beschäftigte und einzahlende Facharbeiter - von den Frauen war ja eh nie die Rede - im Zentrum steht, bei dieser Lohnzentriertheit der sozialen Sicherungssysteme nicht bleiben kann. Das sind die Reformoptionen, über die wir werden reden müssen. Ihre Blockadepolitik, meine Damen und Herren von der Opposition, trägt dazu nichts bei. Sie ist lediglich ein Beitrag zur Politikverdrossenheit. Wenn Sie diese aufgeben würden, so wäre das ein Dienst an der Demokratie. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Waltraud Lehn, SPD-Fraktion, das Wort.

Waltraud Lehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Seehofer, ich halte es für wirklich nicht hinnehmbar, wie Sie hier eine gezielte Emotion gegen eine Gruppe unserer Bevölkerung geschürt haben, ({0}) und zwar gegen die Bezieher von Sozialhilfe. ({1}) Herr Seehofer, Sie wissen, so behaupte ich, dass 80 Prozent derjenigen, die in unserem Land Sozialhilfe erhalten, vor allem derjenigen, die ergänzende Sozialhilfe erhalten, sehr wohl in der gesetzlichen Krankenkasse sind. ({2}) Zu dem Personenkreis, der dort nicht vertreten ist, gehören in der Regel diejenigen, die Hilfe in besonderen Lebenslagen erhalten, nämlich die Behinderten, und diejenigen, die von Kindesbeinen an in schweren Situationen gewesen sind. Das sind diejenigen, denen der Zugang zur gesetzlichen Krankenkasse in der Tat verwehrt worden ist. ({3}) - Sie brauchen da gar nicht abzuwinken. Ich habe wesentlich mehr Erfahrung in diesem Bereich, als Sie sie je erwerben werden. Ich bin Sozialdezernentin gewesen. Ich weiß, wie die Situation in meiner Stadt war. Ich kenne die Statistiken des Landes Nordrhein-Westfalen. Es mag sein, dass in Bayern den Sozialhilfeempfängern der Weg in die Krankenkasse verwehrt wird. Das wäre dann aber einer besonderen Prüfung wert. Ich finde es verantwortungslos, ({4}) mit welchen Mitteln Sie gestern beim Thema Türkei und heute gegen die Sozialhilfeempfänger emotionalisiert haben. ({5}) Dafür kann man sich wirklich nur schämen. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zur Erwiderung hat der Kollege Seehofer das Wort.

Horst Seehofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002140, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Kollegin, ich verstehe gar nicht, dass Sie sich so aufregen, wenn wir über die Ergebnisse Ihrer Politik reden. Wir reden über folgenden Sachverhalt: Sie haben nach 1999 die Budgets wieder eingeführt. ({0}) Wir haben vor der Einführung der Budgets gewarnt, weil sie im Ergebnis dazu führen, dass Medizin nach Kassenlage gemacht wird. ({1}) Sie sollten wissen, dass es für die Sozialhilfeempfänger kein Budget gibt. Dies führt im Ergebnis dazu, dass es für einen Teil der Sozialhilfeempfänger, für die keine Budgets vorhanden sind, eine bessere medizinische Versorgung gibt ({2}) als für diejenigen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung sind und Beiträge zahlen. Das ist der nüchterne, ehrliche Sachverhalt. ({3}) Wir wollen nicht, dass der Sozialhilfeempfänger eine schlechtere medizinische Versorgung bekommt, sondern, dass durch die Aufhebung der Budgets der gesetzlich Versicherte, der Beiträge zahlt, die gleiche Versorgung wie der Sozialhilfeempfänger bekommt. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Dr. Dieter Thomae für die FDP-Fraktion.

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor den Wahlen hat die Ministerin gesagt: Die Beitragssätze werden nicht erhöht und am Leistungspaket wird nichts geändert. Nach den Wahlen hat sich vieles verändert: In vielen Teilen der Bundesrepublik Deutschland werden die Beitragssätze erhöht. Sie beabsichtigen, die Leistungen zu reduzieren, beispielsweise beim Sterbegeld. Der größte Einschnitt im Leistungspaket ist die Budgetierung. Diese ist brutal. ({0}) Frau Ministerin, ich habe eine wirklich wichtige Frage an Sie und bitte Sie, sie ernst zu nehmen, zu recherchieren und dem Parlament mitzuteilen, zu welchem Ergebnis Sie gekommen sind. In München hat ein Geheimtreffen der deutschen Bankenwirtschaft stattgefunden. Die Vertreter der deutschen Banken haben dort sehr lange über die Gewährung von Krediten an die deutschen Krankenversicherungen diskutiert. Man hat festgestellt, dass den deutschen Krankenversicherungen bis zu 5 Milliarden Euro an Krediten ausgezahlt worden sind, ({1}) und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass man nicht bereit sei, diese Kreditlinie zu erweitern. ({2}) - Nein, nicht im privaten, sondern im gesetzlichen Bereich. - Ich möchte von Ihnen wissen: In welchem Umfang sind diese 5 Milliarden Euro über Kassenverstärkungskredite abgedeckt worden oder geht es noch nennenswert darüber hinaus? Das Defizit beträgt bis Ende des Jahres 2,2 bis 3 Milliarden Euro. Hinzu kommen 5 Milliarden Euro an Kreditaufnahme durch die Kassen. Angesichts dieser Zahlen brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen, wie die Situation im gesetzlichen System aussieht. Wenn sich die Konjunktur nicht rapide verbessert, werden die Banken die Kreditlinie kürzen und viele Kassen werden über die Wupper gehen. ({3}) Es werden massive Veränderungen auf uns zukommen. Daher wundert es mich nicht, dass gegenwärtig viele Vorstände von Krankenkassen Anträge beim Bundesversicherungsamt stellen, die Beiträge in nennenswertem Umfang erhöhen zu dürfen, weil die Vorstandsvorsitzenden selbst für ihre Arbeit haften. ({4}) Ich möchte, dass dem Parlament klar dargelegt wird, wie die Lage wirklich ist. ({5}) Wenn sie wirklich so dramatisch ist, dann muss ich feststellen, dass wir vor den Wahlen belogen und betrogen worden sind. Denn es wurde immer wieder gesagt, es werde zu keiner Beitragssatzerhöhung und zu keiner Leistungseingrenzung kommen. Doch wenn Sie sich die Situation anschauen, dann wissen Sie, worauf es hinausläuft. Sie fragen nach unseren Rezepten. Ich muss feststellen: Herr Gabriel denkt in die richtige Richtung. ({6}) Wir Liberale haben schon vor fünf Jahren gesagt, dass wir keine andere Alternative sehen, als den Patienten in die Verantwortung einzubeziehen. ({7}) Das bedeutet auch: Selbstbeteiligung. Doch die sieht bei uns anders aus als bei Ihnen: Sie setzen auf Budgetierung. Wenn das Budget erschöpft ist, dann ist eine 100-prozentige Selbstbeteiligung fällig. Wir dagegen wollen eine Selbstbeteiligung mit einer vernünftigen Härtefallregelung, sodass auch die Menschen, die zu den Härtefällen zählen, die für sie notwendige Leistung bekommen. ({8}) Sie betrügen die Bürger und die Versicherten, weil Sie über die Budgetierung Leistungen verwehren. Auch die Transparenz muss verbessert werden. ({9}) Sie glauben, Sie könnten mit der Patientenquittung Erfolge erzielen. Sie haben doch gar keinen Mut. Eine Patientenquittung, auf der zwar die Leistung genannt wird, aber nicht ihr Preis, ist völlig schizophren. ({10}) Was soll der Patient tun, wenn er eine solche Quittung bekommt? Ich kann nur staunen, dass man so „mutig“ ist. Das ist eine Verarschung der Bürger. ({11}) Außerdem wird die Bürokratie in den Arztpraxen durch diese Maßnahme massiv ausgebaut. Was machen Sie da nur, meine Damen und Herren? ({12}) Ich sage Ihnen: Die Kostenerstattung inklusive der Selbstbeteiligung mit einer vernünftigen Härtefallüberforderungsregel ist die Grundlage für die nächsten Jahre, um eine verantwortliche Gesundheitspolitik zu betreiben, und zwar ohne Rationierung und Budgetierung. ({13}) Wenn Sie diesen Weg gehen wollen - ich hoffe, dass Ihnen Herr Gabriel noch ein wenig einheizt -, dann sollten wir darüber diskutieren. Auch Herr Rürup denkt in diese Richtung. Aber es ist wirklich ein Witz, den Sie sich in der Fraktion und in der Partei leisten: Herr Rürup soll ein Konzept erarbeiten, das 2003 vorliegen wird. Die Bundestagsfraktion und die Ministerin wollen im Frühjahr ein Konzeptpapier auf den Weg bringen. Ich frage mich: Wie soll das laufen? Die Finanzierung kommt erst Ende 2003, aber die Konzeption dafür wird es bereits im Januar geben. Ich hätte wirklich vermutet, dass die Bundestagsfraktion und die Ministerin mutiger und kreativer wären und ein sinnvolles Konzept auf den Weg bringen würden, ohne den Patienten immer mehr Leistungen durch die Budgetierung zu verweigern. ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Thomae, Sie haben in dem temperamentvollen Schlussteil Ihrer Rede eine Formulierung zur Einschätzung der Politik durch die Bevölkerung benutzt, die dem parlamentarischen Sprachgebrauch nicht ganz entspricht. ({0}) Ich erteile nun als nächstem Redner dem Kollegen Klaus Kirschner für die SPD-Fraktion das Wort. ({1})

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Seehofer, Ihr Plädoyer eben habe ich eher als ein Plädoyer an die Adresse Ihrer eigenen Fraktion verstanden. Es war ein Plädoyer für den Erhalt des deutschen Sozialversicherungssystems vor dem Hintergrund einer Diskussion, die bei Ihnen permanent stattfindet. Ich will dazu eine Bemerkung machen. Sie wollen das Renteneintrittsalter auf 60 Jahre festsetzen. Als ehemaliger Staatssekretär und Gesundheitsminister sollten Sie wissen, dass dann bei Herausrechnung der Erwerbsminderungsrenten das Rentenniveau bei 62,4 Prozent läge. Das sind die korrekten Zahlen. Ich sage das, damit in der Öffentlichkeit kein falscher Eindruck entsteht. ({0}) Dann möchte ich auf die Riester-Rente und die Betriebsrente eingehen. Es gibt 18 Millionen Berechtigte. Ungefähr drei Millionen Verträge sind in diesem Zusammenhang von den Berechtigten abgeschlossen worden. Wir schätzen - die genauen Zahlen kennen wir noch nicht -, dass die Zahl der vertraglich vereinbarten Betriebsrenten zwischen 30 und 40 Prozent liegt. Die diesbezüglichen Tarifverträge sind im Sommer in Kraft getreten. Nun sollten wir ehrlicherweise sagen: Wer vor der Bundestagswahl zum Boykott der Riester-Rente aufgerufen hat - Sie haben gehofft, dass es zu einem Regierungswechsel kommt; das ist Ihr gutes Recht -, der darf sich jetzt nicht beklagen, dass noch nicht ausreichend Verträge abgeschlossen worden sind. Man sollte hier die Dinge korrekt beim Namen nennen. ({1}) Lassen Sie mich etwas zum demographischen Faktor sagen. Die Beitragssätze wären nach dem demographischen Faktor der CDU/CSU- und FDP-Regierung 2015 auf 22 Prozent gestiegen. Das sollten Sie nicht verschweigen. Das Rentenniveau wäre auf 64 Prozent gesunken. Wir haben das verbessert - auch ohne RiesterRente. Wir haben eine Grundsicherung und die Anrechnung von Kindererziehungszeiten eingeführt. Sie müssen beides nebeneinander stellen. Dann werden Sie zugeben müssen, dass bei Ihnen die Beitragssätze stärker gestiegen wären und das Rentenniveau tiefer gesunken wäre. ({2}) Ich möchte eine Bemerkung - das ist mir wichtig - zu den Sozialhilfeempfängern machen. Über sie wurde vorher schon gesprochen. Sagen Sie einmal, um welche Sozialhilfeempfänger es geht. Auch hinsichtlich Ihrer Forderung, die Budgets aufzuheben, besteht noch Klärungsbedarf. ({3}) Wenn Sie die Budgets generell aufheben wollen - Sie kennen doch die Zahlen so gut wie ich; tun Sie doch nicht so -, wie wollen Sie dann noch die Kosten steuern? ({4}) Sie haben doch selbst seinerzeit die Budgets eingeführt. ({5}) - Sie haben sie eingeführt und später sind Ihnen die Beitragssätze davongelaufen. ({6}) Ich komme später noch darauf zu sprechen. ({7}) - Warten Sie es ab, lieber Kollege Thomae. Ich will an dieser Stelle eines feststellen: Sie erzählen Märchen, lieber Kollege Thomae. ({8}) - Warum raten Sie mir zur Vorsicht? Sie wissen doch gar nicht, was ich sagen möchte. Hören Sie doch erst einmal zu! Sie sind ein Märchenerzähler. Sie sagen, es komme durch die Budgetierung zu Leistungseinschränkungen. ({9}) Tun Sie mir einen Gefallen und lesen Sie den jüngsten Arzneiverordnungsreport! Sie müssen ihn nicht vollständig lesen; es reicht, wenn Sie das erste Kapitel und das Kapitel 50 lesen. Den Autoren zufolge - dabei handelt es sich um seriöse Fachleute, die Sie genau wie wir bereits als Sachverständige im Ausschuss angehört haben; Frau Kollegin Bender hat bereits darauf hingewiesen - sind ohne Einschränkung der therapeutischen Qualität Einsparungen in Höhe von 4,2 Milliarden Euro - das ist ein Fünftel - möglich. ({10}) Nehmen Sie das doch endlich einmal zur Kenntnis! Es ist doch eine Steuerung notwendig. Auch Sie müssten eine Steuerung vornehmen oder wollen Sie alles freigeben? Wie wollen Sie letzten Endes die GKV steuern, wenn Sie auf der einen Seite die Stabilität der Beitragssätze für wichtig halten, aber auf der anderen Seite das Budget nach oben offen lassen wollen? Wollen Sie die Budgetierung, beispielsweise im Bereich des ärztlichen Gesamthonorars, aufheben? ({11}) Wollen Sie auch das zahnärztliche Budget und alles andere durchweg aufgeben? Wenn das zutrifft, lieber Herr Kollege Dr. Thomae, dann sollten Sie zumindest erklären, warum die privaten Krankenversicherungen ebenfalls die Beitragssätze bzw. die Prämien erhöhen müssen, und zwar in viel stärkerem Maße und bei hoher Eigenbeteiligung. ({12}) In welcher Welt leben Sie eigentlich? ({13}) Es ist das gute Recht der Opposition, die Regierung zu kritisieren. Das möchte ich nicht bestreiten. ({14}) - Das ist selbstverständlich und auch wir haben das seinerzeit getan. - Aber zu dem Recht gehört auch die Pflicht, eigene Vorschläge zu unterbreiten, lieber Herr Kollege Seehofer. Ich habe Ihnen heute genau zugehört. Können Sie mir sagen, wo Sie für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung einen konkreten Vorschlag eingebracht haben? ({15}) Dass Sie zu den Grundprinzipien der GKV, dem Solidarprinzip und dem Sachleistungsprinzip, stehen, bestreite ich nicht, sondern unterstelle ich sogar. Aber wenn Sie dazu stehen, dann sollten Sie sich doch dazu äußern, wie Sie konkret mit den Instrumenten umgehen wollen, um dies zu erhalten. ({16}) Wenn Sie sagen, die Budgetierung aufheben zu wollen, dann sollten Sie auch erklären, auf welche Weise Sie eine Steuerung vornehmen wollen. Wir haben im Bereich des ärztlichen Gesamthonorars eine Budgetierung eingeführt, die sich vertraglich an der Einnahmeseite orientiert. ({17}) Sie können durchaus feststellen, dass Sie das alles aufgeben würden. Wenn Ihnen aber die Beitragssätze davonlaufen, ({18}) müssen Sie erklären, wie Sie damit umgehen wollen. Sie wollen natürlich mit höheren Zuzahlungen gegensteuern. Ich will nicht bestreiten, dass wir sowohl ein Einnahmen- als auch ein Ausgabenproblem haben. Das ist unbestritten. ({19}) Die hohe Arbeitslosigkeit, die abgekühlte Konjunktur und auch die Umwandlung von großen Teilen des Lohnes - Sie beklagen schließlich, dass Reformen in der Rentenversicherung nicht im gewünschten Maße erfolgen - haben Auswirkungen auf die Einnahmeseite der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie können nicht einerseits feststellen, dass die RiesterRente bzw. die betriebliche Rente nicht in dem Maße nachgefragt wird, wie es eigentlich von der Regierung erwartet wird, ohne andererseits - schließlich sind Ihnen die Konsequenzen, die sich daraus für die Einnahmeseite der Sozialversicherungssysteme ergeben, bekannt - zu erläutern, was Sie selber vorhaben. ({20}) Wenn Sie für die private Säule der Altersvorsorge sind, muss Ihnen doch bekannt sein, mit welchen Auswirkungen das verbunden ist. Da die Ausgabenproblematik in der Tat besteht, steuern wir gegen. Mit dem von uns beschlossenen Beitragssatzstabilisierungsgesetz ({21}) versuchen wir, die Ausgaben zu bremsen. ({22}) - Verehrte Frau Kollegin, Sie sollten wenigstens so ehrlich sein, zuzugeben, dass der Beitragssatz von 1992 bis 1998, also in der Zeit, in der der Kollege Seehofer als Minister verantwortlich war, um 0,1 Prozentpunkte gestiegen ist. ({23}) - Entschuldigung, ich meinte natürlich 0,91 Prozentpunkte. Das ist fast ein Beitragssatzpunkt. ({24}) - Von 1992 bis 1998. ({25}) - Gut, wenn Sie alles abschieben wollen, dann war es eben Ihre Vorgängerin Frau Hasselfeldt. 1992 lag jedenfalls der Beitragssatz im Jahresdurchschnitt bei 12,71 Prozentpunkten und 1998 lag er im Jahresdurchschnitt bei 13,82 Prozentpunkten. Das heißt, dass der Beitragssatz in der Zeit, in der Sie die Verantwortung hatten, um 0,91 Prozentpunkte gestiegen ist. Sie können doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sie beispielsweise 1996/97 - ich führe das deshalb an, weil Sie ja immer darauf verweisen, wie großartig das Finanzergebnis während Ihrer Regierungszeit gewesen sei - allein die Zuzahlungen um 6 Milliarden Euro erhöht haben. Verehrter Herr Kollege Seehofer - das sage ich auch an die Adresse Ihrer Kollegen -, dies entspricht einer Erhöhung des Beitragssatzes um 0,6 Prozentpunkte. Das muss man also noch hinzurechnen, wenn man wirklich wissen will, wie Sie Ihr Finanzergebnis erzielt haben. Ich möchte auch noch daran erinnern, dass während Ihrer Regierungszeit die Zuzahlungen mit 9, 11 und 13 DM auf dem Höchststand waren. Wir haben sie auf 8, 9 und 10 DM zurückgeführt. Wir haben das getan, weil wir der Meinung sind, dass die Menschen schon genügend durch den hohen Beitragssatz, den Sie zu verantworten haben, belastet sind. Sie haben ausschließlich die Kranken belastet. ({26}) - Verehrter Herr Kollege Dr. Thomae, wenn Sie schon einen Zuruf machen, dann tun Sie es laut und deutlich. Ich möchte noch etwas zu der von Ihnen ständig wiederholten Forderung nach höheren Zuzahlungen sagen. Sie wissen doch genau, dass 10 Prozent der Versicherten über 80 Prozent der Leistungsausgaben verursachen. ({27}) - Das ist doch dummes Zeug. Das können Sie doch jederzeit in den Statistiken nachlesen. Sie sollten hier doch nicht einzelne Experten diskriminieren, nur weil sie Ihnen wegen ihrer politischen Ansichten nicht gefallen. Tun Sie mir einen Gefallen und seien Sie etwas seriöser. ({28}) - Herr Kollege Dr. Thomae, Sie können jeder Statistik entnehmen, dass es 10 Prozent sind. Ich gebe Ihnen das gerne schriftlich. Sie sollten nicht nur das lesen, was Ihre Auffassung bestätigt, sondern ab und zu auch das, was kritisch ist.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, denken Sie freundlicherweise an Ihre Redezeit, die Sie schon überschritten haben.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich denke fast nur an die Redezeit. Ich komme zum Schluss. Wenn Sie weiterhin kritisieren, ohne konkrete Maßnahmen vorzuschlagen, dann werden Sie dort bleiben, wo Sie jetzt sitzen, nämlich auf den Oppositionsbänken. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Andreas Storm, CDU/ CSU-Fraktion.

