Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Der Ältestenrat hat in seiner gestrigen Sitzung verein-
bart, dass wegen der Haushaltsberatungen in der Woche
vom 22. bis 26. November keine Befragung der Bundes-
regierung, keine Fragestunden und keine Aktuellen
Stunden stattfinden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ferner möchte ich darauf hinweisen, dass der Ältes-
tenrat auch vereinbart hat, die von der Fraktion der FDP
verlangte Aktuelle Stunde zum Thema „Haltung der
Bundesregierung zu Plänen, den 3. Oktober als National-
feiertag abzuschaffen“ heute als letzten Tagesordnungs-
punkt aufzurufen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der
gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des
Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen
und des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie
der Resolutionen 1368 ({1}) und 1373 ({2})
des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen
- Drucksachen 15/4032, 15/4165 Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen ({3})
Dr. Ludger Volmer
Dr. Werner Hoyer
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({4})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 15/4175 Berichterstattung:
Abgeordnete Alexander Bonde
Lothar Mark
Herbert Frankenhauser
Dietrich Austermann
Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister Peter Struck das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Die Beteiligung der Bundeswehr an
der Operation Enduring Freedom ist auch weiterhin
von herausragender Bedeutung für die Sicherheit
Deutschlands und aller Staaten, die durch den internationalen Terrorismus bedroht werden. Es ist klar: Nur
gemeinsames internationales Handeln kann zum Erfolg
führen. Deshalb hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 8. Oktober 2004 mit seiner Resolution 1566
die Weltgemeinschaft erneut aufgefordert, im Kampf gegen den internationalen Terrorismus zusammenzustehen.
Die bisherigen Einsätze von Streitkräften der an der
Operation Enduring Freedom beteiligten Staaten haben
terroristische Rückzugsgebiete beseitigt sowie wichtige
Transportwege von Terroristen unterbunden und sie hatten generell einen sehr stabilisierenden Einfluss auf die
Länder am Horn von Afrika.
Das Kabinett hat am 27. Oktober 2004 entschieden,
dass Deutschland - vorbehaltlich der Zustimmung des
Deutschen Bundestages - weiterhin mit bis zu 3 100 Soldaten der Bundeswehr und entsprechender Ausrüstung
an dieser Operation beteiligt bleibt. Das entspricht unserem Interesse und unserer Verantwortung für die Vereinten Nationen, die wir auch weiterhin wahrnehmen wollen.
Derzeit sind rund 290 Soldaten der Marine im Einsatz, weitere Kräfte werden in Bereitschaft gehalten.
Natürlich geht es künftig auch darum, ein hohes Maß an
Redetext
Flexibilität bei militärischen Maßnahmen im Kampf gegen den Terrorismus zu erhalten, um auf wechselnde
Einsatzerfordernisse reagieren zu können. So unberechenbar die Terroristen agieren, so wichtig ist es für die
internationale Koalition, für glaubwürdige und effiziente
Einsätze ein Spektrum militärischer Optionen zur Verfügung zu haben.
({0})
Aus diesem Grund ist es auch richtig, die bislang nicht
ausgeschöpfte Obergrenze für die deutsche Beteiligung
beizubehalten.
Das Spektrum der deutschen Aktivitäten im Rahmen
dieser Operation bleibt anspruchsvoll. Die Bundeswehr
wird sich grundsätzlich weiterhin mit einer Fregatte und
einem Seefernaufklärer am Horn von Afrika beteiligen;
diese Region war in der Vergangenheit mehrfach Schauplatz von Attentaten terroristischer Gruppierungen. In
der Marinelogistikbasis in Dschibuti werden weiterhin
Soldaten stationiert bleiben. Durch die Zusammenfassung der Task Force 150 und der Task Force 151 hat sich
das Einsatzgebiet der Marine seit März 2004 auch auf
die Arabische See und den Golf von Oman ausgedehnt.
Allein in den vergangenen zwölf Monaten wurden
etwa 10 500 Schiffe und Boote abgefragt und fast
400 Schiffe genau untersucht. Bei Verlängerung des
OEF-Mandates, die heute ansteht, wird Deutschland voraussichtlich ab Dezember 2004 erneut den Kommandeur für die internationale Marinestreitkraft am Horn
von Afrika stellen.
Daneben wird sich die Bundeswehr weiterhin aktiv
am bündnisgemeinsamen Beitrag der NATO-Marinen
für den Kampf gegen den Terrorismus im Mittelmeer,
der Operation Active Endeavour, beteiligen. In den
vergangenen zwölf Monaten war die Bundeswehr mit
einer Fregatte und zeitweise zusätzlich mit Versorgungseinheiten, einem U-Boot und Seefernaufklärern an dieser Operation beteiligt. Im Rahmen dieser Operation
wurden im östlichen Mittelmeer rund 19 500 Schiffe abgefragt und 41 davon genauer untersucht. Entsprechend
einem neuen Operationsmuster werden ab dem
1. Oktober 2004 schwimmende Einheiten nur noch bei
Bedarf eingesetzt. Wir werden die Überwachung dann
im Wesentlichen durch Seefernaufklärungsflugzeuge
durchführen. Daran wird sich die deutsche Marine mit
monatlich acht Flügen aus Nordholz beteiligen.
Darüber hinaus hält die Bundeswehr einen
Airbus A310 und eine CL-601 Challenger für die luftgestützte medizinische Notfallversorgung in einer 24- bzw.
12-Stunden-Bereitschaft zur Verfügung. Im vergangenen
Jahr wurden Sanitätskräfte zwar nicht im Rahmen der
Operation Enduring Freedom eingesetzt, aber mehrfach
außerhalb der Operation genutzt, wie zum Beispiel bei
der Rückführung eines Soldaten, der bei einem Raketenanschlag auf unser Lager in Kunduz verletzt worden
war.
Meine Damen und Herren, Deutschland und die Bundeswehr handeln in Solidarität mit unseren Verbündeten
und Partnern auf der Grundlage der Beschlüsse des
Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. Dies gilt für die
Operation Enduring Freedom genauso wie für die deutsche Beteiligung an der Operation ISAF in Afghanistan. An dieser Stelle will ich noch einmal ausdrücklich
hervorheben, dass ich eine Zusammenlegung beider
Operationen auf absehbare Zeit für falsch halte und dem
entgegentreten werde.
({1})
Stabilisierungsaufgaben und aktive Terroristenbekämpfung sollten aus politischen, rechtlichen und praktischen Erwägungen heraus wie bisher getrennt bleiben.
Es geht nicht um eine Zusammenlegung, sondern darum,
über eine verstärkte Zusammenarbeit von ISAF und
OEF Synergieeffekte vor Ort zu erzielen, um die Erfolgsaussichten beider Operationen zu vergrößern.
Deutschland und die Bundeswehr haben in Afghanistan eine tragende und von den Menschen vor Ort anerkannte Rolle für die Sicherung des Friedens und den gesellschaftlichen Wiederaufbau übernommen. Ich bitte
Sie daher, das Mandat für diese wichtige Mission mit
großer Mehrheit zu verlängern. Unsere Soldaten haben
einen Anspruch darauf, dass das Parlament diesen Einsatz mit einer breiten Mehrheit trägt.
Ich danke Ihnen.
({2})
Ich erteile Kollegen Bernd Schmidbauer, CDU/CSUFraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Ich denke, dass es der Schock des
11. September im Jahre 2001 war, der dazu geführt hat,
dass die Staatengemeinschaft Enduring Freedom auf den
Weg gebracht hat und dass es gelungen ist, mithilfe von
Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen und von Art. 5
des Nordatlantikvertrages sowie entsprechender Resolutionen des Sicherheitsrates zu einer gemeinsamen Anstrengung gegen den internationalen Terrorismus zu
kommen.
Heute stellen sich die Fragen, ob dies noch aktuell ist,
ob sich die Bedrohungslage verändert hat und wie wir
dies beurteilen. Es gibt viele Stimmen. Ich will eine zitieren. In der „Berliner Morgenpost“ stand kürzlich ein
Interview mit dem Chef des Bundeskriminalamtes, Jörg
Ziercke, der sich zum Thema Terrorismus geäußert hat.
Auf die Frage, wie groß die Terrorgefahr in Deutschland sei, sagte er:
Die Gefährdung ist unverändert hoch. Wir haben
zwar keine konkreten Hinweise auf Anschläge.
Madrid, Casablanca, Djerba und Istanbul zeigen
aber, dass es weltweit autonome Zellen des islamistischen Terrorismus gibt, die jederzeit zuschlagen
können.
Dem ist nichts hinzuzufügen. Das deckt sich mit all den
Stellungnahmen, die derzeit abgegeben werden.
Für den Fall, dass Sie noch eine Stimme aus dem internationalen Bereich brauchen, sage ich Ihnen, dass der
ehemalige Geheimdienstchef der Schweiz auf die Frage,
ob auch die Schweiz von Terrorismus bedroht sei, kürzlich antwortete:
Die Bedrohungslage hat sich seit dem Ende des
Kalten Krieges massiv verändert. Sie ist asymmetrisch geworden. Organisierte Kriminalität, Korruption, Massenvernichtungsmittel, Informationsoperationen und islamistischer Terrorismus heißen die
heutigen Herausforderungen.
Diese Meldungen häufen sich und zeigen deutlich,
wie aktuell die Bedrohung heute ist. Wir tun gut daran,
in unseren Anstrengungen nicht nachzulassen.
In jüngster Zeit hat der Chef der Internationalen
Atomenergie-Behörde, IAEA, al-Baradei, in Sydney vor
einem möglichen Terroranschlag mit nuklearem Material gewarnt und gesagt, dass die Verhinderung eines
möglichen Terroranschlags mit nuklearem Material zu
einem Wettlauf gegen die Zeit zu werden drohe. Es
müssten alle Anstrengungen unternommen werden, um
dem neuen Phänomen namens nuklearem Terrorismus
zu begegnen.
Im Übrigen darf ich erwähnen, dass dies überhaupt
nicht neu ist. Ich erinnere mich an die großen Debatten
in den 90er-Jahren, in denen eine andere Mehrheit die
Einsetzung eines Untersuchungsausschuss verlangte,
weil man meinte, der Nuklearterrorismus sei inszeniert
gewesen. Schon damals war von diesem vagabundierenden Material die Rede und wir alle hätten eigentlich sehen müssen, dass dies der Beginn einer neuen Bedrohung war. Das, was al-Baradei gesagt hat, ist also nicht
neu.
Wichtig ist auch - ich glaube, das haben all diejenigen erkannt, die derzeit über Veränderungen des NVV
diskutieren -, zu wissen, wie aktuell diese Dinge geworden sind. Der asiatisch-pazifische Wirtschaftsgipfel, der
Ende November in Chile tagt, wird als eines seiner
Schwerpunktthemen die Bekämpfung des Terrorismus
behandeln. Auch die BKA-Herbsttagung hat sich mit
diesen Dingen beschäftigt.
Der afghanische Präsident Karzai und der pakistanische Staatschef Musharraf haben ein gemeinsames offensives Vorgehen im Kampf gegen den Terrorismus angekündigt. Das halte ich für sehr wichtig. Wir alle
konnten uns bei dem Besuch in Pakistan und Afghanistan davon überzeugen, dass hier neue Ideen und Vorschläge auf den Weg gebracht werden, die eine verstärkte internationale Zusammenarbeit zum Ziel haben.
Wir sehen also, dass das Thema internationaler Terrorismus ein wichtiges Thema ist. Leider nimmt die Bedrohung zu und nicht ab. Andererseits - auch das sage
ich - erfüllen sich Gott sei Dank nicht alle an die Wand
gemalten Horrorszenarien, zum Beispiel Anschläge
während der US-Wahlen. Was hat die Presse dazu nicht
alles geschrieben! Es wurden auch Anschläge zum jeweiligen Jahrestag am 11. September prophezeit. Glücklicherweise sind diese Befürchtungen nicht wahr geworden. Letztlich zeigt dies aber auch, dass wir viel zu
wenig wissen, dass viel spekuliert wird, dass wir mit unseren Partnern und Freunden noch nicht in Terrornetze
eingedrungen sind und dass wir noch lange nicht eine
weltweite, einwandfrei funktionierende Kooperation und
Koordination haben. Dies gilt es aber zu erreichen, wenn
wir den Terrorismus bekämpfen, ihm die Stirn bieten
und ihm das Handwerk legen wollen.
Ich sage allerdings auch, dass man keine Angst haben
darf; denn die Angst geistert herum. Ein Zitat sollten all
diejenigen beherzigen, die sich mit diesen Dingen beschäftigen: Furcht besiegt mehr Menschen als irgend
etwas anderes auf der Welt. Wir dürfen uns nicht
einschüchtern lassen und keine Softoperationen durchführen. Wir müssen die politischen Maßnahmen so verändern, dass sie von einer möglichst großen Mehrheit
getragen werden können. Das sage ich aus gutem Grund.
Ich bin sehr froh über das, was der Verteidigungsminister eben erläutert hat. Lassen wir uns also durch Drohungen nicht vom richtigen Weg abbringen.
In der Tat können wir einige positive Beispiele vorweisen. Blicken wir zurück auf den Petersberg-Prozess.
Wir haben in Afghanistan hervorragende Möglichkeiten,
die Dinge voranzubringen. Die Präsidentenwahlen konnten ohne große Unruhen abgehalten werden. Unsere Soldaten in Kabul, Kunduz oder Faizabad haben bei ihrem
Einsatz in Afghanistan zusammen mit der ISAF eine
wichtige Funktion übernommen. Das hat dazu geführt,
dass wir respektiert und gebraucht werden und die Bundeswehr dort eine ganz entscheidende Rolle spielt. Dies
ist nicht verbesserbar.
Ich stimme dem Verteidigungsminister aber darin zu,
dass Headquarters zusammengelegt werden müssen. Es
muss zu einer besseren Koordination kommen, sodass
nicht an jeder Ecke ein anderer Soldat aus einer selbstständigen Operation im Einsatz ist; dies muss vielmehr
wesentlich besser abgestimmt werden.
Unser Respekt und unsere Hochachtung gelten all denen, die dort eingesetzt sind: unseren Soldaten, Polizisten und zivilen Helfern. Man muss wissen - die eingesetzten Kräfte wissen das auch -, dass dies keine
ungefährlichen Einsätze sind. Ich will an die Bundesregierung und den Verteidigungsminister appellieren: Tun
Sie alles, was in Ihren Kräften steht, um eine maximale
Sicherheit zu erreichen! Tun Sie alles, damit unsere Soldaten für diese Einsätze entsprechend ausgestattet sind!
Unsere Bundeswehr hat einen Anspruch auf die bestmögliche Ausrüstung für diese Einsätze.
Das Bundeskabinett hat am 27. Oktober für eine Verlängerung des Einsatzes im Rahmen der Operation
Enduring Freedom gestimmt. Die zuständigen Ausschüsse haben dieser Verlängerung einstimmig zugestimmt. Ich denke, dass es wichtig ist, dass sich das Parlament mit einer breiten Mehrheit für die Verlängerung
des Einsatzes um weitere zwölf Monate ausspricht. Bei
unseren Gesprächen mit den Soldaten vor Ort hat sich
deutlich gezeigt, dass diese das Geschehen im Parlament
haarscharf beobachten. Täuschen wir uns nicht: Hier
wird genau gefragt, welche Mehrheit es im Parlament
gibt, wie die Unterstützung des Parlaments aussieht
und wie weit der Einsatz durch Beschlüsse des Parlaments gedeckt ist. Deshalb ist meine herzliche Bitte,
dass sich das Parlament mit einer sehr großen Mehrheit
dafür ausspricht. Dies ist ein wichtiges Signal und ein
klares Zeichen dafür, dass sich Deutschland auch weiterhin aktiv an der Bekämpfung des internationalen Terrorismus beteiligt.
Das war nicht immer so. Ich erinnere mich an das
Jahr 2001, als die Regierungskoalition fast an der Frage
zerbrochen wäre, ob sie eine eigene Mehrheit für diesen
Einsatz zustande bringt. Die Zeiten haben sich geändert.
({0})
Heute sind wir insgesamt weiter und es muss nicht zur
Vertrauensfrage kommen. Ich sage das nur, um zu zeigen, wie wichtig diese Veränderungen für uns alle sind
und wie wichtig die Diskussionen waren, die dazu geführt haben, dass wir heute eine breite Basis für die Operation Enduring Freedom haben und uns nicht darüber
streiten müssen. Wir erkennen vielmehr, dass das sehr
wichtig ist. Wir sehen auch, dass nicht nur militärische
Einsätze wichtig sind, sondern dass auch zivile, politische, entwicklungspolitische und polizeiliche Mittel im
Rahmen eines Gesamtkonzeptes erforderlich sind. Dazu
gehören auch - wir sind gut beraten, diese fortzuführen die PRTs, die Provincial Reconstruction Teams, in Afghanistan, die eine hervorragende Arbeit leisten, neue
Wege gehen
({1})
und nicht nur den militärischen Teil, sondern auch den
zivilen Teil betonen. Dadurch produzieren wir Sicherheit
in der Fläche, leisten einen Beitrag zum Aufbau und
stärken die Zentralregierung.
Entscheidend ist, dass wir uns nicht nur auf die eine
Region konzentrieren, sondern den Terrorismus vom
Maghreb-Gürtel über die arabische Halbinsel bis nach
Asien bekämpfen. Wir müssen erkennen, dass es nicht
nur einzelne Mosaiksteine gibt, um die wir uns kümmern
müssen, sondern dass wir den Terrorismus insgesamt bekämpfen müssen.
Halten wir fest: Enduring Freedom ist nicht die Antwort auf den internationalen Terrorismus, sondern eine
Antwort auf den internationalen Terrorismus. Enduring
Freedom ist ein kleiner, aber unverzichtbarer Baustein
im Kampf gegen den Terror und zeigt, dass die internationale Staatengemeinschaft, dass die Vereinten Nationen durchaus in der Lage sind, zu kooperieren und zu
handeln, auch wenn in diesem Zusammenhang noch vieles verbessert werden kann und muss. Enduring Freedom zeigt auch, dass die NATO ein wichtiges Instrument
der Terrorbekämpfung ist.
Ich möchte erwähnen und begrüße es sehr, dass die
Vereinten Nationen ihre Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus vertiefen wollen und der europäische Antiterrorbeauftragte de Vries und der Direktor des
UN-Ausschusses für Terrorismusbekämpfung Javier
Ruperez in Brüssel dies gemeinsam anpacken. Auch dies
ist ein neues Signal. Nicht nur einzelne Institutionen kämpfen gegen den Terrorismus, sondern wesentlich mehr.
Ich komme zum Schluss. Oft habe ich die Frage gehört, ob dieser Einsatz wirklich etwas bringt. Er hat in den
letzten Jahren eine Unmenge Geld, insgesamt, wenn ich
das richtig sehe - Herr Kollege Schmidt, Sie werden das
sicher bestätigen -, 800 Millionen Euro, gekostet. Es wäre
einmal zu hinterfragen, wie diese finanziellen Mittel im
Rahmen von Enduring Freedom optimal eingesetzt werden können.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir müssen alles
tun, um dem Terror den Nährboden und seine Basis zu
entziehen.
({2})
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Am Schluss war ich gerade. - Wir müssen den Menschen klar machen, dass wir durch das Bekämpfen und
das Ausschalten von Terrorismus in ihrer Heimat unsere
Heimat schützen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Ich erteile das Wort Kollegin Marianne Tritz, Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben in der Vergangenheit hier und in der Gesellschaft
heftig darüber gestritten, mit welchen Methoden man
dem internationalen Terrorismus den Kampf ansagen
soll. Diese Diskussion war nötig geworden, weil wir
nach dem 11. September 2001 das erste Mal in der Situation waren, dass ein Land, nämlich unser Bündnispartner
die Vereinigten Staaten von Amerika, im eigenen Land
Opfer eines kriegerischen Angriffs geworden ist, eines
Angriffs, der nicht von einem anderen Land, sondern
von fanatischen Terroristen ausging.
Wir alle waren uns schnell einig, dass die Eindämmung des internationalen Terrorismus in erster Linie ein
politischer Kampf sein muss, dass wir nur mit politischen, wirtschaftlichen, polizeilichen und gesetzgeberischen Maßnahmen die Bedrohungen, die sich gegen die
internationale Gemeinschaft richten, eindämmen können.
Diese Bundesregierung hat immer einen breiten und
tief gehenden Ansatz bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus verfolgt, dessen Zentrum, der grausame Dschihad-Terrorismus, im Nahen und Mittleren
Osten liegt. Es ist ein Terrorismus, der der westlichen
Welt den Krieg erklärt hat, der die westliche Welt in einen Krieg der Kulturen verwickeln will, in einen Krieg
des Westens gegen den Islam.
Die Krise des Nahen und Mittleren Ostens ist eine
Modernisierungskrise der islamisch-arabischen Welt und
einer totalitären Ideologie. Es ist eine fanatische Ideologie, die sich nicht nur gegen die westliche Welt, ihre
Werte und ihre Zivilgesellschaften richtet, sondern auch
Reformen in der arabischen, der muslimischen Welt verhindern will. Deswegen müssen wir diesen Ländern und
ihren Gesellschaften ein ernstes Angebot zur Kooperation machen, wie wir es mit dem Konzept „Wider
Middle East“ getan haben.
Die Bundesregierung hat bewiesen, dass sie im
Kampf gegen den internationalen Terrorismus in erster
Linie dem Primat der Politik folgt. So hat sie wichtige
Beiträge zur Terrorismusbekämpfung auf den multilateralen Ebenen von UN, OSZE, NATO und G 8 geleistet.
Deutschland hat den Polizeiapparat in Afghanistan aufgebaut. Es hat geholfen, wichtige Teile der Petersberger
Beschlüsse umzusetzen, und sich federführend mit ISAF
in Kabul und Kunduz engagiert, um mit sichtbaren
wirtschaftlichen Aufbauleistungen eine Perspektive
für das afghanische Volk aufzuzeigen. Und wir sind der
größte Geber in Afghanistan.
Obwohl wir die politischen Lösungen in den Vordergrund stellen, bleibt doch der Einsatz militärischer Mittel derzeit ein unverzichtbarer Bestandteil im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Durch die Präsenz
in Afghanistan konnte der geregelte Ablauf der Präsidentschaftswahlen gewährleistet werden. Die Menschen
haben sich getraut, sich registrieren zu lassen, und der
Aufbau staatlicher Institutionen schreitet voran. Das alles lässt hoffen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich mit einem
leistungsfähigen Kontingent in die multinationale Operation Enduring Freedom eingebracht. Hierfür sowie für
die Beteiligung an ISAF genießt Deutschland hohe Anerkennung in der Welt. Diese Anerkennung gilt ganz besonders den Peacekeeping-Fähigkeiten der Bundeswehr.
Im Zuge von Enduring Freedom hat die deutsche Marine einen stabilisierenden Einfluss am Horn von Afrika
und natürlich auch im Mittelmeer ausgeübt. Die Seestreitkräfte haben wichtige Handelswege gegen Piraterie
und Waffenschmuggel abgesichert. In keinem Fall ist es
dabei zu militärischen Auseinandersetzungen gekommen, sondern die Soldaten haben immer in Kooperation
mit den Schiffsführern und den entsprechenden Eignern
gehandelt.
Aber der Kampf gegen den internationalen Terrorismus ist noch lange nicht gewonnen. Der furchtbare Anschlag von Madrid im März dieses Jahres ist uns allen
noch in Erinnerung. Wie grausam Terrorismus ist, wenn er
sich gegen die Zivilgesellschaft richtet, haben wir voller
Entsetzen durch die Morde an den Kindern von Beslan erfahren. Die Bedrohung durch al-Qaida und andere Terrorgruppen ist nach wie vor real vorhanden. Kein
Mensch kann sagen, wie lange dieser Kampf noch dauern wird und ob er je zu Ende geht.
Unsere Befürchtungen von damals, wir könnten über
die Beteiligung an Enduring Freedom in ein Kriegsabenteuer mit unkalkulierbaren Folgen geraten, haben sich
nicht bewahrheitet. Die deutsche Unterstützung war jederzeit ausgewogen, verhältnismäßig und wurde im militärischen Bereich sehr zurückhaltend ausgeschöpft.
Das wird auch so bleiben.
({0})
Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hält die
Fortsetzung der deutschen Beteiligung an Enduring
Freedom für notwendig und verantwortbar. Der Umfang
von 3 100 Soldaten ermöglicht ein schnelles und flexibles Handeln. Da derzeit nur 500 Soldaten im Einsatz
sind und damit die Obergrenzen nicht ausgeschöpft sind,
handelt es sich eher um ein „Bereitstellungsmandat“ als
um ein Einsatzmandat.
Ich möchte noch etwas zum Irak anmerken. Wir haben den Irakkrieg abgelehnt. Dabei bleibt es auch.
({1})
Wir haben uns nicht am Irakkrieg beteiligt und werden
dies auch in Zukunft nicht tun, egal in welcher Konstellation. Das war in den letzten Tagen immer wieder Gegenstand der Debatte. Rot-Grün ist ein Garant dafür,
dass es unter dieser Bundesregierung keine Beteiligung
am Irakkrieg gibt.
({2})
Herr Schäuble kann tausendmal fordern - ich zitiere
gerne aus den Protokollen -, dass wir uns im Falle eines
UN-Mandats nicht verweigern könnten. Wir haben dies
aber getan und werden es auch weiterhin tun. Das ist der
Unterschied: Mit uns gibt es keine Kriegsbeteiligung;
unter der CDU/CSU mit Wolfgang Schäuble würden
Soldaten in den Irakkrieg geschickt werden.
Danke.
({3})
Ich erteile Kollegen Rainer Stinner, FDP-Fraktion,
das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir begehen heute ein Jubiläum - von Feiern
möchte ich in diesem Zusammenhang nicht sprechen -;
denn heute entscheiden wir gemeinsam zum 40. Mal
über den Einsatz deutscher Soldaten im Ausland. Auch
wenn wir das schon so oft getan haben, glaube ich, dass
diese Entscheidung im Deutschen Bundestag niemals zu
einer reinen Routine werden darf.
({0})
Wir müssen uns auch heute zum 40. Mal folgende
Fragen stellen: Dient der Einsatz der Sicherheit und den
Interessen unseres Landes? Ist das Mandat, das wir den
Soldaten erteilen, durchführbar? Statten wir sie mit den
notwendigen Mitteln aus, um ihr Mandat zu erfüllen?
Begrenzen wir das Mandat auf das wirklich Notwendige
zur Erfüllung der gemeinsamen Aufgaben?
Wir als FDP haben uns diese Fragen auch zum
40. Mal so deutlich gestellt. Ich darf Ihnen mitteilen,
dass wir nach langer Diskussion übereingekommen sind,
diesem Mandat mit großer Mehrheit zuzustimmen. Das
tun wir aber nicht ohne Bedenken. Wir stimmen zu, weil
wir uns sicher sind und zum Ausdruck bringen wollen,
dass der Kampf gegen den Terrorismus noch nicht gewonnen ist, dass wir Deutsche auch eigene Sicherheitsinteressen haben und durch diesen Kampf bedroht sind.
Wir wollen damit ferner deutlich machen, dass wir unseren Beitrag zu dem Kampf gegen den Terrorismus leisten wollen.
Die Entscheidung ist uns aber nicht leicht gefallen. Wir
stellen hier die Frage nach der Effektivität und Effizienz.
Effektivität heißt, die richtigen Dinge zu tun. Das macht
die Bundesregierung. Deshalb stimmen wir ihrem Antrag zu.
({1})
Effizienz heißt, die Dinge, die man tut, richtig zu tun.
Hierbei bleiben, wie so häufig beim Handeln dieser Bundesregierung, auch weiterhin Fragen offen.
({2})
Sie wollen sich heute ein Vorratsmandat geben lassen.
Frau Kollegin Tritz, Sie haben einen verdächtigen neuen
Begriff eingeführt, nämlich „Bereitstellungsmandat“.
Diesen Begriff habe ich bisher noch nie gehört. Der
Parlamentsvorbehalt bezieht sich jedenfalls nicht darauf, Bereitstellungsmandate zu verabschieden.
({3})
Wir nennen das nicht Bereitstellungsmandat; vielmehr meinen wir, dass Sie sich ein Vorratsmandat geben
lassen wollen. Auch das entspricht nicht dem Parlamentsvorbehalt. Derzeit sind 500 Soldaten im Einsatz;
aber das von Ihnen geforderte Mandat bezieht sich auf
3 100 Soldaten. Das ist das Sechsfache und widerspricht
sämtlichen Planungsreserven. Es ist nicht damit zu erklären, dass es um die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung geht.
({4})
Es handelt sich vielmehr um einen Vorratsbeschluss. Wir
fragen uns in diesem Zusammenhang: Entspricht das
noch unserem Konzept der Parlamentsarmee? Nach unserer Auffassung bedeutet das Konzept einer Parlamentsarmee, dass wir, das Parlament, eine enge Kontrolle über den jeweiligen Einsatz haben. Da solche
Beschlussanträge hier im Plenum leider keine Änderungsanträge zulassen, können wir nur zustimmen oder
ablehnen. Wir hätten uns aber gewünscht, dass sich die
Bundesregierung, wenn sie denn ein breites Mandat haben möchte, vorher mit uns in den Ausschüssen ausführlicher abgestimmt hätte, als zwei Tage vor der entscheidenden Abstimmung die Vorlage im Ausschuss
einzubringen.
Wir sind sehr erstaunt, dass die Koalitionsfraktionen
diese Fragen nicht ähnlich dringlich stellen wie wir. Sie
haben schließlich gemeinsam mit uns, den Oppositionsfraktionen, Verantwortung für den Einsatz der Bundeswehr.
({5})
- Lieber Herr Nachtwei, insbesondere die Grünen sind
hier einen langen Weg gegangen, von Abschaffern der
Bundeswehr zu unkritischen Durchwinkern von Auslandseinsätzen.
({6})
Ein langer Lauf zu einer neuen Identität Ihrer Partei!
Wir wollen gar nicht bestreiten, dass es einen natürlichen Konflikt zwischen den Interessen der Regierung an
Handlungsfähigkeit und möglichst ungestörtem Handeln
- es ist völlig klar, dass wir, wenn wir in der Regierung
wären, ähnliche Interessen hätten - und den Interessen
an einem Parlamentsbeteiligungsgesetz gibt. Wir brauchen aber nach wie vor dringend ein solches Gesetz und
haben dazu einen praktikablen Vorschlag vorgelegt. Ich
bedauere deshalb sehr, dass dieses Thema in dieser Woche auf Ihren Wunsch hin abgesetzt worden ist. Ich fordere Sie auf, einem entsprechenden Gesetzentwurf endlich zuzustimmen. Dann bräuchten Sie sich in Zukunft
jedenfalls nicht mehr einen sechsfachen Vorratsbeschluss geben zu lassen.
({7})
Wenn wir trotz unserer Vorbehalte Ihrem Antrag zustimmen, dann hat das zwei Gründe. Der erste Grund ist:
Wir wollen sehr deutlich machen, dass Deutschland einen fairen Beitrag zum gemeinsamen Kampf gegen den
internationalen Terrorismus leistet. Dazu stehen wir, die
FDP. Der zweite Grund ist - wenn ich das sage, fällt mir
als Oppositionspolitiker kein Zacken aus der Krone -:
Wir erkennen an, dass die Bundesregierung - jedenfalls
bisher - mit dem Mandat sehr verantwortungsvoll umgegangen ist. Herr Weisskirchen, hier sind wir völlig offen
und stimmen Ihnen zu.
({8})
Wenn wir heute zustimmen, geben wir der Bundesregierung einen Vertrauensvorschuss. Das ist bei dieser
Bundesregierung natürlich alles andere als einfach.
({9})
Wir erwarten aber, dass wir in den Ausschüssen noch
mehr als bisher in die Lage versetzt werden, die jeweiligen Einsätze zu verfolgen. Ich sage Ihnen ganz deutlich:
So etwas, was beim Kosovoeinsatz geschehen ist, darf
nicht noch einmal vorkommen. Wir erwarten Offenheit,
Klarheit und wahrheitsgemäße Informationen. Beim Kosovoeinsatz haben Sie uns, das Parlament, drei Monate
lang an der Nase herumgeführt. Wir verbinden unseren
Vertrauensvorschuss mit der Erwartung, dass so etwas in
Zukunft nicht mehr vorkommt.
({10})
Ich komme zum Schluss. Wir verknüpfen unsere Zustimmung - die haben wir uns nicht leicht gemacht, aber
wir stehen zu ihr - mit der Erwartung, dass es ein Parlamentsbeteiligungsgesetz gibt - wir haben, wie gesagt, einen entsprechenden Antrag eingebracht -, das uns in Zukunft solche Zumutungen wie heute erspart, einen
Vorratsbeschluss, ein Bereitstellungsmandat, wie es die
Frau Kollegin Tritz genannt hat, zu akzeptieren.
Vielen Dank.
({11})
Ich erteile das Wort Kollegen Gert Weisskirchen,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Lieber Kollege Stinner, es tut mir
Leid - wir kennen uns ja lange genug -, aber das war
eine wirklich unangemessene Rede
({0})
zu einem Problem, das Sie im Grunde verdunkelt haben.
Es geht doch darum, dass Enduring Freedom der Rahmen für ein Mandat ist, den Menschen in Afghanistan
- das war das auslösende Moment -, die in einer ganz
schwierigen Situation leben, in einem Land, das von Terroristen regelrecht erobert worden war, eine Chance zu
geben, ihr eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen. So
soll endlich eine Entwicklung eingeleitet werden, die
den Menschen in Afghanistan die historische Erfahrung
überwinden hilft, dass sie herumgestoßen worden sind
und dass ihr Schicksal von außen bestimmt wurde, und
zwar von Leuten, die versucht haben, Afghanistan zum
Spielball ihrer Machtinteressen zu machen. Aber Sie reden hier nur über Vorratsbeschlüsse. Hier geht es nicht
um einen Vorratsbeschluss, sondern darum, dass die
Menschen in Afghanistan Freiheit bekommen, damit sie
selbst handeln, ihr eigenes Schicksal in die Hand nehmen und ihre Form von Demokratie entwickeln können.
Nur darum geht es, lieber Herr Kollege Stinner.
({1})
Das, was vor drei Jahren notwendig gewesen ist,
bleibt notwendig. Die Menschen in dieser Region brauchen ein gewisses Maß an Sicherheit, damit sie überhaupt selbst handeln können. Deswegen ist Enduring
Freedom so wichtig. Der Rahmen von 3 100 Bundeswehrsoldaten wird von der Bundesregierung noch nicht
einmal ausgeschöpft; vielmehr werden die vorhandenen
Möglichkeiten maßvoll, zurückhaltend und verantwortungsbewusst eingesetzt. Darum geht es und deswegen
stimmen wir heute dem Antrag der Bundesregierung zu,
lieber Kollege Stinner.
Kollege Weisskirchen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nolting?
Bitte schön.
Herr Kollege, können Sie sich daran erinnern, dass
der Herr Bundeskanzler die Vertrauensfrage stellen
musste, um zu einer Mehrheit zu kommen, weil die rotgrüne Koalition zunächst nicht bereit war, diese Mehrheit zu stellen?
Ich kann mich daran sehr gut erinnern; schließlich
habe ich auch in diesem Saal und in der Fraktion für
diese Mehrheit gekämpft. Wir haben sie bekommen,
weil die Vernunft für Enduring Freedom gesprochen hat.
Dieses Anliegen haben wir durchgekämpft und das war,
wie Sie sich gut erinnern können, gar nicht so einfach.
({0})
Die Gefahr des Terrorismus ist keineswegs gebannt;
deswegen brauchen wir eine Verlängerung von Enduring
Freedom.
({1})
- Lieber Kollege Niebel, es mag sein, dass Sie seit dem
11. November in Karnevalsstimmung sind. Aber hier
geht es um einen sehr verantwortungsvollen Beschluss,
dem die Mehrheit des Deutschen Bundestages - hoffentlich auch Sie - zustimmen wird. Ich bitte Sie herzlich, zu
überlegen,
({2})
bevor Sie Zwischenrufe machen.
Jetzt möchten Sie eine Zwischenfrage stellen?
Gestatten Sie diese Zwischenfrage?
Ja.
Bitte schön, Herr Niebel.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege
Weisskirchen, wenn es sich hier nicht um einen Vorratsoder, wie die Kollegin von den Grünen sagte, Bereitstellungsbeschluss handelt, können Sie mir dann erklären,
aus welchem Grund die Bundesregierung einen Beschluss benötigt, der - derzeit sind gut 500 Soldaten im
Einsatz - die Entsendung von 3 100 Soldaten möglich
macht? Und warum soll die Bundesregierung bei räumlich begrenzter Tätigkeit der Bundeswehr aufgrund eines
Vorratsbeschlusses Soldaten in die halbe Welt entsenden
dürfen?
Lieber Kollege Niebel, ich bitte Sie herzlich darum,
den Antrag zu lesen, den die Bundesregierung hier eingebracht hat. Wenn Sie es bisher nicht getan haben, dann
können Sie es jetzt noch nachholen. In diesem Antrag
steht alles Wort für Wort. Er enthält eine klare und eindeutige Begründung dafür, dass Enduring Freedom notwendig ist. Dort werden alle Ihre Fragen beantwortet.
Darum bitte ich Sie noch einmal, ihn zu lesen.
({0})
Der entscheidende Punkt ist, dass der Terrorismus in
der Tat nicht besiegt ist. Wenn Sie sich etwa das anschauen, was Ayman al-Zawahiri in seinem jüngsten
Buch, das kurz nach dem 11. September erschienen ist,
dazu geschrieben hat, dann werden Sie genau erkennen,
um welche Strategie es geht. Er hat versucht - genau das
will al-Qaida -, gegen den inneren Feind zu mobilisieren. Das heißt: Die Straße in den arabischen Ländern
sollte durch die schrecklichen Anschläge in New York
und in Washington aufgestachelt werden. Das ist nicht
gelungen. Insofern ist die erste strategische Überlegung
des Terrorismus nicht von Erfolg gekrönt gewesen.
Die zweite Überlegung, die al-Qaida und andere zu
entwickeln versucht haben, sieht vor, die Länder des
Westens in einen inneren Kampf, in einen politischen
Kampf gegeneinander, zu verwickeln. Es ist deshalb
wichtig, Folgendes deutlich zu machen: An Enduring
Freedom sind nicht nur die 22 Mitgliedstaaten der
NATO beteiligt, sondern 54 Nationen. Wir brauchen
Enduring Freedom also als ein Instrument der Zusammenarbeit, um dem Terrorismus - jedenfalls militärisch - das Rückgrat zu brechen. Das ist leider notwendig.
Enduring Freedom darf aber nicht das einzige Instrument sein. Der Unterschied beispielsweise zwischen der
Administration von George W. Bush und uns ist an diesem Punkt ganz augenfällig. Wir versuchen, Enduring
Freedom als ein Instrument einzusetzen mit dem Ziel,
dass zivile Prozesse in Afghanistan vorankommen. Das
ist der klare und eindeutige Unterschied. Aus unserer eigenen Logik heraus würden wir dem Einsatz niemals zustimmen - wir können es auch nicht -, den beispielsweise die USA und andere von uns im Irak verlangen.
Deshalb werden wir mit Enduring Freedom weiter
unser Ziel verfolgen, zivile Prozesse in den Ländern, die
vom Terrorismus befallen sind, so zu unterstützen und
zu verstärken, dass diese Länder ihren eigenen Weg in
eine selbstbestimmte Demokratie gehen können. Die
Wahl in Afghanistan hat es deutlich gezeigt. Herr
Karzai ist mit 55 Prozent der Stimmen zum Präsidenten
Afghanistans gewählt worden. Dieser Prozess hat den
Weg dafür geöffnet, dass im Frühjahr des kommenden
Jahres ein Parlament gewählt werden kann, das die Geschicke des Landes in die eigene Hand nimmt.
Wir brauchen Enduring Freedom, damit zivile Prozesse vorankommen können und die Menschen in Afghanistan und anderswo in der Region ihre Freiheit
selbstbestimmt erlangen. Deswegen wird die SPD-Bundestagsfraktion dem Antrag der Bundesregierung einstimmig zustimmen.
Lieber Kollege Dr. Struck, dieser Beschluss wird
deutlich machen, so hoffen wir, dass die gesamte Bundesrepublik Deutschland hinter den Soldaten steht, die
ein schwieriges Amt übernommen haben und einen
schwierigen Job tun. Sie tun es vorbildlich und machen
klar, dass wir wollen, dass sich zivile Prozesse gegenüber dem terroristischen Anschlag durchsetzen, mit dem
al-Qaida vor drei Jahren versucht hat, uns auseinander
zu bringen. Das ist nicht gelungen. Die Bundeswehr
sorgt dafür, dass der Weg der Freiheit für eine schwierige
Region geöffnet wird. Afghanistan hat den ersten Schritt
in eine vernünftige Richtung getan.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem
Kollegen Stinner, FDP-Fraktion.
Lieber Herr Kollege Weisskirchen, nachdem Sie mich
so freundlich bedacht haben, möchte ich doch die Gelegenheit nutzen, darauf kurz zu antworten. Ich verkneife
mir, Ihre Rede zu qualifizieren; das verbietet nämlich die
Höflichkeit einem Kollegen gegenüber.
({0})
Herr Kollege Weisskirchen, es ist Ihnen offensichtlich
intellektuell nicht möglich gewesen, den Inhalt meiner
Rede aufzunehmen.
({1})
Ich habe nicht bezweifelt, dass wir uns im Kampf einsetzen müssen und dass Bedrohungslagen bestehen. Uns
ging es ausschließlich um die Diskrepanz zwischen dem
Vorratsbeschluss - Ihre Koalitionskollegin Tritz hat von
Bereitstellungsmandat gesprochen; das war ein verräterischer Ausdruck - und dem aktuellen Bedarf. Herr
Weisskirchen, ist es Ihr Konzept, dass wir hier in Zukunft Bereitstellungsmandate verabschieden? Das war
der Punkt, den wir angesprochen haben. Es ging nicht
um die grundsätzliche Argumentation, die Sie hier angeführt haben. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen,
und ich hoffe, dass Sie auch in der Lage sind, das zur
Kenntnis zu nehmen.
Vielen Dank.
({2})
Kollege Weisskirchen, Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Unabhängig davon, welches Gesetz wir dazu in der
nächsten Sitzungswoche beschließen werden, werden
wir jedes einzelne Mandat sehr sorgfältig prüfen. Hier
wird es keine Vorratsbeschlüsse geben,
({0})
sondern hier wird jedes einzelne Mandat im Detail geprüft werden.
Lieber Kollege Stinner, Sie sind Mitglied des Auswärtigen Ausschusses. Sie wissen seit mindestens zwei
Wochen, dass dieser Antrag in der Substanz so gestellt
wird. Nicht ein Komma, nicht ein Wort, nicht ein Satz ist
seither geändert worden. Sie haben sich mit diesem Einsetzungsbeschluss sehr vertraut machen können. Dabei
bleibt es. Diese Koalition wird in der Substanz von Mandatserteilungen keinerlei Änderungen vornehmen. Sie
werden das in diesem Hause noch erkennen und erleben.
({1})
Ich erteile dem Kollegen Christian Schmidt, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Bevor wir jetzt in den weiteren professoralen Disput eintreten, möchte ich zunächst einmal allen Soldaten der
Bundeswehr, die im Rahmen von Enduring Freedom ihren Dienst tun - ich hoffe und denke, dass ich das für das
ganze Haus tun kann -, unseren Dank und unsere Anerkennung übermitteln und aussprechen. Ich bin sicher,
dass der Verteidigungsminister und der hier anwesende
Generalinspekteur das den Soldaten in geeigneter Form
zur Kenntnis bringen werden. Wir gehen hier nicht routinemäßig vor, sondern sind uns der vollen Verantwortung, wie Kollege Stinner schon gesagt hat, für das bewusst, was wir hier zum 40. Mal beschließen. Wir
fordern nämlich einen Einsatz, der eine Gefährdung von
Leib und Leben der Soldaten beinhalten kann, zugleich
aber auch uns allen Schutz gibt. Dafür bedanken wir uns
alle herzlich.
({0})
Den intellektuellen Disput, den Sie, Herr Kollege
Stinner, eröffnet haben, will ich nicht weiter fortführen.
Aber natürlich drängt sich mir wie Ihnen sicherlich auch
die Frage auf, welche Rolle die Vernunft, von der Herr
Weisskirchen sagte, sie sei da, im Denken von Rot-Grün
spielt. Wenn sie nämlich erst durch Vertrauensfragen ans
Licht geholt werden muss, kann es mit ihr ja nicht ganz
so weit her sein.
({1})
Dem Kollegen Nachtwei, der in einem Zwischenruf
geäußert hatte, wir würden die internen Diskussionen
der Grünen nicht ausreichend berücksichtigen, möchte
ich sagen: Angesichts der in der Tat beachtlich geschmeidigen grünen Politik habe ich kein großes Interesse daran, interne Diskussionen der Grünen nachzuvollziehen. Ich stelle nur fest, dass manches, was mit
diesem Thema zusammenhängt, sehr viel tiefer gehend
diskutiert werden müsste, als es derzeit der Fall ist. Verräterisch ist ja vor allem, dass viel häufiger über den
Irak als über Afghanistan gesprochen wurde. Das zeigt
ja, was eigentlich dahinter steckt.
({2})
Vielleicht geht es in den internen Diskussion ja darum,
dass man mit der Bereitstellung von sogar
3 900 Soldaten für Enduring Freedom, wie es ursprünglich im Antrag vorgesehen war, verhindern möchte, dass
jemand auf die Idee kommt, eine Beteiligung im Irak zu
fordern.
Kollegin Tritz - ich weiß nicht, wo sie sich gerade befindet ({3})
hat sich bemüßigt gefühlt, den Kollegen Schäuble zu zitieren. Ich könnte andersherum natürlich in dem Zusammenhang den Verteidigungsminister Struck zitieren. Eines ist ja klar: Wenn man die Antiterrorkoalition im
Rahmen der Operation Enduring Freedom begrüßt, sie
für richtig und dringend notwendig hält und sich bewusst
ist, dass wir alleine nichts bewegen können und unsere
Sicherheit immer nur multilateral sicherzustellen ist,
muss man sich schon sehr genau überlegen, wie man
sich bei anderen Maßnahmen der NATO verhält. Man
kann nicht eifrig und stolz deutsche Soldaten in die integrierten Stäbe der NATO schicken und zugleich sagen,
bei bestimmten Aktionen möchte man von vornherein
außen vor gelassen werden. Wenn man so vorgeht, wird
das dazu führen, dass wir irgendwann weder bei politischen Entscheidungen noch bei konkreten Operationen
dabei sein werden.
({4})
Das soll heißen, damit es kein Vertun gibt: Kein
Mensch hat die Intention, uns gegeneinander auszuspielen nach dem Motto: Mit uns geht es in den Irak, mit den
anderen nicht. Darum geht es doch überhaupt nicht.
({5})
Christian Schmidt ({6})
Es geht darum, dass die NATO eine Ausbildungsmission
für die irakische Polizei und Armee übernehmen soll.
