Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Operation
Enduring Freedom.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Peter
Struck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Kolleginnen und Kollegen! Das Kabinett hat
heute beschlossen, dass sich die Bundeswehr vorbehaltlich der Zustimmung dieses Hauses weiterhin mit bis zu
3 100 Soldaten und ihrer entsprechenden Ausrüstung an
der UN-Operation Enduring Freedom beteiligen soll.
Derzeit sind rund 290 Soldaten der Marine im Einsatz; weitere Kräfte werden in Bereitschaft gehalten. Es
geht darum, bei militärischen Maßnahmen im Kampf gegen den internationalen Terrorismus auch künftig ein hohes Maß an Flexibilität zu erhalten; denn nur auf diese
Weise kann den wechselnden Einsatzerfordernissen
schnell und angemessen begegnet werden.
Die Terroristen agieren unberechenbar. Deshalb ist es
außerordentlich wichtig, dass wir im Rahmen der Vereinbarungen der internationalen Koalition für glaubwürdige und effiziente Einsätze zur Verfügung stehen. Aus
diesem Grunde haben wir es für richtig gehalten, Herr
Präsident, die bislang nicht ausgeschöpfte Obergrenze
von 3 100 Soldaten für die deutsche Beteiligung an der
Operation Enduring Freedom nicht zu verändern.
Die Bundeswehr wird sich weiterhin mit einer Fregatte und einem Seefernaufklärer am Horn von Afrika
beteiligen. Diese Region ist in der Vergangenheit schon
mehrfach Schauplatz von Attentaten terroristischer
Gruppierungen gewesen. Auf der Marinelogistikbasis in
Dschibuti sind circa 25 Soldaten stationiert; insgesamt
umfasst das Marinekontingent etwa 290 Soldaten.
Durch die Zusammenfassung der Taskforce 150 und
der Taskforce 151 hat sich das Einsatzgebiet seit
März 2004 auch auf die Arabische See und den Golf von
Oman ausgedehnt. Allein in den vergangenen zwölf Monaten wurden etwa 10 500 Schiffe und Boote abgefragt
und fast 400 Schiffe genauer untersucht. Bei Verlängerung des OEF-Mandats wird Deutschland voraussichtlich ab Dezember 2004 erneut den Kommandeur der internationalen Marinestreitkraft am Horn von Afrika
stellen. Durch die Bundeswehr bzw. die Marine werden
wir auch weiterhin im Rahmen des NATO-Bündnisses
unseren Beitrag zum Kampf gegen den internationalen
Terrorismus im Mittelmeer leisten.
Zum Abschluss will ich sagen, dass wir vom Deutschen Bundestag zwar ein Mandat für 3 100 Soldaten
erbitten, dass wir dieses Mandat aller Voraussicht nach
aber nicht in diesem Umfang ausschöpfen werden.
Allerdings behalten wir uns, falls es die Situation erfordert, vor, zusätzliche Soldaten entsprechend diesem
Mandat in den Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu entsenden.
Vielen Dank, Herr Struck.
Jetzt können Fragen gestellt werden, und zwar zunächst zu dem Themenbereich, über den der Bundesverteidigungsminister gerade berichtet hat. - Herr Kollege
Christian Schmidt, bitte.
Herr Bundesminister, Sie haben über die Verlängerung des Mandats berichtet und angedeutet, dass Terroristen unberechenbar sind. Welche Änderungen erwarten
Sie bei der Umsetzung von Enduring Freedom in konzeptioneller Hinsicht und bezüglich der Orte, an denen
Bundeswehreinheiten operieren, über das von Ihnen
aufgeführte gegenwärtige Engagement am Horn von
Afrika hinaus, insbesondere im Hinblick auf Afghanistan und die umliegenden Länder, und wie steht die
Redetext
Christian Schmidt ({0})
Bundesregierung dem in der NATO von verschiedener
Seite verfolgten Ansinnen gegenüber, die Operationen
ISAF und Enduring Freedom, an denen die Bundeswehr
beteiligt ist, organisatorisch und führungsmäßig miteinander zu verknüpfen?
Um mit dem letzten Thema zu beginnen: Es gibt in
der Tat Bestrebungen, insbesondere seitens unserer amerikanischen Freunde und auch unserer britischen
Freunde, ISAF, also die Unterstützungs- und Hilfsmission in Afghanistan, und die Maßnahmen, die in Afghanistan unter der Überschrift „Enduring Freedom“ im
Kampf gegen den internationalen Terrorismus durchgeführt werden, zu einem Mandat zusammenzulegen. Die
Begründung für diese Bestrebungen ist, dass man Synergieeffekte bekommt, wenn man einen einzigen Oberbefehlshaber für beide Operationen hat, sowie eine bessere
Abstimmung zwischen beiden Operationen erreicht.
Die Bundesregierung vertritt ebenso wie andere europäische Staaten, die sich an beiden Operationen beteiligen, die Auffassung, dass eine gewisse Gefahr besteht,
dass diejenigen, die jetzt im Rahmen von ISAF als Unterstützer auftreten - zum Beispiel unsere über
2 000 Soldaten in Kabul, Kunduz und Faizabad - eher in
eine Situation kommen, in der sie als Bekämpfer von alQaida- oder auch Talibangruppen auftreten, wodurch die
Unterstützung der Bevölkerung nicht mehr so sein
könnte wie bisher bei ISAF. Zum anderen würde eine
solche Zusammenlegung bedeuten, dass das Einsatzgebiet der Bundeswehr dann ganz Afghanistan umfassen
würde - ohne die Einschränkungen, die der Bundestag
beschlossen hat.
Wir haben den NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop
Scheffer gebeten, das Military Committee prüfen zu lassen, welche Synergieeffekte die Zusammenlegung ergeben würde, und wollen dann in den entsprechenden Gremien darüber beraten.
Ich will anfügen, weil Sie das auch angesprochen haben, Herr Kollege Schmidt, dass inzwischen
54 Nationen an der Operation Enduring Freedom beteiligt sind - nicht nur NATO-Staaten, sondern auch NichtNATO-Staaten -: 36 Nationen als Truppensteller und
18 Nationen als Unterstützer der Operation, jeweils innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs. Unser Engagement im Rahmen der Operation Enduring Freedom konzentriert sich im Augenblick eher auf die Aufgaben, die
unsere Marinesoldatinnen und -soldaten wahrnehmen.
Jederzeit kann aber die Situation eintreten, dass wir wieder Heereseinheiten oder andere Kräfte einsetzen müssen.
Zusatzfrage, Kollege Schmidt?
Herr Minister, nach Ihren Darlegungen gibt es eine
gedachte regionale Trennung zwischen einem eher kritischen und einem eher friedlichen Teil Afghanistans. Wie
beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die Bestrebungen
der NATO bzw. der internationalen Gemeinschaft insgesamt, ISAF auf den westlichen und südwestlichen Teil
Afghanistans auszudehnen? Ist nicht spätestens dann
eine Notwendigkeit der Zusammenlegung gegeben,
schlicht und einfach, weil sich die Taliban nicht an solche gedachten Grenzen zwischen ISAF und OEF halten,
sondern dort zuschlagen, wo sie es für richtig halten?
Ich stimme Ihnen zu, Herr Kollege Schmidt. Ich halte
es für sehr kritikwürdig, dass die Beschlüsse, die auf
dem NATO-Gipfel in Istanbul und auch bei weiteren
NATO-Treffen gefasst worden sind, nämlich die PRTs,
die Wiederaufbauteams, nicht nur im Norden, sondern in
einer zweiten und einer dritten Stufe auch im Westen
und im Süden Afghanistans einzurichten und auf das
ganze Land auszudehnen, noch nicht verwirklicht worden sind.
Die Bundesrepublik Deutschland hat ihre Vereinbarungen, wie Sie wissen und sich auch persönlich überzeugen konnten, erfüllt. Wir haben inzwischen zwei
PRTs im Norden Afghanistans eingerichtet. Daher haben
wir kürzlich auf unserem Verteidigungsministertreffen in
Rumänien entschieden darum gegeben, dass auch andere
Staaten ihre Verpflichtungen erfüllen und im Westen und
im Süden Afghanistans weitere Wiederaufbauteams installieren.
Die nächste Frage hat der Kollege Günther Nolting.
Herr Minister, Sie haben die Wiederaufbauteams angesprochen und aufgezeigt, dass weitere PRTs notwendig sind. Können Sie uns hier Zeitachsen nennen? Nach
allem, was wir bisher gehört haben, bittet der NATO-Generalsekretär ja geradezu um Unterstützung, die aber leider nicht kommt.
Herr Kollege Nolting, wir können einen Erfolg vermelden: Anfang Oktober wurde von den Niederlanden
ein PRT im Ort Pul-i-Khumri errichtet, für den wir vorwiegend Verantwortung trugen. Von unseren beiden
PRTs habe ich schon gesprochen. Es geht um die Frage,
ob das im Augenblick amerikanisch koordinierte PRT in
Herat unter das ISAF-Kommando gestellt werden soll.
Bei unserem letzten Treffen haben wir immer wieder
entschieden darauf hingewiesen, dass diese Forderung
des NATO-Generalsekretärs verwirklicht werden soll.
Einige Länder - zum Beispiel Dänemark und Tschechien - wollen sich an unseren PRTs beteiligen und andere überlegen sich, ein eigenes PRT zu errichten. Herr
Kollege Nolting, ich kann Ihnen aber überhaupt nicht sagen, wann diese neuen PRTs gerade im Westen und im
Süden vorhanden sein werden.
Ein wichtiges Datum ist natürlich auch die Parlamentswahl in Afghanistan im Frühjahr des nächsten Jahres, weil wir davon ausgehen, dass diese Wahl und die
Wahlvorbereitungen dazu genauso wie die Präsidentenwahl mithilfe von PRTs in günstiger Weise gestaltet werden sollen.
Die nächste Frage hat der Kollege Gernot Erler.
Herr Bundesminister, für meine Fraktion kann ich sagen, dass wir die Sorgen über die Bestrebungen, Enduring Freedom und ISAF zusammenzulegen, teilen. Deswegen möchte ich noch einmal nachfragen: Können Sie
uns etwas darüber sagen, wie die anderen Staaten, die
Truppensteller für ISAF sind, über die Idee der amerikanischen Seite denken, Enduring Freedom und ISAF zusammenzulegen?
Haben Sie auch Erkenntnisse darüber, wie sich die
Übergangsregierung in Kabul dazu stellt? Sie hat durch
die erfolgreich verlaufenden Wahlen ja eine neue und
stärkere Legitimation erhalten, sodass es sinnvoll ist,
auch deren Meinung zu diesem Thema zu berücksichtigen.
Herr Kollege Erler, man kann davon ausgehen, dass
die überwiegende Mehrheit der Staaten, die in Kabul an
dem Mandat ISAF beteiligt sind, so wie die Bundesregierung auch die Trennung beider Mandate für richtig
hält.
Wir müssen natürlich abwarten, welche Vorschläge
das Military Committee der NATO und Hoop Scheffer
uns vorlegen werden. Im Februar des nächsten Jahres
wird in Nizza eine informelle Sitzung der Verteidigungsminister stattfinden. Bis dahin sollen die Fragen geklärt
werden. Es gibt noch keine offizielle Äußerung von Präsident Karzai oder dem Verteidigungsminister Fahim
dazu, weil sie zunächst abwarten wollen, wie sich der
Meinungsbildungsprozess in der NATO gestaltet.
Eine Zusatzfrage, bitte schön, Herr Erler.
Herr Bundesminister, ich habe noch eine zusätzliche
Frage. In der Wahrnehmung des Parlamentsvorbehalts
haben wir hier im Deutschen Bundestag immer auf eine
strikte Trennung der beiden Mandate geachtet und sie
auch getrennt beraten. Kann ich davon ausgehen, dass
Konsens zwischen der Bundesregierung und den Fraktionen im Bundestag darüber besteht, dass, wenn es zu
einer Zusammenlegung kommt, natürlich auch eine neue
Entscheidung des Bundestages notwendig ist?
Herr Kollege Erler, das halte ich für eine Selbstverständlichkeit.
Die nächste Frage hat die Kollegin Dr. Gesine
Lötzsch.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, gestern,
am Dienstag, wurde bei den Vereinten Nationen ein Bericht vorgelegt, in dem schwere Menschenrechtsverstöße
der Koalitionsstreitkräfte in Afghanistan konstatiert werden. Unter anderem sind 734 afghanische und pakistanische Gefangene 30 Monate lang ohne ein ordentliches
Gerichtsverfahren festgehalten worden. Ich möchte Sie
fragen, ob Sie über diesen Bericht informiert sind und
welche Schlussfolgerungen Sie daraus ziehen werden.
Darüber bin ich so wie Sie, Frau Kollegin Lötzsch,
nur aus der Zeitung informiert. Ich kann Ihnen aber sagen, dass Bundeswehrangehörige nicht daran beteiligt
waren.
Die nächste Frage stellt der Kollege Karl-Theodor
Freiherr von und zu Guttenberg.
Herr Bundesminister, nachdem den Bestrebungen insbesondere der Vereinigten Staaten wohl offensichtliche
Kommunikationsprobleme zwischen ISAF und OEF zugrunde liegen bzw. Missstände bei der Abstimmung vorliegen könnten, interessieren mich die Vorstellungen der
Bundesregierung dazu und zu dem Zeitraum, bis wann
sich beide Seiten tatsächlich vor Ort abgestimmt haben
und die Missstände behoben sein werden.
Ich denke, Herr von und zu Guttenberg, dass auch aus
der Sicht der amerikanischen Freunde nicht Kommunikationsschwierigkeiten oder vielleicht sogar eine fehlende Absprache zwischen OEF und ISAF das Problem
waren. Es geht eher um den etwas abstrakten Begriff
Synergie, worunter sich die Amerikaner in diesem Falle
vorstellen, dass es einen Kommandeur für beide Operationen gibt, es also nicht einen ISAF-Stab und einen
OEF-Stab gibt.
Wir lassen uns vom Military Committee Vorschläge
unterbreiten, wie man mögliche Synergieeffekte erreichen kann und wie viele Stellen eingespart werden können. Wenn beide Stäbe zusammengelegt werden, ist es
zum Beispiel denkbar, dass es einen Doppelhut gibt. Das
bedeutet - Sie kennen das, das ist üblich -, dass eine
Person für zwei Operationen zuständig ist. Ich kann Ihnen aber überhaupt noch nicht sagen, welche Vorschläge
das Military Committee machen wird.
Die nächste Frage hat der Kollege Wolfgang
Schäuble.
Herr Bundesminister, ich möchte Sie bitten, dem
Hause noch einmal darzulegen, wie die Absprachen im
Zusammenhang mit dem ISAF-Mandat aussehen, was
die Hilfeleistung durch die Enduring-Freedom-Streitkräfte im Notfall oder im Falle eines plötzlichen Entsatzes anbetrifft. Ich möchte daran die Frage knüpfen, ob
daraus nicht eine Stärkung des Arguments folgt, man
solle beide Mandate zusammenlegen, weil damit der
Schutz der im Rahmen des ISAF-Mandats eingesetzten
Soldaten verstärkt würde. Ich möchte schließlich fragen,
wie ich Ihr Argument verstehen soll, dass von nun an die
Bundeswehr in Afghanistan regional unbegrenzt eingesetzt werden könne. Dies ist im Rahmen von Enduring
Freedom ohnedies möglich, da sich die regionale Begrenzung ungefähr auf die Hälfte des Globus bezieht.
Herr Kollege Schäuble, wenn Sie die Begrenzung im
Rahmen von Enduring Freedom meinen, dann gebe ich
Ihnen Recht. Die Einsatzmöglichkeiten erstrecken sich
über fast die Hälfte des Globus. Aber wir sind uns einig,
dass auch aufgrund der Entstehungsgeschichte und der
Debatte über das internationale Mandat in Afghanistan
die Konzentration auf Kabul und Umgebung sowie auf
Kunduz und Faizabad im Rahmen des ISAF-Mandates
Sinn macht.
Ich will noch etwas zu dem von Ihnen angesprochenen Fall einer Evakuierung sagen. Wir haben mit unseren amerikanischen Freunden natürlich Vereinbarungen
über die Fragen getroffen: Was macht wer im Notfall?
Wer evakuiert, wenn es um Kunduz und Faizabad geht?
Wer evakuiert, wenn es um Kabul geht? Diese Vereinbarungen haben auch Länder wie die Türkei oder Großbritannien getroffen, die vor uns Kontingente bei ISAF
gestellt haben. Das heißt, die dafür zur Verfügung stehenden Kräfte, insbesondere Großraumtransportflugzeuge für die OEF-Soldaten oder den Transport amerikanischer Truppen stehen auch für einen solchen Fall
bereit. Die Amerikaner haben schon den Hinweis gegeben, dass es Sinn machen könnte, beide Operationen zusammenzulegen.
Zusatzfrage, Herr Schäuble.
Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die
Trennung beider Mandate im Ergebnis dazu führen
könnte, das Missverständnis zu verstärken, der Einsatz
unserer Soldaten in Kunduz und Faizabad sei weniger
gefährlich als der Einsatz im Rahmen von Enduring
Freedom?
Ich halte es in der Tat für ein Missverständnis, diesen
Einsatz als weniger gefährlich anzusehen. Ganz im Gegenteil: Es gab vor kurzem einen Anschlag in Kunduz.
Den Soldaten, der dabei schwer verletzt wurde, habe ich
vor kurzem im Krankenhaus besucht. Der Einsatz in
Kunduz und Faizabad ist alles andere als ungefährlich;
da gebe ich Ihnen völlig Recht, Herr Kollege Schäuble.
ISAF-Mandate in Afghanistan sind weder ruhig noch
stabil; das wissen wir. Das würde auch gelten, wenn wir
die Soldaten im Rahmen von OEF nach Afghanistan
schickten. Zurzeit sehe ich das nicht. Aber es ist durchaus eine Situation denkbar, in der wir das tun könnten.
Wir haben mit den Obleuten im Verteidigungsausschuss
und den führenden Vertretern der Fraktionen die Vereinbarung getroffen, dass in einem solchen Fall, beispielsweise vor dem Einsatz von Spezialkräften im Rahmen
von OEF in Afghanistan, die Fraktionen informiert werden.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Petra Pau.
Herr Bundesminister, Sie bitten den Bundestag um
Zustimmung zur Verlängerung des Mandates um ein
Jahr. Werden Sie dem Deutschen Bundestag auch eine
Einschätzung, wie lange dieser Einsatz insgesamt noch
dauern soll, oder ein Ausstiegsszenario vorlegen?
Frau Kollegin Pau, niemand kann sagen, wann der
Kampf gegen den internationalen Terrorismus beendet
sein wird. Im Gegenteil, wir erfahren manchmal in
schrecklicher Weise, dass der Terrorismus nach wie vor
nicht nur in Afrika oder Asien, sondern auch hier in
Europa zuschlagen kann. Daher gehe ich davon aus, dass
es richtig ist, das Mandat nur um ein Jahr zu verlängern,
um immer wieder die Möglichkeit zu haben, zu entscheiden, ob wir den Einsatz fortsetzen oder nicht. Niemand
kann aber die Beendigung dieses Mandates vorhersehen.
Zusatzfrage? - Bitte.
Wenn das nicht vorhersehbar ist, dann stelle ich die
Frage anders. Hat sich das Kabinett mit einer Gesamtbilanz nicht nur des Einsatzes der Bundeswehrsoldaten,
sondern aller eingesetzten Koalitionstruppen befasst und
was ist das Ergebnis des bisherigen Kampfes gegen den
Terrorismus im Rahmen dieser Aktion?
Das Ergebnis ist, dass wir der Auffassung sind, dass
dieses Mandat fortgesetzt werden soll.
Die nächste Frage stellt der Kollege Rainer Arnold.
Herr Minister, die beiden Mandate sind wohl auch arbeitsteilig angelegt, sodass Enduring Freedom in vielen
Bereichen ein Sicherheitsbackup für ISAF bietet. Gab es
in der praktischen Vorbereitung des Backups Schwierigkeiten oder lief dies problemlos?
Es gab überhaupt keine Schwierigkeiten. Das lief problemlos, Herr Kollege Arnold.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Wenn man eine weiter gehende Synergie erzielen
will, würde das nicht zwingend bedeuten, dass dieselben
Soldaten ein breiteres Einsatzspektrum haben und mehr
tun müssen, damit dieser Synergieeffekt erreicht wird?
Könnte das auch bedeuten, dass unsere bisherigen PRTs
deutlich robuster ausgestattet und ausgebildet werden
müssen, als für ihren friedensbewahrenden Auftrag notwendig ist?
Theoretisch könnte es das bedeuten, was Sie gerade
schildern. Auf der anderen Seite will ich deutlich machen, dass ich es angesichts der Gefahrenlage, in der unsere Soldatinnen und Soldaten in den PRTs in Kunduz
und Faizabad sind, für denkbar halte, dass ich zusammen
mit dem Generalinspekteur entscheiden muss, plötzlich
und ganz schnell bestimmte Spezialtruppen in diese Orte
zu entsenden, um die Soldatinnen und Soldaten bzw. die
zivilen Wiederaufbauhelfer zu schützen. Das ist unabhängig von der Überlegung, die Sie gerade angestellt haben.
Die nächste Frage stellt der Kollege Hans Raidel.
Herr Minister, noch einmal zu einer eventuellen Zusammenlegung von Enduring Freedom und ISAF: Könnten Sie sich vorstellen, wenn die anderen Partner bei
ISAF dem amerikanischen Argument des Zusammenlegens und der stärkeren Zusammenarbeit folgen würden,
dass sich die Bundesregierung einer solchen Bitte anschließt oder würden Sie sagen, dass das dann nicht
mehr das Mandat ist, das wir ursprünglich erteilt haben?
Es gibt Andeutungen aus Amerika und teilweise auch
aus Brüssel, dass Enduring Freedom neu konzipiert und
mit der Irakfrage unter dem Stichwort Terrorismusbekämpfung verknüpft werden müsste. Welche Haltung
nimmt die Bundesregierung dazu ein?
Über Letzteres, Herr Kollege Raidel, ist mir nichts
bekannt. Über Ersteres will ich jetzt nicht spekulieren.
Fragen der Art „Können Sie ausschließen, dass …“ führen eher zu missverständlichen Antworten, wie ich in der
Vergangenheit einmal erlebt habe.
Die letzte Frage zu diesem Themenkomplex hat die
Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Als der Bundestag
zum ersten Mal auf Antrag der Bundesregierung über
dieses Mandat beschlossen hat, stand im Antrag der
Bundesregierung vom 7. November 2001 zum Thema
Personaleinsatz - ich darf kurz zitieren -:
Im Rahmen der Operation Enduring Freedom kann
der Einsatz von deutschem Personal in Kontingenten anderer Nationen sowie der Einsatz von Personal anderer Nationen im Rahmen des deutschen
Kontingents auf der Grundlage bilateraler Vereinbarungen … genehmigt werden.
Ich würde gerne wissen, ob davon Gebrauch gemacht
wurde und in welchen Kontingenten deutsches Personal
bzw. in welchen deutschen Kontingenten Personal anderer Nationen eingesetzt wurde.
Wie ich vorhin bereits vorgetragen habe, konzentrieren wir uns zurzeit auf den Einsatz der Marine am Horn
von Afrika. Wir fahren dort mit einer Fregatte Patrouille
und haben ein Seeaufklärungsflugzeug im Einsatz, das
die Schiffsbewegungen am Horn von Afrika und im Golf
von Oman kontrolliert.
Des Weiteren haben wir uns vorher im Rahmen der
Operation Enduring Freedom mit dem Kommando Spezialkräfte in Afghanistan an bestimmten Aktionen beteiligt, die der Geheimhaltung unterliegen und die ich nicht
im Plenum des Parlaments darlegen kann. Aber die Obleute sind selbstverständlich darüber informiert worden.
Vielen Dank.
Gibt es noch Fragen zu anderen Themenbereichen der
heutigen Kabinettsitzung? - Herr Kollege Dirk Niebel.
Vielen Dank, Herr Präsident. - In der heutigen Kabinettsitzung soll auch das Hochschulrahmengesetz besprochen worden sein. Mich interessiert, ob die Bundesregierung beschlossen hat, dass auch in Zukunft die
weitere Verwendung von wissenschaftlichen Kräften
nach der Promotion in befristeten Beschäftigungsverhältnissen nur für höchstens zwölf Jahre möglich sein
soll, und - wenn dies der Fall sein sollte - ob der Bundesregierung klar ist, dass dann wissenschaftliche Kräfte
in Forschungseinrichtungen und Universitäten nach
zwölf Jahren befristeter Tätigkeit, wie sie heutzutage
gang und gäbe ist, faktisch einem Berufsverbot unterliegen.
Darf ich fragen, wer von der Bundesregierung zur Beantwortung zur Verfügung steht? - Herr Staatssekretär,
bitte.
Ich freue mich sehr, Ihnen mitteilen zu können, dass
das Kabinett heute die im Hinblick auf die Juniorprofessuren dringend notwendige Novellierung des Hochschulrahmengesetzes verabschiedet hat. Wir haben
damit seitens der Politik wieder Rechtssicherheit für die
betroffenen jungen Leute schaffen können.
Was die von Ihnen angesprochene Befristung angeht,
ist eine Übergangsregelung vorgesehen. Durch diesen
Zeitgewinn von etwa zwei Jahren können wir die Regelungen so ausgestalten, dass sie sowohl den Anforderungen des Verfassungsgerichts als auch den Notwendigkeiten in der Wissenschaft entsprechen.
Gibt es Ergänzungsfragen? - Bitte schön, Herr
Niebel.
Die Übergangsregelung soll meinen Informationen
zufolge bis 2008 gelten. Ist der Bundesregierung bewusst, dass die Forscher, die sich nicht habilitieren
möchten, 2008 noch vor exakt demselben Problem stehen wie jetzt?
Das Entscheidende ist, dass wir jetzt in die Detailgespräche eintreten können und Rechtssicherheit für die
jungen Leute, die zurzeit im Wissenschaftsbetrieb arbeiten, hergestellt haben. Das war uns wichtig und das ist
mit dem heutigen Beschluss des Kabinetts sichergestellt.