Andreas Storm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002811, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Seehofer hat vorhin in einer einzigen Rede mehr konkrete Vorschläge zur Rentenpolitik gemacht als die Ministerin seit ihrem Amtsantritt. ({0}) Bei der heutigen Haushaltsdebatte sollte es um Zahlen und Fakten sowie um Klarheit und Wahrheit gehen. Aber damit steht Rot-Grün auf Kriegsfuß. Im Juli dieses Jahres versprach die Bundesregierung einen stabilen Rentenversicherungsbeitrag für das nächste Jahr. Aber bereits zu diesem Zeitpunkt hatten die Rentenversicherungsträger in Berlin massiv interveniert und gewarnt, dass nach ihren Berechnungen der Beitragssatz auf mindestens 19,5 Prozentpunkte steigen werde. Wie sah die Reaktion des Ministeriums aus? Unverantwortliches Gerede! Die mehrfachen Warnungen wurden in den Wind geschlagen. Die Dramatik liegt nun im Folgenden: Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, die gestern in Berlin getagt hat, hat deutlich gemacht, dass die Daten der Bundesregierung aus Sicht der Rentenversicherungsträger wiederum geschönt sind. ({1}) Wenn man mit realistischen Annahmen rechnet, Frau Ministerin, dann ergeben die Berechnungen der Rentenversicherungsträger, dass wir im nächsten Jahr eine Schwankungsreserve von einer halben Monatsausgabe unterschreiten werden. Das ist ein Punkt, der in dieser Haushaltsdebatte für die Öffentlichkeit klar gesagt werden muss. ({2}) Noch bevor das Gesetz entgültig den Bundesrat passiert hat, ist bereits klar, dass aus Sicht der Rentenversicherungsträger der Rentenbeitrag im nächsten Jahr vorsätzlich zu niedrig angesetzt ist. ({3}) Von Ihnen, Frau Ministerin, gibt es dazu kein einziges Wort. ({4}) Meine Damen und Herren, die Menschen in unserem Land erwarten von der Regierung, dass Ihnen die Wahrheit über die Lage der Rentenfinanzen und des Gesundheitswesens gesagt wird. Sie erwarten dies vor allem vor einer Bundestagswahl. Frau Ministerin Schmidt, Sie haben eine besonders perfide Art der Salamitaktik angewandt, um die tatsächliche Lage zu verschleiern. Noch am 3. September, also gerade einmal drei Wochen vor der Bundestagswahl, als klar war, dass die Krankenkassen im ersten Halbjahr ein Defizit von 2,4 Milliarden Euro eingefahren haben, erklärten Sie, es seien keine Beitragserhöhungen auf breiter Front zu erwarten. ({5}) Am gleichen Tag treibt die SPD ihre Realitätsverweigerung auf die Spitze mit der Behauptung: Finanzlage und Beiträge der Krankenkassen sind stabil. - Frau Schmidt erklärte wörtlich: Es gibt keinen Anlass, Panikmache zu veranstalten. Panik brach dann unmittelbar nach der Bundestagswahl aus. In aller Eile haben Sie ein Vorschaltgesetz gezimmert, mit dem Sie Beitragserhöhungen vermeiden wollten. ({6}) Als vor drei Wochen das Vorschaltgesetz im Deutschen Bundestag verabschiedet wurde, haben Sie erklärt, ({7}) dass es plötzlich ein Defizit von 1,2 Milliarden Euro gebe. Zehn Tage später waren es 2 Milliarden Euro. Jetzt mussten Sie einräumen, dass es mehr sind. Ich sage Ihnen voraus: Noch vor Weihnachten werden wir feststellen, dass in diesem Jahr die Krankenkassen mindestens mit einem Defizit von 3 Milliarden Euro abschließen werden. ({8}) Meine Damen und Herren, die Konsequenz hieraus bedeutet doch, dass die Beiträge im nächsten Jahr massiv steigen werden, und zwar auf eine Größenordnung von bis zu 14,5 Prozent. Das heißt, in einem Zeitraum von zwölf Monaten steigen die Beiträge in der Amtszeit von Frau Schmidt um mindestens einen Punkt. ({9}) Das ist mehr als zuvor in einem Zeitraum von zwölf Jahren. ({10}) Damit ist das Ziel des Vorschaltgesetzes, Frau Schmidt, nämlich Beiträge zu stabilisieren, bereits gescheitert, bevor Ihr Gesetz in Kraft getreten ist. ({11}) Das hat einen einzigen Grund und dieser Grund liegt darin, dass die Diagnose, die diesem Gesetz zugrunde liegt, nicht stimmt. Deswegen kann auch die Therapie nicht greifen. Ihre Diagnose lautet, dass es nicht ein Einnahmeproblem sei. Die Sachverständigen - ich nenne einmal den langjährigen Vorsitzenden des Sachverständigenrats im Gesundheitswesen, Professor Schwartz - sagen Ihnen jedoch deutlich, dass es derzeit bei der Krankenversicherung in erster Linie ein Einnahmeproblem und nicht ein Ausgabenproblem gibt. Das hat vor allem zwei Ursachen. Die eine Ursache ist die hochdramatische Arbeitsmarktlage, die derzeit allen Zweigen der Sozialversicherung die Beitragseinnahmen wegbrechen lässt. Das gilt im Übrigen nicht nur für die Kranken- und Rentenversicherung, sondern in ähnlicher Weise auch für die Pflegeversicherung, der die Rücklage in einer Weise davonschwimmen wird, wie Eis in der Sonne schmilzt. Meine Damen und Herren, nicht nur diese dramatische Arbeitsmarktlage, sondern vor allem auch der gewaltige Verschiebebahnhof verursacht die Probleme der Krankenkassen massiv. Das Gutachten der Wirtschaftsweisen, das vor wenigen Tagen der Bundesregierung überreicht worden ist, macht deutlich, dass allein in den Jahren 2001 und 2002 die gesetzliche Krankenversicherung in einer Größenordnung von 0,4 Beitragssatzpunkten belastet worden ist. Das heißt, der Löwenanteil des Beitragssatzanstiegs in diesem Jahr ist auf den hausgemachten Verschiebebahnhof dieser Regierung zurückzuführen. ({12}) Meine Damen und Herren, genau diesen gravierenden Fehler setzen Sie nun fort. Denn am gleichen Tag, als im Deutschen Bundestag das Vorschaltgesetz verabschiedet worden ist, haben Sie mit der Verabschiedung des HartzGesetzes den Krankenkassen neue Lasten in einer Größenordnung von 1,5 Milliarden Euro aufgebürdet. Das bedeutet, dass die Kassen auf der einen Seite in einer Dimension von 2,5 Milliarden Euro entlastet werden sollen und auf der anderen Seite mit 1,5 Milliarden Euro belastet werden. Damit ist ganz klar: Die Kassen können gar nicht anders als Beiträge zu erhöhen; anders können sie Defizite in einer so gigantischen Dimension nicht bewältigen. Es braucht ein gerüttelt Maß an Selbstüberschätzung und Realitätsverlust, wenn man, wie es der Bundeskanzler im gesundheitspolitischen Teil seiner Rede gestern getan hat, behauptet, mit diesem Vorschaltgesetz werde eine Basis für weiter reichende Strukturreformen geschaffen. Frau Schmidt, was ist es für eine Basis, wenn den Krankenhäusern und Arztpraxen eine Nullrunde verordnet wird, mit dem Ergebnis, dass es zu Wartelisten für Operationen kommen wird oder aber Mitarbeiter entlassen werden müssen? ({13}) Was ist es für eine Basis, wenn Zehntausende Arbeitsplätze in den Apotheken zerstört werden? Was ist es für eine Basis, wenn zahlreiche kleine Apotheken schließen müssen und die Versorgung der Patienten insbesondere im ländlichen Raum massiv bedroht wird? Die Apotheken sind angesichts einer Belastung von mehr als 1 Milliarde Euro die Hauptleidtragenden dieses Notstandsgesetzes. Dieses Existenzvernichtungsprogramm wird die Apothekenlandschaft in den nächsten Monaten massiv umkrempeln. Der rot-grüne Irrsinn wird aber beim Zahnersatz am deutlichsten. ({14}) Oft wird behauptet, die Zahntechniker seien Preistreiber. Das Gegenteil ist der Fall: Die Einkommens- und Preisentwicklung lag in diesem Bereich in den letzten Jahren weit unter dem Durchschnitt der allgemeinen Preisentwicklung im Gesundheitswesen. Nun sollen die Preise der Leistungserbringer per Gesetz um 5 Prozent gesenkt werden. ({15}) Gleichzeitig wird die Mehrwertsteuer um 9 Prozentpunkte erhöht. Am Ende werden die zahntechnischen Leistungen teurer als vorher sein. Das Geld wird vom Finanzminister kassiert und Arbeitsplätze fallen weg. Eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen aus den Reihen der Koalitionsfraktionen haben hierzu persönliche Erklärungen abgegeben. Aber was nützen diese persönlichen Erklärungen, ({16}) wenn sie am Ende nicht die Konsequenz ziehen und zu einer solchen Gesetzgebung nicht Nein sagen? Absurder und zynischer kann es nicht gehen. ({17}) Meine Damen und Herren, damit bleibt eines übrig: Die finanziellen Probleme der Sozialversicherung sind weit gehend hausgemacht. Sie entziehen der Sozialversicherung mit der einen Hand Milliardensummen. Mit der anderen Hand sammeln Sie dieses Geld zulasten der Patienten und Beitragszahler und vor allen Dingen der Beschäftigten im Gesundheitswesen ein. Was muss getan werden, um eine Entlastung der Beitragszahler zu erreichen? Der erste Punkt: Es muss natürlich Schluss mit diesen Verschiebebahnhöfen sein. ({18}) Ohne diese Verschiebebahnhöfe wäre der Löwenanteil des Beitragserhöhungspotenzials für das nächste Jahr bereits weggefallen. Der zweite Punkt: Es müssen Vorschläge für mehr Eigenverantwortung der Versicherten gemacht werden. Warum verschließen Sie sich immer noch dem Gedanken, einen Selbstbehalt einzuführen, nachdem mit der TK die erste Kasse im nächsten Jahr einen entsprechenden Versuch machen wird? ({19}) Der niedersächsische Ministerpräsident - Kollege Seehofer hat es bereits angesprochen - hat diesen Vorschlag ebenfalls unterstützt. Warum lassen Sie die Kassen nicht einmal ausprobieren, wie das Ganze funktioniert? ({20})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Storm, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Andreas Storm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002811, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. - Herr Kollege, bitte schön.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich sehe, es sollen zwei Zwischenfragen gestellt werden. Wir werden sie der Reihe nach abwickeln. Bitte schön.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Storm, der Grund, warum wir den Bonus für die Krankenkassen nicht gern sehen, liegt darin, dass - ({0}) - Nein, ich brauche nicht zu fragen. Lesen Sie einmal den § 27 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung nach. Dann sehen Sie, dass ich auch eine Zwischenbemerkung machen darf. Genau dies tue ich jetzt. ({1}) Wenn die Krankenkasse den Gesunden Geld gibt, bleiben ihr die Kosten erhalten. Meinen Sie nicht, dass die Kranken genau diese Kosten zusätzlich aufbringen müssen? Damit handelt es sich bei Ihrem Vorschlag um ein zweischneidiges Schwert; denn jede Mark, die Sie ausgeben, müssen Sie woanders wieder hereinholen. Die Kosten im Gesundheitswesen lassen sich bekanntlich nicht so drastisch senken. Insofern sind Sie nach meiner Auffassung einem Irrtum unterlegen.

Andreas Storm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002811, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dreßen, die Vertreter der großen Krankenkasse, die dieses Modell im nächsten Jahr anbietet, arbeiten ebenfalls mit Versicherungsmathematikern zusammen, die sicherlich nicht ganz ohne Ahnung von den Zusammenhängen sind. Warum warten Sie das Ergebnis dieses Versuches nicht ab? Sie verfolgen immer wieder den gleichen Ansatz: Sie wollen den Menschen in Bezug auf die Wahl der Tarife und den Umfang einer Versicherung keine Entscheidungsfreiheit lassen. ({0}) Dies ist ein Ansatz des letzten Jahrhunderts. Er passt nicht in diese Zeit. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Storm, sind Sie bereit, auch noch die zweite Zwischenfrage zu beantworten?

Andreas Storm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002811, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Büttner, bitte schön.

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Würden Sie wenigstens die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge, die Kollege Dreßen eben aufgezeigt hat, zur Kenntnis nehmen? Ob 10 Prozent oder 20 Prozent der Versicherten - das hat Kollege Thomae eben gesagt - Leistungen in Anspruch nehmen, ist nicht die Frage. Entscheidend ist, dass ein kleinerer Teil der Versicherten Leistungen in Anspruch nimmt, für die der größere Teil zahlt. Wenn der größere Teil der Versicherten nicht mehr oder weniger zahlt, dann bleiben trotzdem die Kosten für die wenigen, die die Leistungen in Anspruch nehmen. Wie wollen Sie diesen volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Widerspruch überhaupt aufklären? Das Zusammenspiel zwischen Einnahmen und Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung funktioniert dadurch, dass nur ein kleiner Teil der Mitglieder Leistungen in Anspruch nimmt, während der größere Teil der Mitglieder dafür solidarisch zahlt. Wenn der größere Teil weniger zahlt, dann muss für den kleineren Teil genau das Gleiche wie vorher aufgewendet werden. Das ist nur über eine Erhöhung der Beiträge aller möglich. Volkswirtschaftlich gesehen ist das die Alternative. Zweitens. Sie haben vorhin auf die Apotheken hingewiesen. Würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass die Apotheken von den Ausgabensteigerungen im Arzneimittelbereich um 9 Prozent im letzten Jahr durch die Rabatte profitiert haben? Halten Sie es für nicht zumutbar, dass jemand, der 9 Prozent mehr Einnahmen hatte, im Jahr darauf einmal auf Einnahmesteigerungen verzichtet? Teilen Sie meine Auffassung, dass man deswegen keine Stellen streichen muss? Wer mit Einnahmesteigerungen um 9 Prozent seine Kosten nicht decken kann, der hat schon vorher nicht wirtschaftlich gearbeitet. Wenn er wirtschaftlich gearbeitet hat, dann kann er den Verzicht auf Einnahmesteigerungen in einem Jahr jederzeit verkraften. Würden Sie mir da Recht geben? ({0})

Andreas Storm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002811, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, zur ersten Frage: Fragen Sie vielleicht einmal den niedersächsischen Ministerpräsidenten, Ihren Parteifreund Gabriel! Im Übrigen ist die SPD-Bundestagsfraktion, was ihre eigene Programmatik angeht, nicht gänzlich auf der Höhe der Zeit. ({0}) Auch die SPD hat in diesem Jahr mehrfach Vorschläge zur Teilnahme an bestimmten Programmen gemacht. Die SPD hat beispielsweise vorgeschlagen, dass derjenige einen niedrigeren Beitrag zahlen soll, der, bevor er einen Facharzt aufsucht, zunächst zu seinem Hausarzt geht, ihn sozusagen als Lotsen nimmt. ({1}) Die mit Ihren Vorschlägen verbundenen Grundprobleme sind die gleichen wie die, die mit der Überlegung der Einführung eines Selbstbehalts verbunden sind. Ich komme auf die Frage nach den Apothekern zu sprechen. Es ist gut, dass hier die Gelegenheit besteht, unsere Überlegungen dazu deutlich zu machen. Die Apotheken werden in einer Dimension von 1 Milliarde Euro belastet; denn auch sie werden von dem, was den Großhandel betrifft, in Mitleidenschaft gezogen. Das hat zur Folge, dass sich die Apothekenlandschaft in Deutschland dramatisch verändern wird. Wer eine solche Änderung will, der muss das deutlich ansprechen. Allerdings sollte man die Maßnahmen, die einer solchen Änderung zugrunde liegen, nicht durch die Hintertür in einem solchen Notstandspaket unterbringen. ({2}) Wir haben heute bereits über Therapien gesprochen. Der entscheidende Punkt sind - dazu haben wir von Ihnen, Frau Ministerin, kein einziges Wort gehört - die langfristigen Probleme: Demographischer Wandel und medizinisch-technischer Fortschritt werden dazu führen - das sagen nahezu alle Studien -, dass sich die Beitragssätze in der Krankenversicherung und in der Pflegeversicherung in den nächsten vier Jahrzehnten nahezu verdoppeln werden, wenn dem nicht durch Reformen entgegengewirkt wird. Auf die damit verbundenen Fragen wollen wir Antworten. Wir wollen wissen, ob Sie auch in Zukunft daran festhalten wollen, dass steigende Ausgaben im Gesundheitswesen immer zu steigenden Lohnnebenkosten führen. Oder sind Sie bereit über neue, intelligentere Modelle der Finanzierung nachzudenken? Sind Sie auch bereit, über neue Formen der Vorsorge im Gesundheitswesen nachzudenken, um zu verhindern, dass die junge Generation auf Dauer mit Beiträgen belastet wird, die sie nicht zahlen kann? Meine Damen und Herren, ich muss feststellen: Zu solchen Vorschlägen fehlt Ihnen die Kraft. Sie sind Nachlassverwalter Ihrer eigenen Fehlentscheidungen. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Eckhart Lewering, SPD-Fraktion. ({0}) - Das Präsidium steht solchen Vereinbarungen der Fraktionen bekanntlich selten im Wege. Bitte schön, Herr Kollege Lewering.

Eckhart Lewering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003171, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Seehofer, ein Wort zu Ihnen: Sie haben uns Beitragssatzerhöhungen vorgeworfen. Im ersten Jahr Ihrer Amtszeit ist der Beitragssatz in der GKV von 12,5 auf 13,2 Prozent gestiegen ({0}) - jetzt kommt das Entscheidende dazu -, und das bei zusätzlichen Belastungen der Patienten durch massive Leistungsausgrenzungen und Kürzungen zu Zahlungserhöhungen, sodass zum Schluss insgesamt ein Wert von 6 Milliarden Euro herausgekommen ist. Damit hätten Sie - das wissen Sie auch - fast die medizinische Rehabilitation zum Ende gebracht. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dann aber bitte in der geordneten Weise, dass der Redner zunächst seine Bereitschaft erklärt und der Fragesteller sich dann von seinem Platz erhebt. - Offenkundig ist zu dieser Prozedur beiderseitiges Einvernehmen herstellbar. Daher darf ich jetzt dem Kollegen Seehofer das Wort zur einer Zwischenfrage geben.

Horst Seehofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002140, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Lewering, können wir das heute einmal klarstellen, damit man nicht immer das Falsche aus dem Bundesgesundheitsministerium vorliest: Ich habe im Mai 1992 begonnen und habe ein Defizit von 10 Milliarden DM in der Krankenversicherung vorgefunden. Dann haben wir gemeinsam - SPD, FDP und CDU/CSU ({0}) eine Gesundheitsreform gemacht, die am 1. Januar 1993 in Kraft trat. Dann hatten wir einen Beitragssatz von 13,5 Prozent mit In-Kraft-Treten der Reform. Ich habe mein Ministeramt abgegeben mit einem Beitragssatz von 13,6 Prozent und Überschüssen in Milliardenhöhe für die gesetzlichen Krankenkassen. ({1})

