Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
In das Kuratorium der Stiftung „Erinnerung, Verant-
wortung und Zukunft“ soll auf Vorschlag der Fraktion der
SPD für die ehemalige Abgeordnete Ulla Jelpke der Kol-
lege Dr. Dieter Wiefelspütz als ordentliches und für den
ehemaligen Abgeordneten Dr. Heinrich Fink die Kollegin
Kerstin Griese als stellvertretendes Mitglied entsandt wer-
den. Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen benennt
für den ehemaligen Abgeordneten Christian Simmert
als neues stellvertretendes Mitglied den Kollegen Jerzy
Montag.
Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann sind die Kollegin und die
Kollegen hiermit entsandt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0})
zu dem Antrag der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an dem NATO-geführten Einsatz auf mazedonischem Territorium zur weiteren Stabilisierung des Friedensprozesses und zum Schutz
von Beobachtern internationaler Organisationen im Rahmen der weiteren Implementierung des politischen Rahmenabkommens
vom 13. August 2001 auf der Grundlage des
Ersuchens des mazedonischen Präsidenten
Trajkovski vom 21. November 2002 und der
Resolution 1371 ({1}) des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen vom 26. September 2001
- Drucksachen 15/127, 15/156 Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen ({2})
Dr. Friedbert Pflüger
Dr. Rainer Stinner
- Bericht des Haushaltsausschusses ({3})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 15/157 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Antje Hermenau
Lothar Mark
Dietrich Austermann
Jürgen Koppelin
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Werner
Hoyer, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Südosteuropa zur politischen Stabilisierung der Balkanregion
- Drucksache 15/56 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({4})
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der
Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen.
Des Weiteren liegen zu dem Antrag ein gemeinsamer
Entschließungsantrag aller Fraktionen sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Nach einer
interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache
eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist dies so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Walter Kolbow das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
Engagement der internationalen Gemeinschaft in Mazedonien kann ohne Zweifel als Erfolgsgeschichte bezeichnet werden. Das sehr frühe, präventive Engagement hat
durch das erfolgreiche Zusammenwirken der NATO, der
Europäischen Union und der OSZE unter dem Dach der
Vereinten Nationen eine Eskalation der Gewalt verhindert.
Ein drohender Bürgerkrieg im Herbst letzten Jahres ist im
Keim erstickt worden. Dabei war die Verknüpfung ziviler
und militärischer Instrumente des Krisenmanagements
nahezu mustergültig. Dieses vorausschauende Engagement hat zum Erhalt des multiethnischen Charakters Mazedoniens und zur Festigung seiner Demokratie geführt.
({0})
Es entsteht wieder innere Kraft von Menschen für Menschen, ohne die ein Staatswesen nicht existieren kann;
denn durch das bisher Erreichte hat die gesamte Region
eine wirkliche Perspektive für die Zukunft gewonnen.
In Mazedonien bleibt das übergreifende Ziel nach wie
vor die Festigung des Vertrauens zwischen slawischen
und albanischen Mazedoniern.
Insgesamt können wir in Mazedonien eine erfreuliche
Entwicklung der politischen Verhältnisse feststellen: Am
15. September 2002 sind die Parlamentswahlen geordnet und störungsfrei abgelaufen. Es kam entsprechend
dem Votum der Wählerinnen und Wähler zu einem friedlichen Regierungswechsel. Die Volkszählung konnte am
20. November 2002 ohne nennenswerte Unregelmäßigkeiten abgeschlossen werden und es gibt sichtbare Fortschritte bei der Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, insbesondere in den ehemaligen
Krisengebieten.
Die Bedrohung der internationalen Beobachter ist seit
Beginn der Operation Fox deutlich zurückgegangen und
wird inzwischen als gering eingestuft. Auch bei dem
neuen Mandat ist Vorsorge für - wenn auch unwahrscheinlichere - Lageverschlechterungen getroffen.
Die Bundeswehr hat seit Beginn der Operation Fox im
September vergangenen Jahres einen substanziellen Beitrag zur Stabilisierung des Friedensprozesses und zum
Schutz von Beobachtern internationaler Organisationen
geleistet. Unsere Soldatinnen und Soldaten haben in diesem schwierigen Umfeld mit ausgeprägtem Fingerspitzengefühl agiert und mit ihrem klaren und zugleich zurückhaltenden Auftreten das Vertrauen der mazedonischen
Bevölkerung gewonnen. Dafür verdienen die Soldatinnen
und Soldaten, die an der Operation Fox bislang teilgenommen haben, ausdrücklich Dank und Anerkennung.
({1})
Nun gilt es, die bisher unter dem Einsatz der internationalen Gemeinschaft erreichten positiven Entwicklungen nicht aufs Spiel zu setzen. Mazedonien darf nicht
übereilt sich selbst überlassen werden. Die vollständige
Normalisierung des öffentlichen Lebens braucht trotz
aller Fortschritte noch Zeit. Das aktuelle Konfliktpotenzial ist nicht nur uns in diesem Hause, sondern der engagierten deutschen Gesellschaft bekannt.
Im Rahmen des Gesetzes über die lokale Selbstverwaltung müssen noch politisch heikle Themen wie zum
Beispiel die Finanzierung der dezentralisierten Verwaltung oder die Neuziehung von Gemeindegrenzen geregelt
werden. Der umfassende Aufbau der multiethnischen Polizeikräfte muss weiter vorangetrieben werden. Die volle
Wiederherstellung staatlicher Gewalt in ehemals von ethnisch-albanischen Kräften kontrollierten Gebieten muss
noch weiter vorangetrieben werden. Die Bekämpfung organisierter Kriminalität und Korruption muss intensiviert
werden. Schließlich muss auch die weitere Rückkehr Vertriebener noch bewältigt werden.
Den Beobachtern der Europäischen Union und der
OSZE kommt bei der Wiederherstellung normaler Lebensverhältnisse in Mazedonien weiterhin eine herausragende
Bedeutung zu. Trotz aller Fortschritte ist die Situation im
Lande noch nicht so stabil, dass diese Beobachter gänzlich
auf internationale militärische Unterstützung verzichten
können. Vor diesem Hintergrund hat Präsident Trajkovski
die NATO am 21. November um weitere militärische Präsenz gebeten. Bei der daraufhin im Bündnis beschlossenen
NATO-Operation Allied Harmony handelt es sich im
Vergleich zur Operation Fox um eine im Mandat angepasste und im Umfang verkleinerte Truppe.
Die Operation Allied Harmony soll den Risiken einer
erneuten Destabilisierung durch Präsenz entgegenwirken.
Die Unterstützung für den gegenwärtigen politischen Prozess und für die staatlichen Institutionen Mazedoniens
stellt einen Beitrag zur Aufrechterhaltung eines Umfeldes
dar, das ein friedliches Zusammenleben aller Ethnien,
politische Stabilität und die wirtschaftliche Erholung des
Landes fördern soll. Die Operation soll schließlich die internationalen Beobachter durch eine Sicherheitspräsenz
unterstützen und die mazedonischen Behörden in den Bereichen Sicherheit und Verteidigungsreform beraten.
Im Rahmen des zu beschließenden Mandats, um dessen Zustimmung Sie heute gebeten werden, wird der Gesamtumfang der eingesetzten Kräfte etwa 470, darunter
rund 70 deutsche Soldatinnen und Soldaten, betragen. Der
Übergang von der Operation Fox zur Operation Allied
Harmony ist ein wichtiger Schritt und ein sichtbares Zeichen für den Normalisierungsprozess in Mazedonien,
wofür auch der neue Name der Mission spricht.
Die internationale Gemeinschaft bleibt umfassend gefordert, um Mazedonien politisch, ökonomisch und gesellschaftlich weiter an Europa heranzuführen. Es wäre
nicht zu verantworten, wenn der Aussöhnungsprozess
verfrüht und leichtfertig einer unnötigen Belastungsprobe
unterzogen würde. Es liegt in unserem Interesse und in
unserer Verantwortung, uns der mazedonischen Bitte um
weitere Unterstützung nicht zu versagen. Wir setzen damit ein wichtiges Zeichen für all die Kräfte, die in der Balkanregion auf Ausgleich, Stabilität, friedliches Zusammenleben und Demokratie setzen. Die Mazedonier haben
es verdient.
({2})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Karl-Theodor
Freiherr von und zu Guttenberg, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die bisherige Beteiligung deutscher Streitkräfte
am Mazedonieneinsatz war zweifellos ein Erfolg. Herr
Staatssekretär, das haben Sie richtig und in unserem Sinne
dargestellt. Es handelt sich um einen Erfolg, der den Frieden gesichert hat und der sich auf die hochprofessionelle
und erstklassige Auftragserfüllung durch unsere Soldatinnen und Soldaten gegründet hat. Diese große Leistung
verdient auch von unserer Seite größten Respekt, Anerkennung, Dank und Beifall.
({0})
Es wäre allerdings schon viel gewonnen, wenn sich die
Außenpolitik der Bundesregierung in diesen Monaten
und Wochen auf einen ähnlichen Maßstab hochprofessioneller und erstklassiger Auftragserfüllung berufen könnte.
({1})
Herr Bundesaußenminister, Erfolgsgeschichten beruhen
auf Verlässlichkeit und außenpolitische Verlässlichkeit
beruht auf dem Umstand, dass ein Land in seinen diesbezüglichen Grundaussagen berechenbar bleibt und gegebenenfalls stabile Mehrheiten vorweisen kann.
Die CDU/CSU wird der Verlängerung des Mandats
heute zustimmen und damit einen Beitrag zu dieser Stabilität leisten, so wie wir vor Jahresfrist Ihnen gerne
nachdrücklich und auch notwendigerweise unter die
schweißnassen Arme gegriffen haben, als es darum ging,
den Einsatz erstmals mit der notwendigen Mehrheit auszustatten.
({2})
Herr Staatssekretär, bei aller Einigkeit über Zielsetzung und wesentliche Inhalte des Antrags stehen allerdings einige Fragen noch äußerst unbefriedigend beantwortet in diesem hohen Raume. Es ist - anders als im
Kosovo oder in Bosnien - fraglos gelungen, dem Land einen Ausweg aus der drohenden Gewaltspirale aufzuzeigen. Fraglos ist es auch gelungen, den Ausbruch eines
Krieges im rechten Augenblick zu verhindern. Die friedlichen Wahlen haben - das wurde bereits aufgezeigt - dem
beredtes Zeugnis gegeben und sind ein wirklich ermunternder Fingerzeig für diesen Prozess.
Gleichwohl ist Mazedonien von verlässlicher Stabilität
noch viel weiter entfernt, als es heute dargestellt wurde.
({3})
Herr Staatssekretär, das Weichzeichnen harter Fakten
nutzt niemandem, am wenigsten unseren Soldaten sowie
einer Öffentlichkeit, die für das notwendige Engagement
auf dem Balkan immer wieder aufs Neue gewonnen und
von der Notwendigkeit überzeugt werden muss. Auch
sollte die spürbare Euphorie des Wahltages in Mazedonien
nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um ein zutiefst
gebeuteltes Land handelt; das kennen wir ja irgendwoher.
Das gesellschaftliche Klima wird weiter von tiefem
Misstrauen und Ressentiments bestimmt. Slawische und
albanische Mazedonier leben in komplett unterschiedlichen Welten. Noch immer besteht eine latente Gefahr
gewalttätiger Konflikte. Auch haben viele Albaner die
Option gewaltsamer Auseinandersetzungen weder begraben noch in irgendeiner Weise fallen gelassen.
Nach dem so wichtigen Ohrid-Abkommen hat offiziell zwar eine multiethnische Polizeigruppe die Kontrolle über das Staatsgebiet. Faktisch herrscht aber in
den von den Albanern besiedelten Gebieten ein Machtvakuum, in dem so hübsche Gestrüppe wie Klanstrukturen und eben auch Bandenwesen munter gedeihen können.
Weitere Stichpunkte: umfassende und durchaus beunruhigende Waffenfunde - es waren nicht lediglich Silvesterknaller -, der Boykott des parlamentarischen Betriebes
durch die zwei größten Oppositionsparteien aus Protest
gegen - ich darf zitieren, weil das den Konfliktstoff
durchaus demonstrieren kann - „die erniedrigende Koalition mit Terroristen“, Schmuggel, Menschenhandel,
Geldwäsche - vor allem vom Kosovo aus - usw. Die Liste
ließe sich fortführen.
({4})
- Herr Bundesaußenminister, wenn diese Dinge benannt
worden wären, müssten Sie jetzt nicht dazwischenquengeln.
Es ist darauf hinzuweisen, dass die mazedonische Regierung - auch das ist wichtig - mit ihrer inneren Politik der
Versöhnung, die sie seit der Wahl anstrebt, unmittelbare
und sichtbare Erfolge vorweisen muss, um nicht erneut in
einen Strudel der Instabilität hineinzugeraten. Keines der
dringenden Probleme Mazedoniens - dieser Illusion sollten
wir uns nicht hingeben - kann in Kürze gelöst werden.
Diese Punkte verdeutlichen, dass der auf dem Abkommen von Ohrid basierende Friedensprozess noch Jahre
benötigen wird und von der internationalen Gemeinschaft
begleitet und mit entsprechenden politischen Konzepten
unterfüttert werden muss, auch von unserer Bundesregierung.
({5})
Deshalb wage ich zu fragen: Weshalb benennen Sie
keinen dieser Punkte in dieser Deutlichkeit? Wo sind die
Ansätze der Bundesregierung, um dieser Entwicklung
entsprechend zu begegnen? Herr Außenminister, sie sind
offenbar im Nebel Ihrer stets dampfenden Worte irgendwo wabernd verflogen.
({6})
Zugestanden: Einige Punkte sind benannt worden;
aber, Herr Staatssekretär, ich frage mich, wo der Ansatz
über die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu finden ist
({7})
und wie es mit dem so notwendigen und von Ihnen immer
wieder benannten Berlin-plus-Prozess weiterzugehen hat.
Welchen Beitrag leistet die Bundesregierung dazu?
({8})
- Dazu hätten wir heute gern etwas im Plenum gehört,
Herr Außenminister.
Auf der Internetseite des Auswärtigen Amtes wird die
Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik als
Schlüsselprojekt der europäischen Einigung bezeichnet.
Das ist auch richtig, es ist ein Schlüsselprojekt. Es ist eine
wunderbare Formulierung für jemanden - das muss man
erst einmal schaffen -, der ohne den passenden Schlüssel
vor einer Tür steht, die er sich selber vor der Nase zugeknallt hat.
Wenn es bis heute entgegen zahlreicher Ankündigungen nicht gelungen ist, eine Europäisierung des Mazedonien-Einsatzes unter der benannten Formel „Berlin plus“
herbeizuführen, dann darf ich fragen: Welchen Beitrag
wird es hierzu von der Bundesregierung geben?
({9})
Was versucht die Bundesregierung zu unternehmen, um
den ursprünglichen Zeitplan für eine einsatzfähige europäische Eingreiftruppe in Mazedonien oder einem anderen Krisenherd einzuhalten?
Man hört nur wenig bzw. wir haben vor kurzem gehört,
man hoffe darauf - das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen -, dass bezüglich Berlin plus in der kommenden Woche in Kopenhagen eine Einigung zustande
kommen wird. Wenn man in Kopenhagen mittlerweile
mehr auf Hoffnungen als auf selbst geschaffene Erfolge
und Fakten bauen muss, Herr Bundesminister, wird einem
angst und bange um die entsprechende Darstellung unserer Politik im Ausland.
Letztlich droht daraus eine Politik der enttäuschten
Hoffnungen zu werden; unser amerikanischer Partner
weiß davon ein Lied zu singen. Auch 80 Millionen Menschen in diesem Land wissen das bestens einzuschätzen.
Was kann man im Zusammenhang mit der europäischen Eingreiftruppe wünschen? Ich hoffe, dass sie nicht
zu einer Geistertruppe verkommt. Liest man den hier vorliegenden Antrag der Bundesregierung, dann erstaunt
schon, dass eine etwaige Europäisierung des Einsatzes
mit keinem einzigen Wort Erwähnung findet.
Dabei steht neben der Stabilisierung der Region eine
noch weit wichtigere Prämisse mit auf dem Spiel, nämlich
die Zukunft einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäer, die diesen Namen auch wirklich verdient und irgendwann von unserem Land wieder maßgeblich mitbestimmt wird.
({10})
Neben der Antwort auf die Frage - darüber wurde
schon diskutiert -, ob die Bundesregierung überhaupt in
der Lage wäre, den deutschen Anteil an einer Eingreiftruppe von 18 000 Mann finanziell zu gewährleisten,
vermisse ich auch eine Antwort darauf, inwieweit im Falle
eines etwaigen durch die Europäische Union übernommenen Mandats ab Februar - das ist geplant - diesem Einsatz angesichts seines Umfangs lediglich eine symbolhafte Bedeutung zuzumessen ist. Ich frage mich auch, ob
die Gefahr besteht, dass die europäische Eingreiftruppe
im Falle einer Eskalation oder eines Notfalls - das ist
durchaus im Bereich des Möglichen - wiederum auf die
Unterstützung der NATO angewiesen wäre.
Auch hierüber haben wir in den vorherigen Ausführungen nichts gehört. Es gibt viele Fragen, wenig Antworten und wenig Einfluss in diesem Prozess.
Die CDU/CSU stimmt, wie bereits ausgeführt, dem
Antrag zu, bittet aber nachdrücklich um eine klarere Darstellung zu den eben genannten Punkten.
({11})
Es bleibt die Hoffnung, Kollege Weisskirchen, dass
sich Deutschlands Außenpolitik, insbesondere der Einfluss in Kopenhagen, nicht an den Ereignissen in Prag
messen lassen muss, wo sich der Stellenwert weniger am
tatsächlichen Vertrauen als an der Dauer eines nicht einmal warm geschüttelten Händedrucks auszurichten hatte.
({12})
Lieber Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Ich komme zum Ende, Herr Präsident. - Ein allzu kurz
geschütteltes Zeugnis der Lähmung damals in Prag: Es
wurde geschüttelt und letztlich nichts gerührt - ein weiterer Fingerzeig der derzeitigen Politik.
Herzlichen Dank.
({0})
Herr Kollege zu Guttenberg, ich darf Ihnen zu Ihrer
ersten Rede in meinem Namen und im Namen des Hauses
gratulieren.
({0})
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Ludger Volmer,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Geschichte des internationalen Eingreifens in
Mazedonien ist eine einzige Erfolgsgeschichte. Von Beginn an gehörte die Bundesregierung, die rot-gute,
({0})
die rot-grüne Bundesregierung, zu den treibenden Kräften
der internationalen Politik, die sich beherzt in die inneren
Angelegenheiten Mazedoniens politisch eingemischt hat,
als die beiden großen Ethnien Mazedoniens dabei waren,
auf beiden Seiten hochgerüstet, einen ähnlichen Bürgerkrieg vom Zaun zu brechen, wie wir ihn in den Nachbarregionen in den Jahren zuvor erlebt hatten.
Erinnern wir uns daran: Es waren die ethnisch-albanischen Kräfte, die das Gewaltmonopol des Staates und
die territoriale Integrität nicht anerkennen wollten. Es war
auf der anderen Seite die slawische Mehrheitsethnie, die
nicht anerkennen wollte, dass die Minderheit Volksgruppenrechte und Minderheitenrechte braucht.
Als der Konflikt kurz vor der bewaffneten Eskalation
stand, waren es die europäischen Staaten, war es insbesondere die Bundesregierung, die mit einem politischen
Konzept dazu aufgewartet sind, wie man diesen Konflikt
beilegen kann.
Es kam zu einem Tausch, zu einem Verhandlungsprozess, der in Ohrid in einem entsprechenden Abkommen
seinen Niederschlag fand. Die ethnische Minderheit erkannte das Gewaltmonopol und die territoriale Integrität
an. Die Mehrheit ließ sich auf einen verfassunggebenden
Prozess ein, der der Minderheit die Volksgruppen- und
Minderheitenrechte einräumte.
Dies war das politische Konzept, auf dessen Basis der
militärische Einsatz, die militärische Sicherheitsflankierung dann erfolgreich sein konnte. Ich betone dies deshalb, weil wir auf der einen Seite festhalten müssen, dass
der militärische Einsatz erforderlich und unvermeidlich war.
Er wurde auch - wir schließen uns der Gratulation an - mit
großer Umsicht durchgesetzt.
Dass dieser Einsatz aber erfolgreich sein konnte, hing
auch davon ab, dass eindeutig das Primat des Politischen
vorherrschte, dass es ein politisches Lösungskonzept gab,
dass es auch politische Monitore durch die OSZE gab, die
dann flankierend durch die militärischen Kräfte gesichert
wurden. Es ging also nicht um einen Kampfeinsatz, sondern es ging darum, ein schlüssiges politisches Konzept
sicherheitspolitisch zu flankieren.
Diese Politik war erfolgreich. Dennoch muss man sagen, dass diejenigen, die früher kritische Fragen zu dem
Einsatz gestellt haben, dies durchaus zu Recht taten. Das
ist Aufgabe des Parlaments. Ich meine aber, dass die Bundespolitik nachweisen konnte, dass dieser Einsatz mit Augenmaß durchgeführt wurde, und dass alle Befürchtungen, wir könnten dort in Abenteuer geraten, dann doch in
der Luft zerplatzt sind.
({1})
Wir wissen, dass nun, da der interne Aussöhnungsprozess in Mazedonien weit gediehen ist, dennoch eine Sicherheitskomponente notwendig sein wird. Vertrauensbildende Maßnahmen werden auch in den nächsten
Jahren durch internationale Beobachter begleitet werden
müssen.
Wenn wir einen Blick von vielleicht höherer Warte auf
den Konflikt und die Konfliktbearbeitung werfen, kann
man mehreres lernen: Es ist notwendig, dass immer dann,
wenn sich Volksgruppen in einem Staatsgebilde so ineinander verkeilt haben, dass sie aus eigener Kraft zu einer
Lösung nicht in der Lage zu sein scheinen, die internationale Gemeinschaft frühzeitig, möglichst geschlossen und
möglichst mit schlüssigen Konzepten dort interveniert.
Das ist die erste notwendige Schlussfolgerung.
Die zweite notwendige Schlussfolgerung ist: Wenn denn
eine Sicherheitskomponente notwendig ist, dann sollte sie
auch möglichst früh dort eingesetzt werden. Denn wenn das
möglichst früh getan wird, ist offensichtlich die Eskalationsgefahr erheblich niedriger. Es wäre wünschenswert, dass
die Europäer die Kraft entwickelten, um solche Aufgaben
zumindest in ihrer Region selbstständiger wahrnehmen zu
können. Die Bundesregierung arbeitet intensiv daran, dass
die ESVP diese Potenziale erhält. Sie betreibt auch eine aktive Politik bezogen auf den Europäischen Rat, damit dort
die Regelungen von Berlin plus durchgesetzt werden.
Noch einen Satz zum Antrag der FDP, die fordert, für
Südosteuropa eine Art KSZE einzurichten. Dieser Antrag
kommt wahrscheinlich um Jahre zu spät. Denn das, was
dort gefordert wird, ist längst im Gange, wenn auch in etwas anderen Konstruktionen.
({2})
Wir haben den Stabilitätspakt für Südosteuropa.
Auch hier war die Bundesregierung eine der treibenden
Kräfte, die den Stabilitätspakt eingeleitet hat. Der Stabilitätspakt gibt auf der ökonomischen Ebene mehr Perspektiven, als es der alte ökonomische Korb der KSZE konnte.
({3})
Auf der politischen Ebene haben wir die mittelfristige
Perspektive für einen vollständigen EU-Beitritt aller
Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien, bei den
einen früher, bei den anderen später. Auch dies gibt eine
politische Stabilisierungsperspektive, die man nicht dadurch ergänzen oder vielleicht sogar zerreden sollte, dass
man nun völlig neue Modelle in die Debatte wirft.
Wir, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, unterstützen
die Politik der Bundesregierung. Wir werden dem Antrag
auf Entsendung von 70 Soldaten für die neue Mission
Allied Harmony zustimmen und wir werden den FDPAntrag ablehnen.
Danke.
({4})
Ich erteile das Wort Kollegen Rainer Stinner, FDPFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute zum wiederholten Mal über eine
deutsche Beteiligung an der Friedensmission in Mazedonien. Als Ausgangspunkt für alle weiteren Diskussionen
und Entscheidungen lassen Sie mich drei Dinge festhalten:
Erstens. Der Einsatz unserer Soldaten in Mazedonien
ist eine Erfolgsgeschichte für die Bundeswehr als Armee
des Friedens.
Zweitens. Es hat sich gezeigt, dass militärische Mittel
geeignet sind, Frieden zu erhalten. Das ist für einige in
diesem Hause eine neue Erkenntnis; aber es ist eine richtige Erkenntnis.
({0})
Das heißt, militärische Mittel können Frieden erhalten,
wenn sie mit Augenmaß und Geschick eingesetzt werden.
Drittens. Beides, Augenmaß und Geschick, haben unsere Soldaten in Mazedonien bewiesen. Deshalb spreche
ich auch im Namen der FDP-Fraktion unseren Soldaten
Dank und Anerkennung aus.
({1})
Die Situation auf dem Balkan braucht aber mehr als
eine zweimonatliche Verlängerung von Mandaten. Wir
brauchen ein politisches Gesamtkonzept für die friedliche
Weiterentwicklung dieser Region. Herr Kollege Volmer,
deshalb ist Ihr Einwurf, dass unser Antrag zu spät kommt,
zu kurz gesprungen. Was in diesem Antrag steht, haben
wir seit Jahren gefordert. Die FDP war die Erste, die diese
Initiative, das bewährte Instrument auch hier einzusetzen,
ergriffen hat.
({2})
Aber heute geht es zunächst einmal um die Verlängerung des Mandates. Wir glauben, dass die Verlängerung
des Mandates ein erster Baustein zur weiteren Stabilisierung der Situation in Mazedonien ist. Deshalb stimmt die
FDP-Fraktion dem Antrag der Bundesregierung auf Teilnahme an der Operation Allied Harmony vollständig zu.
Wir sind allerdings der Meinung, dass diese Operation
möglichst schnell von der Europäischen Union im Rahmen der ESVP übernommen werden sollte, damit die EU
ihren Anspruch auf eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik endlich wahrnehmen kann.
Aus Diskussionen mit vielen Kolleginnen und Kollegen wissen wir, dass diese Meinung von allen Fraktionen
im Haus geteilt wird. Umso bedauerlicher ist es, dass in
dem Antrag der Bundesregierung darauf mit keinem Wort
Bezug genommen wird.
({3})
Da wir uns alle einig sind und die Bundesregierung vielleicht nur vergessen hat, das aufzunehmen - das kann ja
einmal vorkommen -, haben wir zur heutigen Sitzung einen Entschließungsantrag eingebracht. Wir machen damit deutlich, dass wir von der Bundesregierung mehr aktives Engagement auch in dieser Richtung erwarten.
({4})
Warum, Herr Bundesaußenminister, muss uns denn auch
in diesem Fall gerade wieder die französische Regierung
vormachen, wie man aktiv und zielgerichtet europäische
Außenpolitik gestaltet?
({5})
Nun haben wir endlich die Diskussion über einen Einsatz unter europäischer Führung und endlich einen Beschluss der NATO des Inhalts, dass dieses Mandat im Februar überprüft wird, und zwar unter dem Blickwinkel, ob
es auf Europa übertragen werden kann. Und was macht in
diesem Moment unser Verteidigungsminister? Der Verteidigungsminister konterkariert alle diese Bemühungen, indem er jetzt, völlig zur Unzeit, ins Spiel bringt, bei SFOR
sei wohl erstmals angebracht, dass die Europäische Union
einen solchen Auftrag übernimmt. Herr Minister, das ist
- um es höflich auszudrücken - jedenfalls nicht hilfreich.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, im Prinzip
sind wir uns aber alle, von links nach rechts, einig. Deshalb gehe ich auch davon aus, dass Sie alle unserem Entschließungsantrag freudigen Herzens zustimmen. Ich kann
mir nicht vorstellen, dass Sie ihm nur deshalb nicht zustimmen, weil er von der FDP kommt. Das würde ich Ihnen niemals zutrauen.
({6})
- Herr Minister, wenn Sie mit mir diskutieren wollen,
dann würde ich Sie doch bitten, bei den Abgeordneten
Platz zu nehmen.
({7})
- Das ist so, Herr Erler. Wenn diskutiert werden soll, dann
von hier aus und nicht von dort aus. Lesen Sie es in der
Geschäftsordnung nach!
({8})
Die Weiterentwicklung der deutschen Sicherheitsund Außenpolitik unter Einbeziehung der Bundeswehr
als Armee des Friedens sollte allerdings von allen Kräften
dieses Parlaments, auch von der gesamten Regierungskoalition, getragen werden. Leider muss ich nun auf den
Redebeitrag eines stellvertretenden Vorsitzenden einer
Regierungsfraktion vom 23. Oktober dieses Jahres in diesem Hause eingehen. Dieser Kollege, stellvertretender
Fraktionsvorsitzender, hat damals gesagt - ich zitiere -:
Ich stelle jetzt fest, dass sich die Bundeswehr in
Mazedonien nicht in einem Kriegseinsatz befindet
und dass auch kein Kriegseinsatz bevorsteht, weil
die Bundeswehr nicht in Mazedonien ist, um zu töten, zu vernichten und zu zerstören, sondern ausschließlich zum Schutz der Beobachter.
Dies sagte nicht irgendwer, nicht einer von rund 300 Abgeordneten dieser Regierungskoalition, sondern das sagte
in diesem Haus ein stellvertretender Vorsitzender einer
Regierungsfraktion.
({9})
Ich finde diese Aussage ungeheuerlich. Auch die dahinter stehende Einstellung ist ungeheuerlich. Es fehlte
nur noch, dass dieser Kollege heute daherkommt und erklärt, er habe erkannt, dass deutsche Soldaten nicht plündern, nicht brandschatzen und nicht vergewaltigen.
({10})
Das wäre die Konsequenz einer solchen Einstellung.
({11})
Ich sage Ihnen: Diese Einstellung des stellvertretenden
Fraktionsvorsitzenden ist für unsere Soldatinnen und Soldaten wie auch für unsere Verbündeten unerträglich.
({12})
Herr Kollege Stinner, Sie müssen zum Ende kommen.
({0})
Herr Präsident, ich komme zum Schluss.
Die FDP ist gerne bereit, mit der Bundesregierung vertrauensvoll an der Fortentwicklung einer deutschen, einer
europäischen Außen- und Sicherheitspolitik zusammenzuarbeiten. Das ist gute Parlamentstradition.
({0})
- Jetzt höre ich den Zuruf „Möllemann“. Diesen Zwischenruf schenkt der liebe Gott, Herr Präsident.
Nein, Herr Stinner, Sie können nicht mehr auf den
Zwischenruf antworten. Ich bitte Sie, sofort zum Ende zu
kommen.
Abschließend möchte ich angesichts des Zurufs vonseiten der SPD mit Blick auf Möllemann auf die Äußerung von Herrn Ströbele verweisen.
Ich danke Ihnen herzlich.
({0})
Herr Kollege Stinner, ich gratuliere auch Ihnen zu Ihrer ersten Rede. Beim nächsten Mal muss ich bei der Redezeit strenger sein.
({0})
Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Gert
Weisskirchen, SPD-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist traurig, in welchem Kammerton wir heute hier über das
Thema Mazedonien debattieren, vor allem wenn man sich
in Erinnerung ruft, wie wir hier vor einem Jahr diskutiert
haben.
Ich möchte festhalten: Das war ein gemeinsamer Erfolg. Es war aber ganz besonders ein Erfolg der Bundeswehr, die sich auf der Grundlage der UNO-Beschlüsse in
den internationalen Rahmen, in die NATO eingepasst hat.
Ich finde, wir können stolz darauf sein, dass unsere Soldatinnen und Soldaten mit dazu beigetragen haben, dass
Mazedonien jetzt eine positive Perspektive hat. Das ist
wunderbar.
({0})
Ich möchte, weil Sie, Herr Kollege Stinner, eben dazu
vorgetragen haben, folgende Frage an die FDP richten:
Was wäre die Folge, wenn wir dem folgen würden, was
Sie in Ihrem Antrag vorschlagen? Die in der Region lebenden Menschen möchten sich zuallererst und so schnell
es geht an uns annähern, damit sie die Perspektive, die
sich eröffnet hat, nämlich Mitglied der Europäischen
Union zu werden, auch nutzen können.
So wichtig der KSZE-Prozess auch gewesen ist - wir
haben ihn schließlich durchgesetzt -, jetzt muss eine andere Frage gestellt werden, nämlich die Frage nach der
Mitgliedschaft in der Europäischen Union.
({1})
Das ist wichtiger, weil die Menschen auf diese Weise in
den Integrationsraum der Demokratie und der Stabilität,
weil sie zu uns kommen können. Wenn jetzt auf die KSZE
Bezug genommen würde, müsste dies missverstanden
werden als eine Zurückweisung, als ein Zurückschicken
auf die Wartebank im Integrationsraum der Europäischen
Union. Das wäre das falsche Signal. Deswegen müssen
wir das, was Sie vorschlagen, ablehnen. Wir können dem
- das muss ich ganz deutlich sagen - nicht zustimmen.
({2})
Herr Dr. Hoyer, wenn Sie einen Moment in die Region
hineinhören, dann werden Sie feststellen, dass das, was darüber hinaus in Ihrem Antrag steht, wirklich abwegig ist.
Sie wollen eine Konferenz mit den unterschiedlichen Teilgruppen, die es in den verschiedenen Regionen im Raum
des ehemaligen Jugoslawien gibt, machen. Ich frage Sie:
Was ist dann mit den Kroaten in Bosnien-Herzegowina?
Was ist mit dem Kosovo? Sie bekommen das Problem,
dass deren unterschiedliche Interessen, die jedenfalls gegenwärtig bestehen, in einen Rahmen eingepasst werden
müssten, der im Innern noch nicht besteht. Dieses Problem
müssten Sie lösen. Sie würden damit mehr Gefahrenmomente in den Prozess einbringen, als Sie sich gegenwärtig
vorstellen können. Ich würde Sie bitten, angesichts dessen,
dass die FDP genügend außenpolitische Vernunft hat, diesen Antrag zurückzuziehen. Er führt in die Irre und schafft
mehr Probleme, als er löst.
({3})
Ich richte nun den Blick auf Mazedonien, auf das Land,
um das es jetzt geht. Mazedonien ist nach dem 15. September dieses Jahres, nach den Parlamentswahlen, auf einem guten, einem vernünftigen politischen Weg. Herr zu
Guttenberg, wer hat denn dazu beigetragen?
Gert Weisskirchen ({4})
Diese Bundesregierung war es, die von Beginn an, als
es um den Kosovo ging, erklärt hat: Diese Region braucht
eine Perspektive der Stabilität. Deswegen haben wir den
politischen Prozess dahin eröffnet. Deswegen haben wir
den Stabilitätspakt beschlossen und den politischen Prozess eingeleitet. Die Antwort darf eben nicht allein militärische Intervention sein, sondern es muss einen politischen Prozess geben, damit Demokratie und Stabilität in
der Region ihren Platz finden.
Diese Regierung hat dafür gesorgt, dass Verlässlichkeit
in diese Region einzieht und dies mit dem Namen Deutschland verbunden wird. Das ist ein gutes, richtiges und notwendiges Zeichen, das wir damals im Kosovo gesetzt haben. Ich erinnere mich sehr gut, wie hart das für uns alle
gewesen ist. Wir haben dafür gesorgt, dass diese politische
Perspektive eröffnet worden ist. Deswegen ist die Bundesregierung, besonders der Außenminister, das Kennzeichen
für Stabilität und Verlässlichkeit. In diesem Sinne wird
Deutschland dort aufgenommen und verstanden.
({5})
Ein anderer Punkt. Es wäre falsch zu glauben, dass
dieses Land diesen Prozess von innen und von sich aus
zustande bringen könnte. Da haben Sie völlig Recht. Sie
haben auch zu Recht die Probleme angesprochen, beispielsweise Korruption, Menschenhandel und Prostitution. All dies sind Gefahrenmomente und -potenziale, die
dieses Land von innen her immer noch erschüttern. Ein
anderes Beispiel ist die Polizei, die von uns gemeinsam
mit der OSZE in ihrer multiethnischen Zusammenarbeit
mit anderen Gruppen unterstützt wird. Sie ist noch nicht
wirklich das innere Sicherheitsinstrument.
Ich erinnere an die vergangene Regierung unter Ministerpräsident Georgievski, der dafür gesorgt hat, dass
dieser Staat noch immer schwach ist. Die Regierung hat
sich selbst dadurch geschwächt, dass sie korrupt gewesen
ist; das muss man einmal so klar sagen. 80 Prozent der
Kolleginnen und Kollegen im Parlament in Skopje sind
zum ersten Mal ins Parlament gewählt worden. Das macht
deutlich, mit welch großem inneren politischen Aufstand
die Bevölkerung Mazedoniens signalisiert hat, dass die
alte korrupte Gruppierung abgewählt werden muss. Der
neue Ministerpräsident Branko Crvenkovski, der Vorsitzende der Sozialdemokraten, hat aufgrund dieses Wahlergebnisses eine gute Chance, genau das voranzubringen,
worauf es jetzt ankommt.
Wir, die internationale Gemeinschaft, sind bereit, dem
Land das Maß an Sicherheit anzubieten, das das Land von
sich aus nicht gewährleisten kann. Aber im Gegenzug
muss die Regierung in Skopje den Reformkurs vorantreiben und dafür sorgen, dass die notwendigen Aufgaben, die
das Land zu bewältigen hat, wirklich angepackt werden.
Deshalb ist es nötig, dass „Bündnisharmonie“ - so heißt
das neue Mandat - heute verabschiedet wird. Dies gibt diesem armen Land mit seinen 2 Millionen Menschen, eingezwängt in diesen noch immer gefährlichen Raum, die
Chance, Demokratie von innen zu entwickeln und irgendwann Mitglied der Europäischen Union zu werden.
({6})
Ich erteile das Wort der Kollegin Ursula Lietz, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die NATO-Operation Amber Fox
mit 200 Soldaten der Bundeswehr endet am 15. Dezember, weil ihr Auftrag weitestgehend - ich sage ausdrücklich: weitestgehend - erledigt ist. Die Spannungen in
Mazedonien zwischen Slawen und Albanern haben abgenommen. Die Parlamentswahlen haben keine ideologischen Scharfmacher hervorgebracht; gemäßigte Parteien
haben eine Mehrheit bekommen. Mazedonien ist auf einem guten Weg in Richtung Europa.
({0})
Dennoch ist in Mazedonien weiterhin eine Sicherheitspräsenz unter NATO-Führung erforderlich. Der mazedonische Präsident hat ausdrücklich darum gebeten, dass wir
sie fortsetzen. Deswegen wird die CDU/CSU-Fraktion
diesem Anliegen zustimmen.
Erlauben Sie mir trotzdem noch einige Anmerkungen.
Herr Weisskirchen, Sie haben soeben ausgeführt, dass die
Einsatzerfolge auf dem Balkan mit dieser Regierung verbunden sind. Das ist aber leider mitnichten der Fall. Vielmehr sind sie mit einer großartigen Leistung unserer Soldaten verbunden.
Wir haben zu beklagen - das müssen Sie zur Kenntnis
nehmen, Herr Außenminister -, dass zwar in Prag ein
erfolgreicher NATO-Gipfel stattgefunden hat, dass die
deutsche Delegation aber einen recht jämmerlichen Eindruck hinterlassen hat.
({1})
Nach der antiamerikanischen Rhetorik im Wahlkampf
durften wir immer wieder sehen - es wurden immer dieselben Bilder gezeigt -, wie ein gequält fröhlich lächelnder Kanzler einen Händedruck des US-Präsidenten erhascht hat.
({2})
Abgesehen von diesem Ereignis war festzustellen, dass
die Medien sehr wenig von Ihren Erfolgen berichtet haben.
({3})
Es ist richtig, dass die Installation von Allied Harmony
das bisherige Scheitern einer eigenständigen europäischen Sicherheitspolitik darstellt. Wenn Sie so herablassend lächeln oder sich mit Ihren Kollegen unterhalten,
Herr Fischer, dann zeigt das nur die Überheblichkeit von
Teilen dieser Regierung.
({4})
Wir warten bis heute darauf, dass sich Deutschland als
das größte NATO-Land intensiver an der Umsetzung vieler Beschlüsse beteiligt, die dazu führen würden, dass wir
innerhalb Europas stärker an diesen Aufgaben teilhaben.
So haben wir vor mehr als drei Jahren die European
Headline Goals beschlossen, die bis heute nicht umgesetzt
worden sind.
Durch eine veränderte Sicherheitslage nach dem
11. September 2001 finden sich die deutschen Truppen als
Bestandteil von ISAF in Afghanistan wieder, wo sie demnächst als eine der beiden Lead Nations die Führung übernehmen werden. Außerdem sind wir an der Operation
Enduring Freedom beteiligt. Ich weise deshalb darauf hin,
damit wir über den sehr gefährlichen Aufgaben, die unsere Soldaten in Afghanistan wahrnehmen, nicht vergessen, was unsere Soldaten auf dem Balkan leisten. Denn
dieses Engagement ist genauso wichtig und es ist auch
nicht ungefährlich.
({5})
Die Sicherheitslage dort ist nicht stabil. Auch in diesem
Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, Herr
Fischer, dass der Status des Kosovo noch unklar ist und
ein entsprechendes Konzept, wie dieser Status verändert
und die Lage dort verbessert werden kann, fehlt. Es wäre
aber eigentlich Ihre Aufgabe, ein solches Konzept zu erstellen.
Lassen Sie mich etwas zu den Soldatenfamilien anmerken. Wir haben von Ihrem Vorgänger, Herr Verteidigungsminister, die Zusage bekommen, dass die Verbesserung der Familienbetreuung in Angriff genommen wird.
Bisher liegen uns aber keine Ergebnisse vor.
Wir haben über die Flexibilisierung von Einsatzzeiten
gesprochen. Frau Beer von den Grünen hat in einer ihrer
letzten Reden sogar zugesagt, dass sich die Grünen für
eine Verbesserung der Bedingungen einsetzen werden.
Aber auch in diesem Bereich ist bislang nichts passiert.
Herr Arnold, Sie haben gestern ein so positives Bild
von der Situation unserer Soldaten gezeichnet, dass ich
Ihnen nur die Lektüre des Berichts des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr empfehlen kann.
Danach ist nur jeder fünfte Soldat mit seiner Betreuung
und der Betreuung seiner Familie vor, während und nach
den Einsätzen einverstanden und zufrieden. 60 Prozent
der Familien und 41 Prozent der Soldaten leiden sehr unter der langen Trennungszeit.
Bei Besuchen in Einsatzgebieten bitten uns Kommandeure, über eine Flexibilisierung von Einsatzzeiten
nachzudenken. Soldaten sind - das sage ich besonders an
die Regierung gewandt - bei allen Sparbemühungen
keine finanzpolitische Verfügungsmasse.
({6})
Ich fürchte, wenn wir so weitermachen, werden wir
bald keine jungen Menschen mehr finden, die bereit sind,
diese Aufgaben zu übernehmen. Demotivation, Enttäuschung und Vertrauensverlust sind nicht die beste Ausrüstung für schwierige Einsätze.
({7})
Wenn Sie Offiziere und Soldaten, die seit vielen Jahren
der Bundeswehr angehören, fragen, ob sie ihren Söhnen
empfehlen würden, diesen Beruf zu ergreifen, dann werden Sie heute als Antwort ein Kopfschütteln erhalten.
Deswegen hat die Bundeswehr, wenn sie weiterhin so geführt wird, keine gute Zukunft. Wir unterscheiden uns
darin von anderen Nationen, die sehr stolz darauf sind,
was ihre Armeen leisten, und die sie das auch wissen lassen.
Allied Harmony wird in Zukunft mit bis zu 70 deutschen Soldaten auskommen, die in Mazedonien stationiert sein werden. Der Auftrag gilt bis zum 15. Juni 2003.
Vorhandene Destabilisierungsrisiken sollen dort gemindert, der Ohrid-Friedensprozess soll vorangetrieben und
die Gefahren eines erneuten Aufflammens ethnisch bedingter Bürgerkriege sollen weiter eingegrenzt werden.
Ich möchte zum Schluss die Gelegenheit nutzen, den
Soldaten und vor allen Dingen ihren Familien sehr herzlich dafür zu danken, was sie für uns tun.
({8})
Gerade in der Vorweihnachtszeit, in der sich kleine Kinder ihre Väter oder ihre Mütter nach Hause wünschen, ist
der Dienst besonders schwer. Wenn wir alle zu Hause
Weihnachten feiern, sollten wir einmal an die Soldaten
denken, die nicht bei ihren Familien sein können.
Ich danke Ihnen.
({9})
Ich erteile das Wort dem Bundesminister Joseph
Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf
mich für die von den Sprechern der Fraktionen geäußerte
Zustimmung zu dem heute zu entscheidenden Mandat
recht herzlich bedanken. Das macht klar, dass wir uns jenseits der heute aufgetretenen Differenzen - um es ganz
milde zu formulieren - in der Sache im Wesentlichen einig sind.
Man muss die Mission in Mazedonien in die Gesamtstrategie für den Balkan einordnen. Wenn wir uns an das
Jahr 1991, an das auseinander brechende Jugoslawien, an
das Setzen auf Gewalt und an die Grenzziehung mit den
Mitteln des Krieges, der ethnischen Säuberung und Vertreibung mit furchtbaren Verbrechen und Zerstörungen erinnern, dann können wir heute feststellen, dass die Verbindung von militärischer Festigkeit auf der einen Seite und
politischer Perspektive auf der anderen Seite letztendlich
das entscheidende Erfolgsrezept war. Das hat auch zur Stabilisierung Mazedoniens ganz entscheidend beigetragen.
Ich stimme allen zu, die sagen, dass noch viel zu tun sei.
Deswegen können wir das Mandat heute nicht für beendet
erklären; das ist klar. Aber wer hätte noch vor anderthalb
Jahren zu denken gewagt, dass es - bei allen Schwierigkeiten, die das Land noch hat - einen demokratischen
Regierungswechsel, der auf freien Wahlen gründet, geben
wird? Das hätten damals nur ein paar sehr Wohlmeinende,
an Utopien Glaubende aus unserem Kreis gedacht. Heute
ist das Realität geworden. Dass es einen neuen Verfassungskonsens zwischen den wichtigsten Volksgruppen
gibt, ist das Ergebnis der Entschlossenheit wie des Verhandlungsgeschicks von Javier Solana, dem Sonderbeauftragten der Europäischen Union, und George
Robertson, dem Generalsekretär der NATO, sowie der
Bereitschaft aller Mitgliedstaaten, sich hier zu engagieren, und selbstverständlich auch der multinationalen
Truppe, das heißt nicht nur der Soldatinnen und Soldaten
der Bundeswehr, sondern auch unserer Partner, die dort in
einem gefahrvollen und gleichzeitig sehr vernünftigen
Einsatz engagiert waren und sind. Ich denke, es ist wichtig, dass man das unterstreicht.
Mir wäre bei all dem, was wir in den kommenden Wochen und Monaten in einer anderen Nachbarregion vor uns
haben, wesentlich wohler, wenn wir bereits heute sagen
könnten, dass es eine Strategie für die gesamte Region für
den Tag danach gibt. Dann wäre die Frage der regionalen
Stabilität zumindest in Umrissen erkennbar und dann vielleicht auch beantwortbar. Dann könnte die jetzige Diskussion anders geführt werden. Genau das ist das Geheimnis
des Erfolgsrezepts auf dem Balkan: Die gesamte Region
soll an Europa herangeführt werden. Das wird zwar lange
dauern. Aber ich kann Ihnen versichern: Allein die Einstellungsänderung in den Köpfen ist wichtig für den Erfolg.
Stellen Sie sich einmal vor, dass diese Region die Perspektive, die ihr Brüssel eröffnet hat, nicht hätte und dass es nur
das militärische Engagement des Westens gäbe nach dem
Motto: Wir lassen nicht zu, dass ihr euch gegenseitig umbringt und furchtbare Verbrechen begeht. Dann gäbe es
keine politische Perspektive. Der Nationalismus in den
Köpfen würde dann nicht Schritt für Schritt transformiert.
Das wird alles dauern. Aber letztendlich gehört auch
diese Region zu Europa und das ist der entscheidende Ansatz. Dem dient der Stabilitätspakt, dem dienen unsere
Bemühungen, Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zu schließen, und dem dient auch die Bemühung, ein
engeres Verhältnis der Balkanstaaten - auch der neuen
Staaten, insbesondere Mazedonien - zur NATO herzustellen. Das ist genau der Punkt, Herr Hoyer. Dieser Antrag
steht zwar heute nicht zur Abstimmung; aber das wurde
gestern im Ausschuss für Ihre Fraktion wieder vorgetragen.
- Ich nehme an, Ihr Kollege ist da noch etwas unerfahren.
Angesichts der Lage auf dem Balkan wäre es ein fataler Rückschritt, wenn wir dort etwas der OSZE Ähnliches
konstruieren wollten. Keiner unserer Partner würde das
verstehen. Gott sei Dank ist die Entwicklung in Richtung
des Heranführens an das Europa der Integration, an die
transatlantischen Strukturen viel weiter gediehen. Das
wissen Sie doch auch.
({0})
- Natürlich gibt es einen Widerspruch. Der Widerspruch
besteht darin, dass das Instrument, das Sie vorschlagen,
nicht mehr notwendig ist.
({1})
- Okay, vielleicht brauchen Sie dieses Instrument, um etwas Eigenes zu haben. Ich akzeptiere ja, dass Sie es als
Identifikationsmerkmal brauchen. Aber Sinn macht es
nicht.
({2})
- Es hat doch nichts mit Oberlehrer zu tun, wenn ich auf
Ihre Argumente eingehe und versuche, sie zu entkräften.
Als einen Oberlehrer verstehe ich jemanden, der abkanzelt. Ich tue das Gegenteil: Ich versuche, mit Ihnen zu diskutieren, Herr Gerhardt.
({3})
Aber meinetwegen, dann bin ich eben ein Oberlehrer. Ich
möchte nicht darüber streiten. Ich habe jedoch ein anderes Verständnis von Oberlehrern: Meine Oberlehrer haben
nie mit mir diskutiert.
({4})
- Ich habe viel zu viele Oberlehrer gesehen. Das macht
vielleicht einen Teil meiner Schulkarriere aus.
({5})
Ich sage Ihnen: Für mich ist das Mazedonien-Mandat
Ausweis einer Erfolgsgeschichte, die noch nicht abgeschlossen ist und die in einem engen Zusammenhang mit
dem Engagement im Kosovo und in Bosnien steht.
Herr Freiherr von und zu Guttenberg, wir haben
gestern im Ausschuss ausführlich darüber gesprochen,
warum es noch kein ESVP-Mandat gibt. Das hat beim
besten Willen nichts damit zu tun, dass wir uns in Hoffnungserklärungen flüchten. Aber ich kann Ihnen bis zur
Stunde - bei allen Allmachtsvisionen, die Sie der Bundesregierung zuschreiben mögen - noch nicht die Einigung zwischen Griechen und Türken liefern. Ich kann Ihnen allerdings eines sagen: Wenn wir dem Antrag Ihrer
Fraktion, der gestern Gott sei Dank abgelehnt wurde, zugestimmt hätten, dann könnte ich Ihnen niemals präsentieren, dass es eine Deblockierung geben wird.
({6})
Meine Damen und Herren, ich freue mich für unsere
Soldaten, dass es hier eine so breite Unterstützung für diesen Einsatz gibt. Ich erinnere daran, dass es nicht nur auf
der linken Seite dieses Hauses Auseinandersetzungen darüber gegeben hat; mein Gedächtnis funktioniert sehr gut.
Gerade beim Mazedonien-Mandat hat es auch auf der
rechten Seite dieses Hauses, in Ihren Reihen, Diskussionen gegeben. Allen, die damals zugestimmt haben, kann
ich nur sagen: Es war richtig, dass wir dieses Mandat eingerichtet und eine Eskalation eines neuen Bürgerkrieges
mit den verheerenden Folgen nicht zugelassen haben.
Ohne Selbstüberheblichkeit können wir den Kolleginnen
und Kollegen aller Fraktionen, die damals aus guten Gründen Bedenken erhoben haben, sagen: Diese Bedenken waren Gott sei Dank nicht berechtigt. Auch das ist ein Bestandteil dieser Erfolgsgeschichte. Deswegen möchte ich
mich für die Bundesregierung nochmals für die so breite
Unterstützung im Interesse unserer Soldaten bedanken.
({7})
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Gesine Lötzsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 23. Oktober, also vor gut sechs Wochen, verlängerte der Deutsche
Bundestag das Mazedonien-Mandat der Bundeswehr. Die
beiden PDS-Abgeordneten, Petra Pau und ich, haben gegen diese Mandatsverlängerung gestimmt und werden das
auch heute tun. Denn während der Debatte am 23. Oktober erklärten - ausweislich des Protokolls - sowohl Verteidigungsminister Struck also auch die Vertreter aller
Fraktionen, dass Mazedonien auf den Weg der inneren
Versöhnung gebracht sei und der Einsatz der NATO zur
Festigung der Demokratie geführt habe. Wieso dann heute
diese Mandatsverlängerung? Sie haben argumentiert,
meine Damen und Herren, dass die neue mazedonische
Regierung unter dem Sozialisten Branko Crvenkovski sowie Präsident Trajkovski selbst um die Verlängerung des
Mandats gebeten hätten. Das ist richtig. Aber haben Sie
nicht einmal auch darüber nachgedacht, dass diese Bitte
nicht aus einer Position der Stärke, sondern aus einer Position der Schwäche heraus geäußert worden ist? Meinen Sie
nicht auch, dass sowohl Crvenkovski als auch Trajkovski
gemerkt haben, dass es wesentlich leichter ist, NATOTruppen einschließlich der Bundeswehr als zivile Hilfe
unter der Leitung von UNO, EU oder Europarat zur Verfügung gestellt zu bekommen? Meinen Sie nicht auch,
dass Sie der sozialistisch geführten Koalitionsregierung
Mazedoniens, an der auch Albaner beteiligt sind und die
Ihnen, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, politisch eigentlich besonders nahe stehen müsste,
besser helfen würden, wenn Sie die wenigen zur Verfügung stehenden Mittel in zivile Projekte lenkten?
({0})
Meinen Sie nicht auch, dass die mazedonische Führung
bessere und sinnvollere Ideen zur Verwendung der 2,1
Millionen Euro hätte, die die Verlängerung des Bundeswehrmandats auffrisst?
Bereits am 23. Oktober hat meine Kollegin Petra Pau
vorgeschlagen, die für die damalige Mandatsverlängerung vorgesehenen 1,5 Millionen Euro für den BalkanStabilitätspakt zur Verfügung zu stellen. Ich erneuere diesen Vorschlag heute im Hinblick auf die für die erneute
Mandatsverlängerung geplanten 2,1 Millionen Euro.
Meine Damen und Herren, ich möchte nicht die Gelegenheit versäumen, auf einen Widerspruch in der Balkanpolitik der Bundesregierung hinzuweisen. Wenn es darum
geht, Auslandseinsätze der Bundeswehr zu begründen,
dann sind die Lageeinschätzungen häufig drastisch. Geht
es aber darum, Bürgerkriegsflüchtlinge oder Asylsuchende abzuschieben, gelten diese drastischen Lageeinschätzungen nicht mehr. Warum wird zum Beispiel seitens der Bundesregierung, von Herrn Schily, nicht endlich
anerkannt, dass die Roma in Serbien extrem gefährdet
sind? Können Sie sich nicht klar dazu äußern, ob die Abschiebung der Roma endlich beendet ist?
Wir PDS-Abgeordnete treten für eine stringente Menschenrechtspolitik ein. Bundeswehreinsätze in Gebieten,
in denen zivile Hilfe erforderlich ist, gehören nicht dazu.
Darum stimmen wir, die PDS-Abgeordnete Petra Pau und
ich, gegen die Verlängerung des Mazedonien-Mandats
der Bundeswehr.
Danke schön.
({1})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Siegfried Helias,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht heute nicht nur um den Antrag der Bundesregierung, sondern auch um den Antrag der FDP mit dem
Titel „Für eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Südosteuropa“. Wir von der CDU/CSU werden
diesem Antrag zustimmen; denn Sicherheitspolitik beschränkt sich nicht allein auf den militärischen Aspekt.
Daher danke ich nicht nur den Soldaten und Soldatinnen sowie ihren Familien, sondern spreche auch den zivilen Kräften einen herzlichen Dank aus, die in vielen
Hilfsorganisationen und Nichtregierungsorganisationen
tätig sind und einen genauso wertvollen Beitrag für Frieden, Sicherheit und Stabilität in Südosteuropa leisten.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Einsatz
der Bundeswehr in Mazedonien - das wurde hier ausführlich dargestellt - hat zur Konfliktbeilegung beigetragen. Gerade deswegen braucht Mazedonien jetzt auf dem
Gebiet der wirtschaftlichen Zusammenarbeit Taten
statt Worte. Wenn militärische Präsenz die Voraussetzung
für eine langfristige Investition in die Zukunft des Landes
war und bleibt, dann ist es gerade jetzt notwendig, die Entwicklung Mazedoniens zu fördern, um die notwendige
Friedensdividende zu erhalten.
Dabei sind aus entwicklungspolitischer Sicht die Förderziele klar: Es geht um Investitionen zur Stabilisierung
der Demokratie und den weiteren Aufbau der Zivilgesellschaft, um Investitionen in die Umwelt - Trinkwasserversorgung, Abwasserproblematik, Management der Wasserressourcen und Länder übergreifende Umweltprojekte im
Dreieck von Mazedonien, Griechenland und Albanien sowie um eine Wirtschaftsreform und den Aufbau marktwirtschaftlicher Strukturen.
Die bisherigen Schwerpunkte in der Entwicklungszusammenarbeit sind dabei nicht zu beanstanden. Ich beanstande jedoch, dass der von Rot-Grün verabschiedete
Bundeshaushalt 2002 das Ende des Stabilitätspakts in
Südosteuropa bereits eingeleitet hat. Auch gestern hat die
Bundesministerin bei der Vorstellung des Einzelplans 23
Südosteuropa und den Stabilitätspakt mit keinem einzigen
Wort erwähnt. Ich finde, das ist ein Armutszeugnis für die
Entwicklungspolitik.
({1})
Ich kritisiere aber keineswegs nur die mangelnde Mittelausstattung und das von der Bundesregierung faktisch
eingeleitete Ende des Stabilitätspakts. Ich kritisiere auch
den Zustimmungs- und Abstimmungswirrwarr sowie das
Kompetenzgerangel bei der Mittelbeantragung und bei
der Mittelvergabe, bei der der Koordinator - mag er
Hombach oder Busek heißen - lediglich die Rolle eines
Maklers übernehmen kann; denn er verfügt über keine eigenen operativen Mittel. Zudem tritt sich noch eine Vielzahl von Ober- und Unterkoordinatoren auf die Füße.
Der Hauptkoordinator muss den Spagat zwischen Gebern und Nehmern leisten. Er muss die Geber - das ist eine
ganze Reihe: die EU-Kommission, Mitgliedstaaten, internationale Finanzorganisationen - überzeugen, bestimmte
Projekte zu fördern, und gleichzeitig die Empfänger bitten,
dieselben Projekte zu beantragen. Einen verbrieften Zugriff
gibt es dabei nicht. Die Koordination ist also völlig vom
Geberwohlwollen und vom Empfängervertrauen abhängig.
Dass dies nicht funktionieren kann, liegt auf der Hand.
Einen besseren Zeugen für diesen Kompetenzwirrwarr als
Bodo Hombach gibt es nicht. Er sagte bei seiner Verabschiedung: Wenn ich nachts aus einem ganz fürchterlichen Albtraum schweißgebadet aufwachte, dann hatte ich
ganz bestimmt an irgendwelche Verhandlungsprotokolle
der EU gedacht.
Es kommt also nicht nur auf die Mittelausstattung und
auf die Mittelbestimmung an, sondern auch auf den Mittelabfluss. Insofern muss es uns alle außerordentlich bedenklich stimmen, dass von den zugesagten und im Bundeshaushalt vorgesehenen 100 Millionen Euro für die
finanzielle Zusammenarbeit lediglich 10 Prozent abgeflossen sind. Was nützt es, wenn Hilfe auf der einen Seite
notwendig ist, die zugesagten Fördermittel aber überhaupt nicht ankommen, weil die bürokratischen Hürden
viel zu hoch sind?
Die Hilfe ist notwendig; man denke an die Geißel Arbeitslosigkeit. Von den rund 2,2 Millionen Menschen im
Land sind fast 400 000 ohne Arbeit. Weitere 500 000 Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze. Der Kollege
Weisskirchen hat vorhin auf andere besondere Problemstellungen in dieser Region hingewiesen.
Des Weiteren möchte ich auf die Flüchtlingsproblematik aufmerksam machen. Noch sind längst nicht alle
Flüchtlinge zurückgeführt worden.
({2})
Sie können auch gar nicht zurückgeführt werden. In den
Lagern bei Skopje leben noch viele Tausende, insbesondere Roma, die keine Papiere haben. Wer da „papierlos“
ist, der ist auch rechtlos. Wenn wir über Frieden und Stabilität in dieser Region sprechen, dann müssen wir uns
auch um die Menschen kümmern, die dort wirklich am
unteren Ende der Existenzskala leben. Unsere Fürsorge
gilt auch den Sinti und den Roma.
({3})
Fazit: Die Lage im Land ist friedlich; aber es ist immer
noch ein labiler Frieden, der weiter gefestigt werden
muss. Insofern hatte Staatssekretär Kolbow natürlich
Recht, wenn er sagt: Mazedonien hat unsere Hilfe verdient. Meine Damen und Herren von der Regierung, optimieren Sie Ihr Konzept! Setzen Sie es effizient um! Statten Sie Ihr Konzept nicht nur mit den notwendigen
Mitteln aus, sondern sorgen Sie auch dafür, dass diese
Mittel ankommen! Ich wiederhole: Mazedonien hat unsere Hilfe verdient. Es ist allerdings auch dringend notwendig, dass Hilfe dort ankommt.
({4})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen Werner Hoyer, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Ich denke, es ist erforderlich, eine Klarstellung vorzunehmen. Einige Kollegen der Koalition
einschließlich der Bundesregierung haben sich sehr über
die Anträge der FDP-Fraktion echauffiert und dabei übersehen, welcher Antrag heute eigentlich zur Abstimmung
steht. Zur Abstimmung steht unser Entschließungsantrag,
in dem der Wunsch zum Ausdruck gebracht wird, das Mazedonien-Mandat möglichst schnell auf die Europäische
Union übergehen zu lassen. Über den Kern dieses Antrages
hat gestern weitgehendes Einvernehmen auch mit einigen
Kollegen der Koalition bestanden. Ich kann verstehen, dass
man als Koalitionsabgeordneter letztendlich nicht zustimmen möchte, wenn eine Oppositionsfraktion auf die Bundesregierung in diesem Antrag mit einem Satz kritisch verweist. Die Brücke zum Nein ist insofern gebaut.
Gleichwohl hat sich die Hauptaufregung auf den Antrag bezogen, der sich mit der Konferenz über Sicherheit
und Zusammenarbeit in Südosteuropa befasst. Dieser Antrag steht heute überhaupt nicht zur Abstimmung, sondern
wird an die Ausschüsse überwiesen. Wir werden sehr ruhig darüber diskutieren können, ob wir nicht einen Rahmen brauchen, der konzeptionell über den Stabilitätspakt
hinausgeht. Das mag streitig sein, ist aber auf jeden Fall
diskussionsbedürftig und diskussionswürdig.
Akzeptabel ist allerdings keinesfalls, mit welcher herablassenden Arroganz der Bundesminister des Auswärtigen Reden von Mitgliedern des Deutschen Bundestages
hier kommentiert, insbesondere die Rede meines Kollegen Dr. Stinner.
({0})
Die Kurzintervention richtete sich grundsätzlich in Richtung Koalitionsfraktionen. Herr Volmer will antworten.
Herr Kollege Hoyer, Sie haben richtigerweise darauf hingewiesen, dass der FDP-Antrag, der zur Abstimmung steht,
sich nicht mit der KSZE in Südosteuropa befasst, sondern
mit der Rolle der ESVP und der EU bei den Überwachungsund flankierenden Sicherheitsprozessen in Mazedonien.
Wir stimmen völlig in dem Interesse überein - das kam gestern auch im Auswärtigen Ausschuss zum Ausdruck -, dass
die Europäische Union die Sicherheitskomponente in Zukunft federführend übernehmen soll. In diesem Sinne ist der
Inhalt Ihres Antrags überhaupt nicht zu beanstanden.
Aber was Sie in Ihrem Antrag anmahnen, ist ohnehin
Politik der Bundesregierung. Eines ist an Ihrem Antrag
grundfalsch: dass Sie die Bundesregierung kritisieren,
weil sie nicht hinreichend intensiv auf die entsprechende
Umsetzung dringen würde. Der Außenminister hat gerade
klargestellt, dass es auch im deutschen Interesse liegt,
dass die EU im Sinne der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik handlungsfähig wird, und dass es nicht allein in der Hand der Bundesregierung liegt, dies umzusetzen. Deshalb ist diese Kritik völlig fehl am Platze. Wir
haben gestern für den Fall, dass Sie diesen kritischen,
überflüssigen Satz aus dem Antrag streichen, angeboten,
einen interfraktionellen Antrag mit der gleichen inhaltlichen Zielsetzung mit zu tragen. Leider haben Sie dies abgelehnt. Von daher haben Sie - ich würde sagen: aus Motiven der Vereinsmeierei - dem eigentlich richtigen
politischen Anliegen geschadet.
({0})
Ich erteile das Wort Kollegin Verena Wohlleben, SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Weil wir heute über Mazedonien abstimmen
und nicht über Ihren Antrag, darf ich als letzte Rednerin
etwas zu Mazedonien sagen.
Als ich im September vergangenen Jahres zusammen
mit einigen Kolleginnen und Kollegen unter der Leitung
von Hans-Ulrich Klose selbst in Mazedonien war, war ich
geschockt. Natürlich war ich, wie alle anderen auch, über
die Lage informiert; aber es ist doch etwas ganz anderes,
wenn man die Situation vor Ort hautnah miterlebt. Das
Land stand kurz vor einem blutigen Bürgerkrieg; der Frieden in der Region hing an einem seidenen Faden und es
schien so, als wüchsen die Zahl der Hardliner im mazedonischen Parlament und der Widerstand gegen die Umsetzung des Rahmenabkommens von Ohrid beständig.
Unter diesen Umständen geriet unsere eigentlich als
Besuch des deutschen Kontingents von Essential Harvest
geplante Reise zu einer diplomatischen Mission. In den
zwei uns zur Verfügung stehenden Tagen führten wir Gespräche mit fast allen hochrangigen mazedonischen Regierungsvertretern. Wir waren froh, dass die Sicherheit
unserer Soldatatinnen und Soldaten damals Gott sei Dank
noch nicht gefährdet war, und für den Fall eines eventuellen Rückzugs war die Truppe mit dem bestmöglichen Material ausgestattet; das sage ich in Richtung Opposition.
Trotzdem, die Lage war damals wirklich sehr schwierig,
fast hoffnungslos.
Ich hatte, wie auch viele Kolleginnen und Kollegen,
bei der anschließenden Abstimmung über eine deutsche
Beteiligung an Amber Fox Bedenken. In der Operation
lagen Risiken, aber sie war alternativlos. Ein Rückzug der
internationalen Gemeinschaft zu diesem Zeitpunkt hätte
zwangsläufig das Ende des Stabilisierungs- und Friedensprozesses in Mazedonien bedeutet und in einen Bürgerkrieg gemündet. Deshalb war es wichtig und richtig, dem
Einsatz zuzustimmen.
({0})
Der Einsatz der internationalen Staatengemeinschaft in
Mazedonien ist ein großer Erfolg und wird zu Recht von
allen Seiten immer als Paradebeispiel für präventives
Konfliktmanagement gelobt. Zum ersten Mal ist es gelungen, einen Bürgerkrieg vor seinem Beginn zu verhindern. Doch nicht nur das: Die Erfolge, die in relativ kurzer
Zeit in Mazedonien bezüglich der äußeren Stabilisierung
des Landes, aber auch der inneren Aussöhnung und der
Verbesserung des interethnischen Verhältnisses erzielt
werden konnten, sind enorm. Um ehrlich zu sein: Ich hätte
mir die heutige Situation vor 18 Monaten allenfalls in
meinen kühnsten Träumen vorstellen können.
Wir alle kennen die momentane Lage. Inzwischen haben freie Wahlen stattgefunden, die ebenso friedlich und
störungsfrei verlaufen sind wie der anschließende Regierungswechsel. Die für die innere Aussöhnung des Landes
so wichtige Volkszählung konnte soeben ohne nennenswerte Unregelmäßigkeiten abgeschlossen werden.
({1})
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in Mazedonien
nun die besten Voraussetzungen dafür herrschen, dass das
Land weiter nach vorne blicken und seine innere Spaltung
endgültig überwinden kann.
({2})
- Sicher gibt es noch viele Probleme, aber die Probleme
sind längst nicht mehr so groß wie vor 18 Monaten. Da
werden Sie mir zustimmen, Herr Pflüger.
({3})
Hier ist einiges erreicht worden und darüber sind wir auch
sehr froh.
Am Erfolg der Bemühungen der internationalen Gemeinschaft hat die Bundeswehr einen maßgeblichen
Anteil. Ihr Einsatz in Mazedonien war und ist ein richtungsweisender und idealtypischer Beitrag deutscher
Friedenspolitik. Ich denke, Sie stimmen mit mir überein,
dass es für unsere Armee keinen besseren Einsatz gibt, als
allein durch ihre Präsenz Frieden zu sichern bzw. teilweise gar zu schaffen. Unsere Soldatinnen und Soldaten
leisten einen hervorragenden Dienst.
