Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Schön guten Tag! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Fragestunde
- Drucksache 15/4118 Wir fangen mit der Fragestunde an, da es heute keinen Kabinettsbericht gibt.
({0})
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung der Fragen ist der Staatsminister Hans Martin Bury anwesend.
Frage 1 wird schriftlich beantwortet.
Daher rufe ich jetzt die Frage 2 der Abgeordneten
Dr. Gesine Lötzsch auf:
Inwieweit wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen,
dass - wenn es zu Verhandlungen mit der Türkei über einen
Beitritt zur EU kommen sollte - die legitimen Interessen des
kurdischen Volkes Berücksichtigung finden?
Frau Kollegin Lötzsch, die Bundesregierung wird
sich wie bisher dafür einsetzen, dass die türkische Regierung die von der Europäischen Union in der überarbeiteten Beitrittspartnerschaft formulierten Prioritäten weiterhin umsetzt. Darin wird die türkische Regierung
aufgefordert, „die kulturelle Vielfalt und Garantie der
Menschenrechte für alle Bürger, unabhängig von ihrer
Abstammung“ und die tatsächliche „Aufnahme anderer
Sprachen als Türkisch in Radio- bzw. in Fernsehsendungen und in den Unterricht durch die Umsetzung bereits
bestehender Maßnahmen und Beseitigung der verbleibenden Einschränkungen in diesem Bereich“ zu gewährleisten.
Die Kommission hat in ihrem letzten Fortschrittsbericht vorgeschlagen, auf der Grundlage einer erneut
überarbeiteten Beitrittspartnerschaft Ende 2005 damit zu
beginnen, jährlich Berichte unter anderem zur Festigung
und Ausweitung der politischen Reformen vorzulegen.
Die Bundesregierung begrüßt diesen Vorschlag. Die
Nachhaltigkeit und Unumkehrbarkeit der politischen Reformen können so auch nach der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen durch die Fortführung des regelmäßigen Monitorings gewährleistet werden.
Eine Nachfrage? - Bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatsminister,
Sie haben in Ihrer Antwort von der Berücksichtigung
„anderer Sprachen als Türkisch“ gesprochen. Ich hatte in
meiner Frage allerdings ganz konkret nach den legitimen
Interessen des kurdischen Volkes gefragt. Könnten Sie
mir bitte eine Antwort darauf geben, in welcher Weise
sich die Bundesregierung dafür einsetzen will und wird,
dass die legitimen Interessen des kurdischen Volkes Berücksichtigung finden?
Frau Kollegin Lötzsch, wenn ich von der Berücksichtigung „anderer Sprachen als Türkisch“ spreche, so
schließt diese Formulierung Kurdisch selbstverständlich
ein; aber ich werde das, Ihrem Wunsch entsprechend,
gerne noch einmal konkretisieren.
Die EU-Kommission hat in ihrem jüngsten „Bericht
über die regelmäßigen Fortschritte der Türkei auf dem
Weg zum Beitritt“ festgestellt, dass die kulturellen
Rechte der Kurden allmählich anerkannt werden und
dass der Ausdruck der kurdischen Kultur in all ihren
Formen mittlerweile auf mehr Toleranz stößt. Die im
Bereich der kulturellen Rechte eingeleiteten Maßnahmen stellten lediglich einen Beginn dar. Nach wie vor
gebe es bei Radio und Fernsehen sowie bei der Ausbildung in Minderheitensprachen erhebliche Einschränkungen. Die Bundesregierung teilt diese Einschätzung.
Kurdischkurse finden seit April 2004 in einigen Städten des Südostens und inzwischen auch in Istanbul und
Adana statt. In den elektronischen Medien werden seit
Juni 2004 regelmäßig Sendungen in den beiden wichtigsten kurdischen Dialekten und in anderen Sprachen
Redetext
wie Arabisch und Bosnisch ausgestrahlt. Allerdings sind
restriktive zeitliche und inhaltliche Vorgaben sowie die
Beschränkung auf überregionale Sendeanstalten noch
immer in Kraft. Lediglich lokale Musiksendungen in
kurdischer Sprache sind seit geraumer Zeit erlaubt. Bereits mit der Reform der türkischen Verfassung im
Jahr 2001 war das Verbot des Gebrauchs des Kurdischen
und anderer Sprachen, das für die Printmedien allerdings
bereits seit 1991 nicht mehr galt, aufgehoben worden.
Eine weitere Nachfrage? - Bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatsminister,
nun ist ja bekannt, dass es immer wieder militärische
Operationen auf kurdischem Gebiet gibt. Ich gehe davon
aus, dass sich die Bundesregierung für die Beendigung
dieser militärischen Operationen einsetzt. Wie bewerten
Sie den Erfolg Ihrer diesbezüglichen Bemühungen?
Frau Kollegin Lötzsch, seit der Aufkündigung des
einseitig ausgerufenen Waffenstillstands durch die PKKNachfolgeorganisation Kongra-Gel am 1. Juni 2004 kam
es im Südosten der Türkei zu vermehrten Zusammenstößen mit den türkischen Sicherheitskräften. Grundsätzlich
ist die Lage dort angesichts der fehlenden Unterstützung
der Bevölkerung und der internen Spaltung der PKK
derzeit aber von gespannter Ruhe geprägt.
Eine Nachfrage der Kollegin Pau.
Herr Staatsminister, sicherlich ist Ihnen der in den
Medien in den vergangenen Wochen erhobene Vorwurf
bekannt geworden, dass aus der Bundesrepublik exportierte Panzer für Polizeiaktionen in kurdischen Gebieten
eingesetzt wurden. Deshalb meine Nachfrage: Hat sich
die Bundesregierung kundig gemacht, ob dieser Vorwurf
zutreffend ist, und, wenn ja, wie haben Sie hier interveniert?
Frau Kollegin Pau, die Bundesregierung ist den Behauptungen über eine vertragswidrige Verwendung der
Schützenpanzer vom Typ BTR 60 der ehemaligen NVA
selbstverständlich nachgegangen. Es ergaben sich dabei
keine Hinweise auf einen solchen Einsatz. Auch die türkische Regierung hat erklärt, dass kein vertragswidriger
Einsatz der Schützenpanzer erfolgt sei.
Es gibt keine weiteren Nachfragen zu diesem Punkt.
Dann danke ich Ihnen, Herr Staatsminister.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Bezüglich beider Fragen, der Fragen 3 und 4, ist um schriftliche Beantwortung gebeten
worden, sodass Sie sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hartenbach - so sehr wir uns freuen, dass Sie gekommen sind -, jetzt nicht arbeiten müssen.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Der Parlamentarische
Staatssekretär Hans Georg Wagner wird die Fragen beantworten.
Ich rufe zunächst die Frage 5 des Abgeordneten Jens
Spahn auf:
Wie viel Geld wurde in den letzten zehn Jahren in die einzelnen Bundeswehrkasernen investiert, die bis 2010 im Münsterland von neuen und alten Stationierungsentscheidungen betroffen sind?
Frau Präsidentin! Herr Kollege Spahn, in den letzten
zehn Jahren wurden im Münsterland rund 197 Millionen Euro in Standorte investiert, die von alten und neuen
Stationierungsentscheidungen betroffen sind. Davon entfielen auf den Standort Ahlen rund 23 Millionen Euro,
den Standort Borken 14 Millionen Euro, den Standort
Coesfeld 15 Millionen Euro, den Standort Dülmen 17 Millionen Euro, den Standort Münster 44 Millionen Euro,
den Standort Rheine 62 Millionen Euro und den Standort Warendorf 22 Millionen Euro.
Möchten Sie nachfragen? - Bitte.
Gerne, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, können Sie nachvollziehen, dass es angesichts dieser erst in
den letzten Jahren getätigten Investitionen in die Kasernen für viele Betroffene vor Ort, aber auch für die Bürgerinnen und Bürger in der Region schwer nachvollziehbar ist, dass diese Standorte jetzt mit dem Hinweis auf
betriebswirtschaftliche Gründe zur Disposition stehen?
Ja, wir mussten aber aufgrund der militärischen Vorschläge, die uns von den Teilstreitkräften gemacht worden sind, Standortentscheidungen treffen. Natürlich sind
Liegenschaften dabei, in die in den letzten Jahren erhebliche Investitionen vorgenommen worden sind. Das
konnte für uns aber kein Grund sein, bei der Planung, die
von der militärischen Führung vorgelegt worden ist und
die von uns unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten untersucht worden ist, darauf Rücksicht zu nehmen;
dafür muss ich um Verständnis bitten. Wir haben überall
in Deutschland in Kasernen investiert, von denen jetzt
einige aufgrund der Umstrukturierung der Bundeswehr
aufgegeben werden müssen.
Bitte.
Danke. - Herr Staatssekretär, was antworten Sie denjenigen - und davon gibt es bei mir im westlichen MünsJens Spahn
terland einige -, die sagen, dass wir mittlerweile ein
Stück weit eine entmilitarisierte Zone sind, weil es in einigen Landkreisen mittlerweile überhaupt keine Bundeswehreinrichtungen mehr gibt? Wie bewerten Sie das
auch mit Blick auf Heimatschutz, Reservistenverbände,
Wehrpflicht und die Verankerung der Bundeswehr in der
Bevölkerung?
Ich kann mich noch an Zeiten aus meiner Jugend erinnern, zu denen für entmilitarisierte Zonen geworben
worden ist.
({0})
Jetzt ist eine umgekehrte Entwicklung im Gange: Alle
diejenigen, die seinerzeit der Meinung waren, man brauche die Bundeswehr nicht, demonstrieren am heftigsten,
wenn es um Standortschließungen geht. Ich bitte um
Verständnis, dass wir auf strukturpolitische Gesichtspunkte keine Rücksicht nehmen konnten, sondern dass
ausschließlich militärische und betriebswirtschaftliche
Gesichtspunkte eine Rolle gespielt haben.
Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Spahn auf:
Wie viel Geld wurde bisher zur Unterbringung des
Logistikregiments 16 in Lingen investiert und wie viel Geld
muss noch bis zur nun beschlossenen endgültigen Verlegung
nach Delmenhorst investiert werden?
Herr Kollege Spahn, die Unterbringung des Logistikregiments 16 erfolgte in den bisher von der aufgelösten
Logistikbrigade 1 genutzten Gebäuden der Scharnhorstkaserne in Lingen. Für diesen Zweck waren keine Investitionen erforderlich. Bis zur Verlegung nach Delmenhorst sind nach jetziger Einschätzung ebenfalls keine
Investitionen zu erwarten.
Bitte.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, können Sie auch
in diesem Fall den Unmut insbesondere der betroffenen
Soldaten und ihrer Familien nachvollziehen, da ein
Großteil der nun in Lingen stationierten Soldaten aufgrund der Entscheidung des ehemaligen Ministers
Scharping gerade erst aus Rheine über die Landesgrenze
hinweg nach Lingen - das sind 40 bis 50 Kilometer umgezogen ist und nun, kurze Zeit später, weiter nach
Delmenhorst umziehen soll? Warum war nicht von Anfang an klar, dass ein Umzug nach Delmenhorst notwendig sein würde?
Die Ausplanung des neuen Standortkonzeptes konnte
erst jetzt erfolgen und nicht schon zu der Zeit, als Herr
Scharping oder Herr Rühe die ersten Entscheidungen getroffen haben. Da waren die Rahmenbedingungen noch
anders. Etwa über 100 Vorhaben dieser beiden ehemaligen Minister wurden noch nicht vollzogen, obwohl die
Entscheidungen darüber schon vor langer Zeit getroffen
worden sind. Da die Feinausplanung erst jetzt erfolgt ist,
muss man Verständnis dafür haben, dass die Entscheidung in der vorletzten Woche so und nicht anders aussah.
Bitte.
Herr Staatssekretär, eine Frage habe ich noch. Es ist
geplant, die entsprechenden Maßnahmen bis 2010 umzusetzen. Einige Standorte wachsen auf, an anderen
Standorten wird die Zahl des Personals reduziert oder sie
werden geschlossen. Wann werden wir genau erfahren,
in welchen Bereichen, Einheiten und Bataillonen es an
den einzelnen Standorten zum Aufwuchs oder zur Reduzierung kommt, und bis zu welchem Jahr soll dies geschehen? Wann in etwa kann uns das gesagt werden?
Ich gehe davon aus, dass Ihnen genauso wie allen anderen Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses die Unterlagen über Bundeswehrreform zugänglich gemacht
worden sind.
({0})
In ihnen stehen die konkreten Zahlen und wo es zum
Aufwuchs bzw. zur Reduzierung kommt.
Es ist vorgesehen, das Konzept bis spätestens zum
Jahre 2010 umzusetzen. Bis dahin sollen der Bundeswehr 250 000 Soldaten und Soldatinnen und 75 000 Zivilbeschäftigte angehören. Die Feinplanung ist jetzt im
Gange, sodass ich davon ausgehe, dass Sie spätestens im
Frühjahr 2005 konkret erfahren werden, wer wann wohin geht.
Es gibt keine weitere Nachfrage.
Ich rufe die Frage 7 des Abgeordneten Günter
Baumann auf:
Welche militärischen Kriterien haben den Bundesminister
der Verteidigung, Dr. Peter Struck, dazu bewogen, in seinem
am 2. November 2004 veröffentlichten Stationierungskonzept
den Bundeswehrstandort Schneeberg zu schließen, und warum wird damit ein Gebirgsjägerbataillon aufgelöst, welches
sich in den vergangenen Jahren durch seine Spezialeinsätze in
Afghanistan als Bestandteil der angestrebten modernen Interventionsarmee bereits bewährt hat?
Herr Kollege Baumann, im Standort Schneeberg wurden seit 1991 für Neu-, Um- und Erweiterungsbauten sowie für die Unterhaltung der baulichen Anlagen insgesamt 61 Millionen Euro verausgabt. Allerdings ist in den
vergangenen 14 Jahren in alle Standorte der Bundeswehr, die aufgrund ihres Aufgabenspektrums und ihrer
Struktur begründet waren, investiert worden. Ich habe
das bei der Beantwortung der Anfrage des Kollegen
Spahn eben schon einmal gesagt.
Wir können nicht alle Standorte aufgrund früher getätigter Investitionen weiter aufrechterhalten. Erst in
jüngster Zeit war es möglich, aus den grundlegend veränderten verteidigungspolitischen Rahmenbedingungen
die notwendigen Konsequenzen für die einzelnen Standorte der Bundeswehr zu entwickeln. Solange konkrete
Stationierungsentscheidungen noch nicht getroffen werden konnten, musste dafür Sorge getragen werden, die
Infrastruktur in den Liegenschaften instand zu halten
und deren auftragsbedingte Funktionalität zu sichern.
Für den Standort Schneeberg bedeutete dies, dass die
Jägerkaserne durch Baumaßnahmen weiter herzurichten
war und dass bestehende Einrichtungen instand gehalten
werden mussten. Hierfür wurden von 2001 bis heute insgesamt 19 Millionen Euro investiert. Es handelte sich im
Wesentlichen um die Sicherung eines Unterkunftsgebäudes und die Herrichtung der Ver- und Entsorgungseinrichtungen einschließlich der Straßen und Abstellflächen.
Bitte.
Herr Staatssekretär, vielen Dank für die Beantwortung. - Im Jahre 2000 sollte Schneeberg schon einmal
geschlossen werden. Nachdem Verteidigungsminister
Scharping die Angelegenheit damals überprüft hatte, hat
er die Schließung nicht vorgenommen. Ich möchte Sie
fragen, welche Gründe 2001 dazu geführt haben, den
Standort zu erhalten, und welche Gründe heute dazu führen, den Standort zu schließen.
Ich habe das in der Beantwortung der Anfrage von
Herrn Spahn eben schon einmal gesagt. Damals gab es
eine andere Grundlage. Wir streben eine völlige Neuordnung der Bundeswehr an. Eine Folge wird sein, dass
auch Standorte, deren Weiterbestehen damals noch als
sicher angesehen wurde, jetzt geschlossen werden.
Möchten Sie eine zweite Nachfrage stellen?
Ich würde gern Folgendes fragen, Herr Staatssekretär:
Wenn ein Standort umfangreich saniert worden ist - das
haben Sie selbst gerade mit Zahlen belegt -, warum gibt
es dann keine Überlegungen, diesen Standort für eine
andere militärische Verwendung zu nutzen, zum Beispiel
für Nachrichteneinheiten? Einfach zu sagen, dass man
Gebirgsjäger dort nicht brauche, und den Standort zu
schließen ist aus meiner Sicht eine extreme Verschwendung von Steuergeldern.
Das ist keine extreme Verschwendung von Steuergeldern, sondern die Reaktion auf die sicherheitspolitische
Notwendigkeit, die Bundeswehr zu modernisieren. Dabei bleibt der eine oder andere Standort natürlich auf der
Strecke. Als wir 1990 mit der Modernisierung angefangen haben, hatten wir mehr als 500 000 Soldaten. Jetzt
sind es 250 000 Soldaten, also die Hälfte. Dass dies auch
Standortschließungen mit sich bringt, ist selbstverständlich. Ich kann die Aufregung der Bevölkerung gut verstehen. Auch in meinem Wahlkreis wird ein Standort geschlossen und die Bevölkerung dort ist aufgeregt.