Eckhart Lewering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003171, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Seehofer, durch Ihre Spargesetze 1996 und 1997, mit denen Sie eigentlich große Einsparungen erreichen wollten, haben Sie unter anderem fast die medizinische Reha ad acta gelegt. Das wollte ich dazu noch einmal sagen. ({0}) - Richtig. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die konjunkturelle Schwäche hat in Deutschland zurzeit deutliche Spuren in den öffentlichen Haushalten hinterlassen. Dies gilt selbstverständlich auch für die Sozialkassen. Während die Ausgaben ansteigen, gibt es gleichzeitig immer weniger Beitragszahler. Immer weniger Beschäftigte müssen die Ausgaben der Krankenversicherung finanzieren. Dies führt selbstverständlich auch zu steigenden Beiträgen. Mit anderen Worten: Wir müssen sparen. Wir sparen aber sozial gerecht. Aus diesem Grunde wird es im kommenden Jahr erstmals auch bei den Leistungserbringern zu einer Minderung der Ausgaben kommen. Mit dem Gesetz zur Sicherung der Beitragssätze in der GKV haben wir bereits einen bedeutenden Schritt getan, um die Finanzgrundlage der gesetzlichen Krankenversicherung zu stabilisieren und den finanziellen Spielraum, den wir für die notwendigen strukturellen Reformmaßnahmen brauchen, zu bekommen. Gleichzeitig werden wir diese Strukturen im stationären Sektor gezielt fortentwickeln. So sollen Krankenhäuser, die bereits im kommenden Jahr nach dem neuen Abrechnungsmodus der Fallpauschalen arbeiten, auch im Jahre 2003 die ursprünglich vorgesehene Steigerungsrate erhalten. Von dem neuen Abrechnungssystem erhoffen wir uns eine höhere Effizienz, sodass seine schnelle Einführung eine entsprechende Ausnahme zu rechtfertigen vermag. ({1}) Wir haben mit diesem Gesetz eine Nullrunde beschlossen. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass im kommenden Jahr der gleiche Betrag zur Verfügung stehen wird wie in diesem Jahr. Für niedergelassene Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser wird im kommenden Jahr also mindestens der gleiche Betrag zur Verfügung stehen wie im auslaufenden Jahr. Es ist also nicht so, wie es oft gesagt wird, dass weniger Geld zur Verfügung steht. ({2}) Auch im ambulanten Bereich, Herr Thomae, halten wir trotz Sparkurs an unseren innovativen Reformen fest. ({3}) - Richtig, innovative Reformen. - Ärzte, die sich an Disease-Management-Programmen beteiligen, zum Beispiel in den Bereichen Brustkrebs und Diabetes, können mit den Krankenkassen hierfür besondere Vergütungen aushandeln. Das Gleiche gilt auch für Hausarztverträge. Besonders ausgeprägt waren und sind die Ausgabenzuwächse bei den Arzneimitteln. Das ist hier schon einmal kurz angeklungen. Es ist davon auszugehen, dass sich die Arzneimittelausgaben der Krankenkassen im Zeitraum 2000 bis 2002 je Mitglied um 15 Prozent erhöht haben. Im Jahre 2001 sind die GKV-Arzneimittelausgaben um 2,2 Milliarden Euro gestiegen und im Jahre 2002 wird sicher noch 1 Milliarde Euro dazu kommen. Daher kann und muss auch der Arzneimittelsektor seinen Beitrag zur Stabilisierung der GKV-Finanzen leisten. ({4}) Das Beitragssatzsicherungsgesetz legt allen, von den pharmazeutischen Herstellern bis zu den Apotheken, ein Einsparopfer von 1,37 Milliarden Euro auf. Das heißt, unsere Reformen haben Augenmaß. Zwischen 1996 und 2001 stieg der Umsatz der Apotheken inflationsbereinigt um 22,2 Prozent. Das teilte das Statistische Bundesamt in der vergangenen Woche mit. Der gesamte deutsche Einzelhandel konnte seine Umsätze im gleichen Zeitraum lediglich um 1,5 Prozent erhöhen. Dieser Trend hat sich auch im laufenden Jahr fortgesetzt. Während die Einzelhändler teilweise sogar Umsatzrückgänge verkraften müssen, können die Apotheken erneut einen Zuwachs von 5,3 Prozent verbuchen. Lassen wir uns also nicht beirren. Darüber hinaus wollen wir dafür Sorge tragen, dass weniger Geld für vergleichbare Arzneimittel ausgegeben wird. Hierüber ist schon einiges gesagt worden. Wir werden und müssen über neue Wege bei der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung nachdenken und die erforderlichen Maßnahmen in dieser Legislaturperiode auf den Weg bringen. Im Klartext: Wir haben nicht nur ein Ausgabeproblem, wir haben auch ein Einnahmeproblem. Denken wir zum Beispiel nur einmal an die Fehlversorgung. Selbst wenn wir die Überversorgung auf der einen Seite abbauen, verbleibt doch immer noch die Unterversorgung in anderen Bereichen. Ich denke hier auch an die Bereiche Prävention und Rehabilitation sowie an Chroniker. Hier fehlen uns immer noch ausreichende Angebote. Das kann man nicht einfach wegdiskutieren. Selbst wenn wir die Überversorgung abbauen, ist das erst die halbe Miete. Einsparungen, die sich in niedrigeren Beitragssätzen niederschlagen würden, haben wir damit aber noch lange nicht erreicht. Zunächst einmal müssen wir die Unterversorgung beseitigen und das kostet, wie wir alle wissen, auch Geld. Wenn es wirklich stimmt, dass es bei jeder zweiten Röntgenuntersuchung zu einer Fehldiagnose kommt, und wenn es wirklich wahr ist, dass jede dritte Röntgenuntersuchung überflüssig ist, zeigt das, dass wir hier handeln müssen. ({5}) Aus diesem Grund haben wir in den Haushalt einen Betrag von 2 Millionen Euro eingestellt, mit dem die Voruntersuchungen zur Entwicklung und Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte finanziert werden sollen. Die weiteren Kosten für ein entsprechendes Modellprojekt zur Erprobung dieser Karte werden von den Kassen aufgebracht. Diese Karte soll auch Notfalldaten und Informationen über erforderliche Voruntersuchungen enthalten. Neben der Gesundheitskarte verspricht auch das Instrument einer Patientenquittung ein steigendes Maß an Transparenz und Kostenersparnis. ({6}) In diesem Punkt bestehen ja durchaus Gemeinsamkeiten zwischen uns. ({7}) - Doch. ({8}) Die Finanzierung im Gesundheitswesen ist teilweise auch deshalb defizitär, weil sich die Strukturen geändert haben. ({9}) Ein weiteres Drehen an der Beitragsschraube ist daher keine Lösung. Also müssen auch wir Strukturanpassungen vornehmen, wenn wir die Finanzierung sicherstellen wollen. Dies ist eine entscheidende Aufgabe für diese Legislaturperiode. Wir werden dies tun, aber ohne den solidarischen Charakter unseres Gesundheitswesens zu opfern. ({10}) Immer wieder werden die Verwaltungskosten der Krankenkassen als zu hoch bezeichnet. Wir handeln jetzt und wollen erreichen, dass auch die Kassen selber ihren Beitrag zum Sparen leisten, indem sie ihre Verwaltungsausgaben im kommenden Jahr auf den Betrag des laufenden Jahres begrenzen. Also auch eine Nullrunde für die Krankenkassen selbst. ({11}) Gestatten Sie mir noch einen Satz zur Änderung des SGB IX. Mit diesem Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter haben wir die Kompetenzen und Fähigkeiten behinderter Menschen in Arbeit und Beruf in den Mittelpunkt gestellt. Als Anreiz wurde gleichzeitig die Pflichtquote zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen von 6 auf 5 Prozent gesenkt. Diese Initiative war ein durchschlagender Erfolg. ({12}) In nur zwei Jahren ist es mithilfe der neuen Instrumente gelungen, vielen Tausend behinderten Menschen einen Arbeitsplatz zu vermitteln. Der Rückgang der Arbeitslosenzahlen auf diesem Gebiet lag Ende Oktober 2002 bei fast 24 Prozent. ({13}) Nach der geltenden Gesetzeslage müsste die Pflichtquote trotzdem zum 1. Januar 2003 wieder auf 6 Prozent angehoben werden. Dies wäre aber genau das falsche Signal. Es würde die Arbeitgeber mit circa 340 Millionen Euro Mehrkosten belasten und ihre Motivation, auch weiterhin behinderte Menschen einzustellen, nicht erhöhen. Dies würde den erfolgreichen Reformprozess gefährden. Um dies zu verhindern, wollen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Anhebung der Pflichtquote um ein Jahr bis zum 1. Januar 2004 aussetzen. ({14}) Zusammenfassend möchte ich sagen, dass es dem neuen Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung gelungen ist, nun einen gemeinsamen Haushalt für die Bereiche Gesundheit und soziale Sicherung vorzulegen, der einen wichtigen Beitrag zum politisch gewollten Sparziel leistet und gleichzeitig die fachpolitischen Ziele voll erfasst. Ich danke Ihnen. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb von der FDP-Fraktion.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meine kurze Redezeit darauf verwenden, um die Aussagen der Ministerin zur Sicherheit der Renten in unserem Land zu kommentieren. ({0}) Frau Ministerin Schmidt, Sie müssen sich schon gefallen lassen, dass wir Ihre Aussagen insbesondere nach den Chaostagen, die Rot-Grün hier in der letzten Zeit mit ihren Aussagen zur Sozialversicherung geboten hat, kritisch beleuchten. Zur Erinnerung. Bis zur Bundestagswahl hieß es: Mit der riesterschen Reform ist alles klar, perfekt, dies ist eine Jahrhundertreform. Bis auf Weiteres gibt es bei der Rente keinen Handlungsbedarf. Dann hörte man plötzlich, der Rentenbeitrag müsse auf 19,3 Prozent angehoben werden. Kurz danach sagte Frau Schmidt: Das reicht nicht, es müssen 19,5 Prozent werden. Dann haben sich die Grünen aufgeplustert, sind aber dann wie immer eingeknickt. Zur Beruhigung der Grünen wurde dann eine Kommission eingesetzt. Über diese Kommission und die möglichen Ergebnisse der Arbeit dieser Kommission haben Sie, Frau Schmidt, dann gesagt, Sie würden die Vorschläge der Kommission vielleicht doch nicht so umsetzen. Der Kollege Stiegler hat sich dann unsäglich verstiegen und geglaubt, schon im Voraus „Professorengeschwätz“ feststellen zu müssen. ({1}) Der SPD-Generalsekretär Scholz sagt: Es gibt trotz allem weiterhin keinen Handlungsbedarf. Unterdessen hat der Bundeskanzler gestern hier erklärt, man habe das Beitragssatzsicherungsgesetz nur gemacht, damit man die Reformen jetzt in Ruhe durchführen könne. Frau Schmidt, dies ist wirklich Kakophonie auf höchstem Niveau. Sie müssen sich schon gefallen lassen, dass wir hier genau hinschauen. Nun zum Gutachten des Bundesrechnungshofes. Ich habe mir dieses einmal zu Gemüte geführt. Noch mehr als bei Finanzminister Eichel, der letztes Jahr gesagt hat, sein Haushalt sei auf Kante genäht, wird es bei Ihnen im nächsten Jahr sehr eng. In diesem Jahr - so sagt der Bundesrechnungshof - hatten wir im Oktober 2002 noch eine Mindestreserve von 0,47 Monatsausgaben. Behalten Sie dies bitte im Hinterkopf. Der Bundesrechnungshof weist darauf hin, dass davon nur 0,36 Monatsausgaben kurzfristig verfügbar sind. Der Rest ist in Immobilien gebunden, die erst verwertet werden müssten. ({2}) Ende 2002 wird, wenn alles gut geht, die Mindestreserve wieder auf 0,63 Monatsausgaben - so der Bundesrechnungshof - ansteigen, jedoch unter der Annahme, dass das Weihnachtsgeld im November und Dezember so wie in den Vorjahren gezahlt wird. Aber wenn Sie sich einmal umhören, was derzeit in der Wirtschaft umgeht, muss man zu dem Schluss kommen, dass manche vielleicht eine Überraschung erleben werden. ({3}) - Nicht, dass ich mich darüber freue, Herr Schösser, aber man darf die Augen vor der Realität nicht verschließen. ({4}) Jetzt kommt es. Frau Ministerin, der Bundesrechnungshof sagt: Im Oktober 2003 wird die Mindestreserve auf einen Wert von nur noch 0,11 Monatsausgaben absinken. ({5}) Wenn Sie sich an das erinnern, was ich vorhin gesagt habe, stellen Sie fest, dass dies genau der derzeitige illiquide Teil der Mindestreserve ist. Im Oktober nächsten Jahres stehen wir wirklich knallhart an der Kante. Nur dann, wenn es gut geht und die Annahmen der Bundesregierung bezüglich des Wachstums der Lohnsumme stimmen - Sie gehen ja von 2,5 Prozent aus, während die BfA gestern gesagt hat, dass die Annahme von 1 Prozent für das nächste Jahr realistischer sei -, wird die Mindestreserve bis zum Ende nächsten Jahres wieder auf 0,63 Monatsausgaben aufgefüllt werden können. Das heißt, Frau Ministerin, Ihre Aussage, die Rente sei sicher, ist sehr kühn. ({6}) Dieses Best-Case-Szenario trifft nur zu, wenn alle Rahmenbedingungen optimal sind. Aber aufgrund der negativen wirtschaftlichen Entwicklung, die wir leider feststellen müssen und die Sie mit Ihren politischen Entscheidungen befördern, ist davon auszugehen, dass ein „durchschnittliches“ Szenario - ich hoffe, kein WorstCase-Szenario - eintreten wird. Wir werden uns also sehr schnell über mögliche Änderungen des Beitragssatzes in der Rentenversicherung, über einen höheren Bundeszuschuss und vor allen Dingen auch über die Inanspruchnahme der Bundesgarantie nach § 214 SGB VI unterhalten müssen. Aber hierfür ist in Ihrem Haushalt überhaupt keine Vorsorge getroffen. Sie tun so, als ob der Fall einer Inanspruchnahme der Bundesgarantie nicht in Betracht kommen würde. Ich bitte Sie, nicht nur die Frage des Kollegen Thomae zu beantworten, sondern auch mir zu sagen, was aus Ihrer Sicht im Fall des Eintretens der geschilderten Annahmen zu tun wäre und wie Sie auf diese Situation reagieren wollen. Danke schön. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Markus Kurth, Bündnis 90/Die Grünen.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Koalition bringt heute auch eine Änderung des Neunten Buchs des Sozialgesetzbuchs ein. Es steht dieser Haushaltsdebatte gut an, im Zusammenhang mit dieser Gesetzesänderung den Blick auf die mehr als 1 Million erwerbsfähigen schwerbehinderten Menschen zu werfen, die dank Rot-Grün wieder Chancen auf einen Arbeitsplatz bekommen haben. Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten das aus Ihren Reihen auch einmal angesprochen. Ich kann aber verstehen, dass Sie das nicht tun; denn dann müssten Sie den Kurs des allgemeinen Lamentos verlassen und anerkennen, dass wir in diesem Politikfeld einen großen Erfolg erzielt haben. ({0}) In nur zwei Jahren ist es mithilfe der neuen Instrumente des Sozialgesetzbuchs IX gelungen, vielen Tausend behinderten Menschen einen Arbeitsplatz zu vermitteln. Zu diesen Instrumenten - das ist eben ausgeführt worden gehört neben dem Aufbau eines Netzes von Integrationsfachdiensten auch die Absenkung der Pflichtquote zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen von 6 auf 5 Prozent und die Kampagne „50 000 Jobs für Schwerbehinderte“. Diese Maßnahme, als Teil eines umfassenden Anreizsystems für Arbeitgeber konzipiert, ist ein voller Erfolg: Entgegen dem allgemeinen Trend haben wir es geschafft, die Arbeitslosigkeit von Schwerbehinderten um nahezu 50 000 oder um knapp 25 Prozent zu reduzieren. Um jetzt die Arbeitgeber nicht zu demotivieren, um die erkennbar gestiegene Motivation weiter zu steigern und um mit diesem erfolgreichen Programm weitermachen zu können, setzen wir die eigentlich fällige Anhebung der Beschäftigungspflichtquote um 1 Prozentpunkt für ein Jahr, also bis zum 1. Januar 2004, aus. ({1}) Die positive Bilanz rot-grüner Behindertenpolitik kann sich aber nicht nur an diesem sachlichen Erfolg messen lassen. Nein, es geht auch darum, wie es uns gelungen ist, diese Ziele zu erreichen. Ich komme zunächst auf die Selbstbestimmung und Teilhabe zu sprechen. Diese Prinzipien haben wir zum Ausgangspunkt unserer Politik für Menschen mit Behinderung gemacht. Wir haben diese Politik gemeinsam mit den Interessenvertretungen entworfen. Es war von Beginn an klar, dass bei der beruflichen Integration schwerbehinderter Menschen die Beachtung der Prinzipien Selbstbestimmung und Teilhabe bedeuten musste, unsere Eingliederungsbemühungen klar auf den ersten Arbeitsmarkt zu konzentrieren. Bemerkenswert dabei ist, dass die Vermittlungserfolge nicht durch zusätzliche Subventionen nach dem Motto „Viel hilft viel“ erreicht worden sind. Grundlegend für unseren Erfolg war ein kooperativer Politikansatz, der auf Überzeugung und Bewusstseinsbildung setzt. Die Integrationsfachdienste haben im Zusammenspiel mit den Arbeitsämtern Beratungsarbeit in den Betrieben geleistet. Arbeitgeber haben gelernt und lernen, dass Menschen mit Behinderung nicht leistungsgemindert sind, sondern lediglich einen Arbeitsplatz brauchen, der ihren besonderen Bedürfnissen entspricht. ({2}) Die Instrumente zur Gestaltung dieser Arbeitsplätze - wie Arbeitsassistenz oder etwa die Gewährung von Gebärdensprachdolmetschern - haben wir als Gesetzgeber den Unternehmen in die Hände gegeben. Wir können gerade deswegen auf die Anhebung der Beschäftigungspflichtquote für Schwerbehinderte in diesem Jahr verzichten, weil der von uns angestoßene Prozess eine ganz enorme Eigendynamik entfaltet hat. Unternehmen sind dabei, Netzwerke zum Erfahrungsaustausch zu etablieren. Sie sammeln Best-Practice-Beispiele, um Nachahmer und Nachahmerinnen anzuregen. Wir werden auch im nächsten Jahr die konstruktive Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern fortsetzen. Ich denke, wir können uns bei der anstehenden Reform der sozialen Sicherungssysteme an diesem Politikansatz durchaus ein Beispiel nehmen. Es ist an den gesellschaftlichen Akteuren und natürlich auch an Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, bei der Reform der sozialen Sicherungssysteme einen ähnlich konstruktiven und womöglich sogar - man hofft ja noch - kooperativen Politikansatz mitzutragen oder sich ins Abseits zu stellen. Nutzen Sie Ihre Chance! Oder verabschieden Sie sich nur sind Sie dann zwar vielleicht selbstbestimmt, aber ohne jede Teilhabe. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Einzelplan hat der Kollege Dr. Michael Luther von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich will einige wenige Bemerkungen zum Bundeshaushalt machen. Erstens. Der Einzelplan ist neu geschnitten, weil das Ministerium neu geschnitten wurde. Das bisherige Gesundheitsministerium wurde um weitere soziale Sicherungssysteme ergänzt. Das macht es schwierig, den Haushalt zu lesen. Er ist auch - das muss ich leider feststellen - an manchen Stellen etwas mangelhaft geschrieben. Ich will nur ein Beispiel nennen. In Kap. 15 02 geht es um die Programmausgaben, also zum Beispiel Gesundheits- und andere Vorsorgeprogramme. Bei einem Vergleich der Gesamtausgaben stelle ich fest, dass die Zahl für 2002 aus dem Haushalt des alten Bundesgesundheitsministeriums stammt und die Zahl für 2003 sich auf das neue Ministerium bezieht. Die Zahlen sind überhaupt nicht miteinander vergleichbar. Eine Vergleichbarkeit wäre aber für die Fortschreibung der Politik sehr notwendig. Zweite Bemerkung. Ich will auf die Risiken in dem Haushalt, für den Frau Schmidt steht, eingehen. Es geht um die Frage, die der Bundesrechnungshof uns gestern zugesandt hat. Ihr Haushalt ist ja jetzt ziemlich wichtig geworden. Sie haben mit 81,8 Milliarden Euro immerhin den größten Einzelplan zu vertreten. Nun muss man wissen, dass das am Zuschuss für die Rentenkassen liegt. Dieser nimmt eine Besorgnis erregende Entwicklung. 2001 betrug der Zuschuss noch 69,6 Milliarden Euro, 2002 sind es 72,5 Milliarden Euro und 2003 werden es 77,6 Milliarden Euro sein. Das sind Steigerungen um 2,9 bzw. 5,1 Milliarden Euro. Diese Zuschüsse müssen die Menschen im Land zum Beispiel mit der Ökosteuer bezahlen. Aber das führt eben nicht zur Stabilisierung der Beitragssätze, wie es einmal versprochen wurde. Vielmehr brauchen Sie jetzt noch ein Beitragssatzsicherungsgesetz. Normalerweise müssten die Rentenbeiträge von 19,1 auf mindestens 19,9 Prozent steigen. Sie lassen dies nicht zu, sondern setzen ihn auf 19,5 Prozent und verbinden damit - ich zitiere aus der Haushaltsvorlage - „eine maßvolle Absenkung des Zielwertes für die Höhe der Schwankungsreserve bei der Bestimmung des Beitragssatzes von 80 auf 50 Prozent einer Monatsausgabe“. Nun ist das politisch schwierig zu kommunizieren, weil kein Mensch weiß, was die Schwankungsreserve eigentlich ist. Die Schwankungsreserve gleicht die Differenz aus, die entsteht, weil die Einnahmen für die Rentenkassen nicht stetig sind, aber die Renten monatlich pünktlich ausgezahlt werden müssen. Mit der Absenkung der Mindestschwankungsreserve um 20 Prozent - dieses Instrument hatten Sie im letzten Jahr schon einmal angewendet hat sich der finanzielle Spielraum der Rentenversicherung im Jahr 2002 bereits verringert. So der Bundesrechnungshof. Ich zitiere weiter: Mit der im Entwurf des Beitragssatzsicherungsgesetzes vorgesehenen Absenkung der Mindestschwankungsreserve um weitere 30 Prozent auf eine halbe Monatsausgabe der Rentenversicherung wächst die Gefahr, dass deren Zahlungsfähigkeit ab dem Jahr 2003 nur mit zusätzlichen Bundesmitteln gewährleistet werden kann. Die Schwankungsreserve der Rentenversicherung wird bei ungünstiger Entwicklung im Monat Oktober 2003 voraussichtlich auf etwa 3,4 Milliarden Euro sinken. Davon sind nur rund 1,7 Milliarden Euro oder 11 Prozent einer Monatsausgabe tatsächlich kurzfristig verfügbar. Da die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte zu Beginn eines Monats liquide Mittel in Höhe von rund 2 Milliarden Euro benötigt, um den so genannten Risikostrukturausgleich für die gesetzliche Krankenversicherung durchzuführen, werden die in der Rentenversicherung voraussichtlich verfügbaren Mittel zeitweilig nicht ausreichen. So weit der Bundesrechnungshof. Ich denke, deutlicher kann man die dramatische Situation der Rentenkassen nicht beschreiben. ({0}) Sie höhlen die Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherungen aus. Das muss hier festgehalten werden. Sie ruinieren die Rentenkassen. Was ist, wenn die Schwankungsreserve aufgebraucht ist und wir unter Null kommen? ({1}) Dann tritt nicht der Fall ein, dass die Renten nicht mehr ausgezahlt werden können, wie mir das besorgte Rentner bei einem Gespräch im Vogtland letzthin gesagt haben. ({2}) Die Renten werden natürlich pünktlich gezahlt - das haben Sie, Frau Schmidt, in Ihrer Rede bereits gesagt - aber die Bundesgarantie wird in Kraft treten. Ich stelle mir diese Nachricht vor. Wie könnte die Überschrift lauten? Vielleicht: Die deutschen Rentenkassen sind pleite, der Bundeshaushalt muss für die Rentenkassen aufkommen. Ich stelle mir vor diesem Hintergrund die Diskussion mit unseren europäischen Nachbarn über das Stabilitätskriterium von 3 Prozent vor. Es wäre äußerst fatal, wenn diese Situation eintreten würde. ({3}) Als Haushälter will ich noch ein drittes Thema ansprechen. In einer Novembersitzung im Haushaltsausschuss haben Sie die Abgeordneten über eine außerplanmäßige Ausgabe für die Beschaffung von Pockenimpfstoff in Höhe von 10 Millionen Euro unterrichtet. Die Ausgaben sind vom Bundesgesundheitsministerium bereits im August bewilligt worden - ich zitiere aus der Unterrichtung des Haushaltsausschusses -, weil die Beschaffung von Impfstoffen in der geplanten Menge zur Gegenabwehr geeignet ist und die unverzügliche Erteilung des Auftrags für die Produktion und Lieferung des Impfstoffes ein gegebenenfalls rechtzeitiges Reagieren auf die dargelegten Gefahren ermöglicht. Um die zur Gefahrenabwehr erforderliche möglichst zügige Beschaffung sicherzustellen, war eine verbindliche Entscheidung bis zum 16. August 2002 zu treffen. Angesichts dieser Fristenlage war die vorherige Unterrichtung des Haushaltsausschusses ... aufgrund der Eilbedürftigkeit nicht möglich. Nun kommt meine Frage. Es haben am 20. August und am 12. September Haushaltsausschusssitzungen stattgefunden. Warum konnten Sie den Haushaltsausschuss über diese außerplanmäßige Ausgabe nicht bei diesen Sitzungen unterrichten? Es kommt noch etwas hinzu. ({4}) Ich habe zur Kenntnis genommen, dass das eine außerplanmäßige Ausgabe in Höhe von 10 Millionen Euro für dieses Jahr ist. Daneben gibt es Verpflichtungsermächtigungen über 10 Millionen Euro für das nächste und übernächste Jahr. Anschließend habe ich diesen Haushaltstitel im Haushaltsentwurf 2003 gesucht, aber nicht gefunden. Er steht nicht drin. ({5}) Jetzt stelle ich die Fragen: Warum schreiben Sie das nicht in den Haushaltsentwurf? Warum haben Sie den Haushaltsausschuss nicht im Sommer informiert? Wollen Sie von irgendetwas ablenken? Wollen Sie etwa davon ablenken, dass möglicherweise eine Gefahr in Deutschland besteht, die Sie in der gesamten Wahlkampfphase ignoriert haben? Wird Deutschland möglicherweise durch den Irak und dort eingesetzte Kampfmittel bedroht? Das hätte natürlich nicht in Ihr Wahlkampfkonzept gepasst.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Luther, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, gerade der letzte Fall zeigt für mich sehr deutlich: Hier wird versucht, der Öffentlichkeit etwas vorzuenthalten, und darüber müssen wir im Haushaltsausschuss reden. Ich freue mich auf die Beratung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Luther, kommen Sie jetzt wirklich zum Schluss.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mein letzter Satz: Wir werden noch ein paar Fragen klären müssen. Schönen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/124 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Als erster Redner hat der Bundesminister Manfred Stolpe das Wort.