Sehr verehrte Frau Lietz, ich muss ganz kurz auf Ihre
Kritik eingehen. Sie beklagen die lange Einsatzzeit unserer Soldatinnen und Soldaten. Erinnern Sie sich doch
einmal zurück an 1995, als wir hier zum ersten Mal über
den Einsatz in Bosnien abstimmten. Das war ja damals
schon richtungsweisend und es war auch erkennbar, dass
es nicht der letzte Einsatz sein würde.
({4})
- Sie telefoniert, aber die Kollegen werden es ihr vielleicht sagen oder es ist im Protokoll nachzulesen. - Sie
waren damals an der Regierung und es wäre eigentlich
Ihre Aufgabe gewesen, die Bundeswehr zu reformieren,
umzubauen und auf ihre künftigen Aufgaben vorzubereiten. Das haben Sie nicht getan; das haben Sie 1998 uns
überlassen.
({5})
Deswegen sind wir heute noch nicht so weit, dass wir die
Einsatzzeit entsprechend verkürzen können. Wir würden
es gern tun, können es aber bis jetzt noch nicht.
({6})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, um das in
Mazedonien bisher Erreichte nicht zu gefährden und die
bestehenden Risiken zu minimieren, ist eine in Umfang
und Auftrag an die geänderten Verhältnisse angepasste internationale Begleitung als stabilisierende und vertrauensbildende Maßnahme weiterhin notwendig. Wir werden heute durch unsere Zustimmung zu einer Beteiligung
deutscher Truppen an der Operation Allied Harmony unseren Beitrag zur Absicherung des Friedensprozesses und
zur Demokratisierung in Mazedonien leisten und unseren
Soldatinnen und Soldaten ein starkes Mandat mit auf den
Weg geben.
Ich danke Ihnen.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der
Bundesregierung zur Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an dem NATO-geführten Einsatz auf mazedo-
nischem Territorium, Drucksachen 15/127 und 15/156. Es
ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen. Können wir beginnen? - Das ist der
Fall.
Ich eröffne die Abstimmung.
Haben alle Abgeordneten ihre Stimme abgegeben? -
Das ist der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen
Abstimmung wird später bekannt gegeben.1)
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungs-
anträge.
Wer stimmt für den interfraktionellen Entschließungs-
antrag auf Drucksache 15/130? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich der Stimme? - Der Entschließungsantrag
ist einstimmig angenommen.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 15/166? - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 4 b. Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 15/56 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 5, Wahlen zu
Gremien. Wir führen zunächst fünf Wahlen mit
Stimmkarten und Wahlausweisen in getrennten Wahlgän-
gen durch. Es handelt sich um folgende Wahlen: Richter-
wahlausschuss gemäß § 5 des Richterwahlgesetzes,
Wahlausschuss gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das
Bundesverfassungsgericht, Wahl der Mitglieder des Par-
lamentarischen Kontrollgremiums, Wahl der Mitglieder
des Gremiums gemäß § 4 a des Bundeswertpapierverwal-
tungsgesetzes, Wahl der Mitglieder des Vertrauensgremi-
ums gemäß § 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung.
An diese fünf Wahlgänge schließen sich noch weitere
Wahlen an, die mittels Handzeichen durchgeführt wer-
den.
Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinweise
zu den für die zunächst durchzuführenden Wahlen mit
Stimmkarte und Wahlausweis.
Die Stimmkarten in den Farben Orange, Grün, Blau,
Gelb und Weiß werden unmittelbar vor der jeweils durch-
zuführenden Wahl im Saal verteilt. Sie benötigen außer-
dem Ihre Wahlausweise in den Farben Orange, Grün,
Blau, Gelb und Weiß, die Sie, soweit noch nicht gesche-
hen, bitte Ihrem Stimmkartenfach in der Lobby entneh-
men. Bitte achten Sie unbedingt darauf, dass die Wahl-
ausweise wirklich Ihren Namen tragen.
Bevor Sie die entsprechende Stimmkarte in eine der
Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte Ihren dazu-
gehörenden Wahlausweis einem der Schriftführer an den
Wahlurnen. Der Nachweis der Teilnahme an der Wahl
kann nur durch die Abgabe des Wahlausweises erbracht
werden. Die Schriftführerinnen und Schriftführer bitte
ich, darauf zu achten, dass vor der Stimmabgabe der
Wahlausweis übergeben wird.
Die Wahlen finden offen statt. Sie können die Stimm-
karten also an Ihrem Platz ankreuzen.
Wir kommen zunächst zu Tagesordnungspunkt 5 a:
Richterwahlausschuss gemäß § 5 des Richter-
wahlgesetzes
- Drucksachen 15/138, 15/139 -
Dazu liegen Ihnen auf den Drucksache 15/138 und
15/139 Listen mit Wahlvorschlägen vor. Sie benötigen für
diese Wahl die Stimmkarte in der Farbe Orange. Sollten
Sie diese Stimmkarte noch nicht haben, besteht jetzt noch
die Möglichkeit, diese von den Plenarassistenten zu er-
halten.
Ich mache besonders darauf aufmerksam, dass Sie auf
der orangefarbenen Stimmkarte nur einen Vorschlag an-
1) Ergebnis Seite 1025 A
kreuzen dürfen. Ungültig sind Stimmkarten, die mehr als
ein Kreuz oder Zusätze enthalten. Wer sich der Stimme
enthalten will, macht keine Eintragung.
Bevor Sie die orangefarbene Stimmkarte in eine der
Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte den Schriftführe-
rinnen und Schriftführern an den Wahlurnen Ihren orange-
farbenen Wahlausweis.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, nun-
mehr die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Ich eröffne
die Wahl zum Richterwahlausschuss.
Ist noch eine Kollegin, ein Kollege anwesend, die ihre
Stimmen nicht abgegeben haben? - Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Wahl und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Wahl wird Ihnen später bekannt ge-
geben.1)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zwischendurch
komme ich zu Tagesordnungspunkt 4 a zurück. Ich gebe
das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermit-
telte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die
Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum
Antrag der Bundesregierung „Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an dem NATO-geführten Einsatz auf
mazedonischem Territorium ...“ bekannt. Abgegebene
Stimmen 585. Mit Ja haben gestimmt 577, mit Nein 6, Ent-
haltungen 2. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Präsident Wolfgang Thierse
1) Ergebnis Seite 1028 D
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 581
davon
ja: 573
nein: 6
enthalten: 2
Ja
SPD
Dr. Lale Akgün
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({0})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({1})
Klaus Barthel ({2})
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({3})
Kurt Bodewig
Gerd Friedrich Bollmann
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({4})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({5})
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Wilhelm Danckert
Karl Diller
Martin Dörmann
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Marga Elser
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({6})
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({7})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Wolfgang Grotthaus
Karl Hermann Haack
({8})
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({9})
Anke Hartnagel
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Monika Heubaum
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({10})
Walter Hoffmann
({11})
Iris Hoffmann ({12})
Frank Hofmann ({13})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Klaus Werner Jonas
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Heinz Köhler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({14})
Christine Lehder
Dr. Elke Leonhard
Götz-Peter Lohmann
({15})
Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Caren Marks
Christoph Matschie
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Petra-Evelyne Merkel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Michael Müller ({16})
Christian Müller ({17})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Volker Neumann ({18})
Dietmar Nietan
Dr. Erika Ober
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Karin Rehbock-Zureich
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({19})
Michael Roth ({20})
Gerhard Rübenkönig
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({21})
Thomas Sauer
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({22})
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Präsident Wolfgang Thierse
Horst Schmidbauer
({23})
Ulla Schmidt ({24})
Silvia Schmidt ({25})
Dagmar Schmidt ({26})
Wilhelm Schmidt ({27})
Heinz Schmitt ({28})
Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Wilfried Schreck
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Brigitte Schulte ({29})
Reinhard Schultz
({30})
Swen Schulz ({31})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Ute Vogt ({32})
Dr. Marlies Volkmer
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Reinhard Weis ({33})
Gunter Weißgerber
({34})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Jürgen Wieczorek ({35})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Brigitte Wimmer ({36})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({37})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Helmut Zöllmer
Dr. Christoph Zöpel
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({38})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Dr. Rolf Bietmann
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Verena Butalikakis
Hartmut Büttner
({39})
Peter H. Carstensen
({40})
Gitta Connemann
Hubert Deittert
Albert Deß
Alexander Dobrindt
Vera Dominke
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({41})
Dirk Fischer ({42})
Axel E. Fischer
({43})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
({44})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Roland Gewalt
Eberhard Gienger
Georg Girisch
Michael Glos
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Tanja Gönner
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Kurt-Dieter Grill
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Karl-Theodor Freiherr von
und zu Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Martin Hohmann
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Irmgard Karwatzki
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Siegfried Kauder
({45})
Gerlinde Kaupa
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Kristina Köhler ({46})
Manfred Kolbe
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Michael Kretschmer
Günther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn ({47})
Dr. Karl A. Lamers
({48})
Barbara Lanzinger
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Walter Link ({49})
Eduard Lintner
({50})
Patricia Lips
Dorothee Mantel
Erwin Marschewski
({51})
Stephan Mayer ({52})
Cornelia Mayer
({53})
Dr. Martin Mayer
({54})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({55})
Doris Meyer ({56})
Maria Michalk
Hans Michelbach
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Stefan Müller ({57})
Bernward Müller ({58})
Bernd Neumann ({59})
Claudia Nolte
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Melanie Oßwald
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({60})
Katherina Reiche
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Hannelore Roedel
Franz Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Albert Rupprecht ({61})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({62})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Wir warten jetzt einen Moment bis die geleerten Urnen
wieder da sind.
Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 5 b:
Wahlausschuss gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes
über das Bundesverfassungsgericht
- Drucksachen 15/140, 15/141 -
Dazu liegen Ihnen auf den Drucksachen 15/140 und
15/141 Listen mit Wahlvorschlägen vor. Für diese Wahl
benötigen Sie die grünen Stimmkarten, die im Saal ver-
teilt werden. Sollten Sie noch keine Stimmkarte haben,
besteht jetzt noch die Möglichkeit, diese von den Plenar-
assistenten zu erhalten.
Ich mache darauf aufmerksam, dass Sie auch auf der
grünen Stimmkarte nur einen Vorschlag ankreuzen dür-
fen. Ungültig sind Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz
oder Zusätze enthalten. Wer sich der Stimme enthalten
will, macht keine Eintragung.
Bevor Sie die grüne Stimmkarte in eine Wahlurne wer-
fen, übergeben Sie bitte den Schriftführerinnen und
Schriftführern an den Wahlurnen Ihren grünen Wahlaus-
weis.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Wahl der Mitglieder des Wahlaus-
schusses für die Wahl der Richter des Bundesverfas-
sungsgerichtes.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, haben alle ihre
Stimme abgegeben? - Das ist offensichtlich der Fall.
Ich schließe jetzt die Wahl und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung der Stim-
men zu beginnen. Das Ergebnis der Wahl wird Ihnen spä-
ter bekannt gegeben.1)
Präsident Wolfgang Thierse
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({63})
Andreas Schmidt ({64})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Matthias Sehling
Marion Seib
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von
Stetten
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Michael Stübgen
Michaela Tadjadod
Antje Tillmann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Volkmar Uwe Vogel
Angelika Volquartz
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Peter Weiß ({65})
Gerald Weiß ({66})
Ingo Wellenreuther
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({67})
Volker Beck ({68})
Cornelia Behm
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Jutta Dümpe-Krüger
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer ({69})
Katrin Dagmar GöringEckardt
Anja Hajduk
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Thilo Hoppe
Michaele Hustedt
Fritz Kuhn
Renate Künast
Undine Kurth ({70})
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({71})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Friedrich Ostendorff
Simone Probst
Claudia Roth ({72})
Krista Sager
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({73})
Werner Schulz ({74})
Petra Selg
Ursula Sowa
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Marianne Tritz
Hubert Ulrich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Dr. Ludger Volmer
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({75})
FDP
Daniel Bahr ({76})
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Dr. Christian Eberl
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich ({77})
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({78})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Christoph Hartmann
({79})
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Markus Löning
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({80})
Eberhard Otto ({81})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Marita Sehn
Dr. Rainer Stinner
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Nein
CDU/CSU
Dr. Wolf Bauer
Wolfgang Börnsen
({82})
Leo Dautzenberg
Willy Wimmer ({83})
fraktionslos
Petra Pau
Enthalten
CDU/CSU
Manfred Carstens ({84})
Henry Nitzsche
1) Ergebnis Seite 1041 A
Präsident Wolfgang Thierse
Jetzt müssen wir wieder ein bisschen warten, bis die
Urnen geleert sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen die Wahlen
fort und kommen zum Tagesordnungspunkt 5 c:
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der
CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
und der FDP
Einsetzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums gemäß §§ 4 und 5 Abs. 4 des Gesetzes
über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes ({85})
- Drucksache 15/142 Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen
Kontrollgremiums gemäß §§ 4 und 5 Abs. 4 des
Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle
nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes
({86})
- Drucksache 15/143 -
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den ge-
meinsamen Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/
CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP auf
Drucksache 15/142. Wer stimmt für diesen Antrag? Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist ein-
stimmig angenommen. Damit ist das Parlamentarische
Kontrollgremium eingesetzt und die Mitgliederzahl auf
neun festgelegt.
Bevor wir zur Wahl der Mitglieder des Parlamen-
tarischen Kontrollgremiums kommen, bitte ich um Ihre
Aufmerksamkeit für die notwendigen Hinweise zum
Wahlverfahren: Nach § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die
parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tä-
tigkeit ist gewählt, wer die Stimmen der Mehrheit der Mit-
glieder des Bundestages auf sich vereint, das heißt, wer
mindestens 302 Stimmen erhält.
Die blauen Stimmkarten wurden im Saal verteilt.
Sollten Sie noch keine Stimmkarte haben, besteht jetzt
noch die Möglichkeit, diese von den Plenarassistenten
zu erhalten. Auf der blauen Stimmkarte können Sie neun
Namensvorschläge ankreuzen. Ungültig sind Stimmkar-
ten, die andere Namen oder Zusätze enthalten. Wer sich
der Stimme enthalten will, macht keine Eintragung.
Diese Wahl - wie auch die beiden folgenden Wahlen -
findet offen statt. Sie können die Stimmkarte also an
Ihrem Platz ankreuzen. Bevor Sie die blaue Stimmkarte
in eine der Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte den
Schriftführern an den Wahlurnen Ihren blauen Wahlaus-
weis.
Die Urnen sind besetzt. Dann eröffne ich die dritte
Wahl, die Wahl zum Parlamentarischen Kontrollgremium.
Sind Kolleginnen oder Kollegen anwesend, die ihre
Stimme noch nicht abgegeben haben? - Das ist nicht der
Fall. Ich schließe diesen Wahlgang. Das Ergebnis der
Wahl wird Ihnen später bekannt gegeben.1)
Jetzt müssen wir wieder ein bisschen warten.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 5 d:
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der
CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
und der FDP
Einsetzung des Gremiums gemäß § 4 a des Bun-
deswertpapierverwaltungsgesetzes
- Drucksache 15/144 -
Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 4 a
des Bundeswertpapierverwaltungsgesetzes
- Drucksache 15/145 -
Wir stimmen zunächst über den gemeinsamen Antrag
der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses
90/Die Grünen und der FDP auf Drucksache 15/144 ab.
Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Der Antrag ist einstimmig angenom-
men. Damit ist das Gremium gemäß § 4 a des Bundes-
wertpapierverwaltungsgesetzes mit der Bezeichnung
„Gremium zu Fragen der Kreditfinanzierung des Bundes“
eingesetzt und die Mitgliederzahl auf neun festgelegt.
Bevor wir zur Wahl der Mitglieder des soeben einge-
setzten Gremiums kommen, bitte ich erneut um Ihre Auf-
merksamkeit für einige Hinweise zum Wahlverfahren:
Nach § 4 a des genannten Gesetzes ist gewählt, wer die
Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf
sich vereint, das heißt, wer mindestens 302 Stimmen erhält.
Die gelben Stimmkarten wurden im Saal verteilt. Soll-
ten Sie noch keine Stimmkarte erhalten haben, besteht jetzt
noch die Möglichkeit, diese von den Saaldienern zu be-
kommen. Auf der gelben Stimmkarte können Sie neun Na-
mensvorschläge ankreuzen. Ungültig sind Stimmkarten,
die andere Namen oder Zusätze enthalten. Wer sich der
Stimme enthalten will, macht keine Eintragung. Bevor Sie
die gelbe Stimmkarte in eine der Wahlurnen werfen, über-
geben Sie den Schriftführerinnen und Schriftführern an
den Wahlurnen bitte Ihren gelben Wahlausweis.
Sind alle Plätze an den Urnen eingenommen? - Das ist
der Fall. Dann eröffne ich die vierte Wahl.
Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimme ab-
gegeben? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe
ich diesen Wahlgang.2)
Ich unterbreche die Sitzung, bis die nächsten Wahlurnen kommen.
({87})
({88})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich möchte Ihnen zunächst das Ergebnis der Wahl der
Mitglieder des Richterwahlausschusses gemäß § 5 des
Richterwahlgesetzes mitteilen: Abgegebene Stimmen 584,
davon gültig 583, Enthaltungen 3, ungültige Stimmen 1.3)
1) Ergebnis Seite 1041 B
2) Ergebnis Seite 1044 D
3) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 2
Von den gültigen Stimmen entfielen auf den Wahlvor-
schlag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen 299 Stimmen, der Fraktionen der CDU/CSU und
der FDP 281 Stimmen.
Nach dem Höchstzahlverfahren d’Hondt entfallen auf
den Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen acht Mitglieder und der Frak-
tionen der CDU/CSU und der FDP auch acht Mitglieder.
Nach § 5 Abs. 2 des Richterwahlgesetzes sind die Mit-
glieder und ihre Stellvertreter in der Reihenfolge gewählt,
in der ihr Name auf dem Wahlvorschlag erscheint. Die
Namen der gewählten Mitglieder und ihrer Stellvertreter
entnehmen Sie bitte den Drucksachen 15/138 und 15/139.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 e auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der
CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
und der FDP
Einsetzung des Vertrauensgremiums gemäß
§ 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung
- Drucksache 15/146 -
Wahl der Mitglieder des Vertrauensgremiums
gemäß § 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsord-
nung
- Drucksache 15/147 -
Wir kommen jetzt zur Einsetzung des Vertrauensgre-
miums gemäß § 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung.
Bevor wir die Mitglieder wählen, rufe ich den gemeinsa-
men Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des
Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP zur Einsetzung
dieses Gremiums und zur Festlegung der Anzahl der Mit-
glieder auf Drucksache 15/146 auf. Wer stimmt für diesen
Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das ist
nicht der Fall. Der Antrag ist damit einstimmig angenom-
men. Damit ist das Vertrauensgremium eingesetzt und die
Mitgliederzahl auf neun festgelegt.
Jetzt kommen wir zur Wahl der Mitglieder des Ver-
trauensgremiums. Gewählt ist, wer die Stimmen der
Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint,
das heißt, wer mindestens 302 Stimmen erhält.
Auf der für diese Wahl vorgesehenen weißen Stimm-
karte können Sie neun Namensvorschläge ankreuzen. Sie
kennen es bereits: Ungültig sind Stimmkarten, die andere
Namen oder Zusätze enthalten. - Es gab immer wieder
ungültige Stimmen. Bitte achten Sie deshalb darauf. - Wer
sich der Stimme enthalten will, macht keine Eintragung.
Bevor Sie die weiße Stimmkarte in eine der Wahlurnen
werfen, übergeben Sie bitte den Schriftführern Ihren
weißen Wahlausweis. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. -
Das ist geschehen.
Ich eröffne die fünfte Wahl: Vertrauensgremium.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme
noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe damit die Wahl und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er-
gebnis der Wahl wird Ihnen später bekannt gegeben.1)
Wir kommen jetzt zu den Wahlen, die mittels Handzei-
chen durchgeführt werden.
Tagesordnungspunkt 5 f:
Gemeinsamer Ausschuss nach Art. 53 a des
Grundgesetzes
- Drucksache 15/148 -
Dazu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD,
der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der
FDP auf Drucksache 15/148 vor. Wer stimmt für diesen
Wahlvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Wahlvorschlag ist damit einstimmig angenommen wor-
den.
Tagesordnungspunkt 5 g:
Wahlprüfungsausschuss gemäß § 3 Abs. 2 des
Wahlprüfungsgesetzes
- Drucksache 15/152 -
Hierzu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktionen der
SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und
der FDP auf Drucksache 15/152 vor. Wer stimmt für die-
sen Wahlvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Ent-
haltungen? - Auch dieser Wahlvorschlag ist damit ein-
stimmig angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 5 h:
Gremium gemäß § 41 Abs. 5 des Außenwirt-
schaftsgesetzes
- Drucksache 15/153 -
Es liegt wiederum ein Wahlvorschlag der Fraktionen
der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen
und der FDP auf Drucksache 15/153 vor. Wer stimmt
dafür? - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Wahlvorschlag ist ebenfalls einstimmig angenommen
worden.
Tagesordnungspunkt 5 i:
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der
CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
und der FDP
Einsetzung des Gremiums nach Art. 13 Abs. 6
Grundgesetz
- Drucksache 15/154 -
Wahl der Mitglieder des Gremiums nach Art. 13
Abs. 6 Grundgesetz
- Drucksache 15/155 -
Dazu liegt ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen der
SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und
der FDP auf Drucksache 15/154 vor. Wer stimmt für die-
sen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der An-
trag ist damit einstimmig angenommen worden. Damit ist
das Gremium nach Art. 13 Abs. 6 des Grundgesetzes ein-
gesetzt und die Mitgliederzahl auf neun festgelegt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Wahlvor-
schlag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bünd-
nisses 90/Die Grünen und der FDP auf Drucksache 15/155.
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
1) Ergebnis Seite 1044 C
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Der Wahlvorschlag ist ebenfalls einstimmig angenommen
worden.
Wir setzen jetzt die Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkte 1 a bis 1 c - fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2003
({0})
- Drucksache 15/150 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2002
({1})
- Drucksache 15/149 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über den Stand und die voraussichtliche
Entwicklung der Finanzwirtschaft des Bundes
- Drucksache 15/151 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Ich erinnere daran, dass wir am Dienstag für die heutige Aussprache fünfeinhalb Stunden beschlossen haben.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Das Wort hat als
Erster Herr Bundesminister Wolfgang Clement. - Bitte,
Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir führen diese Haushaltsdebatte vor dem Hintergrund einer sehr schwierigen weltpolitischen Entwicklung. Die weltweite Konjunkturschwäche hat Westeuropa
und damit auch Deutschland besonders hart getroffen.
Wachstum, Beschäftigung und Arbeitslosigkeit haben
sich im ablaufenden Jahr deutlich ungünstiger entwickelt,
als alle Wirtschaftsexperten prognostiziert hatten. Der aktuelle Anstieg der Arbeitslosigkeit auf über 4 Millionen
zeigt, wie ernst die Situation ist. Darauf muss die Politik
- aber nicht die Politik allein - reagieren.
Die Kernfrage ist, verehrte Kolleginnen und Kollegen:
Wie können wir mehr wirtschaftliches Wachstum und
mehr Beschäftigung erreichen, und zwar unter den Bedingungen des globalen Wirtschaftsraumes? Es gibt keine
Volkswirtschaft, die unter den vier Schlägen des Jahres
2001 keine Wirkung gezeigt hat. Ich erinnere an die Nachwirkungen der hohen Ölpreise, an den Kollaps der New
Economy und der Neuen Märkte, an die Finanzierungskrisen beispielsweise in Südamerika und nicht zuletzt an
den 11. September 2001. Wer vorurteilsfrei über die Grenzen schaut, wird feststellen, dass diese Ereignisse überall
ihre Spuren hinterlassen haben. Sogar die Eidgenossen
nebenan in der Schweiz kämpfen mit sehr ähnlichen - um
nicht zu sagen: identischen - Problemen wie wir. Allerdings reden sie nicht so laut darüber. Die negative Stimmungsmache in unserem Land ist ohne Beispiel in Europa.
Schwarzmalerei und Panikmache verunsichern und lähmen Menschen und Unternehmen.
({0})
Schwarzmalerei und Panikmache werden der Situation im
Land bei weitem nicht gerecht und führen uns auch keinen einzigen Schritt voran.
({1})
Ich möchte dazu nur zwei oder drei Hinweise geben, Herr
Kollege. Die Handels- und Leistungsbilanzergebnisse
werden auch in diesem Jahr das Vorjahresergebnis
Deutschlands weit übertreffen.
({2})
Die deutschen Exporte legen wieder deutlich zu. Die Daten kennen Sie alle. Soeben erhalten wir über das Statistische Bundesamt die vorläufigen Angaben zu den Auftragseingängen bei den deutschen Industrieunternehmen.
Diese steigen gottlob wieder an, und zwar von September
auf Oktober um 1,1 Prozent und in den neuen Ländern um
3,1 Prozent.
({3})
All dies zeigt - darüber sollte niemand hinwegreden; das
dient niemandem -: Die deutschen Unternehmen sind international hoch wettbewerbsfähig. Die deutsche Außenhandelsposition ist gut bis sehr gut. Das eröffnet positive Perspektiven, wenn die Weltkonjunktur wieder anzieht.
({4})
Deshalb überrascht es mich auch nicht, Herr Kollege, dass
Deutschland nach der Rangliste zur gegenwärtigen Wettbewerbsfähigkeit auf der Welt, die das World Economic
Forum kürzlich erstellt hat, unter 80 Staaten auf dem
vierten Rang liegt. Das ist meiner Meinung nach ein Spitzenplatz.
({5})
Es ist auch interessant, sich einmal diese Studie, eine amerikanische Studie, hinsichtlich des prognostizierten Wachstumspotentials anzusehen. In dieser Rangliste ist Deutschland von Platz 17 auf Platz 14 vorgerückt. Das ist noch nicht
gut genug. Aber wenn man bedenkt, dass die Niederlande in
derselben Zeit von Platz 8 auf Platz 15 und Frankreich von
Platz 20 auf Platz 30 zurückgefallen sind, dann meine ich,
dass wir von einer positiven Gesamteinschätzung der internationalen Position Deutschlands reden können.
({6})
Darüber sollte die kritische weltwirtschaftliche Situation,
in der wir uns befinden, nicht hinwegtäuschen und niemand sollte darüber hinwegreden. Das ist das Resultat
hervorragenden Unternehmergeistes, qualifizierter und
leistungsstarker Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
sowie erfolgreicher Standortpolitik in Deutschland.
Meine Damen und Herren, mit dem Haushaltsplanentwurf des neuen Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit,
der Ausgaben in Höhe von knapp 19 Milliarden Euro vorsieht, und mit den geplanten Reformen wollen wir dazu
beitragen, dass wir auf dem Weg der Verbesserung der
Standortsituation, der immer weiteren Verbesserung der
Wettbewerbssituation so rasch wie möglich vorankommen und die notwendige Aufbruchstimmung zur Erneuerung von Wirtschaft und Gesellschaft entfachen. Die
Fundamentaldaten für eine Konjunkturerholung in
Deutschland weisen nach wie vor in die richtige Richtung.
Dazu zählen beispielsweise die in der zweiten Jahreshälfte gestiegenen Einkommen, der niedrige Preisanstieg
und die stabilen Kapitalmarktzinsen. All dies veranlasst
uns, mit großem Interesse auf die fast parallel stattfindende
Sitzung des Zentralbankrats in Frankfurt zu schauen.
Für eine Beschleunigung des Wachstums, verehrte
Kolleginnen und Kollegen, benötigen wir jetzt ein freundlicheres europäisches und weltwirtschaftliches Umfeld
und natürlich mehr private Investitionen. Wir brauchen
mehr Wachstumsdynamik einerseits und einen schnelleren Umschlag von Wachstum in neue Arbeitsplätze andererseits; dies brauchen wir nicht erst seit heute, sondern
schon seit vielen Jahren.
({7})
Mit unserer Reform des Arbeitsmarktes in Richtung
Dienstleistung und höheres Vermittlungstempo werden
wir dazu beitragen, die Schwelle zu senken, ab der das
wirtschaftliche Wachstum neue Arbeitsplätze schafft.
Wenn es uns gelingt, über mehr Minijobs, über eine Entwicklung des Kleinstgewerbes in Deutschland, über mehr
Zeit- und Leiharbeit und über eine bessere und schnellere
Vermittlung von Arbeitslosen die Flexibilität am Arbeitsmarkt zu erhöhen, dann können wir mehr Menschen in Arbeit bringen. Die komplette Umsetzung des Hartz-Konzeptes ist deshalb das dringlichste unserer Vorhaben.
Die ersten Schritte haben wir mit dem Ersten und
Zweiten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt getan. Jetzt ist es an den deutschen Ländern,
im Bundesrat - ab heute im Vermittlungsausschuss - zu
beweisen, ob sie für große Modernisierungsschritte offen
sind oder nicht.
Weitere Schritte werden folgen. Als Nächstes wollen
wir ein Minimalsteuerrecht für das Kleinstgewerbe begründen - dies wird der Finanzminister tun -, dann werden wir die gesetzlichen Voraussetzungen für eine moderne Bundesanstalt für Arbeit schaffen und schließlich
werden wir die notwendige Zusammenführung von Sozialhilfe für Erwerbsfähige und von Arbeitslosenhilfe
zum Arbeitslosengeld II bewerkstelligen. Mit diesen
Schritten werden wir den Verschiebebahnhof zwischen
Arbeitsamt und Sozialamt beenden, Fehlanreize beseitigen und dem Prinzip des Förderns und Forderns mehr
Geltung verschaffen.
({8})
Bereits im kommenden Haushaltsjahr wird die schnelle
Umsetzung der Vorschläge der Kommission „Moderne
Dienstleistung am Arbeitsmarkt“ den Haushalt der
Bundesanstalt für Arbeit und den Bundeshaushalt spürbar
entlasten. Allein eine Verkürzung der durchschnittlichen
Dauer der Arbeitslosigkeit in Deutschland um eine Woche
würde zu Einsparungen von rund 1 Milliarde Euro führen.
Deshalb wird die Bundesanstalt für Arbeit im kommenden Jahr auch ohne Bundeszuschuss auskommen können.
Meine Damen und Herren, ich sage dies auch von dieser Stelle klar und deutlich: Hier baue ich auf die Verständigungsbereitschaft auch der CDU/CSU-geführten
Länder sowie der verehrten Kolleginnen und Kollegen
der Opposition über die Parteigrenzen hinweg im Vermittlungsausschuss, wenn es gilt, gemeinsam die inakzeptabel hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Wir haben
dabei keine Zeit zu verlieren.
({9})
Es ist genug Zeit vertan worden. Wir müssen jetzt zu Ergebnissen kommen und wir werden jetzt zu Ergebnissen
kommen. Wir sind gesprächsbereit; ich hoffe, Sie sind es
auch. Dann werden wir den Elfmeter schießen, der jetzt
geschossen werden muss, und zwar möglichst in die andere Richtung als heute Nacht.
({10})
- Nicht ins eigene Tor; darauf können Sie sich verlassen,
Herr Kollege. Ich bin Bochumer.
({11})
Um das Tor zu mehr Wachstum aufzustoßen, meine
sehr geehrten Damen und Herren, brauchen wir Veränderungen, die nicht durchweg schmerzfrei sein können. Wir
müssen noch viele Verkrustungen unserer Binnenwirtschaft aufbrechen. Beispielsweise müssen wir monopolistische Märkte im europäischen Verbund öffnen, und zwar
mit Augenmaß und Vernunft. Insoweit ist sehr wichtig,
dass es in der jüngsten Sitzung des Energieministerrats
gelungen ist, die endgültige Marktöffnung für Strom
und Gas in den Jahren 2004 und 2007 hinzubekommen.
({12})
Wir müssen die Steuer- und Abgabenlast zurückführen. Die nächsten Stufen der Steuerreform werden
2004 und 2005 Entlastungen für Unternehmen und private Haushalte bringen, die sich gegenüber 1998 auf insgesamt 56,2 Milliarden Euro summieren. Wir müssen das
Hartz-Konzept komplett umsetzen.
({13})
Es wird mittelfristig zu Entlastungen der Beitragszahler
und der öffentlichen Haushalte führen. Wir müssen die
Rahmenbedingungen für den Mittelstand, der unter einer
Wolfgang Clement, Bundesminister
Wolfgang Clement, Bundesminister
enormen bürokratischen Last leidet, deutlich attraktiver
gestalten und ihn entlasten.
({14})
Deshalb werden wir - anders, als Sie, Herr Kollege, es in
Ihrer Zeit getan haben - den Ladenschluss weiter lockern,
wie es der Bundeskanzler angekündigt hat,
({15})
und die Öffnungszeiten auch an Samstagen bis 20 Uhr
verlängern. Ich werde dem Bundeskabinett dazu voraussichtlich schon in der kommenden Woche einen Gesetzentwurf vorlegen.
({16})
Unser Land braucht dringend
({17})
mehr Menschen, die den Mut haben, eigene unternehmerische Ideen zu verwirklichen, Verantwortung zu übernehmen und Arbeitsplätze zu schaffen. Deshalb werden
wir schon zu Beginn des neuen Jahres der Öffentlichkeit
eine neue Mittelstandsoffensive vorstellen,
({18})
von der ich nur drei Elemente ansprechen werde.
Erstens: eine Gründungsoffensive. Wir werden gemeinsam mit dem Handwerk den durch die Leipziger Beschlüsse eingeleiteten Liberalisierungsprozess fortführen
und wir werden Existenzgründer in der Gründungsphase
besser als bisher entlasten, beispielsweise durch die Freistellung von Bürokratie in den ersten drei, vier oder fünf
Jahren nach der Gründung, beispielsweise durch die Freistellung von Beiträgen an die Kammern des Handwerks,
der Industrie und der Dienstleistungen.
Zweitens. Wir werden den Abbau von Bürokratie mit
einem Masterplan „Bürokratieabbau“ vorantreiben.
Das heißt, wir werden unnötige bürokratische Hemmnisse
abbauen. Wir sind bereit, jeden Vorschlag zu überprüfen.
Wir haben alle Verbände, Organisationen und Institutionen in Deutschland angeschrieben und gebeten, uns bis
Ende dieses Jahres Vorschläge zu machen. Wir werden die
Realisierbarkeit jedes Vorschlags prüfen.
({19})
- Herr Kollege, das haben vor mir schon viele versucht, auch
die Bayerische Staatsregierung. Ich werde aber nicht müde
werden - das unterscheidet mich von vielen anderen - und
wir werden die Bürokratie Schritt für Schritt abbauen.
({20})
Übrigens - das nur aus meiner Erfahrung und aus meiner
Erinnerung -, die bayerische Bürokratie ist kräftiger als
die nordrhein-westfälische.
({21})
- Ja, sicher.
({22})
Sie ist auch teurer als die nordrhein-westfälische Bürokratie. Aber darüber unterhalten wir uns noch einmal extra.
Drittens. Wir werden versuchen, eine ausreichende Finanzierung und Förderung des Mittelstandes zu sichern.
Deshalb werden der Bundesfinanzminister und ich dazu
beitragen, dass die Kreditanstalt für Wiederaufbau und
die Deutsche Ausgleichsbank umgehend zusammengelegt werden
({23})
und dass so rasch wie möglich, das heißt in den nächsten
Tagen, die Wege zur Einrichtung einer Mittelstandsbank
des Bundes eingeschlagen werden,
({24})
sodass wir den Hausbanken ein vernünftiges Backing geben, also eine vernünftige Stärkung der Kreditvergabe zur
Förderung des Eigenkapitals in den kleinen und mittleren
Unternehmen.
({25})
Daneben werden wir die Fördermittel, die an den Mittelstand für Zukunftsinvestitionen in Forschung, Technologie und Innovationen fließen, im kommenden Jahr um
7 Prozent steigern.
Eines der wichtigsten wirtschaftlichen Standbeine in
Deutschland ist die Industrie. Wir unterstützen sie durch
zahlreiche Initiativen auf strategisch bedeutsamen industriellen Sektoren. Wo es nötig ist, da fördern wir auch, und
zwar erfolgreich. Beispielsweise ist die deutsche Luftund Raumfahrtindustrie inzwischen in der Lage, auf dem
Weltmarkt wettbewerbsfähige Produkte anzubieten. Wir
tragen dazu bei, dass der maritime Standort Deutschland
gesichert wird.
Wir werden künftig - das habe ich mir fest vorgenommen - noch energischer darauf hinwirken, dass vor allen
Dingen in Brüssel stärker auf die Belange der Industrie
und ihrer weltweiten Wettbewerbsfähigkeit Rücksicht genommen wird.
({26})
Das ist in der Vergangenheit nicht immer ausreichend der
Fall gewesen. Wir brauchen hierzulande, in Europa und
weltweit wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen, um
Deutschland als wettbewerbsfähigen Industriestandort
dauerhaft zu erhalten und zu stärken. Wir sind darauf
mehr als die meisten anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union angewiesen. Wir sind und bleiben ein Industriestandort.
Die weitere Liberalisierung der nationalen und europäischen Märkte für Strom und Gas im europäischen
Gleichschritt ist das gesamtwirtschaftlich wichtigste Anliegen unserer Energiepolitik. Wir werden unser System
aus privatrechtlichen Verbändevereinbarungen und staatlicher Kontrolle seitens der Kartellbehörden durch ein novelliertes Energiewirtschaftsgesetz noch schlagkräftiger
machen.
Nachdem wir der ostdeutschen Braunkohle zu wettbewerbsfähigen Strukturen verholfen haben - in Westdeutschland vollzieht die Braunkohleindustrie diesen Prozess selbst -, gilt es jetzt, die Finanzierung der deutschen
Steinkohle bis zum Jahr 2010 zu gestalten. Der Beitrag
aus dem Bundeshaushalt wird bis 2005 auf gut 2 Milliarden Euro absinken und sich auch danach weiter degressiv entwickeln. Um es klar zu sagen: Auch im Energiebereich müssen Subventionen weiter zurückgeführt und
auf das Maß beschränkt werden, das energiepolitisch und
ökonomisch vernünftig und wirtschafts- und finanzpolitisch vertretbar ist.
({27})
Zur strategischen Infrastruktur in Deutschland zählt
neben der Energie auch die Telekommunikation, à la
longue übrigens immer noch der Wachstumsmarkt par
excellence. Unsere Telekommunikationsinfrastruktur zählt
zu den wichtigsten Standortfaktoren Deutschlands. Wir
verfolgen unsere drei Schwerpunkte deshalb weiterhin
konsequent: Wettbewerb stärken, Innovationen fördern,
Verbraucher schützen und unterstützen. Im Jahr 2003
steht mit der Novellierung des Telekommunikationsrechts
die Stärkung des Wettbewerbs im Vordergrund, damit die
Nutzer auch weiterhin von Preissenkungen, Innovationen
und einem breiten Angebot an Telekommunikationsdiensten profitieren können.
Meine Damen und Herren, in Deutschland hängt jeder
dritte Arbeitsplatz vom Außenhandel ab; das ist hinlänglich bekannt. Erfolgreiche Wirtschaftspolitik für mehr
Wachstum und mehr Arbeitsplätze muss damit klare
außenwirtschaftliche Initiativen einschließen. Unsere
Außenwirtschaftsinitiative wird daher rasch kommen; ihr
Schwergewicht wird bei konkreten, schnell wirksamen
Maßnahmen liegen, die wiederum insbesondere dem Mittelstand zugute kommen, etwa indem wir die Beteiligung
von mittelständischen Unternehmen auf ausländischen
Messen in Europa und darüber hinaus fördern.
In unserer Außenwirtschaftspolitik wollen wir einem
Thema mehr Aufmerksamkeit schenken, dessen Chancen
und Potenziale nach meinem Eindruck nach wie vor unterschätzt werden. Ich meine die Erweiterung der Europäischen Union. Diese Erweiterung der Europäischen
Union um die mittel-, ost- und südosteuropäischen Staaten kann und muss der Kern einer großen europäischen
Wachstumsoffensive werden. Sie kann und muss zur Stärkung eines europäischen Binnenmarktes führen, der uns
unabhängiger von den Wechsellagen der Weltkonjunktur
machen kann.
({28})
Diese Erweiterung der Europäischen Union bietet die
große Chance, unsere soziale Marktwirtschaft zu einem
gleichwertigen Sozialmodell auch über den alten Kontinent hinaus zu machen. Die Rekonstruktion der sozialen
Marktwirtschaft auf europäischer Ebene ist eine außerordentliche historische Chance, vielleicht das große Projekt
der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Deutschland ist hier
in einer außerordentlich guten Ausgangsposition und die
neuen Länder in Deutschland haben dabei einen weiteren
klaren Standortvorteil. Diese historische Chance Deutschlands dürfen wir nicht verstreichen lassen.
({29})
Die zügige Beseitigung der Flutschäden in Ostdeutschland ist auf einem guten Weg, und zwar ohne dass damit
Abstriche bei den anderen Aufgaben der Initiative Aufbau Ost verbunden sind. Die Wirtschaftsförderung wird
auf hohem Niveau weitergeführt. Bei der Investitionsförderung setzen wir weiterhin auf die bewährten Instrumente, vor allem auf die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Das geschieht
übrigens in Übereinstimmung mit dem Sachverständigenrat, der die besondere Rolle dieser Gemeinschaftsaufgabe
für den Aufbau Ost betont hat.
Besonders vordringlich für die neuen Länder bleibt die
Stärkung der ostdeutschen Innovations- und Technologiepotenziale. Dieser Bereich muss weiterentwickelt werden; neue Unternehmen mit neuen wettbewerbsfähigen
Spitzentechnologien müssen entstehen. Die neuen Länder
werden deshalb maßgeblich an den Fördermitteln, die
dafür vorgesehen sind, teilhaben.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der neue Zuschnitt des Ministeriums, für das ich jetzt Verantwortung
trage, eröffnet aus meiner Sicht die Chance für eine moderne Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik. Es geht
auch um die Überwindung des Denkens in althergebrachten Kategorien und wohlvertrauten Lagern. Mir geht es
- um das deutlich zu sagen - um ein Politikverständnis,
das alle gesellschaftlichen Gruppen in die Mitverantwortung einzubeziehen versucht, in die Mitverantwortung für
die Konzeption der Reformen sowie die Umstrukturierung und Erneuerung unserer Volkswirtschaft und unseres
Sozialmodells. Das eröffnet die Chance, eine Stimmung
und Bereitschaft für Veränderungen zu schaffen, wie wir
sie in letzter Zeit vermissen.
In einer solchen Allianz für Erneuerung, wie ich es
nennen würde, müssen wir die umfassenden notwendigen
Reformen auf den Weg bringen, die, wie gesagt, nicht
überall und nicht immer schmerzfrei zu haben sind, die
manchmal, vor allen Dingen wenn es um Einschnitte im
sozialen Bereich geht, Schmerzen verursachen werden,
die aber notwendig sind, um unsere Volkswirtschaft weiterzuentwickeln und unserer Volkswirtschaft auch in Zukunft eine Spitzenposition zu verschaffen, und zwar sowohl auf dem Arbeitsmarkt als auch in der Entwicklung
neuer, moderner Technologien, eine Spitzenposition im
globalen Wettbewerb der Standorte, in dem Deutschland
die besten Chancen hat.
Diese Chancen gilt es zu sichern. Das werden wir tun.
Das war, ist und bleibt unser Ziel. Wer daran mitwirken
möchte, ist eingeladen. Ich glaube, dass wir die Phase des
Gegeneinanders überwinden müssen, wenn wir vorankommen wollen. Ich bin überzeugt, dass wir schon heute
Wolfgang Clement, Bundesminister
Wolfgang Clement, Bundesminister
den Beweis dafür antreten können. Meine Bitte und mein
Angebot ist, dass dies geschieht. Aber wir werden das nur
tun können ,wenn wir ohne irgendein schuldhaftes Zögern
handeln. Es muss gelingen und es wird gelingen, dass wir
mit den Reformen am Arbeitsmarkt zum 1. Januar 2003
beginnen. Zeitverzug ist nicht möglich, Gespräche und
bessere Vorschläge allemal.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({30})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Karl-Josef Laumann,
CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Clement, Sie
haben Ihre Rede mit der Aussage begonnen, dass die Situation in Deutschland, was Wirtschaft und Arbeit angeht,
mehr als ernst ist. Da haben Sie Recht. Wir haben eine Situation in diesem Land, in der allein in diesem Jahr voraussichtlich 42 000 Insolvenzen bei den Amtsgerichten angemeldet werden. 300 000 Menschen haben durch diese
Insolvenzen ihren Arbeitsplatz verloren. Wir haben gegenüber 1998 einen Rückgang der Zahl der Neugründungen
von Unternehmen in Deutschland in den neuen Ländern um
rund 85 Prozent, in den alten Ländern um circa 27 Prozent.
Wir haben gestern wieder einmal die neuen Arbeitslosenzahlen vernommen. Über 4 Millionen Menschen sind
ohne Arbeit. Aber was mich bei den gestern veröffentlichten Zahlen am meisten geschockt hat, ist die Tatsache,
dass bei uns im Land mittlerweile 472 000 junge Menschen unter 25 Jahren ohne Arbeit sind. Herr Minister, das
ist die höchste Jugendarbeitslosigkeit im November, seit
wir die Statistik im wiedervereinigten Deutschland führen.
({0})
Wenn man einmal genauer hinschaut - wir werden das
auch im Ausschuss tun -, ist meine erste Erkenntnis, zu
der ich den letzten 24 Stunden kommen konnte, dass es
jetzt auch gut ausgebildete junge Leute erwischt. Viele
Jahre war Jugendarbeitslosigkeit ein Problem von mangelndem Abschluss und von nicht genügender und nicht
qualifizierter Berufsausbildung. Jetzt trifft es Leute nach
den Gesellenprüfungen, nach einem gut abgeschlossenen
Studium. Das sollte uns, gerade wo wir den demographischen Aufbau unseres Landes kennen, nicht nur nachdenklich machen, sondern zum Handeln zwingen.
({1})
Herr Minister, ich bin der Meinung, dass Sie die Wochen, in denen Sie Verantwortung in diesem Haus tragen,
hätten nutzen können, um durch die Zusammenführung
der beiden Ministerien für Arbeit und Wirtschaft ein Symbol für eine andere, für eine mutigere Reformpolitik zu
setzen. Stattdessen sind Sie dabei - und haben es im Grunde
schon geschafft -, diesen Ansatz nicht hinzukriegen.
({2})
Ich will Ihnen auch sagen, warum Sie ihn nicht hingekriegt haben. Weil Sie bei der Umsetzung des HartzKonzeptes, des ersten großen Reformkonzeptes dieses
Ministeriums, Reformschritte nur so weit mitzugehen bereit waren, wie der Deutsche Gewerkschaftsbund in der
Lage war, sie aus seiner Sicht mitgehen zu können.
({3})
Damit haben Sie schon symbolisch an Durchsetzungskraft verloren, aber auch Hoffnungen, die mit der Zusammenführung dieser beiden Häuser verbunden waren,
schwer enttäuscht. Das führt natürlich dazu, dass sich die
Mutlosigkeit ausbreitet.
({4})
Ich mache Ihnen als jemand, der lange Mitglied einer
DGB-Gewerkschaft ist, nicht den Vorwurf, dass Sie mit
den Gewerkschaften sprechen. Natürlich müssen wir mit
dem DGB reden, natürlich muss man auch mit anderen
Verbänden reden. Aber der Unterschied zwischen Ihrer
Haltung in diesem Punkt und unserer Haltung ist: Wir dürfen unsere politischen Entscheidungen niemals von einem
Verband in Deutschland abhängig machen, und sei er
noch so groß. Dies ist entscheidend.
({5})
Jetzt kommen wir zur Umsetzung des Hartz-Konzepts.
Heute Nachmittag um 16 Uhr tagt der Vermittlungsausschuss. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass derjenige,
dessen Name mit diesem Konzept sehr verbunden ist, Herr
Hartz, jetzt, wo Sie, Herr Clement, das Kind ausgetragen
und geboren haben, schlicht und ergreifend die Anerkennung der Vaterschaft für dieses Kind verweigert, weil er erschrocken darüber ist, was Sie daraus gemacht haben.
({6})
Bei der Verabschiedung des Hartz-Konzepts haben Sie
von dieser Stelle aus gesagt, Sie würden zusammen mit
Herrn Hartz und Profis der Nation für mehr Beschäftigung mehr als 40 Veranstaltungen in Deutschland besuchen. Wenn ich den „Spiegel“ der vorletzten Woche
richtig gelesen habe, wird Herr Hartz an diesen 40 Veranstaltungen wohl nicht teilnehmen, denn er sagt: Ich kann
mit meinem Namen nicht für dieses Konzept eintreten, da
es so umgesetzt worden ist, dass es nicht die erwartete Beschäftigungswirkung entfalten wird.
({7})
Herr Clement, Sie wissen, dass das vor allen Dingen
damit zusammenhängt, wie Sie die Vorschläge zur Zeitarbeit umgesetzt haben. Sie haben heute gesagt: Die Opposition soll nicht nur kritisieren. Damit haben Sie Recht.
Wir müssen konstruktive Vorschläge machen. Wenn Sie
sagen, Sie seien gespannt, inwieweit wir bereit seien, jetzt
im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat
die Umsetzung des Hartz-Konzepts mitzutragen, muss ich
Ihnen die Gegenfrage stellen: Inwieweit sind Sie bereit,
auf die Positionen der Union, die alle in diesem Hause und
auch im Bundesrat auf dem Tisch liegen, einzugehen und
uns entgegenzukommen?
({8})
- Wir haben einen klaren Vorschlag gemacht, wie wir uns
die Regelungen zur Zeitarbeit in Deutschland vorstellen.
Wir wollen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz weitgehend abschaffen.
In einem Punkt vertreten wir eine andere Meinung als
Sie: Wir glauben nicht, dass man mit der Zeitarbeit den
Durchbruch für mehr Beschäftigung schafft, wenn für
diese vom ersten Tag an oder auch schon nach wenigen
Wochen die Tarifbedingungen gelten sollen, die für die
übrigen Mitarbeiter des Leihbetriebes gelten.
({9})
- Nach zwölf Monaten, wie es der jetzigen Lage entspricht.
Lassen Sie uns darüber reden, wo man sich treffen
kann. Sie wissen aber genauso gut wie ich, dass bei den
Bedingungen, die Sie jetzt festlegen, vor allen Dingen die
Nichtqualifizierten, die Langzeitarbeitslosen und die
Zeitarbeiter im Helferbereich vor die Hunde gehen werden. Damit treffen wir die Schwächsten in unserem Land.
({10})
Sie können mit uns über diesen Punkt reden. Es muss
nicht bei den zwölf Monaten bleiben, aber ganz sicher
bleibt es auch nicht dabei, dass die Tarifbedingungen ab
dem ersten Tag gelten, wie Sie dies vorgeschlagen haben.
Lassen Sie uns - auch in Absprache mit denjenigen, die
mit Zeitarbeit Erfahrung haben und wissen, wie weit man
gehen kann -, darüber reden, um eine Lösung zu finden
und den unterschiedlichen Interessen gerecht zu werden.
Sie haben gesagt: Wir brauchen Entbürokratisierung.
({11})
Richtig. Machen Sie doch Folgendes: Führen Sie den alten 630-Mark-Job auf 400-Euro-Basis - unkompliziert,
wie er war - mit der Pauschalsteuer in Höhe von 20 Prozent wieder ein.
({12})
Damit würde viel bürokratischer Aufwand wegfallen.
Wissen Sie, was Sie damit gleichzeitig erreichen würden? Sie haben - Gott sei Dank - Recht, wenn Sie sagen,
dass unsere Exportzahlen einigermaßen in Ordnung sind.
Dies macht aber umso deutlicher, dass unser Problem in
Deutschland die lahmende Binnenkonjunktur ist.
({13})
- Ja, ich sehe aber auch die Berichte des deutschen Einzelhandels mit den Umsatzzahlen für dieses Jahr. Ich sehe
die Berichte aus der Bauwirtschaft, die ja bekanntlich zur
inländischen Wirtschaft zählt.
({14})
Ich sage Ihnen: Würden wir diesen alten 630-Mark-Job
auf 400-Euro-Basis wieder einführen, würden wir dies bei
den Umsätzen im Einzelhandel - da bin ich mir ganz sicher - relativ schnell merken. Die Menschen sollen sich
nach ihrem Job durchaus noch ein paar Euro hinzuverdienen.
({15})
Für kleine Leute ist dies das Stückchen Wohlstand, dass
man sich auch gern einmal gönnt. Es ist auch die Wahrheit,
dass es bei uns in Deutschland viele Millionen Menschen
gibt, die gerne mehr Geld verdienen möchten, als sie in
ihrem Job verdienen. Weil sie aber vielleicht keine Karriere machen können, können sie nur dadurch mehr Geld
verdienen, dass sie mehr Stunden arbeiten. Das trifft auf
sehr viele Familienväter und -mütter zu. Warum sollen sie
nicht am Wochenende oder abends etwas hinzuverdienen,
weil sie beispielsweise - es ist eigentlich egal, wofür sie
das Geld konkret haben wollen - das Haus abbezahlen
oder sich ein schönes Auto anschaffen wollen?
({16})
Warum sollen sie nicht die Möglichkeit haben, einen solchen Job auszuüben? Dieses Geld würde sofort der Binnenkonjunktur zugute kommen. Menschen, die solche
Jobs machen, bringen das Geld mit Sicherheit nicht ins
Ausland.
({17})
Herr Clement, Sie kommen wie ich aus NordrheinWestfalen. Dieses Land hat traditionell sehr viel Schwerindustrie, die relativ viel Energie verbraucht. Ich habe einige Zeit auch in einer Gießerei gearbeitet. Deswegen habe
ich für diesen Bereich immer noch eine gewisse Affinität.
Ich habe mir einmal angeschaut, was die Ökosteuer
für die energieintensiven Betriebe bedeutet und habe das
für eine Aluminiumhütte mit einem Umsatz von 275 Millionen Euro und 640 Mitarbeitern konkret ausgerechnet.
Diese Firma muss aufgrund von Beschlüssen der Bundesregierung, der Sie angehören, 15,6 Millionen Euro an
Ökosteuer und Kosten für EEG und KWK zahlen. Das
sind 5,7 Prozent des Umsatzes.
Was für diese Aluminiumhütte gilt, gilt für jede Gießerei in Deutschland. Was für diese Aluminiumhütte gilt ich komme aus dem Münsterland -, gilt auch für die Textilindustrie. Weil in diesem Bereich modernste Maschinen
eingesetzt werden, entfallen auf die Fertigung der Produkte nur wenige Arbeitsstunden. Textilunternehmer in
meinem Wahlkreis sagen mir, dass es für sie schlimmer
ist, wenn der Strompreis steigt, als wenn die Beiträge zur
Sozialversicherung um einen halben Prozentpunkt steigen. Energiekosten sind nämlich heute in dieser Branche
ein großer Kostenfaktor.
Da frage ich mich: Wo war der Wirtschafts- und Arbeitsminister dieses Landes, als sich Ihre Kollegen am
Kabinettstisch so etwas ausgedacht haben?
({18})
Ich hätte mir gewünscht, dass Sie gerade in Ihrer Funktion
als Wirtschaftsminister gesagt hätten: Leute, so geht es nun
einmal nicht; es gibt energieintensive Industrien, in denen
sehr viele Menschen einen Arbeitsplatz haben eine solche
Vernichtung von Arbeitsplätzen in der energieintensiven
Industrie in diesem Land mache ich nicht mit.
({19})
- Aber es wird ab Januar passieren.
Überlegen Sie sich einmal, wie Sie unter den jetzigen
Bedingungen, wie sie durch die Ökosteuer gegeben sind,
noch die Chlorindustrie in Deutschland halten wollen! In
meinem Wahlkreis gibt es eine Firma, die in Zukunft - darauf könnte ich wetten - 40 bis 50 Kilometer entfernt in
Holland investieren wird, weil sie am Standort Deutschland mit diesen Energiekosten kein Chlor mehr produzieren kann. Sie wissen, dass man diese Produkte relativ
preisgünstig weit transportieren kann.
Ich hätte mir gewünscht, dass der Wirtschaftsminister
gesagt hätte: Nein, mit mir, Wolfgang Clement, dem
wichtigsten Mann für Wirtschaft und Arbeit in Deutschland, ist eine solche Steuer nicht möglich. Dann wären Sie
in der Tat ein Mann mit Rückgrat oder, wie man im Münsterland sagt, ein richtiger Kerl.
({20})
Ein weiterer Punkt. Wo war der Wirtschaftsminister,
als im Kabinett all die Veränderungen für die Bauwirtschaft beschlossen wurden? Es gab große Veränderungen
bei der Abschreibung im Mietwohnungsbau und vor allen
Dingen die Änderung bei der Eigenheimzulage. Sehr seriöse Vertreter der Bauwirtschaft sagen mir, dass sie glauben, dass diese Maßnahmen rund 250 000 Beschäftigten
in der Bauwirtschaft und im vor- und nachgelagerten Bereich, die heute noch Steuern und Beiträge zahlen, den Job
kosten werden. Sie sollten also aufpassen, dass Sie nicht
mehr kaputtmachen, als Sie mit der stümperhaften Umsetzung des Hartz-Konzeptes auf der anderen Seite erreichen. Das ist ein Punkt, bei dem man wirklich sehr wütend werden kann. Wieder hat man von Wolfgang
Clement, dem Minister für Wirtschaft und Arbeit, nichts
gehört, als am Kabinettstisch diese Maßnahmen beschlossen wurden.
({21})
Sie haben schon Recht: Die Reformen, die vor uns liegen und von denen viele von uns wissen, dass wir sie
durchsetzen müssen, werden schmerzhaft sein. Sie werden vor allem deswegen schwer durchzusetzen sein - das
ist meine Erfahrung aus zwölf Jahren Bundestag -, weil
die Verbandslobby in Deutschland in manchen Bereichen
mittlerweile nicht mehr das Gesamte sieht, sondern nur
ihre Einzelinteressen verfolgt. Damit muss sich jede Regierung, jeder Politiker herumschlagen.
Wir müssen doch ein Stück weit deregulieren. Warum
nehmen Sie nicht unsere Vorschläge auf? Wir schlagen ein
Optionsrecht beim Kündigungsschutz für ältere Arbeitslose vor. Viele Arbeitgeber, mit denen ich rede, wären
dann schon eher bereit, einmal einen Älteren einzustellen.
Es würde uns keinen einzigen Euro kosten, dies im Kündigungsschutzgesetz vorzusehen. Wenn wir dann nach
zwei, drei Jahren sehen sollten, dass das Auswirkungen
hat, die wir nicht bedacht haben, dann kann der Gesetzgeber das wieder ändern. Aber machen Sie das doch erst
einmal! Dann gucken wir, wie sich ein solches Optionsrecht mit einer im Gesetz festgelegten Abfindungsregelung auf den Arbeitsmarkt auswirkt. Wir glauben, dass das
eine Chance hat. Es kostet nichts. Machen wir es doch!
({22})
Herr Clement, wir müssen betriebliche Bündnisse für
Arbeit auf eine saubere rechtliche Grundlage stellen. Sie
wissen genauso gut wie ich, dass es diese Bündnisse für
Arbeit in vielen Betrieben gibt. Meistens funktionieren sie
auch, weil keiner klagt - und wo kein Kläger ist, ist bekanntlich kein Richter. Wenn ein Unternehmer aber eine
Rieseninvestition schultern muss, ist ein solches Bündnis
eine unzureichende Grundlage für die Kalkulation. Ein
guter Bankchef würde auf dieser Grundlage keinen Kredit
geben. Das Unternehmen würde beim Rating durchfallen.
Auch wir sind für Tarifverträge. Auch wir wissen, dass
Tarifverträge Gutes haben. Aber lasst uns doch einfach
gucken, wie man die Beschäftigungssicherung in Betrieben vernünftig und verantwortbar individuell regeln
kann! Wir werden Ihnen hierzu Vorschläge vorlegen. In
den Bundesrat hat die B-Seite Vorschläge eingebracht,
wie das - gegenüber den beiden Tarifvertragsparteien verantwortbar - zu lösen ist. Am Ende muss die Entscheidung im Betrieb auch einmal Vorrang gegenüber außerhalb des Betriebes entstandenen Entscheidungen der
Tarifvertragsparteien haben.
({23})
Eine verantwortbare Lösung ließe sich sowohl im Betriebsverfassungsgesetz als auch im Tarifvertragsgesetz
sehr wohl formulieren.
Ich glaube im Übrigen, dass das die Tarifverträge in
diesem Land sogar stabilisieren würde, weil man dann
nicht mehr aus dem Arbeitnehmerverband austreten
müsste, was heute viele aus wirtschaftlicher Not heraus
müssen. Warum machen wir das nicht?
({24})
Auch in einem anderen Bereich bräuchten Sie nur einen Federstrich zu machen: Schaffen Sie das Scheinselbstständigkeitsgesetz ab!
({25})
Weshalb interessieren wir uns als Staat dafür, ob ein
Selbstständiger einen, zwei, fünfzig oder hundert Kunden
hat? Das muss uns als Staat gar nicht interessieren. Mich
interessiert, ob der Mensch den Lebensunterhalt für sich
und seine Familie sowie seine soziale Sicherung bezahlen
kann. Wenn er das kann, ist es in Ordnung. Schaffen Sie
das Gesetz ab! Das kostet uns keinen einzigen Cent.
({26})
Machen Sie bei konkreten Überlegungen mit, was wir
tun können, damit Menschen im Niedriglohnbereich
netto mehr nach Hause bringen! Der Nettolohn muss
deutlich höher als der Sozialhilfeanspruch sein. Ein Arbeitender muss sich mehr kaufen können als ein Sozialhilfeempfänger. Das muss eine Grundphilosophie im Volk
sein. Schon die Kinder in der Schule müssen wissen, dass
das Leben so funktioniert.
Wir haben einen degressiven Sozialversicherungsbeitrag vorgeschlagen. Über die Frage, bis zu welchem Stundenlohn und welcher Lohnsumme der gelten soll, kann
man reden. Auch ich weiß, dass man mit Einnahmeausfällen bei den Sozialkassen rechnen muss.
({27})
- Dann rechnen Sie doch einmal in Ihrem Ministerium;
greifen Sie die Grundidee auf und setzen Sie sie um! - Ich
glaube, wir könnten in unserem Land bezüglich der Binnennachfrage, der Binnenkonjunktur eine Menge erreichen.
({28})
Wenn Sie die Politik so angehen würden und bei Ihren
Reden nicht immer nur die Opposition aufforderten, Ihren
Vorschlägen, an denen Sie kein Punkt und Komma ändern
wollen, zu folgen, sondern auch unsere Vorschläge aufgreifen würden, könnten wir das richtige Signal für eine
Erneuerung setzen. Die Menschen wissen schließlich, wie
ernst die Lage in unserem Land ist. Das erklärt auch ihr
Verhalten - sie benehmen sich im Grunde ganz vernünftig, indem sie vorsichtig sind und ihr Geld beieinander
halten -, das uns natürlich Probleme macht.
Ich bin fest davon überzeugt: Wenn man die politischen
Entscheidungen Schritt für Schritt in Richtung Deregulierung, mehr Eigenverantwortung, Bürokratieabbau und
mehr Spielräume für die Kleinen umsetzen würde, dann
könnten wir das Schiff wieder flottmachen und Rücklagen
für schwere Zeiten bilden; denn wir leben in einem
großartigen Land. Unser Job ist es, die richtigen Entscheidungen für unser Land zu treffen.
({29})
Wir als Opposition müssen dabei sagen, wo Sie nach
unserer Meinung in die falsche Richtung gehen: bei der
Ökosteuer, bei den Betrieben, die viel Energie verbrauchen, bei den 41 Vorschlägen, mehr Geld in diesem Land
abzukassieren. Hier gehen Sie in die falsche Richtung.
Mit einigen Ihrer Ansätze gehen Sie in die richtige
Richtung. Aber nehmen Sie unsere Anträge auf! Ich bin
sicher, dass es dann für die Menschen in unserem Land
wieder eine gute Zeit geben wird. Es steht nirgendwo geschrieben, dass Deutschland auf Dauer der Letzte in Europa bleiben muss.
Schönen Dank.
({30})
Bevor ich das Wort an die nächste Rednerin gebe,
möchte ich Folgendes feststellen: Herr Minister Clement,
das Zwischenrufen ist ein Vorrecht der Abgeordneten. Die
Regierungsmitglieder müssen zuhören.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Thea Dückert.
Auch wir haben Vorrechte.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir reden heute über den Haushalt, das heißt, wir reden
über die Zukunftsfähigkeit unseres Landes und über das,
was wir in den nächsten Jahren machen wollen. Der Kollege Laumann hat natürlich Recht: Das größte Problem
für die Haushaltsentwicklung ist die Massenarbeitslosigkeit. Die Zahlen, die uns gestern vorgelegt wurden, sind
wirklich nicht zufriedenstellend. Das gilt vor allem für
den Bereich der Jugendarbeitslosigkeit.
Darum gilt es, Herr Laumann, Instrumente wie das
JUMP-Programm für jugendliche Arbeitslose fortzuführen. Wir müssen auch die Hartz-Vorschläge umsetzen,
und zwar zum 1. Januar 2003.
Genau hier liegt das Problem. Wenn es an die Umsetzung unserer Vorschläge geht, macht sich Herr Laumann
Sorgen, weil er meint, dass Herr Hartz die Vaterschaft seines Projektes etwas kritisch sieht. Ich sage Ihnen - das
kann ich als Frau aus großer Überzeugung tun -: Die Erfahrung zeigt, dass sich Kinder, die von ihren Vätern kritisch angeschaut werden, sehr propper entwickeln können. Wenn es uns gelingen wird, die Hartz-Vorschläge so
umzusetzen, wie sie eingebracht wurden, glaube ich, dass
im nächsten Jahr plötzlich mehrere Väter auftauchen werden, die die Vaterschaft für dieses Kind übernehmen wollen. Das kennen wir schon.
({0})
Einer, der für Sie Stichwortgeber bei den Reformen
insgesamt und natürlich auch im Zusammenhang mit dem
Hartz-Konzept ist, ist heute nicht da. Das ist Herr Koch.
Für Sie sind ja die Ministerpräsidenten sowieso eher
Stichwortgeber als Ihre eigene Fraktion. Ich habe Ihnen
einige Ausführungen von Herrn Koch mitgebracht, damit
daraus in dieser Debatte ein wenig zitiert werden kann.
Ich finde es nämlich sehr interessant. Wir reden hier
darüber, dass wir in einer schwierigen Situation sind. Wir
müssen die Haushalte konsolidieren, um zukunftsfähig zu
sein. Gleichzeitig müssen wir Reformen machen, um zukunftsfähig zu sein und die Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen. Da lesen wir dann Interessantes. Herr Koch
wurde zum Beispiel auf die von ihm selbst, aber auch von
seinem Umfeld organisierte Totalblockade angesprochen
oder darauf, dass Bürgerinnen und Bürger auf die Barrikaden gerufen werden oder dass der Kollege von der FDP,
Herr Gerhardt, die Finanzämter lahm legen will, um alles
das, was an Vorschlägen umgesetzt werden muss, unmöglich zu machen. Auf die Frage, ob es sich dabei um einen
maßvollen Umgang bei dem Versuch, Probleme zu lösen,
handele, antwortete er, das sei ein maßvoller Umgang. Er
verstieg sich sogar noch dazu, zu sagen, dass die heutige
Situation bzw. der Unmut der Bevölkerung, den man an
vielen Punkten nachvollziehen kann, bei Politikern, Historikern und Wissenschaftlern dazu geführt hat, kreative
Formen des Widerstandes oder der Äußerung zu entwickeln.
({1})
Ich sage Ihnen: Herr Koch entblödet sich nicht, eine
geistige Armut darzustellen, die er in Form politischer Armut fortführt. Auf eine weitere Frage antwortete er, Aufgabe der Regierung sei es, Konzepte vorzulegen. Die Opposition sage dazu Ja oder Nein.
Meine Damen und Herren, es tut mir furchtbar Leid:
Wenn wir hier darum ringen, mit welchen Instrumenten
wir ab dem 1. Januar 2003 in die Umsetzung gehen, dann
können wir vielleicht um Details streiten. Aber dann müssen auch Alternativen vorgelegt werden.
({2})
Es ist deutlich geworden, dass Herr Koch Ihr Anführer
bei dieser Art der Blockadepolitik sein will. Ich habe
große Sorge, ob das, was Herr Laumann hier ankündigt,
nämlich in den Auseinandersetzungen im Bundesrat
Kompromisse zu finden, überhaupt möglich ist. Nein, Sie
verstricken sich mit Hilfe von Herrn Koch in einer
Blockadepolitik, die uns überhaupt nicht weiterbringt.
({3})
Wir haben mit diesem Haushalt ein großes Problem;
das ist richtig. Wenn man sich das näher anschaut, dann
sieht man das sehr genau. Wir haben hohe Belastungen bei
den Zinsausgaben. Das heißt, wir dürfen nicht weiter in
die Verschuldung gehen. Nichts anderes aber wird von Ihnen immer wieder vorgeschlagen. Wir haben auch hohe
Belastungen bei den Sozialausgaben, zum Beispiel bei
den Zuschüssen für die Rentenversicherung. Die derzeitigen Belastungen liegen bei Zinsen und Renten zusammen
bei über 57 Prozent. Das ist natürlich ein Päckchen, das
uns aufgibt, nicht nur die Reformen am Arbeitsmarkt auf
den Weg zu bringen, sondern gleichzeitig eine Konsolidierung der Haushalte und eine Reform der sozialen Sicherungssysteme vorzunehmen. Wenn wir diese zusätzlichen Lasten in Zukunft nicht reduzieren, werden wir
nicht handlungsfähig sein.