Es ist eigentlich nicht zulässig, drei Fragen zu stellen.
Aber da uns noch ausreichend Zeit zur Verfügung steht,
lasse ich es zu. - Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich habe eine Frage zu
einem anderen Themenbereich der Kabinettsitzung.
Treffen Presseberichte zu, nach denen Staatsminister
Schwanitz gegen den ehemaligen Generalsekretär der
SPD, Herrn Scholz, ausgetauscht werden soll?
Entschuldigen Sie, Herr Niebel. Ich möchte Ihre
Frage zurückstellen, weil die Kollegin Pau noch eine
Frage zu dem anderen Themenkomplex stellen wollte.
Dann kann sich der Herr Staatssekretär schon die Antwort überlegen. Ich melde mich später gerne noch einmal.
Frau Pau, bitte.
Danke, Herr Präsident. - Ist der Bundesregierung bewusst, dass durch die eben angesprochene Übergangsregelung den etwas älteren wissenschaftlichen Kräften,
die von der Befristungsregelung betroffen sind - ich
habe in meiner Wahlkreissprechstunde konkrete Fälle
kennen gelernt -, nicht geholfen ist, weil die Frist schon
im nächsten Jahr greift, sodass de facto ein Berufsverbot
für sie gilt?
Herr Kasparick.
Mir ist nicht bekannt, dass das Kabinett heute früh
über eine Vorlage abgestimmt hat, die das Wort „Berufsverbot“ enthält.
({0})
Uns lag daran, Rechtssicherheit für junge Wissenschaftler herzustellen. Dies ist mit dem heutigen Beschluss sichergestellt worden.
({1})
Vielen Dank. - Kollege Christian Schmidt, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Allein mein Interesse
als Parlamentarier drängt mich danach, von der Bundesregierung zu erfahren, welche Rechtsqualität ein Beschluss des Kabinetts, der Rechtssicherheit schaffen soll,
hat. Verstehe ich es richtig, dass es dabei um eine Verordnung geht, oder soll diese Thematik in einem Gesetz
geregelt werden? Ist dem Herrn Staatssekretär bekannt,
dass das Kabinett zwar Beschlüsse fassen kann, dass
aber immer noch das Parlament die Gesetze verabschiedet?
Verehrter Herr Kollege, ich habe vorausgesetzt, dass
Ihnen das parlamentarische Verfahren bekannt ist. Dieses Verfahren sieht vor, dass das Kabinett einen Gesetzentwurf beschließt, der dann dem Parlament zugeleitet
wird. Von dieser Voraussetzung bin ich einfach ausgegangen.
({0})
Jetzt folgen ergänzende Fragen von Herrn Christian
Schmidt und Herrn Thiele.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie bitten, noch einmal zu erklären, worin denn die Rechtssicherheit besteht, wenn Sie im Kabinett einen Gesetzentwurf verabschiedet haben, den Sie dem Deutschen Bundestag zur
Beratung zuleiten wollen.
Der Gesetzentwurf, der heute im Kabinett verabschiedet worden ist, hat die Wiederherstellung der Rechtssicherheit für Juniorprofessuren zum Ziel.
({0})
Ich hoffe, dass Sie das jetzt verstanden haben.
({1})
Herr Kollege Thiele.
Herr Staatssekretär Kasparick, die Fragestunde soll
dem Parlament die Möglichkeit geben, Fragen an die
Regierung zu stellen. Der Erkenntnisprozess kann mitunter beidseitig sein.
Meine Frage ist, wie Sie Rechtssicherheit herstellen,
indem Sie im Kabinett einen Gesetzentwurf beschließen,
der aber erst noch parlamentarisch beraten werden muss.
In diesem Zusammenhang interessiert mich ebenfalls,
von welchem Zeitpunkt an Sie erwarten, dass Rechtssicherheit hergestellt ist, und ob der Gesetzentwurf noch
in diesem oder erst im nächsten Jahr in das Parlament
eingebracht wird. Hat nur das Kabinett das beschlossen
und wird die rot-grüne Regierungsmehrheit von Ihnen
quasi nur als Durchleitungsgesetzgeber betrachtet oder
beabsichtigen Sie im Rahmen des parlamentarischen
Verfahrens auch Anhörungen durchzuführen - wie das
zumindest in anderen, nicht so bildungsnahen Bereichen
üblich ist -, in deren Folge Änderungen möglich sind?
Sie haben mich nach den Zeitabläufen gefragt. Aufgrund der Tatsache, dass der Gesetzentwurf heute das
Kabinett passiert hat, haben wir eine wichtige Etappe erreicht. Unser Ziel ist, den Gesetzentwurf Anfang nächsten Jahres in das Parlament einzubringen. Ich freue mich
übrigens sehr, dass die FDP-Fraktion unser Anliegen
sehr unterstützt. Deswegen bin ich ganz zuversichtlich,
dass wir das Ganze mit einer gemeinsamen Anstrengung
hinbekommen werden.
Vielen Dank. - Herr Niebel, die Antwort auf Ihre
Frage steht noch aus. Vielleicht wiederholen Sie Ihre
Frage.
Ich möchte gerne von der Bundesregierung wissen,
ob Presseberichte stimmen, wonach der Staatsminister
im Kanzleramt, Herr Schwanitz, gegen den Abgeordneten Scholz ausgetauscht werden soll.
({0})
Bitte schön.
Herr Kollege Niebel, diese Presseberichte kann ich
nicht bestätigen. Ich bleibe Ihnen erhalten.
({0})
Vielen Dank, Herr Schwanitz. - Damit sind wir am
Ende der Regierungsbefragung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 15/3999, 15/4025 Die heutige Fragestunde beginnt mit vier dringlichen
Fragen, und zwar jeweils zwei aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung und aus
dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der
Finanzen. Wir kommen als Erstes zum Geschäftsbereich
des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär
Hans Georg Wagner zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 1 des Kollegen Bernhard
Kaster auf:
Trifft es zu, dass, wie das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ in seiner Ausgabe Nr. 44 vom 25. Oktober 2004,
Seite 21, berichtet, der Generalinspekteur der Bundeswehr,
Wolfgang Schneiderhan, dem Bundesminister der Verteidigung,
Dr. Peter Struck, ein erstes Konzept für die geplante Schließung von 100 der bundesweit knapp 600 Militärstandorte vorgelegt hat, in dem das Heer von sieben auf fünf Divisionen reduziert wird sowie die 7. Panzerdivision mit Hauptsitz in
Düsseldorf und der Divisionsstab in Leipzig aufgelöst werden?
Herr Staatssekretär Wagner, bitte.
Herr Präsident, vielen Dank für die Worterteilung.
Wo ist denn der Kollege Kaster? - Er ist brav sitzen
geblieben.
Herr Kaster, könnten Sie sich bitte erheben?
Vielen Dank, Herr Kollege Kaster. Ich wollte Sie
zwar nicht zwingen, sich körperlich zu bewegen. Aber es
gehört nun einmal zum Ablauf der Fragestunde, dass der
Fragesteller steht, wenn seine Frage beantwortet wird.
Zur Vorbereitung der vom 29. bis 31. Oktober dieses
Jahres stattfindenden Stationierungsklausur unter Leitung des Bundesministers der Verteidigung wurden im
Bundesministerium der Verteidigung durch die zuständigen Organisationsbereiche Vorschläge zur künftigen Stationierung der Bundeswehr erarbeitet. Diese Vorschläge
wurden durch den Generalinspekteur der Bundeswehr
zusammengefasst und dem Bundesminister der Verteidigung vorgelegt. Ich betone ausdrücklich: Es handelt sich
um Vorschläge, von denen jeder einzelne im Rahmen der
Klausurtagung durch das Kollegium erörtert wird.
Diese Vorschläge beinhalten neben 76 noch ausstehenden Altentscheidungen aus Zeiten der Verteidigungsminister Rühe und Scharping rund 100 Standortschließungen. Die Reduzierung der Anzahl der
Heeresdivisionen von acht auf fünf wurde bereits in der
Konzeption der Bundeswehr festgelegt, die am
9. August 2004 von Herrn Bundesminister Dr. Struck
gebilligt wurde. Dementsprechend sind mehrere Divisionsstäbe zur Schließung vorgeschlagen. Die von Ihnen
erwähnte Vorlage enthält nicht die Aussage, dass die
7. Panzerdivision mit Hauptsitz in Düsseldorf und der
Divisionsstab in Leipzig aufgelöst werden. Dies wiederum schließt nicht aus, dass die Entscheidung nach Erörterungen in der Klausurtagung so fallen könnte.
Verbände und Einheiten, die dem Schließungspotenzial von zwei Divisionsäquivalenten entsprechen, sind
ebenfalls Inhalt der Vorschläge. Alle Entscheidungen zu
den aufgeführten Punkten fallen in einen Block im Rahmen der Klausur. Es gibt keine vorweggenommenen
Einzelfallentscheidungen.
Haben Sie eine Zusatzfrage? - Nein.
Dann kommen wir zur dringlichen Frage 2 des Kollegen Kaster:
Hält es der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Peter
Struck, angesichts der Medienberichte über sein Standortschließungskonzept für vertretbar, die Abgeordneten des
Deutschen Bundestages über die Einzelheiten seines Konzeptes weiter im Unklaren zu lassen und die Öffentlichkeit erst
am 2. November 2004, in einer sitzungsfreien Woche, zu informieren?
Herr Kollege, ich glaube, dass es mit Blick auf die
Medienberichterstattung keine Rolle spielt, welcher
Zeitpunkt für die Information der Abgeordneten des
Deutschen Bundestages und der Öffentlichkeit gewählt
wird. Vorweggenommene Meldungen, Berichte und
Kommentare werden grundsätzlich nicht zu vermeiden
sein. Diese beruhen, wie wir alle wissen, zum größten
Teil auf Spekulationen.
Es gibt noch kein Standortschließungskonzept des
Bundesministers der Verteidigung. Erst im Rahmen der
Stationierungsklausur vom 29. bis 31. Oktober 2004
wird durch die Erörterung und Bewertung der Vorschläge sowie die abschließende Entscheidung von Bundesminister Dr. Struck die endgültige Stationierung der
Bundeswehr festgelegt. Über das dann vorliegende
Konzept werden am 1. November 2004 zeitgleich die
Mandatsträger sowie die militärischen und zivilen
Dienststellen der Bundeswehr informiert. Vorherige Informationen, Bekanntgaben oder Ähnliches sind daher
weder möglich noch zweckmäßig.
Eine Zusatzfrage, bitte schön.
Sie haben das Verfahren und die Medienberichterstattung angesprochen. Sie haben eben Beweglichkeit angemahnt. Man muss immer auch auf gegebene Entwicklungen entsprechend reagieren. Wären Sie in dieser
Sitzungswoche in Berlin nicht in der Lage gewesen, Einzelheiten zu Standorten mitzuteilen? Ist es tatsächlich so,
dass die endgültige Beratung und Entscheidung erst an
diesem Wochenende fällt, sodass es aus Ihrer Sicht notwendig ist, diese Veranstaltung nächste Woche stattfinden zu lassen?
Ja, die Entscheidung fällt am Wochenende vom
29. bis 31. Oktober. Der Verteidigungsausschuss wird
am 2. November durch den Bundesminister der Verteidigung und durch den Generalinspekteur der Bundeswehr
über die Entscheidungen, die Herr Dr. Struck getroffen
hat, informiert werden.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Wagner. - Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der
Finanzen. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks zur
Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 3 des Kollegen
Austermann auf:
Ist es zutreffend, dass seitens des Bundesministeriums der
Verteidigung keine Ausgleichsmaßnahmen für die von Schließungen im Rahmen des Standortschließungskonzeptes des
Bundesministers der Verteidigung, Dr. Peter Struck, betroffenen Kommunen - siehe Pressemeldung vom 25. Oktober
2004, „Schleswig-Holsteinische Landeszeitung“, Bundesminister der Verteidigung, Dr. Peter Struck: „Ich bin nicht
Minister für Infrastruktur-Förderung“ - geplant sind?
Ja, Herr Kollege Austermann, es trifft zu, dass seitens
des Bundesministeriums der Verteidigung keine Ausgleichsmaßnahmen für die von Standortschließungen betroffenen Kommunen geplant sind.
Die Frage, die ich dann stellen möchte, ist identisch
mit der von mir eingereichten dringlichen Frage 4, sodass sie wohl nicht als Zusatzfrage zählen dürfte.
Dann rufe ich die dringliche Frage 4 des Abgeordneten Austermann auf:
Wenn ja, welche Maßnahmen sind zum Ausgleich für die
betroffenen Kommunen und Regionen durch andere Ressorts
der Bundesregierung geplant?
Herr Austermann, Sie dürfen nach der Beantwortung
insgesamt vier Zusatzfragen stellen.
Die strukturpolitische Verantwortung für Konversionsfolgen liegt nach der föderalen Aufgabenverteilung
des Grundgesetzes vorrangig bei den betroffenen Ländern und Gemeinden. Der Bund unterstützt diese hinsichtlich der Belastungen durch den Truppenabbau seit
1993 unter anderem durch die Erhöhung des Umsatzsteueranteils der Länder um zwei Prozentpunkte. Diese
Mittel stehen den Ländern dauerhaft zur Verfügung.
Die Länder und Kommunen können vom Bund und
der Europäischen Union mit finanzierte Förderinstrumentarien einsetzen, insbesondere die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, die EFRE-Mittel, die Mittel aus dem Europäischen
Strukturfonds, also die ESF-Mittel, und die Städtebauförderung. Es liegt in der alleinigen Verantwortung
der Länder, regionale Schwerpunkte und Prioritäten
beim Einsatz dieser Fördermittel zu setzen.
Ferner ist eine finanzielle Beteiligung des Bundes an
einzelnen Standortentwicklungsmaßnahmen möglich,
wenn die Liegenschaften nicht ohne weiteres veräußerbar sind. Der Bund erwartet, dass sein Finanzierungsanteil durch einen entsprechend höheren Verwertungserlös
ausgeglichen wird.
Mit Beteiligungen des Bundes wurde im Jahr 2002
von der Fachkommission „Städtebau“ der Bauministerkonferenz eine Arbeitshilfe zu den rechtlichen, planerischen und finanziellen Aspekten der Konversion militärischer Liegenschaften herausgegeben, die noch heute
Gültigkeit hat. Unter der Federführung der Bundesvermögensabteilungen der jeweiligen Oberfinanzdirektion
sind Bund-Länder-Arbeitsgruppen eingerichtet worden,
in denen grundsätzliche und länderspezifische Fragen
der Konversion erörtert und gemeinsame Lösungen gesucht werden. Hieran nehmen neben Vertretern des Bundes und der Landesregierungen auch Vertreter der kommunalen Spitzenverbände oder der betroffenen
Kommunen teil. Im Zuge der beabsichtigten Umstrukturierung der Bundesvermögensverwaltung werden sich
hierzu keine Änderungen ergeben.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, erste Zusatzfrage: Können Sie
beziffern, wie hoch die zusätzlichen Mittel des Bundes
sind, falls es denn solche gibt, die dann in die Gemeinschaftsprogramme oder in das Programm für Entwicklungsmaßnahmen aufgenommen werden sollen, oder gehen Sie davon aus, dass es sich dabei um die
vorhandenen Mittel handelt?
Herr Kollege, Ihnen ist die Situation des Haushalts
bekannt. Es handelt sich dabei um die vorhandenen Mittel. Ich darf aber darauf hinweisen, dass im Hinblick auf
Konversionsfolgen der Anteil der Länder an der Umsatzsteuer 1993 um 2 Prozentpunkte erhöht worden ist.
Diese Mittel erhalten die Länder fortlaufend und auch
für die Zukunft. Die Schwerpunktbildung und Prioritätensetzung in den Landeshaushalten liegt in der Verantwortung der jeweiligen Landtage.
Eine zweite Zusatzfrage.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Präsident. - Ist das Instrument der Grundstücksverbilligung, das in früheren
Jahren genutzt wurde, auch für die Zukunft vorgesehen
oder ist damit endgültig Schluss?
Es ist keine Grundstücksverbilligung vorgesehen. Sie
wissen, dass die Grundstücksverbilligungen auf ausdrücklichen Wunsch des Bundesrechnungshofs zurückgeführt worden sind. Es ist nicht vorgesehen, Grundstücksverbilligungen prinzipiell wieder einzuführen.
Aber nach dem, was ich Ihnen gerade vorgetragen
habe, wird es selbstverständlich Regelungen vor Ort geben können, insbesondere dann, wenn Vermarktungschancen von Liegenschaften gering sind. Das
könnte man sich so vorstellen, dass die Bundesvermögensverwaltung sozusagen vorübergehend auf einen Erlös nach Marktpreisen verzichtet, der Bund aber dann
- wie bei einer Art Besserungsschein -, wenn es zu einer
erfolgreichen Wiederveräußerung kommt, das Geld erhält, das ihm zusteht.
Ich habe keine weiteren Zusatzfragen.
Keine weiteren Zusatzfragen. - Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin.
Wir setzen jetzt die Fragestunde mit den Fragen auf
Drucksache 15/3999 in der üblichen Reihenfolge fort.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Die Frage 1 der Kollegin Hannelore Roedel soll
schriftlich beantwortet werden.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen.
Wenn ich es richtig sehe, ist der Kollege Kolbe, der die
Fragen 2 und 3 gestellt hat, nicht im Saal. Dann entfällt
die Beantwortung, Frau Staatssekretärin; es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amts. Die Fragen 4 und 5 des Kollegen Jüttner sollen
schriftlich beantwortet werden.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Kollegin Ina Lenke
ist nicht im Saal. Dann entfällt die Beantwortung der
Frage 6; es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung
vorgesehen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft. Die Kollegin Connemann ist, soweit ich
das erkenne, ebenfalls nicht im Saal. Somit entfällt auch
die Beantwortung der Fragen 7 und 8; es wird verfahren,
wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung.
Die Frage 9 des Kollegen Jens Spahn soll schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Scheuer auf, der
soeben in den Saal gekommen ist:
Hält die Bundesregierung ihre Maßnahmen zur Aidsaufklärung und -prävention, zum Beispiel die Förderung der
Deutschen Aids-Hilfe, angesichts der steigenden Zahl von
HIV-Infizierten für ausreichend?
Zur Beantwortung müsste die Staatssekretärin Marion
Caspers-Merk zur Verfügung stehen. - Sie ist nicht anwesend.
({0})
Die Frau Staatssekretärin kommt soeben in den Saal.
Dann geben wir ihr noch ein paar Sekunden Zeit.
Wir sind sozusagen ein bisschen vor der Zeit, weil die
Regierungsbefragung etwas kürzer war. Das ist aber immer möglich. Ich bitte Sie, sich darauf einzustellen.
Frau Staatssekretärin, zu beantworten ist die Frage 10
des Kollegen Andreas Scheuer.
Herr Präsident, zunächst einmal bitte ich um Entschuldigung. Ich komme aus einer noch andauernden
Sitzung des Fachausschusses.
({0})
- Selbstverständlich. Deshalb bin ich jetzt auch bei Ihnen und nicht im Fachausschuss.
Herr Kollege Scheuer, zu Ihrer Frage kann ich Ihnen
mitteilen, dass jährlich im Bundeshaushalt Mittel in
Höhe von 9,2 Millionen Euro für die Aidsprävention zur
Verfügung stehen.Der Titel umfasst insgesamt
10,7 Millionen Euro. Diese Mittel werden nur für die nationale Aidsaufklärung verwendet. Darüber hinaus kümmern wir uns auch auf internationaler Ebene weiterhin
intensiv um dieses Thema. Unser Zuschuss zu UNAIDS
liegt in diesem Jahr in der Größenordnung von
75 Millionen Euro.
Wir haben in Deutschland eine der niedrigsten HIVPrävalenzen in Westeuropa. Unter den Erwachsenen im
Alter von 15 bis 49 Jahren liegt die Prävalenz in
Deutschland bei 0,1 Prozent und damit auf gleichem
Niveau wie die Prävalenz in Finnland, Irland und Norwegen. In allen übrigen westeuropäischen Staaten liegt
die Prävalenz zwischen 0,2 und 0,5 Prozent. Insofern
kann ich an dieser Stelle festhalten, dass die Maßnahmen
gegriffen haben.
Insgesamt werden seit dem ersten Auftreten von HIV/
Aids von allen Bundesregierungen kontinuierlich sowohl Mittel für die Prävention auf nationaler Ebene als
auch international zur Verfügung gestellt. Eine jährlich
im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung von Forsa durchgeführte Befragung der Bevölkerung zeigt, dass nahezu 100 Prozent der Allgemeinbevölkerung das zum Schutz vor Aids notwendige
Basiswissen haben. Sie gibt aber auch Aufschluss darüber, welche Veränderungen bei der Nutzung von Informationsquellen, bei den Einstellungen und beim Verhalten im Hinblick auf HIV und Aids zu beobachten sind.
Die Erkenntnisse aus dieser Umfrage werden dafür genutzt, die Kampagne zu steuern und sie regelmäßig an
gesellschaftliche Veränderungen anzupassen.
Das Robert-Koch-Institut schätzt, dass sich jährlich
etwa 2 000 Menschen neu infizieren. Da aufgrund besserer Therapien gleichzeitig weniger HIV-Infizierte an
Aids erkranken oder sterben, erhöht sich die Zahl der mit
HIV lebenden Menschen. Im Jahr 2002 lebten hierzulande etwa 40 000 HIV-infizierte Menschen, 2003 waren
es etwa 43 000 Menschen.
Nach einer weitgehenden Konstanz ist seit 2003 die
Zahl neu diagnostizierter HIV-Infektionen leicht angestiegen. Ein Anstieg ließ sich insbesondere bei folgenden Gruppen verzeichnen: bei jungen Jugendlichen, bei
der Gruppe homosexueller Männer und bei der Gruppe
der Migrantinnen und Migranten. Den sehr sorglosen
Umgang mit diesem Thema in diesen Gruppen müssen
wir sehr ernst nehmen. Deswegen fokussieren wir die
Mittel, die wir für die Prävention einsetzen, passgenau
auf diese Gruppen.
Zusatzfrage, Herr Scheuer.
Frau Staatssekretärin, Sie haben von einem leichten
Anstieg im Jahr 2003 gesprochen. Ich bin in Sorge darüber, dass - auch aufgrund der neuen Medien - eine Art
Modeerscheinung Einzug hält, wonach die jungen Menschen etwas sorgloser mit der Geschichte umgehen, was
dazu führt, dass die klassischen Aufklärungsmethoden
ins Leere laufen. Mit welchen Maßnahmen werden Sie
in den Jahren 2004, 2005 und folgende auf diese Veränderung in der Stimmungslage der jungen Menschen eingehen?
Ich teile Ihre Auffassung darüber, dass eine gewisse
Sorglosigkeit um sich greift. Das hat auch etwas damit
zu tun, dass in den Medien immer öfter von HIV-Therapien und HIV-Impfstoffen berichtet wird und man damit
den Eindruck gewinnt - das merkt man, wenn man mit
Jugendlichen spricht -, Aids entwickele sich zu einer
Krankheit wie andere heilbare Krankheiten. Man geht
also davon aus, dass - im Gegensatz zur Situation Ende
der 80er-Jahre, als auf eine Infektion sehr rasch der Tod
folgte - durch die neuen Mittel und Therapien, die zur
Verfügung stehen, Aids zu einer chronischen Erkrankung geworden ist. Diese Entwicklung wird als Erklärung dafür herangezogen, dass eine gewisse Sorglosigkeit Einzug hält. Dieser Tendenz müssen wir
gegensteuern.
Wir müssen erstens kommunizieren, dass es auch für
die Verhinderung anderer Geschlechtserkrankungen
wichtig ist, sich zu schützen. Zurzeit steigt zum Beispiel
die Zahl der Syphiliserkrankungen wieder; das geht oftmals mit neuen HIV-Infektionen einher. Zweitens müssen wir den jungen Jugendlichen klar machen, dass das
Leben mit dieser chronischen Erkrankung nicht erstrebenswert ist, dass man sich dagegen einfach schützen
kann und dass keine Therapie besser sein kann als Prävention und Schutz. Drittens müssen wir insbesondere
die Kampagnen bezüglich bestimmter Risikogruppen,
zum Beispiel der Migrantinnen und Migranten, verstärken.
Wir versuchen, bei der Risikokommunikation auf
diese Punkte einzugehen. Dabei nutzen wir auch Angebote im Internet. Die BZgA berät sehr stark per Internet
und Telefon. Aber natürlich bleiben die klassischen Aufklärungsmaterialien genauso wie Kampagnen und Aufklärung an der Schule weiterhin der Kernbereich dessen,
was wir tun.
Weitere Zusatzfrage? - Nein.
Dann kommen wir zur Frage 11 des Kollegen
Scheuer:
Hält es die Bundesregierung im Rahmen der Aidsaufklärung und -prävention für förderlich, wenn in Broschüren der
Deutschen Aids-Hilfe unzureichend kommentierte Statements
zugunsten von ungeschütztem Geschlechtsverkehr veröffentlicht und verbreitet werden?
Sie fragen hier nach einem Statement in einer Broschüre der Deutschen Aids-Hilfe, das offenbar zu Missverständnissen in der öffentlichen Debatte beigetragen
hat. Ihre Kollegin Gitta Connemann hat bereits in der
Fragestunde vom 29. September dieses Jahres zu diesem
Sachverhalt eine Frage gestellt. Ich habe damals darauf
hingewiesen, dass in einer Fernsehberichterstattung, in
der diese Broschüre Thema war, Statements unkommentiert aus dem Zusammenhang gerissen wurden und der
Eindruck erweckt wurde, dass in Broschüren, die die
Deutsche Aids-Hilfe publiziert, zu riskanten Verhaltensweisen, zum Beispiel zu ungeschütztem Sex bei homosexuellen Männern, aufgerufen wird.
Ich darf Ihnen versichern, dass das nicht der Fall ist.