Manfred Stolpe (Minister:in)

Politiker ID: 11005316

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Bundeshaushalt des Jahres 2003 können wir einen deutlichen Schwerpunkt für eine verlässliche Zukunftsgestaltung setzen, und zwar erstens weil wir Sparmaßnahmen realisieren, wie es nach Lage der Dinge unvermeidlich ist. Das ist, wie wir alle wissen, kein Selbstzweck, sondern es ist zur Konsolidierung des Haushalts und damit zur Zukunftssicherung erforderlich. Wir halten an diesem Konsolidierungskurs fest, sodass wir angesichts der gegenwärtig weltwirtschaftlich nicht einfachen Lage handlungsfähig bleiben. Zweitens - damit komme ich zu dem Thema, weshalb ich hier stehe - können wir mit den Ausgaben einen Schwerpunkt bei den Zukunftsinvestitionen setzen, nämlich auf der einen Seite bei dem wichtigen Bereich Bildung und Forschung und auf der anderen Seite bei der Infrastruktur. Dieser Haushalt hält die Balance zwischen den erforderlichen Sparmaßnahmen auf der einen und notwendigen Investitionen auf der anderen Seite. ({0}) Mit dem Bundeshaushalt und damit verbunden der mittelfristigen Finanzplanung legen wir nachvollziehbar und nachrechenbar dar, was in den nächsten Jahren konkret angepackt werden kann. Unser Investitionshaushalt, den Sie nachlesen können und in Zahlen greifen können, ist eine belastbare Grundlage. Der Ausbau der Infrastruktur ist unser stärkster Entwicklungshebel in West und in Ost. ({1}) Mit dem Haushalt 2003 wird die zukunftsorientierte Investitionspolitik in diesem Bereich fortgesetzt. Der Haushalt des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen hat ein Volumen von über 26 Milliarden Euro. Davon ist mehr als die Hälfte für Investitionen vorgesehen. ({2}) Trotz der angespannten Lage der Weltwirtschaft haben wir die Verkehrsinvestitionen in den vergangenen vier Jahren massiv gesteigert. Mit 11,5 Milliarden Euro verstetigen wir die Verkehrsinvestitionen auf dem Niveau von 2002. Hinzu kommen 1,7 Milliarden Euro für den Wohnungs- und Städtebau. Zusätzlich stellen wir mit dem Fonds „Aufbauhilfe“ über 7 Milliarden Euro für die Beseitigung von Flutschäden in den Kommunen, bei Unternehmen und an Privatgebäuden bereit. ({3}) Fast 1 Milliarde Euro aus diesem Fonds - das sei hier nur am Rande vermerkt - werden für Infrastrukturaufgaben des Bundes, wo ebenfalls erhebliche Schäden entstanden sind, eingesetzt. Der finanzielle Schaden durch die Hochwasserkatastrophe - ich nehme die Gelegenheit wahr, dies hier bilanzierend vorzutragen -, der an Elbe, Donau und Nebenflüssen entstanden ist, beläuft sich nach einer vorläufigen Schätzung auf rund 9,2 Milliarden Euro. Die Bundesregierung hat schnelle, unbürokratische und umfangreiche finanzielle Hilfe für die Opfer der Katastrophe geleistet. Eine erste finanzielle Hilfe des Bundes ist inzwischen im Gesamtumfang von mehr als 700 Millionen Euro geleistet worden. Der Bund hat außerdem mit über 73 000 Einsatzkräften von Technischem Hilfswerk, BGS und Bundeswehr bei der Bewältigung der Katastrophe mitgeholfen. Die Kosten für diesen Einsatz - lassen Sie mich das in aller Zurückhaltung sagen - belaufen sich auf über 186 Millionen Euro. Auf die Erstattung ist vonseiten der Bundesregierung verzichtet worden. Schnelle Hilfe wurde für die Unternehmen geleistet. Die Soforthilfe in Höhe von bis zu 15 000 Euro ist bis auf ganz wenige Ausnahmen inzwischen vollständig ausgezahlt worden. Für Aufbauhilfe wurden etwa 9 500 Anträge gestellt. Davon wurden 7 000 bewilligt; die übrigen sind noch in der Prüfung. Bei den Schäden an Wohngebäuden werden die Anträge noch sehr zögerlich gestellt. Das macht die Landesregierungen, die hier betroffen sind, und auch uns ein bisschen nachdenklich. Sachsen geht zum Beispiel davon aus, dass 10 000 Wohnungen betroffen sein müssten; bisher aber hat es nur rund 2 000 Anträge gegeben. Bitte verargen Sie es mir nicht, wenn ich diese Gelegenheit nutze, noch einmal gerade an die geschädigten Wohneigentümer, aber auch an andere, die in den Regionen Verantwortung tragen oder Einfluss haben, deutlich zu appellieren: Anträge müssen gestellt werden. Wenn es dazu Fragen gibt, verweise ich auf mehrere Hotlines. Das ist ein im Grunde sehr unkompliziertes Verfahren, das in Abstimmung zwischen Bund und Ländern gestaltet worden ist. Sie können im Übrigen davon ausgehen, dass gelegentlich verbreitete Gerüchte in Bezug auf Unstimmigkeiten und Schwierigkeiten zwischen Bund und Ländern, welche auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen werden, jetzt nicht mehr zutreffen. Wir haben inzwischen eine sehr enge Zusammenarbeit. ({4}) Für den Schadensausgleich stellen Bund, Länder und Gemeinden mit dem Fonds „Aufbauhilfe“ von 7,1 Milliarden Euro einen erheblichen Teil zur Schadensminde1098 rung zur Verfügung. Hinzu kommen 444 Millionen Euro aus dem Solidaritätsfonds der Europäischen Union, die beeindruckenden Spenden, die allein bei den Großorganisationen inzwischen bei über 300 Millionen Euro liegen - man vermutet, dass sie sich auf fast eine halbe Milliarde Euro zubewegen -, und dazu erhebliche Versicherungsleistungen, deren Summen sinnvollerweise hier nicht genannt werden sollen. Die Botschaft heißt - das können wir alle miteinander getrost weitersagen -: Deutschland wird mit vereinten Kräften in der Lage sein, allen Geschädigten wirksam zu helfen und die Infrastrukturschäden zu beseitigen. ({5}) Meine Damen und Herren, Aufbau Ost und Ausbau West gehören nach meiner Überzeugung untrennbar zusammen. Das gilt insbesondere für die Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur. Wir investieren dort, wo der Effekt am größten ist, und dort, wo die Verkehrswege am nötigsten gebraucht werden. Das ist einerseits in Ballungsräumen der Fall, wo Wirtschaftszentren ein hohes Verkehrsaufkommen bewältigen müssen, und das ist andererseits dort der Fall, wo Verkehrswege raumwirksame Bedeutung haben. In diesem Sinne ist Investitionspolitik auch gezielte Strukturpolitik. Um es konkret zu machen: Bei den Ballungsräumen denke ich zum Beispiel an den Kölner Ring. Bis zu 180 000 Fahrzeuge quälen sich dort am Tag über den Ostring. Da muss ausgebaut werden. Deshalb beginnen dort schon im kommenden Jahr die Arbeiten. Ich denke dabei aber auch an die Region Leipzig-Halle. Dort gibt es neue Industrieansiedlungen. Sie sorgen dafür, dass das Verkehrsaufkommen steigt. Dort werden wir bis Ende des Jahres noch drei weitere Autobahnteilstücke für den Verkehr freigeben. Zu strukturpolitischen Maßnahmen zähle ich den Weiterbau der A 31 von Bottrop nach Emden. Da geht es um eine eher strukturschwache Region. Dass dieses Projekt wichtig ist, zeigt auch das Engagement der ansässigen Wirtschaft. Sie hat sich zusammengetan, um den Lückenschluss dieser Autobahn gemeinsam mit dem Bund zu finanzieren. Im Osten zeigt schon ein Blick auf die Straßenverkehrskarte einen großen weißen Fleck zwischen Magdeburg und Schwerin. Den sehen natürlich auch potenzielle Investoren und machen leider bis zur Stunde noch einen großen Bogen um die Altmark und die Prignitz. Deshalb werden wir die A 14 von Magdeburg nach Schwerin verlängern und über die A 24 damit den mittel- und süddeutschen Raum an den sich entwickelnden Wirtschaftsraum der Ostseeanrainer anbinden. ({6}) Meine Damen und Herren, aufgrund verschiedener Meldungen will ich hier nur vorsorglich sagen, dass wir den Ausbau der ICE-Strecke von Berlin über Halle, Leipzig, Erfurt nach Nürnberg durchführen werden. ({7}) Die gegenwärtige Kostendebatte ist nötig. Wir brauchen dazu natürlich Präzisierungen; aber das Vorhaben wird dadurch weder verzögert noch verhindert. Hier ist eine klare, eindeutige Entscheidung getroffen worden. Meine Damen und Herren, es bleibt dabei: Wirtschaftsund strukturpolitische Faktoren sind zentrale Elemente beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Hinzu kommen die Herausforderungen, die im Zusammenhang mit der Osterweiterung der Europäischen Union auf unsere Verkehrswege zukommen; denn dann wird der Verkehr auf zahlreichen Strecken noch erheblich anwachsen. Es gilt, schon heute dafür Vorsorge zu treffen, um unsere Regionen auf diese Herausforderungen einzustellen. ({8}) Das wird auch seinen Niederschlag im neuen Bundesverkehrswegeplan finden müssen. Wir wollen diesen Bundesverkehrswegeplan mit Ihnen und den Ländern und Verbänden in den ersten Monaten des nächsten Jahres vorbereiten. Das Wachstum des Verkehrs erfordert von Bund, Ländern und Gemeinden immer mehr Mittel für die Infrastrukturfinanzierung. Deshalb ist es richtig, dass wir die LKW-Maut einführen werden. Wir wollen gemeinsam mit den Ländern im kommenden Jahr die Maut-Erfassung auf den deutschen Autobahnen beginnen. Ab September fließen dann die Einnahmen, die wir dringend für das Anti-Stau-Programm brauchen. Wir haben damit einen wichtigen Finanzierungsweg erschlossen und werden zugleich ein wegweisendes Infrastruktur- und Technologieprojekt umsetzen können, das in Europa und darüber hinaus schon jetzt große Aufmerksamkeit findet. Die Infrastrukturinvestitionen der Deutschen Bahn können 2002 im Vergleich zum Vorjahr um 1,6 Milliarden Euro gesteigert werden. Für weitere 8,5 Milliarden Euro hat die Bahn bereits verbindliche Aufträge erteilt, die überwiegend der deutschen Wirtschaft zugute kommen. Ein mehr technisches, aber spannendes Problem ist die Jährlichkeit unseres Haushaltes einerseits und die Betriebswirtschaft der Deutschen Bahn andererseits. Dadurch könnte es zum Jahresabschluss, formal betrachtet, zu einem Minderabfluss der Investitionsmittel kommen. ({9}) Ich gehe jedoch davon aus, dass die gesamte Investitionssumme 2002 für notwendige Vorhaben im Bahnbereich gebraucht und eingesetzt wird. ({10}) Nach Vorliegen präziser Daten werden wir unverzüglich mit den zuständigen Ausschüssen des Bundestags darüber sprechen. Die Tankerkatastrophe in der Biskaya hat uns eindringlich daran erinnert, dass wir verschärfte Sicherheitsmaßnahmen vor unseren Küsten brauchen. ({11}) Für den Schutz können wir das gemeinsame Havariekommando des Bundes und der Küstenländer nach den zu erwartenden letzten Zustimmungsbeschlüssen am 17. Dezember in Cuxhaven förmlich in Dienst nehmen. Tatsächlich arbeitet es bereits und ist mit dem Schiff „Neuwerk“ auch im Hilfseinsatz vor der spanischen Küste tätig. Im Anschluss an unsere Debatte, meine Damen und Herren, werde ich vom Plenum aus zu meinen Kollegen Verkehrsminister in Brüssel reisen. Ich will dort die Vorschläge der dänischen Ratspräsidentschaft unterstützen, die dringend für die Erhöhung der Schiffssicherheit votiert. Dazu gehört, dass wir versuchen wollen, den Zeitraum für die Ausphasung von Einhüllentankern erheblich zu verkürzen. ({12}) Wir müssen unsere Küsten schützen. ({13}) Wir arbeiten daran, dass wir für bestimmte Bereiche der Ostsee Sonderzonen einrichten und dass sich die Schiffe in besonders gefährdeten Bereichen wie in der Kadetrinne nicht mehr ohne Lotsen bewegen dürfen. ({14}) Ich werde das Parlament über den Fortgang unserer Bemühungen unterrichten. Dieser Haushalt versetzt uns in die Lage, die massiven Probleme der ostdeutschen Wohnungswirtschaft anzupacken und zu lösen. Im Rahmen der Altschuldenhilfe haben wir die Mittel verdoppelt. Das ist auch erforderlich; denn wenn die meisten kommunalen Wohnungsgesellschaften im Osten wegbrechen würden, dann wären dort ganze Städte in ihrer Substanz gefährdet. ({15}) Deshalb stellen wir diese Mittel bereit. Das ist ein klares Zukunftssignal. Das ist eine Grundlage für den Stadtumbau Ost. Der Stadtumbau Ost geht erfolgreich voran. Ich rate Ihnen, sich einfach Beispiele dafür anzusehen, ({16}) wie Plattensiedlungen so gestaltet werden, dass sie menschenfreundlich sind. Leinefelde in Thüringen oder auch Leipzig-Ost sind dafür gute Beispiele. ({17}) Die Erfahrungen, die wir beim Stadtumbau in diesen dringenden Projekten im Osten machen, sind durchaus auch auf vergleichbare Situationen anwendbar. So sind wir jetzt dabei, nicht nur vom Stadtumbau Ost, sondern auch vom Stadtumbau West zu reden. Ein erstes hoffnungsvolles Projekt in dieser Richtung wird die Stadt Pirmasens sein, die ebenfalls mit erheblichen Problemen zu kämpfen hat. ({18}) Meine Damen und Herren, der Aufbau Ost ist - um es noch einmal ganz deutlich zu sagen - für ganz Deutschland eine vordringliche Aufgabe. Die noch immer bestehenden Rückstände und Schwächen des Ostens drücken die Wirtschaftskraft ganz Deutschlands. Mein Ziel ist es, in den neuen Ländern einen Entwicklungsstand zu erreichen, bei dem der Osten nicht mehr belastet, sondern kräftig an der Leistungskraft Deutschlands mitträgt. Von diesem Ziel sollten wir nicht abrücken. ({19}) Dazu wollen wir neue, frische Ideen umsetzen und solche Projekte auf den Weg bringen, mit denen verstärkt jungen Unternehmern Chancen gegeben werden, und zwar vor allem in der Startphase ihrer Existenzgründung, bei der sie Begleitung, Hilfe und insbesondere ein finanzielles Rückgrat benötigen. Ich denke, dass es uns gelingen wird, die Mittelstandsbank in absehbarer Zeit ans Laufen zu bringen, die für diesen Zweck von großer Bedeutung sein kann. Mit Blick auf den Mittelstand werden wir im Laufe des ersten Quartals des nächsten Jahres weitere Vorschläge vorlegen können. ({20}) - Das ist richtig. Aber das hängt miteinander zusammen. Die Vernetzung ist ein wichtiger Punkt. Es gibt inzwischen eine ganze Reihe von Ansätzen, wie sich kleinere Unternehmen miteinander verbünden können, wie sie dadurch leistungsfähiger werden und wie sie aus diesen Netzwerken heraus durchaus Exportchancen entfalten. Als Beispiele nenne ich Ihnen nur den Präzisionsmaschinenbau in Wismar, die Innovationsregion Mittelsachsen um Chemnitz oder das Tourismusprojekt im Naturpark Thüringen. Standorte müssen genutzt werden. Wir haben in den letzten Jahren in Ostdeutschland gute Erfahrungen mit dem Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz gemacht ({21}) ein langer Name für kurze Planungszeiten. Wir haben uns vorgenommen, dass Bauen schneller und einfacher werden soll. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir dieses Gesetz angesichts der Erfahrung, dass es keine Minderung an Demokratie gab, nicht 2004 enden lassen, sondern dass wir gemeinsam Möglichkeiten zu dessen Fortbestand erarbeiten. ({22}) Lassen Sie mich etwas ketzerisch in den Raum stellen: Warum sollen gute Erfahrungen, die wir im Osten gemacht haben, nicht auch für das ganze Land interessant sein? ({23}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich nun noch auf ein brennendes Problem eingehen. In den neuen Bundesländern wächst eine Generation heran, für die die Gründe, die zu den wirtschaftlichen und strukturellen Problemen Ostdeutschlands geführt haben, bereits Geschichte sind, Gründe, die nicht mehr greifen und nicht mehr überzeugen. Die jungen und qualifizierten Menschen interessiert etwas anderes: Sie wollen vor allem eine Antwort auf die Frage, wie es für sie weitergeht. Da sagen viele: Es geht in den Westen, in eine Zukunft mit höherem Verdienst für gleiche Arbeit. Dieses Verhalten ist für den Einzelnen verständlich, aber ist für den Standort Ostdeutschland ein Verhängnis. Die aktuelle sächsische Abwanderungsstudie belegt das sehr eindrucksvoll. Sie zeigt, dass sich durchaus auch qualifizierte Menschen für diesen Weg entscheiden, weil sie darin bessere Chancen für sich sehen. Wir wollen erreichen, dass diese Menschen in ihrer Heimat eine Chance haben, dass sie dort bleiben und dass der Maßstab des Verdienstes, der durchaus eine Rolle spielt, sie nicht mehr dazu bewegt, zu gehen. ({24}) Auch deshalb müssen wir die Angleichung der Löhne erreichen. Für den öffentlichen Dienst haben wir uns das für 2007 vorgenommen. Lassen Sie mich ehrlich sagen: Ich sehe dazu keine Alternative. Es gibt in Ostdeutschland ein hohes Maß an Flexibilität. Wir dürfen uns aber nicht daran gewöhnen, dass die Tariflöhne dort niedriger sind oder gar nicht gelten. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, das muss unser Ziel sein. ({25}) Zum Schluss möchte ich sagen: Der Aufbau Ost und der Ausbau West sind für mich keine Konkurrenzveranstaltungen. Sie sind keine Gegensätze, sondern bedingen sich gegenseitig. Sie sind zwei Seiten einer Medaille. Zusammen bringen sie Gewinn für unser ganzes Land. Diese Mühe lohnt sich. Das ist eigentlich so etwas wie eine Gemeinschaftsaufgabe. Vielen Dank für Ihre Geduld. ({26})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Eduard Oswald von der CDU/CSU-Fraktion.