Zunächst einmal sollte sich jeder anhören, welche Forderungen der NATO-Generalsekretär in diesem Zusammenhang an uns richtet. Es geht also darum, nicht jeden,
der eine Uniform anhat und international tätig ist, davon
abhalten zu wollen, sich an gemeinsamen, UN-sanktionierten und auf NATO-Ebene beschlossenen, allgemein
als friedensfördernd und gut bezeichneten Aktionen zu
beteiligen. Wenn ideologische Ressentiments dazu führen, dass man solche Überlegungen in den Vordergrund
rückt, wird man politik- und handlungsunfähig. Aber ich
habe natürlich Verständnis dafür, dass eine vernünftige
Sicht auf die Dinge zunächst einmal Nachbohren erfordert, vorausgesetzt, es ist überhaupt Vernunft vorhanden.
({7})
Wenn man, wie der Verteidigungsminister in seiner
Einbringungsrede, um eine möglichst breite Unterstützung im Hause wirbt, muss man schon sagen -
Kollege Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Arnold?
Bitte sehr.
Herr Kollege Schmidt, um hier wirklich Klarheit zu
bekommen: Können Sie mir sagen, ob Sie der Auffassung sind, dass wir dem Drängen des NATO-Generalsekretärs nachgeben und deutsche Soldaten zusammen mit
NATO-Kollegen zur Ausbildung von irakischen Soldaten in den Irak entsenden sollten, oder ob wir nicht vielmehr unseren Beitrag besser dadurch leisten, dass wir
irakische Soldaten und Polizisten außerhalb des Iraks
ausbilden?
({0})
Bei solchen Forderungen sollten wir schon präzise bleiben.
Wenn die Ausbildung von Soldaten und Polizisten
sinnvoll in anderen Ländern erfolgen kann, kann man
das durchaus tun. Wenn allerdings eine gemeinsame Aktion mit Offizieren der Bundeswehr, der Briten, der
Franzosen, der Polen und anderer einen kleinen Stab in
Bagdad erfordern würde, dann kann ich nicht verstehen,
wieso wir zwar BGS-Beamte in Bagdad der Lebensgefahr aussetzen - es sind ja auch schon zwei zu Tode gekommen -, ebenso zivile Hilfsorganisationen, aber
grundsätzlich festlegen, dass sich niemand an der Ausbildung beteiligen darf. Insofern bitte ich Sie, sich selber
einmal darüber klar zu werden, was Sie eigentlich wollen.
({0})
Ich komme zu einem weiteren Punkt, zur Frage der
Finanzierung.
({1})
- Ich gestatte selbstverständlich auch die Zwischenfrage
des Kollegen Schäuble.
Ich habe Sie doch noch gar nicht gefragt!
({0})
Aber bitte.
Ich bitte, das nicht als vorauseilenden Gehorsam zu
qualifizieren, sondern als Wunsch.
Vielen Dank. - Herr Kollege Schmidt, können Sie erklären, warum die Bundesregierung im NATO-Rat der
Ausbildungsmission im Irak zustimmt, wenn sie gleichzeitig die Auffassung vertritt, dass es nicht zu verantworten sei, dass sich deutsche Soldaten an einer solchen
Initiative - an der alle anderen teilnehmen sollen - beteiligen? Können Sie mir dieses widersprüchliche Verhalten der Bundesregierung erklären?
({0})
Herr Kollege Schäuble, jetzt stehe ich tatsächlich vor
einem Problem. Ich würde die Frage gerne beantworten,
aber mir fällt dazu nur ein Satz ein: Ich kann es mir nicht
erklären. Das ist ein widersprüchliches Verhalten, das
die Verlässlichkeit im Bündnis infrage stellt und uns
mittelfristig schadet.
({0})
Ich will nun die Frage der Finanzierung und damit
den Einzelplan 14 ansprechen. Es soll der Beschluss gefasst werden, dass die Zahl der Soldaten im Einsatz im
Notfall ausgedehnt wird. Meine Fraktion - andere haben
sich angeschlossen - hat übrigens darauf gedrängt, dass
bei einer signifikanten Veränderung der Zahl der im Einsatz befindlichen Soldaten und der Einsatzorte eine entsprechende Unterrichtung des Parlaments durch die
Bundesregierung stattfindet. Das hat die Bundesregierung in einer Protokollnotiz auch zugesagt. Das ist sehr
wichtig, damit deutlich wird, dass das Parlament in dieser Frage nicht außen vor ist. Wenn Sie das gedanklich
mit einem Rückholrecht koppeln, dann zeigt das, dass es
sich nicht um eine bloße Formalie handelt, sondern das
Parlament eine starke Position hat, wenn die Zahl von
500 auf 800 oder von 800 auf 3 000 erhöht werden
sollte.
Das kann durchaus der Fall sein. Aber das bringt
mich, gerade weil wir in der übernächsten Woche den
Haushalt zu beraten haben, zu ganz simplen, schnöden
Christian Schmidt ({1})
Fragen. 114 Millionen Euro sind im Einzelplan 14 für
dieses Mandat vorgesehen; so im Antrag der Bundesregierung nachzulesen. Ich bin der Meinung - ich denke,
dass das nicht einmal den Widerspruch des Verteidigungsministers hervorruft -, dass eine eventuelle signifikante Erhöhung nicht aus dem Einzelplan 14 finanziert
werden kann. Eine solche signifikante Erhöhung wäre
eine gesamtpolitische Aufgabe, die aus anderen Mitteln
wie aus dem Einzelplan 60 gespeist werden muss. Wir
können bei der ohnehin viel zu knappen Finanzausstattung, bei der Rationierung der Bundeswehr, die wir gerade erleben, nicht alle entstehenden Kosten von einem
Ressort alleine tragen lassen. Hier geht es um Außenund Sicherheitspolitik. Hier geht es um das Interesse unseres Landes. Das heißt, wir müssen alle unseren Beitrag
zur Sicherstellung der Finanzierung leisten.
Es ist nicht absehbar, welche Kämpfe in der nächsten
Zeit im Rahmen von Enduring Freedom auszustehen
sind. Ich hoffe, dass sie nicht so heftig werden. Trotzdem
verweise ich auf das, was der Herr Kollege Schmidbauer
so deutlich dargelegt hat, nämlich dass noch erhebliche
Gefahren bestehen.
Morgen erwartet den Verteidigungsminister die
nächste Front. Dann wird sich zeigen, ob er in der Lage
ist, in der SPD die Beibehaltung der Wehrpflicht durchzusetzen. Ich kann ihm nur wünschen, dass ihm das gelingt. Sonst müsste er - unabhängig von allen grundsätzlichen Überlegungen - feststellen, dass er diesen Einsatz
und auch alle anderen künftigen Einsätze nicht mehr finanzieren kann. Da kann Herr Fischer noch so große Reden vor den Vereinten Nationen halten: Das wäre die
Bankrotterklärung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik.
({2})
Ich erteile das Wort dem Staatsminister Hans Martin
Bury.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
alle haben die Anschläge vom 11. September 2001 in
New York und Washington noch deutlich vor Augen und
ebenso deutlich den Terroranschlag in Madrid am
11. März dieses Jahres, bei dem fast 200 Menschen ihr
Leben verloren und über 1 000 verletzt wurden. Dieser
Terroranschlag hat uns gezeigt: Die Bedrohung durch
den internationalen Terrorismus hat nicht nachgelassen.
Deshalb, Herr Kollege Stinner, wäre es ein zumindest
missverständliches Signal, wenn man das Mandat reduzieren würde. Ich denke, ein verantwortungsbewusst und
flexibel genutzter Rahmen - das haben Sie der Bundesregierung ja ausdrücklich bescheinigt - ist die richtige
Antwort auf die asymmetrische Bedrohung, mit der wir
es beim internationalen Terrorismus zu tun haben.
({0})
Die Ziele dieses internationalen Terrorismus liegen
auch in Europa. Die Bekämpfung von international organisierten und weltweit agierenden Gruppierungen erfordert ein breites Spektrum von Maßnahmen: Maßnahmen
polizeilicher, politischer, zivilgesellschaftlicher, wirtschaftlicher und entwicklungspolitischer Natur. Das militärische Vorgehen ist dabei nur ein Element, aber ein
unverzichtbares. Deutschland leistet hierzu seinen Beitrag seit 2001 in der Operation Enduring Freedom gemeinsam mit 54 anderen Nationen.
Der Versuch islamistischer Fundamentalisten, eine
Spaltung der Weltgemeinschaft zu provozieren, ist gescheitert. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
hat am 8. Oktober 2004 die Resolution 1566 einstimmig
verabschiedet und die Staaten erneut dringend zur Zusammenarbeit aufgefordert, um terroristische Handlungen zu verhüten und zu bekämpfen.
Das erfolgreiche internationale Engagement in Afghanistan steht beispielhaft für dieses Konzept. In Afghanistan konnten terroristische Gruppierungen durch
die OEF-geführten Koalitionskräfte in ihren Handlungsund Bewegungsmöglichkeiten erfolgreich eingeschränkt werden. Das hat entscheidend zur Verbesserung
der Sicherheitslage beigetragen. Ohne Sicherheit kann es
keinen nachhaltigen politischen, gesellschaftlichen und
wirtschaftlichen Wiederaufbau geben.
Der Befriedungs- und Stabilisierungsprozess in Afghanistan schreitet mit der Unterstützung der internationalen Gemeinschaft deutlich voran. In vielen Regionen
herrscht eine regelrechte Aufbruchstimmung. Auch die
Mädchen haben wieder eine Chance auf Bildung. Die
Entwaffnung der Milizen kommt allmählich in Gang.
Sichtbarstes und aktuellstes Zeichen des Erfolges in Afghanistan sind die Präsidentschaftswahlen. Mit ihrer
demonstrativ hohen Teilnahme an den Wahlen hat die
Bevölkerung den Terroristen und den Taliban eine klare
Absage erteilt. Ja, die Präsidentschaftswahlen waren ein
Plebiszit der afghanischen Bevölkerung gegen den Terror.
({1})
Gleichzeitig erwartet die Bevölkerung aber auch die
Fortsetzung unseres breit angelegten Engagements, damit die Taliban nie wieder die Macht an sich reißen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der heutige Tag erinnert auch daran, dass für die Bekämpfung des
islamistischen Fundamentalismus mit seiner totalitären Ideologie Fortschritte bei der Lösung des Nahostkonfliktes von zentraler Bedeutung sind, zusammen mit
der Überwindung der tiefen Modernisierungskrise in
weiten Teilen der islamisch-arabischen Welt, wie sie die
Broader-Middle-East-Initiative der G-8-Staaten zum
Ziel hat. Mit dem Tod Arafats geht eine Ära zu Ende,
ohne dass das Ziel eines friedlichen, demokratischen Palästina Wirklichkeit werden konnte. Doch zur ZweiStaaten-Lösung gibt es weiterhin keine Alternative. Eine
neue palästinensische Führung, der Disengagement-Plan
von Premierminister Scharon sowie die Wahl in den
USA haben für die kommenden Monate ein neues Momentum zur Erneuerung des politischen Prozesses auf
der Grundlage der Roadmap geschaffen. Dieses Momentum gilt es im Rahmen des Nahostquartetts zu nutzen.
({2})
Von der Verlängerung des OEF-Mandates durch den
Deutschen Bundestag geht ein wichtiges politisches Signal an unsere Partner und an die internationale Staatengemeinschaft aus: Deutschland steht auch in Zukunft zu
seiner internationalen Verantwortung für Frieden und die
Einhaltung der Menschenrechte.
({3})
Ich erteile das Wort Kollegin Gesine Lötzsch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der „Stern“ hat über das Kommando Spezialkräfte,
KSK, in Afghanistan berichtet - ich zitiere -:
Seit der Operation Anaconda, an der im März und
April 2001 KSK-Kräfte teilnahmen, treten die AlQaida- und Taliban-Kämpfer nicht mehr in Gruppen auf, die meisten sind über die Berge nach Pakistan verschwunden. Das KSK will sein Kontingent ebenfalls abziehen - doch es muss bleiben.
„Aus dem sinnvollen Einsatz wurde ein politischer.
Wir waren der politische Preis dafür, dass Deutschland die USA im Irak nicht unterstützte“, sagt ein
Offizier.
({0})
„Unser Einsatz machte keinen Sinn mehr, solche
Aufträge hätten auch andere erledigen können. Wir
haben dort in der Wüste gehockt und Skorpione gefangen.“
Die Regierung und die konservative Opposition wollen ein Mandat mit einem Budget von 114 Millionen
Euro für weitere zwölf Monate beschließen. Umgerechnet auf die derzeit eingesetzten 500 Soldaten sind das
pro Tag 624 Euro pro Soldat.
Die Hilfsorganisation Misereor hat die Kampagne
„Mit 2 Euro im Monat helfen“ gestartet. Zehnmal 2 Euro
haben zum Beispiel dabei geholfen, dass der vierjährige
Alem keinen Hunger mehr leiden muss. Seine Mutter hat
im St. Mary Social Center im äthiopischen Wukro Kurse
über Gemüseanbau und Hühnerzucht besucht. Das dort
erworbene Wissen hat der Frau geholfen, für sich und ihren Sohn eine bescheidene Existenz aufzubauen. Da bewirken 20 Euro schon verdammt viel, wenn man überlegt, dass die Soldaten in Afghanistan am Tag 624 Euro
kosten.
Vielleicht geht es Ihnen ja auch um etwas ganz anderes. Vielleicht geht es nicht um demokratische Verhältnisse in Afghanistan, nicht um die Freundschaft zu den
USA und nicht um einen Ausgleich für die Nichtteilnahme Deutschlands am Irakkrieg. Dass es noch einen
anderen Grund geben muss, habe ich schon immer vermutet, aber bisher noch nicht so deutlich gelesen wie bei
Herrn Michael Dauderstädt. Er schreibt in der „Financial
Times Deutschland“ vom 13. Januar dieses Jahres:
Europa braucht eine gemeinsame Rüstungspolitik
statt der Gemeinsamen Agrarpolitik, also Kanonen
statt Butter.
Dauderstädt beklagt, dass im Jahre 2002 46 Milliarden
Euro in der EU für die Landwirtschaft ausgegeben wurden. Dieses Geld würde er „besser für die Forschung,
Entwicklung und Produktion von Rüstungsgütern
einsetzen“.
Wer ist Herr Dauderstädt? Ist er ein Rüstungslobbyist? Nein. Herr Dauderstädt ist Leiter des Referats „Internationale Politikanalyse“ der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die SPD-Strategen dieser Stiftung wollen also aus
Butter Kanonen machen. Das hatten wir schon einmal
und dies ist für Deutschland wirklich nicht gut ausgegangen.
Wer den strategischen Ansatz „Kanonen statt Butter“
im Hinterkopf hat und der Verlängerung des Bundeswehrmandats in Afghanistan zustimmt, der spielt nicht
nur mit dem Leben unserer Soldaten, der leitet auch einen Paradigmenwechsel in der deutschen Außenpolitik
ein.
({1})
Dazu, meine Damen und Herren von der SPD, fehlt
Ihnen der Wählerauftrag.
Die PDS lehnt die Verlängerung des Bundeswehrmandates ab.
Vielen Dank.
({2})
Ich erteile das Wort Kollegen Andreas Weigel, SPDFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist eine der bittersten Erkenntnisse der vergangenen drei
Jahre: Terrorismus kann uns allen unmittelbar und in aller Brutalität begegnen. Der internationale Terrorismus
stellt eine umfassende Bedrohung für unsere offene Gesellschaft dar. Methode terroristischer Gruppen ist es,
eine möglichst hohe Zahl an Opfern zu hinterlassen. Sie
wollen ökonomischen, sozialen und psychologischen
Schaden anrichten. Es liegt in unserer Verantwortung,
für den Schutz der eigenen Bevölkerung vor dieser Bedrohung zu sorgen und jeglicher Form von Gewalt und
Intoleranz entgegenzutreten.
({0})
Bei der Abwehr terroristischer Bedrohungen gibt es
allerdings keine Frontlinien und keine geographische
Definition des Bedrohungsursprungs. Terrornetzwerke
müssen über eine Infrastruktur verfügen, um auf Dauer
handlungsfähig zu bleiben: von der Rekrutierung über
Training und Planung bis zum Zugang zu Ressourcen.
Diese Infrastruktur ist allerdings nicht an ein bestimmtes
Land oder Regime gebunden. Der Bedrohung durch den
Terrorismus kann nicht allein militärisch begegnet werden. Langfristig muss es unser Ziel sein, die Unterstützung des internationalen Terrorismus in der islamischen
Welt zu untergraben. Insgesamt kommt es darauf an, den
Zustrom von Geld und Kämpfern sowie die moralische
Unterstützung der Terroristen zu unterbinden.
Mehr als alles andere geht es darum, die Ursachen zu
beseitigen, die dazu führen, dass es den Terrorgruppen
so leicht fällt, immer wieder junge Menschen zu rekrutieren. Trotz alledem sind jetzt Maßnahmen zum Schutz
vor der unmittelbaren terroristischen Bedrohung notwendig, durch die der Terror operativ und militärisch bekämpft werden kann. Wir müssen große Anstrengungen
unternehmen, um zu verhindern, dass sich Anschläge
wie in New York, Istanbul oder Madrid wiederholen
können. Mit unserem Einsatz bei der Operation Enduring Freedom kommen wir unserer internationalen Verantwortung nach.
({1})
Die Anforderungen, die mit der Operation Enduring
Freedom verbunden sind, bedeuten, dass wir die Bundeswehr gegen den globalen Terrorismus einsetzen müssen. Mit Streitkräften, die auf die Abwehr an klaren
Frontlinien gegen einen regional definierbaren Gegner
ausgerichtet sind, werden wir den neuen, asymmetrischen Bedrohungen militärisch nicht entgegentreten
können. Deshalb ist es jetzt notwendig, die vom Verteidigungsminister eingeleitete Transformation der Bundeswehr konsequent fortzusetzen. Die Transformation
der Bundeswehr ist die unmittelbare Antwort auf das
neue Bedrohungsszenario.
So wie der gemeinsame Kampf gegen internationale
Terrorgruppen nach einer Neuausrichtung der Sicherheitspolitik verlangt, so verlangt er auch nach einer
Neuausrichtung sicherheitspolitischer Instrumente. Einsätze gegen internationale Terrorgruppen sind zum tatsächlichen Aufgabenspektrum der Bundeswehr geworden. Derartige Einsätze erfordern leichte, sehr flexibel
einsetzbare Kräfte für die Konfliktbewältigung. Das bedeutet zum Beispiel für die Teilstreitkraft Heer eine
Orientierung weg von mechanisierten Heereskräften und
hin zu kleineren und flexibleren Einheiten für schnelle
Krisenreaktionseinsätze auch außerhalb Europas.
Deshalb haben wir die Division Spezielle Operationen ins Leben gerufen. Mit der DSO ist ein Verband aus
spezialisierten Kräften und Spezialkräften geschaffen
worden, der den Anforderungen des Antiterrorkampfes
entspricht. Innerhalb der DSO ist das Kommando Spezialkräfte besonders für den Einsatz gegen terroristische
Infrastruktur ausgebildet. Die Soldaten der DSO werden
ebenfalls darauf vorbereitet, vor Ort eingreifen zu können, um terroristische Bedrohungen unserer Einsatzkontingente abzuwenden. Das Heer wird so in die Lage versetzt, einen Beitrag zum Kampf gegen internationale
Terrorgruppen zu leisten. Es geht aber auch darum, unsere Soldaten so auszurüsten und auszubilden, dass die
Gefahren für die Soldaten im Einsatz so gering wie möglich sind.
Die Fortsetzung der Operation Enduring Freedom
für die Dauer der nächsten zwölf Monate ist zur operativen Bekämpfung terroristischer Gruppen erforderlich.
Die Operation Enduring Freedom ist langfristig angelegt. Es geht darum, die Strukturen des Terrors zu
zerschlagen, das heißt, Führungs- und Ausbildungseinrichtungen auszuschalten, Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen sowie ihre
Unterstützung durch Sympathisanten zu erschweren.
Den Terroristen werden Rückzugsgebiete verwehrt und
Transportwege abgeschnitten. Wir leisten so auch einen
wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Proliferation von
Massenvernichtungswaffen.
({2})
In den Ländern um das Horn von Afrika hat Enduring
Freedom einen stabilisierenden Einfluss ausgeübt und
den Bewegungsspielraum von Terroristen begrenzt.
Deutschlands Beteiligung an Enduring Freedom resultiert sowohl aus der Verantwortung, die der Staat für
die Sicherheit seiner Bürger trägt, als auch aus unserer
Verpflichtung als Mitglied der internationalen Gemeinschaft. Unser Auftrag ist es, die globalen Netzwerke des
Terrors militärisch und politisch zu bekämpfen.
Gegenüber den heutigen Bedrohungen für unser Land
hilft die Politik der klassischen Landesverteidigung und
Rüstungskontrolle nur noch begrenzt weiter. Im Kampf
gegen terroristische Gruppen müssen wir die Initiative
behalten. Wir müssen die Ursachen des Terrorismus mit
langem Atem politisch bekämpfen. Wir müssen dem
Terrorismus aber auch mit militärischen Mitteln begegnen.
({3})
Ich erteile dem Kollegen Karl-Theodor von und zu
Guttenberg, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lassen Sie uns neben den Soldaten auch einmal
unseren zivilen Kräften Dank sagen, die ebenfalls unter
Einsatz von Leib und Leben versuchen, dem Terror den
Boden zu entziehen. Auch sie haben unseren Dank verdient und den sollten wir ihnen abstatten.
({0})
Die Operation Enduring Freedom wird seit dem
Jahr 2001 von vielen weiteren Initiativen flankiert. Die
meisten dieser Initiativen zielen auf den so genannten
Breiteren Mittleren Osten. So glücklich oder unglücklich
diese Formulierung gewählt ist: Der Bundesaußenminister hat auf der Sicherheitskonferenz in München im
Februar dieses Jahres richtigerweise ein Konzept für diesen „Breiteren Mittleren Osten“ vorgeschlagen. Wir dürfen uns heute im Gesamtkontext der Verfolgung des internationalen Terrorismus allerdings auch einmal fragen,
was aus diesem Konzept des Bundesaußenministers außer wolkigen Ankündigungen geworden ist und in welcher Form es in die anderen Initiativen eingebunden
werden soll.
Auch ist in unserem Land eine breite, tief gehende
Diskussion über diese Themenkreise, über die Region
des Nahen und Mittleren Ostens, über die einzelnen
Staaten kaum erkennbar. Auf internationaler Ebene gibt
es Initiativen: die drei Gipfel im Juni dieses Jahres, auch
die Operation Enduring Freedom, zu der Deutschland,
Herr Bundesminister Struck, wirklich einen gewichtigen
und bemerkenswerten Beitrag leistet.
Seit eineinhalb Jahren haben wir nun zwei große
Sicherheitsstrategien: die National Security Strategy
der Vereinigten Staaten und die Europäische Sicherheitsstrategie, die sich allerdings mehr gegenüberstehen denn
tatsächlich komplementär miteinander verzahnt sind.
({1})
Das ist insgesamt ein Gestrüpp unterschiedlichster Ansätze, das durch lediglich nebulöse Äußerungen nicht
wirklich durchdringbarer wird. Bei dem Anspruch, den
sich der Bundesaußenminister im Februar dieses Jahres
gesetzt hat, ist es an der Bundesregierung, diese unterschiedlichen Ansätze endlich einmal untereinander abzugleichen, komplementär auszugestalten und in Einklang zu bringen.
({2})
Im gestrigen „Stern“ lesen wir, in den nächsten Monaten solle ein strategischer Konsens hergestellt werden.
Das ist schön. Dazu gehört aber in besonderem Maße,
dass wir diesen strategischen Konsens mit unserem
transatlantischen Partner wieder herstellen, das transatlantische Verhältnis als wesentlichen Pfeiler der Bekämpfung des internationalen Terrorismus wieder auf
gesunde Füße stellen und es als einen gewichtigen Pfeiler unserer Arbeit betrachten.
({3})
Hier ist sicherlich auch seitens der Vereinigten Staaten einiges zu leisten. Aber gerade der Bundesinnenminister hat in den vergangenen Jahren gezeigt, dass es
auch mit der Regierung Bush ein freundschaftliches und
zielgerichtetes Miteinander geben kann.
({4})
Es wäre begrüßenswert, wenn sich diese Erkenntnis
auch auf das eine oder andere Ressort übertragen ließe,
insbesondere auf die Spitze des Bundesentwicklungshilfeministeriums.
({5})
Deutschland spielt eine Schlüsselrolle bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus, aber auch bei
der notwendigen Ausgestaltung und Reform der hierfür
relevanten Institutionen. Hier ist als entscheidender Faktor die weitere Funktionsfähigkeit der NATO zu nennen. Es muss allerdings im Interesse unseres Landes sein
- der Kollege Schmidt und andere haben das angesprochen -, dass die zu Recht abgelehnte Toolbox-Mentalität
einzelner auch in den Vereinigten Staaten nicht durch
spiegelbildliches Verhalten auf unserer Seite noch verstärkt wird. Das kann in diesem Lande keiner wünschen;
denn das wäre der falsche Ansatz.
({6})
Stichwort Vereinte Nationen: Die Debatte um einen
deutschen Sitz im Sicherheitsrat mag ja erbaulich sein,
sie ist aber im Gesamtkontext, auch im Rahmen der Reform der Vereinten Nationen, zweitrangig. Sie hat eher
das Potenzial, den Blick auf die Bedrohungs- und Problemlagen unserer Bevölkerung zu verschleiern denn
den Blick auf die Reform der Vereinten Nationen zu verstärken.
In diesem Zusammenhang dürfen wir auch fragen,
wie es in unserem Land eigentlich um die Identifikation
mit dem bestellt ist, was es zu schützen gilt. Die Anschläge auf Djerba und in Madrid am 11. März dieses
Jahres sind mittlerweile fast aus den Köpfen unserer Bevölkerung verschwunden, ebenso das Bewusstsein, dass
unterschiedliche Wertefundamente Ausgangs- und Zielpunkt des internationalen Terrorismus sind. So abstoßend das Werte- und Weltbild fundamentalistischer und
islamistischer Gruppierungen ist und so gerne das Weltbild der Amerikaner belächelt wird, so sehr müssen wir
uns fragen, ob nicht unser eigenes Weltbild auch unter
Billigung relevanter Gruppierungen immer diffuser
wird. Wenn wir glauben, dass wir uns am ehesten schützen können, indem wir den Bedrohungsszenarien möglichst konturlos begegnen, dann haben wir den Kampf
gegen den internationalen Terrorismus bereits verloren.
Herzlichen Dank.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksa-
che 15/4165 zu dem Antrag der Bundesregierung zur
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streit-
kräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion
auf terroristische Angriffe gegen die USA. Der Aus-
schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/4032
anzunehmen.
Es wird namentliche Abstimmung verlangt. Zu dieser
Abstimmung liegt mir eine persönliche Erklärung der
Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger vor.1)
1) Anlage 2
Präsident Wolfgang Thierse
Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, bei der
Stimmabgabe sorgfältig darauf zu achten, dass die von
Ihnen verwendeten Stimmkarten Ihren Namen tragen.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Plätze be-
setzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Also schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.1)
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Dr. Hans-Peter Uhl, Eckart von Klaeden,
Matthias Sehling, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Richterlich geäußerter Verdacht der Förderung der Schleuserkriminalität durch die Bundesregierung
- Drucksachen 15/3032, 15/3670 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Eckart von Klaeden das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
Seit dem Regierungsantritt der rot-grünen Koalition
1998 hat die Erteilung von Visa erheblich zugenommen.
In den GUS-Staaten sind seit dem Jahr 2000
5 Millionen Visa erteilt worden, 900 000 davon alleine
von der Deutschen Botschaft in Kiew. Aber nicht nur die
Erteilung von Visa hat zugenommen, sondern in erschreckendem Maße auch der Missbrauch von Visa, die Visakriminalität. Von den deutschen Botschaften ausgestellte
Visa wurden und werden zur massenhaften Einschleusung von Schwarzarbeitern und zur Einschleusung von
Zwangsprostituierten verwandt, sie werden von Terrorverdächtigen und Terroristen zur Einreise genutzt.
Diese Schleuserkriminalität findet nicht nur mit der
Duldung des Auswärtigen Amtes statt, sondern sie wird
vom Auswärtigen Amt auch noch gefördert.
({0})
Das hat das Landgericht Köln Anfang dieses Jahres in
einem Gerichtsurteil gegen den Kopf einer Schleuser-
bande festgestellt. Der Richter hat in dem Urteil im Hin-
blick auf die Führung des Auswärtigen Amtes gesagt -
ich zitiere -:
1) Seite 12798 D
Das war ein kalter Putsch der politischen Leitung
des Auswärtigen Amtes gegen die bestehende Gesetzeslage.
In der Urteilsbegründung wird weiter ausgeführt, dass
der Kopf dieser Schleuserbande eigentlich zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren hätte verurteilt werden müssen. Weil die politische Führung des Auswärtigen Amtes
es den Schleusern aber allzu leicht gemacht hat, hat man
die Haftstrafe von acht auf fünf Jahre reduzieren müssen.
Die rechtliche Grundlage dieser Visaerteilungen ist
der so genannte Volmer-Erlass aus dem Jahre 2000, in
dem sich der ausdrückliche Hinweis befindet, dass er auf
Weisung von Bundesminister Fischer erlassen worden
ist.
({1})
Das ist bei Erlassen unüblich. Mit diesem Hinweis auf
die ministerielle Autorität sollten die Bedenken und der
Widerspruch aus dem eigenen Apparat des Auswärtigen
Amtes überwunden werden.
({2})
Durch diesen so genannten Volmer-Erlass, der nach
dem früheren Staatsminister benannt ist, der hier vorne
Platz genommen hat und auf dessen Mitarbeit die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode verzichtet,
wurde die Beweislast bei der Visaerteilung umgekehrt.
Das bewährte Prinzip, ein Visum zu verweigern, wenn
Sicherheitsbedenken bestehen, wurde umgekehrt in das
Prinzip einer falsch verstandenen Liberalität „in dubio
pro libertate“, also im Zweifel für die Freiheit, wobei
hier die so genannte Reisefreiheit gemeint ist. Das führte
zum Missbrauch der Reisefreiheit; denn diese Reisefreiheit wurde und wird von Schleusern, Terroristen und
Terrorverdächtigen ausgenutzt und sie ist von dem Landgericht Köln kritisiert worden.
Was ist bisher alles geschehen?
({3})
Massenhaft Schwarzarbeiter sind in unser Land gekommen. In Portugal gibt es ganze Ortschaften, in denen russisch gesprochen wird und in denen die Mitteilungen an
den Gaststätten auf Kyrillisch stehen. Es ist ein offenes
Geheimnis, dass all diese Menschen durch Besuchsvisa
der deutschen Botschaften in den GUS-Staaten nach
Portugal gekommen sind.
Es gibt massenhaft Beschwerden über die Zustände
an den deutschen Botschaften - aus Portugal, von der
französischen und von der spanischen Grenzpolizei, von
der Europäischen Union, aber auch vom Bundeskriminalamt und vom BGS. Mit deutschen Besuchsvisa sind
nach den Informationen des russischen Geheimdienstes
und des Bundeskriminalamtes auch zwei Tschetschenen
eingereist, die an der Vorbereitung und Durchführung
des Anschlags auf das Moskauer Musicaltheater beteiligt
waren. Auch weitere terrorverdächtige Personen reisen
ein. Auf die Ministervorlage für den Bundesminister des
Innern werde ich nachher noch eingehen.
Es gibt aber auch strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes wegen
Bestechlichkeit, wegen uneidlicher Falschaussage in
dem von mir angesprochenen Prozess und wegen der
Teilnahme an Menschenhandel und Schleusung durch
Unterlassung. Es geht uns hier nicht darum, die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes an den Pranger zu stellen.
({4})
Wir wollen die Strukturen verändert sehen, die die
Rechtsbrüche, die in dem Urteil des Landesgerichts angesprochen worden sind, fördern.
({5})
In diesem Zusammenhang möchte ich einmal aus der
Ministervorlage zitieren, die aus diesen Wochen stammt.
Dort heißt es, dass in der letzten Zeit eine Zunahme von
Unregelmäßigkeiten in der Visumerteilungspraxis des
Auswärtigen Amtes zu verzeichnen sei, die Gefahren für
die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland
berge. Diese Unregelmäßigkeiten beträfen die Missachtung der gesetzlich vorgeschriebenen Beteiligungserfordernisse der nationalen Sicherheitsbehörden.
({6})
Meine Damen und Herren, wenn Terrorverdächtige
nach Deutschland einreisen und Terroristen von
Deutschland aus agieren können, dann ist es nur noch
eine Frage der Zeit, bis es zu Anschlägen in Deutschland
oder in anderen Schengen-Staaten kommt. Es ist gelebte
Sicherheitspolitik, diese Einreise von Terrorverdächtigen
und von Terroristen zu verhindern.
({7})
Schon heute gibt es Hinweise unserer eigenen Sicherheitsbehörden, dass sich Terrorgruppen zunehmend der
Strukturen der Schleuserkriminalität bedienen,
({8})
um ihre Aktivisten in den Schengen-Raum und in andere
Länder einzuschleusen.
Wir müssen alles dafür tun, mögliche Anschläge in
unserem eigenen Land und in anderen Schengen-Staaten
zu verhindern. Wenn es zu einem Anschlag gekommen
ist, ist es zu spät. Wir müssen auch alles dafür tun - ich
denke jetzt an die Niederlande -, entsprechende rassistische Gegenreaktionen zu verhindern. Deutschland bleibt
nur dann ein offenes, tolerantes und ausländerfreundliches Land, wenn wir alles tun, um illegale Einreise und
Kriminalität zu unterbinden.
({9})
Wir wollen, dass Studenten und Wissenschaftler nach
Deutschland kommen. Wir wollen auch, dass Touristen
und Kaufleute nach Deutschland kommen. Aber wir
wollen, dass diejenigen, die Frauenhandel betreiben,
dass Drogen- und Waffenhändler sowie Terroristen gefälligst dort bleiben, wo sie sind. Wir haben mit der Kriminalität in unserem Land schon genug zu tun.
({10})
Wir wollen Sie mit unserer parlamentarischen Initiative dazu zwingen, ihre Visapolitik zu ändern und sie
vom Kopf wieder auf die Füße zu stellen. Wir wollen,
dass bei der Visaerteilung endlich wieder die Sicherheit
und die Interessen unseres eigenen Landes und nicht
eine falsch verstandene Reisefreiheit im Vordergrund
stehen.
({11})
Die Strukturen müssen geändert werden. Auch das, was
Sie bisher an Maßnahmen unternommen haben, der so
genannte Chrobog-Erlass, ist nicht geeignet, die
Strukturen tatsächlich zu verändern. Das haben Sie selber gesagt; denn Sie erklären, dass an der grundsätzlichen Ausrichtung Ihrer Visapolitik nichts geändert werden soll.
Seitdem wir angekündigt haben, einen Untersuchungsausschuss zu diesem Thema einzurichten, bekommen wir vermehrt Hinweise, Anrufe und Unterlagen
und auch in der Öffentlichkeit mehren sich die Berichte,
dass die Probleme an der Botschaft in Kiew leider keine
Einzelfälle sind. Die Einreise der Terroristen, die den
Anschlag auf das Musicaltheater vorbereitet haben, ist
über Moskau erfolgt. Ebenso gibt es Missstände in
Minsk, Colombo, Pristina, Algier
({12})
und auch Tirana. Die Fälle des Visamissbrauchs und der
falschen Strukturen, die nicht angegangen werden, sind
Legion. Wir wollen die Strukturen von Grund auf verändern, weil der Fisch vom Kopfe her stinkt.
({13})
Wir fordern Sie auf, Ihre Visapolitik zu ändern. Wir
werden den Untersuchungsausschuss nutzen, die gemachten Fehler und die falschen Strukturen der Visapolitik aufzudecken und über die Öffentlichkeit dafür zu
sorgen, dass diese Strukturen endlich geändert werden,
damit die Sicherheit unseres Landes wieder im Vordergrund steht.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({14})
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile,
komme ich zurück zu Tagesordnungspunkt 19 und gebe
das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die
Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu
dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des
Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische
Angriffe gegen die USA bekannt. Abgegebene Stimmen 560. Mit Ja haben gestimmt 550, mit Nein haben
gestimmt 10, Enthaltungen keine. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.
Präsident Wolfgang Thierse
Endgültiges Ergebnis
Abgegebenen Stimmen: 560
davon
ja: 550
nein: 10
Ja
SPD
Dr. Lale Akgün
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr ({0})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({1})
Klaus Barthel ({2})
Sören Bartol
Uwe Beckmeyer
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({3})
Kurt Bodewig
Gerd Friedrich Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({4})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Marion Caspers-Merk
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Peter Dreßen
Elvira Drobinski-Weiß
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Martina Eickhoff
Marga Elser
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({5})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({6})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Monika Heubaum
Gisela Hilbrecht
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({7})
Frank Hofmann ({8})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Brunhilde Irber
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Klaus-Werner Jonas
Johannes Kahrs
Dr. h.c. Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Dr. Heinz Köhler ({9})
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({10})
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Caren Marks
Hilde Mattheis
Ulrike Mehl
Petra-Evelyne Merkel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Michael Müller ({11})
Christian Müller ({12})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Volker Neumann ({13})
Dietmar Nietan
Dr. Erika Ober
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Karin Rehbock-Zureich
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({14})
Michael Roth ({15})
Ortwin Runde
Thomas Sauer
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({16})
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Horst Schmidbauer
({17})
Ulla Schmidt ({18})
Silvia Schmidt ({19})
Wilhelm Schmidt ({20})
Heinz Schmitt ({21})
Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Wilfried Schreck
Ottmar Schreiner
Brigitte Schulte ({22})
Reinhard Schultz
({23})
Swen Schulz ({24})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Rita Streb-Hesse
Joachim Stünker
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Ute Vogt ({25})
Dr. Marlies Volkmer
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Petra Weis
Reinhard Weis ({26})
Gunter Weißgerber
Prof. Gert Weisskirchen
({27})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Jürgen Wieczorek ({28})
Dr. Dieter Wiefelspütz
Brigitte Wimmer ({29})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Waltraud Wolff
({30})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Helmut Zöllmer
Dr. Christoph Zöpel
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({31})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Prof. Dr. Rolf Bietmann
Clemens Binninger
Renate Blank
Präsident Wolfgang Thierse
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Helge Braun
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Verena Butalikakis
Hartmut Büttner
({32})
Cajus Julius Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Vera Dominke
Thomas Dörflinger
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({33})
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({34})
Dirk Fischer ({35})
Axel E. Fischer ({36})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({37})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Richard Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Roland Gewalt
Eberhard Gienger
Georg Girisch
Michael Glos
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Karl-Theodor Freiherr von
und zu Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Gerda Hasselfeldt
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Siegfried Helias
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Irmgard Karwatzki
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Siegfried Kauder ({38})
Gerlinde Kaupa
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Kristina Köhler ({39})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Rudolf Kraus
Michael Kretschmer
Günther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn ({40})
Helmut Lamp
Barbara Lanzinger
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Walter Link ({41})
Dr. Klaus W. Lippold
({42})
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Erwin Marschewski
({43})
Stephan Mayer ({44})
Dr. Conny Mayer ({45})
Dr. Martin Mayer
({46})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Laurenz Meyer ({47})
Doris Meyer ({48})
Maria Michalk
Hans Michelbach
Klaus Minkel
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Stefan Müller ({49})
Bernward Müller ({50})
Bernd Neumann ({51})
Henry Nitzsche
Michaela Noll
Claudia Nolte
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Melanie Oßwald
Eduard Oswald
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({52})
Katherina Reiche
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Roedel
Franz-Xaver Romer
Dr. Klaus Rose
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Albert Rupprecht ({53})
Peter Rzepka
Andreas Scheuer
Georg Schirmbeck
Angela Schmid
Christian Schmidt ({54})
Andreas Schmidt ({55})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Matthias Sehling
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Christian von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({56})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Edeltraut Töpfer
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marko Wanderwitz
Peter Weiß ({57})
Gerald Weiß ({58})
Ingo Wellenreuther
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({59})
Volker Beck ({60})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Jutta Dümpe-Krüger
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Antje Hermenau
Peter Hettlich
Ulrike Höfken
Thilo Hoppe
Michaele Hustedt
Jutta Krüger-Jacob
Fritz Kuhn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({61})
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({62})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Friedrich Ostendorff
Simone Probst
Claudia Roth ({63})
Krista Sager
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({64})
Werner Schulz ({65})
Petra Selg
Ursula Sowa
Silke Stokar von Neuforn
Marianne Tritz
Dr. Antje Vogel-Sperl
Dr. Antje Vollmer
Präsident Wolfgang Thierse
Dr. Ludger Volmer
Margareta Wolf ({66})
FDP
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({67})
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Helga Daub
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich
({68})
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Joachim Günther ({69})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Christel Happach-Kasan
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Markus Löning
Günther Friedrich
Nolting
({70})
Eberhard Otto ({71})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Andreas Pinkwart
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Fraktionslose Abgeordnete
Martin Hohmann
Nein
CDU/CSU
Dr. Wolf Bauer
Wolfgang Börnsen
({72})
Manfred Carstens ({73})
Willy Wimmer ({74})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Winfried Hermann
Hans-Christian Ströbele
FDP
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Fraktionslose Abgeordnete
Petra Pau
({75})
Ich erteile nunmehr das Wort dem Kollegen Detlef
Dzembritzki, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr von
Klaeden, nach Ihrer Wortwahl und den pauschalen Unterstellungen fällt es schwer, darauf ruhig zu reagieren.
Ich werde mich dennoch darum bemühen.
Es ist unbestreitbar das gute Recht und sicherlich
auch die Pflicht der Opposition, festgestellte oder vermutete Verfehlungen
({0})
im Verantwortungsbereich des Regierungshandelns
durch die Kontrollmittel der parlamentarischen Demokratie zu hinterfragen. Wenn Ihr Zwischenruf in diese
Richtung ging, stimmen wir überein, Herr Kollege.
({1})
Im vorliegenden Fall geht es um die Vergabepraxis bei
Kurzzeitvisa an bestimmten deutschen Auslandsvertretungen.
Wir debattieren heute die Große Anfrage der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion, die sich vordergründig mit
diesem Sachverhalt befasst und mit dem reißerischen Titel „Richterlich geäußerter Verdacht der Förderung der
Schleuserkriminalität durch die Bundesregierung“ daherkommt.
({2})
Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort von Anfang
September dieses Jahres überzeugend dargelegt, dass
diese von der Opposition erhobenen Vorwürfe und Unterstellungen nicht zutreffend sind.
({3})
In den Einzelfällen, in denen es in der Tat zu Unregelmäßigkeiten bei der Visaerteilung durch deutsche Auslandsvertretungen gekommen ist, ist das Auswärtige
Amt diesen Vorwürfen nachgegangen, hat die Abläufe
und Verfahrensweisen geändert und - wo erforderlich personalrechtliche Konsequenzen gezogen.
Nun hat die Union angekündigt, einen Untersuchungsausschuss einrichten zu wollen, der nochmals
den Fragen nachgehen soll, die in den Kleinen und Großen Anfragen sowie zahllosen schriftlichen und mündlichen Fragen bereits erschöpfend beantwortet wurden.
Duktus und Wortwahl der Großen Anfrage machen dabei dem geneigten Leser deutlich, worum es der Union
eigentlich geht und weshalb der Untersuchungsausschuss eingerichtet werden soll. Thematisch ist dieser
Vorgang im Verantwortungsbereich des bei der Bevölkerung seit Jahren beliebtesten deutschen Politikers, des
Außenministers Joschka Fischer, angesiedelt. Da Sie es
nicht schaffen, Kolleginnen und Kollegen von der CDU/
CSU, aufgrund eigener Meriten die Zuneigung der Menschen im Lande zu gewinnen, starten Sie eine destruktive Kampagne, von der Sie hoffen, es werde schon irgend etwas hängen bleiben.
({4})
Auch das ist das Recht der Opposition, so wie es unser
Recht ist, diese Vorhaben als erbärmlich zu kennzeichnen.
({5})
Das Problem, um das es hier geht, das Spannungsfeld,
das es zu beleuchten gilt, ist viel komplexer, als es die
Anfrage vermuten lässt. Die Welt ist nicht so simpel, wie
die Verfasser glauben. Ihrer Meinung nach wären die
Deutschen sicher wie in Abrahams Schoß, wenn nur
möglichst wenige Ausländer nach Deutschland reisen
dürften. Dieses Weltbild richtet aber außenpolitischen
Schaden an und das wissen auch die klugen Außenpolitiker der CDU, die sich in dieser Frage erstaunlich zurückhalten.
({6})
Die eifrigen Rechts- und Innenpolitiker der Opposition
hingegen verzetteln sich in juristischen Detailfragen und
verlieren sich in Spitzfindigkeiten.
({7})
Das ist ein weiterer Beweis, Kolleginnen und Kollegen
von der Opposition, insbesondere von der CDU/CSU,
dass Sie immer noch nicht zu einem konstruktiven Politikstil zurückgefunden haben. Mit Ihrem Verhalten werden Sie dem Problem, um das es hier geht, mit Sicherheit nicht gerecht.
Worum geht es eigentlich? Deutschland ist ein weltoffenes und gastfreundliches Land, das kein Interesse daran hat, sich abzuschotten. Die Deutschen reisen selbst
gern und oft. Als Gastgeber und Geschäftsleute haben
wir natürlich ein großes Interesse am regelmäßigen persönlichen Austausch mit dem Ausland, sei es aus wirtschaftlichen, kulturellen, touristischen oder familiären
Gründen. Wir sind stolz auf diese offene Gesellschaft,
der wir uns alle verpflichtet fühlen. Gerade diese Offenheit macht die Attraktivität Deutschlands und auch der
Länder der Europäischen Union aus. Die Länder, die der
EU kürzlich beigetreten sind, wurden nicht nur durch die
Hoffnung auf materielle Vorteile in diese EU gezogen,
sondern auch durch die Anziehungskraft der freiheitlichen Gesellschaft motiviert. Diese Entwicklung ist ein
Glücksfall für Europa, an den wir noch vor 15 Jahren
nicht zu denken gewagt hätten.
({8})
Aber es gibt auch eine Kehrseite dieser glänzenden
Medaille. Diese Offenheit birgt Risiken für die Sicherheit
unseres Landes. Wir müssen den Bedürfnissen unserer
inneren Sicherheit Rechnung tragen und den zahlreichen
Versuchen der illegalen Einreise nach Deutschland und
Europa effektiv begegnen. Diese Grundproblematik hat
es schon immer gegeben. Nach dem 11. September 2001
ist jedoch das Sicherheitsbedürfnis auch in Europa größer geworden. Abstriche an der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande dürfen nicht gemacht
werden. Missbrauch und Korruption im Zusammenhang
mit der Erteilung von Visa müssen entschlossen bekämpft werden. Auch für diese Ziele steht die Bundesregierung mit ihrer Politik ein.