In der Broschüre werden Zitate von Betroffenen mit
Aufklärungsbotschaften kontrastiert. Wenn man nun die
Zitate der Betroffenen isoliert herausgreift, ergibt sich
natürlich ein schiefes Bild. Wir haben aber bereits ein
Gespräch mit der Deutschen Aids-Hilfe und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung über diese Broschüre geführt. Gerade weil Teile dieser Broschüre
falsch verstanden werden könnten, haben wir dafür gesorgt, dass sie überarbeitet wird. Sie ist derzeit nicht
mehr im Umlauf.
Zusatzfrage?
Frau Staatssekretärin, wir haben hier ja wirklich kein
Feld, bei dem man nicht wüsste, wie man formulieren
muss. Rainer Schilling von der Deutschen Aids-Hilfe
wird in der Broschüre im O-Ton zitiert:
Viel Verständnis für eine lebensgefährliche Praxis.
Im Internet schreibt die Deutsche Aids-Hilfe zum
Thema Barebacking
- übersetzt: reiten ohne Sattel an einer Stelle, die sich an HIV-Positive wendet, lapidar: „Auch wenn der HIV-Negative dieses Risiko
bewusst in Kauf nimmt, kann es dennoch belastend
für mich sein, andere anstecken zu können. Dennoch, ungeschützten Sex zu haben ist eine Gewissensentscheidung, die mir niemand abnehmen
kann.“
Frau Staatssekretärin, die Bundesregierung gibt so
viel Geld an Werbeagenturen weiter, unter anderem für
Broschüren, hätte man da nicht so etwas ahnen und eine
Kontrollinstanz drüberschauen lassen können?
Die Aufgabenverteilung bei diesem Thema hat sich,
nicht zuletzt aufgrund von Entscheidungen der früheren
Bundesregierung - Sie wissen, dass die ersten Aidskampagnen noch unter einer anderen Regierung gestartet
wurden -, grundsätzlich bewährt. Die Deutsche AidsHilfe bekommt von uns Zuschüsse und wendet sich an
Risikogruppen, zu denen sie unmittelbaren Zugang hat,
zum Beispiel durch eine offizielle Kampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Diese Aufgabenverteilung halten wir im Prinzip für richtig. Aber
wir müssen bei dem, was mit unseren Mitteln gemacht
wird, sehr sorgfältig darauf achten, wie die Botschaften
lauten. Wir können allerdings nicht die Verantwortung
für jede Aussage jeder Organisation übernehmen, die
von uns beauftragt wird.
Ich halte die Broschüre - das habe ich ausdrücklich
gesagt - für wenig geeignet. Deswegen wird sie überarbeitet. Es ist wichtig, dass die Deutsche Aids-Hilfe weiß,
dass es um einen sensiblen Bereich geht, bei dem besondere Sorgfalt notwendig ist. Ich kann aber nicht einzelne
Aussagen kommentieren. Da müssten Sie sich unmittelbar an die Deutsche Aids-Hilfe wenden. Wir haben dafür
Sorge zu tragen, dass sich das, was mit Steuermitteln
finanziert wird, an die richtige Zielgruppe wendet. Deswegen wird die Broschüre nun überarbeitet und erst danach wieder zur Information dienen.
Herr Scheuer, zweite Zusatzfrage.
Da der Steuerzahler 3,5 Millionen Euro für die Unterstützung der Deutschen Aids-Hilfe berappen muss, ist
mir es als Abgeordneter schon wichtig, was in den Broschüren enthalten ist.
Ich frage Sie: Sind die Broschüren eingestampft worden? Wird eine neue Broschüre herausgegeben? Ich
hoffe, dass die neue Broschüre nicht so beurteilt wird,
wie es in der schon erwähnten Reportage hieß:
Die Deutsche Aids-Hilfe aber propagiert in ihren
Broschüren den Spaß am Sex, will nicht als moralische Instanz auftreten. In den Blättern finden sich
unkommentiert Zitate wie dieses: „Ich mach’s fast
nur ohne, weil mir das mit dem Gummi zu stressig
ist. Soll ich bei ’ner Sexparty erst fragen oder große
Erklärungen abgeben? Das ist doch Quatsch.“
Wenn die Aufklärungsbroschüren das Thema Safer Sex
auf diese Weise behandeln, dann kann man die
3,5 Millionen Euro, die der Steuerzahler dafür berappen
muss, genauso gut in die Mülltonne schmeißen.
Herr Kollege, Sie beziehen sich auf Äußerungen Dritter. Ich habe vorhin gesagt, dass in der Diskussion über
diese Broschüre Zitate von Betroffenen neben Aussagen
zur fachlichen Aufklärung gestellt wurden, die dadurch
konterkariert wurden. Sie zitieren Äußerungen von Betroffenen, die ich nicht zu kommentieren habe. Die Aufklärungsbotschaft der Broschüre ist korrekt. Aber so,
wie die Broschüre gemacht ist, halte ich die unkommentierte Gegenüberstellung der Aussagen für problematisch. Aus diesem Grunde wird sie überarbeitet.
Sie fragen nach Maßnahmen, die schon längst veranlasst wurden. Ich bin gerne bereit, Ihnen - Sie sind ja ein
bei diesem Thema sehr engagierter Abgeordneter - die
Neuauflage der Broschüre vorher zukommen zu lassen.
Denn unser gemeinsames Interesse muss es sein, dass
die von uns in Auftrag gegebenen Aufklärungsbroschüren von allen mitgetragen werden.
Ich will noch einmal betonen: Eine Diskussion, die
sich auf einzelne Punkte bezieht, ist wenig hilfreich. Wir
brauchen Präventionskampagnen. Uns muss daran gelegen sein, dass sie sorgfältig erarbeitet werden und wirksam sind. Denn Aids ist nach wie vor unheilbar. Angesichts der Tatsache, dass die Zahlen leicht ansteigen, ist
es wichtig, dass wir mit unseren Aufklärungsanstrengungen nicht nachlassen.
Wir müssen alle Selbsthilfeorganisationen so weit wie
möglich mit einbeziehen. Wir haben dafür Sorge zu tragen, dass die Steuermittel effektiv ausgegeben werden.
Das tun wir.
Eine ergänzende Frage des Kollegen Carl-Ludwig
Thiele.
Frau Staatssekretärin, gibt es die Broschüre noch?
Wird sie von Ihnen weiter verteilt? Wann wird die neue
Broschüre herausgegeben?
Die Broschüre gibt es nicht mehr. Sie wird auch nicht
weiter verteilt. Die Neuauflage befindet sich in der Bearbeitung. Ich kann Ihnen aber nicht sagen, wann diese Arbeit abgeschlossen ist. Ich habe eben gerade zugesagt,
dass ich Sie unterrichte, wenn die überarbeitete Broschüre vorliegt.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin Caspers-Merk.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur
Verfügung.
Wir kommen zunächst zur Frage 12 der Kollegin
Kristina Köhler:
Beabsichtigt die Bundesregierung, den Sachverständigenrat für Zuwanderung und Integration, den Zuwanderungsrat,
als dauerhaftes Gremium zu etablieren, oder sieht sie unter
bestimmten Bedingungen seinen Auftrag als erfüllt an?
Frau Kollegin Köhler, der Sachverständigenrat für
Zuwanderung und Integration ist mit Erlass des Bundesministers des Innern vom 2. April 2003 eingerichtet worden. Der Erlass sieht derzeit keine Befristung für die Arbeit des Zuwanderungsrates vor.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, dieser Erlass ist mir durchaus bekannt. Ich gehe aber davon aus, dass die Bundesregierung eine Meinung zu diesem Thema hat und dass ihr
daran gelegen ist, dass die ihr zur Verfügung stehenden
Gelder sinnvoll eingesetzt werden.
Ich frage Sie daher, ob Sie die Arbeit des Zuwanderungsrates evaluieren und ob Sie prüfen, wie lang dieser
noch existieren soll. Ein Erlass gilt nicht für die Ewigkeit. Er kann jederzeit aufgehoben werden.
Es ist richtig, dass ein Erlass jederzeit aufgehoben
werden kann. Er kann aber auch bestehen bleiben. Das
hängt davon ab, wie man die entsprechende Materie regeln will.
Der Zuwanderungsrat hat eine bestimmte Aufgabe.
Diese Aufgabe ist in dem Erlass vom - ich habe das Datum bereits genannt - 2. April 2003 beschrieben. Das ist
die Geschäftsgrundlage, an der wir uns zu orientieren
haben.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, könnte es unter Umständen so
sein, dass die Bundesregierung genau so lange am Rat
des Zuwanderungsrates interessiert ist, wie Frau Professor Süssmuth den Vorsitz innehat?
Frau Kollegin Köhler, ich weiß nicht, ob Sie vielleicht
Interesse daran haben, diesen Vorsitz zu übernehmen; das
entzieht sich meiner Kenntnis. Aber den von Ihnen angesprochenen Zusammenhang kann ich nicht herstellen.
Deswegen möchte ich diese Frage nicht beantworten.
({0})
- So gehen wir Innenpolitikerinnen und -politiker immer
miteinander um.
Dann kommen wir zur Frage 13 der Abgeordneten
Kristina Köhler:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass der Nutzen
des Zuwanderungsrates die im Haushalt 2005 eingestellten
Kosten von 1,125 Millionen Euro im Jahr übersteigt?
Frau Köhler, ich beantworte Ihnen Ihre Frage wie
folgt: Welche Mittel im Jahre 2005 für den Zuwanderungsrat zur Verfügung stehen, entscheidet der Haushaltsgesetzgeber. Eine Bewertung des Nutzens der Arbeit des Zuwanderungsrates im Jahre 2005 kann
naturgemäß erst nach Ablauf dieses Zeitraumes erfolgen.
({0})
- Wie ich das immer so mache, Herr Thiele.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, der Bundesinnenminister hat anlässlich der Vorlage des Zuwanderungsberichtes sogar
ein Lob ausgesprochen. Er hat sehr positiv hervorgehoben, dass der Bericht 480 Seiten umfasst, und hat insofern den Arbeitseifer gelobt. Ich frage Sie dennoch: Welchen praktischen Nutzen über diesen Arbeitseifer hinaus
sehen Sie als Staatssekretär und Vertreter der Bundesregierung in diesem Bericht?
Sie haben in der Tat Recht: Dies ist mit mehr als
400 Seiten ein umfangreiches Werk. Ich gehe davon aus,
dass Sie diesen Bericht gründlichst studiert haben. Wenn
das noch nicht erfolgt ist, sollten Sie das in Bälde tun.
Frau Köhler, ich kann Ihnen schon vorab vermelden:
In diesem Bericht sind - je nachdem, wie man es zählt 150 oder 160 Forderungen enthalten, mit denen wir uns
auseinander setzen müssen. Es sind Forderungen enthalten, die sich in der öffentlichen Darstellung nicht wiederfinden, und andere, die sich wiederfinden. Der Bericht ist eine Diskussionsgrundlage. Die Aufgabe des
Zuwanderungsrates ist es im Übrigen, politische Beratung zu leisten. Das hat er getan. Wir gehen mit dem vorliegenden Ergebnis entsprechend um.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Da Sie jetzt so stark betonen, dass es sich um eine
Diskussionsgrundlage handelt und die Bewertung noch
aussteht, kann ich dem also entnehmen, dass Sie darüber
unglücklich sind, dass aus der SPD-Fraktion und auch
dem Bundesinnenministerium eindeutig ablehnende Signale gekommen sind?
({0})
Ich bin entsetzt darüber, dass ich hier in der Fragestunde einen unglücklichen Eindruck mache. Das hat
man mir noch nie gesagt und vorgehalten.
Frau Köhler, ich glaube, dass es im Sinne der Sache
ist, dass die Forderungen und Inhalte, die sich im Bericht
des Zuwanderungsrates wiederfinden, unterschiedlich
kommentiert und bewertet werden. Es ist doch keine
Majestätsbeleidigung, wenn dies geschieht. Ich glaube,
das Gegenteil ist der Fall, nämlich dass die Kolleginnen
und Kollegen dazu aufgerufen sind, sich mit diesen Inhalten auseinander zu setzen. Wenn das in einer kritischen Form geschieht, habe ich nichts dagegen einzuwenden.
Wir kommen zur Frage 14 des Kollegen Stephan
Mayer ({0}):
Inwiefern ist die Etablierung des Zuwanderungsrates
durch Erlass vom 2. April 2003, der allein im kommenden
Jahr 1,125 Millionen Euro kosten wird, mit den Bemühungen
der Bundesregierung zum Bürokratieabbau in Einklang zu
bringen?
Herr Kollege Mayer, entgegen der in der Frage zum
Ausdruck kommenden Auffassung ist mit der Einrichtung des Zuwanderungsrates keine neue Bürokratie aufgebaut worden.
({0})
Mit dem Zuwanderungsgesetz wird erstmals in
Deutschland ein Rechtsrahmen vorgegeben, durch den
die Zuwanderung im Ganzen gesteuert und wirksam
begrenzt werden kann. Dies ist eine historische Zäsur. Es
ist ein Gesetz, das künftig Zuwanderung entlang unserer
wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Interessen
in Deutschland ermöglicht. Deshalb ist gerade zu Beginn
einer solchen grundlegenden Veränderung der Rechtslage eine interdisziplinäre fachliche Politikberatung
sinnvoll. Dies ist etwa in der Wirtschafts- oder Umweltpolitik seit vielen Jahren völlig selbstverständlich. Die
Entscheidung über die Mittel, die für den Zuwanderungsrat zur Verfügung stehen, obliegt dem Haushaltsgesetzgeber. Eine ähnliche Frage habe ich vorhin schon
einmal in diesem Sinne beantwortet.
Zusatzfrage, Herr Mayer.
Herr Staatssekretär, die Bundesregierung hat ja vollmundig einen Masterplan Bürokratieabbau veröffentlicht, der den Namen, den er trägt, an sich nicht wert ist.
Sind Sie der Auffassung, dass der Zuwanderungsrat, der
zudem überhaupt keine gesetzliche Grundlage hat, mit
dem Masterplan Bürokratieabbau in Einklang zu bringen
ist, und wie beurteilen Sie den Zuwanderungsrat vor
dem Hintergrund einer sparsamen und wirtschaftlichen
Haushaltsführung? Die Kosten, die der Zuwanderungsrat im Haushaltsjahr 2005 nach dem Entwurf des Haushaltes der Bundesregierung aller Voraussicht nach verursachen wird, werden sich auf 1,125 Millionen Euro
belaufen.
Herr Kollege Mayer, was den Bürokratieabbau anbelangt, so glaube ich, dass diese Bundesregierung ein sehr
beachtliches Ergebnis vorweisen kann. Wir haben beispielsweise die Anzahl der Behörden und Einrichtungen
erheblich reduziert, und zwar in einer Größenordnung
zwischen 15 und 20 Prozent. Wenn andere dies bewirkt
hätten, würde ihnen ständig ein roter Teppich ausgerollt.
Ich glaube, Ihre Bewertung ist an dieser Stelle nicht richtig; denn unsere Arbeit in diesem Bereich ist hervorragend und zukunftsgerichtet.
Was die Frage nach dem Zuwanderungsrat anbelangt,
so ist es richtig, dass die Einrichtung des Zuwanderungsrats auf dem von mir vorhin erwähnten Erlass vom
2. April 2003 basiert. Die Etablierung dieses Rates ist
ausdrücklich nicht in das Zuwanderungsgesetz aufgenommen worden. Wer die Arbeitsweise des Zuwanderungsrates kennt, der wird dies nicht mit Überbürokratisierung in Verbindung bringen. Der Zuwanderungsrat
hat die Aufgabe der Politikberatung. Wie dies im Einzelnen aussehen soll, habe ich Ihnen gerade kundgetan. Ich
finde, der Bericht, der jetzt vorgelegt worden ist, ist ein
diskussionswürdiges und diskussionsfähiges Werk und
stellt insofern in der Sache eine gute Grundlage dar.
Zweite Zusatzfrage, Herr Mayer.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Auffassung, dass die
Tatsache, dass von den prognostizierten 1,125 Millionen
Euro, die der Zuwanderungsrat im kommenden Jahr an
Kosten verursachen wird, allein der Verwaltungsapparat
die Hälfte verschlingen wird, ein Beitrag zu weniger Bürokratie und zur Verwaltungsvereinfachung ist?
Herr Kollege Mayer, die Hälfte des Haushaltsansatzes
ist für den Bereich des Personals, die andere Hälfte für
den so genannten Sachkostenbereich vorgesehen. Das ist
im Übrigen eine normale Struktur, was die Kostenaufteilung anbelangt. Ich finde, das ist angemessen. Ich weiß,
dass es dazu im Haushaltsausschuss eine Debatte gegeben hat und dass bestimmte Anträge formuliert wurden.
Wenn der Haushaltsgesetzgeber es so will, nehmen wir
dies zur Kenntnis und werden uns danach ausrichten.
Wir kommen damit zur Frage 15 des Kollegen
Dr. Ole Schröder:
Welche wesentlichen Empfehlungen des ersten Jahresgutachtens des Zuwanderungsrates beabsichtigt die Bundesregierung umzusetzen?
Herr Kollege Schröder, die Bundesregierung wird das
erste Jahresgutachten des Sachverständigenrates für Zuwanderung und Integration und die darin enthaltenen
Anregungen und Empfehlungen aufmerksam prüfen und
gegebenenfalls bei ihren weiteren zuwanderungs- und
integrationspolitischen Überlegungen berücksichtigen.
Aus Sicht der Bundesregierung hat derzeit jedoch die
Umsetzung der Regelungen des Zuwanderungsgesetzes
in die Praxis Vorrang.
Zusatzfrage, Kollege Schröder.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Körper, ist davon auszugehen, dass die Vorschläge des Zuwanderungsrates, die von Bundesinnenminister Schily bereits
öffentlich kritisiert worden sind, von der Bundesregierung nicht umgesetzt werden?
Der Zuwanderungsrat macht Vorschläge; er formuliert bestimmte Bemerkungen und Forderungen aus
Sicht des Zuwanderungsrates. Inwieweit sie in die politische Arbeit eingehen und gesetzlich umgesetzt werden,
ist eine ganz andere Frage.
Ich habe vorhin deutlich gemacht, der Zuwanderungsrat hat die Aufgabe der Politikberatung. Dieser Aufgabe
ist er mit diesem Gutachten nachgekommen. Wir sind
dabei, die verschiedenen Forderungen - ich habe gesagt,
dass es eine ganze Menge an Forderungen gibt - zu prüfen, zu hinterfragen. Was wir daraus machen und welche
Vorschläge wir daraus entwickeln werden, wird sich zeigen.
Ich sage es noch einmal ganz deutlich - das habe ich
in der Antwort Ihnen gegenüber bereits kundgetan -,
dass die Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes in die
Praxis derzeit eine Arbeit ist, die wir mit hoher Priorität
verfolgen.
Zweite Zusatzfrage.
Da Sie meine Frage nicht beantwortet haben, möchte
ich konkret werden. Der Zuwanderungsrat empfiehlt,
zum Ausgleich des angeblichen Facharbeitermangels in
Deutschland 25 000 ausländische Arbeitnehmer aufzunehmen. Das hat der Bundesinnenminister öffentlich kritisiert. Wie sieht das die Bundesregierung? Wird die
Bundesregierung diesen Vorschlag dennoch umsetzen?
Offensichtlich hat der Bundesinnenminister eine Prüfung dieses Vorschlags bereits unternommen, ansonsten
würde er sich doch nicht in dieser Weise äußern.
Herr Schröder, auf der Seite 215 ff. des Berichts geht
es um die Frage der Arbeitsmigration und um die von Ihnen genannte Zahl. Wenn Sie sich damit etwas intensiver
beschäftigen, werden Sie feststellen, dass es zu diesem
Thema und seiner Methodik noch eine Menge Fragen
gibt, die in diesem Zusammenhang zu würdigen und zu
diskutieren sind. In diesem Bereich gilt das Gleiche wie
bei den anderen Forderungen: Die Vorschläge werden
geprüft und diskutiert und entsprechend kommentiert.
Dann werden wir sehen, was davon in die politische
Arbeit hineinfließen wird.
Ich betone noch einmal, dass dies das richtige Vorgehen ist: Zurzeit legen wir unsere Prioritäten auf die Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes in die Praxis.
Eine weitere Frage der Kollegin Beatrix Philipp.
Herr Staatssekretär, Sie haben sich gerade auf
Seite 215 bezogen.
Ich hoffe, dass ich die richtige Seite zitiert habe.
Das will ich gar nicht prüfen. Sie haben sich sicherlich im richtigen Bereich bewegt.
Ich möchte auf Seite 214 eingehen. Haben Sie die
Aussage auf Seite 214 - ich zitiere: „Zuwanderer entlasten den staatlichen Haushalt und die sozialen Sicherungssysteme“ - geprüft und zu welchem Ergebnis sind
Sie dabei gekommen?
Ich habe Ihnen auch anhand der anderen Themen
deutlich gemacht, dass wir uns noch in der Prüfung befinden und dass diese Prüfungen noch zu keinen Ergebnissen geführt haben.
({0})
- Es gibt keine Unterschiede, was den Gesamtkontext
anbelangt. Wir befinden uns im Prüfungsverfahren.
Eine weitere Frage des Kollegen Mayer.
Wann werden die Prüfungen abgeschlossen und wann
ist damit zu rechnen, dass das Ergebnis der Prüfungen
veröffentlicht wird?
Ich gehe davon aus, dass Sie rechtzeitig unterrichtet
werden, wenn diese Prüfungen zu Ergebnissen geführt
haben, die insbesondere für den Innenausschuss und das
Parlament relevant sind.
Wir kommen zur Frage 16 des Kollegen Schröder:
Inwieweit hält es die Bundesregierung für sinnvoll, dass
der Zuwanderungsrat weitere Empfehlungen abgibt?
Herr Kollege Schröder, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Aufgabe des Zuwanderungsrates nach dem Errichtungserlass ist es, regelmäßig die innerstaatlichen Aufnahme- und Integrationskapazitäten sowie aktuelle Entwicklungen der Wanderungsbewegungen darzustellen
und ein Gutachten zum aktuellen Stand der Zuwanderungsbewegungen und deren absehbarer Entwicklung zu
erstatten. Dieses Gutachten soll auch die Entwicklungen
bei der Aufnahme von Spätaussiedlern und der Erteilung
von Aufenthaltstiteln sowie die Ergebnisse der Asylverfahren darstellen und Aussagen zu den Auswirkungen
der Zuwanderung auf die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt enthalten.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, hat die Bundesregierung schon einmal eine Kosten-Nutzen-Analyse
für den Zuwanderungsrat erstellt? Oder muss ich das so
verstehen, dass einfach kein eigener Sachverstand in der
Bundesregierung vorhanden ist, sodass man sich zu diesen Fragen eines Zuwanderungsrates bedienen muss?
({0})
Lieber Herr Kollege Schröder, ich weise noch einmal
darauf hin: Der Zuwanderungsrat ist am 2. April 2003
mit dem Errichtungserlass initiiert worden. Sie können
fast an den Fingern abzählen, wie viele Monate dazwischen liegen. Wenn man über Kosten-Nutzen-Effekte
reden will, braucht man Erfahrungen und Ergebnisse.
Ein erstes Ergebnis liegt mit diesem Bericht vor. Zu welchen Schlussfolgerungen dieser Bericht führen wird,
habe ich bereits ausgeführt: Wir befinden uns im Prüfungsverfahren.
Das, was Sie jetzt in Ihre Frage gekleidet haben, ist in
dieser Situation überhaupt nicht möglich. Im Übrigen ist
die Errichtung des Zuwanderungsrates damals gar nicht
umstritten gewesen. Ich denke, wir müssen jetzt insbesondere das vorliegende Ergebnis dahin gehend untersuchen, welche Bedeutung es für unsere politische Arbeit
hat. Ich habe gesagt: Wenn wir zu den entsprechenden
Ergebnissen gelangt sind, werden wir Ihnen diese gern
mitteilen.
Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Schröder.
Ich finde es sehr vernünftig, dass die Bundesregierung die Ergebnisse des Zuwanderungsrates analysiert.
Kann denn das Ergebnis dieser Analyse auch so aussehen, dass man den Zuwanderungsrat auflöst und er damit
keine weiteren Empfehlungen abgeben wird?
Herr Kollege Schröder, wenn ich die Ergebnisse im
Voraus wüsste, müsste ich nicht in dieses Prüfungsverfahren einsteigen. Da ich die Ergebnisse nicht kenne,
prüfen wir.
Ergänzende Frage der Kollegin Philipp.
Herr Staatssekretär, Sie haben ausgeführt, dass Sie
mit den Prüfungen rechtzeitig fertig sein würden bzw.
uns rechtzeitig informieren würden. Der Zuwanderungsrat empfiehlt auf Seite 8 der Kurzfassung seines Berichts, im Jahre 2005 im Rahmen des Verfahrens
25 000 qualifizierten Arbeitnehmern einen Aufenthaltstitel zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu gewähren.
Ihre Familienangehörigen sollten bei Nachweis eines
Arbeitsplatzes ebenfalls einen Aufenthaltstitel zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit erhalten. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie, was Sie - wenn das 2005 umgesetzt werden soll - für „rechtzeitig“ halten, denn heute
haben wir bereits den 27. Oktober 2004.
Entschuldigung, das hängt ganz entscheidend davon
ab, zu welchem Prüfergebnis wir kommen. Erst dann
kann ich Ihnen eine konkrete Antwort auf Ihre Frage geben. Wir werden Ihnen aber das Ergebnis unserer Prüfung zur rechten Zeit vorlegen.
Die Fragen 17, 18, 19 und 20 sollen schriftlich beantwortet werden.
Damit kommen wir zur Frage 21 des Kollegen
Gunther Krichbaum:
Wie ist es mit der Auffassung von Bundeskanzler Gerhard
Schröder, es bestünden keine Zweifel an der Eignung von Ute
Vogt für ihr Amt als Parlamentarische Staatssekretärin - Antwort der Bundesregierung auf Frage 17 der Kleinen
Anfrage der Fraktion der CDU/CSU auf Bundestagsdrucksache 15/4010 -, zu vereinbaren, dass der „Blick nach rechts“
unter der Schirmherrschaft von Ute Vogt die „Vereinigung
der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ auf diesem Internetportal weiter präsentiert?