Letztendlich nutzt das alles aber nichts, weil das Konzept so, wie es vorgetragen wurde, steht und umgesetzt
wird.
Nachfrage des Kollegen Spahn.
Herr Staatssekretär, mit Blick auf den Standort
Schneeberg und sicherlich viele andere Standorte
möchte ich eine Frage von vorhin präzisieren. Ich bin
der Letzte, der sagt, dass die Bundeswehr Strukturpolitik
machen müsse. Deswegen möchte ich auch nicht in
diese Argumentation verfallen. Aber ich möchte hinsichtlich der Sicherheitspolitik nachfragen, inwieweit
Belange des Heimatschutzes und der Reservistenverbände bei den Standortentscheidungen eine Rolle gespielt haben. Denken wir daran, dass es in Deutschland
- ich beziehe mich auf meine Region - mittlerweile
große Gebiete gibt, in denen keine Bundeswehreinheiten
mehr stationiert sind. Es geht mir also um sicherheitspolitische Fragen und um Fragen des Heimatschutzes,
nicht um Strukturmaßnahmen.
Die Frage möchte ich gern beantworten. Selbstverständlich haben wir Sorge dafür getragen, dass in den
Gebieten, in denen zum Beispiel Hochwassergefahr besteht oder sonstige Umweltkatastrophen passieren können, die Bundeswehr verfügbar sind wird. Wir haben
entsprechende Möglichkeiten zum Beispiel durch die
Festlegung von verschiedenen Standorten als Lager für
großes, schweres Gerät vorgesehen. Auch Reservisten
können eingesetzt werden, wenn ein Katastrophenfall
eintreten sollte - was wir uns alle nicht wünschen. Wir
haben für diese Fälle Vorsorge getroffen. Der Bundeswehr stehen ja Reservisten für den Verteidigungsfall zur
Verfügung, wobei keiner hier im Hause davon ausgeht,
dass dieser unmittelbar bevorsteht.
Nun folgt eine Nachfrage des Kollegen Luther. Danach kommen Nachfragen der Kollegen neben ihm in
der zweiten Reihe.
Herr Staatssekretär, das Stichwort „Heimatschutz“
wurde schon genannt. Was ist die Entscheidungsgrundlage gewesen, die jetzt in Sachsen - ich betrachte jetzt
nicht allein Schneeberg - zu folgender Situation geführt
hat? Im Durchschnitt gibt es vier Soldaten pro 1 000 Einwohner, in Sachsen nur ein Viertel davon, nämlich einen
Soldaten. Damit kann der Heimatschutz überhaupt nicht
mehr gewährleistet werden. Was sind die Gründe dafür,
Sachsen in dieser Weise besonders zu behandeln?
Sachsen wurde nicht besonders behandelt, sondern
betrachtet wie jedes andere Bundesland auch. Wenn Sie
sich die Zahlen ansehen, die wir Ihnen gegeben haben
und die die Stationierungsdichte für jedes Bundesland
zeigen, werden Sie feststellen, dass andere Bundesländer
größere Verluste in der Stationierungsdichte haben und
Sachsen nicht so schlecht wegkommt, wie es vermutet
wird.
({0})
- Ja, gut. Jeder ist einmal vorne und einmal hinten. Daran lässt sich nichts ändern.
Eine Nachfrage der Kollegin Bellmann.
Ich möchte fragen, inwiefern der Abbau von Bundeswehrstandorten und Organisationsbereichen in den
neuen Bundesländern mit dem Ziel der Verfassungskommission korrespondiert, die Einrichtung neuer Institutionen auf Ostdeutschland zu konzentrieren. Das heißt im
Umkehrschluss für mich, dass der Abbau von Einrichtungen zuletzt in den neuen Bundesländern erfolgen
sollte. In diesem Zusammenhang möchte ich die Frage
stellen: Werden neue Einrichtungen der Bundeswehr im
Osten angesiedelt? Sie sprachen von einer Logistikschule der Bundeswehr und von einer Führungsunterstützungsschule der Bundeswehr. Wie viele Dienstposten umfassen diese?
Sie können der Broschüre, die Kollege Baumann gerade gezeigt hat, unschwer entnehmen, wie die Stationierungsüberlegungen aussehen, die von der militärischen
Führung vorgeschlagen worden und von der politischen
Leitung unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten
geprüft worden sind, sodass wir uns nicht in diese Diskussion einlassen sollten. Die Beschlüsse der Verfassungskommission liegen schon sehr lange zurück und
sind zum Teil in den Ländern, die negativ betroffen waren, sehr schlecht aufgenommen worden. Ich kann das
durchaus bestätigen: Das Land, aus dem ich komme, war
davon in der Weise betroffen, dass Institutionen, natürlich nicht militärische, in die neuen Länder verlegt wurden.
Das ist ein sehr schwieriges Kapitel. Die Bundeswehr
kann sich nicht nach dem Konzept der Verfassungskommission oder der Föderalismuskommission richten, sondern muss sich nach ihrem sinnvollen Aufbau, nach
Ausbildungs-, Übungs- und Unterbringungsmöglichkeiten richten.
Jetzt hat der Kollege Wanderwitz das Wort zur Nachfrage. Dann sind die Kollegen Kolbe und Dr. Jahr an der
Reihe. - Bitte.
Herr Staatssekretär, laut der an uns verteilten und
schon zitierten Broschüre „Die Stationierung der Bundeswehr in Deutschland“ ist zu jedem Standort eine detaillierte Einzelbetrachtung erfolgt. Plant das BMVg nun
eine Veröffentlichung dieser detaillierten Betrachtung,
damit es uns als Abgeordneten leichter fällt, der Bevölkerung Ihre Überlegungen zu erklären, sodass man es
nachvollziehen kann? Wenn ja, wann? Wenn nein, wieso
nicht?
Zunächst einmal ist der Verteidigungsausschuss - und
damit auch das Parlament - in einer Sondersitzung umfassend informiert worden. Alle Standortscheidungen
sind dort dargestellt worden. Ich gestehe Ihnen gerne,
dass es eine mühsame Arbeit war, die 500 Standorte alle
einzeln daraufhin zu untersuchen - auch wenn es nur um
drei Dienstposten ging -, ob es sinnvoll ist, sie aufrechtzuerhalten, oder ob sie geschlossen werden. Wir haben
uns in der Klausurtagung des Kollegiums schon sehr intensiv mit jedem Standort befasst und die Zahlen miteinander verglichen.
Ich gehe davon aus, dass man die Überlegungen dem
Verteidigungsausschuss zugänglich gemacht hat. Ansonsten sehe ich keinen Grund, Ihnen in einem konkreten Fall Auskunft zu verweigern, sofern Sie dies wünschen.
Nun hat der Kollege Kolbe eine Frage.
Herr Staatssekretär, zur Sonderbehandlung Sachsens:
Unter den zehn am meisten betroffenen Standorten liegen immerhin drei im Freistaat Sachsen. Neben dem
schon erwähnten Schneeberg sind hier Leipzig und Zeithain zu nennen. Können Sie uns die betriebswirtschaftlichen und militärischen Gründe dafür darlegen, warum
sich ausgerechnet diese beiden Standorte unter den zehn
am härtesten betroffenen Standorten befinden?
Zunächst einmal ist es für mich schwierig, Einzelstandorte aus dem Stand heraus zu beurteilen und die
Gründe darzustellen, die zur Schließung geführt haben.
Das will ich gerne schriftlich machen.
Aber noch einmal: Sachsen ist nicht besonders behandelt worden. Vielmehr ist jedes Bundesland unter gleichen Kriterien betrachtet worden. Dass Sachsen über die
getroffenen Entscheidungen nicht erfreut ist, ist selbstverständlich. Aber es ist nun einmal so und die getroffenen Entscheidungen werden auch so umgesetzt.
Dr. Jahr, bitte.
Es war ja auch in der Diskussion, dass der Standort
Schneeberg mit den Gebirgsjägern deswegen geschlossen wird, weil Gebirgsjäger nur im Hochgebirge ausgebildet werden können. Meine Frage: Haben Sie Hinweise darauf, dass die Gebirgsjägerausbildung - ich
formuliere es einmal nicht ganz fachmännisch - in
Schneeberg den Anforderungen nicht gerecht wurde?
Gab es Hinweise, dass das Ausbildungsprofil nicht so erfüllt werden konnte, wie es notwendig gewesen wäre?
Die Schließung des Standorts hatte nichts mit einer
schlechten Ausbildung der Soldatinnen und Soldaten zu
tun. Die Ausbildung ist glänzend gewesen und auch die
Einsatzbereitschaft ist in Ordnung gewesen. Daran gibt
es nichts zu deuteln.
Andererseits haben wir uns für eine Konzentration
der Gebirgsjägereinheiten ausgesprochen. Insgesamt
gibt es vier Standorte, von denen einer geschlossen werden musste. Die drei anderen Standorte, die nicht betroffen waren, liegen in Bayern. Der hier anwesende Kollege Bötsch wird dies sicherlich erfreut zur Kenntnis
genommen haben, während Sie natürlich darüber verärgert sind, dass der Standort in Sachsen geschlossen wird.
Aber eine Konzentration der Ausbildungsmöglichkeiten
für die Gebirgsjäger in Hochgebirgsregionen Bayerns
war der Grund, der von der militärischen Führung angeführt wurde.
Die Frage 7 wurde ausführlich beantwortet.
Ich rufe nun die Frage 8 auf, auch wenn sie dem
Sinne nach schon angesprochen worden ist:
Wie ist es im Sinne der effizienten Verwendung von Steuergeldern zu begründen, dass in den Standort Schneeberg in
den vergangenen 14 Jahren 67 Millionen Euro investiert worden sind, davon allein 20 Millionen Euro in den vergangenen
vier Jahren?
Ich versuche, mich bei der Beantwortung der Frage
auf das Wesentliche zu beschränken. Herr Kollege, in
der gegenwärtigen Struktur - ich habe das eben schon
gesagt - verfügt das Heer über vier Gebirgsjägerbataillone. Davon werden in der künftigen Struktur, die das
Heer im Zuge der Transformation der Bundeswehr einnehmen soll, nur noch drei benötigt. In der vergleichenden Betrachtung aller vier Bataillone wurde aus militärisch-funktionalen Gründen den drei in Bayern
stationierten Gebirgsjägerbataillonen der Vorzug gegeben. Hierbei spielte unter anderem die kompakte Stationierung der Gebirgsjägerbrigade 23 im Alpenbereich
eine wesentliche Rolle.
Darüber hinaus verringert sich im Raum Sachsen der
Bedarf an Infanteriebataillonen. Unter Berücksichtigung einer Optimierung der Liegenschaftsbelegung sowie einer Konzentrierung der Verbände in einem geschlossenen Stationierungsraum bietet Marienberg im
Vergleich zu Schneeberg für das künftig dort zu stationierende Panzergrenadierbataillon die bessere Infrastruktur und auch die besseren Ausbildungsmöglichkeiten. Damit ist als Folge der strukturell bedingten
Auflösung des Gebirgsjägerbataillons 571 der Standort
Schneeberg leider aufzugeben.
Bitte.
Herr Staatssekretär, welche Veränderungen in der
Weltpolitik haben dazu geführt, dass sich die Meinung
im Vergleich zum Jahr 2001 vollkommen geändert hat?
Denn im Jahr 2001 ist der Standort bestätigt worden. Danach wurde, wie Sie selbst gesagt haben, erheblich investiert.
Die weltpolitischen Ereignisse haben sich seit dem
11. September 2001 geändert. Seit diesem Zeitpunkt
müssen wir die Bundeswehr aufgrund von Beschlüssen
des Deutschen Bundestages für Einsätze in der ganzen
Welt verfügbar halten. Dadurch sind eine Transformation der Bundeswehr und eine Anpassung an die neuesten Gegebenheiten, die weltweit zur Kenntnis zu nehmen sind, notwendig geworden. Als Folge davon wurde
eine Standortdiskussion ausgelöst - sie musste ausgelöst
werden - und es mussten Standorte festgelegt werden,
die geschlossen werden müssen. Zu diesen gehört
Schneeberg wegen der Gründe, die ich eben genannt
habe, nämlich der Konzentration der Ausbildung der Gebirgsjäger in Bayern.
Herr Staatssekretär, der Katastrophenschutz spielt ja
eine entscheidende Rolle. Deswegen frage ich, warum
gerade jetzt in Sachsen die Kräfte des Katastrophenschutzes in der Fläche drastisch reduziert werden. Sie
haben vorhin gesagt, Sachsen sei nicht schlechter geGünter Baumann
stellt als andere Länder. Ihre eigene Statistik spricht von
1,1 Soldaten pro 1 000 Einwohner. Das ist mit Abstand
der schlechteste Wert in ganz Deutschland. Können Sie
dafür eine Begründung nennen?
Die Standorte sind nach der Vereinigung 1990/91
festgelegt worden. Jetzt ist die Konzeption der Bundeswehr eine andere. Der Angriff auf Amerika war am
11. September 2001. Wir haben es jetzt mit Folgen zu
tun, die auf den vermehrten Auslandseinsatz der Bundeswehr zurückzuführen sind. Die Zahl 1,1 kann ich aus
dem Gedächtnis nicht bestätigen.
({0})
- Ich glaube Ihnen das. Ich will das nicht bestreiten. Ich
sage nur, dass diese Zahl in den Überlegungen überhaupt
keine Rolle gespielt hat. Sie konnte auch keine Rolle
spielen; es ging vielmehr um militärisch-funktionale
Überlegungen, die von denen angestellt worden sind, die
das entsprechend umsetzen müssen.
Eine Nachfrage der Kollegin Bellmann. Danach kommen die Kollegen Wanderwitz, Luther, Spahn, Jahr und
Kolbe.
Herr Staatssekretär, in der Regel haben bisher zumindest einige Standorte Haushaltszuweisungen nicht in der
Höhe erhalten, die der Mannschaftsstärke entsprochen
hätte. Zum Beispiel beträgt die Mannschaftsstärke in
Marienberg circa 1 100 Soldaten bzw. Dienstposten. Es
gibt aber regelmäßig eine Finanzzuweisung für nur 850.
Damit fördern Sie die Wehrungerechtigkeit, weil Wehrdienstleistende nur entsprechend den Haushaltszuweisungen eingezogen werden können.
Wollen Sie diese Praxis der verminderten Haushaltszuweisung beibehalten? Dann dezimieren Sie die Standorte noch einmal. Wie sehen die Haushaltszuweisungen
nach den Strukturveränderungen aus?
Frau Kollegin, wir müssen mit den Geldern zurechtkommen, die uns der Bundesfinanzminister zuweist. Es
liegt jetzt mit in Ihrer Hand, den Bundeshaushalt in der
letzten Novemberwoche so zu beschließen, dass die
Wünsche, die Sie eben geäußert haben, erfüllt werden
können. Wir setzen sie dann um.
({0})
Eine Nachfrage des Kollegen Wanderwitz.
Herr Staatssekretär, wir haben in den neuen Ländern
und damit auch in Sachsen zu einem erheblichen Teil damit zu kämpfen, dass Standorte von der Roten Armee
und der NVA Anfang der 90er-Jahre aufgegeben worden
sind. Die Probleme sind weitgehend noch ungelöst. Im
Regelfall handelt es sich dabei um Brachflächen.
Es ist zwar schön, dass die in Rede stehenden Standorte, beispielsweise Schneeberg, vollsaniert oder teilsaniert sind; nichtsdestoweniger sehe ich dort kaum Möglichkeiten der Nachnutzung. Gibt es ein Konzept des
Bundes für eine solche Nachnutzung? Wie werden die
Kommunen, die mit diesen Standorten umzugehen haben, durch den Bund unterstützt?
Diese Frage hat Frau Kollegin Hendricks in der letzten Sitzungswoche beantwortet: Im Jahr 1993 wurden
den Ländern im Rahmen der Umsatzsteuerneuverteilung
2 Prozentpunkte zugewiesen, die zur Rüstungskonversion genutzt werden sollten. Zwar haben alle Länder die
Mittel abgerufen, aber nur wenige haben sie für die Konversion genutzt. Mir ist nicht bekannt, wie sich Sachsen
dazu verhalten hat, aber ich weiß, dass diese Vorgabe nur
von Rheinland-Pfalz lupenrein und von Nordrhein-Westfalen zum größten Teil erfüllt wurde. Alle anderen Länder haben sich die Entscheidungsfreiheit über die Verwendung der ihnen zufließenden Mittel vorbehalten.
Dabei hat natürlich auch die Haushaltskonsolidierung
eine Rolle gespielt. Jedenfalls werden den Ländern diese
Mittel seit 1993 jährlich zur Verfügung gestellt und können für entsprechende Landesprogramme genutzt werden.
Ansonsten liegt es weitgehend im Ermessen der Länder, wofür sie die Fördermittel verwenden. Das gilt für
die Mittel, die ihnen im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“
zufließen, genauso wie für Städtebaufördermittel, für
Fördermittel im Zusammenhang mit dem Aufbau Ost
und für Mittel aus anderen Programmen. Mit all diesen
Geldern können wunderbar Programme finanziert werden.