Eduard Oswald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001663, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundesminister, dem letzten Satz hätte ich natürlich zustimmen können. Aber die Rede insgesamt kann ich nicht unterstreichen. ({0}) Der Beifall war wohl mehr als Ermunterung für zukünftige Taten gedacht als für Ihre Ausführungen. Wie in kaum einem anderen Bereich sind Verkehr und Mobilität, Bauen und Wohnen Gestaltungs- und Zukunftsfelder. Sie haben Ihre Chancen, mit der Verkehrsund Wohnungsbaupolitik die Zukunft wirklich zu gestalten, nicht genutzt. Mit Ihren Entscheidungen gerade in der Wohnungsbaupolitik haben Sie gravierende Fehler gemacht. Was Deutschland braucht, ist ein positives Wohnungsbauklima, das bei Kapitalanlegern und Unternehmen Interesse erweckt und zeigt, dass das Interesse des Bürgers für Wohneigentum als Ausdruck seiner Lebensqualität und seiner familiären Fürsorge wie auch als Eckpfeiler der Altersvorsorge begriffen wird. Genau dies machen Sie nicht. ({1}) Sie bringen nicht nur die Baubranche in Turbulenzen, sondern lähmen die gesamte Wohnungsbauwirtschaft. Ohne ein leistungsfähiges Verkehrssystem wird es für die wirtschaftliche Entwicklung und damit auch für den Arbeitsmarkt keine Erfolge geben. Erstens. Wir brauchen einen sich am Verkehrswachstum orientierenden Ausbau der Infrastruktur. Zweitens. Wir brauchen hierfür Planungs- und Finanzierungssicherheit für einen längeren Zeitraum. Drittens. Wir brauchen wettbewerbsfähige Unternehmen auf der Straße, der Schiene, der Wasserstraße und im Luftverkehr. Viertens. Wir brauchen all unsere Verkehrsträger, um sie im Gesamtverkehrssystem wirkungsvoll miteinander zu verknüpfen. Darum ist die Vernetzung die zentrale Herausforderung. Fünftens. Wir brauchen statt Ihrer Stau-Ideologie eine Verkehrspolitik mit Visionen und Ideen. Genau das ist das Problem. ({2}) Früher war die Adventszeit die Zeit der großen Erwartungen und der Zuversicht. Aber ich glaube, wir warten umsonst. ({3}) Die Straße ist Verkehrsträger Nummer eins. Nahezu 97 Prozent - man muss sich die Zahl immer wieder vor Augen halten - aller Fahrten im Personenverkehr werden in Deutschland auf den Straßen zurückgelegt; in fünf von sechs Fällen kommt der PKW zum Einsatz. Tatsache ist: Die Straßen sind überlastet, ({4}) die Staus werden immer länger und die Autofahrer klagen über die hohen Spritkosten und fühlen sich abkassiert. Bei einer einzigen 50-Liter-Tankfüllung fallen über 38 Euro an Steuern an. Das ist Realität in Deutschland. ({5}) Für uns gilt: Keine weitere Erhöhung der Öko- und der Mineralölsteuer! Die Straßenbenutzer zahlen über Sonderabgaben jährlich 50 Milliarden Euro an den Fiskus, aber nur 16 Milliarden Euro davon werden für Bau und Unterhalt von Straßen ausgegeben. Für uns gilt: Wir müssen unsere Straßen erhalten und ausbauen. Deshalb brauchen wir bedarfsgerechte Etatansätze. Genau das ist Ihr Problem. Wie auch bei den anderen Themen war es beim Straßenbau in diesem und im vergangenen Jahr nur Ihr Ziel, mit möglichst vielen Baubeginnen und Zusagen gut und unbeschadet über den Wahltag zu kommen. ({6}) Jetzt werden Sie von der Wirklichkeit eingeholt. Deswegen sind Sie so unruhig. ({7}) In den nächsten Monaten kommen Sie in eine bedenkliche Haushaltssituation. Wie wollen Sie denn sicherstellen, dass es bei den Bauvorhaben nicht zum Stillstand kommt? Über Ihr 90-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm besteht keine Klarheit. Sie müssen doch sagen, was Sie jedes Jahr in den Haushalt einstellen. Das ist die entscheidende Zahl. ({8}) Zudem stellen Sie das Ganze unter einen Finanzierungsvorbehalt. So geht es doch nicht. ({9}) Insgesamt gibt es in Deutschland für rund 2 Milliarden Euro baureife und planfestgestellte Straßenbauprojekte, ({10}) die nicht in Angriff genommen werden können. ({11}) Da rechtskräftige Planfeststellungsbeschlüsse zeitlich in ihrer Wirkung begrenzt sind, drohen Baurechte zu verfallen. ({12}) Wir erwarten die Vorlage Ihres längst überfälligen Verkehrswegeplanes; Sie selbst haben darauf hingewiesen, Herr Bundesminister. ({13}) Für die Gestaltung einer zukunftsfähigen Verkehrspolitik ist die Verkehrswegeplanung ein wichtiges und unverzichtbares Steuerungselement. Für die Straße gilt: Vordringlich müssen 2 800 Kilometer bestehende Autobahnen auf sechs oder acht Fahrstreifen ausgebaut werden. 2 400 Kilometer neue Lückenschlüsse und Netzergänzungen sind zusätzlich notwendig. Wir sind uns hoffentlich darin einig: Ortsumgehungen sind Menschenschutz. Deshalb müssen auch sie konsequent weitergeführt werden. ({14}) Von gut ausgebauten Straßen profitieren alle, und zwar durch weniger Staus, einen besseren Verkehrsfluss und eine geringere Umweltbelastung. Das ist der entscheidende Punkt. Ich hoffe, wir sind uns wenigstens in einem Punkt völlig einig: Wir dürfen in unserem Einsatz für eine größere Verkehrssicherheit nicht nachlassen. Jeder Verkehrsunfall verursacht persönliches Leid und hohe Kosten und jeder Verkehrsunfalltote ist einer zu viel. Die volkswirtschaftlichen Kosten durch den Straßenverkehr betrugen im Jahr 2000 - man höre und staune - insgesamt 35,6 Milliarden Euro. Das ist das Sechseinhalbfache dessen, was der Bund in diesem Jahr für die Fernstraßen ausgibt. Deshalb müssen wir alles tun, um die Arbeit für die Verkehrssicherheit weiter zu intensivieren. ({15}) Herr Bundesminister, ich erinnere an das Hin und Her im Zusammenhang mit der Einführung der Maut. Zuerst war der 1. Januar vorgesehen, dann ein anderer Zeitpunkt Anfang des Jahres. Dann hieß es Sommer, dann zum 1. August und danach zum 1. September. Schaun wir mal! ({16}) Damit steht aber auch Ihr Anti-Stau-Programm auf einem sehr brüchigen Finanzierungsfundament. Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, dann empfehle ich dringend, die Programmvielfalt Ihrer Vorgänger zu beenden. Sie haben sicherlich schon festgestellt, dass diese Programmvielfalt und der Programmwirrwarr das einzige Ziel hatten, permanente Aktivitäten vorzuspielen. ({17}) Kehren Sie zu einer verständlichen Finanzierung zurück, die jeder versteht und bei der man nicht immer wieder denkt, es gehe um neue Mittel, während sie in Wirklichkeit gleich bleiben! ({18}) Verwenden Sie die Maut nicht als Geldquelle für Ihren Haushalt, ({19}) sondern verwenden Sie die Gelder für den Straßenbau! Sie wollen von den 3,4 Milliarden Euro, die jährlich durch die Maut eingenommen werden, nur 1,25 Milliarden Euro dem Verkehrssystem insgesamt zur Verfügung stellen. Damit gehen Sie einen völlig falschen Weg zulasten zahlreicher notwendiger Straßenbauvorhaben. Sie haben be1102 reits selber einige Straßenbauprojekte genannt. Wir könnten noch viele andere aufzählen. ({20}) Das können wir so natürlich nicht akzeptieren. Der Bundesminister fährt heute noch nach Brüssel. Sie müssen in Brüssel die Dinge beim Namen nennen. Es geht nicht an, dass bei unseren europäischen Nachbarn der LKW-Verkehr hemmungslos subventioniert wird, während bei uns die Unternehmen zusätzlich belastet werden. ({21}) Damit werden deutsche Arbeitsplätze vernichtet und Unternehmen ins Ausland getrieben. Im Straßenverkehrsgewerbe gilt: Ohne die versprochene Harmonisierung sind in Deutschland 10 000 Betriebe und rund 100 000 Arbeitsplätze unmittelbar bedroht. Ausländische Transportunternehmen, die teilweise hoch subventioniert im europäischen Wettbewerb stehen, warten darauf, in die von Konkursen deutscher Transportunternehmen hinterlassenen Lücken vorzustoßen. Das darf nicht sein. Das können wir nicht zulassen. ({22}) Wir sind uns darin einig, dass wir ein leistungs- und zukunftsfähiges Schienensystem brauchen. Darüber wird sicherlich noch viel diskutiert werden. Aber beim Schienenverkehr muss die Politik sagen, was sie will und wohin die Fahrt gehen soll. Nicht die Bahn, sondern das Primat der Politik hat hier Vorrang. Das ist ein entscheidender Punkt und ich hoffe, das sehen wir alle so. Die Politik muss Flankenschutz bieten, der die Bahn vor allem in den Bereichen stärkt, in denen systembedingte Nachteile auszugleichen sind. Herr Bundesminister, ich begrüße Ihr Bekenntnis zum Weiterbau der Schnellverkehrsstrecke zwischen Erfurt und Nürnberg, das Sie heute bekräftigt haben. Ich sage auch an dieser Stelle: Schau’n wir mal, wie es weitergeht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, sorgen Sie dafür, dass bei der Schaffung einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur die Wasserstraßen nicht ausgeklammert werden und dass die Binnenschifffahrt ihren festen Platz in unserem Verkehrssystem erhält! Sorgen Sie dafür, dass der Luftverkehr nicht als Belastung, sondern als Chance für Wohlstand, Fortschritt und die Schaffung von Arbeitsplätzen verstanden wird! Übrigens hängen in Deutschland rund 700 000 Arbeitsplätze direkt oder indirekt vom Luftverkehr ab. Sorgen Sie außerdem dafür, dass Mobilität für alle Menschen bezahlbar bleibt und dass das deutsche Verkehrsgewerbe unter fairen Wettbewerbsbedingungen arbeiten kann! Das sind die Herausforderungen. Noch ein Wort zum Wohnungsbau. Sie haben ja in den letzten Wochen waschkörbeweise Post bekommen, und zwar nicht nur von denjenigen, die Häuser bauen wollen, sondern auch von einer verunsicherten und irritierten Branche. Dort, wo Impulse für die Wohnungs- und Bauwirtschaft dringend notwendig gewesen wären, sind die Weichen falsch gestellt worden, ({23}) und zwar zum Nachteil der vielen Menschen, die auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum sind, und zum Nachteil der Bauwirtschaft, die durch Ihre investitionsfeindliche Politik in eine schwere Krise manövriert wird. Alles, was Sie gemacht haben, wird zu massiven Einbrüchen führen. ({24}) Sie werden damit auch Ihre Ziele, die Sie sich in Ihrer Wohnungsbauprognose 2015 gesetzt haben, nicht erreichen, ja sogar weit verfehlen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Eduard Oswald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001663, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Mein letzter Satz: Durch Ihre Entscheidungen wird in den westdeutschen Ballungsräumen eine neue Wohnungsnot mit entsprechenden Mietsteigerungen geradezu provoziert. ({0}) Noch können Sie Ihre Vorhaben korrigieren. In den Haushaltsberatungen ist dazu Gelegenheit. Sie sollten das ernster nehmen, als Sie das durch Ihre gegenwärtigen Reaktionen zeigen. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Rainder Steenblock vom Bündnis 90/Die Grünen.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Oswald, es ist zwar richtig, dass das Erzählen von Märchen in der Vorweihnachtszeit eine gute Tradition hat. ({0}) Aber wir sollten uns an dieser Stelle um etwas mehr Rationalität bemühen. Lieber Kollege Oswald, das, was Sie heute zu dem Haushalt, den Minister Stolpe vorgelegt hat, und insbesondere zum Kernbereich der Investitionen gesagt haben, geht an der Realität völlig vorbei. ({1}) Wenn Sie sich den Haushalt genauer anschauen, dann stellen Sie fest, dass das Investitionsvolumen allein im Verkehrshaushalt 11,5 Milliarden Euro beträgt. Das ist eine Steigerung von über 26 Prozent in den letzten vier Jahren. Eine solche Steigerung haben Sie nie zustande gebracht. ({2}) Dieser Haushalt ist ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung unseres Leitbildes der nachhaltigen Mobilität. Fast noch wichtiger als die von uns trotz der schwierigen Zeiten erzielten Steigerung im Investitionsbereich mit ihrer Bedeutung für die Arbeitsplätze ist für mich die Umstrukturierung der Investitionen. Wir haben für die Gleichwertigkeit von Schienen- und Straßeninvestitionen gesorgt, indem wir die Investitionen im Schienenbereich um 70 Prozent angehoben haben. Das hat in diesem Bereich natürlich ganz besondere Arbeitsplatzeffekte. Das müssen Sie sich wirklich einmal zu Gemüte führen. Dann kommen Sie zu anderen Ergebnissen hinsichtlich der Leistung der Bundesregierung bei nachhaltigen Investitionen. ({3}) Wir werden - auch das zeigt der vorliegende Haushalt neben der Gleichwertigkeit von Schienen- und Straßeninvestitionen noch einen anderen wichtigen Punkt in Angriff nehmen, der in Zukunft vielleicht eine noch größere Rolle spielen wird. Wir werden ein Gleichgewicht zwischen den Investitionen in den Bestand und den Neuinvestitionen - das ist völlig richtig - herstellen müssen, um die Aufgaben der Zukunft zu bewältigen. Übrigens, lieber Kollege Oswald, Sie haben vorhin das Problem der Ortsumgehungen angesprochen. Das ist bei uns immer ein wichtiger programmatischer Punkt gewesen und wird es auch weiterhin sein. Hier zielen Ihre Angriffe ja völlig ins Leere. ({4}) Wir haben des Weiteren bei den Investitionen in den Straßen- und in den Schienenneubau natürlich die OstWest-Achse und die neuen Bundesländer im Blick. Dort werden vor dem Hintergund der Osterweiterung die großen neuen Verkehrsströme zu erwarten sein, auf die wir uns einstellen. Ein Schwerpunkt dieses Haushaltsplanentwurfes, den der Minister vorgelegt hat, ist ja, dass die Investitionen in den ostdeutschen Bundesländern Priorität haben. Wir stellen uns also den Herausforderungen. Den Herausforderungen der Nachhaltigkeit stellen wir uns auch in einem anderen Zusammenhang. Wenn man den Wettbewerb der Verkehrsträger ernst nimmt, dann muss man zu einer gerechten Kostenanlastung dieser Verkehrsträger kommen und nicht über Staatssubventionen einzelne Verkehrsträger ungerechterweise bevorzugen. ({5}) Deshalb ist das, was Sie zur Ökosteuer gesagt haben, etwas daneben. Wenn Sie sagen, die Mittel, die durch die Ökosteuer eingenommen werden, sollten nur für Straßeninfrastrukturausbau ausgegeben werden, dann wissen Sie nicht, was mit diesem Konzept verfolgt wird. Die Kostenanlastung der Verkehrsträger trifft natürlich ganz andere gesellschaftliche Bereiche, die wir ebenfalls im Blick haben müssen. Im nächsten Jahr wird unser Konzept um die LKW-Maut ergänzt. Das ist ein ganz wichtiger Schritt, um zu einer gerechten Kostenanlastung und zu einem zukunftsfähigen Verkehrssystem zu kommen. Dafür müssen die Mittel verursachergerecht erhoben werden. Der dritte Ansatz zum Thema „gerechte Kostenanlastung“, nämlich die Aufhebung der Mehrwertsteuerfreiheit im Flugverkehr, wie es im Koalitionsvertrag festgelegt ist, wird zwar kein gravierender, aber dennoch ein wichtiger Schritt sein. Auch das dient dazu, eine nachhaltige Verkehrspolitik im Sinne von gerechter Kostenauslastung zu betreiben. ({6}) Der Bundesverkehrswegeplan wird uns im nächsten Jahr massiv beschäftigen. Darin wird materiell die Grundlage für die Investitionen der nächsten Jahre gelegt. Ich möchte jetzt nicht auf die Einzelheiten eingehen. Eines aber ist mir wichtig: Wir sollten in den nächsten Jahren bei der Beratung des Bundesverkehrswegeplans und der Umsetzung nicht wieder ein Märchenbuch schreiben, wie es gerade angeklungen ist. Das heißt: Es sollte nicht dazu kommen, dass jeder seine Lieblingsprojekte in den Bundesverkehrswegeplan schreibt und damit letztendlich völlig verantwortungslos Politik betreibt, weil er Erwartungen weckt, die aufgrund fehlender finanzieller Mittel nicht erfüllt werden können, weil er in allen Bundesländern Planungskapazitäten lahmlegt, weil ohne Ende Planfeststellungsverfahren begonnen werden und in den Schubladen der Behörden verschwinden und weil in der Öffentlichkeit Konflikte geschürt werden, die sehr viel Kraft kosten und nicht notwendig sind. Deshalb brauchen wir einen Bundesverkehrswegeplan, der an der Haushaltsehrlichkeit orientiert ist. ({7}) Zum Schluss komme ich auf die Flusspolitik zu sprechen. Im Koalitionsvertrag haben wir das Koordinatensystem für eine vernünftige Flusspolitik neu justiert. In diesem Koordinatensystem - Ressourcen- und Hochwasserschutz auf der einen Seite und die Förderung des umweltfreundlichen Verkehrssystems auf der anderen Seite werden sicher noch eine Reihe von Justierungen vorgenommen werden müssen. So müssen zum Beispiel die Interessen der Binnenschifffahrt neu angeordnet werden. Ich freue mich auf die Gespräche, die wir bereits mit den Binnenschiffern begonnen haben, ({8}) um vor dem Hintergrund der politisch gesetzten Rahmenbedingungen, die gesetzt worden sind, zu den notwendigen Entscheidungen zu kommen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss. ({0})

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ein letzter Satz. ({0}) - Herr Vaatz, wir können das in privatissime klären. - Der Metrorapid ist eine wichtige Investition im Bereich des Verkehrshaushaltes; das ist gar keine Frage. Es handelt sich um eine ausgesprochen interessante Technologie, deren Wirtschaftlichkeit allerdings noch immer nicht bewiesen ist. Wir stellen für dieses hochinteressante Projekt bis zu 2,3 Milliarden Euro zur Verfügung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, Sie hatten drei letzte Sätze. Jetzt ist Schluss.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Jetzt sind die Industrie und die Betreiber dabei,

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt sind Sie beim vierten letzten Satz. Hören Sie auf, sonst muss ich Ihnen das Mikrophon abstellen.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- ein Finanzierungssystem zu erarbeiten. Danach werden wir das Geld auszahlen. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind beim letzten Tagesordnungspunkt. Ich bitte Sie, Ihre Redezeit nicht zu überziehen. Niemand hat einen Gewinn davon. Als nächster Redner hat der Kollege Horst Friedrich von der FDP-Fraktion das Wort.

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, ich gehe zunächst auf Ihr Angebot einer Zusammenarbeit ein. Was Sie zum Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz gesagt haben, hat die volle Unterstützung der FDP. Diese Unterstützung hätte der Verkehrsminister schon in der letzten Wahlperiode haben können. Der Antrag lag nämlich mit der von Ihnen beschriebenen Zielsetzung bereits vor; allerdings hat ihn die rot-grüne Mehrheit damals abgelehnt. ({0}) Wenn Sie jetzt schlauer geworden sind, ist es gut. Wir werden Sie hier in der Hoffnung unterstützen, dass die Mehrheit von der anderen Seite des Hauses mitzieht. ({1}) Aufgrund der Zeitknappheit werde ich mich heute ausschließlich mit der Bahn befassen, Herr Kollege Steenblock, und die Zahlen ein bisschen gerade rücken. Gestern konnte man der „Berliner Zeitung“ entnehmen, dass die Bahn offensichtlich wieder einmal - zum vierten Mal hintereinander in der Ära Mehdorn - nicht in der Lage ist, die ihr zur Verfügung gestellten Gelder tatsächlich zu verbauen. In Regierungskreisen spricht man von einer dreistelligen Millionenhöhe. Die Bauindustrie redet von 700 Millionen Euro. ({2}) Ihr Sprecher hat gesagt, im letzten Jahr seien 400 Millionen Euro nicht abgeflossen. ({3}) - Herr Kollege Schmidt, Sie haben schon mehrfach „Das ist gelogen!“ dazwischengerufen. Die regierungsamtlichen Zahlen waren immer anders als Ihre. Offensichtlich haben Sie eine eigene Buchführung. ({4}) Herr Minister, wenn Sie in Ihrem Haushalt wirklich Spielräume und Flexibilität erreichen wollen, dann müssen Sie das Problem Bahn in den Griff bekommen. Anderenfalls wird sie zum unkalkulierbaren Haushaltsrisiko. ({5}) Hinsichtlich der Strecke Köln-Frankfurt, des Knotens Berlin, der Strecke München-Nürnberg und jetzt bereits im Vorfeld der neuen Strecke München-Erfurt gibt es nur ein Thema: Die Baukosten gehen nach oben. Obwohl man die Mehrkosten auf diesen Strecken noch nicht in den Griff bekommen hat, fordert Herr Mehdorn die Erstattung der durch die Flut entstandenen Mehrkosten. Dabei reicht es ihm nicht, dass er die Baukosten bekommt. Er möchte auch noch den Umsatzausfall vergütet bekommen. Das wäre etwas Neues; das gab es in Deutschland noch nicht. ({6}) Des Weiteren möchte er den Bundesgrenzschutz kostenlos auf den Bahnhöfen behalten. Über diesen Punkt kann man noch aus ordnungspolitischen Gründen streiten. Auch wir sind der Meinung, dass die Herstellung von Sicherheit eine hoheitliche Aufgabe ist, für die der Staat in Vorleistung treten muss. ({7}) Das eigentliche Problem ist, dass Herr Mehdorn eine „Deutsche Bundesbahn AG“ möchte. Er möchte die AG, Horst Friedrich ({8}) wo sie ihm nützt, und er möchte die Staatsbahn, wo sie ihm hilft. Damit agiert er entgegen den Vorgaben des Eisenbahnneuordnungsgesetzes. Er konzentriert alle Macht in der Holding, obwohl im Eisenbahnneuordnungsgesetz definitiv steht, dass die Holding nur vorübergehend zu installieren sei und dann aufgelöst werden müsse. Nur dann, wenn Sie die Holding auflösen - hier erwarte ich jetzt ein Machtwort des Verkehrsministers als des Vertreters des Eigentümers Bundesrepublik Deutschland -, werden wir in der Lage sein, wenigstens die Transportbereiche der Bahn an den Markt zu bringen. Über die Trennung von Netz und Betrieb will ich mich hier nicht weiter auslassen. Bedeutsam für einen Haushalt ist auch, dass die Bahn mittlerweile wieder eine Verschuldung von 18 Milliarden Euro erreicht hat, obwohl sie 1994 entschuldet wurde und seit diesem Zeitpunkt Steuergelder in Höhe von 75 Milliarden Euro in die Investitionen und 45 Millionen Euro in das Bundeseisenbahnvermögen geflossen sind. Wenn Sie hier nicht die Bremse anziehen, werden Sie das Problem nicht in den Griff bekommen und deswegen immer Schwierigkeiten mit dem Haushalt haben. Zu dieser Problematik biete ich Ihnen den offenen Dialog der FDPan. Hierfür werden Sie die Unterstützung der FDP bekommen. Ihrem Haushalt können wir jedoch leider nicht zustimmen. Danke sehr. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Annette Faße von der SPD-Fraktion.