({9})
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Visastellen der deutschen Botschaften und Generalkonsulate arbeiten genau an dieser Schnittstelle, in dem Spannungsfeld von Sicherheitsbelangen auf der einen und dem
Wunsch nach unbürokratischen Verfahren und Liberalität auf der anderen Seite. Für viele Ausländer sind die
Visastellen der Botschaft oft der erste Berührungspunkt
mit Deutschland. Den Visastellen wird immer wieder erklärt, dass ihre Arbeit für Deutschland im Gastland ganz
besonders wichtig sei. Wer sich als Bundestagsabgeordneter die Visaabteilungen in den verschiedenen Ländern
anschaut, ob in Warschau, in Washington oder in Ouagadougou, wird bestätigen können, dass die Arbeit dort unter schwierigen Bedingungen geleistet wird.
Was haben die Visaabteilungen eigentlich zu leisten?
Sie sind an das deutsche Ausländerrecht und das Schengener Durchführungsübereinkommen gebunden. Auch
die Neuregelungen der Einreisebestimmungen im Zuwanderungsgesetz müssen berücksichtigt werden. Damit
ist der rechtliche Rahmen abgesteckt, in dem die notwendigen Sicherheitsbelange berücksichtigt werden
müssen.
Auf der anderen Seite müssen neben den bereits
erwähnten wirtschaftlichen, kulturellen, wissenschaftlichen und touristischen Gründen natürlich auch die zwischenmenschlichen Aspekte und humanitären Verpflichtungen berücksichtigt werden, die im Visumverfahren
eine Rolle spielen. Ebenso müssen wir unseren humanitären und politischen Ansprüchen gerecht werden und
dürfen die Erteilung von Visa nicht als Instrument zur
Abschottung missbrauchen. Dies kann nur gelingen,
wenn Ermessensentscheidungen möglich sind und der
Spielraum für eine angemessene Entscheidung gegeben
ist. Die richtige Balance auch in der Abwägung humanitärer Aspekte zu finden ist eine Kunst, die schwieriger
zu erlernen ist als das Abfragen beim Ausländerzentralregister.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Visastellen
dürfen nun erleben, dass in den nächsten Wochen auf
Antrag der CDU/CSU-Fraktion ein Untersuchungsausschuss eingerichtet wird. Ein Untersuchungsausschuss
wird zu denselben Fragen, die die Union bereits gestellt
hat und die durch die Bundesregierung bereits beantwortet wurden, keine neuen Erkenntnisse hervorbringen.
({10})
Er wird aber, sehr geehrter Herr Grindel, die Bediensteten in den Visastellen pauschal unter Druck setzen und
den Ermessensspielraum für sachgerechte Entscheidungen einschränken.
({11})
Ob es der Wirtschaftsflügel der CDU wohl begrüßen
wird, wenn Konsularbeamte Angst haben, Bona-fideRegelungen für Geschäftsleute zu treffen? Diese Frage
werden Sie beantworten müssen.
({12})
Wenn sich die Visumpolitik nach dem Amtsantritt der
rot-grünen Bundesregierung der Weltoffenheit und
Humanität verpflichtet gefühlt und dieser Grundsatz
auch die Praxis der Ausländervertretungen geprägt hat,
entspricht das einem modernen Deutschlandbild. Die internationale Lage hat allerdings inzwischen eine Reihe
neuer Herausforderungen für unsere Sicherheit hervorgebracht - wir haben in der vorherigen Debatte gerade
entsprechende Entscheidungen getroffen, liebe Kolleginnen und Kollegen - und ich gehe davon aus, dass wir
alle bereit sind, uns diesen neuen Herausforderungen zu
stellen.
Selbstverständlich hat diese Situation auch Anlass gegeben, die Praxis immer wieder zu überprüfen. Die Visavergabepraxis ist der Kontinuität verpflichtet und sie ist
immer wandlungsfähig geblieben. Das Auswärtige Amt
hat vor kurzem mit einer neuen internen Regelung eine
Anpassung vorgenommen. Das alles hat jedoch nichts
mit Fällen organisierter Kriminalität und illegalen
Schleusertums zu tun, mit denen sich deutsche Gerichte
auseinander setzen müssen. Diese Machenschaften
durch bessere europaweite Vernetzung im SchengenRaum zu bekämpfen, muss unser gemeinsames Ziel sein.
({13})
Sicherheit und Freiheit dürfen dabei nicht als Gegensatz
verstanden werden, sondern müssen gemeinsame Aufgabe und Verpflichtung sein.
Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({14})
Ich erteile das Wort Kollegen Ernst Burgbacher, FDPFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Visastellen der deutschen Auslandsvertretungen sind die
Außenposten der deutschen Sicherheitspolitik und schon
deshalb ist das, worüber wir heute reden, sehr wichtig.
Eines ist doch völlig unstrittig: Wenn es in diesem Bereich zu Unregelmäßigkeiten oder Affären kommt oder
wenn politisch zweifelhafte Vorgaben bestehen, muss
diesen nachgegangen werden.
({0})
Wenn es nur den Verdacht von Schleuserkriminalität,
wie ihn größere deutsche Magazine melden, gibt, muss
auch dem nachgegangen werden.
({1})
Deshalb sind wir den Kolleginnen und Kollegen der
Union dankbar, dass sie das Thema, das wir auch im Innenausschuss sehr ausführlich erörtert haben, in die Öffentlichkeit gebracht haben.
Es ist keine Frage: Individuelle Verfehlungen und Ansätze zu kriminellen Handlungen müssen verfolgt und
geahndet werden. Natürlich muss aber auch gefragt werden: Stimmen die Voraussetzungen? Sind eigentlich die
Vorgaben für die Beamten in den Konsulaten in Ordnung?
({2})
Dazu sage ich für die FDP-Fraktion: Der Volmer-Erlass
war nicht in Ordnung.
({3})
- Ich habe Ihrer Großen Anfrage sehr wohl entnommen,
Herr Koschyk, dass Sie in Bezug auf den Volmer-Erlass
an jeder Stelle dazugeschrieben haben: auf ausdrückliche Weisung des Bundesaußenministers Joseph Fischer.
Dass der Minister selber das zu verantworten hat, steht
doch völlig außer Frage.
({4})
Der Grundsatz „in dubio pro libertate“ war wohl tatsächlich ein Einfallstor für Fehlentscheidungen. Man
muss im Zusammenhang mit diesem Grundsatz berücksichtigen, wie der Begriff Libertas, also Freiheit, ausgelegt wird.
({5})
Freiheit heißt nicht, etwas beliebig zu erleichtern und
auf Kontrolle zu verzichten. Freiheit bedeutet vielmehr,
die Freiheit zu schützen. Das gilt auch für unsere Freiheit hier. Deshalb sind umfassende Kontrollen notwendig. Das steht außer Frage. Deshalb war der Volmer-Erlass falsch und es ist gut, dass er korrigiert wurde.
({6})
Als Reaktion auf die Kritik folgte der Chrobog-Erlass, der das Prinzip „in dubio pro libertate“ durch Leitlinien mit klaren Kriterien ersetzt. Das begrüßen wir ausdrücklich. Wir begrüßen, dass der Erlass geändert wurde
und dass ein Visahandbuch angekündigt worden ist, mit
dem den Verunsicherungen in den Auslandsvertretungen
Einhalt geboten werden soll. Denn eines ist klar: Die Beamten leisten in diesen Vertretungen eine unwahrscheinlich schwere Arbeit.
({7})
Um diese Arbeit bewältigen zu können, müssen sie mit
klaren Regelungen und Richtlinien ausgestattet sein. Andernfalls ist das nicht zu schaffen. Im Übrigen heißt es,
dass das Auswärtige Amt Schwierigkeiten hat, Beamte
zu finden, die bereit sind, sich in kritische Visastellen
versetzen zu lassen. Dabei ist das deutsche Parlament
gefordert, sich für die Erstellung von Kriterien und
Richtlinien einzusetzen, die den Beamten vor Ort ihre
Tätigkeit erleichtern. Angesichts des Chrobog-Erlasses
und des angekündigten Handbuchs haben wir die Hoffnung, dass sich einiges ändert.
Allerdings warne ich davor, in das Gegenteil zu verfallen. Wir alle wissen: Das ist ein hoch sensibler Bereich. Die Sicherheit im Inneren wie auch an den Grenzen ist häufig eine Gratwanderung. Niemand in diesem
Parlament sollte in den Debatten versuchen, den Bürgerinnen und Bürgern vorzugaukeln, eine Maßnahme alleine reiche aus, um alle Probleme zu lösen.
({8})
Schließlich wird es immer wieder kritische Fälle geben. Wir sollten uns dazu bekennen, dass eine offene und
freie Gesellschaft auch gewisse Risiken in Kauf nehmen
muss. Wenn eine freie Gesellschaft beginnt, einen
Schutzzaun um alle Gefahrenherde zu ziehen, dann geht
die Freiheit sehr schnell verloren. In diesem Konflikt leben wir. Seit dem 11. September und dem Beginn des
weltweiten Terrorismus leben wir mit diesem Konflikt
wesentlich bewusster.
Dem müssen wir entgegensetzen, dass wir sehr viel
stärker auf Weltoffenheit angewiesen sind als viele andere Länder. Wir sind das Land mit den stärksten wirtschaftlichen Verflechtungen. Deshalb braucht auch unsere Wirtschaft Offenheit. Wir wollen die kulturelle
Offenheit und wir wollen den Tourismus in Deutschland
fördern. Deshalb können wir nicht einfach die Grenzen
abschotten und niemanden mehr hereinlassen. Das wäre
für unser Land verheerend.
In diesem Konflikt leben wir. In der heutigen Debatte
geht es darum, wie wir diesen Konflikt auflösen können.
Wir wollen keine amerikanischen Verhältnisse. Wir wollen nicht, dass - wie in den USA - die Grenzen zum Teil
dichtgemacht werden, mit allen Folgen, die aus den USA
bekannt sind. Zum Beispiel sind große Veranstaltungen
und Kongresse inzwischen abgesagt worden. Die Unternehmen haben Schwierigkeiten, Mitarbeiter in die USA
zu entsenden, weil diese kein Visum erhalten. Das kann
keine Lösung sein.
({9})
Deshalb stellt sich die Frage: Was können wir tun?
({10})
Wir begrüßen den Chrobog-Erlass, aber wir wissen
auch, dass sein Erfolg sehr stark davon abhängt, wie sich
seine Umsetzung gestaltet.
Damit sind wir bei der Besetzung unserer Konsulate.
Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Die FDP hatte im
Haushaltsausschuss mehrfach den Antrag gestellt, die
Rechts- und Visaabteilungen von globalen Stellenkürzungen auszunehmen. Dieser Antrag wurde zweimal abgelehnt. Erst im dritten Anlauf waren wir erfolgreich.
Die erwähnten Abteilungen wurden von Stellenkürzungen ausgenommen. Das war sicherlich absolut notwendig; denn wenn man die Probleme betrachtet, kommt
man zu dem Schluss, dass dort keine Stellenkürzungen
vorgenommen werden dürfen. Anderenfalls könnten Sie
so viel erlassen, wie Sie wollten, Sie könnten nichts
durchsetzen.
({11})
Deshalb bitte ich Sie, für klare Personalstrukturen zu
sorgen. Eventuell muss aber intern umgeschichtet werden, um die notwendige Stärke zu gewährleisten.
Die Union hat vorgeschlagen, die Kompetenzen vom
Auswärtigen Amt zum Bundesministerium des Innern
zurückzuverlagern. Hierzu erkläre ich für meine Fraktion ganz klar: Das ist der falsche Weg. Wenn ich mich
recht erinnere, war es Hans-Dietrich Genscher, der die
Kompetenzen auf das Auswärtige Amt übertragen hat.
Dort sind sie richtig angesiedelt; denn das Auswärtige
Amt ist für die Botschaften und die Konsulate zuständig.
Lassen Sie mich zum Schluss noch ein paar Sätze zu
der geplanten Einsetzung eines Untersuchungsausschusses sagen. Herr Dzembritzki, ich finde es mutig, zu
sagen, ein Untersuchungsausschuss werde politische
Dinge verhindern und damit sei vieles nicht mehr möglich. Das kann es nun wirklich nicht sein. Allerdings
räume ich ein, dass wir im Augenblick noch skeptisch
sind. Wenn überhaupt, hätte schon vor einem halben Jahr
ein Untersuchungsausschuss eingesetzt werden müssen.
Er kommt jetzt reichlich spät. Da Untersuchungsausschüsse die schärfste Waffe sind, die das Parlament hat,
werden wir in der FDP-Bundestagsfraktion sorgsam darüber beraten, wie wir uns zu diesem Punkt verhalten
werden. Tatsache ist zwar, dass aufgeklärt werden muss,
dass die Strukturen verändert werden müssen und dass
es eine vernünftige Personalausstattung geben muss.
Aber es darf in diesem Zusammenhang nicht alles einbezogen und verschärft werden. Unser Land muss offen
bleiben. Das Motto der Fußballweltmeisterschaft 2006
in Deutschland lautet: „Die Welt zu Gast bei Freunden.“
Wir müssen alles tun, dass wir ein weltoffenes, sympathisches und gastfreundliches Land bleiben. Daran lassen wir keinerlei Abstriche machen.
Herzlichen Dank.
({12})
Ich erteile das Wort der Staatsministerin Kerstin
Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heute
zur Diskussion stehende Angelegenheit beschäftigt uns
schon etwas länger.
({0})
Seit Februar dieses Jahres versuchen Sie, meine Damen
und Herren von der Union, einen Skandal zu konstruieren. Ich sage aber sehr deutlich: Es gibt keinen Skandal.
({1})
Auch heute, neun Monate später und nach vielen hundert
parlamentarischen Anfragen,
({2})
bestätigt sich, was von Anfang an galt: Die Bundesregierung betreibt eine verantwortungsvolle, sachgerechte
und rechtsstaatliche Visumpolitik. Das haben wir in der
Antwort der Bundesregierung auf Ihre Große Anfrage
sehr ausführlich dargelegt.
({3})
Ihre Behauptung, zwischen dem Erlass des Auswärtigen Amtes zur Visumpraxis vom März 2000 und den
kriminellen Machenschaften von Schleusern - diese beschäftigen inzwischen in der Tat Gerichte und Staatsanwälte - bestehe ein Zusammenhang, hat mit der Realität
nichts, aber auch gar nichts zu tun. Das ist reine Propaganda.
({4})
Der vorläufige Höhepunkt - ich sollte vielleicht besser
sagen: Tiefpunkt - dieser Propaganda ist Ihr Beschluss
zur Beantragung der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Ich kann Ihnen nur versichern, dass wir
dem sehr gelassen entgegensehen, weil wir wissen, dass
an Ihren Behauptungen einfach nichts dran ist. Die Art
und Weise, wie die Opposition dieses Thema behandelt,
zeigt nur, in welch verzweifelter Lage sie sich befindet.
Angesichts des Meinungschaos in der Union in zentralen
Politikbereichen wie zum Beispiel der Gesundheitspolitik - dort soll es ja bei Ihnen zu einer Einigung gekommen sein; wir werden sehen ({5})
suchen Sie in Ihrer Verzweiflung nach einem Thema, das
von Ihrer schlechten Lage ablenken soll. Die „FAZ“ hat
das in den letzten Tagen sehr schön dargestellt: Zunächst
haben Sie versucht, einem Untersuchungsausschuss über
die LKW-Maut das Wort zu reden. Das Thema Kosovo
war auch einmal Gegenstand der Überlegungen. Jetzt
haben Sie sich eines der am umfangreichsten dokumentierten Themen der gesamten Legislaturperiode ausgesucht.
Was wollen Sie damit eigentlich noch aufklären? In
unzähligen Fragerunden, an denen ich selbst beteiligt
war, hat die Bundesregierung ganze Bände von Antworten übermittelt. Ich erwähne noch einmal die zuletzt gegebene 25-seitige Antwort auf die Große Anfrage, mit
der wir auf Ihre Fragen noch einmal minutiös und im
Detail geantwortet haben. Wollen Sie etwa behaupten,
dass diese Bände von Antworten auf Ihre Fragen nicht
ausreichen?
({6})
Dieses ganze Vorgehen zeugt nur von Ihrer Verzweiflung. Es zeigt, dass Ihnen ein Thema fehlt und dass Sie
ablenken wollen. Außerdem zeigt es - das ist viel
schlimmer - Ihre Scheinheiligkeit.
({7})
Mit den populistischen Parolen, die Bundesregierung
öffne unser Land für Straftäter, Schwarzarbeiter, Prostituierte und Terroristen in rechtswidriger Weise, wollen
Sie die Angst der Menschen einfach für Ihre Zwecke
ausnutzen.
({8})
Sie meinen, dass sich das Thema Visumverfahren dafür eignet. Hier liegen Sie falsch. Sie vergessen dabei einen sehr wichtigen Punkt: Sie selbst und Abgeordnete
aller Fraktionen sind es, die sich in unzähligen Einzelfragen an das Auswärtige Amt oder an die Auslandsvertretungen wenden und sich für eine „großzügigere
Visumerteilung“ oder für eine „nachträgliche Abänderung einer Visumversagung“ einsetzen.
({9})
- Sie brauchen gar nicht so laut zu schreien. Ich habe
eine der Listen mit. Dabei geht es ausschließlich um die
Botschaft in Kiew. Die entsprechenden Anfragen kommen fast nur aus Ihrer Fraktion.
({10})
Diese ganze Liste ist lang und enthält viele prominente
Namen. Ich kann Ihnen ein paar Beispiele geben, und
zwar nur in Bezug auf die Botschaft in Kiew: der Abgeordnete Uhl, der Abgeordnete Austermann, der Abgeordnete Manfred Carstens, der Abgeordnete Hans
Raidel, der werte Kollege Eduard Oswald, der Kollege
Herr Hinsken, Frau Hasselfeldt, Frau Böhmer. Ich will
diese Namen nicht alle aufzählen. Wir haben im Untersuchungsausschuss noch ausreichend Zeit dazu, uns mit
diesen Anfragen zu beschäftigen; denn auch sie werden
dann auf den Tisch des Hauses kommen.
({11})
Ich möchte hier nun noch folgendes Beispiel nennen:
Der Herr Kollege Hinsken hat sich beim Bundesaußenminister Fischer sogar persönlich dafür eingesetzt, dass
45 indische Bäcker, die vom Generalkonsulat Chennai
teilweise kein Visum zur Einreise nach Deutschland bekommen haben, doch noch ein solches Visum erhalten.
({12})
Generell ist das eigentlich in Ordnung. Wir haben das
auch geprüft. Herr Hinsken hat dabei aber eine eigene
Prüfung der Rückkehrbereitschaft angestellt und ist zu
dem großartigen und unzweifelhaften Schluss gelangt,
dass die Rückkehrbereitschaft in allen 45 Fällen vorliegt
und dass die Visa daher entgegen der Auffassung des
Generalkonsulats erteilt werden müssen. Derlei Fälle
kann ich Ihnen viele nennen.
({13})
An dieser Stelle möchte ich auch Folgendes einmal
deutlich sagen: Ich möchte hier die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Auslandsvertretungen, die
unter großem Druck und zum Teil schwierigsten Lebensbedingungen ihren Dienst versehen, wirklich ausdrücklich in Schutz nehmen.
({14})
- Es lässt tief blicken, dass Sie sagen: „Um die geht es
doch überhaupt nicht!“ Der Druck, dem sich die Bediensteten ausgesetzt sehen, kommt - das muss ich leider sagen - zum Teil auch von Ihnen.
({15})
Ich bedauere das sehr.
Ich gebe Ihnen hier noch folgendes Beispiel, das mich
selbst bei der Recherche ziemlich erschreckt hat. Die
Deutsche Botschaft Kiew berichtete im September dieses Jahres, dass sich ein bayerischer Kollege per Telefon Einfluss auf die Entscheidung der Visastelle verschaffen wollte. Man kann lesen, dass der Kollege der
Bediensteten offensichtlich damit drohte, sie „beruflich
platt zu machen“, wenn sie das von ihm gewünschte Visum nicht erteilt.
({16})
- Das alles werden wir im Untersuchungsausschuss auf
den Tisch legen.
Das ist wirklich starker Tobak. Es steht im krassen
Gegensatz zu dem, was man aus Bayern sonst zur Einreise von Ausländern hört. Das zeigt erneut, mit welcher
Scheinheiligkeit Sie an die Sache herangehen.
({17})
Die deutsche Visumpolitik - das sind rund 3 Millionen Einzelfallentscheidungen, die unsere Bediensteten
in fast 200 Botschaften und Generalkonsulaten pro Jahr
zu treffen haben. Wenn es dabei in Einzelfällen zu Fehlern oder auch zu Missbrauch kommt - das ist nicht auszuschließen; das kann niemand ausschließen, auch nicht
mit noch so guten Erlassen -, so gehen wir dem wie in
der Vergangenheit immer und unverzüglich nach und
sorgen, wenn nötig, für Abhilfe.
Fakt ist: Die Fälle, mit denen wir es in der Vergangenheit zu tun hatten, über die wir uns in den Fragestunden
auseinander gesetzt haben, sind nicht auf den besagten
Erlass zurückzuführen, sondern allenfalls auf das so genannte Reisebüroverfahren und das Problem der Reiseschutzversicherungen. So wurde die 1995 unter der
unionsgeführten Regierung, also Ihrer Regierung, eingeführte Anerkennung von Reiseschutzversicherungen
nach den negativen Erfahrungen, die wir damit in Kiew
hatten, zunächst dort und mittlerweile weltweit aufgehoben. Auch die Beantragung von Visa über Reisebüros
findet heute in Kiew nicht mehr statt.
({18})
Bei den Verdachtsfällen in der Botschaft Tirana
- dazu sind die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen
noch nicht abgeschlossen - hat die Bundesregierung umgehend auf Missbrauchshinweise reagiert.
All dies zeigt doch nur, in welch schwierigem Spannungsfeld - der Kollege Burgbacher von der FDP hat
darauf hingewiesen; auch Sie wissen es; sonst gäbe es
nicht so viele Anfragen von Ihnen - die Auslandsvertretungen und die Einzelentscheider bei der Erteilung eines
Visums stehen.
Einerseits hat unser Land ein Interesse an regelmäßigem Austausch - das teilen alle hier im Hause -, an kulturellem Austausch, an wirtschaftlichem Austausch - ich
nenne erneut die Bäckerinnung aus Indien; ich finde es
richtig, dass man in solchen Fällen noch einmal prüft
und den Dingen nachgeht -, auch in humanitären Fällen.
Auch dazu gibt es viele Briefe aus Ihren Fraktionen; die
Fälle lasse ich dann gern sehr gründlich, auch persönlich, noch einmal überprüfen.
({19})
Wir wollen im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe mithalten. Alles das teilen wir doch miteinander.
Andererseits ist völlig klar - auch darüber haben wir
keinen Dissens -, dass wir den Sicherheitsbelangen der
Bundesrepublik gerecht werden müssen. Deshalb durchläuft jeder Visumantrag ein ganz strenges Sicherheitsverfahren, ein ganz strenges Prüfverfahren. Es gibt die
automatisierte Registeranfrage beim AZR und beim
Schengen-Informationssystem, zwingende Versagungsgründe, die wir durch die Antiterrorgesetzgebung eingeführt haben, das strenge Prüfverfahren bei Personen aus
so genannten Risikostaaten. Wenn da etwas vorliegt, ist
das Visumverfahren sozusagen abgeschlossen; dann
steigt man gar nicht mehr in die Abwägung ein.
Das zeigt noch einmal Folgendes: Die rechtlichen
Grundlagen für die Visumentscheidungen waren und
sind das deutsche Ausländerrecht, das Schengen-Durchführungsabkommen und die Gemeinsame Konsularische
Instruktion. Auch der von Ihnen immer wieder kritisierte
Erlass vom März 2000 stellt bereits in der Einleitung
fest, dass das die rechtlichen Grundlagen sind und dass
sie verbindlich und unverrückbar sind.
Das gilt auch für den neuen Erlass vom 26. Oktober
dieses Jahres. Wir haben in diesem Runderlass bestehende Regelungen zur Visumvergabe zusammengefasst
und an die veränderte Sicherheitslage angepasst - immerhin gab es den 11. September 2001; das wurde hier
erwähnt -, wobei ich deutlich sage: Von einem Kurswechsel in unserer Visumpolitik kann keine Rede sein.
({20})
Bei diesem Erlass geht es darum, eine Gesamtschau der
Erlasse aus den letzten Monaten zu haben, eine Anpassung vorzunehmen,
({21})
um insbesondere der gewachsenen Terrorismusbedrohung Rechnung zu tragen, nicht mehr und nicht weniger.
({22})
Ich sage zum Schluss noch einmal: Die zahlreichen
Eingaben aus allen Fraktionen zeigen, dass allen hier dieses schwierige Spannungsfeld, in dem die Einzelentscheider stehen, bekannt ist. Jedem, der darüber nachdenkt und
Visumpolitik gestaltet - die frühere Bundesregierung genauso wie unsere -, ist dieses Spannungsfeld bekannt
und dementsprechend werden auch die Erlasse verfügt.
Umso bedauerlicher finde ich es wirklich, dass sich
die Unionsfraktion hier nun seit neun Monaten als Großinquisitor geriert und eine sachbezogene Diskussion in
dieser Frage vermeidet. Nachdem das alles ausführlich
behandelt wurde, wäre es jetzt an der Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen,
({23})
dass Sie hier zur Politikfähigkeit in diesem Bereich zurückfinden, nicht zuletzt im Interesse der Bediensteten in
unseren Visastellen, die wirklich unter einem großen
Druck stehen. Da Sie sich für den Untersuchungsausschuss entschieden haben, habe ich leider den Eindruck,
dass Sie einen anderen Weg gehen wollen. Ich bedauere
das und ich würde mir wirklich eine Versachlichung der
Auseinandersetzung wünschen - im Interesse aller und
im Interesse der Bundesrepublik.
({24})
Das Wort hat nun der Kollege Hartmut Koschyk für
die CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
({0})
Frau Staatsministerin Müller, ich weiß nicht, was Anträge bzw. Briefe von Kolleginnen und Kollegen aller
Fraktionen bzw. mein Brief an die Deutsche Botschaft in
Kiew, in dem ich mich dafür eingesetzt habe, dass Angehörige einer kirchlichen Einrichtung aus der Ukraine zu
einer Begegnungsveranstaltung mit einer kirchlichen
Einrichtung in Deutschland kommen können, damit zu
tun haben, dass wir Aufklärung darüber verlangen, warum durch die Visapolitik des Auswärtigen Amtes Terroristen, Schlepper, Kriminelle und Schleuser in die
Bundesrepublik Deutschland gekommen sind.
({1})
Ich möchte einmal wissen, was das eine mit dem anderen zu tun hat.
Noch etwas, Frau Staatsministerin: Es geht nicht um
die Beamtinnen und Beamten, die in den Rechts- und
Konsularabteilungen deutscher Botschaften und Konsulate eine schwierige Aufgabe zu leisten haben. Wir werden im Untersuchungsausschuss viele Briefe präsentieren können, in denen sich Beamtinnen und Beamte
dagegen gewehrt haben, den Fischer/Volmer-Schleusererlass anzuwenden. Sie haben nämlich gesehen, dass
dieser Erlass geltendes Recht verbiegt.
({2})
Diesen Beamten wollen wir Mut machen, indem wir dafür sorgen, dass man wieder zu einer rechtmäßigen Visapolitik in Deutschland zurückkehrt.
({3})
Frau Staatsministerin, Sie können auch durch noch so
viel Reden und Vergießen von Tränen nicht davon ablenken, dass das Visaregime, für das Außenminister Fischer
und Bundesinnenminister Schily die Verantwortung tragen, ein Sicherheitsrisiko für unser Land darstellt.
({4})
Auch der angebliche neue Erlass und die vorgebliche
Einladerdatei sind ein Täuschungsversuch. Die Wahrheit
ist: Es bleibt alles beim Alten. Keineswegs ist nämlich
der Fischer/Volmer-Schleusererlass in sein Gegenteil
verkehrt worden und die geplante Einladerdatei ist nichts
mehr als ein botschaftsbezogener Zettelkasten. Hiermit
kann man organisierter Schleuserkriminalität und terroristischen Bestrebungen nicht beikommen. Wir müssen
der Bevölkerung sagen, dass bis heute nicht sichergestellt ist, dass keine Visa mehr an terrorverdächtige Ausländer erteilt werden.
({5})
Es geht in dieser Debatte um einen der größten ausländerrechtlichen Skandale in der Bundesrepublik
Deutschland.
({6})
Dass Gerichte wie das Landgericht Köln in einem hinlänglich bekannten Strafurteil aus diesem Jahr feststellen
müssen, die Bundesregierung habe in bisher unbekanntem
Ausmaß Schleuserkriminalität gefördert, und dass der
Richter in seiner Urteilsbegründung von einem - ich zitiere - „kaltem Putsch der politischen Leitung des Auswärtigen Amtes gegen die bestehende Gesetzeslage“ gesprochen hat,
({7})
ist doch ein einmaliger Vorgang in der Bundesrepublik
Deutschland.
({8})
Dass Sie die Chuzpe haben, dem deutschen Volk und
dem Parlament vorzugaukeln, Sie hätten die Sicherheitsprobleme bei der Visaerteilung im Griff, ist bemerkenswert. Nach außen hin vielleicht noch gut geschminkt,
aber nach innen löchrig wie ein Schweizer Käse - das ist
das treffende Bild für den Zustand, wie die Visaerteilung
im Auswärtigen Amt geregelt ist; und das wird vom
Bundesinnenminister schweigend hingenommen.
({9})
Die Bundesregierung hat entgegen ihren Behauptungen nach dem 11. September 2001 weder ihre Visapolitik grundlegend geändert noch nach dem Kompromiss
über das neue Zuwanderungsgesetz den Fischer/
Volmer-Erlass im Kern geändert. Nach dem
11. September 2001 galt dieser Erlass weiter. Auch die
neuen Sicherheitsanforderungen des Zuwanderungsgesetzes haben Sie bis heute durch Erlasse politisch nicht
umgesetzt. Es stellt doch eine Minimalregelung dar,
Frau Staatsministerin Müller, wenn in einem neuen Erlass darauf hingewiesen wird, dass die Bearbeiter die
geltende Rechtslage zu prüfen und anzuwenden haben.
Was sollten die denn vorher tun, wenn Sie sie jetzt auffordern, zur geltenden Rechtslage zurückzukehren?
({10})
Der Fischer/Volmer-Erlass ist nicht in sein Gegenteil
verkehrt worden, denn es fehlt die hierfür erforderliche
Anweisung, dass bei Zweifeln an dem Vorliegen der Voraussetzungen für die Visumerteilung der Visumantrag
grundsätzlich abzulehnen ist. Stattdessen ist die grundlegende Zweifelsfallregelung aus dem Fischer/Volmer-Erlass beibehalten worden. Denn auch nach der neuen Erlasslage liegt eine „Interessengefährdung Deutschlands“
dann vor, „wenn die gegen eine Visumserteilung sprechenden Gründe die Argumente für das Erfüllen der Visumserteilungsvoraussetzungen überwiegen“.
Das heißt, Sie haben ganz wenig geändert; denn früher hat es geheißen: „wesentlich überwiegen“. Daraus
folgt: Bei Gleichgewichtigkeit der Argumente für und
gegen die Visumerteilung kann auch heute noch das Visum erteilt werden. Das ist völlig unzureichend.
({11})
Wir brauchen
({12})
ein zielgenaues, nämlich Sicherheitsrisiken ausschaltendes, und zugleich auch den wirtschaftlichen Interessen
unseres Landes Rechnung tragendes Visaregime. Es ist
doch machbar - das ist eine Organisationsfrage -, dass
der Wirtschaftsvertreter schnell und unbürokratisch in
einem beschleunigten Verfahren sein Visum erhält, während der mutmaßliche Terrorist oder Kriminelle sorgfältig überprüft und das Visum bei Sicherheitsbedenken
versagt wird.
({13})
Ich nenne Ihnen ein gutes Beispiel. Es gibt Länder mit
einem großen Wirtschaftsinteresse an unserem Land, wo
die Außenhandelskammern Vorinterviews mit Personen,
die ein Visum möchten, führen, diese mit einer gewissen
Vorüberprüfung aufbereiten und an das entsprechende
deutsche Konsulat zu dessen Entlastung weiterleiten.
Warum gibt es das nur in einzelnen Botschaften in Zusammenarbeit mit den Wirtschaftskammern? Sie hätten
schon längst darauf kommen können, solchen guten Beispielen zu folgen und das flächendeckend durchzuführen.
({14})
Ich möchte Ihnen noch zwei weitere Vorschläge unterbreiten, wie man das Visaregime weltoffen und wirtschaftsfreundlich ausgestalten und zugleich Sicherheitsrisiken ausschalten kann. Wir meinen, dazu ist eine
nationale Einlader- und Warndatei aller Ausländerbehörden mit Recherchebefugnissen der Sicherheitsbehörden dringend überfällig; wir haben sie schon lange vorgeschlagen. Eine Informationssammlung einer einzelnen
Botschaft, wie Sie jetzt vorschlagen, reicht nicht aus.
Eine zentrale Sammlung aller Daten und die Vernetzung
der Informationen, zum Beispiel beim Bundesverwaltungsamt in Köln, ist notwendig.
Hierzu haben wir im Rahmen der Verhandlungen über
das Zuwanderungsgesetz einen konkreten Gesetzentwurf
vorgelegt. Der Bundesinnenminister hat sich darüber in
den Verhandlungen anfangs noch lustig gemacht. Jetzt
haben er und auch der Bundeskanzler uns zugesagt, dass,
wenn nicht auf europäischer Ebene bis 2006 eine solche
zentrale Einladerdatei eingerichtet wird, dies auf nationaler Ebene geschieht. Dann lassen Sie uns doch jetzt
nicht mehr länger warten. Unser Gesetzentwurf liegt auf
dem Tisch. Wir bieten Ihnen konstruktive Verhandlungen an, um jetzt schnell diese zentrale Einlader- und
Warndatei zu schaffen.
({15})
Herr Kollege Burgbacher, wir können darüber streiten, ob eine Übertragung der Zuständigkeit für Visafragen vom Auswärtigen Amt auf das Innenministerium
der richtige Weg ist. Ich bin der Meinung, das Bundesministerium, das für die Sicherheitsbelange unseres LanHartmut Koschyk
des zuständig ist, sollte auch eine Mitzuständigkeit bei
Visafragen erhalten. Das ließe sich regeln. Dann ersparen wir „Spiegel“ und „Focus“ auch die - zurzeit wöchentlich nachzulesenden - langen Berichterstattungen
über die Schriftwechsel zwischen Auswärtigem Amt und
Innenministerium und die gegenseitigen Schuldzuweisungen, wer die Verantwortung für die größeren Pannen
trägt.
({16})
Lassen Sie mich zum Schluss einen Gedanken äußern, bei dem Sie von Rot-Grün vermutlich gleich wieder an Orwell denken werden. Warum sollten wir nicht
auch über ein System flächendeckender Ein- und
Ausreisekontrollen nachdenken? Lieber Kollege
Burgbacher, da muss man nicht immer die USA als Beispiel zitieren. Ich nenne zwei Länder mit großen Wirtschaftsinteressen - Korea und Japan -, in denen es ein
lückenloses Ein- und Ausreisekontrollsystem gibt.
({17})
Für mich ist es kein Problem, bei der Einreise in eines
dieser Länder eine Karte abzugeben,
({18})
wodurch meine Einreise und ebenso meine Ausreise in
einem zentralen Computer vermerkt werden. Natürlich
muss das Schengen-kompatibel gemacht werden.
({19})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie
stellen doch einen Bundesinnenminister, der für spektakuläre Vorschläge auf europäischer Ebene bekannt ist.
Ich nenne zum Beispiel seinen Vorschlag, Auffanglager
für Flüchtlinge in Afrika zu errichten.
({20})
Vielleicht macht er einmal einen weniger spektakulären
Vorschlag. Ich kann mir gut vorstellen, dass bei unseren
Nachbarn in den Niederlanden, in Frankreich und in
Spanien die Sensibilität für die Sicherheitserfordernisse
bei der Ein- und Ausreise von Menschen gewachsen ist.
Ich fordere Sie auf: Denken Sie über unsere zentrale
Einladerdatei nach! Schaffen Sie sie schnell! Lassen Sie
uns darüber nachdenken, wie man ein europakompatibles, lückenloses Ein- und Ausreisesystem schaffen
kann! Wir sind bereit, mit Ihnen über konstruktive Lösungen für die Zukunft zu sprechen.
Aber eines muss in diesem Parlament noch geschehen: Ihre Versäumnisse in der Visapolitik der letzten
Jahre, durch die sich katastrophale Auswirkungen auf
die Sicherheit unseres Landes ergeben haben, müssen
restlos aufgeklärt werden.
({21})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Volker Neumann,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Hartmut Koschyk, Sie tun ja fast so, als ob es vor
1998 keinen Visamissbrauch gegeben hätte, als ob keine
Kriminellen mit Visa eingereist wären, als ob es keine
Schleuserbanden gegeben häte, als ob keine Prostituierten mit Touristenvisum hier eingereist wären. Aber auch
das gab es vorher schon. Damit wird sich der Untersuchungsausschuss befassen können.
Es ist die Aufgabe - ja sogar die Pflicht - des Parlaments, sich mit diesen Fragen zu befassen. Die Große
Anfrage ist ein legitimes Mittel der Kontrolle der Regierung. So ist der CDU/CSU zuzugestehen, dass die
enorme Steigerung der Anzahl der Visaerteilungen in einigen Botschaften Anlass zur Nachfrage bot, was die Ursachen und was die Folgen sind.
Die Union hat also ihr gutes Recht wahrgenommen,
nach Mängeln im Visaverfahren zu fragen. Sie hat Antworten auf eine Vielzahl von Anfragen mündlicher und
schriftlicher Art im Parlament erhalten.
({0})
Frau Staatsministerin hat schon darauf hingewiesen; sie
stand hier fast wöchentlich Rede und Antwort. Die
Union hat befriedigende Antworten auf eine Kleine Anfrage und jetzt auf eine Große Anfrage bekommen.
({1})
- Im Gegensatz zu Ihnen lese ich die Protokolle.
({2})
- Ich war anwesend. Herr Grindel, ich wusste gar nicht,
dass Sie so laut sein können. Früher waren Sie ein so seriöser und abwägender Mensch.
({3})
Bei weltweit rund 3 Millionen Visaanträgen - 2,5 Millionen Visa wurden erteilt -, die nach vorgegebenen Kriterien und nach den Gesetzen zu bearbeiten sind, ist es
möglich, dass den Botschaften Fehler unterlaufen. Das
dürfte jedermann einsichtig sein. Auch die CDU/CSU ist
sicherlich zu der Erkenntnis gekommen, dass man diese
Angelegenheiten nicht perfekt regeln kann. Wenn ein
Mangel im Verfahren erkennbar ist, dann muss er behoben werden. Das ist geschehen, zuletzt durch den Erlass
vom 26. Oktober dieses Jahres. Sie haben ihn schon zitiert.
Die CDU/CSU hätte mit ihrer Großen Anfrage und
der vorhergehenden Diskussion sehr viel sachlicher und
Volker Neumann ({4})
ernsthafter deutlich machen können, um was es ihr ging.
Aber sie hat versucht - das ergibt sich schon aus dem
Stil der Anfrage -, den Vorgang zu skandalisieren und
vor allen Dingen zu personifizieren. Sie konnte offensichtlich den auf das Gleis gesetzten Zug in Richtung
Untersuchungsausschuss - Herr Klaeden, ich schaue Sie
an - nicht mehr stoppen, obwohl inzwischen alle Antworten vorliegen und alle Maßnahmen getroffen worden
sind, die geeignet sind, die erkennbaren Mängel zu beheben.
({5})
Dieser Versuch war leicht durchschaubar. Das Vorgehen ist bei Untersuchungsausschüssen immer gleich:
Schritt eins. Der Vorgang muss mit dem Namen eines
möglichst bekannten Politikers der Regierungsparteien
verknüpft werden. Ludger Volmer reichte nicht aus, also
musste Joschka Fischer her.
({6})
Niemand kann den Zusammenhang erkennen. Trotzdem
verfahren Sie nach dem Motto „Augen zu und durch“; irgendetwas wird schon hängen bleiben.
Schritt zwei. Journalisten werden mit vertraulichem
Material aus den Ministerien versorgt.
({7})
Dabei handelt es sich übrigens um Material, das aus der
Zeit der Meinungsbildung innerhalb der Regierung
stammt. Hinweis an den Untersuchungsausschuss: Das
entzieht sich seiner Untersuchungsmöglichkeit.
({8})
Anschließend werden die darauf basierenden Presseartikel zum Anlass genommen, das öffentliche Interesse zu
belegen.
Schritt drei. Möglichst viele Äußerungen der Bundesregierung werden in Kleinen und Großen Anfragen gesammelt.
Schritt vier. Es wird versucht, Widersprüche herauszuarbeiten.
Schritt fünf. Am Ende - das ist jedem klar - kommt
dabei nichts heraus.
Ihnen ist es offensichtlich gleichgültig, ob der Sachverhalt bereits aufgeklärt ist, die Mängel beseitigt und
die Einzelfälle geklärt sind. Wen wollen Sie eigentlich
treffen? Die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes und in
den Botschaften, die eine schwierige Arbeit leisten müssen?
Es kann nicht oft genug wiederholt werden - Frau
Müller hat schon darauf hingewiesen -, wie die Rechtslage bei der Visaerteilung aussieht - denn Sie wollen
offensichtlich vermischen und vernebeln -:
Erstens. Voraussetzung für ein dreimonatiges Besuchsvisum ohne Aufnahme der Erwerbstätigkeit sind
der Besitz eines Passes, die Darlegung des Aufenthaltszwecks und der Umstände des Aufenthalts, eine hinreichende Krankenversicherung und genügend finanzielle
Mittel für den Aufenthalt in Deutschland und die Rückreise sowie die Rückkehrbereitschaft.
Die überwiegende Anzahl der Anträge wird bewilligt.
Dennoch gibt es zwingende Gründe, Visa zu versagen,
nämlich dann, wenn in einem der Schengener Staaten
eine Einreiseverweigerung vorliegt, oder natürlich bei
Hinweisen auf eine Verbindung zum internationalen Terrorismus. Dies wird im Schengener Informationssystem,
im Ausländerzentralregister und in bestimmten Fällen
zwingend durch Konsultationen zentraler Behörden abgefragt. Die Visabehörden haben sich an deutsches Ausländerrecht sowie an das Ausländergesetz und das Aufenthaltsgesetz zu halten.
Zweitens. Das Visum ist in der Regel zu versagen - in
dem vorliegenden Fall geht es darum -, wenn Ausweisungsgründe vorliegen bzw. falsche und unvollständige
Angaben gemacht wurden, keine ausreichenden Mittel
für den Aufenthalt oder die Rückreise nachgewiesen
werden
({9})
oder keine Schengen-weit geltende Krankenversicherung vorliegt. Ein Versagungsgrund liegt auch vor, wenn
die Überprüfung des Reisezwecks und unabhängig davon die Überprüfung der Rückkehrbereitschaft zu Zweifeln Anlass geben. Die Überprüfung der Rückkehrbereitschaft soll eine illegale Einwanderung oder eine
Gefährdung der inneren Sicherheit verhindern.
({10})
Die Reiseschutzversicherung bzw. die Reiseschutzpässe wurden schon angesprochen. Diese bot der ADAC
ab 1995 eine Zeit lang an. Dies war aber nur eine Voraussetzung für die Erteilung des Visums. Die Überprüfung des Reisezwecks und der Rückkehrbereitschaft
musste dennoch erfolgen. Dieser Reiseschutzpass diente
nur dazu, nachzuweisen, dass die für den Aufenthalt und
die Rückreise notwendigen finanziellen Mittel vorhanden waren. Das heißt, er diente dazu, den Sozialhilfeträgern, die im Zweifelsfalle eingreifen mussten, die Möglichkeit zu geben, sich an die Versicherung zu halten.
Das war ganz vernünftig; dadurch kamen die an ihr
Geld.
Weiterhin entfiel die verwaltungsaufwendige Bonitätsprüfung bei den Ausländerbehörden. Der Einladende
brauchte keine individuelle Erklärung hinsichtlich der
Übernahme der Kosten abzugeben. Das war eine vernünftige und logische Regelung. Man hat nicht daran gedacht - das hat sich erst später herausgestellt -, dass das
missbraucht wird. Als man das herausbekommen hat, hat
man sofort reagiert.
({11})
Volker Neumann ({12})
Das Reisebüroverfahren wurde gestoppt und die Reiseschutzversicherung galt schon ab 28. Juni 2002 nicht
mehr als Ersatz für den Nachweis der notwendigen finanziellen Mittel. Das Ganze ist schon gestoppt worden,
bevor die Ermittlungsbehörden, nämlich die Staatsanwaltschaft in Köln, eine Mitteilung an das Auswärtige
Amt gegeben haben. Das Auswärtige Amt hat also viel
früher reagiert, als es in Ihrer Großen Anfrage dargestellt
wird. Entsprechende Maßnahmen waren getroffen.
Sie kritisieren auch den Erlass vom 3. März 2000.
Herr Koschyk hat gesagt, er habe Briefe bekommen, in
denen stand, dass sich Beamte geweigert hätten, den Erlass anzuwenden.
({13})
- Sie kennen diese Briefe, nach denen sich Beamte geweigert haben,
({14})
den Erlass anzuerkennen. Wenn sie diesen Erlass nicht
angewendet haben, haben sie gegen Gesetze verstoßen.
Einer der ersten Sätze dieses Erlasses lautet:
Das deutsche Ausländerrecht, das Schengener
Durchführungsübereinkommen und die Gemeinsame Konsularische Instruktion der an den Schengen-Acquis gebundenen EU-Partner sind der rechtliche Rahmen für die Erteilung von Visa, an den
sich die Auslandsvertretungen zu halten haben.
({15})
Das heißt, all das, was rechtlich vorgegeben war,
musste angewandt werden. Wenn Beamte das nicht anwenden wollten, dann konnte allerdings das passieren,
was offensichtlich auch in größerem Umfange passiert
ist.
({16})
Das Neue an diesem Erlass vom 3. März 2000 war
- das haben Sie nicht zu kritisieren -, dass schon bei der
ersten Ablehnung eine Begründung gegeben werden
musste. Beanstanden kann ich auch den bereits von Ihnen zitierten Satz nicht, der folgendermaßen lautet:
Wenn nach pflichtgemäßer Abwägung und der Gesamtwürdigung des Einzelfalls die tatsächlichen
Umstände, die für oder gegen eine Erteilung des
Besuchervisums sprechen, sich die Waage halten,
gilt: In dubio pro libertate.
Also: Im Zweifel für die Reisefreiheit. Herr Burgbacher,
ich verstehe nicht, was Sie daran zu kritisieren haben.
({17})
- Wenn Sie den Rednern aus Ihren eigenen Reihen zugehört haben, dann wird Ihnen aufgefallen sein, dass Herr
Koschyk gesagt hat, dass das nicht geändert worden ist.
Ich darf im Übrigen daran erinnern, dass dieser Erlass
aus der Zeit vor dem 11. September 2001 stammt.
({18})
Die Terroranschläge haben dazu geführt, dass immer
wieder überprüft wurde, ob Maßnahmen getroffen werden können, um die Schleuserkriminalität, vor allen Dingen aber auch die Einreise von Terroristen zu verhindern.