Im Wirtschaftshaushalt wird genau dieses getan. Es
wird konsolidiert. Zum Beispiel im Bereich der Bundesanstalt für Arbeit und der Arbeitsmarktpolitik werden wir
7 Milliarden Euro einsparen. Das ist schmerzlich, weil
hierdurch die Arbeitslosenhilfe betroffen sein wird, indem
die Einkommen stärker auf die Arbeitslosenhilfe angerechnet werden. Einsparungen sind schwierig, weil wir
gleichzeitig Reformen, das heißt Effizienzsteigerungen in
der Arbeitsmarktpolitik bzw. eine Verkürzung der Dauer
von Arbeitslosigkeit, auf den Weg bringen. Das ist aber
genau das Rezept: Reformen und Einsparen, Konsolidieren und Einsparen. Sonst werden wir in der Zukunft nichts
auf die Reihe bringen.
Ich sage Ihnen eines: Lassen Sie sich nicht ein auf dieses Blockadesüppchen, das Ihnen da der Herr Wulff kocht
({4})
bzw. das Ihnen da der Herr Koch mit Hilfe von Herrn
Wulff kocht; das wollte ich eigentlich sagen. Der Koch
kocht und der Wulff würzt schlecht dazu.
Wir haben Anfang dieser Woche gehört, dass Sie nun offenbar die Erkenntnis erreicht hat, dass Sie selbst Konzepte
vorschlagen müssen. Herr Wulff hat jetzt zehn Punkte
in die Debatte gebracht. Ich habe nicht die Zeit, auf diese
zehn Punkte einzugehen. Ich muss Ihnen nur sagen: Ich
habe sie mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Ich hatte
angenommen, dass jetzt etwas kommen würde, aber da
hat der Berg gekreißt und gebar eine Maus. Es kam das
heraus, was uns Herr Laumann soeben schmackhaft zu
machen versuchte, zum Beispiel bei der Deregulierung
der Zeitarbeit.
Meine Damen und Herren, wir gehen bei der Deregulierung der Zeitarbeit sehr viel weiter als all das, was Sie
jemals vorgeschlagen haben, weil wir der Ansicht sind,
dass gerade die Zeitarbeit genutzt werden muss, um Langzeitarbeitslose wieder in den ersten Arbeitsmarkt hineinzubringen, und zwar in dem Maße, wie es uns unsere
Nachbarländer schon längst vorgemacht haben, beispielsweise die Niederlande.
Es ist mutlos, was Sie an dieser Stelle vorschlagen.
Nun kaprizieren Sie sich auf die Personal-Service-Agenturen und auf die Frage, ob es Einstiegstarife für Langzeitarbeitslose geben wird. Ich möchte Ihnen dazu nur sagen: Es ist ein Scheingefecht, was Sie hier abziehen. Sie
wissen ganz genau, dass sowohl in der Hartz-Kommission
wie auch danach die Erkenntnis, dass es Einstiegstarife
für Langzeitarbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt über
Zeitarbeit geben muss, längst Platz gegriffen hat und dass
mittlerweile auch die Gewerkschaften und die Zeitarbeitsfirmen darüber diskutieren. Es ist im Grunde völlig
egal, ob wir das in das Gesetz schreiben. An dieser Stelle
den Tarifparteien das notwendige Vertrauen entgegenzubringen und ihnen die Aufgabe zu stellen, dieses Problem
zu lösen, darin kann ich nun überhaupt keinen Staatsinterventionismus oder eine falsche Arbeitsmarktpolitik
erkennen. Das heißt vielmehr, die Arbeitsmarktpartner
hier im Lande ernst zu nehmen.
Meine Damen und Herren, alles das, was Sie im Zusammenhang mit der Blockade des Hartz-Konzeptes, die
Sie offenbar vorhaben, vorschlagen, ist wirklich recht
kurz gesprungen, ebenso die Vorschläge, die Sie zum Beispiel zur Ich-AG vorgebracht haben. Sie haben sich gar
nicht dazu geäußert, sondern wollen einfach das Scheinselbstständigengesetz streichen. Ich kann Ihnen nur sagen: Sie haben nicht begriffen, worüber wir hier reden.
Wir reden hier über ganz unterschiedliche Personen und
Arbeitsbereiche. Wir reden hier nicht über Leute, die
schon jetzt in der Scheinselbstständigkeit angemeldet
sind und übrigens auch Sozialabgaben abführen - das ist
gut so -, sondern wir reden über Schwarzarbeit, über
kleine handwerkliche Tätigkeiten, die heute im Rahmen
von Schwarzarbeit erledigt werden und die wir dort herausholen wollen. Sie haben an dieser Stelle einfach nicht
den Mut, so viel Veränderungsbereitschaft aufzubringen,
weil Sie nicht an die Lockerung der Handwerksrolle und
des Meisterzwanges heranwollen. Das ist doch der wirkliche Hintergrund.
({5})
Sie verteidigen an dieser Stelle vorsintflutliche Regelungen in der Ökonomie und am Arbeitsmarkt mit dem
Etikett:
({6})
Streichen wir die Scheinselbstständigkeit und lassen wir
die Ich-AG! Ich sage Ihnen: Wir werden die Ich-AG und
die Minijobs brauchen, um Schwarzarbeit in legale Beschäftigung zu überführen.
Meine Damen und Herren, viele Punkte werden wir
mit dem Hartz-Gesetz angehen. Es sind innovative
Punkte. Man kann über vieles reden. Sie machen Vorschläge im Detail. Ich würde sagen: Es ist oft Flickschusterei. Aber wenn es Ihnen dann gelingt, an dieser Stelle
mitzutun - denn wir brauchen diese Gesetze -, kann man
auch über Einzelpunkte reden. Das sage ich Ihnen hier,
weil es uns wichtig ist, die Massenarbeitslosigkeit in diesem Land auf die Hörner zu nehmen, weil es uns wichtig
ist, die Schwarzarbeit zu bekämpfen, weil es uns wichtig
ist, das Konzept „Fördern und Fordern“ endlich auf den
Weg zu bringen. Deswegen: Machen Sie mit! Wir können
an vielen Stellen miteinander reden.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rainer Brüderle,
FDP.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Clement, Sie haben als Beleg für Ihre Einschätzung der Situation das World Economic Forum zitiert. Das weist aber
auch ausdrücklich darauf hin - Sie haben das nicht erwähnt -, dass die Unternehmen besser sind als die Wirtschaftspolitik in Deutschland, und sieht die große Gefahr,
dass das Wachstumspotenzial der deutschen Unternehmen
zunehmend im Ausland zum Tragen kommt, weil es im Inland nicht stimmt. Das gehört der Redlichkeit halber dazu.
({0})
In diesen Tagen ist viel die Rede von der Verrohung der
politischen Kultur, die allerdings immer nur beim politischen Gegner zu finden ist. Der Kanzler spricht von der
„Diffamierung durch die Opposition“. Der Bundesfinanzminister wirft der Opposition „dauerhaftes Miesmachen
des Standortes“ vor. Dies entbehrt nun wirklich nicht einer großen Ironie. Genau dieser Bundesfinanzminister hat
am Dienstag dieser Woche die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes feststellen müssen. Genau
dieser Bundesfinanzminister musste zugeben, dass das
Viereck aus stetigem und angemessenem Wachstum, hohem Beschäftigungsgrad, Preisstabilität und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht aus den Fugen geraten ist.
Das angebliche Zerrbild ist leider Realität und amtlich bestätigt worden. Mit der Feststellung der gesamtwirtschaftlichen Störung ist der permanente Vorwurf der
Miesmacherei entkräftet worden.
({1})
Ich hoffe, dass wir in diesem Haus nun, erstmals seit
drei Jahren, wenigstens in der Beurteilung der Situation
übereinstimmen. Die Gefahr eines Double Dip, die Gefahr einer nochmaligen Rezession, ist nicht von der Hand
zu weisen. Ich wünsche mir eine solche Situation nicht,
verweise aber auf die Beurteilung durch die Deutsche
Bank, die schon von der Rezession spricht.
Die Regierung hat die Störung der Volkswirtschaft mit
ihrem Nachtragshaushalt amtlich bestätigt. Wir können
das sehr einfach anpacken. Die 20 Punkte des Sachverständigenrates sind eine hervorragende Grundlage.
({2})
Herr Clement, die erneute Rezessionsgefahr wird im
Haushalt unzureichend berücksichtigt. Sie gehen weiter
von einem Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent und von
3,8 Millionen Arbeitslosen aus. Der Sachverständigenrat
spricht von 1 Prozent Wachstum und von mehr als 4 Millionen Arbeitslosen. Über die Entwicklung der Arbeitslosigkeit schweigt die Bundesregierung. Die Massenarbeitslosigkeit ist das Haushaltsrisiko Nummer eins.
({3})
Der höchste Anstieg der Arbeitslosigkeit im November im
Vergleich zum Vorjahr seit der Wiedervereinigung belegt
dies.
Vorsorge haben Sie für dieses Risiko nicht getroffen.
Die Bundesanstalt für Arbeit soll nächstes Jahr ohne Bundeszuschuss auskommen. In diesem Jahr haben Sie 5 Milliarden Euro überwiesen. Nachdem Sie schon kein Geld
mehr überweisen wollen, wollen Sie durch das HartzKonzept zusätzlich noch 3,8 Milliarden Euro einsparen.
Sie haben die Mittel für die Arbeitslosenhilfe im Haushalt
von 14,8 Milliarden Euro auf 12,3 Milliarden Euro
gekürzt.
({4})
Sie haben in den vergangenen drei Jahren jeweils im
Durchschnitt 1,3 Milliarden Euro mehr zuschießen müssen, als eingeplant.
Der Haushalt ist in seinen Ansätzen nicht redlich.
({5})
Sie werden mit diesen Haushaltsansätzen - das ist der
Vorwurf - nicht über die Runden kommen. Der Sachverständigenrat geht von 4,1 Millionen Arbeitslosen aus.
Herr Clement, ich respektiere Ihren Ehrgeiz, die Arbeitsmarktprognosen der Wirtschaftsweisen zu widerlegen, doch allein mit Hartz und Weichspülen werden Sie es
nicht schaffen. Selbst wenn Sie das noch einmal im Französischen Dom inszenieren, werden Sie es nicht schaffen.
Sie müssen an die Strukturen heran. Das Hartz-Konzept
kann im besten Fall die Vermittlungstätigkeit verbessern.
Das Arbeitsplatzangebot wird dadurch nicht erhöht.
({6})
Mehr Erwerbstätigkeit bekommen Sie nur durch mehr
Wachstum und mehr Flexibilität. Beides fehlt in Deutschland.
Der Sachverständigenrat hat in der Tat eine Reihe guter
Vorschläge gemacht. Sie müssen das Tarifkartell ein Stück
aufbrechen.
({7})
Sie werden ohne verstärkte Leistungsanreize nicht vorankommen. Das ist nicht bequem, aber es ist notwendig. Die
Vorschläge der Wirtschaftsweisen wurden auch von immerhin drei SPD-Mitgliedern erarbeitet. Es sind doch
auch Leute von Ihnen im Sachverständigenrat. Ich habe
nichts gegen diese Leute. Nehmen Sie sie wenigstens
ernst!
({8})
Ich zähle die Sachverständigen zu den vernünftigen Leuten; Herrn Gerster und Sie, Herr Clement, natürlich auch.
Aber Sie müssen machen, was Sie sagen!
Mit Ihrer Allianz für Erneuerung und Bürokratieabbau
haben Sie Recht. Setzen Sie es doch um! Wir hören schon
seit vier Jahren, dass sich da etwas ändern soll. Wir, die
FDP-Bundestagsfraktion, haben 28 konkrete Vorschläge
im Plenum eingebracht: zur Bauabzugsteuer, zum Scheinselbstständigengesetz, zur Freigabe der Ladenschlusszeiten usw. Die Umsetzung kostet keinen Pfennig, aber
hilft ein Stück. Machen Sie es doch, und zwar nicht nur
häppchenweise!
({9})
Notfalls müssen Sie Vorschläge über die Bundesregierung
vorlegen, wenn über den Vorschlägen nicht FDP stehen
darf. Machen Sie das! Wir wollen keine Urheberrechtsabgabe. Der Mittelstand wartet dringend darauf.
Die Regierung hat die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts festgestellt. Wir befinden uns damit
in der keynesianischen Situation von Unterbeschäftigung
mit Nullwachstum. Für eine solche Situation hat der
frühere SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller Art. 115
Grundgesetz und das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz
geschaffen. Schlagen Sie einmal bei Karl Schiller nach,
was er für eine derartige Situation, wie wir sie haben,
empfiehlt! Bei einer Störung des gesamtwirtschaftlichen
Gleichgewichts hat er Steuersenkungen empfohlen. Eine
Steuersenkung könnten Sie sogar über Rechtsverordnungen vornehmen; dafür brauchten Sie keine neuen Gesetze.
Aber Sie machen das Gegenteil: Statt Karl Schiller zu
folgen und Steuern zu senken, schlagen Sie Steuern drauf
und wundern sich, warum die Lage nicht besser wird.
({10})
Das kostümieren Sie als Abbau von Steuerprivilegien. In
Wahrheit sind das aber Steuererhöhungen. Das Nettogehalt eines Facharbeiters ist nun wahrlich kein Steuerprivileg. Durch das, was Sie auf den Weg bringen, entstehen
steuerliche Mehrbelastungen - das bedeutet eine Minderung von Kaufkraft und von Investitionen - in einer Höhe
von 17 Milliarden Euro pro Jahr.
Der versammelte volkswirtschaftliche Sachverstand
dieser Republik hält diesen Kurs für fatal. Die Konjunkturforscher schreiben in ihrem Herbstgutachten, das, was
in der Koalitionsvereinbarung zur Anhebung von Steuern
und Sozialabgaben stehe, sei das Gegenteil dessen, was
wachstumspolitisch geboten sei. Das schreiben Ihre eigenen Sachverständigen. Selbst der „Spiegel“, der Ihnen
sehr wohl gesonnen ist, der Ihnen sehr nahe steht und der
wahrlich keine publizistische Hilfstruppe der Opposition
ist, titelt diese Woche: Steuerwahn.
({11})
Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Müntefering,
meinte, das sei noch nicht genug, wir sollten Konsumverzicht üben, denn der Staat brauche mehr Mittel. Das ist
eine traurige Sicht. Sollen die Kinder zu Weihnachten auf
ihren Fußball verzichten, damit einige Genossen von A 16
nach B 3 befördert werden können?
({12})
Braucht die Mutti zu Weihnachten kein Parfum, damit
Herr Gabriel noch mehr Geld für die nächste EXPO verbrennen kann? Soll die Omi auf ihre Heizdecke auf dem
Gabentisch verzichten, damit die öffentliche Verschwendung in Deutschland weitergeht? Das kann wahrlich nicht
die Lösung der Probleme in Deutschland sein.
({13})
Der Binnenkonsum lahmt seit Jahren. Hauptgrund für
die anhaltende Wachstumsschwäche ist eine Konsumschwäche in Deutschland, weil die Menschen kein Vertrauen in die Entwicklung dieses Landes haben. Sie wissen nicht, ob sie ihren Job und damit ihr Einkommen
behalten werden oder ob es nicht noch schlechter wird, ob
nicht auch sie ihren Arbeitsplatz und damit ihr Einkommen verlieren werden. Das Hochhalten der Staatsquote
- Vergleiche zeigen, dass alle Länder in Europa bei der
Staatsquote besser sind als wir - ist genau der falsche
Weg. Die Lösung ist, die Staatsquote abzusenken,
({14})
den Verbrauchern mehr Geld zu lassen, das sie dann ausgeben können, und ihnen Vertrauen zu geben. Sie müssen
eine ruhige Linie in die Politik hineinbringen. Der Staat
muss sparen, damit die Bürger Geld zum Ausgeben und
zum Investieren haben. Das ist die Lösung.
({15})
Sie haben angekündigt, Sie wollten die nächsten Landtagswahlen zu Richtungsentscheidungen für diesen Kurs
machen. Diese Herausforderung nehmen wir gerne an.
({16})
Wir werden gerne mit Ihnen darüber diskutieren, ob mehr
Staat und weniger Konsum die Voraussetzung ist, um die
Wirtschaft zu beleben. Wir werden gerne mit Ihnen darüber diskutieren, ob höhere Sozialbeiträge, höhere Lohnnebenkosten, gut sind für mehr Beschäftigung. Das ist
eine Steuer auf Arbeit, weil Arbeit dadurch verteuert wird.
Dadurch wird es weniger Arbeitsplätze geben.
({17})
Wir werden mit Ihnen gerne darüber diskutieren, ob mehr
soziale Marktwirtschaft oder mehr Staat der richtige Ansatz ist. Auf dem bisherigen Weg werden wir es nicht
schaffen.
Zurück zur politischen Kultur. Die Ergebnisse aller
Umfrageinstitute zeigen: Die Hälfte der Bevölkerung
traut den Parteien die Lösung der Probleme nicht mehr zu.
({18})
- Uns allen nicht! - Es ist höchste Zeit, eine Kurskorrektur vorzunehmen. Dafür muss die Kraft aufgebracht werden. Vielleicht sind wir uns in der Analyse in diesem Haus
einig. Vielleicht kommen wir auch bei den Lösungsansätzen ein Stück weiter voran. Viel Zeit haben wir nicht
mehr; die Uhr tickt. Sonst gleitet uns allen das, was wir
heute an politischen Strukturen haben, aus den Händen.
Vielen Dank.
({19})
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile,
möchte ich Ihnen zwei Abstimmungsergebnisse mitteilen.
Ich komme als Erstes zur Wahl der Mitglieder des Wahl-
ausschusses gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bun-
desverfassungsgericht: Abgegebene Stimmen 588, davon
gültig 587 - es ist also eine Stimme ungültig -, Enthaltun-
gen 6.1)
Von den gültigen Stimmen entfielen auf den Wahl-
vorschlag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen 300 Stimmen und auf den der Fraktionen von
CDU/CSU und FDP 281 Stimmen. Nach dem Höchst-
zahlverfahren von d’Hondt entfallen damit auf die Frak-
tionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sechs Mit-
glieder und auf die Fraktionen von CDU/CSU und FDP
auch sechs Mitglieder. Nach § 6 Abs. 2 des Gesetzes
über das Bundesverfassungsgericht sind die Mitglieder
in der Reihenfolge gewählt, in der ihr Name auf dem
Wahlvorschlag erscheint. Die Namen der gewählten
Mitglieder entnehmen Sie bitte den Drucksachen 15/140
und 15/141. - Dies waren die Ergebnisse aus dem ersten
Wahlprotokoll.
Die zweite Wahl betraf die Mitglieder des Parlamenta-
rischen Kontrollgremiums: Mitgliederzahl 603. Abgege-
bene Stimmen 587, davon gültig 585, keine Enthaltung,
aber zwei ungültige Stimmen.2) Von den gültigen Stimmen
entfielen auf den Abgeordneten Hermann Bachmaier 505,
den Abgeordneten Hans-Joachim Hacker 516, den Abgeordneten Volker Neumann ({0}) 474, die Abgeordnete Erika Simm 517, den Abgeordneten Hartmut Büttner
({1}) 505, den Abgeordneten Bernd Schmidbauer
449, den Abgeordneten Wolfgang Zeitlmann 460, den Abgeordneten Hans-Christian Ströbele 309 und den Abgeordneten Rainer Funke 520 Stimmen.
Diese neuen Abgeordneten haben die nach § 4 Abs. 3
des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes erforderliche
Mehrheit von 302 Stimmen erreicht. Sie sind damit als
Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums gewählt worden. Herzlichen Glückwunsch!
Jetzt machen wir in der Debatte weiter. Nun hat der Abgeordnete Ludwig Stiegler das Wort.
({2})
Meine Damen und Herren! Nachdem man den begabten Polemiker Brüderle, den Untergangspropheten, gehört
hat, fragt man sich: Wo war er eigentlich, als FDP und
CDU/CSU regiert haben? Er hat hier das Stabilitäts- und
Wachstumsgesetz beschworen. Wenn Sie danach gelebt
hätten, Herr Brüderle, dann hätten Sie eine Konjunkturausgleichsrücklage geschaffen, sodass wir heute aus dem
Vollen schöpfen könnten. Stattdessen haben uns
CDU/CSU und FDP eine Schuldenlast mit jährlich 40 Milliarden Euro Zinsen hinterlassen. Sie sind ständig auf der
Flucht vor Ihrer eigenen Vergangenheit.
({0})
Sie sind ständig dabei, die Verantwortung für vorangegangenes Tun abzuwälzen.
({1})
Sie beklagen die Höhe der Lohnnebenkosten, die Sie
selber in Ihrer Zeit hochgefahren haben. Sie beklagen den
gestiegenen Staatsanteil. Das sind wirklich wohlfeile Vorschläge. Wenn wir von Ihnen ein geordnetes Staatswesen
übernommen hätten, würden wir mit der derzeitigen wirtschaftlichen Krise spielend fertig werden.
({2})
16 Jahre lang hatten Sie Gelegenheit, Ihre wunderbaren
Vorschläge zu formulieren und umzusetzen. Hier treten Sie
wie der alte Cato mit seinem ewigen ceterum censeo auf.
({3})
Wo waren Sie denn in der Zeit, als Sie handeln konnten? Hören Sie mir mit diesen wohlfeilen Vorschlägen
auf, die mit der aktuellen Lage nichts zu tun haben! Hören
Sie zusammen mit den Schwarzen auf, schwarze Brühe in
die Wirtschaft zu gießen, wohingegen der Wirtschaftsminister mit Schwung und Tatkraft in die Glut bläst! Das ist
es, was wir jetzt brauchen: die Glut anzufachen und nicht
alles mit schwarzer Brühe zu übergießen.
({4})
Die Union hat lange Zeit nach dem Sonthofener Rezept
von Franz Josef Strauß gehandelt: Schwarzmalerei ist angesagt, man muss eine Hysterie auslösen. - Erst jetzt
kommen ein paar Vorschläge, mit denen ich mich auseinander setzen möchte. Stichwort: Gegensteuern statt
neuer Steuern! Die Union beginnt im ersten Absatz ihres
Konzeptes mit einer faustdicken Lüge.
({5})
So dumm können Ihre Referenten nicht sein, als dass
man das als Fahrlässigkeit abtun könnte. Sie schreiben:
1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 3
2) Namensliste der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 4
45 000 Unternehmen werden in diesem Jahr Konkurs
machen.
({6})
- Sie Hellseher! - Das Statistische Bundesamt meldet
21 000 Konkurse. Sie aber rechnen die Verbraucherinsolvenzen mit den Unternehmensinsolvenzen zusammen.
({7})
Sie sind dreiste Schwindler und Schwarzmaler, die den
Menschen Angst machen wollen. Sie sind Angstritter und
wollen davon zehren.
({8})
In Wahrheit verhält es sich anders: Wir haben den Verbrauchern die Möglichkeit geboten, sich von ihrer Verschuldung zu befreien. Die Verbraucher- und die Unternehmensinsolvenzen zusammenzuzählen ist ungehörig
und falsch. Bleiben Sie bei der Wahrheit, wenn Sie die
Leute schon pessimistisch einstimmen wollen!
({9})
Sie haben die Selbstständigenquote bejammert. Das
Statistische Bundesamt hat festgehalten, dass es 1998, als
Sie die Regierung abgeben mussten, 3 974 000 Selbstständige gab, denen im dritten Quartal 2002 4 099 000 Selbstständigen gegenüberstehen. Die Zahl der Selbstständigen
ist also derzeit höher als in Ihrer Regierungszeit. Wir haben inzwischen eine höhere Selbstständigenquote als die
Vereinigten Staaten. Wie passt das in Ihr Weltbild? Werfen Sie einen Blick in Ihre Bilanzen und machen Sie sich
endlich kundig, bevor Sie über andere herfallen!
({10})
Die Zahl der Arbeitnehmer betrug zu dem Zeitpunkt,
als Sie die Regierung abgeben mussten, 33 812 000.
({11})
Unter unserer Regierung beträgt die Zahl im dritten Quartal 2002 34 556 000.
({12})
Es schwindelt sich so schlecht, wenn man sich mit den
wahren Zahlen beschäftigt. Henri Nannen soll einmal gesagt haben: Jungs, recherchiert nicht so viel; es schreibt
sich dann so schlecht.
({13})
Daran erinnert mich Ihr Verhalten in diesem Zusammenhang. Hören Sie auf, die Situation in diesem Land wahrheitswidrig schwarz zu malen! Sie sollten jetzt aufhören,
beleidigt zu sein, weil Sie nicht gewählt worden sind. Sie
sollten vielmehr dazu übergehen, mit uns ordentlich zusammenzuarbeiten.
({14})
Wenn ich mich in Ihrem Papier weiter voranhangele
- ich mache das mit Freude -, komme ich zu Ihrer Feststellung, die strukturellen Verkrustungen des Arbeitsmarkts seien aufzubrechen. Da Sie die 16 Jahre vor uns regiert haben, frage ich mich, wer dafür die Verantwortung
trägt; aber ich will an dieser Stelle gnädig sein. Wir haben
jedenfalls mit der Hartz-Kommission die notwendigen
Entscheidungen getroffen und Möglichkeiten geschaffen,
Fortschritte zu erzielen.
Herr Kollege Stiegler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schauerte?
({0})
Wenn sich meine Redezeit dadurch nicht verkürzt.
Die Redezeit wird natürlich gestoppt.
Herr Schauerte verursacht mir keinen Schauer.
Herr Kollege Stiegler, wir haben bisher eine sehr sachliche Diskussion geführt. Sie haben aber den schweren
Vorwurf erhoben, wir würden die Zahl der Insolvenzen
falsch berechnen. Gerade heute aber hat Creditreform
festgestellt, dass die Zahlen exorbitant angestiegen sind
und dass in diesem Jahr mit Sicherheit mehr als 40 000 Unternehmensinsolvenzen zu erwarten sind. Wie kommen
Sie dazu, von 21 000 Insolvenzen zu reden, also eine um
die Hälfte kleinere, falsche Zahl anzugeben, und uns den
Vorwurf der Lüge zu machen?
Ich halte mich an die Pressemitteilung des Statistischen
Bundesamts vom 22. November dieses Jahres.
({0})
Das Statistische Bundesamt veröffentlicht Zahlen,
während Creditreform Schätzungen veröffentlicht. Ihrer
Behauptung, die Zahl der Insolvenzen sei höher, ist entgegenzuhalten, dass es sich dabei um eine Prognose für
ein bis zwei Monate handelt. Mit dieser Prognose sollten
Sie nicht durch die Lande ziehen und die Leute verunsichern.
({1})
Man sollte nämlich nicht den schwarzen Teufel an die
Wand malen.
({2})
Sie wollen Nebenjobs von Steuern und Sozialabgaben
befreien. Ich sage Ihnen voraus, dass Sie anschließend
wieder über Ausfälle bei den Sozialversicherungsbeiträgen jammern werden. Sie wollen die Verdienstgrenze für
geringfügige Beschäftigungsverhältnisse anheben. Anschließend jammern Sie dann wieder, wenn die Sozialversicherungsbeiträge steigen. Allerdings räume ich ein,
dass wir über das eine oder andere reden können, wenn
zum 31. März der Bericht über die bisherigen Erfahrungen vorgelegt wird. Man kann aber nicht einerseits Beschäftigungsverhältnisse in großen Teilen sozialversicherungsfrei regeln und alle anderen die Lasten tragen lassen
und andererseits über die Lohnnebenkosten jammern. Sie
sollten in Ihrer Argumentation schon konsequent bleiben.
Wenn ich mir die Entwicklung der Scheinselbstständigkeit anschaue, dann stelle ich fest: Wir haben die alte
Tradition, die in Ihrer Regierungszeit eingerissen ist,
nämlich zum Beispiel einem LKW-Fahrer einen Lastwagen unterzujubeln, ihn mit Krediten zu belasten und so
sein Leben zu ruinieren, zu Recht beendet.
({3})
Sie schlagen des Weiteren laufend vor, die befristeten
Arbeitsverhältnisse auszuweiten. Aber gleichzeitig fordern Sie Verbrauchervertrauen. Wie kann man mit Arbeitnehmern, die in einem befristeten Beschäftigungsverhältnis
wie Tagelöhner arbeiten müssen - solche Arbeitnehmer
findet man in allen Generationen -, die Wirtschaft ankurbeln? Bei den 55-Jährigen möchte ich nur auf die Vorschläge der Hartz-Kommission verweisen.
Sie wollen den Menschen außerdem den Rechtsanspruch auf Teilzeit nehmen. Aber wir brauchen gerade in
Zukunft eine hohe Erwerbstätigenquote bei den Frauen.
Daher sollten wir mehr in ein intelligentes Personalmanagement und in die Qualifikation der Unternehmer inves-tieren, statt den Menschen die Spielräume zu nehmen.
Ein intelligentes Personalmanagement ist auch im deutschen Mittelstand möglich.
Die Potenziale der Zeitarbeit, die Sie uns zu nutzen
auffordern, erschließen wir mit dem Hartz-Konzept. Aber
im Gegensatz zu Ihnen werden wir die Menschen nicht für
vogelfrei erklären. Sie sollen vielmehr weiterhin einen tarifvertraglichen Schutz haben.
Wenn ich mir anschaue, was Sie über die betrieblichen
Bündnisse für Arbeit sagen, dann muss ich feststellen:
Sie wollen in der Tat die Unverbrüchlichkeit, die Unabdingbarkeit und die Unmittelbarkeit der Tarifverträge
wieder aufbrechen. Das ist zuallererst ein Verfassungsproblem; denn die Tarifvertragsfreiheit ist im Grundgesetz verankert. Außerdem spielt die Frage der Gleichbehandlung der Branchen eine wichtige Rolle. Ich bin ganz
erstaunt - ich habe das mit Freude im Gutachten des Sachverständigenrats gelesen -, dass ausgerechnet mein Freund
Professor Rürup massiv gegen das Aufbrechen der Tarifverträge zu Felde zieht und dass er uns die Friedensfunktion der Tarifverträge nahe zu bringen versucht. Ich sage
Ihnen - ich habe das in eigener Verantwortung x-mal erlebt -: Man kann zwar mit den Tarifpartnern Sanierungsverträge abschließen. Aber man muss dabei auch sicherstellen, dass die Arbeitnehmerinteressen gewahrt sind. Sie
wollen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern generell den tarifvertraglichen Schutz nehmen. Wir werden ihn
dagegen erhalten. Tarifverträge sind nämlich keine Empfehlungen. Sie gelten vielmehr unmittelbar und unabdingbar. Das ist eine Errungenschaft der deutschen Revolution von 1918, an der wir nicht rütteln lassen.
({4})
Wenn ich mir alle Ihre Vorschläge anschaue, dann muss
ich sagen: Die Menschen sind bei uns weiß Gott besser
aufgehoben.
Ich möchte jetzt auf die Hauptthemen zu sprechen
kommen. Die kleinen und mittleren Unternehmen haben
in der Tat ein Problem mit der Kapitalbeschaffung. Der
Minister hat - Gott sei Dank - die Gründung einer Mittelstandsbank angestoßen. Sie alleine wird die Probleme
sicherlich nicht lösen können. Aber sie wird eine wichtige
Rolle spielen.
({5})
- Ich hoffe, dass der Zentralbankrat heute die Leitzinsen
senkt. Dann werden die Kredite auch bei uns günstiger.
({6})
Wenn wir aber Zinssubventionen tätigen, dann schreien
Sie ja wieder, dass wir zu viel ausgäben. Ich sage Ihnen:
Die Konzeption der geplanten Mittelstandsbank ist okay.
Mit dem Programm „Kapital für Arbeit“ machen wir
einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Wir appellieren - das ist durchaus angebracht - an die deutschen
Banken, die Unternehmer, die auf der Grundlage dieses
Programms Kredite aufnehmen möchten, nicht einfach
abzuweisen. Es wird Ihnen sicherlich genauso gehen wie
mir: Jeden Tag kommen abgewiesene Unternehmer zu
mir und beklagen sich darüber, dass die Banken nicht mitmachten bzw. dass sie, wenn sie die Bundesmittel ausreichen, die Kreditlinien kürzten. So kann man mit einem
wichtigen Programm nicht umgehen. Wir erwarten, dass
die Banken dieses Programm ohne Vorbehalte umsetzen;
denn nur dann leisten sie einen Beitrag dazu, dass Kapital
und Arbeit wieder zusammengebracht werden.
({7})
Der Mittelstand leidet in anderen Bereichen in der Tat
unter einer Kreditkrise; denn in den glorreichen 16 Jahren
der CDU/CSU-FDP-Regierung ist die Eigenkapitalausstattung des deutschen Mittelstandes weggeschmolzen
wie der Schnee in der Sonne. Man müsste denken, dass in
Ihren paradiesischen Zeiten alle mittelständischen Betriebe Eigenkapital aufgebaut haben. Wer aber die Berichte der Deutschen Bundesbank liest, der weiß, dass der
deutsche Mittelstand aus tausenderlei Gründen nicht
genügend Eigenkapital hat. Jedenfalls hat er jetzt ein
schlechtes Rating und Probleme bei den Banken. Ich
finde, hier haben wir alle miteinander in Gesprächen mit
den Banken und mit den Beteiligten dafür zu sorgen, dass
die Unternehmensfinanzierung gelingt.
Ich möchte mich in dieser Legislaturperiode besonders
dafür einsetzen, dass regionale Beteiligungsgesellschaften eingerichtet werden. Die Leute sollen nicht an der
Börse spekulieren, sondern meinetwegen über die Ausgabe von Genussscheinen der Sparkassen und Genossenschaftsbanken Beteiligungskapital ansammeln, damit wir
unsere regionalen Unternehmen finanzieren können. Das
scheint mir ein ganz wichtiger Auftrag zu sein. Hier genügen nicht Exit-Orientierung oder Venturekapitalisten, die
im Grunde nicht nachhaltig im Mittelstand bleiben, sondern wir brauchen eine dauerhafte und solide Finanzierung der kleinen und mittleren Unternehmen.
({8})
Meine Damen und Herren, das Wichtigste ist aber jetzt,
dass wir den Menschen auch die positiven Zeichen vermitteln, nämlich Preisstabilität und die Tatsache, dass bei der
Nachfrage und bei den Geschäftsklimaindizes die Deutschen im europäischen Vergleich im Mittelbereich liegen.
Wir müssen den Menschen vermitteln, dass wir Probleme mit der Bewältigung der deutschen Einheit haben.
Der Aufbau Ost kostet viel Geld. Aber wir sagen Ja zu diesen Kosten. Diese Volkswirtschaft läuft eben mit einem
Rucksack herum.
({9})
Je früher wir den Aufbau Ost schultern, desto eher kommen wir in Fahrt. Darum werden wir die Förderung Ost
und die Investitionsförderung auf hohem Niveau halten.
Herr Brüderle, Sie sagten, der Haushalt sei zu optimistisch. Wir unterstützen Hans Eichel ausdrücklich aus konjunkturpolitischen Gründen, den Haushalt nicht auf pessimistischen Erwartungen aufzubauen,
({10})
damit zur Not die Stabilisatoren wirken können. Denn
wenn wir ihn auf Rand nähen würden, würden wir prozyklisch sparen. Wir wollen aber die Wachstumsspielräume
halten. Das sollten Sie nicht kritisieren. Sie sollten uns
vielmehr dabei unterstützen, meine Damen und Herren.
({11})
Es kommt in den nächsten Wochen und Monaten darauf
an, dass wir nicht ständig den Untergang beschwören,
sondern dass wir die Chancen sehen, die in dieser Entwicklung liegen.
In diesem Zusammenhang möchte ich Folgendes an
die Adresse der deutschen Wirtschaft sagen: Wenn es gut
läuft, klopfen sich alle Manager auf die Schulter und sagen: Wir sind tolle Hechte, sind innovativ und kreativ und
haben Aktienoptionspläne verdient. - Wenn es Schwierigkeiten gibt, war es jedoch der Staat. Diese Arbeitsteilung, meine Damen und Herren, kann nicht richtig sein.
({12})
Ich erinnere an den Sachverständigenrat, der deutlich gesagt
hat: Schwierige Zeiten sind gerade eine Bewährungsprobe
({13})
- Ernst, ich bin schon fertig; du kommst zu spät - für kreative Unternehmer. Hier zeigt sich, ob in den Kerlen etwas
steckt oder ob sie nur Schönwetterkapitäne sind. Wir erwarten von den wirtschaftlichen Eliten, dass sie sich von
Ihnen nicht in die Trübsal blasen lassen, sondern dass Sie
sich von Wolfgang Clement die Fanfare zum Aufbruch
blasen lassen. Das ist der Auftrag. Ich bin dankbar dafür,
dass wir einen Minister haben, der nicht Schamade
schlägt wie Sie, sondern die Fanfare bläst. Damit werden
wir erfolgreich sein.
({14})
Ich gebe Ihnen noch zwei Wahlergebnisse bekannt.
Ich beginne mit dem Ergebnis der Wahl der Mitglie-
der des Vertrauensgremiums gemäß § 10 a Abs. 2 der
Bundeshaushaltsordnung. Abgegebene Stimmen 587, da-
von gültig 587 Stimmen. Von den gültigen Stimmen ent-
fielen auf den Abgeordneten Klaus Hagemann 491 Stim-
men, auf die Abgeordnete Dr. Elke Leonhard 538
Stimmen, auf den Abgeordneten Gerhard Rübenkönig 505
Stimmen, auf den Abgeordneten Walter Schöler 486 Stim-
men, auf den Abgeordneten Dietrich Austermann 446
Stimmen, auf den Abgeordneten Manfred Carstens 503
Stimmen, auf den Abgeordneten Dr. Hans-Peter Uhl 475
Stimmen, auf die Abgeordnete Anja Hajduk 445 Stimmen
und auf den Abgeordneten Jürgen Koppelin 482 Stimmen.
Diese neun Abgeordneten haben die nach § 10 a Abs. 2
der Bundeshaushaltsordnung in Verbindung mit § 4 Abs. 3
des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nach-
richtendienstlicher Tätigkeit des Bundes erforderliche
Mehrheit von 302 Stimmen erreicht.1) Sie sind damit als
Mitglieder des Vertrauensgremiums gewählt. Herzlichen
Glückwunsch!
Ergebnis der Wahl der Mitglieder des Gremiums
gemäß § 4 a des Bundeswertpapierverwaltungsgeset-
zes: abgegebene Stimmen 588, davon gültig 588, Enthal-
tungen 3.2) Von den gültigen Stimmen entfielen auf den
Abgeordneten Bernhard Brinkmann 494 Stimmen, den
Abgeordneten Dr. Heinz Köhler 505 Stimmen, den Abge-
ordneten Walter Schöler 506 Stimmen, den Abgeordneten
Gunter Weißgerber 509 Stimmen, den Abgeordneten
Bartholomäus Kalb 501 Stimmen, den Abgeordneten
Steffen Kampeter 488 Stimmen, den Abgeordneten Klaus-
Peter Willsch 496 Stimmen, die Abgeordnete Antje
Hermenau 455 Stimmen und den Abgeordneten Dr. Günter
Rexrodt 471 Stimmen.
Diese neun Abgeordneten haben die erforderliche
Mehrheit von 302 Stimmen erreicht und sind damit als
Mitglieder des Gremiums gemäß § 4 a des Bundeswert-
papierverwaltungsgesetzes gewählt. Auch ihnen herzli-
chen Glückwunsch!
Weitere Wahlergebnisse habe ich nicht mehr bekannt
zu geben. Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort erhält
der Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel.
1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 6
2) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 5
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst
weise ich in aller Form den von der Abgeordneten
Dückert erhobenen Vorwurf strikt zurück, wir hätten im
Bereich der Arbeitsmarktpolitik eine Blockade vor. Gerade von denen, die von 1996 bis 1998 eine totale Blockadepolitik praktiziert haben, brauchen wir uns so etwas
nicht gefallen zu lassen.
({0})
Um das Verhandlungsklima entsprechend freundlich zu
gestalten, sollten Sie nicht von vornherein solche massiven Vorwürfe erheben.
Ein Zweites, Frau Kollegin Dückert: Ich habe gedacht,
ich höre nicht richtig, als Sie im Zusammenhang mit der
Handwerksordnung von vorsintflutlichen Regelungen gesprochen haben. Mit solchen Begriffen sollten Sie vorsichtig umgehen. Wer nämlich die Handwerksordnung so
durchlöchert, wie es sich jetzt anbahnt, der zerstört das
hohe Niveau unserer beruflichen Ausbildung, die wir
nicht auch noch aufs Spiel setzen wollen.
({1})
Herr Minister Clement, Sie sollten der Union dafür
dankbar sein, dass Sie hier als Superminister sitzen können. Schließlich war die Zusammenlegung der Kompetenzen für Wirtschaft und Arbeit eine Idee der Union im
Bundestagswahlkampf.
({2})
Wir haben allerdings die Sorge, dass Sie die sich daraus
ergebenden Chancen, Arbeit und Wirtschaft stärker zusammenzuführen sowie die Bedürfnisse der Wirtschaft
schneller zu erkennen, vertun werden; denn wir stellen
fest, dass Sie nicht nachhaltig genug gegen die Überregulierung des Arbeitsmarktes vorgehen,
({3})
dass die Subventionitis weitergeht und dass Sie vor allem
den gesamten Mittelstand weiterhin drangsalieren. Man
kann doch nicht auf der einen Seite die Bemessungsgrundlage für die Steuern weiter verbreitern und auf der
anderen Seite den Mittelstand nicht entlasten. Das kann
nicht gut gehen; vor allen Dingen kann es nicht zu einem
Wachstum von 1,5 Prozent führen, wie es hier prognostiziert wird.
({4})
Wir müssen hier einen anderen Weg gehen. Vor allem
müssen wir überall so sparsam wirtschaften, wie es nur
möglich ist. Als Haushälter nenne ich dafür ein Beispiel:
In den Jahren 2002 und 2003 schaffen Sie insgesamt
2 069 neue Vermittlerstellen bei der Bundesanstalt für
Arbeit. Die Öffentlichkeit glaubt natürlich, dass diese
Stellen aus dem Personalpool der Bundesanstalt für Arbeit
heraus geschaffen werden können, der annähernd
90 000 Mitarbeiter umfasst. Damit hat sie sich allerdings
getäuscht, meine Damen und Herren: Der Bundesanstalt
für Arbeit sollen Sachmittel weggenommen werden, damit zusätzliches Personal eingestellt werden kann. Keine
private Firma würde so arbeiten.
({5})
Jede private Firma würde diese Probleme aus der Substanz heraus lösen und nicht so, wie Sie dies tun. Ich kann
dazu nur sagen: Ein Schwabe hätte das sicherlich anders
gemacht.
({6})
- Ein Schwabe, auch ein Badener und natürlich noch andere.
Sie haben mittlerweile - Frau Kollegin Merkel hat das
von dieser Stelle aus gestern schon festgestellt - einen
ausgeprägten Tunnelblick. Ihr Fixierungspunkt scheint
die Statistik zu sein. Was die Statistik angeht, reichen Ihre
Vorstellungen am weitesten. Das habe ich nach dem sehr
gründlichen Studium der Hartz-Papiere festgestellt.
Im Jahr 2000 haben wir eine Fälschung im Bereich der
Statistiken schon einmal erlebt. Die damalige Neuregelung des 625-Mark-Gesetzes bewirkte - Hokuspokus eine Verbesserung der Arbeitslosenstatistik. Der Parlamentarische Staatssekretär Andres beantwortete eine Anfrage am 27. November 2000 mit folgenden Worten:
Durch den neuen Nenner der Berechnung verringert
sich das Niveau der Arbeitslosenquote um 0,4 Prozentpunkte.
Das ist eine „enorme“ Entlastung.
In diese Richtung geht es weiter. Die Umsetzung des
Hartz-Papiers auf der Grundlage der hier genannten Zahlen würde Folgendes bedeuten: Durch die Neuregelung
der Zahlung des Brückengeldes fallen 560 000 Menschen
und durch die Einrichtung der Personal-Service-Agenturen fallen 500 000 Menschen aus der Arbeitslosenstatistik. Die vorzunehmende Anpassung der in Deutschland
praktizierten Berechnungsweise der Arbeitslosenstatistik
an von der Europäischen Union vorgegebene Standards
bewirkt, dass 400 000 Menschen aus der Arbeitslosenstatistik herausfallen. Das heißt, es werden bald vielleicht
1,5 Millionen Arbeitslose weniger gezählt. Dieser Rückgang um ein Drittel ist zwar eine ganz tolle Leistung, aber
leider nur auf dem Papier.
({7})
In Deutschland kennt langsam jeder die Antwort auf
folgende Frage: Welche Farbe hat die Lüge? Die Lüge hat
die Farbe Rot-Grün und keine andere. Leider muss man
das hier feststellen.
({8})
Ich empfehle, der Hartz-Kommission einen neuen Namen zu geben. Sie sollte künftig „Sommer-Kommission“
heißen; denn niemand anders als der DGB-Vorsitzende
Sommer hat in Deutschland die Federführung inne. Sämtliche Veränderungen, die vorgenommen werden, zielen in
die von ihm vorgegebene Richtung.
Das Bundespresseamt hat gestern, vorgestern und heute Journalisten aus Brüssel auf Kosten des Steuerzahlers
eingeladen. Kein Wunder, dass außer Herrn Sommer kein
Vertreter einer entsprechenden Organisation - von den
Arbeitgebern keine Spur - auf dieser Veranstaltung mit
den Journalisten geredet hat; Herr Sommer war dort der
Hauptredner. Soweit ich weiß, hat auch von Ihnen jemand
an dieser Veranstaltung teilgenommen. Vielleicht übernehmen dann wenigstens Sie den Part, den eigentlich die
Arbeitgeber einnehmen müssten. Ich habe die Sorge, dass
deren Standpunkt dort nicht angemessen vertreten wird.
Aus dem Blickwinkel des Haushälters ist die Umsetzung der Vorschläge der Hartz-Kommission ganz problematisch. Wir haben zwar von schönen Zahlen gehört;
zur Organisationsreform, dem entscheidenden Punkt, hat
der Minister aber gar nichts Konkretes gesagt. Aus seinem
Hause hört man, diesbezüglich müssten noch Überarbeitungen stattfinden. Wir alle wissen, dass gerade das für
das Gelingen des Vorhabens entscheidend ist. Ein Modell
- zurzeit läuft das Ganze erst an - ist nicht einmal die
halbe Miete. Es handelt sich eher um ein Minus. Ich
meine, dass es überhaupt nicht gerechtfertigt ist, von den
bisher eingeleiteten Maßnahmen auf Einsparungen in der
Höhe, wie sie im nächsten Bundeshaushalt vorgesehen
sind, zu schließen. Das ist schlichtweg unseriös, Herr
Minister.
({9})
Ich möchte noch etwas zu den Obermoralisten bei den
Grünen und bei der SPD sagen. Wäre in der Zeit, in der
wir regierten, die Höhe des Arbeitslosengeldes und der
Arbeitslosenhilfe nicht mehr an die tariflichen Entwicklungen angepasst, sondern eingefroren worden, dann
wäre hier der Teufel los gewesen. Darüber hätte es wochenlang Diskussionen gegeben. Und auf einmal ist das
eine ganz vernünftige Sache. So ändert sich das, je nachdem, ob man in der Regierung oder in der Opposition ist.
({10})
Aber Sie haben immer so getan, als sei das eine Frage der
Glaubwürdigkeit. Sie haben mit der Armut und Ähnlichem argumentiert. Aber was ist heute mit diesen Themen? Nichts mehr!
Nehmen Sie das Wort „Armutsbekämpfung“ nicht
mehr in den Mund! Mit dem, was Sie jetzt machen, haben
Sie die Glaubwürdigkeit in diesem Bereich für ein und allemal verspielt. Die Leute haben Ihnen vertraut und sind
sehr enttäuscht worden. Das müssen wir hier in aller Deutlichkeit festhalten.
({11})
Meine Damen und Herren, die künftige Arbeitsmarktpolitik zahlt sich besonders für Softwareentwickler aus.
Die Umsetzung der Hartz-Vorschläge wird sich so auswirken, dass die Leute künftig schauen werden, welches
Programm ihnen gerade am meisten hilft, Zuschüsse zu
bekommen. Wer kann sich das leisten? Das sind die Großbetriebe. Ihre Politik geht wieder am Mittelstand vorbei.
Die Großen werden sich durch das Brückengeld und andere Maßnahmen das holen, was sie jetzt durch den Subventionsabbau einbüßen; das ist meine Prognose. Das
haben Sie zu verantworten. Am Ende des Jahres 2003
werden Sie sich hier hinstellen und sagen: Früher haben
wir uns hinsichtlich brutto und netto getäuscht, dann haben wir uns bei den Fuchs-Fahrzeugen getäuscht und
schließlich haben wir uns getäuscht, weil wir dachten, es
handelt sich um D-Mark und nicht um Euro.
({12})
Damit werden Sie die neue Verschuldung im Jahre 2003
begründen.
Meine Damen und Herren, aus diesem Grund müssen
wir dafür sorgen, dass mehr Realismus einkehrt und dass
Sie sich darauf besinnen, dass Sie im Jahr 2003 weitaus
höhere Ausgaben haben werden, als Sie uns jetzt darlegen. Das ist unseriös und deshalb kann dieser Haushalt
von uns nicht mitgetragen werden.
({13})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Werner Schulz,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einem
Punkt, Kollege Fuchtel, täuschen wir uns bestimmt nicht,
sondern haben möglicherweise Übereinstimmung: dass
die wirtschaftliche Lage in Deutschland alles andere als
rosig ist.
({0})
Ich glaube, da macht sich niemand etwas vor. Aber wenn
Sie in Ihrem Zehnpunkteprogramm schreiben, Deutschland erlebe die schlimmste Wirtschaftskrise seit dem
Zweiten Weltkrieg, dann täuschen Sie sich.
({1})
Eine wirkliche Krise können Sie in Argentinien sehen, eine
Rezession können Sie seit Jahren in Japan beobachten,
aber nicht in unserem Land. Ich weiß, Übertreibungen machen eine Sache anschaulich; das ist ein Mittel der Politik.
({2})
Ich bin sicherlich auch kein Feind von Polemik. - Davon
können Sie gern etwas abbekommen, wenn Sie noch einen Zwischenruf machen.
({3})
Aber die ist im Moment weniger gefragt. Wir laufen
zurzeit Gefahr, den Standort schlecht zu reden, dieses
Land niederzumachen. Dinge wie „DDR light“ und Ähnliches können wirklich nur Leute schreiben, die die DDR
nicht erlebt haben. Wir laufen Gefahr - darin sehe ich ein
Riesenproblem -, dass sich die allgemeine Politikverdrossenheit in Staatsverdrossenheit verwandelt und den
Wirtschaftsstandort auf diese Art und Weise beschädigt.
({4})
Sicherlich, alle Indikatoren deuten im Moment darauf
hin, dass wir die Wirtschaftsflaute so schnell nicht überwinden werden.
({5})
Ich befürchte, wir werden das auch nicht mit höherem
Wachstum allein schaffen, weil das Wachstum längst zum
Problem geworden ist. Wenn man sieht, dass die Wachstumsraten in den letzten zehn, zwölf Jahren im Durchschnitt nur bei 1,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes
lagen, dann sind Erwartungen von 3 Prozent einfach übertrieben. Wir sollten uns auf das Realistische konzentrieren.
Herr Koch hat dieser Tage einen bemerkenswert klugen Satz geschrieben: „Einen wirtschaftlichen Zusammenbruch gibt es nicht - höchstens die Enttäuschung
falscher Hoffnungen.“ Der Mann heißt allerdings Hannes
Koch und schreibt in der „taz“. Ich würde mir wünschen,
dass eine solche realistische Einschätzung auch bei Ihnen
eines Tages erfolgen wird.
Ich glaube, es hat auch wenig Sinn, wenn wir nur
gebannt auf die Konjunkturentwicklung in den USA
schauen. Wir müssen in Europa für Innovationen sorgen,
wir müssen unsere eigenen Möglichkeiten ausschöpfen.
Insofern bin ich froh, dass die Europäische Zentralbank
den Leitzins heute möglicherweise sehr deutlich senken
wird, etwa um 50 Basispunkte auf einen Schlüsselprozentsatz von 2,75. Das wäre ein deutliches Zeichen in einer schwachen Konjunktur, das Investitionsbereitschaft
und sicherlich auch den Konsum fördern wird - in einer
Situation, in der eher die Sparquote als der Konsum steigt.
Das hat mit Orientierungsschwierigkeiten zu tun, mit Unsicherheiten in einer solchen wirtschaftlichen Situation.
Das heißt, wir können in Europa durch Geldpolitik durchaus gegensteuern. Der nationalökonomische Rahmen ist
allerdings sehr begrenzt.
Hier wird, in den letzten Tagen häufig zu lesen, immer
wieder eine Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede erwartet.
Ich wusste nicht, dass der Sound von Blood, Sweat &
Tears im Nachhinein so viele Anhänger gefunden hat. Das
Merkwürdige ist nur, dass man Blut, Schweiß und Tränen
möglichst nicht im eigenen Gesicht sehen möchte, sondern immer bei den anderen, so wie der Subventionsabbau, wenn er einen selbst betrifft, abgelehnt wird, so wie
man den schlanken Staat fordert, aber dann im nächsten
Moment, wenn irgendwas nicht funktioniert - ({6})
- So wie diese Bänke hier im Plenum!
({7})
- Sie sehen, die Demokratie bricht an manchen Stellen
schon auseinander. Aber solange es nur die Frontbänke
der Koalition sind, ist das noch zu verschmerzen.
({8})
- Erste Wirkungen, allein durch Reden ausgelöst. Sie sehen, welche suggestiven Kräfte von diesem Podium ausgehen können. Scherz beiseite, weil die Lage viel zu ernst ist.
Bei all den Forderungen nach weniger Staat ist doch
verblüffend, dass man, wenn die privaten Banken ausfallen, vom Staat eine Mittelstandsoffensive und die Finanzierung erwartet. Wir werden diesen überbordenden
Erwartungen zum Teil nicht gerecht werden können, dennoch handeln wir. Der Bundeswirtschafts- und -arbeitsminister hat deutlich gesagt, dass das Projekt, das seit längerer Zeit angedacht ist, jetzt endlich verwirklicht wird,
dass wir die Deutsche Ausgleichsbank und die KfW zusammenbringen und damit eine kräftige Mittelstandsbank einrichten, die den Bedürfnissen des Mittelstandes
gerecht werden kann, der gerade im Zusammenhang mit
Basel II auf restriktive Kreditlinien stößt. Die Kreditlinien
wurden aufgekündigt, vielfach unbegründet, weil die
Bundesregierung sich in den Verhandlungen um Basel II
darum bemüht hat, dass man die Besonderheiten des internen Ratings, die wir in Deutschland haben, mit beachtet, dass Retail Portfolios mit eingebaut wurden, dass das
Granularitätsprinzip mit untergebracht wurde.
Das sind alles Fortschritte, die wir erreicht haben. Dazu
zählt beispielsweise auch, dass es in der EU ein Umdenken gibt und dass EU-Kommissar Frits Bolkestein die
EU-Eigenkapital-Finanzierungsrichtlinien auf den Weg
gebracht hat. Das sind doch Zeichen dafür, dass wir dem
Mittelstand helfen, aber das ist eben nur im europäischen
Gesamtrahmen zu erreichen. Hier ist die Bundesregierung
tätig und Sie sollten das anerkennen. Es hilft uns allen
nichts, wenn im Mittelstand Angst verbreitet wird.
({9})
- Die gefühlte Temperatur ist eine andere als die tatsächliche, aber Sie sollten nicht dazu beitragen, die Temperatur nach unten zu drücken, Herr Kolb. Ich meine, damit
tun Sie der deutschen Wirtschaft überhaupt keinen Gefallen. Ich glaube, auch Ihrer eigenen Partei nicht, denn man
erwartet auch von Ihnen mehr Optimismus. Den haben
Sie früher einmal ausgestrahlt. Ich kann allerdings verstehen, dass Sie sich momentan nicht in einer sehr optimistischen Lage befinden.
({10})
- Eben, das kann wieder besser werden. Springen Sie über
Ihren Schatten und helfen Sie den anderen mit, die Stimmungslage zu verbessern.
Ich glaube, das, was wir selber tun können, hat weniger mit Geld zu tun, sondern es hat viel mit gutem Willen
und mit politischen Anstrengungen zu tun. Das alles ist
unter dem Begriff „Bürokratieabbau“ zusammenzufassen. Wir haben in den letzten Jahren bereits an einem
großen Projekt für einen modernen Staat und eine moderne Verwaltung gearbeitet. Der Bundeswirtschaftsminister hat angekündigt, den Masterplan Bürokratieabbau
durchzuführen. Dazu erwarte ich allerdings auch von den
Verbänden, aus der Wirtschaft und aus der Industrie Vorschläge, welche bürokratischen Richtlinien und Regelungen denn abgebaut werden sollen. Wenn man danach
fragt, ist das, was zurückkommt, meistens sehr dürftig.
Werner Schulz ({11})
Werner Schulz ({12})
Die Experimentierklausel für Ostdeutschland, die
Helmut Schmidt gefordert hat, käme verspätet, denn wir
hätten sie schon 1990/91 während der großen Aufbaujahre gebraucht. Dann wäre möglicherweise vieles besser
und zügiger gegangen, obwohl auf dem Feld sicher auch
einiges gemacht worden ist. Ich denke an das Investitionsbeschleunigungsgesetz und dergleichen. Ich glaube,
man muss konkret werden, wenn man eine Experimentierklausel einführt und dafür eine Grundgesetzänderung
braucht. Da ist es nicht nur mit ein paar einfachen Baustandards getan. Die Vorschläge müssen schon Substanz
haben. Bisher fällt das, was die Ministerpräsidenten aus
den neuen Ländern dazu beigetragen haben, dürftig aus.
Den Bürokratieabbau sollten wir im Dialog mit der
Wirtschaft, mit der Industrie in Angriff nehmen. Dies ist
eine große Chance für unsere Wirtschaft.
Die Bundesregierung selbst - Sie haben dies heute
noch einmal deutlich gehört - will die Ausweitung der
Ladenöffnungszeiten. Das wird Dynamik bringen. Ich
glaube, dass wir auch das Gesetz gegen den unlauteren
Wettbewerb reformieren müssen. Sie wissen, wovon ich
rede. Sie, die FDP, haben jahrzehntelang versucht, die Ladenöffnungszeiten auszuweiten; Sie haben dies aber nie
geschafft.
({13})
Eher bricht Ihr Laden auseinander, als dass Sie es schaffen, die Ladenöffnungszeiten zu verändern. So ist das nun
einmal.
({14})
- Tut mir leid. Ich kenne die Tiraden von Bangemann über
Möllemann bis Rexrodt. Auf diesem Feld hat sich aber
nichts getan.
({15})
Wir gehen dies an und werden die Öffnungszeiten ausweiten. Dies ist in der jetzigen Situation, wo das Kaufverhalten, das Konsumverhalten eher zurückgegangen ist,
ein wichtiger Beitrag, um wieder Schwung in die Wirtschaft zu bringen. Dies ist ein innovatives Vorgehen, welches uns nicht viel Geld kostet.
({16})
Nutzen Sie das Angebot, das heute vom Wirtschaftsminister deutlich ausgesprochen worden ist! Gehen Sie
auf die Möglichkeiten, die wir Ihnen anbieten, ein! Arbeiten Sie mit uns zusammen! Lassen Sie diese Negativrhetorik, um den Standort herunterzuputzen!
Ich konzediere Ihnen, dass die Vorschläge, die Sie unterbreitet haben, natürlich ebenfalls Ansatzpunkte enthalten, über die man reden kann. Das ist keine Frage. Dazu
gehören etwa die 500-Euro-Jobs und deren Ausweitung
auf andere Bereiche. Bezüglich dieser Fragen signalisieren wir ebenfalls ein konstruktives Herangehen. Dies haben wir uns in der Koalition vorgenommen. Ich denke, bei
solchen Fragen sollte man zusammenkommen.
Das gilt auch für die betrieblichen Bündnisse für Arbeit. Zum Teil gibt es sie; zum Teil haben sie ein wirklich
neues Klima in den Betrieben und in unserer Volkswirtschaft geschaffen. Ich glaube, an vielem ist etwas dran.
Ich lese momentan mit wachsendem Interesse die Vorschläge von den Verbänden, vom BDI und vom ehemaligen BDI-Präsidenten Henkel. Es gibt eine Reihe von
Punkten, über die man sich verständigen kann. Aber auch
diese Regierung bietet Ihnen genügend an, auf das Sie eingehen sollten. Nur in konstruktiver Zusammenarbeit werden wir den Standort modernisieren und nicht, indem wir
gegeneinander arbeiten, uns gegenseitig profilieren und
die Brocken um die Ohren hauen. Dies wird uns nichts
bringen und zu nichts führen.
({17})
Nächster Redner ist der Kollege Dirk Niebel, FDPFraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich kann mich noch ganz gut daran erinnern, wie
Ihr Bundesfinanzminister die Störung des wirtschaftlichen Gleichgewichts hier hat feststellen lassen.
({0})
Nun versuchen Sie immer wieder, den Menschen in diesem Land zu erzählen, wir würden die Situation schlechtreden. Aber Sie machen doch die schlechte Politik, die
dazu führt, dass es so ist, wie es nun einmal ist, dass wir
Haushaltslöcher haben, dass die sozialen Sicherungssysteme kaum noch finanzierbar sind
({1})
und dass die Arbeitslosigkeit stetig weiter ansteigt. Wir
haben die höchste Novemberarbeitslosigkeit seit 1997.
Dies ist das Ergebnis Ihrer Politik und nicht des Handelns
der Opposition.
({2})
Dass Sie immer wieder sagen, wir müssten Vorschläge
machen, wir sollten etwas einbringen, verwundert mich
schon sehr.
({3})
Frau Dückert, Ihnen habe ich einmal eine Auflistung unserer parlamentarischen Initiativen mitgebracht. In der
14. Legislaturperiode waren es 21 allein zum Arbeitsmarkt und in der 15. Legislaturperiode sind es bereits vier
allein zum Arbeitsmarkt ohne den gesamten wirtschaftspolitischen Bereich. Ich kann Ihnen die Drucksachennummern nachher gern geben. Wenn Sie aber in Bundes1048
tagsdrucksachen nicht hineinsehen, brauchen wir uns
auch nicht darüber zu wundern, dass die Politik von RotGrün nicht besser wird.
({4})
- Herr Stiegler hat hier gerade eine Rede gehalten und das
Haus verlassen. Das führt natürlich dazu, dass er bessere
Vorschläge nicht hören kann. Allerdings haben wir nach
der „Bild“-Zeitung von gestern von ihm tatsächlich eine
Hardcorerede erwartet. Man muss ganz deutlich sagen:
Die Intonierung, aber auch der Wahrheitsgehalt der Rede
des Kollegen Stiegler sind Ausdruck einer fortgesetzten
chronischen Logorrhö. Für die Kolleginnen und Kollegen, die nicht wissen, was das ist: Das ist verbale Diarrhö.
Als solches muss man dies bezeichnen. So kann man in
diesem Haus keine Politik machen.
({5})
Wir müssen es hinbekommen, dass die Menschen in
diesem Lande Geld zum Konsumieren und die Betriebe
Geld zum Investieren haben. Nur dies schafft Arbeitsplätze. Da kann sich der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion nicht hier hinstellen und sagen: Konsumiert
nicht mehr, gebt das Geld dem Staat! Dies ist ein typisches
Linke-Tasche-rechte-Tasche-Denken:
({6})
Vater Staat nimmt den deutschen Michel mit seiner
Schlafmütze an die Hand und führt ihn durch das Leben,
damit wir eine Taschengeldempfängergesellschaft werden. Das hat doch mit der Vorstellung von mündigen Bürgerinnen und Bürgern überhaupt nichts mehr zu tun.
({7})
Einer Ihrer wichtigsten Punkte zur Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit ist angeblich die Eins-zu-eins-Umsetzung des so genannten Hartz-Papiers. Das ist mittlerweile
ein Richard-Kimble-Papier geworden; denn Hartz befindet sich auf der Flucht.
({8})
Sie haben alles Mögliche gemacht, aber nicht dieses Konzept eins zu eins umgesetzt. Es steht vielmehr eins zu null
für die Gewerkschaften.
Sie können mit Ihrem Konzept keinen zusätzlichen
Arbeitsplatz schaffen. Sie können auch nicht die im
Haushaltsplan vorgesehenen 5,8 Milliarden Euro einsparen; denn alle Annahmen, die Sie zugrunde gelegt
haben, werden leider nicht greifen. Sie werden nicht
subventionierte, in der privaten Zeitarbeitsbranche angesiedelte Arbeitsplätze mit staatlichen Geldern aus Beitragsmitteln und Steuermitteln kaputtmachen. Sie werden die Zeitarbeitsbranche faktisch verstaatlichen, wenn
wir im Vermittlungsausschuss keine Änderungen erreichen können.
Wir können Änderungen in diesem Teil aber nur erreichen - er ist bekanntlich nicht zustimmungspflichtig -,
wenn Sie bereit sind, beim zustimmungspflichtigen Teil
einen Handel einzugehen. Wir wollen einmal sehen, ob
Sie dazu bereit sind.
({9})
Wenn Sie dazu nicht bereit sind - das entnehme ich Ihrem
Zwischenruf von der Regierungsbank, Herr Clement -,
dann ist nicht die Opposition, sondern dann sind Sie der
Blockierer.
({10})
Dann sind Sie derjenige, der verhindert, dass Menschen in
diesem Land eine Chance haben, in den Arbeitsprozess
zurückzukehren.
Wenn Sie schon nicht bereit sind, die Vorschläge der
FDP umzusetzen - das kann ich verstehen -,
({11})
dann sollten Sie zumindest bereit sein, den Vorschlägen
Ihres Sachverständigenrates zu folgen. Diese Vorschläge
decken sich übrigens im Gegensatz zu Ihrem Hartz-Konzept eins zu eins mit unseren Vorschlägen. Da Sie anscheinend nicht bereit sind, diesen Vorschlägen zu folgen,
weil Sie der Meinung sind, das sei parlamentarisch nicht
verankert, möchte ich Ihnen mit der Erlaubnis der Frau
Präsidentin zwei Zitate vorlesen:
Die Entbürokratisierung des Arbeitsmarktes ist eine
der wichtigsten Voraussetzungen für einen kräftigen
Beschäftigungszuwachs.
({12})
Die Regelungsintensität führt zu einer unzureichenden Durchlässigkeit des Arbeitsmarktes und zu einem hohen Anteil von Langzeitarbeitslosen.
({13})
Weiteres Zitat:
Um insbesondere älteren und gering qualifizierten
Arbeitnehmern größere Beschäftigungschancen zu
eröffnen und Einstellungsbarrieren zu beseitigen,
dürfen keine Denkverbote zu einer Flexibilisierung
des Kündigungsschutzes, der Gestaltung befristeter
Beschäftigungsverhältnisse und Teilzeitarbeit aufgebaut werden. Hier liegen große Beschäftigungspotenziale.
({14})
So Oswald Metzger am 18. Januar 2002.
({15})
Hören Sie wenigstens auf den Sachverstand Ihres ehemaligen Kollegen in der Koalition. Er hat nicht nur bei der
Frage, wie diese Bundesregierung mit den Finanzen umgeht, Recht, sondern er hat auch bei der Frage Recht, wie
man den Arbeitsmarkt flexibilisieren und entriestern
kann.
Sie dürfen nicht allein die Rolle des Hartz-Stellvertreters spielen, sondern Sie müssen dafür sorgen, dass Gesetze gemacht werden, die in der Gesellschaft mehrheitsfähig sind. Das können Sie nicht schaffen, wenn Sie sich
nur unter dem Diktat von Herrn Sommer und des Deutschen Gewerkschaftsbundes bewegen. Angesichts eines
Gewerkschaftsmitgliederanteils von 74,1 Prozent in der
SPD-Fraktion und fast 25 Prozent in der grünen Bundestagsfraktion wundert es mich nicht, dass Sie sich hier in
einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis befinden.
Ich erkenne ausdrücklich die Notwendigkeit von Gewerkschaften an. Das tut übrigens die gesamte FDP-Fraktion. Wir wollen nämlich nicht, dass Menschen ausgebeutet werden. Wir erkennen aber zu keinem Zeitpunkt an,
dass die Gewerkschaften versuchen, die Richtlinien der
Politik zu bestimmen. Das muss der Herr Bundeskanzler
machen; dafür ist er gewählt worden. Diesen Anspruch
haben wir.
Ihr Haushalt weist in die falsche Richtung. Sie werden
die Arbeitslosigkeit mit den politischen Ansätzen, die Sie
vorgeschlagen haben, nicht dauerhaft abbauen. Sie werden bestenfalls die Statistik verändern. Auch das hatten
wir schon einmal.
({16})
Nächster Redner ist der Kollege Klaus Brandner, SPDFraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und
neue Arbeitsplätze zu schaffen ist die Hauptaufgabe der
Beschäftigungspolitik.
({0})
Diese wird nur erledigt werden können, wenn wir den
Konsolidierungskurs beschreiten. An ihm führt kein Weg
vorbei. Der Haushalt des neuen Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit berücksichtigt genau dieses Ziel.
Ich habe mich sehr gewundert, Herr Laumann, dass Sie
zum Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit und zum
Haushalt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit nichts, aber auch gar nichts gesagt haben.
({1})
Insbesondere Sie von der CDU/CSU-Fraktion tun immer
noch so, als spiele die Verschuldung in diesem Land überhaupt keine Rolle.
({2})
Sie tun so, als könnten Sie sich gemütlich in den Fernsehsessel zurücklehnen und herumkritteln. Qualifizierte Vorschläge habe ich bisher nicht gehört.