Annette Faße (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man hat den Eindruck, je länger die Opposition in der Opposition ist, desto schlechter wird das Gedächtnis. ({0}) Wo soll das eigentlich noch hinführen, meine Damen und Herren der Opposition? ({1}) Das, was Sie heute geboten haben, waren weder Alternativen noch war es ein Wunschzettel. Höchst interessant ist, dass Sie der Politik der Regierung in vielen Punkten zugestimmt haben, zum Beispiel beim integrierten Verkehrssystem. Vielleicht schreiben Sie noch auf Ihren Wunschzettel für Weihnachten: ({2}) Der Geldsegen von oben möge kommen, damit alle Wünsche und Vorstellungen der Opposition erfüllt werden können. Das wäre doch einmal ein sachdienlicher Wunsch, meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition. Der Verkehrshaushalt 2003 ist erneut der drittgrößte Einzeletat, und das trotz der angespannten Haushaltslage und trotz der Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung. ({3}) Rot-Grün setzt den Investitionsschwerpunkt bewusst auf die Verkehrsinfrastruktur; denn Infrastrukturinvestitionen sind Zukunftsinvestitionen für den wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Standort Deutschland. 1 Milliarde Euro schaffen oder sichern 25 000 Arbeitsplätze. Der Aufbau Ost genießt im Rahmen der Verkehrsinvestitionen weiterhin hohe Priorität. 60 Prozent der Investitionen in die Infrastruktur fließen in die Verkehrswege der neuen Bundesländer. ({4}) Der Schwerpunkt liegt weiterhin bei den Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“, die vorrangig finanziert werden. ({5}) Zur Erinnerung: 1997, also zurzeit Ihrer Regierungsverantwortung, lag die Höhe der Verkehrsinvestitionen bei 9,5 Milliarden. Mittlerweile liegt dieser Wert bei 11,5 Milliarden. Dazu kommt noch das Geld aus dem Fonds für die Bewältigung der Hochwasserschäden. Wir stehen zum Aufbau Ost und wir stehen zum Ausbau West. Diese Aussage prägt den gesamten Verkehrshaushalt. Wir werden die Investitionen in die Infrastruktur langfristig verstetigen. Im Jahre 2006 werden wir sie auf 10,6 Milliarden Euro erhöhen. ({6}) Damit sind wir auf dem Weg, den Verkehrsträgern und der Industrie wirklich die notwendige Planungssicherheit zu geben. ({7}) Der Minister hat die große Aufgabe angesprochen, einen neuen Bundesverkehrswegeplan aufzustellen. Ich sage hier klar und deutlich: Die Schwerpunkte dieses neuen Planes werden voll und ganz getragen, nämlich die Engpassbeseitigung, die forcierte Förderung der Ortsumgehungen, die Stärkung des maritimen Standorts Deutschland durch den gezielten Ausbau der Hinterlandverbindungen und der integrierte Aufbau der Verkehrsinfrastruktur in den neuen Bundesländern. Zur Engpassbeseitigung gehört selbstverständlich weiterhin die Schiffbarkeit unserer Wasserstraßen. Wir werden dafür sorgen, dass die Wasserstraßen auch in Zukunft ihren wichtigen Part in einem integrierten Verkehrssystem innehaben. ({8}) Die Umsetzung des 90-Milliarden-Euro-Programms wird bis 2010 abgeschlossen sein. Wir fällen in dieser Legislaturperiode Entscheidungen, die weit in die Zukunft hineinreichen. Wir verbuchen im Verkehrshaushalt 2003 das erste Mal Mauteinnahmen. Damit kann das „Anti-Stau-Programm 2003 bis 2007“ beginnen. Durch die Mauteinnahmen haben wir mehr Geld für Investitionen. Das wollen wir. Wir haben auf diesem Gebiet wichtige Zeichen gesetzt. Es gilt, die Beschlüsse jetzt konsequent umzusetzen. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Faße, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Vaatz?

Annette Faße (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Vaatz, bitte schön.

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Faße, Sie haben eben betont, dass Sie die Flüsse als Schifffahrtswege erhalten wollen. Können Sie mir erklären, wie das mit dem Stopp der Fahrrinnenunterhaltungsmaßnahmen an der Elbe vereinbar ist?

Annette Faße (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Vaatz, Ihre Frage beruht auf falscher Information. Ich sage ganz deutlich: Es gibt keinen Stopp. Unterhaltungsarbeiten werden weiterhin ausgeführt werden. Wir sind aber der festen Überzeugung, dass wir mit unseren Flüssen nach der Hochwasserkatastrophe sehr viel sensibler umgehen müssen. Von daher werden wir das Problem des Hochwassers an den Flüssen natürlich neu zu bewerten haben. Das werden wir für die Flüsse, die in der Koalitionsvereinbarung aufgeführt sind, auch machen. Das hat nichts damit zu tun, dass diese Flüsse hinterher nicht schiffbar sind, schiffbar bleibt auch die Elbe, Herr Vaatz. ({0}) Unser Verkehrssystem braucht die Wasserstraßen, das Binnenschiff und die Schifffahrt. Darum sage ich ganz deutlich: Gemäß der Vereinbarung des Maritimen Bündnisses für Ausbildung und Beschäftigung werden wir 2003 Finanzmittel in Höhe von 30,8 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Sanierung und Sicherung von Bordarbeitsplätzen deutscher Seeleute auf deutschen Handelsschiffen und auch zur Förderung der Ausbildung des seemännischen Nachwuchses. ({1}) Der Finanzbeitrag für die Seeschifffahrt wird weiter fortgeführt. Wir haben mit ein bisschen Überzeugungsarbeit erreicht, dass die Tonnagesteuer und der 40-prozentige Lohnsteuereinbehalt beibehalten werden. ({2}) Damit sichern wir Arbeitsplätze in der Seeschifffahrt, aber auch Landarbeitsplätze. Allein im letzten Jahr sind 850 neue Arbeitsplätze an Land geschaffen worden. Die Kurzstreckenseeverkehre bedürfen in Zukunft einer besonderen Aufmerksamkeit, gerade auch im Hinblick auf die EU-Osterweiterung. Ich meine, dass wir hier Chancen haben, die es konsequent zu nutzen gilt. Darum begrüße ich sehr, dass wir mit dem Short Sea Shipping Promotion Center eine Institution geschaffen haben, die sich vehement für mehr Verlagerung des Verkehrs auf das Binnenschiff und auf das Seeschiff auch im Kurzstreckenbereich einsetzen wird. Die Schiffssicherheit hat der Minister angesprochen. Ich begrüße es sehr, dass das neu geschaffene Havariekommando am 17. Dezember in Cuxhaven auch offiziell seine Arbeit aufnehmen kann. Ich meine, dass das ein wichtiges Signal ist in einem Gesamtkonzept, zu dem auch viele andere Bereiche gehören. Ich kündige hier an: Wir werden uns auch mit der Schiffssicherheit kontinuierlich weiter zu befassen haben. Dazu wird Rot-Grün in der nächsten Sitzungswoche auch einen entsprechenden Antrag einbringen, der sich mit den Hafenstaatkontrollen, mit dem Nothafenkonzept und mit den Doppelhüllentankern befassen wird. Lassen Sie mich zum Schluss noch zwei Punkte ansprechen. Wir werden uns mit dem Thema Verkehrslärm in den nächsten vier Jahren zu befassen haben, aber wir wollen uns auch um den Ausbau der Radwege kümmern. Wir haben hierzu im letzten Jahr ein besonderes Programm aufgelegt. Ich möchte deutlich machen, dass wir von der SPD - ich denke, die Grünen haben wir dabei mit im Boot - ein Programm für Radwege an Bundeswasserstraßen auflegen werden. Ich meine, dass das eine Chance für den Tourismus und genauso für die Verkehrswirtschaft ist. Das ist ein wichtiger Schritt voran. Ich hoffe, meine Herren in der Opposition, Sie werden wenigstens diesem Antrag im Ausschuss zustimmen. Danke schön. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Klaus Lippold von der CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Stolpe, wer sich mit Ihren Ausführungen der letzten Zeit zur Verkehrsproblematik befasst hat, wird festgestellt haben, dass wir sehr vieles von dem, was Sie befürchten, in vollem Umfang teilen. ({0}) Dr. Klaus W. Lippold ({1}) Ihre Meinung, dass Standortproblematik und Verkehrsproblematik zusammen betrachtet werden müssen und dass wir hier Prioritäten setzen müssen, teilen wir. Sie haben - das haben Sie heute nicht so stark betont; das haben Sie heute etwas eleganter überspielt - die dramatische Situation des Verkehrsnetzes in Deutschland sehr deutlich dargestellt. Auf diesen Punkt Ihrer früheren Ausführungen müssen wir noch einmal zurückkommen. Wir wollen genauso wie Sie einen massiven Ausbau der Infrastruktur nicht nur im Osten, sondern auch in Westdeutschland. Wir teilen auch Ihre Akzentsetzung, die Sie für die neuen Bundesländer vornehmen wollen, weil es hier unbestreitbar Nachholbedarf gibt, den wir abarbeiten wollen. ({2}) Herr Minister, Sie haben gleichzeitig gesagt, dass Sie die Erleichterung der Bildung von Wohneigentum für einen wichtigen gesellschaftspolitischen Stabilitätsfaktor halten. Auch das teilen wir. Aber gerade diese letzte Bemerkung nehme ich zum Anlass, deutlich zu machen, dass wir Sie natürlich in Zukunft an Ihren Aussagen messen werden; denn es geht nicht nur um Zielformulierungen, sondern es geht darum, wie diese Ziele in die Tat umgesetzt werden. Angesichts der gesellschaftspolitischen Wertschätzung von Wohneigentum ist es offensichtlich, dass Sie mit der Kürzung der Eigenheimzulage in die völlig falsche Richtung gehen. ({3}) Das ist in dieser Form nicht Ihnen persönlich anzulasten, denn nach Ihren Äußerungen haben auch Sie das kritisiert. Aber, Herr Minister, Ihnen ist anzulasten, dass Sie sich mit Ihrer Kritik nicht durchgesetzt haben. Das ist der entscheidende Punkt. ({4}) Weil wir heute schon mehrfach über einen Untersuchungsausschuss gesprochen haben, ({5}) muss ich sagen, dass die Frage der Eigenheimzulage - Herr Schmidt, das erspare ich Ihnen nicht - natürlich ein Beleg für die Wählertäuschung ist. Ich zitiere Herrn Markwort, der im „Focus“ zu Beginn dieser Woche noch einmal ganz deutlich aufgelistet hat, dass Sie in verschiedenen Äußerungen ({6}) das ganze letzte Jahr hindurch gesagt haben, dass Sie hier nichts ändern wollen, ({7}) dass die Eigenheimzulage bleibt, ({8}) dass sie ungeheuer wichtig ist und deshalb aufrechterhalten wird. Dann haben Sie sie gekürzt. Der Kanzler, der ja für die Politik verantwortlich ist, hat kurz vor der Wahl in einem Interview deutlich gemacht, Zweifel seien nicht angebracht. Er stehe de facto dazu. Das ist in der „Siedlerzeitung“ nachzulesen. Wenn das Wort „Wählertäuschung“ hier von einem Journalisten gebraucht wird, werden Sie darauf hoffentlich in anderer Weise reagieren und es nicht, wie Sie sonst üblich, als parteipolitische Polemik abtun. Nein, so kann man es nicht machen: noch bis zur letzten Sekunde sagen: „Das steht; das ist stabil; es ändert sich nichts“ und hinterher ganz rasch nach dem Motto „Wird ja wohl nicht besonders auffallen“ Einschnitte vornehmen. Das ist Wählertäuschung. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. ({9}) Ich sage das, weil es natürlich in einem grundsätzlichen Zusammenhang mit der miserablen Situation in der Bauwirtschaft steht. ({10}) Dieser Punkt trägt mit dazu bei, aber er ist nicht der einzige. Die miserable Situation in der Bauwirtschaft ist zum einen durch die Konjunktur bedingt. Aber durch das Umfeld, das Klima, das Sie schaffen, ({11}) tragen Sie ganz erheblich dazu bei, dass die Lage für die Bauwirtschaft immer schlechter wird. Ich denke an die stetigen Diskussionen um die Vermögensteuer und um die Erhöhung der Erbschaftsteuer. Was Sie sich in der letzten Zeit für ein Chaos in der Vermögensteuerdiskussion geleistet haben, können Sie überall nachlesen. Hier ist etwas gesagt worden, dort ist etwas gesagt worden. Der Kanzler hat zum 25. Mal ein Machtwort gesprochen: Ende der Diskussion. - Das wird so sein wie bei den 24 Malen vorher: Das Machtwort hält genau einen Tag und dann geht die Diskussion weiter, ({12}) weil dieser Kanzler nicht nur in der Öffentlichkeit an Vertrauen verloren hat, sondern sich mittlerweile auch in der eigenen Fraktion nicht mehr durchsetzen kann. ({13}) Es ist doch erstaunlich, dass er die Frage der Vermögensteuer nicht hier, in der Generaldebatte im Deutschen Bundestag, anspricht, sondern im ZDF, wo er Herrn Müntefering nicht ins Gesicht gucken muss. Er würde ihm natürlich deutlich machen: So läuft es nicht, Junge. Das ist ein anderes Spiel. - Nein, so geht das nicht. ({14}) Die Frage der Besteuerung von Immobilien stellt sich auch im Zusammenhang mit der Alterssicherung. Sie dürfen sich doch nicht wundern, dass nicht nur der Einfami1108 lienhausbau, sondern dass auch Mietwohnungsbau und Industriebau zurückgehen. Das verdanken Sie dem Umfeld, dem Klima, das politisch Sie zu verantworten haben. Deshalb sind Sie auch verantwortlich für den Rückgang der Zahl der Arbeitsplätze in der Bauindustrie. Wir lassen dem Kanzler auch überhaupt nicht durchgehen, dass er gestern in einem Halbsatz - er hat ja sonst über Arbeitslosigkeit nicht gesprochen, weil das für ihn ein Sekundärproblem in dieser Republik ist - davon gesprochen hat, die Bauwirtschaft sei „übersetzt“. Er stellt das somit quasi als einen Normalisierungsvorgang dar. Nein, das ist Folge verfehlter Politik. Wie stellt sich denn die Situation dar? Wir hatten Ende der 80er-Jahre im Westen dieser Republik 960 000 Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft, nach der Wiedervereinigung waren es 1,5 Millionen. Man kann sicherlich sagen: Das war übersetzt. Aber jetzt, Herr Stolpe, haben wir 860 000 im glücklicherweise wieder vereinigten Deutschland. Dies ist nicht mehr übersetzt. Jetzt greift die Strukturkrise in Verbindung mit der generellen Konjunkturkrise und bewirkt, dass Arbeitsplätze, die erhalten werden könnten, verloren gehen, und der Kanzler schaut mit der ruhigen Hand zu. Ferner wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie auch Programme überprüfen würden, die Sie vor der Wahl zum Beispiel im städtischen Bereich für ein Jahr aufgelegt, aber nach der Wahl sofort auf Null gestellt haben. Das hat nichts mit Kontinuität zu tun. ({15}) Herr Minister, ich möchte Sie insbesondere darum bitten, dass Sie die Bahn nicht wie Ihr Vorgänger, dem ich das mehrfach vorgeworfen habe, einfach so aus dem Ruder laufen lassen. Herr Bodewig tanzte nach der Melodie, die Herr Mehdorn vorgegeben hat. Dies hatte fatale Folgen. Nach außen wird gesagt: Die Bahn bedient die Fläche. Realität aber ist: Anschlüsse, Gleise und Verbindungen werden stillgelegt. Das kann es nicht sein, Herr Mehdorn - Entschuldigung, Herr Stolpe. Dies ist mir auch bei Herrn Bodewig passiert, den ich immer mit Mehdorn angeredet habe, weil dieser der eigentliche Inspirator war. Herr Stolpe, der Hauptpunkt ist: Wenn wir mehr Wettbewerb schaffen und dafür sorgen, dass die Strecken, die die Deutsche Bahn nicht mehr will, von anderen genutzt werden können, sieht die Situation ganz anders aus. Deshalb erwarte ich, dass Sie zu mehr Wettbewerb und zu mehr Verlagerung nicht nur etwas sagen, sondern auch etwas tun. Auch daran werden wir Sie messen. ({16}) Ich habe gehört, dass Sie, der Kanzler und noch ein Dritter jetzt wieder eine Pilgerfahrt nach Schanghai unternehmen werden. Ich will noch einmal deutlich sagen: Es kann nicht richtig sein, jetzt permanent in Schanghai zu demonstrieren, was deutsche Technologie ist. Sie hätten sich früher überlegen sollen, den Transrapid hier einzusetzen; dann wäre es ganz anders gekommen. Lassen Sie mich noch etwas zur ICE-Strecke ErfurtNürnberg und den Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“ sagen, weil ich das für sehr wichtig halte. Den Ausbau der ICE-Strecke von Erfurt nach Nürnberg haben - das haben wir nicht vergessen - Ihre Freunde 1999 gestoppt. Wenn dieser Ausbau jetzt endlich mit dem nötigen Nachdruck versehen wird, ist dies aus meiner Sicht richtig. Wenn man später über den Anschluss Erfurt-Berlin nachdenkt, ist das angebracht; denn wir brauchen auch diese Verbindung. Ich glaube, dass wir hier einer Meinung sind. Herr Stolpe, ich erwarte aber auch, dass Sie so konsequent handeln, wie Sie es hier angekündigt haben. Hoffentlich werden Sie das auch einhalten. ({17}) Einige wenige Sätze zum Straßenbau: Ich halte die Art und Weise, wie Sie die Einnahmen durch die Maut verwenden wollen, für nicht akzeptabel. Sie stopfen damit die eichelschen Haushaltslöcher, statt dieses Geld in vollem Umfang in die Infrastrukturmaßnahmen zu stecken und damit zum Ausbau des Straßen- und Schienennetzes beizutragen. Ich wiederhole es: Die Maut ist nicht dazu da, die eichelschen Haushaltslöcher zu stopfen. Hier müssen die Akzente anders gesetzt werden. Wir müssen ferner die Belastungen des Verkehrsgewerbes durch die Harmonisierung in der EU einigermaßen ausgleichen, damit - wie dies einige Vorredner schon gesagt haben - das deutsche Verkehrsgewerbe nicht kaputtgeht, das ausländische Verkehrsgewerbe auf den deutschen Markt drängt und somit auch hier, wie im Baubereich, Arbeitsplätze verloren gehen, die wir in unserer Republik erhalten sollten und müssten. ({18}) Ich möchte noch eine kurze Anmerkung zu den Wasserstraßen machen. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Regierungskoalition, man kann Wasserstraßen auch ökologisch verträglich ausbauen. Was Sie hier diskutieren, ist der Versuch, die Hochwasserkatastrophe zu instrumentalisieren. Sie gehen einen falschen Weg. Wir brauchen die Wasserstraßen. Wir brauchen auch die Flusswasserstraßen, um Alternativen zum Straßenverkehr zu haben. Das kann in ökologischer Weise geschehen und Sie sollten sich nicht gegen jeglichen Ausbau - dies steckt ja hinter Ihren Ausführungen - sträuben. ({19}) In dem Sinne haben wir noch viel zu tun. Gehen wir es gemeinschaftlich an. ({20})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Stolpe, Sie haben in Ihrer Antrittsrede zwei Sätze gesagt, die ich heute gerne aufgreifen möchte. Satz eins: Ich will meine Arbeit in Kontinuität ... gestalten und dabei auch die erfolgreiche Arbeit ... weiterführen. Dr. Klaus W. Lippold ({0}) Der Kollege Friedrich von der FDP kommentierte das mit dem Zwischenruf „So erfolgreich kann sie nicht gewesen sein!“. Ich stimme der FDP selten zu. Aber hier muss ich sagen: Wo sie Recht hat, hat sie Recht. Wir haben in den neuen Bundesländern eine reale Arbeitslosigkeit von über 30 Prozent, Tendenz steigend. Wir haben es mit einer anhaltenden Abwanderung insbesondere junger Leute zu tun. Angesichts dieser Tatsache sieht es nach Traumtänzerei aus, wenn Sie in Kontinuität an Erfolge anknüpfen wollen. Vielmehr wäre kritisch zu prüfen, was falsch läuft, und umzusteuern. Meine Kritik wird übrigens höchstamtlich geteilt. Nehmen Sie nur den jüngsten Beschäftigungsbericht der EU. Er weist nach, dass die Lage in Ostdeutschland besonders dramatisch ist. Deshalb wird im EU-Bericht ein umfassendes Konzept für die östlichen Bundesländer mit regionalen arbeitsmarkt- und strukturpolitischen Maßnahmen eingefordert. Nun zum zweiten Satz aus Ihrer Antrittsrede, Herr Minister Stolpe - ich zitiere -: Der Aufbau Ost ist eine Aufgabe aller Ressorts. Diesem Punkt stimme ich nun wiederum ausdrücklich zu. Er hat sich aber offenbar unter Ihren Koalitionskollegen noch nicht herumgesprochen. Nehmen wir nur das viel gepriesene Hartz-Konzept. Es ist nicht osttauglich; denn es verschärft die Probleme nur, anstatt sie zu lösen. ({1}) Dies ist eine Kritik, die übrigens generell auf strukturschwache Regionen zutrifft. Sie müssten das aus der Erfahrung der vergangenen zwölf Jahre eigentlich besser wissen, Herr Stolpe. Sie haben auch heute wieder zu Recht zur Angleichung der Lebensverhältnisse in den neuen Bundesländern an das Durchschnittsniveau West aufgerufen und stellen es bis zum Jahr 2007 in Aussicht. Das ist grundsätzlich richtig. Nur, nach allem, was ich im Haushaltsplan lese, komme ich zu dem Schluss: Ihre Ankündigung ist bisher nicht mit einem einzigen Cent untersetzt. Ich habe mir nicht nur den Einzelplan 06, der traditionell den öffentlichen Dienst umfasst, angesehen, sondern alle Teile. Ich finde darin nicht einen einzigen Cent zu dieser Ankündigung. So kann man kein Vertrauen gewinnen und so kann man die Bürgerinnen und Bürger insbesondere im Osten nicht zum Mittun motivieren. ({2}) Sie verweisen, Herr Minister Stolpe, auf die Chancen für die neuen Bundesländer, die in der EU-Osterweiterung liegen. Das ist ein Thema, das schon heute viele bewegt, und zwar aus sozialer Sicht nicht nur erwartungsfroh. Durch mehrere EU-Länder wurde angemahnt, eine Sozialcharta mit Mindeststandards zu vereinbaren. Es war ausgerechnet der Vertreter der Bundesregierung im EUKonvent, Ihr Kollege Glotz, der das damals als pure „Zeitverschwendung“ abtat. Inzwischen hat der Herr Bundesaußenminister Fischer seinen Platz im Konvent eingenommen. Von einer europäischen Sozialcharta höre und lese ich bei Rot-Grün indes nichts. Eine abschließende Bemerkung. Auch in den vergangenen zweieinhalb Tagen hörte ich wieder Sätze wie: In den neuen Bundesländern ist das noch nicht so wie bei uns! - Solange Minister und Mitglieder des Bundestages so denken: In den neuen Bundesländern ist das noch nicht so wie bei uns, so lange bleibt der Aufbau Ost für viele wie etwas aus dem Ausland, also etwas Fremdländisches. Deshalb wiederhole ich: Das zitierte „Weiter so“ ist keine Lösung. Sie, nein, wir alle brauchen einen Neuansatz. Anderenfalls wird der Aufbau Ost zwar teurer, aber garantiert nicht besser. Ich gebe zu, auch die PDS hat nicht den Stein der Weisen. Aber unsere Vorschläge und Konzepte liegen vor. Ich stelle Sie Ihnen gern noch einmal zur Verfügung. Danke. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Peter Hettlich, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der bevorstehende Bevölkerungsrückgang, unsere internationalen Verpflichtungen zum Klimaschutz, die ungebremste Zersiedlung zulasten der Städte und ihrer Infrastruktur, die damit verbundene dringende Notwendigkeit der Reduzierung des Flächenverbrauchs von derzeit 130 Hektar pro Tag auf 30 Hektar bis zum Jahr 2020 und das Erfordernis einer Stärkung des Faktors Arbeit in der Bauwirtschaft - dies alles lässt nur einen Schluss zu: Wir müssen die Bau- und Wohnungspolitik vom Kopf wieder auf die Füße stellen. Im Zusammenhang mit dem hier zu diskutierenden Haushalt heißt das vor allem, dass wir mit unserer Politik weiterhin die Förder- und Investitionsmittel nicht auf Mengenwachstum, sondern auf Bestandspflege und Bestandssanierung konzentrieren müssen. Im Zuge der ökologischen Finanzreform werden wir daher Subventionen und Förderungen, die der Politik der Nachhaltigkeit widersprechen, abschmelzen. ({0}) Die Änderung der Eigenheimzulage insbesondere durch die Gleichstellung von Neubau- und Bestandsförderung und die Verringerung des Fördervolumens ist ein erster Schritt in die Richtung. Denn die Eigenheimzulage stellt immerhin einen der größten Ausgabeposten im Bundeshaushalt dar. Sie ist zudem der größte wohnungspolitische Einzelfaktor. Die für 2002 erwarteten Steuerausfälle belaufen sich auf über 9 Milliarden Euro. Dies entspricht fast der Hälfte des gesamten wohnungspolitischen Fördervolumens und etwa 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Die in Teilen unseres Landes gesättigten Wohnungsmärkte, die zunehmende Stadt-Umland-Wanderung, die durch die Eigenheimzulage möglicherweise sogar mitverursachten Bodenpreissteigerungen, die Gefahr eines Immobilienwerteverfalls, wenn wir trotz rückläufiger Nachfrage den Neubau künstlich auf einem hohen Niveau subventionieren, und die Überkapazitäten in der Bauwirtschaft legen ein Abschmelzen des Fördervolumens und einen Abbau der Neubauförderung ebenso nahe wie die Tatsache, dass es in der Vergangenheit kaum einen Haushalt gab, der die Zulage nicht in Anspruch nehmen konnte. Mit anderen Worten: Viele Haushalte hätten auch ohne die Zulage gebaut oder bauen können. Rentenbezieher etwa oder selbst Familien mit anderweitigem Immobilieneigentum konnten und können sich dank steuerlich niedriger Einkünfte zum Kreis der Zulageberechtigten zählen, obwohl ihr tatsächliches Haushaltseinkommen dies kaum nahe legen dürfte. Auch das sei gesagt: Die Entlastungen bei den baulichen Investitionen durch die derzeit sehr günstigen Zinssätze liegen deutlich über dem Niveau der alten Grundförderung der Eigenheimzulage. Aber trotz Rückgangs der Zinssätze und trotz Förderung durch die Eigenheimzulage gingen die Wohnungsbauaktivitäten seit 1997 deutschlandweit zurück. Deshalb gestalten wir die Förderpolitik um. Dazu gehört für uns das neue Eigenheimzulagegesetz. ({1}) Der Klimaschutz am Bau bildete bereits in der vergangenen Wahlperiode einen Schwerpunkt rot-grüner Baupolitik. Das mit 200 Millionen Euro pro Jahr ausgestattete Altbausanierungsprogramm I wird fortgeführt. Gleichzeitig wollen wir es stärker auf die Bedürfnisse der Wohnungsunternehmen zuschneiden. Darüber hinaus stocken wir den Ökobonus bei der Eigenheimzulage auf 300 Euro pro Jahr auf. ({2}) Zur Erschließung weiterer Energieeinsparpotenziale insbesondere bei Ein- und Zweifamilienhäusern stellen wir außerdem zusätzlich 150 Millionen Euro für ein eigenständiges Altbausanierungsprogramm II aus Ökosteuermitteln zur Verfügung. ({3}) Der wohnungswirtschaftliche Strukturwandel in den neuen Ländern - übrigens nicht nur dort, sondern mehr und mehr auch in den alten Ländern - erfordert weiterhin erhebliche Anstrengungen. Das Programm „Stadtumbau Ost“ mit einem Bundesanteil von 1,1 Milliarden Euro bis 2009 beruht maßgeblich auf unseren Initiativen in der letzten Wahlperiode. Die Beteiligung von mehr als 250 ostdeutschen Kommunen am Wettbewerb „Stadtumbau Ost“ hat alle Erwartungen übertroffen. In dieser Wahlperiode gilt es, das Erreichte zu sichern und weiterzuentwickeln. Im Jahr 2003 wird für Rückbau und städtebauliche Aufwertung ein Verpflichtungsrahmen von 153 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Hinzu kommen 26 Millionen Euro für das Sonderprogramm „Wohneigentumsbildung in innerstädtischen Altbauquartieren“. Zur Entlastung der von Leerständen betroffenen ostdeutschen Wohnungswirtschaft werden wir außerdem die Altschuldenhilfe um 300 Millionen Euro auf 658 Millionen Euro aufstocken. Die Bauwirtschaft befindet sich seit Ende der 90er-Jahre in einer dramatischen Talfahrt. Insbesondere die verfehlte Ostförderpolitik der Kohl-Regierung führte mit zu den heutigen Überkapazitäten, übrigens auch im Westen. Der demographische Trend lässt darauf schließen, dass die Baufertigstellungszahlen im Neubaubereich weiter abnehmen werden, während die Alterung der Wohnungsbestände und die sich ändernden Wohnbedürfnisse eine verstärkte Nachfrage nach Bestandsmodernisierung auslösen werden. Wir unterstützen gerade dadurch die kleinen und mittelständischen Bauunternehmen, dass wir Fördermittel wie zum Beispiel die Altbausanierungsprogramme und Investitionen in die arbeitsintensive Bestandspflege und -modernisierung lenken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Städtebau- und Wohnungspolitik ist - dies macht der Haushaltsentwurf deutlich - von dem Gedanken der Nachhaltigkeit geprägt. Nur eine ökologisch und sozial verträgliche und auf Dauer bezahlbare Politik nützt unserem Land und schafft und erhält Arbeitsplätze. Nur eine Politik, die Umwelt und Arbeit sinnvoll miteinander verknüpft, ist nachhaltig. Wir machen diese Politik. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Hettlich, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag sehr herzlich. ({0}) Als nächster Redner hat der Kollege Eberhard Otto von der FDP-Fraktion das Wort.