Ich biete hinsichtlich der Frage, wie der Standort weiterentwickelt werden kann, der Stadt Schneeberg die
Hilfe der bundeseigenen Gesellschaft GEBB an, die zu
diesem Zweck gegründet wurde. Das ist die einzige
Hilfe, die wir leisten können. Dazu sind wir gerne bereit.
Wenn sich Entwicklungsmöglichkeiten für Schneeberg
ergeben sollten, wäre dies zu begrüßen. Angesichts der
zahlreichen aufgelassenen Standorte in Deutschland, für
die sinnvolle Nutzungsmöglichkeiten gefunden wurden,
bin ich mir sicher, dass auch für Schneeberg eine Nachnutzung durch private Investoren oder sonstige Entwicklungsmaßnahmen möglich sind; dies wäre dann mit der
GEBB zu besprechen.
({0})
- In Sachsen war ich schon, aber ich war noch nie in
Schneeberg. Das gebe ich gerne zu.
({1})
- Sie haben mich nicht eingeladen, Herr Kollege Kolbe.
Sonst wäre ich natürlich gerne gekommen. Einer Einladung folge ich nämlich in der Regel auch. Das kann der
Kollege van Essen bestätigen.
Das lässt sich sicherlich auf kurzem Wege regeln. Es gibt eine Nachfrage des Kollegen Luther.
Als Landesgruppenvorsitzender lade ich Sie hiermit
nach Sachsen ein. - Angesichts einer Stationierungsdichte von nur noch 1,1 Dienstposten je 1 000 Einwohner stellt sich für mich eine Frage. Die Bundeswehr
muss - insbesondere für die Aufgaben im Zusammenhang mit Auslandseinsätzen - neue Soldaten gewinnen.
Sachsen ist dafür bekannt, dass die Zahl der Freiwilligen
dort sehr hoch ist. Das liegt sicherlich auch an der bisher
guten Standortarbeit.
Wenn die Zahl der Dienstposten in Sachsen de facto
halbiert wird und ein weitgehender Rückzug aus der Fläche erfolgt, dann bleibt das sicherlich nicht ohne Auswirkungen. Wie schätzen Sie die Auswirkungen dieser
Maßnahme auf die Rekrutengewinnung ein?
Erlauben Sie mir noch eine Nachbemerkung: Das
Saarland ist das einzige Bundesland, in dem die Zahl der
Dienstposten aufgewachsen ist.
Ich gebe gerne zu, dass das Saarland diesmal gut weggekommen ist. Es ist aber in der Vergangenheit schlecht
weggekommen. Von der Schließung der Bundesbehörden war das Saarland am stärksten betroffen, obwohl es
sich seinerzeit als erstes Bundesland entschieden hat,
sich der Bundesrepublik Deutschland anzuschließen.
({0})
Das Saarland leidet noch heute darunter, dass bestimmte
Institutionen - ich denke dabei an den Forschungsbereich - fehlen, die in anderen Bundesländern gang und
gäbe sind. Das ist die Wahrheit. Was Sie vermuten bzw.
unterstellen, hat keine Rolle gespielt.
Was Ihre Frage angeht, gehe ich davon aus, dass
Wehrtüchtige aus Sachsen auch weiterhin zur Bundeswehr kommen, unabhängig davon, ob sie zu Fuß zur Kaserne gehen können oder etwas weiter fahren müssen.
Jetzt kommt eine Nachfrage des Kollegen Spahn;
dann folgen die Kollegen Jahr, Kolbe und Segner.
Erlauben Sie mir eine Vorbemerkung: Ich glaube,
wenn es in einem anderen Fall die Möglichkeit zur Abstimmung über den Beitritt gegeben hätte, dann wäre es
auch dort schneller gegangen.
({0})
Sie haben in der Beantwortung der ersten Frage auf
die betriebswirtschaftlichen Berechnungen verwiesen.
Ich frage Sie, um auch das im Parlament dokumentiert
zu wissen: Mit welchen Einsparungen auf betriebwirtschaftlicher Seite rechnet das Wirtschaftsministerium
mittel- und langfristig aufgrund der aktuellen Stationierungsentscheidungen?
Der Umfang der Einsparungen ist derzeit noch nicht
abzuschätzen; das wird die Feinplanung ergeben. Dass
Einsparmöglichkeiten gesucht werden, um die Investitionsanteile zu erhöhen, ist selbstverständlich. Dieser
Weg wird auch jetzt weiter verfolgt. Ich kann gegenwärtig die Einsparmöglichkeiten nicht genau beziffern. Aber
dass über die Betriebskostenreduzierung eine Einsparung erfolgt, ist selbstverständlich.
Kollege Jahr.
Herr Staatssekretär, Bundesverteidigungsminister
Struck hat darauf hingewiesen, dass er kein Infrastrukturminister sei. Gleichfalls hat er allerdings betont, dass
wirtschaftliche Beweggründe ein wesentliches Entscheidungsmerkmal gewesen seien.
Ich möchte Sie Folgendes fragen: Kollege Baumann
hat schon betont, dass nach der Wende allein in den
Standort Schneeberg 67 Millionen Euro investiert worden sind. Gleichzeitig geht aus Ihrem Konzept hervor,
dass Sie 45 Standorte aufwerten, das heißt, dass die Zahl
der Dienstposten erhöht wird, und einen neuen Standort
errichten. Wie hoch werden die Investitionen an den
Standorten sein, die Sie aufwerten bzw. neu errichten?
Welche Rolle spielen in Ihrer gesamtwirtschaftlichen
Betrachtung eigentlich - so möchte ich es formulieren Abschreibungen von Investitionen in die nun zu schließenden Standorte?
Sie dürfen nicht vergessen, dass die Entscheidungen
über Standortveränderungen erst am 31. Oktober dieses
Jahres getroffen worden sind. Deshalb können konkrete
Zahlen betreffend die jetzige Feinausplanung selbstverständlich noch nicht vorliegen. Wenn die Zahlen vorliegen, werden sie dem Parlament sofort zugänglich gemacht. Die Verteidigungspolitiker und vor allen Dingen
die Haushaltspolitiker werden darauf achten, dass sie die
Zahlen unverzüglich erfahren. Darin bin ich sicher.
Herr Kollege Kolbe.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin bei der Beantwortung der Frage des Kollegen Baumann kurz ausgeführt, dass Ihnen zwar die Stationierungsdichte von 1,1
je 1 000 Einwohner in Sachsen nicht bekannt gewesen
sei, dass dies aber bei den Entscheidungen ohnehin keine
Rolle gespielt habe. Können Sie bestätigen, dass bei den
Entscheidungen des Bundesverteidigungsministers regionale Gesichtspunkte keinerlei Rolle gespielt haben?
Das kann ich bestätigen.
Nächster Fragesteller ist der Kollege Segner. Dann
kommt die Kollegin Michalk.
Herr Staatssekretär, ist dem Ministerium bekannt,
dass innerhalb kurzer Zeit im Raum Tauberbischofsheim, der wirtschaftlich schwächsten Region BadenWürttembergs, drei von ehemals fünf Kasernen geschlossen wurden - einen Standort haben wir noch - und
Sie dadurch einen wirtschaftlichen Flächenbrand verursacht haben?
Das kann ich nicht bestätigen. Wir sind kein Strukturministerium, sondern ein Verteidigungsministerium. Bei
uns werden also unter militärisch-funktionalen Gesichtspunkten Standortentscheidungen getroffen, die natürlich
betriebswirtschaftlich unterlegt sind. Wenn sich der Fall
so verhält, wie Sie es schildern, dann ist dem dadurch
Rechnung getragen.
({0})
Nein, Sie dürfen leider nur eine Zusatzfrage pro
schriftlich eingereichter Frage stellen. Lediglich der
Hauptfragesteller darf zwei Zusatzfragen stellen.
Die Abgeordnete Michalk darf jetzt eine Zusatzfrage
stellen.
Herr Staatssekretär, ich komme auf Ihre Antwort hinsichtlich der Rekrutengewinnung zurück und frage Sie:
Die Zahl der Kreiswehrersatzämter wird ebenfalls reduziert. Bei uns in Sachsen wird beispielsweise das Kreiswehrersatzamt Bautzen geschlossen werden. Wenn ich
richtig informiert bin, sollen die künftigen Soldaten
nicht nach Dresden oder Leipzig, sondern zum Beispiel
nach Cottbus zur Musterung fahren. Gehen Sie davon
aus, dass alle Kreiswehrersatzämter im Tagespendelbereich zu erreichen sind? Haben Sie das anhand der Anbindungen an den öffentlichen Verkehr in strukturschwachen Regionen genau geprüft?
Die Wehrverwaltung hat Vorschläge gemacht und im
Kollegium ausgesagt, dass der Gesichtspunkt, ob man
innerhalb eines Tages das betreffende Kreiswehrersatzamt zum Zwecke der Musterung oder der Einberufung
erreichen und auch wieder nach Hause kommen kann,
eine Hauptrolle gespielt hat.
Eine Nachfrage des Kollegen von Klaeden.
Herr Staatssekretär, ich habe vom Minister mehrfach
und jetzt auch von Ihnen gehört, dass das Bundesverteidigungsministerium kein Infrastrukturministerium sei.
Meiner Ansicht nach sind Sie für die Landesverteidigung zuständig. Dazu gehört gerade vor dem Hintergrund asymmetrischer Bedrohungen für unser Land auch
die Aufrechterhaltung einer Sicherheitsinfrastruktur. Ich
frage Sie daher, ob nicht auch die Aufrechterhaltung einer Sicherheitsinfrastruktur eine infrastrukturpolitsche
Maßnahme ist und in den Aufgabenbereich Ihres Ministeriums fällt.
Wenn Sie das so definieren, kann natürlich alles Infrastruktur sein. Die Befriedigung des Sicherheitsbedürfnisses im Innern ist - das wissen Sie als Jurist ganz genau - nicht nur Sache der Bundeswehr. Dabei sind
vielmehr auch die anderen Sicherheitsorgane einzubeziehen, ob das nun der Bundesgrenzschutz ist oder ob
das die Landespolizeien sind. Aus dieser Konzeption ergibt sich sicherlich eine gewisse Infrastruktur. Diese
hängt aber nicht unmittelbar mit der Bundeswehr zusammen.
({0})
Sie haben nur eine Zusatzfrage, Herr von Klaeden.
Herr von Klaeden, diese würden wir niemals aufgeben; das wissen Sie doch. Sonst hätten wir Sie vor kurzem nicht noch befördert.
({0})
Das war schon über das Soll hinaus.
Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Werner
Lensing auf:
Welche konkreten Evaluationen liegen der Absicht der
Aufgabe der Bundeswehrstandorte Coesfeld und Dülmen im
Speziellen zugrunde und wann genau sollen die Standorte
Coesfeld und Dülmen aufgegeben werden?
Herr Kollege Lensing, in der neuen Heeresstruktur
wird von den zurzeit drei Artillerieaufklärungsbataillonen künftig nur noch ein Artillerieaufklärungsbataillon
benötigt. Somit sind zwei Artillerieaufklärungsbataillone aufzulösen. Das am Rand des Stationierungsraumes
der Eingreifkräftedivision liegende Artillerieaufklärungsbataillon 71 sowie die beiden Batterien des teilaktiven Artillerieaufklärungsbataillons 113, die mit insgesamt rund 840 militärischen und zivilen Dienstposten
bisher standortbegründende Organisationselemente für
Coesfeld waren, werden aus strukturellen Gründen nicht
mehr benötigt und aufgelöst.
Aufgrund der Reduzierung der Logistiktruppen des
Heeres besteht künftig kein Bedarf mehr an dem
Instandsetzungsbataillon 7 in Unna. Die in Coesfeld stationierten Kompanien des Bataillons werden somit aufgelöst. Der Bundeswehrstandort Coesfeld wird daher
aufgegeben.
Der Realisierungsplan zur Umsetzung der Stationierungsentscheidung wird zurzeit erarbeitet. Die Auflösung der Verbände wird zu einem bestimmten Stichtag,
der voraussichtlich im ersten Halbjahr 2005 festgelegt
wird, erfolgen.
Nun zu Dülmen. Aufgrund der gewandelten Anforderungen an die Bundeswehr und der dadurch veränderten
Struktur, der die Bündelung von Aufgaben bei einem
streitkräftegemeinsamen Ansatz zugrunde liegt, wird die
Zahl der Standortverwaltungen weiter reduziert. Von
derzeit 82 bleiben in der neuen Zielstruktur künftig noch
42 Standortverwaltungen erhalten.
Da künftig weder am Standort Dülmen noch in dessen
näherem Umfeld zu betreuende Soldaten und Zivilbedienstete stationiert sein werden, werden die Standortverwaltung Dülmen und damit dieser Standort aufgelöst.
Der vergleichsweise betrachtete Raum Münster bildet in
dem neu geschnittenen Betreuungsbereich dagegen einen Betreuungsschwerpunkt mit rund 4 000 Soldaten
und Zivilbediensteten in Rheine und in Münster. Die
Standortverwaltung Münster, die nach dem Ressortkonzept „Stationierung 2001“ aufgelöst werden sollte, bleibt
daher erhalten. Der Zeitpunkt der Auflösung der Standortverwaltung Dülmen steht noch nicht fest.
Erste Zusatzfrage.
Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Ich bitte zu verstehen, dass es trotz Ihrer Ausführungen
sehr schwierig ist, nachzuvollziehen, dass nicht zuletzt
der Standort Coesfeld aufgelöst wird, weil gerade dieser
all die Kriterien, die Ihren Überlegungen zugrunde gelegen haben, nämlich die Kriterien der Transformation,
voll erfüllt. Ich erinnere unter anderem an die vielen
Auslandseinsätze der letzten zweieinhalb Jahre.
Vor diesem Hintergrund werden Sie sicherlich verstehen, dass die Existenznöte bei uns wie auch an anderer
Stelle ziemlich groß sind; schließlich wird dieser Standort im Hinblick auf militärische Konzeptionen völlig
aufgelöst. Es wird schwierig, die einzelnen Soldaten, die
Zivilisten, nicht zuletzt in der Standortverwaltung Dülmen, vernünftig und sozialverträglich unterzubringen.
Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund generell die
Möglichkeiten der Städte und der Verwaltungen gleich
welcher Art, in dieser Situation zumindest zivile Mitarbeiter und nicht zuletzt die Auszubildenden, die schon
jetzt vertraglich gebunden sind, zu übernehmen? Werden
diese Städte und diese Verwaltungen gleichzeitig in ihrer
guten Absicht durch die Aussicht, dass der Bund, vielleicht sogar die Länder hierzu einen finanziellen Beitrag
leisten, unterstützt?
Herr Kollege, ich selbst habe mir den Standort Coesfeld auf Einladung der Kollegin Schwall-Düren angesehen. Ich habe festgestellt, dass Coesfeld ein sehr schönes
Städtchen ist. Vor allen Dingen die Innenstadt ist hervorragend entwickelt. Ich gehe davon aus, dass diese pulsierende Stadt auch dann existieren wird, wenn die Bundeswehr ihren Standort dort aufgibt.
Was die Umsetzung der Überlegungen, wie Coesfeld
in diesem Bereich unterstützt werden kann, angeht, werden wir mithelfen. Das habe ich schon vorhin an anderer
Stelle dem Kollegen Spahn angeboten. Auch an Sie
richte ich das Angebot, gemeinsam zu überlegen, wie
man vor Ort eine Vermarktung einleiten kann.
Ansonsten ist es folgendermaßen: Die Zivilbeschäftigten haben einen Tarifvertrag, der betriebsbedingte
Kündigungen ausschließt und noch eine Reihe von Jahren gilt. Danach wird über eine Verlängerung - in welcher Form auch immer - zu verhandeln sein.
Eines ist allerdings sicher - das sage ich schon jetzt
voraus -: Der Abbau der Arbeitsplätze von etwa
45 000 Zivilbeschäftigten - so viel müssen wir abbauen,
um wieder auf 75 000 zu kommen - wird nicht allein
über den Tarifvertrag zu machen sein. Dabei wird man
andere Regelungen finden müssen: Abfindungen oder
der verstärkte Einsatz der im Tarifvertrag vorgesehenen
Regelung, Stichwort Altersteilzeit. Es wird also niemandem etwas passieren. Wenn Versetzungen vorgenommen
werden müssen, dann wird versucht werden, sie sozialverträglich vorzunehmen.
Abgesehen davon, dass ich das Loblied auf die Stadt
Coesfeld sehr gut nachvollziehen kann und mir auch klar
ist, dass das nicht allein an meiner Kollegin SchwallDüren liegt, habe ich noch eine Frage. Sie sprachen von
der Vermarktung. Gibt es berechtigte Hoffnungen an die
GEBB, also an die Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb, was die Veräußerung der Flächen
angeht - die Erfahrungen, die wir mit dieser Gesellschaft
bisher haben machen müssen, sind letztlich, wenn man
ehrlich ist, katastrophal -, und könnte man seitens der
Bundeswehr, vernünftige Preise vorausgesetzt, mit einer
größeren Verkaufsbereitschaft rechnen, wenn sich die
Kommunen gleichzeitig verpflichten, das alles vor allem
für gemeinnützige Aufgaben zu nutzen?