({19})
Wenn in Einzelfällen Missbrauch getrieben wurde, dann
sind, wie wir von der Regierung gehört haben, entsprechende Maßnahmen ergriffen worden.
({20})
Ich hoffe, dass wir durch diese Debatte und durch Ihre
parlamentarischen Initiativen nicht unser gemeinsames
Ziel zerstören, ein weltoffenes Land zu bleiben
({21})
und gleichzeitig die berechtigten Sicherheitsinteressen
unserer Bürgerinnen und Bürger zu wahren. Aber vielleicht wurde von den Initiatoren dieser Aktion nicht ausreichend bedacht, welche Wirkung diese Debatte auf das
Ansehen Deutschlands in der Welt hat.
({22})
Wie wirkt eigentlich das, was Sie betreiben, auf einen
Geschäftsmann, der ein Visum für Deutschland beantragen will?
({23})
Wie wirkt das auf einen Kulturschaffenden, der unser
Land besuchen will? Wie wirkt das auf die Menschen in
unserem Land, die ihre Verwandten, die im Ausland leben, einladen und dafür ein Besuchervisum brauchen?
({24})
Was sagt eigentlich die Tourismusindustrie dazu?
Ich finde, wir haben ein großes Interesse an persönlichen Kontakten und am Austausch mit Angehörigen
fremder Staaten,
({25})
sei es aus wirtschaftlichen, kulturellen oder rein persönlichen Gründen. Wir wollen - und ich füge hinzu: wir
können - uns von der Welt nicht abschotten.
Unser Wohlstand und unsere Gesellschaft leben vom
internationalen Austausch. Die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes in den Botschaften, insbesondere in den
Volker Neumann ({26})
Rechts- und Konsularabteilungen, haben und verdienen
unser Vertrauen. Sie sind für die Menschen, die ein Visum beantragen, die erste Begegnung mit Deutschland.
Ich wünsche mir, dass sie auch weiterhin das Gefühl haben, dass Deutschland ein weltoffenes und gastfreundliches Land ist.
({27})
Ich erteile dem Kollegen Hans-Peter Uhl für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Gleich nach ihrer Regierungsübernahme im
Jahre 1998 wollten insbesondere die Grünen ihr sentimentales Verständnis von „Weltoffenheit“ und „Liberalität“ in staatlichem Handeln verankern.
({0})
Die neuen Herren im Auswärtigen Amt wollten konsequent das Ziel einer multikulturellen Zuwanderungsgesellschaft verfolgen,
({1})
und zwar auch mithilfe des Visarechts.
Im März 2000 wurde dazu ein grundlegender, neuer
Erlass verfügt, der später fälschlicherweise - ich weiß
nicht, warum - „Volmer-Erlass“ genannt wurde, obwohl
in ihm überhaupt keine Rede von Herrn Volmer ist. Im
Gegenteil, in diesem Erlass wurde, was völlig untypisch
ist, sogar die Autorität des Außenministers bemüht. So
heißt es gleich zu Beginn: „Nach umfassender Überprüfung unserer Visapraxis hat Bundesminister Fischer
Weisung erteilt ...“
({2})
Als hätte Minister Fischer jemals die Visapraxis überprüft! Aber immerhin wird seine Autorität in diesem Erlass bemüht.
Ich will nicht, wie es Kollege Neumann getan hat,
einzelne Passagen des Erlasses analysieren;
({3})
denn es versteht ohnehin kein Mensch, was darin geschrieben wurde. Als Jurist versteht man allerdings relativ schnell, was gemeint ist: Es ist eine schlichte Beweislastumkehr.
({4})
Nicht der Ausländer muss beweisen, dass sein Vortrag
richtig ist, sondern der Beamte muss ihm beweisen,
({5})
dass er lügt.
({6})
So etwas nennt man eine Beweislastumkehr.
In der Folge sahen sich die Bediensteten der deutschen Visastellen vom Willen der Bundesregierung genötigt, möglichst viele Schengen-Visa zu erteilen.
({7})
Herr Kollege Neumann, die Anweisung an die Beamten,
aus der Sie zitiert haben, kann man nur so verstehen: Beachtet, dass alle Bestimmungen des Ausländerrechts und
des Schengen-Rechts eingehalten werden, aber überprüft
sie ja nicht zu genau!
({8})
Das war die Weisung: Beachtet alle Paragraphen, aber
prüft ja nicht zu viel.
Journalisten vergleichen das damit, dass man eine Geschichte auch zu Tode recherchieren kann. Dann ist es
nachher keine Geschichte mehr.
({9})
So ungefähr sollte mit den Visa umgegangen werden.
({10})
Das ist keine Führung von Beamten, sondern Irreführung von Beamten.
({11})
Diese politische Show erfolgte auf dem Rücken der Beamten und das ist unanständig.
Kein Wunder, dass diese neue Weisung in den Visastellen vieler Botschaften, vor allen Dingen in den GUSStaaten, für größte Unruhe bei den Beamten gesorgt hat.
Der Untersuchungsausschuss wird enthüllen,
({12})
wie diese Weisung aufgenommen wurde. Man hat natürlich genau gemerkt, was beabsichtigt war, und dass dies
das Gegenteil der früheren Praxis ist.
({13})
Ich bin Herrn Burgbacher sehr dankbar, dass er sehr
sachlich und nüchtern herausgearbeitet hat, was dieser
Erlass bewirkt hat: Allein durch deutsche Visastellen in
den GUS-Staaten wurden innerhalb von fünf Jahren über
4 Millionen Visa erteilt.
({14})
Auf dem Höhepunkt, Herr Winkler, wurden in Kiew
Visa im Dreiminutentakt ausgestellt. Wer wird denn da
noch von Prüfung reden und wer, Herr Neumann, noch
von Einhaltung irgendwelcher Paragraphen?
({15})
- Natürlich sind auch wir der Meinung, dass Deutschland ein weltoffenes Land sein muss und selbst ein großes Interesse an der Einreise von Wissenschaftlern sowie
an Wirtschaftsverkehr hat. Auch müssen Verwandtenbesuche möglich sein. Niemand will Deutschland abschotten, wir am allerwenigsten.
({16})
Hier wurde das Motto für die Fußball-WM zitiert:
„Die Welt zu Gast bei Freunden“. Wer wollte diesem
Motto widersprechen?
({17})
- Doch Kriminelle, Herr Winkler, wollen wir weder als
Gast und schon gar nicht als Freund haben. Das ist unsere Meinung.
({18})
Wir sollten ein waches Gespür für diese Situation haben. Aber es soll doch keiner glauben, dass bei einem
monatlichen Durchschnittseinkommen von 100 Euro
Hunderttausende aus den GUS-Staaten wochenlang
nach Deutschland kommen können, um hier meinetwegen die Burgen am Rhein zu besichtigen. Mit welchem
Geld denn? Das ist doch völlig unwahrscheinlich. In
Wahrheit kommt auf diesem Weg auch heute noch ein
großer Teil mit deutschem Visum als Schwarzarbeiter,
einige auch als Kriminelle.
({19})
Viele Frauen werden eingeschleust, um sie hier als Prostituierte auszubeuten.
Ich habe gestern einmal einen Blick auf die Homepage der Grünen geworfen. Keine Partei tut sich auf dem
Papier im Kampf gegen den Menschenhandel zum
Zweck der sexuellen Ausbeutung der Frau mehr hervor
als die Grünen.
({20})
Doch die verheerenden praktischen Auswirkungen gerade grüner Visapolitik kann man nirgends besser beobachten als hier in Berlin.
({21})
- Sie werden es auch bald wissen. Es gibt erschütternde
Berichte - wir werden das im Untersuchungsausschuss
noch hören - über die Art und Weise, wie diese Frauen,
mit deutschen Visa ausgestattet, hier in Berlin behandelt
werden.
Das Landgericht Köln - es ist bereits zweimal zitiert
worden; aber man kann es nicht oft genug sagen, weil es
so ungeheuerlich ist - hat die Bundesregierung bei der
Aburteilung eines Kriminellen mit in die Verantwortung
genommen. Das ist unglaublich! In dem Gerichtsurteil
heißt es:
Das war ein kalter Putsch der politischen Leitung
des Auswärtigen Amtes gegen die bestehende Gesetzeslage.
Herr Neumann, das kann man nicht oft genug wiederholen.
({22})
- Nein. Unwille, Unvermögen und ideologisch bedingte
Blindheit von Rot-Grün haben erst den Nährboden bereitet, auf dem der Menschenhandel in Form der organisierten Kriminalität so richtig gedeihen konnte.
({23})
- Das ist keine Unverschämtheit, Herr Winkler. Das war
gewiss unabgestimmt - etwas anderes habe ich nicht behauptet -, aber ebenso sicher war es vorhersehbar. Das
behaupte ich: Es war unabgestimmt, aber vorhersehbar.
Ich will die Geschichte mit dem Reiseschutzpass hier
nicht noch einmal erwähnen. Es ist geradezu eine Posse,
wie ein mittlerweile angeklagter Unternehmer unter Zuhilfenahme der Bundesdruckerei und hoher Beamter des
Auswärtigen Amtes und des Innenministeriums, die als
Schutzpatrone dienten, diese Reisepässe ausstellen
konnte. Das ist unglaublich. Auch dies werden wir behandeln.
Was sagt die Bundesregierung zu all diesen Missständen, zu denen wir Hunderte detaillierte Sachfragen gestellt und auf die wir sowohl hier als auch im Rahmen einer Großen und einer Kleinen Anfrage hingewiesen
haben? Immer gibt es dieselbe arrogante und stereotype
Antwort. Sie lautet, Deutschland müsse nun einmal ein
weltoffenes Land sein. Das Spannungsverhältnis zwischen Reisefreiheit und der Bekämpfung illegaler Migration sei kompliziert. Da könnten auch einmal Fehler
passieren.
Dann kommt Herr Dzembritzki daher und sagt, unsere Fragen seien erschöpfend beantwortet worden.
({24})
Ich glaube nicht, dass Sie die Fragen und die Antworten
jemals gelesen haben. Sonst hätten Sie zumindest rote
Ohren bekommen.
({25})
Selbstverständlich gibt es ein Spannungsverhältnis;
es ist geradezu banal, dies hier festzuhalten. Aber die
Weisung, die Außenminister Fischer seinen Beamten erteilte, war nur so zu verstehen: weniger prüfen, mehr
Visa ausstellen.
Außenminister Fischer „himself“ führt zur jetzigen
Lage ganz merkwürdige Erläuterungen an. Er sagt, der
damalige Erlass sei Vergangenheit, die Zeiten hätten sich
geändert. Es gebe zwei Zäsuren: den 11. September
2001 und den Zuwanderungskompromiss. Darauf müsse
jetzt reagiert werden. Deshalb bräuchten wir einen neuen
Erlass.
Meine Damen und Herren, schauen Sie sich die Erlasse an und vergleichen Sie die mit dem, was nach dem
11. September passiert ist! Was hat der neue Erlass mit
dem Zuwanderungskompromiss zu tun? Null Komma
nichts. Bitte erzählen Sie nicht solche Märchen! Der
Kenner spürt sofort, dass hier grober Unfug vorgetragen
wird.
({26})
Gibt wenigstens der neue Erlass eine sachgerechte
Antwort auf die zehntausendfachen Visamissbräuche?
Die Antwort lautet: Nein. Durch geschickte Pressearbeit
- Sie erinnern sich an den „Spiegel“-Artikel - soll suggeriert werden, dass jetzt eine ganz grundlegende Korrektur im Bereich der Visavergabe stattfindet. Es werde,
so war die Botschaft des Auswärtigen Amtes, zu einem
Paradigmenwechsel rot-grüner Ausländerpolitik kommen.
({27})
- Das stand im „Spiegel“.
({28})
Dieser Show wurde dummerweise gleich der Boden
entzogen, weil der Kollege Volmer im Auswärtigen Ausschuss sofort gesagt hat, er könne mit dem neuen Erlass
sehr gut leben. Nun kann ich mir nicht so recht vorstellen, dass Herr Volmer für einen Paradigmenwechsel rotgrüner Ausländerpolitik steht. Welche Nummer wollen
Sie denn nun aufführen?
({29})
Ich komme zum Schluss. Wir sind für die Reisefreiheit. Ich finde es unanständig - die gute Frau Staatsministerin ist jetzt leider nicht da; wir werden das im Untersuchungsausschuss nachholen -, hier eine Liste der
Namen von Abgeordneten vorzutragen, die nichts anderes getan haben als ihre Pflicht. Ich lege Wert darauf,
dass alle meine Briefe in Sachen Visaerteilung veröffentlicht werden, damit man sieht: Wenn sich ein anständiger
Bundestagsabgeordneter für einen anständigen Ausländer einsetzt, darf die Tatsache, dass dieser ein ihm rechtmäßig zustehendes Visum erhält, nicht kriminalisiert
werden; denn es ist unsere Pflicht, dies zu tun.
({30})
Es ist unanständig, dieses Verhalten durch das Verlesen
einer Liste von Namen in ein schlechtes Licht zu rücken.
Meine Damen und Herren, die für die Erteilung der
Visa zuständigen Beamten wurden irregeführt, statt geführt zu werden. Sie wurden in ihren Visastellen allein
gelassen. Sie wurden dem Massenandrang von Migranten schutzlos ausgesetzt. Das ist es, was bereinigt werden muss. In Zukunft werden wir - das wird auch ein
Beitrag des Untersuchungsausschusses sein - zu einer
ausgewogenen Visapraxis finden. Der Untersuchungsausschuss wird zeigen, dass unsere Botschaften die Sicherheit Deutschlands nicht auf dem Altar einer völlig
falsch verstandenen Weltoffenheit opfern müssen.
({31})
Danke schön.
({32})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Josef Winkler, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst
möchte ich kurz auf den Beitrag von Herrn Uhl eingehen. Herr Uhl, ich spreche Sie an. Hören Sie mir bitte
einmal zu?
({0})
- Er ist multitaskingfähig; das ist erstaunlich. - Sie haben die Grünen mehrmals angesprochen, deswegen will
ich persönlich auf Sie eingehen. Ich kann ja verstehen,
dass Sie, der Sie aus einem Wahlkreis kommen, in dem
sich die Wahlergebnisse für die Grünen zwischen 30 und
40 Prozent bewegen und wo Sie mit der CSU seit vielen
Jahren versuchen, auf einen grünen Zweig zu kommen,
Ihre persönlichen Traumata hier im Bundestag bewältigen wollen und müssen.
({1})
Vielleicht kümmern Sie sich in München einmal ein
bisschen mehr um Ihren Wahlkreis, damit die GrünenErgebnisse dort auf das von Ihnen gewünschte Maß zurückgehen.
({2})
Wenn Sie über Weltoffenheit reden, dann ist das, als
wenn ein Blinder über Farbe redet;
({3})
das hört sich für mich grässlich an. Das ist nicht Weltoffenheit, das ist Abschottung: Der Ausländer wird unterteilt in kriminell und nicht kriminell. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass in deutschen Gefängnissen ganz
überwiegend Deutsche sitzen? Das ist offensichtlich eine
Erfahrung, die Sie noch nicht gemacht haben.
({4})
Diese Politik, diese Art der Auseinandersetzung - die
Ausländer, die Herr Uhl einlädt, das sind die guten; die,
die von anderen eingeladen werden, sind die schlechten - machen wir nicht mit.
({5})
Ich finde die Textexegese, die Sie hier betreiben, erstaunlich: Alle Redner der Union zitieren hier aus der
Urteilsbegründung des Landgerichts Köln und jeder tut
das mit zunehmendem Vergnügen. Dabei ist das doch
richterliche Freiheit: Jedem Richter bleibt es unbenommen, seine Vermutungen
({6})
und seine Verdächtigungen in Bezug auf die Bundesregierung in die Urteilsbegründung aufzunehmen. Es steht
doch im Titel Ihrer Anfrage: „Richterlich geäußerter
Verdacht“. Diesen Verdacht werden Sie im Untersuchungsausschuss nicht erhärten können; davon bin ich
fest überzeugt.
({7})
Die Bundesregierung hat in ihren Antworten auf Ihre
vielen, meist gleich lautenden Fragen immer wieder sehr
richtig erklärt: Es gibt Fälle, in denen Missbrauch aufgetreten ist - natürlich -, es gab kriminelle Handlungen.
Aber selbstverständlich hat die Hausleitung des Auswärtigen Amtes alle entsprechenden Maßnahmen eingeleitet, sobald so etwas bekannt wurde. Sie versuchen hier
immer zu insinuieren, dass die angeblich zu große Offenheit erst durch den Volmer-Erlass - oder Fischer/
Volmer-Erlass,
({8})
wie Sie ihn heute neu zu titulieren versuchen - bewirkt
wurde. Das stimmt aber nicht und das wissen Sie auch
selbst.
({9})
Herr Burgbacher, es war ja fast schon tragikomisch,
wie Sie hier heute als Liberaler begründet haben, was
Sie gegen Liberalität haben.
({10})
In dem Erlass steht zwar „in dubio pro libertate“. Das ist
aber ein aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat, denn
natürlich muss vorher die „securitate“ abgeprüft sein.
({11})
- Habe ich einen sprachlichen Lapsus begangen?
({12})
- Dann muss ich das vielleicht einmal dem Bundeskanzler sagen; der gibt ja immer seinen Kommentar zu solchen Sachen.
Ich fand das jedenfalls sehr amüsant und ich freue
mich, Herr Burgbacher, auf die Auseinandersetzung im
Untersuchungsausschuss. Wir werden Sie immer wieder
daran erinnern, was Sie hier vorgetragen haben: Liberale
gegen Liberalität.
({13})
Ich möchte im Namen meiner Fraktion noch einmal
ausdrücklich klarstellen - Sie können den Erlass nennen,
wie Sie wollen -: Der Kollege Volmer, der hier auch anwesend ist, ist persönlich weder unmittelbar noch mittelbar mit irgendwelchen kriminellen Machenschaften in
Verbindung zu bringen, die bei der Erteilung von Visa
durch die deutschen Auslandsvertretungen aufgetreten
sind. Er hat sich - ich sage das ganz deutlich - bei den
Haushaltsberatungen sogar persönlich dafür eingesetzt,
dass die Visa- und Konsularstellen von den linearen Kürzungen, die vorgenommen werden mussten, ausgenommen worden sind. Insofern kann ich diese Rufmordkampagne nur in aller gebotenen Schärfe zurückweisen.
({14})
Wir unterstützen die Bundesregierung und auch das
Auswärtige Amt weiter darin, dem Anspruch der Weltoffenheit, den die Bundesrepublik Deutschland im Ausland anmelden kann, weiterhin gerecht zu werden. Natürlich muss das immer in Abwägung mit den
sicherheitspolitischen Erfordernissen erfolgen.
Herr Koschyk und Herr Hinsken - er ist nicht da -, ich
gestehe Ihnen zu, dass die Konsularmitarbeiter auch in
Zukunft erst prüfen müssen, ob Zweifelsfälle vorliegen.
Auch wenn es indische Bäckermeister gibt, die kleine
Brötchen backen, wird das Auswärtige Amt unbeeindruckt von Ihren schriftlichen Aufforderungen, Visa auszustellen, streng nach Recht und Gesetz prüfen. Das ist
auch richtig so.
({15})
Sie sollten die billige Effekthascherei unterlassen, die
Sie betreiben, seitdem Sie sich endlich dazu durchgerungen hatten, einen Untersuchungsausschuss zu diesem
Thema und nicht etwa zur LKW-Maut, zur Spenden12816
affäre der Union oder Ähnlichem zu beantragen. Sie haben ja lange mit sich gerungen. Herr Koschyk hat noch
am Tag nach dem Beschluss in einer Pressemitteilung gesagt, auch er sei inzwischen von der Notwendigkeit der
Einrichtung eines Untersuchungsausschusses überzeugt;
schließlich seien neue Dinge aufgetaucht und Herr Schily
sei einmal nicht in den Ausschuss gekommen.
({16})
Ich muss schon sagen: Das alles zeugt nicht davon, dass
Sie besonders überzeugt davon sind, hier etwas herausfinden zu können. Wir sehen der Sache wirklich ruhig
und gelassen entgegen.
({17})
- Es ist klar, dass Sie sich aufregen; schließlich waren es
Herr Kanther und Herr Kinkel, die seinerzeit die Reisebüroregelung aufgenommen haben.
({18})
Das wird uns im Untersuchungsausschuss noch sehr beschäftigen müssen. Ich halte das für skandalös. Wir waren überzeugt davon, dass Ihnen keine Fehler unterlaufen sind, sodass wir das erst einmal haben weiterlaufen
lassen.
({19})
Nachdem wir festgestellt hatten, dass die von Ihrer Bundesregierung eingeführte Regelung doch nicht so brillant
war, wie Sie sich das damals gedacht haben, haben wir
schnell die Notbremse gezogen und gesagt, dass das abgeschafft werden muss. Das haben wir auch getan.
({20})
Abschließend möchte ich
({21})
in etwas ruhigerer Form noch einmal, damit Sie es endlich verstehen, sagen, was passiert, wenn man ein Visum
beantragt. Dann geschieht jedenfalls nicht das, was Sie
sagen, dass nämlich der Beamte überlegt, ob er ein wenig weltoffen sein soll oder lieber ein bisschen auf Sicherheit bedacht. In dem Erlass steht angeblich, dass
man weltoffen sein und den Terroristen reinlassen solle,
wenn man Zweifel hat. - Ist das so? Glauben Sie das
wirklich?
({22})
Alle, die das glauben, sollen einmal aufzeigen. - Sehen
Sie: Es hat niemand aufgezeigt.
({23})
So wird es also nicht sein.
Es wurde eben richtig vorgetragen: Erst dann, wenn
sich die Gründe dafür und dagegen die Waage halten,
kommt dieser goldene Satz, den ich mangels fremdsprachlicher Kenntnisse jetzt nicht mehr aussprechen
will, zum Tragen. Deshalb wird es natürlich nicht dazu
kommen, dass irgendwelche Terroristen ins Land kommen. Wie sollte sich da nämlich irgendetwas die Waage
halten? Wenn klar ist, dass jemand Verbindungen zu Terroristen hat, dann kann er kein Visum erhalten. Das ist
dann zwingend ausgeschlossen. Die Frau Staatsministerin hat die entsprechenden Gesetzesvorschriften schon
erwähnt; ich will das nicht wiederholen.
Deshalb führt die Taktik, die Sie hier anwenden, völlig ins Leere. Hat sich Mohammed Atta, einer der Terroristen des 11. September, ein Visum erschlichen? - Nein.
Die Hamburger Ausländerbehörde war der Meinung,
dass sein Aufenthalt völlig in Ordnung ist. Das ist eben
so. Die Welt ist komplizierter, als Sie sich das vorstellen.
({24})
Die Terroristen kommen nicht und sagen: Hören Sie, ich
möchte gerne ein Visum haben, weil ich in Deutschland
ins Hintergrundfeld des internationalen Terrorismus aufrücken möchte. - So läuft es nicht.
Wir werden weiterhin dafür sorgen, dass in diesem
Land Sicherheit gewährleistet ist und gleichzeitig Liberalität, Weltoffenheit und Humanität gewahrt werden.
Herzlichen Dank.
({25})
Ich schließe die Aussprache.
Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe,
muss ich darauf hinweisen, dass es in der Rede des Kollegen Uhl einen Zwischenruf des Kollegen Edathy gegeben hat, der, wenn er so im Protokoll festgehalten werden sollte, von mir gerügt werden müsste.
({0})
Nach § 119 unserer Geschäftsordnung besteht die
Möglichkeit, Zwischenrufe, die in die Niederschrift aufgenommen worden sind, mit Zustimmung der Beteiligten zu streichen, wenn der amtierende Präsident dem zustimmt.
({1})
Für den Fall, dass diese Verständigung zwischen den Beteiligten erfolgt, würde ich meine Zustimmung zur Streichung erteilen. Nach meinem Eindruck ist dieser Zwischenruf nämlich ziemlich eindeutig neben der Sache.
Nun rufe ich den Tagesordnungspunkt 21 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines FünfVizepräsident Dr. Norbert Lammert
undzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des
Abgeordnetengesetzes und eines Einundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes
- Drucksache 15/3942 ({2})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jörg van Essen, Daniel Bahr ({3}), Rainer Brüderle, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Grundgesetzes ({4})
- Drucksache 15/751 ({5})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jörg van Essen, Daniel Bahr ({6}), Rainer Brüderle, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Vierundzwanzigsten Gesetzes
zur Änderung des Abgeordnetengesetzes
- Drucksache 15/753 ({7})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({8})
- Drucksache 15/4205 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Uwe Küster
Volker Beck ({9})
Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung hat in seine Beschlussempfehlung auch
die von der Fraktion der FDP eingebrachten Gesetzentwürfe zur Änderung des Art. 48 Abs. 3 des Grundgesetzes sowie zur Änderung des Abgeordnetengesetzes einbezogen. Über diese beiden Gesetzentwürfe soll nun
ebenfalls abschließend beraten werden. - Ich sehe, darüber besteht Einverständnis. Dann ist das so beschlossen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Wilhelm Schmidt für die SPDFraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich weiß gar nicht, warum hier so viele die
Flucht ergreifen. Es geht um unsere rechtliche Stellung.
Vielleicht wäre es ganz gut, wenn sich ein paar mehr Abgeordnete hier im Plenum einfänden, um über ihr
Schicksal und ihre Versorgungsbezüge zu debattieren
bzw. abzustimmen. Von dieser Stelle rufe ich dazu ausdrücklich auf.
Wir befinden uns in der abschließenden Beratung des
Gesetzentwurfs, den wir vor einigen Wochen eingebracht haben und von dem wir hoffen, dass er heute abgeschlossen werden kann. Mit diesem Gesetzentwurf
steht die versprochene Umsetzung der wirkungsgleichen
Änderung von Versorgungsbezügen für Abgeordnete
ähnlich dem Rentenrecht und dem Beamtenversorgungsrecht auf der Tagesordnung. Das Entscheidende ist, dass
wir damit unsere Zusage, die wir öffentlich gegeben haben, einlösen, nämlich hier ähnlich zu verfahren.
Mit diesem Gesetz - das ist der Vorschlag der Koalition - werden wir eine Abschmelzung der Versorgungsansprüche herbeiführen, bei den Altversorgten
um achtmal 0,5 Prozent. Das bedeutet in der Mindestversorgung eine Absenkung von 35 auf 31 Prozent und
in der Höchstversorgung von 75 auf 71 Prozent. Damit
liegen wir etwa in der Kategorie der Höchstversorgung
im Beamtenbereich. Insofern dürfte die Anpassung adäquat sein.
Wenn wir die Versorgungsansprüche um 4 Prozent
abschmelzen, dann ist das eine angemessene Berücksichtigung der Neuregelungen im Rentenrecht. Zudem
wird dies in einem viel kürzeren Zeitraum umgesetzt, als
dies bei den Rentnerinnen und Rentnern und den Beamtenversorgungsempfängern geschieht. Die Änderung bedeutet also nicht unbedingt ein Übermaß, ist aber eine
sehr konsequente Angleichung dessen, was wir auch den
anderen Schichten in der Bevölkerung zumuten, die von
Versorgungsbezügen oder Renten zu leben haben.
({0})
Der zweite Punkt ist: Wir passen auch die Witwenversorgung an. Sie wird von 60 auf 55 Prozent gekürzt.
Das Wichtigste, das wir mit diesem Gesetz auf den Weg
bringen, ist eine Anrechnungsvorschrift für private Einkünfte, die Versorgungsempfänger der Abgeordneten
dann erzielen, wenn sie vor dem 65. Lebensjahr eine private Beschäftigung aufnehmen oder wahrnehmen. Das
ist eine angemessene Gleichstellung mit den Beamtenversorgungsempfängern und den Rentnerinnen und
Rentnern. Nach dem 65. Lebensjahr gilt diese Anrechnungsvorschrift natürlich nicht mehr. Aber in diesem Alter ist es doch relativ selten, dass man zusätzliche Beschäftigungen wahrnimmt. Aber wir finden schon, dass
es eine Überversorgung bedeuten würde, wenn eine Anrechnung der privaten Einkünfte vor dem 65. Lebensjahr
nicht stattfinden würde.
Dies sollte man in angemessener Weise kommunizieren. Das hat - das will ich an dieser Stelle gleich sagen überhaupt nichts mit dem Kürzen einer „Luxusversorgung“ zu tun. Ich erkläre ausdrücklich für meine Fraktion, dass Abgeordnete dieses Hauses keine Luxusversorgung genießen. Sie erhalten vielmehr eine den
Umständen angemessene Versorgung: Das Wahrnehmen
von Amt und Mandat bedeutet nicht selten eine unglaubliche Belastung, vor allen Dingen deshalb - das muss
man für die Öffentlichkeit hinzufügen -, weil Abgeordnete zu einem beträchtlichen Teil in ihrer beruflichen
Weiterentwicklung gehemmt sind. Sie wissen das natürlich, wenn sie ihr Abgeordnetenmandat annehmen,
Wilhelm Schmidt ({1})
nichtsdestotrotz ist das ein Fakt, welchen man gegen
sich selbst gelten lassen muss. Daher kann man sie nicht
mit normalen Rentnern oder normalen Beamtenversorgungsempfängern vergleichen, sondern man sollte eher
den Vergleich zu leitenden Angestellten in der Wirtschaft oder leitenden Beamten im öffentlichen Dienst
ziehen.
({2})
Diese Vergleichbarkeit ist es, die uns immer wieder
beschäftigt. Deshalb gilt auch an einem solchen Tage,
dass wir Abgeordnete uns nicht diskriminieren lassen
wollen. Das gilt auch für die Abgeordneten in den Landtagen und im Europaparlament. Es geht nicht an, dass
wir für die Bevölkerung tätig sind, uns aber von den üblichen Verdächtigen immer wieder vorgerechnet wird,
dass wir entweder zu hohe Versorgungsbezüge oder zu
hohe Diäten erhalten. Da wird ein falscher Maßstab angelegt. Ich fordere die kritische Öffentlichkeit ausdrücklich dazu auf, an dieser Stelle die Verhältnismäßigkeit
bei der Bewertung des Abgeordnetenberufs - ein solcher
ist es ja nun einmal - zu wahren und die Abgeordneten
nicht ständig zu diskriminieren.
({3})
Ich will in diesem Zusammenhang hinzufügen, dass
auch die Bundesregierung die notwendigen Konsequenzen gezogen hat. Seit Ende September liegt ein Gesetzentwurf vor - auch diesen werden wir hier behandeln -,
mit dem die Bundesregierung eine angemessene Anhebung der Bezüge und eine Kürzung der Versorgungsbezüge vornehmen will. Hier wird deutlich, dass wir uns
manchmal in einer Weise Selbstbeschränkungen auferlegen, die nicht in Ordnung sind. Wenn wir uns einmal vergegenwärtigen, was Unternehmenslenker in der freien
Wirtschaft an Einkünften und Versorgungsregelungen für
sich in Anspruch nehmen, dann ist nach meiner Einschätzung durchaus die Aufforderung angebracht, die Maßstäbe zurechtzurücken. Der Bundeskanzler hat weder ein
Einkommen noch - erst recht nicht - eine Versorgung,
die mit dem Einkommen bzw. der Versorgung des Chefs
eines mittelständischen Unternehmens vergleichbar
wäre. Das zeigt, dass in diesem Lande irgendetwas nicht
ganz richtig ist.
({4})
Wir bringen dieses Gesetz heute - trotz der schwierigen Zeit - auf den Weg und kommen damit einem Gebot
nach, welches man an uns im Prinzip zu Recht gerichtet
hat. Aber wir werden künftig die Kirche im Dorf lassen.
Wir werden kein Übermaß an Belastungen - zumindest
was die Höhe der Versorgung betrifft - gelten lassen.
Dennoch müssen wir, auch das will ich zusagen, noch
eine grundsätzliche Überprüfung der Versorgungsregelungen vornehmen. Das wird eine weitere Aufgabe für
das nächste Jahr sein.
Damit komme ich zum Gesetzentwurf der FDP.
Herr Kollege van Essen, dieser Gesetzentwurf birgt die
Gefahr einer „Kommissionitis“. Das wollen wir nicht. Es
hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigt, dass jedes Parlament, das sich eine Beratung von
außen in Form einer Kommission gegönnt oder - je
nachdem - zugemutet hat, auf die Nase gefallen ist. Ich
will ausdrücklich dafür plädieren, uns gerade diese Regelung nicht aus der Hand nehmen zu lassen. Wir sollten
vielmehr selbstkritisch, aber auch mit einem gesunden
Selbstbewusstsein daran gehen, unsere Abgeordnetenentschädigung und unsere Versorgung selbst zu überprüfen. Wenn wir das nicht mehr können, sind wir es nicht
wert, in diesem Hause Entscheidungen darüber zu treffen. Lassen Sie also die Forderung nach einer Kommission! Wir machen das selber und kommen dann zu Ergebnissen, die wir selber vertreten können. Das ist ein
Grund, warum wir den Gesetzentwurf von der FDP ablehnen.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns diese
Entscheidung treffen. Sie ist eine Entscheidung, die im
Zuge der Entwicklung im Renten- und Beamtenversorgungsrecht notwendig ist. Auf der einen Seite ist die Regelung nicht übertrieben, auf der anderen Seite müssen
wir uns nicht selbst verleugnen. Das werden wir im Verlauf unserer Arbeit immer wieder selbstbewusst erklären
müssen. Dazu fordere ich uns alle gemeinsam auf.
Vielen Dank.
({6})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege
Eckart von Klaeden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
Obwohl es möglich wäre, will ich jetzt nicht jeden persönlich begrüßen, um die Redezeit ausnutzen.
Herr Kollege Schmidt, unsere Fraktion stimmt der
Änderung des Abgeordnetengesetzes aus den von Ihnen
beschriebenen Gründen zu. Ich will jetzt gar nicht alle
Gründe, die Sie zutreffend beschrieben haben, wiederholen, aber ich möchte die Gelegenheit nutzen, mit ein paar
Worten auf das einzugehen, was Sie über die Abgeordnetenversorgung insgesamt gesagt haben. Das, was Sie
grundsätzlich feststellen, trifft auf unsere Zustimmung,
wie Sie am Applaus aus unserer Fraktion gesehen haben.
Allerdings fehlen uns die Taten. Ihre Fraktion bzw. die
Koalition hat leider nicht den Mut, den Reden und Ankündigungen auch Taten folgen zu lassen und diese Prinzipien umzusetzen.
Nach dem vom Verfassungsgericht festgesetzten
Maßstab muss die Entschädigung der Abgeordneten eine
ausreichende Existenzgrundlage für die Abgeordneten
und ihre Familien sicherstellen. Die Versorgung muss
auch der Bedeutung des Amtes Rechnung tragen und
soll insbesondere die unabhängige Ausübung des Mandats gewährleisten. Wir haben als Maßstab - ich meine,
dass dies ein angemessener Maßstab ist - das Gehalt eiEckart von Klaeden
nes hauptamtlichen Oberbürgermeisters in einer Stadt
mit mehr als 100 000 Einwohnern oder eines Abteilungsleiters in einem Ministerium festgelegt. Weil wir
in dieser Legislaturperiode bisher nur eine Diätenerhöhung gehabt haben, hinken wir hinter diesem selbst gesetzten Maßstab nun mit nahezu 1 000 Euro pro Monat,
exakt mit 947 Euro pro Monat, hinterher.
Wenn wir für dieses Haus tatsächlich Personen mit
politischem Talent und politischer Erfahrung finden wollen - irgendjemanden zu finden, ist kein Problem -, dürfen wir sie nicht deutlich schlechter bezahlen als Abteilungsleiter in Ministerien oder als hauptamtliche
Oberbürgermeister einer nicht ganz so großen Stadt, wie
ich es gerade geschildert habe.
({0})
Das ständige Aussetzen der Diätenerhöhungen, wie besonders Sie es praktizieren, wird dazu führen - bei allen
politischen Problemen, die wir haben und die ich gar
nicht bestreiten will -, dass wir nur noch sehr schwer geeignete Personen werden gewinnen können.
Wenn sich diese Praxis weiter fortsetzt, entsteht ein
weiteres Problem: Nicht die Tatsache, dass Nullrunden
stattfinden, ist dann eine Besonderheit, sondern wenn
tatsächlich einmal eine Diätenerhöhung stattfindet,
wird diese als ein besonderes Ereignis in der Öffentlichkeit zur Kenntniss genommen. Das ist dann ja auch richtig, allerdings werden die Nullrunden vorher nicht zur
Kenntnis genommen.
Deshalb will ich hier noch mit einer anderen Tatsache
aufwarten. Seit dem Jahr 1977 - seitdem gilt das Abgeordnetengesetz - lag die Erhöhung der Diäten prozentual
zum Teil weit unter den durchschnittlichen Erhöhungen
der Bezüge aller anderen Gehalts- oder Versorgungsempfänger im öffentlichen Dienst, der Beschäftigten in
der freien Wirtschaft, aber auch der Rentner. Das ist eine
Tatsache, die festzustellen ist.
Auch die gesamten Kosten des Deutschen Bundestages pro Bürger und pro Jahr sind in den letzten Jahren
gesunken, und zwar auf niedrigem Niveau. Im Jahr 2001
hat der gesamte Bundestag pro Bürger Kosten von
12,44 DM verursacht, im Jahr 2002 waren es 6,46 Euro
und im Jahr 2003 noch 6,20 Euro.
({1})
- Der Kollege van Essen hat völlig Recht: Wir liegen damit ganz weit hinten unter allen Parlamenten. - Wenn
man sich diese Zahlen vor Augen führt, kann man sicherlich den Abgeordneten keine Überversorgung vorwerfen. Auch der prozentuale Anteil des Einzelplans 02
am Gesamthaushalt des Bundes ist rückläufig. Er betrug
2001 0,215 Prozent, 2002 0,214 Prozent und 2003 noch
0,199 Prozent.
Ich sage das hier ausdrücklich als Abgeordneter der
Opposition, denn wenn wir uns für eine kontinuierliche
maßvolle Diätenerhöhung einsetzen, die sich am Durchschnitt der allgemeinen Gehaltssteigerung orientiert und
unseretwegen auch gern etwas dahinter zurückbleiben
kann, wird uns immer gesagt, das beschließe sowieso die
Regierungskoalition und die Opposition habe das nicht
zu verantworten. Obwohl nur ein mittelbarer Zusammenhang besteht, sage ich das an dieser Stelle, damit uns
dieser Vorwurf nicht gemacht werden kann.
Ich darf Sie wirklich bitten, in unser aller Interesse
und auch im Interesse der uns selbst durch die Verfassung gegebenen Verantwortung, den Mut aufzubringen
und uns wenigstens das zuzugestehen, was wir auch den
Beamtinnen und Beamten - wenn Sie diesen Vergleich
ziehen wollen - bei den Gehaltssteigerungen zugestehen.
Ich möchte noch etwas zu dem Vorschlag der FDP anmerken. Ob eine solche Sachverständigenkommission
durchsetzbar sein wird und ob sie insbesondere den vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken - ich muss
sie sicherlich nicht näher erläutern, Herr Kollege van
Essen - gerecht werden kann, wird zu prüfen sein. Ich
persönlich habe für einen solchen Vorschlag Sympathie,
würde aber vorschlagen, dass anstelle einer Sachverständigenkommission der Bundespräsident selber die Höhe
der Diäten und den Umfang der Versorgung für die Abgeordneten verbindlich festlegt. Er ist nicht nur von den
Abgeordneten des Bundestages, sondern durch die Bundesversammlung und damit auch von den Bürgerinnen
und Bürgern gewählt worden und verfügt insofern über
die notwendige demokratische Legitimation.
({2})
Die Entscheidung muss aber verbindlich sein. Zur Beratung könnte der Bundespräsident so viele Sachverständigenkommissionen heranziehen, wie er möchte.
Abschließend würde ich es begrüßen, wenn Sie uns
bei der Neugestaltung der Abgeordnetenversorgung mit
einbeziehen würden. Über das geringe Maß der Einbeziehung bei der jetzt vorgesehenen Änderung des Abgeordnetengesetzes sind wir nicht erfreut; wir stimmen der
Änderung aber zu.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wilhelm
Schmidt hat schon ausführlich den Regelungsgehalt des
Gesetzes dargestellt. Das muss ich insofern nicht wiederholen.
Mit unserem Vorhaben wollen wir das, was wir den
Menschen mit der Rentenreform und der Reform der Altersversorgung der Beamten zugemutet haben, wirkungsgleich auf die Abgeordnetenversorgung übertragen, ohne dass man unsere Versorgungssysteme sowie
die Entschädigung und Rechtsstellung der Abgeordneten
etwa mit den Beamten vergleichen oder gar gleichstellen
könnte. Ich halte diesen Ansatz grundsätzlich für richtig;
Volker Beck ({0})
denn alles andere würde von den Bürgerinnen und Bürgern draußen im Lande zu Recht nicht verstanden.
Wenn wir aber das, was wir anderen zumuten, auf uns
selber übertragen wollen, dann gilt das für Plus und Minus. Ich sehe ebenso wie mein Vorredner ein Problem
darin, dass wir nicht an der Tarifentwicklung der aktiven
Einkommen, aber am Abschmelzen der Altersversorgung partizipieren. Dabei gibt es eine gewisse Unwucht
in der Entwicklung, die sich in den letzten Jahren kontinuierlich fortgesetzt hat.
Ich glaube, dass wir als Parlament eine grundsätzliche
Diskussion über die Bedeutung des Parlaments, die parlamentarische Demokratie und ihr Ansehen beginnen
müssen. Wir werden wohl auch nicht darum herumkommen, uns mit den Ergebnissen der vor einigen Jahren
durchgeführten Parlamentsreform unter der Fragestellung zu befassen, welche Ansprüche damit verbunden
waren und was wir davon umgesetzt haben.
Die gestrige Tagesordnung zum Beispiel, die eine Debatte bis 2 Uhr morgens vorsah, zeigt, dass einiges, was
wir seinerzeit im Sinne einer stärkeren Konzentration
der Debatten beabsichtigt hatten - das hat auch mit dem
Ansehen des Parlaments in der Öffentlichkeit und dem
Verhältnis zwischen Plenums- und Ausschussarbeit sowie der öffentlichen Darstellung der Ausschussarbeit zu
tun -, nicht umgesetzt worden ist. Damit sollten wir uns
noch einmal befassen.
({1})
Denn das Ansehen des Parlaments steigt dann, wenn
der Bevölkerung klar wird, was die Parlamentarier leisten, wie sie im politischen Streit immer wieder miteinander um die besten Lösungen ringen und dass im Parlament solide Arbeit geleistet wird, die aber nicht nur im
Plenum, sondern auch in vielen Gremien stattfindet.
Ich glaube, dass die Diskussion über die Bedeutung
des Parlaments und seine Wertschätzung auch im Hinblick auf die Bezahlung der Abgeordneten miteinander
verknüpft werden müssen. Wir sollten in dieser Debatte
vereinbaren, uns dieses Projekt vorzunehmen und mit
der Bevölkerung zu argumentieren, und wir sollten als
weitere Perspektive auch die Angleichung an die aktiven
Bezüge wieder angehen.
Dass wir uns hinter dem Bundespräsidenten oder einer Kommission verstecken, halte ich für keine geeignete Lösung.
({2})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Koppelin?
Ja, wenn ich noch einen Satz zu Ende bringen darf. Entweder gelingt es uns als Parlament, die Bedeutung
unserer Arbeit in der Öffentlichkeit darzustellen und für
eine gewisse Wertschätzung der Demokratie zu werben,
oder es gelingt uns nicht.
({0})
Wir können aber diese Aufgabe, diese Verantwortung
nicht an andere delegieren. Wir müssen wieder den Mut
zusammennehmen, aus diesen Feststellungen die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen.
({1})
Herr Koppelin, Sie haben das Wort zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege Beck, haben Sie Verständnis dafür, dass
ich Ihre Rede zum Anlass nehme, darauf hinzuweisen,
dass der Haushaltsausschuss heute Nacht bis 3 Uhr getagt hat?
Ich habe Verständnis dafür und schätze die außerordentlich gute Arbeit der Kolleginnen und Kollegen im
Haushaltsausschuss, die die Öffentlichkeit viel zu wenig
wahrnimmt. Ich sage Ihnen Dank dafür, dass Sie die
Haushaltsberatungen im Ausschuss zu einem guten Ergebnis geführt haben und uns die Möglichkeit geben, in
der nächsten Sitzungswoche im Plenum über den Haushalt in allen Einzelheiten zu debattieren. Ich hoffe angesichts meiner Wertschätzung Ihrer Arbeit, dass auch die
beiden Oppositionsfraktionen dem Haushalt zustimmen
werden.
({0})
Ich schließe mich dem Dank an die Haushälter für ihren Fleiß ausdrücklich an, wenngleich es ein bisschen
leichtfertig ist, aus der Dauer der Beratung auf deren
Qualität zu schließen.
({0})
Das ist richtig. - Ich finde es schön, dass wir in diesem Hause zu einem neuen Stil kommen, der es den
Rednern ermöglicht, mit dem Präsidenten in der Sache
zu diskutieren.
({0})
Da wir hier über die Amtsführung des Präsidenten nicht
debattieren, möchte ich nur sagen, dass ich das für eine
schöne Form der Belebung der Auseinandersetzung
halte.
Zum Schluss: Wir sollten ernsthaft darüber reden,
was wir in nächster Zeit in diesem Bereich tun werden.
Ich fordere die FDP auf: Wir werden nur zu einem vernünftigen Ergebnis kommen, wenn wir bereit sind, gemeinsam Vorschläge einzubringen und durchzusetzen.
Nur so können wir Perspektiven eröffnen. Wenn sich
aber die FDP-Fraktion mit der Begründung vom Acker
Volker Beck ({1})
machen will, man habe mit dieser Debatte nichts zu tun,
weil man ja vorgeschlagen habe, eine Kommission einzuberufen, dann wird es schwierig sein, gemeinsam voranzukommen. In der Vergangenheit gab es immer wieder Kolleginnen und Kollegen von Ihrer Fraktion, die
nach draußen den Eindruck erweckt haben, dass sie weniger für die Abgeordneten wollen, während sie uns intern hinter vorgehaltener Hand gesagt haben: Warum so?
Anders käme doch viel mehr dabei heraus. Ich sage Ihnen: Das ist nicht ganz sauber und ehrlich. Eine solche
Debatte wird uns im Ergebnis nicht weiterbringen.
Schauen wir einmal, wie sich die Diskussion in den
nächsten Wochen entwickeln wird.
Vielen Dank.
({2})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Jörg van Essen für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Kollege von Klaeden hat dankenswerterweise schon darauf hingewiesen, dass der Deutsche Bundestag den
deutschen Steuerzahler im Vergleich zu allen anderen
Parlamenten sehr wenig Geld kostet. Vielleicht darf ich
die heutige Debatte ebenfalls nutzen, um darauf hinzuweisen, dass der Bundestag - im Vergleich zu allen
westlichen Demokratien - das zweitkleinste Parlament
ist. Die meisten Parlamente insbesondere in der EU sind
wesentlich größer, was das Verhältnis der Zahl der Abgeordneten zu der Zahl der vertretenen Bürger anbelangt. Auch in dieser Beziehung sind wir also zurückhaltend. Ich denke, dass die heutige Debatte Gelegenheit
bieten muss, das in der Öffentlichkeit zu sagen.