Ich beantworte Ihnen die Frage wie folgt: Bei dem Informationsdienst „Blick nach rechts“ handelt es sich um
einen bedeutenden Beitrag der Zivilgesellschaft im
Kampf gegen rechtsextremistische Bestrebungen, wozu
gerade auch dessen Internetauftritt beiträgt. Die Verlinkung mit der Internetseite der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und
Antifaschisten“ ist mittlerweile entfernt. Im Übrigen
kann ich auf andere Antworten der Bundesregierung in
diesem Zusammenhang verweisen.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade davon gesprochen, dass es hier um ein Engagement der Zivilgesellschaft geht. Gilt diese Einschätzung auch dann, wenn
man weiß, dass es sich hierbei um eine Internetseite handelt, die im Eigentum der SPD und in niemand anderes
Eigentum steht, und insbesondere, dass hier ein Zuschuss in Höhe von 28 000 Euro gewährt wurde und
man diesen Zuschuss damit auch als eine verdeckte Parteienfinanzierung werten kann?
Das kann man nicht so werten. Im Übrigen ist der
Zuschuss nicht in Euro ausgezahlt worden, sondern in
D-Mark, und bezieht sich auf das Jahr 2000. Er betrug
circa 56 000 D-Mark. Dabei handelte es sich nicht um
eine verdeckte Parteienfinanzierung. Mit dem „Blick
nach rechts“ wird ein hervorragender Beitrag unserer
Zivilgesellschaft im Kampf gegen den Rechtsextremismus geleistet. Ich lade Sie ausdrücklich ein: Schauen Sie
sich die Seiten einmal an!
Zweite Zusatzfrage.
Sie bestätigen - weil Sie der Frage ausgewichen
sind - aber ausdrücklich, dass es sich dabei um eine
SPD-eigene Homepage handelt?
Es handelt sich um eine Homepage „Blick nach
rechts“. Sie kennen das. Ich sage Ihnen noch einmal: Es
sind gar keine Fragen bezüglich des finanziellen Beitrags
zur Errichtung dieses Portals im Jahre 2000 aufgetaucht.
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Was Sie hier unterstellen
wollen, dass das eine verdeckte Parteienfinanzierung ist,
entbehrt jeglicher Grundlage.
Ergänzungsfrage? - Bitte schön, Herr Kollege
Fischer.
Herr Staatssekretär, ich frage noch einmal nach: Ist
dies ein Portal der Partei SPD oder ist es dies nicht?
Es ist ein Portal „Blick nach rechts“.
({0})
Bitte, Herr Kauder.
Herr Staatssekretär, ist es zutreffend, dass die Internetplattform „Blick nach rechts“ im Alleineigentum der
SPD steht?
Ob das Alleineigentum ist, kann ich im Moment nicht
beurteilen.
Wir kommen zu Frage 22 des Kollegen Krichbaum:
Hält Bundeskanzler Gerhard Schröder es mit seinem Aufruf „Wegschauen ist nicht mehr erlaubt. Wir brauchen einen
Aufstand der Anständigen“ - „Süddeutsche Zeitung“ vom
5. Oktober 2000 - für vereinbar, dass unter der Schirmherrschaft von Ute Vogt, Parlamentarische Staatssekretärin im
Bundesministerium des Innern, der „Blick nach rechts“ mit
der Begründung der Bekämpfung des Rechtsextremismus die
vom Verfassungsschutz dem linksextremistischen Spektrum
zugeordnete „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ auf diesem
Internetportal präsentiert, und wenn ja, warum?
Herr Kollege Krichbaum, ich kann es kurz machen:
Ich verweise auf meine Antwort auf Frage 21.
Zusatzfrage.
Da Sie vorhin in einem anderen Zusammenhang darauf verwiesen hatten, dass Drucksachen auch gelesen
werden sollten, möchte ich Ihnen selbiges anheim stellen; denn dadurch könnte die Effizienz der Fragerunden
hier im Parlament deutlich erhöht werden. An anderer
Stelle wurde bereits eingeräumt, dass dieser Informationsdienst im Alleineigentum der SPD steht. Das muss
an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich hervorgehoben werden. Sie sollten die Zeit nutzen, um das nachzulesen.
Der eigentliche Punkt ist aber - das haben Sie vorhin
eingeräumt -, dass die betreffenden Links kurz vor dieser Fragestunde gelöscht wurden. Deswegen frage ich
Sie: Teilen Sie meine Einschätzung, dass eine sorgsame
Betrachtung des Verhältnisses einer demokratischen Partei zu einer linksextremistischen Organisation bislang
vernachlässigt wurde?
Herr Kollege Krichbaum, Sie kennen die entsprechenden Vorgänge und wissen, welche Links an welcher
Stelle wann herausgenommen wurden. Ebenso wissen
Sie, dass es einen längere Zeit zurückliegenden Vorgang
gibt, wie bereits in der schriftlichen Anfrage vom September dieses Jahres kundgetan wurde. Es ist so, dass,
was den einen Bereich anbelangt, nachträglich interveniert werden musste. Die Herausnahme dieser Links ist
in der Tat erst im Oktober erfolgt.
Zweite Zusatzfrage.
Die Herausnahme der Links ist gestern und heute
Morgen um 11.50 Uhr erfolgt. Vielen Dank für Ihre mittelbare Bestätigung. Mich würde noch interessieren, wie
sich Herr Bundesinnenminister Schily zu dem gesamten
Vorgang gestellt hat.
Herr Innenminister Schily ist der gleichen Auffassung, wie ich sie hier kundgetan habe.
Eine weitere Frage des Kollegen Kauder.
Herr Staatssekretär, können Sie uns bitte erklären,
wer veranlasst hat, dass diese Links herausgenommen
wurden, und warum es so lange gedauert hat, bis sie herausgenommen wurden?
Herr Kollege Kauder, eine der Fragen kann ich Ihnen
beantworten. Zunächst zur Abfolge: Wir waren der Auffassung - von diesem Punkt sind wir ausgegangen -,
dass die Bereinigung bereits in Gänze erfolgt sei. In der
Tat ist das übrig geblieben, was Sie angesprochen haben.
Es ist so, dass wir vonseiten des Bundesinnenministeriums auch das veranlasst haben, indem wir den Hinweis
gegeben haben, dass einer der Querverweise nicht, wie
ursprünglich zugesagt worden war, gelöscht worden ist.
Vielen Dank. - Wir kommen zu Frage 23 des Kollegen Kauder:
Warum hält der Bundesminister des Innern, Otto Schily,
die Schirmherrschaft von Ute Vogt über den im SPD-Eigentum stehenden Informationsdienst „Blick nach rechts“ für vereinbar mit dem Amt der Parlamentarischen Staatssekretärin
beim Bundesminister des Innern - siehe Antwort der Bundesregierung auf Frage 21 der Kleinen Anfrage der Fraktion der
CDU/CSU auf Bundestagsdrucksache 15/4010 -, obwohl dieses Internetportal bis heute die vom Verfassungsschutz dem
linksextremistischen Spektrum zugerechnete „Vereinigung
der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen
und Antifaschisten“ präsentiert?
Herr Kollege Kauder, beim Informationsdienst „Blick
nach rechts“ handelt es sich - das habe ich eben übrigens schon einmal gesagt - um einen bedeutenden Beitrag der Zivilgesellschaft zum Kampf gegen rechtsextremistische Bestrebungen, wozu gerade auch dessen
Internetauftritt beiträgt. Frau Parlamentarische Staatssekretärin Vogt unterstützt mit ihrer Schirmherrschaft über
den Online-Auftritt von „Blick nach rechts“ das Engagement gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland. Die Verlinkung mit der Internetseite
der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ ist mittlerweile entfernt, was auch Sie bestätigt haben. Im Übrigen wird auf die Antworten der Bundesregierung auf
die Fragen 16 und 21 der Kleinen Anfrage, Drucksache
15/3875, verwiesen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir in einer nicht formelhaften Antwort sagen, wann der Bundeskanzler darüber informiert wurde, dass über diese Plattform linksextremistische Werbung gemacht wurde,
({0})
und ob er veranlasst hat, dass diese Werbung von diesem
Portal genommen wird?
Diese Antwort kann ich Ihnen nicht geben.
Keine weitere Zusatzfrage? - Dann kommen wir zu
einer weiteren Frage der Kollegin Petra Pau.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, dass
wir uns diese heutige Debatte und vielleicht auch dem
Verfassungsschutz viel Arbeit ersparen könnten, wenn
wir die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“
endlich als das anerkennen würden, was sie ist, nämlich
als einen Zusammenschluss von Menschen, welche unter der Naziherrschaft gelitten, oftmals in Konzentrationslagern gesessen und Folter erfahren haben, und von
weiteren Menschen, die sich diesem antifaschistischen
Erbe verpflichtet fühlen?
Frau Kollegin Pau, Sie wissen, wie der Umgang mit
der VVN ist und dass sich diese Organisation im Verfassungsschutzbericht wiederfindet.
({0})
Eine weitere Frage des Kollegen Hartwig Fischer.
Herr Staatssekretär, Sie haben im Verlauf Ihrer Antwort erklärt, dass etwas durchgerutscht sei und deshalb
erst jetzt gelöscht worden sei. Deshalb frage ich: Dann
muss doch von Ihrer Seite oder von welcher Seite auch
immer die heute Morgen stattgefundene Löschung bestimmter Dinge veranlasst worden sein?
Vom Homepagebetreiber, das ist richtig. Herr Fischer,
lassen Sie mich dazu noch sagen: Sie wissen, es gab vor
einigen Wochen einen Vorgang, bei dem es um die Frage
gegangen ist, welche Links gelöscht werden sollten. Da
ist auch die Diskussion um den VVN-Link aufgekommen. Das hätte ursprünglich viel früher sein sollen und
in der Tat ist diese Löschung nicht wie zugesagt und eigentlich verabredet vorgenommen worden, aus welchen
Gründen auch immer. Deswegen haben wir veranlasst,
dass das, was vor einigen Wochen zugesagt war, nachgeholt wird.
({0})
Weitere Frage von Gunther Krichbaum.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wenn ich Sie
richtig verstehe, räumen Sie durchaus den Fehler ein,
überhaupt für eine Verlinkung zwischen der VVN-BdA
und der SPD-eigenen Homepage zu sorgen?
Wenn wir damit einverstanden gewesen wären, hätten
wir nicht das veranlasst, was wir veranlasst haben.
Wir kommen dann zur Frage 24 des Kollegen
Kauder:
Seit wann ist dem Bundesminister des Innern, Otto Schily,
bekannt, dass unter der Schirmherrschaft von Ute Vogt, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern, der „Blick nach rechts“ die „Vereinigung der Verfolgten
des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ präsentiert, und was hat er veranlasst?
Herr Kollege Kauder, ich kann relativ kurz und knapp
antworten: Seit Oktober 2004; da dieser Link mittlerweile entfernt ist, gibt es nichts Weiteres zu veranlassen.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, können Sie mir bitte erklären,
wann der Innenminister darüber informiert wurde, dass
eine Verlinkung mit einer linksextremistischen Homepage stattgefunden hat, und ob er veranlasst hat, diese
Links zu löschen?
Herr Kollege Kauder, diese Information ist dem Bundesinnenminister zu einem Zeitpunkt zugegangen, an
dem man davon ausgegangen ist, dass alles in der Tat verabredungsgemäß gelöscht sei und es keine Reste gebe,
die wir jetzt im Nachgang im Oktober gelöscht haben.
Weitere Zusatzfrage? - Bitte, Herr Kauder.
Ist überhaupt kontrolliert worden, ob gelöscht worden
ist? Dann hätte doch eigentlich auffallen müssen, dass
noch drei Links auf der Plattform sind.
Herr Kollege Kauder, der Tatsache, dass diese Links
mittlerweile gelöscht worden sind, können Sie entnehmen, dass auch kontrolliert worden ist. Wir haben jetzt
im Nachgang in diesen Tagen eine weitere Löschung
vorgenommen. Diese Löschung ist natürlich aufgrund
eines bestimmten Ergebnisses vorgenommen worden.
Weitere Zusatzfrage des Kollegen Sebastian Edathy.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir darin überein, dass es zumal die Öffentlichkeit etwas befremdlich
anmuten muss, dass in einer Zeit, in der das Thema
Rechtsextremismus an Brisanz und an Relevanz gewinnt,
die Kollegen von der CDU/CSU hier heute deutlich mehr
parlamentarische Arbeitszeit einer Polemisierung gegen
einen Informationsdienst gegen Rechtsextremismus widmen, als sie in den letzten Wochen, zumal nach den
Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen, der Frage
der Bekämpfung von Rechtsextremismus gewidmet haben?
Herr Kollege Edathy, ich stimme Ihnen voll und ganz
zu und will noch einmal ausdrücklich festhalten, dass
dieser Informationsdienst einen sehr wertvollen Beitrag
zur Bekämpfung des Rechtsextremismus leistet. Ich
denke, dass es gerade in der heutigen Zeit gut ist, dass es
solche Beiträge gibt.
Weitere Frage des Kollegen Eckart von Klaeden.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, dass man
dem Anliegen der Bekämpfung des Rechtsextremismus
schadet, wenn man dieses Anliegen mit der Werbung für
linksextremistische Organisationen verbindet?
Herr Kollege von Klaeden, was das Thema bestimmter linksextremistischer Organisationen auf dieser Homepage anbelangt: Es gibt einen Vorgang, den ich deutlich
beschrieben habe. Es kam zu eindeutigen Ergebnissen.
Ich glaube, Sie dürfen nicht den Fehler machen, den guten Ansatz bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus
aufgrund der angesprochenen Tatsache in ein schiefes
Licht zu rücken. Das ist schlichtweg falsch.
Es gab Konsequenzen und es gibt eine gute Arbeit.
Herr Kollege Kauder, es gibt im Übrigen überhaupt keinen Anlass, sich aufgrund der Vorgänge bei irgendjemandem zu entschuldigen. Ich wäre froh, wenn Sie die
Arbeit des Informationsdienstes entsprechend würdigen
würden.
({0})
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Gerd
Andres zur Verfügung.
Die ersten drei Fragen, also die Fragen 25, 26 und 27,
sollen schriftlich beantwortet werden, sodass ich jetzt
gleich die Frage 28 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch aufrufe:
Welche Dienstleistungen und Beratungsangebote sollte die
BA Arbeitsuchenden anbieten, die keine Leistungsempfänger
sind, und wie sollten diese Angebote nach Meinung der Bundesregierung finanziert werden?
Frau Kollegin Dr. Lötzsch, ich beantworte Ihre Frage
wie folgt: Nichtleistungsempfängern stehen alle Beratungs- und Vermittlungsangebote sowie auch einige
Leistungen der aktiven Arbeitsförderung der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung. Diese Angebote werden ebenfalls aus dem Haushalt der Bundesagentur für
Arbeit finanziert.
Zusatzfrage, Frau Lötzsch.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
von den verschiedensten Institutionen und sicherlich
auch von Ihrem Haus gibt es Berechnungen, aus denen
hervorgeht, dass ein Anteil der derzeitigen Empfänger
von Arbeitslosenhilfe kein Arbeitslosengeld II erhalten
wird. Stimmen Sie mit mir nicht darin überein, dass es
wirklich klare Regelungen darüber geben müsste, welche Angebote insbesondere der aktiven Arbeitsvermittlung diesen Menschen gemacht werden sollen?
Ich kann vielleicht in Klammern ergänzend dazu sagen, dass es bei unserem Besuch bei der Bundesagentur
für Arbeit diesbezüglich einige Fragezeichen gab.
Gut, ich war nicht dabei und kenne die Fragezeichen
nicht.
Ich will nur sagen, dass sich an der Rechtslage überhaupt nichts geändert hat. Wenn Sie sich anschauen, wie
es heute ist, dann wissen Sie, dass jemand, der arbeitsuchend ist, aber keine Leistungen erhält, natürlich Vermittlungs- und bestimmte Angebote der aktiven Arbeitsmarktpolitik in Anspruch nehmen kann. Daran ändert
sich nichts. Im Gegenteil: Wir haben ein massives Interesse daran, dass insbesondere die Vermittlung und die
Vermittlungsangebote ausgebaut werden. Es ist ganz
selbstverständlich, dass Erwerbsfähige, aber Nichtleistungsbezieher weiterhin in die Vermittlungsarbeit der
Bundesagentur für Arbeit einbezogen werden und dass
ihnen in begrenztem Umfang auch Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung stehen.
Es gibt eine Grenze, die Sie sehr genau kennen, nämlich die Haushaltsgrenze. Die Bundesagentur für Arbeit
kann eine Reihe von Maßnahmen nur insoweit durchführen, als ihr Haushaltsmittel zur Verfügung stehen. Das
muss man insgesamt im Auge behalten.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
Sie haben nun mehrmals von „bestimmten Angeboten
der aktiven Arbeitsmarktpolitik“ gesprochen. Können
Sie bitte präzisieren, welche Angebote der aktiven Arbeitsmarktpolitik Ihrer Meinung nach Arbeitslosen gemacht werden sollten, die nicht Empfänger von Arbeitslosenhilfe bzw. Arbeitslosengeld II sind?
Das ist insbesondere alles, was mit Vermittlungsaktivitäten zusammenhängt, und das bezieht sich vor allem
auf alles, was die Vermittlung erleichtert. Es können also
beispielsweise auch Trainingsangebote und andere
Dinge mit einbezogen werden. Ich bin gerne bereit, Ihnen einen Gesamtkatalog zur Verfügung zu stellen, weil
ich das SGB III hier jetzt nicht durchbuchstabieren will
und dazu auch nicht in der Lage bin.
Eine weitere Frage der Kollegin Pau.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihren bisherigen Antworten entnehmen, dass diejenigen, welche in den nächsten
Wochen einen Bescheid darüber erhalten, dass ihnen
kein Arbeitslosengeld II zusteht, gleichzeitig mitgeteilt
bekommen, wer für sie und ihre Betreuung in der Arbeitsagentur zuständig ist? Wir stimmen sicherlich darin
überein, dass es nur so möglich wäre, ihnen ein solches
Angebot zu unterbreiten.
Ich weiß nicht, ob es dafür notwendig ist, ihnen den
jeweiligen Betreuer mitzuteilen. Wenn Sie das Verfahren
kennen, wissen Sie, dass jeder, der bisher arbeitslos gemeldet war, eine entsprechende Nummer hat. Er kann
sich unter Angabe dieser Nummer jederzeit an seine örtliche Arbeitsagentur wenden und Beratungstermine oder
Ähnliches in Anspruch nehmen. Das ist überhaupt kein
Problem.
({0})
Ich rufe die Frage 29 der Kollegin Gesine Lötzsch
auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass der so genannte Aussteuerungsbetrag von 9 857 Euro, den die BA für
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
jeden Arbeitslosen, der aus dem Arbeitslosengeld in das
Arbeitslosengeld II fällt, in den Bundeshaushalt zahlen muss,
in seiner Höhe angemessen ist, und teilt die Bundesregierung
meine Auffassung, dass diese Mittel in der aktiven Arbeitsmarktpolitik der BA fehlen?
Frau Kollegin Lötzsch, ich war eigentlich versucht,
Ihre etwas gespaltene Frage mit einem Ja und einem
Nein zu beantworten, aber ich will es doch etwas ausführlicher machen.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass der
Aussteuerungsbetrag in seiner Höhe angemessen ist;
denn er errechnet sich aus den durchschnittlichen Jahresaufwendungen für Arbeitslosengeld II, Sozialgeld und
die Sozialversicherungsbeiträge für eine Bedarfsgemeinschaft. Für das Jahr 2005 wird der Aussteuerungsbetrag
auf 6,72 Milliarden Euro geschätzt. Damit hat er eine
ähnliche Größenordnung wie die Minderausgaben, die
der Bundesagentur durch die Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende entstehen.
Die Einführung des Aussteuerungsbetrages hat somit
auch den Effekt, dass die finanziellen Mittel, die bisher
aus dem Haushalt der BA für Arbeitslosenhilfebezieher
verwendet wurden, Arbeitsuchenden für die Grundsicherung zur Verfügung gestellt werden. Damit stehen der
BA prozentual nicht weniger Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik im Bereich der Arbeitslosenversicherung zur Verfügung.
Zusatzfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
wie wir uns sicher alle erinnern, gab es vor Verabschiedung des Gesetzes von verschiedenen Seiten erhebliche
Bedenken gegen diesen Aussteuerungsbetrag. Von einigen wurden sogar verfassungsrechtliche Bedenken erhoben, einige sprechen von „Strafzoll“. Plant die Bundesregierung, den Aussteuerungsbetrag bzw. dessen Höhe
zu überprüfen und wenn ja, wann?
Nein.
Zweite Zusatzfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
wann und in welcher Höhe rechnet die Bundesregierung
mit der erstmaligen Überweisung dieses Aussteuerungsbetrages durch die Bundesagentur für Arbeit? Der
15. Februar 2005 kann es noch nicht sein, weil zu diesem Zeitpunkt die im Sozialgesetzbuch II festgeschriebene Frist von drei Monaten noch nicht vorbei ist.
Diese Frage kann ich Ihnen aus dem Stand nicht beantworten. Ich möchte Ihnen die Antwort gerne nachreichen.
Vielen Dank. - Dann kommen wir zur Frage 30 der
Kollegin Petra Pau:
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung gegen
die Diskriminierung von älteren Personen auf dem Arbeitsmarkt zu ergreifen und in welchem Zeitrahmen will die Bundesregierung die entsprechende EU-Richtlinie 2000/78/EG
des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf umsetzen?
Frau Kollegin Pau, ich antworte wie folgt: Die
Richtlinie 2000/78/EG wird gemeinsam mit zwei weiteren Gleichbehandlungsrichtlinien durch das Gesetz zum
Schutz vor Diskriminierung umgesetzt. Dies sind zum
einen die Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom
29. Juli 2000 zur Anwendung der Gleichbehandlung
ohne Unterschied der Rasse und der ethnischen Herkunft
und zum anderen die Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der
Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung
des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern
und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung,
zur Berufsausbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen.
Durch diese einheitliche Umsetzung kann ein in sich
stimmiger Schutz vor Diskriminierung besser verwirklicht werden als durch die isolierte Umsetzung der einzelnen Richtlinien. Derzeit werden die Details des Umsetzungsgesetzes, das in der ersten Hälfte des
Jahres 2005 in Kraft treten soll, festgelegt. Hinsichtlich
der Bestimmungen der Richtlinien über die Diskriminierung wegen des Alters nimmt die Bundesrepublik
Deutschland zur Umsetzung die Zusatzfrist bis zum
2. Dezember 2006 nach Art. 18 Abs. 2 Satz 1 der
Richtlinie 2000/78/EG in Anspruch.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben dargestellt, dass
Sie bei der Erarbeitung dieses Gesetzes sind und in welchem Zeitrahmen wir mit der Vorlage im Bundestag und
dann hoffentlich auch der Verabschiedung rechnen können. Wie ist die Einschätzung der Bundesregierung zur
derzeitigen Lage älterer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik bezüglich ihrer Diskriminierung?
Ich glaube, dass wir auf dem Arbeitsmarkt erhebliche
Probleme haben, ältere Menschen, die von Arbeitslosigkeit
betroffen sind, wieder in Beschäftigung zu bringen. Wie
Sie wissen, haben wir mit der kompletten HartzGesetzgebung I, II, III und IV massive Versuche unternommen, die Einstellung von älteren Arbeitnehmern, die
arbeitslos sind, zu fördern. Wir als Gesetzgeber haben
teilweise sozialrechtliche und teilweise arbeitsrechtliche
Veränderungen beschlossen. Beispielsweise ist für Arbeitnehmer ab 52 Jahren die zeitlich unbegrenzte und
auch wiederholte sachgrundlose befristete Beschäftigung zulässig. Um ein weiteres Beispiel zu nennen: Wir
haben den Arbeitslosenversicherungsbeitrag der Arbeitgeber, die über 55-Jährige einstellen, gestrichen.
Aus dem, was ich sage, wird deutlich, dass es nach
unserer Auffassung in der Gesellschaft erhebliche Defizite bei der Beschäftigung Älterer gibt. Daran gibt es
überhaupt keinen Zweifel. Deswegen ist es ganz wichtig,
dass wir alles tun, um die politische Weichenstellung,
die bis in die 70er-Jahre zurückgeht und die darauf setzt,
ältere Menschen vor Erreichung des Rentenalters auf die
eine oder andere Art und Weise in den Ruhestand zu versetzen, zu verändern. Das ist notwendig. Wir müssen vor
allen Dingen darauf hinwirken, dass es insbesondere in
den Köpfen der Arbeitgeber eine Veränderung der Positionen gibt. Es ist eben nicht so, dass nur jüngere Menschen leistungsfähig sind, sondern auch ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind in der Lage, ihre
Leistung zu erbringen. Das muss deutlich werden. Wir
müssen mit allen Mitteln und Maßnahmen darauf abzielen, dass eine Veränderung der Einstellungs- und Beschäftigungspraxis stattfindet.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Danke. - Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung
bekannt, welche europäischen Länder diese EU-Richtlinie schon umgesetzt haben, und fließen eventuell Erfahrungen aus der Umsetzung von nationalen gesetzlichen Regelungen in den Erarbeitungsprozess auch der
Bundesrepublik ein?
Uns liegen Angaben darüber vor, welche Länder die
Richtlinie umgesetzt haben. Da es aber eine Richtlinie
ist, die relativ jung ist, und da der Umsetzungszeitraum
relativ kurz ist - auch wenn man die Umsetzung schneller gewollt hätte -, ist es schwierig, auf Erfahrungen anderer Länder im Zusammenhang mit der Umsetzung der
Richtlinie zurückzugreifen.
Ich kann aber aus der europäischen Diskussion berichten, dass ein massiver Versuch stattfindet, die Beschäftigungsquoten Älterer anzuheben. Sie wissen, dass
sich die Europäische Union mit den Vereinbarungen von
Lissabon aus dem Jahre 2000 das Ziel gesetzt hat, bis
zum Jahr 2010 darauf hinzuwirken, die Beschäftigungsquoten insgesamt sowie die Beschäftigungsquoten für
Frauen und die für Ältere anzuheben. Die von mir beschriebene Umkehr des Trends zur Frühverrentung oder
zu Vorruhestandsregelungen kann europaweit beobachtet werden. Eine ganze Reihe von Ländern - nehmen Sie
zum Beispiel die skandinavischen Länder - hat eine Beschäftigungsquote bei über 55-Jährigen von teilweise
über 70 Prozent, während diese Beschäftigungsquote bei
uns in Deutschland gegenwärtig bei 38 Prozent liegt.