Eberhard Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003605, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vier lange Jahre saß kein Liberaler aus MecklenburgVorpommern im Deutschen Bundestag. ({0}) Das war für das Land sehr schlecht. ({1}) Nun bin ich als selbstständiger Unternehmer und Vollpraktiker aus der Baubranche hier im Deutschen Bundestag. ({2}) Ich muss Ihnen sagen: Das, was ich in diesen wenigen Wochen bisher erlebt habe, ist unglaublich. Ich kann einfach nicht verstehen, was die Mitglieder der Koalition und die Regierung im Bundestag gegenwärtig veranstalten. ({3}) Eberhard Otto ({4}) Alle bis zum heutigen Tag vorgelegten Gesetzentwürfe einschließlich der Haushaltsentwürfe haben keine wirtschaftsfördernden Maßnahmen zum Inhalt, im Gegenteil. ({5}) Das heißt, dass die deutsche Wirtschaft, insbesondere Mittelstand, Handwerk und Gewerbe, weiter gegen den Baum gefahren werden. ({6}) Ist Ihnen eigentlich klar: Wer die Wirtschaft gegen den Baum fährt, fährt Deutschland in den Ruin, schadet der Gesellschaft, verhindert Investitionen und vernichtet Arbeitsplätze. Mir sind soeben Informationen zugegangen, dass wir in Mecklenburg-Vorpommern jetzt die höchste Arbeitslosenquote von ganz Deutschland haben. Das ist sehr schlecht für unser Land. Ich habe den Eindruck, dass viele Mitglieder der Koalitionsfraktionen hier Reden halten, die am Leben vorbeigehen. Das Gefühl der Deutschen, von der Politik verlassen zu sein, war noch nie so groß wie heute. Meine Damen und Herren, vom neuen Minister Stolpe hört man noch nicht sehr viel über den Ausbau Ost. Auch im vorliegenden Haushalt sind bisher keine generellen Lösungen zu erkennen. ({7}) Ich frage Sie, Herr Stolpe: Wo sind Ihre konkreten Konzepte für die Entwicklung der Bau- und Wohnungswirtschaft und die Infrastruktur, insbesondere für die Ostländer? ({8}) Obwohl der Osten durch eine hohe Anzahl von Abwanderungen weiter ausblutet, hört und sieht man nichts Neues von der Bundesregierung zu diesem Thema. Mit einer Nettoumsatzrendite von deutlich unter 1 Prozent ist das Baugewerbe der Wirtschaftszweig mit der schlechtesten Rentabilität aller großen deutschen Wirtschaftszweige. Die Bundesregierung betätigt sich mit ihrer Politik weiterhin als Totengräber der Bauwirtschaft: ({9}) In den ersten drei Quartalen des Jahres 2002 ging die Wohnungsbaunachfrage im Vergleich zum Vorjahr um 16,1 Prozent zurück. ({10}) Die Zahl der Wohnungsbaugenehmigungen ging in diesem Zeitraum um 9,8 Prozent zurück, ({11}) und dies vor dem Hintergrund, dass bis 2005 jährlich 340 000 neue Wohnungen einschließlich Altbausanierungen benötigt werden. Es liegen bisher auch keine konkreten Vorschläge zum Abbau der Bürokratie auf diesem Gebiet vor; der wäre aber bestimmend für einen Aufschwung in ganz Deutschland. Eines kann ich Ihnen als Praktiker sagen: Diese umfangreichen Bürokratiebestimmungen machen uns kaputt. ({12}) So sieht dieser Einzelplan mit Kapitel 12/25 eine Kürzung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau um mehr als 118 Millionen Euro vor. Diese Mittel verschwinden einfach, obwohl sie dringend, vor allem für den Stadtumbau und zur Altstadtbausanierung, benötigt werden. Auch diese Einsparung führt zum Rückgang der Bautätigkeit und damit zum weiteren Abbau von Arbeitsplätzen vor allem in den neuen Ländern sowie zur weiteren Abwanderung. ({13}) Die Verknappung von Wohnungen für sozial Bedürftige wird zunehmen, da die Investitionen in der Bauwirtschaft weiter zurückgehen und Wohnen mittelfristig teurer werden wird, insbesondere auch durch den ständigen Anstieg der Betriebs- und Wohnnebenkosten. Sorgen Sie, Herr Minister, dafür, dass die ohnehin knapp bemessenen Mittel für den Wohnungsbau und für die Sanierung in voller Höhe erhalten bleiben und Investitionen sich in Zukunft wieder lohnen. ({14}) Noch eines, Herr Minister: Wenn Sie Hilfe und Unterstützung brauchen, fragen Sie mich! Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Otto, auch Ihnen gratuliere ich zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag sehr herzlich. ({0}) Das Wort hat jetzt der Kollege Norbert Königshofen von der CDU/CSU-Fraktion.

Norbert Königshofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002703, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast am Ende der dieswöchigen Haushaltsberatungen will ich nicht mehr im Einzelnen darlegen, dass Schröder und RotGrün sich durch Irreführung, Panikmache und Täuschungen über die Ziellinie gerettet haben. Das hat sich ja schon herumgesprochen. Aber es muss auch an dieser Stelle festgestellt werden, dass die Aussagen zur Verkehrspolitik vor der Bundestagswahl vor allem das Ziel hatten, den Eindruck zu erwecken, Rot-Grün tue alles, um die lebensnotwendige Mobilität in Deutschland zu fördern. So verkündete der glücklose ehemalige Minister Bodewig im Juni 2002, ({0}) dass die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur in der mittelfristigen Finanzplanung bis 2006 um 25 Prozent gesteigert werden. ({1}) Im Monatsbericht des Bundesfinanzministers vom September 2002 ist jedoch nachzulesen, dass in der mittelfristigen Finanzplanung - ich zitiere - „die Ausgaben für die Verkehrsinfrastruktur von jährlich 10,3 Milliarden Euro auf 10,6 Milliarden Euro in 2006“ ansteigen. Wie man bei einer Veränderung von 10,3 auf 10,6 Milliarden Euro eine Steigerung von 25 Prozent errechnen kann, bleibt wohl das Geheimnis des entlassenen Ministers Bodewig. ({2}) Gerade fragte ein Kollege, warum er denn glücklos gewesen sei. Ich glaube, Herr Kollege, wenn er nicht glücklos gewesen wäre, dann säße er noch auf der Regierungsbank und hätte eine andere Verwendung als die eines normalen Abgeordneten gefunden. Aber auch das Zukunftsprogramm „Mobilität“ für den Zeitraum von 2003 bis 2010 mit einem Volumen von 90 Milliarden Euro, ({3}) das Sie, Herr Minister Stolpe, zwar nicht erfunden, aber von Ihrem Vorgänger übernommen haben, muss kritisch hinterfragt werden. Es steht unter Finanzierungsvorbehalt, unter anderem deshalb, weil es auf die Mobilisierung privaten Kapitals setzt, das heißt, es soll also Geld ausgegeben werden, von dem man zurzeit gar nicht weiß, ob es überhaupt zur Verfügung steht. Wir erleben das gerade beim so genannten Anti-StauProgramm, das mit der LKW-Maut finanziert werden soll: Noch im Haushaltsentwurf für 2003, der im September, kurz vor der Wahl, im Deutschen Bundestag eingebracht wurde, waren für das kommende Jahr 1,25 Milliarden Euro an Einnahmen aus der Maut veranschlagt. Davon sollten 686,8 Millionen Euro in das Anti-Stau-Programm fließen. Im Entwurf vom November, den wir jetzt diskutieren, sind es nur noch 900 Millionen Euro, von denen lediglich 37,6 Millionen Euro für die Bundesfernstraßen, Bundeswasserstraßen und die Eisenbahn vorgesehen sind. Das sind gut 649 Millionen Euro weniger als vor zwei Monaten. Und das hat die Regierung vor der Wahl nicht gewusst?! Ich glaube, dass selbst bei der SPD und bei den Grünen das niemand glaubt. Bei dieser Gelegenheit will ich auch noch einmal deutlich machen, dass die Einnahmen aus der LKW-Maut nur zum Teil in die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur fließen sollen. Herr Minister Stolpe sagte noch am 30. Oktober an dieser Stelle, sie flössen „zu mehr als 50 Prozent wieder in die Verkehrswege“. Das heißt aber, der andere Teil dient von vornherein zur allgemeinen Haushaltssanierung. ({4}) Ich will noch einmal für die Union darstellen: Nach unserer Auffassung soll die Maut helfen, Mittel für die Verkehrsinfrastruktur zu mobilisieren, um insbesondere im Bereich Straße den chronischen Investitionsstau zu beheben. ({5}) Wir beteiligen uns aber nicht an Ihrem Vorhaben, das Güterverkehrsgewerbe zu schröpfen, um Eichel „fresh money“ zuzuführen. Das Güterverkehrsgewerbe wird schon über die Mineralölsteuer in Höhe von fast 45 Milliarden Euro herangezogen. ({6}) Und jetzt kommt das noch hinzu. Das Güterverkehrsgewerbe ist nicht der Packesel der Nation. Auch der Ausgleich in Höhe von 300 Millionen Euro, den Sie dem Gewerbe in Aussicht gestellt haben, ist nach unserer Auffassung viel zu gering. Damit wird die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Güterverkehrsgewerbes nicht wieder hergestellt. ({7}) - Der Unterschied ist, dass alle unsere Aussagen sofort nachprüfbar sind, während Ihre Aussagen erst hinterher nachgeprüft werden können und sich dann als falsch erweisen, wie wir das hier nachweisen können. ({8}) Seit dem Jahr 1999 stellt der Bund jährlich 51,13 Millionen Euro für die Lärmsanierung an bestehenden Schienenwegen zur Verfügung. Wir begrüßen dieses Programm ausdrücklich. Angesichts der Tatsache, dass von 1999 bis 2001 gerade einmal 27,3 von 153 Millionen Euro abgeflossen sind, das heißt nicht einmal 18 Prozent, hoffen wir, dass das Programm zur Verbesserung des Lärmschutzes an Bundesautobahnen, das Sie, Herr Minister Stolpe, angekündigt haben, erfolgreicher sein wird und dass diese Mittel auch tatsächlich abfließen. ({9}) Denn die lärmgeplagten Anrainer haben kein Verständnis dafür, dass groß angekündigte Programme, wenn sie schon einmal Eingang in den Haushalt gefunden haben, nicht zügig umgesetzt werden. In diesem Zusammenhang erinnere ich an die Novellierung des Fluglärmgesetzes. Die Grenzwerte des geltenden Gesetzes werden von der Rechtsprechung seit Jahren als unzureichend erklärt. Schon in der letzten Legislaturperiode haben Sie versprochen, das Fluglärmgesetz zu novellieren. Aber Sozialdemokraten und Grüne konnten sich nicht einigen. Dabei waren wohl vor allem die Vorstellungen von Herrn Trittin und seinen Gesinnungsfreunden mit den Erfordernissen einer modernen mobilen und globalisierten Gesellschaft nicht in Einklang zu bringen. Es ist offensichtlich bei vielen Grünen so, meine Damen und Herren, dass man einerseits den Luftverkehr öffentlich verteufelt, bei seinen privaten Fernreisen aber gern auf das Flugzeug zurückgreift. ({10}) Ich wünsche Ihnen, Herr Minister Stolpe, in dieser Legislaturperiode mehr Erfolg und biete Ihnen hier ausdrücklich die Kooperation der CDU/CSU an. ({11}) - Das ist richtig. Immer dann, wenn Sie auf uns hören, kann nichts schiefgehen. Das haben Sie gut erkannt. ({12}) In jedem Jahr hören wir das Glaubensbekenntnis der Regierungsparteien, dass die Haushaltsmittel für die Schiene denen der Straße entsprechen müssten. ({13}) Das Problem dabei ist aber, dass die Bahn immer wieder Schwierigkeiten hat, die angesetzten Mittel zu verbauen. So hat die Deutsche Bahn AG im Jahr 2001 fast 600 Millionen Euro verfallen lassen und im laufenden Jahr wird das noch ein größerer Betrag sein.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Norbert Königshofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002703, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. - Ich hätte gerne noch etwas zum Metrorapid gesagt, aber die Redezeit ist abgelaufen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen, Herr Stolpe, im Interesse unseres Volkes, dass Sie erfolgreicher sein werden als Ihr Vorgänger. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Spanier von der SPD-Fraktion.