({3})
Meine Damen und Herren, wir haben nichts, aber auch
gar nichts gegen Ausruhen, wenn man eine qualifizierte
Leistung gebracht hat. Dann hat man sogar einen Anspruch darauf. Aber Ihre Hinterlassenschaft war - um das
deutlich zu sagen - eben keine gute Leistung. Ihre Hinterlassenschaft waren die höchsten Schulden, die wir jemals in diesem Land gehabt haben. Ihre Hinterlassenschaft war der höchste Steuerstand, den wir jemals
gehabt haben. Ihre Hinterlassenschaft waren die höchsten
Sozialversicherungsbeiträge, die wir jemals in diesem
Land gehabt haben. Ihre Hinterlassenschaft war die höchste Arbeitslosigkeit, die wir jemals gehabt haben.
({4})
Kollege Laumann, in diesem Zusammenhang sprechen
Sie von einer Grundphilosophie, die in jedem Volk fast
eingemauert sein solle, nämlich dass man netto mehr in
der Tasche haben solle. Da müssen Sie aber 16 Jahre lang
nicht aufgepasst haben; da müssen Sie 16 Jahre lang geschlafen haben. Jetzt wollen Sie uns eine Philosophie einreden, für die Sie in der Vergangenheit überhaupt kein Ohr
gehabt haben. Wer so etwas macht, hat die Versetzung
nicht verdient. Er hat insbesondere verdient, in der Opposition zu bleiben, weil er in seiner Politik seine eigenen
Ansprüche nicht erfüllt hat.
({5})
Meine Damen und Herren, eine nachhaltige Beschäftigungsstrategie ist ohne eine Konsolidierung des Staatshaushaltes wahrlich nicht denkbar. Konsolidierung ist allerdings für uns Sozialdemokraten kein Selbstzweck. Wir
werden jeden Spielraum für Wachstumspolitik nutzen.
Schon die Hartz-Gesetze sind in diese Strategie voll eingebunden.
Die gestrigen Arbeitsmarktzahlen sind aus unserer
Sicht beileibe kein Grund zum Jubeln. Aber die Schwarzmalerei der CDU/CSU, die wir heute wieder erlebt haben,
hilft erst recht nicht weiter. Denn die Arbeitslosenquote in
Deutschland liegt im europäischen Mittelfeld. Nach der
EU-Statistik liegt sie bei 8,3 Prozent gegenüber 8,4 Prozent im Durchschnitt des Euroraums.
Die Hartz-Gesetze werden vor allem bewirken, dass
das Wachstum beschäftigungswirksamer wird. Das heißt,
bei gleichem Wachstum wird es mehr Arbeitsplätze geben. Hinzu kommt die Erschließung neuer Beschäftigungsfelder vor allem im Bereich der haushaltsnahen
Dienstleistungen. Wir haben die Gestaltungsspielräume
genutzt.
({6})
Insgesamt sparen wir durch die Hartz-Gesetze unabhängig von Effizienzgewinnen allein im ersten Jahr
2,5 Milliarden Euro und danach circa 3,5 Milliarden Euro
ein. Wir machen beispielsweise bereits jetzt einen ersten
Schritt zur Zusammenführung von Arbeitslosen- und
Sozialhilfe: Wir nähern die Regelungen zur Anrechnung
von Einkommen und Vermögen in beiden Systemen aneinander stark an. Hinzu kommen noch die Einsparungen
beim Unterhaltsgeld.
Wer an Qualifizierungsmaßnahmen teilnimmt, soll
dies nicht in erster Linie tun, um den Anspruch auf Lohn1050
ersatzleistungen zu verlängern. Die aktive Förderung
steht bei uns im Vordergrund. Dies wird im Übrigen auch
durch die Umstellung auf Bildungsgutscheine erreicht.
Hier setzt eine umfangreiche Entbürokratisierung ein, die
zu mehr Effizienz bei der Bundesanstalt für Arbeit führen
wird. Die Bildungsträger werden sich aktiver in die Arbeitsvermittlung einschalten. Deshalb wird es immer seltener vorkommen, dass die Teilnehmer im Anschluss an
Maßnahmen immer noch arbeitslos sein werden.
Viel wichtiger aber noch ist die schnelle Vermittlung.
Die Einrichtung von Personal-Service-Agenturen und
weitere Instrumente bringen Einsparungen von insgesamt
2,3 Milliarden Euro. Das ist ein Effizienzgewinn, denn im
Endeffekt gibt es weniger Arbeitslose. Das entlastet die
Bundesanstalt für Arbeit. Ihr Haushalt wird zum ersten
Mal seit Jahren ohne Zuschuss des Bundes auskommen.
Allein das ist schon ein großer Erfolg.
Deutlich zurück geht auch der Ansatz für die Arbeitslosenhilfe, nämlich um insgesamt 2,5 Milliarden Euro.
({7})
Natürlich fällt uns eine solche Operation nicht leicht. Die
Ausrichtung des Haushalts folgt jedoch strikt der Maxime
des Förderns und Forderns. Das ist unsere Philosophie in
der Arbeitsmarktpolitik.
Dennoch wird es bei den Betroffenen, die über nur wenig Geld verfügen, zu erheblichen Einschnitten kommen.
Aber Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, geht das alles noch nicht weit genug. Sie fordern viel
tiefere Einschnitte. Sie lamentieren dagegen aber bei jedem Abbau von Steuervergünstigungen öffentlich herum.
Hier muss deutlich gesagt werden: Jedes Maß ist Ihnen da
verloren gegangen.
({8})
Die CDU/CSU macht es sich allerdings entschieden zu
einfach, wenn sie sofort die Arbeitslosenhilfe auf das Sozialhilfeniveau absenken will. Das ist ja ihre Forderung.
Die Systeme müssen aus unserer Sicht so zusammengeführt werden, dass die aktive Hilfe aus einer Hand im Vordergrund steht. Dabei gilt unser Versprechen: Die neue
Leistung, das Arbeitslosengeld II, wird über dem Niveau
der Sozialhilfe liegen.
Die Menschen wissen, dass der Staat sparen muss, aber
bitte mit Augenmaß. Völlig einseitige Vorschläge, wie Sie
sie durchsetzen wollen, sind mit uns auch im Vermittlungsausschuss nicht zu machen. Wir stehen für einen
konstruktiven Kompromiss.
Sie haben heute das Thema Zeitarbeit angesprochen.
Sie wollen darüber reden; doch dabei vernebeln Sie die
Situation.
Die Personal-Service-Agenturen können auf der Basis jetziger Tarifverträge ihre Arbeit beginnen, sie können
sofort starten. Mit Ihrer Diskussion sorgen Sie aber dafür,
dass die Situation unklar wird. Das trägt nicht dazu bei,
dass Personal-Service-Agenturen schnell entstehen und
ihre Arbeit offensiv machen können.
({9})
Bitte sorgen Sie für Klarheit! Sagen Sie den Menschen,
dass es überhaupt keine Hemmnisse gibt, die den Einstieg
der Personal-Service-Agenturen behindern.
Ansonsten sind Sie doch für Deregulierung. Tagein tagaus reden Sie darüber in Sonntagsdebatten. Jetzt, da wir die
größte Deregulierung in der Zeitarbeit vornehmen, werfen
Sie uns vor, dass wir die Flexibilität für die Betriebe durch
tarifvertragliche Bindungen aufgeben wollen. Ich habe den
Eindruck, dass Sie hierbei einseitig Arbeitgeberinteressen
vertreten. Wenn CDA-Vertreter hier so eindeutig gegen Tarifverträge und Gewerkschaften wettern, dann zeigt das
deutlich, wohin die CDU/CSU, insbesondere die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft, marschiert.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Teile der Arbeitgeber
- wir wissen das - sind prinzipiell gegen Tarifverträge.
Das ist eine Politik, die mit uns nicht zu machen ist. Tarifverträge haben sich als soziales Schlichtungsinstrument, als Friedensinstrument in dieser Republik bewährt.
Sie sind betriebsnah und geben den notwendigen Schutz.
Gleichzeitig gewährleisten sie eine entsprechende Flexibilität. Deshalb stehen wir zu Tarifverträgen und bauen
darauf, dass die Gewerkschaften, wie sie es zugesagt haben, mit den Arbeitgebern schnellstens zu tarifvertraglichen Regelungen kommen werden.
Indem Sie sich mit Teilen des BZA und anderen Verbänden im Arbeitgeberbereich zum Sprachrohr der Arbeitgeberseite machen und dafür streiten, dass die
Arbeitgeberseite möglichst nicht tariffähig ist, sorgen Sie
dafür, dass die Zeitarbeit nicht in dem Maße, wie wir es
vorschlagen, dereguliert werden kann.
({11})
Im Übrigen sprechen Sie die 325-Euro-Verhältnisse
an. Die Zeit ist scheinbar vorbei, in der Herr Laumann
Arm in Arm mit Herrn Blüm gegen Überstunden und das
Ausfransen des Normalarbeitsverhältnisses marschiert
ist. Es gab genügend Aktivitäten vor der letzten Legislaturperiode, um diesen Bereich tarifvertraglich und gesetzlich vernünftig zu regeln.
Nun wird gefordert, die 325-Euro-Beschäftigungsverhältnisse quasi sozialversicherungsfrei zu gestalten, um
damit nichts anderes zu bewirken, als dass Überstunden
zukünftig in diesem Land generell sozialabgabenfrei sein
sollen. Das muss man sich vor dem Hintergrund der Arbeitslosigkeit in unserem Land einmal vorstellen. Anstatt
für den Abbau von Überstunden zu streiten und dafür
maßgeschneiderte Regelungen zu organisieren, beginnen
Sie eine Neiddebatte und gaukeln den Menschen vor, dass
auf die Sozialabgaben, die auf 325-Euro-Jobs erhoben
werden, verzichtet werden kann. Sie werden damit die Sozialkassen plündern und bewirken, dass zusätzliche
Beitragssatzanhebungen erfolgen müssen.
({12})
Das mag für Sie eine Legitimation sein, um einen stärkeren Sozialabbau durchführen zu können. Mit uns ist ein
solches Chaosprogramm jedenfalls nicht zu machen.
({13})
Beim Kündigungsschutz sind Sie ähnlich schief gewickelt. Vor der letzten Legislaturperiode hatten Sie den
Kündigungsschutz in kleinen Betrieben abgeschafft und
öffentlich angekündigt, dass es dafür im Gegenzug
Hunderttausende von neuen Arbeitsplätzen geben würde.
({14})
- 100 000 zusätzliche Arbeitsplätze allein im Handwerk,
Herr Hinsken!
({15})
- Soll ich Ihnen die Pressemitteilungen raussuchen? Werden Sie doch nicht nervös!
({16})
Sie wissen aber genau, dass es mehr Arbeitslose und nicht
weniger gegeben hat. Wir haben es 1998 korrigieren müssen. Anstatt mitzuhelfen, dass die Debatte über den Kündigungsschutz auf eine solide Basis gestellt wird, polemisieren Sie weiter in der Öffentlichkeit und tun so, als wäre
ein Mindestmaß an sozialem Schutz verantwortlich für
die Arbeitslosigkeit in diesem Land. Das ist nicht in Ordnung.
({17})
Wir haben befristete Arbeitsverhältnisse. Wir haben
Zeitarbeit. Wir haben im Hartz-Gesetz geregelt, dass
50-jährige Arbeitslose ohne Sachgrund dauerhaft befristet
beschäftigt werden können. Wenn es Ihnen so am Herzen
liegt, dann stimmen Sie dem Hartz-Gesetz doch zu; dann
haben Sie die Möglichkeit, die Sie wollen.
({18})
Eines steht fest: Zur Schaffung von Tagelöhnern und
von amerikanischen Verhältnissen des Heuerns und Feuerns sind wir jedenfalls nicht bereit. Wir werden weiterhin notwendige Flexibilitäten mit sozialer Sicherheit
verbinden. Das ist unser Auftrag. Ich bin davon überzeugt,
die Mehrheit in diesem Land wird diesen Auftrag als richtig ansehen.
Herr Fuchtel hat sich wieder so geäußert - wie es so
seine Masche ist -, als wäre Hartz ein Projekt für die
Großindustrie. Nein, Hartz ist ein Projekt für den typischen Mittelstand. Was werden die Personal-ServiceAgenturen denn machen? Sie werden bei den mittelständischen Unternehmen, die keine großen Personalabteilungen
haben, Beschäftigungschancen organisieren, indem diese
auf Personal aus den Service-Agenturen zurückgreifen
können. Auf der anderen Seite erleichtern Personal-Service-Agenturen damit den Einstieg in den Arbeitsprozess.
Die Personal-Service-Agenturen werden gerade mittelständischen Unternehmen Personaldienstleistungen abnehmen. Ein besseres Programm für den Mittelstand als
Hartz gibt es nicht.
({19})
Das Gleiche trifft auch für die Frage der Qualifizierung
zu. Die Großbetriebe haben eigene Qualifizierungsabteilungen. Sie brauchen nicht auf die gesetzlichen Maßnahmen zurückzugreifen. Aber die Kleinbetriebe sind darauf
angewiesen, in einer Zeit, in der sich die Qualifizierungsanforderungen so schnell wandeln, staatliche Unterstützung zu bekommen, von arbeitsmarktpolitischen Mitteln
profitieren zu können. Deshalb haben wir sowohl im JobAQTIV-Gesetz als auch bei anderen Maßnahmen ganz besondere Förderinstrumente für kleine Betriebe vorgesehen. Sie aber wollen der Öffentlichkeit weismachen, das,
was wir hier beschließen wollen, wäre ein Werk für die
Großindustrie. Das ist völlig verfehlt. Lenken Sie doch
nicht von den Inhalten des Gesetzes ab! Gestehen Sie einmal ein, dass wir ein Gesetz für den Mittelstand machen,
zu dem Sie nicht in der Lage sind!
({20})
Im Vermittlungsausschuss wollen Sie mit uns zusammenarbeiten und ein konkretes Vermittlungsergebnis erzielen. Was Sie heute dazu gesagt haben, lässt jedoch eher
darauf schließen, dass Sie nur so tun, als wollten Sie das.
Tatsächlich aber bauen Sie die Hürden und die Strukturen
so, dass deutlich wird, dass Sie ein Vermittlungsergebnis
überhaupt nicht erzielen wollen.
({21})
Denn richtig ist: Die Vorschläge, die Sie gemacht haben,
sind nicht konstruktiv. Ihre Forderung zur Zeitarbeit - ich
habe darüber gesprochen - ist ebenso erledigt wie die zum
Kündigungsschutz. Bei den 325-Euro-Jobs können Sie
nicht zulassen, dass Überstunden sozialversicherungspflichtig sind. Die Minijobs, die Sie fordern, sind im
Hartz-Paket vorgesehen.
({22})
Insofern meine ich, haben Sie eigentlich allen Grund,
unserem Paket zuzustimmen. Wenn Sie sich aus wahltaktischen Gründen im Hinblick auf den 2. Februar des
nächsten Jahres damit schwer tun, dann sollten Sie wenigstens so ehrlich sein und wie Ihr ehemaliger Superministerkandidat sagen: Hartz ist eine revolutionäre Idee. Wir setzen Hartz eins zu eins um. Jetzt stehen Sie doch
endlich einmal zu dem Paket!
({23})
Lassen Sie mich auch mit Blick auf die Sozialversicherungsbeiträge und auf die Lohnnebenkosten zum
Schluss Folgendes sagen: Mit Hartz und mit dem arbeitsmarktpolitischen Programm schlagen wir eine Richtung
ein, die dazu führen wird, dass die Lohnnebenkosten langfristig gesenkt werden können. Bereits im Laufe des Jahres 2003 werden wir eine Stabilisierung und gegen Ende
einen Wiederanstieg der Beschäftigung haben. 2004
kommt dann noch die große Reform durch die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe hinzu.
Als weiterer Impuls für den Arbeitsmarkt könnte dann
nach meiner Einschätzung auch eine Beitragssenkung folgen.
Wir jedenfalls - das will ich deutlich sagen - haben
Konsolidierungsanstrengungen für eine positive Wachstumspolitik unternommen. Wir haben die Weichen in die
richtige Richtung gestellt. Wir haben den Grundstein gelegt. Sie haben allen Grund mitzumachen, damit es
zukünftig auch mit Ihrer parlamentarischen Unterstützung weniger Arbeitslose in diesem Land gibt.
({24})
Nächster Redner ist der Kollege Hartmut Schauerte,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich möchte versuchen, mit Ihnen einmal darüber
nachzudenken, wie man Vertrauen in der Volkswirtschaft
herstellen könnte, wie wichtig das wäre und woran es liegen könnte, wenn wir das nicht schaffen.
Warum sollte in Deutschland bei den Mittelständlern,
die eigentlich am liebsten über volle Auftragsbücher reden und nur sehr ungern jammern, und bei den Arbeitnehmern, die gern über ausreichende Mittel für ihren
Konsum verfügen und ebenfalls nicht gern jammern, die
Hoffnung entstehen, dass sich die Dinge jetzt ändern, dass
es jetzt besser wird? Was ist die Ursache dafür, wenn das
nicht gelingt?
Wenn ich einmal darüber nachdenke, wie der Start der
Regierung war, wie sie sich präsentiert hat, mit einer Vielzahl von sich zum Teil heftig widersprechenden Vorschlägen, die nicht zu Ende gedacht waren, und wie so die
erste große allgemeine Verunsicherung produziert wurde,
stelle ich fest: Das trägt wahrlich nicht dazu bei, dass Vertrauen wachsen kann, das wichtig ist, um die Konjunktur
wieder nach vorn zu bringen.
Was dagegen die CDU/CSU vorgelegt hat - einschließlich der zehn Punkte, die Christian Wulff jetzt vorgestellt hat -, ist exakt das, was wir in unserem Regierungsprogramm versprochen haben. Wir unterscheiden
uns von der SPD zurzeit dadurch, dass wir den Menschen
unser Programm noch einmal zeigen und sagen können:
„Das haben wir vorher gesagt und das tun wir hinterher“,
während Sie es mit einer unglaublichen Brutalität exakt
umgekehrt machen.
({0})
Sie tun bei einer sehr großen Anzahl von Maßnahmen das
Gegenteil dessen, was Sie den Menschen vor der Wahl
versprochen haben. Das ist eine für das Vertrauen in die
Volkswirtschaft lebensgefährliche Operation.
Ein zweites Element, durch das Vertrauen wachsen
könnte, wäre die Ernennung eines wirklichen Superministers. Was heißt eigentlich „Superminister“? Superminister
ist jemand, der so viele Erfolge in seinem Leben aufzuweisen hat, dass er sich für die nächste Aufgabe den Vertrauensvorschuss verdient hat, dass er diese Aufgabe auch
packen wird. Herr Clement, Ihre Ergebnisse in NordrheinWestfalen sind aber wirklich nicht zum Vorzeigen geeignet und taugen nicht dazu, dass Ihnen deswegen als Person besonderes Vertrauen zuwächst.
({1})
Sie wissen, dass Sie fast alle Baustellen in NordrheinWestfalen unfertig verlassen haben. Sie wissen, dass
Nordrhein-Westfalen im letzten Jahr von allen Flächenländern einschließlich der neuen das schlechteste Wirtschaftswachstum hatte, minus ein Prozent,
({2})
und das, nachdem Sie 13 Jahre zentrale Verantwortung für
die Entwicklung in Nordrhein-Westfalen getragen hatten.
Ihre Leistungsbilanz ist also nicht geeignet, Vertrauen
wachsen zu lassen.
({3})
Superminister kann man jemanden nennen, der eine
besonders große Aufgabe gestellt bekommen hat, und die
haben Sie, der sie aber auch erfüllt. Sie haben immerhin
sieben Staatssekretäre, mit denen diese Aufgabe bewältigt
werden soll. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Wie setzen Sie diese Autorität, diese Macht,
diese besondere Gestaltungskraft, die Sie bekommen haben, jetzt konkret ein, um Vertrauen wachsen zu lassen?
Wo ist erkennbar, dass Clement zu schwierigen Entscheidungen steht? Die erste Entscheidung, die Sie treffen
mussten, betraf das Hartz-Konzept. Sie hätten es eins zu
eins umsetzen können. Herr Clement, wenn Sie es getan
hätten, hätten Sie gezeigt, dass Sie stark sind und dass Sie
sich durchsetzen können. Es wäre Vertrauen gewachsen
und das wäre wichtig gewesen. Stattdessen haben Sie sich
schon bei Ihrer ersten Operation wieder von der gewerkschaftlichen Sperrmacht in Ihrer Fraktion bremsen lassen;
Sie sind wieder zurückgewichen und nutzen das Potenzial
zur Gestaltung nicht so aus, wie es die Volkswirtschaft
jetzt braucht.
({4})
Sie wissen ganz genau, dass Sie mit der Einführung des
Prinzips von Equal Pay in der Zeitarbeit einen Weg beschreiten, der Arbeitsplätze bei den Zeitarbeitsunternehmen zerstört - 100 000 sind uns prognostiziert -, und
Sie haben damit noch nicht einen einzigen zusätzlichen
Arbeitnehmer über die Personal-Service-Agenturen vermittelt.
({5})
Wo sagen Sie etwas dazu, wie Sie sich in Zukunft Belastungssenkungen für den Mittelstand und die Konjunktur vorstellen? Nirgendwo! Es gibt keine Aussage von
Ihnen! Herr Brandner hat gerade angekündigt - interessanterweise bevor Sie die Erhöhung der Belastungen beschlossen haben -, irgendwann würden Sie die Belastung
auch wieder senken. Das war die erste positive Aussage,
die ich gehört habe. Von Clement gibt es betreffend einer
solchen Vision keine Aussage, kein Mutmachen, nichts. Sie
sind dabei, die Belastungen rundherum zu erhöhen, zeigen an keiner Stelle einen Pfad für Wachstum, einen Weg
nach vorn, neuen Optimismus
({6})
und werfen uns vor, wir machten das Land schlecht. Wo
ist Ihr Hoffnungssignal? Wo ist Ihr Maßnahmenpaket
dafür, dass es bald besser wird? Nichts davon ist zu erkennen! Sie verstricken sich in Widersprüche, bieten nur
halbe Lösungen an.
Ich will ein Beispiel nennen: Vermögensteuer. Aus
dieser Debatte erwächst für die Volkswirtschaft eine unglaublich große Verunsicherung.
({7})
- Entschuldigen Sie mal! Selbst der Bundeskanzler ist ja
schon nachdenklich geworden. Er hat möglicherweise
mehr Zugang zu dem einen oder anderen als Sie. - Wo ist
bei der Diskussion um die Vermögensteuer, die im Prinzip eine Unternehmensvermögensteuer sein wird, die Arbeitsplätze in Deutschland gefährdet und vernichtet, die
Stimme des Wirtschaftsministers?
({8})
Wo ist er der Hüter der Interessen einer wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik?
({9})
Wo ist der Garant dafür, dass sich die Gewerkschaftsfront
in Ihrem Lager nicht permanent durchsetzt?
({10})
Wir haben auf Sie gehofft, Herr Clement. Wir sehen zu
wenig. Nur Mut, Sie Löwe vom Rhein! Nur Mut, nicht nur
eindrucksvoll gähnen wie der Löwe von Metro Goldwyn
Mayer, sondern auch beißen! Gehen Sie ran!
({11})
Sie werden nie wieder so viel Einfluss zur positiven Gestaltung von Wirtschaftspolitik haben wie zurzeit.
({12})
Wenn Sie die Zeit jetzt nicht nutzen, schmilzt Ihr Einfluss
- das garantiere ich Ihnen - wie Schnee an der Sonne.
({13})
Nutzen Sie die Zeit! Machen Sie Mut! Geben Sie Gas in
der Wirtschaftspolitik! Nichts davon ist zu erkennen. Deswegen ist die Lähmung, die bleierne Schwere, die über
der deutschen Volkswirtschaft liegt, mittlerweile ein Ergebnis Ihrer Entschlusslosigkeit.
({14})
Sie hätten der Hoffnungsträger, die Lichtgestalt sein können. Dunkelmann sind Sie.
({15})
Jetzt noch einmal dazu, wo wir Sie vermissen. Wir vermissen zum Beispiel eine klare Aussage von Ihnen zu der
Frage: Was soll in der Energiepolitik in Zukunft passieren?
({16})
Die Faktenlage ist, dass nach der Liberalisierung, die wir
beschlossen hatten, eine Energiepreisreduzierung für alle
deutschen Verbraucher mit einem Gesamtvolumen von
etwa 30 bis 40 Milliarden DM eingetreten ist. Mit den
jetzt gerade angekündigten Preiserhöhungen der Energiekonzerne, die interessant begründet werden - nämlich:
der Wettbewerbsdruck sei nicht mehr so groß, man könne
jetzt ohne weiteres sechsprozentige Preiserhöhungen
durchsetzen; das ist übrigens Ergebnis der Energiewettbewerbspolitik der letzten vier Jahre -, sind die gesamten
Vorteile in der Energiepolitik, die wir erreicht haben, wieder aufgezehrt. Ein Teil ist zurückzuführen auf das, was
Umweltfinanzierung ist, was im Prinzip nur dazu dient,
die Staatsquotendiskussion zu umgehen; man drückt in
die Preise, was man sonst über Steuern gemacht hat; das
sind 15 bis 20 Milliarden Euro. Jetzt kommen die nächsten Preiserhöhungen dazu.
Herr Clement, Sie müssen sich jetzt irgendwann erklären. Die Grünen sagen nach wie vor: Energie ist in
Deutschland zu billig. Sie muss teurer werden, damit weniger verbraucht wird. - Die deutsche Wirtschaft möchte
gern hören: Was denkt der Wirtschaftsminister, der ehemalige Ministerpräsident des Landes, in dessen Grenzen
40 Prozent der Energieerzeugung der Bundesrepublik
Deutschland stattfindet, darüber? Müssen wir mit weiteren Verschlechterungen in diesem Bereich rechnen oder
können wir von ihm hören: „Nein, jetzt ist das Ende der
Fahnenstange erreicht; der Trend muss eher umgekehrt
werden“?
({17})
- Entschuldigen Sie einmal! Wenn Sie in Deutschland
hohe Löhne, hohe Energiepreise und dann auch noch viel
Bürokratie haben wollen, dann geht die Wettbewerbsfähigkeit kaputt.
({18})
Also: Erklären Sie sich! Beziehen Sie einmal klar Position und sagen Sie, was Sie in der Energiepolitik wollen!
Ich komme zum Schluss.
({19})
- Ja, Sie wollen nach Hause; das ist klar.
({20})
Aber die Lage in Deutschland ist sehr ernst. Sie sollten ruhig nachsitzen, damit die Arbeit erledigt wird, die wir in
diesem Land haben.
({21})
Wir von der Opposition handeln einzig und allein nach
folgender Prämisse: Wir werden alle Maßnahmen unterstützen, die unserem Land erkennbar nach vorne helfen;
({22})
leider sehe ich bei Ihnen nur wenige Maßnahmen, die
wirklich helfen. Mit dem gleichen Ernst und der gleichen
Verantwortung werden wir Vorhaben, die dem Land schaden, blockieren müssen; denn wir können nicht die Hand
reichen bei falschen Rezepten, die uns tiefer in das Loch
hineinreißen und die uns nicht auf den Weg des Wachstums zurückführen werden.
Herzlichen Dank.
({23})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch,
fraktionslos.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste, ich bin Abgeordnete der PDS.
Die wenigen Minuten, die mir zur Verfügung stehen,
will ich dem Thema Leiharbeit widmen. Leiharbeit ist als
die zentrale Lösung entdeckt worden. Sie soll zu massiven
Einsparungen im Bundeshaushalt führen. Leiharbeit wird
als das Herzstück des Hartz-Konzeptes gefeiert. Schaut
man sich allerdings in anderen Ländern um, dann sieht
man, dass dort der Anteil der Leiharbeiter an der Gesamtzahl der Beschäftigten nur einen Bruchteil ausmacht. Selbst
in den Vereinigten Staaten, die immer als Beispiel herangezogen werden, ist der Anteil verschwindend gering.
Der Ansatz von Hartz geht davon aus, dass die Leiharbeit ein niedrigschwelliges Angebot für Unternehmen
ist. Sie haben die Möglichkeit, den arbeitslosen Leiharbeiter im Arbeitsprozess kennen zu lernen, um dann zu
entscheiden, ob sie ihn übernehmen wollen oder nicht. So
entsteht der Eindruck, dass man, wenn man sich halbwegs
anständig benimmt und seine Arbeit gut macht, übernommen wird.
Wer allerdings nicht übernommen wird, hat ein Problem. Er ist wieder arbeitslos und steht gleichzeitig unter
dem Verdacht, dass er sich offensichtlich nicht ordentlich
genug benommen hat, dass er nicht ordentlich gearbeitet
hat, dass er geklaut hat oder dass er vielleicht auch nur unpünktlich war. So entsteht durch Arbeitslosigkeit und fehlgeschlagene Vermittlung eine doppelte Stigmatisierung.
Dabei ist es in der Regel wohl eher so, dass die Leiharbeiter Produktionsspitzen auffangen oder die Stammbelegschaft sogar teilweise ersetzen sollen. Doch das wird
der Öffentlichkeit kaum vermittelt. Der arbeitslose Leiharbeiter gerät in Erklärungsnot gegenüber seiner Familie und
seinem Freundeskreis. Ich denke, dass Leiharbeit die psychischen Probleme der Arbeitslosen noch potenzieren wird.
Herr Clement, versuchen Sie, sich nur einen Moment
vorzustellen, Sie wären nicht als Superminister vom
Kanzler geholt worden, sondern als Leihbeamter bzw.
Leihminister. Selbst wenn Ihnen das gleiche Geld wie
Ihren Ministerkollegen geboten worden wäre, Sie wären
nicht so einfach nach Berlin gekommen; es musste schon
ein Superministerium sein. Ich kann mich in Ihre Psyche,
Herr Clement, gut hineinversetzen. Die Frage ist, ob Sie
sich in die Psyche der Arbeitslosen hineinversetzen können, die zu Leiharbeitern gemacht werden sollen.
Meine Damen und Herren, nach der Ablehnung des
Konzepts durch den Bundesrat gibt es eine große Diskussion darüber, ob die Leiharbeiter unter Tarif angestellt
werden sollen. Für Langzeitarbeitslose und Schwervermittelbare hält Herr Gerster Arbeitslöhne von 20 bis
30 Prozent unter dem normalen Tarif für angemessen.
Auch Frau Simonis und andere sozialdemokratische Ministerpräsidenten sind dieser Meinung.
Ich finde, dass diese Diskussion das Pferd von hinten
aufzäumt. Es lohnt sich, darüber einmal nachzudenken.
Warum stellt sich eigentlich keiner die Frage, ob nicht die
Zwischenschaltung von Zeitarbeitsfirmen, die an der
Vermittlung ein bisschen verdienen wollen, die Lohnkosten für die Leiharbeiter zusätzlich zu stark erhöht?
Ich habe mich in der letzten Woche mit einem Berliner
Unternehmer aus dem Hightechbereich unterhalten. Er
hat eine Produktion mit 35 Beschäftigten und würde bei
Auftragsspitzen gerne Leiharbeiter einstellen. Doch die
sind, da die Leiharbeitsfirmen daran verdienen, teurer als
seine eigenen Arbeitnehmer.
({0})
Er zieht daraus einen ganz anderen Schluss als Frau
Simonis und Herr Gerster. Er fragt sich, warum er für eine
Leiharbeitsfirma bezahlen soll, wenn es Arbeitslose gibt,
die er bei Produktionsspitzen einstellen könnte.
({1})
- Hören Sie bitte noch weiter an, was ich sagen werde, bevor Sie sich noch weiter aufregen, meine Herren!
Aus meiner Sicht mangelt es nicht an Arbeitskräften,
sondern an Kapital und an Aufträgen. Damit können die
Leiharbeitsfirmen wohl nicht weiterhelfen - und die
Bundesregierung offensichtlich auch nicht.
Es ist nötig, sich Gedanken über die Schaffung von neuen
Arbeitsplätzen zu machen. Das ist die Aufgabe, die von
der Bundesregierung zu wenig angegangen wird.
Herzlichen Dank.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Johannes Singhammer,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die Menschen in Deutschland, die Unternehmer
und die Arbeitnehmer, warten mit großer Sorge auf mehr
Wachstum und Beschäftigung. Der Boden, der Humus,
auf dem dies gedeiht, heißt Vertrauen, langfristige Perspektiven und Berechenbarkeit.
({0})
Exakt dieser Humus wird durch diese Bundesregierung
Tag für Tag abgetragen. Sie erzeugen Angst, Unsicherheit
und produzieren letztendlich ein Untergangsszenario.
({1})
Ich nenne dafür ein paar Beispiele. Wann immer sich
Spitzen aus der Fraktion oder der Regierung äußern, erfolgt Widerspruch.
({2})
Kein Mensch weiß, was nun wirklich gilt. Was bedeutet
die Äußerung Ihres Fraktionsvorsitzenden, Herrn Müntefering? Er erklärt: „weniger für den privaten Konsum und dem Staat Geld geben“. Gleichzeitig hat die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung festgestellt,
dass das Konsumklima mittlerweile auf den tiefsten Stand
seit 1996 gefallen ist.
Selbstverständlich wird Herrn Müntefering aus Ihrer
Fraktion widersprochen, aber es fehlt ein entscheidendes
Machtwort. Der Kanzler hat in einem Machtwort erklärt,
die Kakophonie in den Reihen der Regierung müsse endlich beendet werden. Diese Worte haben aber wenig Wirkung.
({3})
Der Kollege Stiegler ist gerade nicht anwesend.
({4})
Aber er hat die Worte der Lichtgestalt Deutschlands, des
Kommissionsvorsitzenden Professor Rürup, als Professorengeschwätz bezeichnet und gesagt, er „erwarte, dass die
Professoren wie Herr Rürup uns nicht länger mit ihrer
Ejaculatio praecox beglücken“.
Nun ist es immerhin interessant, dass Herr Stiegler erotische Momente in der Politik entdeckt. Ich denke aber,
wir brauchen in der Politik keine Sexualberater, sondern
wir brauchen wieder mehr Glauben an die Zukunft und
die Gewissheit, dass endlich ein anderer Weg eingeschlagen wird.
({5})
Herr Minister Clement, die Durchschlagskraft der
Machtworte des Kanzlers haben offensichtlich in der eigenen Fraktion die Wirkung einer Schneeflocke im Hochsommer.
({6})
Wenn Sie hier vortragen, die Probleme seien zwar schwierig, aber die globale und internationale Entwicklung sei
dafür verantwortlich und dieser könne man sich nicht entziehen, dann ist das nicht richtig. Wenn das Handwerk in
einer schweren Krise ist und 300 000 Arbeitsplätze gefährdet sieht, wenn im Mittelstand Pessimismus um sich
greift und 25 Prozent der Firmen in den kommenden sechs
Monaten mit Personalabbau rechnen, wenn die Menschen
in Deutschland von Tag zu Tag mehr Furcht vor Arbeitslosigkeit haben, dann liegt die Hypothek für diese Entwicklung bei Ihnen. Sie ist hausgemacht.
Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Seit 1998, seitdem Sie an
der Regierung sind, haben Sie über 300 zusätzliche Bundesgesetze und mehrere Tausend neue Verordnungen erlassen, die vor allem dem Mittelstand das Leben schwer
machen. Gerade kleinere und mittlere Unternehmen müssen sich heute mit einer Fülle von kritischen Schwellenwerten herumschlagen, bevor sie zusätzliche Mitarbeiter
einstellen können, was wir alle wollen.
Ich nenne Ihnen einmal einige Zahlen: Erhöht ein Betrieb seine Mitarbeiterzahl von fünf auf sechs, greift das
Kündigungsschutzgesetz. Ab 16 Beschäftigten greift das
Recht auf Teilzeitarbeit. Ab 20 Mitarbeitern kommt es zu
einer dramatischen Erweiterung der Mitspracherechte. Ab
101 Mitarbeitern muss der Betriebsrat aus mindestens sieben Mitarbeitern bestehen. Ab 200 Beschäftigten ist ein
Betriebsratsmitglied auf Kosten des Arbeitgebers vollständig von der Arbeit freizustellen. - Meine sehr geehrten Damen und Herren, das sind die Gründe, die in vielen
Fällen Neueinstellungen nicht begünstigen, sondern eher
verhindern.
({7})
Hinzu kommen die ständigen Änderungen in Ihrer Politik. Sie kennen sicherlich die Schröder-Witze, die zurzeit
Konjunktur haben. Einer dieser Witze lautet: Ein
Schröder ist die Zeiteinheit zwischen der Bekanntgabe eines Gesetzes und dessen Rücknahme. Leider stimmt das
mittlerweile.
Auch die versprochene Umsetzung des Hartz-Konzepts ist nicht erfolgt. Die Kollegin Wöhrl und ich haben
Herrn Hartz einen Brief geschrieben und ihn aufgefordert,
seinen Namen von diesen verunstalteten Gesetzen
zurückzuziehen.
({8})
Herr Hartz hat erklärt - das können Sie überall nachlesen -:
Es wurde nicht 1 : 1 umgesetzt und es würde einer erheblichen Nacharbeit bedürfen, um dieses Manko
auszugleichen, so, wie diese Pläne derzeit aussehen,
wird es jedenfalls nicht möglich sein, 2 Millionen
Menschen einen neuen Arbeitsplatz zu verschaffen.
Die Unberechenbarkeit und die mangelnde Planbarkeit
sind das Kainszeichen, das diese Regierung auf der Stirn
trägt, und sie verhindern, dass Investitionsentscheidungen
getroffen werden, weil Ihnen kein Mensch mehr vertraut
und meint, sich auf Ihre Planungen verlassen zu können.
({9})
Wir wollen aber nicht ausweichen, sondern selber Vorschläge unterbreiten. Kollege Laumann hat überzeugend
dargestellt, was wir wollen und wo unsere Schwerpunkte
liegen.
({10})
Lassen Sie mich in fünf Punkten erläutern, was wir für
notwendig halten:
Erstens. Sehr wichtig ist, dass die kleinen Jobs, die so
genannten Minijobs, mit mindestens 400 Euro gefördert
werden, und zwar ohne weitere Abgaben neben der Pauschalsteuer.
({11})
Dabei handelt es sich um ein Investitionsprogramm und
eine Konjunkturspritze, die nichts kosten, aber viel bringen.
({12})
Zweitens. Wir wollen das Arbeitsrecht flexibilisieren,
das Günstigkeitsprinzip lockern und Entscheidungsbefugnisse auf die Betriebsebene verlagern
({13})
- Sie müssen nicht schreien; Sie sind dadurch nicht eher
im Recht -, ohne dass dadurch die Möglichkeiten der Tarifparteien entscheidend geschmälert werden.
Drittens. Wir wollen das Gesetz gegen Scheinselbstständigkeit als eines der großen Hindernisse für die
Schaffung von Arbeitsplätzen abschaffen.
({14})
Viertens. Des Weiteren wollen wir ein Optionsmodell
einführen, das den älteren Arbeitnehmern - um die geht es
uns besonders - den Wiedereinstieg in die Beschäftigung
erleichtert.
({15})
- Reden Sie einmal mit älteren Arbeitnehmern über 50!
({16})
Ihre Vorschläge führen zu keiner Verbesserung der Situation.
Fünftens. Wir wollen fördern, aber auch fordern - insofern haben wir eine ähnliche Formulierung gewählt wie
Sie -, allerdings mit Kombi-Einkommen und Einstiegsgeld für Sozialhilfebezieher. Das ist in der Tat wichtig.
Derjenige, der arbeitet, muss immer mehr haben als derjenige, der nicht arbeitet. Das ist ein durchgehendes Prinzip.
({17})
Sie haben nach unseren Sparvorschlägen gefragt. Weil
wir uns in einer Haushaltsdebatte befinden, will ich dieser Frage auch nicht ausweichen. Wo kann gespart werden? Sie können bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sparen, und zwar weniger in den neuen Bundesländern,
wo sie gebraucht werden, sondern vielmehr in den alten
Bundesländern, wo sie in ihrer bisherigen Form in vielen
Bereichen eine Ressourcenverschwendung darstellen.
Des Weiteren sind Einsparungen in Bereichen der
Fort- und Weiterbildung möglich, in denen die notwendige Qualität nicht gewährleistet ist. Ich möchte betonen,
dass die Fort- und Weiterbildung dringender denn je
benötigt wird. Aber wir brauchen eine qualitätvolle Fortund Weiterbildung. Deshalb muss die Spreu vom Weizen
getrennt werden. Der Bundesrechnungshof - wenn Sie
schon nicht auf uns hören, dann vielleicht auf ihn - hat in
einem internen Papier, das auch in Teilen der Presse veröffentlicht worden ist, die Effizienz von Weiterbildungsmaßnahmen der Arbeitsämter deutlich kritisiert. Es kann
nicht angehen, dass weder Lehrpläne noch Unterrichtsmethoden der Bildungsträger präzise geprüft werden und
Erfolgsbilanzen nicht in ausreichender Präzision vorgelegt werden.
({18})
Wenn Sie über den Bereich der Fachpolitik hinausgehen, gibt es noch viele andere Möglichkeiten zu sparen.
Auch den Vertretern des Finanzministeriums sei dieser
Hinweis gewidmet. Schauen Sie sich einmal den Haushalt
der Europäischen Kommission an! Sage und schreibe
zum achten Mal hintereinander hat der Europäische Rechnungshof dem Haushalt der Europäischen Union das Testat verweigert. Er will sich mit dem Haushaltsplan der
Europäischen Union nicht beschäftigen, weil er so viele
Unrichtigkeiten enthält. Ich meine, es dürfte für Sie - Sie
haben ja die EU-Kommissarin Schreyer gewählt - sehr
lohnend sein, den Hinweisen des Europäischen Rechnungshofs nachzugehen und zu fragen, warum er das Testat verweigert hat und wo die Milliarden geblieben sind,
die offensichtlich nicht entsprechend den Bestimmungen
ausgegeben worden sind. Hier haben Sie ein lohnendes
Gebiet. Wenn Sie sich darum kümmern, werden Sie ohne
Probleme einiges einsparen können.
({19})
Der durchgehende Faden meiner Rede ist ja mehr Vertrauen und Berechenbarkeit. Herr Minister Clement, viele
in diesem Hause, aber nicht nur hier rechnen damit, dass
Sie die Mehrwertsteuer nach dem 2. Februar 2003, wenn
die Landtagswahlen in Niedersachsen und Hessen vorbei
sind, entgegen Ihren jetzigen Beteuerungen erhöhen werden.
({20})
Ich möchte Sie zum Schluss auffordern: Sagen Sie ohne
gedrechselte Formulierungen ganz klar, ob Sie die Mehrwertsteuer nach dem 2. Februar 2003 erhöhen wollen, Ja
oder Nein! Wenn Sie das täten, dann wäre das ein erster
Schritt hin zu mehr Glaubwürdigkeit und zu mehr Wirtschaftswachstum.
({21})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Rainer Wend,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Der Abgeordnete mit dem bezeichnenden Namen
Fuchtel meinte eben dem Bundeswirtschaftsminister vorwerfen zu müssen, er habe einen Tunnelblick und sehe nur
noch Statistiken. Ich will Ihnen - das wissen Sie vielleicht
nicht, Herr Fuchtel - Folgendes dazu sagen: Als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen war Herr Clement
monatelang unterwegs und hat bei den Unternehmen bis
hin zu den kleinsten Buden buchstäblich Lehrstellen aufgesammelt, damit die Jugendarbeitslosigkeit bekämpft
werden kann.
({0})
Wenn man einem Politiker in diesem Land nicht vorwerfen kann, dass er keine Schicksale, sondern nur Statistiken
sehe, dann ist es Minister Clement. Er weiß sehr genau,
worüber er redet.
({1})
Zurzeit - das weiß ich sehr wohl - haben wir es nicht
immer sehr leicht, mit Vertretern von Verbänden und mit
Unternehmern über unsere Politik zu sprechen. Aber jeder
räumt ein, dass er verdammt froh sei, dass wir mit Minister Clement jemanden hätten, dem man es geradezu körperlich ansehe, wie er darum kämpfe, dass die Massenarbeitslosigkeit in unserem Land endlich abgebaut werde
und dass nicht Statistiken, sondern Menschen und Schicksale gesehen würden.
({2})
Lassen Sie mich noch ein Wort zu den Vorschlägen der
Hartz-Kommission sagen. Bei diesen Vorschlägen stehen
Überlegungen zum Thema Zeitarbeit im Zentrum.
Herr Kollege Wend, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Schauerte?
Wenn meine Redezeit angehalten wird, dann ja.
Selbstverständlich.
Gerne, Herr Schauerte.
({0})
Halt die Luft an! Das wäre am förderlichsten. - Herr
Kollege Wend, Sie haben gerade den ehemaligen Ministerpräsidenten Clement für seine erfolgreiche Ausbildungstour durch Nordrhein-Westfalen gelobt. Die Zahlen
sprechen aber eine andere Sprache. In keinem anderen
Land ist die Jugendarbeitslosigkeit so stark gestiegen wie
in Nordrhein-Westfalen. Ich möchte Ihnen eine Zahl
konkret nennen - was halten Sie davon? -: Im letzten Jahr
sind in Nordrhein-Westfalen 7,2 Prozent der Ausbildungsplätze weggebrochen. Einen solch starken Abbau an
Ausbildungsplätzen hat es in keinem anderen Bundesland
gegeben. Wollen Sie also an Ihrem Lob für Herrn Clement
festhalten oder wollen Sie den Zahlen Rechnung tragen?
Ich möchte mein Lob für unseren Minister für Wirtschaft und Arbeit sogar ausdehnen, lieber Herr Kollege
Schauerte.
({0})
Denn wenn man sieht, dass das Bundesland Bayern über
Jahrzehnte von Subventionen, die von anderen Bundesländern, übrigens auch von Nordrhein-Westfalen, bezahlt
wurden, gelebt hat, und wenn man sieht, dass in Nordrhein-Westfalen ein sozial abgefederter Strukturwandel in
der Kohle- und Stahlindustrie herbeigeführt wurde, der
seinesgleichen sucht, dann kann man stolz darauf sein,
was Herr Clement als Ministerpräsident in NordrheinWestfalen geleistet hat.
({1})
Ich komme noch einmal auf die Vorschläge der HartzKommission zurück, in deren Zentrum die Zeitarbeit steht.
Ich bin unsicher, ob unsere Positionen an dieser Stelle
tatsächlich so weit auseinander liegen. Es gibt - auch
das ist etwas vereinfacht dargestellt - zwei Kategorien
von Zeitarbeitnehmern: Die einen sind gut qualifiziert
und können schon jetzt zum Teil hervorragend vermittelt
werden. Ist denn die Anwendung des Prinzips „Gleicher
Lohn für gleiche Arbeit“ auf diese Gruppe wirklich ein
Problem, Herr Laumann? Wenn eine Sekretärin bei einer
Fraktion als Zeitarbeitnehmerin eingestellt wird, bekommt sie den gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Das ist
doch überhaupt kein Thema. In diesem Bereich sollten
wir uns einig sein.
Problematisch ist die zweite Gruppe, nämlich die
Langzeitarbeitslosen, die weniger gut Qualifizierten.
Wenn wir denen helfen wollen - das sage ich ganz deutlich -, dann kann doch kein Zweifel daran bestehen, dass
ihre Löhne unter denen der klassischen Tarifverträge liegen müssen. Das sollte nicht streitig sein. Streitig könnte
nur sein, wie man die Entlohnung der Langzeitarbeitslosen regeln will. Wir wollen dies nicht dem völlig freien
Spiel der Kräfte überlassen, sondern wir wollen, dass Gewerkschaften und Zeitarbeitsunternehmen für diese Beschäftigten spezielle Tarifverträge abschließen, nach denen der Lohn unterhalb des üblichen Tariflohns liegt, die
aber so gestaltet sind, dass es sich noch lohnt, dafür zu arbeiten. Das ist der Interessenausgleich, den wir hinbekommen wollen. Dafür brauchen wir die Gewerkschaften
und die Unternehmerverbände. Wir setzen darauf, dass
solche Tarifvereinbarungen in den nächsten Monaten zustande kommen.
Ich rate Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, dieses Problem sachlich anzugehen. Sie müssen
sich doch auch fragen, ob Sie wollen, dass Gewerkschaften und Unternehmerverbände weiterhin Tarifverträge
schließen. Wir halten das für sinnvoll, und zwar nicht nur
für Kernarbeitsverhältnisse, sondern auch für Zeitarbeitsverhältnisse. Deshalb lassen Sie uns das machen und an
dieser Stelle nicht über Prinzipien streiten.
({2})
Das Hartz-Konzept ist verdammt wichtig, aber nicht
alles, meine Damen und Herren. Wenn wir mehr Beschäftigung schaffen wollen, dann brauchen wir eine Offensive für Existenzgründungen, eine Offensive für den
Mittelstand. Lassen Sie mich dazu - das richtet sich auch
an Sie, Herr Minister Clement - vier konkrete Vorschläge
machen:
Thema Nummer eins - ich traue mich schon gar nicht
mehr, das Wort in den Mund zu nehmen, weil es wirklich
eine Banalität ist - ist die Entbürokratisierung.
({3})
Hier muss man aber auf zwei Dinge aufpassen: Wer beim
Thema Entbürokratisierung immer nur die Abschaffung
der Schutzbestimmungen des Arbeitsrechts im Munde
führt, der missbraucht es für Sozialabbau. Das ist mit uns
Sozialdemokraten nicht zu machen, Herr Laumann.
({4})
Außerdem sollten wir - das sage ich auch an die Adresse
der SPD - mit der Einrichtung von Kommissionen aufhören.
({5})
Jede ministerielle Kommission, egal unter welchem Minister, hat in der Vergangenheit wenig zur Entbürokratisierung
beigetragen. Wir müssen uns mehr Mut vornehmen. Das
heißt auch, die Idee von Altkanzler Helmut Schmidt aufzugreifen, nämlich in einigen Bereichen unseres Landes bestimmte bürokratische dauerhafte Regelungen außer Kraft
zu setzen und anschließend zu prüfen, was dabei herausgekommen ist. Wenn es darum geht, das auszuprobieren, darf
man nicht nur über die neuen Länder reden. In Abstimmung
mit anderen biete ich gern die sehr mittelständisch geprägte
Region Ostwestfalen-Lippe dafür an.
({6})
Das zweite Thema, das ich ansprechen möchte, bezieht
sich auf die Ich-AG. Dies muss ausgedehnt werden. Wenn
wir eine Kultur von Selbstständigkeit und Mittelstand,
wenn wir Existenzgründungen wollen, dann müssen wir
uns überlegen, ob wir nicht nur für die Ich-AG, sondern
insgesamt für Kleinstunternehmen ein spezielles Steuerrecht schaffen sollten, das ihnen in der Phase der Existenzgründung und - wenn sie klein bleiben - darüber hinaus einen besonderen steuerlichen Spielraum gibt, um
sich im Laufe der Jahre Eigenkapital zu erarbeiten und auf
Dauer am Markt tätig zu sein.
Ich komme nun auf das dritte Thema zu sprechen. Wir
haben große Sorgen im Bereich der Mittelstandsfinanzierung. Es ist richtig, durch Zusammenführung von
KfW und DtA eine Mittelstandsbank zu gründen. Dadurch nutzen wir die flexiblen Möglichkeiten der DtA für
die Zukunft.
Das allein wird aber nicht reichen; denn wir wollen die
Förderkredite nach wie vor über die Hausbanken ausreichen und keine direkte Staatsbank schaffen. Wenn dies
Erfolg haben soll, müssen wir daran denken, die Margen
für die Hausbanken zu erhöhen, und auch über erweiterte
Haftungsfreistellungen für die Hausbanken sprechen.
Außerdem müssen wir über eine Stärkung der Eigenkapitalbildung durch privates Beteiligungskapital nachdenken. Dieses Instrument ist in Deutschland im Gegensatz
zu den angelsächsischen Ländern deutlich unterentwickelt, weil es sich für die Unternehmen in der Vergangenheit mehr gelohnt hat, auf Fremdkapital zurückzugreifen, da die steuerlichen Regelungen von CDU/CSU
und FDP das ausgeschüttete Kapital im Vergleich zum
einbehaltenen Kapital privilegierten. Das haben wir verändert. Also müssen wir zur Finanzierung des Mittelstandes auch das private Beteiligungskapital wieder stärker in
den Vordergrund rücken.
({7})
Herr Kollege Wend, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Wöhrl?
Ja, selbstverständlich, Frau Wöhrl.
Lieber Kollege Wend, ich habe mit Freude vernommen, dass Sie privates Beteiligungskapital künftig wieder
besser stellen wollen. Gehe ich richtig in der Annahme,
dass Sie dann dem § 17 Einkommensteuergesetz seine
frühere Fassung wiedergeben und Steuerfreiheit bis zu
einer 20-prozentigen Beteiligung an einer Existenzgründung gewähren wollen? Sie haben dies in Ihrer Regierungszeit auf 1 Prozent gesenkt, sodass der gesamte private Beteiligungskapitalmarkt zusammengebrochen ist.
Frau Wöhrl, es bereitet mir natürlich eine besondere
Genugtuung, dass ich Ihnen mit meinen Bemerkungen
eine Freude machen konnte. In der Sache aber halte ich es
für bezeichnend, dass Sie allein nach Steuersubventionen
rufen, wenn ich sage, dass wir die Eigenkapitalbildung in
Deutschland dadurch stärken müssen, dass wir wieder privates Eigenkapital in den Vordergrund rücken und die alten steuerlichen Regelungen, die die Hereinnahme von
Fremdkapital geradezu begünstigt haben, novellieren.
Auf Dauer werden wir keine niedrigen Steuersätze - wir
wollen den Eingangssteuersatz auf 15 Prozent senken schaffen können, wenn gleichzeitig die steuerlichen Bemessungsgrundlagen weiter verengt werden. Steuersubventionen werden abgeschafft werden müssen, damit wir
niedrige Steuersätze erreichen können. Daran werden wir
festhalten, Frau Wöhrl.
({0})
Ein letztes Instrument, das mir wichtig ist und das wohl
bei uns allen noch nicht so bekannt ist, sind die öffentlichprivaten Partnerschaften. Was meine ich damit? Wir müssen Haushaltskonsolidierung betreiben. Daran kommen
wir nicht nur wegen Europa nicht vorbei, sondern auch
aus ökonomischen Gründen nicht, weil sich der Staat auf
dem Kapitalmarkt nicht so stark bedienen darf, wenn er
niedrige Zinsen gewährleisten will. Gleichzeitig wollen
wir aber auch öffentliche Investitionen stärken, weil eine
gute Infrastruktur ein besonders wichtiger Standortvorteil
unseres Landes ist und weil wir mithilfe der öffentlichen
Investitionen Beschäftigung generieren wollen. Wie gehen die Stärkung der Investitionen und die Haushaltskonsolidierung zusammen? - Dazu brauchen wir neue Instrumente, die übrigens auch unter dem Ministerpräsidenten
Wolfgang Clement in Nordrhein-Westfalen genutzt wurden. Eines dieser Instrumente heißt Public Private Partnership. Es bedeutet, Investitionen privat finanzieren und
übrigens auch privat betreiben zu lassen - es ist nicht nur
ein Finanzierungsmodell - und in Kooperation mit privaten Kapitalgebern zu versuchen, die Belange der öffentlichen Hand, die öffentliche Daseinsvorsorge sicherzustellen, zu stärken und zugleich Haushaltskonsolidierung
zu betreiben. Meine Bitte an das Ministerium und an die
Fraktionen dieses Hauses lautet, diesem Instrument verstärkte Aufmerksamkeit zuzuwenden, da es, wie Großbritannien, Portugal und andere Länder zeigen, ein Ansatz
zur Lösung der Problematik sein kann.
Abschließend erlaube ich mir, auch für die Zuschauer
ein Zitat zu verlesen, das ich richtig zu verstehen bitte.
Der Porsche-Manager Wendelin Wiedeking schrieb gestern in der „FAZ“:
Deshalb ist die Frage schon falsch, ob diese Bundesregierung den Standort Deutschland gefährdet. Gefährdet wird er durch eine Haltung der Individualinteressen, die auf das Gesamtwohl keine Rücksicht
mehr nimmt.
Was will ich damit sagen? Ich will damit nicht sagen,
dass wir, die Koalitionsfraktionen, keine Aufgaben mehr
haben. Das ist weiß Gott nicht so. Ich will damit sagen,
dass Gemeinwohl Modernisierung unseres Landes, Modernisierung der sozialen Sicherungssysteme und Modernisierung der Arbeitsmärkte heißt. Gleichzeitig heißt
Gemeinwohl: Sicherheit und Verlässlichkeit für die Menschen in unserem Land, die auf dem Weg in die Zukunft
mitgenommen werden müssen. Gemeinwohl heißt also,
beide Richtungen zusammenzuführen. Darum bemühen
wir uns in der nächsten Zeit.
({1})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Ernst
Hinsken, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister Clement, in Ihrer Rede haben Sie vieles
schöngefärbt. Es wäre gut, wenn einiges von dem, wovon
Sie glaubten, es uns hier bereits sagen zu können, wahr
werden würde.
Zum Kollegen Stiegler möchte ich sagen - das gilt insbesondere in der Weihnachtszeit -: Immer schön bei der
Wahrheit bleiben!
({0})
Ich habe sehr wohl registriert, dass er für die falschen
Zahlen, die er uns an die Hand geben wollte, von der
linken Seite des Parlaments keinen Beifall bekommen
hat. Es kann nicht bestritten werden, dass es in der
Bundesrepublik Deutschland allein in diesem Jahr über
40 000 Konkurse gab, dass alle 15 Minuten ein Betrieb
Pleite geht
({1})
und dass - das kann man leider nicht wegdiskutieren - jeden Tag 115 Betriebe „über die Wupper gehen“. Allein in
diesem Jahr sind es bereits 10 000 Betriebe mehr als im
Rekordjahr 2001 und doppelt so viele wie 1998.
Nicht nur das, was Herr Stiegler zu den Insolvenzen
gesagt hat, war falsch, sondern auch das, was er zu den
Selbstständigen gesagt hat.
({2})
Der Anteil der Selbstständigen in der Bundesrepublik
Deutschland ist nämlich rückläufig. Im Vergleich zum Jahr
2000 gab es im Jahr 2001 in der Bundesrepublik Deutschland laut Statistischem Bundesamt - ich habe mir diese
Zahlen extra geben lassen - über 11 000 Selbstständige weniger. Wenn Sie schon Zahlen nennen, dann bitte richtige!
({3})
Auch durch die heutige Diskussion hat sich das Thema
Hartz wie ein roter Faden gezogen. Mit dem Thema Hartz
- der Minister, der verehrte Kollege Dr. Wend, der Herr
Brandner und verschiedene andere haben es angesprochen - ist es wie mit einer Rakete: Erst knallt es - vollmundige Ankündigungen werden in die Welt gesetzt -,
dann zischt es - in einer Kirche wird eine riesengroße
Feier aufgezogen -, dann stinkt es - die SPD greift die wenigen entscheidenden Punkte, die es gab, auf, um sie dann
auf Druck der Gewerkschaften nicht umzusetzen - und
jetzt ist es dunkel.
({4})
Von den Ankündigungen ist nur sehr wenig übrig geblieben und die Arbeitslosen schauen sozusagen ins Ofenrohr.
So sieht es mit der Umsetzung der Vorschläge der HartzKommission aus.
({5})
Wir sollten gerade die Jahreszeit nicht vergessen;
schließlich steht Weihnachten vor der Tür und in 26 Tagen
geht das Jahr zu Ende. Noch nie sind in der Bundesrepublik Deutschland so viele betriebliche Weihnachts- und
Adventsfeiern abgesagt worden.
({6})
In vielen Betrieben musste das Weihnachtsgeld gestrichen
oder reduziert werden, weil die Betriebe es einfach nicht
mehr packen. Das kann doch nicht wegdiskutiert werden.
Viele Handwerks- und Mittelstandsbetriebe konstatieren, dass das Geschäftsklima in den Sommermonaten
noch nie so schlecht wie in diesem Jahr war.
({7})
Im Durchschnitt waren 48 Prozent der Betriebe im Westen und 44 Prozent der Betriebe im Osten von Umsatzeinbußen betroffen. Das bedeutet im laufenden Jahr einen
Verlust von 900 000 Arbeitsplätzen.
Die Bauwirtschaft und das Ausbaugewerbe sind davon besonders betroffen. Viele Betriebe - das berührt
mich am meisten - leben momentan von der Substanz.
Deshalb verstehe ich, dass die Baufirmen vor 14 Tagen
und vor vier Wochen hier in Berlin auf die Straße gegangen sind, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen.
({8})
Dahinter stehen jede Menge Probleme, von denen nicht
nur die Firmen, sondern auch die einzelnen Mitarbeiter betroffen sind, weil sie Angst um ihren Arbeitsplatz haben.
In vielen Betrieben sind Frust und Aggression zu
spüren. Deshalb die klare und eindeutige Aussage von
uns: Die Wirtschaft und vor allen Dingen der Mittelstand
brauchen dringend eine verlässliche Politik, die wieder
Vertrauen schafft,
({9})
eine mittelstandsgerechte Politik, die die Mehrheit der Betriebe und der dort Beschäftigten wieder in den Mittelpunkt
stellt, eine Politik für die Leistungsträger unserer Gesellschaft, die diese motiviert, ihre Leistungsfähigkeit zu entfalten und neues Wachstum zu schaffen. Nur durch Wachstum kann der Staat die Einnahmen erzielen, die er für die
Zukunftssicherung im Sinne der Solidarität braucht.
Leider, verehrte Kolleginnen und Kollegen, hat die
Fülle von wirtschaftspolitischen, steuerpolitischen und
vor allem sozialpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung in jüngster Zeit nicht dazu beigetragen, das notwendige Vertrauen in eine Politik für den Mittelstand wiederherzustellen.
({10})
Das Handwerk meldet, dass nach dem Umsatzrückgang in diesem Jahr von rund 4,5 Prozent mit dem Verlust
von fast 300 000 Arbeitsplätzen im nächsten Jahr ein Minus von weiteren 3 Prozent mit einem zusätzlichen Verlust von 100 000 bis 300 000 Stellen befürchtet wird. Herr
Bundesminister Clement, das berührt mich. Da können
Sie hier zehnmal sagen, der Export steige wieder. Wie
sieht es denn mit der Binnenwirtschaft aus? Auch diese
Betriebe ringen doch ums nackte Überleben. Für diese
Betriebe muss eine Politik gemacht werden, die in sich
schlüssig ist.
Ich meine auch, dass Bundeskanzler Schröder gestern
bei der großen Debatte hier im Bundestag wieder eine
Chance verspielt hat, gab es doch wieder kein Signal
dafür, dass die Bundesregierung gewillt ist umzusteuern.
Denn gerade der Mittelstand braucht dringend Korrekturen, wie eine Unternehmensteuerreform, darüber hinaus
eine Verringerung der überhöhten Lohnzusatzkosten
durch Strukturreformen, ein Sozialversicherungssystem,
dass er tragen kann, und weniger Belastungen durch die
Bürokratie.
Herr Minister Clement, die Botschaft höre ich wohl:
Sie wollen die Bürokratie abbauen. Das hat Ihr Vorgänger versucht und die Mittelstandsbeauftragte der damaligen Bundesregierung - sie sitzt ja heute unmittelbar hinter Ihnen - ist mit dem hehren Versprechen angetreten,
dafür zu sorgen, dass Bürokratie abgebaut wird.
({11})
Geboren werden sollte ein großer Elefant, herausgekommen ist zu guter Letzt ein kleines Mäuschen. Wir werden
Sie in Bezug auf das, was Sie heute versprochen haben,
beim Wort nehmen.
({12})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, insbesondere Herr
Stiegler, der Sie ein so positives Bild der Lage des Mittelstands und der Wirtschaft gezeichnet haben: Es ist doch
alarmierend, wenn wir feststellen müssen, dass fast ein
Drittel der mittelständischen Betriebe ohne jeden Gewinn
arbeitet und mehr als die Hälfte der kleineren Mittelständler mit einem Jahresumsatz von 5 Millionen Euro
überhaupt kein Eigenkapital mehr hat. Besorgt Sie das
nicht?
({13})
Da können Sie doch nicht sagen: Die Stimmung ist gut,
die Lage ist gut, wir brauchen nichts zu machen; man soll
das würdigen. Dazu sage ich: Das kann nicht ohne weiteres hingenommen werden und das tun wir auch nicht.
({14})
Es ist höchste Zeit, dass auch Bundeskanzler Schröder
diese Probleme sieht. Anstatt sich den Problemen zu widmen, hat er gestern erneut von der Verrohung der Sitten
gesprochen und den CSU-Landesgruppenvorsitzenden,
Michael Glos, angegriffen.
({15})
Wie ein Marktschreier
({16})
versuchte er, seine Ladenhüter an den Mann zu bringen.
Hat denn Schröder vergessen, dass er den Kanzlerkandidaten der Union, nämlich Herrn Stoiber,
({17})
als das eingestuft hat, was er selbst und nicht Stoiber ist:
unfähig, die Herausforderungen zu meistern und die Probleme zu lösen?
({18})
Hat nicht der Bundeskanzler die Arbeitgeber als fünfte
Kolonne und Kettenhunde der Opposition bezeichnet?
Ich frage mich schon, wer hier für die Verrohung der Sitten verantwortlich ist, wenn man so vorgeht und dann mit
dem Finger auf andere zeigt.
({19})
Im Wahlkampf haben Sie auf Wahlplakaten und in Inseraten
mit Versprechen geworben, die Sie nicht einhalten können.
({20})
Es gibt das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, von
uns mit beschlossen, in dem es heißt: Irreführung des Verbrauchers ist verboten. Das Gesetz haben wir gemeinsam
beschlossen, aber Sie haben die Leute hinters Licht geführt.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, zurzeit erreichen
uns Abgeordnete viele besorgte Briefe. Mittlerweile haben viele Mitbürger Angst, ob die Zukunft bewältigt werden kann.
({21})
80 Prozent sind mit der Arbeit der Bundesregierung unzufrieden.
({22})
Noch nie hat ein Bundeskanzler der Bundesrepublik
Deutschland nach Wahlen einen solch schnellen Vertrauensverlust erlebt.
({23})
Sie, Herr Clement, und der Bundeskanzler schieben alles
auf die Weltwirtschaft. Ein Blick auf unsere Nachbarn
zeigt aber ein völlig anderes Bild.
({24})
Das Wirtschaftswachstum ist in diesem Jahr in Frankreich
- hören Sie gut zu - fünfmal so hoch, in Italien zweimal
so hoch, in Großbritannien achtmal so hoch
({25})
und in den USA zwölfmal so hoch wie bei uns. Bei uns
liegt es bei 0,2 Prozent.
({26})
- Diese Zahlen stimmen, Herr Kollege Stiegler, im Gegensatz zu den von Ihnen vorgetragenen Zahlen. Ich habe
sie eruiert;
({27})
für sie stehe ich ein. Sie machen mich besorgt. In ihnen
kommt die falsche Politik dieser rot-grünen Regierung
zum Ausdruck, die auf Dauer gesehen für die Bundesrepublik Deutschland unerträglich wird.
({28})
Herr Kollege Hinsken, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Jawohl, ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin.
Es gilt, unser Land nach vorn zu bringen.
({0})
Wir haben das Potenzial zur Wende. Schließlich verfügt
unser Land über eine hoch motivierte Unternehmerschaft,
gerade auch im Mittelstand, über eine große Zahl qualifizierter Arbeitskräfte, über hochleistungsfähige Forschungsund Entwicklungskapazitäten, über technisches und organisatorisches Wissen von bester Qualität
Herr Kollege Hinsken, Sie sind erfahren genug, um zu
wissen, dass Sie jetzt weit über Ihre Redezeit hinaus sind.
- und über eine hervorragend ausgebaute wirtschaftsnahe Infrastruktur.
Verehrte Frau Präsidentin, ich möchte mich herzlich
dafür bedanken, dass Sie mich 1 Minute und 36 Sekunden
haben überziehen lassen.
Herzlichen Dank, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege
Hans Eichel.
({0})
Verehrter Herr Kollege, zu Ihren Märchenzahlen über
das Wachstum: Zurzeit liegen vier Länder in der Eurozone in Bezug auf das Wachstum hinter Deutschland.
Frankreich hat im dritten Quartal nur noch 0,2 gegenüber
dem Quartal davor, bei uns sind es 0,3. Italien liegt hinter
uns, die Niederlande liegen hinter uns, Luxemburg liegt
hinter uns. Das ist die gegenwärtige Situation des Wachstums in der Eurozone.
({0})
Herr Kollege Hinsken, Sie können antworten.
({0})
Verehrter Herr Minister Eichel, Sie haben mich als Abgeordneter angesprochen; dann sollten Sie auch das Abgeordnetendasein fristen, das Ihnen in Zukunft vielleicht
vorbehalten ist.
Herr Kollege Hinsken, der Herr Minister darf Ihre Antwort auch auf der Regierungsbank entgegennehmen.
Bitte schön, Sie haben das Wort.
Ich warte, bis Sie auf der Regierungsbank Platz genommen haben. Es sei Ihnen gegönnt, diese Tage noch in
Ruhe verleben zu können.
({0})
({1})
Verehrter Herr Minister Eichel, aufgrund Ihrer Einlassung möchte ich ausdrücklich feststellen, dass wir in dieser Skala dort stehen, wo ich gesagt habe, dass wir stehen.
Ich habe mich heute Vormittag noch einmal erkundigt und
musste leider in Erfahrung bringen, dass die USA, Frankreich und die anderen von mir genannten Länder besser
dastehen als die Bundesrepublik Deutschland. Nichts
würden wir von der Opposition mehr wünschen, als dass
es bei uns genauso gut bestellt sein möge und wir beim
Wirtschaftswachstum auch mit solchen Zuwachszahlen
glänzen könnten.