Wer die Debatte verfolgt hat, dem wird aufgefallen
sein, wie oft die Redner den Vergleich mit der Beamtenbesoldung herangezogen haben. Genau diesen Ansatz
hat die FDP-Bundestagsfraktion ausdrücklich nicht gewählt.
({0})
Wir, die Abgeordneten von der FDP, vergleichen uns
auch bei der Altersversorgung nicht mit Beamten, obwohl sich unsere Altersversorgung im Augenblick leider
noch an der der Beamten orientiert. Unser Vergleichsmaßstab sind vielmehr die freien Berufe; denn Freiberufler haben genauso wie Abgeordnete keine Vorgesetzten und sind nicht an Weisungen gebunden. Daher muss
unser Blick, beispielsweise bei der Ausgestaltung der
Altersversorgung, in diese Richtung gehen.
({1})
Wir werden den Gesetzentwurf von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ablehnen, und zwar aus einem Grund,
der nach meiner Auffassung sofort einleuchtet. Herr
Kollege Schmidt, Sie haben nicht umsonst mit einer namentlichen Abstimmung gedroht. Sie hatten Befürchtungen, dass es auch in Ihrer Fraktion erhebliche Widerstände geben würde.
({2})
Diese wären durchaus berechtigt; denn die zukünftig
geltenden Anrechnungsregelungen treffen insbesondere die Kolleginnen und Kollegen, die aus freien Berufen kommen. Wer wie ich Beamter ist, hat eine Rückkehrmöglichkeit. Wer sie nutzt, für den gelten die alten
Rechte und der verdient genauso viel wie vorher, ergänzt
um die Gehaltserhöhungen, die die Beamten im Gegensatz zu den Abgeordneten regelmäßig bekommen.
Wer aber einen freien Beruf ausgeübt hat, hat erhebliche Probleme, in seinen Beruf, zum Beispiel in eine
Kanzlei, zurückzukehren; deshalb halten wir die vorgesehene Anrechnungsregelung in Bezug auf eine angemessene Vertretung aller Berufe im Deutschen Bundestag für Gift.
({3})
Wir haben auch über den Vorschlag der FDP zu diskutieren. Ich bin froh, dass wir ihn wieder eingebracht
haben. Sowohl der Kollege Schmidt als auch der Kollege Beck haben von dem Mut gesprochen, den wir
brauchen, um bestimmte Regeln durchzusetzen. Nur:
Dieser Mut verlässt uns doch regelmäßig. Herr Schmidt,
Herr Beck, Sie hat der Mut doch erst gestern verlassen.
({4})
Sie stellen sich hierhin und sagen: Wir müssen Mut haben, beispielsweise um die Arbeitsbedingungen von Abgeordneten zu verbessern. Ich darf mich schon wundern,
dass Sie einen Tag später versuchen, das der Öffentlichkeit hier so zu verkaufen.
({5})
Ich denke, unser Ansatz ist der richtige.
Die Kommission spricht uns von dem Vorwurf - wir
hören ihn immer wieder, auch wenn er meiner Ansicht
nach ungerechtfertigt ist - frei, dass diejenigen, die
selbst über die Höhe ihres Einkommens bestimmen können, das nicht zu ihrem Nachteil tun. Eine Kommission,
in der insbesondere die Kritiker, beispielsweise der Bund
der Steuerzahler, vertreten sind, ist, wie ich finde, eine
gute und vor allen Dingen objektive Einrichtung zur Bestimmung dessen, was die Abgeordneten verdienen sollen.
({6})
Den Maßstab hat das Bundesverfassungsgericht aufgestellt. Ich glaube, dass diese Angelegenheit beim Bundespräsidenten richtig aufgehoben ist.
Wir bitten um Zustimmung zu diesem vernünftigen
Neuanfang. Einige Parlamente haben ihn versucht, und
das nicht nur mit einem negativen Ergebnis. Das Ergebnis war dann negativ, wenn die Parlamente - zum Beispiel das in Schleswig-Holstein - zunächst die Vorteile
einer Neuregelung in Kraft gesetzt, die anderen Dinge
aber vergessen haben. Das spricht nicht gegen unseren
Vorschlag. Herr Kollege Schmidt, wir werden ihn weiter
verfolgen, weil wir ihn für den einzigen wirklich nach
vorne weisenden halten.
Vielen Dank.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Abgeordnetengesetzes und des Europaabgeordneten-
gesetzes auf Drucksache 15/3942. Der Ausschuss für
Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache15/4205, diesen Gesetzentwurf anzunehmen.
Mir liegt hierzu eine Erklärung zur Abstimmung
nach § 31 unserer Geschäftsordnung des Kollegen Rolf
Schwanitz vor, die wir zu Protokoll nehmen.1) Ich bitte
nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich der Stimme? - Der Gesetzentwurf ist mit der
Mehrheit des Hauses gegen die Stimmen der FDP-Frak-
tion angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen
zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich
der Stimme? - Damit ist der Gesetzentwurf ebenfalls mit
der Mehrheit des Hauses gegen die Stimmen der
FDP-Fraktion angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entwurf
eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes, Art. 48
Abs. 3, der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/751.
Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 15/4205, diesen Ge-
setzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Da-
mit ist dieser Antrag mit Mehrheit abgelehnt. Damit ent-
fällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Bera-
tung.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entwurf
eines Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes
der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/753. Der Aus-
schuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord-
nung empfiehlt unter Buchstabe c seiner mehrfach zitier-
ten Beschlussempfehlung, auch diesen Gesetzentwurf
1) Anlage 3
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit der
Mehrheit des Hauses gegen die FDP-Fraktion abgelehnt.
Damit entfällt wiederum die weitere Beratung.
Wir sind damit am Schluss dieses Tagesordnungspunktes.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Dagmar Wöhrl, Karl-Josef Laumann, Dr. Peter
Paziorek, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Wirtschaftliche Auswirkungen der EU-Stoffpolitik
- Drucksachen 15/1394, 15/2806 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Dazu
stelle ich Einvernehmen fest.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Marie-Luise Dött für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat Anfang dieses Jahres die Innovationsoffensive ins Leben gerufen und das Jahr 2004 zum Innovationsjahr erklärt. Was er damit meint, hat er in einem
Interview der Wochenzeitung „Die Zeit“ deutlich gemacht; Sie können es auf der Internetseite der Bundesregierung nachlesen.
In diesem Interview erklärt der Bundeskanzler, dass
er die Bereitschaft zur Innovation dadurch wecken
möchte, dass geeignete Rahmenbedingungen geschaffen
werden. Eines sei klar, sagt Schröder laut der Meldung
dazu:
Neue Produkte entstehen nur, wenn die Bereitschaft
vorhanden ist, Risiken einzugehen. Zwischen der
Herausbildung von Chancen und dem Abwägen
von Risiken müsse die Balance neu definiert werden. „Manch einer ist da noch zu hasenfüßig“, sagte
Schröder.
An dieser Vorgabe des Bundeskanzlers muss sich die Politik der Bundesregierung messen lassen, auch im Bereich der Stoffpolitik und des Chemikalienrechts.
Im Falle von REACH kann und darf sich die Bundesregierung nicht darauf ausruhen, dass es sich um eine europäische Gesetzgebung handelt. Im federführenden
Wettbewerbsfähigkeitsrat sitzt auch ein deutscher Minister, der Einfluss auf die weitere Ausgestaltung von
REACH nehmen könnte, wenn er das denn wollte.
Nun hat die Bundesregierung aber nicht den Wirtschaftsminister, sondern den Umweltminister in den
Wettbewerbsfähigkeitsrat geschickt, um über die neue
EU-Chemikaliengesetzgebung zu verhandeln. Ob der
Bundeskanzler seine Aussage auf Herrn Trittin bezogen
wissen möchte, sei hier einmal dahingestellt; bekannt ist
jedoch, dass der Umweltminister kein Freund einer sachMarie-Luise Dött
orientierten Debatte ist, wenn es um die Einschätzung
des Risikos von Stoffen geht.
({0})
- Das habe ich auch schon gemerkt. Sie flüchten alle von
der Regierungsbank.
Die diversen, vom Umweltminister mit öffentlichen
Mitteln unterstützten öffentlichkeitswirksamen Aktionen
gleichen eher einer Hexenjagd. Damit verunsichert die
Regierung, die jetzt gerade nicht auf der Regierungsbank
sitzt, die Bürger, ohne einen wissenschaftlich fundierten
Hintergrund für ihre Behauptungen zu haben.
({1})
- Jetzt kommt Herr Trittin. Dann sollte ich das vielleicht
noch einmal sagen: Das Umweltministerium hat mit öffentlichen Mitteln Werbung publiziert und öffentlichkeitswirksame Aktionen gestartet, die meiner Meinung
nach eher einer Hexenjagd gleichen. Damit verunsichern
Sie, Herr Trittin, die Bürger, ohne einen wissenschaftlich
fundierten Hintergrund für Ihre Behauptungen zu haben.
Nichtsdestotrotz ist es die Pflicht des Umweltministers, im EU-Ministerrat die wirtschaftlichen Interessen
Deutschlands bei den Beratungen des neuen Chemikalienrechts zu vertreten. Hierbei muss der Umweltminister auf die gravierenden Mängel des REACH-Systems
aufmerksam machen und auf Änderungen drängen.
Wie viele Verbesserungen notwendig sind, hat die
Anhörung des Umweltausschusses am Anfang dieser
Woche gezeigt. Beantragt wurde sie übrigens von der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Die Regierungskoalition sah offensichtlich keinen Anlass, sich mit dieser
einschneidenden Änderung des europäischen Rechts näher zu befassen. Alle zu der Anhörung eingeladenen
Sachverständigen waren sich einig: Der EU-Verordnungsvorschlag in seiner jetzigen Form ist weder praktikabel noch liefert er einen erkennbaren Vorteil für Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutz.
Der Nutzen von REACH bleibt marginal, weil wir das
Vollzugsdefizit, das wir im Bereich des Chemikalienrechts schon heute haben, nur noch vergrößern und weitere Datenfriedhöfe anlegen. In der Anhörung wurde
deutlich, dass kleine Unternehmen mit weniger als
50 Mitarbeitern die neue REACH-Verordnung aus Praktikabilitätsgründen schlichtweg nicht anwenden können.
Kleine Unternehmen verfügen eben nicht über die notwendigen Humanressourcen und die notwendigen Mittel,
um das komplexe und komplizierte Registrierungsverfahren reibungslos zu durchlaufen. Das Vollzugsdefizit ist
also vorprogrammiert.
Ein weiteres Beispiel für weniger statt mehr Umweltschutz durch REACH stellt der Umgang mit Kühlwasseradditiven dar. Solche Additive werden nur in sehr
geringen Mengen hergestellt. Die Kosten für die Registrierung sind aber so hoch, dass ein weiterer Vertrieb dieser Additive ökonomisch nicht mehr sinnvoll ist. Die
Folge ist, dass diese Additive auf dem europäischen
Markt nicht mehr erhältlich sind. Kühlwasser muss
künftig ohne Additive eingesetzt werden und deswegen
schon alle sechs Wochen statt nur alle sechs Monate, wie
es bei Einsatz eines Additives der Fall wäre, gewechselt
werden. REACH führt in diesem Bereich dazu, dass eine
Ressourcen sparende Technik, in diesem Fall betrifft das
die Ressource Wasser, aufgegeben werden muss und
sich die Abwassermengen vervierfachen werden.
REACH führt eben nicht zu mehr Umweltschutz, sondern zu weniger Wettbewerb und weniger Innovation.
Innovationsmotor in Deutschland sind traditionell die
kleinen und mittelgroßen Unternehmen. Der Mittelstand
gibt die Impulse für neue Verwendungen von Stoffen.
Auch dazu kann ich Ihnen ein ganz konkretes Beispiel
nennen: In Wuppertal gibt es eine kleine Lackfabrik.
Der Firmenleiter ist in Personalunion nicht nur Chef,
sondern auch Laborleiter, Entwickler und Marketingleiter, also alles in einem. Zu seinen Beschäftigten gehören
neben seiner Frau, wie das für mittelständische Unternehmen typisch ist, und seinem Sohn auch noch eine
Hand voll ungelernter Kräfte. Dieser Mittelständler hat
sich intensiv Gedanken darüber gemacht, wie er sein
Produkt, einen Autolack, verbessern kann. Er hat entdeckt, dass sein Lack durch Zugabe eines Additives viel
besser haftet. Um den Know-how-Schutz zu wahren,
wollen wir hier einmal annehmen, bei dem Zusatz handele es sich um Spüli. Der Autohersteller, den der Mittelständler beliefert, ist begeistert, denn dadurch muss er
nur noch zwei statt drei Schichten Lack auftragen. Das
spart Material und ist umweltschonend.
Nach dem REACH-System wird der Mittelständler
für seine Cleverness und seine Innovation aber keinesfalls belohnt. Denn er darf das Spüli erst einmal nicht für
seine Formulierung verwenden, weil der Spüli-Hersteller nicht weiß und nicht vorgesehen hat, dass sein Produkt für die Formulierung eines Lackes verwendet wird.
Der Mittelständler muss nun selbst die aufwendige Registrierung durchführen. Das kostet nicht nur Geld, sondern auch wertvolle Zeit, die das Unternehmen für die
Entwicklung weiterer Produkte verliert. Wenn es für den
Lack nur einen eng begrenzten Einsatzbereich gibt, werden die Kosten im Verhältnis dazu zu hoch sein, sodass
der Mittelständler im Zweifel davon absehen wird, seine
Innovation auf den Markt zu bringen.
An diesem Beispiel werden die Auswirkungen von
REACH auf die kleinen Unternehmen der Chemiebranchen, aber auch der weiterverarbeitenden Branchen
mehr als deutlich. Spezialprodukte und Formulierungen
für Nischenanwendungen werden aus wirtschaftlichen
Gründen vom europäischen Markt verschwinden. Die
Vielfalt der Produkte wird damit in Zukunft abnehmen.
Bisher klafft zwischen Anspruch der Bundesregierung
und Wirklichkeit im Innovationsjahr 2004 eine erhebliche Lücke.
Im anstehenden europäischen Gesetzgebungsverfahren zu REACH öffnet sich aber auch ein Handlungsfenster, Herr Trittin, um in Zukunft Innovationen am Standort Deutschland weiterhin zu ermöglichen und zu
forcieren. REACH ist verbesserungswürdig und kann
besser gemacht werden. Eine Vereinfachung der Registrierung, die Abkehr von der Mengenphilosophie hin zu
einem gefährdungs- und expositionsbasierten Ansatz
und die Stärkung der Agenturkompetenzen sind nur einige Anhaltspunkte dafür. Wenn die Bundesregierung
ihre Innovationsoffensive also nach wie vor ernst nimmt,
so ist sie aufgefordert, sich auf europäischer Ebene konstruktiv dafür einzusetzen, dass REACH in den entscheidenden Punkten verbessert wird. Dazu, Herr Trittin, fordere ich Sie dringend auf.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Heinz Schmitt für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Zum dritten
Mal in diesem Jahr sprechen wir heute über die Neuordnung der europäischen Chemiepolitik. Heute geht es um
eine Anfrage der CDU/CSU zu den wirtschaftlichen
Auswirkungen der EU-Stoffpolitik. Dies zeigt einerseits
die große Bedeutung dieses europäischen Gesetzesvorhabens. Es zeigt andererseits aber auch, dass wir uns gegenwärtig in einer wichtigen Phase des Gesetzgebungsverfahrens befinden.
Es geht im Augenblick darum, im Rahmen des Verordnungsentwurfs der Europäischen Kommission die
praktische Umsetzung der neuen Chemiepolitik voranzubringen. Dies war auch sozusagen der rote Faden der
Expertenanhörung zu REACH - Frau Dött, wir waren
beide dort -, die vor wenigen Tagen im Bundestag stattfand.
Das Kürzel REACH - ich sage es noch einmal für die
Kolleginnen und Kollegen, die sich nicht täglich damit
befassen - steht dafür, dass die europäische Chemiepolitik neu geordnet werden soll. Wir wollen mit REACH
chemische Stoffe auf dem europäischen Markt, abhängig
von der Produktionsmenge und vom Gefährdungspotenzial, registrieren, bewerten und zulassen. Insgesamt soll
durch REACH ein sichererer und verbesserter Umgang
mit Chemikalien erreicht werden.
Wenn wir also heute über REACH reden, möchte ich
in erster Linie an die aktuellen Aussagen der Sachverständigen in der erwähnten Anhörung von dieser Woche
anknüpfen und mich weniger auf die Anfrage Ihrer Fraktion, Frau Dött, beziehen.
Das hat zwei Gründe. Zum einen basiert Ihre Anfrage
mal wieder auf überholten Fakten, die längst nicht mehr
aktuell sind. Wir reden nicht mehr über den Konsultationsentwurf zur neuen europäischen Chemieverordnung, der Ihrer Anfrage noch zugrunde lag. Aktueller
Stand ist der Kommissionsentwurf vom 29. Oktober vergangenen Jahres. Zu diesem Sachverhalt hat die Bundesregierung eine umfassende Antwort gegeben. Deshalb
möchte ich mich nicht weiter dazu äußern.
Zum anderen ist festzustellen, dass in Ihren Fragen
hinsichtlich der neuen EU-Stoffpolitik Ihre Schwerpunkte, auch die der Umweltpolitiker, zum Ausdruck
kommen. Sie stellen 35 Fragen an die Bundesregierung.
Selbst bei wohlwollender Interpretation konnte man daraus nicht mehr als drei Fragen herauslesen, die sich mit
Umweltschutz und Verbraucherschutz beschäftigen. Die
restlichen Fragen beschäftigen sich nur mit Wirtschaftlichkeit, mit Gewinn- und Verlustrechnung. Aber unser
Anspruch sollte doch sein, dass wir uns mehr mit dem
Thema Umweltschutz beschäftigen.
({0})
Sie können das in Ihren Fragen noch einmal nachlesen. Dort wird nur ein geringes Interesse daran deutlich,
was das neue System für den Gesundheitsschutz, die
Verbraucher oder die Arbeitnehmer bringt. Diese Tendenz findet sich auch in Ihrem Fragenkatalog zur Anhörung am vergangenen Montag wieder. Umweltschutz
findet für Sie anscheinend irgendwo unter „ferner liefen“
statt.
({1})
Bei all Ihren Initiativen gewinne ich immer mehr den
Eindruck, dass es Ihnen darum geht, Argumente zu sammeln, warum REACH nicht machbar ist. Dies ist meiner
Meinung nach viel zu kurz gesprungen. Alle, die sich
mit REACH beschäftigen, haben natürlich auch die Kritikpunkte der chemischen Industrie und deren Anliegen
aufgenommen. Es geht darum, REACH effizient weiterzuentwickeln.
Aber wir sind nicht nur den Finanzvorständen der
chemischen Industrie Rechenschaft schuldig. Wir sollten
einen höheren Anspruch an uns stellen. Wir tragen insbesondere die Verantwortung für die Verbraucherinnen
und Verbraucher in unserem Land. Wir wollen, dass die
Beschäftigten in der chemischen Industrie, so gut es
geht, vor Gesundheitsschäden geschützt werden.
({2})
Erst wenn wir alle Ziele von REACH im Auge haben,
werden wir in Europa eine adäquate Stoffpolitik hinbekommen. Erst dann können wir den untragbaren Zustand
überwinden, dass sich Tausende von Stoffen auf dem
Markt befinden, über deren Gefährdungspotenzial wir
einfach nicht genügend wissen.
Ich habe bei der Anhörung in dieser Woche erfreut
festgestellt, dass sich alle Sachverständigen, egal woher
sie kamen, nach wie vor zu den Zielen der neuen europäischen Chemiepolitik bekennen. Das gilt für die Vertreter der Chemieindustrie, des DIHK und des Chemiehandels. Eine der wichtigsten Aussagen der Anhörung
bestand darin, dass REACH einen geeigneten Rahmen
bietet, um den Umgang mit Chemikalien in Europa neu
zu regeln. Es wurde zum Beispiel auch darauf hingewiesen, dass die Europäische Kommission an einigen Stellen der Verordnung bewusst offen gelassen hat, wie die
Vorgaben unter Einbeziehung der betroffenen Unternehmen praktisch ausgestaltet werden sollen. Hier existiert
also ein großer Spielraum für die Umsetzung.
Genau um diese Ausgestaltung von REACH geht es
gegenwärtig. Es gibt dazu eine Vielzahl von Methoden
und Instrumenten, um Unternehmen der chemischen Industrie die Umsetzung von REACH zu erleichtern.
Heinz Schmitt ({3})
Diese Instrumente werden im Augenblick auf ihre Tauglichkeit überprüft.
Für eine Vereinfachung dieser Registrierung werden
derzeit verschiedene Wege geprüft und verfolgt. Es geht
beispielsweise um das Prinzip „Ein Stoff - eine Registrierung“. Es geht ferner um die Erarbeitung von Expositionskategorien und -szenarien, also darum, wie oft und
wie lange Menschen und Umwelt mit bestimmten chemischen Stoffen in Berührung kommen. Es geht auch
um die Fortentwicklung bereits bestehender Sicherheitsdatenblätter und um die Entwicklung von alternativen
Testmethoden. All diese Ansätze sind mit REACH vereinbar und dort vorgesehen.
Es zeigt sich also, dass REACH Flexibilität bietet, die
Kosten für die Industrie im Rahmen zu halten und
gleichzeitig die Schutzziele zu erreichen.
({4})
Zu den Kosten ist anzumerken, dass wir das neue
System natürlich nicht zum Nulltarif bekommen werden.
Das ist jedem klar. Nach allen vorliegenden Studien
- mit Ausnahme der Studie von Arthur D. Little, die der
VCI in Auftrag gegeben hat - sind die Kosten tragbar.
Dies hat auch ganz aktuell eine Zusammenstellung verfügbarer Studien zur Folgeabschätzung für REACH gezeigt, die im Auftrag der niederländischen Präsidentschaft erstellt wurde.
Wir wissen also, dass es keine absolut zuverlässigen
Zahlen über die Kosten von REACH gibt, solange nicht
feststeht, welche Wege bei der Vereinfachung überhaupt
gegangen werden. Es ist außerdem nicht genau bekannt,
welche Informationen bei der Chemieindustrie bereits
heute schon vorliegen und genutzt werden können. Es
wäre daher ein großer Fortschritt und auch ein gutes Signal, wenn die Unternehmen hier einmal für Klarheit
sorgen und endlich ihre Karten auf den Tisch legen würden.
({5})
Dies wäre eine konstruktive Alternative zu den immer
wieder vorgebrachten Bedenken, dass bestimmte Einzelheiten von REACH noch nicht bis ins letzte Detail geregelt sind.
Wir sind damit bei einem weiteren Punkt, den ich aus
der Anhörung dieser Woche mitgenommen habe. Um
REACH zum Erfolg zu führen, brauchen wir nicht nur
geeignete Instrumente und technische Anleitungen. Darüber hinaus brauchen wir auch den erkennbaren Willen,
dass jeder seinen Beitrag zum Gelingen der Reform beisteuert und dass dabei vertrauensvoll zusammengearbeitet wird. Auch dies ist eine ganz wichtige und notwendige Grundlage für das Gelingen von REACH.
Die Ansätze dafür, nämlich Verfahren für eine erfolgreiche Umsetzung von REACH zu entwickeln, sind gegeben. Jetzt ist es an der Zeit, dass alle Beteiligten dazu
beitragen, REACH zu einem funktionierenden System
fortzuentwickeln. Nur durch eine konstruktive und nach
vorne gerichtete Herangehensweise kann REACH das
leisten, was es erklärtermaßen leisten soll, nämlich einen
besseren und sichereren Umgang mit Chemikalien in
Europa - zum Wohle von Mensch und Umwelt, aber
auch als große Chance für die chemische Industrie im
Hinblick auf eine weltweite Führungsrolle für eine saubere und umweltverträgliche Chemieproduktion.
({6})
Das Wort für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege
Michael Kauch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um eines
klar vorwegzusagen: Bei der Neuordnung der Chemikalienpolitik in Europa besteht unbestritten umweltpolitischer Handlungsbedarf.
({0})
Die Neuordnung der europäischen Chemikalienpolitik
ist deshalb gerade für Deutschland ein wichtiges Thema;
denn wir sind der wichtigste Chemikalienstandort in Europa.
Die REACH-Verordnung wird massive Auswirkungen haben, und zwar nicht nur auf die chemische Industrie, sondern vor allem auch auf die Industriezweige, die
Chemikalien und chemische Produkte verwenden. Die
Bundesregierung und der Bundestag sind deshalb in der
Pflicht, sich im europäischen Prozess zusammen mit den
Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern nachdrücklich
für eine Lösung einzusetzen.
({1})
Es geht darum, in allen europäischen Ländern einen
hohen Sicherheitsstandard zu erreichen. Deshalb teilen
wir das Ziel von REACH, Umwelt- und Gesundheitsschutz bei gleichzeitiger Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen anzustreben. Aber trotz Detailverbesserungen gegenüber den ursprünglichen Entwürfen
- Herr Schmitt hat ja gesagt, dass bereits Änderungen
vorgenommen worden sind - reicht das, was wir vorliegen haben, immer noch nicht aus, um dem Ziel, die
Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, gerecht zu werden.
({2})
Im Augenblick drohen im Zusammenhang mit der Chemikalienverordnung erhebliche negative Konsequenzen
nicht nur für die Chemiewirtschaft, sondern gerade auch
für Unternehmen im Anwendungsbereich.
Als Ergebnis des Planspiels, das die Landesregierung
von Nordrhein-Westfalen - sie ist aus Ihrer Sicht unverdächtig; denn dort regiert Rot-Grün - hat durchführen
lassen, wurde festgestellt, dass insbesondere die mittelständische Wirtschaft mit REACH zum jetzigen Zeitpunkt völlig überfordert sein würde. Wenn wir von der
chemischen Industrie sprechen, dann sollten wir nicht
vergessen, dass es nicht nur große Unternehmen in
Ludwigshafen oder in Leverkusen gibt, sondern dass die
chemische Industrie insbesondere auch mittelständisch
geprägt ist. Unternehmen mit 30 oder 40 Mitarbeitern
können es sich eben nicht leisten, einen Mitarbeiter ganz
für die für REACH erforderliche Bürokratie abzustellen.
({3})
Es ist zudem unsinnig, Datenfriedhöfe anzulegen,
wenn die Erhebung dieser Daten für den Umwelt- und
Gesundheitsschutz nicht erforderlich ist.
({4})
REACH muss im Interesse des Umwelt- und Gesundheitsschutzes einerseits und im Interesse der betroffenen
Unternehmen andererseits handhabbar sein.
({5})
Durch REACH droht zudem die Innovationsfähigkeit
geschwächt zu werden; denn verhältnismäßig kleinvolumige Chemikalien der Spezialchemie könnten vom
Markt verschwinden - und das nicht, weil sie gefährlich
sind, sondern allein deshalb, weil sich bei diesen kleinen
Mengen der bürokratische Aufwand für die Registrierung nicht lohnt. Auch hierauf haben die Sachverständigen in der Anhörung des Umweltausschusses am
Montag dieser Woche hingewiesen.
Deshalb sagt die FDP: Es kann nicht vorrangig darum
gehen, an Herstellungs- und Importmengen anzusetzen.
Es muss vielmehr um die Risikobewertung von Chemikalien und ihre Gefährlichkeit für den Menschen gehen.
Da muss die Verordnung ansetzen.
({6})
Die EU-Kommission selbst beziffert die Kosten, die
im Zusammenhang mit dieser Verordnung entstehen, auf
etwa 5 Milliarden Euro. Diese Kosten sind keineswegs
gleichmäßig über die verschiedenen Unternehmen und
Stoffe verteilt. Sie treffen vielmehr vor allem jene kleinen und mittleren Unternehmen, die Fein- und Spezialchemikalien in relativ geringen Mengen herstellen. Darüber hinaus sind neben der Kostenbelastung auch ein
Know-how-Verlust durch Offenlegungspflichten sowie
teilweise Zeitverluste bei der Vermarktung von Spezialchemikalien zu befürchten.
Überdies ist die Wettbewerbsfähigkeit Europas - das
sollte man bei dieser Diskussion immer beachten - durch
zunehmenden Druck durch den Import von Erzeugnissen
bedroht, die außerhalb der Europäischen Union aufgrund
der dort geltenden niedrigeren Umweltstandards produziert werden. Es kann nicht sein, dass wir hier Tür und
Tor für Produkte insbesondere aus Osteuropa und den
USA öffnen, die sich schon die Hände reiben, wenn wir
bei der Verordnung, über die wir momentan diskutieren,
bleiben.
({7})
Unbestritten und selbstverständlich ist es, dass bei der
Chemikalienpolitik in Deutschland und Europa die
Gesundheit der Menschen im Vordergrund stehen
muss. Die FDP wird sich deshalb für eine verantwortungsvolle Gesetzgebung im Hinblick auf einen sicheren
Einsatz von Chemikalien einsetzen, die auch den ökologischen und wirtschaftlichen Nutzen des regelgerechten
Einsatzes dieser chemischen Stoffe berücksichtigt. Man
braucht möglichst einfache und praktikable Regelungen
für die sichere Anwendung gefährlicher Stoffe. Die Vorschläge der FDP liegen seit langem auf dem Tisch. Wir
haben das als Erste hier im Hause thematisiert
({8})
und würden uns freuen, wenn Sie weiter in die Richtung
gehen, die wir bereits in unserem ersten Output skizziert
haben.
Vielen Dank.
({9})
Für die Bundesregierung spricht nun der Bundesminister Jürgen Trittin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die jetzige Bundesregierung hat die neue Chemiepolitik der
Europäischen Union 1999 unter ihrer Präsidentschaft
angestoßen. Es ist über Jahre nicht gelungen, einen beachtlichen Teil der 100 000 im Verkehr befindlichen Altchemikalien wenigstens in ihren Eigenschaften zu beschreiben. Deswegen war es Zeit für einen Wandel.
Abschied von der alten Chemiepolitik heißt Abschied
von einem Zustand, in dem man erst dann Maßnahmen
ergreift, nachdem - wie beim Holzschutzmittelskandal höchstrichterlich festgestellt wurde, dass etwas schädlich für die Menschen ist. Neue Chemiepolitik ist vorsorgende Chemiepolitik. Vorsorgende Chemiepolitik hat
von der EU-Kommission den Namen REACH bekommen.
({0})
Künftig sollen die Eigenschaften aller Stoffe, also der
alten wie der neuen Chemikalien, registriert werden. Der
Registrierungsaufwand, Herr Kollege, ist übrigens niedriger als der Anmeldeaufwand, den man betreiben muss,
wenn man heute eine neue Chemikalie auf den Markt
bringen will.
({1})
REACH macht also Schluss mit der Benachteiligung
neuer, innovativer Chemikalien gegenüber alten Chemikalien.
Ich finde, wir sollten auch einmal gemeinsam feststellen, dass sich die Kommission nicht als beratungsresistent erwiesen hat, sondern in ihrem Entwurf viele der
Vorschläge berücksichtigt hat, die die Bundesregierung
zusammen mit der Chemiegewerkschaft und der chemischen Industrie eingebracht hat.
Wenn wir Kenntnislücken über Chemikalien schließen, hilft das auch der Wirtschaft. Was bedeutet das für
den Anwender von Chemikalien? Das heißt, er kann sich
künftig darauf berufen, dass er Stoffe benutzt hat, deren
Eigenschaften bekannt sind. Damit schützt er sich auch
ein Stück weit vor möglichen Schadensersatzklagen und
mindert sein eigenes Produkthaftungsrisiko. Für die
Wirtschaft bedeutet das übrigens immense Wettbewerbsvorteile. Das stellen Sie insbesondere fest, wenn Sie über
den Atlantik blicken; dort gibt es ein Land mit ausgeprägteren Schadensersatzregelungen als hier.
Selbstverständlich profitieren auch Umwelt und Gesundheit von REACH. Es wird gezielte Substitutionsanreize hinsichtlich der Zahl und der Menge gefährlicher
Stoffverwendungen geben. Wir sind uns doch einig - jedenfalls mit der chemischen Industrie; ich vermute, auch
in diesem Hause -, dass Krebs erzeugende und Erbgut
verändernde Stoffe und solche, die lange Zeit im Körper
verbleiben und hoch toxisch, also sehr giftig, sind, künftig einem Zulassungsverfahren unterliegen sollten.
Damit die Regelung besser handhabbar wird, wollen
wir, übrigens gemeinsam mit der Industrie, eine Erweiterung des Datensatzes. Warum? Die Industrie verfügt
über diese Daten. Sie waren in Deutschland nämlich allesamt Bestandteil der Selbstverpflichtung der deutschen
chemischen Industrie. Ich erwarte, dass sich künftig
auch andere Hersteller in Europa daran halten werden.
Sie haben zwar zu Recht von den Schwierigkeiten
kleiner und mittlerer Unternehmen gesprochen. Aber
warum treten wir für das Prinzip „Ein Stoff - eine Registrierung“ ein? Das tun wir, weil wir den Aufwand bei der
Registrierung mindern wollen, und nicht nur, weil wir
die Anzahl von Tierversuchen möglichst gering halten
wollen. Warum soll eine Chemikalie, die auf dem Markt
schon registriert ist, noch einmal geprüft werden, nur
weil ein Wettbewerber sie auf den Markt bringt? Meine
Damen und Herren, das macht keinen Sinn.
({2})
Wie immer, wenn sich die Rahmenbedingungen der
Politik etwas verändern, gibt es auch die Befürchtung:
Ist das ökonomisch leistbar? Ich finde, wir sollten versuchen, uns auf einen gemeinsamen Maßstab zu verständigen. Wenn man die wirtschaftlichen Auswirkungen einer
umweltpolitischen Maßnahme prüft, dann muss der
Maßstab sein: Ist die Maßnahme für die gesamte Volkswirtschaft von Nutzen oder ist ihr Nutzen zu gering, um
den Aufwand zu rechtfertigen?
Hierzu gibt es sehr unterschiedliche Studien. Die Studie von Arthur D. Little, die hier schon erwähnt worden
ist, hat mich ein bisschen an die Debatte erinnert, die wir
vor 20 Jahren über Formaldehyd geführt haben. Damals
- Sie können das nachlesen - wurde von einem großen
deutschen Chemiebetrieb ein Papier veröffentlicht, in
dem es hieß: Wenn Formaldehyd verboten wird, dann
werden wir erleben, dass das Bruttosozialprodukt der
Bundesrepublik Deutschland um ein Drittel einbrechen
wird. Meine Damen und Herren, das glaubt heute nicht
einmal mehr IKEA, obwohl dort fast nur Spanplatten
verkauft werden, die inzwischen allerdings kein Formaldehyd mehr enthalten.
Um die Folgen von REACH also etwas zuverlässiger
einschätzen zu können, ist es vielleicht hilfreich, einmal
all diese Studien gemeinsam zu betrachten. Das haben
wir unter der Federführung des ehemaligen niederländischen Wirtschaftsministers in einem Workshop getan.
36 dieser Impact-Assessment-Studien haben wir ausgewertet. Dazu lag eine zusammenfassende Analyse
zweier niederländischer Wirtschaftsberatungsinstitute
vor. Seitdem bewegen wir uns - wie ich finde - auf einem gesicherteren Boden.
Darin werden die direkten Kosten von REACH für
einen Zeitraum von elf Jahren auf circa
4 Milliarden Euro veranschlagt. Es wird bei aller Unsicherheit damit gerechnet, dass die indirekten Kosten das
1,2- bis 2,3fache der direkten Kosten ausmachen werden. Es wurde ausdrücklich darauf hingewiesen - das
müssen wir auch bei den weiteren Beratungen berücksichtigen, Herr Kauch -, dass ein großes Unternehmen
diese leichter bewältigen kann als ein kleineres Unternehmen. Das ist einer der Gründe, warum wir den
Grundsatz „Eine Registrierung für eine Substanz“ durchsetzen wollen. Das hilft gerade kleinen und mittleren
Unternehmen.
Die Beratungsinstitute haben unter dem Strich gesagt:
Die Bandbreite des volkswirtschaftlichen Nutzens, der
gegenzurechnen ist, liegt - auf die Jahre bis 2020 bezogen - zwischen 22,5 und 51,3 Milliarden Euro. Damit ist
klar, dass der ökonomisch berechnete volkswirtschaftliche Nutzen von REACH die Kosten deutlich übersteigt.
Deswegen kam der Workshop der Mitgliedstaaten der
Europäischen Union zu einem sehr REACH-freundliches Ergebnis. Ich zitiere:
Der Workshop stellte fest, dass der Nutzen für die
Gesellschaft, zum Beispiel Verbesserung der Gesundheit, Verminderung von Krankheit, Verbesserung der Biodiversität, verbesserter Arbeitsschutz
durch bessere Kenntnisse über Chemikalien und
ihre Effekte, unumstritten ist.
Er resümiert unter anderem:
Die Notwendigkeit der neuen EU-Verordnung zum
Chemikalienrecht ist evident.
({3})
Ich finde, wenn wir uns auf dieser Ebene bewegen, ist
kein Platz mehr für - bei Ihnen, Frau Dött, klang sie ein
bisschen an - Fundamentalkritik an REACH.
({4})
Diese betreibt inzwischen selbst die Industrie nicht
mehr. Es verbreitet sich die Erkenntnis, dass REACH
eine Chance für Umwelt, Verbraucher und Wirtschaft
gleichermaßen ist. Wir sollten REACH als Chance gerade für mehr Innovationen in der Chemie und natürlich
als Chance für Umwelt und Gesundheit betrachten.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Kurt-Dieter Grill,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
möchte zunächst einmal, Herr Minister, die Kollegin
Dött gegen den Vorwurf, Fundamentalopposition betrieben zu haben, verteidigen. Das war gar nicht das Ansinnen ihres Beitrages.
Nach der Anhörung ist es nun unsere Aufgabe, die
Fragen herauszunehmen, die man für die Zukunft der
chemischen Industrie, aber auch für die Zukunft der
Ziele von REACH für bedeutsam hält. Lassen Sie mich
eines ganz deutlich sagen: Die Frage, ob Innovationen
gefördert oder behindert werden, betrifft nicht nur die
Unternehmen, wie das hier geschildert worden ist. Innovationen implizieren vielmehr Fragen, die Gesundheit
und Umwelt gleichermaßen betreffen.
Der Kollege Schmitt hatte eben den BDI, den VCI
und die DIHK als Zeugen für seine Meinung und die seiner Fraktion aufgerufen. Dazu kann ich nur sagen: In
den Stellungnahmen und in der Debatte sind nach wie
vor die Fragen bezüglich der ökonomischen Wirkung,
und zwar nicht nur auf die Volkswirtschaft, sondern auch
auf die Betriebe, insbesondere auf die Betriebsgrößen
bezogen, nicht endgültig beantwortet worden, auch nicht
in dem Maße, wie das der Bundesumweltminister hier
dargestellt hat.
Deswegen halte ich es für richtig, Herr Kollege
Schmitt, dass wir uns in dieser Debatte den Themen
„Chemie als Faktor in der Wirtschaftspolitik“ und „Chemie als Wettbewerbsfaktor“ zuwenden, und zwar nicht
innerhalb Europas oder zwischen Deutschland und den
Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sondern auf
dem Weltmarkt.
({0})
- Dann lassen Sie doch bitte den Vorwurf, dass wir uns
allein mit den die Wirtschaft betreffenden Fragen beschäftigen.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat mit den von
ihr gestellten Fragen und auch mit der Anhörung deutlich machen wollen, wo möglicherweise Probleme liegen. Es ist doch nicht so, dass das Ergebnis der Anhörung unter dem Strich lautete: Im Wesentlichen gibt es
keine Probleme mehr; das Wichtigste ist positiv beantwortet. Ganz im Gegenteil. Da wir nicht nur über Umwelt, Gesundheit und Arbeitsschutz reden, sondern im
Sinne der Nachhaltigkeit auch über Arbeitsplätze und
Ökonomie - wenn wir die Nachhaltigkeit in dieser Dreifaltigkeit, wie man so schön zu sagen pflegt, ernst nehmen -, muss es doch gestattet sein, den vonseiten der
Wirtschaft erhobenen Einwänden nachzugehen.
Gestern ist in diesem Hause über die Lissabon-Strategie geredet worden. Sie wissen, dass das Ziel, Europa
zum wachstumsstärksten Markt zu machen, nicht erreicht wurde. Es geht doch nicht darum, die politischen
Rahmenbedingungen für den Wettbewerb im Innern zu
gestalten. Von Lissabon geht die Herausforderung aus,
unsere Mitbewerber auf den globalen Märkten zu betrachten. Dabei geht es um Asien, Amerika, Russland
etc.
Meiner Meinung nach ist einer der wesentlichen
Punkte, auf die es im Zusammenhang mit Im- und Export bis jetzt leider noch keine hinreichende Antwort
gibt, dass Fertigprodukte leichter importiert werden können, weil sie keiner so starken Kontrolle unterliegen wie
Stoffimporte. Das sollten wir ernst nehmen. Ich stimme
Herrn Trittin durchaus zu, dass man nicht jedes Gefahrenszenario, das von der Industrie aufgezeigt wird, hundertprozentig ernst nehmen muss; manchmal stellt sich
ja heraus, dass es schon längst eine Lösung dafür gibt.
Dass aber die Abwanderung von Arbeitsplätzen in Bereichen, bei denen die Produkte keiner Importkontrolle
unterliegen, ein Risiko darstellt, wird man in diesem
Hause doch im Rahmen einer offenen Diskussion aller
Fragen ansprechen dürfen.
Ich will mich einem weiteren Punkt zuwenden, der in
der bisherigen Betrachtung offensichtlich keine Rolle
gespielt hat. Es geht um die Frage, welche Chancen
REACH auf dem Sektor der Tierversuche bietet. Ich
finde, dass Sie darauf nicht hinreichend eingegangen
sind. Ich komme deshalb darauf zu sprechen, weil es, abgesehen davon, dass wir in diesem Hause Beschlüsse
dazu gefasst haben, in unserem Grundgesetz einen Artikel gibt, der sich mit dem Tierschutz beschäftigt.
REACH geht nicht auf eine Verminderung der Zahl der
Tierversuche - das wäre im Sinne dieses Gebotes unseres Grundgesetzes - ein. Wie es im Augenblick aussieht,
findet ein Paradigmenwechsel auf dem Gebiet der Tierversuche nicht statt. Ich denke, dass wir das ernst nehmen sollten. Im Grunde muss die Risikobewertung anhand von Tierversuchen ersetzt werden; das ist
offensichtlich auch möglich.
In diesem Zusammenhang gibt es durchaus Kritik an
der Bundesregierung; denn das BMBF sieht vor, die Mittel auf diesem Gebiet im Haushalt 2005 weiter zu reduzieren.
Wenn wir all diese Aspekte ernst nehmen - Umwelt,
Gesundheit, Arbeitsschutz, aber auch die Wirtschaft -,
dann gehört auch der Tierschutz in den Kanon der zu beachtenden Bereiche. Darauf gibt REACH keine ausreichende Antwort. Im Gegenteil: Es ist eine Ausweitung
der Tierversuche zu befürchten. Ich glaube, dass man
dies in der Debatte über dieses Thema, auch in Brüssel,
noch einmal aufnehmen muss.
Wir müssen, was die mittelständischen Unternehmen
und ihre Wettbewerbsfähigkeit auch im Zusammenhang
mit dem Prinzip „Ein Stoff - eine Registrierung“ angeht, über den richtigen Weg nachdenken. Ein europäischer Kollege hat es mir vor zwei Tagen in Brüssel so
dargestellt: Wenn wir das Prinzip „Ein Stoff - eine Registrierung“ haben, wird es etwa 30 000 Registrierungen
geben. Wenn wir bei dem alten Modell blieben, also bei
der Registrierung pro Anwendung, würden es ungefähr
100 Millionen Registrierungen sein. - Wir müssen uns
über den Weg und das Ziel einig sein. Wir sind uns hoffentlich darin einig, dass der Abbau von überflüssiger
Bürokratie gerade für mittelständische Unternehmen
eine Chance darstellt, mit REACH die Ziele zu erreichen, die im Interesse der Verbraucher sind und zu einer
Sinnhaftigkeit von Produkten und Stoffen führen.
({1})
- Wissen Sie, Sie sind nicht der Richter über den Fortschritt, den wir machen oder nicht.
({2})
- Das ist Lob? Das habe ich anders verstanden. Ich bitte
um Entschuldigung; Lob bin ich von dieser Seite gar
nicht gewöhnt. Dann streiche ich den heutigen Tag in
meinem Kalender mit einem roten Kreuz an oder besser
mit einem rot-grünen.
({3})
- Ich soll bei schwarz bleiben? Na gut, in Ordnung.
Der Umweltminister hat an dieser Stelle etwas über
das Umschalten von Nachsorge auf Vorsorge gesagt. Ich
will hier noch einmal deutlich machen: Der Umstieg auf
vorsorgende Umweltpolitik, gerade auch im Chemikalienrecht, ist mit der Regierungszeit von Helmut Kohl,
insbesondere auch mit Klaus Töpfer verbunden. Deswegen glaube ich, dass es notwendig ist, in dieser Debatte
nicht nur die Ziele Verbraucherschutz, Umweltschutz
und Gesundheit zu sehen; die Frage der Tierversuche
habe ich angesprochen.
({4})
Unter dem Strich sollten wir ein REACH haben, das
sicherstellt, dass das andere Ziel Europas, nämlich wettbewerbsstärkster Raum im globalen Wettbewerb zu werden, nicht aus den Augen verloren, sondern durch
REACH unterstützt wird. Wenn das am Schluss herauskommt, dann ist es jede Debatte wert, auch jede kontroverse. Wenn Sie den einen oder anderen Gesichtspunkt
nicht ansprechen, dann müssen wir als Opposition das
tun. In diesem Sinne sind heute Morgen dank der Opposition alle wesentlichen Bestandteile der REACH-Diskussion angesprochen worden.
({5})
Das Wort hat der Kollege Michael Müller, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
europäische Chemiepolitik hat eine Geschichte. Sie ist
nicht vom Himmel gefallen, sie ist nicht zuletzt durch
die Ereignisse der 80er-Jahre begründet. Das eigentliche
Problem scheint mir zu sein, dass sich eine Debatte, die
in den 80er-Jahren begonnen hat, erst 15 Jahre später
wirklich auswirkt. Die Anfänge, sozusagen die Geburtsstunde der Chemiepolitik, waren die Rhein-Unfälle. Ich
erinnere mich noch, dass damals von großen Teilen der
Öffenlichkeit gesagt wurde: Chemiepolitik - was ist
denn das für ein Unsinn? Im Gegenteil! Jetzt sind wir
wirklich ein Stück weiter, auch wenn es 15 Jahre gedauert hat.