Wolfgang Spanier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002803, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen! Liebe Kollegen! Diese Haushaltswoche war, zumindest was die Rolle der Opposition betrifft, nicht gerade glanzvoll. ({0}) Das gilt auch für die Reden, die Sie heute hier zum Einzelplan 12 gehalten haben. Für den Haushalt 2003 und auch die mittelfristige Finanzplanung gelten zwei wichtige Maßstäbe. Erstens sind die finanzpolitischen Rahmenbedingungen zu nennen. Zwingend notwendig ist die Konsolidierung der Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden. ({1}) Zweitens sind die mittel- und langfristigen Ziele unserer Städtebau- und Wohnungspolitik zu nennen. Ich stelle fest: Äußerungen zu beiden Maßstäben weichen Sie aus. ({2}) Kein Wort über das Thema Haushaltskonsolidierung ({3}) und auch kein inhaltliches Wort zur Städtebau- und Wohnungspolitik! Das sind wir seit zwei Jahren von Ihnen gewohnt. Kein einziger Beitrag dazu in den letzten Jahren! Max Weber hat einmal gesagt, Politik sei das langwierige Bohren dicker Bretter. ({4}) Mit Verlaub, ich stelle fest: Sie haben selbige offensichtlich vor Ihren Köpfen. ({5}) Kein Wort dazu, dass es zwingend notwendig ist, in der Städtebau- und Wohnungspolitik einen Paradigmenwechsel nicht nur einzuleiten - das haben wir in der letzten Legislaturperiode getan -, sondern auch konsequent fortzusetzen. Kein Wort höre ich von Ihnen zum demographischen Wandel. Kein Wort von der Änderung der Altersstruktur. ({6}) Kein Wort von der Binnenwanderung, kein Wort von Versiegelung und Flächenverbrauch, kein Wort von sich differenzierenden Anforderungen an das Wohnen, an die Qualität des Wohnens, kein Wort zur sozialen Balance in den Städten! Kein Wort dazu, dass wir die Städtebau- und Wohnungspolitik verzahnt auf diese Entwicklungen hin ausrichten müssen! Kein Wort davon, dass die alten Maßstäbe - gute Wohnungspolitik bemisst sich allein an den Fertigungszahlen - längst überholt sind und dass wir unseren wichtigen Beitrag zu einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie zu leisten haben. ({7}) Erste wichtige Schritte haben wir bereits eingeleitet: die Reform der sozialen Wohnraumförderung, die Programme „Soziale Stadt“, „Stadtumbau Ost“, „Stadtumbau West“ ({8}) und das Projekt „City 21“. Der Haushalt 2003 ist konsequent auf diese Ziele ausgerichtet ({9}) und - das ist unter den Konsolidierungsbedingungen keineswegs selbstverständlich - er hat das gleiche Volumen wie der Haushalt 2002. ({10}) Mit diesem Haushalt 2002 waren Sie nahezu einverstanden; sonst hätten zum Beispiel Sie von der CDU/CSU in ihren Anträgen ja nicht nur äußerst geringfügige Änderungen dazu verlangt. ({11}) Deswegen verstehe ich nicht, dass von Ihnen in den Sitzungen dieser Woche nur Folgendes zu hören war: ein dumpfes Nein zu allen Reformvorschlägen ({12}) und ein dumpfer Ruf nach mehr Geld bei allen Positionen, die Sie angesprochen haben. Die wichtigsten Punkte im Haushaltsplan hat schon Herr Hettlich angesprochen. ({13}) Ich möchte die Kontinuität in der Neuorientierung der Städtebau- und Wohnungspolitik ansprechen; auch dies ist ein wichtiger Punkt. Die Kontinuität wird dadurch deutlich, dass das Finanzvolumen gegenüber 2002 gleich geblieben ist. Das gilt für das Programm „Soziale Stadt“ genauso wie für die Programme „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ sowie für die Städtebauförderung in den neuen und in den alten Ländern. Zusätzlich - das hat Minister Stolpe eben zu Recht betont - gibt es 300 Millionen Euro mehr für die Altschuldenhilfe. Diese sind dringend notwendig, um den Stadtumbau Ost voranzutreiben und um die Wohnungsgesellschaften in die Lage zu versetzen, ihren dringend notwendigen Beitrag hierzu zu leisten. Zusätzlich zu den Programmen aus dem Haushaltsjahr 2002 haben wir aus dem Mehraufkommen der Ökosteuer ein Gebäudesanierungsprogramm in der Größenordnung von 150 Millionen Euro aufgelegt. Dieses Programm ist eine wichtige Ergänzung unseres Gebäudesanierungsprogramms, das übrigens überaus erfolgreich läuft und das maßgeblich mit dazu beigetragen hat, dass die Modernisierung, und zwar vor allen Dingen die energetische Modernisierung, unseres älteren Wohnungsbestandes Schritt für Schritt vorankommt. ({14}) Was bietet die Opposition? Ich habe mir die Protokolle unserer letzten wohnungspolitischen Debatte vom 13. Juni - drei Monate vor der letzten Wahl - durchgelesen. Was haben die Herren Dr. Kansy, Oswald und Meister vorgetragen? - Eine Latte von finanziellen Versprechungen und finanziellen Forderungen! ({15}) Der Altschuldenerlass wurde von Ihnen, lieber Kollege Oswald, für alle Wohnungen im Osten gefordert. Sie wollten mehr Geld für das Programm „Soziale Stadt“. Im Rahmen der Eigenheimzulage haben Sie mehr Geld für die Neubauförderung, den Bestandserwerb und für die Familien gefordert. Selbstverständlich wollten Sie auch bei der sozialen Wohnraumförderung eine massive Aufstockung. ({16}) Darüber hinaus haben Sie verbesserte Abschreibungsbedingungen und die Wiedereinführung des Vorkostenabzugs gefordert. - Das alles waren milliardenschwere Wahlversprechen. Zugleich waren das aber auch milliardenschwere Illusionen, weil Sie die finanziellen Rahmenbedingungen, die Ihr haushaltspolitischer Sprecher in diesem Jahr schon mehrfach vorgetragen hat, völlig ausgeblendet haben. ({17}) So kann man keine Politik machen. Letztlich ist das verantwortungslos. ({18}) Und die Reden heute? Natürlich wurden - das muss ich Ihnen, Herr Oswald, so deutlich sagen - wieder die alten Geschichten vorgetragen: Sie wollen keine Erhöhung der Ökosteuer im nächsten Jahr. Das entspricht mal eben 2,3 Milliarden Euro, ohne dass Sie den geringsten Hinweis geben, wie das auf der Einnahmenseite oder auf der Ausgabenseite angesichts der äußerst schwierigen Haushaltslage kompensiert werden soll. ({19}) Auch die Forderung nach mehr Geld für Straßen tragen Sie schon immer plakativ vor sich her. Sie haben aber keinen Hinweis gegeben, wie das unter den gegebenen Bedingungen, die man nicht einfach wegwischen kann, zu leisten ist. ({20}) Lieber Herr Lippold, ich habe den Artikel im „Focus“, den Sie angesprochen haben, nicht gelesen, allerdings bin ich auch nicht so gläubig gegenüber Zeitungsartikeln wie Sie. Hier in diesem Parlament haben wir im Vorfeld mehrfach über das Thema Eigenheimzulage gesprochen. Mehrfach haben wir, meine Kollegin Franziska EichstädtWolfgang Spanier Bohlig wie auch ich, gesagt, das Eigenheimzulagengesetz gehöre auf den Prüfstand. ({21}) Die Neuorientierung der Städtebau- und Wohnungspolitik verlangt eine Neujustierung aller Förderinstrumente. ({22}) Einen Teil davon haben wir bereits in der letzten Legislaturperiode geschafft. Das, was noch wichtig ist, machen wir in dieser Legislaturperiode. Das Entscheidende ist: Bevor die strukturellen Veränderungen, die wir vorgeschlagen haben, in die öffentliche Diskussion gekommen sind, haben wir darüber gesprochen. Ich nenne als Beispiel das neue Verhältnis von Bestandserwerbsförderung und von Neubauförderung. Ich mache keinen Hehl daraus: Unter anderen finanziellen Rahmenbedingungen hätte ich als Wohnungspolitiker das Gesamtvolumen der Eigenheimzulage durchaus für sinnvoll gehalten. Wir hätten es strukturell sicherlich deutlich effizienter und sinnvoller ausgegeben. Aber ich muss doch einfach anerkennen, wie die Haushaltslage ist, nicht nur im nächsten Jahr, sondern auch in den kommenden Jahren, nicht nur im Bund, sondern auch in den Ländern und den Kommunen. ({23}) Dem muss ich Rechnung tragen. Ich kann doch nicht einfach mit irgendwelchen Forderungen und Versprechungen durchs Land ziehen, wie Sie das in den letzten Wochen und Monaten leider häufig tun. Auch die Sache mit der Wählertäuschung, Herr Lippold, sollten Sie zumindest in Bezug auf dieses Parlament noch einmal überprüfen. Sie haben Zugang zu den Protokollen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Spanier, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Storjohann? ({0})

Wolfgang Spanier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002803, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, selbstverständlich.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Gero Storjohann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003643, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Spanier, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass der Bundeskanzler in der Zeitschrift des Deutschen Siedlerbundes im September dieses Jahres praktisch eine Garantie für die Eigenheimzulage gegeben hat? ({0})

Wolfgang Spanier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002803, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe keinerlei Kenntnis davon, dass wir sie abgeschafft hätten. ({0}) Wir haben sie strukturell verändert. Diese klare Aussage haben wir schon im Vorfeld gemacht. ({1}) - Wenn Sie mir die Kopie zur Verfügung stellen, bin ich Ihnen dankbar. Dann habe ich für heute Abend etwas zu lesen. Wir haben keineswegs die Eigenheimzulage abgeschafft oder gestrichen, sondern sie - das betone ich noch einmal - strukturell sinnvoll verändert. ({2}) Wenn Sie sich endlich einmal wieder auf die städtebau- und wohnungsbaupolitische Diskussion inhaltlich einlassen würden - ich meine das, was die Fachwelt, der Deutsche Städtetag und der GdW seit Jahren an Neuorientierungen fordern -, dann würden Sie mit uns über die strukturellen Veränderungen anders reden, als Sie das heute tun. Sie schweigen nämlich schlicht und einfach. Noch eine Schlussbemerkung zum Thema Maut, die Waigel ({3}) - ich habe ihn noch in schmerzlicher Erinnerung -, ({4}) die Finanzminister Hans Eichel angeblich abkassiert. Lieber Herr Lippold, wo sind denn die Einnahmen aus der Vignette in den vergangenen Jahren geblieben? Standen die etwa dem Haushaltsplan 12 zur Verfügung? ({5}) Wurden sie etwa in Straßenbaumaßnahmen investiert? Nein, sie sind schlicht und einfach beim Bundesfinanzminister Waigel geblieben. Sie sollten mit Ihren Kommentaren ein Stückchen zurückhaltender sein. Sie haben heute Abend richtig nett angefangen. Aber dann mussten Sie den Schlenker zu diesem elendigen Lügenthema machen. Zu dem Vorschlag, den Untersuchungsausschuss einzurichten, können wir Sie nur beglückwünschen. ({6}) Warten wir ab, wie das Ganze ausgehen wird. Mit Schaumschlägerei und wilder Polemik kann man in diesem Land keine Politik machen. Die Bürgerinnen und Bürger werden nur allzu bald davon die Nase voll haben. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner hat der Kollege Klaus Minkel von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Klaus Minkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003594, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Rede des Herrn Ministers hat mir ausnehmend gut gefallen. Im Gegensatz zum Bundeskanzler hat er die Opposition nicht beschimpft. Deshalb läuft er auch nicht Gefahr, von uns beschimpft zu werden. ({0}) Es wird hier auch niemand diffamiert. Trotzdem muss ich warnen: Wenn hier ab und an die Wahrheit gesagt wird, dann kann das hart genug sein. Der Minister hat in seiner Rede einen weiten Bogen geschlagen: vom Golf von Biscaya über Köln, Pirmasens bis Leinefelde. Auch zum Infrastrukturaufbau hat er Wesentliches gesagt. Trotzdem ist diese Rede seltsam hinkend dahergekommen. Ein wesentlicher Bereich seines Geschäftsbereiches, nämlich der Wohnungsbau, kam in der Rede praktisch überhaupt nicht vor. ({1}) Deshalb möchte ich den Teil der Rede ergänzen, den der Minister nicht gehalten hat. ({2}) Ich bin seit über 20 Jahren sowohl dem sozialen Wohnungsbau als auch dem frei finanzierten Wohnungsbau beruflich verbunden. Die Bauwirtschaft ist immer noch eine Schlüsselindustrie in Deutschland und der Wohnungsbau hat bisher einen wesentlichen Teil dieser Schlüsselindustrie ausgemacht. Zurzeit liegt der Wohnungsbau todkrank am Boden, aber statt Medizin verabreicht diese Bundesregierung dem Wohnungsbau blankes Gift. Ich möchte zunächst auf die kleinen Täuschereien eingehen, die auch in diesem Haushaltsplan eine Rolle spielen. Vor der Wahl ist das Metropolenprogramm mit 70 Millionen Euro mit großem Getöse ins Schaufenster gestellt worden. Nach der Wahl aber kommt dieses Programm im Haushalt 2003 nicht mehr vor. Die Städtebauförderung West ist vor der Wahl auf 150 Millionen Euro aufgestockt worden. Nach der Wahl verflüchtigt sich dieses Programm auf 42 Millionen Euro. Schlecht ist immer derjenige dran, dessen Angelegenheiten sich der Kanzler als Chefsache angenommen hat. Das Programm Stadtumbau Ost ist zwar mit 394 Millionen Euro dotiert, aber im nächsten Jahr werden nur 19 Millionen Euro kassenwirksam abfließen. Bei diesem Umsetzungstempo sind 21 Jahre nötig, um dieses Programm abzuarbeiten. Dieser Zeitraum ist viel zu lang, um etwas für die Bauwirtschaft im Osten zu bewirken. ({3}) Am schlimmsten aber ist das Vorgehen der Bundesregierung bei der Eigenheimzulage. Das Gedächtnis der Opposition ist sehr gut, Frau Faße. ({4}) Sie müssen es heute Abend nicht nachlesen, Herr Spanier; ich lese Ihnen vor, was der Kanzler vier Wochen vor der Wahl gesagt hat: Jährlich erfüllen sich rund 700 000 Haushalte mit dem Erwerb einer eigenen Wohnung oder eines Hauses einen Herzenswunsch. Recht hat der Kanzler. Für viele, insbesondere kinderreiche Familien, wäre dies ohne die Eigenheimzulage nicht möglich. ({5}) Recht hat der Kanzler. Das wissen wir und deshalb ist und bleibt die Eigenheimzulage das entscheidende Mittel zur Förderung von Wohneigentum. Auch da hat der Kanzler Recht. ({6}) - Warten Sie doch ab! Zum Schluss sagt er: Ihre Unterstellung, die Eigenheimzulage werde von der Bundesregierung als finanzpolitische Manövriermasse benutzt, wird schon durch die Zahlen widerlegt. Der Kanzler bzw. die Regierung werden weder durch die Zahlen noch durch die Opposition widerlegt, sondern durch das eigene Verhalten des Kanzlers. Unmittelbar nach der Wahl ist die Eigenheimzulage nämlich entweder weggesäbelt oder entscheidend gekürzt worden. Die kinderlosen Familien können nicht mehr mit der Eigenheimzulage rechnen. ({7}) Das bedeutet auf acht Jahre verteilt einen Verlust von rund 20 000 Euro und wird in vielen Fällen dazu führen, dass das Projekt nicht mehr durchführbar ist. ({8}) Die Lösung, innerhalb von vier Jahren nachzuzahlen, wenn noch ein Kind kommen sollte, ist nichts anderes als Augenwischerei. Denn welche Bank baut eine Finanzierung darauf auf, dass eine Frau verspricht, innerhalb der nächsten vier Jahre ein Kind zu bekommen? ({9}) Auch Familien mit Kindern sind angeschmiert. Die Grundförderung wird um 1 556 Euro pro Jahr gekürzt. Das ist eine Minderung um rund 12 000 Euro, verteilt auf acht Jahre. Kommen Sie mir jetzt nicht damit, dass im Gegenzug der Kinderzuschlag auf 800 Euro erhöht wird! Das ist eine Erhöhung von 33 Euro pro Kind. Es sind mindestens 48 Kinder nötig, ({10}) um die Kürzung bei der Grundförderung wieder aufzuholen. ({11}) - Sagen Sie unseren jungen Familien doch, sie hätten keinen moralischen Anspruch darauf, dass der Staat ihnen in der schwierigen Phase des Eigentumserwerbs hilft! Sind Sie es nicht, die auf den Parteitagen immer beklagen, dass das Eigentum in unserem Land ungerecht und ungleich verteilt sei? Sie tun aber keinen Handschlag, um an dieser Ungleichheit etwas zu ändern. ({12}) Verehrter Herr Stolpe, an dieser Stelle haben Sie wirklich etwas nachzuarbeiten. Das gilt übrigens auch für die Familienministerin, die noch vor einer Woche erklärt hat, in Sachen Familienförderung komme niemand an ihr vorbei. Die jungen Familien in unserem Land sollten die Familienministerin beim Wort nehmen. Ich möchte noch mit ein paar Irrtümern aufräumen. Der erste Irrtum: Es wird so getan, als ob es nicht mehr der Wunsch unserer Bevölkerung wäre, über Eigentum zu verfügen. ({13}) Es ist aus Umfragen bekannt, dass nahezu jede Familie den Erwerb eines Eigenheims anstrebt. ({14}) Aber nur 40 Prozent unserer Bevölkerung genießen diesen Vorteil. Die anderen 60 Prozent bezahlen zwar auch für ein Haus oder eine Wohnung, aber eben nicht für das eigene Haus oder die eigene Wohnung. Es ist doch unsere Pflicht, denjenigen, die kein Eigentum haben, zu helfen. ({15}) Der zweite Irrtum: Es wird immer so getan, als ob es in unserem Land genügend Wohnraum gäbe. Das ist richtig und zugleich falsch, aber Sie werden einem Frankfurter oder einem Münchener mit den Plattenbauten in Halle oder in Rostock keinen Gefallen tun können. ({16}) Die jungen Familien haben doch auch einen Anspruch darauf, Wohnraum zu bekommen, der ihren Wünschen und Bedürfnissen entspricht. Der dritte Irrtum, der insbesondere von den Grünen gepflegt wird: Es wird so getan, als ob es nicht genug Land gäbe. Bei 25 Wohneinheiten pro Hektar könnte man auf 1 000 Quadratkilometer 2,5 Millionen Wohneinheiten unterbringen. Dann hätte man 7,5 Millionen bis 10 Millionen Menschen in unserem Land glücklich gemacht. Ich glaube, dieses Opfer ist es wert. ({17}) Ich fasse zusammen: Die jungen Familien sind durch die jetzige Regierung nachhaltig betrogen worden. Sie werden um ihre Lebensentwürfe gebracht. ({18}) Ihnen wird die Chance genommen, sich eine vom Staat unabhängige Alterssicherung aufzubauen. Fiskalisch ist das, was Sie machen, ohnehin ein einzigartiger Irrtum. Herr Eichel spart zwar pro Jahr zwischen 1 500 und 2 500 Euro pro Förderfall. Bereits im ersten Jahr verliert er aber - bei einem angenommenen Bauvolumen von 150 000 Euro - pro Haus, das mangels Förderung nicht gebaut werden kann, 75 000 Euro, die sonst in irgendeiner Form in die öffentlichen Kassen gelangt wären. Außerdem bekommt Herr Eichel gratis noch zwei Arbeitslose pro Wohneinheit hinzu, die mangels Förderung nicht gebaut werden kann. ({19})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Minkel, wenn das Präsidentenzeichen blinkt, dann heißt das, dass Sie zum Ende kommen sollen.

Klaus Minkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003594, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bedanke mich, dass Sie mich darauf aufmerksam machen. - Eine schlimmere Politik gegen die Familien kann man nicht machen. In unserem Land wird das Saatgut nicht ausgebracht, sondern vernichtet. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Minkel, auch Ihnen gratuliere ich sehr herzlich zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. ({0}) Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/149, 15/150 und 15/151 an den Haushaltsausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts1118 ordnung in einer Immunitätssache auf Drucksache 15/169 zu erweitern. - Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind. Wir kommen gleich zur Abstimmung. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Immunitätsausschusses auf Drucksache 15/169? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist die Beschlussempfehlung bei einer Enthaltung einstimmig angenommen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 18. Dezember 2002, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.