Das ist, wie ich finde, beschämend gering. Man muss
massiv daran arbeiten, dass diese Beschäftigungsquote
erhöht wird. Wir nutzen eine ganze Reihe europäischer
Beschäftigungsräte dazu, Informationen, Positionen,
Programme und Erfahrungen der europäischen Mitgliedsländer in diesem Zusammenhang auszutauschen.
Wir kommen zur Frage 31 der Kollegin Petra Pau:
Mit welchen Mitteln und Methoden will die Bundesregierung die Zweckbindung der Erhebung von Daten der Antragsteller des ALG II - sowie deren Angehöriger, Bedarfsgemeinschaften etc. - innerhalb der BA, aber auch zwischen
der BA und den optierenden Kommunen und Landkreisen garantieren?
Die Einhaltung der Zweckbindung erhobener Daten
ist ein wesentlicher Grundsatz des Datenschutzes. Konkret ist der Schutz von Sozialdaten im zweiten Kapitel
des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch geregelt. Diese
Regelungen umfassen auch die Erhebung, Verarbeitung
und Übermittlung von Daten nach dem SGB II. Die
Bundesagentur für Arbeit und die Träger nach dem
SGB II sind daran gebunden. Im Rahmen ihrer Aufsicht
über die Bundesagentur für Arbeit bezüglich der Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch wird die Bundesregierung auch die Einhaltung
datenschutzrechtlicher Bestimmungen durch die BA
überwachen.
Unabhängig davon wird die Einhaltung des Datenschutzes auf der Grundlage des Bundesdatenschutzgesetzes oder der Landesdatenschutzgesetze durch die jeweiligen Beauftragten für den Datenschutz kontrolliert.
Dies beinhaltet im Bereich des Bundes unter anderem
die Prüfung von rund 30 Bundesbehörden. Dazu gehören
beispielsweise die Bundeswehr, die Agenturen für Arbeit und die öffentlichen Krankenkassen. Der Beauftragte für den Datenschutz legt dem Parlament im Zweijahresabstand einen Bericht darüber vor. Im Übrigen
haben betroffene Bürger die Möglichkeit, sich direkt an
den Datenschutzbeauftragten zu wenden.
Zusatzfrage.
Den ersten Bericht des Datenschutzbeauftragten erwarten wir wohl alle voller Spannung, weil darin sicherlich die ersten Umsetzungsschritte im Zusammenhang
mit dem Hartz-IV-Gesetz berücksichtigt werden. Ich
möchte gerne wissen, welche Vorkehrungen die Bundesregierung oder auch die Bundesagentur für Arbeit getroffen haben, um die von Ihnen schon zitierten GrundPetra Pau
sätze des Datenschutzes wie die Zweckbindung, aber
auch die Verpflichtung zur Löschung und das Verhindern
der Zusammenführung von bestimmten brisanten Sozialund Gesundheitsdaten auch bei der Eingabe der Daten
zum Arbeitslosengeld II zu gewährleisten. Wer entscheidet wann über die Löschung nicht mehr benötigter Daten, zum Beispiel Gesundheitsdaten?
Frau Abgeordnete Pau, die Bundesagentur für Arbeit
muss zunächst in eigener Verantwortung sicherstellen,
dass sich beispielsweise die Personen, die die Daten eingeben, an die Bestimmungen zum Datenschutz halten.
Das gilt für die Bundesagentur für Arbeit wie für jeden
Betrieb und jede Behörde.
Darüber hinaus muss die Bundesagentur für Arbeit
sicherstellen, dass nur befugte Personen Zugriff auf die
von ihnen benötigten Daten haben, die beispielsweise im
Zusammenhang mit einer Arbeitsvermittlung, einer
Leistungsgewährung oder Ähnlichem notwendig sind.
Dabei spielt unter anderem die Frage eine Rolle, inwieweit beispielsweise die optierenden Kommunen Zugriff
auf Daten der Bundesagentur für Arbeit erhalten. Sie erhalten nur insoweit Zugriff darauf, als es für die Leistungsgewährung nach dem SGB II und im Zusammenhang mit dem Optionsgesetz notwendig ist. Ein
umfassender Zugriff der optierenden Kommunen auf die
Datensätze der Bundesagentur für Arbeit ist ausgeschlossen.
In diesem Zusammenhang gibt es eine Diskussion
darüber, inwieweit bestimmte Zugriffe auf Datensätze zu
dokumentieren sind - entsprechende Vorkehrungen dazu
sind bereits getroffen worden -, um die Zugriffe nachvollziehbar zu machen. Im Übrigen gibt es Bestimmungen, aus denen hervorgeht, inwieweit bestimmte Daten
erhoben und gespeichert werden müssen. Bei bestimmten Leistungsfällen, die sich über viele Jahre erstrecken,
müssen Daten gespeichert werden und verfügbar sein
- beispielsweise Beschäftigungszeiten, Versicherungsstatus und Leistungsgewährung -, solange jemand von Arbeitslosigkeit betroffen ist und solange es sein Leistungsrahmen und die Leistungsgewährung erfordern.
Wie Ihnen außerdem bekannt ist, diskutieren wir darüber, analog zum Thema Gesundheitscard eine Jobcard
zu entwickeln. Dabei handelt es sich um eine elektronische Karte, auf der Beschäftigungs- und Einkommensdaten abgespeichert sind, die es ermöglichen sollen, die
Leistungsberechnung und Leistungsgewährung künftig
schneller und kostengünstiger durchzuführen.
Wir haben also einen ganzen Katalog von Maßnahmen geplant. Die Bundesagentur für Arbeit steht in diesem Zusammenhang im ständigen Gespräch mit dem
Datenschutzbeauftragten und mit unserem Ministerium,
das die Rechtsaufsicht hat. Wir haben entsprechende Gespräche mit dem Datenschutzbeauftragten geführt.
Letztlich geht es darum, per Gesetz sicherzustellen, dass
die vorhandenen Daten auch den datenschutzrechtlichen
Bestimmungen gemäß verwaltet und genutzt werden.
Ihre zweite Zusatzfrage, Frau Pau.
Herr Staatssekretär, in diesem Zusammenhang treibt
mich ein Zusatzfragebogen zum allseits bekannten Fragebogen zur Beantragung des Arbeitslosengeldes II um,
welcher offensichtlich von der Bundesagentur für Arbeit
ausgegeben wurde. Mit diesem Zusatzfragebogen sollen
Daten betreffend die derzeitige Körpergröße und das
Körpergewicht des Antragstellers sowie die Diagnose,
die der behandelnde Arzt stellt, erhoben werden, also
Daten, die selbst der Krankenkasse nicht vollständig und
unverschlüsselt zur Gewährung von Leistungen übermittelt werden. Wo ist hier die Zweckbindung im Hinblick
auf die Berechnung des Arbeitslosengeldes II und die
Gewährung anderer Dinge gewährleistet?
Ich möchte mich jetzt nicht mit dem Zusatzfragebogen auseinander setzen, sondern einen Beispielfall konstruieren. Wenn man als Leistungsbezieher auf eine bestimmte Ernährung angewiesen ist, dann bekommt man
Zusatzleistungen. Wenn Sie mich anschauen, dann kommen Sie sicherlich zu der Erkenntnis, dass mir eine Diät
gut täte.
({0})
- Nein. Ich weiß aber, dass Selbsterkenntnis der erste
Weg zur Besserung ist.
Gesetzt den Fall, ich wäre Leistungsbezieher und
wäre aus gesundheitlichen Gründen - von einem Arzt
attestiert - auf eine bestimmte Ernährung angewiesen,
dann müsste ich das entsprechend nachweisen.
({1})
- Man muss nicht „aber“ sagen. Das ist so. - Ich weiß
zwar nicht, wozu die Bundesagentur für Arbeit die angesprochenen Daten erhebt. Aber ich bin gerne bereit, dem
nachzugehen.
({2})
- Entschuldigung, die Körpergröße steht sogar im Personalausweis, falls Sie sich erinnern. Vielleicht ist das zur
Identifizierung notwendig.
Frau Pau, ich kann Ihre Frage jetzt nicht ausreichend
beantworten. Für einen Teil der Leistungsgewährungen
braucht man jedenfalls bestimmte Daten. Ich kann mir
nicht vorstellen, dass die Bundesagentur für Arbeit
nichts anderes zu tun hat, als beispielsweise die Daten
betreffend die Körpergröße, das Gewicht und den Umfang von allen Hilfesuchenden zu speichern. Das würde
überhaupt keinen Sinn machen. Der von Ihnen erwähnte
Zusatzfragebogen gilt für bestimmte Dinge, denen wir
nachgehen werden.
({3})
Aber auch bei dieser Datensicherung sind die bundesweit geltenden Bestimmungen des Datenschutzes zu beachten und entsprechend anzuwenden.
Eine ergänzende Frage der Kollegin Philipp.
Herr Staatssekretär, ich möchte Folgendes nachfragen: Ich weiß genau, dass beispielsweise in Düsseldorf
zwei verschiedene Stellen, nämlich die Bundesagentur
für Arbeit und die Stadtverwaltung, dieselben Daten von
einer Person erheben, und zwar aus datenschutzrechtlichen Gründen. Wie Sie eben ausgeführt haben, sei das
zurzeit nicht anders möglich. Sie haben des Weiteren gesagt, dass nur durch ein neues Gesetz eine Änderung dieses zweifellos nicht ganz nachvollziehbaren Zustands zu
erreichen sei. Halten Sie es nicht für einen erheblichen
Beitrag zum Abbau von Bürokratie, wenn man im Wege
der Amtshilfe einen Zugriff der einen Stelle auf die Daten der anderen Stelle ermöglichen würde?
Das wäre ganz wunderbar; das kann ich Ihnen sagen.
Aber es gibt eine Reihe von datenschutzrechtlichen Bestimmungen. So darf man beispielsweise Sozialdaten
nur zweckgebunden sammeln. Das habe ich Ihnen eben
vorgetragen. Ich kann Ihnen auch die rechtliche Fundstelle nennen. Dass Daten betreffend ein und dieselbe
Person von unterschiedlichen Stellen erhoben werden,
geschieht schon heute in anderen Bereichen. Dass die
Einführung des Arbeitslosengeldes II die Erhebung von
Daten sowohl von bisherigen Arbeitslosenhilfeempfängern als auch von bisherigen Sozialhilfeempfängern notwendig macht und dass zwei Stellen an der Zusammenführung arbeiten, halte ich erst einmal für völlig
vernünftig und richtig.
Ich möchte darauf hinweisen, dass wir das nach
schwierigen und umfassenden Vermittlungsgesprächen
mit Zustimmung Ihrer Fraktion so beschlossen haben.
Sie sollten sich also davor hüten, zu behaupten, das sei
nur unsere Erfindung. Das ist die Erfindung aller. Das ist
zur Einführung und administrativen Abwicklung der
neuen Leistung von Januar nächsten Jahres an auch notwendig.
Vielen Dank. - Jetzt kommen wir zur Frage 32 des
Kollegen Ralf Göbel:
Ist die Bundesregierung bereit, nachdem das zuständige
Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit abweichend
vom Wortlaut des § 44 b Abs. 1 Satz 1 des Vierten Gesetzes
für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom
24. Dezember 2003, Hartz IV - Bundesgesetzblatt I, Seite
2954 ff. -, die Gründung mehrerer Arbeitsgemeinschaften für
den Bereich einer Arbeitsagentur zugelassen hat, die hierdurch zusätzlich entstehenden Verwaltungskosten durch eine
Erhöhung des Mittelansatzes für Verwaltungskosten bei der
BA bzw. den örtlichen Agenturen für Arbeit zu kompensieren?
Herr Kollege Göbel, ich möchte zuerst etwas zu Ihrer
Fragestellung sagen. Es ist nicht richtig, dass die Gründung mehrerer Arbeitsgemeinschaften im Bezirk einer
Agentur für Arbeit gegen § 44 b Zweites Buch Sozialgesetzbuch verstößt. Durch das Kommunale Optionsgesetz
vom 5. August 2004 wurde § 44 b Abs. 1 SGB II nämlich dahin gehend geöffnet, dass im Bereich einer Agentur für Arbeit auch mehrere Arbeitsgemeinschaften gegründet werden können.
Hintergrund dieser Neuregelung ist die Tatsache, dass
die regionalen Zuständigkeitsbereiche der Arbeitsagenturen mit den kommunalen Gebietskörperschaften nicht
immer übereinstimmen. Daher kann es in dem Gebiet einer Arbeitsagentur mehrere kommunale Träger geben.
Eine Erhöhung des Mittelansatzes für die Arbeitsagenturen ist hierfür jedoch nicht erforderlich; denn die Aufteilung der Verwaltungsmittel auf die Arbeitsgemeinschaften erfolgt anhand der Zahl der Bedarfsgemeinschaften
pro kommunalen Träger. Maßgeblich für die Regionalverteilung waren damit die Kreise und kreisfreien
Städte, nicht die Arbeitsagenturen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, geben Sie mir Recht, dass bei
Zulassung mehrerer Arbeitsgemeinschaften in einem
Bezirk einer Agentur für Arbeit und bei der Zugrundelegung der Zahl der Bedarfsgemeinschaften zur Berechnung der Verwaltungsmittel, die notwendig sind, außer
Betracht gelassen worden ist, dass jede Arbeitsgemeinschaft einen eigenen Overhead zu finanzieren hat?
Das Problem ist - ich sage es noch einmal -: Die ermittelten Verwaltungskosten bezogen sich auf die erhobenen Daten der Bedarfsgemeinschaften. Die Bedarfsgemeinschaften richten sich danach, wie nach der
kommunalen Zuständigkeit die Verteilung in einem Bereich aussieht. Um es anschaulich zu machen: Es kann
sein, dass in einem Gebiet einer Agentur für Arbeit drei
verschiedene Kreise liegen. Wenn das so ist, werden die
Verwaltungskosten danach ermittelt, wie viel Bedarfsgemeinschaften in den jeweiligen Kreisanteilen vorhanden
sind.
Die spannende Frage nach der Zahl der Arbeitsgemeinschaften - eine, zwei oder drei - stellt sich auch
beim gegenwärtigen Sozialhilferecht. Wenn beispielsweise ein Kreis Träger der Leistung ist und wenn dieser
Kreis Referenzgemeinden hat, die für ihn auszahlen,
dann gibt es möglicherweise sieben oder acht Auszahlungsbereiche, in denen die im BSHG vorgesehene Leistung erbracht wird. Es kommt also zu keiner Veränderung gegenüber dem, was bisher ist.
Zweite Zusatzfrage.
Ich habe diese Frage nicht aus dem Nichts heraus
gestellt. Mir ist vielmehr bekannt, dass es in vielen Bereichen erhebliche Probleme gibt, weil die Gründung
mehrerer Arbeitsgemeinschaften dazu führt, dass die
Mittelansätze für Verwaltungskosten nicht mehr ausreichend sind, um die ansonsten aufgrund der Schlüsselzahlen der Bundesagentur für Arbeit ermittelten Sachbearbeiter plus den Overhead zu bezahlen. Deswegen
wiederhole ich meine Frage: Ist die Bundesregierung
oder die Bundesagentur für Arbeit bereit, die zusätzlich
entstehenden Verwaltungskosten abzufedern?
Ich möchte zunächst Folgendes festhalten: Die Frage,
ob im Bereich einer Agentur für Arbeit eine oder mehrere Arbeitsgemeinschaften eingerichtet werden, ist
durch das Kommunale Optionsgesetz erst einmal rechtlich klargestellt worden; das macht auch Sinn. Das Vermittlungsverfahren, an dem bekanntlich auch der Bundesrat teilnimmt, hat ergeben, dass hinsichtlich der
Abrechnung dessen, was Verwaltungskosten und Sonstiges angeht, mit den Trägern für das kommende Jahr zwei
Revisionstermine vorgesehen sind. Die genauen Kosten,
die sich nach Berücksichtigung der Anzahl der Köpfe
und anderem ergeben, werden im kommenden Jahr entsprechend gegengerechnet.
Die zweite Frage, die Sie gestellt haben, macht in diesem Zusammenhang Sinn. Man muss wissen, dass die
Verwaltungskosten und die Leistungskosten gegenseitig
deckungsfähig sind. Auch das ist vernünftig.
Wollen Sie die Frage 33 gleich mitbeantworten?
Wenn der Abgeordnete damit einverstanden ist.
Das ist der Fall.
Ich rufe die Frage 33 des Abgeordneten Göbel auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die der BA
bzw. den Agenturen für Arbeit zugewiesenen Mittel für die
Integration von Arbeitslosen nicht für die Verwaltung der Arbeitsgemeinschaft im Sinne des Hartz-IV-Gesetzes genutzt
werden dürfen?
Haushaltsrechtlich sind das Eingliederungsbudget
und das Budget für Personal und Verwaltung deckungsfähig, sodass eine Finanzierung aus dem jeweils anderen
Budget möglich ist. Der lokale Träger der Grundsicherung - entweder die Arbeitsgemeinschaft, die Arbeitsagentur oder die optierende Kommune - kann die zur
Verfügung stehenden Mittel so zwischen Personalansatz,
insbesondere Fallmanagement, und Eingliederungsleistungen aufteilen, wie er es für sinnvoll hält. Es ist dabei
zu bedenken, dass die Personal- und Verwaltungskosten
für die im Zuständigkeitsbereich der Kommunen liegenden Aufgaben von den kommunalen Trägern bezahlt
werden müssen.
Zusatzfrage, Herr Göbel? - Bitte.
Weil Sie die gegenseitige Deckungsfähigkeit erwähnt
haben, möchte ich mit dem Ziel der Klarstellung nachfragen. Habe ich es richtig verstanden, dass es den kommunalen Gebietskörperschaften dann, wenn sie eine Arbeitsgemeinschaft mit der Agentur für Arbeit gründen,
anheim gestellt ist, zulasten der Eingliederungsmaßnahmen die Mittel für die Verwaltung zu erhöhen?
({0})
- Danke schön.
Ich bin aber auch gern bereit, Ihnen das noch einmal
zu erklären. Das Problem ist doch beispielsweise - ({0})
Das ist nicht nötig.
Wie bitte?
Das ist nicht nötig. Das war die letzte Frage für die
Fragestunde.
({0})
Wir können Sie alle daran teilhaben lassen. Es wäre
uns eine große Freude und auch das Publikum hätte noch
etwas davon.
Da ich die Sitzung jetzt unterbreche, könnten Sie sich
mit Herrn Göbel bei einer Tasse Kaffee darüber austauschen.
({0})
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Andres.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ich unterbreche die Sitzung. Sie wird um 15.35 Uhr
mit dem Aufruf des Zusatzpunktes „Aktuelle Stunde“
fortgesetzt.
({1})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist
wieder eröffnet.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 mit seinem knapp gefassten
Titel auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Haltung der Bundesregierung zur Einhaltung
des europäischen Stabilitätspakts und des
Grundgesetzes angesichts neuer Finanzlöcher
im Bundeshaushalt und in der Rentenkasse sowie berichtete Begehrlichkeiten von Minister
Eichel auf die höheren Einnahmen der Krankenkassen infolge der Gesundheitsreform
Mit der Verlesung des Themas ist die Redezeit glücklicherweise noch nicht gänzlich verbraucht.
Ich eröffne die Aktuelle Stunde und erteile zunächst
dem Kollegen Dietrich Austermann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie unsere zutreffenden Prognosen bestätigen, ist die Union ihrer Zeit immer voraus. Ich bin deshalb in der Lage, aus
der regierungsnahen „Financial Times“ vom 22. Februar
2005 vorzulesen.
({0})
Zwei Tage nach der von der CDU gewonnenen Landtagswahl in Schleswig-Holstein meldet sie: In Regierungskreisen wird gemunkelt, dass der am 21. Februar
auch offiziell entlassene Bundesfinanzminister Hans
Eichel demnächst das Regierungskleeblatt in der RAG
vervollständigen werde.
({1})
Er hat bereits begonnen, für die RAG Kredite auf die
von ihm betriebenen künftig fälligen Kohlesubventionen
aufzunehmen, um den Bau von zehn neuen Zechen zu
ermöglichen.
Das hält man für einen Scherz; aber dahinter steckt
natürlich eine ganze Reihe von Fakten: Drei ehemalige
Regierungsmitglieder - Müller, Tacke und Overhaus helfen bereits der RAG.
({2})
Die RAG wird zur Entsorgungsanstalt für Regierungsmitglieder. Overhaus und Eichel haben die Aufstockung
der Kohlesubventionen um 16 Milliarden Euro betrieben. Man muss sich das mal anschauen: Overhaus, ehemaliger Staatssekretär im Finanzministerium, war im
Aufsichtsrat der GEBB; Herr Müller, Vorstandsvorsitzender der RAG, war und ist Aufsichtsratsvorsitzender
bei der GEBB. Die beiden haben sich dort kennen und
schätzen gelernt. Herr Overhaus war zuständig für die
Definition des Begriffs „Berater“ und ist jetzt Berater bei
der Ruhrkohle AG. Man kann davon ausgehen, dass Herr
Overhaus im nächsten Jahr keine Rentennullrunde erleben muss. Ich denke auch, dass man einen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit von Overhaus und Eichel
im Bereich der Kohlesubventionen herstellen muss.
Weitere Fakten: Die Ruhrkohle AG möchte mit öffentlichen Hilfen neue Zechen einrichten. Eichel war zu
seiner Zeit als Minister als jemand bekannt, der versucht
hat, auch noch die explodierenden Schulden des Bundes
zu beleihen.
({3})
Schließlich muss man davon ausgehen, dass die Schamlosigkeit - der öffentliche und offensichtliche rote Filz bei vielen Regierungsmitgliedern keine Grenzen kennt.
Ich sage das so brutal und so deutlich; denn es ist ein
Skandal, was sich im Bereich der Verflechtung von Regierungsämtern und Funktionen in der Wirtschaft, bei
der Verfilzung, zuträgt.
({4})
Das passt zu dem, was wir in den letzten Tagen im
Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen - es spottet jeder Beschreibung - erleben: Täglich werden neue,
bisher angeblich nicht bekannte Haushaltslöcher identifiziert. Wir haben deshalb zusammen mit der FDP im
Haushaltsausschuss beantragt, die Beratungen für den
Haushalt 2005 auszusetzen. Das Finanzministerium - einen Finanzminister gibt es ja nicht mehr - soll eine neue
Vorlage für 2005, die etwas mit Haushaltswahrheit und
Haushaltsklarheit zu tun hat, einbringen.
({5})
Nachdem schon der Haushalt 2004 nicht gestimmt und
die Verfassungsgrenze geschrammt hat und das Gleiche
für den Nachtragshaushalt 2004 gilt, ist festzustellen,
dass - Koalitionsabgeordnete räumen das hinter verschlossenen Türen auch ein - auch der neue Haushalt für
2005 eine Fülle von Löchern hat, die man bisher angeblich nicht erkannt hat.
Das Schlimme dabei ist, dass es nicht nur den Bundesfinanzen schlecht geht, sondern dadurch auch die
Rentenkassen in den Strudel gezogen werden. Das bedeutet für viele Millionen Rentner in nächster Zeit große
Probleme.
Das Ganze erinnert an die „Reise nach Jerusalem“:
Verschiedene Vorschläge werden auf den Tisch gelegt,
einer hält durch und wird dann möglicherweise gelten.
Folgende Vorschläge haben wir gesehen: Die Pensionsverpflichtungen bei Post und Telekom werden abgekauft. Das ist so, als wenn ein Familienvater sein Einfamilienhaus belastet, weil er eine teure Weltreise machen
will, und die Enkel die Schulden bezahlen lässt. Genau
so gehen Sie mit den Finanzen des Bundes um.
({6})
Die Pflegeversicherung ist betroffen. Die Russlandforderungen werden gegen Abschlag an den Kapitalmarkt gebracht, obwohl Russland so viel Geld hat, dass
es seine Verpflichtungen bar bezahlen könnte. Alles wird
gegen Abstand verkauft. Dann das ERP-Darlehen - haben Sie die USA überhaupt gefragt, ob Sie da tätig werden dürfen? Das Vermögen der Post und der Telekom
wird verscherbelt. Das bedeutet, dass im Jahre 2006
wahrscheinlich kein Bundesvermögen mehr da ist, dass
Sie nur verbrannte Erde hinterlassen. Es wird dann kein
signifikantes Vermögen mehr geben. An diesen Beispielen wird deutlich, an welchen Stellen Sie versuchen, Vermögen einzusammeln, um den Haushalt einigermaßen
auszugleichen.
Meine Damen und Herren, so sehen die Löcher im
Bundeshaushalt des kommenden Jahres aus: durch Hartz
5 Milliarden Euro - Sie sagen 2,2 Milliarden Euro -,
Steuern 4 bis 5 Milliarden Euro, ERP-Vermögen 2 bis
4 Milliarden Euro, Mauteinnahmen mindestens 1 Milliarde Euro, Tabaksteuer 1 Milliarde Euro, Bundesbankgewinn bei der Entwicklung des Euro 3 Milliarden Euro
- schätze ich -, Risiko bei den Privatisierungserlösen.
Das heißt, das Risiko für den Haushalt 2005, über den
wir zurzeit diskutieren, liegt etwa in der Größenordnung
von 10 bis 15 Milliarden Euro. Da wagen Sie, das als
Haushalt zu bezeichnen und in den Beratungen vorzulegen?
Nein, wir sagen, ein Kassensturz muss her. Alle Risiken, pessimistisch geschätzt, müssen auf den Tisch gelegt werden; wir benötigen brauchbare Vorschläge.
Wenn Sie selber keine haben, dann erinnern Sie sich
daran, dass wir hier unsere Bereitschaft erklärt haben,
alle Ausgaben um 3 Prozent zu kürzen. Es geht um
Ausgabenkürzungen und nicht um Einnahmeverbesserungen auf skandalöse Weise. So können wir gemeinsam arbeiten. Aber dieser Haushalt ist dazu völlig ungeeignet.