Wenn wir einmal wieder ein Wirtschaftswachstum
von mehr als 2,5 Prozent haben, wird auch die Zahl
der Arbeitslosen zu verringern sein. Aber unter Ihrer
Regierung, die falsche Weichenstellungen und eine
falsche Politik betreibt, wird dies nicht möglich sein.
Darum habe ich dies in meiner Rede angesprochen,
nämlich um den Finger auf die Wunde zu legen und zu
sagen: Nehmt euch ein Beispiel an anderen Regierungen, die zum Teil anders ausgerichtet sind und eine bessere Politik machen, als sie hier gemacht wird, eine
Politik, die ich für die Bundesrepublik Deutschland nur
allzu gern hätte.
({2})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich rufe Zusatzpunkt 6 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Angela Merkel, Michael Glos, Volker Kauder,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
- Drucksache 15/125 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Peter Altmaier, CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir werden
mit diesem Untersuchungsausschuss klären, ob und, wenn
ja, inwieweit die Bundesregierung den Bundestag oder die
Öffentlichkeit über die Lage des Bundeshaushaltes, über die
Einhaltung der EU-Stabilitätskriterien und über die Finanzlage der Renten- und Krankenversicherungen falsch oder
unvollständig informiert hat. Wir sind durch die verheerende öffentliche Diskussion in den letzten Wochen,
({0})
durch den rapiden Vertrauensverfall der Bundesregierung
sowie durch die unverfrorenen, widersprüchlichen und
völlig unbefriedigenden Aussagen der Regierung zu den
gegen sie erhobenen Vorwürfen zu diesem Schritt gezwungen.
({1})
Hans-Ulrich Jörges, Journalist vom „Stern“, ein kluger
Kopf und weiß Gott nicht im Verdacht besonderer CDUNähe, schreibt:
({2})
Gäbe es noch Anstand in der Politik, wäre - in Japan
kennt man solche Demutsgesten - eine Entschuldigung des Kanzlers fällig für das beispiellose Betrugs- und Verschleierungsmanöver ... und zwar im
Bundestag.
Recht hat er und er ist beileibe nicht der Einzige, der solche Vorwürfe gegen Sie erhebt.
({3})
Die Kritik am Untersuchungsausschuss, die Sie landauf, landab hören, lautet, man solle sich lieber den Zukunftsfragen zuwenden, denn dass die Regierung gelogen
und die Unwahrheit gesagt habe, wisse inzwischen ohnehin jeder.
({4})
Meine Damen und Herren, wenn wir es zuließen, dass es
für selbstverständlich und normal gehalten wird, dass Regierungen falsch informieren oder die Unwahrheit sagen,
({5})
dann wäre dies nichts anderes als die Selbstaufgabe und
Bankrotterklärung unseres politischen Systems. Solches
Fehlverhalten aufzudecken, ist Dienst an der politischen
Kultur und zukunftsgerichtet.
({6})
Es geht uns nicht - wie Sie vielleicht vermutet haben um irgendwelche Reden von SPD-Wahlkämpfern, es geht
uns nicht um die Schönfärberei in Ihrem Regierungsprogramm
({7})
und auch nicht um die Verlautbarungen von Herrn
Müntefering. Diese haben uns vermutlich mehr Wähler
gebracht als Ihnen. Nein, es geht uns darum, dass die
Regierung als Staatsorgan, dass die Minister und Staatssekretäre die verfassungsrechtliche Pflicht haben, das
Parlament und die Öffentlichkeit wahrheitsgemäß zu informieren, und zwar unabhängig davon, ob gerade Wahlkampf ist oder nicht.
({8})
Weil wir den Untersuchungsauftrag so formuliert haben, dass er sich ausdrücklich und ausschließlich auf das
Verhalten der Regierung gegenüber dem Bundestag und
den Bürgern bezieht, ist seine Formulierung über jeden
verfassungsrechtlichen Zweifel erhaben und die Einschaltung des Vermittlungsausschusses durch die rot-grüne
Mehrheit ohne jede Berechtigung und Begründung.
({9})
Der Ausschuss ist notwendig. Herr Gabriel erklärt: Die
Wahrheit vor der Wahl? - Das hätten Sie wohl gern gehabt. Frau Simonis erklärt: Sie wussten die Zahlen, wie
wir sie gewusst haben. Herr Metzger, Ihr ehemaliger
Haushaltsexperte, sagt, die Bundesregierung und auch der
Bundesfinanzminister hätten sich fürs Weiterregieren und
gegen die Ehrlichkeit entschieden. Nur Sie, Herr Eichel,
als der zuständige Minister erklären unverdrossen, Sie
seien nach der Wahl aus allen Wolken gefallen und hätten
von alledem nichts gewusst. Herr Bundesminister, ich
vermute, Sie haben während der entscheidenden Monate
Urlaub auf der Insel der Ahnungslosen gemacht. Jetzt sind
Sie zurück in der Realität. Dieser Realität müssen Sie sich
stellen.
({10})
Die Sache ist zu ernst,
({11})
als dass Sie sie auf die leichte Schulter nehmen können.
In Deutschland und in anderen Ländern sind Minister und
Staatssekretäre zurückgetreten, weil sie dem Parlament
die Unwahrheit gesagt haben.
({12})
Das weiß natürlich auch Herr Eichel. Deshalb hat er, anders als Herr Gabriel und Frau Simonis, auch gar keine
andere Wahl, als an der offiziellen Version festzuhalten,
auch wenn sie inzwischen noch so unglaubwürdig ist.
({13})
Herr Eichel, Sie haben ein Recht darauf, dass wir Sie
mit Ihrer Version ernst nehmen und dass wir uns im Untersuchungsausschuss sachlich, akribisch und eingehend
mit Ihrer Version beschäftigen. Das will ich Ihnen zusagen. Wir werden Ihrer Version das gegenüberstellen, was
uns die Akten vermitteln und was uns die Beamten aus
den Ministerien und die Sachverständigen sagen.
({14})
Wenn sich jemand findet, der überzeugend und schlüssig
nachweist, dass sich zwischen dem Tag der Bundestagswahl, dem 22. September, und dem Tag des Abschlusses
der Koalitionsvereinbarung, dem 24. Oktober, alle volkswirtschaftlichen Basisdaten plötzlich in ihr Gegenteil verkehrten, dann werde ich den Betreffenden höchstpersönlich für den Nobelpreis für Neuentdeckungen in der
Wirtschaftswissenschaft vorschlagen.
({15})
Ich fürchte, Sie werden diesen Nachweis nicht führen
können. Das ist der Grund für die heillose Verwirrung,
die inzwischen in Ihren Reihen Platz gegriffen hat: Herr
Schröder spricht von Klamauk; Herr Gabriel findet den
Ausschuss gut; Herr Müntefering sieht verfassungsrechtliche Probleme; Herr Schmidt will Eichel und
Schröder noch vor Weihnachten in den Zeugenstand
rufen; Herr Wiefelspütz hofft auf den Geschäftsordnungsausschuss. Im Vergleich zu diesem Wirrwarr sind
sogar die täglich wechselnden Erklärungen von Herrn
Müntefering und Herrn Scholz zum Thema Mehrwertsteuererhöhung geradezu ein Ausbund an Klarheit und
Konsequenz.
({16})
Inzwischen habe ich den Eindruck, Sie setzen auf Verzögerung und Verschiebung, solange es nur irgendwie
geht. Damit tun Sie sich und der Sache keinen Gefallen.
Deshalb appelliere ich an Sie: Hören Sie damit auf und
sorgen Sie dafür, dass der Ausschuss unverzüglich seine
Arbeit aufnehmen kann!
Wir wollen aufklären, was war, um für die Zukunft zu
verhindern, dass sich Derartiges wiederholt, und zwar
ganz gleich, wer im Bund oder in den Ländern regiert.
({17})
Wir Politiker sind im besonderen Maße abhängig vom Vertrauen und vom Zutrauen der Bürgerinnen und Bürger.
({18})
Es ist die Grundlage unserer Legitimation. Deshalb dürfen wir nicht zulassen, dass dieses Vertrauen immer weiter beschädigt und ausgehöhlt wird.
({19})
Herr Kollege Dr. Wiefelspütz, aus den vergangenen
acht Jahren in diesem Parlament schätze ich Ihre Sachkunde und Ihre Integrität.
({20})
Ich wünsche mir, dass dies so bleibt. Ich freue mich auf
eine gute Zusammenarbeit im Untersuchungsausschuss.
Herr Kollege Benneter, Sie sind neu in diesem Haus.
Aber ich erinnere mich an Ihre Zeit als Juso-Bundesvorsitzender,
({21})
wo Sie den Mut hatten, auch gegen die Obrigkeit das zu
vertreten, was Sie für richtig gehalten haben. Sie werden
ein verantwortungsvolles Amt haben. Ich bitte Sie: Verwechseln Sie im Interesse der gemeinsamen Sache das
Amt des Ausschussvorsitzenden nicht mit dem des Sprechers der SPD-Fraktion in diesem Untersuchungsausschuss!
({22})
Meine Damen und Herren von der Koalition, ich
möchte Ihnen über die gesetzlichen Regelungen hinaus
einen Fairnesspakt anbieten,
({23})
in dem wir die Grundlagen für eine faire, gedeihliche und
zügige Ausschussarbeit vereinbaren. Ich möchte Sie um
eines herzlich bitten: Sie haben im Spendenuntersuchungsausschuss an das Verhalten der Politiker aus den
Reihen der Union strenge moralische Maßstäbe angelegt.
Wir fordern jetzt von Ihnen ein, dass wenigstens ein Teil
dieser Maßstäbe auch für das Verhalten der Bundesregierung gilt.
({24})
Meine Damen und Herren, wenn wir gemeinsam bereit
sind, in diesem Ausschuss auf die übliche Polemik zu verzichten,
({25})
wenn wir bereit sind, auch einmal vor der eigenen Tür zu
kehren, auch wenn es wehtut,
({26})
dann können wir mit diesem Ausschuss einen Beitrag zur
politischen Kultur und zur Wiedergewinnung von Glaubwürdigkeit in diesem Land leisten.
Vielen herzlichen Dank.
({27})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Dieter Wiefelspütz,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es schauen und hören uns in diesen Minuten viele
Menschen zu. Ich weiß nicht, ob wir uns dessen immer bewusst sind. Herr Altmaier, sie schauen uns allen zu. Für
diesen Deutschen Bundestag hat jeder von uns seine Verantwortung.
({0})
Der Deutsche Bundestag hat seit 1949 insgesamt
32 Untersuchungsausschüsse eingesetzt. Manche waren
sehr wichtig, andere vielleicht nicht ganz so wichtig. Aber
der Untersuchungsausschuss, den wir in den kommenden
Tagen oder Wochen einzusetzen gedenken, ist der überflüssigste, der jemals in Deutschland diskutiert worden ist.
({1})
Das ist die große, breite Stimmung in der Bevölkerung.
({2})
Diese Position vertreten im Grunde auch viele von Ihnen.
Der eine oder andere tut es sogar laut. Da muss ich nicht
unbedingt in den eigenen Reihen suchen. Die Kronzeugen
für diese Position gibt es in Ihren Reihen.
Meine Damen und Herren, das Untersuchungsrecht
ist ein ganz wichtiges Instrument des Parlamentes.
({3})
Ich habe heute Morgen einen französischen Diplomaten
zum Antrittsbesuch bei mir gehabt. Er sagte mir, so etwas
gebe es in Frankreich gar nicht. Solche Untersuchungsmöglichkeiten sehe das französische Verfassungsrecht
nicht vor. Was Sie zu unternehmen anstehen, sei in Frankreich undenkbar.
({4})
Ich habe ihm gesagt: Wir sind stolz darauf, dass wir ein
solches Untersuchungsrecht haben, das durch Art. 44 des
Grundgesetzes verbürgt ist. Es hat den Sinn, einen Sachverhalt aufzuklären, Herr Altmaier, und ihn politisch zu
bewerten, auch in der politischen Kontroverse.
Ein Untersuchungsausschuss hat nicht den Sinn und
die Aufgabe, eine Bundestagswahl infrage zu stellen.
({5})
Er hat nicht die Aufgabe - und das wollen Sie -,
({6})
im Nachhinein eine Bundestagswahlentscheidung unseres Volkes zu delegitimieren. Das ist Ihr Ziel und das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
({7})
Ein Untersuchungsausschuss ist auch nicht die Verlängerung des Wahlkampfes mit anderen Mitteln. Der Wahlkampf war am Sonntag, dem 22. September 2002, um
18 Uhr zu Ende. Begreifen Sie das endlich einmal! Sie haben die Wahl verloren. Sie werden sie nicht durch einen
Untersuchungsausschuss gewinnen.
({8})
Noch nie war ein Untersuchungsausschuss so überflüssig. Wir blamieren uns vor unseren Wählerinnen und
Wählern
({9})
mit solch einem Untersuchungsausschuss.
({10})
Wir haben alle miteinander eine Verantwortung für dieses
Parlament und für unsere Institutionen.
Herr Kollege Altmaier, wir haben mindestens eines gemeinsam - vermutlich haben wir auch noch andere Gemeinsamkeiten -: Sie und ich, wir dürfen nicht lügen. Sie
und ich, wir dürfen auch nicht heucheln und nicht vorverurteilen. Sie sagen hier: Ich habe einen seriösen Anspruch.
- Gleichzeitig sind Sie aber schon mit Ihrem Vorurteil fertig. Sie verurteilen Menschen.
({11})
Was wollen Sie eigentlich? Wollen Sie nur eine Bestätigung Ihrer Vorurteile? Wo ist das Mindestmaß an Fairness
im Umgang miteinander?
Ich sage: Sie beschädigen die Institutionen, wenn Sie
so vorgehen. Wir haben bei allem Streit und Kampf nicht
das Recht, einander zu diffamieren. Wir beschädigen damit die demokratische parlamentarische Kultur. Verlierer
sind wir letzten Endes alle, wenn wir das so betreiben.
({12})
- Ich bitte Sie sehr, sich zurückzunehmen. Ich pflege nicht
dummes Geschwätz am Rednerpult im Deutschen Bundestag von mir zu geben. Ich bitte Sie wirklich, auf dem
Teppich zu bleiben.
({13})
Wir entschuldigen uns nicht dafür, dass dieser zweifelhafte Untersuchungsantrag im Geschäftsordnungsausschuss auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüft wird.
({14})
Ich habe erhebliche Zweifel, ob Sie nicht in Wirklichkeit
eine Wahl delegitimieren wollen.
({15})
Ich habe erhebliche Zweifel, ob Sie den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung ausforschen wollen. Das
wird geprüft. Wir werden das nicht beliebig lange, sondern sehr zügig tun.
({16})
- Wovor habe ich Angst?
({17})
- Sie werden doch wohl nicht glauben, dass ich mich entschuldige oder dafür schäme, dass wir das Grundgesetz
auf Ihren Antrag anwenden. Ich bitte Sie! Wo sind wir
denn eigentlich?
({18})
Wir werden das zeitnah prüfen, Kollege Altmaier. Ich
denke durchaus, dass wir eine Chance haben, einen verfassungskonformen Untersuchungsantrag noch vor Weihnachten installieren zu können.
({19})
Wir schauen uns Ihren Antrag an und behalten uns vor,
ihn so zu ergänzen, dass er nicht einäugig ist. Die Wahrheit sieht man nur mit zwei Augen, nicht mit einem. Auch
dafür entschuldigen wir uns nicht.
({20})
Herr Kollege Wiefelspütz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Laurenz Meyer?
Ja.
({0})
Herr Kollege Wiefelspütz, bei uns gab es in der Partei
den einen oder anderen, der bezweifelte, dass der Unter1066
suchungsausschuss überhaupt noch nötig ist. Spätestens
nach Ihrer Einlassung jetzt müssen wir sagen: Was haben
die von der SPD für eine Angst vor diesem Untersuchungsausschuss?!
({0})
Jeder muss sich bestätigt fühlen, der diesen Antrag eingebracht hat.
({1})
Ich möchte Sie etwas fragen. Ich habe Sie im WDR in
der Sendung „Hart, aber fair“ gesehen. Dort haben Sie
von der ersten Fraktionssitzung der SPD nach der Bundestagswahl, die sich mit Sachfragen beschäftigt hat, berichtet. Sie haben ausgeführt, dass alle SPD-Kollegen bei
der Schilderung von Herrn Eichel bezüglich der Finanzfragen völlig vom Hocker gewesen seien. Sie seien völlig
erstaunt gewesen, wie schlecht plötzlich die Lage gewesen sei und hätten sich alle über ihren Informationsstand
völlig getäuscht gefühlt. Sie haben dann gesagt: Wenn er
uns die Unwahrheit gesagt hat, muss er eigentlich weg.
({2})
Deswegen frage ich Sie: Müssten Sie sich nach dieser
Aussage unserem Antrag nicht aus vollem Herzen anschließen?
({3})
Lieber Kollege Meyer, Sie sind mir schon seit längerer
Zeit aufgefallen
({0})
als Spezialist für Schmutz und Kampagne in Ihrer Fraktion und Partei.
({1})
Ein Beispiel dafür ist Ihr jetziger Beitrag. Sie stehen
auf und schämen sich nicht, meinen Beitrag dort fundamental zu verfälschen.
({2})
Ich bitte Sie, solche Unterstellungen zu unterlassen.
({3})
Wir haben es nicht nötig, uns von Ihnen hier anlügen zu
lassen, lieber Herr Meyer.
({4})
- Ja, für Ihren Generalsekretär sind Sie verantwortlich,
nicht ich. Ich habe ihn nicht ausgewählt.
({5})
Herr Altmaier, wir werden Anfang des kommenden
Jahres die Arbeit im Untersuchungsausschuss beginnen
können.
Vielleicht haben wir doch noch eine kleine Chance,
({6})
zur Sachlichkeit zurückzukommen. Ich biete Ihnen das
durchaus an. Wir können auch im Anschluss an diese Debatte erste Vorgespräche führen. Ich kann mir durchaus
vorstellen, dass wir in überschaubarer Zeit in diesem Untersuchungsausschuss zu einem Ergebnis kommen. Uns
von der SPD interessiert zum Beispiel sehr die Grundlage von Datenerhebungen und auch von Prognoseinstrumentarien, die wir in Deutschland haben. Ich stelle
fest, dass wir Anfang dieses Jahres Prognosen hatten, die
heute korrigiert werden - aber nicht etwa vonseiten der
Regierung, sondern von unabhängigen Instituten. Mich
interessiert: Wie gewinnt der Bundesfinanzminister, wie
gewinnt ein Landesfinanzminister relevante Daten für seinen Haushalt? Aufgrund welcher Daten kommen Minister - das gilt auch für Landesminister - zu politischen Entscheidungen?
Ich habe die Arbeitshypothese - aber es geht nicht um
Vorurteile, sondern es geht darum, das zu erarbeiten -,
Herr Altmaier, dass alle relevanten Daten in Deutschland
selbstverständlich jedermann und jeder Frau bekannt
sind. Die Daten, die relevant sind, kennt Herr Stoiber genauso wie der Bundeskanzler, die Ministerpräsidentin von
Schleswig-Holstein genauso wie der Bundesfinanzminister. Das ist alles allgemein bekannt.
Das würden wir gerne ergänzend mit in diesen Untersuchungsausschuss einbringen. Dann wollen wir sehen, ob
wir zu einem Ergebnis kommen - das ich nicht vorwegnehmen will. Ich bitte Sie sehr, Vorverurteilungen zu unterlassen. Das bringt überhaupt nichts. Es beschädigt
- ich sage es noch einmal - wichtige Institutionen. Wir beschädigen das elementare Recht des Parlamentes, Untersuchungen vorzunehmen, wenn wir gleich zu Beginn anfangen, Menschen zu diffamieren, vorzuverurteilen und den
Eindruck zu erwecken, wir wollten im Grunde den Wahlkampf in der Nachwahlkampfzeit fortsetzen. Damit beschädigen wir wichtige Instrumente des Parlaments. Damit
verfehlen wir unseren Arbeitsauftrag hier im Parlament.
({7})
Das ist die Grundüberzeugung unserer Bürgerinnen
und Bürger, die sagen: Das Parlament ist doch keine
Selbsterfahrungsgruppe. Sie sollen gefälligst die Arbeit
für das Volk machen und sich nicht mit sich selber beschäftigen.
({8})
Sie machen einen völlig überflüssigen Untersuchungsausschuss, der genau dies zum Ziel hat.
Zum Schluss vielleicht noch Folgendes, Herr Meyer:
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Arbeit in diesem
Untersuchungsausschuss wirklich überflüssig ist. Aber in
einem können Sie sicher sein: Angst haben wir weiß Gott
nicht, vor Ihnen schon gar nicht.
Vielen Dank.
({9})
Laurenz Meyer ({10})
Nächster Redner in der Debatte ist Dr. Max Stadler,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wenn ein so honoriger Kollege wie Herr
Dr. Wiefelspütz, der soeben über das Recht der Untersuchungsausschüsse promoviert hat, eine Debatte derart beginnt, dann habe ich allerdings die Sorge, dass die ganze
Veranstaltung für das Ansehen des Parlaments nichts
Gutes ahnen lässt.
Dabei ist die heutige Abstimmungslage, das, worüber
heute zu befinden ist, aus Sicht der FDP relativ einfach.
Die CDU/CSU-Fraktion hat entschieden, einen Antrag
auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu stellen. Hierbei handelt es sich um ein Minderheitenrecht.
Der Untersuchungsausschuss muss daher eingesetzt werden. Ob er zweckmäßig und politisch opportun ist, spielt
dabei überhaupt keine Rolle, wenn ich auch nach Beginn
der heutigen Debatte selber mehr zu der Überzeugung
komme, dass er in der Tat notwendig ist.
({0})
Die rechtliche Frage lautet einzig und allein - nur darüber ist heute zu befinden -, ob dieser Antrag zulässig ist.
Wenn ja, entspricht es übrigens der parlamentarischen
Übung, dem Minderheitenantrag nicht entgegenzutreten,
sondern ihm zuzustimmen. Dies wird die FDP-Fraktion
tun, denn zulässig ist der Antrag von CDU/CSU, sodass
auch eine Verweisung in den Geschäftsordnungsausschuss, wie von Rot-Grün beantragt, überflüssig ist. Es
kann gleich über die Einsetzung dieses Ausschusses befunden werden.
({1})
Zu den juristischen Einwänden Folgendes:
Erstens. Es ist im Vorfeld diskutiert worden, ob der Untersuchungsausschuss in unzulässiger Weise den so genannten Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung, also der Tätigkeit der Bundesregierung, die der
Kontrolle des Parlaments entzogen sei, berühre. Dieser
Kernbereich orientiert sich nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts an § 96 der Strafprozessordnung. Er umfasst solche Angelegenheiten, die dem
Dienstgeheimnis unterliegen. Das sind Tatsachen, deren
Veröffentlichung mit der Gefahr von Nachteilen für das
Wohl des Bundes oder eines Landes oder einer einzelnen
Person verbunden wäre. Die Veröffentlichung der Finanzsituation des Bundes oder der Länder, die Veröffentlichung von Arbeitslosenzahlen oder des Bruttoinlandsprodukts gefährden ersichtlich nicht das Wohl des Bundes,
eines Landes oder einer einzelnen Person im Sinne dieser
Vorschrift. Womöglich gefährden sie das Wohl des Bundesfinanzministers, aber das muss er ertragen.
({2})
Zweitens. Weiterhin muss der Untersuchungsgegenstand einen abgeschlossenen Sachverhalt betreffen.
Auch dies ist der Fall, denn es geht nicht um die im Zeitpunkt der Bundestagswahl noch nicht abgeschlossene
Weiterentwicklung der Steuereinnahmen und der Haushaltssituation, sondern um die damalige Kenntnis oder
Unkenntnis von Mitgliedern der Bundesregierung, mithin
um einen abgeschlossenen Sachverhalt.
Drittens. Schließlich muss ein öffentliches Interesse
an dem Untersuchungsausschuss bestehen. Auch dies
lässt sich nach der Vorgeschichte und nach der Aufmerksamkeit, die das Vorhaben in der Öffentlichkeit findet,
schwerlich verneinen.
Juristisch ist die Situation somit klar. Das politische
Gegenargument, der Untersuchungsausschuss sei überflüssig, weil die Bevölkerung ohnehin schon davon überzeugt sei, dass sie im Wahlkampf von der alten Bundesregierung betrogen und belogen worden sei,
({3})
erscheint mir im Übrigen nicht sehr schmeichelhaft für
die Betroffenen.
({4})
Es ist auch davon auszugehen, dass der Untersuchungsausschuss mit seinen Mitteln der Zeugenvernehmung und der Akteneinsicht ein geeignetes Instrument ist,
den strittigen Sachverhalt aufzuhellen. Schließlich kann
die Aufklärungsarbeit, wenn es bei dem bisher von der
Union beantragten Verfahrensgegenstand bleibt und nicht
die Andeutung von Herrn Wiefelspütz, diesen noch auszuweiten, verwirklicht wird, sehr wohl so rasch und zügig
geleistet werden, dass man sich bald wieder anderen Themen zuwenden kann. Dagegen hätten wir von der FDP
freilich nichts einzuwenden.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/
Die Grünen.
({0})
Herr Kollege Schauerte, wenn es um Aufklärung
ginge, gäbe es - gerade hat der Herr Stadler gesprochen noch einen Gegenstand, der wahrlich einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss lohnen würde,
({0})
nämlich die Frage, wer über die FDP-Finanzen Bescheid
wusste und wer auf Parteitagen, bei denen Herr
Möllemann seine Position vorgetragen hat, immer geschlafen hat und trotzdem applaudieren konnte.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin sicher, dieser Untersuchungsausschuss neuen
Typs wird in die Geschichte der Ausschüsse eingehen als
Pharisäerausschuss.
({2})
Dieser Ausschuss ist rückwärts gewandt. Er wird unser
Land nicht voranbringen. Er wird uns kein Jota bei den
Reformen weiterbringen, die wir anpacken müssen. Er
hilft uns nicht, die gegenwärtige wirtschaftliche Situation
zu verbessern. Er ist schlecht für die Demokratie, weil Sie
ein ganz wichtiges Parlamentsrecht klamaukartig für den
Wahlkampf von Herrn Koch missbrauchen, weil Sie dieses Instrument, das eines der höchsten Güter der parlamentarischen Opposition zur Kontrolle einer Regierung
ist, inflationieren und so in einer Art und Weise gebrauchen, dass es dem Instrument nur schaden kann.
({3})
In der Vergangenheit wurden Parlamentarische Untersuchungsausschüsse vorwiegend eingerichtet, um kriminelles Verhalten zu untersuchen, um dem Verdacht der
Korruption oder der Vetternwirtschaft nachzugehen oder
zumindestens schwere Regelverstöße aufzuklären. Ich erinnere an die „Spiegel“-Affäre, an die Angelegenheit
Fibag - beide betreffen Strauß -, an die Flick-Affäre, an die
Neue Heimat und an den Parteispendenskandal Helmut
Kohl. Die Untersuchungsausschüsse zu all diesen Themen hatten einen realen Gegenstand und sollten etwas
aufklären, sollten Zusammenhänge aufzeigen und sie damit der Öffentlichkeit transparent machen. Dies ist hier
nicht der Fall. Hier geht es darum, Ahnungen, Vermutungen von Regierungsmitgliedern zum Gegenstand von parlamentarischen Untersuchungen zu machen. Auf so etwas
zielt dieses Instrument nicht.
({4})
Sie zeigen damit auch: Frau Merkel tanzt nach der Pfeife
von Herrn Koch. Herr Koch hat sich den Ausschuss gewünscht. Viele in der Union sagen gegenüber Presseagenturen und hinter vorgehaltener Hand, dass dieser Klamauk
der Sache nicht dienlich ist. Trotzdem wird das durchgezogen. Das zeigt, wer in der CDU/CSU das Sagen hat.
({5})
Ihr Parteifreund, der frühere Bundespräsident Richard
von Weizsäcker, hat im heutigen „Stern“ das Richtige
dazu gesagt - ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten -:
Was soll herauskommen? Angriff, Gegenangriff, gegenseitige Schmutzladungen. Geschädigt ist am
Ende das Ansehen der Parteien. Die Einsetzung des
Ausschusses ist die Fortsetzung des Wahlkampfes.
Recht hat der Herr von Weizsäcker. Es wäre schön, wenn
sein Wort in Ihren Reihen noch etwas gelten würde.
({6})
Das ganze Projekt ist auch der Gipfel der Heuchelei.
Ich bin sicher: Am Ende wird diese Veranstaltung nach
hinten losgehen.
Ich weiß auch gar nicht, warum Sie sich in Ihrer Rede
vorhin so aufgeregt haben. Sie tun geradezu so, als habe
Rot-Grün den Menschen im Land blühende Landschaften
versprochen. Ich meine, das ist jemand anderes gewesen.
({7})
Kommen wir jetzt zum Wahlkampf und dazu, wer da
was gesagt hat. Am 30. August hat Herr Stoiber sein Sofortprogramm vorgelegt, das immerhin 20 Milliarden
Euro kosten sollte.
({8})
Darin heißt es:
Unsere Maßnahmen können solide finanziert werden
... durch Privatisierungserlöse sowie durch Umschichtungen und Einsparungen innerhalb des Bundeshaushaltes. Weitere Einsparpotenziale ergeben sich im
Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit.
({9})
So weit das Sofortprogramm der Union, das Sie bis zum
22. September auf allen Wahlveranstaltungen landauf,
landab tapfer vertreten haben.
Ihr Kollege Austermann wusste ausweislich einer Pressemitteilung vom 5. September aber schon, dass nach seiner Berechnung bei der Bundesanstalt für Arbeit 2 Milliarden Euro fehlen. Am 11. September legte er noch einmal
nach und vertrat die Auffassung, man habe die 3-ProzentHürde schon längst gerissen; das Staatsdefizit liege über
60 Milliarden Euro.
({10})
- Sie sagen: Er hatte doch Recht. - Woher wusste er denn
das?
({11})
Er weiß das aus Berechnungen, aus Vermutungen, aus
Hochrechnungen. Die konnte damals offensichtlich jeder
anstellen.
({12})
Aber wie konnten Sie in Kenntnis dieser Ihrer Prognosen
ins Land gehen und den Menschen erzählen, welche
Wahlgeschenke Sie ihnen noch machen wollen?
({13})
Das ist doch die Heuchelei! Sie haben den Leuten etwas
vorgemacht. Sie hätten die längsten Nasen hier im Haus,
wenn sich Lügen wie in dem Märchen von Pinocchio in
der Verlängerung von Nasen auswirken würden.
Die Leute aus Ihren eigenen Reihen gestehen es ja auch
zu. Herr Perschau hat im Deutschlandfunk gesagt: Die
Länder kannten die Situation sehr wohl und haben sie
auch beschrieben. - War denn Ihr Kanzlerkandidat, der
Herr Stoiber, kein Ministerpräsident? Hat er denn nichts
Volker Beck ({14})
Volker Beck ({15})
gewusst? Aber er hat anders gehandelt als Hans Eichel,
der hier eine solide Haushaltspolitik gemacht hat.
({16})
- Ja! Der Bund hat bereits am 19. August eine Haushaltssperre verhängt, um seine Finanzen in diesem schwierigen Haushaltsjahr und nach der Flut unter Kontrolle zu
behalten.
Herr Austermann sagte am 11. September:
Die Steuereinnahmen aller öffentlichen Haushalte
- hört, hört! brechen aufgrund der äußerst schwachen Konjunktur
... dramatisch weg.
({17})
Wann hat Herr Faltlhauser reagiert? - Er hat erst nach
der Steuerschätzung Mitte November eine Haushaltssperre verhängt, obwohl man in sechs Wochen nun wirklich nicht mehr viel sparen kann. Jeder vernünftige Haushälter weiß, dass dann die Chose gelaufen ist. Wann hat
Herr Weimar in Hessen seinen Nachtragshaushalt vorgelegt? - Das war, nachdem die Steuerschätzung vorgelegen
hat. Alle haben angeblich nichts gewusst, obwohl die Landesminister diejenigen sind, die dem Bundesfinanzministerium die Entwicklung bei den Steuereinnahmen melden müssen.
({18})
Das wird auf Sie zurückfallen. Das werden wir im Ausschuss diskutieren.
Einen letzten Satz zu dem Antrag, den Sie vorgelegt
haben - Sie haben sich eine Begründung dazu vorsichtshalber erspart, damit wir verfassungsrechtliche Argumente hier erst gar nicht erörtern können -: Die Annahme,
Verabredungen innerhalb der Bundesregierung gehörten
nicht zum Eigenbereich der Exekutive und dürften von einem Untersuchungsausschuss ausgeforscht werden, ist
völlig abwegig.
Meine Damen und Herren, wir scheuen diesen Untersuchungsausschuss in keiner Weise. Wir werden uns dem
stellen und werden die Wahrheit ans Licht bringen. Wir
werden Ihnen aber nicht ersparen, dass auch Ihre Leute,
die Landesfinanzminister und Ministerpräsidenten Ihrer
Partei, die Hosen herunterlassen müssen. Am Ende werden wir Bilanz ziehen. Ich sage Ihnen: Sie werden bis aufs
Hemd nackt dastehen.
({19})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hans-Peter
Friedrich, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Kollege Altmaier hat gerade unseren Antrag
in aller Ruhe und in aller Sachlichkeit vorgetragen.
({0})
- Das Gebrüll, das aus Ihren Reihen kommt, zeigt: Sie haben vor diesem Ausschuss verdammt viel Angst.
({1})
Dass sich Herr Beck in der Diskussion um diesen Ausschuss an der Verwirrung der Begriffe beteiligt, habe ich
erwartet. Von Ihnen, Herr Wiefelspütz, habe ich das nicht
erwartet.
Ich will Ihnen klar machen, worum es bei diesem Untersuchungsauftrag eigentlich geht.
({2})
Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land wissen ganz
genau, wie sie Wahlkämpfe einzuschätzen haben. Sie wissen, dass in Wahlkämpfen überzeichnet wird, dass oft
übertrieben wird und dass in der Hitze des Gefechts manches etwas leichtfertig versprochen wird.
({3})
Die Versprechen kann man dann glauben oder nicht. Der
Bürger verlässt sich dabei auf seinen politischen Spürsinn, auf seinen gesunden Menschenverstand und auf
Daten und Fakten, die ihm bekannt werden.
({4})
Genau das ist der Punkt: Es geht bei diesem Untersuchungsausschuss nicht darum, Wahlversprechen zu untersuchen - diese sind Gegenstand der allgemeinen täglichen
Auseinandersetzung; die Quittung dafür gibt es bei der
nächsten Wahl -, sondern darum, ob die Tatsachen und die
Fakten, die der Bürger gebraucht hat, um sich ein politisches Urteil fällen und um Sachverhalte richtig beurteilen
zu können, bewusst und gewollt gefälscht worden sind.
({5})
Wenn der begründete Verdacht besteht - wenn Sie sich
mit den Bürgerinnen und Bürgern im Land unterhalten,
dann werden Sie merken, dass das der Fall ist -, dass Tatsachen und Fakten mit regierungsamtlicher Autorität
eines Bundesministers oder gar des Bundeskanzlers
falsch dargestellt worden sind, dann ist das sehr gravierend und kann mit Wahlkampf weder entschuldigt noch
erklärt werden.
({6})
Das Prinzip muss doch sein, dass sich der Bundestag
ebenso wie die Bevölkerung auf die Fakten verlassen können müssen, die von der Bundesregierung dargelegt werden.
Die Erscheinungsformen der demokratischen Auseinandersetzung haben sich im Laufe der Jahrzehnte sicher
ständig verändert. Wir haben in diesem Wahlkampf ge1070
spürt: Die Selbstdarstellung, die mediale Erscheinung
spielen eine immer zentralere Rolle. Fakten treten oft in den
Hintergrund. Daher ist es umso wichtiger, dass die relevanten Fakten, die in der Diskussion noch eine Rolle spielen,
richtig sind, damit sich die Menschen auf diese Fakten verlassen können. Sie müssen sich darauf verlassen können,
dass diese Fakten und Tatsachen nicht von Ministern, die
ein ganzes Ministerium mit Tausenden von Beamten hinter
sich haben, die die Bewertung vornehmen können und wo
alle Fäden zusammenlaufen, verfälscht werden.
({7})
Wollen wir wirklich zulassen, dass für den Machterhalt alles erlaubt ist, selbst das Regierungsamt zu missbrauchen und die Unwahrheit zu sagen? Ich meine, das
darf nicht sein. Deswegen ist dieser Untersuchungsausschuss nicht überflüssig, lieber Herr Wiefelspütz, sondern
er ist notwendig und richtig.
({8})
Wir brauchen eine Grundsatzdebatte über die politische Kultur.
({9})
Peter Altmaier hat dies in dieser Woche richtig gesagt. Wir
müssen uns die Frage stellen, ob die Maßstäbe, die wir an
Regierungsmitglieder anlegen, auch in der Zukunft noch
gelten sollen. Deswegen ist dieser Untersuchungsausschuss
nicht rückwärts gewandt, sondern nach vorne gerichtet. Er
muss klären: Wo sind die Grenzen für die Durchsetzung von
Machtinteressen? Wo sind die Grenzen für den Machterhalt
eines Bundeskanzlers und eines Bundesministers?
({10})
Es muss eine solche Grenze geben; denn die Wahrheit darf
den Machtinteressen und der Machterhaltung nicht geopfert werden.
({11})
Lieber Herr Eichel, dieser Untersuchungsausschuss ist
Teil der legitimen Kontrolle des Parlaments gegenüber
der Exekutive. Das ist Ausdruck der Gewaltenteilung.
Wenn Sie vorgestern in Ihrer Rede darüber gejammert haben, dass die kritischen Fragen, die die Opposition zu stellen hat, die politische Klasse insgesamt kaputtmachen
- Sie haben sogar von Weimarer Verhältnissen gesprochen -, dann gilt das gleiche Prinzip, das wir in den letzten Wochen und Monaten schon immer festgestellt haben:
Wenn dieser Bundesregierung kritische Fragen gestellt
werden, dann wird das sofort als Majestätsbeleidigung
ausgelegt. Inzwischen weigern Sie sich sogar, kritische
Fragen von Sachverständigen und von Verbänden anzunehmen, und beschimpfen sie.
Dieser Untersuchungsausschuss ist und bleibt legitim.
Wenn er als „Klamauk“, als „unanständig“ und von Herrn
Müntefering heute als „Instrument der Diffamierung“ bezeichnet wird,
({12})
dann steckt hinter diesen Überreaktionen die pure Angst
und Ihr schlechtes Gewissen.
({13})
Sie haben zu Recht ein schlechtes Gewissen; denn Sie haben sich seit der Auseinandersetzung um den blauen Brief
und das Theater, das Herr Eichel damals schon aufgeführt
hat, Stück für Stück in ein Lügengebäude verstrickt, das
es nun aufzuklären gilt.
({14})
Ich bedaure es außerordentlich, dass die Regierungskoalition jetzt mit irgendwelchen Geschäftsordnungstricks versucht, den Ausschuss zu verzögern und auszuhöhlen. Lesen Sie zu unseren rechtlichen
Möglichkeiten die Worte von Herrn Morlok, einem Verfassungsrechtler, vom heutigen Tag nach. Er hat gesagt,
dass es keine rechtlichen Zweifel an diesem Ausschuss
gebe. Ich darf Sie daran erinnern, dass Herr Morlok im
letzten Untersuchungsausschuss von Ihnen immer wieder
als Sachverständiger benannt worden ist. Ich bin also gespannt, welche Ausdrücke Herr Stiegler für Herrn Morlok
demnächst finden wird.
({15})
Ich sage Ihnen: Wir werden - Sie können die Einsetzung ruhig ein bisschen verzögern, wir werden die Debatte notfalls öffentlich führen - diesen Untersuchungsausschuss durchführen. Wir werden nicht zulassen, dass
Sie ihn verwässern.
Herr Kollege Friedrich, bitte denken Sie an Ihre Redezeit.
Am Ende wird die Botschaft stehen: Regierungsmitglieder haben im Parlament und in der Öffentlichkeit die
Wahrheit zu sagen. Alles andere lässt sich weder die Öffentlichkeit noch das Parlament bieten.
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort der Kollegin Petra Pau.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Altmaier, Sie haben meines Erachtens heute
die Chance vertan, sich nicht lächerlich zu machen und
diesen Antrag zurückzuziehen.
({0})
Dr. Hans-Peter Friedrich ({1})
Sie hätten heute Morgen noch einmal die Warnung des
großen Denkers Äsop in der Fabel vom Berg in Kindesnöten nachlesen sollen. Dann wäre Ihnen klar, dass man
mit zu vielen Pauken und Trompeten auch allzu viele Erwartungen weckt. Am Ende macht man sich schnell
lächerlich. Das könnte spätestens am Wahltag dem bisherigen Ministerpräsidenten Koch geschehen. Er könnte
vielleicht bereuen, dass er die Äußerungen der Kollegen
Austermann, Uwe-Jens Rössel aus der damaligen PDSFraktion oder auch die von Herrn Metzger aus dem Frühjahr und Sommer nicht ernst genommen und die Suche
nach politischen Konzepten auch darauf aufgebaut hat.
({2})
Einen solchen Untersuchungsausschuss im Parlament
brauchen wir wahrlich nicht.
({3})
Aber eines brauchen wir doch, nämlich die Suche nach
zukunftstauglichen Konzepten sowohl in den Parteien der
konservativen Opposition als auch in der Regierungskoalition. Nehmen wir die Themen, die Sie untersuchen wollen:
den Bundeshaushalt, die Lage der Länder und Kommunen und auf welche Art und Weise unser Gemeinwesen
tatsächlich noch finanziert werden kann. In den vergangenen zweieinhalb Tagen haben wir festgestellt, dass weder
die Oppositionsparteien noch die Regierungskoalition eine
Antwort darauf gefunden haben, wie wir den Kommunen
wieder genug Luft zum Atmen verschaffen können.
Auch die zweite Frage ist nicht ganz neu: die Zukunft
unserer Sozialsysteme. Nicht erst seit der Vorlage des
Haushaltes, des Hartz-Konzepts oder der Pläne der Gesundheitsministerin wissen wir, dass unsere Sozialsysteme in eine Schieflage geraten sind. Worüber haben wir
im Wahlkampf eigentlich die ganze Zeit gestritten? Wir
haben darüber geredet - zumindest habe ich das für meine
Partei getan -, dass mit dem Einstieg in den Ausstieg
durch die Riester-Rente das System nicht auf feste Füße
gestellt werden kann. Auch mit Ihrer Teilkaskomentalität
in der Gesundheitsversorgung ist das nicht möglich,
meine Damen und Herren von der FDP. Sie haben aber
nicht den Mut gehabt, nach neuen Finanzierungsquellen
wie einer Wertschöpfungsabgabe zu suchen.
Es würde also lohnen, endlich in den Wettstreit um zukunftsfähige Konzepte einzutreten, statt hier die Kämpfe
der Vergangenheit auszutragen. Dann kommen wir vielleicht schon zum nächsten Wahltag - in welchem Bundesland auch immer - dazu, dass sich die Bevölkerung
nicht sagt „Vor Wahlen und nach der Jagd wird am meisten gelogen“, sondern dass sie uns nach unseren Konzepten und Taten beurteilt.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat nun der Kollege Hermann Bachmaier,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selten ist
ein Untersuchungsausschuss von Anfang an auf so viel
Kritik aus buchstäblich allen Parteien - auch aus Ihren eigenen Reihen, meine Damen und Herren von der CDU/
CSU - wie auch in der Presse und in der Bevölkerung gestoßen wie dieser Ausschuss.
({0})
Dieses unselige Vorhaben wird von einem allgemeinen
Kopfschütteln begleitet.
Wir können nur hoffen, dass diese Art der rückwärts
gewandten Selbstbeschäftigung des Parlaments ein einmaliger Vorgang bleiben wird. Ich hoffe dies, weil das,
was Sie vorhaben, abschreckend genug in die Zukunft hinein wirken dürfte.
({1})
Ich zitiere nur eine von vielen kritischen Stimmen.
Der FDP-Landtagsabgeordnete aus meinem Wahlkreis
Schwäbisch Hall, der stellvertretende Ministerpräsident
des Landes Baden-Württemberg
({2})
und stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, Dr. Walter
Döring, hat diesen Untersuchungsausschuss als „abenteuerlichen Schwachsinn“ bezeichnet.
({3})
Das Vorhaben, so Döring, sei an Mut- und Einfallslosigkeit wie auch an „Scheinheiligkeit“ nicht mehr zu überbieten. Das kommt auch aus den Reihen derer, die das
Vorhaben in Berlin offiziell unterstützen. Döring gibt den
dringenden Rat, sich mit inhaltlichen Positionen statt mit
derart unseligen Vorhaben zu profilieren.
({4})
Dem ist nichts hinzuzufügen. Die Menschen wollen Antworten auf die anstehenden Sachfragen und keine rechthaberische Vergangenheitsbewältigung, wie Sie sie betreiben.
({5})
Alle Zahlen, die den Bundeshaushalt oder die Finanzlage der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung
betreffen, waren den damit befassten Parlamentarierinnen
und Parlamentariern und den zuständigen Landesministern ebenso bekannt wie den jetzt ins Visier genommenen
Mitgliedern der Bundesregierung. Diese Zahlen sowie die
Einschätzung der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung
waren im Übrigen während des gesamten Bundestagswahlkampfes immer wieder Gegenstand von Erörterungen. Zum Beispiel haben wir Sie mit allem Nachdruck
darauf hingewiesen, dass aufgrund der Haushaltsentwicklung Ihre Wahlkampfversprechen absolut unerfüllbar
sind. Das hat Sie aber nicht weiter gestört. Sie haben genau gewusst, dass Sie Ihre Versprechen nicht hätten hal1072
ten können. Davon wollen Sie jetzt ablenken. Das war ja
wohl auch der Grund dafür, weshalb Ihnen die Wählerinnen und Wähler am 22. September nicht abgenommen haben, dass Sie Ihre Versprechungen erfüllen werden. Deshalb führen Sie heute dieses Vernebelungsmanöver durch.
Sie haben dennoch einen Anspruch darauf, auch
Dinge, die an und für sich Teil der ganz alltäglichen und
normalen parlamentarischen Auseinandersetzung sein
sollten, in einem Untersuchungsausschuss zu behandeln,
der mit den Mitteln der Strafprozessordnung die Wahrheit
zu ergründen sucht. Dieses Recht steht Ihnen nach dem
Grundgesetz zu. Wir wollen Sie deshalb nicht daran hindern, den Untersuchungsausschuss ins Werk zu setzen,
der Ihnen - auch das prophezeie ich Ihnen - noch auf die
eigenen Füße fallen wird.
Unsere Aufgabe ist es allerdings - dabei bleiben wir
auch -, dafür zu sorgen, dass auch ein derartiger Untersuchungsausschuss verfassungsrechtlich korrekt zustande
kommt.
({6})
Der Untersuchungsauftrag muss eine hinreichende Basis für die Untersuchungsarbeit darstellen. Auf seiner
Grundlage müssen auch hinreichend bestimmte Beweisanträge behandelt und beschlossen werden können. Das,
was Sie uns heute als Einsetzungsantrag vorlegen, lässt
zwar, wenn man viel Fantasie aufbringt,
({7})
erahnen, was Sie in diesem Untersuchungsausschuss alles
zu untersuchen gedenken. Von hinreichender Bestimmtheit des Untersuchungsgegenstandes kann allerdings
nicht die Rede sein.
({8})
Ich habe mich über Ihren offensichtlich hastig zusammengebastelten Antrag sehr gewundert. Er ist von einer
Pauschalität und einer Allgemeinheit, wie ihn das Parlament wohl selten gesehen hat. Sie haben sich noch nicht
einmal Zeit für eine knappe Begründung Ihres Antrags genommen. Da Sie schon seit einigen Wochen wissen, dass
Roland Koch diesen Untersuchungsausschuss haben
will, habe ich von Ihnen erwartet, dass Sie sich auf den
Hosenboden setzen und wenigstens Ihre Hausaufgaben
machen. Das sind Sie Ihrem Wahlkämpfer Koch doch
schuldig. Sie haben aber nichts getan.
({9})
Natürlich haben Sie - ich wiederhole das - als qualifizierte Minderheit das Recht, den Untersuchungsgegenstand, mit dem sich der Untersuchungsausschuss befassen
soll, festzulegen.
({10})
Das haben Sie allerdings nicht getan. Ihr Antrag soll wohl
das gesamte, sich ständig entwickelnde Haushalts- und
Finanzgeschehen des Staates und der Sozialversicherungssysteme von Januar bis September 2002 auf den
Prüfstand stellen und an der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung messen. An dieser Messlatte wollen Sie dann als
Oberzensor der Nation prüfen, wer wann in welchem Stadium der Wahrheit am nächsten kam. Uferloser, umfänglicher und unpräziser geht es wohl nicht. Viel Vergnügen
auf dieser Reise!
({11})
Ich halte das, was Sie uns vorgesetzt haben, handwerklich für eine ganz miserable Arbeit und verfassungsrechtlich für eine Zumutung. Sie selbst haben in Ihrer Regierungszeit immer akribisch darauf geachtet, dass unsere
damaligen Untersuchungsaufträge rechtsstaatlich hinreichend bestimmt waren. In einem Fall - unser damaliger
Antrag war wesentlich konkreter formuliert als Ihr heutiger - haben Sie sogar ein teures Gutachten bei dem ehemaligen Bundesverfassungsrichter und späteren Direktor
des Max-Planck-Instituts für öffentliches Recht in Heidelberg, Professor Helmut Steinberger, einer wahrlich
prominenten Größe, in Auftrag gegeben. In dem lesenswerten Gutachten von Professor Steinberger ist ausgeführt, welche verfassungsrechtlichen Anforderungen zum
Beispiel an die Bestimmtheit eines Antrags auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu stellen sind. An
diesen Maßstäben muss sich auch Ihr heutiger Antrag
messen lassen; denn dieses Gutachten hatten Sie damals
eingeholt.
Wir fordern Sie ausdrücklich auf, konstruktiv an einer
konkreteren Fassung Ihres Antrags mitzuwirken; denn
wir werden peinlich darauf achten, dass der Untersuchungsausschuss eine einwandfreie und hinreichend bestimmte Grundlage erhält. Nur dann kann im Übrigen
Ihren Vorwürfen zügig nachgegangen werden und nur
dann wird uns ein jahrelang buchstäblich dahindümpelnder Ausschuss erspart bleiben.
Zuletzt möchte ich den ständig wiederholten Vorwurf
aufgreifen, wir wollten die Einsetzung des Untersuchungsausschusses und seine Arbeit verzögern bzw. behindern. Ich weise solche Anschuldigungen in Namen der
SPD-Fraktion mit allem Nachdruck zurück.
({12})
Angesichts der Fakten finde ich diesen Vorwurf wahrlich unverfroren. Seit Wochen reden und reden Sie von
diesem Ausschuss und sagen, wie wichtig er ist und welche Zeugen zuerst und wann gehört werden sollen. Aber
außer Reden passierte nichts. Den Einsetzungsantrag kennen wir seit gerade einmal zwei Tagen. Uns vor diesem
Hintergrund Verzögerungstaktik vorzuwerfen ist schon
ein dreistes Stück, meine Damen und Herren.
({13})
Es ist nicht nur unser Recht, sondern auch unsere Pflicht,
diesen Antrag zu prüfen, auf seine Verfassungsverträglichkeit hin abzuklopfen und darauf hinzuwirken, dass er
diesen Anforderungen entspricht. Nach dem Prinzip, das
Sie hier zum Maßstab erheben wollen, nämlich „Vogel
friss oder stirb“, müssen, dürfen und werden wir nicht verfahren.
Herzlichen Dank.
({14})
Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Dr. Jürgen Gehb von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Bachmeier, es ist bezeichnend, dass Sie schneller die Verfassungswidrigkeit eines Antrages erkennen, als den
ganzen Antrag lesen können.
({0})
Meine Damen und Herren, ich sehe ja ein, dass in der
Bundesregierung und in der Koalition kein Jubel darüber
ausbricht, dass wir einen solchen Antrag einbringen. Sie
können aber nicht von uns erwarten, dass es die Opposition unterlässt, auch in einem formalisierten Verfahren
Fehler festzustellen, um so die Situation von Rot-Grün in
irgendeiner Weise zu verbessern. Ich sehe auch ein, dass
der Fraktionsvorsitzende der SPD und viele andere Mitglieder der SPD-Fraktion weder den Antrag noch Art. 44
des Grundgesetzes noch das Gesetz noch die dazu ergangene Fachliteratur gelesen haben.
({1})
Das alles wundert mich nicht, vor allem deshalb, weil Sie
dann noch Sachen sagen, in Bezug auf die der Bundeskanzler in einem anderen Zusammenhang von Kakophonie spricht.
({2})
Mich wundert aber, dass sich, wie man so schön sagt, der
Papst auf dem Gebiet des Untersuchungsrechts, Herr
Wiefelspütz, der sehr seriöse und sachkundige Aufsätze
geschrieben hat - sie sind jedenfalls unter seinem Namen
erschienen -, ich nehme auch an, Sie haben sie geschrieben -, als Politiker einen Hut aufsetzt, mit dem er sich als
Fachautor schämen müsste.
({3})
Herr Wiefelspütz, ich möchte Sie einmal mit einem Zitat aus Ihrem Aufsatz „Die qualifizierte Minderheit im Untersuchungsausschuss“ konfrontieren, der im August-Heft
der „Neuen Justiz“ auf der Seite 398 - die einschlägige
Passage finden Sie auf Seite 399 - veröffentlicht wurde.
Dort heißt es:
Die parlamentarische Untersuchung ist nämlich eine
genuin politische und damit auch parteiische Veranstaltung, in deren Mittelpunkt die politisch-parlamentarische Auseinandersetzung, der politische Kampf
steht, was von einer idealisierenden, parlamentsfernen Betrachtungsweise häufig verkannt wurde und
wird.
Dem ist im Grunde nichts hinzuzufügen. Wenn Sie nun
allerdings, Herr Wiefelspütz - das wundert mich ganz besonders - pausenlos den Eindruck zu erwecken versuchen, hier solle die Gültigkeit oder Legitimität einer Wahl
untersucht werden, dann zeigen Sie mir eine einzige
Stelle, nach der expressis verbis über die Gültigkeit der
Wahl befunden werden soll.
Herr Kollege Gehb, gestatten Sie ein Zwischenfrage
des Kollegen Wiefelspütz?
Auf jeden Fall.
({0})
- Herr Wiefelspütz, nicht so nervös. Das rote Licht geht
gleich an. Dann können Sie in aller Ruhe und ohne zittrige Finger Ihre Frage stellen.
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Fürsorge, geschätzter
Kollege Gehb. - Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen,
({0})
dass bei allem, was wir tun, die Verfassung einzuhalten
ist. Bei jeder Auseinandersetzung im Parlament müssen
wir das Grundgesetz einhalten.
({1})
Sind Sie ernsthaft nicht der Auffassung, dass wir in einem
solchen Untersuchungsausschuss in allen Phasen des Parlamentarismus, nämlich von Politik bis Streit und Bewertung auf jeden Fall das Grundgesetz einzuhalten haben?
({2})
Herr Wiefelspütz, wenn ich die im Abschlussbericht des
1. Untersuchungsausschusses auf Drucksache 14/9300
wiedergegebenen Texte der früheren Untersuchungsausschüsse - dort heißt es zum Beispiel, der Untersuchungsausschuss solle prüfen und klären, ob Parteispenden und
sonstige Zahlungen an Parteien, Untergliederungen oder
deren Beauftragte gegangen sind -,
({0})
mit dem heutigen Antrag vergleiche, dann kann ich feststellen, dass unser Wortlaut, der besagt, dass geklärt werden soll, ob Regierungsmitglieder mit ihrer Autorität unvollständig oder falsch informiert haben, geradezu ein
Musterbeispiel an Bestimmtheit ist. Das können Sie
demnächst in der Fußnote 17 eines weiteren Aufsatzes zitieren.
({1})
Herr Wiefelspütz, in diesem Zusammenhang haben Sie
sogar davon geredet, dass Schindluder mit der Verfassung
getrieben werde. Mir ist nur eine historische Situation bekannt, in der mit der Verfassung Schindluder getrieben
wurde: als Rot-Grün versuchte, ein von ihr majorisiertes
Wahlprüfungsgericht, flankiert durch einen Untersuchungsausschuss, dahin gehend zu instrumentalisieren,
nach Jahren darüber zu entscheiden, ob eine Landtagswahl gültig war oder nicht.
({2})
- Ja, bei Hessen; das haben Sie messerscharf erkannt. Sie
sind mir durch Ihre Zwischenrufe ohnehin als besonders
pfiffiges Kerlchen aufgefallen. Wie heißen Sie eigentlich?
({3})
Dieser Versuch, die hessische Wahl über ein Wahlprüfungsgericht zu kippen, in dem drei Vertreter von
Rot-Grün und zwei von CDU und FDP saßen, ist vor dem
Bundesverfassungsgericht kläglich gescheitert.
({4})
In der Folge musste das Wahlprüfungsgericht in Hessen
das Verfahren kleinlaut einstellen.
Meine Damen und Herren, sämtliche Versuche, unseren Antrag im Lichte des Verfassungsrechts besonders abzuklopfen, dienen lediglich dazu, dieses Verfahren zu verzögern. Das ist eindeutig.
({5})
Ich verstehe dies gar nicht, da Sie auf der anderen Seite
sagen, Sie sähen dem Untersuchungsausschuss mit Gelassenheit entgegen, und der Bundesfinanzminister, mein
hessischer Kollege aus Kassel, sich sogar auf diesen Ausschuss freut. Nun machen Sie ihm doch die Freude! Wenn
sich jemand auf etwas freut, sollte man ihm die Freude
doch nicht lange vorenthalten.
({6})
Alles in allem ist es bezeichnend, wenn man die Einberufung eines verfassungsrechtlich verbürgten Ausschusses als Angriff auf die Kultur unserer Demokratie
ansieht,
({7})
wie es eine bekannte Dame, die Parteivorsitzende und zugleich Mitglied des Bundestages ist, immer wieder sagt.
({8})
- Diese CDU-Kollegen sind allerdings nicht in dieser
Rolle.
Sie alle wollen - das ist auch für die Öffentlichkeit erkennbar - das Instrument der Überweisung in den Geschäftsordnungsausschuss gröblich missbrauchen. Das
wird die Öffentlichkeit wahrlich nicht goutieren.
Herzlichen Dank.
({9})
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 15/125, Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Die Fraktion der CDU/CSU wünscht Abstimmung in der Sache, die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen beantragen Überweisung an den
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung. Nach ständiger Übung hat der Antrag auf Ausschussüberweisung Vorrang. Folglich lasse ich über diesen Antrag zuerst abstimmen.
Wer dem Antrag auf Überweisung zustimmt, den bitte
ich um das Handzeichen. - Wer stimmt gegen diesen Antrag? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Antrag auf
Überweisung ist mit den Stimmen der Fraktionen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
Fraktionen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der
fraktionslosen Mitglieder des Hauses angenommen worden. Folglich stimmen wir über den Antrag auf Drucksache 15/125 heute nicht ab.
Bevor ich den nächsten Geschäftsbereich im Rahmen
der Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestages aufrufe,
möchte ich diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die dieser Debatte nicht folgen können oder wollen, bitten, den
Plenarsaal möglichst zügig zu verlassen, damit wir für die
folgenden Redner die nötige Aufmerksamkeit sicherstellen können.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Außerdem rufe ich den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
von Fristen und Bezeichnungen im Neunten
Buch Sozialgesetzbuch und zur Änderung anderer Gesetze
- Drucksache 15/124 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Als erster Rednerin erteile ich der Bundesministerin
Frau Schmidt das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich vorab zwei Dinge klarstellen:
Erstens. Die deutsche Rentenversicherung steht nicht
vor dem Kollaps, auch wenn eine große Boulevardzeitung
das heute behauptet hat. Diese Behauptung ist unwahr;
diese Aussagen sind unverantwortlich. Sie haben nur ein
einziges Ziel: Ängste zu erzeugen und Menschen zu verunsichern.
({0})
- Auch der Bundesrechnungshof hat das so nicht gesagt.
Die Rentenversicherung macht im Moment wie alle
anderen Sozialversicherungen konjunkturbedingt eine
schwierige Zeit durch. Die Einnahmen sinken und die
Ausgaben müssen ungeachtet dessen geleistet werden.
Unsere derzeitigen Schwierigkeiten sind aber beherrschbar. Wir haben zu diesem Zweck in diesem Parlament ein
Beitragssatzsicherungsgesetz beschlossen. Wenn dieses
Vorhaben Gesetz ist, wird die finanzielle Situation der
Rentenversicherung auch in den kommenden Jahren gesichert sein. Kein Rentner und keine Rentnerin muss sich
Sorgen machen; das deutsche Rentenversicherungssystem ist sicher. Durch die notwendigen Anpassungen,
durch die notwendigen Reformen - Reformen sind immer
nötig - werden wir dafür sorgen, dass dies so bleibt und
dass die Auszahlung der Rente für alle gesichert ist.
({1})
Wir haben mit dem Beitragssatzsicherungsgesetz - Anhebung der Rentenbeiträge auf 19,5 Prozent und Veränderung der Schwankungsreserve - einen Finanzpfad aufgezeigt.
Der Haushalt, den wir heute beraten, sieht vor, dass
rund 77 Milliarden Euro in die Rentenversicherung
fließen. Dem liegt nicht der Gedanke zugrunde, dass die
Rentenauszahlungen nicht sicher sind; die Regierungskoalition hat vielmehr bewusst die Entscheidung getroffen,
die gesamtgesellschaftlich zu leistenden Aufgaben über
Steuermittel zu finanzieren, deren Finanzierung also
nicht den Beitragszahlern und Beitragszahlerinnen zu
überlassen.
({2})
Das, was wir über Steuermittel finanzieren, ist für uns
gesellschaftspolitisch wichtig. Durch die Finanzierung
über Steuermittel bringen wir zum Ausdruck, dass wir die
Lebensleistung von Frauen und Männern anerkennen.
Das gilt insbesondere für die Lebensleistung derjenigen,
die jahrelang erwerbstätig waren, aber immer nur wenig
verdient haben. Wir sichern diesen Menschen zumindest
eine Mindestrente.
Wir erkennen an, dass eine Person - vor allen Dingen
Frauen - in der Zeit, in der sie Erziehungsaufgaben nachgekommen ist, nicht erwerbstätig sein konnte. Wir haben
die Grundlage dafür gelegt, dass die Erziehung eines
Kindes im Hinblick auf die Höhe der Rente genauso bewertet wird, als hätte der- oder diejenige in diesem Zeitraum einen Durchschnittsverdienst erhalten. Das ist eine
große Leistung, der im Rahmen der Rentenversicherung
Rechnung getragen wird.
({3})
Damit sorgen wir auch dafür, dass Frauen im Alter nicht
von Altersarmut bedroht sind.
({4})
Darauf können wir alle gemeinsam stolz sein, weil dieser Weg immer gemeinsamer Konsens war. Ich bin stolz
darauf, dass wir in unserem Haushalt dafür Mittel haben.
Das macht deutlich, dass dieser Bereich dem Staat etwas
wert ist. Wir werden dafür sorgen, dass dies auch in Zukunft der Fall ist.
({5})
Zweitens. In derselben Ausgabe der „Bild“-Zeitung
wird mein Kollege Herr Seehofer mit den Worten zitiert,
dass auch die gesetzliche Krankenversicherung ein
Riesenloch aufweisen werde. Ich habe schon in der letzten Woche gesagt, dass wir aufgrund der konjunkturellen
Schwierigkeiten und der wegbrechenden Einnahmen
({6})
- über Verschiebebahnhöfe, Herr Zöller; könnten wir uns,
wenn ich mehr Zeit hätte, gerne unterhalten;
({7})
zwei Drittel aller Verschiebebahnhöfe fallen in Ihre Verantwortung ({8})
und trotz hoher Tarifsteigerungen in den ersten drei Quartalen dieses Jahres ein Defizit von 3,2 Milliarden Euro
hatten. Es ist davon auszugehen, dass wir bis Ende des
Jahres,
({9})
wenn die Einnahmesituation so bleibt, wie sie ist, von einem Defizit von bis zu 2,5 Milliarden Euro ausgehen
müssen.
({10})
- Nein, ich habe gesagt, dass wir auf der Grundlage der
Meldungen der Krankenkassen - Sie wissen ganz genau,
dass erst circa 75 Prozent der Kassen gemeldet hatten hochgerechnet haben und auf ein Defizit von knapp 3 Milliarden Euro gekommen sind. Jetzt liegen die Daten zu
100 Prozent vor. Für die ersten drei Quartale beträgt das
Defizit 3,2 Milliarden Euro. Ende des Jahres werden wir
ein Defizit von gut 2 Milliarden Euro haben. Auch nach
den Berechnungen des Schätzerkreises kann sich das Defizit zwischen 2 Milliarden Euro und 2,5 Milliarden Euro
bewegen. Es kommt darauf an, wie es mit dem 13. Monatsgehalt aussieht
({11})
- schlecht, natürlich, das wissen wir alle -,
({12})
und wie von der Möglichkeit der Entgeltumwandlung
Gebrauch gemacht wird.
Das Defizit, das wir haben, ist auch der Ausgabenseite
und nicht nur der Einnahmeseite geschuldet. Denn
während man im Juni und im September noch von einer
Ausgabensteigerung um 2,8 Prozent ausging, haben wir
jetzt eine Steigerung um 3,3 Prozent zu erwarten. Die
Ausgaben der Ersatzkassen für die Krankenhäuser zum
Beispiel sind überdurchschnittlich hoch. Auch die Verwaltungsausgaben sind sehr hoch.
({13})
Außerdem haben wir noch immer hohe Ausgaben im Arzneimittelbereich, weil es der Selbstverwaltung nicht gelungen ist, das zu erreichen, was sie zu Beginn des Jahres
vertraglich vereinbart hat, nämlich einen Rückgang der
Arzneimittelausgaben um 4,9 Prozent.
Grund dafür ist auch etwas, was wir alle wollten und
auf den Weg gebracht haben, nämlich die Umsetzung des
Wohnortprinzips zur Angleichung der Honorare der Ärzte
und Ärztinnen in den neuen Bundesländern. Die Honorare
sind um 5,7 Prozent angestiegen. Die Betriebskrankenkassen werden dadurch mit über 23 Prozent belastet, weil
wir durchsetzen, dass sie dort bezahlen, wo die Menschen
ihre Leistungen erhalten, und das Geld nicht in den Westen geben.
Das sind die Gründe. Wir haben Maßnahmen auf den
Weg gebracht, um das Defizit abzubauen. Wir haben geplant, im kommenden Jahr an der Ausgabenseite anzusetzen und dafür zu sorgen, dass die, die Leistungen erbringen, mit dazu beitragen, dass wir stabile Beiträge
erreichen.
({14})
Vollständigkeitshalber sage ich, weil Sie eben über das
Defizit gelacht haben
({15})
- oder es Sie in Erregung versetzte -:
({16})
Das Defizit der GKV betrug 1991 1,5 Milliarden Euro,
1992 4,8 Milliarden Euro, 1995 3,8 Milliarden Euro und
1996 fast 3,6 Milliarden Euro. Wir haben auch in 2000
und im letzten Jahr ein Defizitgehabt und auch in diesem
Jahr werden wir ein Defizit haben.
({17})
- Nein, 1998 und 1999 gab es kein Defizit.
({18})
Dies ist alles beherrschbar. Wir haben einen anderen
Weg gewählt als Sie.
({19})
- Sie hatten 1998 kein Defizit, weil Sie den Patientinnen
und Patienten in die Tasche gegriffen haben, weil Sie
Leistungen ausgegrenzt haben. Wir gehen einen anderen
Weg.
({20})
Sie werden einen Unterschied zwischen Ihrer und unserer Politik sehen: Sozialverbände, Patientenorganisationen, Verbraucherschutzverbände, alle sagen,
({21})
dass das vorgelegte Maßnahmenpaket, das vorgelegt
wird, in Ordnung ist. Es ist eine Wende.
({22})
Es ist eine Wende, weil erstmals nicht bei den Kranken gespart wird,
({23})
sondern weil von denen ein Sparbeitrag eingefordert wird,
die besonders verdient haben, von der Pharmaindustrie
und von anderen Leistungserbringern und -erbringerinnen.
({24})
Deshalb sage ich Ihnen: Es wäre sehr gut, wenn Sie
diesen Weg mitgehen würden,
({25})
damit wir gemeinsam mit der Strukturreform in der gesetzlichen Krankenversicherung beginnen können, die im
nächsten Jahr ansteht,
({26})
eine Reform mit den Schwerpunkten mehr Wettbewerb,
Qualität, Patientenorientierung, Verbraucherschutz und
mehr Prävention, die ja zu Ihrer Zeit völlig aus dem
Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung
gestrichen wurde.
({27})
Auf diesem Weg können wir unsere sozialen Sicherungssysteme fit machen für die Zukunft. Das gilt nicht nur in
Bezug auf die Krankenversicherung.
Man kann ja darüber lachen, Herr Seehofer. Ich finde,
dass wir auf sehr guten Fundamenten aufbauen.
({28})
In den letzten zehn Jahren sind über die Sozialversicherungen fast 490 Milliarden DM von West nach Ost
transferiert worden, um zu einer Angleichung der Lebensverhältnisse zu kommen. Aber es wäre auch eine
Entscheidung möglich gewesen, die die Sozialversicherungskassen entlastet hätte. Wenn man in den 90er-Jahren
den Mut gehabt hätte, dies über Steuern zu finanzieren,
wären alle daran beteiligt worden und nicht allein die Beitragszahler und Beitragszahlerinnen.