Wir sind nicht allein Herr des Verfahrens. Sie wissen,
dass die Bundesvermögensverwaltung ihre Hand auf allen Liegenschaften des Bundes, auch auf den Liegenschaften der Bundeswehr, hat. Wir haben die GEBB damals gegründet, um zu versuchen, etwas schneller zu
vermarkten. Wenn Sie sich die Zahlen anschauen, stellen
Sie fest, dass sie nach den ersten beiden in der Tat nicht
gerade erfolgreichen Jahren jetzt eine Erfolgsgeschichte
ist.
Ich schlage vor, Überlegungen in der Richtung anzustellen, was etwa auch in der Stadt Schleswig in
Schleswig-Holstein passiert ist: Die Stadt hat mit der
GEBB einen Vertrag über eine Entwicklungsmaßnahme
geschlossen und das Land Schleswig-Holstein hat dabei
mitgemacht. Es geht darum, dass das Land die Städtebaufördermittel oder die Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ verteilt. Diese Kombination könnte durchaus
erfolgreich sein und könnte auch für Coesfeld angedacht
werden. Ich biete an, dass wir die Gesellschaft mit Ihren
Verwaltungsleuten in Verbindung bringen, damit dort
gemeinsam überlegt werden kann.
Herr Lensing, Sie haben schon zwei Nachfragen gestellt. Deswegen kommt jetzt die Nachfrage des Kollegen Spahn. Dann kommen wir zu der weiteren Frage von
Ihnen.
({0})
- Ich werde keines Ihrer Rechte je beschneiden.
Frau Präsidentin, vielen Dank. - Herr Staatssekretär,
Sie haben gerade den Tarifvertrag für die Zivilbeschäftigten, der bis 2010 gilt, angesprochen. Zum Ersten. Ich
höre immer wieder, dass es zu den Stichworten, die Sie
genannt haben - Altersteilzeit, Abfindung -, Nachverhandlungen geben soll. Ist das der Fall und, wenn ja,
wann? Zum Zweiten. Wann soll in dem Fall, dass Angebote an die Zivilbeschäftigten gemacht worden sind, an
einen anderen Standort zu wechseln, durchgreifend damit begonnen werden, das so zu zählen, dass gegebenenfalls eine Auflösung des Dienstverhältnisses infrage
kommt? Im Moment wird das noch sehr großzügig gehandhabt.
Man wird zunächst einmal abwarten müssen, bis die
Feinplanungen vorliegen, bis klar ist, wann die Umzüge
stattfinden sollen, wann die Reduzierungen oder Schließungen vorgenommen werden. Dann wird man mit jedem einzelnen Mitarbeiter und jeder einzelnen Mitarbeiterin Gespräche darüber führen, wie eine weitere
Verwendung aussehen kann oder ob er oder sie Altersteilzeit in Anspruch nehmen will oder eine Abfindungsregelung bevorzugt. Das wird also mit jedem einzelnen
Arbeitnehmer besprochen, so wie das auch bisher der
Fall ist. Wenn Sie meinen, schon morgen müsse alles besprochen werden, muss ich Ihnen sagen: So schnell geht
das auch bei der Bundeswehr nicht.
Jetzt rufe ich die Frage 10 des Abgeordneten Lensing
auf:
Welche Kosten sind bei der Verlegung des
Artillerieaufklärungsbataillons 71 - ehemals Beobachtungspanzerartilleriebataillon 71 - von Dülmen nach Coesfeld entstanden und wie hoch waren die diesbezüglich notwendigen
Investitionen in die Immobilie der Freiherr-vom-SteinKaserne in Coesfeld?
Herr Kollege Lensing, für die Aufstellung des Artillerieaufklärungsbataillons 71 unter anderem mit zwei
Drohnen und zwei KZO-Batterien - ich habe mich eben
kundig gemacht, was das heißt; „KZO“ steht für „Kleinfluggerät Zielortung“ - wurden lediglich Teile des ehemaligen Panzerbeobachtungsartilleriebataillons 71 gebraucht, und zwar wurden zwei Batterien aus Dülmen
herangezogen und in die vorhandene Infrastruktur in die
Freiherr-vom-Stein-Kaserne in Coesfeld verlegt. Hierfür
wurden lediglich geringfügige, ohnehin notwendige
Bauunterhaltungsmaßnahmen, jedoch keine investiven
baulichen Maßnahmen durchgeführt. Die reinen Verlegekosten für die beiden Batterien über eine Entfernung
von circa 17 Kilometern unterliegen keiner betriebswirtschaftlichen Kalkulation.
Erstaunlich! Aber ich darf hier ja nur fragen.- Ich
möchte eine Frage an Sie richten, die die Gesamtproblematik angeht. Wie beurteilen Sie die Glaubwürdigkeit
des Bundeskanzlers, der einerseits zu Recht von der
Wirtschaft Arbeitsplatzgarantien fordert, andererseits
aber seiner eigenen, im Bereich der Richtlinienkompetenz liegenden Fürsorgepflicht gegenüber Soldaten sowie zivilen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Bundeswehr und der StOV zumindest nur mangelhaft
nachkommt?
Ich kann das nicht bestätigen. Im Gegensatz zu Ihnen
bin ich der Auffassung, dass der Bundeskanzler seine
Sache hervorragend macht.
Na ja, ich verfüge über die Fähigkeit der objektiven
Beurteilung und möchte mehr dazu nicht sagen.
Ansonsten kommt der Dienstherr, das ist in Friedenszeiten der Bundesverteidigungsminister Dr. Struck, natürlich seinen Fürsorgepflichten nach. Ich hatte die Gesichtspunkte eben schon einmal gegenüber Herrn Spahn
erläutert: Wir werden mit jedem einzelnen Zivilbeschäftigten reden. Soldaten und Beamte müssen dagegen wie
früher die Bundesbahn- und Bundespostbeamten damit
rechnen, dass sie innerhalb des Bundesgebietes versetzt
werden. Das ist logisch. Die Probleme der Zivilbeschäftigten haben wir aber durchaus im Blick.
Noch einmal eine etwas weiterführende Frage, die unseren münsterländischen Raum betrifft, in dem das Militär ja kaum noch vertreten ist bzw. der - ich übernehme
hier Ihren Hinweis - vom Militär leergefegt ist: Wie soll
ein flächendeckender Schutz vor Terrorangriffen gewährleistet werden, wenn es in Zukunft an Sicherungspersonal bzw. an Personal mit genauen Ortskenntnissen
zur Objektsicherung mangelt?
Auch nach Reduzierung der Stärke der Bundeswehr
wird es notwendig sein, Liegenschaften zu bewachen.
Flächendeckende terroristische Angriffe sind nicht unbedingt zu erwarten, aber es werden natürlich Vorkehrungen getroffen, indem Bundeswehrkasernen bzw. -liegenschaften, wenn sich Anzeichen für eine akute Bedrohung
ergeben, entsprechend bewacht werden. Das ist selbstverständlich auch mit der vorhandenen Mannschaftsstärke möglich.
Eines muss sich bei der Bewachung von Liegenschaften natürlich ändern. Sie wissen, dass unsere Marine in
Bayern oder in Ramstein Kasernen der Amerikaner bewacht. Das entspricht nicht unbedingt der Ausbildung
der Soldaten. Hier müsste man sich neue Konzepte überlegen. Wir reduzieren ja im Einvernehmen mit den Amerikanern schon die Zahl der Bewacher von amerikanischen Liegenschaften.
({0})
- Wir müssen das abstimmen; dabei wollen die Amerikaner nicht so schnell vorgehen wie wir, Herr Kollege
van Essen.
In dem Zusammenhang bedauere ich außerordentlich,
dass sich die Länder stiekum aus der Verantwortung gestohlen haben, indem sie die Polizeibewachung erheblich reduziert haben. Das Gleiche gilt auch - hier denke
ich an Kollegen innerhalb der Bundesregierung - für den
Bundesgrenzschutz. Wir werden also auf alle Fälle die
Bewachung sicherstellen, auch wenn die Bundeswehrstärke erheblich reduziert wird.
Jetzt hat die Kollegin Bellmann das Wort zur Nachfrage. Dann kommen die Kollegen Spahn, Jahr und van
Essen.
Herr Staatssekretär, in der Frage ging es um Kosten.
Ich möchte deshalb eine Frage zu einer Pressemitteilung
vom heutigen Tage zum Haushalt stellen, in der es heißt,
Eichel wolle den Bundeswehretat beschneiden. Wie wirken sich die geplanten Einsparungen in Höhe von
500 Millionen auf die neu zu bewältigenden Aufgaben
aus? Welche Auswirkungen hat das auf die den Standorten zugewiesene Anzahl von Dienstposten bzw. auf die
Mannschaftsstärken?
Frau Kollegin, ich würde Ihnen die Frage sehr gerne
konkret beantworten; dafür müsste ich aber wissen, wie
die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses ausgehen wird, die morgen stattfindet. Erst danach kann
man erkennen, ob der Einzelplan 14, also der des Verteidigungsministeriums, in erheblichem Maße betroffen ist.
Die Zahlen, die in Presseorganen herumgeistern, müssen
nicht immer mit dem übereinstimmen, was schließlich
beschlossen wird. Ich gehe davon aus, dass auch der
Einzelplan 14 seinen Solidarbeitrag zu den Gesamteinsparmaßnahmen leisten muss, diese aber nicht so tragisch ausfallen, wie es in den Zeitungen dargestellt
wurde.
Herr Kollege Spahn.
Herr Staatssekretär, mit Blick auf die gerade auch angesprochenen Komponenten wie Heimatschutz etc.
möchte ich Sie fragen: Wie steht die Bundesregierung zu
Aussagen von Mitgliedern der Regierungskoalition, die
auf Tagungen am Wochenende erhoben wurden, dass mit
den Stationierungsentscheidungen auch eine klare Entscheidung gegen die Wehrpflicht gefallen sei, diese also
in Zukunft nicht mehr zu halten sei?
Die Bundeswehr sieht das nicht so.
({0})
- Ich stelle meine Aussage klar: Die Bundesregierung
sieht das nicht so.
Herr Dr. Jahr, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben ja dankenswerterweise
in Ihrem Hause eine Konzeption entwickelt. Habe ich
Sie richtig verstanden, dass Sie uns heute noch nicht genau sagen können, in welcher Höhe Investitionen erforderlich sind, um dieses Konzept umzusetzen, und auch
nicht ungefähr beziffern können, wie hoch die von Ihnen
angenommene Reduzierung der Betriebskosten ausfallen
wird?
Das haben Sie durchaus richtig verstanden. Aber ich
kann Ihnen aus meiner früheren beruflichen Praxis sagen, dass man, wenn man eine Maßnahme umsetzen
will, zunächst einmal einen Kostenvoranschlag macht,
den man dem Finanzminister vorlegt, der ihn dann annimmt oder ablehnt. Wenn er ihn ablehnt, kann man den
Versuch unternehmen, das Parlament dazu zu bewegen,
sich über den Beschluss des Finanzministers hinwegzusetzen, was im konkreten Einzelfall ja schön wäre, aber
selten eintritt. Somit könnte man sagen, das ist alles gesichert. Die Zahlen kann ich Ihnen nicht nennen, weil die
Feinausplanung erst jetzt erfolgt. Wenn die Zahlen zur
Verfügung stehen, werden sie dem Parlament mitgeteilt;
das ist selbstverständlich.
({0})
Der Abgeordnete van Essen.
Herr Staatssekretär, Sie haben zu Recht auf die Erfahrungen der Bundeswehr mit der Bewachung von amerikanischen Kasernen und die Probleme, den Wachauftrag
zurückzugeben, hingewiesen. Teilen Sie - auch vor dem
Hintergrund der Erfahrungen mit den Ländern, was die
polizeiliche Seite anbelangt - meine Auffassung, dass
die Forderung nach einem verstärkten Einsatz der Bundeswehr im Inneren, die wir auch in dieser Fragestunde
immer wieder hören, ganz wesentlich von dem Bemühen
der Innenminister getragen ist, Kosten im Bereich der
Polizei einzusparen, insbesondere angesichts der Tatsache, dass Bayern die Polizeidichte ganz erheblich reduziert, und sind Sie mit mir der Auffassung, dass es sich
hier nicht um eine Aufgabe der Bundeswehr handelt?
Die Auffassung, dass das keine Aufgabe der Bundeswehr ist, teile ich; aber zu Ihrer Kritik an den Ländern
möchte ich mich hier nicht äußern.
Der Abgeordnete Laumann.
Herr Staatssekretär, die Fragestunde hat bis jetzt deutlich gemacht, dass neben dem Münsterland auch viele
andere Regionen von dem Stationierungskonzept, das
Sie vorgelegt haben, schwer betroffen sind; das ist ja
nicht zu leugnen. Natürlich muss bei der Aufgabe von
Militärstandorten immer auch die wirtschaftspolitische
Komponente für die Region in Bezug auf die Kaufkraft
und viele andere Dinge berücksichtigt werden. Aus diesem Grunde hat eine frühere Bundesregierung Anfang
der 90er-Jahre beschlossen, den Ländern 2 Prozent des
Mehrwertsteueraufkommens zur Verfügung zu stellen,
damit sie die betroffenen Regionen durch Konversionsprogramme begleiten können. Jetzt müssen wir aber in
Nordrhein-Westfalen feststellen, dass die dortige Landesregierung zwar mit gutem Ratschlag, aber nicht mit
Geld helfen will. Meine Frage ist: Welche Möglichkeiten
sieht die Bundesregierung, durchzusetzen, dass die rotgrüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen, der Sie
ja sehr verbunden sind, die Gelder, die das Land wie alle
anderen Länder Jahr für Jahr aus dem Mehrwertsteueraufkommen erhält, auch für diese Aufgabe zur Verfügung stellt?
Herr Kollege, ich gebe Ihnen Recht, dass die Länder
- offenbar alle - verdrängen, dass 1993 beschlossen
worden ist, dass sie 2 Prozent der Umsatzsteuer erhalten,
um diese für Konversionsmaßnahmen zu nutzen. Ich
habe gesagt, dass das Land Rheinland-Pfalz diese Aufgabe nach meiner Einschätzung als einziges Land erfüllt
hat; in Nordrhein-Westfalen ist das zum größten Teil geschehen. Ich gehe davon aus, dass sich die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen dieser Zugabe von
2 Prozent der Umsatzsteuer erinnert und mit den betroffenen Gemeinden in Verbindung tritt. Es ist angekündigt
worden, dass eine entsprechende Veranstaltung stattfindet.
Dann wird man sehen, welche Kombination von Fördermöglichkeiten - ich habe das eben bereits genannt:
das können Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, aus der
Städtebauförderung, aus dem Programm „Aufbau West“,
aus dem Programm „Soziale Stadt“ und Ähnliches sein realisiert wird. Jedenfalls müssen alle diese Möglichkeiten eines Gesamtförderungsprogramms ins Kalkül gezogen werden. Wenn das geschieht, bin ich sicher, dass die
Landesregierung von Nordrhein-Westfalen aufgeschlossen genug sein wird, ihrer Aufgabe, die Sie eben formuliert haben, nachzukommen.
({0})
Der Abgeordnete Grindel.
Herr Staatssekretär, ich möchte Bezug auf die Frage
des Kollegen Spahn nach der Wehrpflicht nehmen. Sie
haben gesagt, die Bundesregierung sehe das nicht so wie
einige der sie tragenden Fraktionen. Was tut die Bundesregierung dafür, dass es bei der Wehrpflicht bleibt, auch
über das Jahr 2006 hinaus - bzw. über das Jahr 2005 hinaus; das ist ein neuralgischer Punkt, denn 2006 machen
wir das ja?
Ich bin absolut sicher, dass Sie nicht in die Verlegenheit kommen werden, die Entscheidung herbeiführen zu
müssen. Wir werden die Koalitionsvereinbarung einhalten, wonach bis zum Jahre 2006 eine Entscheidung der
Koalition herbeigeführt werden soll, ob die Wehrpflicht
beibehalten wird oder nicht. Ich bin der Meinung - damit befinde ich mich in Übereinstimmung mit der gesamten Bundesregierung -, dass die Wehrpflicht in jedem Fall erhalten bleiben sollte, weil sie sich in den
Jahren seit der Gründung der Bundeswehr als Erfolgsfaktor erwiesen hat. Man wird sehen, wie der Entscheidungsprozess verlaufen wird. Sie wissen, dass meine
Partei am Samstag einen Kongress veranstaltet, auf dem
eine erste umfassende Diskussion geführt werden soll.
Es gibt hier im Hause bereits festgezurrte Standpunkte,
wie Sie wissen.
Die Kolleginnen und Kollegen von der FDP sind für
die Aussetzung der Wehrpflicht. Vor kurzem haben wir
über einen entsprechenden Antrag diskutiert und ihn mit
großer Mehrheit - nebenbei bemerkt: darunter waren
alle Stimmen der Koalition - abgelehnt.