Herr Kollege, hier ist die Lernfähigkeit angesprochen
worden. Das erinnert mich an die Debatte über Formaldehyd, die ja vom Bundesumweltminister angesprochen worden ist. In der Formaldehydfrage gab es einen
kritischen Bericht des Umweltbundesamtes, der auf Anweisung der Bundesregierung ohne Veröffentlichung
eingestampft worden ist, und zwar weil die Industrie
Druck gemacht hat. Von vorsorgender Chemiepolitik zu
reden ist also ein bisschen schwierig. Das hat auch die
Holzschutzmitteldebatte gezeigt. Damals war in der Diskussion, einen Fonds für Altlasten einzurichten. Das ist
immer blockiert worden. Insofern nehme ich zur Kenntnis: Wir sind einen Schritt weiter, und das ist auch ganz
gut so.
({0})
Ich erinnere mich auch noch an eine Aktuelle Stunde
im - damals Bonner - Bundestag, in der ein Kollege von
der CDU, der gesprochen hat, Dioxine als ein aufgebauschtes Problem bezeichnet hat; er gehe tagtäglich
ohne jeden Schaden damit um. Solche Bemerkungen
sind im Protokoll nachzulesen. Gott sei Dank sind wir in
der Umweltfrage mittlerweile sehr viel weiter.
Es gab in den 80er-Jahren zwei Ansatzpunkte für die
Chemiepolitik: der eine kam aus der Bundesrepublik,
der andere von der Europaebene. Ein Teil der EU-Politik, die sehr stark auf schwedische Initiative zurückgeht,
ist auch ein Produkt der deutschen Diskussion. Wenn Sie
einmal genau schauen, was in der Chemiepolitik gemacht wird, dann werden Sie feststellen, dass das Ideenwerk zum großen Teil auf die Arbeit der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Schutz des
Menschen und der Umwelt“ zurückgeht.
({1})
Darauf können wir übrigens stolz sein.
Aber muss es denn wirklich so sein, dass die Umsetzung solcher Vorhaben immer erst möglich ist, wenn Katastrophen eingetreten sind? Können wir solche Erkenntnisse nicht auch einmal ohne den Druck einer
Notsituation umsetzen? Können wir in dieser Frage nicht
einmal Vernunft regieren lassen?
({2})
Warum ist das eigentlich nicht möglich? Warum sind in
solchen Debatten immer nur ganz kurzfristige Ziele vorherrschend? Nein, ich glaube, es ist gut, dass wir jetzt
eine solche Debatte führen.
Ich muss auch sagen: Damals ist der Dreiklang, den
wir heute umzusetzen versuchen, entstanden:
Erstens muss es zu einer sehr viel schnelleren Lösung
der Altstoffproblematik kommen. Es ist in der Tat nicht
hinzunehmen, dass in zehn Jahren gerade einmal 30 der
rund 30 000 als kritisch einzuschätzenden Altstoffe - auf
dem Markt gibt es insgesamt etwa 100 000 Altstoffe 12830
Michael Müller ({3})
aufgearbeitet wurden. Das kann doch nicht sein. Wo ist
hier die politische Verantwortung?
Das zweite Prinzip, das sich seitdem durchgesetzt hat
- auch das finde ich wichtig -, ist die internationale Zusammenarbeit. Es ist richtig: Die Chemiepolitik braucht
eine europäische und eine darüber hinausgehende Flankierung. Wir müssen auch dafür sorgen, dass bei der
WTO und ähnlichen Organisationen solche Ansätze
durchgesetzt werden. Sie können aber nur durchgesetzt
werden, wenn Europa zeigt, dass es ernst damit macht.
Auch das muss sein.
({4})
Als Drittes muss man den Gedanken erwähnen, weg
von der End-of-Pipe-Philosophie hin zu Stoffkreisläufen
zu kommen. Wir müssen uns das einmal anschauen: In
der Diskussion ist der Gedanke der Kreislaufwirtschaft
entstanden, den wir bis heute nicht wirklich ausgefüllt
haben. Die Kreislaufwirtschaft ist zwar Namensgeber
für ein wichtiges Gesetz; richtig ausgefüllt wurde sie
aber bis heute nicht.
Ich will jetzt nicht auf das Drama mit dem Grünen
Punkt eingehen. Bei den Stoffkreisläufen haben wir in
der Tat noch sehr viel zu tun. Ich möchte hier explizit sagen: Wir nehmen die Lernprozesse zur Kenntnis, die
seitdem auch in der chemischen Industrie stattgefunden
haben. Wir nehmen aber auch zur Kenntnis, dass es seit
einiger Zeit auch in der chemischen Industrie Verständnis dafür gibt, dass das Jahrzehnt der Ökologie, wie
Sie das nennen, jetzt beendet sein müsste, weil man genug getan hat. Das ist nicht unsere Position.
({5})
Im Gegenteil: Es ist und bleibt gerade beim Umgang
mit Stoffen ein wichtiger Innovations- und Wirtschaftsauftrag, die Modernisierung und Qualität voranzustellen.
Das werden wir auch immer unterstützen, weil die europäische Chemieindustrie vor allem Vorteile hat, wenn
die Produktion und Dienstleistung in der Welt als risikoarm und qualitativ hoch stehend angesehen werden. Das
ist unsere Chance. Deshalb sind wir für eine Chemiepolitik. Wir verfolgen keine Erfindung irgendeiner
Randgruppe, sondern das zentrale ökonomische Prinzip
für eine moderne Wirtschaft.
({6})
Meine Damen und Herren, wir erkennen natürlich in
der Tat, dass wir uns in einer Situation befinden, in der
wir nicht alle 30 000 Stoffe mit derselben Priorität aufarbeiten können. Das ergibt sich schon aus den Baumstrukturen der Chemie. Wir wissen aber natürlich auch,
dass es bestimmte Gefährdungspotenziale gibt, die sehr
viel schneller aufgearbeitet werden können und müssen.
Deshalb sagen wir: Wenn man von der Lissabon-Strategie bezüglich der Innovationen redet und wenn man vor
allem will, dass die Europäer Vorreiter bei der ökologischen Modernisierung sind, dann dürfen wir nicht über
die Ziele von REACH reden, sondern dann müssen wir
über die Umsetzung im Detail reden; das tun wir auch.
Für uns ist klar, dass insbesondere die so genannten
CMR-Stoffe - also die karzinogenen, mutagenen und reproduktionstoxischen Stoffe - und die PBT-Stoffe - die
persistenten, bioakkumulierbaren und toxischen Stoffe ein Zulassungsverfahren durchlaufen müssen. Das sind
die richtigen Schritte. Wir müssen hier mehr Verantwortung im Sinne der Produktverantwortung und des Verursacherprinzips durchsetzen. Das ist der Kernbereich der
Chemiepolitik, den wir unterstützen.
Diese drei Kernelemente - Verursacherprinzip, Produktverantwortung und Integration - wollen wir in der
Chemiepolitik nach vorne stellen. Wenn wir das mit aller
Konsequenz tun, dann ist die Chemiepolitik kein lästiges
Anhängsel für die Wirtschaft, sondern eine Chance für
ihre Innovations- und Zukunftsfähigkeit.
Insofern bitte ich Sie, positiv zu denken und mit den
ewigen Bedenken Schluss zu machen.
Vielen Dank.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Signaturgesetzes
({0})
- Drucksache 15/3417 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({2})
- Drucksache 15/4172 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Hubertus Heil
Dr. Martina Krogmann, Fritz Kuhn, Gudrun Kopp
und der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ditmar
Staffelt haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)
Bevor wir zur Abstimmung kommen, weise ich da-
rauf hin, dass mir zu dieser Abstimmung eine Erklärung
des Abgeordneten Jörg Tauss nach § 31 der Geschäfts-
ordnung vorliegt.2)
Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Der Ausschuss
für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 15/4172, den Gesetzent-
wurf auf Drucksache 15/3417 zur Änderung des Signa-
turgesetzes in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
1) Anlage 5
2) Anlage 4
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
chen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses in dritter
Beratung angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien
({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Joachim Otto ({4}), Rainer
Funke, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Schutz vor illegalen und jugendgefährdenden
Internetinhalten - Filtern statt Sperren
- Drucksachen 15/1009, 15/3409 Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg Tauss
Dr. Martina Krogmann
Hans-Joachim Otto ({5})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der FDP fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Hans-Joachim Otto, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Thematik dieses Antrages hat durchaus weit reichende
Bedeutung für die Ordnungspolitik, aber auch für den
Internetstandort Deutschland, also für Arbeitsplätze.
Worum geht es? Das Internet eröffnet weltweite
Kommunikationsmöglichkeiten mit ungeahnten Chancen für die Meinungs- und Informationsfreiheit und für
die Wirtschaft. Zugleich aber birgt das Internet neue Gefahren, dass nämlich Kriminelle und politische Extremisten diese Freiheiten missbrauchen und jugendgefährdende, volksverhetzende oder sonst illegale Inhalte ins
Netz stellen. Es ist unbestreitbar, dass im Internet viele
Seiten aufgerufen werden können, deren Inhalte für einen demokratischen Rechtsstaat nicht akzeptabel sind.
Wie gehen wir gegen diese illegalen und jugendgefährdenden Internetinhalte vor? Eingangs muss man sagen: Es gibt leider kein Patentrezept. Alle Demokratien
der Welt haben erkannt, dass Repression allein nicht ausreicht, sondern nur ein Bündel von Maßnahmen zum Erfolg führt. Kern dieses Maßnahmenbündels ist eine Stärkung internationaler Zusammenarbeit, zum Beispiel in
Form der Cybercrime Convention des Europarates,
um den Zugriff und die Strafverfolgung auf die Urheber
illegaler Inhalte über nationale Grenzen hinaus zu ermöglichen.
Genauso erforderlich ist es, dass die nationalen Gesellschaften mit intensiver Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit Medienkompetenz, und zwar bei Kindern
und ihren Eltern, stärken. Ganz wichtiger Bestandteil
dieses Maßnahmenmix ist die Selbstregulierung der Anbieter, weil Netzwerke von Selbstkontrollinstanzen, wie
beispielsweise INHOPE, flexibler und schneller reagieren können. Sie sind zunehmend erfolgreich. Auch die
Filter für Jugendliche, beispielsweise von ICRA, bilden
einen wichtigen Bestandteil dieses Maßnahmenmix.
Dies alles ist so weit unstreitig. Auch besteht kein
Streit darüber, dass zum Maßnahmenbündel als Ultima
Ratio auch straf- und ordnungsrechtlich staatliche Maßnahmen gehören. Allerdings - hier kommen wir zum
Kern des Antrages - gibt es weltweit und bisher auch in
Deutschland ein System gestufter Verantwortlichkeiten.
Was beinhaltet dies? Vorrangiges Ziel ordnungsrechtlicher Maßnahmen muss stets sein, den jeweiligen Urheber bzw. Anbieter des inkriminierten illegalen Inhalts
selbst in Anspruch zu nehmen.
({0})
Demgegenüber haften diejenigen, die nur Speicherplatz
für fremde Inhalte bereithalten, die so genannten Host
Provider, nur insoweit, als ihnen diese Inhalte bekannt
werden. Eine Pflicht zum Suchen illegaler Inhalte
besteht nach unserer Rechtsordnung für diese Host Provider nicht. Die dritte Stufe bilden die reinen Vermittler
des Zugangs zum Internet, deren Dienstleistung sich also
auf die Durchleitung fremder Inhalte beschränkt. Das
sind die so genannten Access Provider.
Dieses System gestufter Verantwortlichkeit, also die
Ausformung des Verursacherprinzips, ist durchgängige
Basis der deutschen Rechtsordnung und wurde jüngst
erst wieder durch den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag
bestätigt. Wo liegt also das Problem? Dieses System gestufter Verantwortlichkeit droht durch einige Ordnungsbehörden zerstört zu werden, namentlich den Regierungspräsidenten in Düsseldorf, der nicht prioritär
- denn das ist mühsam - gegen die Urheber krimineller
Inhalte vorgeht, sondern gegen die Durchleiter fremder
Inhalte, also die Access Provider, und gegen sie flächendeckend Sperrungsverfügungen trifft.
Diese Durchbrechung des Verursacherprinzips ist
nicht nur ordnungspolitisch verfehlt, sie droht uns auch
international ins Abseits zu katapultieren und Provider
aus Deutschland zu vertreiben. Wir wissen, dass die Provider in Deutschland sowieso überdurchschnittliche Verpflichtungen haben. Ich nenne hier nur das Stichwort
Vorratsdatenspeicherung. Der Kollege Tauss, der gleich
anschließend sprechen wird, hat sehr oft das anschauliche Beispiel genannt, dass wir doch auch nicht gegen die
Deutsche Post AG vorgehen, nur weil sie Briefe mit kriminellem Inhalt transportiert, oder gegen Autobahnbetreiber, weil auf der Autobahn auch Straftäter fahren.
({1})
Hans-Joachim Otto ({2})
- Sie sind zitierbar. Sie können nachher bestätigen, dass
ich Sie richtig zitiert habe.
Die kurze Redezeit verbietet es mir, auf Details einzugehen. Ich verweise auf den ausführlichen Antrag.
Wie Sie der Beschlussempfehlung und dem Bericht
des federführenden Ausschusses entnehmen können,
stimmten alle Fraktionen dem Grundanliegen dieses Antrages voll zu. Seit Monaten haben die Kollegen von
SPD und Grünen kleinere Änderungswünsche angekündigt, damit der Bundestag dem zentralen Anliegen des
Antrages einstimmig zustimmen kann. Bisher habe ich
diese Änderungswünsche leider noch nicht erhalten. Ich
appelliere daher abschließend an alle Mitglieder dieses
Hauses, das international bewährte System gestufter
Verantwortlichkeit zu stärken und den in der Sache tatsächlich bestehenden Konsens in dieser wichtigen Frage
nicht zu verschleiern. Es muss nicht etwas falsch sein,
nur weil es von der Opposition zur Sprache gebracht
worden ist.
Danke schön.
({3})
Das Wort hat der Kollege Jörg Tauss, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
liebe Kollegen! Lieber Kollege Otto! Wir reden heute
Mittag über ein wichtiges Thema. Es geht um die
Rechtsdurchsetzung in globalen Netzwerken. Das betrifft nicht nur den Jugendschutz, sondern auch das Strafrecht, das Produkthaftungsrecht oder auch andere Bereiche. Darin sind wir uns alle einig.
Herr Kollege Otto, wir sind uns sogar darin einig,
dass Sie völlig zu Recht einen in Deutschland Gott sei
Dank bisher singulären Vorgang kommentieren. Die damals zuständige Aufsichtsbehörde für NRW - übrigens
ist sie nicht mehr zuständig -, die Bezirksregierung in
Düsseldorf, hat landesansässige Internetzugangsanbieter dazu verpflichtet, zwei rechtsextremistische Internetangebote aus den USA zu sperren. Dieser Fall ist bekannt. Er ist vor den Gerichten anhängig. Ich will
keinesfalls in laufende Verfahren eingreifen oder diese
kommentieren. Die Frage ist, ob diese Sperrungsverfügung verhältnismäßig ist. Sie kennen meine Meinung
und haben sie korrekt zitiert. Ich werde zu der Bezirksregierung an anderer Stelle etwas sagen, weil ich das
Grundanliegen, die Bekämpfung des Naziunwesens in
diesem Lande, egal ob es auf den Marktplätzen oder im
Internet stattfindet, selbstverständlich für begrüßenswert halte. In diesem Punkt herrscht völlige Einigkeit.
Wir sind uns auch mit der FDP einig, dass dieses Vorgehen in technischer, wirtschaftlicher und politischer
Hinsicht fraglich ist. Was die technische Seite betrifft
- das sagen alle Fachleute -, sind die so genannten DNSUmleitungen ineffektiv. Von einer effektiven Sperrung
kann nämlich keine Rede sein, wie übrigens die Bezirksregierung bei einem Expertengespräch in unserem Unterausschuss zugeben musste.
({0})
- Nein, Kollege Otto, ich komme gleich darauf. Ich lobe
Sie noch ein Weilchen, bevor ich zu den kritischen Teilen komme. Sie sollten das Lob jetzt noch genießen.
Ob aus diesen Maßnahmen eine Zugangserschwernis
für Otto Normalsurfer resultiert - ich meine jetzt nicht
Sie, Herr Kollege Otto, sondern wirklich Otto Normalsurfer -,
({1})
ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit.
Wirtschaftlich führen diese Maßnahmen - da stimme
ich Ihnen ebenfalls zu - zu zusätzlichen Belastungen der
Unternehmen, und dies bei nachgewiesenermaßen fehlender Effizienz. Bei zwei Seiten wäre das alles noch
möglich, bei 6 Millionen Seiten allerdings nicht mehr.
Dann müssten wir in Deutschland auf die Nutzung des
Internets verzichten; denn es wäre schlichtweg verkehrsmäßig nicht mehr zu betreiben.
Auch politisch ist das Vorgehen, das Sie kritisieren,
aus unserer Sicht abzulehnen. Wir können uns gerade bei
der Bekämpfung von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit eine rein symbolische Politik - so stellt sie
sich für mich dar - schlichtweg nicht leisten und wir
sollten uns aus diesem Grunde über andere Strategien
unterhalten.
Die FDP geht ebenfalls in die richtige Richtung, wenn
sie fordert, auch die Ressourcen der Wirtschaft zu nutzen, um zu einer effektiven Gewährleistung von Selbstkontrolle zu kommen. Es gibt dazu einige Anmerkungen und Bemühungen der zuständigen Verbände. Ich
erinnere an die FSM in Deutschland, an den Eco-Verband, den Verband der Internetprovider, der die Stelle
„INHOPE“ installiert hat, sowie an verschiedene andere
Belege. Der Hinweis auf „INHOPE“ ist im Übrigen gerade im Zusammenhang mit der aufgeregten Diskussion
zum Thema Kinder- und Jugendschutz wichtig. Ich
glaube, wir sind uns einig, dass der Missbrauch von Kindern eines der schlimmsten Verbrechen darstellt, die
man sich vorstellen kann. Durch „INHOPE“ war vor einem Jahr ein Schlag gegen Kinderpornoringe mit über
26 000 Tatverdächtigen - man stelle sich die Dimension
einmal vor - möglich.
Über all diese Punkte und über die Wege müssen wir
auch über Fraktionsgrenzen hinweg diskutieren und entsprechende Erfolge können wir gemeinsam begrüßen.
So viel zum Lob, Kollege Otto. Jetzt komme ich zu
den Minuspunkten, die leider in Ihrem Antrag ebenfalls
enthalten sind. Ihr Antrag ignoriert erstens die gemeinsam von Bund und Ländern durchgeführte Neuordnung
des Jugendmedienschutzes. Die Kollegin Bätzing wird
gleich noch mehr dazu sagen. Es ist ja nicht so, dass
nichts passiert ist.
({2})
Zweitens nenne ich die Leistungsfähigkeit der so genannten Inhaltebewertungssysteme wie zum Beispiel das
ICRA-System, das auch Sie kennen, aber auch überschätzen.
({3})
- Ja, das würdigen Sie unseres Erachtens aber nicht ausreichend.
({4})
Das sind die Punkte, zu denen ich etwas sagen wollte.
Wir müssen also noch über ein paar Dinge reden.
({5})
- Das ist nicht an den Haaren herbeigezogen, sondern
wir wollen das ganz korrekt machen. Ich stimme Ihnen
in Teilen zu; aber unsere Fachleute haben die entsprechenden Initiativen noch nicht abschließend bewertet.
Wir werden abwarten, ob von dieser Seite noch weitere
Hinweise kommen. Wie bereits gesagt, sind wir uns in
der Sache einig.
In einem Punkt sind wir uns allerdings nicht einig.
Die FDP möchte, wenn ich Ihren Antrag richtig verstanden habe, eine reine Selbstkontrolle der Wirtschaft in Jugendschutzfragen.
({6})
Das ist bei illegalen Inhalten nicht möglich. Deren Kontrolle ist eine Hoheitsaufgabe und wir sollten sie nicht
durch intransparentes „Outsourcing“ an Private verwischen.
In Ihrem Antrag fehlt ein weiterer Aspekt, nämlich
der Einsatz für international verbindliche Mindeststandards. Hierzu wird meine Kollegin Bätzing ebenfalls
noch etwas sagen.
Lieber Kollege Otto, wenn ich diesen Antrag bilanziere, sage ich Ihnen nochmals voll des Lobes: Es ist ein
sehr guter Ansatz, den man im Detail noch verbessern
kann. Das ist keine Frage. Wir sollten uns auch in unserem Unterausschuss noch weiter über die Möglichkeiten
der Selbstkontrolle der Wirtschaft unterhalten. Wir sollten konkret über die Art und Höhe der Anforderungen
sprechen und wir sollten uns zu international verbindlichen Standards im Jugendschutz noch einiges einfallen
lassen, wenngleich dieses sicherlich schwierig ist.
In den letzten Sekunden will ich ganz grundsätzlich
noch etwas zum Thema Filter sagen. Wir lehnen tatsächlich Filter für das Internet ab, nicht nur weil sie technisch schwierig sind,
({7})
sondern weil es der Versuch wäre, weltweit einen einheitlichen Level herzustellen. Ein Filter, der bei uns gut
gemeint eingesetzt wird, würde im Iran zu anderen Problemen führen als in China. Wenn gefiltert wird, befürworten wir teilnehmerautonome Filter,
({8})
mit denen beispielsweise Eltern, Schulen und andere
Einrichtungen den Zugang zu diesen Bereichen gezielt
verhindern können. Da funktioniert es technisch auch.
({9})
- Entschuldigung, ich will ja keinen Dissens, sondern
ich möchte auch an dieser Stelle nochmals die Einigkeit
unterstreichen, lieber Kollege Otto.
Ich glaube, eine lebenswerte Gesellschaft hängt nicht
nur von Bits und Bytes ab. Es muss uns gelingen, unseren Kindern ein Umfeld für eine ungestörte Entwicklung
zu liefern, und wir müssen etwas für die Medienkompetenz tun. Ich glaube, die Vermittlung von Medienkompetenz würde viel mehr bewirken als die Debatte über technisch unsinnige Lösungen. Diese Kritik an dem
Regierungspräsidium teilen wir in der Tat.
Frau Präsidentin, Sie signalisieren, dass meine Redezeit zu Ende ist. Falls ich nicht mehr zu Wort komme
- auch nicht per Zwischenruf -,
({10})
wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende. Wir werden das Thema zu gegebener Zeit weiterdiskutieren.
Schönen Dank.
({11})
Das Wort hat jetzt der Kollege Heinrich-Wilhelm
Ronsöhr, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Tauss, im Grunde genommen haben Sie
dem Antrag von Herrn Otto zugestimmt. Sie haben nach
einigen Argumenten gesucht, um letztlich noch zu einer
Ablehnung zu kommen. Diese war dann aber sehr
schwach begründet.
Ich glaube, dass es zu dem im Antrag und auch von
Herrn Otto aufgezeigten Verfahren keine wirkliche Alternative gibt. Wir wissen, dass die Zahl jugendgefährdender und gewaltverherrlichender, teilweise auch rassistischer Internetseiten gestiegen ist. In den
vergangenen vier Jahren war ein Zuwachs von fast
300 Prozent zu verzeichnen.
Dennoch glaube ich, dass die von Ihnen beschriebenen Szenarien, Herr Otto, geeignet sind, um mit dem
Problem fertig zu werden. Wir müssen immer wieder die
Eigenverantwortung stärken und das bisher praktizierte
Rechtssystem beibehalten, weil es nur so einen zuverlässigen Schutz im Internet gewährleistet. Von daher
möchte ich den Antrag der FDP ausdrücklich unterstützen. Er enthält auch hinsichtlich der Gewichtungen die
richtigen Formulierungen. Insofern denke ich, dass es
keine Alternative zu diesem Antrag gibt. Wer Alternativen aufzeigen würde, würde nur Augenwischerei betreiben.
({0})
Ich glaube, wie gesagt, dass das bisherige Rechtssystem beibehalten werden muss. Insofern sind die Einlassungen im Zusammenhang mit Nordrhein-Westfalen aus
meiner Sicht richtig.
({1})
Eine freiheitliche Gesellschaft, die über ungeheure technische Möglichkeiten, wie sie das Internet darstellt, verfügt, sollte diese hinlänglich nutzen. In einer freiheitlichen Gesellschaft ist im Umgang mit solchen
Möglichkeiten immer wieder die Verantwortung des
Einzelnen gefordert. In diesem Zusammenhang ist auch
an die Verantwortung der Industrie zu erinnern. Soweit
sie Filter einbauen kann, sollte sie dies auch tun. Aber
wir dürfen die Industrie nicht überfordern.
Es ist richtig: Wenn wir in Bezug auf Filter einen eindeutigen Rechtsrahmen vorgeben würden, dann würden
wir immer hinter den technischen Möglichkeiten zurückbleiben, die sich die Industrie erarbeitet hat. Insofern ist
es besser, wenn die Industrie von sich aus eigenverantwortlich handelt, statt von unserer Seite einen kleinlich
gesetzten Rechtsrahmen vorzugeben.
Ich glaube allerdings auch, dass die Eltern viel deutlicher auf die Probleme im Zusammenhang mit dem Internet hingewiesen werden müssen. Die Eltern müssen
ihrer Verantwortung stärker gerecht werden. Wir können
sie nicht aus dieser Verantwortung entlassen.
({2})
- Wenn Sie einmal etwas Positives machen, dann verbreiten wir das auch. Das kommt schließlich selten genug vor, Herr Tauss.
({3})
Das Thema muss auch in den Schulen viel stärker
problematisiert werden. Letztlich muss jeder an seine
eigene Verantwortung erinnert werden. Was sich im Internet tummelt - beispielsweise werden in den USA
Internetseiten von rassistischen Heiratsvermittlungen betrieben -, kann zwar aufgrund unserer Rechtslage in
Deutschland gegebenenfalls verboten werden. Auf internationaler Ebene können wir aber keine Rechtsetzung
vornehmen. Deshalb gilt es, stärker auf die Verantwortung des Einzelnen zu setzen, als dies möglicherweise
bisher der Fall gewesen ist.
Insofern bleibt zu hoffen, dass es gelingt, die Eltern,
die Pädagogen und auch die Kinder stärker als bisher in
die Verantwortlichkeit mit einzubeziehen. Hier ist auch
der Einzelne immer wieder sehr stark gefordert. Daher
sollten alle den Ansatz der FDP unterstützen und wir
sollten den Antrag der Liberalen einstimmig verabschieden. Ich habe jedenfalls bei den Ausschussberatungen
über diesen Antrag keine sehr großen Divergenzen festgestellt. Insofern bin der Auffassung, dass es keinen
Grund gibt, den sehr guten Antrag der FDP abzulehnen.
Wir werden jedenfalls zustimmen. Kollege HansJoachim Otto, auf uns können Sie sich in dieser Frage
verlassen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Grietje Bettin, Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es besteht große Einigkeit in diesem
Hause darüber, dass der Schutz vor illegalen und jugendgefährdenden Internetinhalten ein sehr wichtiges, aber
keinesfalls einfach zu behandelndes Thema ist. Das Problem ist, dass wir im Detail doch zu unterschiedlichen
Einschätzungen dessen kommen, was uns letztendlich
hilft, effektiv gegen illegale und jugendgefährdende Inhalte im Internet vorzugehen. Klar ist, dass das Internet
ein globales Medium ist. Klar ist aber auch, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist. Was in der Offlinewelt
verboten ist, ist auch im Internet nicht erlaubt.
({0})
Bestimmte Regeln aus der Offlinewelt gelten aber im Internet nicht, beispielsweise die 23-Uhr-Regelung für das
Fernsehen.
Unsere politische Aufgabe ist, den Kinder- und Jugendmedienschutz auch im Netz umfassend zu gewährleisten. Daran, ob Filtern statt Sperren immer die richtige
Lösung ist, habe ich als Grüne durchaus Zweifel. Filtern
muss nicht unbedingt effektiver als Sperren sein. Kein
Filterprogramm kann 100-prozentigen Schutz vor unerwünschten Internetinhalten bieten.
({1})
- Richtig, das kann auch keine Sperre. Dazu komme ich
gleich noch. - Durch Filterprogramme können auch erwünschte Inhalte ausgeblendet werden und Unerwünschtes kann durchkommen. Die Grünen und die
FDP sind sich darin einig, dass das pauschale Sperren
von Websites durch Dritte erst recht keine Lösung darstellt. Der Vorschlag, die Verantwortung auf die Provider
zu übertragen, schießt weit über das Ziel hinaus.
({2})
Klar ist für uns ebenfalls: Die Sperrverfügungen der
Bezirksregierung Düsseldorf haben zwar vor einiger Zeit
für Wirbel gesorgt. Aber damit war lediglich die platte
Botschaft verbunden: Wir tun etwas für den Kampf gegen den Rechtsradikalismus. Das ist natürlich richtig
und wichtig. Aber man darf nicht auf die GesetzmäßigGrietje Bettin
keiten des Netzes hereinfallen. Das ist nach unserer Einschätzung in diesem Fall geschehen.
({3})
Die hier eingeleiteten Sperrmaßnahmen wurden innerhalb weniger Sekunden von findigen Usern umgangen.
Das zeigt, dass wir Lösungen brauchen, die der Komplexität des Mediums Internet gerecht werden. Sie haben
durchaus - das gestehe ich zu - eine Vielzahl der dafür
notwendigen Bausteine angesprochen.
Rot-Grün hat mit dem neuen Jugendschutzgesetz
und dem entsprechenden Staatsvertrag der Länder bereits einen wichtigen Baustein gelegt; das wurde bereits
angesprochen. Damit wurden aus unserer Sicht sehr gute
Voraussetzungen dafür geschaffen, dass illegale und jugendgefährdende Internetinhalte schnell und effektiv erkannt werden können und dass dagegen vorgegangen
werden kann. Die Kommission für Jugendmedienschutz ist als zentrale Anlaufstelle eingerichtet worden
und kann entsprechende Sanktionen verhängen. Wir setzen
auf das Prinzip regulierter Selbstregulierung. Darüber
hinaus gibt es eine Reihe von Selbstkontrolleinrichtungen. Stellvertretend möchte ich hier die Freiwillige
Selbstkontrolle Multimediadiensteanbieter nennen. Hier
können Beschwerden über problematische Internetinhalte vorgetragen und dann auch strafrechtlich verfolgt
werden. Die Kommission für Jugendmedienschutz kann
entsprechend qualifizierte Selbstkontrolleinrichtungen
anerkennen. So arbeiten aus unserer Sicht User, Wirtschaft und Gesetzgeber gemeinsam für einen möglichst
effektiven Jugendschutz.
Gerade präventive Maßnahmen können weitere wichtige Bausteine im Bereich Jugendschutz sein. Die Vermittlung von Medienkompetenz - ich denke dabei vor
allem an die Vermittlung der Kompetenz, wie man das
Internet sinnvoll nutzen kann - ist für uns ein solcher
Baustein. Dasselbe gilt für die Elternaufklärung: Eltern
sollten wissen, wie sie ihre Kinder am besten schützen
können. Teilnehmerautonome Filtersysteme halten wir
durchaus für eine sehr wichtige Hilfe dabei; denn mit
diesen Systemen können Eltern selber entscheiden, was
ihre Kinder sehen dürfen und was nicht.
({4})
Klar ist aber auch, dass eine sinnvolle Kontrolle des
globalen Mediums Internet letztendlich nur auf internationaler Ebene stattfinden kann. Es ist sehr schwer - auch
darüber haben wir schon häufig diskutiert -, zu gemeinsamen internationalen Standards zu kommen. Die Diskussion darüber können wir hier jetzt nicht fortsetzen.
Es bedarf eines Zusammenspiels von Selbstkontrolle,
von staatlicher Regulierung und von internationalen
Übereinkünften. So können wir menschenverachtenden
Internetinhalten wirklich entgegentreten. Darüber hinaus
ist aber auch jeder Nutzer, jede Nutzerin des Internets
gefragt, entsprechend sensibel zu sein und aufzupassen.
Aus unserer Sicht ist das letztendlich der beste Weg,
Straftaten im Internet zu verhindern.
Ich sehe, dass die Bundesregierung hier die notwendigen Schritte eingeleitet hat. Die verschiedenen Bausteine, die Sie in Ihrem Antrag ansprechen, wurden bereits sinnvoll und systematisch verwendet. Von daher
stimmen wir diesem Antrag nicht zu.
({5})
Ich hoffe, dass wir die Diskussion fortführen und dass
wir die Entwicklung der freiwilligen Selbstkontrolle
weiterhin konstruktiv begleiten.
({6})
- Da die Bundesregierung die notwendigen Schritte eingeleitet hat,
Sie müssen aber jetzt zum Schluss kommen.
halten wir diesen Antrag für überflüssig.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Sabine Bätzing, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mein Kollege Jörg Tauss hat Ihnen schon vorhin die technischen Gründe dargelegt, die aus unserer
Sicht dagegen sprechen, Ihrem Antrag zuzustimmen. Ich
als Jugendpolitikerin möchte noch einmal betonen, was
aus unserer Sicht gegen diesen Antrag spricht.
Auch wir hätten einen gemeinsamen Antrag sehr begrüßt. Wie wir gehört haben, ist er nicht zustande gekommen, zum einen, weil wir einfach noch Zeit gebraucht haben, und zum anderen, weil es wohl nicht
möglich war, in diesem Antrag die Belange des Jugendmedienschutzes ausreichend zu berücksichtigen, was
wir sehr bedauern.
Der Antrag der FDP-Fraktion enthält vier zentrale
Forderungen, die wir grundsätzlich begrüßen und die
zum Teil zutreffend und nachvollziehbar sind. Daher finden wir es aus jugendpolitischer Sicht umso bedauerlicher, dass er an der aktuellen Situation im Jugendmedienschutz völlig vorbeigeht.
Es ist erstaunlich und, wie gesagt, bedauernswert,
dass Sie, Kollege Otto, die Novellierung des Jugendschutzgesetzes und den Jugendmedienschutzstaatsvertrag in diesem Antrag nur streifen; schließlich erfolgten
diese Gesetzesinitiativen genau mit dem Ziel, die
Rechtsordnung zu vereinfachen und den Anforderungen
der digitalen Welt und der globalen Netze ein Stück gerechter zu werden.
({0})
Lassen Sie mich wenigstens einige Aspekte hervorheben, die neu eingeführt wurden und die auch eine erste
Reaktion von uns auf die neuen Herausforderungen einer
multimedialen Welt sind. Zum Beispiel erfolgte die jugendschutzrechtliche Zusammenfassung von Telediensten und Mediendiensten unter dem Begriff „Telemedien“. Es wurden eine Alterskennzeichnungspflicht für
Computerspiele und eine differenzierte Liste jugendgefährdender Medien eingeführt. Darüber hinaus sieht der
Jugendmedienschutzstaatsvertrag komplementär die
Einbindung und die Stärkung der Selbstkontrolleinrichtungen sowie die Möglichkeiten technischer Zugangskontrollen vor.
Wie der Kollege Tauss bereits erwähnt hat, konnten
wir ins Gesetz die wichtige Unterscheidung zwischen
nutzerautonomen und nicht nutzerautonomen Filterprogrammen einbringen. Zwangsweise zentrale technische
Filterungen und Sperrungen gehören demnach zu den
letzteren. Sie sind vom Jugendschutzgesetz insofern
nicht privilegiert, als Informationen aus der Liste jugendgefährdender Internetangebote nur für nutzerautonome Filterprogramme genutzt werden dürfen.
Wir sollten deshalb gemeinsam überlegen, ob nicht
ein Appell dahin gehen könnte, dass auf jeden neu verkauften PC auch ein Jugendschutzfilterprogramm mit
entsprechenden Hinweisen für Käuferinnen und Käufer
mit Kindern aufzuspielen ist. Wenn mittlerweile schon
Programme von Onlinediensten wie T-Online und AOL
zur Erstausstattung eines PC gehören, dann sollte man
dies auch einmal im Blick auf Filterprogramme für Kinder und Jugendliche überlegen. Das ist ein Appell an die
Wirtschaft, eine Selbstkontrolle hinzubekommen, damit
auf eine gesetzliche Regelung verzichtet werden kann.
({1})
Ich möchte auch nicht unerwähnt lassen, dass die
Kommission für Jugendmedienschutz nach dem ersten
Jahr ihres Bestehens eine positive Bilanz gezogen hat.
Sie hat generelle Verfahrensfragen geklärt. Sie hat die
Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle anerkannt.
Sie hat Anforderungen für geschlossene Benutzergruppen formuliert und sie hat Eckwerte für den Einsatz von
Jugendschutzprogrammen im Internet festgelegt.
Wir haben in Ihrem Antrag die Forderung nach internationalen Mindeststandards vermisst. Im Antrag
wird nicht die Notwendigkeit anerkannt, hierzu eine internationale Perspektive zu entwickeln. Wie Frau Bettin
schon gesagt hat, ist es sicherlich schwierig, solche Standards zu entwickeln, aber es ist machbar, wenn auch nur
Schritt für Schritt.
Ein Aspekt ist der, den wir in unserem Antrag zum
UN-Weltgipfel zur Informationsgesellschaft aufgegriffen haben, nämlich die Pflicht zur automatisiert verarbeitbaren Kennzeichnung aller Inhalte und Dienste
durch die jeweiligen Anbieter.
Lassen Sie mich zum Schluss noch ganz kurz auf die
Medienkompetenz eingehen. Gerade aus jugendpolitischer Sicht ist die Stärkung der Medienkompetenz von
Kindern, aber auch von Eltern der wichtigste Beitrag
zum Jugendschutz.
({2})
Am vergangenen Montag hat eine Anhörung der Kinderkommission zum Thema „Kids@Neue Medien Chance und Versuchung für Kinder“ stattgefunden, in
der noch einmal ganz explizit auf die Medienkompetenz
hingewiesen wurde.
Frau Kollegin, Sie können aber wirklich nur noch
ganz kurz darauf eingehen.
({0})
Ja, ich komme zum Schluss. - Der Appell an alle, an
Politik, an Gesellschaft, an Schule, geht dahin, die Medienkompetenz zu stärken. Wir haben mit der Kampagne
„Schau hin“ und diversen Broschüren einen Anfang gemacht. Der Appell an uns alle geht dahin, wie gesagt, die
Medienkompetenz zu stärken, weil sie immer noch der
beste Beitrag zum Jugendmedienschutz ist.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf
Drucksache 15/3409 zu dem von der Fraktion der FDP
eingebrachten Antrag mit dem Titel „Schutz vor illega-
len und jugendgefährdenden Internetinhalten - Filtern
statt Sperren“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 15/1009 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? -
Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der
Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU und der
FDP angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a und 25 b so-
wie die Zusatzpunkte 9 a und 9 b auf:
25 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
dienst- und arbeitsrechtlicher Vorschriften im
Hochschulbereich ({0})
- Drucksache 15/4132 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({1})
Innenausschuss
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Freigabe der Personalstruktur an Hochschulen ({2})
- Drucksache 15/3924 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({3})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
ZP 9 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Katherina Reiche, Thomas Rachel, Dr. Maria
Böhmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Flexiblere Personalstrukturen bei Drittmittelprojekten im Hochschulbereich schaffen
- Drucksache 15/4131 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({4})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Cornelia Pieper, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Befristungen von Beschäftigungsverhältnissen
im Hochschulbereich flexibilisieren
- Drucksache 15/4151 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({5})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Ute Berg, SPD-Fraktion.
({6})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Einführung der Juniorprofessur war begleitet von
zum Teil völlig überzogener Kritik, ja von Polemik, die
für lang anhaltende Verunsicherung gesorgt hat und dem
wissenschaftlichen Nachwuchs nachhaltigen Schaden
zugefügt hat. Inzwischen ist sich die Fachwelt aber praktisch einig darüber, dass die Juniorprofessur ein erfolgreiches Modell ist und unbedingt erhalten bleiben muss.
Das Fazit einer Befragung von 45 Juniorprofessoren an
der Humboldt-Universität lautet: Alle würden es wieder
tun.
({0})
Ich begrüße deshalb nachdrücklich, dass sich Bund
und Länder nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur fünften HRG-Novelle rasch darauf geeinigt
haben,
({1})
die Juniorprofessur durch den heute eingebrachten Gesetzentwurf abzusichern.
({2})
Wir schaffen mit diesem Gesetz wieder eine klare
Rechtsgrundlage für die befristete Beschäftigung von
wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Für Altfälle verlängern wir die Übergangsfrist von 2005
auf 2008. Bis dahin werden - davon gehen wir aus - tarifrechtliche oder notfalls gesetzliche Regelungen getroffen worden sein,
({3})
die es ermöglichen, dass Wissenschaftler nach der Qualifikationsphase leichter weiterbeschäftigt werden können.
Was spricht aber nun inhaltlich für die Juniorprofessur? Welche Ziele wurden damit verfolgt und erreicht?
Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können
früher eigenständig forschen und lehren.
({4})
So liegt das Durchschnittsalter der Juniorprofessorinnen und -professoren bei 34 Jahren, das Durchschnittsalter von Habilitierten bei der Erstberufung auf eine Professur dagegen bei circa 40 Jahren.
Auch zur dringend notwendigen Internationalisierung
der deutschen Hochschulen trägt die Juniorprofessur
nachweislich bei.
({5})
14 Prozent der berufenen Juniorprofessorinnen und -professoren kamen aus dem Ausland. Viele von ihnen waren übrigens deutsche Rückkehrer. Das zeigt eindeutig:
Durch das Angebot der Juniorprofessur ist der Wissenschaftsstandort Deutschland international konkurrenzfähiger und attraktiver geworden.
({6})
Ein weiterer wichtiger Aspekt: Die Juniorprofessur
eröffnet mehr Frauen den Weg zur Professur. Der Frauenanteil liegt hier bei etwa 30 Prozent,
({7})
bei den Habilitierten nur bei circa 22 Prozent.
Das in meinen Augen wichtigste Argument lautet
aber: Durch die Juniorprofessur wird das kreative Innovationspotenzial von jungen Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern gefördert. Wenn man sich die Relation
zwischen Alter und wissenschaftlicher Produktivität speziell bei den Spitzenleistungen von Nobelpreisträgern
anschaut, so stellt man fest, dass diese die Leistungen,
für die sie später prämiert wurden, zum großen Teil in
jungen Jahren erbracht haben. Albert Einstein war zum
Beispiel 27, als er mit seiner Relativitätstheorie hervortrat, der Wirtschaftswissenschaftler Reinhard Selten
35 Jahre, als er seine spieltheoretischen Arbeiten entwickelte, und der Molekularbiologe Günter Blobel ebenfalls 35 Jahre, als er seine Signalhypothese bei Proteinen
vorstellte.
({8})
Es ist also ganz wichtig, dass junge Wissenschaftler
möglichst früh, jedenfalls deutlich früher als zurzeit üblich, unabhängig wissenschaftlich arbeiten können. Genau das wollen wir mit der Juniorprofessur erreichen.
Wir werden damit auch die Altersstruktur in den Wissenschaften verändern, also verjüngen. Damit wollen wir
dazu beitragen, dass stärker als bisher eingetretene Pfade
verlassen werden, neues Wissens hervorgebracht wird
und fruchtbare Forschungslandschaften entstehen.
({9})
Durch das von uns vorgelegte Gesetz kommt die Ausgestaltung der Juniorprofessur nun wesentlich den Ländern
und Universitäten zu, wie es dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts entspricht. Folgende vier Aspekte müssen dabei aber aus meiner Sicht unbedingt beachtet werden:
Erstens. Bei der Berufung von Juniorprofessoren
sind wettbewerbs- und leistungsorientierte und transparente Verfahren in den Berufungskommissionen notwendig. Die Besten müssen auch wirklich die Chance bekommen, ihre Qualitäten zu entwickeln.
({10})
Zweitens. Der Nachwuchs muss in Berufungsverfahren die Möglichkeit erhalten, Stellenausstattung und
Dienstaufgaben eigenständig zu gestalten.
Drittens. Der Karriereweg über die Juniorprofessur
muss attraktiv sein. Folglich müssen die Länder die
Möglichkeit des Tenure Tracks in ihrer Landesgesetzgebung vorsehen.
({11})
Hochschulen haben damit die Möglichkeit, herausragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern den
Übergang auf eine Lebenszeitprofessur anzubieten. Damit orientiert sich der Wissenschaftsstandort Deutschland an internationalen Maßstäben.
Viertens. Positiv evaluierte Juniorprofessoren müssen
bei der Ausschreibung einer Lebenszeitprofessur dieselben Chancen haben wie Habilitierte. Zurzeit will sich
fast die Hälfte der Juniorprofessoren sicherheitshalber
noch habilitieren, um bei Berufungsverfahren in Konkurrenz zu Habilitierten nicht das Nachsehen zu haben.
Die Doppelbelastung Juniorprofessur plus Habilitation
führt aber zu Zeitverzögerung und Effizienzverlusten.
Genau das war vonseiten des Gesetzgebers nicht gewollt.
({12})
Abschließend ein nachdrücklicher Appell an die Länder, aber auch an die Hochschulen und Stiftungen: Sorgen Sie unbedingt dafür, dass mehr Stellen geschaffen
werden. Sonst besteht die Gefahr, dass die Juniorprofessur zur „Randexistenz im deutschen Hochschulwesen“
verkommt.
({13})
Davor warnt eine Studie des Centrums für Hochschulentwicklung und der Jungen Akademie.
Um die Juniorprofessur zu unterstützen, hat der Bund
für die sächliche Erstausstattung der ersten 3 000 Juniorprofessuren insgesamt rund 180 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.
({14})
Fördermittel für 933 Stellen wurden bereits bewilligt,
rund 600 Stellen sind inzwischen besetzt.
Kurzum: Die Bundesregierung hat das Notwendige getan. Nun sind alle Länder gefordert, darauf aufzusetzen. Es
muss gelingen, auf dem Weg über die Juniorprofessur junge
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihrer kreativsten Phase darin zu unterstützen, Spitzenleistungen zu
erbringen. Nur so können wir den Wissenschafts- und
Forschungsstandort Deutschland entscheidend voranbringen.
Vielen Dank.
({15})
Das Wort hat der Staatsminister für Wissenschaft,
Forschung und Kunst des Landes Bayern, Dr. Thomas
Goppel.
({0})
Dr. Thomas Goppel, Staatsminister ({1}):
Frau Vizepräsidentin! Hohes Haus! Ich bedanke
mich, dass ich Gelegenheit habe, etwas zu einem Thema
zu sagen, das sehr viel schneller und sehr viel früher
Dr. Thomas Goppel, Staatsminister ({2})
hätte so einvernehmlich diskutiert werden können wie
heute,
({3})
wenn nicht die Blockade vonseiten der SPD gewesen
wäre.
({4})
Die Frau Bundesministerin hat ausdrücklich die
Habilitation verbieten und die Juniorprofessur an ihre
Stelle setzen wollen.
({5})
Das war die Ausgangsposition. Nur deswegen haben wir
geklagt und deswegen haben wir gewonnen. Das stinkt
Ihnen, Herr Tauss;
({6})
dafür habe ich Verständnis. Das ändert aber nichts daran,
dass Sie trotzdem zuhören sollten.
({7})
Ich habe Ihnen schließlich auch zugehört.