({29})
Ich sage das hier, weil es ein Ausdruck für die Leistungsstärke unserer Sozialversicherungssysteme ist.
Unabhängig davon muss jeder von uns - unabhängig
davon, wer regiert - immer die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen, die Veränderungen der Arbeitsverhältnisse und die Veränderungen der Einnahmesituation
berücksichtigen. Die sozialen Sicherungssysteme haben
über 50 Jahre zum sozialen Frieden in diesem Land beigetragen. Sie haben dafür gesorgt, dass jede Familie mit
ihrem Kind zu einem Arzt gehen konnte und dass nirgendwo eine Behandlung aufgrund der Einkommenssituation einer Familie verweigert wurde. Sie haben dazu
geführt, dass Menschen im Alter von ihrem Einkommen
leben können. Wir müssen diese sozialen Sicherungssysteme dadurch fit machen, dass wir sie den Organisationsformen, in den Strukturen und auch in der Finanzierung
immer wieder an die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse anpassen.
({30})
Wir haben im Gegensatz zu Ihnen zur Rente in der letzten Legislaturperiode einen Entschluss gefasst, weil wir
erkannt haben, dass die umlagefinanzierte Rente als alleinige Lebensstandardsicherung im Alter für die jüngere
Generation nicht mehr ausreicht; deshalb bauen wir eine
zusätzliche kapitalgestützte Säule auf. Wir haben
dafür gesorgt, dass auch Menschen mit geringem Einkommen ermöglicht wird, diese Säule aufzubauen. In der
Endstufe steht hierfür ein Fördervolumen von über
12 Milliarden Euro zur Verfügung. Darauf sind wir stolz,
meine lieben Kolleginnen und Kollegen.
({31})
Wir haben zweitens dafür gesorgt, dass mit der Einführung dieser Riester-Rente mittlerweile 18,8 Millionen
Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen über Tarifverträge
die Möglichkeit haben, Pensionskassen und Pensionsfonds beizutreten.
Wir haben ein Drittes getan: Wir haben dafür gesorgt,
dass sich mit der Änderung der Anpassungsformel eine
geringere Belastung für die jüngere Generation durch eine
verringerte Erhöhung der Rente für die ältere Generation
ergibt. Dies führt zu mehr Generationengerechtigkeit.
Dies sind notwendige Reformen, die unsere sozialen Sicherungssysteme den neuen Herausforderungen anpassen
und sie fit für die Zukunft machen. Darauf bin ich stolz.
({32})
Lassen Sie mich kurz zitieren, was letztens im Bayern 2
Radio gesendet wurde. Dies hat mir so gut gefallen, dass
ich es gern meinen Freunden aus der bayerischen CSU
vorlesen möchte - ich zitiere -:
({33})
Es gibt da ein Land - es heißt Deutschland - und in
dem geht es ziemlich schrecklich zu.
({34})
Ein fürchterlicher Staat greift mit Krakenarmen nach
den unschuldigen Bürgern und saugt die letzten
Steuergroschen aus ihnen heraus. Für Kranken- und
Rentenversicherung müssen die Menschen Haus und
Hof verkaufen. „Wir schuften nur noch für den
Staat“, teilen uns die Schlagzeilenmacher mit und erklären im Übrigen, dass es furchtbar enden wird.
Aber da gibt es noch ein zweites Land. Es heißt
Deutschland. Und in diesem Land gibt es einen Lebensstandard, um den uns fast die ganze Welt beneidet.
({35})
Ärztliche Versorgung und Renten sind auf hohem
Niveau, die Straßen sind so breit wie sonst nirgends
und die Menschen kaufen in Läden ein, in denen es
47 verschiedene Tiefkühlpizzen gibt...
({36})
Und wenn der Bund der Steuerzahler noch so oft vorrechnet, dass wir das halbe Jahr für „den Staat“ arbeiten würden, dann kann ich nur erwidern: Meine
Frau und ich empfanden es stets als ein hohes Maß
an Lebensqualität, dass wir für unsere Kinder einen
Arzt rufen konnten, wann immer es notwendig war,
und dass dieser Staat außerdem Schulen betreibt,
Feuerwehrautos und Theater, Sozialstationen, Polizei, Sportplätze und vieles mehr.
({37})
Weil dieses mein und unser Deutschland ist, sage ich,
liebe Kolleginnen und Kollegen: Lassen Sie uns wieder
alles vom Kopf auf die Füße stellen!
({38})
Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass wir dieses
Deutschland so, wie es hier beschrieben ist, weiterentwickeln und das, was unseren Staat in den letzten 50 Jahren ausgezeichnet hat - soziale Sicherung für unsere Bürger und Bürgerinnen -, mit den notwendigen Reformen
zukunftsfest machen. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass
dies erhalten bleibt! Ich lade Sie gerne dazu ein.
Vielen Dank.
({39})
Ich erteile dem Kollegen Horst Seehofer, CDU/CSUFraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
schon viele Zumutungen seitens der Gesundheitsministerin erfahren, aber dieses infantile Märchen am Schluss ihrer Rede von breiten Straßen, von Pizzen und Feuerwehrautos war schon ein vorläufiger Tiefpunkt, den wir in
diesem Jahr im Parlament erlebt haben.
({0})
Ich möchte mich auf drei Bemerkungen konzentrieren.
Erstens. Frau Schmidt, wir werfen Ihnen vor, dass die
Menschen in Deutschland den höchsten Beitrag in der Geschichte der gesetzlichen Krankenversicherung zahlen.
({1})
Die Beitragserhöhungen haben zum 1. Januar dieses Jahres gegriffen. Trotz unzähliger staatlicher Eingriffe durch
Sie in die gesetzliche Krankenversicherung verzeichnen
die Krankenkassen jetzt wieder ein Rekorddefizit. Dies
ist der erste Vorwurf, den man Ihnen machen muss. Sie
sind also mit Ihren politischen Instrumenten gescheitert.
({2})
Zweitens. Wir haben hier am 12. September 2002 diskutiert und wir, die CDU/CSU und auch die FDP, haben
Ihnen auf Punkt und Komma die weitere finanzielle Entwicklung in diesem Jahr vorhergesagt. Dies haben Sie damals mir gegenüber als Panikmache eingeordnet.
({3})
Ich habe damals den Satz gesagt: Das, was die Gesundheitsministerin hier vertritt, ist nicht eine Fehleinschätzung, sondern eine Falschaussage. Der Unterschied
besteht darin, dass Sie es anders wussten, es in der Öffentlichkeit aber trotzdem anders dargestellt haben.
({4})
Ich hätte heute eigentlich erwartet, dass Sie dem Parlament und der Öffentlichkeit zumindest erklären, was sich
innerhalb von wenigen Wochen so fundamental verändert
hat, dass von Ihrer Prognose „Wir werden in diesem Jahr
einen ausgeglichenen Haushalt und stabile Beiträge vorweisen“ nichts mehr übrig geblieben ist.
({5})
Frau Schmidt, Sie haben die deutsche Bevölkerung angelogen. Das muss man immer und immer wieder sagen.
({6})
Wie ist denn die tatsächliche Lage der deutschen
Sozialversicherung? Wir werden zum Jahreswechsel einen Gesamtsozialversicherungsbeitrag, aufzubringen durch
Arbeitgeber und Arbeitnehmer, in Höhe von etwa 42 Prozent erreicht haben. Das ist etwa der Beitragssatz, den wir
vor vier Jahren in der Bundesrepublik Deutschland hatten.
({7})
Ich sage Ihnen aber jetzt, was sich in diesen vier Jahren
für die Menschen verändert hat: 17 Milliarden Euro durch
die Ökosteuer, 3 Milliarden Euro aufgrund der Sozialversicherungspflicht für Minijobs - das sind die 325-Euro-Jobs,
die es vorher nicht gab -, 1,5 Milliarden Euro durch die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze. Diese drei Maßnahmen zusammen bewirken eine zusätzliche Belastung
für die Bevölkerung in Höhe von 21,5 Milliarden Euro.
({8})
Daneben nehmen Sie aus der Rücklage der Rentenversicherung - das haben Sie schon in der Vergangenheit getan, jetzt machen Sie es wieder mit dem Beitragssicherungsgesetz - 5 Milliarden Euro, um weitere Beitragserhöhungen zu vermeiden. Dieses Geld muss irgendwann einmal an die Rentenversicherung zurückgeführt
werden.
Das heißt, Sie haben mit 21,5 Milliarden Euro die Menschen abgezockt. Zusätzlich haben Sie die Reserve der
Rentenversicherung in Höhe von 5 Milliarden Euro in Anspruch genommen. Insgesamt ergeben sich 26,5 Milliarden Euro oder - in alter Währung - rund 53 Milliarden
DM zusätzlich für die Sozialversicherung, ohne dass es an
irgendeiner Stelle eine Entlastung für die Bevölkerung gegeben hätte.
({9})
Die Menschen erleben jetzt, dass trotz dieser zusätzlichen finanziellen Belastungen in den letzten vier Jahren
die Rentenleistungen gesunken sind und die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung schlechter geworden ist.
({10})
Trotz einer noch nie dagewesenen zusätzlichen finanziellen Belastung für die Menschen in diesem Lande haben
wir gleichwohl eine Verschlechterung bei den Renten und
in der Gesundheitsversorgung in der Bundesrepublik
Deutschland. Zwei negative Rekorde zu erreichen hat
bisher noch kein Sozial- und Gesundheitsminister geschafft, nur Ulla Schmidt.
({11})
Das ist die wahre Lage in der Sozialversicherung.
Die Sozialversicherung - wir haben das schon vor über
einem Jahr in der Öffentlichkeit dargestellt - befindet sich
in der tiefsten Krise seit ihrem Bestehen:
({12})
schlechtere Leistungen und höhere finanzielle Belastungen. Trotzdem vertreten wir die Überzeugung, dass ein
Befreiungsschlag zur Rettung dieser Sozialversicherung
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
noch möglich ist, wenn man jetzt einen radikalen Politikwechsel einleiten würde.
({13})
Frau Schmidt, ich prophezeie Ihnen: Wenn Sie auf der
Grundlage dieser Politik, einschließlich der sich jetzt im
Bundesrat befindenden Gesetze, weitermachen,
({14})
dann werden wir in dieser Legislaturperiode in der Krankenversicherung auf einen durchschnittlichen Beitragssatz von über 15 Prozent und in der Rentenversicherung
auf einen Beitragssatz von über 20 Prozent kommen. Sie
werden parallel dazu gezwungen sein, die Leistungen in
der Krankenversicherung weiter abzubauen und zusätzlich in die Rentenleistung einzugreifen.
({15})
Was viele in der öffentlichen Diskussion befürchten,
auch manche Radikalreformer, nämlich dass wir uns mit
einer Grundversorgung und mit einer Grundrente anfreunden müssen, das würde bei Fortsetzung dieser Politik durch die normative Kraft des Faktischen innerhalb
dieser Legislaturperiode Wirklichkeit werden. Das wäre
das Ergebnis Ihrer Politik, Frau Schmidt. Deshalb brauchen wir einen radikalen Politikwechsel, damit wir unser
bewährtes deutsches Sozialsystem retten. Diese Rettung
ist möglich.
({16})
Ich habe Ihnen in der letzten Debatte zu diesem Thema
bereits gesagt, dass die Hauptelemente dieser Rettung
schon 1998 im Bundesgesetzblatt standen. Ich fordere Sie
heute wieder auf, auf diese Grundelemente zurückzugreifen, damit der Teufelskreis von ständig steigenden Beiträgen und sinkenden Leistungen durchbrochen wird.
({17})
- Meine Damen und Herren, Sie haben noch nie eine Opposition erlebt, die so konkrete Vorschläge zur konzeptionellen und programmatischen Lösung der Probleme
macht wie diese CDU/CSU.
({18})
Wir sagen auch in Landtagswahlkämpfen die Wahrheit.
Es beginnt mit dem demographischen Faktor in der
Rentenformel, den die Grünen in den letzten Wochen thematisiert haben.
({19})
Er ist die politische Antwort auf die Frage, wie die Lasten
zwischen den Generationen verteilt werden sollen, die dadurch entstehen, dass die Menschen segensreicherweise
immer älter werden und damit die Rentenlaufzeiten zunehmen.
({20})
Wir haben 1998 ins Gesetzblatt geschrieben - das haben
Sie nach der Wahl zurückgenommen -, dass diese Lasten
gerecht auf Jung und Alt verteilt werden. Das hätte bedeutet - das sprechen wir auch aus -, dass die jährlichen
Rentenanpassungen flacher ausgefallen wären als ohne
diesen demographischen Faktor. Aber es wäre zu keinen
Rentenkürzungen gekommen. Dieser demographische
Faktor hätte dazu beigetragen, dass wir sichere Renten
und nicht ständig eine Diskussion über die Zukunft der
gesetzlichen Rentenversicherung hätten.
({21})
Das ist der erste und wichtigste Vorschlag. Sie schwirren ständig um diesen demographischen Faktor herum.
Ich bitte Sie, endlich von willkürlichen Maßnahmen zu
diesem systematisch einwandfreien Vorschlag zurückzukehren, und zwar so schnell wie möglich.
Der zweite Punkt ist die private Vorsorge. Sie ist wirklich vermurkst worden. Sie ist am 1. Januar in Kraft getreten und ist elf Monate nach ihrem In-Kraft-Treten derart gescheitert, dass man jetzt überlegt, wie man die
Riester-Rente reformiert.
({22})
Das war wirklich eine Welturaufführung: Nach elf Monaten muss eine Jahrhundertreform wieder reformiert werden. Das war Murks.
({23})
Alles, was Frau Gudrun Schaich-Walch - ich weiß
nicht, ob sie da ist - heute in der Öffentlichkeit dazu erklärt, vertreten wir seit zwei Jahren. Heute sagt auch die
SPD-Sprecherin, dass die Riester-Rente möglicherweise
zu bürokratisch sei und deshalb reformiert werden müsse,
damit die Leute sie verstünden. Heute erklärt sie in der
Öffentlichkeit, möglicherweise müsse die Förderung so
gestaltet werden, dass auch Kleinverdiener eine Privatrente aufbauen könnten. Heute, unter dem Druck des
Scheiterns, gibt man das zu. Hätte man vor über einem
Jahr auf uns gehört, dann würde die Riester-Rente jetzt
funktionieren.
({24})
- Das ist mir zu ernst für Flapsigkeiten und Dazwischenreden. Ich verfolge das in diesen Tagen schon länger. Sie beschränken sich wirklich auf Flapsigkeiten. Die
Themen sind zu ernst für solche Zwischenrufe.
({25})
Ich sage Ihnen ganz konkret, was notwendig wäre.
Das Dritte ist der tatsächliche Renteneintritt. Wenn die
Lebenserwartung steigt, können wir einen Renteneintritt
mit unter 60 oder knapp über 60 Jahren nicht auf Dauer finanzieren.
({26})
Deshalb haben wir versicherungsmathematische Abschläge beschlossen. Sie haben sie beibehalten, obwohl
Sie sie im Bundestagswahlkampf 1998 diffamiert haben.
({27})
Jetzt kommt es nicht darauf an - das richtet sich auch
an außerparlamentarische Diskussionsteilnehmer -, über
eine Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters
von 65 Jahren zu faseln. Vielmehr müssen wir das nächste
Jahrzehnt dazu nutzen, das tatsächliche Renteneintrittsalter von heute durchschnittlich 60 Jahren allmählich an das
65. Lebensjahr heranzuführen. Die Hauptaufgabe hat da
die deutsche Wirtschaft zu leisten. Ich bin dem Deutschen
Gewerkschaftsbund dafür dankbar, dass er jetzt auch öffentlich erklärt, dass dies zur Rentensicherung notwendig
ist.
({28})
Die deutsche Wirtschaft sollte mit der Doppelzüngigkeit aufhören. Auf der einen Seite die Verlängerung der
Lebensalterszeit zu fordern und auf der anderen Seite die
über 50-Jährigen freizusetzen geht auf Dauer nicht.
({29})
- Wenn Sie das alles wollen, Herr Schösser, wie Sie gerade ankündigen, dann machen wir doch diese drei Dinge!
({30})
Erstens. Nehmen wir den demographischen Faktor in die
Rentenformel auf!
({31})
Dann würde auch die ältere Generation die demographische Last tragen und nicht nur die jüngere Generation.
Zweitens. Gestalten wir die Riester-Rente so, dass sie
in der Praxis angenommen wird! Da sagt übrigens der
Bundeskanzler die Unwahrheit. Er hat gestern hier den
Eindruck erweckt, als hätten 18 Millionen Arbeitnehmer
eine betriebliche Altersvorsorge abgeschlossen. Mit genau diesen Tricks arbeitet Rot-Grün.
({32})
Tatsache ist, dass Tarifverträge für 18 Millionen Menschen geschlossen worden sind, um ihnen die Möglichkeit
zu geben, einen Vertrag über eine Betriebsrente abzuschließen. Es ist jedoch eine grobe Verfälschung der
Wahrheit, wenn man von diesem Pult aus den Eindruck
erweckt, als hätten 18 Millionen Menschen Verträge abgeschlossen.
({33})
Die Menschen haben die Möglichkeit dazu, aber sie
haben die Verträge nicht abgeschlossen. Deshalb brauchen wir die Reform.
Drittens. Wir brauchen den tatsächlichen Renteneintritt
im Alter von 65 Jahren. Das wäre schon eine große Rentenreform. Dann könnte man im nächsten Jahrzehnt überlegen, ob das 65. Lebensjahr als Bezugsgröße richtig ist.
Das sollten wir aber im nächsten Jahrzehnt unter Beachtung der dann gegebenen Arbeitsmarktentwicklung in der
Bundesrepublik Deutschland machen.
({34})
Wir würden die Erneuerungsbereitschaft in der Bevölkerung überfordern, wenn wir jetzt über Dinge reden, von
denen niemand weiß, ob sie im nächsten Jahrzehnt wirklich notwendig werden. Das waren meine grundlegenden
Ansichten zur Rente.
Nun hat sich Ihr Ministerpräsident Gabriel auf die
Schweiz bezogen. Die Schweiz scheint jetzt die neue
Wunderwaffe zu sein. Man gilt als Weltmann, wenn man
sich auf andere Länder bezieht, während jemand, der sich
wie ich in erster Linie in Niederbayern oder in der Oberpfalz bewegt, als provinziell bezeichnet wird. Ihr Parteifreund Gabriel ist offensichtlich ganz anderer Meinung
als Sie, Frau Schmidt. Er glaubt, dass die Reformen nichts
getaugt haben, und deshalb hat er jetzt unter dem Druck
des Wahlkampfes eigene Vorschläge gemacht. Er erklärt:
Wir brauchen das Schweizer Rentenmodell.
Ich sage Ihnen: Vorsicht! Die Schweizer haben
mindestens die gleichen Probleme in der Alterssicherung
wie wir Deutsche und sie überlegen im Moment, zur Bewältigung der Demographie die Mehrwertsteuer für die
Rente um 2,5 Prozent zu erhöhen. Das ist meine erste
Feststellung.
({35})
Wie kann man sich auf ein solches Rentensystem als Beispiel beziehen, wenn man dort gleichzeitig überlegt, die
Mehrwertsteuer zur Finanzierung der Renten zu erhöhen?
Noch bemerkenswerter ist aber, dass ein SPD-Ministerpräsident die Schweiz als Vorbild nimmt. In der Schweiz
sind 11 Prozent der Menschen, die eine Altersrente beziehen, auf ergänzende Fürsorgeleistungen angewiesen.
25 Prozent der Menschen, die eine Erwerbsunfähigkeitsrente beziehen, brauchen ergänzende Fürsorgeleistungen.
Wissen Sie, wie viele das in der Bundesrepublik Deutschland sind? Es sind 1,5 Prozent.
Mir geht nicht in den Kopf, wie ein SPD-Ministerpräsident ein Rentensystem zum Vorbild für die Bundesrepublik Deutschland erklären kann, bei dem die Zahl der Fürsorgeempfänger wegen nicht ausreichender Rente im Alter
({36})
zehnmal und bei der Invalidenrente sogar um ungefähr
25 Prozent höher ist als in der Bundesrepublik Deutschland.
({37})
Frau Schmidt, überzeugen Sie Ihren Ministerpräsidenten
davon, dass das eine Schnapsidee ist!
Der Schlaumeier aus Hannover sagt an anderer Stelle etwas, was mich wirklich überrascht, weil es die SPD
vier Jahre lang bekämpft hat. Jetzt kommt auch sie nach vier
Jahren zu dieser Erkenntnis. Gabriel will die Gesundheitspolitik mit drei Elementen reformieren: Eigenbeteiligung
der Versicherten an den Krankheitskosten - das ist eine
CDU/CSU-Position -, Beitragsermäßigung für gesund lebende Menschen - das ist eine CDU/CSU-Position ({38})
und schließlich Stunden- oder Fallpauschalen bei den
Arzthonoraren, damit der sinkende Punktwert ein Ende
hat; auch das ist eine CDU/CSU-Position.
({39})
Frau Schmidt, Ihnen gelingt ein Befreiungsschlag in
der Gesundheitspolitik - Sie brauchen uns nicht zu glauben -, wenn Sie Ihrem Herrn Gabriel in diesen Punkten
folgen und Vorschläge machen, die Ihren unseligen Zentralismus und Ihren Staatsdirigismus beenden. Wenn Ihre
Vorschläge freiheitliche Strukturen enthalten, können Sie
mit uns zusammen eine Gesundheitsreform machen. So
einfach ist das.
({40})
Ein Letztes: Sie haben gesagt, die Menschen freuen
sich nicht nur über breite Straßen in Deutschland und über
Pizzen,
({41})
sondern sie freuen sich auch über manche Entwicklungen
im Gesundheitswesen. Weil es mir in der Bevölkerung immer wieder begegnet, möchte ich Sie heute noch einmal
dringend um etwas bitten: Machen Sie mit der praktizierten Zweiklassenmedizin so schnell wie möglich Schluss.
({42})
Es kann nicht sein, dass ein Sozialhilfeempfänger in
Deutschland eine bessere medizinische Versorgung bekommt als der Mensch, der ein ganzes Leben lang Sozialversicherungsbeiträge bezahlt.
({43})
- Herr Schösser, die Begründung dafür, dass Sie dem nicht
zu Leibe rücken, ist uns jetzt in die Hände gefallen. Es gibt
nämlich ein Schreiben von Staatssekretär Manfred
Overhaus aus dem Bundesfinanzministerium - das ist eine
der internen Absprachen in der Regierung - vom August
2000. Da beschreibt Herr Overhaus, warum das mit den Sozialhilfeempfängern alles schwierig ist und warum RotGrün das nicht machen sollte. Wir kritisieren das ja schon
seit längerer Zeit. Darin heißt es - Herr Schösser, da Sie sich
gerade so aufregen, sollten Sie einmal gut zuhören -, man
wolle für die Sozialhilfeempfänger deshalb keine Gleichstellung mit den gesetzlich Versicherten, weil für die Sozialhilfeempfänger sonst die derzeit für sie günstige Regelung entfallen würde, von den Ausgabenbeschränkungen
der gesetzlichen Krankenkassen nicht betroffen zu sein.
({44})
Das schreibt die Bundesregierung. Das können Sie haben, Frau Schmidt, falls Sie es schon in den Reißwolf
gegeben haben sollten. Im August 2000 schreibt die Bundesregierung intern an die damalige Gesundheitsministerin, es treffe zwar zu, dass die Sozialhilfeempfänger im
Gegensatz zu denen, die Beiträge bezahlen, privilegiert
seien. Aber es werde keine Gleichstellung vorgenommen,
weil sonst die für sie günstige Regelung entfallen würde.
({45})
- Das ist eine logische Begründung. Das ist in etwa so - ich
habe das oft genug gesagt -, als wenn der Mond beeindruckt wäre, wenn ein Hund ihn anbellte. Das ist ungefähr
genauso nahe an der Wahrheit dran.
Machen Sie morgen einen Gesetzentwurf, durch den
Sie entgegen der Meinung des Bundesfinanzministers
endlich die Zweiklassenmedizin zwischen gesetzlich Versicherten und Sozialhilfeempfängern beenden!
({46})
Ich erteile das Wort der Kollegin Birgitt Bender, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Seehofer, Sie scheinen mit Ihrer Diskursfähigkeit im letzten Sommer stehen geblieben zu sein, als Wahlkampf war.
Dass Sie hier den alten Hut mit der angeblichen Besserstellung der Sozialhilfeempfänger noch einmal herausholen, ist schon eher peinlich. Denn gerade Sie sollten doch
wissen, dass es in nahezu allen Bundesländern inzwischen
Verträge zwischen den Sozialhilfeträgern und den Ärzten
gibt, in denen festgelegt ist, dass nach den gleichen Regeln wie mit den Kassen abgerechnet wird. Sollte das in
Bayern noch nicht der Fall sein - ich habe es im Moment
nicht präsent -, dann klären Sie das dort doch einmal.
({0})
Im Übrigen gibt es einen neueren Stand als den vom
Juni 2000. Wenn Sie einmal in den rot-grünen Koalitionsvertrag geschaut hätten - ich hatte eigentlich angenommen, dass der Sie interessiert -, dann hätten Sie dort den
Satz gefunden, dass wir sehr wohl anstreben, die Sozialhilfeempfänger - wie es übrigens auch das Bundesverfassungsgericht verlangt - in die Krankenversicherung aufzunehmen. So wird es auch geschehen.
({1})
Das ist nun wahrlich nichts, wo wir irgendeine Art von
Nachhilfe nötig hätten.
({2})
Manchmal lohnt sich ja die Zeitungslektüre. Heute
habe ich in die „Zeit“ geschaut. Darin gibt es ein Interview mit dem virtuellen Gesamtvorsitzenden der CDU/
CSU, Herrn Roland Koch. Da heißt es schon in der Überschrift: „Wir sagen nur Ja oder Nein.“ Woher kommt die
Überschrift? Herr Koch wird gefragt, ob denn die Opposition nicht auch einmal etwas anderes als Fundamentalopposition machen sollte. Darauf antwortet er:
Die Opposition ist nicht der Vorschlagsbeauftragte
des Landes. Die Regierung hat Konzepte vorzulegen,
und wir sagen Ja oder Nein.
Da kann ich nur sagen, meine Damen und Herren von
der CDU/CSU: Diese Politik des Daumen rauf oder Daumen runter, aber selbst nichts vorzulegen, das ist der Abschied von der Politik und ist selbst einer Opposition nicht
würdig.
({3})
Und zum Thema „Wissen und Wahrheiten im Wahlkampf“, Herr Seehofer: Es gab einen bedeutenden Politiker, der am 11. Juni dieses Jahres gesagt hat, höhere Rentenbeiträge seien unvermeidlich. Dann gab es einen, der
gesagt hat, dass die Rentenbeiträge nicht erhöht würden.
Das war ein und derselbe und es war einen Tag später. Der
Politiker hieß Horst Seehofer.
({4})
Herr Seehofer, so etwas nennt man normalerweise „zurückgepfiffen werden“. Warum? Weil Ihr Kanzlerkandidat, Herr Stoiber, nur Schönwetterparolen wollte, nach
dem Motto: Wir und ich, der Herausforderer, wir sind für
die Wohltaten zuständig und die Defizite lasten wir der
Regierung an. Deswegen durfte gerade bei Ihnen von
höheren Rentenbeiträgen nicht die Rede sein.
({5})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Seehofer?
Aber gern.
Liebe Frau Bender, damit Sie nicht immer wieder das
Falsche zitieren, darf ich Sie darauf hinweisen,
({0})
dass ich immer sauber unterschieden habe zwischen dem,
was wir 2003 gemacht und an Beitragserhöhungen verhindert hätten, und dem, was wir als Altlast von Ihnen
übernommen hätten,
({1})
wobei ich bezüglich der Altlast immer gesagt habe: Man
kann in vier Wochen nicht korrigieren, was in vier Jahren
verbockt worden ist. Würden Sie das so zur Kenntnis nehmen?
Herr Seehofer, das ist das Schöne, manchmal auch das
Unangenehme am Regieren: Man muss immer das übernehmen, was schon da ist. Das ging auch uns 1998 so.
({0})
Deswegen hätten Sie ein Konzept für die Zeit nach dem
22. September dieses Jahres haben müssen und das habe
ich noch nicht erkannt.
({1})
Wenn man genauer hinsieht, gibt es auch jetzt bei Ihnen ein wüstes Durcheinander. Sie reden jetzt wieder vom
demographischen Faktor. Das kennen wir nun schon.
Sie sollten zumindest dazusagen, damit es die Leute verstehen - Sie halten uns ja Leistungskürzungen vor, die gar
nicht stattfinden -,
({2})
dass der demographische Faktor zu niedrigeren Renten
führen würde. Das sollten Sie den Leuten einmal sagen.
So viel Ehrlichkeit sollte doch sein!
({3})
- Dann dürfen Sie uns aber nicht Leistungskürzungen
vorhalten. So funktioniert es nicht.
Sie leisten sich eine CDU-Wertekommission. Ihr sitzt
der Herr Christoph Böhr vor. Der hat jetzt wieder eine
neue Idee für Ihre Wohltaten. Er will Eltern mit Kindern
Gutschriften für die Rente geben und ihren Beitrag um
0,5 Prozentpunkte senken. Dann wüsste ich jetzt gern:
Soll das der Ersatz für die bisherige Unterstützung durch
Erziehungsleistungen sein, die wir mit Steuermitteln finanzieren? Oder soll das bedeuten, dass wir die Rentenbeiträge für kinderlose Menschen erhöhen? Oder soll das
vielleicht heißen, dass jetzt noch höhere Steuermittel in
das Rentensystem fließen? Man wüsste einfach gern einmal, ob die Opposition entsprechende Konzepte hat und
zu welchem Preis das geschehen soll.
({4})
Man findet aber nichts. Sie sind gegen das Sparen, ob
es in der Rente die kurzfristigen Anpassungen sind oder
das Sparpaket im Gesundheitswesen. Von Lösungen hört
man wenig. Ich wüsste gern, wie Sie sich angesichts dessen verhalten, dass wir jetzt in einem entsprechenden Gesetz Festbeträge für teure Analogpräparate bei Arzneimitteln vorgesehen haben. Das ist zustimmungspflichtig im
Bundesrat; da sind wir durchaus auf Sie angewiesen.
Diese teuren Analogpräparate verschlingen Geld, das für
tatsächliche Innovationen verwendet werden sollte. Deshalb sehen wir jetzt Festbeträge vor. Ich wüsste gern, was
Sie dazu sagen und wie Sie überhaupt mit dem Problem
des Medikamentenverbrauchs in der Bundesrepublik umgehen.
Der neue Arzneiverordnungsreport besagt, dass es
ohne Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit ein
Sparpotenzial in Höhe von 4,2 Milliarden Euro gibt. Ich
frage Sie: Wollen Sie das nutzen? Wie gehen Sie eigentlich damit um, dass es in Hamburg in diesem Jahr voraussichtlich einen Pro-Kopf-Arzneimittelverbrauch im
Wert von 400 Euro und in Nord-Württemberg von
290 Euro gibt? Das zeigt doch, dass hier Steuerungsbedarf
besteht. Erkennen Sie dies an? Wie wollen Sie das machen? Keine Antwort von der Opposition!
Was sagt die Opposition dazu, dass es in Sachsen-Anhalt pro 10 000 Einwohner etwas mehr als 70 Krankenhausbetten und in Baden-Württemberg etwas mehr als
60 Betten gibt und dass es insgesamt in der Bundesrepublik Deutschland mehr Krankenhausbetten pro 10 000 Einwohner gibt als im europäischen Ausland? Dafür haben
Sie keine Lösung. Sie haben auch keine Lösung für das
Problem, dass die Preise in den deutschen Krankenhäusern bisher bei der Behandlung ein und desselben Krankheitsbildes um den Faktor drei auseinander liegen. Sie waren gegen die Einführung von Fallpauschalen.
({5})
Wir werden erstmals Transparenz schaffen.
Jetzt stehen Ihre Landesregierungen vor der Entscheidung, ob auch sie den Krankenhäusern die Nachmeldefrist, die wir ihnen bis zum Ende dieses Jahres gewähren,
zugestehen wollen. Sie haben es zugegebenermaßen in
der Hand, das zu verhindern; das ist nämlich im Bundesrat zustimmungspflichtig.
({6})
Da will ich sehen, wie Sie Ihren Krankenhäusern erklären
werden, dass sie nicht bei dem Reformmodell mitmachen
können und dafür die Nullrunde tragen müssen. Ich wünsche viel Vergnügen!
({7})
Reden wir doch einmal über Reformen, wenn auch nur
noch sehr kurz!
({8})
Wie sagte Herr Koch noch in dem heutigen Interview?
Es gibt auch bei uns unterschiedliche Vorstellungen
etwa darüber, ob die Sozialsysteme künftig nur durch
Abgaben auf die Löhne finanziert werden sollen.
Diese unterschiedlichen Vorstellungen gestehe ich Ihnen durchaus zu. Auch in der Koalition gibt es dazu Diskussionsbedarf. Dann sollten wir darüber einmal reden.
Ich sage Ihnen für die Grünen: Wir sind davon überzeugt,
dass es in einer Gesellschaft, in der nicht mehr der 45 Jahre
lang vollzeitig beschäftigte und einzahlende Facharbeiter - von den Frauen war ja eh nie die Rede - im Zentrum
steht, bei dieser Lohnzentriertheit der sozialen Sicherungssysteme nicht bleiben kann.
Das sind die Reformoptionen, über die wir werden reden müssen. Ihre Blockadepolitik, meine Damen und
Herren von der Opposition, trägt dazu nichts bei. Sie ist
lediglich ein Beitrag zur Politikverdrossenheit. Wenn Sie
diese aufgeben würden, so wäre das ein Dienst an der Demokratie.
({9})
Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin
Waltraud Lehn, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Seehofer, ich halte es für wirklich nicht hinnehmbar, wie Sie hier eine gezielte Emotion gegen eine Gruppe
unserer Bevölkerung geschürt haben,
({0})
und zwar gegen die Bezieher von Sozialhilfe.
({1})
Herr Seehofer, Sie wissen, so behaupte ich, dass
80 Prozent derjenigen, die in unserem Land Sozialhilfe erhalten, vor allem derjenigen, die ergänzende Sozialhilfe
erhalten, sehr wohl in der gesetzlichen Krankenkasse
sind.
({2})
Zu dem Personenkreis, der dort nicht vertreten ist,
gehören in der Regel diejenigen, die Hilfe in besonderen
Lebenslagen erhalten, nämlich die Behinderten, und diejenigen, die von Kindesbeinen an in schweren Situationen
gewesen sind. Das sind diejenigen, denen der Zugang zur
gesetzlichen Krankenkasse in der Tat verwehrt worden
ist.
({3})
- Sie brauchen da gar nicht abzuwinken. Ich habe wesentlich mehr Erfahrung in diesem Bereich, als Sie sie je
erwerben werden. Ich bin Sozialdezernentin gewesen. Ich
weiß, wie die Situation in meiner Stadt war. Ich kenne die
Statistiken des Landes Nordrhein-Westfalen. Es mag sein,
dass in Bayern den Sozialhilfeempfängern der Weg in die
Krankenkasse verwehrt wird. Das wäre dann aber einer
besonderen Prüfung wert.
Ich finde es verantwortungslos,
({4})
mit welchen Mitteln Sie gestern beim Thema Türkei und
heute gegen die Sozialhilfeempfänger emotionalisiert haben.
({5})
Dafür kann man sich wirklich nur schämen.
({6})
Zur Erwiderung hat der Kollege Seehofer das Wort.
Liebe Frau Kollegin, ich verstehe gar nicht, dass Sie
sich so aufregen, wenn wir über die Ergebnisse Ihrer Politik reden. Wir reden über folgenden Sachverhalt: Sie haben nach 1999 die Budgets wieder eingeführt.
({0})
Wir haben vor der Einführung der Budgets gewarnt, weil
sie im Ergebnis dazu führen, dass Medizin nach Kassenlage gemacht wird.
({1})
Sie sollten wissen, dass es für die Sozialhilfeempfänger
kein Budget gibt. Dies führt im Ergebnis dazu, dass es für
einen Teil der Sozialhilfeempfänger, für die keine Budgets vorhanden sind, eine bessere medizinische Versorgung gibt
({2})
als für diejenigen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung sind und Beiträge zahlen. Das ist der nüchterne,
ehrliche Sachverhalt.
({3})
Wir wollen nicht, dass der Sozialhilfeempfänger eine
schlechtere medizinische Versorgung bekommt, sondern,
dass durch die Aufhebung der Budgets der gesetzlich Versicherte, der Beiträge zahlt, die gleiche Versorgung wie
der Sozialhilfeempfänger bekommt.
({4})
Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege
Dr. Dieter Thomae für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor den Wahlen hat die Ministerin gesagt: Die Beitragssätze werden nicht erhöht und am Leistungspaket
wird nichts geändert. Nach den Wahlen hat sich vieles
verändert: In vielen Teilen der Bundesrepublik Deutschland werden die Beitragssätze erhöht. Sie beabsichtigen,
die Leistungen zu reduzieren, beispielsweise beim Sterbegeld. Der größte Einschnitt im Leistungspaket ist die
Budgetierung. Diese ist brutal.
({0})
Frau Ministerin, ich habe eine wirklich wichtige Frage
an Sie und bitte Sie, sie ernst zu nehmen, zu recherchieren und dem Parlament mitzuteilen, zu welchem Ergebnis
Sie gekommen sind. In München hat ein Geheimtreffen
der deutschen Bankenwirtschaft stattgefunden. Die Vertreter der deutschen Banken haben dort sehr lange über
die Gewährung von Krediten an die deutschen Krankenversicherungen diskutiert. Man hat festgestellt, dass den
deutschen Krankenversicherungen bis zu 5 Milliarden
Euro an Krediten ausgezahlt worden sind,
({1})
und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass man nicht bereit
sei, diese Kreditlinie zu erweitern.
({2})
- Nein, nicht im privaten, sondern im gesetzlichen Bereich. - Ich möchte von Ihnen wissen: In welchem Umfang sind diese 5 Milliarden Euro über Kassenverstärkungskredite abgedeckt worden oder geht es noch
nennenswert darüber hinaus?
Das Defizit beträgt bis Ende des Jahres 2,2 bis 3 Milliarden Euro. Hinzu kommen 5 Milliarden Euro an Kreditaufnahme durch die Kassen. Angesichts dieser Zahlen
brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen, wie die Situation
im gesetzlichen System aussieht. Wenn sich die Konjunktur nicht rapide verbessert, werden die Banken die Kreditlinie kürzen und viele Kassen werden über die Wupper
gehen.
({3})
Es werden massive Veränderungen auf uns zukommen.
Daher wundert es mich nicht, dass gegenwärtig viele Vorstände von Krankenkassen Anträge beim Bundesversicherungsamt stellen, die Beiträge in nennenswertem Umfang erhöhen zu dürfen, weil die Vorstandsvorsitzenden
selbst für ihre Arbeit haften.
({4})
Ich möchte, dass dem Parlament klar dargelegt wird,
wie die Lage wirklich ist.
({5})
Wenn sie wirklich so dramatisch ist, dann muss ich feststellen, dass wir vor den Wahlen belogen und betrogen
worden sind. Denn es wurde immer wieder gesagt, es
werde zu keiner Beitragssatzerhöhung und zu keiner Leistungseingrenzung kommen. Doch wenn Sie sich die Situation anschauen, dann wissen Sie, worauf es hinausläuft.
Sie fragen nach unseren Rezepten. Ich muss feststellen: Herr Gabriel denkt in die richtige Richtung.
({6})
Wir Liberale haben schon vor fünf Jahren gesagt, dass wir
keine andere Alternative sehen, als den Patienten in die
Verantwortung einzubeziehen.
({7})
Das bedeutet auch: Selbstbeteiligung. Doch die sieht bei
uns anders aus als bei Ihnen: Sie setzen auf Budgetierung.
Wenn das Budget erschöpft ist, dann ist eine 100-prozentige Selbstbeteiligung fällig. Wir dagegen wollen eine
Selbstbeteiligung mit einer vernünftigen Härtefallregelung, sodass auch die Menschen, die zu den Härtefällen
zählen, die für sie notwendige Leistung bekommen.
({8})
Sie betrügen die Bürger und die Versicherten, weil Sie
über die Budgetierung Leistungen verwehren.
Auch die Transparenz muss verbessert werden.
({9})
Sie glauben, Sie könnten mit der Patientenquittung Erfolge erzielen. Sie haben doch gar keinen Mut. Eine Patientenquittung, auf der zwar die Leistung genannt wird,
aber nicht ihr Preis, ist völlig schizophren.
({10})
Was soll der Patient tun, wenn er eine solche Quittung bekommt? Ich kann nur staunen, dass man so „mutig“ ist.
Das ist eine Verarschung der Bürger.
({11})
Außerdem wird die Bürokratie in den Arztpraxen durch
diese Maßnahme massiv ausgebaut. Was machen Sie da
nur, meine Damen und Herren?
({12})
Ich sage Ihnen: Die Kostenerstattung inklusive der
Selbstbeteiligung mit einer vernünftigen Härtefallüberforderungsregel ist die Grundlage für die nächsten Jahre,
um eine verantwortliche Gesundheitspolitik zu betreiben,
und zwar ohne Rationierung und Budgetierung.
({13})
Wenn Sie diesen Weg gehen wollen - ich hoffe, dass Ihnen Herr Gabriel noch ein wenig einheizt -, dann sollten
wir darüber diskutieren.
Auch Herr Rürup denkt in diese Richtung. Aber es ist
wirklich ein Witz, den Sie sich in der Fraktion und in der
Partei leisten: Herr Rürup soll ein Konzept erarbeiten, das
2003 vorliegen wird. Die Bundestagsfraktion und die Ministerin wollen im Frühjahr ein Konzeptpapier auf den
Weg bringen. Ich frage mich: Wie soll das laufen? Die Finanzierung kommt erst Ende 2003, aber die Konzeption
dafür wird es bereits im Januar geben.
Ich hätte wirklich vermutet, dass die Bundestagsfraktion und die Ministerin mutiger und kreativer wären und
ein sinnvolles Konzept auf den Weg bringen würden,
ohne den Patienten immer mehr Leistungen durch die
Budgetierung zu verweigern.
({14})
Herr Kollege Thomae, Sie haben in dem temperamentvollen Schlussteil Ihrer Rede eine Formulierung zur Einschätzung der Politik durch die Bevölkerung benutzt, die
dem parlamentarischen Sprachgebrauch nicht ganz entspricht.
({0})
Ich erteile nun als nächstem Redner dem Kollegen
Klaus Kirschner für die SPD-Fraktion das Wort.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Seehofer, Ihr Plädoyer eben habe ich eher als ein Plädoyer an die Adresse Ihrer eigenen Fraktion verstanden.
Es war ein Plädoyer für den Erhalt des deutschen Sozialversicherungssystems vor dem Hintergrund einer Diskussion, die bei Ihnen permanent stattfindet.
Ich will dazu eine Bemerkung machen. Sie wollen das
Renteneintrittsalter auf 60 Jahre festsetzen. Als ehemaliger Staatssekretär und Gesundheitsminister sollten Sie
wissen, dass dann bei Herausrechnung der Erwerbsminderungsrenten das Rentenniveau bei 62,4 Prozent läge.
Das sind die korrekten Zahlen. Ich sage das, damit in der
Öffentlichkeit kein falscher Eindruck entsteht.
({0})
Dann möchte ich auf die Riester-Rente und die Betriebsrente eingehen. Es gibt 18 Millionen Berechtigte.
Ungefähr drei Millionen Verträge sind in diesem Zusammenhang von den Berechtigten abgeschlossen worden.
Wir schätzen - die genauen Zahlen kennen wir noch
nicht -, dass die Zahl der vertraglich vereinbarten Betriebsrenten zwischen 30 und 40 Prozent liegt. Die diesbezüglichen Tarifverträge sind im Sommer in Kraft getreten. Nun sollten wir ehrlicherweise sagen: Wer vor der
Bundestagswahl zum Boykott der Riester-Rente aufgerufen hat - Sie haben gehofft, dass es zu einem Regierungswechsel kommt; das ist Ihr gutes Recht -, der darf sich
jetzt nicht beklagen, dass noch nicht ausreichend Verträge
abgeschlossen worden sind. Man sollte hier die Dinge
korrekt beim Namen nennen.
({1})
Lassen Sie mich etwas zum demographischen Faktor
sagen. Die Beitragssätze wären nach dem demographischen Faktor der CDU/CSU- und FDP-Regierung 2015
auf 22 Prozent gestiegen. Das sollten Sie nicht verschweigen. Das Rentenniveau wäre auf 64 Prozent gesunken. Wir haben das verbessert - auch ohne RiesterRente. Wir haben eine Grundsicherung und die
Anrechnung von Kindererziehungszeiten eingeführt. Sie
müssen beides nebeneinander stellen. Dann werden Sie
zugeben müssen, dass bei Ihnen die Beitragssätze stärker
gestiegen wären und das Rentenniveau tiefer gesunken
wäre.
({2})
Ich möchte eine Bemerkung - das ist mir wichtig - zu
den Sozialhilfeempfängern machen. Über sie wurde vorher schon gesprochen. Sagen Sie einmal, um welche
Sozialhilfeempfänger es geht. Auch hinsichtlich Ihrer
Forderung, die Budgets aufzuheben, besteht noch Klärungsbedarf.
({3})
Wenn Sie die Budgets generell aufheben wollen - Sie
kennen doch die Zahlen so gut wie ich; tun Sie doch nicht
so -, wie wollen Sie dann noch die Kosten steuern?
({4})
Sie haben doch selbst seinerzeit die Budgets eingeführt.
({5})
- Sie haben sie eingeführt und später sind Ihnen
die Beitragssätze davongelaufen.
({6})
Ich komme später noch darauf zu sprechen.
({7})
- Warten Sie es ab, lieber Kollege Thomae.
Ich will an dieser Stelle eines feststellen: Sie erzählen
Märchen, lieber Kollege Thomae.
({8})
- Warum raten Sie mir zur Vorsicht? Sie wissen doch gar
nicht, was ich sagen möchte. Hören Sie doch erst einmal
zu! Sie sind ein Märchenerzähler.
Sie sagen, es komme durch die Budgetierung zu Leistungseinschränkungen.
({9})
Tun Sie mir einen Gefallen und lesen Sie den jüngsten
Arzneiverordnungsreport! Sie müssen ihn nicht vollständig lesen; es reicht, wenn Sie das erste Kapitel und das
Kapitel 50 lesen. Den Autoren zufolge - dabei handelt es
sich um seriöse Fachleute, die Sie genau wie wir bereits
als Sachverständige im Ausschuss angehört haben; Frau
Kollegin Bender hat bereits darauf hingewiesen - sind
ohne Einschränkung der therapeutischen Qualität Einsparungen in Höhe von 4,2 Milliarden Euro - das ist ein
Fünftel - möglich.
({10})
Nehmen Sie das doch endlich einmal zur Kenntnis! Es ist
doch eine Steuerung notwendig. Auch Sie müssten eine
Steuerung vornehmen oder wollen Sie alles freigeben?
Wie wollen Sie letzten Endes die GKV steuern, wenn Sie
auf der einen Seite die Stabilität der Beitragssätze für
wichtig halten, aber auf der anderen Seite das Budget nach
oben offen lassen wollen? Wollen Sie die Budgetierung,
beispielsweise im Bereich des ärztlichen Gesamthonorars,
aufheben?
({11})
Wollen Sie auch das zahnärztliche Budget und alles andere durchweg aufgeben? Wenn das zutrifft, lieber Herr
Kollege Dr. Thomae, dann sollten Sie zumindest erklären,
warum die privaten Krankenversicherungen ebenfalls die
Beitragssätze bzw. die Prämien erhöhen müssen, und
zwar in viel stärkerem Maße und bei hoher Eigenbeteiligung.
({12})
In welcher Welt leben Sie eigentlich?
({13})
Es ist das gute Recht der Opposition, die Regierung zu
kritisieren. Das möchte ich nicht bestreiten.
({14})
- Das ist selbstverständlich und auch wir haben das seinerzeit getan. - Aber zu dem Recht gehört auch die
Pflicht, eigene Vorschläge zu unterbreiten, lieber Herr
Kollege Seehofer. Ich habe Ihnen heute genau zugehört.
Können Sie mir sagen, wo Sie für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung einen konkreten Vorschlag eingebracht haben?
({15})
Dass Sie zu den Grundprinzipien der GKV, dem Solidarprinzip und dem Sachleistungsprinzip, stehen, bestreite
ich nicht, sondern unterstelle ich sogar. Aber wenn Sie
dazu stehen, dann sollten Sie sich doch dazu äußern, wie
Sie konkret mit den Instrumenten umgehen wollen, um
dies zu erhalten.
({16})
Wenn Sie sagen, die Budgetierung aufheben zu wollen,
dann sollten Sie auch erklären, auf welche Weise Sie eine
Steuerung vornehmen wollen. Wir haben im Bereich des
ärztlichen Gesamthonorars eine Budgetierung eingeführt,
die sich vertraglich an der Einnahmeseite orientiert.
({17})
Sie können durchaus feststellen, dass Sie das alles aufgeben würden. Wenn Ihnen aber die Beitragssätze davonlaufen,
({18})
müssen Sie erklären, wie Sie damit umgehen wollen. Sie
wollen natürlich mit höheren Zuzahlungen gegensteuern.
Ich will nicht bestreiten, dass wir sowohl ein Einnahmen- als auch ein Ausgabenproblem haben. Das ist unbestritten.
({19})
Die hohe Arbeitslosigkeit, die abgekühlte Konjunktur und
auch die Umwandlung von großen Teilen des Lohnes - Sie
beklagen schließlich, dass Reformen in der Rentenversicherung nicht im gewünschten Maße erfolgen - haben
Auswirkungen auf die Einnahmeseite der gesetzlichen
Krankenversicherung.
Sie können nicht einerseits feststellen, dass die RiesterRente bzw. die betriebliche Rente nicht in dem Maße
nachgefragt wird, wie es eigentlich von der Regierung erwartet wird, ohne andererseits - schließlich sind Ihnen die
Konsequenzen, die sich daraus für die Einnahmeseite der
Sozialversicherungssysteme ergeben, bekannt - zu erläutern, was Sie selber vorhaben.
({20})
Wenn Sie für die private Säule der Altersvorsorge sind,
muss Ihnen doch bekannt sein, mit welchen Auswirkungen das verbunden ist.
Da die Ausgabenproblematik in der Tat besteht, steuern
wir gegen. Mit dem von uns beschlossenen Beitragssatzstabilisierungsgesetz
({21})
versuchen wir, die Ausgaben zu bremsen.
({22})
- Verehrte Frau Kollegin, Sie sollten wenigstens so ehrlich sein, zuzugeben, dass der Beitragssatz von 1992 bis
1998, also in der Zeit, in der der Kollege Seehofer als
Minister verantwortlich war, um 0,1 Prozentpunkte gestiegen ist.
({23})
- Entschuldigung, ich meinte natürlich 0,91 Prozentpunkte. Das ist fast ein Beitragssatzpunkt.
({24})
- Von 1992 bis 1998.
({25})
- Gut, wenn Sie alles abschieben wollen, dann war es
eben Ihre Vorgängerin Frau Hasselfeldt.
1992 lag jedenfalls der Beitragssatz im Jahresdurchschnitt bei 12,71 Prozentpunkten und 1998 lag er im Jahresdurchschnitt bei 13,82 Prozentpunkten. Das heißt, dass
der Beitragssatz in der Zeit, in der Sie die Verantwortung
hatten, um 0,91 Prozentpunkte gestiegen ist. Sie können
doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sie beispielsweise 1996/97 - ich führe das deshalb an, weil Sie ja immer darauf verweisen, wie großartig das Finanzergebnis
während Ihrer Regierungszeit gewesen sei - allein die
Zuzahlungen um 6 Milliarden Euro erhöht haben. Verehrter Herr Kollege Seehofer - das sage ich auch an die
Adresse Ihrer Kollegen -, dies entspricht einer Erhöhung
des Beitragssatzes um 0,6 Prozentpunkte. Das muss man
also noch hinzurechnen, wenn man wirklich wissen will,
wie Sie Ihr Finanzergebnis erzielt haben.
Ich möchte auch noch daran erinnern, dass während Ihrer Regierungszeit die Zuzahlungen mit 9, 11 und 13 DM
auf dem Höchststand waren. Wir haben sie auf 8, 9 und
10 DM zurückgeführt. Wir haben das getan, weil wir der
Meinung sind, dass die Menschen schon genügend durch
den hohen Beitragssatz, den Sie zu verantworten haben, belastet sind. Sie haben ausschließlich die Kranken belastet.
({26})
- Verehrter Herr Kollege Dr. Thomae, wenn Sie schon einen Zuruf machen, dann tun Sie es laut und deutlich.
Ich möchte noch etwas zu der von Ihnen ständig wiederholten Forderung nach höheren Zuzahlungen sagen.
Sie wissen doch genau, dass 10 Prozent der Versicherten
über 80 Prozent der Leistungsausgaben verursachen.
({27})
- Das ist doch dummes Zeug. Das können Sie doch jederzeit in den Statistiken nachlesen. Sie sollten hier doch
nicht einzelne Experten diskriminieren, nur weil sie Ihnen
wegen ihrer politischen Ansichten nicht gefallen. Tun Sie
mir einen Gefallen und seien Sie etwas seriöser.
({28})
- Herr Kollege Dr. Thomae, Sie können jeder Statistik
entnehmen, dass es 10 Prozent sind. Ich gebe Ihnen das
gerne schriftlich. Sie sollten nicht nur das lesen, was Ihre
Auffassung bestätigt, sondern ab und zu auch das, was
kritisch ist.
Herr Kollege, denken Sie freundlicherweise an Ihre
Redezeit, die Sie schon überschritten haben.
Herr Präsident, ich denke fast nur an die Redezeit.
Ich komme zum Schluss. Wenn Sie weiterhin kritisieren, ohne konkrete Maßnahmen vorzuschlagen, dann werden Sie dort bleiben, wo Sie jetzt sitzen, nämlich auf den
Oppositionsbänken.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Andreas Storm, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Seehofer hat vorhin
in einer einzigen Rede mehr konkrete Vorschläge zur Rentenpolitik gemacht als die Ministerin seit ihrem Amtsantritt.
({0})
Bei der heutigen Haushaltsdebatte sollte es um Zahlen
und Fakten sowie um Klarheit und Wahrheit gehen. Aber
damit steht Rot-Grün auf Kriegsfuß. Im Juli dieses Jahres
versprach die Bundesregierung einen stabilen Rentenversicherungsbeitrag für das nächste Jahr. Aber bereits
zu diesem Zeitpunkt hatten die Rentenversicherungsträger in Berlin massiv interveniert und gewarnt, dass nach
ihren Berechnungen der Beitragssatz auf mindestens
19,5 Prozentpunkte steigen werde. Wie sah die Reaktion
des Ministeriums aus? Unverantwortliches Gerede! Die
mehrfachen Warnungen wurden in den Wind geschlagen.
Die Dramatik liegt nun im Folgenden: Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, die gestern in Berlin
getagt hat, hat deutlich gemacht, dass die Daten der Bundesregierung aus Sicht der Rentenversicherungsträger wiederum geschönt sind.
({1})
Wenn man mit realistischen Annahmen rechnet, Frau
Ministerin, dann ergeben die Berechnungen der Rentenversicherungsträger, dass wir im nächsten Jahr eine
Schwankungsreserve von einer halben Monatsausgabe
unterschreiten werden. Das ist ein Punkt, der in dieser
Haushaltsdebatte für die Öffentlichkeit klar gesagt werden muss.
({2})
Noch bevor das Gesetz entgültig den Bundesrat passiert hat, ist bereits klar, dass aus Sicht der Rentenversicherungsträger der Rentenbeitrag im nächsten Jahr vorsätzlich zu niedrig angesetzt ist.
({3})
Von Ihnen, Frau Ministerin, gibt es dazu kein einziges
Wort.
({4})
Meine Damen und Herren, die Menschen in unserem
Land erwarten von der Regierung, dass Ihnen die Wahrheit über die Lage der Rentenfinanzen und des Gesundheitswesens gesagt wird. Sie erwarten dies vor allem vor
einer Bundestagswahl.
Frau Ministerin Schmidt, Sie haben eine besonders
perfide Art der Salamitaktik angewandt, um die tatsächliche Lage zu verschleiern. Noch am 3. September, also gerade einmal drei Wochen vor der Bundestagswahl, als klar
war, dass die Krankenkassen im ersten Halbjahr ein Defizit von 2,4 Milliarden Euro eingefahren haben, erklärten
Sie, es seien keine Beitragserhöhungen auf breiter Front
zu erwarten.
({5})
Am gleichen Tag treibt die SPD ihre Realitätsverweigerung auf die Spitze mit der Behauptung: Finanzlage und
Beiträge der Krankenkassen sind stabil. - Frau Schmidt
erklärte wörtlich: Es gibt keinen Anlass, Panikmache zu
veranstalten.
Panik brach dann unmittelbar nach der Bundestagswahl
aus. In aller Eile haben Sie ein Vorschaltgesetz gezimmert,
mit dem Sie Beitragserhöhungen vermeiden wollten.
({6})
Als vor drei Wochen das Vorschaltgesetz im Deutschen
Bundestag verabschiedet wurde, haben Sie erklärt,
({7})
dass es plötzlich ein Defizit von 1,2 Milliarden Euro gebe.
Zehn Tage später waren es 2 Milliarden Euro. Jetzt mussten Sie einräumen, dass es mehr sind. Ich sage Ihnen voraus: Noch vor Weihnachten werden wir feststellen, dass
in diesem Jahr die Krankenkassen mindestens mit einem
Defizit von 3 Milliarden Euro abschließen werden.
({8})
Meine Damen und Herren, die Konsequenz hieraus bedeutet doch, dass die Beiträge im nächsten Jahr massiv
steigen werden, und zwar auf eine Größenordnung von bis
zu 14,5 Prozent. Das heißt, in einem Zeitraum von zwölf
Monaten steigen die Beiträge in der Amtszeit von Frau
Schmidt um mindestens einen Punkt.
({9})
Das ist mehr als zuvor in einem Zeitraum von zwölf Jahren.
({10})
Damit ist das Ziel des Vorschaltgesetzes, Frau Schmidt,
nämlich Beiträge zu stabilisieren, bereits gescheitert, bevor Ihr Gesetz in Kraft getreten ist.
({11})
Das hat einen einzigen Grund und dieser Grund liegt
darin, dass die Diagnose, die diesem Gesetz zugrunde
liegt, nicht stimmt. Deswegen kann auch die Therapie
nicht greifen. Ihre Diagnose lautet, dass es nicht ein Einnahmeproblem sei. Die Sachverständigen - ich nenne
einmal den langjährigen Vorsitzenden des Sachverständigenrats im Gesundheitswesen, Professor Schwartz - sagen Ihnen jedoch deutlich, dass es derzeit bei der Krankenversicherung in erster Linie ein Einnahmeproblem
und nicht ein Ausgabenproblem gibt. Das hat vor allem
zwei Ursachen. Die eine Ursache ist die hochdramatische
Arbeitsmarktlage, die derzeit allen Zweigen der Sozialversicherung die Beitragseinnahmen wegbrechen lässt.
Das gilt im Übrigen nicht nur für die Kranken- und Rentenversicherung, sondern in ähnlicher Weise auch für die
Pflegeversicherung, der die Rücklage in einer Weise davonschwimmen wird, wie Eis in der Sonne schmilzt.
Meine Damen und Herren, nicht nur diese dramatische
Arbeitsmarktlage, sondern vor allem auch der gewaltige
Verschiebebahnhof verursacht die Probleme der Krankenkassen massiv. Das Gutachten der Wirtschaftsweisen,
das vor wenigen Tagen der Bundesregierung überreicht
worden ist, macht deutlich, dass allein in den Jahren 2001
und 2002 die gesetzliche Krankenversicherung in einer
Größenordnung von 0,4 Beitragssatzpunkten belastet
worden ist. Das heißt, der Löwenanteil des Beitragssatzanstiegs in diesem Jahr ist auf den hausgemachten Verschiebebahnhof dieser Regierung zurückzuführen.
({12})
Meine Damen und Herren, genau diesen gravierenden
Fehler setzen Sie nun fort. Denn am gleichen Tag, als im
Deutschen Bundestag das Vorschaltgesetz verabschiedet
worden ist, haben Sie mit der Verabschiedung des HartzGesetzes den Krankenkassen neue Lasten in einer
Größenordnung von 1,5 Milliarden Euro aufgebürdet.
Das bedeutet, dass die Kassen auf der einen Seite in einer
Dimension von 2,5 Milliarden Euro entlastet werden sollen und auf der anderen Seite mit 1,5 Milliarden Euro belastet werden. Damit ist ganz klar: Die Kassen können gar
nicht anders als Beiträge zu erhöhen; anders können sie
Defizite in einer so gigantischen Dimension nicht bewältigen.
Es braucht ein gerüttelt Maß an Selbstüberschätzung
und Realitätsverlust, wenn man, wie es der Bundeskanzler im gesundheitspolitischen Teil seiner Rede gestern getan hat, behauptet, mit diesem Vorschaltgesetz werde
eine Basis für weiter reichende Strukturreformen geschaffen. Frau Schmidt, was ist es für eine Basis, wenn
den Krankenhäusern und Arztpraxen eine Nullrunde verordnet wird, mit dem Ergebnis, dass es zu Wartelisten für
Operationen kommen wird oder aber Mitarbeiter entlassen werden müssen?
({13})
Was ist es für eine Basis, wenn Zehntausende Arbeitsplätze in den Apotheken zerstört werden? Was ist es für
eine Basis, wenn zahlreiche kleine Apotheken schließen
müssen und die Versorgung der Patienten insbesondere im
ländlichen Raum massiv bedroht wird? Die Apotheken
sind angesichts einer Belastung von mehr als 1 Milliarde
Euro die Hauptleidtragenden dieses Notstandsgesetzes.
Dieses Existenzvernichtungsprogramm wird die Apothekenlandschaft in den nächsten Monaten massiv umkrempeln.
Der rot-grüne Irrsinn wird aber beim Zahnersatz am
deutlichsten.
({14})
Oft wird behauptet, die Zahntechniker seien Preistreiber.
Das Gegenteil ist der Fall: Die Einkommens- und Preisentwicklung lag in diesem Bereich in den letzten Jahren
weit unter dem Durchschnitt der allgemeinen Preisentwicklung im Gesundheitswesen. Nun sollen die Preise der
Leistungserbringer per Gesetz um 5 Prozent gesenkt werden.
({15})
Gleichzeitig wird die Mehrwertsteuer um 9 Prozentpunkte erhöht. Am Ende werden die zahntechnischen
Leistungen teurer als vorher sein. Das Geld wird vom
Finanzminister kassiert und Arbeitsplätze fallen weg.
Eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen aus den
Reihen der Koalitionsfraktionen haben hierzu persönliche
Erklärungen abgegeben. Aber was nützen diese persönlichen Erklärungen,
({16})
wenn sie am Ende nicht die Konsequenz ziehen und zu einer solchen Gesetzgebung nicht Nein sagen? Absurder
und zynischer kann es nicht gehen.
({17})
Meine Damen und Herren, damit bleibt eines übrig:
Die finanziellen Probleme der Sozialversicherung sind
weit gehend hausgemacht. Sie entziehen der Sozialversicherung mit der einen Hand Milliardensummen. Mit der
anderen Hand sammeln Sie dieses Geld zulasten der Patienten und Beitragszahler und vor allen Dingen der Beschäftigten im Gesundheitswesen ein.
Was muss getan werden, um eine Entlastung der Beitragszahler zu erreichen? Der erste Punkt: Es muss natürlich Schluss mit diesen Verschiebebahnhöfen sein.
({18})
Ohne diese Verschiebebahnhöfe wäre der Löwenanteil
des Beitragserhöhungspotenzials für das nächste Jahr bereits weggefallen. Der zweite Punkt: Es müssen Vorschläge für mehr Eigenverantwortung der Versicherten
gemacht werden. Warum verschließen Sie sich immer
noch dem Gedanken, einen Selbstbehalt einzuführen,
nachdem mit der TK die erste Kasse im nächsten Jahr einen entsprechenden Versuch machen wird?
({19})
Der niedersächsische Ministerpräsident - Kollege
Seehofer hat es bereits angesprochen - hat diesen Vorschlag ebenfalls unterstützt. Warum lassen Sie die Kassen
nicht einmal ausprobieren, wie das Ganze funktioniert?
({20})
Herr Kollege Storm, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja. - Herr Kollege, bitte schön.
Ich sehe, es sollen zwei Zwischenfragen gestellt werden. Wir werden sie der Reihe nach abwickeln.
Bitte schön.
Herr Kollege Storm, der Grund, warum wir den Bonus für die Krankenkassen nicht gern sehen, liegt darin,
dass - ({0})
- Nein, ich brauche nicht zu fragen. Lesen Sie einmal den
§ 27 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung nach. Dann sehen
Sie, dass ich auch eine Zwischenbemerkung machen darf.
Genau dies tue ich jetzt.
({1})
Wenn die Krankenkasse den Gesunden Geld gibt, bleiben ihr die Kosten erhalten. Meinen Sie nicht, dass die
Kranken genau diese Kosten zusätzlich aufbringen müssen? Damit handelt es sich bei Ihrem Vorschlag um ein
zweischneidiges Schwert; denn jede Mark, die Sie ausgeben, müssen Sie woanders wieder hereinholen. Die Kosten im Gesundheitswesen lassen sich bekanntlich nicht so
drastisch senken. Insofern sind Sie nach meiner Auffassung einem Irrtum unterlegen.
Herr Kollege Dreßen, die Vertreter der großen Krankenkasse, die dieses Modell im nächsten Jahr anbietet, arbeiten ebenfalls mit Versicherungsmathematikern zusammen, die sicherlich nicht ganz ohne Ahnung von den
Zusammenhängen sind. Warum warten Sie das Ergebnis
dieses Versuches nicht ab?
Sie verfolgen immer wieder den gleichen Ansatz: Sie
wollen den Menschen in Bezug auf die Wahl der Tarife
und den Umfang einer Versicherung keine Entscheidungsfreiheit lassen.
({0})
Dies ist ein Ansatz des letzten Jahrhunderts. Er passt nicht
in diese Zeit.
({1})
Herr Storm, sind Sie bereit, auch noch die zweite Zwischenfrage zu beantworten?
Ja.
Herr Büttner, bitte schön.
Würden Sie wenigstens die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge, die Kollege Dreßen eben aufgezeigt hat,
zur Kenntnis nehmen? Ob 10 Prozent oder 20 Prozent
der Versicherten - das hat Kollege Thomae eben gesagt - Leistungen in Anspruch nehmen, ist nicht die
Frage. Entscheidend ist, dass ein kleinerer Teil der Versicherten Leistungen in Anspruch nimmt, für die der
größere Teil zahlt. Wenn der größere Teil der Versicherten nicht mehr oder weniger zahlt, dann bleiben trotzdem die Kosten für die wenigen, die die Leistungen in
Anspruch nehmen. Wie wollen Sie diesen volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Widerspruch
überhaupt aufklären?
Das Zusammenspiel zwischen Einnahmen und Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung funktioniert dadurch, dass nur ein kleiner Teil der Mitglieder
Leistungen in Anspruch nimmt, während der größere Teil
der Mitglieder dafür solidarisch zahlt. Wenn der größere
Teil weniger zahlt, dann muss für den kleineren Teil genau das Gleiche wie vorher aufgewendet werden. Das ist
nur über eine Erhöhung der Beiträge aller möglich. Volkswirtschaftlich gesehen ist das die Alternative.
Zweitens. Sie haben vorhin auf die Apotheken hingewiesen. Würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass die Apotheken von den Ausgabensteigerungen im Arzneimittelbereich um 9 Prozent im letzten Jahr durch die Rabatte
profitiert haben? Halten Sie es für nicht zumutbar, dass jemand, der 9 Prozent mehr Einnahmen hatte, im Jahr darauf einmal auf Einnahmesteigerungen verzichtet? Teilen
Sie meine Auffassung, dass man deswegen keine Stellen
streichen muss? Wer mit Einnahmesteigerungen um 9 Prozent seine Kosten nicht decken kann, der hat schon vorher
nicht wirtschaftlich gearbeitet. Wenn er wirtschaftlich gearbeitet hat, dann kann er den Verzicht auf Einnahmesteigerungen in einem Jahr jederzeit verkraften. Würden Sie
mir da Recht geben?
({0})
Herr Kollege, zur ersten Frage: Fragen Sie vielleicht
einmal den niedersächsischen Ministerpräsidenten, Ihren
Parteifreund Gabriel!
Im Übrigen ist die SPD-Bundestagsfraktion, was ihre
eigene Programmatik angeht, nicht gänzlich auf der Höhe
der Zeit.
({0})
Auch die SPD hat in diesem Jahr mehrfach Vorschläge zur
Teilnahme an bestimmten Programmen gemacht. Die
SPD hat beispielsweise vorgeschlagen, dass derjenige einen niedrigeren Beitrag zahlen soll, der, bevor er einen
Facharzt aufsucht, zunächst zu seinem Hausarzt geht, ihn
sozusagen als Lotsen nimmt.
({1})
Die mit Ihren Vorschlägen verbundenen Grundprobleme
sind die gleichen wie die, die mit der Überlegung der Einführung eines Selbstbehalts verbunden sind.