Bei unseren Freunden vom Bündnis 90/Die Grünen
gibt es ebenfalls Stimmen, die für eine Abschaffung der
Wehrpflicht sind. Bei der CDU/CSU gibt es nur sehr
vereinzelte Stimmen, die sich dafür aussprechen. Nach
meiner Einschätzung gibt es in der SPD eine Mehrheit
für die Beibehaltung der Wehrpflicht. Ich will aber nicht
meine Hand dafür ins Feuer legen, wie es nach dem
Kongress und dem Parteitag 2005 weitergeht.
({0})
Herr Staatssekretär, Sie mussten eine ganze Reihe von
Antworten geben. Vielen Dank dafür. Sie können sich
jetzt erholen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Die
Parlamentarische Staatssekretärin Marion Caspers-Merk
wird die Fragen beantworten.
Ich rufe zunächst die Frage 11 des Abgeordneten
Heinrich Kolb auf:
Trifft es zu, dass, wie unter anderem bei Reuters am
28. Oktober 2004 zu lesen war, die Krankenkassenschulden
bei den Kliniken im Vergleich zum Jahr 2002 um 75 Prozent
gestiegen sind?
Herr Kollege Kolb, Sie fragen nach der Höhe der
Zahlungsrückstände von Krankenkassen gegenüber
Krankenhäusern. Ich wiederhole die Aussage, die die
Ministerin bereits im Ausschuss gemacht hat: Uns liegen
derzeit keine exakten Zahlen über die Zahlungsrückstände von Krankenkassen gegenüber Krankenhäusern
vor.
Der Reuters-Nachricht, auf die Sie sich in Ihrer Frage
beziehen, liegt eine Studie des Deutschen Krankenhausinstituts zu Zahlungsverzögerungen und Zahlungsverweigerungen durch die gesetzlichen Kassen zugrunde.
Es handelt sich dabei nur um eine stichprobenartige Erhebung. Die Basis für die Hochrechnung waren
318 Krankenhäuser von insgesamt über 2 000 Krankenhäusern in Deutschland. Ob diese Hochrechnung insgesamt zutrifft, kann das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung nicht beurteilen.
Der entscheidende Punkt ist, dass die einzig exakte
Zahl die von den Krankenkassen zu verbuchenden Verpflichtungen gegenüber den hier angesprochenen Leistungserbringern ist. Wir haben Ihnen im Ausschuss
schon eine entsprechende Frage beantwortet. Die Verpflichtungen, die in den Bilanzen enthalten sind, sind
vom Jahr 2002 zum Jahr 2003 nur um 3,4 Prozent gestiegen. Die exorbitante Steigerung, die in der ReutersNachricht gemeldet wurde, kann von unserer Seite also
nicht bestätigt werden.
Ich will an dieser Stelle betonen - diese Unterscheidung muss man treffen -: Die Bilanz zum Jahresende
spiegelt die Situation des Gesamtjahres wider. Darüber,
wie sich die Zahlungsmoral unterjährig, also beispielsweise in jedem einzelnen Monat, entwickelt, liegen uns
keine Zahlen vor. Sie müssen uns auch nicht vorliegen;
denn wir haben kein staatliches Gesundheitswesen. Die
Partner der Selbstverwaltung handeln die Zahlungsmodalitäten untereinander aus.
Die Krankenkassen haben auf die Reuters-Nachricht
erwidert, dass Forderungen deswegen teilweise offen gestellt worden sind, weil noch Prüfungen vonseiten des
Medizinischen Dienstes laufen. Die Kassen wollen zunächst die Rechnungen auf Richtigkeit überprüfen, bevor sie sie vollständig begleichen.
Man muss also unterscheiden zwischen dem monatlichen Zahlungsgeschehen und der Bilanz zum Jahresende.
Bitte eine Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, dieses Offenstellen von Rechnungen - um es deutlicher zu sagen: das Strittigstellen
von Rechnungen - kennen wir auch aus anderen Bereichen. Ich nenne zum Beispiel den Baubereich, in dem
Handwerkerrechnungen mit Hinweis auf angeblich noch
nicht geleistete Arbeiten oft längere Zeit nicht bezahlt
werden.
Herr Kösters, der Vizepräsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, hat der Reuters-Meldung zufolge
von einer Sparstrategie der Krankenkassen gesprochen.
Er geht davon aus, dass es sich eben nicht um ein zufälliges Verhalten handelt, sondern dass die Krankenkassen
ihre Zahlungsziele zulasten der Krankenhäuser systematisch erweitern. Meine Frage ist: Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, dass es eine solche Sparstrategie geben könnte?
Es liegen uns keine Erkenntnisse dazu vor, dass es das
geben könnte. Wir sind vonseiten der Deutschen Krankenhausgesellschaft gebeten worden, hier tätig zu werden. Wir haben daher an die Spitzenverbände der Krankenkassen einen Brief geschrieben mit der Bitte, diese
Praxis noch einmal zu überprüfen. Dabei besteht möglicherweise eine gewisse Diskrepanz zwischen dem, was
die Spitzenverbände tun, und den einzelnen Krankenkassen vor Ort, die die Rechnungen zu begleichen haben.
Der VdAK hat in der besagten Reuters-Nachricht mit
folgendem Hinweis reagiert: Je besser die Krankenhäuser die Abrechnungen gestalten und umso weniger Fehler bei der Datenübermittlung passierten, desto zügiger
könnten die Kassen die Schulden begleichen. Pro Jahr
werden nach deren Angaben insgesamt 47 Milliarden
Euro an die Krankenhäuser überwiesen. Wenn Sie diesem Betrag die Summe von 2,3 Milliarden Euro an nicht
beglichenen Rechnungen gegenüberstellen - wenn diese
Hochrechnung denn stimmt; was wir nicht wissen -,
dann geht es um eine Größenordnung von 5 Prozent.
Dies relativiert die Frage, ob es sich hierbei um eine systematische Sparstrategie handelt.
Ausgehend von den Jahresbilanzen war die Auskunft,
die Ihnen im Fachausschuss gegeben wurde, zutreffend:
Wir sehen hier keine signifikanten Anstiege.
Danke, Frau Staatssekretärin. - Solch ein zusätzlicher
kostenloser Kredit in Höhe von 5 Prozent des Leistungsvolumens ist ja nicht schlecht. Daraus ergibt sich aber
eine durchschnittliche Forderungshöhe von 1,3 Millionen Euro pro Krankenhaus, also auch für kleine und
kleinste Krankenhäuser in der Fläche. Wie beurteilen Sie
denn die in der genannten Meldung auch wiedergegebene Einschätzung, dass dies zu einer Gefährdung der
Sicherstellung der Patientenversorgung führen könnte
und dass Liquiditätsengpässe einzelne Krankenhäuser
bei einer Fortsetzung dieses Trends an den Rand der Insolvenz treiben könnten?
Herr Kollege Kolb, wenn es zunächst einmal zuträfe,
dass dies eine systematische Sparstrategie wäre, die
nicht durch Prüfbedarf und durch tatsächliche Probleme
bei der Abrechnung und der Datenübermittlung begründet ist, dann hätten Sie Recht. Wir können das aber im
Moment nicht beurteilen.
Ich will an dieser Stelle nur darauf hinweisen - denn
dies ist mir wichtig -, dass der Gesetzgeber eindeutige
Zahlungsfristen festgelegt hat, die auch einzuhalten sind.
Auf die Einhaltung dieser Fristen haben wir wiederholt
hingewiesen: Die Zahlungsfrist zur Begleichung von
Krankenhausrechnungen ist in der aufgrund des § 112
SGB V beschlossenen Rahmenempfehlung zwischen der
Deutschen Krankenhausgesellschaft und den Spitzenverbänden der Krankenkassen geregelt. Hiernach hat die
Krankenkasse die Rechnung innerhalb von 14 Tagen
nach Rechnungseingang zu begleichen. Erfolgt die Zahlung nicht innerhalb dieser Frist, kann das Krankenhaus
Verzugszinsen verlangen, ohne dass es einer Mahnung
bedarf. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch
auf § 17 Abs. 1 Satz 3 der Bundespflegesatzverordnung
und auf § 11 Abs. 1 Satz 4 Krankenhausentgeltgesetz,
wonach die Pflegesatzvereinbarung auch Bestimmungen
enthalten muss, die eine zeitnahe Bezahlung des Entgelts
an das Krankenhaus gewährleisten.
Ich will hiermit die Krankenhausseite darin bestärken,
bei den Pflegesatzverhandlungen auch auf diese Punkte
Bezug zu nehmen und die vorhandenen Möglichkeiten
auszuschöpfen. Denn wenn Verzugszinsen anfallen,
sieht die Situation natürlich wieder anders aus.
Ich rufe jetzt die Frage 12 des Abgeordneten Heinrich
Kolb auf, obwohl sie eigentlich schon angeschnitten
worden ist:
Ist dies dem zuständigen Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung bekannt gewesen und, wenn ja,
seit wann?
Die Frage 12 habe ich im Prinzip schon beantwortet.
Ich habe ja darauf hingewiesen, dass wir im Fachausschuss die Bilanz für 2002/2003 bekannt gegeben haben.
Uns war diese aktuelle Zahl nicht bekannt; auch wir haben sie der Presse entnommen. Denn der Deutschen
Krankenhausgesellschaft steht es frei, die sich aus einer
Erhebung ergebenden Zahlen wann auch immer zu publizieren. Insofern ist klar, dass wir Ihnen eine Auskunft
aufgrund dieser Bilanz gegeben haben.
Frau Staatssekretärin, gibt es denn seitens der Bundesregierung eine laufende Bewertung des Zahlungsverhaltens der Kassen, eventuell nach Kassenarten unterschieden, und welche Aussagen können, was die
Begleichung von solchen Forderungen nach der Gesetzeslage angeht, von Ihrer Seite getroffen werden?
Ich habe Ihnen gerade die Rechtslage dargelegt.
({0})
Der Gesetzgeber hat einen Rechtsrahmen geschaffen,
der durch die Vertragspartner ausgeschöpft werden
muss. Wir haben hier zwei Vertragsparteien: zum einen
das Krankenhaus, das für seine erbrachte Leistung rechtzeitig vergütet werden will, und zum anderen die Krankenkasse, die natürlich prüfen muss, ob der Rechnungsbetrag zu Recht verlangt wird. Wir können uns nicht in
die Vertragsabwicklung aller Krankenhäuser - es sind
mehr als 2 000 - über das gesamte Jahr hinweg einmischen. Wenn es allerdings eine systematische Strategie
gäbe, müssen wir eingreifen. Deswegen beobachten wir
das Verhalten der Krankenkassen. Wir haben, um klar zu
machen, dass wir die Besorgnisse teilen, in einem
Schreiben an die Spitzenverbände der Krankenkassen
noch einmal auf die Rechtslage hingewiesen.
Gibt es denn, Frau Staatssekretärin, da offensichtlich
keine unterjährige Beobachtung der sich ergebenden
Verbindlichkeiten der Krankenkassen erfolgt, für den
eben von Ihnen beschriebenen Fall, ein Monitoring einzuführen, Überlegungen, den Schuldenstand der Krankenkassen auch unterjährig zu verfolgen?
Herr Kollege Kolb, man kann, wie man im Badischen
sagt, nicht das Fünferle und das Weckle haben. Wenn
man eine Selbstverwaltung hat, kann man nicht gleichzeitig fordern, dass das Gesundheitsministerium ein Monitoring betreibt, am besten noch für alle 2 000 Krankenhäuser, um die Zahlungsmoral zu kennen. Das
widerspricht sich. Entweder man hat eine Selbstverwaltung, dann erwartet man, dass die Vertragsparteien fair
miteinander umgehen. Das Öffentlichmachen dieser Fragen kann ja auch ein Instrument sein, um hier mehr Zahlungsmoral durchzusetzen. Oder aber es gibt ein staatliches Gesundheitswesen - das werfen Sie uns oft in
Debatten vor -; dann wären wir in der Tat verantwortlich. Aber Sie können hier nicht beklagen, dass wir nicht
jedes Detail der Vertragsabwicklung kennen, und sich
gleichzeitig gegen die Staatsmedizin aussprechen. Das
passt nicht zusammen.
Jetzt kommen wir zur Frage 13 des Abgeordneten
Daniel Bahr:
Aus welchen Gründen wird eine grundlegende Reform der
sozialen Pflegeversicherung auf einen Zeitpunkt nach der
nächsten Bundestagswahl verschoben, obwohl die Bundesregierung im Rahmen des am 3. November 2004 vom Kabinett
gebilligten Dritten Berichts zur Entwicklung der Pflegeversicherung einen weit reichenden Handlungsbedarf, insbesondere hinsichtlich der Stärkung der häuslichen Pflege und verbesserter Leistungen für Demenzkranke, sieht?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Bahr, der Dritte Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung verdeutlicht, dass die
Pflegeversicherung in den annähernd zehn Jahren ihres
Bestehens ein unverzichtbarer Baustein zur Absicherung
sozialer Risiken ist. Derzeit erhalten monatlich rund
2 Millionen Menschen Leistungen aus der Pflegeversicherung. Die Abhängigkeit von der Sozialhilfe konnte
erheblich vermindert werden. Die jährlichen Aufwendungen der Sozialhilfe für die Hilfe zur Pflege sind um
rund 6 Milliarden Euro zurückgegangen. Im Zuge des
Auf- und Ausbaus der pflegerischen Infrastruktur sind
seit Einführung der Pflegeversicherung rund 250 000
Arbeitsplätze im Bereich der Pflege geschaffen worden.
Die Veränderungen durch die Pflegeversicherung werden durch die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen
ganz überwiegend positiv bewertet.
Wir müssen natürlich überlegen, wie wir die Leistungen der Pflegeversicherung in einer älter werdenden Gesellschaft mit einem Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen bei gleichzeitiger Verminderung der Zahl der
erwerbstätigen Beitragszahler aufrechterhalten können.
Diese Problematik, die in der Pflegeversicherung begründet ist, war im Übrigen schon bei Einführung der
Pflegeversicherung bekannt. Ich erinnere daran, dass bereits die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung auf
das Problem der Demographie hingewiesen hat, auch
darauf, dass die Leistungen aus der Pflegeversicherung
nicht dynamisiert sind. Das heißt, bei ansteigenden Kosten kommt es bei gleichbleibenden Pflegesätzen zu einer
Entwertung der Leistung.
Sie wissen, dass das Finanzpolster in der Pflegeversicherung aus diesem Grunde immer stärker abschmilzt.
Um dem entgegenzusteuern, haben wir ein Gesetz beschlossen, das den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts umsetzt, Mitglieder der Pflegeversicherung mit
Kindern beitragsmäßig anders zu behandeln als Mitglieder ohne Kinder. Gleichzeitig verbinden wir dies mit
Mehreinnahmen in einer Größenordnung von 700 Millionen Euro.
Wir müssen Veränderungen innerhalb der Pflegeversicherung durchführen und eine Verbesserung ihrer finanziellen Ausstattung erreichen. Dabei geht es um die
Fragen: Was können wir für Demenzkranke tun? Wie
können wir den ambulanten gegenüber dem stationären
Bereich stärken? Diese Fragen können nicht beantwortet
werden, wenn es uns nicht gelingt, auch die finanzielle
Basis der Pflegekassen zu konsolidieren.
Durch die finanzielle Konsolidierung und die Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts haben
wir einen ersten Schritt getan. Wir werden auch die
nächsten Schritte gehen. Allerdings wird ein gesellschaftlicher Dialog notwendig sein, um zu klären, welche Schritte wir vordringlich tun müssen und was die
Gesellschaft bereit ist, in die Pflege zu investieren.
Bitte.
Ich habe eine Zusatzfrage. Frau Staatssekretärin, Sie
haben zu Recht darauf hingewiesen, dass die Probleme,
die durch die demographische Entwicklung entstehen
werden, schon bekannt waren, als im Jahre 1994 die Debatte über die Pflegeversicherung geführt wurde. Sie
werden sich sicherlich daran erinnern, dass die FDPFraktion damals sehr viel Druck gemacht hat, um eine
entsprechende Reform einzuleiten. Wir haben uns damals gegen den Widerstand der SPD- und der CDU/
CSU-Fraktion für ein Kapitaldeckungsverfahren und gegen das Umlageverfahren eingesetzt.
Im Dritten Bericht zur Entwicklung der Pflegeversicherung wird nun allerdings - zumindest war das der
Pressemeldung zu entnehmen - aufgrund des in den letzten Jahren immer weiter gestiegenen Defizits auf die
Notwendigkeit einer grundlegenden Reform hingewiesen. Darüber hinaus haben auch Sie zu Recht die Dynamisierung und Ausweitung der Leistungen angesprochen. Deswegen frage ich Sie: Steht noch in dieser
Legislaturperiode die in diesem Bericht geforderte
grundlegende Reform der Pflegeversicherung an oder
wird es in dieser Legislaturperiode zu keiner Reform der
Pflegeversicherung mehr kommen?
Zunächst einmal haben wir durch die Maßnahmen,
die ich bereits angesprochen habe - die Umsetzung des
Urteils des Bundesverfassungsgerichts kombiniert mit
der finanziellen Konsolidierung -, eine Teilreform umgesetzt. Wir erwarten Anfang nächsten Jahres erste Ergebnisse, die daraufhin geprüft werden, ob bzw. wie sie
noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden können.