Die Ausgangsposition, die wir haben, macht deutlich:
Wer schlampt, muss nachbessern. Dieses Nachbessern
war notwendig. Das Bundesverfassungsgericht hat am
27. Juli 2004 der Bundesregierung auferlegt, sich an die
ihr zugestandenen Kompetenzen zu halten und den Ländern nicht ins Handwerk zu pfuschen. Das Gericht hat
dies in einer Weise gefordert, die von den Ländern gar
nicht beantragt war, sondern weit über deren Vorstellungen hinausging. Das Bundesverfassungsgericht findet,
dass die Länder in diesem Zusammenhang viel zu nachgiebig sind.
({8})
Das müssen Sie einmal ganz nüchtern registrieren.
Wenn ich das mit Ihnen zusammen unter dem Strich
zusammenzähle, dann kommt heraus, dass dank des einmaligen Chaos, das wir der Bundesregierung verdanken,
in zehn Ländern Gesetze in Kraft sind, die dem geltenden Hochschulrahmengesetz widersprechen, und sich in
weiteren Ländern entsprechende Gesetzentwürfe in parlamentarischen Beratungen befinden. Infolge der Fehler
der Bundesbildungsministerin verstoßen auch diese Länder somit gegen das Grundgesetz.
Nichts anderes ist der Sachverhalt. Das, was Sie so
freundlich und beschönigend dargestellt haben, lasse ich
alles gelten. Das hätte ich auch unterschrieben, bevor wir
in diese Streitlage gekommen sind. Denn wenn Sie so
optimistisch und aufgeschlossen argumentiert hätten,
wäre mancher Streit vermieden worden.
({9})
- Sie unterscheiden sich von mir dadurch, lieber Herr
Kollege Tauss, dass Ihre Ideologie Ihnen jede normale
freie Denkweise versperrt. Deswegen sollten Sie die
Zwischenrufe unterlassen.
({10})
Tausenden befristet abgeschlossenen Arbeitsverträgen an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen ist damit die Rechtsgrundlage entzogen.
Da kann man nur sagen: Chapeau! Ein solches Vorgehen
ist neu; das hat es in dieser Bundesrepublik noch nicht
gegeben.
({11})
Der vorliegende Gesetzentwurf liegt besonders im Interesse der Länder, die das für nichtig erklärte Rahmenrecht bereits umgesetzt haben. Ich gehöre noch nicht
einmal dazu, weil ich gewusst habe, dass die Bundesregierung unterliegen wird. Eine rasche bundesrechtliche
Absicherung der Juniorprofessur ist dringend geboten.
Da sind wir uns einig. Ein schnelles Handeln des Gesetzgebers liegt aber auch im Interesse der Bundesrepublik
als Rechtsstaat. Wir verlieren unsere Glaubwürdigkeit,
wenn die gegenwärtige verfassungswidrige Rechtslage
im Hochschulbereich nicht rasch beseitigt wird.
Die Rechtsunsicherheit muss weg. Das sind wir den
Betroffenen schuldig, den wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den
Hilfskräften, die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts tangiert werden.
({12})
- Wenn jemand vor dem Verfassungsgericht klagt und
Recht bekommt, sich anschließend aber von demjenigen,
der eindeutig unterlegen ist, Vorwürfe gefallen lassen
muss, dann ist das ein Zeichen dafür, dass Sie ein falsches Rechtsverständnis haben.
({13})
Wenn Sie ruhig wären, täten Sie sich selbst den größten
Gefallen.
Die Fehlleistungen und ihre Verursacherin stehen
fest:
Erstens. Die „Reparaturnovelle“ war vermeidbar. Die
Bundesbildungsministerin hat es aber im Rahmen der
Dienstrechtsreform vorgezogen, den Weg der Gemeinsamkeit mit den Ländern zu verlassen. Mit ideologisch
begründeter Kompromisslosigkeit bei der Ausgestaltung
der Juniorprofessur als Königsweg für den wissenschaftlichen Nachwuchs hat sie die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts selber in die Wege geleitet.
Zweitens. Die Durchsetzung der neuen Personalstruktur hat der Weiterentwicklung und Modernisierung des Hochschulwesens schweren Schaden zugefügt.
({14})
Gleichwohl haben die Länder Grund, der Bildungsministerin zu danken. Denn ohne ihre mangelnde Kooperationsbereitschaft und ohne ihr hartnäckiges Festhalten an der Juniorprofessur wäre die Lage nicht so klar
wie heute. Sie ärgert natürlich am meisten, dass Sie in
die Schranken verwiesen wurden. Wer eine Sache
Dr. Thomas Goppel, Staatsminister ({15})
ausreizt, muss damit rechnen, dass er scheitert. Die Bildungsministerin hat die Bedenken der Länder ignoriert
und damit dem Bundesverfassungsgericht Gelegenheit
gegeben, die Bundesregierung in die Schranken zu weisen.
({16})
Das Urteil vom Juli hat den politischen Einfluss der
Bundesregierung im Hochschulbereich nachhaltig eingeschränkt. Das bleibt, wie Sie wissen, nicht ohne Auswirkungen auf die Beratungen der Föderalismuskommission.
({17})
Drittens. Die durch Frau Bulmahn provozierte
Rechtsunsicherheit könnte durch die Länder selbst beseitigt werden. Dazu müsste die Bundesregierung bereit
sein, die Regelung der Personalstruktur gemäß
Art. 125 a Abs. 2 des Grundgesetzes den Ländern zu
überlassen.
({18})
Der Bundesrat hat am 24. September 2004 eine entsprechende Gesetzesinitiative beschlossen und im Bundestag
eingebracht. Wir halten es für keine gute Verfahrensweise, dass sich die Bundesregierung gegen den Gesetzentwurf des Bundesrates ausgesprochen hat.
Viertens. Der vorliegende Gesetzentwurf verzichtet
endlich darauf, die „zusätzlichen wissenschaftlichen
Leistungen“ als Voraussetzung für die Berufung von
Professoren näher zu regeln.
({19})
Frau Bulmahn und Herr Staatssekretär, ein großes Kompliment! Sie haben dazugelernt. Die Habilitation bleibt
damit nach Maßgabe des Landesrechts weiterhin als
Qualifizierungsweg für den wissenschaftlichen Nachwuchs erhalten. Das Alter von 50 Jahren trifft vielleicht
auf Nordrhein-Westfalen zu, aber nicht auf Bayern. Wir
sind inzwischen bei einem Alter von 36 Jahren angelangt. Damit wir uns recht verstehen: Auch das ist mir zu
alt.
Die Habilitation für die Geisteswissenschaftler ist ein
alternativer Weg, der nötig ist. Die Tatsache, dass Sie
selbst um eine Nachbesserung bitten, weil zwei mal drei
Jahre Juniorprofessor kein sicherer Weg in eine gute
Wissenschaftslaufbahn sind, ist der Beweis, dass Sie
noch nicht genügend nachgedacht haben. Lassen Sie uns
an dieser Stelle gemeinsam weitermachen!
({20})
Der Weg, den Sie bisher eingeschlagen haben, ist nicht
der richtige Weg.
({21})
- Herr Tauss, wenn Sie sich weniger aufregen, bin ich
schneller fertig.
({22})
Die Habilitation bleibt also. Jetzt haben die Landesgesetzgeber einen weiten Spielraum. Deshalb verzichten
wir auf Einwendungen gegen den Gesetzentwurf und betonen ausdrücklich: Die Beratungen der Föderalismuskommission zur Neuregelung der Gesetzgebungskompetenzen im Hochschulbereich werden dadurch nicht
präjudiziert.
Letzter Punkt. Der vorliegende Gesetzentwurf löst allerdings nicht die besoldungsrechtliche Problematik, die
mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
und der Neuordnung der Personalstruktur verbunden ist.
Nachdrücklich appelliere ich deshalb an die Bundesregierung, die Folgen so schnell wie möglich auch im Besoldungsrecht zu berücksichtigen. Die bisherige Untätigkeit muss wirklich ein Ende haben.
Lassen Sie mich abschließend - dieser Punkt darf
nicht zu kurz kommen - den beiden Koordinatoren auf
Länderseite, dem Kollegen Professor Zöllner aus Rheinland-Pfalz und dem Kollegen Frankenberg aus BadenWürttemberg, herzlich danken. Ihre Besonnenheit im
Umgang mit dieser Thematik hat dazu beigetragen, dass
wir heute so weit sind.
({23})
Jetzt werden die Interessen der Länder gegen Frau
Bulmahns Begehrlichkeiten wirklich nachhaltig verteidigt.
({24})
Ich bin froh, dass wir an dieser Stelle gemeinsam an einem Strang ziehen. Es sollte Sie nachdenklich stimmen,
dass der Kollege Zöllner auf unserer Seite steht.
({25})
An die Adresse der Bundesbildungsministerin will
ich sagen: Auf den Arzneimittelpackungen ist der Hinweis zu lesen, bei Risiken und Nebenwirkungen den
Arzt oder Apotheker zu fragen. In diesem Fall wäre es
vernünftig, die Länder zu fragen. Dann braucht man sich
nicht an das Bundesverfassungsgericht zu wenden.
({26})
Das Wort hat die Kollegin Grietje Bettin, Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die heute zu beratende Novelle des Hochschulrahmengesetzes wurde durch das keineswegs einstimmige Urteil des Bundesverfassungsgerichts notwendig,
Herr Goppel. Drei der fünf Richter
({0})
hatten eine andere Rechtsauffassung. Ich muss das hier
betonen, weil Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Opposition, immer gerne so tun, als ob das alles vorhersehbar gewesen wäre.
({1})
Wir tragen diese Novelle mit, weil sie schnell Rechtssicherheit für die Betroffenen herstellt. Es ist besonders
wichtig, dass die Arbeitsverträge Tausender Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler damit wieder eine rechtliche Grundlage bekommen.
Ich will nicht verhehlen, dass sich die Grünen gerne
gewünscht hätten, diese so genannte Reparaturnovelle
auch für Änderungen in der Sache zu nutzen. Es war ein
richtiger Schritt, die bisherige Übergangsregelung für
Arbeitsverträge um drei Jahre auf Ende Februar 2008
zu verlängern.
Wir brauchen aber eine gründliche Fortentwicklung
der so genannten Zwölfjahresregel. Als Gesetzgeber
müssen wir die praktische Möglichkeit schaffen, in
Deutschland in der Wissenschaft auch unterhalb der Professur dauerhaft arbeiten zu können. Am wichtigsten ist
für uns dabei, dass diese Möglichkeit für die Hochschulen auch umsetzbar ist. Eine dauerhafte Anstellung ist in
vielen Fällen durchaus sinnvoll, zum Beispiel bei routinemäßigen wissenschaftlichen Arbeiten wie der Redaktion von Lexika. Diese Redakteure qualifizieren sich
nämlich aufgrund der Art ihrer Tätigkeit in der Regel
nicht weiter.
Leider sind solche weiter gehenden inhaltlichen
Überlegungen Opfer der Taktiererei der unionsgeführten
Bundesländer geworden.
({2})
Weil deren Ministerpräsidenten Verhandlungsmasse für
die Föderalismuskommission aufbauen wollten, erteilten
sie ihren Wissenschaftsministern zwei Monate lang einen Maulkorb. Sie durften nicht mit der Bundesministerin verhandeln.
({3})
Dadurch konnte man sich jetzt nur in aller Eile auf den
Status quo einigen, wie er vor dem Urteil zur Juniorprofessur bereits bestand und den wir jetzt beschließen müssen, um überhaupt Rechtssicherheit herzustellen.
Meine Damen und Herren, das sind Machtspielchen
auf dem Rücken der betroffenen Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler.
({4})
Man sollte sich nicht über den Braindrain beklagen,
wenn man nach dem Motto handelt: Erst die Macht,
dann die Sache!
({5})
Ihre Fraktionsanträge, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, hätten Sie, wenn Sie es mit der
Flexibilisierung der Befristung wirklich ernst gemeint
hätten, besser schon im August an Ihre Parteifreunde in
den Landesregierungen schicken sollen.
({6})
Das Parlament heute kurz vor knapp damit zu beschäftigen ist viel zu spät
({7})
und bringt uns in der Sache kein Stück weiter.
Noch deutlicher als mit dem Gesetzentwurf des Bundesrates, den wir heute beraten, kann man seine machtpolitischen Ambitionen nicht zum Ausdruck bringen.
Die unionsgeführte Mehrheit im Bundesrat will die
Macht über die Personalstrukturen in Länderhände legen; Herr Goppel hat es gerade wieder betont.
({8})
Vor Einführung der bundeseinheitlichen Regelung, wie
sie jetzt im Rahmengesetz steht, gab es im damaligen
Westdeutschland an den Hochschulen rund 70 verschiedene Personalkategorien. Was dies heute für die Mobilität der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und
für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands um die
klügsten Köpfe weltweit bedeuten würde, kann sich
doch jeder ausrechnen. Wenn man das verhindern will,
müsste man nicht dem Bund, sondern der KMK die Aufgabe übertragen, eine bundeseinheitliche Personalstruktur sicherzustellen. Damit würde die KMK einen
weiteren schweren Batzen Arbeit aufgebürdet bekommen.
Noch eine Randbemerkung zu einer in der Sache bestehenden Ironie. Christian Wulff, der niedersächsische
Ministerpräsident und härteste Kritiker der KMK, hat
dem Personalfreigabegesetzentwurf aus BadenWürttemberg tatsächlich zugestimmt. Da frage ich mich:
Was will Herr Wulff eigentlich? Weniger KMK oder
mehr KMK? Womöglich gar keine Abstimmung? Was
will die CDU eigentlich in dieser Frage?
({9})
Unser zentrales politisches Ziel ist, die Attraktivität
des Hochschul- und Wissenschaftsstandorts durch gute
Arbeitsbedingungen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu erhöhen. Permanente strategische Machtspielchen schaden der internationalen Attraktivität.
Stimmen Sie im Interesse der Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zu!
Danke schön.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Ulrike Flach, FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute eine Vorlage auf dem Tisch, die auch BMBFintern als Reparaturnovelle bezeichnet wird.
({0})
Mehr ist sie nun einfach nicht. Wir müssen die Verunsicherung reparieren, die an unseren Hochschulen und
Forschungsinstituten durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes
({1})
herbeigeführt worden ist. Das betrifft 110 000 Menschen
in diesem Lande, lieber Herr Tauss.
({2})
Das geschah einzig und allein wegen eines Hickhacks
zwischen Bund und Ländern. Herr Goppel, diesen Vorwurf müssen Sie sich schon gefallen lassen: Die Länder
haben das Ihrige getan, um diese Menschen in die Verunsicherung zu treiben.
({3})
Warum sind wir nun in diese Lage gekommen? Weil
sich einerseits die Ministerin mit der ihr eigenen Dickköpfigkeit
({4})
gegen jede Warnung - auch in den Debatten in diesem
Hause gab es Warnungen - durchgesetzt hat und weil andererseits die Länder ihre Kompetenzbereiche trotz
Wohlwollens für die Juniorprofessur
({5})
- wir wissen ja, dass es viele Länder gibt, die sie durchsetzen wollen - wie die Goldgräber ihre Claims hüten.
Die FDP hat sich immer für die Juniorprofessur ausgesprochen. Das möchte ich an dieser Stelle betonen. Daher sind wir bei Ihnen, wenn es darum geht, hier wieder
Rechtssicherheit zu schaffen. Aber Sie nutzen Ihre
Chance nicht, alte Fehler zu korrigieren.
({6})
Frau Bettin, in einem Punkt bin ich allerdings nicht
bei Ihnen - wir haben das immer wieder gesagt; das ist
also keine neue Botschaft von uns -:
({7})
Sie setzen den für befristete Arbeitsverträge zulässigen
Zeitrahmen von zwölf Jahren wieder in Kraft. Das ist
angesichts der Probleme, die es an unseren Hochschulen
gibt, ein Ausdruck von Hilflosigkeit.
({8})
Seit Jahren sinkt die Zahl der Dauerstellen von Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern.
({9})
Gleichzeitig erhöht sich das Drittmittelvolumen. Es gibt
also Geld für die Forschung, aber keine Stellen. Eine befristete Beschäftigung nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz scheitert daran, dass die Hochschulen Angst
haben. Sie wollen nicht in Arbeitsprozesse verwickelt
werden, wodurch sie langfristige Beschäftigungsverhältnisse zulassen müssten.
({10})
Je älter ein Wissenschaftler ist, desto höher ist das entsprechende Risiko und desto weniger Anstellungen gibt
es.
Deswegen - der FDP stehen ja nur drei Minuten Redezeit zur Verfügung - müssen wir drei Probleme lösen.
Erstens. Das reguläre Arbeitsrecht passt nicht zum Wissenschaftsbetrieb. Herr Goppel, hier appelliere ich an
Sie: Bringen Sie den Wissenschaftstarifvertrag endlich
mit uns gemeinsam auf den Weg und kehren Sie an den
Verhandlungstisch zurück! Dann kommen wir voran.
({11})
Zweitens. Die Länder dürfen nicht weiter Stellen abbauen. Gerade im wissenschaftlichen Bereich gibt es einen immensen Stellenabbau. Bayern ist hier vorangegangen, Herr Goppel. So ist das.
({12})
Drittens. Der Unterschied zu erfolgreichen Ländern wie
den USA und Großbritannien ist, dass man Daueranstellungen dort schneller und bereits in jungen Jahren erreichen kann.
({13})
Auch hier richte ich meinen Appell an die Länder: Lassen Sie den Tenure Track zu! Das tun nicht alle Länder.
({14})
Den Hinweis auf diese Probleme haben wir in unserem Antrag durch das Thema Studenten ergänzt, denen
plötzlich die Dauer ihres Arbeitsverhältnisses angerechnet wird, obwohl sie jobben. Das ist völlig falsch.
Diese Probleme lösen Sie mit Ihrem vorliegenden
Gesetzentwurf nicht. Das ist uns zu wenig. Sie reparieren nur. Wir wollen mehr. Deswegen sind wir nach wie
vor unzufrieden, meine Damen und Herren.
Herzlichen Dank.
({15})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Ulrich Kasparick.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal spreche ich den Fraktionen von
SPD und Grünen mein Lob aus; denn sie haben uns
heute einen Gesetzentwurf vorgelegt, den wir in unserem Hause sehr sorgfältig studiert haben.
({0})
Der Inhalt dieses Gesetzentwurfs entspricht auch den
Vorstellungen, die in unserem Hause entwickelt werden.
({1})
Es handelt sich um einen guten Gesetzentwurf,
({2})
zumal er Regelungen enthält, die das Kabinett bereits
verabschiedet hat.
({3})
Deswegen freuen wir uns, dass wir in der Sache sehr zügig vorankommen.
({4})
Unser Ziel ist, bis Anfang nächsten Jahres Rechtssicherheit für die Juniorprofessorinnen und -professoren
herzustellen. Ich denke, das ist in unser aller Interesse.
Eben haben wir auch vonseiten der Länder ein deutliches
Signal in dieser Richtung erhalten.
({5})
Dieser Gesetzentwurf ist insbesondere im Interesse der
Länder, die die Juniorprofessur einführen wollen. Ich
weiß, dass das in Bayern beabsichtigt wird; das begrüßen wir sehr. Deshalb verzichtet der Bundesrat auf Einwendungen.
Mittlerweile wurde die Juniorprofessur in zehn Bundesländern eingeführt. Ihnen wollen wir wieder zu
Rechtssicherheit verhelfen. Deswegen spreche ich meinen ganz herzlichen Dank an die FDP-Fraktion aus, die
immer deutlich signalisiert hat, dass sie bei dem zügigen
Prozess, den wir dringend brauchen, gerne behilflich
sein will.
In der Sache ist vom Bundesverfassungsgericht
glücklicherweise nicht entschieden worden. Es hat sich
also niemand gegen die Juniorprofessur ausgesprochen.
Alle Fachleute wissen, dass wir für die jungen Wissenschaftler mehr Selbstständigkeit schaffen müssen, wenn
wir einen Beitrag dazu leisten wollen, sie, wenn sie im
Ausland sind, dazu zu bewegen, zurückkommen. Wir
brauchen also mehr Selbstständigkeit in der Nachwuchswissenschaft.
Dem soll die Gesetzesnovelle dienen, die von den beiden Fraktionen vorgelegt worden ist. Ein gleich lautender Text ist bereits vom Kabinett verabschiedet worden.
Wir freuen uns, dass der Bundesrat auf Einwendungen
verzichten will.
Ich danke Ihnen allen, die Sie an diesem Prozess konkret beteiligt sind, und hoffe, dass wir einen deutlichen
Schritt vorankommen. Ich wünsche vor allen Dingen
den jungen Wissenschaftlern, dass sie ab Anfang nächsten Jahres auf gesicherter Basis ihre wichtigen Arbeiten
an den Hochschulen und Instituten fortsetzen können.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({6})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Thomas Rachel, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Rechts der Beschäftigungsverhältnisse im Hochschulbereich werden wir erneut Zeugen der nun schon seit Jahren gewohnten
Halbherzigkeiten aus dem Bundesbildungsministerium.
Diese Initiative wäre gar nicht notwendig gewesen,
wenn Frau Bulmahn mit der fünften Novellierung des
HRG nicht vor dem Bundesverfassungsgericht aus selbst
verschuldeten Gründen eine grandiose Schlappe erlitten
hätte.
({0})
Wir bekommen jetzt einen Reparaturvorschlag vorgelegt, mit dem Gesetzeslücken geschlossen werden sollen. Dies ist auch dringend erforderlich; denn die Verunsicherung an den Hochschulen ist enorm. Der
wissenschaftliche Nachwuchs verlangt Klarheit über die
rechtlichen Rahmenbedingungen für seine Karriere.
Zunächst möchte ich begrüßen, dass die Juniorprofessur zwar wieder in das Hochschulrahmengesetz
eingeführt worden ist,
({1})
diese aber nicht mehr zu einer Regelvoraussetzung für
die Berufung als ordentlicher Professor wird. Damit ist
dem Anliegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Rechnung getragen worden, dass einerseits die Juniorprofessur rechtlich abgesichert wird, andererseits aber endlich
die Wahlfreiheit beim Nachweis der wissenschaftlichen
Qualifikation gewährleistet wird.
({2})
Damit hat das Bundesverfassungsgericht dem Irrweg
der Ministerin Bulmahn, die die bewährte Habilitation
faktisch verbieten wollte, Einhalt geboten. Dies war eine
richtige Entscheidung. Endlich bekommen wir die Wahlfreiheit in den Qualifizierungswegen, die wir als Christdemokraten immer gefordert haben.
({3})
Misslungen ist die Reparaturnovelle allerdings im Bereich der Befristungsregelungen für wissenschaftliche
Mitarbeiter und Doktoranden. Trotz massiver Kritik aus
der Wissenschaft will die Regierung wieder die Befristungsregeln aus der fünften HRG-Novelle aufleben lassen. Danach dürfen Arbeitsverträge für wissenschaftliche Mitarbeiter bis zu einer Höchstdauer von sechs
Jahren befristet werden, nach einer Promotion ebenfalls
auf maximal sechs Jahre. Das Ministerium begründet
diese Fristen damit, dass dieser Zeitbedarf dem Erfordernis der Nachwuchsqualifizierung angemessen sei.
In Wirklichkeit kommen junge Wissenschaftler in
eine erhebliche Klemme. Wenn es ihnen nach diesen
zwölf Jahren nicht unmittelbar gelingt, einen Ruf als ordentlicher Professor zu erhalten, sind sie unter Umständen mit Mitte 30 auf der Straße ihrer Möglichkeiten am
Ende und haben nicht die Chance, in dem Bereich zu arbeiten, in dem sie sich in jahrelanger Arbeit qualifiziert
haben.
({4})
Die Karriereplanung für angehende Professoren kennt
bei Ihnen nach wie vor nur die Farben Schwarz und
Weiß. Diese Regelung hat sich aber eben nicht bewährt.
Deshalb hat auch der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Kempen, erklärt: Dieses Gesetz ist praxisfern.
({5})
Noch dramatischer ist allerdings die Frist für die wissenschaftlichen Mitarbeiter auf Stellen, die durch Drittmittel finanziert werden. Drittmitteleinwerbung ist
wichtig. Darüber sind wir uns hoffentlich einig. Wenn
aber ein Mitarbeiter eines solchen Projekts an die Zwölfjahresgrenze stößt, besteht die Gefahr, dass er das Projekt verlassen muss
({6})
und die konkreten Forschungsmaßnahmen infrage gestellt werden.
Dies widerspricht völlig den Interessen der Wissenschaftsorganisationen und den Interessen der betroffenen
Menschen. Nicht umsonst, Herr Tauss, verlangen alle
großen deutschen Forschungsorganisationen zusammen
mit der Hochschulrektorenkonferenz und dem Wissenschaftsrat in ihrem Aufruf vom 29. September dieses
Jahres - ich zitiere -:
Für Drittmittelbeschäftigte, deren Finanzierung gesichert ist, muss eine befristete Beschäftigung über
die für die Nachwuchskräfte geltende Zwölfjahresregelung hinaus möglich werden.
Recht haben die Wissenschaftsorganisationen.
({7})
Diese Bundesregierung bietet dazu aber im Bereich
der drittmittelfinanzierten Stellen wie auch in anderen
Themenfeldern leider keine Perspektive. Wir als Christdemokraten haben Ihnen deshalb zur Lösung dieses Problems eine Öffnungsregelung in § 57 des Hochschulrahmengesetzes ausgearbeitet.
({8})
Wir plädieren dafür, es Universitäten künftig zu ermöglichen, befristete Arbeitsverträge auch außerhalb der starren Grenzen abzuschließen. Voraussetzung dafür ist,
dass die Mitarbeiter überwiegend aus Mitteln Dritter
vergütet
({9})
und der Zweckbestimmung entsprechend beschäftigt
werden. Damit wird das Argument der Regierung widerlegt, dass eine Ausweitung der Befristungsregelung eine
zügige wissenschaftliche Qualifizierung behindere; denn
die Weiterbeschäftigung auf einer drittmittelfinanzierten
Stelle ist eben keine typische Qualifizierung mehr, sondern eine erste berufliche Stelle. Das ist der entscheidende Unterschied.
Meine Damen und Herren, was Sie anbieten, stellt für
die Menschen, die davon betroffen sind, keine Perspektive dar. Deshalb fordern wir Sie auf: Lockern Sie die
starren Befristungsregeln und räumen Sie den Hochschulen größere Flexibilität ein! Folgen Sie dem Antrag
der Fraktion der CDU/CSU! Die Wissenschaft in
Deutschland hat es verdient, von der Regierung endlich
ernst genommen zu werden.
Herzlichen Dank.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 15/4132 und 15/3924 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung und zur Mitberatung an den Innenausschuss, den Rechtsausschuss,
den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit, den Verteidigungsausschuss, den Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend, den Ausschuss für Gesundheit und
Soziale Sicherung sowie an den Haushaltsausschuss gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. Die Vorlagen auf den Drucksachen 15/4131 und 15/4151, Zusatzpunkte 9 a und 9 b, sollen an dieselben Ausschüsse
sowie an den Haushaltsausschuss überwiesen werden,
jedoch nicht an den Verteidigungsausschuss und nicht an
den Haushaltsausschuss gemäß § 96 der Geschäftsordnung. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist
nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Ich rufe den Zusatzpunkt 10 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der FDP
Haltung der Bundesregierung zu Plänen, den
3. Oktober als Nationalfeiertag abzuschaffen
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Guido Westerwelle, FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Es ist schon bezeichnend, dass diejenigen, die
diesen Mist angerichtet haben, jetzt den Saal verlassen.
Das ist wirklich faszinierend.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn die Bundesregierung, wie in der letzten Woche geschehen, vorschlägt,
den 3. Oktober, der aus unserer Sicht ein Tag der Freude
ist, als Feiertag zu streichen, dann ist es schlechterdings
unmöglich, dass sich der Deutsche Bundestag mit diesem Vorschlag nicht auseinander setzt.
({1})
Der 3. Oktober ist kein Tag der Regierung, er ist ein Tag
des Volkes und wir vertreten hier das Volk. Wir sind der
Überzeugung, dass sich die Deutschen diesen Tag in einer friedlichen Revolution als Feiertag erkämpft haben.
Wir sind stolz auf diesen Tag unserer Geschichte; er ist
ein Freiheitstag. Wir wollen diesen Tag verteidigen, auch
gegen eine Bundesregierung, die sich in diesen Tagen
dramatisch geschichtsunbewusst gezeigt hat.
({2})
Bezeichnend ist übrigens auch, dass sich derjenige,
der als Erster den Vorschlag gemacht hat, den 3. Oktober
als Feiertag abzuschaffen, nämlich der Bundesfinanzminister, traut, in der heutigen Debatte zu fehlen.
({3})
Man kann es nur damit erklären, dass er seinen Vorschlag mittlerweile voller Scham bereut.
({4})
Ich will an dieser Stelle feststellen, dass es nicht ohne
Pikanterie ist, dass sich genau diejenigen, die damals wie
Herr Schröder und Herr Eichel als Ministerpräsidenten
gegen die Währungsunion gestimmt haben, jetzt am
Thema „3. Oktober“ abarbeiten,
({5})
salutiert und sanktioniert von Vizekanzler Joseph
Fischer, der noch nach dem Vollzug der deutschen Einheit die Zwei-Staaten-Theorie vertreten hat.
({6})
Es ist übrigens nicht nur unpatriotisch und verdeutlicht eine geschichtsunbewusste Haltung, sondern stellt
auch, was den Umgang unter Verfassungsorganen angeht, einen sehr interessanten Vorgang dar, dass dem
Bundespräsidenten, der sich nicht aufgrund des Vorschlags von Herrn Eichel, sondern bereits als erste Gerüchte darüber aufgetaucht sind, öffentlich dazu geäußert
hat, aus Regierungskreisen die Berechtigung abgesprochen worden ist, sich in die öffentliche Debatte über den
3. Oktober einzumischen. Damit kommt zum Ausdruck,
dass die Regierung offensichtlich ein ungewöhnlich arrogantes Verständnis von Verfassung hat. Wir sind der
Meinung, ein Bundespräsident hat nicht nur das Recht,
er hat die Pflicht, sich bei Fragen der nationalen Identität
zu Wort zu melden. Wir als Abgeordnete der Opposition
danken dem Bundespräsidenten.
({7})
Dieser Vorschlag wurde allen Ernstes mit dem Argument verteidigt, man wolle damit ein Haushaltsloch
stopfen.
({8})
Aus unserer Sicht ist der Vorschlag dafür völlig untauglich. Denn ökonomisch macht das herzlich wenig Sinn.
({9})
Worüber wir in Deutschland reden müssen, ist nicht die
Streichung des 3. Oktobers, des einzigen Nationalfeiertages, den wir Deutschen haben. Worüber wir reden
müssen, ist eine flexiblere und besser organisierte Wochenarbeitszeit.
({10})
Das ist die Diskussion, die wir brauchen: über eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit. Jeder weiß, dass wir
nur mit mehr Fleiß und mehr Leistungsbereitschaft gewinnen können.
Nachdem dieser absurde Vorschlag Gott sei Dank
vom Tisch ist, auch aufgrund der Intervention führender
ostdeutscher Abgeordneter aus der Regierungskoalition
- das soll ausdrücklich anerkannt werden -, stellt sich
der Bundesfinanzminister hin und fordert, jetzt müsse
aber erklärt werden, wie wir denn das Haushaltsloch, das
dadurch entstehe, dass wir den Feiertag nicht streichen
wollten, stopfen wollten. Meine sehr geehrten Damen
und Herren, die Fraktion der Freien Demokratischen
Partei hat 350 Anträge gestellt, wie im Haushalt gespart
werden kann. Jeden dieser Anträge haben Sie abgelehnt.
Sie haben kein Recht, von uns weitere Sparvorschläge
zu verlangen.
({11})
Ich will zum Schluss sagen: In meinen Augen braucht
jedes Land ein gesundes Maß an Verfassungspatriotismus. Der 3. Oktober gehört dazu. Ein französischer
Finanzminister, der den 14. Juli streichen wollte,
({12})
oder ein amerikanischer Finanzminister, der den 4. Juli
streichen wollte, wäre nicht mehr im Amt. Es wäre das
Beste, wenn auch Herr Eichel nach einem solchen Desaster nicht mehr im Amt wäre, in Mittäterschaft mit
dem Bundeskanzler.
({13})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Cornelie SonntagWolgast, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Herr Westerwelle, das Thema verlangt Sachlichkeit und
Ruhe und nicht das Geschrei, das Sie soeben wieder angestimmt haben.
„Anleitung zum Glücklichsein“ überschrieb der „Tagesspiegel“ Anfang dieser Woche einen Leitartikel. Nun
war das auf den 9. November bezogen, diesen Schicksalstag der Deutschen, der mit schändlichen wie auch
mit stolzen Ereignissen verbunden ist. Der 3. Oktober
- da haben Sie völlig Recht - steht für die ungeteilte
Freude an der deutschen Einheit, unabhängig von den
vielen Enttäuschungen, der Skepsis und den Zukunftsängsten, die gerade in diesen Wochen und Monaten spürbar sind. Dennoch gibt es diese ungeteilte Freude und sie
verlangt tatsächlich, gewürdigt und ausgelebt zu werden - auch mit der Magie eines bestimmten Datums,
nämlich des 3. Oktobers.
Das ist vielen von uns - ich gestehe: auch mir - während der kurzen, heftigen Debatte der vergangenen Tage
klarer geworden. Die Geschichte der deutschen Einheit
ist von der Willensbildung des Volkes geprägt, von der
Willensbildung von unten.
({0})
Das kennzeichnet die Stimmungslage.
Ich begrüße es sehr, dass über Gedenktage ein Disput,
eine Diskussion in Gang gekommen ist.
({1})
Viele von uns haben es in den Diskussionen mit den Bürgern, in Telefonaten, an Briefen und E-Mails gemerkt.
({2})
Wie gesagt, ich finde den Disput gut und richtig.
({3})
Das Signal ist deutlich: Der 3. Oktober bleibt. Deshalb ist unter die Überlegungen, den Tag der Deutschen
Einheit auf den ersten Oktobersonntag zu verlegen, ein
klarer Schlussstrich gezogen. Wir brauchen diese
Aktuelle Stunde überhaupt nicht,
({4})
schon gar nicht dieses merkwürdige, verunglückte Manöver, das Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen von der
CDU/CSU, am Mittwoch - aus Ihrer Sicht: leider vergeblich - zu veranstalten versucht haben.
({5})
Ich begrüße den schnellen Abschluss dieser Überlegungen. Jeder - auch die Bundesregierung - hat das
Recht, aus der Intensität öffentlicher Reaktionen zu lernen.
({6})
Daraus die Konsequenzen zu ziehen ist glaubwürdig und
ehrlich.
Nun aber zur parlamentarischen Auseinandersetzung.
Jeder Oppositionspolitiker hat das Recht auf kräftige Gegenargumente; das muss so sein. Er sollte aber bei der
Wahrheit bleiben. Es stimmt einfach nicht, dass der Tag
der Deutschen Einheit abgeschafft oder gestrichen werden sollte, wie Sie das heute wieder behaupten. Es
stimmt allerdings, dass der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident, der heute vom wichtigsten Symbol für die nationale Identität und den Zusammenhalt der
Deutschen spricht, vor zehn Jahren auch die Verlagerung
des Festtages ins Gespräch gebracht hat,
({7})
als es um die Finanzierung der Pflegeversicherung
ging. - Frau Kollegin Mantel, können Sie bitte warten,
bis ich den Satz zu Ende geführt habe?
({8})
- Es ging damals um den Vorschlag zur Pflegeversicherung. Liebe Kollegin, jetzt ging es um Wachstumsimpulse und finanzielle Entlastungen in wirtschaftlich sehr
schwierigen Zeiten. Beides sind keine unehrenhaften
Motive.
({9})
Herr Kollege Westerwelle, die Opposition hat bis auf
den heutigen Tag sinnvolle Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung wie den Subventionsabbau blockiert.
({10})
CDU/CSU und FDP gefallen sich stattdessen in einem
Wirrwarr aus Vorschlägen und Pseudoalternativen. Ich
nenne Christi Himmelfahrt und den 1. Mai - das waren
quasi Retourkutschen ({11})
sowie die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche als Frontalangriff gegen Arbeitnehmer und Gewerkschaften.
({12})
Hier wird dann auch klar, wer den Beschäftigten wirklich deutlich mehr Arbeit zumuten möchte. Wenn ich mir
diesen Wirrwarr ansehe, dann merke ich, dass das nicht
sonderlich ernst zu nehmen ist.
({13})
Etwas ganz anderes ist allerdings ernst zu nehmen,
nämlich die Verleumdung des Bundeskanzlers als Vaterlandsverräter. Diese Wortwahl erweckt düstere Erinnerungen, zum Beispiel an die Kampagne gegen Willy
Brandt in den 50er- und 60er-Jahren.
({14})
Herr Kollege Nooke, deswegen appelliere ich mit allem
Nachdruck an Sie, diese Verunglimpfung sofort, am besten noch heute Nachmittag, zurückzunehmen. Das wäre
ein guter Akt.
({15})
Nächster Redner ist der Kollege Arnold Vaatz, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Kollegin Sonntag-Wolgast, wenn ich richtig unterrichtet
bin, dann stammt der Ausdruck Vaterlandsverräter von
Ihrem Kollegen Carsten Schneider. Soviel ich weiß, lautete das in der „taz“ veröffentlichte Zitat korrekt: „Jetzt
können Sie uns wieder Vaterlandsverräter nennen.“
({0})
- Ich weiß nicht, ob Sie das Nächste auch ironisch gemeint haben. Sie haben nämlich unfreiwillig gesagt, dass
Sie einen gewissen Lernprozess durchlaufen und festgestellt haben, dass der 3. Oktober der Willensbildung des
Volkes entsprungen ist und ihr dient. Da können Sie einmal sehen, wie wenig die Kreise, in denen Sie Ihre Willensbildung betreiben, mit dem Volk in Deutschland
noch gemein haben.
({1})
Das beginnt mit dem Datum, an dem Sie mit diesem
Ansinnen an die Öffentlichkeit getreten sind. Wir waren
gerade dabei, den 15. Jahrestag des Herbstes 1989 zu begehen. Das sind in der Tat Ereignisse, auf die wir stolz
sein können.
({2})
Ich frage Sie, wo es in der deutschen und meinetwegen
auch in der europäischen Geschichte Ereignisse von vergleichbarer Dimension und Wirkung gegeben hat und ob
sich die gesamte strategische Lage Mitteleuropas irgendwann einmal von unten zum Guten, nämlich zu Demokratie, Freiheit und Rechtstaatlichkeit, entwickelt hat,
ohne dass ein Tropfen Blut vergossen worden und es zu
einem Krieg gekommen ist und ohne dass sich Nachbarn
bedroht fühlen mussten. Das ist der Herbst 1989.
({3})
Nun nutzen Sie den 15. Jahrestag dieses Herbstes
dazu, den Endpunkt dieser Entwicklung - genau das ist
nämlich die deutsche Wiedervereinigung am 3. Oktober,
die von Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher mit
großer politischer Souveränität betrieben und vollendet
worden ist ({4})
nach Möglichkeit aus dem Gedächtnis der Ostdeutschen
zu streichen, weil Sie ihn als Datum abschaffen und auf
einen beliebigen Sonntag verlegen wollen, der überhaupt
nichts mehr mit dem Tag der deutschen Wiedervereinigung zu tun haben muss. Das ist Ihr wirkliches Ziel.
({5})
Die Frage, Frau Sonntag-Wolgast, wie Sie auf diese
Idee kommen konnten, erklärt sich ganz schnell. Ich
möchte Ihnen dazu ein Zitat vorlesen. Der Oberbürgermeister von Kassel hat in einem hessischen SPD-Blättchen noch im November 1989 Folgendes geschrieben:
Die deutsche Frage steht derzeit als akute Frage der
Wiedervereinigung entgegen aller Demagogie auch
vonseiten rechter CDU/CSU-Kreise … nicht auf
der weltpolitischen Tagesordnung. Diejenigen, die
derzeit von Wiedervereinigung daherreden, haben
aus der Geschichte nichts gelernt und darum auch
keine vernünftige realitätsnahe Perspektive. Zusätzlich unterminiert das Wiedervereinigungsgetöse
alle Ansätze einer vernünftigen deutsch-deutschen
Politik und geht … am Selbstbestimmungsrecht der
Menschen hüben wie drüben vorbei.
({6})
Das ist Originalton Hans Eichel im Herbst 1989.
({7})
Der niedersächsische SPD-Spitzenkandidat Schröder
hat im Mai 1989 gesagt, er könne sich eine Einheit, die
die Wiederherstellung des Nationalstaates zum Ziel
hätte, nicht vorstellen. Dies hat unser heutiger Bundeskanzler Gerhard Schröder gesagt. Diese Worte beweisen,
dass Sie, die Sozialdemokraten, die Wiedervereinigung
entweder überhaupt nicht oder nur partiell gewollt haben.
({8})
Diesen Worten haben Sie Taten folgen lassen. Es sind
der Ministerpräsident Lafontaine und der Ministerpräsident Schröder gewesen, die schließlich dem Einigungsvertrag die Zustimmung versagt haben, weil sie die deutsche Einheit nicht wollten.
({9})
Frau Sonntag-Wolgast, weil Sie dieser 3. Oktober
Jahr für Jahr an Ihr kollektives intellektuelles Versagen
und Ihre Geschichtslosigkeit erinnert, mögen Sie diesen
Tag nicht und möchten ihn aus dem Gedächtnis der
Deutschen streichen.
({10})
Vielen Dank.
({11})
Nächster Redner ist der Kollege Werner Schulz,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
- Ich bitte die Anwesenden auf der Regierungsbank, ruhig zu sein und sich auch nicht in dieser Lautstärke zu
unterhalten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was wir
hier erleben, ist eine verspätete Debatte zu einem eigentlich längst erledigten Thema, und zwar an einem Freitagnachmittag, wodurch es eher zu einer Feierabend- als
Feiertagsdebatte wird.
({0})
- Ich weiß nicht, was Sie danach machen, aber das Plenum ist hiernach auf jeden Fall zu Ende.
({1})
Ich sehe durchaus ein, dass wir über dieses Thema
eine längere Debatte hätten führen können. Offensichtlich hat der Kollege Vaatz diese ausstehende Patriotismusdebatte, die Sie nach dem Fall Hohmann innerparteilich führen wollten, mit dieser Aktuellen Stunde
verwechselt. Vielleicht möchte er sie gerne führen.
({2})
Ich möchte diesem Thema gar nicht ausweichen, weil
die Idee, den 3. Oktober als kalendarischen nationalen
Wandertag zu veranstalten, sicherlich im doppelten
Sinne eine fixe Idee war. Sie war so fix verschwunden,
wie sie aufgetaucht war.
({3})
Der Feiertag an sich sollte nicht abgeschafft werden,
Kollege Westerwelle, sondern nur dauerhaft auf einen
Sonntag verlegt werden.
({4})
- Ich verstehe Ihre Heiterkeit. Möglicherweise ist erst
spät aufgefallen, dass der Nationalfeiertag irgendwann
auf den 7. Oktober gefallen wäre. Das hätte vielleicht zu
einem Potpourri sämtlicher Nationalhymnen und zu einem Freudenfest der Fans von Egon Krenz geführt. Das
ist den Ideengebern wahrscheinlich erst später bewusst
geworden.
({5})
Ich will über die tieferen Ursachen, wie man überhaupt darauf kommen kann, einen solchen Feiertag zu
verschieben, reden. Das ist eine ernsthafte Debatte. Wir
haben eigentlich keinen Nationalfeiertag. Das ist das
Problem. Der 3. Oktober ist nie in den Herzen der Menschen angekommen.
({6})
- Nein. - Wir haben ihn als Ersatz für den 17. Juni kreiert, den Tag, an dem immer die Reden zur Lage der Nation gehalten worden sind. Heute reden wir am
3. Oktober zum Thema „Stand der deutschen Einheit“.
Jeder, der wie ich in der Volkskammer erlebt hat, wie der
3. Oktober zustande gekommen ist - der Kollege Günter
Nooke wird sich noch daran erinnern; wir hatten beide
unser Problem mit dem 3. Oktober,
({7})
waren in derselben Fraktion und hatten dieselben Argumente -, kann sich erinnern, dass man im September fieberhaft nach einem Datum gesucht hat, das vor dem
7. Oktober liegt, um die dahinsiechende DDR nicht noch
den 41. Jahrestag erleben zu lassen. Es fand sich aber
kein historisches Datum. Deshalb hat man den
3. Oktober genommen, den Todestag von Franz Josef
Strauß. Da hat sich eher eine alte Männerfreundschaft
verwirklicht, als dass damit etwas Nationales geschehen
wäre.
Der eigentliche nationale Feiertag, Gedenktag,
Schicksalstag wäre der 9. November - das ist uns allen
bewusst -,
({8})
Werner Schulz ({9})
weil sich in diesem Datum 150 Jahre Demokratie und
Freiheitsgeschichte, die schlimmsten und die schönsten
Seiten der deutschen Geschichte treffen. Das wäre das
eigentliche Datum. Es gäbe eigentlich viele gute Gründe,
über die Verschiebung des Nationalfeiertages zu reden.
({10})
Ich persönlich halte aber nichts von einer feiertagsbereinigten Berechnung des Bruttoinlandsprodukts, um das
gleich zu sagen. Das bringt nichts. Es sind absurde Vorstellungen ins Kraut geschossen. Jeder durfte einmal seinen Lieblingsfeiertag nennen, den er abschaffen wollte.
Ich finde, das ist eine absurde Diskussion, die wir führen.
({11})
Vielleicht korrespondiert unsere momentane mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mit der Unfähigkeit zu feiern. Die Chinesen beispielsweise - wir fahren bald nach China und schauen uns das chinesische
Wirtschaftswunder an - feiern die Gründung der Volksrepublik China fünf Tage lang. Man kann also durchaus
an einem Feiertag Nationalbewusstsein zeigen.
({12})
Ich halte nichts von der Debatte, die Arbeitszeiten auszuweiten. Unser Problem ist nicht, dass zu wenig gearbeitet wird, sondern dass es zu wenige Arbeitsplätze
gibt.
({13})
Diese Debatte ist glücklicherweise beendet. Wir sollten sie nicht weiterführen.
({14})
Das kostet Kraft und Energie. Wir sollten vor allen Dingen nicht mit Riesenkanonen oder der Dicken Berta auf
Spatzen oder längst zerzauste kleine Vögelchen schießen.
({15})
Das würde ich jedenfalls allen dabei raten.
({16})
Der nächste Redner ist der Kollege Joachim Günther,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In dieser Woche vor 15 Jahren strömten Tausende DDRBürger über die Grenze. Die Bilder der Berliner Mauer
in der Nacht der Grenzöffnung, dem 9. November, sind
uns noch in guter Erinnerung. Wer diese Bilder im Hinterkopf hat, der weiß, dass Deutschland damals in einem
Freudentaumel war. Ein Jahr später, an diesem
3. Oktober, wurde der berühmte Ruf „Wir sind ein Volk“
Realität. Dieser Ruf, der von den Demonstrationen im
Osten ausgegangen ist, hat mit Sicherheit für viele dieser
Bürger auch heute noch eine immense Bedeutung.