Deswegen werden Sie mit diesem Haushalt auch die
Maastricht-Kriterien nicht einhalten können.
Herr Kollege!
Ein letzter Satz, Herr Präsident. - Schon jetzt ist erkennbar, dass Sie im nächsten Jahr trotz der Privatisierungserlöse ein Schuldenvolumen von 50 Milliarden
Euro streifen werden. Das bedeutet, dass der Bund alleine 2 Prozent des BIP überschreitet und die MaastrichtKriterien nicht eingehalten werden. Der Haushalt ist völlig unbrauchbar. Dies ist die Bilanz der Regierungstätigkeit von Rot-Grün nach sechs Jahren.
({0})
Für die Bundesregierung spricht nun die Parlamentarische Staatssekretärin Barbara Hendricks.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst zu dem, Herr Kollege Austermann, was
Sie am Anfang Ihrer Rede als Scherz bezeichnet haben.
Vielmehr haben Sie gesagt, es sei kein Scherz. Da haben
Sie Recht; es war eine Fiktion. Das sieht man schon daran, dass Sie dargestellt haben, die Union würde die
Landtagswahlen in Schleswig-Holstein gewinnen. Da
sind Sie selber vor und nicht zuletzt auch der Spitzenkandidat, Peter Harry Carstensen.
({0})
Jetzt fragen wir uns einmal: Was soll eigentlich die
heutige Debatte? Sie kennen alle Daten, Sie kennen alle
Termine. Wir haben heute den 27. Oktober. Am
4. November kommt die Steuerschätzung. Am
11. November wird die Bereinigungssitzung im Haushaltausschuss stattfinden. Am 18. November tagt der Finanzplanungsrat. Im Dezember wird die Bundesregierung ihre Maastricht-Meldung nach Brüssel geben.
Dies alles werden wir genau so machen, wie es sich
gehört und wie es verfassungsgemäß ist. Wir werden dafür sorgen, dass die Maastricht-Kriterien im Jahr 2005
auf jeden Fall eingehalten werden.
({1})
- Ja, wir werden dafür sorgen.
({2})
Nächste Woche ist die Steuerschätzung. Danach werden wir gemeinsam die Schlüsse daraus ziehen, und
zwar für den öffentlichen Gesamthaushalt; das gilt natürlich auch für die Länder und Gemeinden. Am
11. November findet dann die Bereinigungssitzung statt.
Ich hoffe doch, dass Sie sich dieses Jahr nicht entziehen
werden, wie Sie das im vergangenen Jahr getan haben,
wenn ich mich recht erinnere.
({3})
- Das macht mein Kollege Diller; das werden wir dann
sehen. Aber nach meiner Erinnerung haben Sie sich im
letzten Jahr dieser Beratung entzogen. Wir wollen einmal sehen, ob Sie in diesem Jahr bereit sind, Verantwortung zu übernehmen,
({4})
oder ob Sie so, wie Sie es heute wieder anlegen, nur auf
Polemik setzen und Ihrer Verantwortung wie üblich
nicht gerecht werden wollen. Wir werden sehen, was Sie
am 11. November tun.
({5})
Wir werden auch sehen, was am 18. November die
Länder, besonders die von der Union regierten Länder,
im Finanzplanungsrat sagen werden. Wir werden dann
erkennen, wie Länder und Gemeinden ihre Verantwortung für den öffentlichen Gesamthaushalt übernehmen.
Ich will in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass
alle Vorschläge zum Subventionsabbau - die Vorschläge
wurden von Herrn Koch, einem Ministerpräsidenten
Ihrer Couleur, und von Herrn Steinbrück, einem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten, ausgearbeitet entweder von Ihnen vollständig abgelehnt oder zumindest nicht vollständig übernommen bzw. im Vermittlungsverfahren abgeschwächt worden sind.
Ich darf weiterhin daran erinnern, dass Ministerpräsident Stoiber gleichsam ein rotes Stoppschild vor alles
gesetzt hatte, was landwirtschaftliche Subventionen anbelangt.
({6})
- Kommen wir also einmal auf die Kohle zu sprechen.
Ich weiß nun wirklich nicht, wie Sie darauf kommen,
dass es 16 Milliarden Euro zusätzlich für die Kohle gibt.
Die Kohlesubvention ist diejenige Subvention, die von
allen Finanzhilfen und von allen Subventionen im Bundeshaushalt am schnellsten abgebaut wird. Von 1998 auf
2005 werden alle Finanzhilfen für die Steinkohle im
Bundeshaushalt auf weniger als die Hälfte dessen zurückgeführt werden, was Sie uns sozusagen als Klotz am
Bein im Bundeshaushalt hinterlassen haben.
({7})
Die Finanzhilfen, über die wir alleine bestimmen können, bei denen wir nicht auf die Zustimmung des ständig
blockierenden Bundesrates angewiesen sind, haben wir
innerhalb der letzten sieben Jahre schon um mehr als die
Hälfte zurückgeführt. Das ist verantwortliche Finanzpolitik. Daran sollten Sie sich einmal ein Beispiel nehmen.
({8})
Wir werden natürlich unseren Pflichten an den genannten Terminen, wie ich Ihnen bereits sagte, sorgfältig
nachkommen. Wir werden im Jahre 2005 sowohl die
Verfassung einhalten als auch adäquate Vorschläge vorlegen, die dazu führen, dass wir die Maastricht-Kriterien
im Jahre 2005 einhalten werden. Darauf können Sie sich
verlassen.
({9})
Wir werden allerdings Vorschläge für Maßnahmen
machen müssen, bei denen wir auf Ihre Zustimmung
nicht angewiesen sind. Nach der Erfahrung mit Ihrer bisherigen verantwortungslosen Handlungsweise werden
wir nur Maßnahmen durchführen können, bei denen wir
nicht auf die Zustimmung des Bundesrates angewiesen
sind. Mit Ihrer Zustimmung rechnen wir schon gar nicht.
Denn Sie sind die versammelte Verantwortungslosigkeit
hier im Hause.
({10})
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Union,
auch nur ein wenig Interesse an unserem Land und seinem Wohlergehen hätten, dann würden Sie endlich aufhören, die Bürgerinnen und Bürger zu verunsichern. Es
wird natürlich nicht zu weiteren Einschnitten im Rentenbereich kommen. Wir werden für das Jahr 2005 selbstverständlich sicherstellen, dass die Rentenversicherungsbeiträge bei 19,5 Prozent bleiben. Zur Erinnerung:
Als wir die Regierungsverantwortung übernommen haben, lag der Beitragssatz bei 21,3 Prozent.
({11})
Ich darf auch daran erinnern, dass Sie es waren, die
im Laufe der 90er-Jahre die Lohnnebenkosten von 34
auf 42 Prozent hochgetrieben haben. Wir sind dabei, sie
nicht weiter steigen zu lassen, sondern sie Schritt für
Schritt zu verringern, auch wenn das in dem wirtschaftlichen Umfeld, in dem wir uns zurzeit befinden, schwierig
ist. Wie gesagt, die Lohnnebenkosten waren in den 90erJahren unter Ihrer Regierungsverantwortung von 34 auf
42 Prozent explodiert. Auch darauf sei einmal hingewiesen.
({12})
Übernehmen Sie also endlich Verantwortung für den
öffentlichen Gesamthaushalt, wie es Ihrer Aufgabe als
Opposition eigentlich zukäme! Denn die Opposition ist
nicht nur um des Opponierens willen da. Sie haben wie
alle Mitglieder des Deutschen Bundestages Verantwortung für unser Land. Allerdings weiß ich nicht, ob Sie
bereit sind, diese Verantwortung zu übernehmen. Unsere
Erfahrungen sprechen dagegen.
Sie machen nichts anderes - so auch heute wieder -,
als uns in polemischer Weise Vorwürfe zu machen. Sie
selbst machen aber keine Vorschläge und lehnen unsere
Vorschläge, die zur Entlastung des öffentlichen Gesamthaushaltes beitragen würden, rundweg ab. Trotzdem blasen Sie hier die Backen auf. Fangen Sie lieber einmal an,
da zu pfeifen, wo Sie es können und wo Sie es sollten!
({13})
Für die FDP hat nun der Kollege Dr. Heinrich Kolb
das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Formulierung des Themas der heutigen Aktuellen Stunde
mag zwar belustigend klingen. Aber das Thema hat einen ernsten Hintergrund. Denn die rot-grüne BundesreDr. Heinrich L. Kolb
gierung betreibt ein doppeltes Spiel: In offiziellen Reden
erweckt sie den Eindruck, sie beschreite den Kurs der
Konsolidierung des Haushaltes und der umfassenden
Modernisierung der sozialen Sicherungssysteme. Insbesondere wenn es um Prognosen für die Zukunft geht,
kennt der Optimismus der zuständigen Ministerien - Papier ist bekanntlich geduldig - keine Grenzen. Entwicklungen werden in den leuchtendsten Farben geschildert.
({0})
Doch obwohl sich nach Ihrer Lesart in den letzten Jahren
Jahrhundertreform an Jahrhundertreform gereiht hat,
bleiben die Erfolge aus. Offene und verdeckte Defizite
steigen; die Reserven schmilzen dahin; versprochene
Beitragssatzsenkungen bleiben aus.
Das Schwierige an einer Prognose ist - zugegebenermaßen - die Vorhersage des Künftigen. Wer aber wie die
Bundesregierung jedes Jahr aufs Neue das Best-CaseSzenario, also die beste anzunehmende Entwicklung, zur
Grundlage seiner Planungen macht und sich mit Alternativen der Entwicklung, mit dem Normalszenario oder
gar mit Worst-Case-Szenarien, also Szenarien einer
schlechteren Entwicklung, gar nicht lange aufhält,
braucht sich nicht zu wundern, wenn sich Finanzpläne
zerschlagen und oft hektische Rettungsaktionen gestartet
werden müssen. Hintergrund dieser Aktuellen Stunde ist
- dies ist ernst zu nehmen -, dass sich dieses schon seit
Jahren zu beobachtende Trauerspiel absehbar auch im
Jahr 2005 fortsetzen wird. Ich will das mit drei Beispielen untermauern:
Beispiel Krankenversicherung. Die Gesundheitsreform des letzten Jahres, von der Koalition und der Union
gemeinsam beschlossen, wurde von Frau Schmidt als
eine der größten Sozialreformen der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik angekündigt.
({1})
Diese Reform erweist sich, Frau Kollegin, als Rohrkrepierer.
({2})
Trotz vollmundiger Beteuerungen der Ministerin liegen
die durchschnittlichen Beitragssätze der gesetzlichen
Krankenversicherung aktuell bei 14,27 Prozent. Deutlich unter 14 Prozent, nämlich bei 13,6 Prozent, sollten
sie eigentlich im Laufe dieses Jahres liegen. Die Krankenkassen tun aber der Gesundheitsministerin nicht den
Gefallen, die Beiträge zu senken. Stattdessen setzen sie
die Priorität auf die Senkung ihrer Verschuldung, die sie
eigentlich gar nicht haben dürften. Rund 8,3 Milliarden
Euro stehen offen zu Buche.
({3})
Wahrscheinlich sind es mehr als 10 Milliarden Euro,
wenn man berücksichtigt, dass die gesetzlich vorgesehenen Reserven um 1,8 Milliarden Euro unter dem Soll liegen.
Ulla Schmidt drängt, droht und tobt zwar; aber Beitragssatzsenkungen lassen sich nicht erzwingen. Sie sind
das Ergebnis einer vorausschauenden, auf realistische
Annahmen gegründeten, verlässlichen Politik. Das Beispiel Zahnersatz zeigt auf anschauliche Weise, dass man
sich auf Aussagen der Bundesregierung nicht verlassen
kann.
({4})
Vielen Kassenvorständen ist daher das Hemd näher
als der Rock. Sie tragen Schulden ab - diese Schulden
sind das Ergebnis unterlassener Beitragssatzerhöhungen
der jüngeren Vergangenheit - und die Beitragszahler
schauen in die Röhre. Das Schlimme ist: Auch im nächsten Jahr ist keine Besserung zu erwarten.
Ich jedenfalls empfinde es als Drohung, wenn die
Barmer Ersatzkasse ankündigt, sie werde - man muss
auf jedes Wort achten - ihre Beiträge zum 1. Juli 2005
um mindestens 0,9 Prozent senken. Das bedeutet zum einen, dass man wohl bis Mitte nächsten Jahres überhaupt
nicht an Beitragssatzsenkungen denkt, und zum anderen,
dass man dann nur diese 0,9 Prozent weitergeben will,
die sich aus der Abschaffung der paritätischen Finanzierung beim Zahnersatz und beim Krankengeld ergeben.
Für die Versicherten ist das Ganze ein Nullsummenspiel.
Ich bezeichne das als Augenwischerei und als vorsätzliche Irreführung der Öffentlichkeit.
({5})
Beispiel Rentenversicherung. Schon seit mehreren
Jahren sind die Einnahmen und Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung nicht mehr im Gleichgewicht.
Das Defizit der Rentenkasse betrug in den Jahren 2002
und 2003 zusammen rund 6 Milliarden Euro. Im Jahre
2004 wird das Defizit 4 Milliarden Euro betragen. Im
gleichen Zeitraum ist dementsprechend die Schwankungsreserve von 13,5 Milliarden auf 3,2 Milliarden
Euro zusammengeschmolzen. Nur durch den Verkauf
der GAGFAH-Immobilien kann im Verlauf des Jahres
2004 noch ein letztes Mal die Liquidität der Rentenkasse
gesichert werden. Im kommenden Jahr aber sind alle Reserven verbraucht. Die Regierung steht direkt vor der
Wand; Spielraum: null.
In dieser Situation ergreift die Bundesregierung, um
den Beitragssatz stabil zu halten, erneut den Strohhalm
der Wachstumsprognose. 1,7 Prozent soll das Wachstum
im nächsten Jahr betragen, weil der jetzige Beitragssatz
schon bei 1,6 Prozent nicht mehr zu halten gewesen
wäre - und das, obwohl, wie wir heute im Ausschuss erfahren mussten, die Rentner auch im nächsten Jahr eine
weitere Nullrunde ertragen müssen. Das ist das Ergebnis
Ihrer Rentenpolitik. Dafür müssen Sie sich zur Verantwortung ziehen lassen.
({6})
Wir erleben das Gleiche - leider reicht meine Redezeit nicht mehr aus, dies genauer auszuführen - bei einem weiteren Beispiel, bei der Pflegeversicherung. Dort
haben Sie die eigentlich für Kindererziehende vorzunehmende Beitragsentlastung mit einem Trick in eine Beitragserhöhung für alle anderen umgewandelt. Auf diese
Art und Weise führen Sie der Pflegekasse 700 Millionen
Euro zu. Aber diese 700 Millionen Euro, die Sie gerade
ein Jahr weiterbringen, 12258
Herr Kollege!
- ermuntern Sie offensichtlich, jetzt auch über Kredite der Pflegekasse an die Krankenkassen nachzudenken. Sie sollten die Gelegenheit ergreifen, Frau Staatssekretärin, hier sehr deutlich zu sagen, dass an dieser
Meldung, die wir heute überrascht zur Kenntnis genommen haben, nichts dran ist. Es wäre ein gutes Ergebnis
dieser Debatte, wenn heute wenigstens dieses Zeichen
von der Bundesregierung kommen würde.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk, Bündnis 90/
Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann
mir eingangs eine Bemerkung nicht verkneifen. Herr
Dr. Kolb, Sie haben gesagt, dass die Gesundheitsreform
zu einem Rohrkrepierer werden würde.
({0})
Ich finde, es entbehrt nicht einer gewissen Keckheit, um
es einmal freundlich auszudrücken,
({1})
dass das ausgerechnet vonseiten der Fraktion kommt, die
im Bundestag die Axt immer an den richtigen Reformstamm legt.
({2})
Jeder, der mit diesem Thema vertraut ist, sowohl finanzwissenschaftlich als auch fachpolitisch, sagt: Bei der Gesundheitsreform in Deutschland müssen wir an die Anbieterseite herangehen. Sie aber sind immer strikt
dagegen und besitzen jetzt auch noch die Frechheit,
diese Reform als Rohrkrepierer zu bezeichnen.
({3})
Sie trauen sich, sich hier hinzustellen und so zu tun, als
verträten Sie die Interessen der Beitragszahler. Das ist
doch lächerlich.
({4})
Gehen Sie in sich! Denken Sie nach und kommen Sie
dann wieder! Dann können Sie mit reformieren. Aber so
geht es bestimmt nicht.
Ich möchte jetzt auf das Thema der Aktuellen Stunde
eingehen, nämlich die neuen Löcher im Haushalt. Ich
sage Ihnen einmal ganz humorvoll: Das ist nun wirklich
kein Thema für eine Aktuelle Stunde; die Löcher sind
doch nicht neu.
({5})
- Das hat gesessen.
Ihre Reaktionszeit ist langsam. Wir haben den Haushalt Anfang September eingebracht und die rote wie
auch die grüne Fraktion arbeiten seitdem daran, wie dieses schwierige Problem in den Griff zu bekommen ist.
({6})
Ich gebe zu, dass ich gestern selber gesagt habe, dass es
bis zur Bereinigungssitzung um mindestens 4 bis
5 Milliarden Euro geht.
({7})
Das ist nicht neu; das ist bereits seit Juli, seit dem Zustandekommen des Ergebnisses des Vermittlungsausschusses zu Hartz, bekannt. Mithilfe der Steuerschätzung werden wir zu einer genaueren Zahl kommen.
({8})
Morgen werden wir über den Haushalt des Wirtschaftsministers beraten. Wir werden dann wahrscheinlich ein
zusätzliches Risiko auf dem Arbeitsmarkt erkennen.
({9})
Im Übrigen wissen wir, dass uns im Zusammenhang mit
der Bundesbank eine weitere Schwierigkeit erwartet.
({10})
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Ich scheue mich nicht, die
Risiken zu benennen. Aber wir stehen dafür, diese Risiken zu beseitigen. Wofür stehen Sie? Sie stehen dafür,
sich dann immer in die Ecke zu schmeißen.
({11})
Sie haben uns vor zwei Stunden Anträge vorgelegt.
Der FDP und der CDU/CSU ist dieser Haushalt zu
schwer; ich zitiere zugegebenermaßen frei. Sie beantragen mitten in den parlamentarischen Beratungen, bei der
Erfüllung unserer hoheitlichen Aufgabe, die Bundesregierung aufzufordern, die Risiken im Entwurf für den
Haushalt 2005 zu benennen - es ist eigentlich auch unsere Aufgabe, dies in der Beratung vorzuschlagen - und
eine Anpassung vorzunehmen.
({12})
Die FDP beantragt, einen neuen Hauhaltsentwurf vorzulegen.
({13})
Damit verweigern Sie sich doch der Herausforderung,
vor der wir stehen. Ich sage Ihnen voraus: Diese Anträge
wurden gestellt, weil Sie sich nicht imstande zeigen werden, diese schwierige Haushaltslage selber zu bewältigen.
({14})
Sie werden wie im Vorjahr versagen. Ich will Ihnen aber
eine gewisse Besserung zugestehen: Diesmal hat sich die
Union aufgerafft - die FDP hat das bereits im letzten
Jahr gemacht -, sich selber zu überlegen, wo man kürzen
könnte.
({15})
Daraus kann ja noch etwas werden.
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir, die Grünen und die
SPD, scheuen uns nicht, die Risiken zu benennen, auch
der Finanzminister nicht. Wir stehen dazu, dass wir uns
in einer sehr, sehr schwierigen Situation befinden. Ich
kann es Ihnen aber nicht ersparen, noch einmal zu sagen:
Es ist wiederum eine Frechheit, wie Sie über dieses
Thema beraten wollen; Sie verleugnen dabei Ihre eigene
Verantwortung und verlieren kein Wort darüber.
Sie haben am letzten Freitag, als wir in diesem Haus
über die größte Subvention, die im Bundeshaushalt ausgewiesen ist,
({16})
diskutiert haben, dargelegt, dass Sie keinen Bewegungsspielraum sehen.
({17})
Sie haben die Abschaffung der Eigenheimzulage abgelehnt.
({18})
Sie wissen selber, wie die Situation der Länderhaushalte
ist.
({19})
Die FDP sollte nicht so dazwischenjaulen; denn ich hatte
Ihren Herrn Gerhardt so verstanden, dass er den Subventionsabbau in diesem Bereich für sinnvoll und richtig
hält.
Die Kohlesubvention ist in der Tat eine Subvention,
die man stark abbauen muss.
({20})
Wir kommen dabei in den nächsten Jahren einen Schritt
voran. Wir packen das bekanntermaßen zwischen Rot
und Grün strittige Thema an.
({21})
Wir werden morgen darüber reden, welche mindernden
Auswirkungen der hohe Weltmarktpreis auf diese Subventionen zukünftig haben wird.
Frau Kollegin Hajduk, bitte denken Sie an die Redezeit.
Wir sagen das nicht nur, wenn wir in der Opposition
sind, wir packen diese schwierigen Aufgaben auch an,
wenn wir die Regierung stellen. Das unterscheidet uns
von Ihnen. Wir wissen, dass wir dann, wenn wir schwere
Entscheidungen fällen müssen, allein sind, weil Sie sie
sich nicht zutrauen.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Steffen Kampeter für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kollegin
Hajduk hat unseren Wunsch nach einer Aktuellen Stunde
in scharfer Art und Weise kritisiert.
({0})
Wir haben uns in der vergangenen Woche bereits über
die desolate Haushaltslage in diesem Land unterhalten.
({1})
Was ist in den letzten Tagen passiert? Ich will einige
Dinge aufzählen, über die die Opposition anlässlich dieser Aktuellen Stunde endlich einmal im Plenum diskutieren will, während die Regierung sie am liebsten wegwischen würde.
Es gab den irrsinnigen Vorschlag, Pensionsverpflichtungen von Post und Telekom zu übernehmen, um damit
kurzfristig Kasse zu machen, in der Regel zulasten des
Steuerzahlers.
({2})
Es gab den Vorschlag, die Mittelstandsförderung durch
Ausplünderung des ERP-Sondervermögens zu zerschlagen, um Haushaltslöcher zu schließen. Darüber hinaus
ist die Pendlerpauschale nicht von uns in den vergangenen Tagen in die Diskussion gebracht worden.
({3})
Das Gleiche gilt für die Nachtarbeitszuschläge. Jeden
Tag treiben Sie - zwar nicht im Parlament, aber in der
Presse - eine neue Sau durchs Dorf und stellen die Grundlagen der Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit auf
den Kopf. Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren
von der Regierungskoalition, werden wir Ihnen nicht
durchgehen lassen.
({4})
Sie sagen bewusst nicht die Wahrheit über die Haushaltskatastrophe und den drohenden Staatsbankrott.
Stattdessen versuchen Sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, mit Bilanztricks - eine Art politischer Konkursverschleppung - diesen Haushalt gerade noch so zu gestalten, dass Sie sich nicht vollständig blamieren. Dieses
Verfahren wird stets - das ist nicht das erste Mal - mit
einer gewissen Systematik wiederholt und Frau Staatssekretärin Hendricks behauptet hier, das sei alles seriös
und nach Recht und Ordnung.
Ich will Ihnen dazu ein Beispiel nennen: die Steuerschätzung. Seitdem diese Regierung im Amt ist, also seit
sechs Jahren, hat die Steuerschätzung durch falsche wirtschaftspolitische Rahmendaten eine Schätzabweichung
über diesen Prognosezeitrahmen in Höhe von
300 Milliarden Euro ergeben.
({5})
Weil die Bundesregierung den Steuerschätzern falsche
Zahlen - in diesem Fall zu optimistische - vorgegeben
hat, mussten sie sich um 300 Milliarden Euro verschätzen, die den öffentlichen Kassen fehlen.
({6})
Wer mit einer solch dreisten Art und Weise die öffentlichen Kassen in den Ruin treibt und nicht die Wahrheit
sagt,
({7})
der darf keine Verantwortung mehr für das Geld unserer
Menschen tragen.
({8})
Es ist wieder das gleiche Spiel: Herr Clement, der in
diesen Tagen die Prognosedaten für die Steuerschätzung
vorgegeben hat, schätzt das wirtschaftliche Wachstum
um ein bis zwei Zehntel höher ein als alle anderen Institute.
({9})
Das mag nach nicht so viel klingen. Im Ergebnis wird
das aber bedeuten, dass wir in wenigen Monaten bei
Bund, Ländern und Gemeinden nicht wissen, wie wir die
angeblich prognostizierten Steuereinnahmen - durch
mehr Schulden in Milliardengrößenordnungen oder
mehr Ausgabenreduzierung - werden aufbringen können.
Diese fatale Fehleinschätzung seitens der Bundesregierung ist eine der Hauptquellen unseres Haushaltsdesasters, über das wir heute diskutieren.
({10})
Ich will an dieser Stelle noch einen Punkt nennen: Indem Sie die Novembersteuerschätzung so weit nach
vorn ziehen, werden Sie die Steuereinnahmen des Oktober darin nicht berücksichtigen können. Ihnen fehlt für
die Prognose also ein gesamtes Quartal. Die Schätzungenauigkeit wird aufgrund des von Ihnen zu verantwortenden verfehlten Verfahrens noch viel größer sein als in
den vergangenen Jahren.
({11})
Ich will an dieser Stelle auch darauf hinweisen, dass
die Frau Staatssekretärin wieder den Satz geprägt hat,
dass die Bundesregierung daran festhalte, die Defizitgrenze des europäischen Stabilitätspakts im nächsten
Jahr nicht zu überschreiten. Allerdings ist sie die einzige,
die daran glaubt. Die EU-Kommission geht davon aus,
dass wir auch im nächsten Jahr - und damit sozusagen
als Regelsünder der Europäischen Union - gegen den
europäischen Stabilitätspakt verstoßen.
Es ist überhaupt nicht erkennbar, dass die Bundesregierung umsteuern möchte. Bundesminister Clement,
der jetzt auch zur Haushaltspolitik Stellung nimmt, hat
gesagt: Es wird keine Sparmaßnahme geben; wir wollen
die konjunkturelle Entwicklung nicht gefährden. Die
Staatsquote in diesem Lande liegt bei etwa 50 Prozent.