An dieser Stelle darf ich daran erinnern, dass es einen
„Runden Tisch Pflege“ gibt, an dem sich sowohl das
Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
als auch unser Haus gemeinsam beteiligen. Eines der
Themen, die dort behandelt werden, ist die Entbürokratisierung der Pflege. Wir versuchen, durch den Abbau
bürokratischer Hemmnisse mehr Effizienz zu erreichen
und gleichzeitig die Pflege zu verbessern. Das ist ein
sehr dringendes Erfordernis.
Ich gehe davon aus, dass der gemeinsame runde Tisch
zu diesem Themenkomplex noch in diesem Jahr erste
Ergebnisse vorlegen wird, sodass wir dann in die Umsetzungsphase eintreten können. Im nächsten Jahr wird unser Haus einen gesellschaftspolitischen Dialog zum
Thema Pflege einleiten. Die Fragestellungen, die Sie angesprochen haben, werden zentrale Bestandteile dieses
Dialogs sein. Es wird dabei unter anderem um folgende
Fragen gehen: Was können wir im Bereich Demenz tun?
Wie können wir ambulante Pflegestrukturen stärken?
Ich betrachte dies als einen Prozess. Es wird sicherlich nie den einen großen Wurf geben. Wir brauchen
vielmehr eine gesellschaftliche Diskussion über das
Thema Pflege bzw. einen Umbau der Pflegeversicherung. Es muss ausgelotet werden, wie viel Eigenverantwortung wir den Menschen einerseits zumuten können
und was durch den Umbau der Pflegeversicherung andererseits gesamtgesellschaftlich geleistet werden muss.
Bitte.
Frau Staatssekretärin, ich stelle fest, dass es das Ziel
der Bundesregierung ist, in dieser Legislaturperiode
zwar den von Ihnen angesprochenen Dialog zu führen,
dass aber, wenn er beendet ist, in dieser Legislaturperiode kein Gesetzesvorhaben mehr auf den Weg gebracht
wird. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie, warum die
Rürup-Kommission zu Beginn dieser Legislaturperiode
damit beauftragt wurde, ein Konzept zur Reform der
Pflegeversicherung zu erarbeiten, und warum die Bundesregierung dieses Konzept - es wurde ja sogar über
seine Finanzierung nachgedacht - nicht in die parlamentarischen Beratungen eingebracht hat?
Herr Kollege, es gibt Sachverständigengremien, die
wir zur Politikberatung langfristig in Anspruch nehmen
können. Das macht jede Fraktion, die Bundesregierung
und auch der Bundestag, zum Beispiel durch die Einrichtung von Enquete-Kommissionen. Es wäre schlimm,
wenn die Vorschläge, die dort erarbeitet werden, nicht in
die Diskussion einfließen. Es ist aber mit Sicherheit in
der Realität nicht zu erwarten, dass die Vorschläge eins
zu eins umgesetzt werden. Insofern erinnere ich in diesem Zusammenhang daran, dass die Rürup-Kommission
auch Vorschläge für eine grundlegende Reform der Umgestaltung und Finanzierung der Krankenversicherung
gemacht hat.
Die beiden Wege, die jetzt noch in der politischen Debatte sind - Kopfpauschale bzw. Prämienmodell versus
Bürgerversicherung -, sind ja im Bericht der RürupKommission aufgezeigt worden. Niemand ist davon ausgegangen, dass das, was dort langfristig zur Finanzierung der gesetzlichen Kassen angedacht worden ist,
noch in dieser Legislaturperiode eins zu eins umgesetzt
wird. Aber eine langfristige Orientierung zu geben ist,
wie ich glaube, das Ziel der Arbeit einer solchen Kommission. Deswegen ist sie wertvoll für uns. Wir müssen
die Vorschläge nun in einzelnen Schritten parlamentarisch voranbringen. Erste Schritte haben wir eingeleitet,
unter anderem mit unserem Konzept zur Umsetzung des
Urteils des Bundesverfassungsgerichts, das die finanzielle Basis der Pflegekassen nicht weiter schmälert.
Beim Unionsmodell wäre das der Fall gewesen. Nach
Ihrem Modell wäre die Finanzierung zulasten der Steuerzahler erfolgt. Ich glaube, nur wenn man finanziell ein
klares Konzept hat, kann man seriös über weitere Reformbaustellen diskutieren.
Nachfrage des Kollegen Kolb.
Frau Staatssekretärin, Sie haben von einem klaren
Konzept gesprochen. Würden Sie mir zustimmen, dass
es eher ein Stopfen von Löchern ist, das bei der Umsetzung des Urteils des Verfassungsgerichts im Vordergrund stand? Denn die 700 Millionen Euro, die Sie jetzt
mehr einnehmen - auch eine Strategie: Entlastung durch
Belastung! -, entsprechen ja ziemlich genau dem Defizit
des letzten Jahres. Da kann man doch nicht von einer
klaren Strategie sprechen, sondern das ist kurzfristiger
Aktionismus, um Finanzlöcher zu stopfen.
({0})
Herr Kollege Kolb, was ich an Ihrer Argumentation
nicht ganz ehrlich finde, ist Folgendes: Wir hatten drei
Konzepte. Niemand in diesem Haus hat ein umfassendes
Konzept zur Pflegeversicherung vorgelegt. Auch Ihr
Konzept zielt in erster Linie auf die Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Sie hätten die Entlastung von Eltern zulasten des Haushalts finanziert, das
heißt über Steuern, nach dem Prinzip „rechte Tasche,
linke Tasche“. Sie können hier mit Ihren Haushaltspolitikern nicht einerseits beklagen, dass der Haushalt nicht in
Ordnung ist und dass die Steuersituation schwierig ist,
und gleichzeitig sagen: Wir machen jetzt ein schönes
Konzept; zahlen soll es der Bundesfinanzminister - über
Steuern. Das halten wir für nicht verantwortbar. Deswegen haben wir ein vernünftiges Finanzierungskonzept
vorgelegt. Nur das ermöglicht es, über Umgestaltung
und weitergehende Strukturen zu reden. Ohne die Strukturveränderungen, die wir vorgenommen haben, könnten
wir nächstes Jahr nicht über Verbesserungen und Veränderungen der Pflegeversicherung diskutieren, sondern
wir müssten über ihre weitere Finanzierung reden. Das
verunsichert die Menschen, die Pflegeleistungen bekommen. Deswegen haben wir uns für ein klares Konzept
und gegen eine Verunsicherung der zu Pflegenden entschieden.
Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Bahr ({0}) auf:
Ist angesichts des von der Bundesregierung im Dritten Bericht zur Entwicklung der Pflegeversicherung festgestellten
Handlungsbedarfes eine Beitragserhöhung zur Ausweitung
der Leistungen der sozialen Pflegeversicherung unausweichlich und, wenn ja, in welcher Höhe?
Herr Kollege Bahr, ich hatte Ihnen das schon beantwortet, indem ich sagte, dass wir derzeit einen gesamtgesellschaftlichen Dialog führen. Erst wenn wir uns darüber im Klaren sind, welche Schritte vordringlich sind,
kann man über die Frage der Finanzierung sprechen.
Sie wissen, dass sehr unterschiedliche Konzepte diskutiert werden: Ein Konzept stellt die Beiträge in den
Mittelpunkt, ein anderes Konzept die Zuschüsse aus allgemeinen Steuermitteln - das habe ich eben schon genannt -, ein drittes Konzept beruht auf Umschichtung innerhalb der Pflegeversicherung: von stationärer zu
ambulanter Versorgung. Alle drei Konzepte müssen geprüft werden. Erst dann wäre es seriös, über künftige
Beiträge zu sprechen.
Zusatzfrage?
Wenn ich Sie richtig verstehe, können Sie Beitragserhöhungen aufgrund der Defizitentwicklung in der Pflegekasse und aufgrund der demographischen Entwicklung nicht ausschließen. Ich möchte Sie daher fragen:
Wann rechnet die Bundesregierung damit, dass die gesetzlich erforderliche Mindestrücklage der Pflegekasse
unterschritten sein wird? Vor der Umsetzung des Urteils
des Bundesverfassungsgerichts stand ja die Zahl 2006/
2007 im Raum. Gibt es jetzt neue Berechnungen, wann
die gesetzliche Mindestrücklage unterschritten sein
wird? Spätestens dann werden wir vor erheblichen Problemen der Pflegeversicherung stehen.
Herr Kollege Bahr, Sie haben mich sicherlich unabsichtlich missverstanden: Aufgrund unserer Vorschläge
gibt es kein Finanzproblem der Pflegekasse. Alle anderen Konzepte hätten zu solchen Risiken geführt. Deswegen will ich noch einmal sagen: Mit dem Gesetz zur Berücksichtigung der Kindererziehung im Beitragsrecht
der sozialen Pflegeversicherung, das zum 1. Januar 2005
in Kraft treten wird, ist eine Verbesserung der Einnahmesituation um 700 Millionen Euro verbunden.
Nur so ist sichergestellt, dass die Finanzreserven der
Pflegeversicherung bis ins Jahr 2008 reichen. Alle anderen Konzepte, die alternativ zur Diskussion standen - ich
denke an das Ihrer Fraktion, aber auch an das der
Unionsfraktion -, hätten zu weniger Einnahmen bzw. zu
einer Umfinanzierung zulasten des Bundeshaushaltes
geführt. Wir haben ein vernünftiges Konzept vorgelegt,
durch das Sicherheit für die zu Pflegenden erreicht und
ermöglicht wird, die nächsten Schritte in einem breit angelegten gesellschaftlichen Dialog zu diskutieren.
Frau Staatssekretärin, das ist eben der Unterschied
zwischen der FDP-Fraktion und der Regierung. Wir haben das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht zum
Anlass genommen, die Finanzprobleme der Pflegeversicherung auszugleichen, sondern wir wollen das umsetzen, was uns das Bundesverfassungsgericht aufgegeben
hat.
Nichtsdestotrotz möchte ich Sie fragen, ob Sie mit
mir übereinstimmen, dass, bevor wir über eine Leistungsausweitung im Bereich der Pflegeversicherung diskutieren, zunächst die Finanzbasis in der Pflegeversicherung gesichert sein muss. Ich habe noch eine
Zusatzfrage: Glauben Sie, dass die Finanzbasis der Pflegeversicherung allein durch das Kinderberücksichtigungsgesetz ausreichend gewährleistet ist? Sie sprechen
selbst davon, dass die Rücklagen 2008 aufgebraucht
sind. Das sind nur noch vier Jahre und müsste eigentlich
Anlass genug sein, die Finanzbasis der Pflegeversicherung weiter zu verbessern.
Ich hatte vorhin den zeitlichen Rahmen dargestellt
und möchte das wiederholen: Mit diesem Gesetzentwurf
haben wir Zeit bis 2008 gewonnen. Das heißt aber nicht,
dass wir in der Zwischenzeit nichts tun. Wir tun etwas.
Wir haben die beiden runden Tische eingerichtet und
werden als Nächstes - noch in dieser Legislaturperiode Vorschläge zur Entbürokratisierung vorlegen. Darüber
hinaus werden wir im nächsten Jahr den gesellschaftspolitischen Dialog darüber führen, was beim Umbau vordringlich ist.
Natürlich haben Sie Recht, dass jeder, der über Leistungsverbesserungen redet, auch die Redlichkeit haben
muss, zu sagen, wie er sie finanzieren will. Es gibt unterschiedliche Wege zur Finanzierung. Zur Wahrheit und
Klarheit gehört es, zu sagen, dass wir zusätzliche Leistungen nicht aus dem jetzt vorhandenen Topf finanzieren
können, wenn wir die Pflegeversicherung nicht umbauen
oder uns andere Gestaltungsräume erarbeiten. Deswegen
will dies gut überlegt sein. Diese Zeit nehmen wir uns im
nächsten Jahr.
Eine Nachfrage des Kollegen Kolb.
Frau Staatssekretärin, die Bundesregierung hat es sich
auf die Fahne geschrieben - zumindest habe ich das gelegentlich gemachten Aussagen entnommen -, die Lohnzusatzkosten zu begrenzen und möglicherweise sogar zu
senken. Stimmen Sie mir zu, dass eine Erhöhung der
Pflegebeiträge unter Umständen auch zu einer Erhöhung
der Lohnnebenkosten führen könnte, wenn der Arbeitgeberanteil - so war es bei der Einführung - nicht kompensiert wird? Gilt dieses Vorhaben, die Lohnzusatzkosten nicht zu erhöhen, auch bei einer Ausweitung des
Finanzbedarfs der Pflegeversicherung? Kann man also
davon ausgehen, dass es auch in den nächsten Jahren zu
keiner Steigerung der Lohnnebenkosten über die Pflegeversicherung kommen wird?
Herr Kollege Kolb, Sie reden über etwas, was noch
nicht vorgelegt wurde. Deswegen kann ich die Frage nur
als reine Spekulation bezeichnen.
({0})
Im Prinzip haben wir mit unserem Gesetzentwurf das
Gegenteil gemacht: Wir wollen finanziell konsolidieren.
Mit allen anderen Vorschlägen würde dies nicht geschehen. Deswegen ist es müßig, jetzt über künftige Strukturen zu spekulieren. Nehmen Sie es so wahr, wie ich es
sagte: Im Unterschied zu Ihrem Konzept tragen wir mit
unserem dazu bei, dass sich die Einnahmesituation verbessert, dass die Mindestreserven nicht abgeschmolzen
werden und dass der ohnehin angespannte Bundeshaushalt nicht belastet wird.
Es gibt keine weiteren Nachfragen zu dieser Frage
und zu diesem Geschäftsbereich. Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen.
Der Parlamentarische Staatssekretär Großmann beantwortet die Fragen.
Zunächst rufe ich die Frage 15 des Abgeordneten
Peter Weiß ({0}) auf:
Trifft es zu, dass aufgrund der Verzögerungen beim Abschluss der Anpassungsvereinbarung über die Finanzierung
der Planungsleistungen für den Bau des dritten und vierten
Gleises der Rheintalbahn die Offenlage der Planungsunterlagen im Planungsabschnitt 9.0 im Jahr 2004 nicht mehr stattfinden kann und ebenso fünf weitere Planfeststellungsverfahren nicht mehr eingeleitet werden und, wenn ja, zu welchen
Folgen wird dies für die weitere Realisierung des Gesamtvorhabens führen?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Weiß,
das Verfahren für den Abschnitt 9.0 - BuggingenAuggen - der Rheintalbahn ist von dem zuständigen Eisenbahn-Bundesamt bereits eingeleitet worden.
Ein Zusammenhang zwischen der Zuweisung zusätzlicher Planungsmittel an die DB Netz AG im Rahmen
der Anpassungsvereinbarung und der Offenlage der Unterlagen durch die Planfeststellungsbehörde besteht
nicht.
Der Bund hat mit der Deutschen Bahn AG verabredet,
im Rahmen der Anpassungsvereinbarung zusätzliche
Planungsmittel in Höhe von 25,1 Millionen Euro bereitzustellen, damit die Einleitung der Planfeststellungsverfahren für fünf noch ausstehende Planungsabschnitte bis
spätestens 2005 bei dem hierfür zuständigen EisenbahnBundesamt von der DB Netz AG beantragt werden kann.
Die fünf Abschnitte sind: 7.1 „Offenburg-Hohberg“,
7.3 „Lahr-Mahlberg“, 8.1 „Riegel-March“, 8.2 „Freiburg-Schallstadt“ und 9.3 „Basel“.
Auf die Realisierung des Gesamtvorhabens hat der
Zeitpunkt des Abschlusses der Anpassungsvereinbarung
keine Auswirkungen. Diese bestimmt sich vielmehr
nach dem Mittelfristzeitraum der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel. Dabei mussten unter anderem die
Einsparauflagen aus der Umsetzung der Beschlüsse des
Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat
zum Subventionsabbau vom 19. Dezember 2003 berücksichtigt werden.
Die deshalb erfolgte Priorisierung dieser Schienenvorhaben bietet die Gewähr, dass die verbleibenden investiven Bundesmittel in die verkehrlich wichtigen Schienenvorhaben fließen, die - wenn auch in Baustufen - zeitnah
fertig gestellt werden sollen. Die Vorhaben sind in der veröffentlichten, so genannten 66er-Liste dargestellt. Auch
hier besteht Einvernehmen zwischen Bund und DB AG.
Zurzeit wird davon ausgegangen, dass der viergleisige
Ausbau der Rheintalbahn bis 2016 abgeschlossen werden
kann. Dies ist der Zeitpunkt, bis zu dem nach gegenwärtiger Einschätzung der Schweizer Regierung auch die
„Neue Eisenbahn-Alpentransversale“, NEAT, mit dem
Gotthard-Basistunnel in Betrieb genommen wird.
Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, es ist doch Tatsache, dass bis zur
Stunde weder an dem eingeleiteten Planfeststellungsverfahren noch an den demnächst einzuleitenden Planfeststellungsverfahren weitergearbeitet wird, weil die begleitenden Ingenieurbüros nicht mehr unter Vertrag
stehen. Wann wird dieser Zustand beendet?
Herr Kollege Weiß, ich habe Ihnen gerade schon
gesagt, dass es für den von Ihnen angesprochenen
Teilabschnitt 9.0 auf den Abschluss der Vereinbarung
nicht ankommt, weil die Planfeststellung läuft. Von daher kann ich da keinen Zusammenhang feststellen.