({0})
Am 3. Oktober 1990 konnten wir eines der schlimmsten Kapitel der deutschen Geschichte - ich ziehe den Bogen von der braunen Diktatur bis zur Spaltung Deutschlands - erfolgreich beenden. Die deutsche Einheit in
Frieden und Freiheit wurde begeistert aufgenommen.
Eine Nation, die so viele Tiefen durchleben musste und
die schließlich eine friedliche und unblutige Revolution
vollbrachte, hat endlich ein Symbol, mit dem sie sich in
der Welt wieder sehen lassen kann.
({1})
Heute, 15 Jahre später, kommt die Bundesregierung
auf die Idee, dieses Symbol ökonomischen Zwängen zu
opfern. Sie müssen sich heute schon fragen lassen: Wie
schlimm ist es um diese Bundesregierung bestellt, wenn
sie für ein paar Millionen Euro einen feststehenden Nationalfeiertag verändern will?
({2})
Im Finanzministerium scheint das blanke Chaos zu
herrschen. Der Herr der Löcher - er ist anscheinend
heute wieder in einem verschwunden - greift nahezu zu
jedem Strohhalm, um angebliches Wirtschaftswachstum
herbeizubringen. Wer dieser Ideologie unterliegt, wer
solche Berater hat, die selbst vor dem deutschen Nationalfeiertag nicht zurückschrecken, der muss sich ernsthaft fragen lassen, ob er seinem Eid, dem Wohl des deutschen Volkes zu dienen, voll gerecht wird.
({3})
Als ein Parlamentarier, der aus Sachsen kommt, der bewusst und aktiv die deutsche Einheit mitgestaltet hat, bin
ich deshalb mehr als froh - und deswegen können Sie
jetzt ganz ruhig sein -,
({4})
dass diese abstruse Idee selbst in Ihrer eigenen Koalition
keine Mehrheit gefunden hat.
Dass wir Reformen brauchen, ist unumstritten; viele
haben darauf hingewiesen. Aber vor allem den Menschen in den neuen Bundesländern kann man nicht fehlende Flexibilität vorwerfen. Die Menschen mussten
sich mehrfach auf neue Realitäten einstellen und haben
das zum Teil mit bewundernswertem Mut getan. Sie haben häufig schneller als andere erkannt, dass zum Beispiel geringerer Lohn und längere Arbeitszeiten ihre Arbeitsplätze mit sichern. In Sachsen sind zum Beispiel die
Joachim Günther ({5})
Metallarbeiter nicht dem Ruf der Gewerkschaftsfunktionäre aus Frankfurt am Main gefolgt und haben für die
35-Stunden-Woche gestreikt.
({6})
Heute wundern sich einige, dass die Arbeitsplätze in der
Automobilzulieferindustrie und in der Automobilindustrie im Osten Deutschlands nicht angegriffen werden,
während woanders Arbeitsplätze abgebaut werden.
Wir brauchen eine zukunftsorientierte Politik, an die
die Menschen wieder glauben. Unser Problem ist die stagnierende Wirtschaftssituation, aber auch der stagnierende private Konsum. Die Bürger haben eben kein Vertrauen. Wir Deutschen setzen unsere Zukunft aufs Spiel,
und zwar nicht - das will ich bewusst sagen -, weil wir
verschwenderisch leben, sondern weil wir zu wenig in
die Zukunft investieren und zu unsicher mit dem Sozialstaat umgehen. Dort sind treffsicherere und rationale
Entscheidungen dringend notwendig.
Hier schließt sich der Kreis zur Feiertagsdebatte. Natürlich ist es an einigen Stellen sinnvoll, länger zu arbeiten, aber wir dürfen eben nicht pauschal die 40-StundenWoche oder die Abschaffung von Feiertagen fordern.
Wir müssen den Betrieben die Möglichkeit geben, flexibel im internationalen Wettbewerb zu bestehen.
({7})
Überlassen wir es also mehr den Tarifpartnern, vor allem
den Arbeitgebern und Arbeitnehmern vor Ort, denn die
wissen am besten, was für ihren Betrieb und für ihren eigenen Arbeitsplatz gut ist.
Die Ministerien sollten gefälligst Schnellschüsse unterlassen, die, wie in diesem Fall, viele Menschen verärgern und nichts voranbringen.
Zum Abschluss: Ein kleiner Blick in diesen Saal genügt meines Erachtens, um zu sehen, welche Parteien für
die deutsche Einheit stehen. Schauen Sie sich einmal
um.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat der Kollege Peter Danckert, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich weiß nicht, ob diese Art von Debatte, in der wir uns
gegenseitig aus einem solchen Anlass das Verständnis
für die deutsche Einheit und für Gesamtdeutschland um
die Ohren hauen, die Menschen draußen erfreut.
({0})
Zu dem absurden Hinweis des Kollegen Günther, die zufällige Anwesenheit bei dieser Debatte sage irgendetwas
aus,
({1})
möchte ich nun auch etwas sagen, obwohl ich mir das eigentlich verkneifen wollte, lieber Herr Günther: Wir als
Parlament haben gemeinsam mit den Ländern am
3. Oktober in Erfurt den Tag der Deutschen Einheit gefeiert. Ich will Ihnen nun einmal sagen, wer an diesem
Ereignis, zu dem wir gerufen waren, teilgenommen hat.
({2})
Ich zähle nicht die Namen auf, nenne aber ein paar Zahlen: Von der SPD waren 15 Abgeordnete da, von der
CDU 6, von der CSU 2, von der FDP 4, von der PDS 2
und von den Grünen 2.
({3})
Dabei hätten wir eigentlich von Amts wegen vor Ort sein
müssen, lieber Kollege Günther; denn das Parlament
sollte an diesem Tag zusammentreffen. Wir waren
schließlich alle eingeladen. Angesichts Ihrer mickrigen
Beteiligung an diesem Ereignis, lieber Herr Westerwelle,
muss ich allerdings feststellen: Das wäre für mich auch
ein Maßstab. Lassen Sie uns nicht solche Argumente
vorbringen. Das ist doch unter Niveau.
({4})
Damit Sie erfahren, wer an der Veranstaltung am
3. Oktober in Erfurt teilgenommen hat, habe ich die Zahlen und die Namen der Vertreter Ihrer Partei mitgebracht.
({5})
- Ich frage ja auch nicht. Sie müssen keine Rechenschaft
darüber ablegen, wo Sie an diesem Tag waren. Ich hoffe
aber, dass Sie nicht zu Hause geblieben sind und sich die
Feier im Fernsehen angesehen haben.
Jedenfalls haben sehr wenige unserer Kollegen an der
Feier zum Tag der Deutschen Einheit in Erfurt teilgenommen. In Magdeburg war es nicht viel besser; auch
dort waren Sie sehr schlecht vertreten. Das sollten Sie
zur Kenntnis nehmen.
Über die Idee, den 3. Oktober als Feiertag zu streichen, kann man durchaus streiten. Der Kollege Schulz
hat von einer fixen Idee gesprochen. Sie ist sehr schnell
wieder zu den Akten gelegt worden. Das ist auch in Ordnung. Das Vorhaben hatte aber den Vorteil, dass wir gemeinsam darüber diskutieren, wie es sich mit dem
3. Oktober als Feiertag verhält.
Ich erinnere daran, dass die Diskussion um den
9. November herum begann. Ich persönlich war emotional sehr bewegt, als am 8., 9. und 10. November in den
Medien dieser Tage und der Nacht gedacht wurde, als
die Mauer fiel. Viele werden sich daran erinnern und
sich gefragt haben, wo sie selber an diesem Abend waren und wie sie das empfunden haben. Einige Kollegen
waren im Gegensatz zu mir möglicherweise schon damals im Bundestag; andere verbinden vielleicht ihr eigenes persönliches Erlebnis damit. Jeder von uns war emotional berührt, glücklich und dankbar. Der eine oder
andere hat auch Tränen vergossen. Das war der
9. November. Man kann mit Fug und Recht sagen, dass
dieser Tag - in diesem Zusammenhang könnte man auch
die Demonstrationen in Leipzig erwähnen - den entscheidenden Anstoß gegeben hat. Wir haben uns aber
nicht dazu entschlossen, diesen Tag zum Feiertag zu machen. Stattdessen haben wir den 3. Oktober gewählt. Das
halte ich auch für richtig.
Ich finde es in Ordnung, dass diese Idee gleich wieder
zu den Akten gelegt worden ist. Aber seien wir doch ehrlich: Was die gegenseitigen Verletzungen angeht, haben
Sie sich anlässlich dieser Debatte richtig hervorgetan,
Herr Vaatz.
({6})
Ich finde es nicht in Ordnung, einen solchen Anlass zu
benutzen, um den einen oder anderen verächtlich zu machen.
({7})
Lassen Sie Ihr Temperament zu Hause! Schreiben Sie
ihnen einen Brief, wenn Ihnen etwas nicht passt! Es geht
aber nicht an, im Plenum so fetzige Worte zu wählen.
({8})
Ich persönlich kann mir vorstellen, dass man mit derselben Überzeugung am Vorabend des 3. Oktobers dieses Feiertags gedenkt und feiert wie am 4. Oktober. Das
ist an den Tagen um den 9. November herum nicht anders.
({9})
Es ist schlicht absurd, das nach dem Motto „Ihr seid weniger für Deutschland als wir; wir sind die guten Deutschen und ihr seid die schlechten“ zur Kardinalsfrage zu
erklären.
({10})
Alle hier im Parlament stehen zu diesem Deutschland
und sind froh darüber, dass Deutschland wiedervereinigt
ist.
Wir sollten uns in diesem Zusammenhang keine so lächerliche Debatte gönnen.
({11})
Wir sollten vielmehr das hervorheben, was uns in dieser
Frage vereint, nämlich dass wir zu Deutschland stehen
({12})
und alles unternehmen, um Deutschland voranzubringen.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat jetzt der Kollege Günter Nooke von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Danckert, erlauben Sie mir eine Bemerkung,
weil wir eine sachliche Debatte führen wollen. Die
CDU/CSU ist in vielen Städten und Kommunen die einzige Partei, die am 3. Oktober Veranstaltungen organisiert, an denen wir auch häufig als Redner teilnehmen.
Deshalb sind wir bei der zentralen Veranstaltung in geringerer Zahl vertreten.
({0})
Ich wollte mit einer positiven Nachricht beginnen, um
die Debatte zu versachlichen. Die gute Nachricht lautet:
Es hat nur 48 Stunden gedauert, bis Bundesregierung
und Koalition das absurde Vorhaben,
({1})
den Tag der Deutschen Einheit abzuschaffen, selbst beerdigten und diesen untauglichen Versuch zur Erhöhung
der Wirtschaftskraft in Deutschland ad acta legten. Das
wollen wir einfach festhalten. Natürlich hat es erst des
Einspruchs des Bundespräsidenten bedurft. Seinen Einspruch halte ich übrigens für völlig angemessen und notwendig.
({2})
Aber welch eine Regierung hat Deutschland, wenn sie
überhaupt auf den Gedanken kommen kann, den einzigen Nationalfeiertag der Deutschen abzuschaffen?
Das ist die schlechte Nachricht: Bundeskanzler
Gerhard Schröder und Finanzminister Eichel zeigen
nicht nur mangelnde Wirtschaftskompetenz, sondern
präsentieren sich auch als Politiker ohne Sinn und Verstand sowie ohne Gespür für das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen. Statt den 9. November 1989
und den 3. Oktober 1990 - kurz vor dem jährlichen Gedenken an diese Tage ist die Debatte losgetreten worden -, als glücklichste Momente deutscher Geschichte
im Bewusstsein aller Deutschen zu verankern, weil sie
als Teil der friedlichen Revolution vom Herbst 1989 den
Weg zur staatlichen Wiedervereinigung am 3. Oktober
1990 ermöglichten, will die Bundesregierung diesen Teil
unserer nationalen Geschichte offenbar vergessen machen.
({3})
Die friedliche Revolution vom Herbst 1989, die einzig
erfolgreiche Freiheitsrevolution in Deutschland, und die
staatliche Wiedervereinigung von Ost und West stehen
ganz oben auf der Habenseite deutscher Geschichte.
Darüber sind wir uns hoffentlich einig.
({4})
Im September 1949 beklagte der damalige Bundespräsident Theodor Heuss in seiner Antrittsrede, dass Demokratie „nicht von den Deutschen erkämpft“, sondern
quasi immer nur „als letzte, als einzige Möglichkeit
kam“, wenn „der Staat in Katastrophen und Kriegen zusammengebrochen war“. Wer sich dieser Aktiva deutscher Geschichte nicht mehr erinnern will, verrät in der
Tat 15 Jahre später die deutsche Einheit noch einmal.
({5})
Schröder und Eichel waren 1989, ja sogar noch 1990
gegen die Wiedervereinigung. Das wollen wir Ihnen
heute nicht anlasten. Aber Sie selbst haben mit Ihrem
Vorschlag zur Abschaffung des Tages der Deutschen
Einheit, diesem Fauxpas,
({6})
an Ihren eigenen historischen Irrtum erinnert und dem
Verdacht Nahrung gegeben, dass Sie noch immer ein
Problem mit der deutschen Einheit haben.
({7})
Es liegt sogar der Verdacht nahe, Sie seien noch immer
nicht im wiedervereinigten Deutschland angekommen.
Was vielen Ostdeutschen manchmal vorgeworfen wird,
das trifft auf den Bundeskanzler der Bundesrepublik
Deutschland zu: fremd im eigenen Land. Statt für die
übergroße Mehrheit der Deutschen zu sprechen, beschäftigt er sich mit den Fehlern der eigenen Biographie.
1989/90 ging eine weltweite Blockkonfrontation von
Atommächten und ein schreckliches, menschenverachtendes Grenz- und Unrechtsregime mitten in Europa
friedlich zu Ende. Von deutschem Boden ist nicht nur
kein Krieg ausgegangen, sondern sogar die friedliche
Wiedervereinigung Europas. Es gibt nicht den geringsten Zweifel - das Ausland schaut fassungslos auf die
Bundesregierung -, dass uns Deutschen diese Geschichte einen arbeitsfreien Tag im Jahr wert sein sollte.
Es gibt nicht nur ökonomische Probleme und Haushaltsprobleme in Deutschland. Unsere Situation, über
die wir hier oft diskutieren, hat auch mit der Misere zu
tun, dass das Gesellschaftsbild nicht stimmt, weil Stolz
auf das eigene Land diffamiert, das Vaterland nicht geliebt und die Kulturnation nicht geachtet werden darf.
Patriotismus heißt Vaterlandsliebe. Wir müssen auch
über Werte sprechen und uns darüber verständigen lernen.
({8})
Frau Sonntag-Wolgast, noch ein abschließendes Wort
zu den „vaterlandslosen Gesellen“: Bundeskanzler
Gerhard Schröder selbst hat Unternehmer, die im Ausland investieren, als vaterlandslose Gesellen und Vaterlandsverräter beschimpft. Das ist in einer Kolumne der
„Frankfurter Rundschau“ vom 26. März dieses Jahres
nachzulesen. Da mag vielleicht etwas dran sein. Aber
diese Leute verhalten sich im ökonomischen System rein
rational. Das finde ich zwar nicht gut und das kann man
kritisieren. Aber der Bundeskanzler ist über ökonomische Fragen hinaus verantwortlich für das nationale Zusammengehörigkeitsgefühl. Aufgabe der Regierung
wäre gewesen, den besten Teil deutscher Geschichte,
den Zeitraum von 1989 bis 1990, zu nutzen, um bei allen
Deutschen wieder eine positive Einstellung zum Vaterland zu wecken, also echte Vaterlandsliebe. Herr Kollege
Scholz, aus dieser jüngsten deutschen Geschichte kann
in der Tat so etwas wie Patriotismus erwachsen. Deutsche sind für Freiheit sowie für Demokratie und Menschenrechte auf die Straße gegangen und haben damit
eine eigene, erfolgreiche Freiheitstradition begründet.
Die „Frankfurter Rundschau“ kommentierte am
4. November 2004 den Nationalfeiertag als das für Ostdeutsche „entscheidende Symbol für eine angemessene
Würdigung des Schlüsselereignisses der jüngeren deutschen Geschichte“. Seine Abschaffung sei für viele Ostdeutsche undenkbar. Die Zeitung schlussfolgerte:
Der CDU-Abgeordnete Günter Nooke sagt nur,
({9})
was viele von Eichel und Kanzler Gerhard Schröder
denken: „Vaterlandsverräter“.
({10})
- Darf ich noch zu Ende sprechen?
Ich will Ihnen zum Schluss noch ein Angebot machen. Ich gebe gern zu, dass das nicht der differenzierteste Beitrag zur Debatte war. Wir sollten gemeinsam alles dafür tun, dass dieses Wort in Zukunft nicht mehr
nötig ist und dass der 3. Oktober als nationaler Feiertag
dauerhaft erhalten bleibt. Einverstanden?
({11})
Für die Bundesregierung hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Ditmar Staffelt das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zunächst möchte ich ein kurzes Wort an Herrn
Vaatz richten. Sie sollten sich einmal mit der Frage auseinander setzen, ob diese Form der ehrabschneidenden
Diskussion geeignet ist, um Deutschland weiterzubringen.
({0})
Wir haben die Verantwortung, dieses Land zu versöhnen
und nicht zu spalten.
({1})
Ich jedenfalls als Berliner Sozialdemokrat lasse mir
von Ihnen nicht einreden, dass die deutsche Sozialdemokratie in ihrer Geschichte nicht immer für die Einheit unseres Landes eingestanden ist.
({2})
Viele Sozialdemokraten haben ihr Leben lassen müssen,
weil sie für Freiheit und Demokratie, weil sie für die
Einheit dieses Landes eingetreten sind. Bitte beschmutzen Sie diese aufrechten Demokraten durch derartige
Reden nicht länger! Jedenfalls verbitte ich mir das für
die gesamte deutsche Sozialdemokratie.
({3})
Ich erinnere Sie darüber hinaus an die Tatsache, dass
alle sozialdemokratischen Bundeskanzler in besonderer
Weise ({4})
- Sie sagen gerade „Egon Bahr“; das passt mir gut in den
Kram. Sie kennen vielleicht den Brief zur deutschen
Einheit von Willy Brandt im Zusammenhang mit dem
Moskauer Vertrag. In diesem Brief wird ausdrücklich
darauf verwiesen, dass dieser Vertrag in gar keiner Weise
das Ziel der deutschen Politik, Deutschland wiederzuvereinen und die Einheit unseres Landes wiederherzustellen, aufgibt.
({5})
Hier gibt es eine Kontinuität sozialdemokratischer
Deutschlandpolitik.
({6})
- Hören Sie bitte bloß auf! - Ich jedenfalls empfinde
diese Form der Diskussion als beleidigend. Ich glaube
im Übrigen, dass sie in der Sache gar nicht weiterführt.
Ich habe schon früher nichts von Diskussionen nach
dem Motto „Hier die Blockflöten und da die anderen“
gehalten.
({7})
- Ja, in der Emotion. Ich habe auf das reagiert, was Sie
uns um die Ohren gehauen haben.
({8})
Gerade in einer so schwierigen politischen Lage wie der
unseres Landes nach dem Zweiten Weltkrieg ist die individuelle Betrachtung eines jeden Einzelnen und eines jeden einzelnen Schicksals die einzige Bemessungsgrundlage für ein Urteil.
({9})
Jede generelle Schelte, jede Verallgemeinerung führen
nur dazu, dass die Menschen nicht zueinander kommen.
Wir haben allen Grund, auf dem Gebiet des Zueinanderfindens noch vieles zu tun.
Da stimme ich im Übrigen mit denjenigen überein,
die sagen: Ja, wir dürfen die Tradition der Wiedervereinigung oder die Tradition des 9. November und auch des
3. Oktober nicht aufgeben. Das wollte aber auch niemand.
({10})
Ich meine sogar, dass es auch für uns Parlamentarier eine
gute Aufgabe wäre, uns mit der Frage auseinander zu
setzen, wie wir die „Termine“ der deutschen Geschichte
noch besser gestalten können, wie wir an die Menschen
näher herankommen können. Das ist eigentlich die Aufgabe, der wir uns stellen müssen.
({11})
Über die Frage „Beibehaltung des 3. Oktober als
Feiertag - ja oder nein?“ kann man trefflich streiten; das
will ich hier gar nicht infrage stellen. In den letzten Jahren hat es aber auch viele andere Diskussionen um das
Thema Arbeitszeit und um das Thema Feiertage - wohlgemerkt: andere Feiertage - gegeben. Das hat natürlich
auch etwas mit ökonomischen Hintergründen zu tun.
Das hat etwas damit zu tun, dass wir allesamt die Aufgabe haben, uns mit unserer Wettbewerbsfähigkeit und
mit der Frage auseinander zu setzen: Wie viel muss in
diesem Lande gearbeitet werden? Wie man das im Einzelnen gestaltet, muss in der politischen und gesellschaftlichen Diskussion, der wir uns insgesamt stellen
müssen, geklärt werden.
({12})
Dass zum Beispiel der bayerische Ministerpräsident immer wieder mit neuen Vorschlägen auf uns zukommt, ist
meines Erachtens in Ordnung. Das kann man wollen
oder verwerfen oder problematisieren; alles das ist möglich.
Lassen Sie uns aber bitte zur Sachlichkeit zurückkehren! Der Kern der Sache besteht für mich in der Frage:
Wie können wir im ökonomischen Bereich selbst in die
Offensive kommen? Was können wir tun, um gegenüber
den Herausforderern anderenorts - in den USA, in
Japan, in Europa, in China, in Indien, in Thailand, in
Brasilien oder in anderen Staaten dieser Welt - weiter
auf einem wettbewerbsfähigen Niveau zu verbleiben?
({13})
- Entschuldigen Sie bitte! Ich winde mich hier überhaupt
nicht! Ich habe gar keinen Grund, mich herauszuwinden.
Das ist ein Teil des Themas. Dieses Thema haben Sie
alle hier angesprochen. Ich will mich ausdrücklich dazu
bekennen, dass wir an dieser Stelle etwas tun wollen.
({14})
Ich persönlich neige dazu, dass wir vor allem mehr
Flexibilität benötigen. Was die Arbeitszeit betrifft, müssen wir dahin kommen, dass da, wo mehr gearbeitet werden muss, auch mehr gearbeitet wird - und umgekehrt -,
dass es da, wo der Zustand, der heute besteht, ausreichend ist, halt so bleiben soll. Also: hohe Flexibilität.
({15})
Ich wiederhole: Die Diskussion um den 3. Oktober
ist, glaube ich, nun letztlich beendet.
({16})
- Wir haben doch vom Bundeskanzler gehört,
({17})
dass dieser Vorschlag nicht mehr zur Debatte steht. Das
ist ein Faktum.
({18})
Nun können wir natürlich weiter über diese Frage polemisieren; ich meine aber, dass das wenig nutzbringend
ist.
Ich sage Ihnen noch eines: Weder das Vokabular von
Ende der 60er-/Anfang der 70er-Jahre zu den deutschen
Ostverträgen noch eine Spaltung des Landes in jene, die
Befürworter oder Protagonisten der Einheit sind, und
jene, die das Ganze gegen ihren Willen haben über sich
ergehen lassen, wird Ihnen helfen. Das ist nicht nur unhistorisch, das entspricht nicht nur nicht der Wahrheit, es
wird Ihnen in der politischen Debatte auch keinerlei Vorteile bringen. Deshalb sollten Sie diese Form der Polemik ein für alle Mal einstellen.
({19})
Das Wort hat die Kollegin Dorothee Mantel von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Staffelt, Sie sind doch nicht wirklich so gutgläubig,
dass Sie dem Schröder glauben, wenn der sagt, es sei
vom Tisch?
({0})
Es tut mir Leid, dass ich angesichts all der Unwahrheiten, die von der SPD im Vorfeld verzapft wurden, zu
Beginn der fünf Minuten hier erst einmal ein bisschen
aufräumen muss.
({1})
Frau Sonntag-Wolgast, ich freue mich immer, wenn
mein Ministerpräsident hier im Hohen Hause Erwähnung findet,
({2})
aber ich muss hier feststellen, dass er das nicht so gesagt
hat, wie Sie es ihm unterstellen.
Zum einen hat er in dieser Woche gesagt: Feiertage
sind das kulturelle Tafelsilber unseres Landes. Wer daran
rüttelt, setzt den Zusammenhalt unserer Gesellschaft
aufs Spiel.
({3})
Zum anderen hat er schon vor zehn Jahren, Frau SonntagWolgast
({4})
- Sie müssen zuhören, um das Zitat auch wirklich verstehen zu können -, gesagt:
({5})
Ich bin nicht bereit, in einer Zeit, in der wir den
Verfall vieler Werte beklagen, gewachsene traditionelle Werte in Bayern in irgendeiner Weise infrage
zu stellen.
({6})
- Erst einmal zuhören und ruhig bleiben; dann versteht
man es auch.
Ich sehe da gar keine Notwendigkeit im Moment.
Ich meine, das ist eine Zuständigkeit des Bayerischen Landtages, Feiertage zu streichen oder nicht
zu streichen. Das ist nicht eine Zuständigkeit des
Bundes. Wenn dem Bund … so sehr daran gelegen
ist, dann stelle ich anheim, soll eben er als Bundestagsabgeordneter
- gemeint ist Herr Geißler Dorothee Mantel
den Antrag stellen, den Tag der Deutschen Einheit
als Feiertag aufzugeben oder ihn auf einen Sonntag
zu verlegen.
({7})
Das war ein wörtliches Zitat von Edmund Stoiber. Es ist
nicht seine Meinung, den Feiertag abzuschaffen.
({8})
- Herr Kollege Danckert, auf Ihre Vorwürfe, die völlig
aus der Luft gegriffen sind, entgegne ich: Wir sind am
3. Oktober bei den Menschen vor Ort. Ich selber komme
aus einem Wahlkreis im ehemaligen Zonenrandgebiet an
der Grenze zu Thüringen.
({9})
Da sprechen wir mit den Menschen, die direkt vom
Mauerfall betroffen waren.
({10})
Ich nenne einmal ein Beispiel, das uns wirklich wichtig
ist.
({11})
Vielleicht sagt Ihnen der Ort Mödlareuth in Oberfranken
etwas. In Mödlareuth feiern jedes Jahr zwischen 5 000
und 10 000 Menschen aus Thüringen, Sachsen und Bayern gemeinsam den Tag der Deutschen Einheit.
({12})
Als Helmut Kohl da war, haben 30 000 Menschen aus
Ost und West gemeinsam gefeiert.
({13})
Diese Menschen draußen werden wir nicht enttäuschen,
indem wir Ihren unsinnigen Vorschlägen zustimmen.
({14})
Der Tag der Deutschen Einheit ist für uns ein freudiger Anlass. Es ist ein Feiertag und er muss für uns auch
ein Feiertag bleiben. Man hat es doch heuer schon gemerkt, als der 3. Oktober auf einen Sonntag fiel. Da war
bei vielen gar nicht mehr das Bewusstsein vorhanden,
dass es sich um einen Feiertag handelt. In vielen Bereichen bekam man gar nichts vom Feiertag mit. Deshalb
muss es weiterhin bei der Regelung bleiben, die es zurzeit gibt.
Ich bin der FDP und dem Herrn Westerwelle wirklich
dankbar, dass sie diesen Punkt heute noch einmal auf die
Tagesordnung gesetzt haben.
({15})
Im Gegensatz zu den Grünen ist uns dieser Tag nämlich
wichtig. Wir würden nicht nur am Freitagnachmittag,
sondern sogar am Samstagabend darüber sprechen, weil
er uns wirklich am Herzen liegt.
({16})
Auch andere Gründe sprechen dafür. So habe ich
heute Morgen - ich bringe ein ganz aktuelles Beispiel gesehen, dass im „Morgenmagazin“ gefragt wurde, wer
sich noch an den Mauerfall erinnern kann. Da war ein
16-jähriger Junge, der vom Mauerfall überhaupt nichts
und vom Tag der Deutschen Einheit nur recht wenig
wusste. Er meinte, er könne sich nicht dazu äußern. Für
diese Generation und nicht für uns, die wir etwas älter
sind und das mitbekommen haben, müssen wir solche
Traditionen also unbedingt aufrechterhalten.
({17})
- Kein Kommentar. - Wir müssen das Auflösen von
Werten und Bindungen abwenden. Mir ist es ganz einfach wichtig, dass wir unsere gemeinsamen Werte nicht
einfach wegen eines Haushaltslochs wegschmeißen.
Hier an dieser Stelle hat unser Bundespräsident gestanden und gesagt: Ich liebe unser Land. - Ich tue das
auch und kämpfe wie ein Tier dafür, dass dieser Feiertag
erhalten bleibt.
Vielen Dank.
({18})
Das Wort hat nun der Kollege Jörg-Otto Spiller von
der SPD.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die deutsche Einheit, die 1990 glücklich wiedererlangt wurde, beruht auf zwei großen Säulen. Zum
einen war es der Kampf der Ostdeutschen um Freiheit,
die die Voraussetzung für die Wiedererlangung der Einheit war. Zum anderen war es die gefestigte, über Jahrzehnte gewachsene Demokratie in der alten Bundesrepublik, die unseren Nachbarn ein vertrauensvoller Partner
war. Gefestigt heißt auch, dass politischer Streit in angemessener Form ausgetragen wird und dass der politische
Wettbewerber, der politische Gegner nicht als Feind betrachtet wird.
({0})
Meine Damen und Herren, ich habe bei der heutigen
Debatte und bei einigen Wortbeiträgen der vergangenen
Tage mit Entsetzen festgestellt, dass dieses gute alte
Fundament unserer Demokratie gefährdet scheint.
Mir hat schon 1994 nicht gefallen, dass über den Tag
der Deutschen Einheit im Zusammenhang mit der Pflegeversicherung diskutiert wurde. Damals gab es einige,
darunter auch Edmund Stoiber, die sich hätten vorstellen
können, dass man den Tag der Deutschen Einheit anders
begeht denn als arbeitsfreien Tag.
({1})
- Das war so. Ich verrate auch kein Geheimnis, wenn ich
sage, dass dieser Vorschlag, wenn die Bundesregierung
ihn in die SPD-Bundestagsfraktion eingebracht hätte,
dort strittig gewesen wäre, genauso wie bei unserem Koalitionspartner.
({2})
Aber, Herr Nooke, Sie haben heute einen sehr vorsichtigen Rückzieher gemacht. Er hätte deutlicher sein
können.
({3})
Sie haben leider eine Sprache gebraucht,
({4})
die zu Ihrer Partei, die eine der Säulen unserer Demokratie ist - die CDU ist eine verlässliche Säule der Demokratie, eine der großen Volksparteien -, nicht passt. Sie
sprechen von Landesverrätern oder Vaterlandsverrätern,
wenn Ihnen eine Meinung nicht passt.
({5})
Das ist die Sprache, Herr Nooke, die vor 80 Jahren in
diesem Saal auf der rechten Seite des Hauses gebraucht
wurde. Da saßen damals nicht die Liberalen,
({6})
sondern die antidemokratischen Hetzer, die gegen
Matthias Erzberger genauso gehetzt haben wie gegen
Walther Rathenau, Friedrich Ebert und Gustav
Stresemann. Diese Sprache gehört nicht in dieses Haus.
({7})
Ich sage Ihnen noch einmal, worum es ging: Der Bundesfinanzminister hat zu erwägen gegeben, dass man
den Tag der Deutschen Einheit künftig nicht mehr am
3. Oktober, sondern am ersten Sonntag im Oktober begeht. Das hätte nicht die Abschaffung des Feiertages bedeutet,
({8})
sondern lediglich eine andere Form, die deutsche Einheit
zu feiern.
Übermorgen wird in Deutschland der Volkstrauertag
begangen, wie an jedem vorletzten Sonntag des Kirchenjahres in Deutschland. In diesem Saal wird die zentrale
Veranstaltung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge stattfinden. Dort werden wir der Gefallenen beider Weltkriege, der zivilen Kriegsopfer, der Opfer der
Nazibarbarei und der Opfer der SED-Diktatur gedenken.
Was nimmt es diesem Gedenktag an Würde, wenn es ein
Sonntag ist, an dem er in diesem Jahr wie in den vergangenen 50 Jahren und auch in Zukunft stattfindet?
({9})
Aber was mir am wichtigsten ist: Gefährden Sie das
nicht durch eine Sprache, die keine demokratische Sprache ist,
({10})
die nicht die Sprache Ihrer Partei ist und eigentlich auch
nicht zu Ihnen, Herr Nooke, als Person passt!
({11})
Ich warne Sie: Bleiben Sie bei dem demokratischen
Prinzip einer Grundachtung zwischen den Parteien dieses Hauses.
({12})
Das ist genauso die Basis unseres Gemeinwesens wie die
Wiedererlangung der Freiheit und Einheit im November
1989.
({13})
Das Wort hat die Kollegin Petra Pau.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als
ich von dieser Absicht hörte, war mein erster Gedanke:
Was haben sich die Jungs eigentlich dabei gedacht,
({0})
ausgerechnet den Tag der Einheit verbannen zu wollen?
Dann habe ich einmal genauer nachgeschaut. Sie haben
die Antwort gleich mitgeliefert: Die Wirtschaft würde
um 0,1 Prozent belebt, so glaubten Sie. 0,1 Prozent ist
exakt 1 Promille. Es war also schlicht eine Schnapsidee.
({1})
Aber wie so oft gilt: In vino veritas. Tatsächlich
steckte in diesem Vorschlag ein Fünkchen Wahrheit.
Denn würde der Tag der Deutschen Einheit künftig immer sonntags begangen, dann wären die vielen Einheitsansprachen auch erkennbar das, was sie zumeist - nicht
alle - sind, nämlich Sonntagsreden und folgenlos.
Übrigens zeigt mir die Anwesenheit im Plenum, wie
wir zu diesem Thema stehen. Gestern haben sich nur die
Hälfte der jetzt anwesenden Kolleginnen und Kollegen
mit dem tatsächlichen Stand der deutschen Einheit und
den damit verbundenen nicht gelösten Problemen zu
später Stunde in diesem Haus befasst.
({2})
Der Alltag sieht ohnehin anders aus als in den Festtagsreden. Nehmen wir nur Hartz IV und das Arbeitslosengeld II. Ossis bekommen per Gesetz weniger als
Wessis - und das im Jahre 15 der Einheit. Einen vernünftigen Grund gibt es dafür nicht - außer man hat eine
geistige Mauer in den Köpfen.
({3})
Nun dachte ich, dieser Schröder/Eichel-Fauxpas sei
nicht zu überbieten. Wie gesagt: dachte ich. Aber ich
wurde in dieser Woche eines Besseren belehrt. Ausgerechnet ein Sprachrohr des Ostens im gesamtdeutschen
Amte kam auf die Idee: Wessis mögen künftig genauso
lange arbeiten wie Ossis, damit die Einheit gelinge. So
bringt man den Aufbau Ost als Alibi für den Abbau West
in Stellung.
Die erneut entflammte Feiertagsdebatte rund um den
3. Oktober zielt aus meiner Sicht ohnehin in die falsche
Richtung. Denn wäre die Zahl der Feiertage ein Indikator für Faulheit oder Schwäche, dann müssten Bayern
und Baden-Württemberg komplett am Boden liegen.
Das tun sie aber offenbar nicht. Deshalb schütteln auch
alle Ökonomen, die nicht börsenverpflichtet sind, sondern sozialstaatlich denken, den Kopf. Denn sie halten
die gesamte Kampagne für längere Arbeitszeiten für
grundsätzlich daneben.
Die PDS im Bundestag findet das auch. Verlängerte
Arbeitszeiten wären gesellschaftlich ein Rückschritt. Mit
Blick auf den Binnenmarkt und die Arbeitslosigkeit wären sie sogar kontraproduktiv. Zu Recht sprach der DGB
dieser Tage von Voodoo-Ökonomie. Oder um sprachlich
im Eingangsbild zu bleiben: Es ist eine Schnapsidee, die
wir ganz nüchtern ablehnen.
({4})
Das Wort hat der Kollege Stephan Mayer von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Diese unsägliche und wirklich beschämende Forderung, den Nationalfeiertag abzuschaffen, ist Gott sei Dank vom Tisch. Dies gilt es, als
positiv zu konstatieren.
Diese Diskussion hat meines Erachtens zwei erwähnenswerte Aspekte zutage gefördert. Die Forderung von
Rot-Grün hat uns zum einen gezeigt, dass Rot-Grün
nach wie vor ein gestörtes Verhältnis zur Nation, zum
Patriotismus und zu Deutschland hat.
({0})
Denn sie ist nicht nur geschichtsvergessen, sondern auch
instinktlos.
Die Forderung, den Nationalfeiertag abzuschaffen,
hat uns zum anderen vor Augen geführt: Wir können
froh sein, dass zur Zeit der Wende 1989/90 Helmut Kohl
und nicht Oskar Lafontaine oder vielleicht Gerhard
Schröder Bundeskanzler war.
({1})
Es ist unsäglich, dass gerade zu einer Zeit, in der das
Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschland ohnehin
große Schwierigkeiten bereitet und es die Tendenz gibt,
dass die beiden Landesteile - vor allem in den Köpfen eher auseinander driften denn zusammenwachsen, eine
solche Forderung auf den Tisch gelegt wurde.
({2})
Die Medienberichterstattung gerade der letzten Tage hat
gezeigt, wie schön dieses Ereignis war und wie glücklich
wir aufgrund dieses Ereignisses sein konnten.
({3})
Es gibt in der langen deutschen Geschichte wenige Ereignisse, über die wir so glücklich sein können wie über
diesen 3. Oktober.
({4})
In der heutigen Zeit eine derartige Forderung in den
Raum zu stellen halte ich für geschichtsvergessen und
unwürdig.
({5})
Feiertage sind identitäts- und sinnstiftend. Herr
Spiller, ich könnte noch einmal das Zitat des bayerischen
Ministerpräsidenten, Dr. Edmund Stoiber, vortragen.
Das didaktische Instrument der Wiederholung soll ja
manchmal durchaus zu Erfolg führen.
({6})
Bei Ihnen, so muss ich offen sagen, glaube ich aber weniger daran. Es gibt nämlich kein anderes Bundesland, in
dem es so viele Feiertage gibt wie in Bayern.
Stephan Mayer ({7})
Gleichwohl ist in Bayern im Vergleich zu den anderen
Bundesländern die Wirtschaftskraft pro Einwohner am
höchsten und die Arbeitslosigkeit am niedrigsten.
({8})
Ein zweiter Aspekt, weswegen ich froh bin, dass
diese Diskussion geführt wurde, ist der, dass nunmehr,
nachdem diese Diskussion hoffentlich ein für alle Mal
beendet wurde, eines klar ist: dass eine Verlängerung der
Arbeitszeit die Wirtschaftskraft insgesamt fördert. Die
Mär der Gewerkschaften, dass man die vorhandene Arbeit nur auf mehr Schultern verteilen müsse, muss spätestens nach dieser Diskussion für immer beendet sein.
Es ist sogar sinnvoll, die Arbeitszeit zu erhöhen.
Wenn Sie darüber debattieren, welcher Feiertag möglicherweise gestrichen werden soll, fällt mir schon einer
ein. Es war Reichskanzler Adolf Hitler, der am 10. April
1933 aus propagandistischen Gründen den Tag der Arbeit ins Leben gerufen hat. Über die Streichung dieses
Feiertages kann man also durchaus sprechen.
Ich möchte aber gar nicht so weit gehen, zu fordern,
Feiertage abzuschaffen. Wir müssen uns allerdings verstärkt mit dem Thema auseinander setzen, wie wir es
verhindern können, dass nicht nur vermehrt Kapital
Deutschland verlässt - Kapital ist ein flüchtiges Reh -,
sondern dass vor allem auch vermehrt Arbeitsplätze
Deutschland verlassen. Jeden Tag verlieren wir in
Deutschland 1 000 Arbeitsplätze.
({9})
Es ist nicht lange her, da hat Gerhard Schröder die
Unternehmer, die teilweise betriebsbedingt Teile ihres
Betriebes ins Ausland verlagern mussten, als vaterlandslose Gesellen bezeichnet. Nach der Diskussion um den
3. Oktober ist klar, wer hier wirklich der vaterlandslose
Geselle ist.
({10})
Wir müssen uns mit dem Thema auseinander setzen,
die Arbeitszeit insgesamt zu erhöhen. Im Durchschnitt
liegt Deutschland im Jahresverlauf um 300 Stunden hinter allen anderen Industrienationen. Es gibt keine Industrienation auf der Welt, in der so wenig gearbeitet wird
wie in Deutschland. Wenn man die Arbeitszeit beispielsweise nur um zwei Stunden in der Woche erhöhen
würde, dann würde dies im Jahr zu ungefähr zwölf Arbeitstagen mehr führen. Man muss also gar nicht an das
Heiligste gehen, daran, Feiertage abzuschaffen. Es
reicht, in der Woche eine oder zwei Stunden mehr zu arbeiten. Dazu muss ich offen sagen: Das schadet letztendlich keinem.
Zum Abschluss möchte ich noch einmal betonen, wie
unsäglich und schädlich Ihre Forderung war. Ich kann an
Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von RotGrün, nur appellieren: Stecken Sie diese Forderung in
die Schublade und sperren Sie sie für jetzt und immer
weg!
({11})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich das Wort dem Kollegen Eckart von Klaeden.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
Ich möchte den Redner der Bundesregierung, Herrn
Staatssekretär Staffelt, ansprechen. Als Sie an das Rednerpult getreten sind und den Kollegen Vaatz angesprochen haben, hatte ich eigentlich erwartet, dass Sie sich
für Ihren Zuruf „Blockflöte“, den Sie nach seiner Rede
gemacht haben, entschuldigen.
({0})
Ich bedaure, dass Sie diese Gelegenheit nicht genutzt haben; denn der Kollege Vaatz gehört wie einige andere in
diesem Hause - in Ihrer Fraktion unter anderem der Kollege Hilsberg, bei den Grünen der Kollege Werner
Schulz - zu denjenigen, die sich zur Zeit der Wende, als
die Möglichkeit bestand, gegen das DDR-Regime vorzugehen, mutig für Freiheit und Demokratie in Deutschland eingesetzt haben.
({1})
Er ist einer derjenigen gewesen, die in Dresden an der
Erstürmung der Stasizentrale beteiligt gewesen sind. Daher würde ich mich freuen, wenn Sie wenigstens persönlich die Gelegenheit wahrnehmen würden, das, was Sie
gesagt haben, zurückzunehmen. Ich jedenfalls freue
mich, dass diese Kolleginnen und Kollegen heute in diesem Hause in unseren Fraktionen mitarbeiten.
({2})
- Herr Kollege Edathy, ehrlich gesagt, finde ich, dass Sie
sich diesen Zwischenruf hätten sparen sollen;
({3})
denn Kollege Hilsberg hat das Verkehrsministerium aus
ganz bestimmten Gründen verlassen, als Herr Stolpe
Verkehrsminister geworden ist.
({4})
Ein nächster Punkt. Herr Staffelt, Sie haben sich stark
echauffiert, weil Kollege Vaatz das Erbe der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die für Demokratie
und Einheit ihr Leben gelassen haben, beschmutzt habe.
Wir achten diese Kolleginnen und Kollegen aus der Sozialdemokratischen Partei ebenso wie die aus unserer
Partei. Aber ich will darauf hinweisen, dass die Beschmutzung, von der Sie gesprochen haben, ausschließlich in Form von Zitaten von Sozialdemokraten stattgefunden hat.
({5})
Es ist schon bemerkenswert, dass Sie meinen, man
könne das Erbe von Sozialdemokraten, die für die Einheit gestorben sind, mit Zitaten von Sozialdemokraten,
die heute auf der Regierungsbank Platz nehmen, beschmutzen.
({6})
Eine weitere Bemerkung - denn eines finde ich geradezu bedauerlich -: Obwohl die verrückte Idee - von einer Schnapsidee möchte man gar nicht sprechen; das
wäre ja, wie Helmut Kohl zu Recht gesagt hat, eine Beleidigung des Wortes Schnaps -,
({7})
den 3. Oktober nicht an diesem Datum, sondern am ersten Sonntag im Oktober zu feiern, wieder zurückgezogen wurde, halten Sie immer noch an diesem Vorschlag
fest, versuchen, ihn zu begründen, oder halten ihn sogar
für richtig.
({8})
Ich finde es bemerkenswert - dazu habe ich einiges lesen
und leider auch hören müssen -, wie schlecht in Ihren
Reihen über den 3. Oktober gesprochen wird.
({9})
Der eben bereits in einem bestimmten Zusammenhang erwähnte Bundesminister Stolpe hat zum Beispiel
erklärt, dass es sich beim 3. Oktober schon immer um
ein „willkürliches Datum“ gehandelt habe. Dieser Aussage will ich gegenüberstellen, was Richard von
Weizsäcker, als er noch Bundespräsident war, am
3. Oktober 1990 dazu gesagt hat:
Der Tag ist gekommen, an dem zum ersten Mal in
der Geschichte das ganze Deutschland seinen dauerhaften Platz im Kreis der westlichen Demokratien
findet.
Von diesem Tag als einem „willkürlichen Datum“ zu
sprechen, das finde ich geradezu abwegig.
({10})
Herr Kollege Spiller, Sie mögen Ihren Geburtstag am
ersten Sonntag des entsprechenden Monats feiern, weil
Sie meinen, dadurch 0,1 Prozent sparen zu können,
({11})
aber ich finde, dass dieser Tag der Geburtstag des wiedervereinten und freien Deutschlands im Westen ist und
dass wir ihn auch an diesem Datum feiern sollten.
({12})
Ich will noch ein Zitat anführen:
Der 3. Oktober - kein Zweifel - ist für die Deutschen ein Tag der Freude. Wir freuen uns über die
wiedererlangte Freiheit, die Voraussetzung für eine
staatliche Einheit war. Wir freuen uns darüber, dass
der 3. Oktober auch immer der Tag sein wird, an
dem wir uns an den Mut erinnern, mit dem die
Deutschen in der damaligen DDR die Mauer zum
Einsturz gebracht und ein diktatorisches Regime
beseitigt haben.
An dieser Stelle müssten Sie, meine Damen und Herren
von den Koalitionsfraktionen, eigentlich klatschen, denn
das war der Anfangsabsatz der Rede, die Bundeskanzler
Gerhard Schröder am Tag der Deutschen Einheit des
Jahres 2003 in Magdeburg gehalten hat.
({13})
Damals hat er noch davon gesprochen, dass wir uns am
3. Oktober jedes Jahres erinnern sollen; nur ein Jahr später war er der Ansicht, dass der erste Sonntag im Oktober dafür ausreichend sei.
({14})
Zum Schluss darf ich mir den Hinweis darauf erlauben, dass Sie in einer gewissen Tradition stehen, wenn
Sie meinen, Feiertage abschaffen zu müssen. Die DDRFührung hat den Pfingstmontag und Christi Himmelfahrt
abgeschafft.
({15})
Wo das geendet hat, hat man gesehen. Das Wirtschaftswachstum, das man sich damals davon versprochen hat,
hat man jedenfalls nicht erreicht. Genauso dämlich ist
auch Ihr Vorschlag gewesen.
Vielen Dank.
({16})
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 23. November 2004, 10 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.