Das sind de facto staatswirtschaftliche Zustände.
({12})
Das mögliche Maß an Konsolidierung belegen die zahlreichen Anträge der Opposition von CDU/CSU und FDP
im Haushaltsausschuss. Rot-Grün jedoch ignoriert die
Konsolidierungsnotwendigkeit und glaubt, dass Schulden die Lösung des Problems seien.
Wir von der CDU/CSU sind uns in einem sicher:
Schulden sind nicht die Lösung. Die Verschuldung dieser Regierung ist die Ursache des Problems. Die gilt es
zu beseitigen.
({13})
Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin
Waltraud Lehn.
({0})
Herr Kampeter, ich empfehle Ihnen, sich als Wirtschaftsweiser zu bewerben. Am besten beantragen Sie
auch die Ablösung des Steuerschätzungskreises und als
Ersatz schlagen Sie sich vor. Vielleicht beantragen Sie
auch noch die Umwandlung Ihres Namens von
Kampeter in Dr. Allwissend. Das jedenfalls wäre die angemessene Reaktion auf Ihre Rede.
({0})
- Ich weiß, dass das für Sie manchmal schwer auszuhalten ist; von daher bitte keine Unruhe.
Eine Aktuelle Stunde soll uns Parlamentariern und
Parlamentarierinnen Gelegenheit geben, über solche
Themen zu debattieren, die unvorhergesehen, aktuell,
neu und von besonderer Bedeutung sind. Das von Ihnen
beantragte Thema ist jedoch weder aktuell noch gibt es
irgendetwas, was über Spekulationen hinausgeht. Mit einem Satz: Sie veranstalten zum zehnten Mal eine bekannte Show, die wirklich überflüssig ist.
({1})
Denn dass die Beitragseinnahmen in der Renten- und
in der Krankenversicherung rückläufig sind, ist nichts
Neues. Unter anderem deshalb haben wir die Reformen
in der Renten- und in der gesetzlichen Krankenversicherung gemacht.
({2})
Heute zeigen sich die ersten Erfolge.
({3})
- Diese Frage will ich Ihnen gern beantworten: Nach den
aktuellen Berechnungen des Schätzerkreises wird der
Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung auch
für das Jahr 2005 bei 19,5 Prozent und damit stabil bleiben.
({4})
- Er wird stabil bleiben.
Das Gesundheitssystem ist durch die Reformen nachhaltig entlastet worden.
({5})
Im ersten Halbjahr 2004 haben die gesetzlichen Krankenkassen - anders als in den vergangenen Jahren - einen Überschuss von rund 2,5 Milliarden Euro erwirtschaftet.
({6})
Mehr als 25 Millionen Versicherte in unserem Land
konnten das in Form von Beitragssenkungen sehr konkret erfahren.
({7})
Diese positive Entwicklung hat dazu geführt - ich betrachte das als positiv -, dass die Entschuldung der gesetzlichen Krankenkassen schneller als gesetzlich vorgeschrieben vorankommt.
({8})
Auch das - das wissen Sie sehr wohl - wirkt sich positiv
auf die Bemühungen, die Maastricht-Kriterien zu erfüllen, aus.
Im GKV-Modernisierungsgesetz, das die Union - ich
sage das nur zu Ihrer Information - mitgetragen hat, ist
eine Entschuldung in vier gleich großen Schritten vorgesehen. Ende 2003 hatten die gesetzlichen Krankenkassen
Schulden in Höhe von 6 Milliarden Euro. Inzwischen
betragen sie nur noch 3,5 Milliarden Euro.
({9})
Das haben wir allein dem Mut und der Verantwortung
der Regierung zu verdanken. Das muss einmal ganz klar
gesagt werden.
({10})
Die von Ihnen verlangte Aktuelle Stunde hat mit der
Realität nichts zu tun.
({11})
Wir erleben zurzeit lediglich das, was jedes Jahr passiert,
kurz bevor über einen neuen Haushalt beraten wird. Ich
habe die Vermutung, dass diese Veranstaltung nur einem
einzigen Zweck dient:
({12})
Sie wollen von Ihrem eigenen Versagen auf breiter Front
ablenken.
({13})
Sie schaffen es doch nicht einmal, Ihre eigenen Probleme im Bereich der Gesundheitspolitik zu lösen. Nur
ein einziges Personalproblem stürzt Ihre Vorsitzende in
eine tiefe, schwere Krise.
({14})
Weder Sie noch Ihre Parteimitglieder wissen inzwischen
noch, was und wen Sie überhaupt wollen.
({15})
Wenn jemand, der solche kleinen Probleme nicht einmal
in seinem eigenen Bereich lösen kann, behauptet, er
könne die Probleme Deutschlands lösen, dann ist das
nicht einmal mehr lächerlich.
Ich sage Ihnen: Sie lenken von Ihrer Unfähigkeit ab
und verlieren sich in Spekulationen, Schwarzmalerei
und substanzlosen Allgemeinplätzen.
({16})
Mit Verlaub: Es wäre gut, wenn Sie in diesem Zusammenhang einmal sehr deutlich darauf aufmerksam machen würden, dass es eine gemeinsame Verantwortung
für den Stabilitätspakt gibt. Diese gemeinsame Verantwortung liegt sowohl beim Bund als auch bei den Kommunen und Ländern.
Frau Kollegin Lehn.
Ich überziehe erst um 31 Sekunden.
({0})
Meine Vorredner haben teilweise um bis zu zwei Minuten überzogen; aber ich halte mich selbstverständlich an
die Regeln.
Ich schließe mit folgender Bemerkung: Wir haben mit
der Agenda 2010 und den übrigen Reformen richtige
Vorhaben in Angriff genommen. Wir stellen uns den
großen Problemen und lösen sie. Aber Sie tun nichts anderes, als Showveranstaltungen durchzuführen. Überlegen Sie sich für die Zukunft etwas Besseres!
({1})
Frau Kollegin Lehn, Sie haben die angemeldete Redezeit in der Tat nur um eine Minute und acht Sekunden
überzogen. Das Problem des amtierenden Präsidenten
besteht schlicht und ergreifend in der geltenden Geschäftsordnung. Denn in den Regeln für Aktuelle Stunden ist in Anlage 5 Nr. 7 festgelegt: „Der einzelne Redner darf nicht länger als fünf Minuten sprechen.“
(Jürgen Koppelin [FDP]: Aber da steht nicht
„Rednerin“! - Steffen Kampeter [CDU/CSU]:
Und die Kollegin Lehn hat keine Minute Pause
gemacht!
Das lässt nur einen sehr begrenzten Interpretationsspielraum zu,
({0})
auf den ich auch die übrigen Rednerinnen und Redner in
aller Freundlichkeit hinweisen möchte.
Da alle Fraktionen insgesamt noch acht weitere Redner benannt haben, erlaube ich mir darüber hinaus folgende Anregung: Es wäre vielleicht ganz klug, wenn die
wesentlichen Argumente von diesen Rednern vorgetragen würden. Denn wenn gleichzeitig Unmengen weiterer Argumente durch Zwischenrufe geäußert werden, erreichen sie die deutsche Öffentlichkeit nicht, weil sie
schlicht unverständlich bleiben.
Nun hat der Kollege Otto Fricke für die FDP-Fraktion
das Wort.
({1})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Da ich nicht darauf hoffe, dass auch mir noch Zeit
gutgeschrieben wird, beteilige ich mich, wie es sich für
die Opposition gehört, lieber am Sparen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, Ihr
Beitrag zur Diskussion über den Haushalt sind blumige
Erklärungen und immer neue Ideen, die Sie vom Ministerium streuen lassen. Wenn es dann aber um die konkrete, harte Detailarbeit geht, also um das, was nicht in
der Öffentlichkeit stattfindet, legen Sie lediglich drei
Anträge vor. Das ist alles. Wir von der FDP verstehen
Verantwortung als einen Teil der Arbeit, nicht nur als
Beruhigung der Bevölkerung; das ist der Unterschied.
({1})
Wenn Sie meinen, sich in vermeintlichen Umfrageerfolgen sonnen zu können, dann gehen Sie fehl. Sie machen jetzt genau das - und das ist unverantwortlich gegenüber unserem Land -, was Sie auch gegen Mitte der
letzten Legislaturperiode getan haben: Sie machen eine
Politik der ruhigen Hand - als ob mit der Agenda 2010
alles Weitere problemlos liefe. Das klappt aber nicht.
Einfache Frage - einfache Antwort: Nennen Sie mir ein
Sozialsystem, von dem die Bürger sagen: Mensch, das
hat Rot-Grün stabil gemacht, das ist sicher, da habe ich
die Perspektive, dass es hält.
({2})
Es gibt keins.
Gesundheitssystem - um damit anzufangen -: Es gibt
keine Sicherheit, es gibt nur eine fiktive Sicherheit.
({3})
Das Allerschlimmste, fast das Krankeste an der ganzen
Sache ist: Sie pumpen im nächsten Jahr
2,5 Milliarden Euro aus Steuergeldern bzw. über Verschuldung in das Krankensystem. Und dann behaupten
Sie, das Krankensystem funktioniert! Sie schichten die
Schulden von der einen Seite auf die andere Seite
({4})
und sagen den Bürgern, das Gesundheitssystem funktioniert. Das ist, mit Verlaub gesagt, Pillepalle, das ist
nichts.
Bei der Rente sagt der Schätzerkreis: Es geht ungefähr noch gut. Aber, Kollegin Lehn, Kollegin Hajduk,
was haben wir denn im Berichterstattergespräch erfahren? Es reicht gerade noch für das Jahr 2005
({5})
- wenn überhaupt -, dann nicht mehr.
Wir sind in der Opposition, wir dürfen nicht nur meckern und kritisieren, wir müssen auch konstruktive Anträge stellen; das ist der Unterschied.
({6})
Sie stellen unsere Anträge - gerade die der FDP - zu den
sozialen Sicherungssystemen hier immer wieder als „sozial kalt“ dar. Vielleicht ein halbes Jahr später bringen
Sie sie dann in etwas anderer Form ein - ohne sie zu kapieren, nur durch Kopieren. Da stimmt doch etwas nicht!
({7})
Dass meine Fraktion keine konstruktiven Anträge zur
sozialen Sicherheit einbringt, muss ich also bestreiten.
Bei der Rentenversicherung haben wir Probleme, bei
der Pflegeversicherung haben wir Probleme, bei den
Pensionen haben wir auch riesige Probleme und
({8})
selbst bei so kleinen Dingen wie der Künstlersozialkasse
müssen wir in diesem Jahr außerplanmäßig 20 Prozent
zusätzlich ausgeben, um das System zu retten. Mit anderen Worten: Keines der Sozialsysteme ist in den letzten
sechs Jahren auf sichere Beine gestellt worden. Ihre Verantwortung ist es, das zu tun. Wir als Opposition dürfen
nicht wegschauen, sondern wir haben die Verantwortung, konstruktiv mitzuarbeiten. Das tun wir auch: Wir
bringen Anträge ein.
Zum Haushaltsausschuss: Die FDP hat bis jetzt
170 Anträge eingebracht und wir sind damit noch nicht
am Ende. Von diesen 170 Anträgen, die wir eingebracht
haben - alles nachvollziehbare Anträge -, haben Sie keinen einzigen Antrag unterstützt. Keinen!
({9})
Und das, obwohl nachvollziehbar mögliche Kürzungen
vorgeschlagen wurden. Wir sind gespannt darauf, was
Sie noch bringen werden und mit was für Tricks Sie hier
kommen werden.
({10})
Nun könnte man sagen, das sei ja alles nicht so
schlimm mit den sozialen Sicherungssystemen, denn das
eine sind die Sicherungssysteme und das andere ist der
Haushalt. Aber was haben Sie in den letzten sechs Jahren gemacht? Sie merken, dass Sie den Leuten bezüglich
der Lage der sozialen Sicherungssysteme reinen Wein
einschenken müssten - die Steuern erhöhen oder Leistungen beschränken -, versuchen aber durch stetigen
Griff in die Steuerschatulle
({11})
- Tabaksteuer, Ökosteuer -, das Ganze zu verdecken.
({12})
Jetzt ist in Schleswig-Holstein Wahlkampf. Mein
Kollege Koppelin freut sich besonders, dass der Finanzminister von Schleswig-Holstein sagt: Mehrwertsteuer
erhöhen, das sei doch allen bekannt. Mag sein, dass das
allen bekannt ist. Ich weiß davon nichts. Aber eines ist
bemerkenswert: Er sagt nicht, die Mehrwertsteuer erhöhen, um den Haushalt zu sichern, nein, er sagt: Mehrwertsteuer erhöhen, um die sozialen Sicherungssysteme
zu sichern. Was ist das für eine Sicherung, die nur dadurch erfolgt, dass man bei den Bürgern die Mehrwertsteuer abschöpft, um sie ihnen an anderer Stelle zurückzugeben?
({13})
Es ist ein weiteres Nullsummenspiel, um die Leute zu
vertrösten. Das belastet aber die Zukunft.
Das Schlimme bei den Sozialsystemen ist doch:
({14})
Letztlich steht hinter allen Sozialkassen doch einer als
Ausfallbürge: der Steuerzahler selbst, der Bund mit seinem Haushalt. Das wird immer wieder vergessen und
das ist das, was Sie den Leuten nicht klar machen können. Wenn Sie mit den Leuten sprechen, hören Sie folgenden Satz: So geht es nicht weiter! Das ist angekommen. Ich gebe auch gerne zu, da haben Sie von der
Regierungskoalition versucht, die Message rüberzubringen. Jetzt machen Sie wieder genau das Gegenteil und
sagen: Wir haben die Reform gemacht, jetzt ist es okay
und so in ungefähr geht es weiter. Nein, es geht nicht so
weiter.
Herr Präsident, ich komme zum letzten Satz.
({15})
Für mich verhalten Sie sich im Moment wie jemand, der
die Klippe herunterfällt und dabei sagt: Schaut mal
Leute, ich kann fliegen.
Herzlichen Dank.
({16})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgitt Bender,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist
schon eine merkwürdige Arbeitsteilung zwischen der
Regierung und der Opposition. Offenbar heißt das Prinzip: Die Regierung müht sich und die Opposition mäkelt.
Ich habe keinerlei konstruktiven Vorschlag gehört,
was wir eigentlich tun sollen.
({0})
Ganz im Gegenteil: Der Kollege Fricke beschwert sich
über eine Diskussion in Schleswig-Holstein. Es geht um
die Erhöhung der Mehrwertsteuer für die sozialen Sicherungssysteme. Ich will dazu sagen: Wir haben nicht die
Absicht, dies zu tun.
({1})
Nun sind Sie erst in dieser Legislaturperiode in den
Bundestag gekommen.
({2})
Vielleicht beschäftigen Sie sich einmal ein wenig mit der
politischen Geschichte der letzten Jahre. Dann hätten Sie
nämlich gewusst, dass die Mehrwertsteuer unter der
Kohl-Regierung - an der, wie ich glaube, die FDP längere Zeit beteiligt war - mal eben um einen Punkt erhöht
wurde, um die entsprechenden Gelder in die Rentenversicherung zu stecken.
({3})
Das heißt, dieses Prinzip ist Ihnen nun wirklich nicht unbekannt. Aber wie gesagt: Wir haben es gar nicht vor.
({4})
Es ist schon erstaunlich, dass Sie sich ausgerechnet darüber beschweren.
Ich finde es besonders befremdlich, dass sich ausgerechnet die FDP
({5})
über die Krankenkassen und die Lage bei der Gesundheitsreform beschwert.
({6})
Sie saßen mit am Tisch und sind ausgestiegen, weil Sie
die Schutzzäune um die Ärzte und die Apotheker nicht
einreißen wollten, was uns wirklich Geld gespart hätte.
Sie waren nicht mehr dabei.
({7})
Trotz allem haben wir etwas einigermaßen Gutes zustande gebracht und stellen fest, dass die Krankenkassen
schwarze Zahlen schreiben. In diesem Jahr sind es insgesamt 4 Milliarden Euro.
({8})
Wir haben im Gesetz einen über vier Jahre gestreckten
Schuldenabbau verankert; dieser findet statt. Das genau
ist unser Weg der Konsolidierung.
Was ist der Beitrag der FDP? Sie stellt den Antrag,
man möge auf die Beiträge der Betriebsrentner verzichten, wodurch die Finanzen der Krankenkassen wieder
verschlechtert würden.
({9})
Das ist der Beitrag der Opposition zur Konsolidierung
der sozialen Sicherungssysteme. Na, danke.
({10})
Das ist im Übrigen auch kein Wunder, weil Sie damit ja
sowieso aufräumen wollen. Sie wollen alles privatisieren. Deswegen ist das ohnehin nicht ernst zu nehmen.
Jetzt komme ich zur Rente, einem anderen Sicherungssystem. Hier muss ich auch die CDU/CSU angreifen. Im letzten Jahr wurde die Rentenreform durchgeführt. Wir haben etwas zur Konsolidierung der Finanzen
in der Rentenversicherung getan. Wo waren Sie? Sie waren dagegen. Außerdem haben Sie Vorschläge gemacht,
was man noch Schönes tun könnte, um die Renten zu erhöhen. Das waren gewiss Vorschläge, die dazu dienten,
sich beim Volke beliebt zu machen. Leider waren sie
aber nicht gegenfinanziert.
({11})
Gleichzeitig haben Sie ein Katastrophenszenario ausgemalt. Es sei alles ganz entsetzlich, die Regierungsmehrheit setze die Schwankungsreserve runter,
({12})
es werde zu unterjährigen Beitragserhöhungen kommen,
der Finanzminister werde Geld geben müssen, man
werde die Renten nicht mehr auszahlen können und ich
weiß nicht, was noch alles.
Ich stelle fest: Erstens. Die Renten werden immer
ausgezahlt; das wissen Sie im Übrigen auch.
Zweitens. Ihr Katastrophenszenario mit den unterjährigen Beitragserhöhungen ist nicht eingetreten.
({13})
Drittens. Überdies werden wir am Jahresende die
Schwankungsreserve in der gesetzlich vorgeschriebenen
Höhe erreichen, wodurch die Beiträge auch im nächsten
Jahr stabil bleiben.
Dafür könnten Sie uns einfach einmal loben, anstatt
hier immer nur den Versuch zu machen, die Regierung in
aktuellen Debatten sozusagen an die Wand zu nageln.
({14})
Ich stelle fest: Die Regierung steht dafür, die Rentenversicherungsbeiträge zu stabilisieren und die Krankenkassenbeiträge zu senken. Die Voraussetzungen dafür
sind jedenfalls geschaffen. Sie bemüht sich um die
Schließung der Steuerlöcher.
({15})
Gerade dazu trägt die Opposition gar nichts bei, weil sie
sich dem notwendigen Subventionsabbau verweigert.
Sie sollten also lieber bescheiden schweigen und die
Regierung arbeiten lassen.
({16})
Das Wort hat nun die Kollegin Ilse Aigner, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
({0})
- Ich versuche es, ich bin ja zweisprachig aufgewachsen.
Heute titelte eine Tageszeitung: „Bundesagentur
braucht weniger Geld“. Der normale Mensch würde jetzt
vermuten, dass der Zuschuss aus dem Bundeshaushalt
sinken könnte. Das ist aber ein leichter Irrtum. Wenn
man sich diesen kleinen Artikel nämlich weiter anschaut, dann liest man: Der Zuschussbedarf werde voraussichtlich nur wenig über dem im Haushaltsplan 2004
vorgesehenen Wert von 5,2 Milliarden Euro liegen. Warum sage ich Ihnen das? Dies ist exemplarisch für die
Haushaltsführung dieser Bundesregierung.
Ich kann noch ein anderes Beispiel bringen. Im letzten Jahr berieten wir einen Nachtragshaushalt für das
Jahr 2004, der zunächst einmal eine Neuverschuldung
von über 40 Milliarden Euro enthielt. Am Ende des Jahres ließ sich Minister Eichel nach der Haushaltsrechnung
förmlich feiern, weil die Neuverschuldung unter
40 Milliarden Euro gelegen hat. Diese Irreführung der
Bevölkerung ist nicht mehr zu überbieten.
({1})
Die Bundesregierung lebt davon, falsche Angaben zu
machen. Das war sowohl beim letzten als auch bei diesem Haushalt so: Die Einnahmen wurden viel zu hoch
und die Ausgaben viel zu niedrig angesetzt.
({2})
Deshalb klafft im Haushalt immer wieder ein Riesenloch, das immer wieder geschlossen werden muss. Ich
frage mich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, warum wir eigentlich noch im Haushaltsausschuss sitzen.
({3})
- Das weiß ich auch, Frau Kollegin Lehn.
Am Ende dieses Jahres enthält der Haushalt Löcher
im Milliardenbereich. Wir haben wie die FDP konkrete
Vorschläge gemacht - ich weiß jetzt nicht, Herr Kollege
Fricke, ob es ähnlich wie bei der FDP 170 waren, aber
qualitativ waren sie mindestens genauso gut -,
({4})
wo in diesem Haushalt Einsparungen möglich sind. Sie
haben alles abgelehnt und wollen alles in der Bereinigungssitzung machen.
({5})
Wenn ich Ihre Intention richtig verstehe, treffen wir
uns künftig Mitte November zur Bereinigungssitzung,
wir bekommen - vielleicht nach der bereinigten Steuerschätzung - die Vorlagen vom Bundesministerium vorgelegt und nicken dann alles ab. So stelle ich mir Parlamentarismus nicht vor. Ich meine schon, dass wir im
Haushaltsausschuss wirklich beraten sollten.
({6})
Zum Thema Sparen haben Sie einen Vorschlag gemacht - dieser ist Ihnen wohl gestern Nacht eingefallen -, und zwar zum Tagesbetreuungsausbaugesetz. Hier
verwenden Sie wieder den Trick, dass Sie vom Bundeshaushalt Ausgaben auf die Länder verlagern. Sie trennen
das Ganze in einen zustimmungspflichtigen und einen
nicht zustimmungspflichtigen Teil - Volumen: ungefähr
1,5 Milliarden Euro -, deren Lasten Sie komplett auf die
Länder respektive auf die Kommunen verschieben. Das
verstehe ich nicht unter Sparen. Das ist zwar gut für den
Bundeshaushalt, aber bei der Berechnung zur Einhaltung
der Maastricht-Kriterien wird es dennoch berücksichtigt.
Dann werden Sie sich jedoch wieder hinstellen und verkünden: Die Länder sparen nicht genug.
({7})
Sie machen uns immer den Vorwurf, wir würden uns
beim Abbau von Steuersubventionen verweigern. Liebe
Anja Hajduk, jetzt mache ich einmal eine schöne Rechnung auf. Dafür habe ich mir extra den Gesetzentwurf
zur Abschaffung der Eigenheimzulage ausgedruckt.
Darin hat der Bund für das Haushaltsjahr 2005 Barmittel
in Höhe von 95 Millionen Euro als Einsparsumme eingestellt.
({8})
Sind wir uns darin einig? Ich mache jetzt nur für das
Haushaltsjahr 2005 einen Gegenvorschlag: Im Bundeshaushalt 2005 - also nur für ein Jahr - sind allein für ein
Bauvorhaben des Bundes, nämlich die Umsiedlung des
Bundesnachrichtendienstes nach Berlin,
({9})
etwa 85 Millionen Euro eingestellt, um einmal die Größenordnungen zu vergleichen.
({10})
In der langfristigen Planung sind es bis zu 600 Millionen
und insgesamt über 1,2 Milliarden Euro. Ich habe Ihnen
diese Zahlen genannt, um Ihnen die Einsparmöglichkeiten vor Augen zu führen. Wir können also durchaus konkrete Vorschläge machen.
({11})
Abschließend kann ich nur noch feststellen - ich
werde versuchen, mich an die Redezeit zu halten -: Es
muss doch irgendeinen Zusammenhang geben, dass zum
vierten Mal die Maastricht-Kriterien verletzt wurden,
voraussichtlich zum vierten Mal ein verfassungswidriger
Haushalt vorgelegt wird und Rot-Grün seit sechs Jahren
regiert.
Danke.
({12})
Frau Kollegin, der angekündigte Versuch, Ihre Redezeit einzuhalten, ist tatsächlich gelungen. Ich bin ganz
hingerissen.
Nun hat der Kollege Ortwin Runde für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich bin heute mit einer frohen Erwartung in die Aktuelle Stunde gekommen.
({0})
Ich war aufgeheitert, und optimistisch gestimmt hat mich
dabei ein Kauder-Zitat, das heute Morgen in der „Berliner Zeitung“ stand. Er sagte, er gehe davon aus, dass die
Politiker der CDU in Baden-Württemberg weiterhin eine
schlagkräftige, handlungsfähige Truppe bilden.
({1})
Ich muss sagen, dass man bei der Themenwahl für die
heutige Aktuelle Stunde leider nicht so selbstironisch,
selbstkritisch und humorvoll war wie Herr Kauder.
Wenn man Herrn Austermann - der kann gar nicht anders - und Herrn Kampeter hört, dann stellt man die üblichen Wiederholungen fest. Da gefällt mir der Kauder
doch schon besser.
Wir debattieren hier über das Thema Stabilität und
das Thema Gesundheit. Ich habe den Eindruck, dass das
einzig Aktuelle daran der Wunsch der CDU/CSU ist,
von eigenen Schwierigkeiten und dem Unvermögen abzulenken, Steuerpolitik und Gesundheitspolitik miteinander vereinbar zu machen.
({2})
Stabilitäts- und Wachstumspolitik in Europa wäre in
der Tat ein ernsthaftes Thema. Dass wir Stabilität in
Europa haben, ist allen bekannt und bewusst. Wir wissen, dass die Binnenstabilität gegeben ist - siehe Preissteigerungsraten -,
({3})
wir wissen, dass die Außenstabilität der Währung gegeben ist. Das Verhältnis von 1,30 Dollar zu einem Euro ist
volkswirtschaftlich schon eher etwas bedenklich. Das
Thema, das wir wirklich behandeln müssen, lautet: Wie
ist die Wachstumsfähigkeit Europas unter den Bedingungen der Maastricht-Kriterien und des Maastricht-Pakts?