Anders ist es mit den fünf noch nicht begonnenen
Planfeststellungsvorhaben. Dazu habe ich Ihnen gesagt,
dass wir zugesagt haben, 25,1 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen.
Weil Sie mit Ihrer Frage schon auf Frage 16 überleiten, würde ich diese gern jetzt mit beantworten.
Ich rufe somit Frage 16 des Abgeordneten Weiß auf:
Aus welchem Grund ist die Anpassungsvereinbarung seitens der Bundesregierung noch nicht unterzeichnet worden
und zu welchem Termin wird die Unterzeichnung erfolgen?
Die Anpassungsvereinbarung ist zur Schlusszeichnung an die drei Eisenbahninfrastrukturunternehmen des
Bundes gesandt worden. Nach Rücksendung werden für
den Bund Vertreter des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen die Vereinbarung unterzeichnen. Die
Zeichnung soll schnellstmöglich erfolgen.
Sie haben jetzt noch drei Nachfragen.
Herr Staatssekretär, können Sie denn bestätigen, dass
die Offenlage für den Abschnitt 9.0 derzeit nicht erfolgt,
weil die für die Bearbeitung der eingehenden Einwände,
Anregungen und Bedenken notwendigen Ingenieurbüros
nicht mehr unter Vertrag stehen, sodass sehr wohl ein direkter Zusammenhang zwischen dem Abschluss der
Anschlussfinanzierungsvereinbarung und der Weiterführung der Planungsvorhaben besteht? Wann können wir
nun, nachdem Sie schon mehrmals in verschiedenen Gesprächen angekündigt haben, dass die Vereinbarung
demnächst unterzeichnet wird, definitiv damit rechnen,
dass sie unterzeichnet ist und der DB AG zugeht?
Herr Kollege Weiß, ich will es noch einmal versuchen: Es gibt fünf Abschnitte, für die die Planfeststellung noch nicht begonnen wurde. Für diese bekommt die
Bahn zusätzliche Planungsmittel. Das heißt, wenn es einen Stillstand gäbe, den Sie hinsichtlich des Planungsabschnittes 9.0 unterstellen, dann kann das nichts mit den
Planungsmitteln zu tun haben, da wir als Bund nicht mit
dem Planfeststellungsverfahren befasst sind. Wir sind
kein aktiver Teilnehmer des Planfeststellungsverfahrens.
({0})
- Ja, aber die machen das selbstständig. Darauf lege ich
großen Wert, weil wir das Planfeststellungsverfahren
nicht beeinflussen dürfen. Nach dem, was ich gehört
habe - obwohl wir nicht aktiv beteiligt sind; ich unterstreiche das -, hat das EBA der Bahn einige Auflagen
gemacht, um die Unterlagen zu optimieren, damit es
dann zur Offenlage kommen kann. Ob das die Deutsche
Bahn macht oder nicht, ist ihre Entscheidung. Das hat
aber nichts mit der Zurverfügungstellung zusätzlicher
Gelder zu tun.
Jetzt zu den 25,1 Millionen Euro. Sie haben zu Recht
gefragt, wann denn mit den Planfeststellungsverfahren
begonnen wird. Wir haben im September zusammengesessen und begrüßt, dass dieses Geld bereitgestellt wird,
wobei schon damals gesagt worden ist, dass das Geld
dazu dienen soll, bis spätestens 2005 mit den Planfeststellungsverfahren zu beginnen. Der Zeitraum ist zwar
noch nicht ausgeschöpft. Aber trotzdem habe ich damit
gerechnet, dass wir das Geld schneller freigeben können.
Sie wissen, dass wir uns mitten in den Haushaltsberatungen befinden und dass das BMF, aber auch unser
Ministerium ebenso wie die Deutsche Bahn sehr genau
darauf geachtet haben, ob die Mittel für die Schienenverkehrsinfrastruktur im laufenden parlamentarischen Verfahren gekürzt worden sind. Das hat dazu geführt, dass
sich die Verhandlungen hingezogen haben. Inzwischen
haben wir uns geeinigt. Nun müssen wir in der nächsten
Sitzung des Haushaltsausschusses - in dieser Woche
schaffen wir es nicht mehr - eine überplanmäßige Ausgabe mit einem Deckungsvorschlag bewilligen. Es geht
also um einen rein organisatorisch-parlamentarischen
Schritt. Anschließend kann diese Anpassungsvereinbarung unterschrieben werden. Der Bahn wurde sie schon
zugeschickt. Zwar liegen uns die Unterschriften der drei
Eisenbahnunternehmen noch nicht vor, aber ich nehme
an, dass sie bald eingehen werden.
Nachfrage der Kollegin Mayer.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, dass ein Teil
der Planungen weitergeführt werden kann. Das hat vor
Ort für erhebliche Irritationen gesorgt. Ich möchte deshalb nachfragen: Mit welchen organisatorischen wie
technischen Verzögerungen rechnen Sie bei den Planungen, wenn diese nach Eingang der Unterschriften, den
wir hoffentlich demnächst zu erwarten haben, wieder
aufgenommen werden können, aufgrund der Tatsache,
dass die Arbeit von Ingenieurbüros gestoppt und Mitarbeiter entlassen wurden?
Es tut mir Leid, aber ich bin jetzt ein bisschen penetrant. Ich sage noch einmal: Das laufende Planfeststellungsverfahren hat mit den Planungskosten nichts zu
tun. Die Beteiligten an dem laufenden Planfeststellungsverfahren sind unter anderem das EBA, die Deutsche
Bahn AG und natürlich die Region vor Ort. Dass es dort
im Moment hakt, hat nichts mit den Planungsgeldern zu
tun, die wir für die fünf noch nicht begonnenen PlanfestParl. Staatssekretär Achim Großmann
stellungsverfahren zusätzlich zur Verfügung stellen wollen.
Dass es in der Region zu Nervosität und Aufregung
gekommen ist, habe ich wohl gemerkt. Allerdings muss
ich sagen, dass mich diese Nervosität in der Region verwundert hat, weil wir aus der Region darum gebeten
worden sind, das Planfeststellungsverfahren für den Abschnitt 9.0 noch ein bisschen ruhen zu lassen, damit sich
die Region darauf verständigen kann, wie sie sich ins
Planfeststellungsverfahren einbringt. Dass derjenige, der
mich gebeten hat, nicht aufs Gaspedal zu drücken, jetzt
bemängelt, dass wir nicht weiterkommen, finde ich
schon sehr merkwürdig.
({0})
Es gibt keine weiteren Nachfragen vor.
Dann rufe ich jetzt die Frage 17 des Abgeordneten
Hellmut Königshaus auf:
Ist mit der Fertigstellung der Dresdner Bahn zwischen
dem Abzweig Priesterweg in Berlin und dem Berliner Außenring noch vor der Inbetriebnahme des Flughafens Berlin Brandenburg International, BBI, zu rechnen und ist die Finanzierung der Shuttleverbindung zwischen dem Lehrter Bahnhof in
Berlin und dem Terminalbereich des BBI auf dieser Trasse gesichert?
Sehr geehrter Kollege Königshaus, eine Inbetriebnahme der wieder aufzubauenden Dresdner Bahn noch
vor Inbetriebnahme des Flughafens Berlin Brandenburg International, BBI, ist nicht mehr möglich. Angesichts des seit mehreren Jahren ruhenden und nunmehr
fortzusetzenden Planfeststellungsverfahrens für den Abschnitt 2 - Lichtenrade - ist eine Wiederinbetriebnahme der Strecke frühestens Ende 2011/Anfang 2012
möglich.
({0})
Herr Staatssekretär, gibt es denn Alternativplanungen,
was dann passieren soll?
Wir gehen davon aus, dass der Flughafenshuttle, geplant ist eine Frequenz von vier Zügen pro Stunde je
Richtung, wie folgt geführt werden kann: einmal in der
Nord-Süd-Verbindung Hauptbahnhof/Lehrter Bahnhof,
Papestraße, Anhalter Bahnhof, Großbeerener Kurve
- dies soll bis 2006 fertig sein -, Berliner Außenring,
Flughafen BBI und zum anderen über Hauptbahnhof/
Lehrter Bahnhof, Stadtbahn, Berlin-Karlshorst, Berliner
Außenring, Grünauer Kreuz, Görlitzer Bahn, Flughafen
BBI.
Da die freien Kapazitäten auf diesen Strecken nicht
unendlich sind, wird man diese beiden Strecken wahrscheinlich alternativ befahren müssen, um die Frequenz
darstellen zu können.
Herr Staatssekretär, sind Sie sich dessen bewusst,
dass im Planfeststellungsverfahren für die frühere Anhalter Bahn seinerzeit nach dem dort dargestellten Betriebsprogramm genau dies ausgeschlossen worden ist
und deshalb an den betreffenden Strecken in bestimmten
Bereichen kein Lärmschutz aufgebaut wurde? Können
Sie verstehen, dass das die Leute dort verärgern würde?
Ich kann das im Einzelfall nicht bestätigen, andernfalls müsste ich mir das Planfeststellungsverfahren oder
die Beschlüsse anschauen. Diese habe ich jetzt nicht präsent. Dafür bitte ich um Verständnis. Ich kann nur darauf
hinweisen, dass der Bund nicht dafür in Regress genommen werden kann, dass das Planfeststellungsverfahren
für die Dresdner Bahn liegen gelassen wurde.
Wir kommen zur Frage 18 des Abgeordneten Hellmut
Königshaus:
Wie beurteilt die Bundesregierung das bereits 1996 von
der FDP Berlin entwickelte Konzept zusätzlicher dezentraler
Check-in-Terminals für den BBI, das eine Mitnutzung bestehender bzw. neu zu schaffender Abfertigungseinrichtungen
am Flughafen Tempelhof und am zukünftigen Lehrter Bahnhof vorsieht, wobei ein Zubringershuttle die bereits abgefertigten Fluggäste über eine Schienenverbindung über die
Dresdner Bahn direkt zum Flugsteig in Schönefeld bringt, und
wie beurteilt sie das ähnlich gestaltete Alternativkonzept
THF-SXF des Stuttgarter Architekten Hans-Georg Brunnert,
der allerdings eine neu zu bauende unterirdische Bahnverbindung auf der Trasse der Neukölln-Mittenwalder Eisenbahn
vorschlägt?
Eine Check-in-Möglichkeit am künftigen Berliner
Hauptbahnhof/Lehrter Bahnhof wird möglicherweise
nach Inbetriebnahme des Flughafens Berlin Brandenburg International realisierbar sein, wenn der entsprechende Bedarf festgestellt wird. Dabei werden die vorgeschriebenen Sicherheitskontrollen und die erforderliche
räumliche Trennung an- und abfliegender Passagiere am
künftigen BBI stattfinden müssen. Es ergäbe sich eine
Erleichterung beim Check-in und beim Gepäcktransport.
Entsprechende Beispiele wurden bereits in Stuttgart und
in Köln von den Fluggesellschaften realisiert.
Inwieweit das Konzept, den Flughafen Tempelhof als
Check-in-Terminal für den BBI zu nutzen, tragfähig ist
- man spricht von dem Brunnert-Konzept -, ist vom zuständigen Land Berlin gemeinsam mit der Berliner Flughafengesellschaft Flughafen Berlin-Schönefeld GmbH
zu klären. Die Zuständigkeit für alle Genehmigungsverfahren liegt nach § 31 Abs. 2 des Luftverkehrsgesetzes
im Rahmen der Auftragsverwaltung beim Land Berlin.
Nach derzeitigem Kenntnisstand bestehen gegen
beide Vorschläge erhebliche planungsrechtliche wie
auch konzeptionelle Bedenken. Es geht um Sicherheitsanforderungen, um die Passagierabfertigung, den Passagiertransport, um Gepäckabfertigung, um Gepäcksortierung und um das Parkplatzproblem. Wir haben das
vorhin im Verkehrsausschuss ausführlich diskutiert.
Herr Staatssekretär, würden Sie bestätigen, dass der
Bund Gesellschafter der Flughafengesellschaft ist, dass
es hier um sehr viel Geld geht, auch um Geld des Bundes, und die Planungen deshalb sehr wohl Angelegenheit
der Bundesregierung bzw. des Bundes sind?
Sie haben nach den Check-in-Möglichkeiten sowohl
am Lehrter Bahnhof als auch am Flughafen Tempelhof
gefragt. Sie wissen, dass es beim Lehrter Bahnhof die
Aufgabe der DB AG ist, diesen Service anzubieten. Ich
gehe davon aus, dass die Bahn reagiert, wenn der Bedarf
besteht, wie sie es in anderen Städten auch getan hat. Die
Bahn ist in diesem Bereich sehr kundenfreundlich, wenn
es sich rechnet.
Beim Flughafen Tempelhof müssen wir von konsensualen Beschlüssen ausgehen. Es gibt dazu inzwischen
Gerichtsentscheidungen. Wir müssen jedoch zunächst
das Ergebnis des noch laufenden Verfahrens abwarten,
um zu wissen, wie es mit dem Flughafen Tempelhof
weitergeht. Bezüglich des Check-ins sind die Bedenken
jedoch größer. Ich referiere dazu den Kenntnisstand, den
wir von den Gesellschaften haben. Verlassen Sie sich
darauf, dass die in den Gesellschaften Handelnden die
Wirtschaftlichkeit von Maßnahmen sehr genau prüfen.
Diese werden den Bund gut beraten.
Wird dabei auch eine Rolle spielen, dass nach den Berechnungen des Architekturbüros, das eben schon genannt wurde, mit einem solchen Konzept insgesamt bis
zu 400 Millionen bis 500 Millionen Euro einzusparen
wären?
Ich habe Ihnen gesagt, dass wir das selber nicht gegengerechnet haben. Es ist immer etwas problematisch,
derartige Summen, mit denen ein Anbieter rechnet, auf
jeden Fall als richtig zu unterstellen. Ich gehe davon aus
- das ist mir so vermittelt worden -, dass dieses Konzept
in den Gesellschaften geprüft worden ist und das Ergebnis dort bereits vorliegt.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Damit sind wir mit
Ihrem Geschäftsbereich am Ende.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die Fragen
wird der Parlamentarische Staatssekretär Kasparick beantworten.
Die Fragen 19 und 20 der Abgeordneten Seib werden
schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zur Frage 21 des Abgeordneten
Bergner:
Wie wurden die Länder, denen nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes die wesentliche Verantwortung für
das Hochschulwesen zugeordnet ist, an der Erarbeitung des
vom BMBF neu geschaffenen Förderprogramms „Kompetenzzentrum Bologna“ beteiligt und auf welche Resonanz
stieß dieses Programm in den zuständigen Landesressorts?
Ich würde gerne die Fragen 21 und 22 zusammen beantworten.
Dann rufe ich jetzt auch Frage 22 des Abgeordneten
Bergner auf:
Wie wurden die Finanzmittel für das vom BMBF neu geschaffene Förderprogramm „Kompetenzzentrum Bologna“
bzw. „Bologna-Experten für deutsche Hochschulen“ im Haushaltsplan 2005 veranschlagt?
Herr Dr. Bergner, Ihre Frage, wie die Länder an der
Erarbeitung eines neuen Förderprogramms des BMBF
beteiligt worden seien, beantworte ich wie folgt: Bei
dem vorgesehenen Aufbau eines Kompetenzzentrums
und der Einrichtung eines Expertenpools zur Unterstützung der deutschen Hochschulen bei der konkreten Umsetzung der Bologna-Reform handelt es sich nicht um
ein neues Förderprogramm, sondern um eine Maßnahme
der Hochschulrektorenkonferenz. Der Bund unterstützt
diese Maßnahme der Hochschulrektorenkonferenz im
Rahmen einer ganzen Reihe von Bundesaktivitäten, die
den Bologna-Prozess unterstützen. Das ist ein sehr wichtiger Punkt.
Sie haben in Frage 22 nach der Finanzausstattung des
Förderprogramms gefragt. Wir wollen die Hochschulrektorenkonferenz ab dem Jahr 2005 mit einem Jahresförderbetrag in Höhe von 1,6 Millionen Euro unterstützen. Insgesamt soll sich die Förderung auf rund 4,4 Millionen Euro belaufen.
Der Bologna-Prozess ist bekanntlich eines der spannendsten und größten Reformvorhaben an den Hochschulen. 40 Staaten haben sich darauf verständigt, diesen
Prozess einzuleiten. Es liegt in hohem Maße im Interesse
Deutschlands, diesen Prozess wirksam voranzutreiben
und zu unterstützen.
Sie haben jetzt die Möglichkeit, vier Zusatzfragen zu
stellen.
Die auf der von der Hochschulrektorenkonferenz und
Ministerin Bulmahn durchgeführten Pressekonferenz am
2. November gemachten Äußerungen waren eine große
Überraschung für die zuständigen Länderministerien
und die Hochschulen, die von diesen Absichten nichts
gewusst hatten. Auch vor dem Hintergrund der Diskussion, die wir derzeit in der Föderalismuskommission
führen, muss ich Sie fragen, ob Ihnen klar ist, dass das
von Ihnen angestrebte staatlich geförderte Programm in
Studiengänge mit staatlicher Prüfung eingreift, deren
Gestaltung in die Zuständigkeit der Länder fällt. Wenn
Sie schon in diesem Zusammenhang auf eine Stellungnahme der Länder verzichten, dann frage ich Sie, ob zumindest die Frau Justizministerin, deren Zuständigkeitsbereich auch davon betroffen ist, über dieses
Förderprogramm informiert war.