Ich komme auf die Frage nach den Apothekern zu
sprechen. Es ist gut, dass hier die Gelegenheit besteht, unsere Überlegungen dazu deutlich zu machen. Die Apotheken werden in einer Dimension von 1 Milliarde Euro belastet; denn auch sie werden von dem, was den
Großhandel betrifft, in Mitleidenschaft gezogen. Das hat
zur Folge, dass sich die Apothekenlandschaft in Deutschland dramatisch verändern wird. Wer eine solche Änderung will, der muss das deutlich ansprechen. Allerdings
sollte man die Maßnahmen, die einer solchen Änderung
zugrunde liegen, nicht durch die Hintertür in einem solchen Notstandspaket unterbringen.
({2})
Wir haben heute bereits über Therapien gesprochen.
Der entscheidende Punkt sind - dazu haben wir von Ihnen,
Frau Ministerin, kein einziges Wort gehört - die langfristigen Probleme: Demographischer Wandel und medizinisch-technischer Fortschritt werden dazu führen - das sagen nahezu alle Studien -, dass sich die Beitragssätze in
der Krankenversicherung und in der Pflegeversicherung in
den nächsten vier Jahrzehnten nahezu verdoppeln werden,
wenn dem nicht durch Reformen entgegengewirkt wird.
Auf die damit verbundenen Fragen wollen wir Antworten. Wir wollen wissen, ob Sie auch in Zukunft daran festhalten wollen, dass steigende Ausgaben im Gesundheitswesen immer zu steigenden Lohnnebenkosten führen.
Oder sind Sie bereit über neue, intelligentere Modelle der
Finanzierung nachzudenken? Sind Sie auch bereit, über
neue Formen der Vorsorge im Gesundheitswesen nachzudenken, um zu verhindern, dass die junge Generation auf
Dauer mit Beiträgen belastet wird, die sie nicht zahlen
kann? Meine Damen und Herren, ich muss feststellen: Zu
solchen Vorschlägen fehlt Ihnen die Kraft. Sie sind Nachlassverwalter Ihrer eigenen Fehlentscheidungen.
({3})
Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Eckhart
Lewering, SPD-Fraktion.
({0})
- Das Präsidium steht solchen Vereinbarungen der Fraktionen bekanntlich selten im Wege.
Bitte schön, Herr Kollege Lewering.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Seehofer, ein Wort zu Ihnen: Sie haben uns Beitragssatzerhöhungen vorgeworfen. Im ersten Jahr Ihrer Amtszeit
ist der Beitragssatz in der GKV von 12,5 auf 13,2 Prozent
gestiegen
({0})
- jetzt kommt das Entscheidende dazu -, und das bei zusätzlichen Belastungen der Patienten durch massive
Leistungsausgrenzungen und Kürzungen zu Zahlungserhöhungen, sodass zum Schluss insgesamt ein Wert
von 6 Milliarden Euro herausgekommen ist. Damit hätten Sie - das wissen Sie auch - fast die medizinische
Rehabilitation zum Ende gebracht.
({1})
Dann aber bitte in der geordneten Weise, dass der Redner zunächst seine Bereitschaft erklärt und der Fragesteller sich dann von seinem Platz erhebt. - Offenkundig ist
zu dieser Prozedur beiderseitiges Einvernehmen herstellbar. Daher darf ich jetzt dem Kollegen Seehofer das Wort
zur einer Zwischenfrage geben.
Herr Kollege Lewering, können wir das heute einmal
klarstellen, damit man nicht immer das Falsche aus dem
Bundesgesundheitsministerium vorliest: Ich habe im
Mai 1992 begonnen und habe ein Defizit von 10 Milliarden DM in der Krankenversicherung vorgefunden. Dann
haben wir gemeinsam - SPD, FDP und CDU/CSU ({0})
eine Gesundheitsreform gemacht, die am 1. Januar 1993
in Kraft trat. Dann hatten wir einen Beitragssatz von
13,5 Prozent mit In-Kraft-Treten der Reform. Ich habe
mein Ministeramt abgegeben mit einem Beitragssatz
von 13,6 Prozent und Überschüssen in Milliardenhöhe
für die gesetzlichen Krankenkassen.
({1})
Herr Seehofer, durch Ihre Spargesetze 1996 und 1997,
mit denen Sie eigentlich große Einsparungen erreichen
wollten, haben Sie unter anderem fast die medizinische
Reha ad acta gelegt. Das wollte ich dazu noch einmal sagen.
({0})
- Richtig.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die konjunkturelle Schwäche hat in Deutschland zurzeit deutliche
Spuren in den öffentlichen Haushalten hinterlassen. Dies
gilt selbstverständlich auch für die Sozialkassen.
Während die Ausgaben ansteigen, gibt es gleichzeitig immer weniger Beitragszahler. Immer weniger Beschäftigte
müssen die Ausgaben der Krankenversicherung finanzieren. Dies führt selbstverständlich auch zu steigenden
Beiträgen. Mit anderen Worten: Wir müssen sparen. Wir
sparen aber sozial gerecht.
Aus diesem Grunde wird es im kommenden Jahr erstmals auch bei den Leistungserbringern zu einer Minderung der Ausgaben kommen. Mit dem Gesetz zur Sicherung der Beitragssätze in der GKV haben wir bereits einen
bedeutenden Schritt getan, um die Finanzgrundlage der
gesetzlichen Krankenversicherung zu stabilisieren und
den finanziellen Spielraum, den wir für die notwendigen
strukturellen Reformmaßnahmen brauchen, zu bekommen.
Gleichzeitig werden wir diese Strukturen im
stationären Sektor gezielt fortentwickeln. So sollen
Krankenhäuser, die bereits im kommenden Jahr nach dem
neuen Abrechnungsmodus der Fallpauschalen arbeiten,
auch im Jahre 2003 die ursprünglich vorgesehene Steigerungsrate erhalten. Von dem neuen Abrechnungssystem
erhoffen wir uns eine höhere Effizienz, sodass seine
schnelle Einführung eine entsprechende Ausnahme zu
rechtfertigen vermag.
({1})
Wir haben mit diesem Gesetz eine Nullrunde beschlossen. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass im kommenden Jahr der gleiche Betrag zur Verfügung stehen
wird wie in diesem Jahr. Für niedergelassene Ärzte,
Zahnärzte und Krankenhäuser wird im kommenden Jahr
also mindestens der gleiche Betrag zur Verfügung stehen
wie im auslaufenden Jahr. Es ist also nicht so, wie es oft
gesagt wird, dass weniger Geld zur Verfügung steht.
({2})
Auch im ambulanten Bereich, Herr Thomae, halten
wir trotz Sparkurs an unseren innovativen Reformen fest.
({3})
- Richtig, innovative Reformen. - Ärzte, die sich an Disease-Management-Programmen beteiligen, zum Beispiel in den Bereichen Brustkrebs und Diabetes, können
mit den Krankenkassen hierfür besondere Vergütungen
aushandeln. Das Gleiche gilt auch für Hausarztverträge.
Besonders ausgeprägt waren und sind die Ausgabenzuwächse bei den Arzneimitteln. Das ist hier schon einmal kurz angeklungen. Es ist davon auszugehen, dass sich
die Arzneimittelausgaben der Krankenkassen im Zeitraum 2000 bis 2002 je Mitglied um 15 Prozent erhöht haben. Im Jahre 2001 sind die GKV-Arzneimittelausgaben
um 2,2 Milliarden Euro gestiegen und im Jahre 2002 wird
sicher noch 1 Milliarde Euro dazu kommen. Daher kann
und muss auch der Arzneimittelsektor seinen Beitrag zur
Stabilisierung der GKV-Finanzen leisten.
({4})
Das Beitragssatzsicherungsgesetz legt allen, von den
pharmazeutischen Herstellern bis zu den Apotheken, ein
Einsparopfer von 1,37 Milliarden Euro auf. Das heißt, unsere Reformen haben Augenmaß.
Zwischen 1996 und 2001 stieg der Umsatz der Apotheken inflationsbereinigt um 22,2 Prozent. Das teilte das
Statistische Bundesamt in der vergangenen Woche mit.
Der gesamte deutsche Einzelhandel konnte seine Umsätze
im gleichen Zeitraum lediglich um 1,5 Prozent erhöhen.
Dieser Trend hat sich auch im laufenden Jahr fortgesetzt.
Während die Einzelhändler teilweise sogar Umsatzrückgänge verkraften müssen, können die Apotheken erneut
einen Zuwachs von 5,3 Prozent verbuchen. Lassen wir
uns also nicht beirren. Darüber hinaus wollen wir dafür
Sorge tragen, dass weniger Geld für vergleichbare Arzneimittel ausgegeben wird. Hierüber ist schon einiges gesagt worden.
Wir werden und müssen über neue Wege bei der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung nachdenken und die erforderlichen Maßnahmen in dieser Legislaturperiode auf den Weg bringen. Im Klartext: Wir
haben nicht nur ein Ausgabeproblem, wir haben auch ein
Einnahmeproblem. Denken wir zum Beispiel nur einmal
an die Fehlversorgung. Selbst wenn wir die Überversorgung auf der einen Seite abbauen, verbleibt doch immer
noch die Unterversorgung in anderen Bereichen. Ich
denke hier auch an die Bereiche Prävention und Rehabilitation sowie an Chroniker. Hier fehlen uns immer noch
ausreichende Angebote. Das kann man nicht einfach wegdiskutieren. Selbst wenn wir die Überversorgung abbauen, ist das erst die halbe Miete. Einsparungen, die sich
in niedrigeren Beitragssätzen niederschlagen würden, haben wir damit aber noch lange nicht erreicht. Zunächst
einmal müssen wir die Unterversorgung beseitigen und
das kostet, wie wir alle wissen, auch Geld.
Wenn es wirklich stimmt, dass es bei jeder zweiten
Röntgenuntersuchung zu einer Fehldiagnose kommt, und
wenn es wirklich wahr ist, dass jede dritte Röntgenuntersuchung überflüssig ist, zeigt das, dass wir hier handeln
müssen.
({5})
Aus diesem Grund haben wir in den Haushalt einen Betrag von 2 Millionen Euro eingestellt, mit dem die Voruntersuchungen zur Entwicklung und Einführung einer
elektronischen Gesundheitskarte finanziert werden sollen. Die weiteren Kosten für ein entsprechendes Modellprojekt zur Erprobung dieser Karte werden von den Kassen aufgebracht. Diese Karte soll auch Notfalldaten und
Informationen über erforderliche Voruntersuchungen enthalten.
Neben der Gesundheitskarte verspricht auch das Instrument einer Patientenquittung ein steigendes Maß an
Transparenz und Kostenersparnis.
({6})
In diesem Punkt bestehen ja durchaus Gemeinsamkeiten
zwischen uns.
({7})
- Doch.
({8})
Die Finanzierung im Gesundheitswesen ist teilweise
auch deshalb defizitär, weil sich die Strukturen geändert
haben.
({9})
Ein weiteres Drehen an der Beitragsschraube ist daher
keine Lösung. Also müssen auch wir Strukturanpassungen vornehmen, wenn wir die Finanzierung sicherstellen
wollen. Dies ist eine entscheidende Aufgabe für diese Legislaturperiode. Wir werden dies tun, aber ohne den solidarischen Charakter unseres Gesundheitswesens zu opfern.
({10})
Immer wieder werden die Verwaltungskosten der
Krankenkassen als zu hoch bezeichnet. Wir handeln jetzt
und wollen erreichen, dass auch die Kassen selber ihren
Beitrag zum Sparen leisten, indem sie ihre Verwaltungsausgaben im kommenden Jahr auf den Betrag des laufenden Jahres begrenzen. Also auch eine Nullrunde für die
Krankenkassen selbst.
({11})
Gestatten Sie mir noch einen Satz zur Änderung des
SGB IX. Mit diesem Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter haben wir die Kompetenzen und Fähigkeiten behinderter Menschen in Arbeit
und Beruf in den Mittelpunkt gestellt.
Als Anreiz wurde gleichzeitig die Pflichtquote zur
Beschäftigung schwerbehinderter Menschen von 6 auf
5 Prozent gesenkt. Diese Initiative war ein durchschlagender Erfolg.
({12})
In nur zwei Jahren ist es mithilfe der neuen Instrumente
gelungen, vielen Tausend behinderten Menschen einen Arbeitsplatz zu vermitteln. Der Rückgang der Arbeitslosenzahlen auf diesem Gebiet lag Ende Oktober 2002 bei fast
24 Prozent.
({13})
Nach der geltenden Gesetzeslage müsste die Pflichtquote trotzdem zum 1. Januar 2003 wieder auf 6 Prozent
angehoben werden. Dies wäre aber genau das falsche
Signal. Es würde die Arbeitgeber mit circa 340 Millionen Euro Mehrkosten belasten und ihre Motivation, auch
weiterhin behinderte Menschen einzustellen, nicht erhöhen. Dies würde den erfolgreichen Reformprozess gefährden. Um dies zu verhindern, wollen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Anhebung der Pflichtquote
um ein Jahr bis zum 1. Januar 2004 aussetzen.
({14})
Zusammenfassend möchte ich sagen, dass es dem
neuen Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung gelungen ist, nun einen gemeinsamen Haushalt
für die Bereiche Gesundheit und soziale Sicherung vorzulegen, der einen wichtigen Beitrag zum politisch gewollten Sparziel leistet und gleichzeitig die fachpolitischen Ziele voll erfasst.
Ich danke Ihnen.
({15})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb von
der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte meine kurze Redezeit darauf verwenden, um die
Aussagen der Ministerin zur Sicherheit der Renten in unserem Land zu kommentieren.
({0})
Frau Ministerin Schmidt, Sie müssen sich schon gefallen lassen, dass wir Ihre Aussagen insbesondere nach den
Chaostagen, die Rot-Grün hier in der letzten Zeit mit ihren
Aussagen zur Sozialversicherung geboten hat, kritisch beleuchten.
Zur Erinnerung. Bis zur Bundestagswahl hieß es: Mit
der riesterschen Reform ist alles klar, perfekt, dies ist eine
Jahrhundertreform. Bis auf Weiteres gibt es bei der Rente
keinen Handlungsbedarf. Dann hörte man plötzlich, der
Rentenbeitrag müsse auf 19,3 Prozent angehoben werden.
Kurz danach sagte Frau Schmidt: Das reicht nicht, es müssen 19,5 Prozent werden. Dann haben sich die Grünen
aufgeplustert, sind aber dann wie immer eingeknickt.
Zur Beruhigung der Grünen wurde dann eine Kommission eingesetzt. Über diese Kommission und die möglichen Ergebnisse der Arbeit dieser Kommission haben
Sie, Frau Schmidt, dann gesagt, Sie würden die Vorschläge der Kommission vielleicht doch nicht so umsetzen. Der Kollege Stiegler hat sich dann unsäglich verstiegen und geglaubt, schon im Voraus „Professorengeschwätz“
feststellen zu müssen.
({1})
Der SPD-Generalsekretär Scholz sagt: Es gibt trotz allem weiterhin keinen Handlungsbedarf. Unterdessen hat
der Bundeskanzler gestern hier erklärt, man habe das Beitragssatzsicherungsgesetz nur gemacht, damit man die
Reformen jetzt in Ruhe durchführen könne.
Frau Schmidt, dies ist wirklich Kakophonie auf höchstem Niveau. Sie müssen sich schon gefallen lassen, dass
wir hier genau hinschauen.
Nun zum Gutachten des Bundesrechnungshofes. Ich
habe mir dieses einmal zu Gemüte geführt. Noch mehr als
bei Finanzminister Eichel, der letztes Jahr gesagt hat, sein
Haushalt sei auf Kante genäht, wird es bei Ihnen im
nächsten Jahr sehr eng. In diesem Jahr - so sagt der Bundesrechnungshof - hatten wir im Oktober 2002 noch eine
Mindestreserve von 0,47 Monatsausgaben. Behalten Sie
dies bitte im Hinterkopf. Der Bundesrechnungshof weist
darauf hin, dass davon nur 0,36 Monatsausgaben kurzfristig verfügbar sind. Der Rest ist in Immobilien gebunden,
die erst verwertet werden müssten.
({2})
Ende 2002 wird, wenn alles gut geht, die Mindestreserve wieder auf 0,63 Monatsausgaben - so der Bundesrechnungshof - ansteigen, jedoch unter der Annahme,
dass das Weihnachtsgeld im November und Dezember so
wie in den Vorjahren gezahlt wird. Aber wenn Sie sich
einmal umhören, was derzeit in der Wirtschaft umgeht,
muss man zu dem Schluss kommen, dass manche vielleicht eine Überraschung erleben werden.
({3})
- Nicht, dass ich mich darüber freue, Herr Schösser, aber
man darf die Augen vor der Realität nicht verschließen.
({4})
Jetzt kommt es. Frau Ministerin, der Bundesrechnungshof sagt: Im Oktober 2003 wird die Mindestreserve auf einen Wert von nur noch 0,11 Monatsausgaben absinken.
({5})
Wenn Sie sich an das erinnern, was ich vorhin gesagt
habe, stellen Sie fest, dass dies genau der derzeitige illiquide Teil der Mindestreserve ist. Im Oktober nächsten
Jahres stehen wir wirklich knallhart an der Kante. Nur
dann, wenn es gut geht und die Annahmen der Bundesregierung bezüglich des Wachstums der Lohnsumme
stimmen - Sie gehen ja von 2,5 Prozent aus, während die
BfA gestern gesagt hat, dass die Annahme von 1 Prozent
für das nächste Jahr realistischer sei -, wird die Mindestreserve bis zum Ende nächsten Jahres wieder auf
0,63 Monatsausgaben aufgefüllt werden können.
Das heißt, Frau Ministerin, Ihre Aussage, die Rente sei
sicher, ist sehr kühn.
({6})
Dieses Best-Case-Szenario trifft nur zu, wenn alle Rahmenbedingungen optimal sind. Aber aufgrund der negativen wirtschaftlichen Entwicklung, die wir leider
feststellen müssen und die Sie mit Ihren politischen Entscheidungen befördern, ist davon auszugehen, dass ein
„durchschnittliches“ Szenario - ich hoffe, kein WorstCase-Szenario - eintreten wird.
Wir werden uns also sehr schnell über mögliche Änderungen des Beitragssatzes in der Rentenversicherung,
über einen höheren Bundeszuschuss und vor allen Dingen
auch über die Inanspruchnahme der Bundesgarantie
nach § 214 SGB VI unterhalten müssen. Aber hierfür ist
in Ihrem Haushalt überhaupt keine Vorsorge getroffen.
Sie tun so, als ob der Fall einer Inanspruchnahme der Bundesgarantie nicht in Betracht kommen würde.
Ich bitte Sie, nicht nur die Frage des Kollegen Thomae
zu beantworten, sondern auch mir zu sagen, was aus Ihrer
Sicht im Fall des Eintretens der geschilderten Annahmen
zu tun wäre und wie Sie auf diese Situation reagieren wollen.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat jetzt der Kollege Markus Kurth, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Koalition bringt heute auch eine Änderung des
Neunten Buchs des Sozialgesetzbuchs ein. Es steht dieser
Haushaltsdebatte gut an, im Zusammenhang mit dieser
Gesetzesänderung den Blick auf die mehr als 1 Million erwerbsfähigen schwerbehinderten Menschen zu werfen,
die dank Rot-Grün wieder Chancen auf einen Arbeitsplatz
bekommen haben.
Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten das aus Ihren Reihen auch einmal angesprochen. Ich kann aber verstehen,
dass Sie das nicht tun; denn dann müssten Sie den Kurs
des allgemeinen Lamentos verlassen und anerkennen,
dass wir in diesem Politikfeld einen großen Erfolg erzielt
haben.
({0})
In nur zwei Jahren ist es mithilfe der neuen Instrumente
des Sozialgesetzbuchs IX gelungen, vielen Tausend behinderten Menschen einen Arbeitsplatz zu vermitteln. Zu
diesen Instrumenten - das ist eben ausgeführt worden gehört neben dem Aufbau eines Netzes von Integrationsfachdiensten auch die Absenkung der Pflichtquote zur
Beschäftigung schwerbehinderter Menschen von 6 auf
5 Prozent und die Kampagne „50 000 Jobs für Schwerbehinderte“.
Diese Maßnahme, als Teil eines umfassenden Anreizsystems für Arbeitgeber konzipiert, ist ein voller Erfolg:
Entgegen dem allgemeinen Trend haben wir es geschafft,
die Arbeitslosigkeit von Schwerbehinderten um nahezu
50 000 oder um knapp 25 Prozent zu reduzieren. Um jetzt
die Arbeitgeber nicht zu demotivieren, um die erkennbar
gestiegene Motivation weiter zu steigern und um mit diesem erfolgreichen Programm weitermachen zu können,
setzen wir die eigentlich fällige Anhebung der Beschäftigungspflichtquote um 1 Prozentpunkt für ein Jahr, also bis
zum 1. Januar 2004, aus.
({1})
Die positive Bilanz rot-grüner Behindertenpolitik kann
sich aber nicht nur an diesem sachlichen Erfolg messen
lassen. Nein, es geht auch darum, wie es uns gelungen ist,
diese Ziele zu erreichen.
Ich komme zunächst auf die Selbstbestimmung und
Teilhabe zu sprechen. Diese Prinzipien haben wir zum Ausgangspunkt unserer Politik für Menschen mit Behinderung
gemacht. Wir haben diese Politik gemeinsam mit den Interessenvertretungen entworfen. Es war von Beginn an
klar, dass bei der beruflichen Integration schwerbehinderter Menschen die Beachtung der Prinzipien Selbstbestimmung und Teilhabe bedeuten musste, unsere Eingliederungsbemühungen klar auf den ersten Arbeitsmarkt zu
konzentrieren. Bemerkenswert dabei ist, dass die Vermittlungserfolge nicht durch zusätzliche Subventionen nach
dem Motto „Viel hilft viel“ erreicht worden sind. Grundlegend für unseren Erfolg war ein kooperativer Politikansatz,
der auf Überzeugung und Bewusstseinsbildung setzt.
Die Integrationsfachdienste haben im Zusammenspiel
mit den Arbeitsämtern Beratungsarbeit in den Betrieben
geleistet. Arbeitgeber haben gelernt und lernen, dass
Menschen mit Behinderung nicht leistungsgemindert
sind, sondern lediglich einen Arbeitsplatz brauchen, der
ihren besonderen Bedürfnissen entspricht.
({2})
Die Instrumente zur Gestaltung dieser Arbeitsplätze - wie
Arbeitsassistenz oder etwa die Gewährung von Gebärdensprachdolmetschern - haben wir als Gesetzgeber den
Unternehmen in die Hände gegeben.
Wir können gerade deswegen auf die Anhebung der
Beschäftigungspflichtquote für Schwerbehinderte in diesem Jahr verzichten, weil der von uns angestoßene
Prozess eine ganz enorme Eigendynamik entfaltet hat.
Unternehmen sind dabei, Netzwerke zum Erfahrungsaustausch zu etablieren. Sie sammeln Best-Practice-Beispiele, um Nachahmer und Nachahmerinnen anzuregen.
Wir werden auch im nächsten Jahr die konstruktive Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern fortsetzen.
Ich denke, wir können uns bei der anstehenden Reform
der sozialen Sicherungssysteme an diesem Politikansatz
durchaus ein Beispiel nehmen. Es ist an den gesellschaftlichen Akteuren und natürlich auch an Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, bei der Reform der
sozialen Sicherungssysteme einen ähnlich konstruktiven
und womöglich sogar - man hofft ja noch - kooperativen
Politikansatz mitzutragen oder sich ins Abseits zu stellen.
Nutzen Sie Ihre Chance! Oder verabschieden Sie sich nur sind Sie dann zwar vielleicht selbstbestimmt, aber
ohne jede Teilhabe.
({3})
Als letzter Redner zu diesem Einzelplan hat der Kollege Dr. Michael Luther von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich will einige wenige Bemerkungen
zum Bundeshaushalt machen.
Erstens. Der Einzelplan ist neu geschnitten, weil das Ministerium neu geschnitten wurde. Das bisherige Gesundheitsministerium wurde um weitere soziale Sicherungssysteme ergänzt. Das macht es schwierig, den Haushalt zu
lesen. Er ist auch - das muss ich leider feststellen - an manchen Stellen etwas mangelhaft geschrieben.
Ich will nur ein Beispiel nennen. In Kap. 15 02 geht es
um die Programmausgaben, also zum Beispiel Gesundheits- und andere Vorsorgeprogramme. Bei einem Vergleich der Gesamtausgaben stelle ich fest, dass die Zahl
für 2002 aus dem Haushalt des alten Bundesgesundheitsministeriums stammt und die Zahl für 2003 sich auf das
neue Ministerium bezieht. Die Zahlen sind überhaupt
nicht miteinander vergleichbar. Eine Vergleichbarkeit
wäre aber für die Fortschreibung der Politik sehr notwendig.
Zweite Bemerkung. Ich will auf die Risiken in dem
Haushalt, für den Frau Schmidt steht, eingehen. Es geht
um die Frage, die der Bundesrechnungshof uns gestern
zugesandt hat. Ihr Haushalt ist ja jetzt ziemlich wichtig
geworden. Sie haben mit 81,8 Milliarden Euro immerhin
den größten Einzelplan zu vertreten. Nun muss man wissen, dass das am Zuschuss für die Rentenkassen liegt.
Dieser nimmt eine Besorgnis erregende Entwicklung.
2001 betrug der Zuschuss noch 69,6 Milliarden Euro,
2002 sind es 72,5 Milliarden Euro und 2003 werden es
77,6 Milliarden Euro sein. Das sind Steigerungen um
2,9 bzw. 5,1 Milliarden Euro. Diese Zuschüsse müssen
die Menschen im Land zum Beispiel mit der Ökosteuer
bezahlen.
Aber das führt eben nicht zur Stabilisierung der Beitragssätze, wie es einmal versprochen wurde. Vielmehr
brauchen Sie jetzt noch ein Beitragssatzsicherungsgesetz.
Normalerweise müssten die Rentenbeiträge von 19,1 auf
mindestens 19,9 Prozent steigen. Sie lassen dies nicht zu,
sondern setzen ihn auf 19,5 Prozent und verbinden damit
- ich zitiere aus der Haushaltsvorlage - „eine maßvolle
Absenkung des Zielwertes für die Höhe der Schwankungsreserve bei der Bestimmung des Beitragssatzes von
80 auf 50 Prozent einer Monatsausgabe“.
Nun ist das politisch schwierig zu kommunizieren,
weil kein Mensch weiß, was die Schwankungsreserve eigentlich ist. Die Schwankungsreserve gleicht die Differenz aus, die entsteht, weil die Einnahmen für die Rentenkassen nicht stetig sind, aber die Renten monatlich
pünktlich ausgezahlt werden müssen.
Mit der Absenkung der Mindestschwankungsreserve
um 20 Prozent
- dieses Instrument hatten Sie im letzten Jahr schon einmal angewendet hat sich der finanzielle Spielraum der Rentenversicherung im Jahr 2002 bereits verringert.
So der Bundesrechnungshof. Ich zitiere weiter:
Mit der im Entwurf des Beitragssatzsicherungsgesetzes vorgesehenen Absenkung der Mindestschwankungsreserve um weitere 30 Prozent auf eine
halbe Monatsausgabe der Rentenversicherung
wächst die Gefahr, dass deren Zahlungsfähigkeit ab
dem Jahr 2003 nur mit zusätzlichen Bundesmitteln
gewährleistet werden kann.
Die Schwankungsreserve der Rentenversicherung
wird bei ungünstiger Entwicklung im Monat Oktober 2003 voraussichtlich auf etwa 3,4 Milliarden
Euro sinken.
Davon sind nur rund 1,7 Milliarden Euro oder
11 Prozent einer Monatsausgabe tatsächlich kurzfristig verfügbar.
Da die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte
zu Beginn eines Monats liquide Mittel in Höhe von
rund 2 Milliarden Euro benötigt, um den so genannten Risikostrukturausgleich für die gesetzliche Krankenversicherung durchzuführen, werden die in der
Rentenversicherung voraussichtlich verfügbaren
Mittel zeitweilig nicht ausreichen.
So weit der Bundesrechnungshof. Ich denke, deutlicher
kann man die dramatische Situation der Rentenkassen
nicht beschreiben.
({0})
Sie höhlen die Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherungen aus. Das muss hier festgehalten werden. Sie ruinieren die Rentenkassen.
Was ist, wenn die Schwankungsreserve aufgebraucht
ist und wir unter Null kommen?
({1})
Dann tritt nicht der Fall ein, dass die Renten nicht mehr
ausgezahlt werden können, wie mir das besorgte Rentner
bei einem Gespräch im Vogtland letzthin gesagt haben.
({2})
Die Renten werden natürlich pünktlich gezahlt - das haben Sie, Frau Schmidt, in Ihrer Rede bereits gesagt - aber
die Bundesgarantie wird in Kraft treten. Ich stelle mir
diese Nachricht vor. Wie könnte die Überschrift lauten?
Vielleicht: Die deutschen Rentenkassen sind pleite, der
Bundeshaushalt muss für die Rentenkassen aufkommen.
Ich stelle mir vor diesem Hintergrund die Diskussion
mit unseren europäischen Nachbarn über das Stabilitätskriterium von 3 Prozent vor. Es wäre äußerst fatal, wenn
diese Situation eintreten würde.
({3})
Als Haushälter will ich noch ein drittes Thema ansprechen. In einer Novembersitzung im Haushaltsausschuss
haben Sie die Abgeordneten über eine außerplanmäßige
Ausgabe für die Beschaffung von Pockenimpfstoff in
Höhe von 10 Millionen Euro unterrichtet. Die Ausgaben
sind vom Bundesgesundheitsministerium bereits im August bewilligt worden - ich zitiere aus der Unterrichtung
des Haushaltsausschusses -, weil
die Beschaffung von Impfstoffen in der geplanten
Menge zur Gegenabwehr geeignet ist und die unverzügliche Erteilung des Auftrags für die Produktion
und Lieferung des Impfstoffes ein gegebenenfalls
rechtzeitiges Reagieren auf die dargelegten Gefahren ermöglicht.
Um die zur Gefahrenabwehr erforderliche möglichst
zügige Beschaffung sicherzustellen, war eine verbindliche Entscheidung bis zum 16. August 2002 zu
treffen. Angesichts dieser Fristenlage war die vorherige Unterrichtung des Haushaltsausschusses ... aufgrund der Eilbedürftigkeit nicht möglich.
Nun kommt meine Frage. Es haben am 20. August und
am 12. September Haushaltsausschusssitzungen stattgefunden. Warum konnten Sie den Haushaltsausschuss über
diese außerplanmäßige Ausgabe nicht bei diesen Sitzungen unterrichten?
Es kommt noch etwas hinzu.
({4})
Ich habe zur Kenntnis genommen, dass das eine außerplanmäßige Ausgabe in Höhe von 10 Millionen Euro für
dieses Jahr ist. Daneben gibt es Verpflichtungsermächtigungen über 10 Millionen Euro für das nächste und
übernächste Jahr. Anschließend habe ich diesen Haushaltstitel im Haushaltsentwurf 2003 gesucht, aber nicht
gefunden. Er steht nicht drin.
({5})
Jetzt stelle ich die Fragen: Warum schreiben Sie das
nicht in den Haushaltsentwurf? Warum haben Sie den
Haushaltsausschuss nicht im Sommer informiert? Wollen
Sie von irgendetwas ablenken? Wollen Sie etwa davon ablenken, dass möglicherweise eine Gefahr in Deutschland
besteht, die Sie in der gesamten Wahlkampfphase ignoriert haben? Wird Deutschland möglicherweise durch den
Irak und dort eingesetzte Kampfmittel bedroht? Das hätte
natürlich nicht in Ihr Wahlkampfkonzept gepasst.
Herr Kollege Luther, kommen Sie bitte zum Schluss.
Meine Damen und Herren, gerade der letzte Fall zeigt
für mich sehr deutlich: Hier wird versucht, der Öffentlichkeit etwas vorzuenthalten, und darüber müssen wir im
Haushaltsausschuss reden. Ich freue mich auf die Beratung.
Herr Kollege Luther, kommen Sie jetzt wirklich zum
Schluss.
Mein letzter Satz: Wir werden noch ein paar Fragen
klären müssen.
Schönen Dank.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/124 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Als
erster Redner hat der Bundesminister Manfred Stolpe das
Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Bundeshaushalt des Jahres 2003 können wir
einen deutlichen Schwerpunkt für eine verlässliche Zukunftsgestaltung setzen, und zwar erstens weil wir Sparmaßnahmen realisieren, wie es nach Lage der Dinge unvermeidlich ist. Das ist, wie wir alle wissen, kein
Selbstzweck, sondern es ist zur Konsolidierung des Haushalts und damit zur Zukunftssicherung erforderlich. Wir
halten an diesem Konsolidierungskurs fest, sodass wir angesichts der gegenwärtig weltwirtschaftlich nicht einfachen Lage handlungsfähig bleiben.
Zweitens - damit komme ich zu dem Thema, weshalb
ich hier stehe - können wir mit den Ausgaben einen
Schwerpunkt bei den Zukunftsinvestitionen setzen,
nämlich auf der einen Seite bei dem wichtigen Bereich
Bildung und Forschung und auf der anderen Seite bei der
Infrastruktur. Dieser Haushalt hält die Balance zwischen
den erforderlichen Sparmaßnahmen auf der einen und
notwendigen Investitionen auf der anderen Seite.
({0})
Mit dem Bundeshaushalt und damit verbunden der mittelfristigen Finanzplanung legen wir nachvollziehbar und
nachrechenbar dar, was in den nächsten Jahren konkret
angepackt werden kann. Unser Investitionshaushalt, den
Sie nachlesen können und in Zahlen greifen können, ist
eine belastbare Grundlage.
Der Ausbau der Infrastruktur ist unser stärkster Entwicklungshebel in West und in Ost.
({1})
Mit dem Haushalt 2003 wird die zukunftsorientierte Investitionspolitik in diesem Bereich fortgesetzt. Der Haushalt des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen hat ein Volumen von über 26 Milliarden
Euro. Davon ist mehr als die Hälfte für Investitionen vorgesehen.
({2})
Trotz der angespannten Lage der Weltwirtschaft haben
wir die Verkehrsinvestitionen in den vergangenen vier
Jahren massiv gesteigert. Mit 11,5 Milliarden Euro verstetigen wir die Verkehrsinvestitionen auf dem Niveau
von 2002. Hinzu kommen 1,7 Milliarden Euro für den
Wohnungs- und Städtebau. Zusätzlich stellen wir mit dem
Fonds „Aufbauhilfe“ über 7 Milliarden Euro für die Beseitigung von Flutschäden in den Kommunen, bei Unternehmen und an Privatgebäuden bereit.
({3})
Fast 1 Milliarde Euro aus diesem Fonds - das sei hier
nur am Rande vermerkt - werden für Infrastrukturaufgaben des Bundes, wo ebenfalls erhebliche Schäden entstanden sind, eingesetzt.
Der finanzielle Schaden durch die Hochwasserkatastrophe - ich nehme die Gelegenheit wahr, dies hier bilanzierend vorzutragen -, der an Elbe, Donau und Nebenflüssen entstanden ist, beläuft sich nach einer vorläufigen
Schätzung auf rund 9,2 Milliarden Euro. Die Bundesregierung hat schnelle, unbürokratische und umfangreiche
finanzielle Hilfe für die Opfer der Katastrophe geleistet.
Eine erste finanzielle Hilfe des Bundes ist inzwischen im
Gesamtumfang von mehr als 700 Millionen Euro geleistet worden.
Der Bund hat außerdem mit über 73 000 Einsatzkräften von Technischem Hilfswerk, BGS und Bundeswehr
bei der Bewältigung der Katastrophe mitgeholfen. Die
Kosten für diesen Einsatz - lassen Sie mich das in aller
Zurückhaltung sagen - belaufen sich auf über 186 Millionen Euro. Auf die Erstattung ist vonseiten der Bundesregierung verzichtet worden.
Schnelle Hilfe wurde für die Unternehmen geleistet.
Die Soforthilfe in Höhe von bis zu 15 000 Euro ist bis auf
ganz wenige Ausnahmen inzwischen vollständig ausgezahlt worden. Für Aufbauhilfe wurden etwa 9 500 Anträge gestellt. Davon wurden 7 000 bewilligt; die übrigen
sind noch in der Prüfung.
Bei den Schäden an Wohngebäuden werden die Anträge noch sehr zögerlich gestellt. Das macht die Landesregierungen, die hier betroffen sind, und auch uns ein
bisschen nachdenklich. Sachsen geht zum Beispiel davon
aus, dass 10 000 Wohnungen betroffen sein müssten; bisher aber hat es nur rund 2 000 Anträge gegeben. Bitte verargen Sie es mir nicht, wenn ich diese Gelegenheit nutze,
noch einmal gerade an die geschädigten Wohneigentümer,
aber auch an andere, die in den Regionen Verantwortung
tragen oder Einfluss haben, deutlich zu appellieren: Anträge müssen gestellt werden. Wenn es dazu Fragen gibt,
verweise ich auf mehrere Hotlines. Das ist ein im Grunde
sehr unkompliziertes Verfahren, das in Abstimmung zwischen Bund und Ländern gestaltet worden ist. Sie können
im Übrigen davon ausgehen, dass gelegentlich verbreitete
Gerüchte in Bezug auf Unstimmigkeiten und Schwierigkeiten zwischen Bund und Ländern, welche auf dem
Rücken der Betroffenen ausgetragen werden, jetzt nicht
mehr zutreffen. Wir haben inzwischen eine sehr enge Zusammenarbeit.
({4})
Für den Schadensausgleich stellen Bund, Länder und
Gemeinden mit dem Fonds „Aufbauhilfe“ von 7,1 Milliarden Euro einen erheblichen Teil zur Schadensminde1098
rung zur Verfügung. Hinzu kommen 444 Millionen Euro
aus dem Solidaritätsfonds der Europäischen Union, die
beeindruckenden Spenden, die allein bei den Großorganisationen inzwischen bei über 300 Millionen Euro liegen
- man vermutet, dass sie sich auf fast eine halbe Milliarde
Euro zubewegen -, und dazu erhebliche Versicherungsleistungen, deren Summen sinnvollerweise hier nicht genannt werden sollen. Die Botschaft heißt - das können wir
alle miteinander getrost weitersagen -: Deutschland wird
mit vereinten Kräften in der Lage sein, allen Geschädigten wirksam zu helfen und die Infrastrukturschäden zu beseitigen.
({5})
Meine Damen und Herren, Aufbau Ost und Ausbau
West gehören nach meiner Überzeugung untrennbar zusammen. Das gilt insbesondere für die Modernisierung
der Verkehrsinfrastruktur. Wir investieren dort, wo der Effekt am größten ist, und dort, wo die Verkehrswege am
nötigsten gebraucht werden. Das ist einerseits in Ballungsräumen der Fall, wo Wirtschaftszentren ein hohes
Verkehrsaufkommen bewältigen müssen, und das ist andererseits dort der Fall, wo Verkehrswege raumwirksame
Bedeutung haben. In diesem Sinne ist Investitionspolitik
auch gezielte Strukturpolitik.
Um es konkret zu machen: Bei den Ballungsräumen
denke ich zum Beispiel an den Kölner Ring. Bis zu 180 000
Fahrzeuge quälen sich dort am Tag über den Ostring. Da
muss ausgebaut werden. Deshalb beginnen dort schon im
kommenden Jahr die Arbeiten. Ich denke dabei aber auch
an die Region Leipzig-Halle. Dort gibt es neue Industrieansiedlungen. Sie sorgen dafür, dass das Verkehrsaufkommen steigt. Dort werden wir bis Ende des Jahres noch
drei weitere Autobahnteilstücke für den Verkehr freigeben.
Zu strukturpolitischen Maßnahmen zähle ich den
Weiterbau der A 31 von Bottrop nach Emden. Da geht es
um eine eher strukturschwache Region. Dass dieses Projekt wichtig ist, zeigt auch das Engagement der ansässigen Wirtschaft. Sie hat sich zusammengetan, um den
Lückenschluss dieser Autobahn gemeinsam mit dem
Bund zu finanzieren.
Im Osten zeigt schon ein Blick auf die Straßenverkehrskarte einen großen weißen Fleck zwischen Magdeburg und Schwerin. Den sehen natürlich auch potenzielle
Investoren und machen leider bis zur Stunde noch einen
großen Bogen um die Altmark und die Prignitz. Deshalb
werden wir die A 14 von Magdeburg nach Schwerin verlängern und über die A 24 damit den mittel- und süddeutschen Raum an den sich entwickelnden Wirtschaftsraum
der Ostseeanrainer anbinden.
({6})
Meine Damen und Herren, aufgrund verschiedener
Meldungen will ich hier nur vorsorglich sagen, dass wir
den Ausbau der ICE-Strecke von Berlin über Halle, Leipzig, Erfurt nach Nürnberg durchführen werden.
({7})
Die gegenwärtige Kostendebatte ist nötig. Wir brauchen
dazu natürlich Präzisierungen; aber das Vorhaben wird
dadurch weder verzögert noch verhindert. Hier ist eine
klare, eindeutige Entscheidung getroffen worden.
Meine Damen und Herren, es bleibt dabei: Wirtschaftsund strukturpolitische Faktoren sind zentrale Elemente
beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Hinzu kommen
die Herausforderungen, die im Zusammenhang mit der
Osterweiterung der Europäischen Union auf unsere Verkehrswege zukommen; denn dann wird der Verkehr auf
zahlreichen Strecken noch erheblich anwachsen. Es gilt,
schon heute dafür Vorsorge zu treffen, um unsere Regionen auf diese Herausforderungen einzustellen.
({8})
Das wird auch seinen Niederschlag im neuen Bundesverkehrswegeplan finden müssen. Wir wollen diesen
Bundesverkehrswegeplan mit Ihnen und den Ländern und
Verbänden in den ersten Monaten des nächsten Jahres
vorbereiten.
Das Wachstum des Verkehrs erfordert von Bund, Ländern und Gemeinden immer mehr Mittel für die Infrastrukturfinanzierung. Deshalb ist es richtig, dass wir die
LKW-Maut einführen werden. Wir wollen gemeinsam
mit den Ländern im kommenden Jahr die Maut-Erfassung
auf den deutschen Autobahnen beginnen. Ab September
fließen dann die Einnahmen, die wir dringend für das
Anti-Stau-Programm brauchen. Wir haben damit einen
wichtigen Finanzierungsweg erschlossen und werden zugleich ein wegweisendes Infrastruktur- und Technologieprojekt umsetzen können, das in Europa und darüber hinaus schon jetzt große Aufmerksamkeit findet.
Die Infrastrukturinvestitionen der Deutschen Bahn
können 2002 im Vergleich zum Vorjahr um 1,6 Milliarden
Euro gesteigert werden. Für weitere 8,5 Milliarden Euro
hat die Bahn bereits verbindliche Aufträge erteilt, die
überwiegend der deutschen Wirtschaft zugute kommen.
Ein mehr technisches, aber spannendes Problem ist die
Jährlichkeit unseres Haushaltes einerseits und die Betriebswirtschaft der Deutschen Bahn andererseits. Dadurch könnte es zum Jahresabschluss, formal betrachtet,
zu einem Minderabfluss der Investitionsmittel kommen.
({9})
Ich gehe jedoch davon aus, dass die gesamte Investitionssumme 2002 für notwendige Vorhaben im Bahnbereich
gebraucht und eingesetzt wird.
({10})
Nach Vorliegen präziser Daten werden wir unverzüglich
mit den zuständigen Ausschüssen des Bundestags darüber
sprechen.
Die Tankerkatastrophe in der Biskaya hat uns eindringlich daran erinnert, dass wir verschärfte Sicherheitsmaßnahmen vor unseren Küsten brauchen.
({11})
Für den Schutz können wir das gemeinsame Havariekommando des Bundes und der Küstenländer nach den zu
erwartenden letzten Zustimmungsbeschlüssen am 17. Dezember in Cuxhaven förmlich in Dienst nehmen. Tatsächlich arbeitet es bereits und ist mit dem Schiff „Neuwerk“
auch im Hilfseinsatz vor der spanischen Küste tätig.
Im Anschluss an unsere Debatte, meine Damen und
Herren, werde ich vom Plenum aus zu meinen Kollegen
Verkehrsminister in Brüssel reisen. Ich will dort die Vorschläge der dänischen Ratspräsidentschaft unterstützen,
die dringend für die Erhöhung der Schiffssicherheit votiert. Dazu gehört, dass wir versuchen wollen, den Zeitraum für die Ausphasung von Einhüllentankern erheblich
zu verkürzen.
({12})
Wir müssen unsere Küsten schützen.
({13})
Wir arbeiten daran, dass wir für bestimmte Bereiche der
Ostsee Sonderzonen einrichten und dass sich die Schiffe
in besonders gefährdeten Bereichen wie in der Kadetrinne
nicht mehr ohne Lotsen bewegen dürfen.
({14})
Ich werde das Parlament über den Fortgang unserer
Bemühungen unterrichten.
Dieser Haushalt versetzt uns in die Lage, die massiven
Probleme der ostdeutschen Wohnungswirtschaft anzupacken und zu lösen. Im Rahmen der Altschuldenhilfe haben wir die Mittel verdoppelt. Das ist auch erforderlich;
denn wenn die meisten kommunalen Wohnungsgesellschaften im Osten wegbrechen würden, dann wären dort
ganze Städte in ihrer Substanz gefährdet.
({15})
Deshalb stellen wir diese Mittel bereit. Das ist ein klares
Zukunftssignal. Das ist eine Grundlage für den Stadtumbau Ost.
Der Stadtumbau Ost geht erfolgreich voran. Ich rate
Ihnen, sich einfach Beispiele dafür anzusehen,
({16})
wie Plattensiedlungen so gestaltet werden, dass sie menschenfreundlich sind. Leinefelde in Thüringen oder auch
Leipzig-Ost sind dafür gute Beispiele.
({17})
Die Erfahrungen, die wir beim Stadtumbau in diesen
dringenden Projekten im Osten machen, sind durchaus
auch auf vergleichbare Situationen anwendbar. So sind wir
jetzt dabei, nicht nur vom Stadtumbau Ost, sondern auch
vom Stadtumbau West zu reden. Ein erstes hoffnungsvolles
Projekt in dieser Richtung wird die Stadt Pirmasens sein,
die ebenfalls mit erheblichen Problemen zu kämpfen hat.
({18})
Meine Damen und Herren, der Aufbau Ost ist - um es
noch einmal ganz deutlich zu sagen - für ganz Deutschland eine vordringliche Aufgabe. Die noch immer bestehenden Rückstände und Schwächen des Ostens drücken
die Wirtschaftskraft ganz Deutschlands. Mein Ziel ist es,
in den neuen Ländern einen Entwicklungsstand zu erreichen, bei dem der Osten nicht mehr belastet, sondern kräftig an der Leistungskraft Deutschlands mitträgt. Von diesem Ziel sollten wir nicht abrücken.
({19})
Dazu wollen wir neue, frische Ideen umsetzen und solche Projekte auf den Weg bringen, mit denen verstärkt
jungen Unternehmern Chancen gegeben werden, und
zwar vor allem in der Startphase ihrer Existenzgründung,
bei der sie Begleitung, Hilfe und insbesondere ein finanzielles Rückgrat benötigen. Ich denke, dass es uns gelingen wird, die Mittelstandsbank in absehbarer Zeit ans
Laufen zu bringen, die für diesen Zweck von großer Bedeutung sein kann. Mit Blick auf den Mittelstand werden
wir im Laufe des ersten Quartals des nächsten Jahres weitere Vorschläge vorlegen können.
({20})
- Das ist richtig. Aber das hängt miteinander zusammen.
Die Vernetzung ist ein wichtiger Punkt. Es gibt inzwischen eine ganze Reihe von Ansätzen, wie sich kleinere
Unternehmen miteinander verbünden können, wie sie dadurch leistungsfähiger werden und wie sie aus diesen
Netzwerken heraus durchaus Exportchancen entfalten.
Als Beispiele nenne ich Ihnen nur den Präzisionsmaschinenbau in Wismar, die Innovationsregion Mittelsachsen
um Chemnitz oder das Tourismusprojekt im Naturpark
Thüringen. Standorte müssen genutzt werden.
Wir haben in den letzten Jahren in Ostdeutschland gute
Erfahrungen mit dem Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz gemacht ({21})
ein langer Name für kurze Planungszeiten. Wir haben uns
vorgenommen, dass Bauen schneller und einfacher werden soll. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir dieses Gesetz angesichts der Erfahrung, dass es keine Minderung an
Demokratie gab, nicht 2004 enden lassen, sondern dass
wir gemeinsam Möglichkeiten zu dessen Fortbestand erarbeiten.
({22})
Lassen Sie mich etwas ketzerisch in den Raum stellen:
Warum sollen gute Erfahrungen, die wir im Osten gemacht haben, nicht auch für das ganze Land interessant
sein?
({23})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich nun noch auf ein brennendes Problem eingehen. In
den neuen Bundesländern wächst eine Generation heran,
für die die Gründe, die zu den wirtschaftlichen und strukturellen Problemen Ostdeutschlands geführt haben, bereits Geschichte sind, Gründe, die nicht mehr greifen und
nicht mehr überzeugen. Die jungen und qualifizierten
Menschen interessiert etwas anderes: Sie wollen vor allem eine Antwort auf die Frage, wie es für sie weitergeht.
Da sagen viele: Es geht in den Westen, in eine Zukunft mit
höherem Verdienst für gleiche Arbeit.
Dieses Verhalten ist für den Einzelnen verständlich,
aber ist für den Standort Ostdeutschland ein Verhängnis.
Die aktuelle sächsische Abwanderungsstudie belegt das
sehr eindrucksvoll. Sie zeigt, dass sich durchaus auch
qualifizierte Menschen für diesen Weg entscheiden, weil
sie darin bessere Chancen für sich sehen. Wir wollen erreichen, dass diese Menschen in ihrer Heimat eine Chance
haben, dass sie dort bleiben und dass der Maßstab des
Verdienstes, der durchaus eine Rolle spielt, sie nicht mehr
dazu bewegt, zu gehen.
({24})
Auch deshalb müssen wir die Angleichung der Löhne
erreichen. Für den öffentlichen Dienst haben wir uns das
für 2007 vorgenommen. Lassen Sie mich ehrlich sagen:
Ich sehe dazu keine Alternative. Es gibt in Ostdeutschland
ein hohes Maß an Flexibilität. Wir dürfen uns aber nicht
daran gewöhnen, dass die Tariflöhne dort niedriger sind
oder gar nicht gelten. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit,
das muss unser Ziel sein.
({25})
Zum Schluss möchte ich sagen: Der Aufbau Ost und
der Ausbau West sind für mich keine Konkurrenzveranstaltungen. Sie sind keine Gegensätze, sondern bedingen
sich gegenseitig. Sie sind zwei Seiten einer Medaille. Zusammen bringen sie Gewinn für unser ganzes Land. Diese
Mühe lohnt sich. Das ist eigentlich so etwas wie eine Gemeinschaftsaufgabe.
Vielen Dank für Ihre Geduld.
({26})
Das Wort hat jetzt der Kollege Eduard Oswald von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundesminister,
dem letzten Satz hätte ich natürlich zustimmen können.
Aber die Rede insgesamt kann ich nicht unterstreichen.
({0})
Der Beifall war wohl mehr als Ermunterung für zukünftige Taten gedacht als für Ihre Ausführungen.
Wie in kaum einem anderen Bereich sind Verkehr und
Mobilität, Bauen und Wohnen Gestaltungs- und Zukunftsfelder. Sie haben Ihre Chancen, mit der Verkehrsund Wohnungsbaupolitik die Zukunft wirklich zu gestalten, nicht genutzt. Mit Ihren Entscheidungen gerade in der
Wohnungsbaupolitik haben Sie gravierende Fehler gemacht. Was Deutschland braucht, ist ein positives Wohnungsbauklima, das bei Kapitalanlegern und Unternehmen Interesse erweckt und zeigt, dass das Interesse des
Bürgers für Wohneigentum als Ausdruck seiner Lebensqualität und seiner familiären Fürsorge wie auch als Eckpfeiler der Altersvorsorge begriffen wird. Genau dies machen Sie nicht.
({1})
Sie bringen nicht nur die Baubranche in Turbulenzen,
sondern lähmen die gesamte Wohnungsbauwirtschaft.
Ohne ein leistungsfähiges Verkehrssystem wird es für
die wirtschaftliche Entwicklung und damit auch für den
Arbeitsmarkt keine Erfolge geben.
Erstens. Wir brauchen einen sich am Verkehrswachstum orientierenden Ausbau der Infrastruktur.
Zweitens. Wir brauchen hierfür Planungs- und Finanzierungssicherheit für einen längeren Zeitraum.
Drittens. Wir brauchen wettbewerbsfähige Unternehmen auf der Straße, der Schiene, der Wasserstraße und im
Luftverkehr.
Viertens. Wir brauchen all unsere Verkehrsträger, um
sie im Gesamtverkehrssystem wirkungsvoll miteinander
zu verknüpfen. Darum ist die Vernetzung die zentrale
Herausforderung.
Fünftens. Wir brauchen statt Ihrer Stau-Ideologie eine
Verkehrspolitik mit Visionen und Ideen. Genau das ist das
Problem.
({2})
Früher war die Adventszeit die Zeit der großen Erwartungen und der Zuversicht. Aber ich glaube, wir warten
umsonst.
({3})
Die Straße ist Verkehrsträger Nummer eins. Nahezu
97 Prozent - man muss sich die Zahl immer wieder vor
Augen halten - aller Fahrten im Personenverkehr werden
in Deutschland auf den Straßen zurückgelegt; in fünf von
sechs Fällen kommt der PKW zum Einsatz. Tatsache ist:
Die Straßen sind überlastet,
({4})
die Staus werden immer länger und die Autofahrer klagen
über die hohen Spritkosten und fühlen sich abkassiert. Bei
einer einzigen 50-Liter-Tankfüllung fallen über 38 Euro
an Steuern an. Das ist Realität in Deutschland.
({5})
Für uns gilt: Keine weitere Erhöhung der Öko- und der
Mineralölsteuer! Die Straßenbenutzer zahlen über Sonderabgaben jährlich 50 Milliarden Euro an den Fiskus,
aber nur 16 Milliarden Euro davon werden für Bau und
Unterhalt von Straßen ausgegeben. Für uns gilt: Wir müssen unsere Straßen erhalten und ausbauen. Deshalb brauchen wir bedarfsgerechte Etatansätze. Genau das ist Ihr
Problem. Wie auch bei den anderen Themen war es beim
Straßenbau in diesem und im vergangenen Jahr nur Ihr
Ziel, mit möglichst vielen Baubeginnen und Zusagen gut
und unbeschadet über den Wahltag zu kommen.
({6})
Jetzt werden Sie von der Wirklichkeit eingeholt. Deswegen sind Sie so unruhig.
({7})
In den nächsten Monaten kommen Sie in eine bedenkliche Haushaltssituation. Wie wollen Sie denn sicherstellen, dass es bei den Bauvorhaben nicht zum Stillstand
kommt? Über Ihr 90-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm besteht keine Klarheit. Sie müssen doch sagen,
was Sie jedes Jahr in den Haushalt einstellen. Das ist die
entscheidende Zahl.
({8})
Zudem stellen Sie das Ganze unter einen Finanzierungsvorbehalt. So geht es doch nicht.
({9})
Insgesamt gibt es in Deutschland für rund 2 Milliarden Euro baureife und planfestgestellte Straßenbauprojekte,
({10})
die nicht in Angriff genommen werden können.
({11})
Da rechtskräftige Planfeststellungsbeschlüsse zeitlich in
ihrer Wirkung begrenzt sind, drohen Baurechte zu verfallen.
({12})
Wir erwarten die Vorlage Ihres längst überfälligen Verkehrswegeplanes; Sie selbst haben darauf hingewiesen,
Herr Bundesminister.
({13})
Für die Gestaltung einer zukunftsfähigen Verkehrspolitik
ist die Verkehrswegeplanung ein wichtiges und unverzichtbares Steuerungselement. Für die Straße gilt: Vordringlich müssen 2 800 Kilometer bestehende Autobahnen auf sechs oder acht Fahrstreifen ausgebaut werden.
2 400 Kilometer neue Lückenschlüsse und Netzergänzungen sind zusätzlich notwendig. Wir sind uns hoffentlich darin einig: Ortsumgehungen sind Menschenschutz.
Deshalb müssen auch sie konsequent weitergeführt werden.
({14})
Von gut ausgebauten Straßen profitieren alle, und zwar
durch weniger Staus, einen besseren Verkehrsfluss und
eine geringere Umweltbelastung. Das ist der entscheidende Punkt.
Ich hoffe, wir sind uns wenigstens in einem Punkt völlig einig: Wir dürfen in unserem Einsatz für eine größere
Verkehrssicherheit nicht nachlassen. Jeder Verkehrsunfall verursacht persönliches Leid und hohe Kosten und jeder Verkehrsunfalltote ist einer zu viel. Die volkswirtschaftlichen Kosten durch den Straßenverkehr betrugen
im Jahr 2000 - man höre und staune - insgesamt 35,6 Milliarden Euro. Das ist das Sechseinhalbfache dessen, was
der Bund in diesem Jahr für die Fernstraßen ausgibt. Deshalb müssen wir alles tun, um die Arbeit für die Verkehrssicherheit weiter zu intensivieren.
({15})
Herr Bundesminister, ich erinnere an das Hin und Her
im Zusammenhang mit der Einführung der Maut. Zuerst
war der 1. Januar vorgesehen, dann ein anderer Zeitpunkt
Anfang des Jahres. Dann hieß es Sommer, dann zum
1. August und danach zum 1. September. Schaun wir mal!
({16})
Damit steht aber auch Ihr Anti-Stau-Programm auf einem
sehr brüchigen Finanzierungsfundament. Wenn ich Ihnen
einen Rat geben darf, dann empfehle ich dringend, die
Programmvielfalt Ihrer Vorgänger zu beenden. Sie haben
sicherlich schon festgestellt, dass diese Programmvielfalt
und der Programmwirrwarr das einzige Ziel hatten, permanente Aktivitäten vorzuspielen.
({17})
Kehren Sie zu einer verständlichen Finanzierung
zurück, die jeder versteht und bei der man nicht immer
wieder denkt, es gehe um neue Mittel, während sie in
Wirklichkeit gleich bleiben!
({18})
Verwenden Sie die Maut nicht als Geldquelle für Ihren
Haushalt,
({19})
sondern verwenden Sie die Gelder für den Straßenbau!
Sie wollen von den 3,4 Milliarden Euro, die jährlich durch
die Maut eingenommen werden, nur 1,25 Milliarden Euro
dem Verkehrssystem insgesamt zur Verfügung stellen.
Damit gehen Sie einen völlig falschen Weg zulasten zahlreicher notwendiger Straßenbauvorhaben. Sie haben be1102
reits selber einige Straßenbauprojekte genannt. Wir könnten noch viele andere aufzählen.
({20})
Das können wir so natürlich nicht akzeptieren.
Der Bundesminister fährt heute noch nach Brüssel. Sie
müssen in Brüssel die Dinge beim Namen nennen. Es geht
nicht an, dass bei unseren europäischen Nachbarn der
LKW-Verkehr hemmungslos subventioniert wird, während
bei uns die Unternehmen zusätzlich belastet werden.
({21})
Damit werden deutsche Arbeitsplätze vernichtet und Unternehmen ins Ausland getrieben.
Im Straßenverkehrsgewerbe gilt: Ohne die versprochene Harmonisierung sind in Deutschland 10 000 Betriebe und rund 100 000 Arbeitsplätze unmittelbar bedroht. Ausländische Transportunternehmen, die teilweise
hoch subventioniert im europäischen Wettbewerb stehen,
warten darauf, in die von Konkursen deutscher Transportunternehmen hinterlassenen Lücken vorzustoßen.
Das darf nicht sein. Das können wir nicht zulassen.
({22})
Wir sind uns darin einig, dass wir ein leistungs- und zukunftsfähiges Schienensystem brauchen. Darüber wird
sicherlich noch viel diskutiert werden. Aber beim Schienenverkehr muss die Politik sagen, was sie will und wohin die Fahrt gehen soll. Nicht die Bahn, sondern das
Primat der Politik hat hier Vorrang. Das ist ein entscheidender Punkt und ich hoffe, das sehen wir alle so. Die Politik muss Flankenschutz bieten, der die Bahn vor allem in
den Bereichen stärkt, in denen systembedingte Nachteile
auszugleichen sind.
Herr Bundesminister, ich begrüße Ihr Bekenntnis zum
Weiterbau der Schnellverkehrsstrecke zwischen Erfurt
und Nürnberg, das Sie heute bekräftigt haben. Ich sage
auch an dieser Stelle: Schau’n wir mal, wie es weitergeht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sorgen Sie dafür,
dass bei der Schaffung einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur die Wasserstraßen nicht ausgeklammert werden und dass die Binnenschifffahrt ihren festen Platz in
unserem Verkehrssystem erhält! Sorgen Sie dafür, dass
der Luftverkehr nicht als Belastung, sondern als Chance
für Wohlstand, Fortschritt und die Schaffung von Arbeitsplätzen verstanden wird! Übrigens hängen in Deutschland
rund 700 000 Arbeitsplätze direkt oder indirekt vom Luftverkehr ab. Sorgen Sie außerdem dafür, dass Mobilität für
alle Menschen bezahlbar bleibt und dass das deutsche
Verkehrsgewerbe unter fairen Wettbewerbsbedingungen
arbeiten kann! Das sind die Herausforderungen.
Noch ein Wort zum Wohnungsbau. Sie haben ja in den
letzten Wochen waschkörbeweise Post bekommen, und
zwar nicht nur von denjenigen, die Häuser bauen wollen,
sondern auch von einer verunsicherten und irritierten
Branche. Dort, wo Impulse für die Wohnungs- und Bauwirtschaft dringend notwendig gewesen wären, sind die
Weichen falsch gestellt worden,
({23})
und zwar zum Nachteil der vielen Menschen, die auf der
Suche nach bezahlbarem Wohnraum sind, und zum Nachteil der Bauwirtschaft, die durch Ihre investitionsfeindliche Politik in eine schwere Krise manövriert wird.
Alles, was Sie gemacht haben, wird zu massiven Einbrüchen führen.
({24})
Sie werden damit auch Ihre Ziele, die Sie sich in Ihrer
Wohnungsbauprognose 2015 gesetzt haben, nicht erreichen, ja sogar weit verfehlen.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss.
Mein letzter Satz: Durch Ihre Entscheidungen wird in
den westdeutschen Ballungsräumen eine neue Wohnungsnot mit entsprechenden Mietsteigerungen geradezu
provoziert.
({0})
Noch können Sie Ihre Vorhaben korrigieren. In den Haushaltsberatungen ist dazu Gelegenheit. Sie sollten das ernster nehmen, als Sie das durch Ihre gegenwärtigen Reaktionen zeigen.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Rainder Steenblock vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Oswald, es ist zwar richtig, dass das
Erzählen von Märchen in der Vorweihnachtszeit eine gute
Tradition hat.
({0})
Aber wir sollten uns an dieser Stelle um etwas mehr Rationalität bemühen. Lieber Kollege Oswald, das, was Sie
heute zu dem Haushalt, den Minister Stolpe vorgelegt hat,
und insbesondere zum Kernbereich der Investitionen gesagt haben, geht an der Realität völlig vorbei.
({1})
Wenn Sie sich den Haushalt genauer anschauen, dann
stellen Sie fest, dass das Investitionsvolumen allein im
Verkehrshaushalt 11,5 Milliarden Euro beträgt. Das ist eine
Steigerung von über 26 Prozent in den letzten vier Jahren.
Eine solche Steigerung haben Sie nie zustande gebracht.
({2})
Dieser Haushalt ist ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung unseres Leitbildes der nachhaltigen Mobilität. Fast
noch wichtiger als die von uns trotz der schwierigen Zeiten erzielten Steigerung im Investitionsbereich mit ihrer
Bedeutung für die Arbeitsplätze ist für mich die Umstrukturierung der Investitionen. Wir haben für die
Gleichwertigkeit von Schienen- und Straßeninvestitionen
gesorgt, indem wir die Investitionen im Schienenbereich
um 70 Prozent angehoben haben. Das hat in diesem Bereich natürlich ganz besondere Arbeitsplatzeffekte. Das
müssen Sie sich wirklich einmal zu Gemüte führen. Dann
kommen Sie zu anderen Ergebnissen hinsichtlich der
Leistung der Bundesregierung bei nachhaltigen Investitionen.
({3})
Wir werden - auch das zeigt der vorliegende Haushalt neben der Gleichwertigkeit von Schienen- und Straßeninvestitionen noch einen anderen wichtigen Punkt in Angriff
nehmen, der in Zukunft vielleicht eine noch größere Rolle
spielen wird. Wir werden ein Gleichgewicht zwischen
den Investitionen in den Bestand und den Neuinvestitionen - das ist völlig richtig - herstellen müssen, um die
Aufgaben der Zukunft zu bewältigen. Übrigens, lieber
Kollege Oswald, Sie haben vorhin das Problem der Ortsumgehungen angesprochen. Das ist bei uns immer ein
wichtiger programmatischer Punkt gewesen und wird es
auch weiterhin sein. Hier zielen Ihre Angriffe ja völlig ins
Leere.
({4})
Wir haben des Weiteren bei den Investitionen in den
Straßen- und in den Schienenneubau natürlich die OstWest-Achse und die neuen Bundesländer im Blick. Dort
werden vor dem Hintergund der Osterweiterung die
großen neuen Verkehrsströme zu erwarten sein, auf die wir
uns einstellen. Ein Schwerpunkt dieses Haushaltsplanentwurfes, den der Minister vorgelegt hat, ist ja, dass die
Investitionen in den ostdeutschen Bundesländern Priorität
haben. Wir stellen uns also den Herausforderungen.
Den Herausforderungen der Nachhaltigkeit stellen wir
uns auch in einem anderen Zusammenhang. Wenn man
den Wettbewerb der Verkehrsträger ernst nimmt, dann
muss man zu einer gerechten Kostenanlastung dieser
Verkehrsträger kommen und nicht über Staatssubventionen einzelne Verkehrsträger ungerechterweise bevorzugen.
({5})
Deshalb ist das, was Sie zur Ökosteuer gesagt haben, etwas daneben. Wenn Sie sagen, die Mittel, die durch die
Ökosteuer eingenommen werden, sollten nur für Straßeninfrastrukturausbau ausgegeben werden, dann wissen Sie
nicht, was mit diesem Konzept verfolgt wird.
Die Kostenanlastung der Verkehrsträger trifft natürlich
ganz andere gesellschaftliche Bereiche, die wir ebenfalls
im Blick haben müssen. Im nächsten Jahr wird unser Konzept um die LKW-Maut ergänzt. Das ist ein ganz wichtiger Schritt, um zu einer gerechten Kostenanlastung und
zu einem zukunftsfähigen Verkehrssystem zu kommen.
Dafür müssen die Mittel verursachergerecht erhoben
werden.
Der dritte Ansatz zum Thema „gerechte Kostenanlastung“, nämlich die Aufhebung der Mehrwertsteuerfreiheit
im Flugverkehr, wie es im Koalitionsvertrag festgelegt ist,
wird zwar kein gravierender, aber dennoch ein wichtiger
Schritt sein. Auch das dient dazu, eine nachhaltige Verkehrspolitik im Sinne von gerechter Kostenauslastung zu
betreiben.
({6})
Der Bundesverkehrswegeplan wird uns im nächsten
Jahr massiv beschäftigen. Darin wird materiell die Grundlage für die Investitionen der nächsten Jahre gelegt. Ich
möchte jetzt nicht auf die Einzelheiten eingehen. Eines
aber ist mir wichtig: Wir sollten in den nächsten Jahren bei
der Beratung des Bundesverkehrswegeplans und der Umsetzung nicht wieder ein Märchenbuch schreiben, wie es
gerade angeklungen ist. Das heißt: Es sollte nicht dazu
kommen, dass jeder seine Lieblingsprojekte in den Bundesverkehrswegeplan schreibt und damit letztendlich völlig verantwortungslos Politik betreibt, weil er Erwartungen weckt, die aufgrund fehlender finanzieller Mittel
nicht erfüllt werden können, weil er in allen Bundesländern Planungskapazitäten lahmlegt, weil ohne Ende
Planfeststellungsverfahren begonnen werden und in den
Schubladen der Behörden verschwinden und weil in der
Öffentlichkeit Konflikte geschürt werden, die sehr viel
Kraft kosten und nicht notwendig sind. Deshalb brauchen
wir einen Bundesverkehrswegeplan, der an der Haushaltsehrlichkeit orientiert ist.
({7})
Zum Schluss komme ich auf die Flusspolitik zu sprechen. Im Koalitionsvertrag haben wir das Koordinatensystem für eine vernünftige Flusspolitik neu justiert. In
diesem Koordinatensystem - Ressourcen- und Hochwasserschutz auf der einen Seite und die Förderung des umweltfreundlichen Verkehrssystems auf der anderen Seite werden sicher noch eine Reihe von Justierungen vorgenommen werden müssen. So müssen zum Beispiel die Interessen der Binnenschifffahrt neu angeordnet werden.
Ich freue mich auf die Gespräche, die wir bereits mit den
Binnenschiffern begonnen haben,
({8})
um vor dem Hintergrund der politisch gesetzten Rahmenbedingungen, die gesetzt worden sind, zu den notwendigen Entscheidungen zu kommen.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
({0})
Ein letzter Satz.
({0})
- Herr Vaatz, wir können das in privatissime klären. - Der
Metrorapid ist eine wichtige Investition im Bereich des
Verkehrshaushaltes; das ist gar keine Frage. Es handelt
sich um eine ausgesprochen interessante Technologie, deren Wirtschaftlichkeit allerdings noch immer nicht bewiesen ist. Wir stellen für dieses hochinteressante Projekt
bis zu 2,3 Milliarden Euro zur Verfügung.
Herr Kollege, Sie hatten drei letzte Sätze. Jetzt ist
Schluss.