({4})
Hier wäre es in der Tat angebracht, auf das einzugehen,
was EU-Kommissar Almunia in Bezug auf die Weiterentwicklung des Stabilitäts- und Wachstumspakts vorschlägt.
({5})
Es geht darum, diesen Pakt nicht mechanistisch anzuwenden, sondern auch auf die konjunkturelle Entwicklung Rücksicht zu nehmen. In dieser Situation ist die Herausforderung von Haushaltspolitik: Wie können wir
trotz der sehr schwachen Binnennachfrage und der
schwierigen Haushaltssituation die Wirtschaft stabilisieren?
({6})
Wenn Sie selbstkritisch an die Beantwortung dieser
Frage herangehen würden, dann wären Sie sehr schnell
bei Ihrem Verhalten im letzten Jahr. Schauen Sie sich das
einmal an. Was haben Sie für die Konsolidierung der
Haushalte geleistet? Beim Subventionsabbau haben Sie
nicht mitgemacht.
({7})
Sie klopfen sich immer gewaltig auf die Schultern, was
das Koch/Steinbrück-Papier angeht. Manchmal ist Ihr
Klopfen so gewaltig, dass mir meine Schultern wehtun.
({8})
Sie haben den gesamten Agrarbereich herausgenommen
und tabuisiert. Daran wird deutlich, dass Sie die Konsolidierung des Haushalts nicht mit der gebotenen Ernsthaftigkeit betreiben.
({9})
In Ihren Vorstellungen und Ihrer Haltung zur Eigenheimzulage setzt sich das fort. Das ist die größte Einzelsubvention des Haushalts. Wenn man diese Mittel für Investitionen einsetzt, dann ist das von erheblicher Bedeutung
für das Wachstum.
Neben dem Subventionsabbau spielte im Vermittlungsausschuss die Stärkung der Binnennachfrage eine
Rolle. Damals waren Sie gegen das Vorziehen der Steuerreform. Überlegen Sie sich einmal selbstkritisch in Bezug auf die Binnennachfrage, ob es nicht klug gewesen
wäre, die Steuerreform insgesamt zum 1. Januar 2004 in
Kraft treten zu lassen. Das hätte für die binnenwirtschaftliche Konjunktur eine positive Wirkung gehabt.
Stattdessen bleibt festzustellen: Das, was Sie gegenwärtig vorführen, bedeutet ein Totalversagen bei der
konzeptionellen Zusammenführung von Steuer- und Sozialpolitik. Herr Merz, es muss Sie doch schmerzen,
wenn der Bierdeckel mit Ihrem Steuerreformkonzept
heute lediglich dazu geeignet ist, in der Kneipe ein
Tischbein zu stabilisieren;
({10})
Ihr Konzept ist aber nicht dazu geeignet, die Gesundheitsreform und die sozialen Sicherungssysteme solide
zu finanzieren. Dafür reicht es in Ihren Reihen nicht.
({11})
Nächster Redner ist der Kollege Andreas Storm,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
debattieren heute über die desaströse Lage der öffentlichen Haushalte und der Sozialkassen. Rot-Grün hat vor
einem halben Jahr unter dem wohlklingenden Titel
„Nachhaltigkeitsgesetz“ eine Rentenreform beschlossen.
({0})
Heute kann mit Fug und Recht festgestellt werden, Frau
Kollegin: So nachhaltig am Abgrund war die Lage der
Rentenfinanzen noch nie.
({1})
Tatsache ist - es geht um drei Punkte, die Sie sich
merken sollten -: Erstens, lieber Kollege Runde, haben
Sie davon gesprochen, dass die Binnennachfrage so
schwach sei. Im nächsten Jahr müssen sich die Rentner
auf eine weitere Nullrunde einstellen.
({2})
Was hat die Ministerin in diesem Jahr für heilige Eide
geschworen, dass das Aussetzen der Rentenanpassung
eine einmalige Ausnahme bleiben sollte! Seit diese Woche die Berechnungen der Rentenschätzer bekannt wurden, wissen wir, dass die Lohnentwicklung sehr schwach
ist, sodass es durch die Abzüge, die Sie den Rentnern
mit Ihrer neuen Rentenformel zumuten, im nächsten Jahr
eigentlich sogar zu einer Rentenkürzung kommen
müsste. Das ist glücklicherweise durch das Gesetz ausgeschlossen.
({3})
Aber die Chance einer auch nur minimalen Rentenerhöhung ist definitiv nicht mehr gegeben. Deswegen fordere
ich Sie auf: Schenken Sie den Menschen reinen Wein ein
und sagen Sie ihnen, was Sache ist, nämlich dass im
nächsten Jahr mit Rot-Grün keine Rentenerhöhung mehr
machbar ist!
({4})
Zweitens. Gestern hat die Sozialministerin eine
scheinbar frohe Botschaft verkündet: Der Rentenbeitrag
bleibt stabil. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Der
„Spiegel“ hat es in seiner Ausgabe vom Montag dieser
Woche sehr schön auf den Punkt gebracht: „Bei der Rentenversicherung kann der Beitragssatz im nächsten Jahr
nur mit Tricks gehalten werden.“
({5})
Das stimmt. Denn legt man beispielsweise die Annahmen der Wirtschaftsforschungsinstitute aus der vergangenen Woche zugrunde, dann müsste der Rentenbeitrag
im nächsten Jahr auf mindestens 19,6 Prozent angehoben werden.
Liebe Kollegin Waltraud Lehn, wenn Sie feststellen,
es sei eine bekannte Tatsache, dass die Beiträge seit Jahren wegbrechen, aber man solle den ersten Erfolg zur
Kenntnis nehmen, dass der Rentenbeitrag stabil bleibe,
dann stellt sich die Frage, wie blauäugig man sein muss,
um Jahr für Jahr immer wieder auf die eigenen Fehlprognosen hereinzufallen.
({6})
Eines der besten Beispiele dafür ist, dass Sie bei der
Schätzung der Rentenbeiträge für das nächste Jahr unterstellt haben, dass der Krankenkassenbeitrag im Durchschnitt bei 13,6 Prozent liegen würde.
({7})
Davon geht außer Ihnen kein Mensch mehr ernsthaft
aus. Auch der Schätzerkreis der gesetzlichen Krankenversicherung geht von einem wesentlich höheren Beitrag
aus. Da die Rentenversicherung aber den halben Beitrag
für die Rentner an die Krankenkassen zahlt, bedeutet
das, dass damit das erste Finanzloch für die Rentenkassen im nächsten Jahr vorprogrammiert ist und Ihre Berechnung schon nicht mehr gilt.
({8})
Drittens. Sie haben sich in den vergangenen drei Jahren immer wieder mühsam über die Runden gerettet,
indem Sie das Finanzpolster der Rentenversicherung
systematisch ausgeplündert haben. Heute sind die Rücklagen der Rentenkassen nahezu vollständig aufgebraucht. Die eiserne Reserve ist leer.
({9})
Zuletzt wurde noch der Wohnungsbestand der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte für gut 2 Milliarden Euro verkauft.
({10})
Das bedeutet, dass nun definitiv das Ende der Fahnenstange erreicht worden ist. Sie haben kein Sparschwein
mehr, das Sie schlachten können, wenn im nächsten Jahr
Geld in der Kasse fehlt.
({11})
In der heutigen Sitzung des zuständigen Fachausschusses hat die Ministerin selber eingeräumt, bei der
Festsetzung des Rentenbeitrages habe man auf Kante genäht. Man kann es auch deutlicher sagen: Im nächsten
Jahr droht Rente auf Pump. Das bedeutet zwar nicht,
dass die Rentnerinnen und Rentner befürchten müssen,
dass ihre Renten nicht pünktlich ausgezahlt werden.
Aber das bedeutet, dass in Zukunft die Stabilität der
Rentenversicherung und das pünktliche Auszahlen der
Renten vom Wohlwollen des Finanzministers abhängig
sind. Damit ist das Ende der finanziellen Eigenständigkeit der Rentenversicherung eingeleitet. Eine bittere Bilanz nach sechs Jahren Rot-Grün!
({12})
Es ist aber nicht nur bei der Rentenversicherung so.
Vielmehr schmelzen auch die Rücklagen der Pflegeversicherung wie Eis in der Sonne dahin. Bei der Krankenversicherung ist es ähnlich. Wenn man bedenkt, dass der
Schätzerkreis der Krankenkassen vor wenigen Tagen
festgestellt hat, dass im nächsten Jahr erneut ein leichter
Anstieg der Beiträge auf 14,3 Prozent zu erwarten ist,
dann muss man sagen, dass wir wieder genau dort sind,
wo wir waren, als wir im Spätsommer des Jahres 2003
Konsensgespräche geführt haben.
Herr Kollege Storm, Sie müssen zum Schluss kommen.
Die Bilanz ist desaströs. Rot-Grün fährt nicht nur die
öffentlichen Haushalte, sondern auch die Kassen der Sozialversicherungsträger gegen die Wand.
({0})
Das Wort hat nun die Kollegin Erika Lotz, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Als Erstes möchte ich auf Herrn Kolb eingehen, der von
einem Trauerspiel sprach.
({0})
Herr Kolb, ein Trauerspiel ist Ihre FDP.
({1})
Sie reden das Gesundheitsmodernisierungsgesetz schlecht,
obwohl Sie genau wissen, dass es greift. Das haben wissenschaftliche Institute bestätigt. Die Beiträge sind gesunken.
({2})
26 Millionen Menschen profitieren davon. Weitere Beitragssenkungen werden folgen. Ihre Argumente sind also
an den Haaren herbeigezogen.
Des Weiteren haben Sie vorhin Meldungen angesprochen, die den angeblichen Griff in die Kassen der Pflegeversicherung zum Thema haben.
({3})
Heute Morgen hat die Ministerin in der Ausschusssitzung dies ganz klar zurückgewiesen und als eine Fehlmeldung bezeichnet. Herr Kolb, wenn Sie den Inhalt dieser Meldungen trotzdem wiederholen, dann ist das nicht
seriös.
({4})
Seriös ist auch nicht Ihre Behauptung, dass die Rentner im nächsten Jahr eine Nullrunde ertragen müssten.
Sie wissen ganz genau, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt
noch keine seriösen Aussagen über die Lohnerhöhungen
im nächsten Jahr machen können.
({5})
Dies ist heute Morgen gesagt worden. Herr Kolb, das
war auch zu der Zeit nicht anders, als Sie Staatssekretär
waren. Sie wissen genau, wie das System funktioniert.
({6})
Ein Trauerspiel ist für mich auch die CDU/CSU. Sie
haben heftig applaudiert, als Herr Kolb das Gesundheitsmodernisierungsgesetz stark kritisiert hat.
({7})
Vergessen Sie nicht, dass wir dieses Gesetz gemeinsam
verabschiedet haben.
({8})
- Sagen Sie nicht Nein! Ich habe genau nachgeschaut.
({9})
- Daran liegt es bestimmt nicht.
Lassen Sie mich noch auf Herrn Storm eingehen. Seit
über einem Jahr behauptet die Opposition in den Debatten über die Rentenpolitik, dass ein Beitragssatz in der
gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 19,5 Prozentpunkten schon im laufenden Jahr unrealistisch sei.
Bei den Beratungen über die Entwürfe eines zweiten und
eines dritten SGB-Änderungsgesetzes haben auch Vertreter der CDU/CSU-Fraktion ihre Kraft allein darauf
verwendet, ein finanzielles Horrorszenario an die Wand
zu malen. Genauso machen Sie es heute wieder.
({10})
Ich möchte exemplarisch nur kurz aus dem Bericht über
die Ausschussberatungen vom 5. November 2003 zitieren. Damals ist seitens der CDU/CSU gesagt worden, ab
Mitte kommenden Jahres - also jetzt, 2004 - werde die
Rentenversicherung auf vorgezogene Zuschüsse des
Bundes angewiesen sein.
({11})
Ende November 2004 sei eine Liquiditätshilfe des Bundes in Milliardenhöhe erforderlich.
({12})
Nichts davon ist auch nur ansatzweise eingetreten. So
viel zu den Horrorszenarien, die Sie hier im Bundestag
immer wieder an die Wand malen.
({13})
Sie, unter anderem Herr Storm, haben in dieser Aktuellen Stunde wieder einmal von Finanzlöchern in der
Rentenkasse gesprochen. Es ist vor dem eben geschilderten Hintergrund wohl nur Ihnen zugänglich, was Sie
damit meinen. Mir ist es jedenfalls nicht zugänglich.
({14})
Ich habe eine Bitte an Sie: Nutzen Sie die bevorstehende ruhigere Zeit zum Ende des Jahres, um über Ihren
Politikstil nachzudenken.
({15})
Kritik ist immer erwünscht. Doch es gibt Grenzen. Mit
der von Ihnen betriebenen Kampagne erreichen Sie doch
nur eines: Die Arbeitnehmer und die Rentner in unserem
Land werden verunsichert und üben Kaufzurückhaltung.
Damit schaden Sie der Konjunkturentwicklung und verbauen Handlungsspielräume, die wir zugunsten der
Menschen in diesem Land nutzen könnten.
Vieles wäre heute einfacher, hätten Sie sich in Ihrer
Regierungszeit nicht vor den notwendigen Entscheidungen in der Rentenpolitik gedrückt.
({16})
1998 lag der Beitragssatz bei 20,3 Prozent. Selbst unter
Berücksichtigung Ihres demographischen Faktors - da
sind die konjunkturellen Schwierigkeiten, mit denen wir
in den letzten Jahren zu kämpfen hatten, noch nicht einmal eingerechnet - hätten wir heute einen Beitragssatz
von 21,5 Prozent.
({17})
Das wäre ein Desaster für die Höhe der Lohnnebenkosten und die konjunkturelle Entwicklung geworden. Dies
haben wir Gott sei Dank verhindern können.
Ich möchte Ihnen für weitere Aktuelle Stunden noch
eine Empfehlung geben: Vielleicht sollten Sie die Zeit
besser nutzen, sich, statt hier die Menschen zu verunsichern, einmal klar darüber zu werden, was Sie - damit
meine ich die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/
CSU - eigentlich wollen.
({18})
Vielleicht klären Sie Ihre Probleme mit der Kopfpauschale - Stichwort: Ausgleich über die Steuern -, indem
Sie eine Münze werfen: Wappen oder Zahl entscheiden
dann über Ihren Weg. Es ist sicherlich sinnvoll, sich in
dieser Frage erst einmal einig zu werden.
({19})
Danke schön.
({20})
Ich erteile das Wort der Kollegin Annette WidmannMauz, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Liebe Kollegin Lotz, ich glaube, die Zeit wird kommen,
in der wir uns hier in Aktuellen Stunden mit den finanziellen Auswirkungen und den nicht eintreffenden Entlastungen Ihres Bürgerversicherungsmodells intensiv beschäftigen werden. Dann wird manches klar werden.
({0})
Frau Lotz, wir von der CDU/CSU haben überhaupt
nicht vor, irgendetwas schlechtzureden. Aber woran wir
uns nicht beteiligen, ist das ständige Schönreden - ich
könnte auch sagen: Gesundbeten -, das Sie in diesem
Haus betreiben. Derzeit erleben wir, dass die Beiträge in
der gesetzlichen Krankenversicherung um gerade einmal
0,1 Prozentpunkte gesunken sind. Da die Veräußerung
der GAGFAH-Wohnungen einen Gewinn von 2 Milliarden Euro erbracht hat, muss in der Rentenversicherung
doch eine Menge Geld gefehlt haben. Es darf nicht wahr
sein: Sie verscherbeln das Tafelsilber und reden dennoch
von Solidität.
Dass die Finanz-, die Haushalts- und die Sozialpolitik
der Bundesregierung überhaupt nicht zusammenpassen,
das ist mir in dieser Aktuellen Stunde wirklich deutlich
geworden. Ich kann Ihnen nur sagen: Hans Eichel will
und braucht Entschuldung. Ulla Schmidt will und
braucht Beitragssatzsenkungen. Aber beides gelingt
nicht. Hans Eichel bekommt nicht die Einnahmen aus
der Tabaksteuer, die er eigentlich braucht, um sie der
Krankenversicherung zu geben. Wir müssen feststellen,
dass die gesetzliche Krankenversicherung Schulden in
Höhe von - da sind die Mindestrücklagen noch gar nicht
berücksichtigt - 8,3 Milliarden Euro Schulden hat. Das
ist Maastricht-relevant; deshalb haben wir große
Schwierigkeiten in der Europäischen Union.
({1})
Ulla Schmidt betet sich auf der anderen Seite weiter
gesund. Wir haben gerade einmal Überschüsse in Höhe
von 2,5 Millionen Euro und eine Senkung um 0,1 Prozentpunkte erreicht. Tag für Tag brechen Ulla Schmidt
die Einnahmen weg. Jeden Tag gibt es in dieser Republik 1 460 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze
weniger. Wo sollen denn da die Konsolidierung und die
Impulse für Beschäftigung herkommen?
Wir stellen fest: Beides zusammen klappt nicht. Deshalb müssen Sie sich endlich eingestehen, dass die enge
Koppelung unserer sozialen Sicherungssysteme mit ihren Einnahmen an die Arbeitskosten das Grundübel in
unserem Land ist. Dies werden Sie auch mit der Politik,
die Sie in den letzten Jahren betrieben haben, nicht beseitigen können.
({2})
Die gesetzliche Krankenversicherung ist enorm verschuldet. Ihr fehlen die Rücklagen. Das ist auf der einen
Seite das Ergebnis der verfehlten Wirtschafts- und Sozialpolitik. Auf der anderen Seite müssen Sie von der Bundesregierung sich die Vorhaltung machen lassen, dass
Sie vor Jahren die Krankenkassen gezwungen haben,
keine die Ausgaben deckenden Beitragssätze zu erheben.
({3})
Eigentlich hätten schon damals die Beitragssätze höher
sein müssen. Sie haben damit den Grundstein für das
Problem gelegt, das Hans Eichel im Hinblick auf die
Maastricht-Kriterien heute zu verantworten hat.
({4})
Dadurch sind nämlich die Schulden aufgewachsen.
Niedrige Beitragssätze auf Pump in der Vergangenheit kommen die Beitragszahler teuer zu stehen.
({5})
Das spüren wir heute.
({6})
Auch bei einem erwarteten Überschuss von
4 Milliarden Euro in diesem Jahr bleibt am Ende doch
nur wenig, wenn überhaupt noch etwas für weitere Beitragssatzsenkungen übrig.
({7})
Wirklich bestechend ist die Ignoranz, die Sie gegenüber den Zahlen des Schätzerkreises an den Tag legen.
Die Zahlen des Schätzerkreises waren in der Vergangenheit eigentlich die verlässlichsten, auf jeden Fall viel
verlässlicher als das, was uns aus Ihrem Haus ständig
vorgerechnet wurde.
({8})
Wenn ich mir anschaue, womit die Kassen rechnen
müssen, dann komme ich zu dem Ergebnis, dass bis zum
Jahresende maximal noch eine Beitragssatzsenkung um
0,1 Punkte möglich ist.
({9})
Das ist bei weitem nicht ausreichend, um beschäftigungspolitische Impulse zu bieten. Umgekehrt sind weit
niedrigere Beitragssätze - dazu will Frau Schmidt die
Kassen zwingen - die Schulden und Zinslasten von morgen. Wenn im nächsten Jahr aufgrund erhöhter Ausgaben die Beitragssätze weiter steigen werden, wie vom
Schätzerkreis prognostiziert, dann hat alles das, was Sie
hier vorlegen, nichts mit Nachhaltigkeit zu tun, sondern
ist Augenwischerei.
({10})
Zu behaupten, wir könnten uns ein weiteres Herumwurschteln leisten, ist wirklich verheerend. Wir stellen
fest, insbesondere im Versorgungsbereich, dass weder
der Wirtschaftsmarkt Gesundheitswesen wachsen kann
noch die Bedürfnisse, die die Bevölkerung hat, gerade
was die Krankenhäuser und die Pflege angeht, befriedigt
werden können.
({11})
Am Ende müssen Sie sich eingestehen: Die Maßnahmen des GMG sind richtig und notwendig - wir stehen
dazu -, aber sie reichen nicht. Die Schulden werden damit nicht in dem notwendigen Umfang abgebaut. Die
Beitragssätze sinken nicht in dem erforderlichen Maße.
Die Mehrbelastung für die Patienten und Versicherten
muss ein Ende haben. Warum also gestehen Sie sich
nicht endlich ein, dass dieses System am Ende ist? Wir
brauchen einen Systemwechsel.
({12})
Letzter Redner in der Aktuellen Stunde ist der Kollege Carsten Schneider für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Runde hat vorhin gesagt, dass er zu
Beginn dieser Debatte eine positive Erwartung gehabt
hat. Sie hat sich für ihn nicht erfüllt. Das hat mich angesichts des Haushaltsverfahrens auch nicht sonderlich
verwundert. Denn die Kolleginnen und Kollegen von der
FDP und von der CDU/CSU haben in den letzten Redebeiträgen immer wieder darauf abgehoben, dass sie viele
Anträge gestellt haben. Damit ist sicherlich eine Menge
Papier produziert worden. Davon, dass Sie, meine Damen und Herren, damit Ihre Verantwortung wirklich
wahrgenommen haben, kann aber keine Rede sein.
({0})
Das Loch, das Herr Austermann eben mit
10 Milliarden Euro beziffert hat, stopfen Sie damit nicht.
Welches Volumen hatten die Anträge?
({1})
- Ich gebe Ihnen einmal eine aktuelle Auflistung dessen,
was uns jetzt vorliegt. Seit September beraten wir den
Haushaltsentwurf. Seit dem Kabinettsbeschluss vom
Juni ist er Ihnen bekannt. Auch die Risiken sind bekannt.
Es gibt Anträge in sehr großer Anzahl.
({2})
- Zur FDP komme ich noch.
({3})
Bei den Anträgen der CDU/CSU beläuft sich das Veränderungsvolumen - ohne den Einzelplan 14; das habe ich
jetzt noch nicht mit eingerechnet - auf
92 Millionen Euro. Es sind aber 92 Millionen Euro
Mehrausgaben!
({4})
Ich denke, das sollte man einmal der Öffentlichkeit
bekannt machen. Die CDU/CSU konnte sich in den vergangenen Wochen und Monaten in den Haushaltsberatungen nicht dazu durchringen, mehr als eine Ausgabensteigerung - nicht etwa eine Ausgabensenkung - um
4 Promille durchzubringen.
({5})
Das ist Ihr Erfolg.
Auch die FDP - Herr Fricke hat darauf hingewiesen hat sich beteiligt.
({6})
- Wie viele es waren, weiß ich jetzt nicht.
({7})
Ich sage Ihnen gern die Summe: ein Minus von
164 Millionen Euro. Es handelt sich also um eine Senkung. Das ist eine Änderung um ganze 6 Promille. Ich
frage mich: Ist das die Wucht der Opposition? Ist das Ihr
Mut?
({8})
Wir befinden uns in einem Verfahren, das wir konsequent und solide durchziehen. Es gibt Risiken, die uns
bekannt waren und die uns auch bekannt sind.
({9})
Wir werden am 4. November die Steuerschätzung des
Steuerschätzerkreises erhalten, werden sie einarbeiten
und gegebenenfalls auch aktuell Veränderungen vornehmen. Wir werden uns dann an zwei Punkten orientieren,
die wir bei unserer Klausur in Krickenbeck festgelegt
haben.
Erstens. Wir werden einen verfassungsgemäßen
Haushalt vorlegen.
({10})
Zweitens. Dieser Haushalt wird den Maastricht-Kriterien gerecht werden. Das sind die Linien, an denen wir
uns orientieren.
Es würde mich natürlich freuen, wenn Sie in den
nächsten Wochen - es sind nur noch zwei Wochen - hier
im Bundestag eine veränderte Haltung zum Thema „Eigenheimzulage“ einnehmen würden. Vorige Woche
Freitag haben Sie die größte Einzelsubvention des Bundes - ({11})
- Richtig, es geht um Einsparungen im Bundeshaushalt
in Höhe von 95 Millionen Euro in 2005. Hinzu kommen
aber noch die Einsparungen bei den Gemeinden und den
Ländern. Aber auf lange Sicht - wir machen doch langfristige, nachhaltige Politik - ({12})
- Klar, da lachen Sie! Dafür haben Sie kein Verständnis!
Das ist mir klar! - Langfristig summieren sich die Einsparungen bei der Eigenheimzulage auf jährlich über
6 Milliarden Euro. Wenn Sie trotz leer stehender Wohnungen in Ostdeutschland die größte Einzelsubvention
des Bundes in diese Maßnahmen fließen lassen wollen,
dann kann ich nur sagen: Das ist eine Politik von gestern, die wir nicht mittragen werden.
({13})
Ich hoffe, dass Sie sich eines Besseren besinnen.
Auch die Landeshaushalte - das muss man einmal ganz
klar dazu sagen - stehen unter einem starken Druck. Die
Kommunen haben in diesem Jahr - vor allen Dingen,
weil wir für eine Festigung der Einnahmen aus der Gewerbesteuer gesorgt haben und die Steuer nicht, wie Sie
es wollten, abgeschafft haben - eine solidere Ertragslage. Die Mittel, die wir ihnen im Rahmen von Hartz IV
zusätzlich zur Verfügung stellen, die einer Entlastung
dienen, aber den Bund belasten, bleiben teilweise - in
Thüringen geht es um 26 Millionen Euro - an den Ländern hängen. Das heißt, die Länder gehen diesen Konsolidierungsschritt nicht mit, sondern verweigern sich ihm.
Ich kann nur hoffen, dass dem ein Ende gesetzt wird,
({14})
denn wir alle tragen Verantwortung. Wir alle sind an das
Maastricht-Kriterium - die Kennzahlen, die wir erreichen müssen - gebunden. Wir alle tragen auch für die
Zukunft Verantwortung. Ich hoffe, Sie werden dem in
den nächsten zwei Wochen gerecht, und biete Ihnen dabei unsere Unterstützung an.
({15})
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Wir sind damit zugleich am Ende unserer heutigen
Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 28. Oktober 2004,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.