Herr Dr. Bergner, der Präzision der Begriffe halber
möchte ich daran erinnern, dass es sich nicht um ein
neues BMBF-Programm handelt; es geht vielmehr um
die Unterstützung einer Maßnahme der Hochschulrektorenkonferenz. Die Dimension des Bologna-Prozesses
bringt einen enormen Beratungsbedarf an den deutschen
Hochschulen mit sich. Ich war kürzlich in Leipzig, um
die Hochschulen in Halle, Leipzig und Jena zu einer engeren Kooperation zu ermutigen. Bei diesem Anlass bin
ich von dem Rektor der Leipziger Universität fast vorwurfsvoll gefragt worden, was die Hochschulen angesichts der Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen noch alles tun sollten.
Der Beratungsbedarf an den Hochschulen ist so immens, dass wir im deutschen Interesse alles tun sollten,
um ihnen bei der Einrichtung von Bachelor- und Masterstudiengängen zu helfen. Deshalb haben wir dem Anliegen der Hochschulrektorenkonferenz, das an uns herangetragen worden ist, sehr gerne entsprochen und nach
Möglichkeiten gesucht, durch die Einrichtung eines
Kompetenzzentrums über die bereits bestehende Servicestelle bei der Hochschulrektorenkonferenz hinaus
dem konkreten Beratungsbedarf der jeweiligen Hochschulen gerecht zu werden. Dabei ist bekanntlich ein
Wettbewerbsverfahren vorgesehen. Die Hochschulen,
die sich verpflichten, bis zum Wintersemester 2007/2008
flächendeckend Master- und Bachelorstudiengänge einzuführen, können sich bei der Hochschulrektorenkonferenz bewerben; dann werden ihnen Experten zur Verfügung gestellt, die direkt an den Hochschulen eingesetzt
werden.
Ich bin mir nicht sicher, ob Sie über den Charakter
des Programms im Bilde sind. Aus der Gesamtheit der
Hochschulen werden die 20 gefördert, die es am eiligsten haben, flächendeckend Bachelor- und Masterstudiengänge einzuführen. Ich möchte den Sachverhalt vertiefen und frage Sie deshalb: Wenn Sie ein solches
Programm auflegen, weshalb wenden Sie sich an die
Hochschulrektorenkonferenz, die in der Sache - jedenfalls in Bezug auf diese Aufgabe - ein Gremium von Organisationsfunktionären ist? Warum haben Sie in diesem
Zusammenhang nicht den Fakultätentag angesprochen,
der eher für die Wahrnehmung der von der Verfassung
garantierten Rechte auf Freiheit von Forschung und
Lehre sowie der Gestaltung und Profilierung von Studiengängen zuständig ist?
Ich möchte noch eine weitere Frage betreffend dieses
Förderprogramm anschließen: Wird es als eine Zweckentfremdung der Fördermittel angesehen und werden
diese Mittel zurückgefordert, wenn eine Hochschule ihre
Verpflichtung, schon bis zum Wintersemester 2007/08
flächendeckend Bachelor- und Masterstudiengänge einzuführen, nicht erfüllt, obwohl sie entsprechend gefördert worden ist?
Herr Dr. Bergner, ich möchte Sie noch einmal um
Präzision bei den Begriffen bitten. Wir reden nicht über
ein Förderprogramm des Bundes, sondern über eine
Maßnahme der Hochschulrektorenkonferenz, die der
Bund unterstützt.
({0})
- Präzision in der Sache ist aber unerlässlich.
Wie gesagt, wir reden nicht über ein Bundesprogramm, sondern über eine Maßnahme der Hochschulrektorenkonferenz. Die Unterstützung des Bundes liegt
im deutschen Interesse, weil sich 40 Staaten Europas
verpflichtet haben, bis zum Jahre 2010 flächendeckend
Master- und Bachelorstudiengänge einzuführen. Von
dort kommt die Musik. Es muss im deutschen Interesse
sein, sich so schnell wie möglich an diesem Prozess zu
beteiligen und den deutschen Hochschulen Hilfestellung
bei der konkreten Umsetzung zu geben. Ich wünsche mir
zum Beispiel sehr, dass die Universität Halle hier ganz
vorne dabei ist. Es ist gut für die Hochschulstandorte,
wenn Sie sich mit der flächendeckenden Einführung von
Bachelor- und Masterstudiengängen - das haben wir mit
40 Forschungs- und Bildungsministern aus Europa vereinbart - beeilen; denn die Hochschulen, die das schnell
umsetzen, verbessern ihre Marketingchancen, wenn es
darum geht, Studenten zu werben.
Ich möchte jetzt über den Inhalt der Berliner Beschlüsse zum Bologna-Prozess nicht streiten. Dazu haben wir noch an anderer Stelle Gelegenheit. Da Sie den
Standpunkt einnehmen, dass es sich um kein Förderprogramm des Bundes handelt, möchte ich fragen: Sind Sie
wenigstens bereit, zuzugestehen, dass dies eine Maßnahme der Hochschulrektorenkonferenz ist, die ohne die
Förderung des Bundes nicht zustande gekommen wäre,
und dass es kein Zufall war, dass am 2. November dieses
Jahres Frau Bulmahn gemeinsam mit dem Präsidium der
Hochschulrektorenkonferenz diese Maßnahme der Öffentlichkeit vorgestellt hat?
Ich stimme Ihnen zu: Das war kein Zufall.
Eine Nachfrage des Kollegen Wilhelm Schmidt.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben eben
davon gesprochen - wenn ich Sie richtig verstanden
habe -, dass das Ganze eine Chance für die Hochschulen
in Deutschland ist. Da Sie gerade gesagt haben, Sie
wünschten, dass auch die Universität Halle dabei ist,
können Sie erste Zwischenergebnisse nennen und sagen,
wie viele deutsche Hochschulen sich schon an diesem
Programm beteiligen bzw. eine Beteiligung signalisiert
haben und wie man das vielleicht ein bisschen aktivieren
kann, um für mehr Bewegung in diesem Bereich der
Hochschulen zu sorgen?
Herr Kollege Schmidt, momentan überwiegen noch
etwas die Zögerlichkeiten. Weil die konkreten Schwierigkeiten bei der Einführung an den Hochschulen so immens sind und weil es in unserem Interesse ist, diesen
Prozess zu beschleunigen, bieten wir gemeinsam mit der
Hochschulrektorenkonferenz diesen Service an. Wir sind
ganz sicher, dass die starken Universitäten in Deutschland die sich ihnen jetzt bietenden Chancen, die sie haben, wenn sie schnell, präzise und gut sind, nutzen werden. Ich wünsche mir, dass auch sehr viele ostdeutsche
Universitäten dies tun werden.
Danke schön, Herr Staatssekretär. Wir verlassen nun
den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper wird die Fragen beantworten.
Die Fragen 23 und 24 werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 25 der Abgeordneten Petra
Pau:
Wie viele antisemitische Straftaten wurden im dritten
Quartal 2004 in der Bundesrepublik Deutschland begangen
und wie viele Opfer dieser Straftaten gab es?
Frau Kollegin Pau, Sie haben auch diesmal nicht versäumt, nach bestimmten statistischen Ergebnissen, was
antisemitische Straftaten anbelangt, zu fragen. Sie beziehen sich in Ihrer Frage auf das dritte Quartal 2004. Wie
Sie wissen, muss ich an dieser Stelle immer eine Vorbemerkung machen - das ist wichtig -: Die statistischen
Ergebnisse, die man nach dem dritten Quartal veröffentlichen kann, enthalten keine abschließenden Zahlen. Mit
anderen Worten: Die in der Folge aufgeführten Zahlen
stellen keine abschließende Statistik dar. Sie können sich
vielmehr aufgrund von Nachmeldungen - teilweise sogar erheblich - verändern.
Vielleicht kennen Sie das Meldeverfahren: Die vorliegenden Zahlen werden auf Bundesebene nicht ermittelt,
sondern nur zusammengefasst und zusammengefügt. Im
dritten Quartal 2004 wurden insgesamt 191 antisemitische Straftaten, die dem Phänomenbereich „Politisch
motivierte Kriminalität - Rechts“ zugeordnet wurden,
gemeldet. Im dritten Quartal 2004 wurden - auch das
muss ich leider hinzufügen - vier Personen verletzt; aber
Todesfälle waren nicht zu verzeichnen.
Frau Pau, Ihre erste Zusatzfrage, bitte.
Danke. - Herr Staatssekretär, ich kenne natürlich Ihre
gründliche Vorbereitung und das, was Sie in Ihrer Vorbemerkung gesagt haben. Genauso kennen Sie meine erste
Nachfrage: Wie ist die regionale Streuung dieser Straftaten? Sollten Sie mir, wie in der 125. Sitzung, die regionale Streuung allerdings nicht nennen können, bitte ich
um eine Begründung dafür, dass die Landesinnenminister diese Statistik nicht mehr veröffentlichen wollen.
Frau Kollegin Pau, da ich diese Frage von Ihnen erwartet habe, habe ich mir überlegt, welches Verfahren
wir wählen könnten, um Ihnen diese Informationen zu
der regionalen Aufteilung zukommen zu lassen. Haben
Sie bitte Verständnis dafür, dass ich das nicht zum Bestandteil des Protokolls des Deutschen Bundestags machen möchte. Sie bekommen es durch ein persönliches
Schreiben von mir mitgeteilt.
({0})
- Ja, von mir persönlich unterschrieben, Herr
Westerwelle. Bei uns im Bundesinnenministerium
herrscht einfach Stil.
({1})
Davon brauche ich Sie doch jetzt nicht zu überzeugen.
Das haben Sie doch schon immer gewusst.
Frau Pau, ich werde Sie informieren. Sie werden eines feststellen können: dass es sehr schwierig sein wird,
besonders belastete Regionen, also Schwerpunkte, zu erkennen. Es gibt zum Teil eine Streuung. Wie gesagt, Sie
können sich diese Zahlen zukommen lassen.
Lassen Sie mich noch etwas zum Meldeaufkommen
im dritten Quartal 2004 sagen. Dieses Meldeaufkommen
weist gegenüber dem Meldeaufkommen im dritten
Quartal 2003 - entscheidend ist immer der Vergleich mit
dem entsprechenden Quartal des Vorjahres - einen deutlichen Rückgang auf. So waren im dritten Quartal 2004
191 antisemitische Straftaten zu verzeichnen; im dritten
Quartal 2003 gab es hingegen 253 antisemitische Straftaten.
Insgesamt ist zu der Zusammensetzung der im Bereich „Politisch motivierte Kriminalität - Rechts“ für
das dritte Quartal 2004 gemeldeten antisemitischen
Straftaten Folgendes zu bemerken - ich glaube, dass
das eine ganz interessante Information ist -: Es gab insgesamt 191 antisemitische Straftaten. Davon waren acht
Gewalttaten. Bei sechs dieser Taten handelte es sich um
eine antisemitisch motivierte Körperverletzung, eine
Straftat war ein antisemitisch motiviertes Widerstandsdelikt und eine weitere Straftat war eine antisemitisch
motivierte Brandstiftung. Wie ich eben schon gesagt
habe, sind keine Auffälligkeiten hinsichtlich der Verteilung der Straftaten auf einzelne Bundesländer zu verzeichnen.
Zur Frage der Weiterleitung der Informationen habe
ich mich schon ausführlich geäußert. Ich gehe davon
aus, dass Sie damit zufrieden sind.
Wollen Sie eine zweite Nachfrage stellen? - Bitte.
Das mit der Zufriedenheit und die Gründe für die eingeschränkte Öffentlichkeit klären wir ein andermal. Ich
habe jetzt noch eine ganz andere Nachfrage.
Uns alle, denke ich, hat in den letzten Wochen wohl
sehr bewegt, dass bekannte und berüchtigte Antisemiten
in den Vorstand der NPD gewählt wurden, dass sich der
Vorsitzende dieser Partei in unglaublicher Weise zum
Holocaust-Mahnmal geäußert und von Plänen seiner
Partei gesprochen hat, auf dem Gelände eine Reichskanzlei zu errichten. Deshalb meine Nachfrage: Liegen
der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, inwieweit sich innerhalb der NPD dieses antisemitische Potenzial neu organisiert und auch versucht, anders in die
Gesellschaft zu intervenieren?
({0})
Frau Kollegin Pau, was sich zurzeit innerhalb der
NPD, der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands,
und insbesondere auch im Hinblick auf die Zusammensetzung des Vorstandes entwickelt, das sind bemerkenswerte Vorgänge, die wir sehr sorgsam beobachten müssen. Sie haben von einem Teil der Vorgänge berichtet. Es
gibt noch einen anderen Teil, was bestimmte rechtsextremistische Formen und Personen aus bestimmten Szenen
anbelangt, die sich durch Mitgliedschaft in der Partei
und im Vorstand etablieren. Das kennen wir. Das beobachten wir genau. Ich denke, dass das in Anbetracht der
Situation auch dringend erforderlich ist.
Eine weitere Zusatzfrage, und zwar des Kollegen
Winkler.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, für mich ergibt sich
doch noch eine Frage bezüglich der Datenlage. Sie haben die Zahl von 191 Straftaten angegeben. Mich würde
der Verlauf interessieren. Mir geht es darum, ob Daten
darüber vorliegen, inwieweit sich diese Straftaten etwa
bei Demonstrationen, die aus dem rechtsextremen Bereich angemeldet waren, oder bei Musikveranstaltungen
entwickelt haben. Ganz allgemein: Gibt es abgesehen
von der Zuordnung, die Sie schon vorgenommen haben,
eine etwas konkretere Zuordnung bezüglich der Straftaten, etwa danach, wo es Verletzungen oder Widerstandshandlungen gegeben hat? Mich würde also interessieren,
darüber hier sozusagen in aller Kürze noch etwas zu hören; Sie wissen schon, was ich meine.
Herr Kollege Winkler, die 191 Straftaten beziehen
sich auf den antisemitischen Bereich in Gänze. Ich habe
die Gewalttaten hervorgehoben. Das sind in der Tat acht
an der Zahl. Die Gesamtsumme setzt sich auch aus anderen Straftaten zusammen. Wie sich das aber beispielsweise in Bezug auf Demonstrationsgeschehen oder Musikszene und Konzerte darstellt, liefere ich Ihnen
gegebenenfalls gern nach.
Wir sind damit am Schluss des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums des Innern, weil die Fragen 26 und
27 des Kollegen Ralf Göbel schriftlich - ({0})
- Entschuldigung.
Die Zeit für die Fragestunde ist abgelaufen. Bezüglich
der nicht aufgerufenen Fragen wird gemäß der Geschäftsordnung verfahren.
Wir sind damit am Schluss - ({1})
- Herr Kollege Grund.
Wir sind eigentlich noch in der Fragestunde, Frau
Präsidentin. Aber für den Fall, dass Sie die Fragen nicht
mehr zulassen, stelle ich einen Antrag zur Geschäftsordnung.
Die Fragen, die als Nächstes zu beantworten wären,
berühren einen wesentlichen Bereich des staatlichen
Selbstverständnisses, nämlich die Frage des Nationalfeiertages, des 3. Oktober. Ich beantrage für meine Fraktion
eine Aktuelle Stunde zu dem Thema: Den 3. Oktober als
Tag der Deutschen Einheit und als Nationalfeiertag erhalten.
Bevor ich dem Kollegen Schmidt das Wort gebe, folgender Hinweis, Herr Kollege Grund: Die Zeit für die
Fragestunde war bereits knapp drei Minuten überschritten. Deswegen habe ich die Fragestunde geschlossen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Herr Kollege Schmidt, bitte.
Herr Kollege Grund, wenn Sie das, was Sie uns ja seit
gestern ankündigen, hätten erreichen wollen, nämlich
eine Aktuelle Stunde aus der Fragestunde zu entwickeln,
dann hätten Sie in den eigenen Reihen dafür sorgen müssen, dass die Fragestunde etwas anders abgelaufen wäre.
Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass nach Anlage 5
Ziffer 1 b der Geschäftsordnung von einer Fraktion nur
dann eine Aktuelle Stunde beantragt werden kann, wenn
eine Frage zu diesem Komplex behandelt worden ist.
Das ist nicht geschehen. Darum sage ich Ihnen bei allem
Verständnis für das, was Sie hier politisch veranstalten
wollten, eindeutig: Die Fragestunde ist beendet und die
Aktuelle Stunde kann nach den Regeln der Geschäftsordnung nicht stattfinden. Das tut mir Leid.
({0})
Herr Kollege Grund, Sie können ja die Fragestunde
beim Präsidenten noch beantragen. Ich weise Sie allerdings darauf hin, dass das nur für Freitag möglich ist,
({0})
weil die Frist für Donnerstag - spätestens 12 Uhr des
Vortages - bereits abgelaufen ist.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 11. November
2004, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.