Jetzt sind die Industrie und die Betreiber dabei,
Jetzt sind Sie beim vierten letzten Satz. Hören Sie auf,
sonst muss ich Ihnen das Mikrophon abstellen.
- ein Finanzierungssystem zu erarbeiten. Danach werden
wir das Geld auszahlen.
Vielen Dank.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind beim letzten
Tagesordnungspunkt. Ich bitte Sie, Ihre Redezeit nicht zu
überziehen. Niemand hat einen Gewinn davon.
Als nächster Redner hat der Kollege Horst Friedrich
von der FDP-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Minister, ich gehe zunächst auf Ihr Angebot einer Zusammenarbeit ein. Was Sie zum Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz gesagt haben, hat die volle Unterstützung der FDP. Diese Unterstützung hätte der
Verkehrsminister schon in der letzten Wahlperiode haben
können. Der Antrag lag nämlich mit der von Ihnen beschriebenen Zielsetzung bereits vor; allerdings hat ihn die
rot-grüne Mehrheit damals abgelehnt.
({0})
Wenn Sie jetzt schlauer geworden sind, ist es gut. Wir
werden Sie hier in der Hoffnung unterstützen, dass die
Mehrheit von der anderen Seite des Hauses mitzieht.
({1})
Aufgrund der Zeitknappheit werde ich mich heute
ausschließlich mit der Bahn befassen, Herr Kollege
Steenblock, und die Zahlen ein bisschen gerade rücken.
Gestern konnte man der „Berliner Zeitung“ entnehmen,
dass die Bahn offensichtlich wieder einmal - zum vierten
Mal hintereinander in der Ära Mehdorn - nicht in der
Lage ist, die ihr zur Verfügung gestellten Gelder tatsächlich zu verbauen. In Regierungskreisen spricht man von
einer dreistelligen Millionenhöhe. Die Bauindustrie redet
von 700 Millionen Euro.
({2})
Ihr Sprecher hat gesagt, im letzten Jahr seien 400 Millionen Euro nicht abgeflossen.
({3})
- Herr Kollege Schmidt, Sie haben schon mehrfach „Das
ist gelogen!“ dazwischengerufen. Die regierungsamtlichen Zahlen waren immer anders als Ihre. Offensichtlich
haben Sie eine eigene Buchführung.
({4})
Herr Minister, wenn Sie in Ihrem Haushalt wirklich
Spielräume und Flexibilität erreichen wollen, dann müssen Sie das Problem Bahn in den Griff bekommen. Anderenfalls wird sie zum unkalkulierbaren Haushaltsrisiko.
({5})
Hinsichtlich der Strecke Köln-Frankfurt, des Knotens
Berlin, der Strecke München-Nürnberg und jetzt bereits
im Vorfeld der neuen Strecke München-Erfurt gibt es nur
ein Thema: Die Baukosten gehen nach oben.
Obwohl man die Mehrkosten auf diesen Strecken noch
nicht in den Griff bekommen hat, fordert Herr Mehdorn
die Erstattung der durch die Flut entstandenen Mehrkosten. Dabei reicht es ihm nicht, dass er die Baukosten bekommt. Er möchte auch noch den Umsatzausfall vergütet
bekommen. Das wäre etwas Neues; das gab es in Deutschland noch nicht.
({6})
Des Weiteren möchte er den Bundesgrenzschutz kostenlos auf den Bahnhöfen behalten. Über diesen Punkt
kann man noch aus ordnungspolitischen Gründen streiten.
Auch wir sind der Meinung, dass die Herstellung von Sicherheit eine hoheitliche Aufgabe ist, für die der Staat in
Vorleistung treten muss.
({7})
Das eigentliche Problem ist, dass Herr Mehdorn eine
„Deutsche Bundesbahn AG“ möchte. Er möchte die AG,
Horst Friedrich ({8})
wo sie ihm nützt, und er möchte die Staatsbahn, wo
sie ihm hilft. Damit agiert er entgegen den Vorgaben des
Eisenbahnneuordnungsgesetzes. Er konzentriert alle
Macht in der Holding, obwohl im Eisenbahnneuordnungsgesetz definitiv steht, dass die Holding nur vorübergehend
zu installieren sei und dann aufgelöst werden müsse. Nur
dann, wenn Sie die Holding auflösen - hier erwarte ich
jetzt ein Machtwort des Verkehrsministers als des Vertreters des Eigentümers Bundesrepublik Deutschland -, werden wir in der Lage sein, wenigstens die Transportbereiche
der Bahn an den Markt zu bringen. Über die Trennung von
Netz und Betrieb will ich mich hier nicht weiter auslassen.
Bedeutsam für einen Haushalt ist auch, dass die Bahn
mittlerweile wieder eine Verschuldung von 18 Milliarden Euro erreicht hat, obwohl sie 1994 entschuldet wurde
und seit diesem Zeitpunkt Steuergelder in Höhe von
75 Milliarden Euro in die Investitionen und 45 Millionen Euro in das Bundeseisenbahnvermögen geflossen sind.
Wenn Sie hier nicht die Bremse anziehen, werden Sie das
Problem nicht in den Griff bekommen und deswegen immer Schwierigkeiten mit dem Haushalt haben. Zu dieser
Problematik biete ich Ihnen den offenen Dialog der FDPan.
Hierfür werden Sie die Unterstützung der FDP bekommen.
Ihrem Haushalt können wir jedoch leider nicht zustimmen.
Danke sehr.
({9})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Annette Faße von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man hat den Eindruck, je länger die Opposition in der
Opposition ist, desto schlechter wird das Gedächtnis.
({0})
Wo soll das eigentlich noch hinführen, meine Damen und
Herren der Opposition?
({1})
Das, was Sie heute geboten haben, waren weder Alternativen noch war es ein Wunschzettel. Höchst interessant
ist, dass Sie der Politik der Regierung in vielen Punkten
zugestimmt haben, zum Beispiel beim integrierten Verkehrssystem. Vielleicht schreiben Sie noch auf Ihren
Wunschzettel für Weihnachten:
({2})
Der Geldsegen von oben möge kommen, damit alle Wünsche und Vorstellungen der Opposition erfüllt werden können. Das wäre doch einmal ein sachdienlicher Wunsch,
meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition.
Der Verkehrshaushalt 2003 ist erneut der drittgrößte
Einzeletat, und das trotz der angespannten Haushaltslage
und trotz der Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung.
({3})
Rot-Grün setzt den Investitionsschwerpunkt bewusst auf die
Verkehrsinfrastruktur; denn Infrastrukturinvestitionen
sind Zukunftsinvestitionen für den wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Standort Deutschland. 1 Milliarde Euro schaffen oder sichern 25 000 Arbeitsplätze.
Der Aufbau Ost genießt im Rahmen der Verkehrsinvestitionen weiterhin hohe Priorität. 60 Prozent der Investitionen in die Infrastruktur fließen in die Verkehrswege der
neuen Bundesländer.
({4})
Der Schwerpunkt liegt weiterhin bei den Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“, die vorrangig finanziert werden.
({5})
Zur Erinnerung: 1997, also zurzeit Ihrer Regierungsverantwortung, lag die Höhe der Verkehrsinvestitionen
bei 9,5 Milliarden. Mittlerweile liegt dieser Wert bei
11,5 Milliarden. Dazu kommt noch das Geld aus dem
Fonds für die Bewältigung der Hochwasserschäden. Wir
stehen zum Aufbau Ost und wir stehen zum Ausbau West.
Diese Aussage prägt den gesamten Verkehrshaushalt.
Wir werden die Investitionen in die Infrastruktur langfristig verstetigen. Im Jahre 2006 werden wir sie auf
10,6 Milliarden Euro erhöhen.
({6})
Damit sind wir auf dem Weg, den Verkehrsträgern und der
Industrie wirklich die notwendige Planungssicherheit zu
geben.
({7})
Der Minister hat die große Aufgabe angesprochen, einen neuen Bundesverkehrswegeplan aufzustellen. Ich
sage hier klar und deutlich: Die Schwerpunkte dieses
neuen Planes werden voll und ganz getragen, nämlich die
Engpassbeseitigung, die forcierte Förderung der Ortsumgehungen, die Stärkung des maritimen Standorts
Deutschland durch den gezielten Ausbau der Hinterlandverbindungen und der integrierte Aufbau der Verkehrsinfrastruktur in den neuen Bundesländern.
Zur Engpassbeseitigung gehört selbstverständlich weiterhin die Schiffbarkeit unserer Wasserstraßen. Wir werden dafür sorgen, dass die Wasserstraßen auch in Zukunft
ihren wichtigen Part in einem integrierten Verkehrssystem
innehaben.
({8})
Die Umsetzung des 90-Milliarden-Euro-Programms
wird bis 2010 abgeschlossen sein. Wir fällen in dieser Legislaturperiode Entscheidungen, die weit in die Zukunft
hineinreichen.
Wir verbuchen im Verkehrshaushalt 2003 das erste Mal
Mauteinnahmen. Damit kann das „Anti-Stau-Programm
2003 bis 2007“ beginnen. Durch die Mauteinnahmen haben wir mehr Geld für Investitionen. Das wollen wir. Wir
haben auf diesem Gebiet wichtige Zeichen gesetzt. Es
gilt, die Beschlüsse jetzt konsequent umzusetzen.
({9})
Frau Kollegin Faße, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Vaatz?
Ja.
Herr Vaatz, bitte schön.
Frau Kollegin Faße, Sie haben eben betont, dass Sie die
Flüsse als Schifffahrtswege erhalten wollen. Können Sie
mir erklären, wie das mit dem Stopp der Fahrrinnenunterhaltungsmaßnahmen an der Elbe vereinbar ist?
Herr Vaatz, Ihre Frage beruht auf falscher Information.
Ich sage ganz deutlich: Es gibt keinen Stopp. Unterhaltungsarbeiten werden weiterhin ausgeführt werden. Wir
sind aber der festen Überzeugung, dass wir mit unseren
Flüssen nach der Hochwasserkatastrophe sehr viel sensibler umgehen müssen. Von daher werden wir das Problem des Hochwassers an den Flüssen natürlich neu zu
bewerten haben. Das werden wir für die Flüsse, die in der
Koalitionsvereinbarung aufgeführt sind, auch machen.
Das hat nichts damit zu tun, dass diese Flüsse hinterher
nicht schiffbar sind, schiffbar bleibt auch die Elbe, Herr
Vaatz.
({0})
Unser Verkehrssystem braucht die Wasserstraßen, das
Binnenschiff und die Schifffahrt. Darum sage ich
ganz deutlich: Gemäß der Vereinbarung des Maritimen
Bündnisses für Ausbildung und Beschäftigung werden
wir 2003 Finanzmittel in Höhe von 30,8 Millionen Euro
zur Verfügung stellen. Damit leisten wir einen wichtigen
Beitrag zur Sanierung und Sicherung von Bordarbeitsplätzen deutscher Seeleute auf deutschen Handelsschiffen
und auch zur Förderung der Ausbildung des seemännischen Nachwuchses.
({1})
Der Finanzbeitrag für die Seeschifffahrt wird weiter
fortgeführt. Wir haben mit ein bisschen Überzeugungsarbeit erreicht, dass die Tonnagesteuer und der 40-prozentige Lohnsteuereinbehalt beibehalten werden.
({2})
Damit sichern wir Arbeitsplätze in der Seeschifffahrt, aber
auch Landarbeitsplätze. Allein im letzten Jahr sind 850 neue
Arbeitsplätze an Land geschaffen worden.
Die Kurzstreckenseeverkehre bedürfen in Zukunft
einer besonderen Aufmerksamkeit, gerade auch im Hinblick auf die EU-Osterweiterung. Ich meine, dass wir hier
Chancen haben, die es konsequent zu nutzen gilt. Darum
begrüße ich sehr, dass wir mit dem Short Sea Shipping
Promotion Center eine Institution geschaffen haben, die
sich vehement für mehr Verlagerung des Verkehrs auf das
Binnenschiff und auf das Seeschiff auch im Kurzstreckenbereich einsetzen wird.
Die Schiffssicherheit hat der Minister angesprochen.
Ich begrüße es sehr, dass das neu geschaffene Havariekommando am 17. Dezember in Cuxhaven auch offiziell
seine Arbeit aufnehmen kann. Ich meine, dass das ein wichtiges Signal ist in einem Gesamtkonzept, zu dem auch viele
andere Bereiche gehören. Ich kündige hier an: Wir werden
uns auch mit der Schiffssicherheit kontinuierlich weiter zu
befassen haben. Dazu wird Rot-Grün in der nächsten Sitzungswoche auch einen entsprechenden Antrag einbringen,
der sich mit den Hafenstaatkontrollen, mit dem Nothafenkonzept und mit den Doppelhüllentankern befassen wird.
Lassen Sie mich zum Schluss noch zwei Punkte ansprechen. Wir werden uns mit dem Thema Verkehrslärm
in den nächsten vier Jahren zu befassen haben, aber wir
wollen uns auch um den Ausbau der Radwege kümmern.
Wir haben hierzu im letzten Jahr ein besonderes Programm aufgelegt. Ich möchte deutlich machen, dass wir
von der SPD - ich denke, die Grünen haben wir dabei mit
im Boot - ein Programm für Radwege an Bundeswasserstraßen auflegen werden. Ich meine, dass das eine Chance
für den Tourismus und genauso für die Verkehrswirtschaft
ist. Das ist ein wichtiger Schritt voran. Ich hoffe, meine
Herren in der Opposition, Sie werden wenigstens diesem
Antrag im Ausschuss zustimmen.
Danke schön.
({3})
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege
Dr. Klaus Lippold von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Stolpe, wer sich mit Ihren Ausführungen der letzten Zeit zur Verkehrsproblematik befasst hat,
wird festgestellt haben, dass wir sehr vieles von dem, was
Sie befürchten, in vollem Umfang teilen.
({0})
Dr. Klaus W. Lippold ({1})
Ihre Meinung, dass Standortproblematik und Verkehrsproblematik zusammen betrachtet werden müssen
und dass wir hier Prioritäten setzen müssen, teilen wir. Sie
haben - das haben Sie heute nicht so stark betont; das haben Sie heute etwas eleganter überspielt - die dramatische
Situation des Verkehrsnetzes in Deutschland sehr deutlich
dargestellt. Auf diesen Punkt Ihrer früheren Ausführungen
müssen wir noch einmal zurückkommen. Wir wollen genauso wie Sie einen massiven Ausbau der Infrastruktur nicht nur im Osten, sondern auch in Westdeutschland. Wir
teilen auch Ihre Akzentsetzung, die Sie für die neuen Bundesländer vornehmen wollen, weil es hier unbestreitbar
Nachholbedarf gibt, den wir abarbeiten wollen.
({2})
Herr Minister, Sie haben gleichzeitig gesagt, dass Sie
die Erleichterung der Bildung von Wohneigentum für einen wichtigen gesellschaftspolitischen Stabilitätsfaktor
halten. Auch das teilen wir. Aber gerade diese letzte Bemerkung nehme ich zum Anlass, deutlich zu machen, dass
wir Sie natürlich in Zukunft an Ihren Aussagen messen
werden; denn es geht nicht nur um Zielformulierungen,
sondern es geht darum, wie diese Ziele in die Tat umgesetzt werden.
Angesichts der gesellschaftspolitischen Wertschätzung
von Wohneigentum ist es offensichtlich, dass Sie mit der
Kürzung der Eigenheimzulage in die völlig falsche Richtung gehen.
({3})
Das ist in dieser Form nicht Ihnen persönlich anzulasten,
denn nach Ihren Äußerungen haben auch Sie das kritisiert.
Aber, Herr Minister, Ihnen ist anzulasten, dass Sie sich
mit Ihrer Kritik nicht durchgesetzt haben. Das ist der entscheidende Punkt.
({4})
Weil wir heute schon mehrfach über einen Untersuchungsausschuss gesprochen haben,
({5})
muss ich sagen, dass die Frage der Eigenheimzulage
- Herr Schmidt, das erspare ich Ihnen nicht - natürlich ein
Beleg für die Wählertäuschung ist. Ich zitiere Herrn
Markwort, der im „Focus“ zu Beginn dieser Woche noch
einmal ganz deutlich aufgelistet hat, dass Sie in verschiedenen Äußerungen
({6})
das ganze letzte Jahr hindurch gesagt haben, dass Sie hier
nichts ändern wollen,
({7})
dass die Eigenheimzulage bleibt,
({8})
dass sie ungeheuer wichtig ist und deshalb aufrechterhalten wird. Dann haben Sie sie gekürzt. Der Kanzler, der ja
für die Politik verantwortlich ist, hat kurz vor der Wahl in
einem Interview deutlich gemacht, Zweifel seien nicht angebracht. Er stehe de facto dazu. Das ist in der „Siedlerzeitung“ nachzulesen. Wenn das Wort „Wählertäuschung“ hier von einem Journalisten gebraucht wird,
werden Sie darauf hoffentlich in anderer Weise reagieren
und es nicht, wie Sie sonst üblich, als parteipolitische Polemik abtun.
Nein, so kann man es nicht machen: noch bis zur letzten Sekunde sagen: „Das steht; das ist stabil; es ändert sich
nichts“ und hinterher ganz rasch nach dem Motto „Wird
ja wohl nicht besonders auffallen“ Einschnitte vornehmen. Das ist Wählertäuschung. Das lassen wir Ihnen nicht
durchgehen.
({9})
Ich sage das, weil es natürlich in einem grundsätzlichen Zusammenhang mit der miserablen Situation in der
Bauwirtschaft steht.
({10})
Dieser Punkt trägt mit dazu bei, aber er ist nicht der einzige. Die miserable Situation in der Bauwirtschaft ist zum
einen durch die Konjunktur bedingt. Aber durch das Umfeld, das Klima, das Sie schaffen,
({11})
tragen Sie ganz erheblich dazu bei, dass die Lage für die
Bauwirtschaft immer schlechter wird. Ich denke an die
stetigen Diskussionen um die Vermögensteuer und um die
Erhöhung der Erbschaftsteuer. Was Sie sich in der letzten
Zeit für ein Chaos in der Vermögensteuerdiskussion geleistet haben, können Sie überall nachlesen. Hier ist etwas
gesagt worden, dort ist etwas gesagt worden. Der Kanzler
hat zum 25. Mal ein Machtwort gesprochen: Ende der
Diskussion. - Das wird so sein wie bei den 24 Malen vorher: Das Machtwort hält genau einen Tag und dann geht
die Diskussion weiter,
({12})
weil dieser Kanzler nicht nur in der Öffentlichkeit an Vertrauen verloren hat, sondern sich mittlerweile auch in der
eigenen Fraktion nicht mehr durchsetzen kann.
({13})
Es ist doch erstaunlich, dass er die Frage der Vermögensteuer nicht hier, in der Generaldebatte im Deutschen
Bundestag, anspricht, sondern im ZDF, wo er Herrn
Müntefering nicht ins Gesicht gucken muss. Er würde ihm
natürlich deutlich machen: So läuft es nicht, Junge. Das
ist ein anderes Spiel. - Nein, so geht das nicht.
({14})
Die Frage der Besteuerung von Immobilien stellt sich
auch im Zusammenhang mit der Alterssicherung. Sie dürfen sich doch nicht wundern, dass nicht nur der Einfami1108
lienhausbau, sondern dass auch Mietwohnungsbau und
Industriebau zurückgehen. Das verdanken Sie dem Umfeld, dem Klima, das politisch Sie zu verantworten haben.
Deshalb sind Sie auch verantwortlich für den Rückgang
der Zahl der Arbeitsplätze in der Bauindustrie.
Wir lassen dem Kanzler auch überhaupt nicht durchgehen, dass er gestern in einem Halbsatz - er hat ja sonst
über Arbeitslosigkeit nicht gesprochen, weil das für ihn
ein Sekundärproblem in dieser Republik ist - davon gesprochen hat, die Bauwirtschaft sei „übersetzt“. Er stellt
das somit quasi als einen Normalisierungsvorgang dar.
Nein, das ist Folge verfehlter Politik.
Wie stellt sich denn die Situation dar? Wir hatten Ende
der 80er-Jahre im Westen dieser Republik 960 000 Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft, nach der Wiedervereinigung
waren es 1,5 Millionen. Man kann sicherlich sagen: Das
war übersetzt. Aber jetzt, Herr Stolpe, haben wir 860 000 im
glücklicherweise wieder vereinigten Deutschland. Dies
ist nicht mehr übersetzt. Jetzt greift die Strukturkrise in
Verbindung mit der generellen Konjunkturkrise und bewirkt, dass Arbeitsplätze, die erhalten werden könnten,
verloren gehen, und der Kanzler schaut mit der ruhigen
Hand zu.
Ferner wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie auch Programme überprüfen würden, die Sie vor der Wahl zum
Beispiel im städtischen Bereich für ein Jahr aufgelegt,
aber nach der Wahl sofort auf Null gestellt haben. Das hat
nichts mit Kontinuität zu tun.
({15})
Herr Minister, ich möchte Sie insbesondere darum bitten, dass Sie die Bahn nicht wie Ihr Vorgänger, dem ich
das mehrfach vorgeworfen habe, einfach so aus dem
Ruder laufen lassen. Herr Bodewig tanzte nach der Melodie, die Herr Mehdorn vorgegeben hat. Dies hatte fatale
Folgen. Nach außen wird gesagt: Die Bahn bedient die
Fläche. Realität aber ist: Anschlüsse, Gleise und Verbindungen werden stillgelegt. Das kann es nicht sein, Herr
Mehdorn - Entschuldigung, Herr Stolpe. Dies ist mir auch
bei Herrn Bodewig passiert, den ich immer mit Mehdorn
angeredet habe, weil dieser der eigentliche Inspirator war.
Herr Stolpe, der Hauptpunkt ist: Wenn wir mehr Wettbewerb schaffen und dafür sorgen, dass die Strecken, die
die Deutsche Bahn nicht mehr will, von anderen genutzt
werden können, sieht die Situation ganz anders aus. Deshalb erwarte ich, dass Sie zu mehr Wettbewerb und zu
mehr Verlagerung nicht nur etwas sagen, sondern auch etwas tun. Auch daran werden wir Sie messen.
({16})
Ich habe gehört, dass Sie, der Kanzler und noch ein
Dritter jetzt wieder eine Pilgerfahrt nach Schanghai unternehmen werden. Ich will noch einmal deutlich sagen:
Es kann nicht richtig sein, jetzt permanent in Schanghai
zu demonstrieren, was deutsche Technologie ist. Sie hätten sich früher überlegen sollen, den Transrapid hier einzusetzen; dann wäre es ganz anders gekommen.
Lassen Sie mich noch etwas zur ICE-Strecke ErfurtNürnberg und den Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“
sagen, weil ich das für sehr wichtig halte. Den Ausbau der
ICE-Strecke von Erfurt nach Nürnberg haben - das haben
wir nicht vergessen - Ihre Freunde 1999 gestoppt. Wenn
dieser Ausbau jetzt endlich mit dem nötigen Nachdruck
versehen wird, ist dies aus meiner Sicht richtig. Wenn man
später über den Anschluss Erfurt-Berlin nachdenkt, ist das
angebracht; denn wir brauchen auch diese Verbindung.
Ich glaube, dass wir hier einer Meinung sind. Herr Stolpe,
ich erwarte aber auch, dass Sie so konsequent handeln,
wie Sie es hier angekündigt haben. Hoffentlich werden
Sie das auch einhalten.
({17})
Einige wenige Sätze zum Straßenbau: Ich halte die
Art und Weise, wie Sie die Einnahmen durch die Maut
verwenden wollen, für nicht akzeptabel. Sie stopfen damit
die eichelschen Haushaltslöcher, statt dieses Geld in
vollem Umfang in die Infrastrukturmaßnahmen zu
stecken und damit zum Ausbau des Straßen- und Schienennetzes beizutragen.
Ich wiederhole es: Die Maut ist nicht dazu da, die
eichelschen Haushaltslöcher zu stopfen. Hier müssen die
Akzente anders gesetzt werden. Wir müssen ferner die
Belastungen des Verkehrsgewerbes durch die Harmonisierung in der EU einigermaßen ausgleichen, damit - wie
dies einige Vorredner schon gesagt haben - das deutsche
Verkehrsgewerbe nicht kaputtgeht, das ausländische Verkehrsgewerbe auf den deutschen Markt drängt und somit
auch hier, wie im Baubereich, Arbeitsplätze verloren gehen, die wir in unserer Republik erhalten sollten und
müssten.
({18})
Ich möchte noch eine kurze Anmerkung zu den Wasserstraßen machen. Meine sehr verehrten Damen und
Herren von der Regierungskoalition, man kann Wasserstraßen auch ökologisch verträglich ausbauen. Was Sie
hier diskutieren, ist der Versuch, die Hochwasserkatastrophe zu instrumentalisieren. Sie gehen einen falschen Weg.
Wir brauchen die Wasserstraßen. Wir brauchen auch die
Flusswasserstraßen, um Alternativen zum Straßenverkehr
zu haben. Das kann in ökologischer Weise geschehen und
Sie sollten sich nicht gegen jeglichen Ausbau - dies steckt
ja hinter Ihren Ausführungen - sträuben.
({19})
In dem Sinne haben wir noch viel zu tun. Gehen wir es
gemeinschaftlich an.
({20})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Pau.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Minister Stolpe, Sie haben in Ihrer Antrittsrede zwei Sätze
gesagt, die ich heute gerne aufgreifen möchte. Satz eins:
Ich will meine Arbeit in Kontinuität ... gestalten und
dabei auch die erfolgreiche Arbeit ... weiterführen.
Dr. Klaus W. Lippold ({0})
Der Kollege Friedrich von der FDP kommentierte das mit
dem Zwischenruf „So erfolgreich kann sie nicht gewesen
sein!“. Ich stimme der FDP selten zu. Aber hier muss ich
sagen: Wo sie Recht hat, hat sie Recht.
Wir haben in den neuen Bundesländern eine reale Arbeitslosigkeit von über 30 Prozent, Tendenz steigend. Wir
haben es mit einer anhaltenden Abwanderung insbesondere junger Leute zu tun. Angesichts dieser Tatsache sieht
es nach Traumtänzerei aus, wenn Sie in Kontinuität an Erfolge anknüpfen wollen. Vielmehr wäre kritisch zu prüfen, was falsch läuft, und umzusteuern.
Meine Kritik wird übrigens höchstamtlich geteilt. Nehmen Sie nur den jüngsten Beschäftigungsbericht der EU.
Er weist nach, dass die Lage in Ostdeutschland besonders
dramatisch ist. Deshalb wird im EU-Bericht ein umfassendes Konzept für die östlichen Bundesländer mit regionalen arbeitsmarkt- und strukturpolitischen Maßnahmen
eingefordert.
Nun zum zweiten Satz aus Ihrer Antrittsrede, Herr
Minister Stolpe - ich zitiere -:
Der Aufbau Ost ist eine Aufgabe aller Ressorts.
Diesem Punkt stimme ich nun wiederum ausdrücklich zu.
Er hat sich aber offenbar unter Ihren Koalitionskollegen
noch nicht herumgesprochen. Nehmen wir nur das viel
gepriesene Hartz-Konzept. Es ist nicht osttauglich; denn
es verschärft die Probleme nur, anstatt sie zu lösen.
({1})
Dies ist eine Kritik, die übrigens generell auf strukturschwache Regionen zutrifft. Sie müssten das aus der Erfahrung der vergangenen zwölf Jahre eigentlich besser
wissen, Herr Stolpe.
Sie haben auch heute wieder zu Recht zur Angleichung
der Lebensverhältnisse in den neuen Bundesländern an
das Durchschnittsniveau West aufgerufen und stellen es
bis zum Jahr 2007 in Aussicht. Das ist grundsätzlich richtig. Nur, nach allem, was ich im Haushaltsplan lese,
komme ich zu dem Schluss: Ihre Ankündigung ist bisher
nicht mit einem einzigen Cent untersetzt. Ich habe mir
nicht nur den Einzelplan 06, der traditionell den öffentlichen Dienst umfasst, angesehen, sondern alle Teile. Ich
finde darin nicht einen einzigen Cent zu dieser Ankündigung. So kann man kein Vertrauen gewinnen und so kann
man die Bürgerinnen und Bürger insbesondere im Osten
nicht zum Mittun motivieren.
({2})
Sie verweisen, Herr Minister Stolpe, auf die Chancen
für die neuen Bundesländer, die in der EU-Osterweiterung liegen. Das ist ein Thema, das schon heute viele bewegt, und zwar aus sozialer Sicht nicht nur erwartungsfroh. Durch mehrere EU-Länder wurde angemahnt, eine
Sozialcharta mit Mindeststandards zu vereinbaren. Es war
ausgerechnet der Vertreter der Bundesregierung im EUKonvent, Ihr Kollege Glotz, der das damals als pure „Zeitverschwendung“ abtat. Inzwischen hat der Herr Bundesaußenminister Fischer seinen Platz im Konvent
eingenommen. Von einer europäischen Sozialcharta höre
und lese ich bei Rot-Grün indes nichts.
Eine abschließende Bemerkung. Auch in den vergangenen zweieinhalb Tagen hörte ich wieder Sätze wie: In
den neuen Bundesländern ist das noch nicht so wie bei
uns! - Solange Minister und Mitglieder des Bundestages
so denken: In den neuen Bundesländern ist das noch nicht
so wie bei uns, so lange bleibt der Aufbau Ost für viele wie
etwas aus dem Ausland, also etwas Fremdländisches.
Deshalb wiederhole ich: Das zitierte „Weiter so“ ist
keine Lösung. Sie, nein, wir alle brauchen einen Neuansatz. Anderenfalls wird der Aufbau Ost zwar teurer, aber
garantiert nicht besser. Ich gebe zu, auch die PDS hat nicht
den Stein der Weisen. Aber unsere Vorschläge und Konzepte liegen vor. Ich stelle Sie Ihnen gern noch einmal zur
Verfügung.
Danke.
({3})
Als nächster Redner hat der Kollege Peter Hettlich,
Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der bevorstehende Bevölkerungsrückgang,
unsere internationalen Verpflichtungen zum Klimaschutz,
die ungebremste Zersiedlung zulasten der Städte und ihrer Infrastruktur, die damit verbundene dringende Notwendigkeit der Reduzierung des Flächenverbrauchs von
derzeit 130 Hektar pro Tag auf 30 Hektar bis zum Jahr
2020 und das Erfordernis einer Stärkung des Faktors Arbeit in der Bauwirtschaft - dies alles lässt nur einen
Schluss zu: Wir müssen die Bau- und Wohnungspolitik
vom Kopf wieder auf die Füße stellen.
Im Zusammenhang mit dem hier zu diskutierenden
Haushalt heißt das vor allem, dass wir mit unserer Politik
weiterhin die Förder- und Investitionsmittel nicht auf
Mengenwachstum, sondern auf Bestandspflege und Bestandssanierung konzentrieren müssen. Im Zuge der ökologischen Finanzreform werden wir daher Subventionen
und Förderungen, die der Politik der Nachhaltigkeit widersprechen, abschmelzen.
({0})
Die Änderung der Eigenheimzulage insbesondere
durch die Gleichstellung von Neubau- und Bestandsförderung und die Verringerung des Fördervolumens ist ein
erster Schritt in die Richtung. Denn die Eigenheimzulage
stellt immerhin einen der größten Ausgabeposten im
Bundeshaushalt dar. Sie ist zudem der größte wohnungspolitische Einzelfaktor. Die für 2002 erwarteten Steuerausfälle belaufen sich auf über 9 Milliarden Euro. Dies
entspricht fast der Hälfte des gesamten wohnungspolitischen Fördervolumens und etwa 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
Die in Teilen unseres Landes gesättigten Wohnungsmärkte, die zunehmende Stadt-Umland-Wanderung, die
durch die Eigenheimzulage möglicherweise sogar mitverursachten Bodenpreissteigerungen, die Gefahr eines Immobilienwerteverfalls, wenn wir trotz rückläufiger Nachfrage den Neubau künstlich auf einem hohen Niveau
subventionieren, und die Überkapazitäten in der Bauwirtschaft legen ein Abschmelzen des Fördervolumens und
einen Abbau der Neubauförderung ebenso nahe wie die
Tatsache, dass es in der Vergangenheit kaum einen Haushalt gab, der die Zulage nicht in Anspruch nehmen konnte.
Mit anderen Worten: Viele Haushalte hätten auch ohne
die Zulage gebaut oder bauen können. Rentenbezieher etwa
oder selbst Familien mit anderweitigem Immobilieneigentum konnten und können sich dank steuerlich niedriger Einkünfte zum Kreis der Zulageberechtigten zählen, obwohl ihr
tatsächliches Haushaltseinkommen dies kaum nahe legen
dürfte.
Auch das sei gesagt: Die Entlastungen bei den baulichen
Investitionen durch die derzeit sehr günstigen Zinssätze liegen deutlich über dem Niveau der alten Grundförderung der
Eigenheimzulage. Aber trotz Rückgangs der Zinssätze und
trotz Förderung durch die Eigenheimzulage gingen die
Wohnungsbauaktivitäten seit 1997 deutschlandweit zurück.
Deshalb gestalten wir die Förderpolitik um. Dazu
gehört für uns das neue Eigenheimzulagegesetz.
({1})
Der Klimaschutz am Bau bildete bereits in der vergangenen Wahlperiode einen Schwerpunkt rot-grüner
Baupolitik. Das mit 200 Millionen Euro pro Jahr ausgestattete Altbausanierungsprogramm I wird fortgeführt.
Gleichzeitig wollen wir es stärker auf die Bedürfnisse der
Wohnungsunternehmen zuschneiden. Darüber hinaus
stocken wir den Ökobonus bei der Eigenheimzulage auf
300 Euro pro Jahr auf.
({2})
Zur Erschließung weiterer Energieeinsparpotenziale insbesondere bei Ein- und Zweifamilienhäusern stellen wir
außerdem zusätzlich 150 Millionen Euro für ein eigenständiges Altbausanierungsprogramm II aus Ökosteuermitteln zur Verfügung.
({3})
Der wohnungswirtschaftliche Strukturwandel in
den neuen Ländern - übrigens nicht nur dort, sondern
mehr und mehr auch in den alten Ländern - erfordert weiterhin erhebliche Anstrengungen.
Das Programm „Stadtumbau Ost“ mit einem Bundesanteil von 1,1 Milliarden Euro bis 2009 beruht maßgeblich auf unseren Initiativen in der letzten Wahlperiode.
Die Beteiligung von mehr als 250 ostdeutschen Kommunen am Wettbewerb „Stadtumbau Ost“ hat alle Erwartungen übertroffen. In dieser Wahlperiode gilt es, das Erreichte zu sichern und weiterzuentwickeln.
Im Jahr 2003 wird für Rückbau und städtebauliche
Aufwertung ein Verpflichtungsrahmen von 153 Millionen
Euro zur Verfügung gestellt. Hinzu kommen 26 Millionen
Euro für das Sonderprogramm „Wohneigentumsbildung
in innerstädtischen Altbauquartieren“. Zur Entlastung der
von Leerständen betroffenen ostdeutschen Wohnungswirtschaft werden wir außerdem die Altschuldenhilfe um
300 Millionen Euro auf 658 Millionen Euro aufstocken.
Die Bauwirtschaft befindet sich seit Ende der 90er-Jahre in einer dramatischen Talfahrt. Insbesondere die verfehlte Ostförderpolitik der Kohl-Regierung führte mit zu
den heutigen Überkapazitäten, übrigens auch im Westen.
Der demographische Trend lässt darauf schließen, dass
die Baufertigstellungszahlen im Neubaubereich weiter
abnehmen werden, während die Alterung der Wohnungsbestände und die sich ändernden Wohnbedürfnisse eine
verstärkte Nachfrage nach Bestandsmodernisierung auslösen werden. Wir unterstützen gerade dadurch die kleinen und mittelständischen Bauunternehmen, dass wir
Fördermittel wie zum Beispiel die Altbausanierungsprogramme und Investitionen in die arbeitsintensive Bestandspflege und -modernisierung lenken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Städtebau- und
Wohnungspolitik ist - dies macht der Haushaltsentwurf
deutlich - von dem Gedanken der Nachhaltigkeit geprägt.
Nur eine ökologisch und sozial verträgliche und auf
Dauer bezahlbare Politik nützt unserem Land und schafft
und erhält Arbeitsplätze. Nur eine Politik, die Umwelt und
Arbeit sinnvoll miteinander verknüpft, ist nachhaltig. Wir
machen diese Politik.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({4})
Herr Kollege Hettlich, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag sehr herzlich.
({0})
Als nächster Redner hat der Kollege Eberhard Otto von
der FDP-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vier lange Jahre saß kein Liberaler aus MecklenburgVorpommern im Deutschen Bundestag.
({0})
Das war für das Land sehr schlecht.
({1})
Nun bin ich als selbstständiger Unternehmer und Vollpraktiker aus der Baubranche hier im Deutschen Bundestag.
({2})
Ich muss Ihnen sagen: Das, was ich in diesen wenigen
Wochen bisher erlebt habe, ist unglaublich.
Ich kann einfach nicht verstehen, was die Mitglieder
der Koalition und die Regierung im Bundestag gegenwärtig veranstalten.
({3})
Eberhard Otto ({4})
Alle bis zum heutigen Tag vorgelegten Gesetzentwürfe
einschließlich der Haushaltsentwürfe haben keine wirtschaftsfördernden Maßnahmen zum Inhalt, im Gegenteil.
({5})
Das heißt, dass die deutsche Wirtschaft, insbesondere
Mittelstand, Handwerk und Gewerbe, weiter gegen den
Baum gefahren werden.
({6})
Ist Ihnen eigentlich klar: Wer die Wirtschaft gegen den
Baum fährt, fährt Deutschland in den Ruin, schadet der
Gesellschaft, verhindert Investitionen und vernichtet
Arbeitsplätze.
Mir sind soeben Informationen zugegangen, dass wir
in Mecklenburg-Vorpommern jetzt die höchste Arbeitslosenquote von ganz Deutschland haben. Das ist sehr
schlecht für unser Land.
Ich habe den Eindruck, dass viele Mitglieder der Koalitionsfraktionen hier Reden halten, die am Leben vorbeigehen. Das Gefühl der Deutschen, von der Politik verlassen zu sein, war noch nie so groß wie heute.
Meine Damen und Herren, vom neuen Minister Stolpe
hört man noch nicht sehr viel über den Ausbau Ost. Auch
im vorliegenden Haushalt sind bisher keine generellen
Lösungen zu erkennen.
({7})
Ich frage Sie, Herr Stolpe: Wo sind Ihre konkreten Konzepte für die Entwicklung der Bau- und Wohnungswirtschaft und die Infrastruktur, insbesondere für die Ostländer?
({8})
Obwohl der Osten durch eine hohe Anzahl von Abwanderungen weiter ausblutet, hört und sieht man nichts
Neues von der Bundesregierung zu diesem Thema.
Mit einer Nettoumsatzrendite von deutlich unter 1 Prozent ist das Baugewerbe der Wirtschaftszweig mit der
schlechtesten Rentabilität aller großen deutschen Wirtschaftszweige. Die Bundesregierung betätigt sich mit ihrer Politik weiterhin als Totengräber der Bauwirtschaft:
({9})
In den ersten drei Quartalen des Jahres 2002 ging die
Wohnungsbaunachfrage im Vergleich zum Vorjahr um
16,1 Prozent zurück.
({10})
Die Zahl der Wohnungsbaugenehmigungen ging in diesem Zeitraum um 9,8 Prozent zurück,
({11})
und dies vor dem Hintergrund, dass bis 2005 jährlich
340 000 neue Wohnungen einschließlich Altbausanierungen benötigt werden.
Es liegen bisher auch keine konkreten Vorschläge zum
Abbau der Bürokratie auf diesem Gebiet vor; der wäre
aber bestimmend für einen Aufschwung in ganz Deutschland. Eines kann ich Ihnen als Praktiker sagen: Diese umfangreichen Bürokratiebestimmungen machen uns kaputt.
({12})
So sieht dieser Einzelplan mit Kapitel 12/25 eine Kürzung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau um mehr
als 118 Millionen Euro vor. Diese Mittel verschwinden
einfach, obwohl sie dringend, vor allem für den Stadtumbau und zur Altstadtbausanierung, benötigt werden. Auch
diese Einsparung führt zum Rückgang der Bautätigkeit
und damit zum weiteren Abbau von Arbeitsplätzen vor allem in den neuen Ländern sowie zur weiteren Abwanderung.
({13})
Die Verknappung von Wohnungen für sozial Bedürftige wird zunehmen, da die Investitionen in der Bauwirtschaft weiter zurückgehen und Wohnen mittelfristig teurer werden wird, insbesondere auch durch den ständigen
Anstieg der Betriebs- und Wohnnebenkosten.
Sorgen Sie, Herr Minister, dafür, dass die ohnehin knapp
bemessenen Mittel für den Wohnungsbau und für die Sanierung in voller Höhe erhalten bleiben und Investitionen
sich in Zukunft wieder lohnen.
({14})
Noch eines, Herr Minister: Wenn Sie Hilfe und Unterstützung brauchen, fragen Sie mich!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({15})
Herr Kollege Otto, auch Ihnen gratuliere ich zu Ihrer
ersten Rede im Deutschen Bundestag sehr herzlich.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Norbert Königshofen
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast
am Ende der dieswöchigen Haushaltsberatungen will ich
nicht mehr im Einzelnen darlegen, dass Schröder und RotGrün sich durch Irreführung, Panikmache und Täuschungen über die Ziellinie gerettet haben. Das hat sich ja schon
herumgesprochen.
Aber es muss auch an dieser Stelle festgestellt werden,
dass die Aussagen zur Verkehrspolitik vor der Bundestagswahl vor allem das Ziel hatten, den Eindruck zu erwecken, Rot-Grün tue alles, um die lebensnotwendige
Mobilität in Deutschland zu fördern. So verkündete der
glücklose ehemalige Minister Bodewig im Juni 2002,
({0})
dass die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur in
der mittelfristigen Finanzplanung bis 2006 um 25 Prozent
gesteigert werden.
({1})
Im Monatsbericht des Bundesfinanzministers vom
September 2002 ist jedoch nachzulesen, dass in der mittelfristigen Finanzplanung - ich zitiere - „die Ausgaben
für die Verkehrsinfrastruktur von jährlich 10,3 Milliarden
Euro auf 10,6 Milliarden Euro in 2006“ ansteigen. Wie
man bei einer Veränderung von 10,3 auf 10,6 Milliarden
Euro eine Steigerung von 25 Prozent errechnen kann,
bleibt wohl das Geheimnis des entlassenen Ministers
Bodewig.
({2})
Gerade fragte ein Kollege, warum er denn glücklos gewesen sei. Ich glaube, Herr Kollege, wenn er nicht glücklos gewesen wäre, dann säße er noch auf der Regierungsbank und hätte eine andere Verwendung als die eines
normalen Abgeordneten gefunden.
Aber auch das Zukunftsprogramm „Mobilität“ für
den Zeitraum von 2003 bis 2010 mit einem Volumen von
90 Milliarden Euro,
({3})
das Sie, Herr Minister Stolpe, zwar nicht erfunden, aber
von Ihrem Vorgänger übernommen haben, muss kritisch
hinterfragt werden. Es steht unter Finanzierungsvorbehalt, unter anderem deshalb, weil es auf die Mobilisierung
privaten Kapitals setzt, das heißt, es soll also Geld ausgegeben werden, von dem man zurzeit gar nicht weiß, ob es
überhaupt zur Verfügung steht.
Wir erleben das gerade beim so genannten Anti-StauProgramm, das mit der LKW-Maut finanziert werden
soll: Noch im Haushaltsentwurf für 2003, der im September, kurz vor der Wahl, im Deutschen Bundestag eingebracht wurde, waren für das kommende Jahr 1,25 Milliarden Euro an Einnahmen aus der Maut veranschlagt.
Davon sollten 686,8 Millionen Euro in das Anti-Stau-Programm fließen. Im Entwurf vom November, den wir jetzt
diskutieren, sind es nur noch 900 Millionen Euro, von denen lediglich 37,6 Millionen Euro für die Bundesfernstraßen, Bundeswasserstraßen und die Eisenbahn vorgesehen sind. Das sind gut 649 Millionen Euro weniger als
vor zwei Monaten. Und das hat die Regierung vor der
Wahl nicht gewusst?! Ich glaube, dass selbst bei der SPD
und bei den Grünen das niemand glaubt.
Bei dieser Gelegenheit will ich auch noch einmal deutlich machen, dass die Einnahmen aus der LKW-Maut nur
zum Teil in die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur
fließen sollen. Herr Minister Stolpe sagte noch am 30. Oktober an dieser Stelle, sie flössen „zu mehr als 50 Prozent
wieder in die Verkehrswege“. Das heißt aber, der andere
Teil dient von vornherein zur allgemeinen Haushaltssanierung.
({4})
Ich will noch einmal für die Union darstellen: Nach
unserer Auffassung soll die Maut helfen, Mittel für die
Verkehrsinfrastruktur zu mobilisieren, um insbesondere
im Bereich Straße den chronischen Investitionsstau zu
beheben.
({5})
Wir beteiligen uns aber nicht an Ihrem Vorhaben, das Güterverkehrsgewerbe zu schröpfen, um Eichel „fresh money“ zuzuführen. Das Güterverkehrsgewerbe wird schon
über die Mineralölsteuer in Höhe von fast 45 Milliarden
Euro herangezogen.
({6})
Und jetzt kommt das noch hinzu. Das Güterverkehrsgewerbe ist nicht der Packesel der Nation.
Auch der Ausgleich in Höhe von 300 Millionen Euro,
den Sie dem Gewerbe in Aussicht gestellt haben, ist nach
unserer Auffassung viel zu gering. Damit wird die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Güterverkehrsgewerbes
nicht wieder hergestellt.
({7})
- Der Unterschied ist, dass alle unsere Aussagen sofort
nachprüfbar sind, während Ihre Aussagen erst hinterher
nachgeprüft werden können und sich dann als falsch erweisen, wie wir das hier nachweisen können.
({8})
Seit dem Jahr 1999 stellt der Bund jährlich 51,13 Millionen Euro für die Lärmsanierung an bestehenden
Schienenwegen zur Verfügung. Wir begrüßen dieses Programm ausdrücklich. Angesichts der Tatsache, dass von
1999 bis 2001 gerade einmal 27,3 von 153 Millionen Euro
abgeflossen sind, das heißt nicht einmal 18 Prozent, hoffen wir, dass das Programm zur Verbesserung des Lärmschutzes an Bundesautobahnen, das Sie, Herr Minister
Stolpe, angekündigt haben, erfolgreicher sein wird und
dass diese Mittel auch tatsächlich abfließen.
({9})
Denn die lärmgeplagten Anrainer haben kein Verständnis
dafür, dass groß angekündigte Programme, wenn sie
schon einmal Eingang in den Haushalt gefunden haben,
nicht zügig umgesetzt werden.
In diesem Zusammenhang erinnere ich an die Novellierung des Fluglärmgesetzes. Die Grenzwerte des geltenden Gesetzes werden von der Rechtsprechung seit Jahren als unzureichend erklärt. Schon in der letzten
Legislaturperiode haben Sie versprochen, das Fluglärmgesetz zu novellieren. Aber Sozialdemokraten und Grüne
konnten sich nicht einigen. Dabei waren wohl vor allem
die Vorstellungen von Herrn Trittin und seinen Gesinnungsfreunden mit den Erfordernissen einer modernen
mobilen und globalisierten Gesellschaft nicht in Einklang
zu bringen. Es ist offensichtlich bei vielen Grünen so,
meine Damen und Herren, dass man einerseits den Luftverkehr öffentlich verteufelt, bei seinen privaten Fernreisen aber gern auf das Flugzeug zurückgreift.
({10})
Ich wünsche Ihnen, Herr Minister Stolpe, in dieser Legislaturperiode mehr Erfolg und biete Ihnen hier ausdrücklich die Kooperation der CDU/CSU an.
({11})
- Das ist richtig. Immer dann, wenn Sie auf uns hören,
kann nichts schiefgehen. Das haben Sie gut erkannt.
({12})
In jedem Jahr hören wir das Glaubensbekenntnis der
Regierungsparteien, dass die Haushaltsmittel für die
Schiene denen der Straße entsprechen müssten.
({13})
Das Problem dabei ist aber, dass die Bahn immer wieder
Schwierigkeiten hat, die angesetzten Mittel zu verbauen.
So hat die Deutsche Bahn AG im Jahr 2001 fast 600 Millionen Euro verfallen lassen und im laufenden Jahr wird
das noch ein größerer Betrag sein.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja. - Ich hätte gerne noch etwas zum Metrorapid gesagt, aber die Redezeit ist abgelaufen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen, Herr Stolpe, im Interesse unseres Volkes, dass
Sie erfolgreicher sein werden als Ihr Vorgänger.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Spanier von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Diese Haushaltswoche war, zumindest was die Rolle der
Opposition betrifft, nicht gerade glanzvoll.
({0})
Das gilt auch für die Reden, die Sie heute hier zum Einzelplan 12 gehalten haben.
Für den Haushalt 2003 und auch die mittelfristige Finanzplanung gelten zwei wichtige Maßstäbe. Erstens sind
die finanzpolitischen Rahmenbedingungen zu nennen.
Zwingend notwendig ist die Konsolidierung der Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden.
({1})
Zweitens sind die mittel- und langfristigen Ziele unserer
Städtebau- und Wohnungspolitik zu nennen.
Ich stelle fest: Äußerungen zu beiden Maßstäben weichen Sie aus.
({2})
Kein Wort über das Thema Haushaltskonsolidierung
({3})
und auch kein inhaltliches Wort zur Städtebau- und Wohnungspolitik! Das sind wir seit zwei Jahren von Ihnen gewohnt. Kein einziger Beitrag dazu in den letzten Jahren!
Max Weber hat einmal gesagt, Politik sei das langwierige
Bohren dicker Bretter.
({4})
Mit Verlaub, ich stelle fest: Sie haben selbige offensichtlich vor Ihren Köpfen.
({5})
Kein Wort dazu, dass es zwingend notwendig ist, in
der Städtebau- und Wohnungspolitik einen Paradigmenwechsel nicht nur einzuleiten - das haben wir in der letzten Legislaturperiode getan -, sondern auch konsequent
fortzusetzen. Kein Wort höre ich von Ihnen zum demographischen Wandel. Kein Wort von der Änderung der
Altersstruktur.
({6})
Kein Wort von der Binnenwanderung, kein Wort von Versiegelung und Flächenverbrauch, kein Wort von sich differenzierenden Anforderungen an das Wohnen, an die
Qualität des Wohnens, kein Wort zur sozialen Balance in
den Städten! Kein Wort dazu, dass wir die Städtebau- und
Wohnungspolitik verzahnt auf diese Entwicklungen hin
ausrichten müssen! Kein Wort davon, dass die alten Maßstäbe - gute Wohnungspolitik bemisst sich allein an den
Fertigungszahlen - längst überholt sind und dass wir unseren wichtigen Beitrag zu einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie zu leisten haben.
({7})
Erste wichtige Schritte haben wir bereits eingeleitet: die
Reform der sozialen Wohnraumförderung, die Programme
„Soziale Stadt“, „Stadtumbau Ost“, „Stadtumbau West“
({8})
und das Projekt „City 21“. Der Haushalt 2003 ist konsequent auf diese Ziele ausgerichtet
({9})
und - das ist unter den Konsolidierungsbedingungen keineswegs selbstverständlich - er hat das gleiche Volumen
wie der Haushalt 2002.
({10})
Mit diesem Haushalt 2002 waren Sie nahezu einverstanden; sonst hätten zum Beispiel Sie von der CDU/CSU in
ihren Anträgen ja nicht nur äußerst geringfügige Änderungen dazu verlangt.
({11})
Deswegen verstehe ich nicht, dass von Ihnen in den
Sitzungen dieser Woche nur Folgendes zu hören war: ein
dumpfes Nein zu allen Reformvorschlägen
({12})
und ein dumpfer Ruf nach mehr Geld bei allen Positionen,
die Sie angesprochen haben.
Die wichtigsten Punkte im Haushaltsplan hat schon
Herr Hettlich angesprochen.
({13})
Ich möchte die Kontinuität in der Neuorientierung der
Städtebau- und Wohnungspolitik ansprechen; auch dies
ist ein wichtiger Punkt. Die Kontinuität wird dadurch
deutlich, dass das Finanzvolumen gegenüber 2002 gleich
geblieben ist. Das gilt für das Programm „Soziale Stadt“
genauso wie für die Programme „Stadtumbau Ost“ und
„Stadtumbau West“ sowie für die Städtebauförderung in
den neuen und in den alten Ländern.
Zusätzlich - das hat Minister Stolpe eben zu Recht betont - gibt es 300 Millionen Euro mehr für die Altschuldenhilfe. Diese sind dringend notwendig, um den Stadtumbau Ost voranzutreiben und um die Wohnungsgesellschaften in die Lage zu versetzen, ihren dringend notwendigen Beitrag hierzu zu leisten.
Zusätzlich zu den Programmen aus dem Haushaltsjahr
2002 haben wir aus dem Mehraufkommen der Ökosteuer
ein Gebäudesanierungsprogramm in der Größenordnung
von 150 Millionen Euro aufgelegt. Dieses Programm ist
eine wichtige Ergänzung unseres Gebäudesanierungsprogramms, das übrigens überaus erfolgreich läuft und das
maßgeblich mit dazu beigetragen hat, dass die Modernisierung, und zwar vor allen Dingen die energetische
Modernisierung, unseres älteren Wohnungsbestandes
Schritt für Schritt vorankommt.
({14})
Was bietet die Opposition? Ich habe mir die Protokolle
unserer letzten wohnungspolitischen Debatte vom 13. Juni
- drei Monate vor der letzten Wahl - durchgelesen. Was
haben die Herren Dr. Kansy, Oswald und Meister vorgetragen? - Eine Latte von finanziellen Versprechungen und
finanziellen Forderungen!
({15})
Der Altschuldenerlass wurde von Ihnen, lieber Kollege
Oswald, für alle Wohnungen im Osten gefordert. Sie wollten mehr Geld für das Programm „Soziale Stadt“. Im Rahmen der Eigenheimzulage haben Sie mehr Geld für die
Neubauförderung, den Bestandserwerb und für die Familien gefordert. Selbstverständlich wollten Sie auch bei der
sozialen Wohnraumförderung eine massive Aufstockung.
({16})
Darüber hinaus haben Sie verbesserte Abschreibungsbedingungen und die Wiedereinführung des Vorkostenabzugs gefordert. - Das alles waren milliardenschwere
Wahlversprechen. Zugleich waren das aber auch milliardenschwere Illusionen, weil Sie die finanziellen Rahmenbedingungen, die Ihr haushaltspolitischer Sprecher in diesem Jahr schon mehrfach vorgetragen hat, völlig ausgeblendet haben.
({17})
So kann man keine Politik machen. Letztlich ist das verantwortungslos.
({18})
Und die Reden heute? Natürlich wurden - das muss ich
Ihnen, Herr Oswald, so deutlich sagen - wieder die alten
Geschichten vorgetragen: Sie wollen keine Erhöhung der
Ökosteuer im nächsten Jahr. Das entspricht mal eben
2,3 Milliarden Euro, ohne dass Sie den geringsten Hinweis geben, wie das auf der Einnahmenseite oder auf der
Ausgabenseite angesichts der äußerst schwierigen Haushaltslage kompensiert werden soll.
({19})
Auch die Forderung nach mehr Geld für Straßen tragen
Sie schon immer plakativ vor sich her. Sie haben aber keinen Hinweis gegeben, wie das unter den gegebenen Bedingungen, die man nicht einfach wegwischen kann, zu
leisten ist.
({20})
Lieber Herr Lippold, ich habe den Artikel im „Focus“,
den Sie angesprochen haben, nicht gelesen, allerdings bin
ich auch nicht so gläubig gegenüber Zeitungsartikeln wie
Sie. Hier in diesem Parlament haben wir im Vorfeld mehrfach über das Thema Eigenheimzulage gesprochen.
Mehrfach haben wir, meine Kollegin Franziska EichstädtWolfgang Spanier
Bohlig wie auch ich, gesagt, das Eigenheimzulagengesetz
gehöre auf den Prüfstand.
({21})
Die Neuorientierung der Städtebau- und Wohnungspolitik
verlangt eine Neujustierung aller Förderinstrumente.
({22})
Einen Teil davon haben wir bereits in der letzten Legislaturperiode geschafft. Das, was noch wichtig ist, machen
wir in dieser Legislaturperiode.
Das Entscheidende ist: Bevor die strukturellen Veränderungen, die wir vorgeschlagen haben, in die öffentliche
Diskussion gekommen sind, haben wir darüber gesprochen. Ich nenne als Beispiel das neue Verhältnis von Bestandserwerbsförderung und von Neubauförderung. Ich
mache keinen Hehl daraus: Unter anderen finanziellen
Rahmenbedingungen hätte ich als Wohnungspolitiker das
Gesamtvolumen der Eigenheimzulage durchaus für sinnvoll gehalten.
Wir hätten es strukturell sicherlich deutlich effizienter und
sinnvoller ausgegeben. Aber ich muss doch einfach anerkennen, wie die Haushaltslage ist, nicht nur im nächsten
Jahr, sondern auch in den kommenden Jahren, nicht nur im
Bund, sondern auch in den Ländern und den Kommunen.
({23})
Dem muss ich Rechnung tragen. Ich kann doch nicht
einfach mit irgendwelchen Forderungen und Versprechungen durchs Land ziehen, wie Sie das in den letzten
Wochen und Monaten leider häufig tun. Auch die Sache
mit der Wählertäuschung, Herr Lippold, sollten Sie zumindest in Bezug auf dieses Parlament noch einmal überprüfen. Sie haben Zugang zu den Protokollen.
Herr Kollege Spanier, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Storjohann?
({0})
Ja, selbstverständlich.
Bitte schön.
Herr Kollege Spanier, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass der Bundeskanzler in der Zeitschrift des
Deutschen Siedlerbundes im September dieses Jahres
praktisch eine Garantie für die Eigenheimzulage gegeben
hat?
({0})
Ich habe keinerlei Kenntnis davon, dass wir sie abgeschafft hätten.
({0})
Wir haben sie strukturell verändert. Diese klare Aussage
haben wir schon im Vorfeld gemacht.
({1})
- Wenn Sie mir die Kopie zur Verfügung stellen, bin ich
Ihnen dankbar. Dann habe ich für heute Abend etwas zu
lesen. Wir haben keineswegs die Eigenheimzulage abgeschafft oder gestrichen, sondern sie - das betone ich noch
einmal - strukturell sinnvoll verändert.
({2})
Wenn Sie sich endlich einmal wieder auf die städtebau- und wohnungsbaupolitische Diskussion inhaltlich
einlassen würden - ich meine das, was die Fachwelt, der
Deutsche Städtetag und der GdW seit Jahren an Neuorientierungen fordern -, dann würden Sie mit uns über
die strukturellen Veränderungen anders reden, als Sie
das heute tun. Sie schweigen nämlich schlicht und einfach.
Noch eine Schlussbemerkung zum Thema Maut, die
Waigel ({3})
- ich habe ihn noch in schmerzlicher Erinnerung -,
({4})
die Finanzminister Hans Eichel angeblich abkassiert. Lieber Herr Lippold, wo sind denn die Einnahmen aus der
Vignette in den vergangenen Jahren geblieben? Standen
die etwa dem Haushaltsplan 12 zur Verfügung?
({5})
Wurden sie etwa in Straßenbaumaßnahmen investiert?
Nein, sie sind schlicht und einfach beim Bundesfinanzminister Waigel geblieben.
Sie sollten mit Ihren Kommentaren ein Stückchen
zurückhaltender sein. Sie haben heute Abend richtig nett
angefangen. Aber dann mussten Sie den Schlenker zu diesem elendigen Lügenthema machen. Zu dem Vorschlag,
den Untersuchungsausschuss einzurichten, können wir
Sie nur beglückwünschen.
({6})
Warten wir ab, wie das Ganze ausgehen wird. Mit Schaumschlägerei und wilder Polemik kann man in diesem Land
keine Politik machen. Die Bürgerinnen und Bürger werden nur allzu bald davon die Nase voll haben.
Herzlichen Dank.
({7})
Als letzter Redner hat der Kollege Klaus Minkel von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Rede des Herrn Ministers hat mir ausnehmend
gut gefallen. Im Gegensatz zum Bundeskanzler hat er die
Opposition nicht beschimpft. Deshalb läuft er auch nicht
Gefahr, von uns beschimpft zu werden.
({0})
Es wird hier auch niemand diffamiert. Trotzdem muss ich
warnen: Wenn hier ab und an die Wahrheit gesagt wird,
dann kann das hart genug sein.
Der Minister hat in seiner Rede einen weiten Bogen geschlagen: vom Golf von Biscaya über Köln, Pirmasens bis
Leinefelde. Auch zum Infrastrukturaufbau hat er Wesentliches gesagt. Trotzdem ist diese Rede seltsam hinkend
dahergekommen. Ein wesentlicher Bereich seines Geschäftsbereiches, nämlich der Wohnungsbau, kam in der
Rede praktisch überhaupt nicht vor.
({1})
Deshalb möchte ich den Teil der Rede ergänzen, den der
Minister nicht gehalten hat.
({2})
Ich bin seit über 20 Jahren sowohl dem sozialen Wohnungsbau als auch dem frei finanzierten Wohnungsbau beruflich verbunden. Die Bauwirtschaft ist immer noch eine
Schlüsselindustrie in Deutschland und der Wohnungsbau
hat bisher einen wesentlichen Teil dieser Schlüsselindustrie ausgemacht. Zurzeit liegt der Wohnungsbau todkrank
am Boden, aber statt Medizin verabreicht diese Bundesregierung dem Wohnungsbau blankes Gift.
Ich möchte zunächst auf die kleinen Täuschereien eingehen, die auch in diesem Haushaltsplan eine Rolle spielen. Vor der Wahl ist das Metropolenprogramm mit
70 Millionen Euro mit großem Getöse ins Schaufenster
gestellt worden. Nach der Wahl aber kommt dieses Programm im Haushalt 2003 nicht mehr vor. Die Städtebauförderung West ist vor der Wahl auf 150 Millionen
Euro aufgestockt worden. Nach der Wahl verflüchtigt sich
dieses Programm auf 42 Millionen Euro.
Schlecht ist immer derjenige dran, dessen Angelegenheiten sich der Kanzler als Chefsache angenommen hat.
Das Programm Stadtumbau Ost ist zwar mit 394 Millionen Euro dotiert, aber im nächsten Jahr werden nur
19 Millionen Euro kassenwirksam abfließen. Bei diesem
Umsetzungstempo sind 21 Jahre nötig, um dieses Programm abzuarbeiten. Dieser Zeitraum ist viel zu lang, um
etwas für die Bauwirtschaft im Osten zu bewirken.
({3})
Am schlimmsten aber ist das Vorgehen der Bundesregierung bei der Eigenheimzulage. Das Gedächtnis der
Opposition ist sehr gut, Frau Faße.
({4})
Sie müssen es heute Abend nicht nachlesen, Herr
Spanier; ich lese Ihnen vor, was der Kanzler vier Wochen
vor der Wahl gesagt hat:
Jährlich erfüllen sich rund 700 000 Haushalte mit
dem Erwerb einer eigenen Wohnung oder eines Hauses einen Herzenswunsch.
Recht hat der Kanzler.
Für viele, insbesondere kinderreiche Familien, wäre
dies ohne die Eigenheimzulage nicht möglich.
({5})
Recht hat der Kanzler.
Das wissen wir und deshalb ist und bleibt die Eigenheimzulage das entscheidende Mittel zur Förderung
von Wohneigentum.
Auch da hat der Kanzler Recht.
({6})
- Warten Sie doch ab! Zum Schluss sagt er:
Ihre Unterstellung, die Eigenheimzulage werde von
der Bundesregierung als finanzpolitische Manövriermasse benutzt, wird schon durch die Zahlen widerlegt.
Der Kanzler bzw. die Regierung werden weder durch
die Zahlen noch durch die Opposition widerlegt, sondern
durch das eigene Verhalten des Kanzlers. Unmittelbar
nach der Wahl ist die Eigenheimzulage nämlich entweder
weggesäbelt oder entscheidend gekürzt worden. Die kinderlosen Familien können nicht mehr mit der Eigenheimzulage rechnen.
({7})
Das bedeutet auf acht Jahre verteilt einen Verlust von rund
20 000 Euro und wird in vielen Fällen dazu führen, dass
das Projekt nicht mehr durchführbar ist.
({8})
Die Lösung, innerhalb von vier Jahren nachzuzahlen,
wenn noch ein Kind kommen sollte, ist nichts anderes als
Augenwischerei. Denn welche Bank baut eine Finanzierung darauf auf, dass eine Frau verspricht, innerhalb der
nächsten vier Jahre ein Kind zu bekommen?
({9})
Auch Familien mit Kindern sind angeschmiert. Die
Grundförderung wird um 1 556 Euro pro Jahr gekürzt.
Das ist eine Minderung um rund 12 000 Euro, verteilt auf
acht Jahre. Kommen Sie mir jetzt nicht damit, dass im Gegenzug der Kinderzuschlag auf 800 Euro erhöht wird!
Das ist eine Erhöhung von 33 Euro pro Kind. Es sind mindestens 48 Kinder nötig,
({10})
um die Kürzung bei der Grundförderung wieder aufzuholen.
({11})
- Sagen Sie unseren jungen Familien doch, sie hätten keinen moralischen Anspruch darauf, dass der Staat ihnen in
der schwierigen Phase des Eigentumserwerbs hilft! Sind
Sie es nicht, die auf den Parteitagen immer beklagen, dass
das Eigentum in unserem Land ungerecht und ungleich
verteilt sei? Sie tun aber keinen Handschlag, um an dieser
Ungleichheit etwas zu ändern.
({12})
Verehrter Herr Stolpe, an dieser Stelle haben Sie wirklich
etwas nachzuarbeiten. Das gilt übrigens auch für die Familienministerin, die noch vor einer Woche erklärt hat, in
Sachen Familienförderung komme niemand an ihr vorbei. Die jungen Familien in unserem Land sollten die Familienministerin beim Wort nehmen.
Ich möchte noch mit ein paar Irrtümern aufräumen. Der
erste Irrtum: Es wird so getan, als ob es nicht mehr der
Wunsch unserer Bevölkerung wäre, über Eigentum zu
verfügen.
({13})
Es ist aus Umfragen bekannt, dass nahezu jede Familie
den Erwerb eines Eigenheims anstrebt.
({14})
Aber nur 40 Prozent unserer Bevölkerung genießen diesen Vorteil. Die anderen 60 Prozent bezahlen zwar auch
für ein Haus oder eine Wohnung, aber eben nicht für das
eigene Haus oder die eigene Wohnung. Es ist doch unsere
Pflicht, denjenigen, die kein Eigentum haben, zu helfen.
({15})
Der zweite Irrtum: Es wird immer so getan, als ob es in
unserem Land genügend Wohnraum gäbe. Das ist richtig
und zugleich falsch, aber Sie werden einem Frankfurter
oder einem Münchener mit den Plattenbauten in Halle
oder in Rostock keinen Gefallen tun können.
({16})
Die jungen Familien haben doch auch einen Anspruch darauf, Wohnraum zu bekommen, der ihren Wünschen und
Bedürfnissen entspricht.
Der dritte Irrtum, der insbesondere von den Grünen
gepflegt wird: Es wird so getan, als ob es nicht genug
Land gäbe. Bei 25 Wohneinheiten pro Hektar könnte man
auf 1 000 Quadratkilometer 2,5 Millionen Wohneinheiten
unterbringen. Dann hätte man 7,5 Millionen bis 10 Millionen Menschen in unserem Land glücklich gemacht. Ich
glaube, dieses Opfer ist es wert.
({17})
Ich fasse zusammen: Die jungen Familien sind durch
die jetzige Regierung nachhaltig betrogen worden. Sie
werden um ihre Lebensentwürfe gebracht.
({18})
Ihnen wird die Chance genommen, sich eine vom Staat
unabhängige Alterssicherung aufzubauen. Fiskalisch ist
das, was Sie machen, ohnehin ein einzigartiger Irrtum.
Herr Eichel spart zwar pro Jahr zwischen 1 500 und 2 500
Euro pro Förderfall. Bereits im ersten Jahr verliert er
aber - bei einem angenommenen Bauvolumen von
150 000 Euro - pro Haus, das mangels Förderung nicht
gebaut werden kann, 75 000 Euro, die sonst in irgendeiner Form in die öffentlichen Kassen gelangt wären.
Außerdem bekommt Herr Eichel gratis noch zwei Arbeitslose pro Wohneinheit hinzu, die mangels Förderung
nicht gebaut werden kann.
({19})
Herr Kollege Minkel, wenn das Präsidentenzeichen
blinkt, dann heißt das, dass Sie zum Ende kommen sollen.
Ich bedanke mich, dass Sie mich darauf aufmerksam
machen. - Eine schlimmere Politik gegen die Familien
kann man nicht machen. In unserem Land wird das
Saatgut nicht ausgebracht, sondern vernichtet.
Vielen Dank.
({0})
Herr Kollege Minkel, auch Ihnen gratuliere ich sehr
herzlich zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe
die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/149, 15/150 und 15/151 an den
Haushaltsausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts1118
ordnung in einer Immunitätssache auf Drucksache 15/169
zu erweitern. - Ich sehe, dass Sie damit einverstanden
sind.
Wir kommen gleich zur Abstimmung. Wer stimmt für die
Beschlussempfehlung des Immunitätsausschusses auf
Drucksache 15/169? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich der Stimme? - Damit ist die Beschlussempfehlung bei einer Enthaltung einstimmig angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 18. Dezember 2002, 13 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.